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German Pages 154 Year 1990
FRIEDRICH MÜLLER
Die Positivität der Grundrechte
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 100
Die Positivität der Grundrechte Fragen einer praktischen Grundrechtsdogmatik
Von Friedrich Müller
Zweite, erweiterte Auflage
Duncker & Humblot * Berlin
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Müller, Friedrich: Die Positivität der Grundrechte / von Friedrich Müller. 2., erw. Aufl. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1990 (Schriften zum Öffentlichen Recht; Bd. 100) ISBN 3-428-06753-3 NE: GT
Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-06753-3
Vorwort Die Frage nach der Positivität der Grundrechte im Sinn ihrer unmittelbar verbindlichen Geltung ist durch Art. 1 Abs. 3 GG beantwortet. Die Positivität der Grundrechte im Sinn der Verläßlichkeit und praktischen Ergiebigkeit ihrer Normierung ist noch immer im Zwielicht. Die „generalklauselartige Weite" ihrer Normtexte pflegt als Ansatzpunkt für Erwägungen zu dienen, nach denen die positivrechtliche Ausgestaltung der Freiheitsrechte des Grundgesetzes nicht so ganz beim Wort genommen werden könne. Das wird unausgesprochen an der Art deutlich, in der Rechtspraxis und Rechtslehre vielfach mit Fragen des Inhalts der Grundrechte, ihrer Rangverhältnisse, ihrer gesetzlichen Einschränkbarkeit, ihrer sonstigen Begrenzungen und ihrer praktischen Vermittlung mit entgegenstehenden Vorschriften der Rechtsordnung umgehen. Die „Übertragung" von Einschränkungsmöglichkeiten eines Grundrechts auf andere, die Annahme eines Vorbehalts der „allgemeinen" Gesetze aller Verbürgungen, ihre generelle Begrenzung durch Straf- und Zivilrecht, die Behauptung von „Gemeinschaftsvorbehalten", die Entwicklung von sämtliche Grundrechte überlagernden „Nichtstörungsschranken" und ähnliche Hypothesen seien als Beispiele für Auffassungen genannt, die der normativen Grundlage im Verfassungsgesetz entbehren. Solche Lehren können als Symptome für die Entwicklungsbedürftigkeit einer Dogmatik der Einzelgrundrechte wie der Grundlagen der Verfassungsinterpretation verstanden werden. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, daß die sachlich-normative Verschiedenheit der einzelnen Freiheitsgarantien die Entwicklung material-allgemeiner Grundrechtsbegrenzungstheorien nicht zuläßt. Auf der Grundlage eines Verständnisses der Rechtsnorm als eines sachgeprägten Ordnungsmodells entwickelt sie vor allem an Fragen der grundrechtlichen Normgehalte und der Grundrechtsbegrenzung einige Grundzüge einer rationaleren, sich an die positive Normierung bindenden Grundrechtsdogmatik, die für jede Freiheitsgarantie gesondert auszuarbeiten sein wird.
Vorwort zur zweiten Auflage Die Neuauflage wird in einem Augenblick nötig, da gesundheitliche Schwierigkeiten mich daran hindern, die Auseinandersetzung der beiden letzten Jahrzehnte um die Thesen dieses Buchs und um die allgemeine Richtung von Dogmatik und Theorie der Grundrechte aufzuarbeiten. Dokumentation und Debatte des literarischen Materials müssen, von Ausnahmen abgesehen, unterbleiben. Nur in gewissem Umfang wird das dadurch ausgeglichen, daß ich inzwischen die Aussagen dieser nach wie vor diskutierten Programmschrift in Form von Monographien zu systematisch dargestellten einzelnen Garantien 1 , zu freiheits- und gleichheitsrechtlichen Spezialf ragen 2 sowie von methodologischen3 und rechts(norm)theoretischen 4 Untersuchungen der Grundrechte praktisch zu machen versucht habe. Die dogmatische Position dieses Buchs hat eine Methodik und Normtheorie zum Hintergrund, die vor allem in Auseinandersetzung mit der Judikatur entwickelt wurden. Ihre Aussagen zur Notwendigkeit möglichst rationaler Konkretisierung der Grundrechte, zu einer demokratisch wie rechtsstaatlich verläßlichen Bereichsdogmatik der einzelnen Garantien und zur Rolle der Normbereichsanalyse für beide Aufgaben wirkten ihrerseits auf höchstrichterliche Spruchpraxis zurück. Die Grundrechtstradition des Bundesverfassungsgerichts durchzieht seit der Mephisto-Entscheidung, in Vorbereitung auf welche diese Studie sowie „Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik" geschrieben worden waren, das Bemühen um diese Ziele als cantus firmus einer sich bewußter gewordenen Praxis: für die Masse der Fälle in der impliziten Form, die bei der rechtsprechenden Gewalt legitim sein kann, gelegentlich aber auch in markanten Leitentscheidungen als sich deutlicher explizierende Linie. 1 Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 1969; Das Recht der Freien Schule nach dem Grundgesetz, 2. Auflage 1982; vgl. auch: Zukunftsperspektiven der Freien Schule (Hrsg.), 1988. 2 Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit (mit B. Pieroth, F. Rottmann), 1973; Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach (mit B. Pieroth), 1974; Politische Freiheitsrechte der Rundfunkmitarbeiter (mit B. Pieroth), 1976; Leistungsrechte im Normbereich einer Freiheitsgarantie (mit B. Pieroth, L. H. Fohmann), 1982; vgl. auch Rechtsstaatliche Form - Demokratische Politik, 1977, S. 48ff., 63 ff., 75 ff., 95 ff., 110 ff. 3 Juristische Methodik, 3. Aufl. 1989, S. 42ff., 62ff., 220f., 223f., 282ff. 4 Normbereiche von Einzelgrundrechten i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1968; Juristische Methodik und Politisches System, 1976, S. 58ff., 63ff.; Strukturierende Rechtslehre, 1984, z.B. S. 201ff., 403ff.
Vorwort zur zweiten Auflage
5
In einer Lage, in der diskursive und postmoderne Strategien (wie damals institutionelle oder vor-grundgesetzlich autoritäre Lehren) die Grundrechte wieder abwägender Kadivernunft des Einzelfalls überlassen wollen, wird daher diese Neuausgabe um Abschnitte erweitert, welche die rechtsstaatlich anspruchsvolle Praxis des Bundesverfassungsgerichts darstellen und entlang der genannten methodologisch-dogmatischen Arbeitskonzepte analysieren.
Inhaltsverzeichnis 1. Teil Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung I. Grundrechtsbegrenzung durch Übertragung der Schranken des A r t . 2 Abs. 1 GG, durch allgemeine Gemeinschaftsvorbehalte u n d Nichtstörungsschranken
11
1. Übertragung der Schranken des A r t . 2 Abs. 1 GG
11
2. Immanente Gemeinschaftsvorbehalte
13
3. „Nichtstörungsschranken"
14
I I . Grundrechtsbegrenzung durch Güterabwägung u n d den Generalvorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
17
1. „ R i g i d i t ä t " des Grundgesetzes
17
2. Güterabwägung und Verfassungsganzes
18
3. Grundrechte u n d Gesetzgebung
19
4. Güterabwägung, Wesensgehalt u n d Generalvorbehalt als Fragen der Verfassungstheorie
21
5. Fragen rationaler Konkretisierung von Grundrechten
23
6. Kollisionsregeln statt Güterabwägung
25
I I I . Grundrechtsbegrenzung unter Aspekten des Grundrechtsmißbrauchs 1. Dogmatische Tatbestandsabgrenzung 2. Pauschalformeln der Rechtspraxis
28 28
;
29
3. Dogmatische Ansätze i n der Rechtsprechung
29
4. Mehrdeutigkeit der Pauschalformeln
31
5. Positive Normgehalte statt „ungeschriebener Annexe"
32
6. Grundrechtsmißbrauch als „Verletzung vorrangiger Interessen"?
33
7. Grundrechtsdogmatik statt Wertabwägung
34
8. Differenzierungen i m positiven Verfassungsrecht
35
8
Inhaltsverzeichnis
2. Teil Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik I. Abgrenzung zu Fragen der D r i t t w i r k u n g
37
1. Praktische Ansatzpunkte
37
2. Grundrechtsverletzung u n d Grundrechtsaktualisierung
38
3. Anknüpfungs„ebene"
38
u n d Sanktions„ebene"
4. Dogmatische G r u n d s t r u k t u r der „ D r i t t w i r k u n g s " f r a g e n I I . Z u m hermeneutischen A u f b a u von Grundrechtsnormen
39 40
1. Rechtsqualität der Grundrechte
40
2. Rechtliche Selbständigkeit der einzelnen Verbürgungen
41
3. Grundrechte: Sachgarantien statt Privilegien
43
4. Grundrechte u n d Unterverfassungsrecht
45
I I I . Wechselseitige Begrenzung von Grundrechts- u n d anderen Verfassungsnormen
4Θ
1. Überschneidung verfassungsrechtlicher Geltungsgehalte
46
2. Wechselwirkung, praktische Konkordanz, dogmatische Grenzbestimmung
47
3. Möglichkeiten der Rationalisierung
49
4. Konkurrenzen u n d Kollisionen
51
5. Wertung u n d „Ranghierarchie"
54
I V . Vorbehaltsgrundrechte u n d vorbehaltlose Garantien — Gesetzesvorbehalte u n d Vorbehaltsgesetze
55
1. Vorbehaltlos verbürgte Grundrechte
55
2. Normative Abgrenzung statt „Vorrang"behauptung
56
3. Verfehltheit pauschaler Grenzbestimmungen
57
4. Z u r Maßstäblichkeit von Gesetzesvorbehalten
58
5. Dogmatische Grundbedeutung von Gesetzesvorbehalten
59
6. N u r formale, nicht materiellrechtliche „Höherrangigkeit"
60
7. K e i n Generalvorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
61
8. Grundrechtlicher Normbereich und grundrechtsbezogene Gesetzgebung
63
Inhaltsverzeichnis 9. Grundrechts„ausgestaltung" u n d Grundrechtseingriff
9 65
10. Z u m Grenzvorbehalt des A r t . 5 Abs. 2 GG
67
11. Z u r sachlichen Bestimmung „allgemeiner Gesetze" i. S. von A r t . 5 Abs. 2 GG
69
12. Ermächtigung zum Grundrechtseingriff
71
13. Sachliche Bestimmung eingreifender Vorbehaltsgesetze
72
14. Beispiele zum Begriff des Vorbehaltsgesetzes
74
15. Maßstäblichkeit des Geltungsgehalts der betroffenen Grundrechte
76
16. Strafrecht als allgemeine Grundrechtsgrenze?
79
17. Grundrechte — Generalklauseln
79
18. „Verdeckte Spezialgesetze"
80
19. Gesetzliche Umschreibung von Grundrechtsgehalten
81
20. Z u r Verfassungstheorie vorbehaltloser Verbürgungen
82
21. Bedeutungskomponenten grundrechtlicher Gesetzes vorbehalte . .
85
V. Z u r sachlichen Reichweite u n d zur Differenzierung grundrechtlicher Garantien
87
1. Elemente grundrechtlicher Bereichsdogmatik
87
2. Praktische Konkordanz
89
3. Grundrechte u n d Gesetzesrecht
89
4. Konkretisierung i m einzelnen
91
5. Dogmatische Differenzierungen
94
6. Scheinkollisionen
95
7. Grundrechtskonkurrenzen
97
8. Normbereich u n d Typus
98
9. Konventionelle und strukturelle Typizität
100
3. Teil Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts I. Grundlinien seit der Mephisto-Entscheidung II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien 1. Art. 1 GG
103 105 105
10
Inhaltsverzeichnis 2. Art. 3 G G
105
3. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG - Rundfunkfreiheit
106
4. Art. 5 Abs. 3 GG
113
5. Art. 6 GG
120
6. Art. 7 Abs. 4 GG - Grundrechte als Leistungsrechte
120
7. Art. 8 G G
128
8. Art. 9 G G
129
9. Art. 12 GG
130
10. Art. 14 GG
132
11. Art. 38 i.V.m. Art. 48 GG
133
Verzeichnis der nachgewiesenen Literatur
135
Sachregister
140
Erster
Teil
Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung I . Grundrechtsbegrenzung durch Übertragung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG, durch allgemeine Gemeinschaftsvorbehalte und Nichtstorungsschranken
Die Grundrechte sind sachgeprägte Schutzgarantien bestimmter individueller und sozialer Aktions-, Organisations- und Sachkomplexe. Diese „Sachbereiche" werden durch verfassungsrechtliche Anerkennung und Freiheitsverbürgung im Rahmen der normativen Anordnung, des grundrechtlichen „Normprogramms", zu „Normbereichen" konturiert. Die Normbereiche nehmen an praktischer Normativität teil, d. h. sie sind mitbestimmende Elemente rechtlicher Entscheidung1. 1. Übertragung
der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG
Wegen ihrer Sachhaltigkeit und wegen ihres Aufruhens auf angebbaren Strukturen der sozialen Wirklichkeit sind die Grundrechtsgarantien jeweils in sich verständlich. Ihre Dogmatik kann als Bereichsdogmatik der einzelnen Verbürgungen erarbeitet werden. Das hindert nicht, sie sinnvoll systematisch zu interpretieren, wo sich der systematische topos im Einzelfall als notwendig und ergiebig erweist. Es hindert auch nicht eine verfassungstheoretische Reflexion, die ihren Ort, ihre Aufgabe und Wirkung in der Verfassungsordnung näher zu bestimmen und dabei strukturelle und funktionelle Zusammenhänge verfassungsrechtlicher Normen zu klären sucht. Es hindert jedoch ein Hinwegsehen über 1 Vgl. zu dieser Sicht des Rechtsnormtypus, den die Grundrechte repräsentieren, F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 1966, bes. 125 f., 144 f., 178 ff., 201 ff., 218 ff. u. ö. — I m folgenden können nur einige Gesichtspunkte aus diesem Fragenkreis behandelt werden. F ü r fehlende Aspekte der Problematik, für praktische Beispiele u n d f ü r die Untersuchung der Rechtsprechung darf allgemein auf die genannte Arbeit verwiesen werden; ferner auf F. Müller, Normbereiche von Einzelgrundrechten i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1968; ders., Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 1969. — Als „gegenständlich abgegrenzte Verstärkungen des rechtlichen Schutzes f ü r bestimmte Rechte u n d Freiheiten" werden die Grundrechte bei Scheuner verstanden. D Ö V 1967, 585, 586; s. a. ebd., 590; ders., W D S t R L 22 (1965), 1 ff., bes. 44 f., 47, 50 f. — Vgl. aus der Rechtsprechung beispielsweise BVerfGE 7.377.404; 12.1 ff.; 12.45.53.
12
1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
die Positivität der je einzeln und selbständig gewährleisteten Freiheitsrechte im Namen welcher juristischen Doktrin auch immer. Das verkennen in den hier zunächst zu erörternden Fragen der Grundrechtsbegrenzung die Versuche, die Grundrechte der sogenannten Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG zu unterstellen; sei es in der allgemeinen Fassung, gleichförmig gegenüber allen, den vorbehaltslos garantierten, den mit Regelungs- oder Ausgestaltungsvorbehalten, mit einfachen oder qualifizierten Eingriffsvorbehalten versehenen Verbürgungen zusätzlich die Schrankentrias zu errichten 2, sei es hilfsweise angesichts der ohne Vorbehalt normierten Gewährleistungen freier Sachbereiche3. Diese Lehre ist in ihren beiden Spielarten durch Wiederholung nicht überzeugender geworden. Sie setzt den Art. 2 Abs. 1 GG nicht nur als umfassende Ergänzung der Einzelgrundrechte voraus, als Auffangrecht, das grundsätzlich kein menschliches Handeln ohne grundrechtliches Schutzversprechen lassen will 4 . Sie sieht ihn als substantiell überhöhtes „Muttergrundrecht", demgegenüber die Garantien der Art. 2 Abs. 2 ff. normativ unselbständig sein sollen. Das tritt bei der Folgerung zutage, die differenzierte grundgesetzliche Abstufung der Vorbehalte sei gegenüber der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG nicht lex specialis. Nicht nur die historische und sachliche Eigenart der grundrechtlich geschützten Normbereiche, sondern vor allem auch die je selbständige normative Gewährleistung nimmt dieser Doktrin die Möglichkeit, sich auf positives Verfassungsrecht zu berufen 5. Die ständige Rechtsprechung des Bundes2 Z u dieser Pauschalität neigt ein T e i l der Rechtsprechung: L G H a m b u r g N J W 1963.675 (Jean Genet — Notre Dame des Fleurs); O L G Stuttgart N J W 1963.776; O L G Bremen N J W 1963.1932; O L G Karlsruhe J Z 1964.761.763; B a y O b L G N J W 1964.1149; B G H Z 12.197.203; B G H G A 61.240 (Döhl-Missa profana) = U F I T A 38 (1962), 181. 3 v. Mangoldt-Klein, Vorbem. Β X V 3 a vor A r t . 1; A n m . I V zu A r t . 2; A n m . X 6 f. zu A r t . 5 G G ; Giese-Schunck, A n m . 114 zu A r t . 2; Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Aufl., 1968, § 14 I 2; Wehrhahn, Systematische Vorfragen einer Auslegung des A r t . 2 Abs. 1 GG, AöR 82 (1957), 250 ff. 268 ff. — Vorsichtiger jetzt B G H I ZR 44/66, Urt. v. 20. 3.1968 (Mephisto-Klaus Mann), wo die Frage einer möglichen Behandlung des A r t . 2 Abs. 1 GG als „Muttergrundrecht" u n d der Übertragbarkeit der Schrankentrias ausdrücklich offengelassen w i r d (JZ 1968. 697). 4 Vgl. etwa Nipperdey, GR IV/2 758 ff.; ders., Soziale Marktwirtschaft u n d Grundgesetz, 3. A u f l . 1965, 28 ff. m. Nw.en; Maunz-Dürig, A n m . 6 u n d ff. zu A r t . 2 Abs. 1 G G ; B V e r f G E 6.32.36 ff. u n d seither st. Rspr. — Gewichtige Einwände gegen diese Sicht bei Hesse, Grundzüge, 160 ff.; vgl. ferner die K r i t i k bei H. Hub er, Die verfassungsrechtliche Bedeutung der Vertragsfreiheit, 1966, 5 ff.; Schmidt, A Ö R 91 (1966), 42 ff., 71 ff. Aus der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist die vorsichtige dogmatische Konsolidierung des A r t . 2 Abs. 1 G G i n B V e r f G E 20.150.154 ff. zu nennen. Z u r Problematik ferner Rupp, N J W 1966, 2037; Rüfner, Der Staat 1968, 41 ff., 43. 5 Vgl. schon die Bedenken bei Zeidler, Z u r Problematik von A r t . 2 Abs. 1 GG, N J W 1954, 1068; H. Krüger, Neues zur Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung u n d deren Schranken, N J W 1955, 201 ff.; Scheuner, Grundrechtsinter-
I. Übertragung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG
13
Verfassungsgerichts seit dem Elfes-Urteil wird dabei ebenfalls mißverstanden6. 2. Immanente Gemeinschaftsvorbehalte Das Bundesverfassungsgericht hat im übrigen eine Auffassung „immanenter" Grundrechtsbegrenzungen ausgeschlossen, nach der praktisch die bloße Behauptung des Schutzes „höherrangiger Gemeinschaftsgüter" zur Verkürzung grundrechtlicher Geltungsgehalte ausreichen sollte, weil es zum „Inbegriff aller Grundrechte" gehöre, „daß sie nicht in Anspruch genommen werden dürfen, wenn dadurch die für den Bestand der Gemeinschaft notwendigen Rechtsgüter gefährdet werden" 7 . Diese Auffassung ist ohne verfassungsrechtliche Grundlage. Sie kann ferner keine Kriterien zur Verfügung stellen, die rechtsstaatlichen Anforderungen genügen. Sie sieht vom Ausgangspunkt der Problematik ab, daß nicht zuletzt die grundrechtlichen Garantien für den Bestand der Rechtsgemeinschaft unter dem Grundgesetz „notwendige Rechtsgüter" darstellen. Der vom Bundesverwaltungsgericht offenbar gemeinte physische Bestand der Gemeinschaft wird von der Rechts- und Verfassungsordnung vorausgesetzt, die mit zahlreichen speziellen Normen seine Aufrechterhaltung zu sichern sucht; nicht aber ist er eine besondere „impretation u n d Wirtschaftsordnung, DÖV 1956, 65 ff.; Ridder u n d Stein, Die Freiheit der Wissenschaft u n d der Schutz von Staatsgeheimnissen, D Ö V 1962, 361 ff., 365 ff.; Lerche, Übermaß, 126, 295 ff.; ders., Werbung, 101 m . N w . e n ; Copie , 29 ff., 31 ff. m. Nw.en; Berg , ζ. B. 95. Hinsichtlich der Gewissensfreiheit gleichfalls gegen eine Überfremdung der Einzelgrundrechte durch A r t . 2 Abs. 1 GG: Scholler, Die Freiheit des Gewissens, 203 ff., 204; Scheuner, D Ö V 1967, 585ff., 590. Speziell f ü r die Kunstfreiheit ebenso z.B. Ott, N J W 1963, 618; Stein, J Z 1959, 721; Bauer, J Z 1965, 491; Arndt, N J W 1966, 26 ff., 28; D ü n n wald, JR 1965, 47 f.; ders., G A 1967, 33 ff., 38 f.; Leonardy, N J W 1967, 715. Vgl. auch die Darlegungen bei Knies, 85 ff., 103 ff. — Hingegen f ü r die Unterstell u n g der Kunstfreiheitsgarantie unter die Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG Leiss, N J W 1962, 2323; L G Hamburg, N J W 1963, 675; B G H G A 1961, 240; B a y O b L G N J W 1964, 1150 m. Nw.en u n d neuerdings wieder Erbel, 119 ff., 121. β Hierzu Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 362 m i t A n m . 21, der ebd. speziell f ü r die Kunstfreiheitsgarantie jeden unmittelbaren Rückgriff auf die Schranken des A r t . 2 Abs. 1 GG ablehnt. 7 So das Bundesverwaltungsgericht i n B V e r w G E 1.48.52; 1.307; s. ferner B V e r w G E 2.89.93 f.; 2.295.300 (wo der Ausdruck „immanente Schranken" gew ä h l t w i r d ) u n d st. Rspr. bis B V e r w G E 5.153 ff. Vgl. auch B V e r w G E 2.85.87 u n d 4.167.171 f. zur These, Eingriffe i n den Wesensgehalt der Grundrechte seien bei unabweisbarer Notwendigkeit der gesetzlichen Maßnahme zulässig; hiergegen BVerfGE 7.377.411 m i t gleichzeitiger Ablehnung der den Wesensgehalt der Grundrechte ebenfalls unzulässig relativierenden Ansicht des B u n desgerichtshofs, besonders i n BGHSt 4.375.377 u n d B G H D Ö V 1955.729.730. Z u r K r i t i k i n der L i t e r a t u r vgl. Bachof, J Z 1957.337 u n d : Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Verfahrensrecht, 2. Aufl. 1964, 14f., 124 f.; Maunz-Dürig, Rdnr 70 zu A r t . 2 Abs. 1 G G ; Lerche, Übermaß, 292 ff.; Copie, 21 f.; Hesse, Grundzüge, 123; Böckenförde-Greifferihagen, JuS 1966, 363; Berg, 95, 96; Knies, 93 ff.
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
manente" Grenze der Grundrechte oder anderer Rechtspositionen, die unter solch pauschalen Aspekten unkontrollierbar von jeder Vorschrift unterlaufen und gegenstandslos gemacht werden könnten, die irgend damit motiviert worden ist, dem Bestand der Gemeinschaft zu dienen. Abgesehen von ihrer rechtsstaatswidrigen Unbestimmtheit, besteht die normative Schwäche aller materiellen Gemeinwohlklauseln8 darin, sich nicht als geltendes ungeschriebenes Verfassungsrecht ausweisen zu können; eine Forderung, die angesichts der positivrechtlichen Normierung der Grundrechte und der Möglichkeiten einer Grundrechtsbegrenzung durch das Grundgesetz keine Ausnahmen zuläßt 9 . Der Ausgangspunkt der Immanenzlehren, das Grundgesetz gewähre keine unbegrenzten Freiheiten, muß zur Einsicht in die schon aus der Rechtsqualität der Grundrechte folgende sachlich-normative Begrenzung ihrer Reichweite führen; demgemäß zum Ausbau der Grundrechtsdogmatik durch rationale Diskussion des sachlichen Geltungsgehalts der einzelnen Garantien innerhalb der (Verfassungs-)Rechtsordnung. Nicht aber rechtfertigt er den Rückzug auf unbestimmte, im Ernstfall unbrauchbare Pauschalvorbehalte. Das Grundgesetz überläßt es nicht der Legislative, den Umfang ihrer Grundrechtsbindung selbst festzulegen. Dazu käme es aber im praktischen Ergebnis, wenn der Verfassungsgerichtsbarkeit die Chance der Nachprüfung an rationalen Maßstäben entzogen würde. Die eigentümlich über verfassungsrechtliche Gegebenheiten hinauszielende Dynamik eines jeden „Schrankenschlusses" zeigt sich erneut. 3. „Nichtstörungsschranken" Sie zeigt sich nicht minder deutlich dort, wo der „Soweit-Satz" des Art. 2 Abs. 1 GG neben der Aufgabe, Schrankenvorbehalt für das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG selbst zu sein, die entscheidend differierende 10 Funktion zugewiesen erhält, den Anknüpfungspunkt für die 8
Neuerdings wieder als — neben dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz — einzige materielle Komponente des grundrechtlichen „Garantiegehalts" bei P. Schneider, Pressefreiheit u n d Staatssicherheit 1968, 116. • Hierzu Hesse, Grundzüge, 123. 10 Knies, 105, A n m . 248 k o m m t m i t Recht zu dem Ergebnis, bei Dürigs f u n k t i o n e l l aufgespaltenem Verständnis der Schrankentrias einmal als Gesetzesvorbehalt, zum andern als Interpretationsvorbehalt u n d dementsprechend der „verfassungsmäßigen Ordnung" als einer auch positiv gewendeten Gemeinwohlklausel w i e als eines verengten Sammelbegriffs f ü r negative Störungsabwehr sei die Grenze verfassungsrechtlich stützb-arer Auslegung des A r t . 2 Abs. 1 GG überschritten, sei „die Identität der N o r m aufgehoben u n d nicht n u r jeweils i h r subjektiv-rechtlicher u n d objektiv-institutioneller Aspekt umschrieben"; ebd. Nw.e; ebd., 103 ff. allg. kritisch zu den Klauseln „vordringlicher Allgemeininteressen" m. Nw.en.
I. Übertragung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG
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Ermittlung von Schranken aller Grundrechte zu bilden 11 . Auch diesem Vorgehen fehlt die verfassungsrechtliche Grundlage. Entweder werden die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG unmittelbar „übertragen", was aus den skizzierten Gründen nicht angeht; oder sie sind wirklich nicht mehr als Hilfsgesichtspunkte für die Ermittlung der sachbestimmten Grenzen jedes einzelnen Grundrechts. I n dieser zweiten unbedenklichen Funktion teilen sie das Schicksal aller Interpretationsaspekte, selber nicht normativ zu wirken. Die Doktrin von den aus Art. 2 Abs. 1 GG zu gewinnenden „jederzeit objektiv erkennbaren Nichtstörungsschranken" 12 sieht jedoch in bemerkenswerter Verschränkung nachvollziehbarer nicht-normativer mit nicht-nachvollziehbaren (weil verfassungsrechtlich nicht positivierten) normativen Momenten die Schrankentrias als „Verfassungsvorbehalt zur Interpretation immanenter Grundrechtsschranken" 13 an. Damit wird verschleiert, daß nicht vorhandene, angesichts der durchgearbeiteten Abstufungstechnik des Grundgesetzes auch nicht mehr unterstellbare Grundrechtsschranken in der Tat unterstellt werden. Weder Art. 2 Abs. 1 GG noch sonst eine Verfassungsnorm vermag die Einführung eines derartigen alle Grundrechte betreffenden basso continuo normativ zu decken14. Bereits hier findet diese Variante der Begründung „immanenter" Grundrechtsschranken ihren entscheidenden Einwand. Auf den Umfang der solcherart unterlegten Schrankenkomplexe, etwa auf ihr Umfassen auch der polizeilichen Generalklausel 15, kommt es in11 S. v. a. bei Dürig, J Z 1957, 169 ff.; ders., Maunz-Dürig, Rdnr. 69 ff. zu A r t . 2 Abs. 1 GG. " Maunz-Dürig, Rdnr. 70 zu A r t . 2 Abs. 1 GG; vgl. z . B . auch Β G H Z 38.317.320. 18 Maunz-Dürig, Rdnr. 72 zu A r t . 2 Abs. 1 G G ; zur K r i t i k i n diesem P u n k t s. bes. Knies, 106 f. 14 Vgl. die Vorbehalte bei Dürig selbst: A Ö R 79 (1953), 76; 76 ff. der V e r such der Quadratur des verfassungsrechtlichen Zirkels m i t einer jeweils i m kritischen Augenblick auf die andere Ebene verweisenden Wechselwirkung v o n Positivität u n d Überpositivität. — Z u r allgemeinen K r i t i k vgl. Beyer, N J W 1954, 713; Zeidler, N J W 1954, 1068 m i t der Erwiderung Dürigs i n N J W 1954, 1395; ferner Herbert Krüger, DVB1. 1955, 597; ders., N J W 1955, 204; ders., Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, 554; Lerche, Übermaß, z.B. 123, 287; Wintrich, Z u r Problematik der Grundrechte, 1957, 24; Copie , 30 ff. m. Nw.en; Ridder u n d Stein, D Ö V 1962, 361 ff., 365 ff.; Knies, 103 ff.; n u r i m Umfang der Generalschranken, nicht i m methodisch-dogmatischen Ansatz: Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 363. — Z u s t r u k t u r e l l i m wesentlichen denselben Einwänden unterliegenden Pauschalvorbehalten gelangen E. R. Huber, D Ö V 1956, 135; Herbert Krüger, N J W 1955, 201, 204; Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 363 unter Einschluß der „materiellen Kriminalstrafrechtsnormen". 15 V o r allem bei Dürig, z . B . A Ö R 79 (1953), 57ff.; ders., Maunz-Dürig, Rdnr. 79 ff. zu A r t . 2 Abs. 1 GG. Damit w i r d i m Ergebnis der Begriff der „verfassungsmäßigen Ordnung" i n A r t . 2 Abs. 1 GG m i t dem Begriff der „öffentlichen Ordnung" i n § 14 P r P V G ineinsgesetzt — insoweit kritisch Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 363. — Vgl. den Hinweis bei Copie,
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
soweit nicht mehr an. Das dem Fehlen von Gesetzesvorbehalten zu entnehmende „beredte Schweigen" zugunsten einer positivrechtlich maximalen Schutzgarantie der vorbehaltlos gewährleisteten Freiheitsrechte 1 6 ist für die sachlichen Verkürzungsmöglichkeiten grundrechtlich garantierter Handlungs- und Organisationsformen sozusagen das letzte Wort. Es ist eine petitio principii, von diesem Befund gleichwohl im Nachsatz „ganz scharf" die Frage trennen zu wollen, ob sich der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG nicht doch gleichwohl „einige wenige elementare Schranken" aller Grundrechte im Dienst eines rechtlich geregelten sozialen Miteinander entnehmen ließen. Die materielle Seite dieser petitio erscheint in der Versicherung, es seien etwa polizeiliche Maßnahmen auf Grund jenes mit den Begriffsvoraussetzungen „öffentliche Sicherheit" und „öffentliche Ordnung" nicht unbedingt rational fundierten Polizeivorbehalts keine Grundrechtseingriffe, sondern lediglich Zurückverweisungen in die Schranken gemeinförderlicher Grundrechtsausübung17. Das läßt sich im Rahmen noch so subtil vorgetragener Pauschalvorbehalte allenfalls behaupten, nicht aber belegen. Ob in ein Grundrecht, genauer: in grundrechtlich geschützte Aktions- oder Sachbereiche „eingegriffen" wird oder nicht, ob solche als frei garantierten Bereiche also im praktischen Ergebnis beschnitten werden oder nicht, läßt sich nur von der Reichweite der normativen Sachgarantie her beurteilen 18 , zu deren Rationalisierung eine Analyse der grundrechtlichen Normbereiche 19 wesentlich beitragen kann. Zahlreiche durch Pauschalvorbehalte per definitionem gedeckte „Zurückverweisungen" werden sich als kräftige Beschneidung grundrechtlich eingeräumter Verhaltens* und Sachfreiheit herausstellen. Sie sind somit Eingriffe, die nach 35 m. Nw.en, somit wäre die Pressefreiheit unter dem Grundgesetz — i m Gegensatz zur Rechtslage i m Kaiserreich u n d während der Weimarer Rep u b l i k — nicht mehr polizeifest. 16 Eingeräumt v o n Dürig, J Z 1957, 169, 171; ebd. zum folgenden. K r i t i s c h v. a. zu den polizeirechtlichen Aspekten dieser These: Lerche, Übermaß, 123, A n m . 88. 17 So Dürig, Maunz-Dürig, Rdnr. 82 zu A r t . 2 Abs. 1 G G ; kritisch hierzu etwa Copie , 34 f.; 35 f. Beispiele zur Entbehrlichkeit derartiger Immanenzthesen f ü r Erzielung vernünftiger Ergebnisse. 18 Vgl. Scheuner, W D S t R L 22.45, 47 ff., 50 f. u.ö.; ebd. auch 37 ff.; ähnlich Copie , 31, 33 u n d ff., 35 f.; ebd., 37: anhand der Unterscheidung v o n allgemeinen u n d Sondergesetzen u n d „aus dem historischen Wuchs u n d der sozialen F u n k t i o n jedes einzelnen Grundrechts" sind konkrete Umfangsbegrenzungen u n d Ausübungsschranken ohne „Immanenz"-Verallgemeinerungen zu e n t wickeln; allg. auch Knies, 112. Ä h n l i c h zu verstehen w o h l Jäckel, G r u n d rechtsgeltung u n d Grundrechtssicherung, 1967, z.B. 29ff., 32, 35, 39; ebd., 32: A r t . 2 Abs. 1 GG allenfalls als nicht-normative Auslegungsregel f ü r die einer Positivierung nicht bedürftigen Grenzen, m. Nw.en. 1β Hierzu i m Grundsatz F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, z . B . 131 ff., 137ff., 142ff., 184ff., 201 ff.; ders., Normbereiche von Einzelgrundrechten i n der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, 1968.
II. Güterabwägung und Generalvorbehlt der „allgemeinen Gesetze"
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positivem Verfassungsrecht nur durch andere Verfassungsnormen oder auf Grund solcher, nur durch von einem entsprechenden Gesetzesvorbehalt gerechtfertigte förmliche Gesetze oder auf Grund solcher zulässig sind. Weder die direkte Übertragung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG noch ihre indirekte, der Sache nach aber gleichfalls normanmaßende „interpretative" Anwendung auf alle Grundrechte können Vorbehaltsgesetze und Gesetzesvorbehalte ersetzen 20. I I . Grundrechtsbegrenzung durch Güterabwägung und den Generalvorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
I. „Rigidität"
des Grundgesetzes
Als „rigide" Verfassung, und das soll in diesem Zusammenhang heißen: als geschriebenes Verfassungsgesetz, dessen Struktur vom Bestreben nach Normklarheit und Eindeutigkeit des geltenden Verfassungsbestandes geprägt ist, dessen Behandlung daher unter dem Hechtsstaatsgebot auch den Anforderungen optimaler Methodenklarheit zu genügen hat 21 , bietet das Grundgesetz auch keine Möglichkeit, Grundrechtseingriffe, die sich im Einzelfall oder generell weder auf ein sie tragendes Vorbehaltsgesetz noch auf einen dieses deckenden positivrechtlichen Gesetzesvorbehalt stützen können, unter Hinweis auf das „Bezugssystem des Verfassungsganzen", auf die „materiale Allgemeinheit der Verfassung", auf die „Totalität des verfassungsrechtlichen Wertsystems"22 zu rechtfertigen. Trotz all seiner Bedeutung als Aspekt der Verfassungstheorie ist das Ganze der Verfassung als solches nicht von normativer Qualität. Eine mit der Verfassungstypik des Grundgesetzes vereinbare normative Grundlage ist für Verkürzungen grundrechtlich gewährleisteter Aktions- und Sachbereiche, nach dem geläufigen Aus20 I m besonderen f ü r die Kunstfreiheit haben sich der Immanenz-These Dürigscher Fassung angeschlossen: Schäuble, Rechtsprobleme der staatlichen Kunstförderung — unter Ausschluß bundesstaatlicher Probleme, 1965, 178 ff.; Ropertz, 96 ff., 98 ff., 101 ff., 104 ff., 111 ff.; Erbel, 118 ff., 121 f.; BöckenfördeGreiffenhagen JuS 1966, 363 m i t Modifizierung des Schrankenumfangs. Vgl. dagegen die eindringliche K r i t i k der I m m a n e n z - D o k t r i n bei Knies, 103 ff. 21 Hierzu F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, z.B. 158ff., 68f., 153 f., 181 f., 208 f., 155 ff. — Z u dem so verstandenen Begriff der Rigidität vgl. Herbert Krüger, DÖV 1961, 721; ders., Allgemeine Staatslehre, 286, 2921; i n demselben Sinn über „die normative Verfassung als geschriebene Verfassung": Hesse, Grundzüge, 14 f.; ebd., 16 f. zur Rigidität i m Sinn erhöhter A n forderungen an die Verfassungsänderung; vgl. hierzu ferner Carl Schmitt, Verfassungslehre, 17; Herbert Krüger, D Ö V 1961, 721; ders., Allgemeine Staatslehre, 293. A l l g . : Ehmke, Grenzen der Verfassungsänderung, 1953. 22 So Häberle, Die Wesensgehaltsgarantie, 5 u n d ff.; 32 u n d ff., 51 u. ö. V e r allgemeinerung zu einer „naturrechtlich"-pauschalen Interessenabwägungsklausel bei Eike v. Hippel, Grenzen u n d Wesensgehalt der Grundrechte, 1965, z. B. 19, 26, 29, 31 u n d passim.
2 Müller, Grundrechte
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
druck: für „Grundrechtseingriffe" unerläßlich. Die positivrechtlichen Gesetzesvorbehalte können nicht nur noch als „staatsrechtliche Reminiszenz"23 behandelt werden. Bei aller Einseitigkeit eines nur von formalen Schrankensystemen statt von der Eigenart der normativen Sachgarantien ausgehenden Denkens, bei allen positiven Deutungsmöglichkeiten der Gesetzesvorbehalte ist unter dem Grundgesetz keine normative Rechtfertigung dafür ersichtlich, diese verfassungsgesetzliche Figur nicht weiterhin auch als formalisierte Voraussetzung für die verfassungsrechtliche Legitimität gesetzgeberischer Grundrechtseinschränkungen anzusehen. Dann aber könnte das Verfassungsganze nur insoweit als normativer Ersatz für fehlende oder in concreto weniger weit reichende Gesetzesvorbehalte fungieren, als seine Direktiven im einzelnen so rationalisierbar und differenzierbar wären, daß den Geboten der Normklarheit und Methodenklarheit Genüge geschieht. 2. Güterabwägung und Verfassungsganzes Das hat sich bisher auch mit Hilfe des allerdings wiederum nur formalen 24 Prinzips der „Güterabwägung" als einer Technik der Bestimmung von Grundrechtsgrenzen nicht als möglich erwiesen. Abgesehen von der Gefahr solchen Vorgehens, wegen des „Vorranges" oder der „Höherwertigkeit" eines verfassungsrechtlichen „Rechtsguts" oder „Interesses" im Einzelfall zu Lasten eines anderen das Interpretationsprinzip der Einheit der Verfassung aus den Augen zu verlieren 25 , entbehrt das Rechtsgüter „abwägende" Verfahren leitender normativer Anhaltspunkte in der Verfassung, die über die formale Typik hinausgingen. Damit entbehrt es zugleich jeder rechtsstaatlich genügenden inhaltlichen Maßstäblichkeit28. Trotz aller Interdependenz zwischen verfassungsrechtlichen und unterverfassungsrechtlichen Bestandteilen der Rechtsordnung bleiben im Kollisionsfall die Verfassungsnormen Maßstab für die Rechtmäßigkeit des Unterverfassungsrechts, nicht umgekehrt. Der normative Gehalt grundrechtlicher Verbürgungen ist bestimmender Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der grundrechtsausgestaltenden und »einschränkenden Vorbehaltsgesetzgebung. Demzufolge wäre der Ausgangs2S
So Häberle, 229 f. Häberle, 32, 37; Eike v. Hippel, 31; v. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 448; F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, ζ. B. 214. 25 Hierzu Hesse, Grundzüge, 29; ebd. zum Fehlen einer verfassungsrechtlichen Grundlage der „Güterabwägung". Z u r „Einheit der Verfassung" vgl. ebd., 18, 24, 103 ff. u. ö.; F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, 115, 124 f., 136 f., 213, 220; ohne diese Befürchtung Peter Schneider, Pressefreiheit u n d Staatssicherheit, 112 f., A n m . 249. 26 Hesse, Grundzüge, 29; Knies, 33 ff., 38 ff.; Copie, 22 ff., 26 f., 29; v. Pestalozza, Der Staat 2 (1963), 448; F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, z.B. 207 ff.; Knies, 33 ff. 24
II. Güterabwägung und Generalvorbehalt der „allgemeinen Gesetze"
19
punkt der Güterabwägungsthese, die Wertabwägung sei bereits in der Verfassung selbst erfolgt, die „grundgesetzlichen Werte" seien positives Verfassungsrecht 27, dann akzeptabel, wenn er aus dem positiven Verfassungsrecht belegbar und nicht nur im Rahmen einer sich an dessen Einzelheiten nicht durchweg bindenden Verfassungstheorie entwerfbar wäre. Mangels normativer Qualität bietet die Ganzheit einer als Wertsystem28 gedeuteten Verfassung als solche keinen tragfähigen Ansatzpunkt, keinen Maßstab verfassungsrechtlichen Ranges für durchgängige Güterabwägung. Da diese als Prinzip von vornherein nur formal faßbar ist, muß sie auch bei der Lösung verfassungsrechtlicher Einzelfragen Direktiven zulänglichen normativen Ranges schuldig bleiben 29 . Insofern daher alle Grundrechte gleichermaßen dem Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" unterliegen sollen, also derjenigen Gesetze, „die von der Verfassung gegenüber dem betreffenden Grundrecht als gleich- oder höherwertig ausgewiesen sind" 30 , ist weder der allgemeinen Grundrechtstheorie noch der Lehre von den vorbehaltlos garantierten Grundrechten ein verfassungsrechtlich maßgebendes Kriterium an die Hand gegeben. 3. Grundrechte
und Gesetzgebung
Solche Kriterien sind nur der Verfassung selbst zu entnehmen. Mit der Anordnung unmittelbarer Bindung durch die Grundrechte in Art. 1 Abs. 3 GG, mit den „abgestuften Gesetzesvorbehalten" 81 der Freiheitsverbürgungen, die im praktischen Ergebnis auch „eine Differenzierung in der Intensität des Schutzes der einzelnen Grundrechte" 82 bewirken, mit den zentralen Normen des Art. 19 und 20 Abs. 3, mit der Einrichtung einer auch die Normenkontrolle umfassenden Verfassungsgerichtsbarkeit und mit der durchgängigen, in bezug auf Verfassungsänderungen vorzüglich in Art. 79 GG ausgedrückten Tendenz zur „Rigidität" hat das Grundgesetz Markierungen positiviert, die in allen Fällen von 27
Häberle, 7, 38. Häberle, 31: die verfassungsrechtliche Wertordnung als „Wertrangordnung u n d Wertverhältnisordnung". Vorbehalte z.B. bei Hesse, Grundzüge, 28
118.
2 ® Z u r Diskussion des Güterabwägungsprinzips i m einzelnen vgl. ferner etwa Lerche, Übermaß, 129, 244; ders., DÖV 1965, 212 ff.; ders., DVB1. 1961, 694; ders., Werbung u n d Verfassung, 101 f.; Bettermann, J Z 1964, 601 ff.; r . Pestalozzi, Der Staat 2 (1963), 425 ff., 448; J. P. Müller, Die Grundrechte der Verfassung u n d der Persönlichkeitsschutz des Privatrechts, 1964, 101; Berg, z.B; 95; Hesse, Grundzüge, z.B. 118, 127, 140, 152, 159; P. Schneider, Güterabwägung i m freiheitlichen Rechtsstaat, 355 ff.; Arndt, N J W 1966, 871. Nachweise u n d K r i t i k ferner bei Knies, 34 ff., 36 ff.; F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 62 u n d f., 140 f., 182 f., 189, 207 ff. 80 Häberle, 32 u. ö. Vgl. auch Eike v. Hippel, v. a. 25. f. 81 BVerfGE 6.32 ff., 37. 82 Hierzu Hesse, Grundzüge, 125.
2·
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
Grundrechtskollisionen, Grundrechtskonkurrenzen und Grundrechtsbegrenzungen gegenüber Vorschriften der nicht in grundrechtsspezifisch Geschütztes eingreifenden „allgemeinen" Rechtsordnung verbindliche Direktiven geben. Die Rolle und verfassungssichernde wie verfassungsstärkende Bedeutung der Gesetzgebung wird nicht verkürzt, sondern an die ihr de constitutione lata gebührende Stelle gerückt, wenn die praktisch immer vorhandene Möglichkeit gesetzgeberischer Verfassungsverstöße angesichts eines in zentralen Verfassungsnormen institutionalisierten „Mißtrauens" gegenüber der Legislative nicht verharmlost wird. Andernfalls würde der politische Entscheidungsgehalt der Grundrechtsgarantien verharmlost. Das gilt nicht zuletzt bei solchen Freiheitsverbüjgungen, die — wie jene von Glaube und Gewissen, Kunst und Wissenschaft — weder in ihren Kernbereichen rechtserzeugt noch im ganzen Umfang ihrer Normbereiche politisch funktionalisierbar sind bzw. es unter dem Grundgesetz sein sollen. Gerade auch im verfassungsrechtlich gesicherten Freigeben solcher Normbereiche, deren Struktur sich jener des abwehrenden „Rechtsraums" 88 auf sachlich je verschiedene Weise nähert, konstituiert das Grundgesetz den von ihm verfaßten Staatsverband als den einer freiheitlichen Ordnung 84 . Es ist in erster Linie der Geltungsgehalt der grundrechtlichen Gewährleistungen, zu ermitteln auch mit Hilfe rationaler Normbereichsanalyse, von dem aus die Grenzen der Reichweite der einzelnen Verbürgungen sich diskutieren lassen. Er liefert Maßstäbe von Verfassungsrang gegenüber dem Gesetzgeber, der „sich in dem grundrechtsgeschützten Raum bewegt" und sich unter Umständen Begrenzungen seines vom Bundesverfassungsgericht nicht ganz glücklich so genannten Gesetzgebungsermessens „aus dem Gehalt des Grundrechts" 85 entgegenhalten lassen muß. Das Ziehen der Grenzlinie zwischen der Legislative offen stehender verdeutlichender Umschreibung des Grundrechtsgehalts und ihr verwehrter authentischer Interpretation der Verfassung ist der Anstrengung einer die normativen Sachgehalte umschließenden Verfassungsinterpretation aufgetragen. Diese hat die „sachliche Reichweite eines Grundrechts" 86 zu ermitteln, nicht aber die normativ ungreifbare Totalität einer Wertordnung als Basis wertender Güterabwägung zu unterstellen. Nur so ist eine unkontrollierte Unterwanderung verfassungsrechtlicher Normtexte, durch unterverfassungsrechtliche Norminhalte und deren Einsetzen in die „Abwägung" als unversehens ranggleich gewordene Konkurrenz„werte" gegenüber verfas53 34 35 38
BVerfGE 12.1 ff., 3; zum folgenden ebd., 4. F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, ζ. B. 218, 221 f. BVerfGE 7.198.208 f.; 7.377.404. BVerfGE 12.45.53.
II. Güterabwägung und Generalvorbehlt der „allgemeinen Gesetze"
21
sungsrechtlichen Gehalten zu verhindern 37 . Nur so auch bieten sich Ansätze zu einer stabilisierend wirkenden Grundrechtsdogmatik, die nicht wie die Allgemeinverbindlicherklärung wertender Güterabwägung im wesentlichen zu einem Urteilsvorbehalt führen und sich materiell auf den Einzelfall zurückziehen muß 38 . Praktische Fälle, die mit Hilfe dogmatischer Grenzbestimmung aus dem garantierten Sachgehalt der beteiligten Grundrechte noch nicht lösbar sein sollten, sind mit dem auf beiderseits optimierende Zuordnung gerichteten Verfahren praktischer Konkordanz 39 angemessener zu beurteilen als mit einer mehr auf in der Verfassung angeblich erkennbar prästabilierte Werte als auf verhältnismäßige Zuordnung gerichteten Güterabwägung. 4. Güterabwägung, Wesensgehalt und Generalvorbehalt als Fragen der Verfassungstheorie Die Probleme der verfassungsrechtlich garantierten Sachbereiche sind zu verschieden, ihre formelle Ausgestaltung durch die Verfassung zu differenziert, als daß in einer materiell-allgemeinen Begrenzungs- und Wesensgehaltstheorie 40 eine rechtsstaatlich zuverlässige, normativ hinreichend gestützte Lösung gefunden werden könnte. Eine andere Spielart des zu den an Art. 2 Abs. 1 GG anknüpfenden Lehren kritisierten „Schrankenschlusses" macht sich hier bemerkbar in einem horror vacui vor allen nicht durch ein spekulatives verfassungstheoretisches Wertsystem im vorhinein und substantiell, wenn auch nicht ausdrücklich in der Verfassung vorweggenommenen Fallgestaltungen. I m praktischen Ergebnis werden so eben doch die formalen Abstufungen des Verfassungsgesetzes eingeebnet. Das bietet der Verfassungsgerichtsbarkeit mit hermeneutisch wie methodisch nicht hinlänglich erhellten „Leitbildern" der Grundrechte keine handhabbaren Maßstäbe und läßt letztlich nur auf die Verfassungstreue des Gesetzgebers hoffen. Eine materiale Ganz87
Z u m Rangproblem i n Zusammenhang m i t der N o r m a t i v i t ä t der Verfassung vgl. etwa Copie , 26; Forsthoff, Zur Problematik der Verfassungsauslegung, 1961, 26ff.; Hesse, Grundzüge, z.B. 10ff., 14ff.; Leisner, V o n der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze zur Gesetzmäßigkeit der Verfassung, 1964, 5, 61 ff., 64 ff.; Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., 52; Hesse, Grundzüge, z. B. 126 f. 38 Vgl. z.B. Häberle, 35; B V e r f G E 7.198.210f., 212; s. i m übrigen die (überflüssigen) „Güterabwägungen" i n BVerfGE 7.230.234; 14.263.282; 21.239.243 f., die sich, so Hesse, Grundzüge, 126 f., w i e alle „Güterabwägung" der „Gefahr einer unzulässigen Veränderung der verfassungsmäßig normierten V e r h ä l t nisbestimmung von Grundrechten u n d anderen Rechtsgütern" aussetzen. 39 Hierzu Hesse, Grundzüge, 28 f., 126 f., 130 u. ö. 40 Z u A r t . 19 Abs. 2 GG vgl. jetzt BVerfGE 22.180.219, wonach der unantastbare Wesensgehalt „ f ü r jedes Grundrecht aus seiner besonderen Bedeut u n g i m Gesamtsystem der Grundrechte ermittelt werden" muß.
22
1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
heit der Verfassung im Sinn einer Allumfassendheit ihrer Regelungsmaterien ist positivrechtlich nicht nachweisbar 41. Zu zahlreichen Fragenkreisen äußert sich die Verfassung nicht sachspezifisch. Das hindert nicht die Bindung des solche Sachkomplexe regelnden Gesetzgebers an andere unspezifische aber gleichwohl als Grenzmarken zulässiger legislatorischer Aktivität wirkende Verfassungsnormen. Auf diese Weise sind dem Gesetzgeber, etwa durch den Allgemeinen Gleichheitssatz, dessen generalklauselartige Direktive in jeder Sachmaterie wirksam werden kann 42 , immer normative Grenzen, Präferenzen und Kollisionslösungen vorgeschrieben. Das ist jedoch etwas anderes als die Annahme, die Lösung aller möglichen Normen- und„Interessen"(„Wert"-)Konflikte sei substantiell durch die Verfassung im Kern bereits vorgezeichnet; die „Einbettung der Verfassungsrechtsgüter in das Ganze der Verfassung" sei in Wahrheit in der Verfassung schon erfolgt, der Wertabwägung verbleibe nur ihr Nachvollzug48. Hinter solchen Bestimmungen verbirgt sich die berechtigte Sorge um den Primat verfassungsrechtlicher Setzung. Die Wertungen der Güterabwägung sollen „allein von der Verfassungsebene aus" gewonnen werden 44 . Rang und Gewicht im Rechtsgüterschutzsystem des Grundgesetzes seien für jedes Grundrecht gesondert zu ermitteln. Die These vom Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" mache die speziellen Vorbehalte auch in ihrem konstitutiven Charakter nicht überflüssig. Jedoch wird der Primat der Verfassung nur dann gesichert, wenn sich eine für die Rechtspraxis relevante Verfassungstheorie in den Bahnen des positiven Rechts hält — was nicht heißt: in den Fesseln gesetzespositivistisch verengter Auslegungsregeln. So schwindet die rechtsstaatlich stabilisierende Wirkung der Abstufung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte in dem Maß, in dem diese Vorbehalte für „nicht durchweg erschöpfend", also für unter materiellen Gesichtspunkten prinzipiell ergänzbar erklärt werden 45 . Die Gewinnung normativer Maßstäbe „von der Verfassungsebene aus" darf nicht so verstanden werden, als müßten die zu prüfenden Gesetzesvorschriften nur irgendwie verfassungstheoretisch am materialen Ganzen der Verfassung legitimierbar sein. Dieselben Bedenken treffen eine zu 41
Vgl. auch Lerche, D Ö V 1965, 212 ff., 214. Vgl. etwa F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, z.B. 103ff., 115ff., 121 f., 127 f., 138 f., 143 f., 201. « Häberle, 38 f. 44 Häberle, 32, 41; zum folgenden ebd., 33, 37, 38 u. ö. 45 Häberle, 37; vgl. ebd. 60: die einem Grundrecht gleich- oder höherwertigen Güter sind i n den speziellen Gesetzesvorbehalten „nicht absorptiv genannt" ; ferner 202 f. — Kritisch zur dortigen Auffassung eines allen G r u n d rechten immanenten Vorbehalts der „allgemeinen Gesetze" ferner z. B. Copie , der als rechtsbegriffliche S t r u k t u r dieses Vorbehalts die „ V e r k n ü p f u n g einer Eingriffsgewähr f ü r allgemein anerkannte soziale Präferenzen u n d einer Eingriffssperre f ü r gruppenkontroverse Sonderinteressen" festhalten w i l l , 29. 41
II. Güterabwägung und Generalvorbehlt der „allgemeinen Gesetze"
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Art. 19 Abs. 2 GG entwickelte Garantiegehaltstheorie, die neben einer Reihe verfassungsrechtlich ohnehin geltender (vor allem in den Artikeln 19 Abs. 2, 19 Abs. 4, 20 und 80 GG festgelegter) formeller Garantieprinzipien als außer dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einziges materielles Kriterium nicht den sachgeprägten, dogmatisch für jedes Grundrecht gesondert zu erarbeitenden Geltungsgehalt der Freiheitsverbürgung aufstellt, sondern ein unkonturiertes „Gemeinwohlprinzip", gemäß dem Grundrechte „nur um eines Gutes willen eingeschränkt werden dürfen, welches im Rahmen der Wertordnung der Verfassung als erheblich zu qualifizieren ist und dessen Verwirklichung ohne die freiheitsbeschränkende Vorschrift gefährdet wäre" 46 . Die Grenzen der Verfassungsinterpretation sind erreicht, wenn das politische Dezision erfordernde Erheblichkeits- und Gefährdungsurteil des grundrechtseinschränkenden Gesetzgebers auf Seiten der Verfassung als materiellen Maßstab nur den „Rahmen" einer „Wertordnung" statt der Forderung vorfindet, es müsse sich um in der Verfassung selbst normierte, damit verfassungsgesetzlich nachweisbar legitimierte Schutzgüter handeln. 5. Fragen rationaler
Konkretisierung
von Grundrechten
Der in der Tat unentbehrliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz allein vermag nicht die Last sachlicher Konkretisierung verfassungsrechtlicher Maßstäblichkeit zu tragen. Unbekümmert darum, ob damit entsprechend der Struktur herkömmlicher (wissenschaftlicher) Umgangssprache „räumliche" Metaphern in die Argumentation eingeführt werden oder nicht 47 , ist diese Konkretisierung vom Normbereich, vom Sachgehalt der einzelnen Grundrechte her zu erarbeiten. Damit bestimmen sich auch ihre „Wesensgehalte" nicht von den (formellen oder allgemein-materiellen) Schranken oder Begrenzungen, sondern von den individuellen und sozialen Sach- und Aktionsbereichen her, um deretwillen die grundrechtlichen Garantien gewährt worden sind. Dann erschöpft sich 46
114 f.
So P. Schneider,
Pressefreiheit und Staatssicherheit, 116; ferner ebd.,
47 Was P. Schneider gerade auch für die Bestimmung des Wesensgehaltes zu vermeiden sucht, a.a.O., z.B. 132; s. etwa auch J. P. Müller, a.a.O., etwa 96 ff., 103 ff. — Die Perhorreszierung „verräumlichenden" Denkens ist — wahrscheinlich i n vorschnell verallgemeinerndem Anschluß an Smend — sehr verbreitet. Sie verwechselt die Gefährlichkeit ontologisierender U n t e r stellung m i t der Unvermeidlichkeit umgangssprachlichen Ausdrucks überall dort, wo nicht künstliche symbolische Systeme verwendet werden. Es muß allerdings auch hier, w i e stets, die Relativität solcher Ausdrucksweisen bew u ß t bleiben u n d sachlich unbegründeten substantiellen Unterstellungen durch K l ä r u n g der eigenen methodischen Grundlagen vorgebeugt werden. — I m übrigen sei daran erinnert, daß auch weniger naiv erscheinende T e r m i n i w i e „Immanenz", „Polarität", „Zuordnung", „ A b w ä g u n g " i h r Dasein u m gangssprachlich-„räumlicher" Begriffsbildung verdanken.
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
die Funktion positivrechtlich gezogener Grenzen nicht länger darin, „nur formale" Schranken zu zeichnen. Solche Regelungen entlasten von der andernfalls schwer zu umgehenden Nötigung zu materiellrechtlicher Metaphysik. Sie sind überdies in der Regel von der Sache her einsichtig. So ist der Schutz auch der „meinungsäußernden" Elemente eines typologisch nicht auf l'art pour l'art beschränkten Kunstwerks nicht erst Ergebnis einer punktuellen Güterabwägung 48 , sondern der dogmatischen Einsicht, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 werde wegen seiner Selbständigkeit gegenüber Art. 5 Abs. 1 GG weder von dessen Maßstäben noch von denen des Art. 5 Abs. 2 GG erfaßt. Das Bundesverfassungsgericht hat angesichts des fundamentalen und vorbehaltlos garantierten Grundrechts der Gewissensfreiheit in der Frage der Ersatzdienstverweigerung nicht etwa die Ersatzdienstpflicht gegen die Gewissensfreiheit „abgewogen", obwohl der „Wert" des Art. 12 Abs. 2 Satz 4 GG nicht nur irgendwie materiell am Verfassungsganzen legitimierbar, sondern unmittelbar dieser Vorschrift zu entnehmen ist. Vielmehr hat es die dogmatische Grenzlinie zwischen zwei von der Sache wie von der Systematik der geschriebenen Verfassung her einander einschränkenden verfassungsrechtlichen Positionen gezogen49. Immer dann, wenn „Abwägungs"fragen durch eine die Rationalisierung der Normbereiche einschließende Interpretation lösbar sind, handelt es sich der Sache nach nicht um „Abwägung" und fehlt der hinreichende Grund, Güterabwägung als allgemeines Prinzip von Verfassungsrang zu behaupten. Als ultima ratio der Auslegung, deren Voraussetzungen und irrationale Komponenten offenzulegen sind und deren Notwendigkeit durch sachbezogene Verfassungsinterpretation und -dogmatik erheblich eingeschränkt werden kann 60 , ist Güterabwägung ein Aspekt methodischer, also nicht-normativer Art unter anderen. Auch in dieser beschränkten Rolle ist ihr das am Auslegungsgrundsatz der Einheit der Verfassung orientierte Vorgehen praktischer Konkordanz vorzuziehen. Gewiß sind grundrechtsausgestaltende Gesetze, die zu den rechtserzeugten Normbereichsbestandteilen des Grundrechts gehören, als „von außen" kommende, heteronome Schranken vielfach nicht zulänglich erfaßbar. Sie sind Schutz, Sicherung und zum Teil Umschreibung der sachlichen Reichweite des Gegenstandes der Freiheitsverbürgung wie auch der sachlichen Begrenztheit dieser Reichweite51. Doch dürfen damit weder die durchgängige Maßstäblichkeit der Garantien gegenüber ihren unterverfassungsrechtlichen Normbeständen noch der Vorrang der Grund48
So das L G Hamburg, N J W 1963, 675; hierzu auch Berg, 154 m i t A n m . 312. BVerfGE 19.135.138. 50 z.B. F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, 62f., 71, 215; Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., 57. 61 Was Häberle, a.a.O., eindringlich herausgearbeitet hat, 126 ff., 180 ff. u. ö. 49
II. Güterabwägung und Generalvorbehlt der „allgemeinen Gesetze"
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rechtsdogmatik gegenüber einem materiell-allgemeinen verfassungstheoretischen Abwägungs- und Grenzbestimmungsgrundsatz in praxi abgewertet werden. Positivrechtliche Linien auch „nur formaler" Art behalten gegenüber einer allgemein positiven Verständnismöglichkeit der Gesetzesvorbehalte wie der Vorbehaltsgesetzgebung ihre Durchschlagskraft. So hat das Bundesverwaltungsgericht in einem neueren Urteil 5 2 insoweit zutreffend eine Interessenabwägung zwischen Jugendschutz und Kunstfreiheit für all die Fälle prinzipiell unzulässig genannt, in denen eine Schrift i.. S. des § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS „der Kunst dient", in denen also der überwiegend für eine Wiederholung der Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gehaltene „Kunstvorbehalt" des einfachen Gesetzesrechts zutrifft. Das Entscheidende ist jedoch, daß auch ohne eine gesetzliche Vorschrift wie § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS allein wegen des Grundrechts der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nichts anderes dann zu gelten hat, wenn die hier später im Ansatz noch zu entwickelnde Dogmatik dieser Freiheitsgarantie auf dem Weg der Verfassungsauslegung gleichfalls einen entsprechenden „Vorbehalt" zugunsten des Kunstwerks ergeben sollte. Dieser Weg mag erheblich mühsamer zu begehen sein 58 als jener einer insbesondere von der Rechtspraxis allzu bereitwillig pauschalierten Dezision, die sich verbal als „Güterabwägung" ausweisen möchte. Es ist aber zu bedenken, daß eine diesen Namen irgend verdienende Abwägung etwa des „Kunstwerts" eines inkriminierten Werks gegen den „Verfassungswert" des „Sittengesetzes" oder gegen den in rechtfertigende Beziehung zur Wertordnung des Grundgesetzes gebrachten von § 166 StGB geschützten „Wert" vorgängig einer sorgfältigen, die Struktur des Normbereichs der Freiheitsgarantie und die möglichen Auswirkungen strafrechtlicher Sanktionen gegen den geschützten Normbereich einbeziehenden dogmatischen Auslegung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bedarf. Sonst wird ein Wort mit unklarem Wertungs-, Sach- und Begriffsfeld gegen ein anderes Wort „abgewogen", wobei als Rationalisierung der Dezision nicht wesentlich mehr als die Bekräftigung herauskommen kann, der vorgezogene Wert habe hier „Vorrang" gehabt. Eine derart abgestützte Abwägung wird aber in aller Regel als „Abwägung" nicht mehr erforderlich sein, weil die ihr vorausgehende Interpretationsarbeit die normative Grenzlinie „zwischen" den Reichweiten der zusammentreffenden Vorschriften erarbeitet haben wird. 6. Kollisionsregeln
statt Güterabwägung
Oft wird sich herausstellen, daß eine Überschneidung der Geltungsbereiche — die „verräumlichende" Ausdrucksweise wird der Deutlich52 53
Urt. v. 12. 1. 1966 = BVerwGE 23.104. Vgl. auch die Bemerkung bei Knies, 112, Anm. 286.
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
keit halber bewußt beibehalten — nicht vorliegt, daß also nur die eine der beiden Vorschriften, das Grundrecht oder die Gesetzesnorm, den Fall regiert. Stellt sich eine Überschneidung im Sinn eines partiellen Widerspruchs heraus, dann ist gleichfalls für „Abwägung" kein Anlaß: Die Sanktion ist zulässig, wenn die sie ermöglichende Vorschrift, etwa § 166 StGB, sich als von einem geschriebenen Gesetzesvorbehalt gedecktes Vorbehaltsgesetz herausstellt 54, was bei Art. 5 Abs. 3 Satz 1 ausscheidet; andernfalls ist sie unzulässig. Vom „Vorrang" oder von „höherem Gewicht" der einen oder anderen Norm, des einen oder anderen „Wertes" zu sprechen, ist mißverständlich. Es stehen eben nicht nur materiell-allgemeine Erwägungen zur Verfügung, sondern es greifen materiell-konkrete Normelemente auf charakteristische Weise mit verfassungsrechtlich positivierten formalen Linien ineinander. Güterabwägung darf rationale Konkretisierung nicht ersetzen; diese kann jene in zahlreichen Fällen entbehrlich machen. So verstandene Interpretation schützt auch davor, die Konkretisierung der fraglichen Grundrechtsnorm(en) durch Abwägung von Elementen des Unterverfassungsrechts zu verdrängen. Der formale Grundsatz der Güterabwägung muß im Einzelfall, soll er nicht nur Postulat bleiben, materiell substantiiert werden. Mangels einer hinreichend entwickelten Bereichsdogmatik der Grundrechte wich die bisherige Rechtsprechung insoweit folgerichtig, wenn auch normativ verfehlt, in das Unterverfassungsrecht aus. Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts in BVerfGE 7.198 und 7.230 mögen hier als Beispiele angedeutet werden. Sie zeigen, daß richterliche Not im Umgang mit Verfassungsbestimmungen mit Hilfe der Terminologie der „Güterabwägung" leicht zur Tugend des mit der Verfassung bereitwillig harmonisierten Gesetzesrechts werden kann. So entwickelt das Bundesverfassungsgericht in der Wahlplakat-Entscheidung nicht etwa die hier in Frage kommenden Momente des Geltungsgehalts und der sachlichen Begrenzung des Grundrechts einschließlich typischer Kollisionslagen mit dem hier einschlägigen Bürgerlichen Recht, sondern es wägt subjektive Motivationen, höchst nebensächliche Einzelheiten des tatsächlichen Verlaufs, charakterliches Verhalten der Beteiligten und Ähnliches unklar gegeneinander ab. Dabei hat es die Ausgangsfrage, ob es sich hier, wie sehr zu bezweifeln, überhaupt um ein Grundrechtsproblem handle, mangels dogmatischer Energie nicht einmal in den Blick genommen55. Eine die Normbereichsanalyse einbeziehende Verfassungsauslegung und -dogmatik wird dagegen gezwungen sein, den vom grundrechtsausgestaltenden und grundrechtseinschrän54 Das, was hier nicht zu erörtern ist, auch nicht gegen sonstiges Verfassungsrecht verstößt. 55 BVerfGE 7.230, v. a. 234 ff. Hierzu F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normat i v i t ä t , 209 ff.; ebd., 207 ff. u n d ferner 26, 62 f., 140 f., 182f., 189 zur Problem a t i k der Güter- u n d Interessenabwägung.
II. Güterabwägung und General vorbehält der „allgemeinen Gesetze" 27 kenden Gesetzgeber zu respektierenden Geltungsgehalt der Grundrechte zu entwickeln und zur Diskussion zu stellen. Sie hat insoweit nachzuholen, was in einer verhältnismäßig kurzen Verfassungstradition noch nicht erreichbar war und was bisher auf verschiedene Weise durch verallgemeinernde Grundrechtslehren ersetzt werden sollte56. In den praktisch zumeist und etwa auch für die Kunstfreiheit heikelsten Fragen, bei der strafrechtlichen Behandlung von Verletzungstatbeständen, die zugleich grundrechtlich geschützt sind oder doch in Zusammenhang mit Grundrechtsausübung stehen, ist gleichfalls die Abkehr von den pauschalen Lösungsvorschlägen der auf Güterabwägung beruhenden Vorschläge geboten. Es ist im Ansatz zutreffend, nicht aber dogmatisch und verfassungsnormativ ausreichend, allgemein die Anerkennung „des" Strafrechts durch die positiv gedeutete Kompetenzvorschrift des Art. 74 Nr. 1 GG zu konstatieren, das „verfassungsmäßige" (was das materielle Übereinstimmen mit den strafrechtlich verkürzten Grundrechten unbefragt voraussetzt) Strafrecht als „allgemeine Grenze aller Grundrechte" auszuweisen und durch „Hineinverlagerung" zu dem Ergebnis zu gelangen, im Wesensgehalt der Grundrechte seien neben anderen Normenkomplexen und Verfassungsvorschriften auch „die Strafgesetze mitgedacht"57. Vielmehr führt keine Möglichkeit daran vorbei, für jedes einzelne Grundrecht angesichts jeder in Frage kommenden Strafrechtsvorschrift zu ermitteln, ob überhaupt, auf welche Weise, wie weitgehend, in welchem Verhältnis zum Wesensgehalt und unter ähnlichen Aspekten Verkürzungen grundrechtlich garantierter Aktions- und Organisationsformen durch welche strafrechtlichen Deliktsfolgen entstehen und — besonders wichtig bei vorbehaltlos garantierten Grundrechten — durch welche Norm sie verfassungsrechtlich gerechtfertigt sind. In den zuvor genannten Beispielen kann also weder für den Jugendschutz noch für „das" Strafrecht im allgemeinen noch auch für den durch § 166 StGB geschützten „Wert" pauschal ein „Vorrang" oder ein „Zurücktreten" im Verhältnis zur Kunstfreiheitsgarantie vorausgesetzt werden; für § 1 6 6 StGB deshalb nicht, weil die bei seiner deliktischen Erfüllung möglichen Deliktsfolgen ihrerseits — aus dem strafrechtlich geschützten „Wert" durchaus nicht ableitbar — sehr verschiedene Einwirkungen auf den als frei gewährleisteten Normbereich freier Kunst haben können. 56 Z u r mangelnden Bestimmtheit des Grundrechtsgehalts bei Häberle, a.a.O., w i e zur K r i t i k des „Institutionellen" als bloßer Formalkategorie vgl. J. P. Müller, a.a.O., 101. — Der „Normbereich" ist nicht „institutionell" konzipiert; hierzu F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, v. a. 175 ff. 57 Häberle, a.a.O., 5, 37, 60, 61. — Es genügt nicht den maßstäblichen A n forderungen der Verfassung, hier: der Grundrechte, nach kursorischer Übersicht grundrechtseinschränkender Strafgesetze diese toto coelo auf sich beruhen zu lassen, w e i l man sie „ n u r damit zu rechtfertigen vermag, daß man sie zum Schutz gleich- und höherwertiger Rechtsgüter für erforderlich hält". So aber Häberle, a.a.O., 37; ebd. i n gleichem Sinn auch zur gesamten P r i v a t rechtsordnung als „allgemeiner Grenze" aller Grundrechte.
1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
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Π Ι . Grundrechtsbegrenzung unter Aspekten des Grundrechtsmißbrauchs D e r systematisch letzte Versuch, gleichmäßig allen, auch den ohne Vorbehalt garantierten Grundrechten eine allgemeine Grenze zu ziehen, w i r d von den Spielarten der Mißbrauchslehre gemacht. V o n dem speziellen Verwirkungstatbestand des A r t . 18 G G kann dabei abgesehen werden. A r t . 18 G G ist nicht i n Richtung auf eine Verwirkungsgeneralklausel deutbar; auch das syntaktisch mißverständlich piazierte W o r t „insbesondere" begründet keine Abweichung vom Enumerationsprinzip68. 1. Dogmatische
Tatbestandsabgrenzung
Soweit die Mißbrauchslehre nicht Grundrechtsbegrenzungen außerhalb der v o m Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle postuliert, sondern sich als Streben nach scharfer dogmatischer Grenzziehung der grundrechtlichen Geltungsgehalte i m Interesse der N o r m k l a r h e i t versteht 6 9 , unterliegt sie nicht den zu den Thesen allgemeiner G r u n d rechtsbegrenzung dargelegten Bedenken. Insoweit w i r d anerkannt, daß pauschale Gemeinschaftsvorbehalte auch i m G e w a n d normativ ungestützter und rechtsstaatlich ungenauer „Mißbrauchs"vorbehalte unzulässig sind. Das „Mißbrauchs"urteil w i r d als Subsumtionsurteil verstanden, das den Gebrauch eines (Grund-)Rechts von seinem Nicht58
Vgl. etwa Maunz, Deutsches Staatsrecht, 16. Aufl. 1968, § 16 I I 2. So bei Herbert Krüger, Mißbrauch u n d V e r w i r k u n g von Grundrechten, DVB1. 1953, 97 ff.; 99: kein Grundrechtsmißbrauch außerhalb der vom G r u n d gesetz selbst ausdrücklich geregelten Fälle, v. a. i n A r t . 18 GG; 98: M i ß brauchsurteil als Subsumtionsurteil. — Allgemein zur Lehre v o m Rechtsmißbrauch: Stammler, Die Lehre von dem richtigen Rechte, 1926, 236 ff.; Siebert, V e r w i r k u n g und Unzulässigkeit der Rechtsausübung, 1934, 68 ff. — Ebd. bei Krüger, 99, gegen den schon bei C. F. v. Gerber, Über öffentliche Rechte, 1852, 25 f., formulierten allgemeinen Gemeinschaftsvorbehalt. — Wenn Krüger, ebd., 99, ausführt, die Freiheitsrechte umschrieben „denjenigen Bereich des menschlichen Lebens, i n dem der Staat nichts entscheiden darf, w e i l er hier nach der Natur der Sache . . . nichts entscheiden k a n n oder . . . nichts entscheiden sollte", so ist das zu allgemein formuliert. Wieweit die Inhaltsbestimmung der Freiheit „ausschließlich beim I n d i v i d u u m " (ebd.) von Verfassungs wegen liegen darf, bestimmt die positiv-rechtliche Ausgestaltung der Freiheitsgarantien. Je nach A r t der Gesetzesvorbehalte, nach der S t r u k t u r der Normbereiche u n d nicht zuletzt zwischen Vorbehaltsgrundrechten u n d v o r behaltlos garantierten Grundrechten sind entscheidende Unterschiede festzuhalten. Auch ist für solche Freistellungen auf G r u n d der Verfassung nicht eine „ N a t u r der Sache" verantwortlich, sondern das grundrechtliche N o r m programm, das allerdings nicht selten m i t seiner Freistellung auf die Sachgeprägtheit des grundrechtlichen Normbereichs als auf eine besondere Spielart der „ N a t u r der Sache" antwortet. — Festzuhalten bleibt i m übrigen, daß ungeschriebenes Nicht-Verfassungsrecht Grundrechte nicht einschränken kann. A n den Nachweis ungeschriebener Eingriffsermächtigungen von V e r fassungsrang sind scharfe Anforderungen zu stellen; vgl. a. Hesse, G r u n d züge, 123. 59
III. Aspekte des Grundrechtsmißbrauchs
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Gebrauch abgrenzt, d. h. dogmatisch gerechtfertigte von nicht gerechtfertigten Rückgriffen auf eine Rechtsposition. Insoweit ist „Mißbrauch" nur eine Umschreibung für die sachliche Begrenztheit aller Rechtspositionen, auch der Grundrechte, und für die Notwendigkeit, Inhalt, Struktur und Reichweite der Freiheitsgarantien dogmatisch auszuarbeiten. Terminologisch sollte diese Auffassung besser von den sonst am Grundrechts„mißbrauch" orientierten Lehren unterschieden werden, die wie die bereits hier diskutierten anderen Begrenzungstheorien versuchen, material-allgemeine Aspekte für die Einschränkung der Freiheitsverbürgungen zu entwickeln. 2. Pauschalformeln
der Rechtspraxis
Der Mißbrauchsgedanke findet, wie immer er begründet werde, seine Grenze am positiven Recht. In der Praxis wird das nicht immer beachtet. So verwendet die Bundesprüfstelle den Vorwurf des „Mißbrauchs" gegenüber der Kunstfreiheit ihrerseits mißbräuchlich: Das nach § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS für Schriften, die der Kunst dienen, ausnahmslos geltende Indizierungsverbot umgeht sie in Anlehnung an die oben behandelten grundrechts-„immanenten" Gemeinschaftsvorbehalte mit rein verbalen „Mißbrauchs"formeln 60. Das Verfahren ist weder mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG noch auch mit § 1 Abs. 2 Nr. 2 GjS vereinbar. Weder die Erfüllung von Tatbeständen des Jugendschutzrechts wie des Strafrechts noch überhaupt die Erfüllung der Tatbestände rechtsgutschützender Normen ist mit Rechtsmißbrauch schlechthin gleichzusetzen61. Die Frage nach dem Mißbrauch von Grundrechten ist ohne Entwicklung der sachlichen Grenzen und Geltungsvarianten der Garantie nicht zu beantworten. Überdies darf auch hier die Rangdifferenz von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht nicht durch derart ungenaue Mißbrauchsurteile verwischt werden 62 . 3. Dogmatische Ansätze in der Rechtsprechung Ebensowenig ist nach dem bisher Gesagten bei der Kollision von Grundrechtsausübung mit strafrechtlich geschützten Interessen einfach die Frage nach dem „Vorrang" der einen oder anderen Norm zu stel80 Nachweise, v. a. zur Praxis der Bundesprüfstelle, bei Knies, 102, A n m . 234; 115, A n m . 303; vgl. auch Schilling, Literarischer Jugendschutz, 27 f. 61 Lerche, Übermaß, 132. eî BVerfGE 17.306.318 w i r f t dem einfachen Gesetzgeber i n aufschlußreicher Weise „Mißbrauch strafrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten" vor (gemäß einer Formulierung des Bundesgerichtshofs) — Mitfahrerzentralen/Art. 2 Abs. 1 GG.
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
len 63 . Auch hier muß von Einsichten der Grundrechtsdogmatik her gefragt werden. Das ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit in Ansätzen geschehen. I n Fragen unlauterer Methoden der an sich erlaubten Glaubensabwerbung hat das Bundesverfassungsgericht unter Rückgriff auf gewisse übereinstimmende sittliche Grundanschauungen der heutigen Kulturvölker, auf die „grundrechtliche Wertordnung" und auf die Würde der Person die Mißbrauchsgrenze dort gezogen, wo infolge der Anwendung sittlich verwerflicher Mittel die Personwürde anderer verletzt wird® 4. Der Beschluß wäre ohne solch tautologische Abstützung auf inhaltlich kaum greifbare Vorstellungen besser unter Berufung auf die gegenseitige Begrenzung von (grundrechtlichen) Verfassungsnormen, hier: von Art. 4 Abs. 1 durch Art. 1 Abs. 1 GG zu begründen gewesen65. Systematisch noch weiter vorgelagert war allerdings die Frage, ob es sich bei dem mißbilligten Verhalten überhaupt um eine tatbestandlich zweifelsfreie Grundrechtsausübung gehandelt habe 66 . Beide Fragestellungen lassen die Entwicklung von Mißbrauchsgrundsätzen als überflüssig erscheinen. In einem nicht unähnlich liegenden Fall — zu mißbilligende äußere Umstände eines Glaubenswechsels als Grund für Mitschuld an einer Ehescheidung — hat das Bundesverfassungsgericht 67 dogmatisch zutreffend Mißbrauchsgesichtspunkte beiseite gelassen, weil das fragliche Verhalten trotz seines engen Zusammenhangs mit einer Grundrechtsausübung vom Gehalt der Freiheitsgarantie her gesehen nicht spezifisch („nicht glaubensbedingt") war, also von vornherein nicht „in den von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützten Bereich" fiel. Auf vergleichbare Weise hat das Bundesverwaltungsgericht friedenstörende Äußerungen in Zusammenhang mit der Arbeit in einem wissenschaftlichen Archiv als nicht zur freien „Forschung" i. S. des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gehörend behandelt68, während es in einer Entscheidung zur Unzulässigkeit der Missionierung minderjähriger Lehrlinge durch den (aus dem Lehrverhältnis folgende Druckmittel anwendenden) Lehrherrn 69 den Fall unter dem Stichwort „unlautere Mittel" nach Mißbrauchsgrundsätzen löste. Auch dieses letztgenannte Urteil illustriert die Bedenken dagegen, die Lehre vom Grundrechtsmißbrauch mit allgemeinsten Begriffen von „Unlauterkeit" im Grund allein auf die tatsächlichen Umstände des Einzelfalls auszurichten, da sich dogmatische Linien in dieser 63
So aber Gallwas, Der Mißbrauch von Grundrechten, 1967, 49 und ff. BVerfGE 12.1 ff., 4 f. 65 So auch Hesse, Grundzüge, 124. ββ Vgl. auch Berg, 137. 67 BVerfGE 17.302.305; ebd. zum folgenden. 68 BVerfGE 18.34.38. M U r t . v. 9. 11. 1962, Z e v K R 10 (1963/64), 207 ff. ( = BVerfGE 15.134), bes. 209 ff., 210, 211. 84
III. Aspekte des Grundrechtsmißbrauchs
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Richtung kaum ziehen lassen. Auch hier war übrigens das Problem einer gegenseitigen Begrenzung mehrerer Grundrechte verschiedener Berechtigter (Recht der Abwerbung aus Art. 4 Abs. 1 und 2 — Grundrecht der Eltern der minderjährigen Missionierten aus Art. 6 Abs. 1 GG) im Spiel 70 . 4. Mehrdeutigkeit
der Pauschalformeln
Diese Fälle zeigen bereits die Mehrdeutigkeit einer Bestimmung, nach der Mißbrauch von Grundrechten ein „Handeln ohne Recht" sein soll, ein „Handeln außerhalb der Grenzen der Grundrechte" 71. Das kann heißen: der Typus der fraglichen Tätigkeit gehört „eigentlich" zu den grundrechtlich geschützten Handlungstypen; der Berechtigte kann sich jedoch im Einzelfall wegen andersartiger, aus irgendeinem Grund „vorrangiger" Gegen-Normen nicht auf die Freiheitsgarantie berufen. Oder es meint eine Handlung, die nur „bei Gelegenheit" einer Grundrechtsausübung geschieht und die als solche für den grundrechtlich gewährleisteten freien Aktions- und Sachbereich nicht spezifisch ist. I n der Regel lassen sich die bisher unter Mißbrauchsaspekten behandelten praktischen Kollisionsfälle im Sinn der letztgenannten dogmatischen Abgrenzung lösen. Das erfordert die Abkehr von pauschalen, nur von Fall zu Fall konkretisierbaren und damit auf einen „Urteilsvorbehalt" 72 hinauslaufenden Mißbrauchsvorbehalten, die den freiheitlich-politischen und den rechtsstaatlichen Wert der Grundrechts verbürgungen je nach ideologischer Anfälligkeit der Gerichte bis annähernd Null reduzierbar machen. Statt dessen ist für jedes Grundrecht die in Wahrheit „immanente", weil die Reichweite der als frei garantierten „Sache" individuell nachzeichnende Grenze des je grundrechtseigenen „Mißbrauchs", also des Überschreitens der Variationsbreite des sachspezifisch Garantierten, durch die Debatte von Rechtsprechung und Wissenschaft in allmählich traditionsbildender Weise zu entwickeln. Meinungsverschiedenheiten über die Lokalisierung dieser Grenze sachlicher Gewährleistung sind in diesem Fall weit besser rational diskutierbar als solche über die Formulierung generell-materieller Mißbrauchsvorbehalte, die in gleicher Weise für alle Grundrechte gelten sollen. 70
Was das Gericht nicht verkennt, vgl. ebd. 211. — Der Bundesgerichtshof vermeidet i m U r t e i l v o m 20. 3. 1968 — I ZR 44/66 — (Mephisto-Klaus Mann) die sich von der Lage des Falls her anbietende Mißbrauchsterminologie und p r ü f t unter Gesichtspunkten der Intensität entstellender Vermischung von Dichtung u n d Wahrheit i m Rahmen eines Schlüsselromans nur, ob „die Grenzen der Freiheit der K u n s t überschritten" seien, allerdings ohne damit dogmatische Grenzen der grundrechtlichen Geltungsbereichs zu erarbeiten. 71 Gallwas, 31; dort i m Sinn begrenzt typisierbarer Generalklauseln gemeint, nicht i n dem einer Dogmatik der einzelnen Grundrechte. 72 Dieser Ausdruck bei Lerche, DVB1. 1958, 526, A n m . 28 u n d : Übermaß, 150.
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung 5. Positive Normgehalte statt „ungeschriebener Annexe"
Zu ähnlichen Ergebnissen wie der hier gemachte Vorschlag führt wohl die Lehre, nach der die Ermächtigungen zu einer Mißbrauchsabwehr, die zugleich Grundrechtseingriffe rechtfertigt, durch „ungeschriebene Annexe der jeweiligen Grundrechtsnormen" 78 geliefert werden sollen. Damit wird zwar jede allgemeine Ermächtigung zur Störungszurückweisung im Sinn eines pauschalen Verfassungsvorbehalts, einer materiellen Generalnorm abgelehnt und die Möglichkeit eröffnet, die Mißbrauchsannexe entsprechend den verschiedenen Grundrechtsnormen verschieden zu fassen. Doch bleiben im Ansatz gewisse Unklarheiten darüber bestehen, ob für alle Grundrechte und in welchem Umfang für die einzelnen Garantien solche ungeschriebenen Annexe anzunehmen seien. So soll, obgleich ein solcher „Annex" an sich auch hier in Betracht kommt, gleichwohl durch Umkehrschluß aus Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG eine beschränkte Polizeifestigkeit der Freiheit von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre gefolgert werden 74 . Vor allem sind, wie zu Recht angenommen wird, positive Regelungen der Verfassung wie die der Art. 5 Abs. 3 und 9 Abs. 2 GG oder die Abstufung und Qualifizierung von Gesetzesvorbehalten durch den Annexgedanken nicht nivellierbar. Nach dem hier zugrundegelegten Normverständnis 75 handelt es sich bei der Grenzbestimmung sachlicher Grundrechtsgarantien dagegen nicht um ungeschriebene Annexe, sondern um geschriebene Normgehalte, d. h. um die sachlich-normative Reichweite des vom Wortlaut der Vorschrift formulierten, angedeuteten („Kunst", „Wissenschaft" etc.) oder eindeutig vorausgesetzten Normbereichs 76. Deutlicher als von der Annahme ungeschriebener Annexe wird es von dieser Sicht aus, daß jedem Grundrecht schon wegen seiner Rechtsqualität Sachgrenzen seiner Verbürgung gezogen sind; daß es sich bei den einzelnen „Mißbrauchsvorbehalten" nicht um Partikel eines auf die Grundrechte verteilten Generalvorbehalts, sondern um jeweils von der Struktur des Normbereichs und der Eigenart des Geltungsgehalts geprägte Normelemente handelt, für die in dieser Konzeption „ Grenz"bestimmung und 73 Lerche, Übermaß, 122 u n d ff.; vgl. ebd. 117 ff.; 118 A n m . 73 a zur beschränkten Rolle des Gesetzgebers bei der Festlegung „richtigen" G r u n d rechtsgebrauchs; zum folgenden ebd. 123 f., 124 f. 74 Lerche, 123; s. a. ebd. 123 f., 124 f.; ferner 157, 288. 75 Entwickelt i n : F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität. 76 Z u diesem Begriff, seiner normativen Qualität u n d seiner durch die D i r e k t i v e n des Normprogramms, also der rechtlichen Anordnung, aus den a l l gemeinen Sachbeziehungen der Rechtsregel herausgehobenen Abgrenzung vgl. ebd. (Anm. 75), z.B. 107 f., 117 f., 132 ff., 137 ff., 142 ff., 163 ff., 184 ff.; ferner 125 f., 128, 141, 154, 201 ff.
III. Aspekte des Grundrechtsmißbrauchs
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„Inhaltsbestimmung sachlich dasselbe sagen; daß es ferner nicht um ungeschrieben „vorhandene", sondern um von diesem theoretischen Verständnis der Grundrechte geforderte, der allgemeinen Struktur der Rechtsnormen entsprechende, von Rechtsprechung und Lehre im einzelnen zu juristischem Konsens zu bringende Bestandteile der Verfassungsauslegung und Grundrechtsdogmatik geht. 6. Grundrechtsmißbrauch als „Verletzung
vorrangiger
Interessen"?
Diesem Vorschlag entspricht nicht eine generelle dogmatische Bestimmungen anstrebende Auffassung, die den Grundrechtsmißbrauch allgemein faßt als „Realisierung des freiheitlichen Gehaltes einer Grundrechtsformulierung zu Lasten eines am Grundrechtsverhältnis Beteiligten (anderer Grundrechtsträger, Allgemeinheit oder Staat), sofern das jeweils verletzte Interesse durch eine höherrangige Verfassungsnorm, durch eine verfassungsrechtliche Grundidee oder durch einen überpositiven Rechtsgedanken objektiv erkennbar geschützt ist" 77 . I m praktischen Ergebnis kann damit eine Pauschalierung erreicht sein, die bis auf die Generalformel des Bundesverwaltungsgerichts von den „vorrangigen Allgemeininteressen" und ähnlichen Gemeinschaftsvorbehalten zurückfällt. Das zeigt auch die kürzere Fassung dieser Mißbrauchsthese, nach der Grundrechtsmißbrauch dann vorliegt, „wenn eine bestimmte Grundrechtsausübung das vorrangige Interesse eines anderen Interessenträgers verletzt" 78 . Bei allem Bemühen um typisierende Aufgliederung im einzelnen bleibt auch eine derartige Auffassung wegen der die Eigenständigkeit der Grundrechtsgarantien übergehenden Fragestellung und wegen der Ungenauigkeit und metapositiven Färbung ihrer Grundthese neben den Problemen. Sie hat mit den besprochenen anderen materiell-allgemeinen Theorien der Grundrechtsbegrenzung ferner gemein, für die Praxis dem Gebot rechtsstaatlicher Methodenklarheit nicht genügen zu können. Die Problematik deliktischer Grundrechtsausübung stehe hier als Beispiel: Bei Kollisionen zwischen Grundrechtsausübung und strafrechtlicher Tatbestandserfüllung müsse nach dem „Vorrang" gefragt werden; eine Tatbestandserfüllung könne nicht deswegen straflos bleiben, weil sie „im Gewand einer künstlerischen Äußerung" erfolge. Die vorbehaltlose Garantie der Kunstfreiheit wird in diesem Zusammenhang mit der Bemerkung erledigt, die rechtstechnische Aus77
Gallwas, 34 ff., 35. Ebd. (Anm. 100), 37. Vgl. auch das Beispiel ebd., 41 f., das i n die Empfehlung einer „Interessenabwägung" mündet. — Z u den von Gallwas herausgestellten drei Mißbrauchstypen vgl. ebd., 38 ff. (Verletzung vorrangiger I n t e r essen eines anderen Grundrechtsträgers), 66 f. (Verletzung vorrangiger I n t e r essen der Allgemeinheit), 87 ff. (Verletzung schutzwürdiger Interessen der staatlichen Gewalten). 78
3 Müller, Grundrechte
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1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
gestaltung der Grundrechte sei in der Regel „nicht an den hier angesprochenen Konfliktslagen orientiert und daher auch nicht geeignet, ein griffiges (!) Lösungsmodell zu liefern" 79 . Wie erinnerlich, hatte sich die positivrechtliche Normierung der Grundrechte auch für die früher genannten allgemeinen Begrenzungslehren zuweilen als sperrig erwiesen. Für ihre auf einen durchgängigen Mißbrauchsvorbehalt abhebende Spielart liefern zum Beispiel die Strafrechtsvorschriften die gewünschten „Kollisionsnormen für widerstreitende Individualinteressen", sind sie doch in aller Regel „echte Schranken jeder Grundrechtsausübung" 80 . Deliktische Grundrechtsverwirklichung ist demnach immer dann strafbar, wenn die der Strafnorm zugrundeliegende Wertung in Einklang „mit den im Grundrechtskatalog niedergelegten Wertpositionen und den allgemeinen Grundsätzen der Interessenabwägung" steht. Für das Strafrecht dürfe man „grundsätzlich davon ausgehen", diese Bedingungen seien erfüllt. 7. Grundrechtsdogmatik
statt Wertabwägung
Grundsätze der Interessenabwägung sind aber ohne normative Geltung. Ferner kann es nicht genügen, daß die einer Strafnorm „zugrundeliegende" Wertung irgendwie mit grundrechtlichen „Wertpositionen" harmonisierend in Verbindung gebracht werden kann. Es kommt allein darauf an, daß die fragliche Strafnorm kein positives Grundrecht der Verfassung verletzt. Das ist mit Hilfe einer Grundrechtsdogmatik zu beurteilen, die auch das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einfacher bzw. qualifizierter Gesetzesvorbehalte ohne metapositive Abstriche voll in Rechnung stellt. Die verfassungsrechtliche Fragestellung geht eben nicht auf einen pauschal zu bejahenden oder pauschal zu verneinenden „Vorrang". Sie geht darauf, was geschehen darf, wenn grundrechtsausübende Tätigkeit zugleich einen strafrechtlichen Tatbestand erfüllt. Beide Subsumtionsfragen können je selbständig zu beurteilen sein. Der Dogmatik des fraglichen Einzelgrundrechts muß dann entnommen werden, welche der auf Grund der strafbaren Handlung strafrechtlich möglichen Deliktsfolgen das Grundrecht überhaupt nicht berühren, welche verkürzend in garantierte Aktions- und Sachbereiche eingreifen und bei welchen von ihnen dies am Maßstab des Grundrechts, seines etwaigen Gesetzesvorbehalts und anderer einschlägiger Verfassungsvorschriften einschließlich des Verhältnismäßigkeitsgebots zulässig ist. Entsprechend sind Kollisionen mit Normen anderer gesetzlicher Materien zu behandeln. So „geht" im Fall eines evident anstößi79
Gallwas, 49 ff., 50; m i t Hinweis auf Nawiasky, Grundgesetzes für die BRD, 1950, 24 f. 80 Gallwas, 50 f. ; ebd. zum folgenden.
Die Grundgedanken des
III. Aspekte des Grundrechtsmißbrauchs
35
gen Kunstwerks § 6 GjS nicht einfach dem Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG „vor", weil sich § 6 schlechterdings als „sittliche Norm" von „rechtserheblicher Art" dergestalt herausstelle, daß weder der Gesetzgeber noch der Verfassungsgeber befugt seien, abweichende Regelungen zu treffen. Auch ist die Berufung auf den Wortlaut des Grundrechts in einem solchen Fall nicht „insoweit als Handeln ohne Recht" zu qualifizieren, obgleich die Kunstfreiheitsgarantie als selbständiges, dem Vorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG nicht unterliegendes Grundrecht angenommen wird 8 1 . Das starre „entweder-oder" bringt, von den übrigen Einwänden abgesehen, für sich allein schon jeden Versuch einer Mißbrauchstypik um praktische Brauchbarkeit. Von „Vorrang" wäre nur bei sachlichem Widerspruch der beteiligten Normen, und zwar dann zugunsten der als Verfassungsnorm höherrangigen, also der Kunstfreiheitsgarantie, zu sprechen. Ob ein solcher Widerspruch, also ein Eingriff in den grundrechtlich geschützten Normbereich ohne verfassungsrechtliche Abstützung dieses Eingriffs (auf Grund eines Gesetzesvorbehalts und unter Vermeidung sonstiger Verstöße gegen Verfassungsrecht) vorliegt oder nicht, läßt sich nur von der Dogmatik der Kunstfreiheit aus sagen. Er läge dann vor, wenn eine unbegrenzte und unbegrenzbare (also auch gegenüber Kindern und Jugendlichen a priori zu fordernde) Freiheit der Verbreitung des Kunstwerks in allen vom Künstler oder Verbreiter gewählten Modalitäten zum sachlichen Geltungsgehalt des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gehörte, was hier vorläufig jedenfalls in Zweifel zu ziehen ist. Es mag aber schon an dieser Stelle deutlich geworden sein, daß die dogmatische Beantwortung der so gestellten Frage zugleich den praktischen Fall löst. Auch eine — im übrigen wegen ihrer materiell-allgemeinen Fassung den genannten Bedenken begegnende — generelle Mißbrauchslehre ist in Fragen der Grundrechtsbegrenzung insoweit nicht vonnöten. 8. Differenzierungen
im positiven Verfassungsrecht
Sie hat mit den anderen erörterten Begrenzungshypothesen gemeinsam, über die verschiedene positivrechtliche Ausgestaltung der einzelnen Freiheitsgarantien ebenso hinwegzugehen wie über die Unterschiedlichkeit der als frei garantierten sachgeprägten Normbereiche. Deren politischer und rechtlicher Freiheitsgehalt sieht sich nach historischer Erfahrung von öffentlicher Gewalt besonders häufig bedroht 82 . Die differenzierte Freistellung ist geeignet, an hervorragender Stelle den Verfassungsstaat des Grundgesetzes sachlich zu legitimieren. Das setzt vor81 82
3·
So auch von Gallwas, 84; ebd. das genannte Beispiel zu § 6 GJS. BVerfGE 6.32.37.
36
1. Teil: Allgemeine Lehren zur Grundrechtsbegrenzung
aus, die garantierten Normbereiche in ihrer Eigenart samt den Formalien ihrer Garantie in der Verfassungsaktualisierung ernst zu nehmen. Verfassungsinterpretationslehre und Grundrechtsdogmatik haben unter dem Grundgesetz noch keinen zu hinreichendem Konsens gediehenen Stand erreicht, der die Versuchung zu irrationaler oder das positive Recht (partiell) vernachlässigender Theoriebildung ausschalten könnte. Die besprochenen Versuche material-allgemeiner Grundrechtsbegrenzung können als Symptom hierfür verstanden werden. Sie sind durch eine von der garantierten „Sache" aus argumentierende Bereichsdogmatik zu ersetzen, die auch die Kontaktlinien entwickelt, an denen Vorschriften der Rechtsordnung der verschiedensten Materien mit grundrechtlichen Normbereichen zusammentreffen. Das wird von der Vorbehaltlosigkeit einer Garantie nicht gehindert.
Zweiter
Teil
Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik I . Abgrenzung zu Fragen der Drittwirkung
1. Praktische
Ansatzpunkte
Wie weit der Gebrauch eines Grundrechts reicht, muß von einer seine Garantie im ganzen umfassenden Dogmatik entwickelt werden. Die Staatsgerichtetheit der Grundrechte 1 und ein Ausschluß von Fällen der sogenannten Drittwirkung können den Umkreis der Problematik nicht einengen. Enthält ein literarischer Text, der einer Werkgattung im Sinn der „Kunst" des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zugehört (Gedicht, Roman, Erzählung etc.), eine isolierbare Beleidigung oder Verleumdung eines Dritten, so kann die Grundrechtsfrage nicht mit der Überlegung ausgeschaltet werden, im Verhältnis zwischen dem Künstler und dem beleidigten oder verleumdeten Privaten habe das Grundrecht der Kunstfreiheit keine Geltung, es sei denn, man wolle von seiner vollen Drittwirkung ausgehen. Eine derartige Einschränkung der Grundrechtsfragen etwa auf polizeiliche Eingriffe gegen Ausübungen der Kunstfreiheit (eine Ausstellung wird geschlossen, der Maler wird von der Straßenkreuzung verwiesen) ginge am grundrechtlichen Geltungsgehalt vorbei. Ausgangspunkt ist dogmatisch der dem Grundrechtsträger zugefügte grundrechtsspezifische Verletzungstatbestand. Durch das Stellen der Strafanzeige ist der Künstler weder rechtlich noch unmittelbar faktisch beeinträchtigt, also in diesem Sinn nicht „verletzt". Erst die gerichtliche Bestrafung beeinträchtigt seine Rechtsstellung. Dabei ist es noch eine weitere Frage, ob grundrechtsspezifisch Geschütztes oder nur vom Grundrecht aus Indifferentes verkürzt worden ist. Jedenfalls hat der Träger öffentlicher Gewalt den Verletzungstatbestand gesetzt, dem gegenüber das Grundrecht „gilt". Das Problem der Drittwirkung ist hier von Anfang an nicht im Spiel, wenn auch Rechtsprechung und Literatur die Typen der Fallgestaltung nicht immer mit der notwendigen Deutlichkeit unterscheiden. Zur Erläuterung sei etwa auf die Lage des Falles in BVerfGE 17.302 ff. (zur Auswirkung des Grundrechts der Glaubensfreiheit auf den Begriff der schweren Eheverfehlung — Glau1
Vgl. etwa BVerfGE 21.362.368 ff.
38
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
benswechsel unter den Ehepartner verletzenden Begleitumständen) hingewiesen: auch hier können sich die Ehepartner gegenseitig nicht unmittelbar auf das Grundrecht aus Art. 4 GG berufen. Der Verletzungstatbestand wird aber erst von einem Träger öffentlicher Gewalt, dem das Scheidungsurteil aussprechenden Gericht, gesetzt. Aus diesem Grund ist die Glaubensfreiheit ohne jede Frage einer Drittwirkung im Spiel. I n der Wahlplakatentscheidung BVerfGE 7.230 ff. liegt die Verletzung des Grundrechtsberechtigten, liegt der unmittelbar wirkende rechtliche Nachteil dagegen bereits in der Kündigung durch den Vermieter, die durch das Gericht nachträglich nur bestätigt wird. Daher ist es sehr zweifelhaft, ob der Fall überhaupt als Problem der Meinungsfreiheit und nicht nur als ein solcher des Bürgerlichen Rechts zu behandeln war. 2. Grundrechtsverletzung
und Grundrechtsaktualisierung
Eine Grundrechtsverletzung liegt immer dann und nur dann vor, wenn von einem Träger öffentlicher Gewalt ein Grundrechtsträger rechtlich oder unmittelbar faktisch beeinträchtigt wird, und zwar in Anknüpfung an eine Grundrechtsaktualisierung; an eine Handlung, die durch ein Grundrecht spezifisch geschützt und als frei garantiert ist. Die Verletzung selbst braucht dabei nicht in grundrechtlich Geschütztes von der Art der Anknüpfungshandlung einzugreifen. Der oben genannte Fall ist auch dann ein Problem der Kunstfreiheit, wenn der Künstler durch eine Geldstrafe Eingriffe in sein Eigentum oder bei einer Freiheitsstrafe eine Beschneidung seines Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG hinnehmen muß. Die entscheidende Frage ist nur, ob die Anknüpfungshandlung, das Malen oder das Ausstellen eines Gemäldes, noch zum Normbereich des Grundrechts gehört oder ob sie nur als Modalität „bei Gelegenheit" einer Grundrechtsaktualisierung anzusehen ist. Das Grundrecht kann nicht „an sich" oder „als solches", sondern immer nur in einer konkreten Aktualisierung im Spiel sein und somit nur in dieser konkreten Ausübungsform „verletzt" werden. Das gilt auch unter dem in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts festgehaltenen Aspekt, Urteile der ordentlichen Gerichtsbarkeit darauf nachprüfen zu müssen, ob die Tragweite eines Grundrechts verkannt wurde oder nicht. 3. Anknüpfungs„ebene" und Sanktions„ebene" Vom Grundrecht her gesehen, können die Anknüpfungsebene und die Verletzungs(Sanktions-)ebene formell wie materiell auseinanderfallen. Formell: Auch wenn zwischen den beteiligten Privaten (Künstler-Belei-
I. Abgrenzung zu Fragen der D r i t t w i r k u n g
39
digter) die Grundrechtsfrage nicht aktuell ist, „gilt" das Grundrecht i. S. von Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar, sobald eine staatliche Stelle, etwa ein Gericht, mit der Angelegenheit befaßt wird und wenn die den Ausgangspunkt des Falles bildende Anknüpfungshandlung (das Schreiben bzw. Verbreiten der beleidigenden Äußerung in literarischem Zusammenhang) grundrechtlich geschützt ist. Materiell: Der von dem Träger öffentlicher Gewalt gesetzte und den Grundrechtsträger treffende Verletzungstatbestand braucht nicht in dasselbe Grundrecht einzugreifen, dessen Aktualisierung die Anknüpfungshandlung bildet (Geld- oder Freiheitsstrafe für den Künstler wegen Grundrechtsausübung mit deliktischer Tatbestandserfüllung). Ist auf solche Weise das Grundrecht vom Gericht oder einer anderen beteiligten staatlichen Stelle zu beachten, so gilt das auch für die der Entscheidung zugrundegelegten Maßstäbe. Allein durch sie schon kann die „Tragweite des Grundrechts" verkannt und die Freiheitsgarantie verletzt werden. 4. Dogmatische Grundstruktur
der „Drittwirkung
s" frag en
Die dogmatische Unterscheidung von Anknüpfung, Maßstab und Sanktion soll allgemein für die praktische Behandlung von Grundrechtsproblemen festgehalten werden. Sie ist nicht auf Fragen der Drittwirkung beschränkt. Um Drittwirkung hatte es sich bei den hier besprochenen Fallgestaltungen von Anfang an nicht gehandelt. Vielmehr dient diese Unterscheidung größerer rationaler Durchsichtigkeit in allen Fragen möglicher Grundrechtsverletzung durch öffentliche Gewalt. Diese Differenzierung kann auch innerhalb der Bereichsdogmatik der einzelnen Grundrechte und bei der Frage ihrer spezifischen Reichweite zur Rationalisierung bisher vielfach nur pauschal, etwa im Sinn einer (scheinbaren) Drittwirkung, eines „Vorrangs", einer „Höherwertigkeit" oder eines material-allgemeinen „Mißbrauchs" behandelter Probleme dienen. Würde es für Art. 1 Abs. 3 GG genügen, daß die Grundrechte nur irgendwie „gegenüber dem Staat", „gegenüber der öffentlichen Gewalt" ins Spiel kommen, dann wäre das die Behauptung einer totalen Drittwirkung für alle Fälle gerichtlicher Entscheidung. So sind die Grundrechte des Grundgesetzes jedoch nicht zu verstehen. Die Rechtsprechung ist prozessual-institutioneller Garant der Einhaltung auch der Grundrechte; nicht aber verschiebt sie deren grundsätzliche Geltungsart. Die Frage, ob Grundrechte einen Fall regieren oder nicht, kann nicht mit dem Hinweis auf die Qualität des Gerichts als „öffentlicher Gewalt" i. S. von § 90 BVerfGG und auf die Grundrechtsgebundenheit der Rechtsprechung überspielt werden. Es kommt vielmehr auf das „materielle Rechtsverhältnis" zwischen den Prozeßparteien an 2 . Diese Richtlinie ist * Hesse, Grundzüge, 140; ebd., 138 ff. eine differenzierende
Lösung der
40
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
nach dem Anknüpfungsverhältnis und nach dem Verletzungsverhältnis weiter zu differenzieren. Spielen sich beide zwischen den beteiligten Privaten ab, so kommt das Grundrecht bei Ablehnung einer generellen Drittwirkung nicht zum Zug. Dasselbe gilt dann, wenn der Verletzungstatbestand mit unmittelbar rechtlicher oder tatsächlicher Wirkung bereits zwischen den Privaten und nicht erst konstitutiv vom Gericht als der Repräsentanz öffentlicher Gewalt gesetzt wird. Wird dagegen der „Träger" des fraglichen Grundrechts in diesem oder einem anderen Grundrecht gerade durch die öffentliche Gewalt verkürzt, so ist das fragliche Grundrecht schon dann zu beachten, wenn der Anknüpfungstatbestand für den Eingriff der öffentlichen Hand — also etwa die deliktische Handlung — möglicherweise eine Aktualisierung dieses Grundrechts darstellt. Je nach der materiellen Beantwortung dieser Frage anhand der Dogmatik der einzelnen Freiheitsgarantie ist diese als verletzt oder als nicht verletzt anzusehen. Die Ablehnung einer allgemeinen Drittwirkung der Grundrechte des Grundgesetzes schränkt den Umfang der zu entwickelnden Bereichsdogmatik nicht ein. Π . Z u m hermenentfsdien Aufbau von Grundrechtsnormen
Diese kann als verfassungsrechtliche Dogmatik keinen Ausgangspunkt wählen, der allein den Normbereich des Grundrechts für maßgeblich erklärt. Hermeneutisch reflektierte (Verfassungs-)Interpretation überläßt das Feld nicht den Strukturmerkmalen des Normbereichs. Nur deren Vermittlung mit dem methodisch konkretisierten Normprogramm, das in aller Regel im Wortlaut der Vorschrift angesprochen oder angedeutet ist, entspricht dem normativen Anspruch. Jede Usurpierung normativer Wirkung durch faktische Gegebenheiten im Sinn einer hermeneutisch begründeten Wiederauferstehung der „normativen Kraft des Faktischen"8 ist durch die Rationalität dieser Vermittlung auszuschließen. 1. Rechtsqualität
der Grundrechte
Die Normbereich und Normprogramm vermittelnde Einzeldogmatik der Freiheitsgarantien verläßt die Grundlage extremer Aussagen. Als deren eine hatte sich die Auffassung herausgestellt, weil kein Grundrecht unbegrenzte Freiheit gewähren könne, müsse auf Grund eines irrationalen „Schrankenschlusses" eine allgemeine Begrenzung aller Grundrechte im Sinn der einen oder anderen materiellen GeneralFrage der D r i t t w i r k u n g unter grundsätzlicher Einbeziehung möglichen G r u n d rechtsschutzes gegen Ausübung wirtschaftlicher oder sozialer Macht, v. a. 142. 8 Hierzu F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, ζ. B. 77 ff., 188.
II. Zum hermeneutischen Aufbau von Grundrechtsnormen
41
klausel angenommen werden. Daß kein Grundrecht ohne Grenzen garantiert ist, folgt aus der einzig wirklich „immanenten" Beschränkung: aus seiner Rechtsqualität. Es folgt daraus, daß die Grundrechte als allein durch die (Verfassungs-)Rechtsordnung rechtlich konstituierte und als Rechte nicht überpositiv substantialisierbare Gewährleistungen angesehen werden. Weder eine in die Rechtsordnung unversehens eingeführte „natürliche" Freiheit 4 noch eine allein technisch-formal angesetzte Freiheit der Leere trifft die Struktur grundrechtlicher Garantien. Nicht der Sachbereich steht zur Erörterung, sondern der Normbereich; also nicht allein ein sachlich umschriebener Sektor menschlicher Wirklichkeit und Wirksamkeit, sondern die aus der Unbegrenztheit „natürlicher" Sachgesetzlichkeit durch die steuernde Wirkung normativen Anordnens herausgehobenen rechtlich relevanten Grundstrukturen des Sachbereichs, die zugleich als Normbestandteil durch rechtliche Setzung konstituiert und als Element der umgreifenden (Verfassungs-)Rechtsordnung sachlich-normativ begrenzt und in sie eingeordnet werden. Damit ist eine dogmatische Grundgegebenheit umschrieben, nicht ein zeitliches oder geschichtliches „Hintereinander" verfolgt. Vom positiven Recht her gesehen, bedeutet die Garantie des Grundrechts nicht ein deklaratorisches Bestätigen eines „natürlichen Rechts", sondern die konstitutive Anerkennung eines eigengeprägten, im Rahmen der Rechtsordnung zu schützenden und „frei" zu belassenden Komplexes sachlicher Gegebenheit und menschlichen Tuns kraft Rechts und damit zugleich als Recht. Grundrechtsbegrenzung 5 in diesem Sinn ist dasselbe wie inhaltliche Bestimmtheit der Freiheitsgarantie als einer von der als „frei" garantierten Sache her zu bestimmenden Verbürgung.
2. Rechtliche Selbständigkeit
der einzelnen Verbürgungen
Je nach dem Ausmaß inhaltlicher Unabhängigkeit der garantierten Sache von rechtlicher Ausgestaltung kann sich die Struktur eines Grundrechts der des ausgrenzenden, gesetzliche Ausgestaltung (weitgehend) aussparenden „Rechtsraums"6 annähern. Die Tatsache der konstitutiven Verbürgung als Recht hat mit diesem Grad inhaltlicher Selbständigkeit und annähernder Impermeabilität des selbstgesetzlichen Normbereichs gegenüber gesetzlicher Modifizierung nichts zu tun. Wenn sich bei einer bestimmten Art von Grundrechten wie denen der Gewissens-, Wissenschafts- und Kunstfreiheit die Verfassungsordnung gerade im Freilassen 4 Z u m Problem: Wieacker, Z u m heutigen Stand der Naturrechtsdiskussion, 1965, ζ. B. 12 f.; Scheuner, W D S t R L 22 (1965), 47. 5 Hierzu allgemein Hesse, Grundzüge, 123 ff. β I m Sinn von BVerfGE 12.1 ff., 3; hierzu F. Müller, N o r m s t r u k t u r und Normativität, 220 ff., 222.
42
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
und im Selbstgesetzlich-sein-lassen bestimmter Normbereiche als freiheitlich legitimiert, so hat jede Auslegung der Verfassung und der einfachen Hechtsordnung das ebenso zu respektieren wie Exekutive und Legislative. Schon aus diesem Grund fehlt allgemein-materialen Grundrechtsbegrenzungsthesen wie jener der durchgängigen „Güterabwägung" oder wie der Mißbrauchslehre die verfassungsrechtliche Grundlage7. Die Begrenzung wie damit ineins die sachlich-normative Reichweite der Verbürgung kann nur für jedes einzelne Grundrecht als für eine Garantie mit gegenständlich begrenztem Schutzbereich, als für „gegenständlich abgegrenzte Verstärkungen des rechtlichen Schutzes für bestimmte Rechte und Freiheiten" 8 entwickelt werden. Stark eigengeprägte und zum Teil nicht rechtserzeugte Normbereiche wie Glaube, Gewissen und Bekenntnis, Kunst, Wissenschaft, Ehe, Familie, Vereinswesen sind einschließlich ihrer sie anerkennenden und gewährleistenden Normprogramme in den grundrechtlichen Normtexten nur ungenügend und stichwortartig festgehalten. Die Möglichkeit, sie zu konkretisieren, stützt sich dementsprechend nicht nur auf eine Exegese ihrer sprachlichen Fassung und deren systematischer und genetischer Aspekte, sondern vor allem auf die Sachhaltigkeit ihrer Normbereiche. Die Grundrechte zwingen als gesteigert sachgeprägte Normen zu gesteigerter Individualisierung ihres Sachgehalts im Einzelfall. Damit machen sie dogmatische Zwischenstufen erforderlich, die weit stärker als bei echten Generalklauseln wie dem Allgemeinen Gleichheitssatz aus der Strukturanalyse ihrer Normbereiche — „Bekenntnis", „Wissenschaft", „Kunst" — gewonnen werden können. Die grundgesetzlich gewährleistete Frei7 Z u r Verfassungstheorie der Grundrechte vgl. etwa Hesse, Grundzüge, 109ff., 118ff., 121 ff.; F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, z.B. 201 ff., 218 ff., auch ebd., 178 ff., 204 f., 216 ff. — Die Bestimmungen der Grundrechte als gesetzliche Ausgestaltung schlechthin abweisend bzw. als gesetzlicher Ausgestaltung schlechthin bedürftig u n d zugänglich sind mangels hermeneutischer V e r m i t t l u n g von Normbereich u n d Normprogramm i m bisherigen Schrifttum sowohl i n sich als auch i n der gegenseitigen Auseinandersetzung oft zu pauschal getroffen worden. Die Rechtsstruktur der einzelnen F r e i heitsgarantien differiert von der Sachstruktur der geschützten Normbereiche her. — F ü r Grundrechte w i e die Glaubens- u n d Gewissens-, die K u n s t - u n d Wissenschaftsfreiheit gilt die Aussage, was Freiheit sei, könne „nämlich i n letzter Instanz n u r derjenige entscheiden, der frei sein soll", C. Schmitt, F r e i heitsrechte u n d institutionelle Garantien, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 167. Gegen inhaltliche Determinierung von Freiheitsgarantien durch den Staat vgl. auch Schnur, W D S t R L 22 (1965), 100 ff.; Schmidt, A Ö R 91 (1966), 57. β Scheuner, D Ö V 1967, 585 ff., 586; s. auch ebd., 590; ders., W D S t R L 22 (1965), I f f . , bes. 44f., 47, 50f. unter Rationalisierung dieser Grundrechtssicht m i t H i l f e zahlreicher „verräumlichender" Begriffe. Vgl. ferner Copie , 31 u n d ff. — Aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vgl. etwa BVerfGE 7.377.404 („sachlicher Gehalt", die „ i m Wesen des Grundrechts selbst angelegten Grenzen", „Geltungsbereich" des Grundrechts); 12, I f f . ; ferner 12, 45, 53 („sachliche Reichweite eines Grundrechts", „Gehalt desi Grundrechts"). Vgl. ferner Lerche, Ubermaß, 240 f., zur institutionellen E r fassung des grundrechtlichen Wesensgehalts.
II. Zum hermeneutischen Aufbau von Grundrechtsnormen
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heit ist weder in ihrem Inhalt noch von allgemeinen Begrenzungsgedanken her zu verallgemeinern. Sie erscheint überhaupt nicht als allgemein deutbarer Gehalt, sondern als ein in der Regel auf historische Vorbilder gestütztes Nebeneinander konkreter sachlicher Freiheitsverbürgungen. Diese sind im Rahmen der geltenden Verfassungsordnung sinnvoll aufeinander zu beziehen, können aber nicht aus einer einheitlichen Substanz „abgeleitet" werden, wie das die Lehre von einem „Muttergrundrecht" voraussetzen will. Die Garantien meinen die als „frei" gewährleistete Sache, um deretwillen sie als Normen existieren: um ihrer selbst willen wie auch wegen ihrer Funktion fülr das demokratische Gemeinwesen. Doch können die Grundrechte wiederum wegen ihrer sachlichen Verschiedenheit nicht durchweg im Sinn aktiver gesellschafts- und staatsbezogener Integration funktionalisiert und angewandt werden. Eine auf die Grundrechte bezogene Integrationsthese findet ihre Grenze in dem Maß an der Eigenständigkeit des grundrechtlichen Normbereichs, in dem sich dieser als jede inhaltliche Fixierung durch die öffentliche Gewalt ausgrenzender „Rechtsraum" darbietet. Unpolitisch belassene Normbereiche wie „Gewissen", „Kunst" erscheinen nur von einem die gesamte Verfassung total politisierenden Denken her als Fremdkörper. Dagegen ist gerade die rechtliche Konstituierung derartiger selbständiger, von der Verfassung gleichsam vorgefundener, weil (weitgehend oder zur Gänze) nicht rechtserzeugter Sachbereiche als Normbereiche von Freiheitsgarantien eine politische Leistung, die zu ihrem Teil eine Verfassungsordnung als freiheitliche ausweist. Jedenfalls für die Freiheiten von Glauben, Gewissen und Bekenntnis, von Kunst und Wissenschaft ist daher die Tatsache ihrer vorbehaltlosen Garantie durch das Grundgesetz von nicht nur formaler Aussagekraft. 3. Grundrechte: Sachgarantien statt Privilegien Damit sind keine Privilegien eingeräumt, keine „isolierten Höchstwerte", keine die Einheit der Verfassung sprengenden unbegrenzten Gewährleistungen rechtsfeindlicher Freiheit. Sachliche Sonderstellung ist nicht dasselbe wie „Höherstellung". Kennzeichen von Privilegierung sind die regionale oder personelle Abgrenzung der Berechtigten unter dem Prinzip der Ungleichheit der Berechtigungen, ist die historisch punktuelle, mehr oder minder zufällige Dezision als Ursache des Privilegs. Das Privileg legitimiert nicht sachlich das Ganze der Verfassung. Es rechtfertigt nur gegenüber den Privilegierten. Für das Ganze der Verfassung ist es nur als Mittel der Deskription der Rechtsordnung als einer Privilegienordnung mit gruppenmäßig oder auch punktuell abgestufter Ungleichbehandlung und Ungleichberechtigung brauchbar. Solche Strukturen der Rechtsordnung sind mit der Konzeption des mo-
44
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
dernen Verfassungsstaates nicht vereinbar. Grundrechte schaffen zwar Vor-Rechte im Sinn herausgehobener, besonderer und besonders gesicherter Berechtigungen. Der Kreis der Berechtigten ist jedoch normativ und unter der Herrschaft des Gleichheitssatzes nach funktionellen Sachgesichtspunkten abgegrenzt. Grundrechte als Sachgarantien legitimieren zu ihrem Teil das Ganze der Verfassungsordnung im Sinn sachgeprägter konkreter Freiheitsverbürgung. Sie sind nicht nur als subjektive Berechtigung zu verstehen, sondern zugleich als Elemente objektiver Ordnung 9, wobei dieser Gesichtspunkt nicht gegen die Aktualität, die konkrete Geltung und den politischen Entscheidungsgehalt der Grundrechte als subjektiv-abwehrender Positionen des Bürgers ausgespielt werden darf 10 . Da die Grundrechte als nur formale Garantien nicht adäquat erfaßbar sind, ist es voreilig, Thesen über Prioritäten im Sinn von „Vorrang" oder „Höherwertigkeit" zu entwickeln, bevor die dogmatische Reichweite ihrer Sachgarantien zu einem tragfähigen rechtswissenschaftlichen Konsens gebracht ist. Als Rechte sind sie durch die Verfassung begründet. Daher ist der sachsystematische Gesichtspunkt ihrer Zugehörigkeit zur (Verfassungs-)Rechtsordnung, aus dem sich die Unmöglichkeit einer Unbegrenztheit „nach allen Richtungen" ergibt, als unverzichtbare Einsicht jeder Verfassungstheorie oder, wenn man es so formulieren will, als ungeschriebenes Element aller grundrechtlichen Normprogramme festzuhalten. Man mag diesen Vorbehalt auch den Vorbehalt der Rechtsqualität der Grundrechte nennen. Die Grundrechte sind keine privilegienmäßig-zufälligen Exemtionen aus der Rechtsordnung. Weder brauchen sie von der Rechtsordnung keine Notiz zu nehmen, noch muß ihre Aktualisierung, wie das Bundesverwaltungsgericht meinte, den Bestand der Rechtsordnung unmittelbar sicherstellen helfen. Sie sind Bestandteile der Rechtsordnung; zwar durchaus herausgehobene Bestandteile, nicht aber Normen, die der Notwendigkeit konkretisierender Zuordnung zu anderen Normen und damit der Möglichkeit eines „rien ne va plus" ihres sachlichen Geltungsgehalts entronnen wären. Allerdings muß festgehalten werden, daß sie partiell durchaus Vor-Rechte einräumen 11 . Soweit ihr Normbereich sich
• Vgl. BVerfGE 21.362.371 f., allerdings m i t fragwürdiger Rückführung auf ein „Wertsystem" wie schon z. B. i n BVerfGE-7.198.205. Kritisch hierzu Hesse, Grundzüge, 118; grundsätzlich zu den objektiven Geltungskomponenten der Grundrechte ebd., 115 ff., 118 ff. 10 Vgl. bei der Bestimmung des grundrechtlichen Wesensgehalts die Differenz zwischen der sogenannten Sozialtheorie — zu dieser etwa v. MangoldtKlein, 2. Aufl., 1957, I, A n m . V 2c ff. zu A r t . 19 — und der sogenannten I n d i vidualtheorie; i n deren Sinn etwa Dürig, A Ö R 81 (1956), 118 ff., 136 ff.; P. Schneider, Pressefreiheit und Staatssicherheit, 129 f., 131 f.; vermittelnd Hesse, Grundzüge, 133. 11 Hierzu auch Rüfner, Der Staat, 1968, 41 ff., 54, 56, s. auch 60, z. T. gegen Bettermann, J Z 1964, 604 ff.
II. Zum hermeneutischen Aufbau von Grundrechtsnormen
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erstreckt, soweit ihr sachgeprägter Geltungsgehalt dank der verfassungsrechtlichen Garantie reicht, verleihen sie den Grundrechtsberechtigten in der Tat eine sachlich begründete und sachlich begrenzte Sonderstellung, die im Vergleich mit grundrechtlich nicht geschützten Aktivitäten in verschiedener Richtung als Vorzugsstellung erscheint. Aus den genannten strukturellen Gründen handelt es sich dabei nicht um Privilegien; das wäre nur bei verfassungsblinder Übersteigerung zu „unbegrenzten Höchstwerten" der Fall. 4. Grundrechte
und Unterverfassungsrecht
Auf der anderen Seite verbietet diese Sicht die Nivellierung grundrechtlicher Verbürgungen durch material-allgemeine Theorien ihrer Begrenzung. Die Freiheitsgarantie eximiert die von ihr umfaßten Handlungs- und Sachverbürgungen von einem Teil der Rechtsordnung, nämlich von solchen (schon bestehenden oder noch zu erlassenden) Gesetzen, die geeignet sind, das sachspezifisch als „frei" Garantierte zu verkürzen. Das gilt für die vorbehaltlos gewährleisteten Grundrechte. Die Grundrechte mit Gesetzesvorbehalten dagegen können auf Grund dieser Gesetzesvorbehalte nach deren näherer Maßgabe solche Verkürzungen erleiden, wobei die sonstigen Maßstäbe der Verfassung einschließlich des Übermaßverbots zu beachten sind. Die Meinung, Grundrechte erteilten keine Privilegien, d. h. sie dürften keine Bevorrechtigungen zur praktischen Folge haben, übersieht im übrigen auch ihre durch den Verfassungsrang konstituierte formale Überlegenheit gegenüber Unterverfassungsrecht, das nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Ausgestaltung und Sicherung des grundrechtlich Gewährleisteten, sondern immer zugleich auch unter dem möglicher Verkürzung und möglicherweise unzulässiger inhaltlicher Modifizierung und Fixierung des grundrechtlichen Geltungsgehalts gesehen werden muß. Daß die Interpretation die Garantien vom Unterverfassungsrecht nicht einfach isolieren kann, ergibt sich schon daraus, daß ihre Normbereiche in erheblichem Maß (durch das Unterverfassungsrecht) rechtserzeugt sind. Wie weit sie gegenüber der allgemeinen Rechtsordnung Vorrechte im Sinn besonderer sachspezifischer Garantien einräumen, ergibt sich bei ihrer Interpretation vorzüglich anläßlich aktueller Kollisionen mit sonstigen Normen der Rechtsordnung. Wenn diese auch nicht die Kraft haben, schlechthin die Grundrechte zu begrenzen — sonst ständen diese unter allgemeinem Gesetzesvorbehalt —, so provozieren sie jedenfalls für die von ihnen geregelten Normbereiche die Herausarbeitung der Reichweite grundrechtlicher Geltungsgehalte. Positivrechtliche Gegebenheiten, wie etwa einfache oder qualifizierte Gesetzesvorbehalte sowie Regelungsvorbehalte, sind dabei voll zu berücksichtigen. Die Normbereichsanalyse läßt wegen der hermeneutischen Abhängigkeit des Normbereichs vom anordnenden Norm-
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
Programm eine Verwischung des Rangunterschieds zwischen Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht nicht zu. Nicht zuletzt auch die nicht-rechtserzeugten Elemente des Normbereichs geben sachliche Maßstäbe an die Hand, die eine dem Unterverfassungsrecht nicht ausgelieferte Interpretation und Theorie der Grundrechte ermöglichen. Π Ι . Wechselseitige Begrenzung von Grundrechts- und anderen Verfassungsnormen
1. Überschneidung
verfassungsrechtlicher
Geltungsgehalte
Gleichfalls nur als niederrangiges Element verfassungsrechtlicher Normbereiche kommt Unterverfassungsrecht bei den Kollisionen grundrechtlicher Normen oder von Grundrechten mit anderen Verfassungsvorschriften ins Spiel. Der Geltungsgehalt von Verfassungsnormen wird von dem anderer Verfassungsnormen prinzipiell dann begrenzt, wenn sich die Normbereiche überschneiden. Damit sind die Fälle gemeint, in denen mehr als eine Verfassungsvorschrift den Rechtsfall regiert, die beteiligten Normen aber — je von ihrer isolierten Auslegung her beurteilt — zu einem (teilweise) gegensätzlichen Ergebnis führen würden. Die prinzipielle Begrenzungsmöglichkeit einer Verfassungsnorm durch andere ist anerkannt 12 . Vorbehaltlos garantierte Grundrechte sind von ihr nicht ausgenommen. Das hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise zu Art. 4 Abs. 1 GG (in seinem Verhältnis zu Art. 4 Abs. 3 und zu Art. 12 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 GG) klargestellt 13 . Unter dem Interpreta11 Vgl. aus der Rechtsprechung etwa BVerfGE 19.135.138, B V e r f G J Z 1968, 521; B V e r w G Z e v K R 10 (1963/64), 207 ff., 211 ( = B V e r w G E 15.134 ff.). I n der L i t e r a t u r siehe ζ. B. bei Maunz, BayVBl. 1955, 216: Güterabwägung statt einer Lösung, bei der Grundrechtsausübung unzulässig sein soll, sobald dadurch ein anderes Grundrecht verletzt w i r d . Ferner Hesse, Grundzüge, 124; Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 362; ebd., 363: Verstöße gegen andere grundrechtlich geschützte Rechtsgüter u n d Verstöße gegen die Verfassungsprinzipien des Grundgesetzes als zwei der drei Fälle „gesellschaftlich-immanenter" Schranken aller Grundrechte i m Sinn einer methodisch u n d dogmatisch an Dürig, J Z 1957, 169 ff.; ders., Maunz-Dürig, R d n r 70 zu A r t . 2 Abs. 1 GG, anknüpfenden allgemeinen Begrenzungslehre. — Die Begrenzung von V e r fassungsnormen untereinander (nicht n u r der Grundrechte durch andere Grundrechte u n d durch die „Verfassungsprinzipien") ist auch ohne eine derartige Konstruktion, der andere grundsätzliche Bedenken entgegenstehen, einsichtig zu machen. — Die Verstöße gegen „materielle Kriminalstrafrechtsnormen" als d r i t t e r F a l l t y p allgemeiner Grundrechtsbegrenzung stößt auf größte Schwierigkeiten seiner A b l e i t u n g aus dem Grundgesetz. Er verlegt i m übrigen die strittigen Punkte i n den Wertungsbegriff der Materialität des begrenzenden Strafrechts u n d gibt m i t dem Geltungsgehalt der zu begrenzenden Grundrechte den wichtigsten sachlich-normativen Maßstab, nämlich den der einzuschränkenden Freiheitsgarantie selbst, aus der Hand. 13
BVerfGE 19.135.138. Das Bundesverfassungsgericht hält an diesem dogmatischen Ansatz auch i m Beschluß v o m 5. 3. 1968, JZ 1968, 521 ff., ausdrücklich fest. Hiernach „konkretisiert u n d beschränkt" A r t . 4 Abs. 3 GG „ f ü r den
III. Begrenzung von Grundrechts- und anderen Verfassungsnormen
47
tionsprinzip der Einheit der Verfassung 14 können auch vorbehaltlos garantierte Grundrechte schon wegen ihrer Rechtsqualität nicht auf Kosten des Geltungsgehalts anderer Verfassungsnormen einlinig aktualisiert und durchgesetzt werden; können auch sie nicht auf den Widerspruch zu anderen Regeln von Verfassungsrang hin deutbar sein. Vor der Ermittlung der so „zwischen" kollidierenden Verfassungsnormen zu ziehenden dogmatischen Grenzen und vor dem ausgleichenden Verfahren praktischer Konkordanz 15 muß jedoch sorgfältig untersucht werden, ob überhaupt eine Überschneidung der Geltungsgehalte vorliegt, ob nicht beispielsweise der Normbereich des einen beteiligten Grundrechts Aktionsformen der „kollidierenden" Art gar nicht decken kann 16 . Weiter ist vorab zu klären, ob es der aus der Verfassungsnorm durch Auslegung zu ermittelnde Geltungsgehalt ist, der die andere Verfassungsnorm in ihrer Reichweite für den konkreten Fall beschneidet, oder ob es Normen des Unterverfassungsrechts der ersten Vorschrift sind, die zu ihrem Normbereich gehören oder die nur im weiteren Sinn ihre Regelungsmaterie berühren. Nicht nur das Verfahren der Güterabwägung 17 , sondern auch das praktischer Konkordanz darf nicht zu einer letzten Endes zwangsläufig auf irrationale Wertungen hinauslaufenden „Wechselwirkung" im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts führen 18 . 2. Wechselwirkung, praktische Konkordanz, dogmatische Grenzbestimmung Das gilt für das Verhältnis der Grundrechte zu grundrechtseinschränkenden Gesetzen ebenso wie für das von Grundrechten oder anderen Verfassungsnormen untereinander. Werden solche hermeneutischen und methodischen Rationalisierungen beachtet, dann kann der hinter dem F a l l der Wehrpflicht abschließend die Reichweite der freien Gewissensentscheidung". — Z u r K r i t i k an dieser Auffassung vgl. ζ. B. Heinemann, N J W 1961, 355; Arndt, N J W 1965, 2195; ders., N J W 1968, 979 f.; Evers, JZ 1968, 525. 14 Hierzu Hesse, Grundzüge, 18, 28 f. m. Nw.en. 15 Z u diesem s. Hesse, ebd. (Anm. 14), 28 f.; ferner 105, 126 f., 130. 18 Diese Frage w i r d i n BVerfGE 12.1 ff. nicht gesehen. 17 Z u r Güterabwägung als dem Lösungsverfahren bei Kollisionen von Grundrechten untereinander vgl. Häberle, 36. — Kritisch gegen die Technik der Wertableitung u n d -abwägung als „Schaukelmechanismus der Wechselw i r k u n g " von Grundrechtsgeltung u n d Grundrechtsbeschränkung seit BVerfGE 7.198.208 f.: Copie, 26, unter dem Gesichtspunkt, dieses Verfahren sei „überelastisch" u n d bringe die Gefahr m i t sich, „unterverfassungsgesetzliche rechtliche ,Werte 4 unversehens auf Verfassungsniveau zu katapultieren u n d als ranggleiche Konkurrenz,werte' gegen die Grundrechte abzuwägen". — Erörterung der Gruppe der „konkurrenzlösenden Normen" bei Lerche, Übermaß, 125 ff. — S. ferner BVerfGE 10.118.121; 12.113.130; 15.77 f. 18 Kritisch zu „Wechselwirkung" u n d „Güterabwägung" i m Anschluß an diese Rechtsprechung auch Hesse, Grundzüge, 28 f., 29, 118, 126.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
bundesverfassungsgerichtlichen Verfahren der „Wechselwirkung" stehende zutreffende Grundgedanke für die Rechtspraxis fruchtbar werden. Eines seiner entscheidenden Elemente liegt darin, daß abstrakte Abwägungsprinzipien materiell-allgemeiner Art zu vermeiden sind. Sie verleiten dazu, die als beteiligt angesehenen „Werte" zu pauschalieren und so beispielsweise „die" Volksgesundheit gegen „die" Berufsfreiheit, „den" Kunstwert gegen „den" Jugendschutz gegeneinander ins Feld zu führen. Zuordnung kann aber nur rational-konkret als Zielgedanke der Verfassungsinterpretation gerechtfertigt werden. Sie ist keine „Methode", sie gibt als solche keinen differenzierten Lösungsweg an, schließt vielmehr nur andere, die Einheit der Verfassung negierende Wege im ganzen aus. Zuordnung durch praktische Konkordanz oder nach der hier vorgeschlagenen Konzeption: dogmatische Grenzbestimmung auf Grund materiell verstandener, die Einheit der Verfassung als Interpretationsprinzip einbeziehender Systematik, die den durch rechtsstaatlich stabilisierende Dogmatik umschriebenen Geltungsgehalt der fraglichen Grundrechte und/oder sonstigen Verfassungsnormen als normative Grundlage des Rechtsfalls erarbeitet, kann das gemäß der Struktur aller Rechtsauslegung und Rechtsanwendung nur in konkretisierendindividualisierender Vermittlung der sachgeprägten allgemeinen Rechtsnorm mit dem Einzelfall tun, also durch die Konkretisierung zur „Entscheidungsnorm"19. Demzufolge kann nicht etwa die Würde „des" Menschen in abstracto, sondern nijr die Menschenwürde eines bestimmten von der Ausübung eines anderen Grundrechts Betroffenen 20 diese Grundrechtsaktualisierung begrenzen. Das kann beispielsweise für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG bei einer offenkundig würdeverletzenden Darstellung eines andern in einem Werk der bildenden Kunst oder der Literatur praktisch werden 21 . Auch hier wird es aus den genannten Gründen nicht möglich sein, abstrakt aus Art. 1 Abs. 1 GG für alle möglichen Kollisionsfälle das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu begrenzen. Neben anderen Verfassungsnormen kommt auch für die wechselseitige Begrenzung von Verfassungsvorschriften der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Sinn eines bei der dogmatischen Grenzbestimmung interpretativ zu berücksichtigenden Übermaßverbots zum Zug. Dieses Prinzip kann im Einzelfall divergierende materielle Kriterien aus den Norm19 F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, 26 ff., 116 f., 196 ff., 201, 208 u. ö. 20 Wie i n BVerfGE 12.1 ff. 21 Der Bundesgerichtshof k o m m t i m U r t e i l v o m 20. 3. 1968 — I ZR 44/66 — (Mephisto-Klaus Mann) allein auf die „immanente Begrenzung" der K u n s t freiheit durch das nach seiner Auffassung i n A r t . 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich garantierte Persönlichkeitsrecht zurück. Da es sich dabei u m das Ergebnis einer konkret angestellten gerichtlichen „Güterabwägung" handelt, ist die Ausdrucksweise von der „immanenten" Begrenzung nach der hier vertretenen Sicht mißverständlich — (JZ 1968. 697).
III. Begrenzung von Grundrechts- und anderen Verfassungsnormen
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bereichen der beteiligten Grundrechte zur Verfügung stellen. So wird es einen erheblichen Unterschied machen, ob wegen der Begrenzung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG durch Art. 1 Abs. 1 GG im Ergebnis das Kunstwerk vernichtet oder ob nur seine Verbreitung unterbunden, ob der Künstler strafrechtlich belangt oder für schadensersatzpflichtig erklärt werden soll. Gerade „innerhalb" des Geltungsgehalts der beteiligten Grundrechte sind die dogmatischen Abstufungen zu erarbeiten, die eine Rationalisierung derartiger Entscheidungen statt eines Rückfalls in irrationale Abwägungstechnik ermöglichen sollen. 3. Möglichkeiten
der Rationalisierung
Was praktische Konkordanz zu leisten hat, wenn sie nicht im Umkreis der Wertabwägungen stehen bleiben will, versucht die hier vorgeschlagene dogmatisch fundierte Grenzbestimmung: die über den Einzelfall und seine Individualität hinausreichende Differenzierung verschieden intensiver Schutzzonen innerhalb der grundrechtlichen Reichweite, die Unterscheidung verschiedener Schutzrichtungen, verschiedener Schutzgesichtspunkte (wie: Anknüpfungsmöglichkeit an eine Grundrechtsaktualisierung, zulässige und unzulässige Maßstäbe für die Grundrechtsaktualisierung, zulässige und unzulässige Sanktionen gegen von demselben oder von anderen Grundrechten Geschütztes als Rechtsfolge einer Grundrechtsaktualisierung), typischer Kollisionslagen zwischen bestimmten systematisch zusammengehörigen oder voneinander selbständigen Grundrechten, Differenzierungen im Anschluß an sachliche Parallelen und Divergenzen in den Normbereichen der am Fall beteiligten Verfassungsnormen und ähnliches. Wird die Fragestellung methodisch und dogmatisch in solcher Art aufgefächert, wird sich auch die Rolle des jeweils grundrechtszugehörigen Unter Verfassungsrechts genauer bestimmen lassen. Von dieser Bestimmung hängt vielfach die fallentscheidende Frage ab, wieweit grundrechtszugehörige Gesetzesvorschriften nicht nur den Geltungsgehalt „ihres" Grundrechts eingreifend, verdeutlichend oder modifizierend beeinflussen, sondern auch, inwieweit sie Grenzen des Geltungsgehalts des kollidierenden Grundrechts markieren können. Der Gesetzgeber stellt sowohl für das systematisch einschlägige Grundrecht als auch für mit diesem kollidierende oder konkurrierende andere Grundrechte unter Umständen „nur deklaratorisch bereits gezogene Grenzen fest" 22 , soweit er durch die Verfassung selbst gezogene Grenzen grundrechtlicher Freiheit nicht einengt. Doch beginnt die Problematik erst im Anschluß an diese Feststellung; eine Problematik, die von einem formaltechnischen Grundrechtsver11
So allgemein Hesse, Grundzüge, 124.
4 Müller, Grundrechte
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
ständnis her gesehen überall dort zu einem non liquet führen muß, wo die Verfassung nicht schon selbst die positivrechtlichen Linien etwa in Gestalt von Gesetzesvorbehalten oder Spezialregelungen gezogen hat. Was darüber hinausgeht, und das sind zahlreiche Fälle der Verfassungspraxis, wird für eine solche Sicht in verschleierter Irrationalität enden. Das hier entwickelte Verständnis dagegen verschreibt sich auch nicht einer „materialen Verfassungstheorie" im Sinn der erörterten Lehren naturrechtlicher, material-allgemeiner oder ganzheitlich-metaphysischer Art. Es will die Grenzen möglicher rationaler und rational diskutierbarer Verfassungsdogmatik durch Einbeziehung der Normbereiche und durch Berücksichtigung der bisher entwickelten und der noch zu entwickelnden Differenzierungsaspekte weiter hinausschieben, als das nach dem bisherigen Stand von Verfassungsinterpretation und Verfassungslehre möglich erscheint. Die formalen Entscheidungen der Verfassung, die vom Verfassungsgesetz selbst angeordneten Differenzierungen, wie etwa die Abstufung und verschiedene Ausstattung der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte, werden ohne Abstrich und ohne metapositive „Ergänzungen" oder Umdeutungen beim Wort genommen. Es ist dies eine auf maximale Berechenbarkeit und Durchsichtigkeit der Normanwendung zielende Dogmatik, die am sachlichen Gehalt der Grundrechtsnormen (wie überhaupt der Verfassungs- und der Hechtsnormen im allgemeinen) nicht vorbeisieht. Der Hangunterschied zwischen Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht wird bei solchem Vorgehen voll berücksichtigt. Die hier herausgestellten Gesichtspunkte differenzierter Fragestellung lassen diesen Rangunterschied vielfach schärfer konturieren als eine auf die rationalisierende Wirkung der Normbereichsanalyse verzichtende formalistische oder undifferenziert „materiale" Auffassung. Bei Überschneidung der Geltungsgehalte, also bei (partiellem) Widerspruch zwischen einem Grundrecht und dem ihm zugehörigen beziehungsweise dem systematisch einem konkurrierenden oder kollidierenden anderen Grundrecht zugeordneten Unterverfassungsrecht kommt das Prinzip praktischer Konkordanz einschließlich des Übermaßverbots zuungunsten des erstgenannten Grundrechts zum Beispiel dann nicht zum Zug, wenn die Gesetzesnormen nicht als das zweite Grundrecht lediglich verdeutlichende, also dessen Geltungsgehalt repräsentierende Regelungen erweisbar sind. Das Verhältnis kann im übrigen noch durch die Fragestellung überlagert werden, ob die beteiligten Grundrechte systematisch miteinander in Verbindung stehen oder nicht 23 . So kann sich aus Grundrechtsverbindungen eine Verstärkung grundrechtlichen Schutzes durch Grundsätze ergeben, die ihrerseits in aller Regel nur zum Teil grundrechtlich abgesichert sind und die nicht wie selbständige 23
Hierzu Rüfner, Der Staat 1968, 41 ff., bes. 47 f., 53 f., 61.
III. Begrenzung von Grundrechts- und anderen Verfassungsnormen
51
Grundrechtsnormen behandelt werden können 24 . Einschränkungen grundrechtlichen Geltungsgehalts können sich sowohl beim Zusammentreffen systematisch verbundener Grundrechte (etwa: Meinungsfreiheit/ Vereins- und Versammlungsfreiheit) wie auch unverbundener Garantien herausstellen. Das letztgenannte kann dann der Fall sein, wenn die Konfrontation der Grundrechte in ihrer dogmatischen Abgrenzung verdeutlicht, daß der Normbereich des einen Grundrechts in Wahrheit nicht bis zur vermuteten Kontaktstelle mit dem anderen reicht, daß also das dem geläufigen Ausdruck nach „zurücktretende" Grundrecht den Fall nicht regiert. 4. Konkurrenzen
und Kollisionen
Solche Tatbestandsabgrenzung ist eine bisher nicht immer ernst genug genommene Voraussetzung für die Behandlung der übrig bleibenden wirklichen Grundrechtskonkurrenzen und -kollisionen 25 . Was die Schranken sich überschneidender, also mehrere durch einen einheitlichen Lebensvorgang gleichzeitig aktualisierter Grundrechte betrifft, so sollen die wegen Inanspruchnahme eines zweiten Grundrechts möglichen zusätzlichen Beschränkungen vom ersten Grundrecht aus wie „allgemeine Gesetze" zu behandeln sein, also „in der Regel" hingenommen werden müssen26. So sei im Sinn systematischer Gewährleistungsschranken ein Naturwissenschaftler bei der Arbeit mit gefährlichen Anlagen an das Nachbarrecht, an das Baurecht und andere Schranken des Eigentums gebunden. Der Künstler könne dem Gewerberecht unterstehen, die religiöse Presse sei den technischen Vorschriften des Presserechts unterworfen. Die „allgemeinen Gesetze" aus den Bereichen von Art. 12 und 14 GG berührten nicht die Substanz der in Art. 4 und 5 GG garantierten geistigen Freiheiten. Nach der hier entwickelten Sicht sind solche Schlußfolgerungen allein aus der Tatsache der Kombination systematisch einander zugeordneter Grundrechte nicht allgemein ableitbar. Vielmehr muß die Frage, ob ein den Geltungsgehalt von Art. 12 oder 14 GG nicht einschränkendes Ge14 Rüfner, ebd. (Anm. 23), 52, 61; zum folgenden vgl. ebd., 47 f., 53 f. Z u r Möglichkeit, mehrere durch eine Handlung gleichzeitig aktualisierte G r u n d rechte dann ohne Einschränkung nebeneinander zu verwirklichen, w e n n sie ohne sachlich-systematischen Zusammenhang sind, vgl. auch B V e r w G E 25.318. 328 f. (zu A r t . 5 Abs. 3 u n d Abs. 1 bei Spielfilmen unter Aufgabe von B V e r w G E 1.303.305); vgl. aber auch Lerche, Werbung u n d Verfassung, 103, gegen bloße A d d i t i o n und Substraktion von Schranken der beteiligten G r u n d rechte. 25 Die Bedeutung der Tatbestandsabgrenzung w i r d zu Recht hervorgehoben bei Berg, 77, 83 f.; vgl. auch ebd., 49 ff. 26 Rüfner, Der Staat 1968, 41 ff., 58 f.; ebd. zu den folgenden Beispielen, m i t Hinweis auf v. Mangoldt-Klein, A n m . X 6 b zu A r t . 5 G G ; Erbel, 133 f.
4·
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
setz unter Umständen durch Art. 4 oder 5 GG spezifisch Geschütztes verkürzt, von diesen letztgenannten Grundrechten aus beurteilt werden. Für die genannten Beispiele des Naturwissenschaftlers, des gewerberechtlich behandelten Künstlers und der religiösen Presse wird eine solche Verkürzung von Art. 4 und 5 im allgemeinen zu verneinen sein. Es handelt sich jedoch insofern nicht um ein Problem von Grundrechtsschranken, als das eine Grundrecht mit den Beschränkungsmöglichkeiten des zugleich aktualisierten anderen Grundrechts nicht aktuell kollidiert. So gut aber „verdeckte Spezialgesetze"27 die Ausübung des sachlich mit ihnen zusammenhängenden Grundrechts auf verschleierte Weise im praktischen Ergebnis beschneiden können, so gut ist das für ihre objektive Auswirkung auf konkurrierend ausgeübte Grundrechte möglich. Auch in diesen Fällen lassen sich die verfassungsrechtlichen Maßstäbe nur vom sachlichen Geltungsgehalt der fraglichen Garantie her entwickeln. Sobald der Inhalt religiöser oder künstlerischer Schriften durch Anwendung presse- oder gewerberechtlicher Normen beeinflußt werden soll, handelt es sich nicht mehr um zulässige Schrankensystematik. Das braucht aber nicht nur dann der Fall zu sein, wenn der „Kernbereich" des fraglichen Grundrechts verletzt wird 2 8 . Es ist in den vorliegenden Beispielen immer dann der Fall, wenn das dem konkurrierenden (oder im übrigen auch das dem eigenen) Grundrecht zugehörige Unterverfassungsrecht grundrechtlich spezifisch Geschütztes verkürzt, da Art. 5 Abs. 3 Satz 1 wie auch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vorbehaltlos garantiert sind. Das Fehlen von Gesetzesvorbehalten oder deren normative Ausstattung bleibt ein entscheidender Faktor der verfassungsrechtlichen Beurteilung. So läßt sich als allgemeine Hegel der Satz aufstellen, bei Konkurrenzen schrankendivergenter Grundrechte habe „die freiheitlichere Bestimmung gegenüber der eingeschränkteren den Vorrang" 29 , seien 27
Dieser Ausdruck bei Bettermann, JZ 1964, 603; vgl. auch Rüfner, ebd. (Anm. 26) 59 f., dort auch zum folgenden Beispiel m. Nw.en. 28 So Rüfner, ebd. (Anm. 27), 59 f., 60 f. 29 Vgl. Berg, 80 f., 82, 85 f., 92, 96 f., 167 f., wo dieses Ergebnis auf eine „ v o m Grundgesetz beabsichtigte Wertrangordnung" (92), auf ein durch die Abstufung der nach dem GG möglichen Grundrechtsbeschränkungen ausgedrücktes „Wertsystem" zurückgeführt w i r d , dessen M i t t e l p u n k t das i m Sinn der „Persönlichkeitskerntheorie" verstandene Entfaltungsrecht bilde. Vgl. auch die Beispiele ebd., 152, anhand derer A r t . 4 Abs. 2 oder A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG für einen Geistlichen oder Künstler zugleich als „die gesetzliche Regelung der Berufsausübimg" i. S. von A r t . 12 Abs. 1 Satz 2 GG bezeichnet werden. Diese K o n s t r u k t i o n ist wegen der sachlich-normativen Spezialität von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 u n d A r t . 4 Abs. 2 GG gegenüber A r t . 12 Abs. 1 i n dem hier betroffenen Normbereich nicht notwendig. Siehe auch das Beispiel ebd., 155, zur Konkurrenz von A r t . 5 Abs. 3 Satz 1, A r t . 5 Abs. 1, 12 Abs. 1 u n d A r t . 14 GG. — Berg schwächt seine dogmatischen Einsichten zur K o n kurrenz schrankendivergenter Freiheitsrechte nach der hier entwickelten Auffassung durch die These der Geltung der Schrankentrias des A r t . 2 Abs. 1 GG für alle Grundrechte i m Sinn der „Persönlichkeitskerntheorie". — I n der
III. Begrenzung von Grundrechts- und anderen Verfassungsnormen
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also die weitergehenden Beschränkungsmöglichkeiten auf das gleichzeitig aktualisierte weniger einschränkbare oder vorbehaltlos garantierte Grundrecht nicht anwendbar. Das gilt aber ohne zusätzliche dogmatische Konstruktionen etwa im Sinn der „Ausfüllung" des Gesetzesvorbehalts des einen Grundrechts durch das andere 80 schon wegen der sachlich begründeten normativen Spezialität der konkurrierenden Grundrechte untereinander. Soweit etwa das Ausstellen von Kunstwerken durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG spezifisch geschützt ist, soweit es als ein nach der Ausdrucksweise des Bundesgerichtshofs „dem Wesen der Kunst entsprechender Gebrauch" angesehen werden muß, kann die Ausstellung auch nicht als „Berufsausübungsregelung" i. S. von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG gerechtfertigt werden. Enthält die Verfassung dagegen keine Anordnung im Sinn der Spezialität oder keine sonstige Vorzugsregelung, so ist bei der Begrenzung von Verfassungsnormen untereinander die hier vorgeschlagene dogmatische Grenzbestimmung der beteiligten Geltungsgehalte unter Einbeziehung der betreffenden Normbereiche zu treffen. Soweit Überschneidungen der Normbereiche bei gleichzeitig gegenläufiger Regelung durch die Normprogramme, soweit also im Ergebnis (partielle) Widersprüche bestehen bleiben, kommt das Verfahren praktischer Konkordanz zum Zug. Es ist aber nur auf eine Weise anzuwenden, die vorhandene normative Rangunterschiede berücksichtigt. „Abstriche" an beiden Rechtspositionen unter der Zielvorstellung der Optimierung beider und unter dem Verbot des Übermaßes von Grundrechtsverkürzungen sind also nur zwischen Verfassungsnormen untereinander und zwischen mit Gesetzesvorbehalt garantierten Grundrechten und ihnen zugeordneten, vom Gesetzesvorbehalt formal und materiell gedeckten Vorbehaltsgesetzen zulässig. Nicht aber ist eine Vermischung beider Geltungsebenen etwa durch die Vorstellung einer die Formalien der Freiheitsgarantien übergehenden durchgängigen „Wechselwirkung" zwischen Grundrechten und grundrechtseinschränkenden Unterverfassungsrecht erlaubt. Bei normativem Widerspruch in solchen Fällen gilt, soweit die Überschneidung der Normbereiche und damit der Normwiderspruch reicht, das Grundrecht, nicht das grundrechtsverkürzende Gesetz. Dieses stellt, so gesehen, eine verfassungsrechtlich nicht gestützte Einschränkungsanmaßung dar, ein „Vorbehaltsgesetz ohne Gesetzesvorbehalt". Nicht nur Güterabwägung, sondern auch das größere methodische Klarheit und stärkere Rationalität der Konkretisierung ermöglichende Verfahren praktischer Konkordanz ist in solchen Fällen ohne normative Legitimation. Wo es zulässig ist, ersetzt es die Güterabwägung aber wohl auf der ganzen Linie. Auch hier vertretenen Richtung schon Lerche, Übermaß, 128: n u r der weniger eingreifenden Schranken. 30 So aber Berg, 152; zum folgenden Beispiel ebd., 154.
Anwendbarkeit
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
konstruierte Extremfälle 31 sind mit der Verhältnismäßigkeit als dem Maßstab der beidseitigen Optimierung der beteiligten Normen eindeutig lösbar, ohne daß etwa der „Wert" des Lebens (ohne Zweifel „höher" zu bewerten, falls es überhaupt zu einer „Abwägung" kommen müßte) dem „Wert" von Kunst gegenübergestellt zu werden braucht. Ferner ist die Wesensgehaltssperre, vom Normbereich her sachlich-normativ zu bestimmen, ein solcher inhaltlicher und genügend konkretisierbarer Maßstab, der auch in Extremfällen rationale Kriterien liefert. 5. Wertung und „Ranghierarchie" Dabei sind Wertungen schon innerhalb der vom Normprogramm aus gesteuerten Normbereichsanalyse nicht zu umgehen. Sie sind aber nur Mittel der Auswahl und Anordnung sachgeprägter Kriterien, die der Struktur des Normbereichs zu entnehmen sind. Nicht länger sind sie „Stoff" und „Instrument" zugleich, sind sie die alleinige Grundlage der Herausarbeitung des grundrechtlichen „Kernbereichs", der Lösung von Kollisionen oder der Festlegung einer (begrenzten) „Ranghierarchie" 32 unter den Grundrechten. Eine solche „Ranghierarchie" ist nicht ontologisch überzubeanspruchen. Sie wird sich als ein Totalität nicht erreichchendes Nebenergebnis der jeweils einzeln zu entwickelnden Bereichsdogmatik der Freiheitsgarantien und der Typik möglicher Kollisionsund Konkurrenzlagen darstellen. Solche dogmatische Bestimmung wird sich auch für die „Grenzziehung" 33 zwischen dem „verstärkten Schutzbereich der Grundrechte" und den unterverfassungsrechtlichen Normen als leitend erweisen, die entweder „außerhalb dieses Bereiches liegen", grundrechtsspezifisch Geschütztes im Sinn der hier entwickelten Auffassung also nicht verkürzen, oder die „sich mit dem Geltungsbereich des Grundrechts überschneiden", die also unter voller Berücksichtigung des Rangunterschieds zwischen Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht sowie der abgestuften Gesetzesvorbehalte und anderer Maßstäbe des Verfassungsgesetzes in ihrer dogmatischen Relation zum Grundrecht 81 So etwa der i n der L i t e r a t u r zur Kunstfreiheit auftauchende, nach dem ein Bühnenautor aus nicht widerleglicher künstlerischer Notwendigkeit einen „echten M o r d " auf der Bühne verlangt. — Angesichts der i n jüngerer Zeit über die Entstehung des Jacopetti-Films „Africa A d d i o " verbreiteten I n formationen rücken Ungeheuerlichkeiten dieser A r t aus dem Bereich des Konstruierten i n das von einer demokratischen Öffentlichkeit ohne sonderliche Mühe verkrafteten „business as usual". — Es könnte für die Bühne vielleicht an die Manie eines Shakespeare-Regisseurs gedacht werden, die Forderung des Shylock allzu wörtlich zu nehmen u n d auf diese Weise einen Zusammenstoß von A r t . 2 Abs. 2 Satz 1 u n d A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG herbeizuführen (falls, was wenig praktische Wahrscheinlichkeit hat, die künstlerische Notwendigkeit w i r k l i c h dargetan würde). Ä Vgl. Scheuner, W D S t R L 22 (1965), 54 f., 55. 33 Ebd. (Anm. 32), 55; ebd. die folgend zitierten Wendungen.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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zu bestimmen sind. Interpretationsgrundsätze wie jene der Einheit der Verfassung oder der praktischen Konkordanz wirken, wenn auch ohne Normqualität, als Hindernisse für rechtsblind extensive, „isolierende" Grundrechtsauslegung auf die dogmatische Grenzziehung ein. I V . Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien — Gesetzesvorbehalte und Vorbehaltsgesetze
1. Vorbehaltlos
verbürgte
Grundrechte
Die Tatsache vorbehaltloser Garantie der Art. 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 3 Satz 1, 6 Abs. 1, 8 Abs. 1, 17 GG (für Art. 8 Abs. 1 und Art. 17 unbeschadet des Art. 17 a GG) bildet ebenso wie die Abstufung der positi vierten Gesetzes vorbehalte einen stets festzuhaltenden Ansatzpunkt der Grundrechtsdogmatik. Ein ohne Vorbehalt gewährleistetes Grundrecht darf weder durch Gesetz noch auf Grund eines solchen beschränkt werden, wie es auch in der Wortfassung von Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG anklingt. Ist ein Gesetzesvorbehalt vorhanden, müssen sich einschränkende Gesetze nicht nur an die Gebote und Verbote des Art. 19 Abs. 1 und Abs. 2 sowie an die übrigen in Frage kommenden Verfassungsvorschriften halten, sondern auch den (unter Umständen qualifizierten) Voraussetzungen des sie tragenden Vorbehalts genügen. Ist kein Vorbehalt positiviert, so kann er durch allgemeine metapositive oder überpositive Erwägungen nicht ersetzt werden. Weder die Exekutive noch die Rechtsprechung noch auch mangels Vorbehalts die Gesetzgebung dürfen dann das Grundrecht begrenzen 84. Es hat insofern „bei den durch die Verfassung selbst gezogenen Grenzen" 85 sein Bewenden. Einem formaltechnischen Grundrechtsverständnis müssen sich von diesem Punkt an konkrete Maßstäbe entziehen. Für eine Sicht, welche die Grundrechte als sachgeprägte Verbürgungen von der Verfassung anerkannter Normbereiche betrachtet, heißt das zunächst: Weder durch Gesetz noch auf Grund Gesetzes dürfen grundrechtlich spezifisch geschützte Materien von diesem Schutz ganz oder zum Teil ausgenommen werden. Das Grundrecht ist schrankenlos gewährt; das bedeutet nicht, sein Geltungsgehalt sei unbegrenzt. Schon verfassungsstrukturell unterscheidet sich das aus der Freiheitsgarantie sich ergebende Vor-Recht vom Privileg. Entscheidend steht der Unbegrenztheit einer Gewährleistung vor allem die sachliche Begrenztheit ihres Normbereichs entgegen. In einzelnen 84 Bei Begrenzungen bzw. Eingriffen „auf Grund" Gesetzes muß der Gesetzgeber selbst die Voraussetzungen für die Grundrechtsverkürzung genau genug bestimmen, was sich schon aus der F u n k t i o n der entsprechenden V o r behalte ergibt. I n BVerfGE 6.32.42; 8.71.76 w i r d dieses Ergebnis rechtsstaatlich begründet. 85 Hesse, Grundzüge, 125.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
Fällen normiert das Normprogramm zusätzliche sachliche Verengungen des als frei garantierten Normbereichs, so wenn es in Art. 8 Abs. 1 GG nur „friedliche" Versammlungen „ohne Waffen" aus dem weiteren Sachbereich „Versammlungen" heraushebt und als eingeschränkten Normbereich deutlich macht. „Schranken", also etwa Regelungs-, Ausgestaltungs- oder Eingriffsvorbehalte der Gewährleistung beizufügen, ist eine zusätzliche Möglichkeit der Eingrenzung grundrechtlicher Geltungsgehalte, von welcher der Verfassunggeber nur zum Teil und nur in differenzierender Form Gebrauch gemacht hat. Die erkennbare Formulierung des Verfassungsgesetzes ist auch im Umkreis dieser Fragestellung als äußerste Grenze zulässiger Verfassungsinterpretation anzusehen se . 2. Normative Abgrenzung statt „Vorrang"behauptung Die Grenzen des materialen Geltungsgehalts können für jedes Grundrecht, sei es vorbehaltlos oder mit Vorbehalt gewährleistet, mit Hilfe einer normativ gesteuerten Normbereichsanalyse entwickelt werden. Diese fragt danach, was die Freiheitsgewährleistung angesichts allgemein feststellbarer empirischer Struktureigentümlichkeiten des grundrechtlichen Normbereichs normativ aussagen kann. Wo die sachliche Reichweite des Normbereichs endet (oder wo sie durch die Formulierung des Normprogramms zusätzlich beschränkt wird wie in Art. 8 Abs. 1 GG), endet das vom Grundrecht sachspezifisch Geschützte, endet sein Geltungsgehalt. Wo diese sachlich-normative, diese allein mit Recht als „immanent" zu bezeichnende Grenze dadurch verdeutlicht wird, daß eine andere Rechtsnorm den fraglichen Fall regiert, wo also eine Scheinkollision bzw. eine Scheinkonkurrenz von Grundrecht und Gesetzesvorschrift dazu veranlaßt, die Grenze des Geltungsgehalts zu bestimmen, geschieht das nicht kraft der Gesetzesnorm. Es verhält sich nicht so, daß das Grundrecht „zurückzutreten" habe und daß der gesetzlichen Vorschrift der „Vorrang" gebühre; nicht so, daß der vom Gesetz geschützte „Wert" als „höherrangig", der grundrechtlich geschützte als „niederrangig" erwiesen worden wäre. Der wegen Diebstahls des Materials bestrafte Holzbildhauer muß nicht mit seinem Grundrecht auf künstlerisches Schaffen aus Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG vor der „vorrangigen" oder „höherwertigen" Strafrechtsvorschrift zurückweichen. Vielmehr ist zwar § 242 StGB, nicht aber das Grundrecht auf den strafrechtlichen Anknüpfungspunkt, die Diebstahlshandlung, anwendbar. Der M Z u dieser F u n k t i o n des Gesetzeswortlauts: F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, v. a. 155 ff., 158 ff.; Hesse, Grundzüge, 30 f. — Sachliche Begrenzungen des an sich weiter reichenden Normbereichs durch den Wortlaut des Normprogramms finden sich auch i n Garantien m i t Vorbehalt: so i n A r t . 4 Abs. 3 Satz 1 u n d A r t . 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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Diebstahl des Materials steht nur in Zusammenhang mit einer grundrechtsspezifisch geschützten Handlung, ist selbst aber keine solche. Die strafrechtliche Problematik hat dazu angeregt, die sachlich-normative Grenze des grundrechtlichen Geltungsgehalts an dieser Stelle der Rechtsordnung zu verdeutlichen; nicht aber hat die Strafrechtsnorm das Grundrecht „begrenzt", „eingeschränkt" oder in dieses „eingegriffen". Die bisherige Diskussion in Rechtsprechung und Literatur hat derart verschiedene, gerade in ihrer normativen Grundlage differierende Fallgestaltungen vielfach vermischt und aus solcher Vermischung nicht selten unrichtige und zudem verallgemeinernde dogmatische Schlußfolgerungen gezogen. Dabei ist es einleuchtend, daß die Erarbeitung grundrechtlicher Geltungsgehalte ihren Ansatzpunkt in aller Regel an möglichen Konfliktspunkten mit der Rechtsordnung findet; nicht aber ist damit schon irgendeine dogmatische Festlegung verbunden. Allerdings kann vielleicht nur eine Sicht der Grundrechte als von ihren Normbereichen her sachgeprägter Garantien die detaillierten Kriterien zur Verfügung stellen, die von solchen Grenzlinien aus weiter fragen, statt wie ein formalistisches Grundrechtsverständnis an ihnen zu enden. Damit wird auch die genauere Unterscheidung normativ verschieden gelagerter Falltypen im Sinn wirklicher, d. h. normativ begründeter, oder nur scheinbarer Kollisionen und Konkurrenzen möglich. 3. Verfehltheit
pauschaler Grenzbestimmungen
Zugleich zeigt sich bereits an dieser Stelle, daß Bestimmungen „des" Strafrechts oder „des" Zivilrechts im allgemeinen als genereller Grenzen der Grundrechte von einer unrichtigen Fragestellung ausgehen. Ob überhaupt eine Überschneidung der Geltungsgehalte vorliegt oder nicht und was im bejahenden Fall angesichts der vorbehaltlosen oder mit (einfachem oder qualifiziertem) Gesetzesvorbehalt positivierten Freiheitsgarantie daraus zu folgen hat, läßt sich nur für jedes einzelne Grundrecht und innerhalb von dessen Bereichsdogmatik wiederum nur für jede einzelne der als (Schein-)Kollisionspunkte in Frage kommenden zivil-, straf- und öffentlichrechtlichen Normen beantworten. Die Grundrechtsdogmatik mag dadurch zunächst komplizierter und jedenfalls stärker aufgefächert werden als bisher, dafür aber auch mehr nach den praktischen Fallgestaltungen als nach theoretisch nur zu glaubenden oder nicht zu glaubenden Vorgriffen differenziert und vor allem rational durchsichtiger als bei den bisherigen material-generellen Begrenzungs- und Wesensgehaltspostulaten. Zugleich würde die Möglichkeit jedes Mißverständnisses der Grundrechte als der („allgemeinen") Rechtsordnung pauschal unterworfener bzw. als aus ihr pauschal eximierter Verbürgungen entfallen. Der Strukturunterschied zur Privilegienordnung wird anhand der sachspezifischen Differenzierung von Gel-
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
tungsgehalten, Begrenzungen, Eingriffen, Ausgestaltungen, subjektiven Berechtigungen und objektiven Normwirkungen, sachlich legitimierenden partiellen Freistellungen und Vor-Rechten in der freiheitlichen Verfassungsordnung offenkundig. Die grundrechtliche Bereichsdogmatik erarbeitet für die einzelnen Garantien den materiellen Geltungsgehalt, den Wesensgehalt, inhaltliche Kriterien für formale Prinzipien wie das Übermaß verbot, für das Verfahren praktischer Konkordanz; ferner die Kriterien der Abgrenzung von Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht innerhalb des grundrechtlichen Normbereichs, Fallgestaltungen von (scheinbarer) Drittwirkung und schließlich die Reichweite grundrechtlicher Geltung. Diese ist in aller Regel anhand praktischer Kollisions- und Konkurrenzfälle und damit anhand von Kollisions- und Konkurrenznormen der (Verfassungs-)Rechtsordnung einsichtig zu machen, weil für praktische Fallösung zu ermitteln. Die Struktur dieser Dogmatik ist für alle Grundrechte dieselbe. 4. Zur Maßstäblichkeit
von Gesetzesvorbehalten
Vorbehaltlos garantierte Grundrechte bieten für sie grundsätzlich keine größeren Schwierigkeiten als solche mit Vorbehalt. Vorbehalte liefern zusätzliche Eingriffs-, Regelungs- und Ausgestaltungsmöglichkeiten und damit zusätzliche dogmatische Gesichtspunkte. Bei den Grundrechten mit Vorbehalt stellen sich die Abgrenzungsfragen des Geltungsgehalts für solche Gesetze in gleicher Weise wie bei vorbehaltlos garantierten Freiheiten, die nicht auf Grund des Vorbehalts gezielt ergehen, aber als der Intention nach neutrale, als vielfach so genannte „allgemeine" Gesetze gleichwohl in scheinbare oder echte Kollision oder Konkurrenz mit dem Grundrecht geraten können. Schon allein wegen Art. 19 Abs. 1 GG müssen solche Unterscheidungen gemacht werden. Weist ein Grundrecht einen Vorbehalt auf, dann sind deshalb noch nicht alle seinen Geltungsgehalt im Ergebnis verkürzenden Gesetze gerechtfertigt. Bei qualifizierten Vorbehalten sind die gesteigerten Anforderungen deutlich. Aber auch bei einfachen Vorbehalten muß das Maß des Zulässigen nach ihrer Natur als Regelungs-, Ausgestaltungs- oder Eingriffsvorbehalten differenziert beurteilt und muß unterschieden werden, ob es sich bei dem fraglichen Gesetz um ein solches handelt, das unter Ausnutzung des Vorbehalts, in seinem normativen Rahmen und mit der von ihm eröffneten Eingriffs-, Regelungs- oder Ausgestaltungsintention ergangen ist» oder um ein seiner Intention nach für das Grundrecht in keiner Richtung erhebliches Gesetz, das gleichwohl in praxi das Grundrecht berührt und dessen Beziehung zu diesem deshalb dogmatisch geklärt werden muß. Dieselbe Norm kann — je nach Struktur und Reichweite des sachspezifisch als „frei" garantierten Normbereichs — für das eine Grundrecht auch im Ergebnis neutral, für ein zweites ein dessen Ge-
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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setzesvorbehalt ausnutzendes Eingriffs-, Regelungs- oder Ausgestaltungsgesetz sein; für ein drittes seiner Intention nach neutral, im praktischen Ergebnis jedoch den Geltungsgehalt verkürzend. Je nach diesem sachlichen Ausgangspunkt der Dogmatik unterscheidet sich die weitere Beurteilung nach dem Ob und gegebenenfalls dem Wie positivierter Gesetzesvorbehalte. 5. Dogmatische Grundbedeutung von Gesetzesvorbehalten Vorbehaltsgrundrechte weisen wie die vorbehaltlos garantierten sachspezifische Grenzen ihrer normativen Reichweite auf. Rechtsnormen, die sich mit dieser „Reichweite" nicht „überschneiden", entfalten ihre Wirkung, ohne daß der Fall zum Grundrechtsfall würde. I m Sinn der einen Deutung des umstrittenen Begriffs „allgemeine Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG ist diese Begrenzung für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG in Gestalt eines Grenzvorbehalts besonders positiviert worden. Vorbehaltsgrundrechte können darüber hinaus durch Gesetze, die den Vorbehalt ausnützen und sich in seinem normativen Rahmen halten, gezielt in ihrer vom Normbereich her bestimmten Reichweite verkürzt werden. Diese Gesetze müssen dabei einer Reihe anderer Verfassungsnormen, vor allem denen des Art. 19 Abs. 1 und 2 GG, genügen, die hier nicht zu erörtern sind. Bei vorbehaltlos garantierten Freiheiten ist das nicht möglich. Verkürzungen ihres Geltungsgehalts sind nur durch positivrechtliche Anordnung der Verfassung wie etwa in den Fällen gegenseitiger Begrenzung (partiell) widerstreitender Verfassungsnormen zu rechtfertigen. Eine allgemeine verfassungstheoretische Legitimierung am Verfassungsganzen oder eine irrationale „Ableitung" aus dem Verfassungsganzen genügen nicht. Das Eingefügtsein der Grundrechte in die Rechtsordnung ist kein „Vorbehalt"; auch vom „Vorbehalt der Rechtsqualität" der Garantien ist in diesem Sinn nunmehr nicht mehr zu sprechen. Grenz- und Inhaltsbestimmung fallen bei diesem Typ dogmatischer Klarstellung ineins. Die Richtung der Klarstellung hat nicht länger von den (formalen oder allgemeinen) „Schranken" oder „Grenzen" her zu erfolgen, sondern stützt sich auf die aus dem Normbereich sachspezifisch entwickelte Reichweite der grundrechtlichen Verbürgung. Die Rechtsordnung gilt nicht, „obwohl" die Grundrechte gelten. Vielmehr sind die Grundrechte als Rechte schlicht Bestandteile dieser Rechtsordnung. Sie weisen — wie auch alle unterverfassungsrechtlichen Bestimmungen mit Ausnahme der wenigen echten Generalklauseln — eine sachlich begrenzte Reichweite auf, „jenseits" derer sie auf praktische Fälle aus dogmatischen Gründen — nicht aus solchen des „Vorrangs", der „Abwägung" und so fort — nicht mehr anwendbar sind. Von den Grundrechten her gesehen, wäre daher auch die Rede von einer sachlich-normativ begrenzten, also jeweils nur partiellen „Exem-
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
tion" aus der Rechtsordnung noch ungenau. Überschneiden sich unterverfassungsrechtliche Vorschriften in der Reichweite ihrer Normierung mit der eines Grundrechts, so ist ein Kollisionsfall gegeben, der wegen des Rangunterschieds der Vorschriften zugunsten des Grundrechts zu entscheiden ist. Etwas anderes gilt dann, wenn das Gesetz sich im Rahmen eines gerade für dieses Grundrecht in der Verfassung positivierten Vorbehalts rechtfertigen kann. Für seinen begrenzten Bereich ebnet der Vorbehalt sozusagen den formalen Rangunterschied von Grundrecht und grundrechtsbegrenzendem Gesetz ein. 6. Nur formale, nicht materiellrechtliche
„Höherrangigkeit"
Überall dort, wo das nicht der Fall ist oder wo das Grundrecht ohnehin vorbehaltlos garantiert wird, „siegt" das Grundrecht in Fällen echter Überschneidung und Kollision auf Grund seines formal höheren Ranges; nicht deshalb, weil es als Grundrecht materiell „höherrangig" oder „vorrangig" wäre. Die Rechtsordnung kann das Ergebnis materieller Vorrangigkeit oder Höherrangigkeit auf dem Weg formaler Normierung erreichen. Das gilt auch für den „harten Kern" der Verfassung, der in Art. 79 Abs. 3 GG fixiert ist. Die Rechtsordnung kann keine ontologisch aussagekräftigen Entscheidungen fällen. Soll eine politisch, moralisch oder unter sonstigen Gesichtspunkten materiell als höherwertig betrachtete Rechtsposition wie etwa die grundrechtlichen Normbereiche vom positiven Recht entsprechend stärker geschützt, wirksamer anerkannt werden, so kann das nur auf dem Weg formaler Höherstellung, formalen Schutzes, formaler Unantastbarkeitsbestimmung gesichert werden. Über einen materiell-rechtlich höheren Rang ist damit nichts gesagt. I m verfaßten Rechtsstaat sind eindeutige positivrechtliche Linien nicht mit der wenn auch noch so zutreffenden Feststellung überspielbar und ignorierbar, politisch, moralisch und so fort sei die Höherrangigkeit bestimmter Sachkomplexe evident und an rechtliche Formulierung nicht gebunden. Das bedeutet keine Trennung oder Entgegensetzung von „Recht und Moral", „Recht und Politik" oder gar von „Sein und Sollen". I m Gegenteil weist die normative Differenzierung nach Normprogramm und Normbereich einschließlich der in ihrer Folge zu treffenden weiteren hermeneutischen, methodischen und dogmatischen Unterscheidungen auf die Sachgeprägtheit allen Rechts und auf den normativen Charakter des Normbereichs nachdrücklicher hin als existentialistische, „geisteswissenschaftliche", soziologistische oder auf andere Weise „materiale" Allgemeintheorien, denen wegen der Unreflektiertheit ihrer Normvorstellung die dem Ordnenden wie dem Geordneten gerecht werdende Balance zwischen „Recht und Wirklichkeit" nicht gelingen will 8 7 . Doch läßt 87
Hierzu grundsätzlich: F. Müller, Kap. I bis V I I I .
N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, bes.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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die vorgeschlagene Sicht auch der Formalität positiven Rechts, einem im Rechtsstaat stets verbindlichen Entscheidungsfaktor, was ihrer ist. Da ein diesen hermeneutischen Ansatz nicht berücksichtigender Formalismus sein juristisches Ungenügen nicht verbergen kann, ist für anti-formalistische Denkrichtungen die Versuchung noch immer übermächtig gewesen, dieses Ungenügen durch Rückgriff auf pauschale inhaltliche Bezugspunkte zu „überwinden", das geschriebene (Verfassungs-)Gesetz im Namen solcher Materialität nicht mehr voll beim Wort zu nehmen. Beide Haltungen werden der Aufgabe, Bedeutung und Wirksamkeit einer Verfassung nicht gerecht. In Rechtspraxis und Rechtslehre drückt sich dieser Sachverhalt oft genug durch Resignation vor der „Unbestimmtheit" verfassungsrechtlicher Normen, durch deren voreiliges Übergehen mit Hilfe nicht-positiver „Prinzipien" und in beiden Spielarten durch die Entwicklungsbedürftigkeit konkretisierender wie begrenzt generalisierender VerfassungsdogmatiJc aus. 7. Kein Generalvorbehalt
der „allgemeinen Gesetze"
Solche Dogmatik ist normgebundene Dogmatik. Ohne die systematischen Bezüge der Auslegung zu verkürzen, setzt sie zur Bestimmung des Normgehalts bei der betreffenden Norm, zur Bestimmung der Grenzen eines Grundrechts bei diesem Grundrecht an. Eine daran anschließende „zusammenstimmende Verfassungsauslegung" 88 wird dem systematischen topos mehr sachliche Kriterien zur Verfügung stellen können, als das bei vorschnellem Rückgriff auf allgemeine Prinzipien vor einer die Norm rational ausschöpfenden Interpretation der Einzelvorschrift möglich ist. Demgemäß stehen die Grundrechte weder pauschal unter dem Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze"39, noch könnten — diese Voraussetzung arbeitshypothetisch dennoch gemacht — die „allgemeinen Gesetze" unter Absehung von den Geltungsgehalten der Grundrechte definiert werden. Eine seit der Weimarer Zeit vertretene Auffassung 40 sieht in ihnen in materialer Deutung Rechtsgüterschutznormen „von so allgemeiner Geltung, daß sie auch das in Frage stehende Grundrecht begrenzen". In dem Wort „allgemein" spiegele sich „die materiale Allgemeinheit der Verfassung". Der Charakter dieser Deutung als petitio principii bestätigt sich dort, wo die „allgemeinen Gesetze" als Gesetze bezeichnet werden, „die von der Verfassung gegenüber dem betreffenden Grundrecht als gleich- oder höherwertig ausgewiesen" seien. Wäre 38
I m hier vertretenen Sinn auch Scheuner, W D S t R L 22 (1965), z . B . 54. Häberle, 32. 40 Smendy Das Recht der freien Meinungsäußerung, i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 89 ff., bes. 96 ff.; Kaufmann, W D S t R L 4.77.81 f.; Häberle, 32; ebd. die folgenden Wendungen. 89
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
eine derartige Rangordnung vom Grundgesetz positiviert, dann bedürfte es nicht eines solchen pauschalen Generalvorbehalts. Da sie es nicht ist, kann der Generalvorbehalt ebensowenig wie der formale Vorschlag einer Güterabwägungstechnik fehlende Vorzugsregelungen, Abstufungen und Vorbehalte der Verfassung ersetzen. Paradoxerweise liegt auch diesem nach seinem Selbstverständnis materialen Denken ein formalistisches Grundrechtsverständnis zugrunde. Nicht die einzelnen Normen werden material, d. h. von ihrem kraft der Sachstruktur ihrer Normbereiche als sachgeprägt-normativ zu entwickelnden Geltungsgehalt her verstanden. Material ist nur der Rückgriff auf das Verfassungsganze, auf die Totalität eines wie auch immer zu bestimmenden, jedenfalls aber nicht nachweisbar positivierten verfassungsrechtlichen „Wertsystems". Da diese Art von Materialität nicht konkret gedacht ist, kann sie ebenso gut als formal bezeichnet werden. Das wird für die Ausformungen des Güterabwägungsprinzips und des Generalvorbehalts der allgemeinen Gesetze auch eingeräumt 41. Insofern etwa in der Bestimmung der Grundrechtsgrenzen nicht von den Geltungsgehalten der einzelnen Garantien ausgegangen, sondern bei Generalhypothesen angesetzt wird, bleibt das Verfahren auch in seiner Durchführung formal, das heißt aber hier: zum Teil unter Übergehen der Normativität und Positivität geltenden Verfassungsrechts entwickelt. Die nicht näher konkretisierten und ohne Einschluß der Normbereichsanalyse wohl auch nicht zu konkretisierenden grundrechtlichen „Leitbilder" 42 bleiben ohne Kontur. Die Grundrechte werden in ihrem ganzen Umfang einschließlich ihres Wesensgehalts mit Gesetzesrecht und mit den von diesem geschützten „Rechtsgütern" aufgefüllt 48 . Die Strafgesetze beispielsweise sollen im Wesensgehalt der Grundrechte „mitgedacht" sein 44 — wiederum ohne Differenzierung nach den sachgeprägten Gehalten der Einzelgarantien, deren Verhältnis zu strafrechtlichen Normen, wie bereits kurz dargelegt, dogmatisch stark differiert. Wird so die Funktion der Gesetzgebung im Grundrechtsbereich vordringlich in der Verwirklichung der „Freiheit als Institut" 45 gesehen, so ist verständlich, daß die fehlende verfassungsrechtliche Grundlage solcher Positionen verfassungsethisch ersetzt werden soll 46 . 41
Häberle, 32 f. « Häberle, z. B. 182. » ebd., 60 f. 44 ebd, 61. 45 ebd., 184; s.a. ebd., 184f., 185. 48 Vgl. bei Häberle etwa 25: die „ v o m Strafgesetzgeber normierten F r e i heitsgrenzen" als Ausdruck sittlicher Freiheit; 26: das Strafrecht „als Konsequenz der grundrechtlichen Freiheit", Hervorhebung i m Original; als G r u n d bestimmung für das „System des Grundgesetzes" ebd., 27, schließlich die Aussage, i n i h m sei „der Bürger sittlich an Staat u n d Recht gebunden". — Bei aller gebührenden Berücksichtigung materialer Gehalte i m Rahmen der
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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Solche Grundlegung kann eigene Dignität haben; doch läßt sie das der Verfassungsinterpretation Mögliche und Erlaubte hinter sich. Die Überwältigung des Verfassungsrechts durch Staatsethik und Verfassungstheorie ist für die auf praktische Probleme hinauslaufende Dogmatik des Grundgesetzes kein gangbarer Weg. Sie stellt im übrigen auch die normative Begründbarkeit einer Verfassungstheorie in Frage, soweit diese bei aller Möglichkeit historischer und systematischer Typisierung in erster Linie der Verwirklichung und dem vertieften Verständnis einer geltenden Verfassung dienen will. Deren normative Kraft und die Möglichkeiten ihrer Interpretation und Dogmatik werden entscheidend unterschätzt, wenn von Ansätzen verschiedener und eingangs in der Frage genereller Grundrechtsbegrenzung erörterter Richtung zum dogmatisch-normativen Ausgangspunkt nicht die fragliche Verfassungs(Grundrechts-)Norm, sondern in inhaltlich generalisierendem, verfassungsrechtlich nicht gestütztem Vorgriff sogleich eine Pauschalhypothese gewählt wird. Es ist einzuräumen, daß die Begrenztheit formalistischer Konzeption zu solchem Vorgehen veranlaßt, solange nicht der Schlüssel zur Rationalisierung normativer Geltungsgehalte in den Normen und ihrer positivrechtlichen Gestalt selbst gesucht wird. Dafür sind die hermeneutische Differenzierung von Normbereich und Normprogramm, die Einsicht in die normative Qualität des Normbereichs und die Unterscheidung weiterer methodischer und dogmatischer Aspekte im Anschluß an diesen Ausgangspunkt nicht zu entbehren. 8. Grundrechtlicher Normbereich und grundrechtsbezogene Gesetzgebung So ist es in diesem Zusammenhang von Nutzen, an die Unterscheidung rechtserzeugter und (partiell) nicht-rechtserzeugter Normbereiche zu erinnern 47 . Es trifft zu, daß eine Reihe von Grundrechten des Schutzes und der Ausgestaltung durch die Legislative bedarf, um sozial wirksam zu werden. Das gilt etwa für das Ehe- und Familienrecht, das Vereinsrecht, das Tarifvertragsrecht in bezug auf Art. 6 Abs. 1 bis 4, Art. 9 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3 GG 4 8 . Insoweit umschreiben die Gesetzesvorbehalte in der Tat „nur einen Teil der gesetzgeberischen Aktivität im Bereiche von Freiheit und Eigentum" 49 . Sehr fraglich ist aber, ob daraus die Ergänzungsbedürftigkeit der Gesetzesvorbehalte gefolgert werden kann. FragNormbereiche muß es f ü r verfassungsrechtliche Erörterung i m positivrechtlich verfaßten u n d konstituierten Rechtsstaat auf die rechtliche Bindung des Bürgers an Staat u n d Recht ankommen. 47 F. Müller, N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, ζ. B. 132 ff., 137 ff., 142 ff., 163 ff., 184 ff., 214 f. 48 So Häberle, 193 f. 49 Ebd., 194; ebd., 193 die i m folgenden zitierte Wendung.
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
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lieh ist bereits die Aussage, wegen dieses festgestellten Sachverhalts ermächtige die Verfassung „stillschweigend zur Ausgestaltung von Grundrechten". Solange eine Verkürzung des grundrechtsspezifisch geschützten Normbereichs nicht stattfindet, hält sich die Gesetzgebung — auch die im Effekt die Grundrechtsausübung sichernde und schützende, die insofern „ausgestaltende" — „außerhalb dieses Bereichs" 50. Solange ist eine verfassungsrechtliche Ermächtigung zur Gesetzgebung nicht erforderlich. Wird dagegen der Normbereich eingeschränkt, kann das nur durch einen entsprechenden Gesetzesvorbehalt gerechtfertigt werden. Stillschweigende Ausgestaltungsvorbehalte in diesem Sinn sind überflüssig. Stillschweigende Eingriffs- oder den Eingriff implizierende Regelungsvorbehalte dürfen nicht unterstellt werden. Die entscheidende Differenz zwischen diesen Gruppen ist wiederum nicht „von außen" — jedes, auch das materiale Denken kommt „von außen", sofern es nicht den rationalisierten Geltungsgehalt der fraglichen Einzelgarantie zum Ausgangspunkt und Maßstab der Dogmatik macht —, sondern allein von der Dogmatik des Einzelgrundrechts her zu begründen. Eine Gesetzesvorschrift, die einen Künstler mit Sanktionen belegt, falls er malt, bedarf eines entsprechenden Gesetzesvorbehalts, um die Chance der Verfassungsmäßigkeit zu haben (von Art. 19 Abs. 2 GG an dieser Stelle einmal abgesehen); eine Vorschrift, die das tut, falls er auf der Straßenkreuzung malt, bedarf seiner nicht. Nur im ersten Fall wird eine grundrechtsspezifisch geschützte Aktionsform verkürzt. Das Beispiel ist einfach gewählt. Doch ist das hinter ihm stehende Differenzierungsprinzip als Aufgabe umfassend formulierbar. Die Aufgabe besteht in der Entwicklung der auf jedes Einzelgrundrecht zugeschnittenen Bereichsdogmatik. Übrigens hat auch dieses einfache Beispiel seine konstruktiven Tücken, wie die Literatur zur Kunstfreiheit belegt 51 . Die Gesetzesvorbehalte umschreiben nach dem Gesagten die gesamte gesetzgeberische Aktivität grundrechtsverkürzender Art. Sie sind durch (geschriebenes oder ungeschriebenes) Nichtverfassungsrecht nicht ergänzbar. Für nicht-grundrechtseinschränkende Gesetze sind sie nicht einschlägig. Das gilt auch dann, wenn durch solche Gesetze grundrechtlich geschützte Tätigkeiten oder Sachkomplexe von der einfachen Rechtsordnung her gesichert oder mit zusätzlichen Aktionsalternativen versehen werden. Nicht ein im Grund formales, weil nicht normativ-konkretes Grundrechtsverständnis im Verein mit einer materialen, weil 50
So der Ausdruck bei Scheuner, W D S t R L 22.55. So löst Erbel den F a l l durch eine — liberal zu handhabende — Einschränkung der Kunstfreiheitsgarantie auf G r u n d der polizeilichen Generalermächtigung u n d zieht auch i n Erwägung, „ob i n gewissem Umfang ein Gewohnheitsrecht" auf solche Tätigkeit bestehe, 161. Das Ergebnis ist vernünftig u n d billigenswert, doch bleibt die dogmatisch-konstruktive Begründung noch zu wenig geklärt. 51
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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vom Ganzen der Verfassung her verfassungstheoretisch aufgefüllten Sicht der Gesetzesvorbehalte löst die praktischen Probleme rational sondern ein materiales Verständnis der Grundrechte in Verbindung mit einem „formalen" (weil sie als Eingriffsermächtigungen behandelnden) der Gesetzesvorbehalte. 9. Grundrechts,,ausgestaltung"
und Grundrechtseingriff
Bei den genannten Beispielen der „Ausgestaltungsbedürftigkeit" der Art. 6 Abs. 1 bis 4, 9 Abs. 1 und 3 GG ist ferner zu beachten, daß sie über weitgehend rechtserzeugte bzw. rechtlich bereits durchgeformte Normbereiche verfügen. Die Verfassung muß in gewissem Umfang nicht nur auf überlieferte Hechtsbegriffe zurückgreifen, sondern vor allem auch bestehende rechtliche Regelungen voraussetzen. Dennoch sind die Grundrechte nicht wie novellierende Spezialgesetze, nicht wie technische Änderungen des bis zum Inkrafttreten der Verfassung geltenden Gesetzesrechts aufzufassen 62. Ehe- und Familienrecht, Vereinsrecht und Tarifvertragsrecht sind insoweit von den genannten Grundrechten vorausgesetzt worden, was als Rezeption eines weitgehend rechtserzeugten Normbereichs nicht mit einer Eingriffsermächtigung de futuro identisch ist. Nur Eingriffe, also auch: nur die gewährleisteten Freiheiten im Ergebnis einschränkende Gesetzesänderungen bedürfen einer Ermächtigimg in Form eines Gesetzesvorbehalts. Ausgestaltungen ohne solche Einschränkung bedürfen ihrer nicht. Der Schluß auf eine generelle Ergänzungsfähigkeit der grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte im Sinn von Eingriffsvorbehalten kann auch unter diesem Aspekt, von der Figur der Ausgestaltungs„vorbehalte" her, nicht gezogen werden. Auch abgesehen von der dogmatischen Unterscheidung von Vorbehalten zu Grundrechtseingriffen (wie zu eingreifenden „Regelungen") und Ausgestaltungs„vorbehalten" (bezüglich den Normbereich nicht einschränkender Regelungen, deren Bezeichnung als „Ausgestaltung" wegen der „immanenten" Tönung dieser Ausdrucksweise unzutreffend die Nähe zum „Eingriff" suggerieren mag), läßt sich die festgestellte Eigenart der Art. 6 Abs. 1 bis 4, 9 Abs. 1 und 3 GG wie auch verwandter Verbürgungen weder in Fragen der Normbereichsstruktur noch in solM Vgl. Smend, W D S t R L 4 (1928), 45 ff.; auch i n : Staatsrechtliche A b h a n d lungen, 89 ff., bes. 94 u n d ff. I m Sinn des hier vertretenen Ansatzpunktes ebd., 94, die K r i t i k , die E r m i t t l u n g der A u s w i r k u n g der Grundrechte auf die beteiligten Einzelrechtsgebiete leide darunter, „daß i h r primärer Gehalt an sich nicht genügend erarbeitet" w i r d . Vgl. auch Scheuner, W D S t R L 22 (1965), 34ff.; ebd., 35, zum „ A u f r u h e n der Verfassung auf der Gesetzesbasis", A n m . 99; 36 f. zu Recht die Forderung, „die von der Verfassung aufgestellten Maßstäbe u n d Richtungsweisungen sollten nicht i n zu großer Nähe zum bisherigen Recht entwickelt werden, w o dies die Verfassung selbst nicht erkennbar i m Sinne hat".
5 Müller, Grundrechte
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
chen der Funktion grundrechtsbezogener Gesetzgebung verallgemeinern. Die genannten Garantien gewährleisten traditionell rechtlich begründete und durchformte Normbereiche. Art. 6 Abs. 1 zum Beispiel verbürgt weder in seinen subjektiven noch in seinen objektiven Komponenten das Konkubinat, sondern allein „Ehe und Familie". Demgegenüber gibt es grundrechtliche Normbereiche, die weder rechtserzeugt noch traditionell rechtlich durchformt, zum Teil rechtlich auch nicht durchformbar sind: so Art. 5 Abs. 1 Satz 1 mit der verhältnismäßig diffusen allgemeinen Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit, der nur der Grenz„vorbehalt" des Art. 5 Abs. 2 GG beigefügt wird; Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 1, die weder in der Formulierung ihrer Gewährleistungen 53 noch über Art. 17a und 18 GG mit Einschränkungsmöglichkeiten versehen sind — eine (negative) Normierung, die in der Tat „vom Grundgesetz selbst" getroffen wurde. Diese verfassungsrechtliche Normierung und ihr Verhältnis zu der anderer (Vorbehalts-) Grundrechte ist das letzte Wort auf der Suche nach Maßstäben für ihr Verhältnis zur Rechtsordnung und für Einschränkungsmöglichkeiten (mit Ausnahme solcher durch andere Verfassungsvorschriften). In diesem letztgenannten Fall sind von der Verfassung eindeutig anerkannte, erkennbar normierte Schutzgüter einander so zuzuordnen, daß nicht im Sinn einer „Wert-" oder „Güterabwägung" allein das eine von ihnen auf Kosten der andern realisiert wird, sondern daß dank verhältnismäßiger Grenzziehung jedes von ihnen „optimal" verwirklicht werden kann 54 . Zwischen Normen von Verfassungsrang und Unterverfassungsrang ist solche „praktische Konkordanz" nicht möglich; es sei denn, die Gesetzesnorm entspräche einem grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt, der das formale verfassungsgesetzliche Mittel eines partiellen „Rangausgleichs" zwischen Grundrecht und grundrechtsbezogener Gesetzgebung darstellt. Auch unter Verfassungsnormen kann darüber hinaus verhältnismäßige Zuordnung in diesem Sinn der allseitigen Optimierung positivrechtlich, so durch Spezialregelungen der Verfassung selbst, abgeschnitten sein55. Bei positivrechtlichen Vorbehalten ist schließlich zwischen Ermächtigungen zur Ausgestaltung und solchen zur Einschränkung der Grundrechte (mit Zwischenformen in den Regelungs vorbehalten des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 und 14 Abs. 1 Satz 2 GG) im oben genannten Sinn scharf zu unterscheiden. Soweit „Regelungen" dabei (auch) eingreifende Wirkung haben, sind sie als Eingriffe zu beurteilen. Die Regelungsvorbe55
153 f.
Z u r Treueklausel des A r t . 5 Abs. 3 Satz 2 GG siehe Hesse, Grundzüge,
54 Hierzu unter dem Gesichtspunkt praktischer Konkordanz: Hesse, G r u n d züge, ζ. B. 28 f. 55 Vgl. als Beispiel die Entscheidungen BVerfGE 19.135.138; JZ 1968, 521.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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halte decken insoweit allerdings auch „regelnde" Eingriffe, deren zulässiger Umfang anhand des sachlichen Geltungsgehalts der Garantie zu messen ist. Für Regelungsvorbehalte wie auch für nur „umschreibende", verdeutlichende, nachformulierende Aktivität des Gesetzgebers hat das Bundesverfassungsgericht die normative Bindung an das betroffene Grundrecht und dessen aus seinem sachlichen Geltungsgehalt zu ermittelnde maßstäbliche Kraft mit dankenswerter Deutlichkeit herausgestellt 56 . Auch die Zuordnung grund-(verfassungs-)rechtlich gewährleisteter Normbereiche untereinander oder verfassungsrechtlich und unterverfassungsrechtlich garantierter Normbereiche im Dienst der „Herstellung und Erhaltung eines Ordnungszusammenhangs, in dem sowohl die grundrechtlichen Freiheiten als auch jene anderen Rechtsgüter Wirklichkeit gewinnen" 57 , hat sich an der Maßstäblichkeit der unmittelbar geltenden Grundrechte zu orientieren. Bei der Verhältnismäßigkeit solcher Zuordnung 58 sind im hier entwickelten differenzierenden Sinn der Rangunterschied von Verfassungs- und Unterverfassungsrecht wie die positivrechtliche Gestalt der Vorbehalte voll in Rechnung zu stellen. 10. Zum Grenzvorbehalt
des Art 5 Abs. 2 GG
Daß Grundrechtsgarantien jeweils aus sich sachlich begrenzt sind, daß Grundrechtsausübung nicht im Sinn von Privilegierung aus der Rechtsordnung eximiert, kann nicht mit einem „Vorbehalt" der „allgemeinen Gesetze" i. S. von Art. 5 Abs. 2 GG gleichgestellt werden. Der Grenzvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG ist weder positivrechtlich noch verfassungstheoretisch einfach auf alle Grundrechte übertragbar. Nach dem Gesagten ist für den allgemeinen „Vorbehalt der Rechtsqualität" der Grundrechte die Bezeichnung „Vorbehalt" entbehrlich und mißverständlich. Ein Tun, das sich als Tatbestandserfüllung zivil- oder strafrechtlicher Vorschriften darstellt, verliert diese Eigenschaft noch nicht dadurch, auch als Grundrechtsausübung qualifiziert werden zu können. Problematisch ist zumeist erst die Frage nach den in Anbetracht des den Fall zugleich regierenden Grundrechts zulässigen Maßstäben und 56 BVerfGE 12.45.53. — Z u r Terminologie zutreffend Hesse, Grundzüge, 122 gegenBVerfGE 7.377.404 und BVerfGE 13.97.122: sowohl bei der Grundrechtseinschränkung als auch bei der Regelung handelt es sich „ u m die Zuordnung von grundrechtlich gewährleisteten Lebensverhältnissen m i t anderen Lebensverhältnissen" ; daher begrenzt nicht nur die Einschränkung, sondern auch die Regelung die Grundrechte „ v o n außen". 57 So die zusammenfassende Deutung von Aufgabe u n d Tragweite g r u n d rechtlicher Begrenzungen bei Hesse, Grundzüge, 125 ff., 126. 58 Hierzu etwa die Entscheidungen BVerfGE 2.266.280; 7.377.407; 9.338.346; 16.194.201 f.; 17.108.117 f.; 19.342.347 ff.; 20.45.49 ff.; 20.144.147 ff.; 21.150.155; vgl. ferner i n ähnlichem Zusammenhang z.B. BVerfGE 15.288.295; 7.377.404; 12.45.53.
5·
68
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
Rechtsfolgen. So kann Grundrechtsausübung die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend oder zivil- bzw. strafrechtliche Ehrenschutznormen tatbestandsmäßig treffen. Ob aber die aus diesen Vorschriften folgenden oder die nach andern Normen des Jugendschutzrechts bzw. des Strafrechts möglichen Sanktionen gegen den (in Grundrechtsausübung) Handelnden zulässig sind oder nicht, kann nicht pauschal für alle Grundrechte beantwortet werden. Es hängt davon ab, ob sich die Sanktion als Eingriff in dieses (oder in ein anderes — aber mit dem Anknüpfungspunkt einer von dem ersten Grundrecht geschützten Handlungsform) Grundrecht darstellt oder nicht; und ob dieser Eingriff gegebenenfalls von einem positiven Gesetzesvorbehalt gedeckt wird und auch im übrigen nicht gegen Verfassungsrecht (z. B. Art. 19 Abs. 1 und 2 GG, Übermaßverbot) verstößt. Als „allgemeine Gesetze" im Sinn einer allgemeinen Grenzbestimmung für Grundrechtsausübung außerhalb von Art. 5 Abs. 1 GG sind Jugendschutz- und Ehrenschutznormen nicht anzuerkennen. Wie im übrigen die „allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG zu verstehen sein sollen 59 , ist hier nicht Thema. Nach der hier dargelegten Ansicht ist das eine Frage der speziellen Dogmatik der Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG; sie kann wiederum nicht generell für alle Grundrechte untersucht werden. Für die Meinungsfreiheit sind nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 60 im Anschluß an eine während der Weimarer Zeit entwickelte Lehre allein jene Gesetze „allgemein", die sich nicht gegen das durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit geschützte Rechtsgut als solches richten. Die geistige Wirkung der Meinungsäußerung und mit ihr die umgreifende Freiheit des geistigen Prozesses von Meinungsaustausch und Meinungsbildung dürfen nicht gezielt durch Gesetz beeinträchtigt werden. Unter dem Grundgesetz ist die Bedeutung der Grenzformel der „allgemeinen Gesetze" aus Aufgabe und Funktion des Grundrechts in der verfassungsmäßigen Ordnung 61 zu erschließen. Ob im Einzelfall ein derartiges „allgemeines" oder ein nicht „allgemeines" Gesetz vorliegt, kann erst dann gesagt werden, wenn die Möglichkeit eines gezielten Eingriffs in den durch Art. 5 Abs. 1 GG (Meinungsfreiheit) geschützten Normbereich untersucht wurde. Auch die Frage der „Allgemeinheit" des Gesetzes im geM Nachweis der hierzu vertretenen Ansichten z.B. bei Smend, W D S t R L 4 (1928), 51 ff.; auch i n : Staatsrechtliche Abhandlungen, 89 ff., 96ff.; Häntzschei, HdBDStR I I , 659 f.; Lerche, DVB1. 1961, 694; Schule, i n : Schule, H. Huber, Persönlichkeitsschutz u n d Pressefreiheit, 28 ff.; Bettermann, J Z 1964, 610; Scheuner, W D S t R L 22 (1965), 80 ff.; Schnur, ebd., 121 ff.; Arndt, J Z 1965, 337, 340. eo BVerfGE 7.198.209 ff.; i m Anschluß an Häntzschel, HdBDStR I I (1932), 659 f. u n d Ridder, GR I I (1954), 282. So jetzt auch Hesse, Grundzüge, 152. 61 So auch Hesse, ebd. (Anm. 60).
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
69
nannten Sinn ist damit konkret nur von der Eigenart des Normbereichs zu beurteilen. Wird die sachliche Struktur der Garantie nicht in den Vordergrund gestellt, dann ist konkret nicht zu sagen, wann sich das Gesetz gegen die Meinungsfreiheit wendet und wann nicht. Daß eine entsprechende Intention vom Gesetzgeber direkt ausgesprochen wird, ist nicht das entscheidende Kriterium. Nach dem Gesagten kann dieselbe Gesetzesnorm für das eine der in Art. 5 Abs. 1 garantierten Grundrechte ein nicht in spezifisch Geschütztes eingreifendes, somit ein „allgemeines" Gesetz sein; für ein anderes des Axt. 5 Abs. 1 aber ein verfassungswidriges, weil eingreifendes Gesetz. Die Grenzen sind dogmatisch herauszuarbeiten. Es ist bedenklich, die Entscheidung mit dem Bundesverfassungsgericht 62 einer Güterabwägung zwischen dem Recht auf Meinungsfreiheit und dem kollidierenden Rechtsgut im Einzelfall zu überantworten. Die gegen „Urteilsvorbehalte" und gegen punktuelle Abwägung entwickelten Argumente treffen auch hier zu. Werden aber die Grenzen dogmatisch entwickelt, so hat das auch im Rahmen des Art. 5 Abs. 1 GG für die dort gewährleisteten Grundrechte zunächst einzeln (bei im Anschluß daran gebührender Berücksichtigung ihrer systematischen Zusammenhänge) zu geschehen. Für Grundrechte außerhalb des Art. 5 Abs. 1 ist Art. 5 Abs. 2 GG nicht verbindlich. Die Ehrschutz- und Jugendschutzbestimmungen in Art. 5 Abs. 2 GG können nach dem Gesagten nicht als für alle Grundrechte geltende Grenzvorbehalte angesehen werden. Für die „allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG gilt dasselbe. Bedeuten sie etwas anderes (und weiter gehendes) als den „Vorbehalt" der Rechtsqualität der Grundrechte, als die Einsicht in die sachliche Begrenztheit jeder Garantie von der Begrenztheit ihres Normbereichs her, dann handelt es sich in der Tat um einen speziellen Vorbehalt für die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 G G selbständig neben dem Grenzvorbehalt der Jugendschutz- und Ehrenschutzbestimmungen. Handelt es sich aber bei den „allgemeinen Gesetzen" in Art. 5 Abs. 2 um nichts anderes als um eine Formulierung dieser Einsicht, dann ist die Klausel des Art. 5 Abs. 2 GG insoweit nur deklaratorisch, da diese innere sachliche Begrenztheit allen Grundrechten, so auch denen des Art. 5 Abs. 1 GG, eignet. 11. Zur sachlichen Bestimmung „allgemeiner Gesetze" i. S. von Art 5 Abs. 2 GG Die Bedeutung der Formel ist entweder nicht konstitutiv und damit für die vorliegende Problematik nicht interessant; oder sie ist sachlich konstitutiv, dann aber als Frage einer speziellen Dogmatik der Grund« I n BVerfGE 7.198, v. a. 210 f., 212; BVerfGE 7.230.234 ff. Siehe ferner ζ. B. wieder BVerfGE 19.73.74: Die von den zuständigen Gerichten einwandfrei getroffene Feststellung eines Verstoßes gegen die Bestimmungen zum Schutz
70
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
rechte des Art. 5 Abs. 1 GG in diesem allgemeinen Zusammenhang nicht abschließend zu klären 63 . Insoweit allerdings der Grenzvorbehalt in Art. 5 Abs. 2 GG als „reflexiv" formuliert anzusehen ist und damit keinen allgemeinen Gesetzesvorbehalt materiell unbegrenzter Art enthält, folglich nicht zu Eingriffen in grundrechtlich geschützte Normbereiche, nicht zu Grundrechtseinschränkunigen i. S. von Art. 19 Abs. 1 Satz 1 GG ermächtigt 64 , ist schwer vorstellbar, daß die Formel der „allgemeinen Gesetze" in Art. 5 Abs. 2 GG einen konstitutiven Sinn für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG haben könne. Bei Annahme nur deklaratorischer Bedeutung der Grenze der „allgemeinen Gesetze" für die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 GG wäre diese Formel in der Auslegung der vom Bundesverfassungsgericht und der wohl überwiegenden Lehre übernommenen Meinung dahin, gemeint seien alle Gesetze, „die nicht die rein geistige Wirkung der reinen Meinungsäußerung inhibieren" 65 , nicht zureichend. Die Bestimmungen, allgemeine Gesetze seien solche, die „nicht eine Meinung als solche verbieten, die sich nicht gegen die Äußerung der Meinung als solche richten"; es seien Gesetze, die „dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen" und es handle sich um Normen, die nicht die „rein geistige Wirkung" der Meinungsäußerung behinderten 66 , sind nicht deckungsgleich. Ein Gesetz gegen die öffentliche Verbreitung bibelwidriger Anschauungen wäre gegen „eine Meinung als solche"* gegen ihre „rein geistige Wirkung" gerichtet — beides ist entsprechend dem hier vorgeschlagenen Ansatz vom Grundrecht und seiner spezifischen Schutzwirkung her gesehen. Es würde aber unter Umständen als „dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung zu schützenden Rechtsguts dienen", ohne daß vom Grundrecht her durchschlagende Einwände geltend gemacht werden könnten. Im zweiten Fall hat man sich nämlich bereits auf die Sicht eingelassen, die unter Absehung vom Geltungsgehalt der Freiheitsgarantie die Grundrechtsbegrenzungen von den kollidierenden anderen „Rechtsgütern" her bestimmen will. Es geht dann nur noch um die „materiale" Überzeugungskraft ihrer „Ableitung" aus bestimmten, ausdehnend interpretierten Verfassungsnormen, aus dem „Verfassungsganzen" oder aus der Ganzheit eines verfassungstheoretisch postulierten „Wertsystems". Die Beschneidung politischer Meinungsfreiheit beispielsweise hätte bei der persönlichen Ehre aktualisieren die verfassungsrechtliche Grenze der Meinungsfreiheit jeweils i m Einzelfall. — K r i t i s c h gegen dieses „Urteilsvorbehalt" schon Lerche, DVB1. 1958, 526 (Anm. 28); ders., Übermaß, 150. 6S Diese Frage w i r d i m Sinn des Textes offengelassen bei Rüfner, Der Staat 1968, 51 ff., 55 f. • 4 So zutreffend Lerche, Werbung u n d Verfassung, 99; vgl. auch Bettermann, J Z 1964, 610 ff. « z. B. Ridder t GR I I , 282; s. a. BVerfGE 7.198.210. ·· Vgl. die Zusammenstellung der Formeln i n BVerfGE 7.198.209 f.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
71
entsprechender politischer Lage nur dann die Chance scheinlegaler verfassungsrechtlicher Begründung, wenn der zweite Weg von der Materialität und der „höheren" Schutzwürdigkeit der kollidierenden Rechtsgüter oder „Werte" her gewählt wird. Wird der erste von der spezifischen Schutzgarantie aus eingeschlagen, so verschließt sich die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Entschuldigung der Beschränkung politischer Meinungsfreiheit. Strukturell ist die erste Variante der zu Art. 5 Abs. 2 GG überwiegend angenommenen Deutung der „allgemeinen Gesetze" plausibel. I m einzelnen befriedigt sie jedoch nicht durchweg. Eine Meinungsäußerung kann beleidigend sein und dennoch Meinungsäußerung bleiben. Die Beleidigung ist „rein geistige Wirkung". Hier könnte sich die Formel durch die Tatsache bestätigt finden, daß die Ehrschutznormen selbständig neben den „allgemeinen Gesetzen" in Art. 5 Abs. 2 aufgeführt sind. Wie steht es aber mit einer Meinungsäußerung, die zugleich mit der Stellungnahme und nicht etwa nur in äußerlichem Zusammenhang mit dieser ein Staatsgeheimnis preisgibt, oder mit einer anderen, die gleichzeitig den Tatbestand des § 166 StGB erfüllt? In beiden Fällen handelt es sich um Gesetze, die sich gegen „rein geistige Wirkungen" richten und an die Äußerung bestimmter Meinungen als solcher in ihrer rein geistigen Wirkung belastende Sanktionen knüpfen, also in das grundrechtlich Geschützte eingreifen. Mit dieser Frage soll nicht gesagt sein, daß sich nicht durch genauere Abgrenzung von Meinung als eigener Stellungnahme und Information, jedenfalls bei derartigen Kombinationen, das Problem des Geheimnisverrats dogmatisch hinreichend aufgliedern lasse und daß nicht durch entsprechend restriktive Tatbestandsauslegung des § 166 StGB eine den Sachgehalt der Aussage abtrennende Abgrenzung auffindbar sei. Es soll damit nur angedeutet werden, daß auch für die Grundrechte des Art. 5 Abs. 1 weitere dogmatische Anstrengungen zu machen sind; daß aber auf der anderen Seite dogmatische Differenzierungen ohne Rückfall in den bundesverfassungsgerichtlicher „Güterabwägung" entspringenden Urteilsvorbehalt getroffen werden können und mit Hilfe struktureller Untersuchungen der sachgeprägten Normbereiche stärker als bisher rationalisiert werden sollten. 12. Ermächtigung
zum
Grundrechtseingriff
Vorbehaltlos garantierte Grundrechte haben nur die Grenzen der sachlich-normativen Reichweite ihres Geltungsgehalts. Dieser ist durch Vermittlung der Strukturanalyse des Normbereichs mit dem grundrechtlichen Normprogramm dogmatisch zu entwickeln. „In" vorbehaltlos garantierte Grundrechte, d. h. in ihre sachspezifischen Normbereiche, darf weder durch Gesetz noch aufgrund Gesetzes verkürzend einge-
72
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
griffen werden. Dagegen darf in Vorbehaltsgrundrechte insoweit eingegriffen werden, als das den Normbereich verkürzende Vorbehaltsgesetz sich im normativen Rahmen des Gesetzesvorbehalts bewegt, die in ihm etwa enthaltenen qualifizierten Voraussetzungen erfüllt und nicht zugleich gegen sonstiges Verfassungsrecht wie Art. 3, Art. 80, Art. 19 Abs. 1 und 2 GG oder das Übermaßverbot verstößt. Gesetze, die grundrechtlich Geschütztes, grundrechtliche Normbereiche verkürzen, bedürfen bei Einhaltung aller übrigen Maßstäbe der Verfassung eines sie deckenden Eingriffsvorbehalts. Wegen der hier vorgetragenen Sicht der Grundrechte als sachgeprägter Garantien von formal höherem Geltungsrang und wegen der abstufenden positivrechtlichen Ausgestaltung der Gesetzesvorbehalte durch das Grundgesetz, das als „rigide" Verfassung unter hohen rechtsstaatlichen Rationalitätsanforderungen konkretisiert werden muß, kommt es in diesem Zusammenhang nur auf die Meßbarkeit und Legitimierbarkeit von Grundrechtseingriffen an. Soweit durch einen Regelungs-, Ausgestaltungs- bzw. Inhaltsbestimmungsvorbehalt auf dem Weg über die Vorbehaltsgesetzgebung zugleich in grundrechtlich geschützte Normbereiche eingegriffen wird, sind die Vorbehalte wie die sich auf sie stützenden Vorbehaltsgesetze unter dem Aspekt des Eingriffs zu behandeln. Die Termini „Ausgestaltungs-", „Inhaltsbestimmungs"- und „Regelungsvorbehalt" werden hier nur für Fälle ohne Grundrechtseingriff verwendet, die durch einen positivrechtlichen Vorbehalt nicht abgesichert zu sein brauchen. Sofern ein (Vorbehalts-)Gesetz nicht eingreift, bedarf es keines Vorbehalts zur Rechtfertigung seiner Verfassungsmäßigkeit. Die entsprechenden Rechtsfälle sind keine Grundrechtsfälle. Insoweit andererseits ein Gesetzesvorbehalt generell nicht zu Grundrechtseingriffen ermächtigen sollte, wie unter Umständen der Grenzvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG bezüglich der „allgemeinen Gesetze", wäre er rein deklaratorisch. Dier hier gemeinten Gesetzesvorbehalte im Sinn von Eingriffsermächtigungen sind im Grundgesetz abschließend und inhaltlich erschöpfend positiviert. Sie sind durch Hypothesen ungeschriebener Eingriffsunterlagen weder ergänzbar noch ersetzbar. Eingriffsvorbehalte eines Grundrechts sind auf andere Grundrechte nicht übertragbar. Das gilt auch für die sogenannte Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG. Für die Frage, ob ein Eingriff vorliegt, ist die Bereichsdogmatik des betreffenden Grundrechts heranzuziehen. Sie bleibt der entscheidende Bezugspunkt auch für die andere Frage, ob ein Gesetz als (eingreifendes) Vorbehaltsgesetz anzusehen ist oder nicht. 13. Sachliche Bestimmung eingreifender
Vorbehaltsgesetze
Die der Formulierung des Gesetzes oder den Gesetzesmaterialien zu entnehmende Intention des Gesetzgebers allein reicht für dieses Urteil
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
73
nicht aus. Ein Gesetz, das jedes Malen von Bildern auf Straßenkreuzungen verbieten würde, wäre subjektiv-intentional gegen eine Tätigkeit im Umkreis der Kunstfreiheit, beim entsprechenden Verbot von Meinungsäußerungen auf Straßenkreuzungen gegen eine solche im Bereich der Meinungsäußerungsfreiheit gerichtet. I n beiden Fällen würden jedoch spezifische Aktionsmöglichkeiten der Normbereiche von Art. 5 Abs. 1 bzw. 3 Satz 1 GG nicht beschränkt. I n beiden Fällen wäre die Rechtfertigung durch einen Gesetzesvorbehalt nicht erforderlich. Ein Fall wird erst dann zum Grundrechtsfall, wenn ein Gesetz oder ein Hoheitsakt aufgrund Gesetzes grundrechtlich geschützte Normbereiche spezifisch verkürzt. Der Geltungsgehalt des Grundrechts reicht nur so weit, wie er reicht. Die Feststellung ist banal, aber praktisch brauchbar. Sie ist für die Grundrechtsdogmatik wie für die Lehren von der Grundrechtsbegrenzung bisher nicht hinreichend fruchtbar gemacht worden, weil das überkommen realitätsfeindliche Normverständnis es nicht zuließ, den aus dem Sachbereich mittels des Normprogramms herauszuhebenden Normbereich als normatives Element anzuerkennen; weil dementsprechend die Ergebnisse einer empirischen, unideologisch-banalen strukturellen Untersuchung der grundrechtlich geschützten Normbereiche nicht i n die Interpretation der Garantienormen eingeführt werden konnten. Eine die Normbereichsanalyse umfassende Grundrechtsauslegung und -dogmatik stellt jedoch genügend materielle Kriterien zur Verfügung, um in Verbindung mit den verfassungsrechtlich positivierten Vorbehalten, Spezialregelungen, Vorzugsregeln und materiellen Sperrklauseln einschließlich der sonst einschlägigen grundgesetzlichen Maßstäbe den Geltungsgehalt eines Grundrechts rational zu konkretisieren. Wird der Geltungsgehalt eines Grundrechts von einem Gesetz verkürzt, so kann es nicht darauf ankommen, ob diese Zielrichtung der Intention des Gesetzgebers entnehmbar ist oder nicht. Die Grundrechte schützen gegen die Einschränkung ihrer Normbereiche, nicht nur gegen intentional auf solche Einschränkung gerichtete Gesetze (oder Staatsakte aufgrund Gesetzes). Intendiert ein Gesetz Grundrechtseingriffe, dann ist es — abgesehen von seiner sonstigen Verfassungsmäßigkeit — an Art. 19 Abs. 1 Satz 2 G G zu messen. Fehlt die Angabe des eingeschränkten Grundrechts, ist das Gesetz verfassungswidrig. Diese Formvorschrift will den Gesetzgeber unter dem Grundgesetz dazu zwingen, sich über die Einführung neuer Eingriffsmöglichkeiten Rechenschaft abzulegen und solche Einschränkungen im Interesse der Normenklarheit und praktischen Wirksamkeit der nicht unversehens auszuhöhlenden Grundrechte deutlich zu machen·7. Fehlt die Erfüllung dieser Formvor^ Vgl. BVerfGE 2.12.122 f.; 5.13.16; 15.288.293; 16.194.199 f. Vgl. BVerfGE 10.89.99; 7.377.404; 13.97.122; 21.92.93.
fernen
74
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
schrift bei einem Gesetz, das subjektiv-intentional nicht gegen den grundrechtlichen Normbereich gezielt ist, ihn aber gleichwohl sachlich beschneidet, so ist es nach dieser „rigiden" Norm schon deshalb gleichfalls verfassungswidrig, ohne daß noch zu prüfen wäre, ob es sich auf einen Gesetzesvorbehalt berufen kann. Worauf es bei dieser Entscheidung ankommt, ist die Intention des „objektivierten Willens des Gesetzgebers" im Sinn der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seit BVerfGE 1.299.312, also kurz: die Intention des Gesetzes selbst, wie sie durch Auslegung zu ermitteln ist. Wegen ihrer objektiven Fassung fällt sie praktisch mit der Feststellung eines Grundrechtseingriffs durch Gesetz oder aufgrund Gesetzes zusammen. Die Redeweise vom „Willen" oder von der „Intention" des Gesetzgebers ist mit einem über gewisse Anthropomorphismen des 19. Jahrhunderts hinausgewachsenen Verfassunigs-, Norm- und Auslegungsverständnis nicht mehr vereinbar. Ist zum Beispiel ein Strafgesetz auch auf Meinungsäußerungen, Kunstwerke oder wissenschaftliche Arbeiten anwendbar und bei seiner Anwendung geeignet, die Normbereiche dieser Grundrechte (durch Anknüpfung, heteronome Maßstäblichkeit oder durch Sanktionen) zu beschneiden, so ist es seiner objektivierten „Intention" nach auf diese Grundrechtseingriffe gerichtet — gleichgültig, ob der Gesetzgeber „daran dachte", daß ζ. B. auch wissenschaftliche und künstlerische Werke tatbestandsmäßig darunter fallen können, oder nicht. Kürzer gesagt: es ist in diesen Fällen nach der hier vorgeschlagenen Wortwahl ein „Vorbehaltsgesetz"68. Unter diesem Begriff finden sich alle grundrechtseingreifenden Gesetze vereint; alle Gesetze, die aufgrund eines Gesetzesvorbehalts ergangen sind oder — wegen der Grundrechtseingriffe — hätten ergehen müssen. Maßstab ist die Reichweite des grundrechtlichen Normbereichs (des Geltungsgehalts). 14. Beispiele
zum Begriff
des
Vorbehaltsgesetzes
Bau-, feuer- und seuchenpolizeiliche Vorschriften sind gegenüber den Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 und 3, Art. 9, Art. 8 oder 4 Abs. 2 GG keine Vorbehaltsgesetze. Sie verkürzen — das wird unter Vorgriff auf die Bereichsdogmatik dieser Grundrechte gesagt — keine sachspezifisch geschützten, keine sachlich zu den betreffenden Normbereichen gehörigen Formen der Grundrechtsaktualisierung. Steuerrechtliche Vorschriften sind in bezug auf die Bewirtung von Teilnehmern an religiösen 68 A u f die besonders bei Strafrechtsnormen aktuelle Unterscheidung v o r konstitutioneller u n d nachkonstitutioneller Gesetze, auf die Beschränkung der Anwendbarkeit des A r t . 19 Abs. 1 Satz 2 GG auf die letztgenannten und die vom Bundesverfassungsgericht getroffenen weiteren Unterscheidungen braucht hier nicht näher eingegangen zu werden. Vgl. hierzu besonders BVerfGE 2.121 f.; 5.13.16; 15.288.293; 16.194.199 f.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
75
Veranstaltungen nicht „Schranken des Rechts", über die sich niemand „unter Berufung auf die Religionsfreiheit . . . hinwegsetzen" dürfte 89 . Sie sind vielmehr Normen, die an einen Tatbestand anknüpfen, der überhaupt nicht zum grundrechtlichen Normbereich gehört. Sie betreffen Aktionsformen, die nur in äußerlichem Zusammenhang mit einer Grundrechtsausübung stehen, die nur „bei Gelegenheit" einer solchen praktisch geworden sind 70 . Der Fall ist kein Grundrechtsfall, die Kollision eine Scheinkollision. Dasselbe gilt für die soeben als Beispiel angeführten bau-, feuer- und seuchenpolizeilichen Vorschriften gegenüber den Garantien der Art. 5 Abs. 1 und 3, 4 Abs. 1 und 2, 8 oder 9. Die Frage legitimierender Gesetzesvorbehalte taucht in solchen Fällen nicht auf. Für eine weitere vorbehaltlos gewährleistete Freiheitsgarantie, das Petitionsrecht, hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, Art. 17 GG ermögliche keine Petitionen beleidigenden, herausfordernden oder erpresserischen Inhalts 71 . Hierzu ist zu sagen, daß der Sachgehalt einer Petition in aller Regel auch anders als beleidigend, herausfordernd oder erpresserisch formuliert werden kann. Ist das möglich, dann handelt es sich bei der deliktischen und der nicht-deliktischen Formulierung des betreffenden Begehrens um austauschbare Aktionsmodalitäten innerhalb des grundrechtlichen Normbereichs. Die deliktische Formulierung ist in einem solchen Fall nicht spezifisch geschützt. Konstruiert man dagegen einen Fall, in dem wegen der sachlichen Umstände eine Petition nicht anders denn beleidigend formulierbar sein sollte — was praktisch unwahrscheinlich ist —, dann wäre auch diese im Ergebnis zugleich den Tatbestand des § 185 StGB erfüllende und deswegen „beleidigende" Bittschrift nach Art. 17 GG zulässig. Die Wirkung des § 185 StGB geht dann nicht so weit, die Petitionsmöglichkeit abzuschneiden. Davon abgesehen, daß damit der Wesensgehalt unzulässig verletzt würde, könnte §185 in einem solchen Fall nur als eingreifendes Vorbehaltsgesetz angesehen werden. Mangels eines Gesetzesvorbehalts hätte Art. 17 GG wegen seines formal höheren Rangs im Umfang der Normkollision Vorrang. Die Petition wäre als solche zulässig und außerdem nicht strafbar. Der Fall ist, wie gesagt, fiktiv, mag aber als Grenzfall des Möglichen zur Verdeutlichung beitragen. Es handelt sich auch hier nicht um Güteroder Wertabwägung, sondern um dogmatische Grenzbestimmung. Eine Sonderbesteuerung der Presse richtet sich nicht „gegen eine Meinung als solche", wohl aber gegen die wirtschaftliche Stabilität des Normbereichs der Pressefreiheit auf eine unter Berücksichtigung der Freiheitsgarantie überdies als ungleich zu beurteilende Weise. Sie ist unzulässig, ohne daß eine materiale Wertabwägung erforderlich wird. Die β
· So Rüfner, Der Staat 1968, 41 ff., 56 u n d f. Zutreffend daher die Behandlung dieses Falles i n BVerfGE 19.129. 71 BVerfGE 2.225.229 f. S. a. die Beispiele bei Berg, 138 f.
7e
76
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
Formel, „allgemeine Gesetze" i. S. des Art. 5 Abs. 2 GG richteten sich nicht gegen eine Meinung als solche, betrifft nur einen kleinen Teil des Normbereichs von Art. 5 Abs. 1 GG. Daher ist die Bereichsdogmatik dieser Freiheitsgarantien im einzelnen zu entwickeln. Sie macht den Rückgriff auf materiale „Wertrangbestimmungen" der Verfassung weitgëhend, wenn nicht vielleicht zur Gänze, entbehrlich 72. Andererseits richten sich, wie schon in anderem Zusammenhang erörtert, Normen gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen in der Tat gegen bestimmte Meinungen. Diese Normen müssen sich gegenüber Vorbehaltsgrundrechten durch Einhaltung der Voraussetzungen des Vorbehalts {unbeschadet der Prüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit im übrigen) ausweisen; gegenüber vorbehaltlos garantierten Freiheiten durch rational interpretienbare Abstützung durch Verfassungsnormen (wie Art. 18 und 21, 9 Abs. 2 GG). I m übrigen wird auch hier grundrechtsdogmatisch und von der Freiheitsgarantie her zwischen spezifisch geschützter Entfaltung und Kommunikation von Meinungen und nicht zum Normbereich gehörigen (etwa aktiv kämpferischen, direkt und tatsächlich, nicht nur in theoretischer Spekulation, aggressiven) Modalitäten in Zusammenhang mit der Grundrechtsaktualisierung zu unterscheiden sein. 15. Maßstäblichkeit des Geltungsgehalts der betroffenen Grundrechte Die „Neutralität" von Gesetzen gegenüber grundrechtlichen Garantien, die Unterscheidung von Eingriffen und bloßen „Reflexwirkungen" 7S kann nur vom Geltungsgehalt der Grundrechte her bestimmt werden. Diese haben als Verfassungsrecht formal höheren Rang, sind nach Art. 1 Abs. 3 G G unmittelbar geltendes Recht und tragen als sachgeprägte Freiheitsverbürgungen die inhaltlichen Kriterien für die Beurteilung ihrer Grenzen und möglicher Einschränkungen normativ in sich selbst. Dem entspricht ein Ansatz, der von historischer Erfahrung her die „Neutralität" einer Norm oder einer Maßnahme öffentlicher Gewalt dann verneint, wenn „Positionen verteidigt und Interessen durchgesetzt werden, die zur Grundrechtsausübung typischerweise querstehen". Genauer läßt sich vielleicht sagen: zu denen sich die Freiheitsverbürgungen in der Zeit des ursprünglichen Kampfes um die Menschenrechte als rechtliche Sicherungen politischer und individueller Freiheit quergestellt haben und die in der Folgezeit aus vielfach nur allzu aktuellem Anlaß von neu erkämpften freiheitlichen Staatsvern Gegen Sdieuner, W D S t R L 22 (1965), 80 f.; ebd., 81 zu dem i m T e x t folgenden Beispiel. 73 So Copie, 22 u n d ff.; ebd. 23 das folgende Zitat.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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bänden übernommen und von neuem verbindlich normiert worden sind. Das „Gezielte" solcher Eingriffe in grundrechtliche Geltungsgehalte ergibt sich von der Sache her aus der den Normbereich einschränkenden Wirkung; die subjektiv-finale Komponente ist darüber hinaus durch die Formvorschrift des Art. 19 Abs. 1 Satz 2 G G mit der Drohung der Verfassungswidrigkeit erzwungen. Wo die Grenze der Geltungsgehalte der einzelnen Grundrechte im einzelnen verläuft, ist der Diskussion von Rechtspraxis und Rechtslehre und ihrem begründeten Konsens zu ermitteln überlassen. Was hier als Grundlage der Grundrechtsdogmatik empfohlen wird, ist ein Vorschlag zur Art und Weise der Erarbeitung solcher Grenzen und der Behandlung grundrechtsdogmatischer Fragen, nicht eine wie die material-allgemeinen Theorien genereller Grundrechtsbegrenzung das Ergebnis bereits fixierende oder es auf der anderen Seite ganz dem punktuellen Einzelfall und seinen „Umständen" überlassende Doktrin. Es genügt aber ebensowenig wie bei einem Teil der zu den „allgemeinen Gesetzen" als Grenze der Meinungsfreiheit entwickelten Deutungsvarianten, vom Sachgehalt der Grundrechte als dem Maßstab îiïr (zulässige) Eingriffe abzusehen, diesen Maßstab doch wieder auf die Seite der Schranken zu verlegen und für alle Grundrechte als „neutrale", „allgemeine" Gesetze solche Normen zu bestimmen, die „im Interesse von Leben und Gesundheit der Gesellschaftsmitglieder" ergangen seien und daher „keine spezifischen Hemmnisse für Grundrechtsausübung i. S. ihrer geistigen Wirkung" 74 darstellen. Dabei handle es sich in der Regel um den Schutz immaterieller Rechtsgüter, „die zum sozialkulturellen Überbau gehören und über die keine einmütigen Auffassungen bestehen". Der Schutz von Leben und Gesundheit von Menschen gegenüber Grundrechtsausübung ist nicht auf eine derartige generelle Differenzierbarkeit der einschränkenden Motivationen nach: materiell-immateriell oder: konsensfähig — zwischen 74
Copie , 23; ebd. das i m T e x t folgende Zitat. Ebd., 24, zutreffend zur Rolle der historischen Bestandteile der grundrechtlichen Normbereiche i n ihrer typisierenden K r a f t bei der Bestimmung einschränkender Gesetze u n d ihrer Abgrenzung von „allgemeinen" Gesetzen. Das Typische ist, i n verschiedenem Grad, sowohl für die strukturelle Umschreibung der Normbereiche als auch f ü r die der einschränkenden oder eingreifenden Normen u n d Maßnahmen brauchbar. — Solche Strukturuntersuchung des normativ Garantierten b r i n g t neben anderen Vorzügen größere K l a r h e i t u n d Rationalität der Entscheidung m i t sich als etwa eine n u r material abwägende Deutung der „allgemeinen Gesetze". Insofern zu Recht die K r i t i k bei Copie gegen Smends Auslegung dieser Formel i n W D S t R L 4 (1928), 44, 51 ff.; auch i n : Staatsrechtliche A b handlungen, 89 ff., bes. 96 ff. Das rationale Naturrecht der A u f k l ä r u n g ist f ü r staatliche Gewalt k e i n hinreichend verbindlicher Maßstab mehr. Smends Frage, welche Rechtsgüter etwa gegenüber der Meinungsfreiheit m a t e r i a l überwertig seien (ebd. 52 bzw. 97 f.), steht i n der Tat i n Gefahr, das G r u n d recht „ d e m schwankenden U r t e i l politischer Machtgruppen, die das P a r l a ment beherrschen u n d die Regierung stützen", zu überantworten; so Copie, 25.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
konkurrierenden gesellschaftlichen Gruppen kontrovers zurückzuführen, sondern auf eine die lebens- und gesundheitsschädliche oder -gefährdende Grundrechtsausübung verhältnismäßig einschränkende systematische Interpretation mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG. Es handelt sich um einen Fall der verhältnismäßigen Begrenzung von {formal ranggleichen) Verfassungsnormen untereinander. Auch „geistige", auch kontroverse Schutzgüter des Überbaus können auf solche Art Grundrechte Dritter, genauer: das Ausmaß der Grundrechtsausübung durch Dritte, normativ einschränken. Als Ausgangspunkt für die Lösung von Kollisionen und Konkurrenzen mit anderen Grundrechten, mit sonstigen Verfassungsnormen, Vorbehaltsgesetzen oder sonstigen Gesetzen muß unverrückt der normative Befund festgehalten werden, also die Reichweite der Geltungsgehalte der beteiligten Grundrechte und das formale und materielle Verhältnis der übrigen beteiligten Vorschriften zu ihnen. Die Aufspaltung grundrechtseinschränkender Motivationen, „Werte" oder Schutzgüter in materielle und immaterielle, umstrittene und nichtumstrittene bedeutet demgegenüber wieder einen Rückfall in die Betrachtungsweise der metanormativen, der material-allgemeinen Begrenzungshypothesen, die bei aller Berufung auf materiale „Werte", Rechtsgüter oder Totalitäten von den Begrenzungen her denken statt vom Gehalt der sachlich in sich selbst begrenzten oder der „von außen" durch andere Verfassungsvorschriften oder Vorbehaltsgesetze weitergehend zu begrenzenden Garantienormen. Kriterien wie „rein geistig" sind von den sachlichen Freiheitsgarantien her zu sehen. Hier erweisen sie sich als Partikel der Normbereiche der in Art. 5 Abs. 1 GG gewährleisteten Grundrechte, die schon für diese speziellen Verbürgungen nicht erschöpfend und um so weniger für alle Grundrechte zu verallgemeinern sind. Auch bei Vorbehaltsgrundrechten ist zwischen spezifisch eingreifenden und nicht spezifisch eingreifenden Gesetzen zu unterscheiden. Die ersten müssen sich an der Einhaltung des normativen Rahmens und der vielleicht qualifizierten Voraussetzungen des Gesetzesvorbehalts als zulässig ausweisen und neben andern Normen auch dem Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG genügen. Bei nicht eingreifenden, also nicht zu den Vorbehaltsgesetzen des betreffenden Grundrechts zählenden Normen ist beides nicht erforderlich. Eine Verkürzung des Wesensgehalts, der für jedes Grundrecht gesondert zu ermitteln ist 75 , bleibt in jedem Fall unzulässig. Bei der hier entwickelten Konzeption der Vorbehaltsgesetze ist kein den Wesensgehalt antastendes Gesetz (oder entsprechend kein auf einem Gesetz beruhendes Handeln öffentlicher Gewalt) denkbar, das wegen seiner eingreifenden Qualität nicht zugleich ein Vorbehaltsgesetz wäre. 75
So jetzt BVerfGE 22.180.219.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
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16. Straf recht als allgemeine Grundrechtsgrenze? Eine letzte Form der Verlagerung normativer Maßstäbe aus dem zu begrenzenden Grundrecht in allgemeine Bestimmungen ist dort gegeben, wo materielle Kriminalstrafrechtsnormen, also die Strafgesetze, die „im Bewußtsein aller Staatsbürger ein ,crimen' darstellen" 76 , kurzerhand zur allgemeinen Grenze aller Grundrechte erklärt werden. Es ist schon dargelegt worden, daß eine solche Hypothese nicht nur das Festhalten an der sachlich-normativen Maßstäblichkeit des grundrechtlichen Geltungsgehalts, sondern auch die notwendige, für jedes Grundrecht und jede Strafrechtsnorm einzeln zu erarbeitende Differenzierung vermissen läßt. Es sei noch festgehalten, daß auch hier in anderem Zusammenhang kennzeichnenderweise auf einen „Überbau" verwiesen und dessen normative Kraft im Weg des unterstellten Konsenses im „sittlichen Bewußtsein" postuliert wird. Was eine „wahre kriminalstrafrechtliche Norm", was „echtes Kriminalrecht", was also allein aus diesem Grund „wichtiger als die Meinungsfreiheit" sein soll 77 , kann jedenfalls unter dem Grundgesetz angesichts seiner auf „Rigidität" abzielenden und differenziert gehaltenen Positivierungssystematik im Grundrechtsbereich nicht die Frage sein. Nicht „wahres", „echtes", „höherwertiges" Kriminalstrafrecht begrenzt generell die Grundrechte. Für jedes Grundrecht ist dogmatisch gesondert zu erarbeiten, welche Strafrechtsnormen und sonstigen Rechtsnormen seinen Geltungsgehalt beschränken, in seinen Normbereich eingreifen; und in welchen Fällen ein solcher Eingriff durch einen entsprechenden Gesetzesvorbehalt und durch die Verfassungsmäßigkeit des Strafgesetzes am Maßstab der anderen einschlägigen Verfassungsvorschriften (Art. 19 Abs. 1 und 2, Art. 80 GG, Übermaßverbot und anderer) gerechtfertigt wird. 17. Grundrechte
— Generalklauseln
Dabei ist für die Erarbeitung der grundrechtlichen Geltungsgehalte die Einschränkung zu machen, daß die Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 in der Auslegung, die sie seit dem Elfes-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 78 überwiegend findet, und die Norm des Art. 3 Abs. 1 GG keine Grundrechte im hier entwickelten Sinn, sondern echte Generalklauseln darstellen. Die Dichte und Sachhaltigkeit ihrer Normbereiche kann sich mit jener der Grundrechte nicht vergleichen. Grundrechte enthalten mehr an konkretisierbarer Geltungssubstanz. Zwar sind Generalklau76 So etwa Böckenförde-Greiffenhagen, JuS 1966, 364; vgl. auch Dürig, Maunz-Dürig, Rdnr 76 zu A r t . 2 Abs. 1 GG. 77 So Smend, W D S t R L 4 (1928), 52 bzw. Staatsrechtliche Abhandlungen, 97 u n d i m Anschluß an Thoma m. N w . 78 BVerfGE 6.32 ff.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
sein nicht nur freie Weisungen an den Richter, selbständig und ohne nachprüfbare normative Bindung eine Entscheidungsnorm zu finden 7·. Doch gehört den Generaliklauseln nicht von vornherein ein sachgeprägter, auch i n seiner Begrenzung sachlich umschriebener Normbereich zu. Er entsteht erst i m Lauf der Rechtstradition, vor allem der Rechtsprechungstradition. Die Praxis, gebunden durch das allerdings häufig ungenau formulierte und Verweisungsbegriffe auf soziale Vorstellungen, gesellschaftliche Konventionen oder ethische Prinzipien enthaltende Normprogramm, subsumiert diesem im Einzelfall bestimmte rechtliche Konstellationen und damit allmählich einzelne Typen von Fallgestaltung. Auf diese Weise verdichten sich die Falltypen allmählich zu Normbereichssektoren. Dagegen stützt sich die Konkretisierbarkeit der Grundrechte auf die Sachhaltigkeit ihrer Normbereiche. Als stark sachgeprägte Vorschriften ermöglichen sie gesteigerte Konkretisierung ihres Sachgehalts im Einzelfall und damit dogmatische Differenzierungen, die weit eher als 'bei Generalklauseln aus der strukturellen Untersuchung der Normbereiche — „Bekenntnis", „Wissenschaft", „Kunst", „Vereinswesen" — gewonnen werden können 80 . 18. „Verdeckte
Spezialgesetze"
Der so erarbeitete Geltungsgehalt der Grundrechte ist, wie gesagt, Maßstab für jedes Gesetz und für jedes eingreifende Gesetz je nach Art des Gesetzesvorbehalts mehr oder weniger widerstandsfähige Eingriffsmaterie. Es kommt nicht darauf an, ob das betreffende Gesetz auch subjektiv-intentional „gezielt" ist, oder ob es „ungezielt" im Ergebnis dennoch den geschützten Normbereich einschränkt. Damit ist eine Vorsichtsmaßregel erfaßt, die im Schrifttum gegen „mittelbare", „getarnte" Grundrechtseinschränkungen, gegen — im Gegensatz zu den „allgemeinen Gesetzen" gesehene — „verdeckte Spezialgesetze" festgehalten worden ist 81 . Dieser berechtigte Gedanke hat nur den Nachteil, noch zu stark auf die subjektive Absicht des Gesetzgebers — diesmal die des Verdeckens, des Tarnens — abzustellen. Es kommt nicht darauf an, ob eine Tarnung nachzuweisen ist, mit deren Hilfe im Gewand eines „allgemeinen Gesetzes", das den Normbereich eines bestimmten Grundrechts nicht einschränkt, gleichwohl unversehens an einem anderen Punkt der Geltungsgehalt desselben Grundrechts oder einer anderen 79 So aber Ehrlich, Grundlegung der Soziologie des Rechts 1913, Neudruck 1929, 140: die Generalklausel überlasse „die Entscheidung ganz dem freien richterlichen Ermessen". 80 Z u r hermeneutischen S t r u k t u r von Generalklauseln vgl. F. M ü l l e r , N o r m s t r u k t u r u n d Normativität, ζ. B. 138, 156, 162, 166, 187, 201 ff. 81 Vgl. Bettermann, J Z 19Θ4, 603; Lerche, Werbung u n d Verfassung, 108; Rufner, Der Staat 1968, 41 ff., 59.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
81
Freiheitsgarantie beschnitten wird. Es genügt, daß ein Verkürzen des Normbereichs im Ergebnis erkennbar ist — mag auch der Gesetzgeber in vollem Umfang bona fide gewesen sein. 19. Gesetzliche Umschreibung von Grundrechtsgehalten Methodische Leitlinie für solche Eingriffsurteile ist in erster Linie nicht ein allgemeines Prinzip wie jenes des „grundsätzlichen Vorrangs des Freiheitsrechts" aufgrund der freien Persönlichkeitsentfaltung als „obersten Werts" der grundgesetzlichen „Wertordnung" 82 , sondern die Bestimmung von Eigenart, Funktion und sachlicher Begrenztheit des betreffenden Grundrechts. Dieses darf, sofern die Verfassung das nicht ausdrücklich zuläßt, durch einfaches Gesetz in seinem „sachlichen Gehalt", im Umkreis seiner „sachlichen Reichweite" 83 nicht eingeschränkt werden. Der Rangunterschied zwischen Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht ist gerade gegenüber dem grundrechtsbezogenen Gesetzgeber festzuhalten. Die Grundrechte sind unmittelbar geltendes Recht. Authentische Interpretation der Verfassung ist dem Gesetzgeber, auch dem grundrechtsbezogenen Gesetzgeber, verwehrt 84 . Das Grundmuster des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Unterverfassungsrecht im Grundrechtsbereich kann wie in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit dem formalen Rangunterschied, mit der unmittelbaren Geltung der Grundrechte und ihrer Bindungswirkung auch für die Legislative nach Art. 1 Abs. 3 GG begründet werden, ohne daß damit die sachlichen Geltungsgehalte vernachlässigt würden. Sie werden im Gegenteil in der ihnen zukommenden Funktion belassen und für ihnen fremde Funktionen — wie die Postulate von „Höherwertigkeit" oder wie die „Übertragung" auf andere Grundrechte — nicht länger auf positivrechtlich ungesicherte Weise strapaziert. Wo der Geltungsgehalt sachlich seine Grenze hat, verläuft für das Grundrecht die Linie der „Einfügung in die allgemeine Ordnung" 85 . Das aber, wie gesagt, nicht » Vgl. z. B. n u r BVerfGE 7.377.404 f.; 13.97.104 f. BVerfGE 12.45.53; s. a. BVerfGE 7.377.403 f. M BVerfGE 12.45.53. β5 Diese Umschreibung bei Scheuner, DÖV 1967, 585, 590. Ebd. die Begrenzung dieses Einfügens: „soweit i h r (sc. der grundrechtsaktualisierenden H a n d lungen) Wesen damit nicht berührt w i r d " ; ferner die Betonung, diesen H a n d lungen bleibe bei aller Einfügung dennoch „ i m m e r ein Moment des Regresses" auf ihre grundrechtliche Sicherung. Vgl. ebd., 586 zum Verständnis der Grundrechte als gegenständlich abgegrenzter Verstärkungen des rechtlichen Schutzes f ü r bestimmte Rechtspositionen u n d Freiheiten; ebd. die A n d e u t u n g einer Differenzierung zwischen „Randzonen" und dem „Kernbereich" des grundrechtlichen Schutzes u n d von dessen Bestimmung aus der „historisch· verfassungsrechtlichen Sinngebung" des Grundrechts; also aus seinem Normbereich, der neben historischen u n d aus der Verfassungssystematik (auf dem Weg über das Normprogramm) zu ermittelnden Komponenten vor 83
6 Müller, Grundrechte
82
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
deshalb, weil die unspezifischen Gesetze, die mangels Eingriffs keine Vorbehaltsgesetze darstellen, dem Grundrecht hier eine Grenze zu setzen vermöchten, weil sie wegen der „materialen Allgemeinheit" ihrer Schutzgüter „höherwertig" wären oder sonst „Vorrang" vor ihm hätten; sondern allein deswegen, weil die sachlich begründete normative Kraft der Garantie hier — von der Garantie aus gesehen — zu Ende ist. Das Vorhandensein einer einfachen Gesetzesnorm und die bloße Möglichkeit ihrer Kollision mit dem Grundrecht zwingen zur Nachprüfung gerade an diesem Punkt. Sie veranlassen, falls der grundrechtliche Geltungsgehalt nicht so weit reichen sollte, um eine normative Überschneidung herbeiführen zu können, eben diese Feststellung, er reiche nicht so weit. Die Gesetzesnorm hat hier allenfalls umschreibende, die Grenzen des Grundrechts verdeutlichende Wirkung. Sie ist nur Anlaß zur Prüfung der Reichweite der Freiheitsgarantie in dem von ihr repräsentierten Rechtsgebiet (Steuerrecht, Jugendschutzrecht, Strafrecht und so fort). 20. Zur Verfassungstheorie
vorbehaltloser
Verbürgungen
Das gilt auch dann, wenn sie grundrechtsbezogen ist, ohne in den Normbreich einzugreifen; wenn sie also die grundrechtlich eröffneten Handlungsmöglichkeiten gesetzlich erweitert, durch Sanktionen gegen grundrechtseinschränkende Handlungen zusätzliche Sicherungen schafft oder wenn sie die Grundrechtsausübung auf sonstige Weise, etwa durch Normieren von Förderungsmöglichkeiten, schützt und sozial wirksamer macht. Solche ausgestaltende Tätigkeit der Gesetzgebung im Grundrechtsbereich wirft unter Aspekten der Gesetzesvorbehalte ebensowenig Probleme auf wie die nicht eingreifende Inhaltsbestimmung, Grundrechtssicherung oder Regelung grundrechtlich spezifischer Materien. Sobald aber die Normsetzung unmittelbar („durch Gesetz") oder mittelbar („aufgrund eines Gesetzes") zu Verkürzungen der als frei garantierten Normbereiche führt, sind die entstehenden Rechtsfragen Grundrechtsfragen und die eingreifenden Gesetze Vorbehaltsgesetze, die nunmehr auf ihre Rechtfertigung durch Gesetzesvorbehalte hin zu prüfen und die bei Fehlen eines entsprechenden Vorbehaltes verfassungswidrig sind. Für das Fehlen von Vorbehalten bei einer Reihe von Freiheitsgarantien braucht nicht unbedingt eine einheitliche verfassungstheoreallem i n seinen empirisch feststellbaren Struktureigentümlichkeiten zu erfassen u n d i n die normative Interpretation einzuführen ist. — Zur oben eingangs dieser A n m e r k u n g genannten Einschränkung, die Einfügung i n die Rechtsordnung dürfe das „Wesen" der Grundrechtsaktualisierung nicht berühren, bleibt von der hier entwickelten Konzeption aus festzuhalten, daß diese Einschränkung (außer gegenüber entsprechenden Vorbehaltsgesetzen) nicht n u r die Wesensgehaltssperre, sondern überhaupt u n d i m ganzen U m fang des grundrechtlichen Normbereichs (Geltungsgehalts) die Eingriffssperre i n spezifisch Geschütztes betrifft.
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
83
tische Rechtfertigung gefunden zu werden. Die positive Rechtslage ist für die Lösung praktischer Rechtsprobleme insoweit eindeutig. Die Auswirkung dieser Differenzierung der Vorbehalte des Grundgesetzes im Sinn einer Differenzierung der Intensität verfassungsrechtlichen Schutzes der Normbereiche steht außer Zweifel. I m Anschluß an Thoma 8 · wird in dieser Abstufung der Schutzintensität die wesentliche verfassungsrechtliche Bedeutung dieser Regelung gesehen. Ob daneben „primär" der „Zweck", stärker und schwächer geschützte Grundrechte zu schaffen 87, eine Rolle spielt, ist nicht entscheidend. Ohnehin kommt es nicht auf die Bewußtseinsinhalte der normformulierenden und normsetzenden Stellen an, sondern auf den Geltungsgehalt der gesetzten Normen — in der terminologisch von Relikten früherer Auffassungen noch nicht befreiten Ausdrucksweise des Bundesverfassungsgerichts auf den „objektivierten Willen" des (Verfassungis-)Gesetzgebers. Es ist daher nur zu fragen, ob sich aus der Struktur der Normbereiche der vorbehaltlos garantierten Freiheiten ein gemeinsamer Gesichtspunkt für diese Vorbehaltlosigkeit ergibt oder nicht. So ist erwogen worden, es handle sich bei dieser Gruppe von Grundrechten um jene, „die die individuelle Intimsphäre zum Gegenstand haben" 88 , deren sozialer Bezug minimal sei 89 . Diese Ansicht 90 folgt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, die im Sinn größerer oder geringerer Ausgestaltungsund Begrenzungsnotwendigkeit nach der Intensität des „Sozialbezugs" und der „sozialen Kontakte" sowie nach mehr oder weniger „sozialen" Freiheiten unterscheiden will. Für einen Teil stark „sozialbezogener" Grundrechte wie die Eigentumsgarantie, die Berufsfreiheit, das Recht zu Versammlungen unter freiem Himmel ist dieser Gesichtspunkt trag86 Grundrechte u n d Polizeigewalt, i n : Festgabe zur Feier des fünfzigjährigen Bestehens des Preußischen OVG, 1925, 183 ff.; ders., Die juristische Bedeutung der grundrechtlichen Sätze der deutschen Reichsverfassung i m allgemeinen, i n : Die Grundrechte u n d Grundpflichten der Reichsverfassung, Nipperdey (Hrsg.), 1929, 33 ff. 87 Siehe zu dieser Frage Hesse, Grundzüge, 125. 88 Berg, 105; vgl. ebd., 105 f., 108, 168, dort allerdings statt von der sachlichen Eigenart der Normbereiche von einem grundrechtlichen „ W e r t system" her gesehen, dessen Z e n t r u m gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die Freiheitsentfaltung des einzelnen (mit Vorrang vor der Durchsetzung staatlicher Interessen) sein soll, die deswegen u m so i n t e n siver geschützt sei, je geringer i h r sozialer Bezug ist. 89 Allgemein zum Schutz der individuellen Sphäre als einer ursprünglichen Aufgabe der Grundrechte: Leisner, Grundrechte und Privatrecht, 11; Bachof, Reflex Wirkungen u n d subjektive Rechte i m öffentlichen Recht, Gedächtnisschrift für W. Jellinek, 1955, 287 ff., 290. 90 I n ihrem Sinn auch Häberle, 182 f.; Herbert Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl., 1966, 543. — Die Leitentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist BVerfGE 6.389.433; vgl. ferner z.B. BVerfGE 7.377.403 i n demselben Sinn für die unmittelbar i n das soziale Leben eingreifende Berufsausübung des einzelnen.
f·
84
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
fähig. Für andere wie die Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG, die Freiheit von Wissenschaft und Kunst, von Glauben, Gewissen, Bekenntnis und Religionsausübung ist das nicht der Fall. Daß sich „die Glaubensfreiheit im Innern des Menschen auswirkt" 91 , kann nicht gesagt werden. Ihre Gehalte bilden sich „im Innern des Menschen" — vom Einfluß der Familie, Erziehung, Schule und Doktrin einmal für einen Staat abgesehen, der seine Bürger nicht inhaltlich indoktrinieren und dem gegenüber die Garantie des Art. 4 Abs. 1 G G insoweit nicht aktuell werden darf. Aber bereits das Beispiel der Schule zeigt im ganzen Umfang der politischen und juristischen Auseinandersetzung um die unter dem Grundgesetz zulässigen oder unzulässigen Spielarten der konfessionellen Schulform 92 den eminenten, höchst gewichtigen Sozialbezug der Auswirkung und Ausübung von Glaubens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit. Das Grundrecht der Meinungsfreiheit hat vielleicht den umfassendsten und intensivsten „Sozialbezug" aller Freiheitsgarantien, ist jedoch nur mit einem Vorbehalt sehr beschränkter Art .(Jugendschutz- und Ehrenschutznormen) und mit einem allgemeinen Grenzvorbehalt versehen, dessen konstitutive Bedeutung zweifelhaft ist und der jedenfalls keinen allgemeinen Gesetzesvorbehalt 93 darstellt. Der Sozialbezug der vorbehaltlos garantierten Versammlungsfreiheit des Art. 8 Abs. 1 GG ist offenkundig. Jener der freien Wissenschaft ist in der Auswirkung unübersehbar und kaum zu überschätzen; für den freier Kunst gibt es zahlreiche Beispiele nachhaltiger Wirkung auf den Bewußtseinsstand der Gesellschaft. Gleichwohl sind diese Grundrechte ohne jeden Vorbehalt garantiert. Dasselbe gilt für die Petitionsfreiheit. Bei dieser allerdings dürfte nach aller Erfahrung der Anlaß für die Hinzufügung eines Vorbehalts gefehlt haben. Sie ist im übrigen, wie auch die Versammlungsfreiheit, nach Art. 17a einschränkbar, was für die Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht der Fall ist. Schon die eine Vollständigkeit der Gesichtspunkte nicht anstrebende Übersicht zeigt, daß auch in dieser leicht überschaubaren Frage materiale Generalisierungen in die Irre führen können. Für das hier nicht weiter zu vertiefende Problem ergibt sich in den Grundzügen folgendes: Dem Petitionsrecht des Art. 17 GG wurde mangels praktischen Anlasses ein Vorbehalt nicht beigefügt. Das ist im Sinn des „objektivierten Willens" des Verfassungsgebers zu verstehen: Der Normgehalt des Art. 17 GG ist ohne Vorbehalt zureichend bestimmbar und abgrenzbar. Das positivrechtlich verbindliche und nicht überspielbare Fehlen eines Vorbehalts wirft keine juristischen Schwierigkeiten auf. 91
So Häberle, 183; s. a. ebd. A n m . 351. Vgl. hierzu etwa die Nachweise bei F. Müller, Schulgesetzgebung u n d Reichskonkordat, I960; Feuchte-Dallinger, D Ö V 1967. 361 ff.; Stein, RdJ 1967, 29 ff.; v. Zezschwitz, J Z 1966, 337 ff. 93 So zu Recht Lerche, Werbung u n d Verfassung, 99. 92
IV. Vorbehaltsgrundrechte und vorbehaltlose Garantien
85
Die rechtliche Disziplinierung der Koalitionen des Art. 9 Abs. 3 GG und der „Vereine und Gesellschaften" des Art. 9 Abs. 1 GG ist zum einen durch Art. 9 Abs. 2 GG, zum andern durch das von diesen Garantien notwendig vorausgesetzte Unterverfassungsrecht in hinreichendem Maß gesichert. Dasselbe gilt für Art. 8 Abs. 1 angesichts der Tatsache, daß Versammlungen unter freiem Himmel in Art. 8 Abs. 2 gesondert unter Vorbehalt gewährleistet sind und daß die Einschränkungen des Normbereichs durch das Normprogramm des Art. 8 Abs. 1 GG („friedlich", „ohne Waffen") praktisch ausreichen und dieses sozialbezogene Grundrecht im übrigen ohne Vorbehalt normierbar machen. Die Grundrechte der Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG schließlich sind vergleichbar in ihrer Höchstpersönlichkeit, ihrer individuellen Dignität und ihrer sachlichen Verbindung mit der Menschenwürde, ohne daß aus dieser Verbindung eine stringente „wertsystematische" Ableitung mit normativem Anspruch hergeleitet werden kann. Die vorbehaltlose Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG erklärt sich aus der zentralen und fundamentalen Wertung, die durch diese Art der rechtsförmlichen Garantie optimal gesichert werden soll. Bei den Grundrechten der Art. 4 Abs. 1 und 2 und Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nimmt die Verfassung die Ausschließlichkeit ihrer (durchaus vorhandenen und zu entwickelnden) Begrenzung durch die Begrenztheit ihrer sachlichnormativen Reichweite wegen ihrer Höchstpersönlichkeit, ihrem Bezug zu individueller Entscheidung und Kreativität, angesichts ihrer minimalen Objektivierbarkeit und politischen Funktionalisierbarkeit und wegen ihres «aus dem Bemühen um Wahrheit folgenden individuellen Ernstes sozusagen in Kauf. Nicht aber haben die Sturktureigentümlichkeiten dieser Normbereiche mit einer Beschränkung der Grundrechtswirkung auf das forum internum, auf die persönliche Intimsphäre, auf den Schaffensbereich, mit geringerem oder minimalen „Sozialbezug" zu tun. Eine solche Beschränkung würde die für eine freiheitliche Gemeinschaftsordnung fruchtbarsten Komponenten dieser Freiheitsgarantien ausschalten. 21. Bedeutungskomponenten grundrechtlicher
Gesetzesvorbehalte
Das Verständnis der Gesetzesvorbehalte als Eingriffsvorbehalte leugnet nicht das Vorhandensein von Ausgestaltungs-, Inhaltsbestimmungsund Regelungsvorbehalten. Die Definition der Vorbehaltsgesetze als grundrechtseingreifende Gesetze schmälert nicht die Bedeutung der ohne Eingriff ausgestaltenden, schützenden und sichernden Gesetzgebung grundrechtsbezogener Art. Die Verbreiterung der sozialen Wirksamkeit und der realen normativen Kraft der Grundrechte durch verfassungsrechtliche und unterverfassungsrechtliche Normierungen außerhalb der Freiheitsgarantien, die zu einem beträchtlichen Teil rechts-
86
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
erzeugte Qualität der grundrechtlichen Normbereiche und ihre Angewiesenheit auf möglichst stabile Sicherung durch die Rechtsordnung werden nicht verkannt. Doch besagt die hier vorgetragene Sicht, daß die Begrenztheit aller Freiheitsgarantien es noch nicht erlaubt, die Begrenzung mittels (formeller oder materialer) Generalklauseln zu bewerkstelligen. Sie besagt, daß die verfassungsrechtliche Figur der Gesetzesvorbehalte ungeeignet ist, zur Grundlage metanormativer verfassungstheoretischer Erwägungen gemacht zu werden. Sie besagt, daß positiv-rechtliche Schranken und Vorbehalte der Verfassung weder durch Annahme ungeschriebener Schranken und Vorbehalte ergänzt oder ersetzt, noch daß sie auf andere Grundrechte übertragen werden können. Daß das grundrechtsbezogene Gesetzesrecht oft mehr Schutzrecht als Begrenzungs- und Schrankenrecht ist; daß die Grundrechte in ihrer Sachgeprägtheit vielfach nicht nur durch die Freistellung von inhaltlicher staatlicher Fixierung gesichert werden, die von den Normprogrammen der Grundrechte angeordnet wird, sondern häufig mit gleichrangiger sozialer Wirksamkeit durch eine ergänzende freiheitliche Gesetzgebung, durch Förderungsanordnungen von Seiten der Legislative und Exekutive und durch den Schutz, den das Strafrecht gegen grundrechtsschädigende Handlungen gewährt, gehört zu den wesentlichen verfassungsrechtlichen und verfassungstheoretischen Einsichten. Diese sind auch in allen Fragen der Interpretation zu berücksichtigen. Sie verhindern ein allein formalistisch-ausgrenzendes Verständnis der Grundrechte als sachleerer Räume, die nur von ihren formalen Schranken her definiert werden. Aber all das führt nicht zur Zulässigkeit der Einebnung positivrechtlicher Abstufungen, Differenzierungen, Spezialund Vorrangregelungen des Verfassungsgesetzes. Es führt nicht zur Rechtfertigung einer partiellen Überformung des geltenden Verfassungsrechts durch metanormative oder überpositive Verfassungstheorie. Es legitimiert weder normativ nicht gestützte „Übertragungen" von Schranken und Vorbehalten von einem Grundrecht auf andere noch material-allgemeine „Mißbrauchs"theorien, deren Typisierung nicht am Geltungsgehalt der einzelnen Freiheitsgarantien, sondern stattdessen an „ganzheitlichen" oder überpositiven Gesamtaspekten ansetzt. Ebensowenig können die Probleme des Grundrechtsgehalts, des Wesensgehalts, der Grundrechtsgrenzen und einer die Grundrechte mit der Rechtsordnung vermittelnden Dogmatik durch ideologische, verfassungsrechtlich nicht ableitbare Begriffsbildungen und -Verengungen bei Auslegung des Wortlauts („nur ethisch wertvolle Kunst" etc.) gelöst werden. Der Primat und die unverbrüchliche Geltung der geschriebenen Verfassung lassen eine derartige Suche nach Auswegen aus den Schwierigkeiten von Verfassungsinterpretation und Grundrechtskonkretisierung nicht zu. Beide müssen die Anstrengung des Begriffs durch die
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
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normative Differenzierung der normierten Sache ergänzen, wenn sie zu einer Dogmatik gelangen wollen, die nicht nur verfassungstheoretisch einsichtig, sondern vor allem auch rational diskutierbar und den praktischen Einzelfragen der Rechtsprechung ohne Verbiegung der geltenden Normen gewachsen ist. V. Zur sachlichen Reichweite und zur Differenzierung grundrechtlicher Garantien
1. Elemente grundrechtlicher
Bereichsdogmatik
Die Auffassung der Grundrechte als je selbständiger, sachlich geprägter, bestimmte gegenständlich abgrenzbare Normbereiche sichernder Freiheitsverbürgungen macht sie als Normen von besonderer Dichte und struktureller Eigenart auch in ihrem systematisch sinnvoll deutbaren Nebeneinander verstehbar. Sie arbeitet die sachliche Begrenzung der Grundrechte heraus und stellt materiell-rechtliche Kriterien dafür zur Verfügung, sie bei Kollisionen und Konkurrenzen mit anderen Grundrechten, mit Verfassungsnormen, Vorbehaltsgesetzen und sonstigen Vorschriften diesen zuzuordnen, ihre dogmatischen Grenzlinien zu anderen Vorschriften der Rechtsordnung im einzelnen zu entwickeln. Die Eigenständigkeit der einzelnen sachlichen Garantie ist nicht mit einer „Höherwertigkeit" zu verwechseln. Das hier vorgetragene Verständnis verhindert normativ nicht begründbare materiale Vorrang-und Höherwertigikeitspostulate. Die Strukturmerkmale der Normbereiche bilden bestimmte Sachgegebenheiten und rational erfaßbare empirische Verhältnisse der Lebenswirklichkeit ab, soweit diese vom Recht anerkannt, rezipiert und normativ (umgestaltet wird. Das Mißverständnis der „Höherwertigkeit" im materiell-rechtlichen Sinn konnte nur auf dem Boden eines im Grund formalen, weil die Normativität der Sachelemente rechtlicher Vorschriften übersehenden Grundrechtsdenkens entstehen. Wegen des Ungenügens formaler Rechtsfiguren muß es sich materialen Pauschalformeln zuwenden, die mit dem Postulat substantieller Höher- und Niederrangigkeit arbeiten, um im praktischen Einzelfall überhaupt zu eindeutigen Ergebnissen zu gelangen. Die Fragestellung ist jedoch nicht länger darauf zu richten, welche „Werte", Rechtsgüter oder Normen einem Grundrecht „vorgehen", ihm gegenüber „höherwertig" seien; auch nicht dahin, ob ein Wissenschaftler in Ausübung des Grundrechts der Wissenschaftsfreiheit feuerpolizeiliche Vorschriften verletzen „dürfe" oder ob ein Kunstwerk unzüchtig „sein könne". Die primäre dogmatische Frage ist überhaupt nicht die, wodurch ein Grundrecht eingeschränkt werden kann, sondern: wie weit sein aus der Analyse des Normbereichs aus und ihrer Vermittlung mit dem grundrechtlichen Normprogramm zu entwickelnder Geltungsgehalt reicht. Ist das dogmatisch abgegrenzt, werden sich nicht wenige bisher
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
als Kollisionen oder Konkurrenzen behandelte Falltypen als Scheinkonkurrenzen und Scheinkollisionen herausstellen, die keine Grundrechtsfragen aufwerfen. Zum andern liefert die sachlich angereicherte Interpretation und Dogmatik der am Fall beteiligten Grundrechte Gesichtspunkte für die Zuordnung der sich (teilweise) überschneidenden und insoweit kollidierenden Normen im Fall der Gleichrangigkeit, also beim Zusammentreffen von Grundrechten, Verfassungsnormen oder von Grundrechten mit Vorbehaltsgesetzen. Kollisionen ungleichrangiger Normen, so vor allem von Grundrechten und in sie eingreifenden Gesetzen, die mangels eines grundrechtlichen Gesetzesvorbehalts oder wegen Überschreitung des Rahmens eines vorhandenen Gesetzesvorbehalts nicht den Anforderungen von Vorbehaltsgesetzen genügen, sind nach den von der Verfassung abschließend normierten Regeln zu entscheiden, ohne daß es insofern noch auf materiale Zuordnung oder Abwägung ankommt. Anderen Rechtsgütern geltende Schutzgesetze sind für ein Grundrecht dann keine (eingreifenden) Votfbehaltsgesetze, wenn sie nur unspezifische Modalitäten der Grundrechtsausübung beschneiden. Ein Kriterium dafür ist auch, ob das Schutzgesetz sein Rechtsgut aus grundrechtsspezifischen Motiven und mit grundrechtsspezifischen Maßstäben sichern will oder nicht. Eine Rechtsnorm, die „nicht-volkstümliche" oder „künstlerisch zersetzende", „entartete" Kunst mit negativen Sanktionen bedroht, ist von Anfang an verfassungswidrig, wenn sie ihren Tatbestand mit Wertungen substantiiert, die kunstspezifisch sind und von der Garantie des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG daher gerade „frei" belassen werden („abstrakte"-„figurative", „deutsche"-„undeutsche", „wahre"„entartete" Kunst und so fort). Substantiiert sie ihre Tatbestandsmerkmale dagegen in einer Art, die für Kunst nicht positiv oder negativ kennzeichnend ist, etwa im Sinn „rassenhetzerischer", „zum Krieg aufhetzender", „grob unzüchtiger" Werke und ihrer Verbreitung, so ist die Verfassungswidrigkeit nicht von vornherein zu behaupten. Das Ergebnis hängt dann davon ab, welche Grundrechtsaktualisierungen (das Schaffen, das Verbreiten, das Werben, das Reproduzieren und so weiter) als Anknüpfungshandlungen genommen werden; welche Maßstäbe im einzelnen an die Tatbestandsprüfung unter dem besonderen Aspekt gelegt werden, daß es sich bei Kunstwerken um von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG selbständig geschützte Arbeiten handelt; schließlich davon, welche Sanktionen (Vernichtung, Einziehung, Verbreitungsverbot, Verbreitungsbeschränkung, Berufsverbot, Geld- oder Freiheitsstrafen) in dasselbe oder in ein anderes Grundrecht oder in sonstige Rechtspositionen des Künstlers (Verbreiters) eingreifender Art aus der Tatbestandserfüllung folgen. Ob solche Normen das Grundrecht einschränken oder nicht, ob ein Werk der Kunst oder Wissenschaft, ob eine Aktualisierung der Glau-
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
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bensfreiheit oder der Meinungsfreiheit einen Dritten beleidigen „darf" oder den Tatbestand des § 166 StGB erfüllen „kann" oder nicht, ist nicht einmal für alle Fälle desselben Grundrechts pauschal zu beantworten. 2. Praktische
Konkordanz
Wie ausgeführt, kann aiber mit dogmatischer Tatbestandsabgrenzung allein nicht schon jedes Kollisions- und Konkurrenzproblem als gelöst betrachtet werden 94 . I n Fällen der normativen Überschneidung ranggleicher beziehungsweise als ranggleich zu behandelnder Normen ist das Verfahren praktischer Konkordanz auf Grund der dogmatisch erarbeiteten Kriterien in der Lage, zu einer hinreichend rationalisierten Lösung zu führen. Diese wird schon wegen der verschiedenen Lagerung der „Schutzzonen" in verschiedenen Grundrechten und wegen der verschiedenen Eingriffsintensität gesetzlicher Normen in die grundrechtlichen Normbereiche vielfach, wenn nicht in der Regel zu einer Lösung gelangen, die „ungleichgewichtig" ist, die also nicht beide oder alle beteiligten Normen im Sinn ausgewogener Balance „gleich stark" beschneidet und „gleich stark" wirksam sein läßt. Die „Optimierung" aller beteiligten Normen und Schutzgüter ist insofern eine vor allem negative Formulierung des Interpretationsziels: Die Auslegung darf nicht der einen Norm im Sinn einer „Abwägung" pauschal den „Vorrang" einräumen, die andere „zurücktreten" lassen wollen; also nicht die eine ganz auf Kosten der anderen realisieren. Wie im Ergebnis die Linie zwischen den letztlich den Fall bestimmenden Teilen der Geltungsgehalte verlaufen wird, kann die Formel der „Optimierung" nur formal umschreiben, da die praktische Lösung in dieser Sicht normativdogmatisch strikt begründbar sein muß und nur in dem Maß generalisierbar ist, in dem sich der betreffende Typus von Konkurrenz oder Kollision zwischen diesen bestimmten Rechtsnormen definieren und dogmatisch fassen läßt. 3. Grundrechte
und Gesetzesrecht
Der nur durch die „Schleuse" der Gesetzesvorbehalte durch positive Normierung des Verfassungsgesetzes zum Teil eingeebnete Rangunterschied zwischen Verfassungs- und Gesetzesrecht95 bleibt auch hier zu beachten. I m Konfliktsfall gilt in der Tat das vereinfachende Prinzip, 94 Wie das aber Wehrhahn, Systematische Vorfragen einer Auslegung des A r t . 2 Abs. 1 des Grundgesetzes, AöR 82 (1957), 205 ff. t a n n i m m t 95 Vgl. den Ansatz i n BVerfGE 7.198. z.B. 203 ff., 204.206 f.; 7.377.409 ff. mit Herausarbeitung der Möglichkeit verschieden starker Schutzbereiche innerhalb des sachlichen Geltungsgehalts einer Freiheitsgarantie am Beispiel der Berufsfreiheit; 12.45.53.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
unter dem Grundgesetz gälten nicht mehr die Grundrechte im Rahmen der Gesetze, sondern die Gesetze im Rahmen der Grundrechte 9®. Dabei wird die wachsende Durchdringung des einfachen Rechts mit verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten und Maßstäben ebensowenig verkannt wie die ausgestaltende, schützende und sichernde Wirkung der Rechtsordnung für grundrechtsgarantierte Aktions-, Organisations- und Sachgarantien und wie die Bedeutung gesetzlicher Vorschriften für die Interpretation des Verfassungsrechts, soweit sich die Gesetze als (rechtserzeugte) Bestandteile verfassungsrechtlicher Normbereiche herausgestellt haben 97 . Doch gibt es im dogmatisch nachgewiesenen Konfliktsfall bei Normen ungleichen Ranges kein Sowohl-als-auch. Die Gesetzesvorbehalte als rechtstechnische Mittel des Verfassungsgesetzes, für ihren Geltungsbereich Gleichrangigkeit von Verfassungsrecht und Gesetzesrecht, nämlich von Grundrecht und Vorbehaltsgesetz zu erzielen, sind einer Ausdehnung, Einschränkung, Beseitigung oder Verwischung im Namen allgemeiner dogmatischer oder theoretischer Grundsätze nicht zugänglich. Sie sind positivrechtliche Grundlage für die Fälle, in denen — abgesehen von der Begrenzung von Verfassungsnormen untereinander — das Verfahren praktischer Konkordanz einsetzen kann. Sobald sich aber ein ausgestaltendes, inhaltsbestimmendes, umschreibendes oder regelndes Gesetz im Licht der Normbereichsuntersuchung als zugleich in den grundrechtlichen Geltungsgehalt eingreifendes Vorbehaltsgesetz herausstellt, ohne sich aber formal und material als Vorbehaltsgesetz rechtfertigen zu können (bei Nichterfüllung der Voraussetzungen, die der Gesetzesvorbehalt normiert, oder bei vorbehaltloser Garantie des fraglichen Grundrechts), wird es von dem ranghöheren Grundrecht als einem in diesem Sinn verstandenen VorRecht verdrängt. Das gilt aber nur im Umfang der Kollision. So kann beispielsweise ein Grundrechtsberechtigter strafbar sein, wenn er durch Verfassen oder Verbreiten einer wissenschaftlichen Arbeit einen strafM Herbert Krüger, Grundgesetz und Kartellgesetzgebung, 1950, 12; vgl. auch Gebhard Müller, Das Bundesverfassungsgericht der Bundesrepublik Deutschland, Journal der Internationalen Juristenkommission 1965, 237. S.a. BVerfGE 7.377.404; 7.198.208 f. Einschränkend — f ü r die nicht auf den K o n f l i k t rangungleicher kollidierender Normen zulaufenden Fälle insoweit zu Recht — Häberle, 194 A n m . 406. • 7 Die Anforderungen an diesen Nachweis sind von den durch Auslegung zu bestimmenden K r i t e r i e n des verfassungsrechtlichen Normprogramms w i e von den — soweit vorhanden — nicht-rechtserzeugten Normbereichselementen der fraglichen Verfassungsvorschrift aus zu bestimmen. Ohne solche hermeneutische, methodische und dogmatische Abstützung ist es allerdings die Frage, w i e es zu vermeiden sein soll, „daß Teile des einfachen Rechts mehr oder weniger w i l l k ü r l i c h zu Verfassungsrecht aufgewertet werden u n d letzten Endes den I n h a l t der Verfassung bestimmen"; diese Warnung bei Rüfner, Der Staat 1968, 41 ff., 52. Zur selbständigen Interpretation verfassungsrechtlicher Begriffe ohne Rücksicht auf das Gesetzesrecht s.a. BVerfG J Z 1968, 523, 524 u n d dazu Evers, JZ 1968, 525, 526.
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
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rechtlichen Tatbestand erfüllt hat. Doch kann es sein, daß die strafrechtlich an sich zulässige Deliktsfolge des Berufsverbots, der Einziehung oder der Vernichtung der Arbeit wegen des Grundrechts, abgesehen vom Übermaßverbot, unzulässig sein kann. I n einem solchen Fall wären die Maßstäbe des strafrechtlichen Tatbestands nicht wissenschaftsspezifisch faßbar, hätten sich also die Strafnorm und die Grundrechtsnorm insoweit nicht „überschnitten"; wohl aber insoweit, als die Existenz des wissenschaftlichen Werks, seine grundsätzliche Verbreitungsmöglichkeit und die Freiheit, auch im Rahmen eines Berufs, durch sachfremde Maßstäbe ungehindert, zu forschen und zu arbeiten, grundrechtsspezifisch geschützt sind. Grundrechte wie dieses sind in größerem Umfang als andere zwar nicht asozial, wohl aber sachlich eigengeprägt und inhaltlich vom Unterverfassungsrecht und seiner Ausgestaltungsfunktion unabhängig. Bei ihnen und ihren überwiegend nichtrechtserzeugten Normbereichen (vgl. vor allem Art. 4 Abs. 1 und 2, 5 Abs. 3 Satz 1 GG) fällt daher der Rangunterschied zwischen Verfassungsrecht und Gesetzesrecht im praktischen Einzelfall besonders stark ins Auge. Danach genügt es nicht, i m Sinn des Bundesverfassungsgerichts 98 mit Hilfe von Abwägung und „Wechselwirkung" zu fragen, wie weit das grundrechtsbezogene Gesetzesrecht „grundrechtlich beeinflußt" sei. 4. Konkretisierung
im einzelnen
Das hier vorgeschlagene Verfahren löst noch nicht die Einzelprobleme der Grundrechtsdogmatik. Es verzichtet gerade darauf, Pauschalformeln anzugeben. Es stellt die Aufgabe, im einzelnen zu diskutieren, wo die dogmatischen Grenzen verlaufen, und die Einzelfragen durch gegenüber den bisherigen Allgemeinthesen verengte und rationalisierte Fragestellung und Debatte zu rechtspraktischem und rechtswissenschaftlichem Konsens zu bringen 99 . So ist es zum Beispiel eine verengte dogmatische Frage, ob Werbung und Unterhaltung als gattungstypisch umschriebene Erscheinungen im Bereich der Kommunikation unter den Begriff „Meinung" in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gefaßt und damit dem Schutz der Garantie unterstellt werden sollen oder nicht 100 . Vom Normbereich her schließen sich „Werbung" und „Meinung" nur zum Teil, „Meinung" und „Unterhaltung" gegenseitig nicht aus. Auch Unterhal• 8 BVerfGE 7.198.204.206 f.; ebd., 204: „durch die Grundrechtsnorm i n h a l t lich . . . beeinflußt". ·· Vgl. den zutreffenden Hinweis bei Gallwas, 21 f., 22, 23, darauf, daß auch normative Anknüpfungs- u n d Verweisungstermini w i e „Würde des M e n schen", „Glaube", „Gewissen", „Religionsausübung", „ K u n s t " genügend Substanz haben, u m sie normativ u n d interpretativ nach dem Umfang ihrer Geltungsgehalte abzugrenzen. 100 Was von Hesse, Grundzüge, 1. Aufl. 1967, 150 verneint w i r d .
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
tung ist auf Kommunikation bezogen. Das Normprogramm gibt keinen Hinweis auf eine Einengung des Normbereichs allein im Sinn politisch funktionalisierbarer Meinung. I m übrigen ist auch Unterhaltung in dieser Richtung von Wichtigkeit. I n autoritär verwalteten Gemeinwesen kann Unterhaltung leicht zur primären Äußerungsform politikbezogener Diskussion und „Meinungsäußerung i m Rahmen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG werden. Das ist ein historisch zu erhärtender Befund aus dem Normbereich des Grundrechts. Das Normprogramm, das jede Äußerung und Verbreitung — nur dieses Teilproblem sei hier beispielshalber herausgegriffen — von „Meinung" als „frei" garantiert, nimmt damit vorbehaltlich der Grenzen des Art. 5 Abs. 2 GG, der Art. 17 a Abs. 1 und 18 GG die Möglichkeit, in inhaltlich fixierendem generalklauselartigen Vorgriff nur „echte", „ernsthafte", „gewichtige" Meinungen als geschützt zu behandeln. Die Frage kann in diesem allgemeineren Zusammenhang nicht abschließend untersucht werden. Doch sprechen die ersten Aspekte dafür, ohne wertende Differenzierung auch Unterhaltung als Gattungstyp des Normbereichs „Meinung" dem Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG zu unterstellen. Dasselbe wird auch für einen Teil „meinungs"spezifischer Werbung zu gelten haben, die allerdings gattungstypisch noch schärfer zu umschreiben wäre. Ferner ist zu beachten, daß werbende Tätigkeit zugleich von anderen Grundrechten wie Art. 5 Abs. 3 Satz 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geschützt sein kann. Erhebt die hier entwickelte Sicht der Grundrechte auch bewußt nicht den Anspruch, ein durchgängiges Rezept für die Fragen der Grundrechtsbegrenzung anzubieten, so kann sie aber vielleicht durchgängig die Unsicherheitsfaktoren ausschließen, die etwa mit der direkten oder „mittelbaren" Übertragung der Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG oder mit allgemeinen Güterabwägungsempfehlungen oder Mißbrauchs·* urteilen verbunden sind. Eine (tatbestandlich im übrigen näher zu differenzierende) Gesetzgebung gegen „zersetzende" Kunst wird sich unter den politischen Verhältnissen, die sie indiziert, schon deshalb aus der direkt oder indirekt aus Art. 2 Abs. 1 GG auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG „übertragenen" oder „interpretativ" für sie nutzbar gemachten Schranke des Sittengesetzes rechtfertigen lassen, weil „das Sittengesetz" schon für die Freiheit der Persönlichkeitsentfaltung an mangelnder Konkretisierbarikeit leidet, bei seiner Ausdehnung auf andere, sachgeprägte Grundrechte aber vollends zur Blankettformel wird, mit der sich jeder sachlich-normativ begründete Schutz eines Normbereichs auf dem Weg apokrypher Grundrechts„begrenzung" aus den Angeln heben läßt. Die so oder so im Ergebnis, um bei dem Beispiel zu bleiben, auch für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG für verbindlich gehaltene Schranke „des" Sittengesetzes würde bei dem Grad der mit dieser Voraussetzung verbundenen
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
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dogmatischen Weitherzigkeit kein juristisches Hindernis dagegen bieten, etwa Flauberts Madame Bovary mehr als hundert Jahre nach ihrer gerichtlichen Exkulpierung im Mutterland unter dem Grundgesetz einstampfen und den Verleger jeder deutschen Ausgabe strafrechtlich belangen zu lassen. Das um so -mehr, als sich schließlich — einmal vorausgesetzt, die Grundrechte lassen sich so behandeln, wie es weite Teile der Lehre und Rechtsprechung noch immer tun — aus Art. 6 Abs. 1 GG zusätzlich besonderer Schutz für Ehe und Familie nachweisen und damit die verfassungsrechtliche Mißbilligung einer literarischen „Verherrlichung" des Gegen-Themas „ableiten" läßt. Daß Flauberts Meisterwerk unter dem Grundgesetz noch nicht eingezogen und eingestampft worden ist, darf indes weder an Flauberts Weltgeltung noch an der überragenden stilistischen und kompositorischen Qualität der Arbeit, weder an ihrem Alter noch an der praktischen Vernunft der Strafverfolgungsbehörden liegen. Es müßte daran liegen, daß Grundrechtsauffassungen und Grundrechtsbegrenzungstheorien, die diese Einstampfung zwanglos zu rechtfertigen vermögen, wenn man nur will, angesichts ihrer Gewaltsamkeit im Umfang mit dem Verfassungsgesetz nicht vertreten werden. Es genügt normativ nicht, Einschränkunigen grundrechtlicher Garantien von einer Stärke, die nur durch ein Vorbehaltsgesetz zu rechtfertigen wäre, als „deklaratorisch" erzielte „immanente" Begrenzungen terminologisch zu verharmlosen, um so an den leidigen Formalien der positi v-rechtlichen Ausgestaltung der Freiheitsgarantien vorbeizukommen. Durch Leerformeln für begrenzt erklärte Grundrechte sind für tot erklärt. Wenn es das Sittengesetz sein soll, das im Sinn „der allgemeinen grundlegenden Anschauungen über die ethische Gebundenheit des einzelnen in der Gemeinschaft" alle Grundrechte zu begrenzen hat 1 0 1 , dann sind die Freiheitsverbürgungen je nach der „Lage" mehr oder weniger law in the books. Wegen der Unbestimmtheit seines normativen Gehalts ist das „Sittengesetz" auch als nicht-normative Auslegungshilfe für die Begrenzung der Grundrechte wenig hilfreich. Das Denken von den Schranken des Grundrechts her nimmt sich den sachlich schwächsten Punkt einer Grundrechtsdogmatik zum Ansatzpunkt. Die größte Dichte sachlicher Kriterien ist in den Normbereichen der Grundrechte selbst gegeben. Primär von hier aus ist die inhalts- und grenzbestimmende Dogmatik der Freiheitsgarantien der Verfassung zu entwickeln. Die Möglichkeit sachfremder, zweckfremder oder gar „hemmungsloser" Grundrechtsaktualisierung ist bei solchem Vorgehen wegen der Sachbegrenzung der Freiheitsgarantien nicht zu befürchten. Diese engt vom Geltungsgehalt der Verbürgung aus die als „frei" gewährleisteten Modalitäten auf das dem Grundrecht Sachspezifische ein. Zudem stellt 101
Z u dieser Umschreibung vgl. B V e r w G E 1.303.307.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
Grundrechtsaktualisierung als Rechtsausübung nie von der Rechtsordnung frei. Grundrechtsausübung kann tatbestandlich alle Voraussetzungen zivil-, straf- und öffentlich-rechtlicher Vorschriften erfüllen. Seine — sachbegrenzte — Wirkung entfaltet das Grundrecht bei den sich anschließenden Fragen, ob bei dem betreffenden Typus der Normkollision, bei der (partiellen) Überschneidung der Normbereiche mit (partieller) Gegenläufigkeit der Normprogramme die Grundrechtsaktualisierung zum Anknüpfungspunkt für nachteilige Rechtsfolgen gemacht werden kann, ob die Sanktion direikt durch Eingriff in den Normbereich desselben Grundrechts oder mittelbar durch Eingriff in andere Rechtsstellungen des Grundrechtsträgers auf die Garantie zurückwirken darf und wie die Maßstäbe der Beurteilung angesichts der sachgeprägten Freiheitsgarantie über die sonst anwendbaren zivil-, straf- und öffentlichrechtlichen Kriterien hinaus zu modifizieren sind. Die grundrechtlichen Vorbehalte wirken dabei als Legitimation für (wiederum normativ begrenzte) Rangangleichung zwischen den kollidierenden Grundrechtsund Gesetzesnormen und geben in diesem Umfang den Raum für das verhältnismäßig zuordnende Verfahren praktischer Konkordanz frei, soweit nicht Verfassung oder Vorbehaltsgesetz im Einzelfall durch Speziai- oder sonstige Vorzugsregel eine eindeutige Entscheidung getroffen haben. 5. Dogmatische Differenzierungen Für all diese Fälle einschließlich der vielfach praktisch werdenden genaueren Unterscheidung von Kollisionen und Scheinkollisionen ist die Bereichsdogmatik des einzelnen Grundrechts, ist die dogmatische Abgrenzung von Zuständen, Organisationsformen und Verhaltensweisen grundlegend, die nicht mehr zu dem typischen oder typisch werden könnenden sachspezifisch geschützten Normbereich gehören und solchen, die dazu gehören. Diese Untersuchung hilft ferner, den „Kernbereich innerhalb des einzelnen Grundrechts" 102 , also den Wesensgehalt, sowie „Zonen" verschieden starken Schutzes innerhalb des Geltungsgehalts 101 Scheuner, W D S t R L 22 (1965), 54 f., 55; ebd. zur dogmatischen Abgrenzung des sachspezifisch geschützten Bereichs zu den Fällen „außerhalb dieses Bereiches" u n d zur Erarbeitung von Kollisionslösungen u n d einer begrenzten „Ranghierarchie" unter den Grundrechten. Bei Scheuner w i r d der Akzent auf „wertende Bestimmung" (54) gelegt, hier dagegen auf eine Wertungen möglichst zurückdrängende, sie aber weder leugnende noch ganz ausschaltende Dogmatik auf G r u n d der Strukturuntersuchung der (teils rechtserzeugten, teils eigengeprägten, von der Verfassung „vorgefundenen") Normbereiche. — Vgl. auch Rüfner zur Differenzierung nach „Kernbereich" u n d „ R a n d bereichen" als Zonen verschieden starken u n d gegenüber anderen Rechtsnormen verschieden wirksamen Schutzes innerhalb derselben Freiheitsgarantie unter Gesichtspunkten der Grundrechtskonkurrenz, Der Staat 1968, 41 ff.,
eof.
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
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der Garantie herauszuarbeiten; genauer: verschiedene austauschbare bzw. nicht austauschbare Modalitäten der Grundrechtsausübung herauszustellen und differenzierte Fragestellungen zu entwickeln, unter denen die Frage der Drittwitfkung oder das Problem, ob ein Grundrechts„eingriff " vorliege oder nicht, detaillierter als bisher geprüft werden können. Als Beispiel für solche Differenzierung hat sich im Umkreis beider Fragenkomplexe die Aufgliederung nach: Anknüpfungspunkt — Maßstäblichkeit — Sanktion als fruchtbar herausgestellt. Die Aufgliederung in verschieden starke „Schutzzonen" erweckt dagegen bei aller instrumentalen Brauchbarkeit „verräumlichender" Begriffsabkürzungen und -Umsetzungen den Eindruck, als sei die Geltungsmaterie eines Grundrechts normgeographisch beliebig aufteilbar. Sie ist aufteilbar, soweit das Grundgesetz das normiert. Das gilt für die Abgrenzung des Wesensgehalts wegen Art. 19 Abs. 2 GG wie auch für die Bereiche verschieden starken Schutzes, die das Bundesverfassungsgericht im Apothöken-Urteil festgehalten hat, wegen der Formulierung des Grundrechts der Berufsfreiheit. Ein ähnlicher Normaufbau ist noch bei andern Grundrechten positiviert, kann aber nicht verallgemeinert werden. Dagegen bietet die Entwicklung verschiedener differenzierender dogmatischer Gesichtspunkte der genannten Art keinen Anlaß zu Bedenken. Sie rationalisiert die Fragestellung, ohne normative Abstufungen apokryph zu unterschieben. Bei der Gruppe der nur scheinbaren Normkollisionen schließlich genügt das aus der Untersuchung des Normbereichs gewonnene Sachkriterium der Reichweite des Geltungsgehalts, ohne daß noch nach Anknüpfungsfähigkeit, Maßstäblichkeit und Sanktionierbarkeit zu fragen wäre. Der Bildhauer, der Holz für eine Plastik gestohlen hat, kollidiert in seinem Verhalten mit dem Strafrecht an einer Stelle, die nicht in den für „Kunst" spezifischen Normbereich fällt. Der von Autor oder Regisseur geforderte Totschlag auf der Bühne ist wegen der Begrenzung des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unzulässig. 6. Scheinkollisionen A l l das läßt sich dogmatisch rationalisieren. Nicht aber kann man solche (Schein-)kollisionen dem Einzelfall überlassen, in dem sie „wertinterpretatorisch" 108 zu lösen seien. Ein Extrem der Vermischung grundrechtsindifferenter Betätigung mit Problemen der Grundrechtsbegrenzung erreicht das Reichsgericht, wenn es in einem Urteil aus dem Jahr 1927104 die Bindung des die Kunstfreiheitsgarantie aktualisierenden Künstlers an die dem physischen Schutz der Mitmenschen dienenden 108 W4
So aber Erbel, 146, zum Verhältnis von Kunstfreiheit u n d Strafrecht. R G U. vom 28. 2. 1927; A Z : J 50/26 X 46/26; zitiert bei Erbel, 147.
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
Strafgesetze damit begründet, anderfalls „müßte man . . . auch den Mörder nicht für strafbar erachten, der sein Opfer mit einer künstlerisch wertvollen Marmorbüste niederschlägt". Auch in weniger eindeutigen Fällen entlastet die dogmatische Unterscheidung von Grundrechtsausübung und akzidentellen Umständen „bei Gelegenheit" einer Grundrechtsausübung zahlreiche Rechtsfälle vor unangebrachter Vermengung mit Grundrechtsfragen. I n einer Entscheidung zur sachlichen Reichweite des Grundrechts der Glaubensfreiheit 105 hat das Bundesverfassungsgericht diese dogmatische Abgrenzung mit Recht zum fallentscheidenden Faktor gemacht. Ebenso hat es sich in einem Beschluß zu Art. 4 Abs. 2 GG allein auf die Nichtzugehörigkeit des fraglichen Anknüpfungspunkts (hier für belastende Rechtsfolgen des Steuerrechts) zum Normbereich der Kultusfreiheit gestützt10®. Wo die im Verhältnis der Spezialität, also einer eindeutigen formalen Vorzugsregelung zueinander stehenden Normprogramme der beteiligten Verfassungsvorschriften einen an sich zusammenhängenden Sachbereich zu verschiedenen Normbereichen zerschneiden, hat das Gericht zutreffend eine etwaige materiellrechtliche Problematik der Eingrenzung eines vorbehaltlos garantierten Grundrechts beiseite gelassen107. Zu Recht hebt es allein auf die Frage formaler Gleich- oder Ungleichrangigkeit ab. Ein Grundrecht von fundamentaler Bedeutung wie das der Gewissensfreiheit kann durch die Verfassung selbst begrenzt werden. Aktualisiert sich diese Begrenzungsmöglichkeit im Einzelfall durch (partielle) Kollision mit einer Verfassungsvorschrift, die — wie die Regelung der Ersatzdienstpflicht in Art. 12 Abs. 2 GG — für das Ganze der Verfassung materiell und verfassungstheoretisch durchaus nicht von gleichem Gewicht ist, so ist dennoch im Umfang der Kollision, der Überschneidung der beteiligten Vorschriften — allein dieser Sektor ist für die Rangfrage von Belang — nur nach einem etwaigen formalen Rangunterschied zu fragen, von dem allerdings unter Verfassungsnormen in solchem Zusammenhang „nicht die Rede sein kann" 1 0 8 . Andre Fälle, in denen es sich nur um Scheinkollisionen zwischen Verfassungsnormen handelt, sind dementsprechend ohne Rangdifferenzierung allein aus der Norm lösbar, die spezifisch den Fall regiert 109 .Das war zum Beispiel auch dort fallentscheidend, wo störende Äußerungen bei der Arbeit in einem politischen Archiv als nicht los BVerfGE 17.302.305. Vgl. a. B G H Z 33.145. ioe BVerfGE 19.129.133. Die Frage dogmatischer Abgrenzung wäre auch i n BVerfGE 12.1 ff. vorab zu stellen gewesen. 107 BVerfGE 19.135.138 (Art. 4 Abs. 1 u n d 3, A r t . 12 Abs. 2 Satz 4 GG); BVerfG J Z 1968, 521. los BVerfGE 19.135.138 unter Hinweis auf BVerfGE 3.225; 231 f.; 12.45.52 f. 109 Vgl. die Nachweise zu Fällen zweifelhafter Konkurrenzen bzw. Scheinkonkurrenzen zwischen A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 u n d A r t . 14 GG bei Berg, 3; vgl. auch Erbel, 134 f., 165 f.; B V e r w G E 2.172; OVG Münster, VerwRspr. Bd. 5, 468.
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
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unter „Forschung" i. S. des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG fallend gewertet wurden 110 , wo politisches Handeln, das sich auf eine wissenschaftliche Theorie stützt, nicht mehr als zum Normbereich von Wissenschaft und damit nicht mehr unter die Garantie der Wissenschaftsfreiheit gehörig behandelt wird 1 1 1 . Es muß auch dahin verstanden werden, daß Wirtschaftsgütererwerbung am Straßenrand mittels Reklametafeln gattungstypisch nicht von der Kunstfreiheit geschützt wird und in bezug auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG keine Grundrechtsfragen aufwirft 1 1 2 . Es gilt auch für Begrenzungsversuche durch „systematische Gewährleistungsschranken" 118. 7. Grundrechtskonkurrenzen Andrerseits wirkt der sachliche Geltungsgehalt auch in Fällen von Konkurrenzen nicht in Richtung der Grundrechtseinschränkungen, sondern in jener der grundrechtlichen Reichweite. Wird — worüber zu diskutieren wäre — das literarische Kabarett gattungstypisch zum Normbereich „Kunst" gezählt, dann ändern in solchen Darbietungen vorgetragene Stellungnahmen und Meinungsäußerungen nichts am Schutz durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG, soweit die grundsätzliche Reichweite der Garantie in Frage steht. Besser als von einer Grundrechtskonkurrenz, bei der es im Ergebnis auf das weniger einschränkbare Grundrecht ankommen soll 114 , wird in solchen Fällen dogmatisch von der Spezialität des Grundrechts ausgegangen, zu dessen Normbereich die fragliche Anknüpfungshandlung gehört; das ist hier für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG der Fall. Dasselbe gilt etwa für das Verhältnis von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG zu Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Eine Ausstellung Von Kunstwerken kann nicht unter Aspekten einer Berufsausübungsregelung verboten werden, weil und sofern sie gattungstypisch zum Schutzbereich der Kunstfreiheitsgarantie gehört. Der Bundesgerichtshof 115 110
B V e r w G 18.34.38; vgl. auch Röttgen, GR 11.311 A n m . 55. BVerfGE 5.85.146. 111 V G H Kassel i n : Thiel, Bd. 3.197.200 w i l l A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 GG anwenden u n d durch „immanente" Beschränkung den Werbetafeln den Schutz der Garantie dann wieder nehmen. Vergleichbar B V e r w G E 2.172.178 f., w o die zuvor grundsätzlich bejahte Schutzwirkung der Kunstfreiheitsgarantie unter Spezialitätsgesichtspunkten i m Ergebnis wieder verneint w i r d . I n beiden Fällen handelt es sich von Anfang an nicht u m das Grundrecht des A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G ; vgl. hierzu zutreffend Berg, 136 f.; s. a. ebd., 138 f. 113 Hierzu v. Mangoldt-Klein, z.B. A n m . I V l d zu A r t . 2 GG u n d A n m . X 6 b zu A r t . 5 GG, wo gleichfalls der grundrechtliche Geltungsgehalt nicht vorab untersucht u n d sachlich abgegrenzt, sondern die Lösung von G r u n d rechtsfragen vorschnell von den Beschränkungsmöglichkeiten her gesucht wird. 114 So Berg, 154 m. Nw.en. 115 B G H N J W 1965, 983 f., 984; BGHSt 20.192. 111
7 Müller, Grundrechte
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2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
spricht zu Recht bei der Öffentlichkeit zugänglichen Ausstellungen von Originalwerken (das Problem der Vervielfältigung stand nicht zur Debatte) von einem „dem Wesen des Kunstwerks entsprechenden . . . Gebrauch". Gemeint ist das dogmatisch Richtige: Ausstellen von Gemälden im Original als gattungstypisch zum Normbereich „Kunst" gehörende und damit von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützte Verbreitungsform. Für die Freiheit der Glaubenswerbung und der Abwerbung von fremdem Glauben ist ihre Vermischung mit gesetzlich geregelten Ausbildungs- und Abhängigkeitsverhältnissen unter Anwendung gewisser Druckmittel im Rahmen dieser Verhältnisse eine vom Normbereich des Art. 4 Abs. 1 GG nicht mehr umfaßte Modalität der Missionierung. Sie wird infolgedessen vom Schutz der Freiheitsgarantie nicht mehr getragen 116 . Derselbe Grundgedanke gilt für die Unzulässigkeit religiöser Beeinflussung durch den nicht sorgeberechtigten geschiedenen Ehegatten insofern, als sich dieser während der Zeit des ihm gerichtlich zuerkannten Verkehrs mit dem Kind staatlich überlassener Autorität bedient 117 . Das Sachspezifische des Normbereichs wird zunächst von den typischen Ausübungsformen und Zustandsformen ausgehen können 118 . 8. Normbereich und Typus Dabei sind die „typischen Erscheinungsformen", die „Normalformen" der Grundrechtsausübung nicht so zu verstehen und zu begründen, als hätten sie dem Verfassunggeber „vorschweben" müssen119. Sie sind auch nicht durch Recherchen darüber zu ermitteln, was sonst dem Verfassungsgeber vorgeschwebt haben mag. Es kommt allein auf den durch rationale Interpretation herauszuarbeitenden objektiven Normgehalt an. Das verweist in erster Linie auf die strukturellen Eigentümlichkeiten und Merkmale des Normbereichs. Innerhalb dessen sind „typische" Formen der Grundrechtsausübung zunächst am leichtesten zu erkennen. Doch darf sich das „Typische" an ihnen nicht auf das Konventionelle, Übliche einengen lassen. Die Freiheitsgarantie läßt es — je nach Formulierung des Normprogramms auf verschieden weitgehende Art — den Grundrechtsberechtigten frei, wie sie die Garantie inhaltlich verwirklichen wollen. Mit der hier gesuchten Abgrenzung ist allerdings kein Unwert- und auch kein „Mißbrauchs"-Urteil verbunden. Es ist nur zu ermitteln, wie weit sich die Reichweite der Freiheitsverbürgung sachlich erstreckt. Für diese Prüfung leistet die Differenzierung und 1 M 117 118
B V e r w G Z e v K R 10 (1963/64), 207 ff., v. a. 209, 210 = B V e r w G E 15.134 ff. B a y O b L G K i r c h E 5.300; hierzu auch Scheuner, DÖV 1967, 585, 586. Vgl. auch Rüfner, Der Staat 1968, 41 ff., 55; Berg, z.B. 831, 94; Erbel,
128 ff. 119
So aber Erbel, 128.
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
99
Aufgliederung der vom Normbereich umschlossenen Möglichkeiten nach typischen Handlungs- und Gestaltungsformen wertvolle Dienste. Gleichwohl läßt es die grundrechtliche Freiheitsgewähr nicht zu, den Umfang des Normbereichs auf das Typische allein im Sinn des Üblichen, Herkömmlichen einzuengen. Gerade auch das Α-Typische, Individuelle, das Neue, das Spontane können sachspezifisch geschützt sein. Das Typische gibt wertvolle Hinweise für den Umfang des Normbereichs, aber nicht mehr als das. Entscheidend bleibt die Herausarbeitung des für den sachgeprägten Normbereich strukturell Notwendigen, Wesentlichen; dessen, worumwillen nach historischer Erfahrung, politischer Überzeugung und rechtlicher Einsicht das Grundrecht gewährleistet worden ist. Das strukturell „Typische" meint nicht nur die statistischen Durchschnittswerte und -gestaltungen, sondern darüber hinaus das vom Sachlichen her in Typen faßbare „Normative", das von den Lebensäußerungen des Normbereichs selbst ohne rechtliche Bewertung stabilisiert und tradiert worden ist oder das — als neue Gestaltung — von der garantierten Sache her anscheinend die Gewähr bietet, selber stabilisierend und traditionsbildend wirken zu können. Mehr wird sich auf der Abstraktionshöhe, die von der Notwendigkeit einer ersten Grundlegung dieser Sicht der Grundrechte veranlaßt ist, zur Rolle des Typischen bei der Erfassung von Gehalt und sachlicher Begrenzung der Normbereiche zunächst nicht sagen lassen. Das auf nicht solche Art differenzierte und relativierte „Typische" allein 1 2 0 läuft Gefahr, das Grundrecht von der Faktizität her voreilig zu fixieren. Das wäre ein Rückgriff auf den Sachbereich, nicht auf den Normbereich des Grundrechts. Der Sachbereich mag in manchen Bezirken traditionell verkrustet, konventionell erstarrt sein. Der Normbereich, der in Vermittlung des Sachbereichs mit dem „Freiheit" garantierenden Normprogramm des Grundrechts zu klären ist, läßt dank der Verfassungsgarantie die Möglichkeiten des Neuen offen. Daß das Spezifische und das Herkömmliche auf der einen, das Exzentrische und das NichtSpezifische, also nicht mehr Geschützte auf der anderen Seite häufig ineins fallen, ist wieder eine andere Frage. Das Malen auf der Kreuzung ist für künstlerisches Schaffen strukturell nicht notwendig. Es ist insoweit nicht sachbedingt, sondern stellt nur eine Modalität bei Gelegenheit der Grundrechtsausübung dar 1 2 1 . Das Verbot, auf der Straßen120
Wie es etwa bei Rüfner, ebd. (Anm. 118), 55; Erbel, ebd., gestreift w i r d . Daß der Maler sein Objekt nur zu dieser Zeit (Verkehrszeit) u n d n u r exakt an dieser Stelle (nicht etwa an einer annehmbaren Stelle neben der Fahrbahn u n d so fort) malen „könne", w e i l i h n die künstlerische Nötigung zwanghaft auf ein solches T u n h i n nötige, w i r d nicht leichter belegbar sein als die zur wörtlichen Auffassung der Shakespeare-Rolle des Shylock oder zum von A u t o r u n d Regisseur befohlenen „ M o r d auf der Szene" erörterte Voraussetzung. Der F a l l kann für die G r u n d l i n i e n der dogmatischen Lösung lf l
7·
100
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
kreuzung zu malen, verkürzt nichts grundrechtlich spezifisch Garantiertes. Damit ist die Frage des Geltungsgehalts für diesen Fall einer Scheinkollision erledigt. „Typisch" im Sinn des Üblichen, Herkömmlichen, ist die Wahl eines derartigen Standorts für den plein-air-Maler ohnehin nicht. Auch die Freiheit der Religionsausübung, die Versammlungsfreiheit, die Redefreiheit müssen nicht um der durch sie garantierten Sache willen auf der befahrenen Straßenkreuzung aktualisiert werden. Auch für sie handelt es sich nur scheinbar um Kollisionen von Rechtsnormen mit einem Grundrecht. Um wesentlich realisiert werden zu können, um nach der Struktur dessen, worumwillen sie verbürgt sind, Wirklichkeit gewinnen zu können, sind sie auf die Modalität „auf der Straßenkreuzung" weder beschränkt noch angewiesen. Spezifisch ist eine Ausübungsform dann, wenn ihr nicht nachweisbar der sachliche Zusammenhang mit der (zuvor dogmatisch zu entwickelnden) Struktur des grundrechtlichen Normbereichs fehlt. 9. Konventionelle
und strukturelle
Typizität
Dabei ist nicht nur, von Grundrecht zu Grundrecht wechselnd, die jeweilige Sachstruktur ohne vorschnelle Verallgemeinerung im Blick zu behalten, sondern auch auf die verschiedenen „Schutzzonen", die hier besser sogenannten verschiedenen Fragestellungen „innerhalb" des Geltungsgehalts des einzelnen Grundrechts zu achten. Ein Umzug aus Gründen politischer Demonstration kann sich seinen Weg durch die belebte Innenstadt nicht im Sinn eines subjektiv-öffentlichen Rechts auf eigenmächtige Bestimmung der Route „autonom" wählen. Andrerseits wäre die Freiheitsgarantie schon vom Normbereich — „politische", also: resonanz- und diskussionsbezogene und -angewiesene Meinungskundgabe — her in unzulässiger Weise unterlaufen, wenn der Demonstration durch die Behörde allein friedliche Waldgebiete, nur vom fließenden Verkehr benutzte Ausfalls- und Umgehungsstraßen oder menschenleere Vorortgebiete angewiesen würden. Der freigegebene und im Sinn eines grundrechtlichen Anspruchs auch zu fordernde Weg muß hinreichende Resonanzchancen aufweisen. I m Spielraum, der sich damit innerhalb des Normbereichs eines Rechts auf Versammlung unter freiem Himmel, auf Umzug, Demonstration und politische Meinungsäußerung auftut, wird in der Praxis immer eine Mehrzahl von gleichwertig austauschbaren Variationsmöglichkeiten gegeben sein. Der nach dem oben genannten Beispiel in der Formulierung des Bundesgerichtshofs „dem Wesen der Kunst entsprechende Gebrauch" des als konstruierter E x t r e m f a l l auf sich beruhen. I m übrigen sind gerade solche Fälle, w i e gesagt, i n der Regel unter dem Gesichtspunkt der wechselseitigen Begrenzung von (formal gleichrangigen) Verfassungsnormen lösbar. Vgl. I I Anm. 31.
V. Zur Reichweite grundrechtlicher Garantien
101
Grundrechts durch eine Gemäldeausstellung ist „typisch" sowohl im Sinn des Herkömmlichen als auch im strukturellen Sinn, der für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG einen Bezirk des Schaffens und daneben die Möglichkeit öffentlicher Verbreitung, einen Bezirk der Kommunikation unterscheiden läßt. Weniger im Sinn der Pauschalierung verschieden intensiv garantierter „Schutzzonen" „innerhalb" der Grundrechtsverbürgung als wiederum gemäß der Unterscheidung verschiedener Normaspekte kann hier — ebenso wie in der Wissenschaft — größere Austauschbarkeit bei den Kommunikationstypen als bei den Produktionstypen unterschieden werden. Wird dem Wissenschaftler vorgeschrieben, was er zu arbeiten habe, wie er methodisch vorzugehen habe und so fort, ist es mit der Freiheit der Wissenschaft zu Ende. Verbietet man ihm, seine Ergebnisse durch Thesenanschlag an öffentlichen Gebäuden oder mit öffentlich montiertem Lautsprecher zu verbreiten, ist damit eine für Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG „typische" Kommunikationsform im Sinn der Herkömmlichen sicher nicht getroffen. Dasselbe gilt aber im Ergebnis auch vom „Typischen" im darüber hinaus entwickelten Sinn. Die Möglichkeit einer Publikation in üblichen Bahnen ist von der Sache der „Wissenschaft" her dieser individuell gewählten zumindest nicht unterlegen. Es genügt, daß gleichwertige, austauschbare und insofern zwar in ihrem Nebeneinander, nicht aber in ihrem „So-und-nichtanders" spezifische Möglichkeiten aus dem Normbereich offen bleiben. Ist das der Fall, dann ist — hier für den Kommunikationssektor — Spezifisches nicht eingeschränkt, solange nicht praktische Gründe des Einzelfalls belegen, daß de facto nur die verbotene Möglichkeit der Grundrechtsaktualisierung bestanden hätte. I n der Regel wird sich ergeben, daß bei Freiheiten wie denen von Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre, Glauben, Gewissen, Bekenntnis und Religionsausübung die „individuellen", kreativen, überzeugungsproduktiven, den Gehalt der Grundrechtsausübung formenden Bezirke der Normbereiche einer individuellen Ausprägung im Rahmen der insoweit nur minimal fixierbaren Garantie gerade wegen der Freiheitsverbürgung der Normprogramme maximal offen stehen; daß dagegen in den Kommunikationsbezirken das „Typische" mehr im Sinn des Üblichen in den Vordergrund tritt, ohne daß damit Neues und Spontanes ausgeschlossen wäre. Der demontierte Bauzaun ist gattungstypisch noch nicht „Kunst" im Sinn des grundrechtlichen Anknüpfungsbegriffs. Wird er in einer Ausstellung als Werk des Dadaismus, der Pop-Art, im Sinn eines objet trouvé oder eines ready-made präsentiert, gibt er sich mit der Wirkung grundsätzlichen Grundrechtsschutzes (womit aber die auftauchenden Rechtsfragen noch nicht präjudiziert sind) gattungstypisch als objet trouvé, als ready-made, als Werk der Pop-Art und so weiter zu erkennen. Das verdeutlichende Kriterium liegt hier so gut wie ausschließlich
102
2. Teil: Ausgangspunkte einer Grundrechtsdogmatik
im Gattungstyp der Darbietung, im Kommunikationstyp. Wäre auch dieser unkonventionell, müßte bei solcher Lage des Falls der Schutz der Kunstfreiheit mangels hinreichender verfassungsrechtlicher Ansatzpunkte versagt werden. Dem Künstler kann nicht vorgeschrieben werden, wie allein er sein Werk verbreiten dürfe. Aber umgekehrt hat er im Maß der Austauschbarkeit der Kommunikationsmöglichkeiten keinen Anspruch gerade auf eine bestimmte Verbreitungsart im besonderen. Ferner kann bei Häufung unüblicher Schaffens- und Verbreitungsarten die Grundrechtsgarantie verwehrt werden, weil der grundrechtliche Normbereich methodisch und dogmatisch nicht bis zur Unkenntlichkeit und juristischen Unbrauchbarkeit überbeansprucht werden kann. Eine andre, weil dem Geflecht austauschbarer, nebeneinander gleichwertiger Möglichkeiten nicht zuzurechnende Frage ist, daß dem Künstler nicht von Staats wegen vorgeschrieben werden darf, wie er zu seinem Werk kommt; daß also etwa das Produzieren eines ready-made allein im Weg der Benennung, der Präsentation, des Postulats nicht aus dem Normbereich des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ausgeschlossen werden darf; dies ebenso wenig wie das Schaffen aleatorischer oder konkreter Musik- und Sprachwerke. Diese Wahl der Kreationsart ist nicht vertretbar und gehört sogar zum „Kernbereich", zum Wesensgehalt der Freiheitsgarantie. Wiederum eine andere Frage ist, wie gesagt, die Strafbarkeit des Pop-Artist wegen Diebstahls seines objet-,,trouvé". Die Modalität des Diebstahls ist nicht mehr sachspezifisch; ebensowenig wie beim Diebstahl des Holzes für eine „seriös" durch Schnitzen oder Holzbildhauern zu schaffende Plastik. In andern Fällen schneiden die rechtserzeugten Normbereichsteile Möglichkeiten, die an sich in den Sachbereichen vorkommen, normativ ab. So braucht die Unzulässigkeit der Polygamie aus Art. 6 Abs. 1 GG trotz dessen vorbehaltloser Gewährleistung durchaus nicht mit allgemeinen ethischen Nichtstörungsschranken als materiellen Begrenzungen aller Grundrechte begründet zu werden 122 . Eine „hemmungslose und willkürliche Grundrechtsausübung" in dieser Richtung wird schon dadurch ausgeschlossen, daß Art. 6 Abs. 1 GG nach der rechtlichen Geformtheit seines Normbereichs in der Rezeption durch das Grundgesetz nur die Einrichtung der monogamen Ehe und im Sinn der subjektivrechtlichen Komponenten des Grundrechts nur das Eingehen einer solchen schützt.
1M Wie das Dürig versucht, Maunz-Dürig, Rdnr. 72, 74 zu A r t . 2 Abs. 1 GG. Wie hier auch Copié , 35. Bei D ü r i g ebd., Rdnr. 72, die folgend zitierte Wendung.
Dritter
Teil
Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts I. Grundlinien seit der Mephisto-Entscheidung
Die „Positivität" der Grundrechte ist hier „im Sinn der Verläßlichkeit und praktischen Ergiebigkeit ihrer Normierung" 1 zum Thema gemacht. Das heißt zunächst - nochmals ausdrücklich festgehalten durch Art. 1 Abs. 3 GG - , daß sie nicht rechtspolitische Programmsätze darstellen, sondern positi vierte im Sinn von: verbindliche Rechtsgarantien. Das verweist unmittelbar auf ihre Normtexte, auf rechtsstaatliche Standards der methodischen Textbehandlung und im ganzen auf die Textstruktur des demokratischen Rechtsstaats in der Formung durch das Grundgesetz2. Eine der dogmatischen Folgerungen, die das Bundesverfassungsgericht in und seit der Mephisto-Entscheidung3 zu Recht hieraus zieht, besteht darin, angesichts der Textstrenge des Grundgesetzes auch bei der Formulierung grundrechtlicher Garantien und ihrer jeweiligen Grenzen nicht Verfassungs- bzw. Gesetzesvorbehalte der einen Gewährleistung auf andere zu übertragen. „Positivität" heißt weiter, Grundrechte seien nicht (außer Art. 3 Abs. 1 GG) generalklauselartige Vorschriften, sondern im Gegenteil positive im Sinn von: inhaltlich klar geprägte Einzelgarantien, von der Eigenart ihrer Normbereiche her sogar besonders dicht gefügt und reich an Konkretisierungshilfen (Normbereichselementen). Dem entsprechend entwickelt die hier vorgeschlagene Bereichsdogmatik auf der Basis des Verständnisses der Rechtsnorm als sachgeprägtes Ordnungsmodell nicht nur in Text und Systematik, 1
Oben, Vorwort. Zu diesem Konzept F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 435f.; ders., Juristische Methodik, 3. Aufl., 138ff.; ders., in: Untersuchungen zur Rechtslinguistik (Hrsg.), 205f., 214f. 3 BVerfGE 30,173 ff., v. a. 191 ff. - Positivität in diesem Sinn des Ernstnehmens der Vertextung von Grundrechten und der Wichtigkeit aller einzelnen Textkomponenten versuchte ich 1987 mit dem Unternehmen praktisch einzulösen, nach Aufforderung einen Menschenrechtskatalog für die neue brasilianische Bundesverfassung auszuarbeiten. Dies scheiterte schließlich an politischen Hindernissen (Widerstand der Latifundieneigner, Spaltung der präsidentiellen Fraktion). - Inzwischen wurde ein Teil des Entwurfs - die Formulierung von Gruppengrundrechten - aufgegriffen von juristischen Gremien der Bevölkerungsmehrheit für die Ausarbeitung einer neuen Verfassung der Republik Südafrika; vgl. L. C. Blaauw, South African Public Law, 1988, 232ff., 242f.; dies., The Constitutional Tenability of Group Rights, 1988, 395ff. 2
104
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
sondern eben auch im jeweiligen Normbereich abgestützte differenzierte dogmatische Strategien. Auch hier ist es die Mephisto-Entscheidung4, die unter dem Aspekt der Reflektiertheit richterlichen Handelns und Begründens eine entscheidende Wende der Grundrechtsjudikatur gebracht hat. Die Ausdrücklichkeit der Anlehnung an das normstrukturierende Konzept hat seitdem, so in der vierten und der fünften Rundfunkentscheidung, zugenommen. In den beiden bisher genannten Perspektiven geht es um freiheitsrechtliche Garantien, genauer gesagt um deren staatsabwehrende Komponenten. „Positivität" der Grundrechte bezieht sich aber auch auf ihre, mit allen Konkretisierungsfaktoren im Einzelfall zu ermittelnde, praktische Funktion. Sie hindert ein in der Diskussion des Öffentlichen Rechts zum Teil empfohlenes Vorhaben, Grundrechte mehr oder weniger allgemein in Leistungsansprüche umzuinterpretieren. Auch hier ist die höchstrichterliche Spruchpraxis 5 dem Konzept grundrechtlicher Positivität gefolgt. Teil 1 dieses Buchs zeigte, durch welche Lehren und Praktiken Positivität im anspruchsvollen Sinn des grundgesetzlichen demokratischen Rechtsstaats verfehlt wird; Teil 2, wie dieses Konzept hier im einzelnen entfaltet sowie verfassungstheoretisch, normtheoretisch und dogmatisch begründet ist6. Teil 3 dokumentiert nun seither aktuell gewordene Beispiele eines möglichen Sich-Auswirkens der Forderungen nach rationaler Konkretisierung, Normbereichsanalyse und Bereichsdogmatik in Grundrechtsfällen auf die Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts seit dem Beschluß vom 24. Februar 1971 in Sachen „Mephisto". In Vorbereitung dieser Entscheidung 4 BVerfGE 30, 173ff., bes. 188ff. - Die vierte Rundfunkentscheidung findet sich in BVerfGE 73, 118ff., 154; die fünfte in BVerfGE 74, 297ff., 350. 5 Vgl. das Finanzhilfe-Urteil vom 8. 4. 1987, BVerfGE 75, 40 ff. im Anschluß an F. Müller, Das Recht der Freien Schule nach dem Grundgesetz, und an dens., B. Pieroth, L. Fohmann, Leistungsrechte im Normbereich einer Freiheitsgarantie. 6 Zur weiteren Ausarbeitung der oben entwickelten dogmatischen Position vgl. die Nachweise im Vorwort zur 2. Auflage, Anm.en 1 bis 4. - Zur fortentwickelten Terminologie i n methodologischer und rechts(norm)theoretischer Hinsicht vgl. die Begriffserläuterungen bei F. Müller, Juristische Methodik, 3. Aufl. 1989, 24ff., 270ff., die den obenstehenden Text vor allem zu „Rechtsnorm", „Entscheidungsnorm", „Hermeneut i k " , „Geltung" und „Normativität" betreffen. Die dogmatischen Aussagen von Teil 1 und 2 der vorliegenden Schrift werden dadurch nicht verändert. Eine Neuformulierung ist allerdings für zwei Aussagen nötig: Oben S. 48, Zeilen 19 bis 22 besteht die „Struktur aller Rechtsauslegung und Rechtsanwendung" nach jetziger Ausdrucksweise i n konkretisierender Konstruktion der sachgeprägten allgemeinen Rechtsnorm aus Normprogramm und Normbereich im Ausgang von Rechtsfall und Normtext und in ihrer abschließenden Individualisierung zur Entscheidungsnorm. - Und: Oben S. 63, Zeilen 17 bis 19 ist der „Schlüssel zur Rationalisierung" nach jetziger Begrifflichkeit in einer methodisch (einschließlich sozial- und sprachwissenschaftlich) reflektierten Rechtserzeugung aus Normprogramm und Normbereich in Bindung an Normtexte und an die Standards einer demokratisch verpflichteten rechtsstaatlichen Arbeitsweise zu suchen.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
105
waren „Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik" sowie Teil 1 und 2 der vorliegenden Studie geschrieben worden. Π. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
1.Art. 1 GG Im Urteil des Ersten Senats zur lebenslangen Freiheitsstrafe 7 wird zunächst das Normprogramm des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG entwickelt. Anschließend entfaltet das Gericht anhand der vorgelegten Gutachten die Auswirkungen der lebenslangen Freiheitsstrafe auf die Persönlichkeit von Gefangenen. Diese Realdaten gehören jedenfalls zum Sachbereich des Menschenwürde-Grundrechts. Soweit diese Folgen mit der Würde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar erscheinen, bleibt es bei ihrer Qualität als Sachbereichsfaktoren. Die Normbereichselemente der Menschenwürde im lebenslangen Strafvollzug entwickelt der Senat dagegen in Gestalt von rechtserzeugten bzw. durch das Recht noch zu erzeugenden Faktoren (gesetzliche Regelungen der Voraussetzung, unter denen die Vollstreckung einer lebenslangen Freiheitsstrafe ausgesetzt werden kann)8. Die Folgen des Freiheitsentzugs sind anders zu qualifizieren, wenn man sie an einem anderen Normprogramm mißt; dies ist hier unterhalb des Verfassungsrechts vor allem das des § 211 Abs. 1 StGB. Sie sind mit dem Normprogramm der strafrechtlichen Vorschrift vereinbar und - je nach Lage des Falls - für deren Konkretisierung auch erheblich. Als Normbereichselemente der gesetzlichen Vorschrift unterliegen sie der Beurteilung am Maßstab der Menschenwürde des Art. 1 Abs. 1 GG als einer Norm, die aus (rechtsstaatlichen) Gründen des positiven Rechts einen höheren Rang hat. Die gleichzeitige Bewertung der Folgen des Freiheitsentzugs als Sachbereichselemente des Menschenwürde- Grundrechts in einem Fall wie dem vorliegenden wird davon nicht berührt. 2. Art. 3 GG Die Unterscheidung von Fakten aus dem Sach- bzw. dem Normbereich im Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Staatsangehörigkeit9 erscheint 7
BVerGE 45,187, 227ff., 229ff. Ebd., 187 (Leitsatz 3), 242 ff. Die in Leitsatz 3 des Urteils eingenommene dogmatische Linie stimmt mit dem in „Thesen zur Grundrechtsdogmatik" skizzierten Ansatz überein. Dabei geht es aber nicht um eine Wirkung auf die Judikatur: Der gleichnamige Aufsatz aus dem Jahr 1968 wurde erst 1977 veröffentlicht; das Urteil des Ersten Senats erging am 21. 6. 1977. - Vgl. F. Müller, Rechtsstaatliche Form - Demokratische Politik, 48ff., 57f. - Zu den Begriffen „Normprogramm", „Sachbereich", „Normbereich" siehe dens., Juristische Methodik, z.B. 27, 47ff., 141ff.; 45ff., 171ff.; 143f., 147ff., 277 ff. 8
106
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
schwierig. Die umfangreichen Erhebungen des Senats zur tatsächlichen Lage gemischt-nationaler Familien sind hier vom Normprogramm des Art. 3 Abs. 2 GG aus zu beurteilen. Jedenfalls zum Sachbereich gehören Daten wie die soziale, politische und unterverfassungsrechtliche Stellung der Frau, die physischen und psychischen Gleichheiten bzw. Ungleichheiten von Frau und Mann, wie die Bedeutung der Elternrolle, die rechtsvergleichend ermittelten Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Regelungen in verschiedenen Ländern sowie nicht zuletzt der „Wandel der Stellung der Frau in Familie, Gesellschaft und Staat" 10 . Will man nun das Normprogramm des speziellen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Abs. 2 GG so verstehen, daß Differenzierungen allein nach dem Geschlecht nur dort zulässig werden, wo sie ganz zwangsläufig sind, so gehören nur schlechthin zwingende Ungleichheiten zwischen Mann und Frau zum Normbereich des Art. 3 Abs. 2 GG. Allein der biologische Geschlechtsunterschied als solcher erscheint als normatives Realdatum, als Element des Normbereichs. Die ausgedehnten Untersuchungen des Senats zu Faktoren der gesellschaftlichen Wirklichkeit, vor allem zur Elternrolle als einem mit dem biologischen Geschlechtsunterschied nicht identischen sozialen Faktor, führen dann nur zu Sachbereichs-, nicht zu Normbereichselementen. Hält man dagegen mit der Rechtsprechimg des Bundesverfassungsgerichts 11 differenzierende Regelungen schon dann für zulässig, „wenn die sich aus dem Geschlecht ergebenden biologischen und funktionalen (arbeitsteiligen) Unterschiede den zu ordnenden Lebenstatbestand so entscheidend prägen, daß gemeinsame Elemente überhaupt nicht zu erkennen sind oder zumindest vergleichbare Elemente vollkommen zurücktreten", so hält sich die Justiz einen etwas größeren Spielraum für das Normprogramm, folglich auch für den Umfang der Normbereichselemente offen. Im vorliegenden Fall engt das Gericht den Spielraum allerdings zu Recht so weit ein, daß es zum Ergebnis einer unzulässigen Ungleichbehandlung gelangt. 3. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG -
Rundfunkfreiheit
Für einen sachlich abgegrenzten Teil des Normbereichs der Meinungsfreiheit, für die Veranstaltung von Rundfunkdarbietungen, hat das Bundesverfassungsgericht im Fernseh-Urteil vom 28. Februar 1961 aufgrund sorgfältiger struktureller Überlegungen grundlegende Richtlinien für die Rundfunkorganisation formuliert. Die Argumentation setzt bei einem Vergleich 9
BVerfGE 37, 217ff., 220, 222ff., 240ff. (rechtserzeugte und nicht rechtserzeugte Realdaten). 10 Ebd., 220. » BVerfGE 3, 225, 242; 6, 389, 422f. (Homosexualität); 17, Iff., 17ff. (Witwen- und Waisenrente); sowie das hier untersuchte Judikat E37,217ff.,249.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
107
m i t der Pressefreiheit an. A l s G a r a n t i e der i n s t i t u t i o n e l l e n E i g e n s t ä n d i g k e i t der Presse schließt diese eine staatliche Reglementierung oder Steuerung aus. D i e Parallele z u m R u n d f u n k w i r d m i t dessen S t e l l u n g als u n e n t b e h r l i c h e m M a s s e n k o m m u n i k a t i o n s m i t t e l begründet. I m Anschluß an diese i n s t i t u t i o n e l l e n Gemeinsamkeiten arbeitet das Gericht die Besonderheiten heraus, welche R u n d f u n k u n d Presse voneinander unterscheiden. Dieser A r g u m e n t a t i o n s w e g m a c h t folgende i m p l i z i t e Voraussetzungen d e u t l i c h : Das N o r m p r o g r a m m des A r t . 5 G G legt als Z i e l die G e w ä h r l e i s t u n g der K o m m u n i k a t i o n s f r e i h e i t fest. D e r Weg, der beschritten w e r d e n muß, u m dieses Z i e l zu erreichen, h ä n g t dagegen v o n der spezifischen A u s p r ä g u n g des i n Frage stehenden Sachbereichs ab. E i n Schluß v o m gleichen Z i e l auf den gleichen Weg ist n i c h t möglich. F o l g l i c h w i r d die N o r m a t i v i t ä t der g r u n d r e c h t l i c h e n G e w ä h r l e i s t u n g v o n den sachlichen Gegebenheiten m i t k o n s t i t u i e r t , ist ohne sie gar n i c h t z u bestimmen. D i e v o m Bundesverfassungsgericht hier durchgeführte Normbereichsanalyse k n ü p f t zunächst a m technischen R u n d f u n k b e g r i f f an. I m H i n b l i c k auf die K n a p p h e i t der Frequenzbänder f ü r den drahtlosen E m p f a n g u n d den u n g e w ö h n l i c h großen f i n a n z i e l l e n A u f w a n d f ü r die E r r i c h t u n g u n d B e t r e i b u n g entsprechender A n l a g e n k a n n die Z a h l der R u n d f u n k a n s t a l t e n n i c h t sehr groß sein. D e r v o n der Pressefreiheit geschützte Sozialbereich w e i s t z w a r ebenfalls hohe finanzielle Zugangsvoraussetzungen auf, ist aber d o c h d u r c h eine vergleichsweise große Z a h l v o n k o n k u r r i e r e n d e n Presseunternehmen gekennzeichnet. D i e relative V i e l f a l t der Presse i m V e r h ä l t n i s z u der d u r c h technische Bedingungen erschwerten M a r k t z u t r i t t s c h a n c e
im
Bereich des R u n d f u n k s k o n t u r i e r t den f ü r die weitere K o n k r e t i s i e r u n g des N o r m p r o g r a m m s heranzuziehenden Sozialbereich: „Diese S o n d e r s i t u a t i o n i m Bereich des Rundfunkwesens fordert besondere V o r k e h r u n g e n z u r V e r w i r k l i c h u n g u n d A u f r e c h t e r h a l t u n g der i n A r t . 5 G G gewährleisteten F r e i h e i t des R u n d f u n k s " 1 2 . A u c h die f ü r die R u n d f u n k f r e i h e i t
erforderlichen
Sondermaßnahmen
w e r d e n v o m G e r i c h t i m Weg einer Normbereichsanalyse e n t w i c k e l t . A u s gangspunkt ist dabei das z u m damaligen Z e i t p u n k t die R u n d f u n k o r g a n i s a t i o n prägende P r i n z i p ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e r Anstalten. Dieses w i r d v o m G e r i c h t als eine mögliche F o r m der G e w ä h r l e i s t u n g der F r e i h e i t des R u n d funks erst nach einer U n t e r s u c h u n g seiner wesentlichen M e r k m a l e g e b i l l i g t . F ü n f dieser Eigenschaften w e r d e n v o m G e r i c h t aus der tatsächlichen A u s gestaltung der ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n R u n d f u n k o r g a n i s a t i o n besonders hervorgehoben: D e r Veranstalter ist Person des öffentlichen Rechts; d u r c h Gesetz geschaffen; einer beschränkten staatlichen Rechtsauf sieht u n t e r w o r fen; es existieren Kollegialorgane, die eine gewisse K o n t r o l l e ausüben u n d
12 BVerfGE 12, 205ff., 261.
108
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
gesellschaftliche G r u p p e n repräsentieren, u n d diese G r e m i e n ü b e r w a c h e n die gleichgewichtige Repräsentanz der gesellschaftlichen Gruppen. I n der L i t e r a t u r w u r d e das Vorgehen des Gerichts
folgendermaßen
beschrieben: „ M e t h o d i s c h geht das G e r i c h t h i e r so vor, daß es aus der t a t sächlichen Regelung der Organisation e i n P r i n z i p des ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n R u n d f u n k s ableitet, das d u r c h f ü n f F a k t o r e n geprägt w i r d . D i e R i c h t e r e n t w e r f e n n i c h t selbst ein theoretisches M o d e l l , sondern untersuchen die W i r k l i c h k e i t u n d zeigen i n dieser W i r k l i c h k e i t eine S t r u k t u r a u f " 1 3 . W e n n m a n w e i t e r h i n b e r ü c k s i c h t i g t , daß das G e r i c h t v o r der U n t e r s u c h u n g der W i r k l i c h k e i t u n d der Frage n a c h deren S t r u k t u r die Fragestellung v o m N o r m p r o g r a m m her f o r m u l i e r t , w i r d d e u t l i c h , daß das G e r i c h t hier der Sache n a c h eine Normbereichsanalyse d u r c h f ü h r t u n d m i t H i l f e dieses I n s t r u ments den n o r m a t i v e n I n h a l t des A r t . 5 G G b e s t i m m t 1 4 . Das 3. F e r n s e h - U r t e i l v o m 20. M a i 1976 vertieft den Ansatz z u r N o r m bereichsanalyse. Jetzt t r i t t das Zusammenspiel v o n technischem R u n d f u n k begriff, der an der K n a p p h e i t der Sendefrequenzen ansetzt u n d f ü r die Grundrechtsträgerschaft
v o n zentraler B e d e u t u n g ist, u n d
kulturellem
R u n d f u n k b e g r i f f stärker hervor. Das Gericht stellt fest, daß auch u n a b h ä n g i g v o n der technisch u n d f i n a n z i e l l b e d i n g t e n K n a p p h e i t der Gesetzgeber f ü r die G e w ä h r l e i s t u n g der R u n d f u n k f r e i h e i t Vorsorge tragen müsse: „ A u c h b e i einem F o r t f a l l der b i s herigen Beschränkungen k ö n n t e n i c h t m i t hinreichender Sicherheit e r w a r tet werden, daß das Programmangebot i n seiner Gesamtheit k r a f t der E i g e n 13
Wieland, Die Freiheit des Rundfunks, 22. Dazu etwa auch L. Schneider, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten nach Art. 19 Abs. 2 GG, 273 f., der anhand einer Untersuchung zu Art. 19 Abs. 2 GG den Versuch unternimmt, den „Wesensgehalt von Grundrechten aus dem jeweils grundrechtlich geschützten Normbereich herauszuarbeiten, wobei sowohl die unterschiedlichen Strukturen menschlicher Freiheit als auch die Besonderheiten der grundrechtlichen Normprogramme zu beachten sind. Der Wesensgehalt kann für eine Reihe von Freiheitsrechten mit konzentrischem Aufbau durch Normbereichsanalyse ... bestimmt werden". - Eine sorgfältige Durchführung einer Normbereichsanalyse im Bereich von Art. 4 GG (Gewissensfreiheit) bei Klier, Gewissensfreiheit und Psychologie, 26ff., 146f., 158f., 170ff., 208f. - Anders als hier verwendet G. Hoffmann, Berufsfreiheit als Grundrecht der Arbeit, 9, den Begriff „Normbereich", den er definiert „als rechtliches Regelungsprogramm und zugleich als darauf bezogenen Ausschnitt gesellschaftlicher Wirklichkeit". Ein Ineinssetzen von Normprogramm und Normbereich hält Hoffmann, ebd., für „sachgerechter", da „der semantische Gehalt eines Normelementes ... ohne den faktischen Kontext der Normanwendung nicht zu ermitteln" sei. Das mag zwar abstrakt zutreffen, doch scheint auch Hoffmann die Rechtsnorm als Ordnungsmodell zu begreifen, die sich aus Sprach- und Realdaten zusammensetzt. Dem hier vorgestellten rechts(norm)theoretischen Ansatz kommt es darauf an, Rechtserzeugung als strukturierten Vorgang zu beschreiben und praktisch nachvollziehbar zu gestalten. Für dieses Vorhaben, in dem der Jurist mittels Normtexten auf Normbereichselemente Bezug nimmt, haben sich die Arbeitsbegriffe „Normprogramm", „Normbereich" usw. und deren von der Strukturierenden Rechtslehre eingeführte Gebrauchsweise bewährt; es ist kein Grund ersichtlich, von ihnen abzuweichen. 14
109
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
gesetzlichkeit des Wettbewerbs den A n f o r d e r u n g e n der R u n d f u n k f r e i h e i t entsprechen w e r d e " 1 5 . H i e r ist es w i e d e r u m der Vergleich z u der historisch b e d i n g t e n r e l a t i v e n V i e l f a l t der Presse, der die A r g u m e n t a t i o n des Gerichts anleitet. I m R u n d f u n k ist die K o n z e n t r a t i o n einer K o m m u n i k a t i o n s m a c h t leichter möglich, d a m i t auch leichter ein M i ß b r a u c h dieser M a c h t z u r E i n f l u ß n a h m e auf die M a n i p u l a t i o n der öffentlichen M e i n u n g . Deshalb fordert das G e r i c h t v o m Gesetzgeber, den R u n d f u n k n i c h t d e m freien S p i e l der K r ä f t e z u überlassen, w e i l er ansonsten F e h l e n t w i c k l u n g e n n u r n o c h sehr schwer r ü c k g ä n g i g machen könnte. V i e l m e h r liegt es i n der V e r a n t w o r t u n g des Gesetzgebers, das f ü r die M e i n u n g s v i e l f a l t einer D e m o k r a t i e entscheidende Freiheitsrecht a k t i v z u gewährleisten: „ E s muß der Gefahr begegnet werden, daß auf Verb r e i t u n g angelegte M e i n u n g e n v o n der öffentlichen M e i n u n g s b i l d u n g ausgeschlossen w e r d e n u n d Meinungsträger, die sich i m Besitz v o n Sendefrequenzen u n d F i n a n z m i t t e l n befinden, an der öffentlichen M e i n u n g s b i l d u n g vorherrschend m i t w i r k e n " 1 6 . A u c h an dieser Stelle w e r d e n also die Reichw e i t e des N o r m p r o g r a m m s u n d die N o r m a t i v i t ä t der V o r s c h r i f t v o n einer Analyse des fraglichen gesellschaftlichen Bereichs m i t b e s t i m m t . Das 4. F e r n s e h - U r t e i l v o m 4. November 1986 b r i n g t erstmals auch eine rechtstheoretische Reflexion des p r a k t i s c h e n Vorgehens v o n seiten des Gerichts. D a b e i steht w i e d e r die S o n d e r s i t u a t i o n des R u n d f u n k s i m V o r d e r g r u n d , die sich allerdings seit der ersten E n t s c h e i d u n g v o n 1961 verändert hat. D i e Veränderung liegt d a r i n , daß p r i v a t e U n t e r n e h m e r e i n n i c h t n u r vereinzeltes, sondern i n z w i s c h e n typisches Bestreben äußern, als Veranstalter v o n Rundfunksendungen zugelassen z u werden. Diese Tatsache ist zunächst ein Element des Sachbereichs v o n A r t . 5 Abs. 1 S. 2 GG. D i e neuen K a b e l t e c h n i k e n haben die f r ü h e r sehr enge Begrenzung des Kreises m ö g l i cher I n h a b e r u n d A u s ü b e r f a k t i s c h gesprengt. D a i n der Frage der G r u n d rechtsträgerschaft das N o r m p r o g r a m m des A r t . 5 Abs. 1 S. 2 G G auf den technischen
Rundfunkbegriff
abstellt,
gehören
die M ö g l i c h k e i t e n
der
K a b e l t e c h n i k e n i m Fernsehen n i c h t n u r z u m Sachbereich, sondern auch z u m N o r m b e r e i c h der R u n d f u n k f r e i h e i t . Das g i l t f ü r alle jeweils verfügbaren Übertragungstechniken; deren Ä n d e r u n g verändert den N o r m b e r e i c h entsprechend. Neben die E n t w i c k l u n g e n i m technischen Sektor w i e B r e i t b a n d k a b e l u n d S a t e l l i t stellt das Gericht d a n n n o c h die Einflüsse, die sich aus der Existenz des europäischen b z w . des i n t e r n a t i o n a l e n R u n d f u n k m a r k tes ergeben. A l l e n diesen faktischen E n t w i c k l u n g s t e n d e n z e n m i ß t G e r i c h t B e d e u t u n g f ü r die Auslegung der R u n d f u n k f r e i h e i t
das
zu u n d be-
schreibt sein eigenes Vorgehen folgendermaßen: „ B e i der B e u r t e i l u n g der Anforderungen, die sich hieraus f ü r die Rundfunkgesetzgebung der L ä n d e r 15 16
BVerfGE 57, 295ff., 324. Ebd., 324f.
110
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
ergeben, d ü r f e n die oben i n K ü r z e dargestellten modernen E n t w i c k l u n g e n auf d e m Gebiet des R u n d f u n k s n i c h t u n b e r ü c k s i c h t i g t bleiben. Diesen k o m m t Bedeutung f ü r die A u s l e g u n g der verfassungsrechtlichen G a r a n t i e zu: Sie gehören, w i e schon die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts z u r , S o n d e r s i t u a t i o n ' des R u n d f u n k s erkennen läßt, z u d e m k o n k r e t e n Lebenssachverhalt, auf den das G r u n d r e c h t bezogen ist u n d ohne dessen E i n b e z i e h u n g eine die normierende W i r k u n g der R u n d f u n k f r e i h e i t e n t f a l tende Auslegung n i c h t m ö g l i c h e r s c h e i n t " 1 7 . I m 5. R u n d f u n k - U r t e i l schließlich w i r d das v o m G e r i c h t aufgenommene K o n z e p t des Normbereichs auch auf das P r o b l e m des N o r m w a n d e l s angewendet. Das Rechtsproblem l a g h i e r i n der Untersagung r u n d f u n k ä h n l i c h e r K o m m u n i k a t i o n s d i e n s t e f ü r ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e A n s t a l t e n d u r c h das L a n desmediengesetz v o n B a d e n - W ü r t t e m b e r g . Das G e r i c h t f ü h r t d a z u aus: „ D e r i n A r t . 5 Abs. 1 S. 2 G G verwendete B e g r i f f , R u n d f u n k ' läßt sich n i c h t i n einer ein f ü r a l l e m a l g ü l t i g e n D e f i n i t i o n erfassen. I n h a l t u n d T r a g w e i t e verfassungsrechtlicher
Begriffe
u n d B e s t i m m u n g e n hängen (auch)
von
i h r e m N o r m b e r e i c h ab; ihre B e d e u t u n g k a n n sich b e i Veränderungen i n diesem Bereich w a n d e l n . Das g i l t auch f ü r den R u n d f u n k b e g r i f f . S o l l die R u n d f u n k f r e i h e i t i n einer sich w a n d e l n d e n Z u k u n f t ihre normierende W i r k u n g bewahren, d a n n k a n n es n i c h t angehen, n u r an eine ältere T e c h n i k anzuknüpfen, den Schutz des Grundrechts auf diejenigen Sachverhalte z u beschränken, auf welche diese T e c h n i k bezogen ist, u n d auf diese Weise die G e w ä h r l e i s t u n g i n Bereichen obsolet zu machen, i n denen sie ihre F u n k t i o n auch angesichts der neuen technischen M ö g l i c h k e i t e n durchaus e r f ü l l e n könnte. Z u r G e w ä h r l e i s t u n g freier i n d i v i d u e l l e r u n d öffentlicher M e i n u n g s b i l d u n g bedarf es v i e l m e h r der oben dargestellten S c h u t z w i r k u n g des A r t . 5 Abs. 1 S. 2 G G auch b e i den , r u n d f u n k ä h n l i c h e n
Kommunikationsdien-
s t e n ' " 1 8 . D i e hier v o m G e r i c h t aufgenommene dynamische S t r u k t u r t h e o r i e des Rechts vermag das vorliegende P r o b l e m des N o r m w a n d e l s m i t deren I n s t r u m e n t e n z u bewältigen. D i e theoretische U n t e r s c h e i d u n g v o n N o r m p r o g r a m m , N o r m b e r e i c h u n d Sachbereich e r l a u b t es, den V o r g a n g aufzuschlüsseln, der das G e r i c h t m i t der M ö g l i c h k e i t eines N o r m w a n d e l s k o n f r o n t i e r t . Es ist n i c h t so, daß b e i m W a n d e l einer Rechtsnorm a u f g r u n d einer Ä n d e r u n g i m N o r m b e r e i c h deren N o r m p r o g r a m m v o m R i c h t e r d u r c h neue Bedeutungsfestsetzungen geändert w ü r d e 1 9 . V i e l m e h r erscheint der V o r g a n g w i e folgt a u f g e b a u t 2 0 : I m Sachbereich einer Rechtsnorm ändert sich eine
17 BVerfGE 73, 118ff., 154. Vgl., zur Nutzung des Konzepts der Normbereichsanalyse für die Rundfunkfreiheit, aus der Literatur: Rossen, Freie Meinungsbildung durch den Rundfunk, insbesondere 21 f. und durchgehend. " BVerfGE 74, 297ff., 350f. 19 Diese doppelte Fehlinterpretation des strukturierenden Ansatzes findet sich bei N. Müller, Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung, 60.
111
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien wesentliche Tatsache. D e r Richter (oder eine andere
konkretisierende
Instanz) erkennt dies u n d e n t w i c k e l t i m ü b r i g e n w i e i m m e r d u r c h s p r a c h l i che Auslegung das N o r m p r o g r a m m . D a n n p r ü f t er m i t dessen H i l f e , ob das geänderte F a k t u m n u r ein E l e m e n t des Sachbereichs oder auch ein solches des Normbereichs ist. N u r i m z w e i t e n F a l l folgt die weitere Untersuchung, ob die Ä n d e r u n g m i t dem N o r m p r o g r a m m , i m G r e n z f a l l eines m e t h o d o l o g i schen K o n f l i k t s m i t den einschlägigen N o r m t e x t e n (grammatische
und
systematische Auslegung) n o c h vereinbar ist. E r w e i s t sich der tatsächliche W a n d e l als ein solcher i m N o r m b e r e i c h u n d als m i t N o r m p r o g r a m m b z w . N o r m t e x t e n vereinbar, so b i l d e t der J u r i s t die Rechts- u n d anschließend die Entscheidungsnorm u n t e r Einschluß des geänderten Normbereichs. F ü r die R u n d f u n k f r e i h e i t des A r t . 5 Abs. 1 S. 2 G G w u r d e n Normbereichsuntersuchungen neben den bisher genannten Feldern v o r a l l e m i m Ü b e r schneidungsgebiet v o n Verfassungs- u n d Strafprozeßrecht
durchgeführt.
D a b e i s i n d besonders die Kompetenzregeln des Grundgesetzes an der Grenze zwischen den Z u s t ä n d i g k e i t s m a t e r i e n „ R u n d f u n k " als einer u n b e n a n n t e n Landeskompetenz u n d „gerichtliches V e r f a h r e n " als einer ausd r ü c k l i c h e n Bundeskompetenz problematisch. D i e nähere Analyse rechtserzeugter u n d n i c h t rechtserzeugter N o r m b e r e i c h s d a t e n 2 1 führte, ohne V e r fahren w i e G ü t e r - oder W e r t a b w ä g u n g , m i t H i l f e s t r u k t u r e l l e r Gesichtsp u n k t e i n V e r b i n d u n g m i t gleichrangigen N o r m e n w i e d e m Übermaßverbot zu einem gegenüber d e m früheren Rechtszustand einerseits erweiterten, andererseits dogmatisch besser einleuchtenden Ergebnis. So zeigte sich f ü r das Redaktionsgeheimnis, daß es n u r so w e i t reicht, w i e dies d u r c h seine F u n k t i o n geboten ist, die Presse- u n d R u n d f u n k f r e i h e i t als B e d i n g u n g freier K o m m u n i k a t i o n i m demokratischen Rechtsstaat zu ermöglichen u n d abzusichern. E r f ü l l t z.B. das E r l a n g e n einer I n f o r m a t i o n einen Straftatbestand, d a n n geht es u m die Unterscheidung, ob dieser d a r a n a n k n ü p f t , daß die I n f o r m a t i o n erlangt w i r d oder n u r daran, wie sie zustandekommt. Ist das E i n h o l e n der I n f o r m a t i o n selbst verboten, so w i r d das Redaktionsgeheimnis geschützt; stehen n u r b e s t i m m t e Verhaltensweisen ,bei Gelegenheit' der I n f o r m a t i o n s e r l a n g u n g u n t e r Strafe, d a n n w i r d es d u r c h die R u n d f u n k oder Pressefreiheit n i c h t abgeschirmt. Diese S t r u k t u r i e r u n g r e c h t f e r t i g t sich daraus, daß es z u m Z i e l der „umfassenden I n f o r m a t i o n der B ü r g e r " 2 2 u n d z u r „ A u f g a b e eines V e r b i n d u n g s - u n d K o n t r o l l o r g a n s zwischen dem V o l k u n d seinen g e w ä h l t e n V e r t r e t e r n " 2 3 auch gehört, Mißstände a u f z u d e k 20
420.
Vgl. dazu F. Müller, Strukturierende Rechtslehre, 117ff., 131ff., 363ff., 369ff.,
21 Bei F. Müller/Pieroth/Rottmann, Strafverfolgung und Rundfunkfreiheit, v.a. 32ff., 37ff., 43ff., 46ff., 50ff., 57ff. - Das „Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk" stammt vom 25. 7. 1975 (BGBl. I 1975, 1973). 22 Vgl. BVerfGE 27, 71 ff., 81.
112
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
ken, u n d daß diese Aufgabe ohne das Redaktionsgeheimnis n i c h t e r f ü l l t w e r d e n k a n n . F o r m a l ergibt sich die D i f f e r e n z i e r u n g w i e f o l g t : Das Redaktionsgeheimnis setzt ein Interesse des I n f o r m a n t e n an der G e h e i m h a l t u n g voraus. Dieses besteht v o r a l l e m dann, w e n n er sonst s t r a f r e c h t l i c h verfolgt w ü r d e . A u s d e m Einbeziehen des Redaktionsgeheimnisses i n die g r u n d rechtliche G e w ä h r l e i s t u n g des A r t . 5 Abs. 1 S. 2 G G folgt daher, daß die T a t sache der Begehung einer S t r a f t a t a l l e i n n i c h t ausreicht, ein Zeugnisverweigerungsrecht auszuschließen. D i e w e i t e r erforderlichen
Strukturierungen
lassen sich d a n n m i t dem d u r c h Normbereichsanalyse erarbeiteten K r i t e r i u m p r a k t i k a b e l durchführen. E i n z w a r n i c h t i n h a l t l i c h , w o h l aber s t r u k t u r e l l vergleichbares P r o b l e m z u r R u n d f u n k f r e i h e i t b e t r i f f t die politischen
Freiheitsrechte v o n R u n d f u n k -
m i t a r b e i t e r n . I m k o m p l e x e n Geflecht v o n Verfassungsrecht, Arbeitsrecht, Satzungsrecht der Funkhäuser u n d der Rundfunkgesetze der L ä n d e r h a t sich auch hier die rationalisierende W i r k u n g v o n Normbereichsargumenten geltend g e m a c h t 2 4 . Normbereichsdaten der Meinungsfreiheit
von Rundfunk-
m i t a r b e i t e r n w i e e t w a das Unterscheiden dienstlicher u n d außerdienstlicher T ä t i g k e i t , das sachliche Zusammengehören v o n Meinungsäußerung u n d N a c h r i c h t e n a u s w a h l , die F u n k t i o n des R u n d f u n k s b e i m B i l d e n der öffentl i c h e n M e i n u n g , der Z u s a m m e n h a n g freier I n f o r m a t i o n m i t dem B i l d e n , Ä u ß e r n u n d V e r b r e i t e n v o n M e i n u n g e n der Adressaten, w i e s t r u k t u r e l l e Unterschiede zwischen Meinungsfreiheit u n d Wissenschaftsfreiheit
oder
w i e der Schutz auch v o n T a t s a c h e n m i t t e i l u n g e n d u r c h A r t . 5 Abs. 1 S. 1 G G u n d andere, sowie die U n t e r s u c h i m g des Normbereichs der
Rundfunkfrei-
heit (z.B. O l i g o p o l s t e l l u n g des ö f f e n t l i c h - r e c h t l i c h e n Rundfunks, A n f o r d e r u n g e n an das Gesamtprogramm, F u n k t i o n des R u n d f u n k s , grundgesetzliches Verbot s t r u k t u r e l l e r Nachrichtendefizite, P f l i c h t z u r O b j e k t i v i t ä t , P r o g r a m m v e r a n t w o r t u n g des Intendanten, Z u s a m m e n h a n g v o n Betriebsorganisation u n d K o m m u n i k a t i o n s a u f g a b e , U n t e r s c h e i d u n g v o n r e d u k t i v e r u n d a d d i t i v e r O b j e k t i v i t ä t usw.) f ü h r e n z u einer k l a r e n
dogmatischen
L ö s u n g des typischen Falles, i n dem ein R u n d f u n k m i t a r b e i t e r außerhalb des Dienstes p o l i t i s c h t ä t i g ist. Sie erlauben ferner die r a t i o n a l e S t r u k t u r i e r u n g derjenigen F a l l t y p e n , i n denen dienstliche u n d außerdienstliche T ä t i g k e i t e n auf vielfältige A r t vermischt w e r d e n 2 5 . W i e i m m e r , so s i n d auch hier die dogmatischen Ergebnisse als solche n i c h t unbestreitbar. Das Entscheidende liegt d a r i n , daß sie ohne i r r a t i o n a l e A r g u m e n t e auskommen u n d d a n k i h r e r 23 So BVerfGE 20,162 ff., 174; zum im Text skizzierten dogmatischen Ergebnis, das inhaltlich das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk von 1975 mitgeprägt hat: F. Müller/Pieroth/Rottmann, ebd., 73ff. 24 Vgl. F. Müller/Pieroth, Politische Freiheitsrechte der Rundfunkmitarbeiter, z.B. 22ff., 26 (zum Normbereich der Meinungsfreiheit); 38ff., 41 ff., 44ff. (zum Normbereich der Rundfunkfreiheit); zur Bedeutung der Normbereichselemente für die dogmatischen Ergebnisse ebd., 84ff., 87 ff. 2 * Vgl. dazu ebd., 84ff.,87ff.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
113
e m p i r i s c h gestützten A u s a r b e i t u n g besser n a c h p r ü f b a r u n d d e b a t t i e r b a r s i n d als g l o b a l begründete Auffassungen, die i m wesentlichen v o m D u r c h setzungswillen einer b e s t i m m t e n rechtspolitischen P o s i t i o n leben u n d einander daher n u r entsprechend massiv entgegengesetzt w e r d e n können.
4. Art. 5 Abs. 3 GG I m F a l l der K u n s t f r e i h e i t m a c h t das Bundesverfassungsgericht i m M e p h i sto-Beschluß 2 6 die methodisch u n d dogmatisch präzisierte S a c h h a l t i g k e i t eines g r u n d r e c h t l i c h e n Normbereichs dogmatik,
z u r Basis einer rationalen
Bereichs-
d a m i t einer differenzierten K o n k r e t i s i e r b a r k e i t der Garantie.
D e r Senat anerkennt die V o r b e h a l t l o s i g k e i t der G e w ä h r l e i s t u n g dieses Grundrechts u n d erteilt allen Versuchen einer S c h r a n k e n ü b e r t r a g u n g eine Absage 2 7 . Weder sei A r t . 5 Abs. 2 G G als Schranke des A r t . 5 Abs. 3 G G anzusehen, n o c h könne m a n aus dem Z u s a m m e n h a n g eines Werks der erzählenden K u n s t einzelne Teile lösen u n d diese als Meinungsäußerungen i m S i n n v o n A r t . 5 Abs. 1 G G bezeichnen. V i e l m e h r sei A r t . 5 Abs. 3 G G l e x specialis zu dessen Abs. 1. W e i t e r l e h n t das Gericht wegen der S u b s i d i a r i t ä t v o n A r t . 2 Abs. 1 G G die Ü b e r t r a g u n g v o n dessen Schrankentrias auf A r t . 5 Abs. 3 G G a b 2 8 . A u f dem Weg einer die Normbereichsanalyse einschließenden K o n k r e t i sierung w e r d e n v o m G e r i c h t die S t r u k t u r künstlerischer T ä t i g k e i t als eines schöpferischen Gestaltungsprozesses aus innerer u n d äußerer E r f a h r u n g über das M i t t e l anschaulicher Formensprache, die U n t r e n n b a r k e i t u n b e w u ß t e r u n d bewußter Bestandteile dieses Gesamtvorgangs, das Z u s a m m e n w i r k e n i n t u i t i v e r , k r e a t i v e r u n d k r i t i s c h e r Fähigkeiten, die U n t e r s c h e i d b a r k e i t v o n W e r k b e r e i c h u n d W i r k b e r e i c h , die Rolle v o n K ü n s t l e r , K u n s t o b j e k t u n d v e r m i t t e l n d e n Instanzen, die U n t e r s c h e i d u n g künstlerischer G a t t u n g s -
26 BVerfGE 30, 173 ff. 27 Ebd., 191 ff. - Darstellung und Kritik dieser Versuche bei F. Müller, Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 14 ff. im Anschluß an: Die Positivität der Grundrechte, 11 ff. 28 Das Gericht folgt grundsätzlich der in: Die Positivität der Grundrechte, sowie in: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, entwickelten Auffassung, es sei unzulässig, vorbehaltlos gewährte Grundrechte durch eine allgemeine „Schrankenübertragung" einzugrenzen. - Vgl. hierzu jetzt z.B. Zöbeley, Zur Garantie der Kunstfreiheit in der gerichtlichen Praxis, NJW 1985, 254ff., 257, der verdeutlicht, daß „zahlreiche Probleme, die früher im Rahmen der Definition von Kunst oder bei der Schrankenbestimmung mühsam erörtert wurden", sich als „Scheinprobleme entlarven" lassen, wenn man dem bereichsdogmatischen Konzept der Strukturierenden Rechtslehre folge. - S. ferner den Versuch, eine Bereichsdogmatik zu Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG (Kunstfreiheit) zu entwerfen, bei Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 127 ff., mit kontroverser Diskussion; ebd., 92 ff. zu verschiedenen Norm(bereichs)typen. - Im Dienst einer sorgfältigen bereichsdogmatischen Argumentation zu den Streitfragen zwischen Strafrecht und Kunstfreiheit folgt dem Konzept der Normbereichsanalyse: Erhardt, 82ff., 86ff., 103ff. und durchgehend. 8 Müller, Grundrechte
114
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
t y p e n u n d n o c h andere Realdaten
herausgearbeitet u n d als ( m i t diesem
B e g r i f f n i c h t bezeichnete) 2 9 Elemente des Normbereichs v o n A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G i n den Entscheidungsvorgang eingeführt. Das A n k n ü p f e n an die aus der W e i m a r e r Z e i t überlieferte F o r m e l v o n der Eigengesetzlichkeit der K u n s t ist allerdings n i c h t w e i t e r i n R i c h t i m g auf die F i g u r der n i c h t - r e c h t s erzeugten Normbereichsfaktoren präzisiert; auch f ä l l t das Gericht n a c h dem E n t w i c k e l n einiger w i c h t i g e r Rechtsnormen z u m A l l g e m e i n e n T e i l der G r u n d r e c h t s d o g m a t i k sodann f ü r den vorliegenden F a l l w i e d e r i n eine d e u t l i c h weniger r a t i o n e l l e A b w ä g u n g sogenannter Werte, h i e r einerseits der K u n s t f r e i h e i t , andererseits der Menschenwürde, z u r ü c k 3 0 . D i e i m Mephisto-Beschluß v o m Bundesverfassungsgericht erstmals ü b e r nommene bereichsdogmatische K o n k r e t i s i e r u n g der K u n s t f r e i h e i t s g a r a n tie h a t sich m i t t l e r w e i l e rechtspraktisch b e w ä h r t . Gelegentlich w i r d d e m K o n z e p t der s t r u k t u r i e r e n d e n D o g m a t i k aber vorgehalten, es sei z u „ s t a t i s c h " , zementiere das Bestehende u n d fasse die G a r a n t i e des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G geschichtlich u n d sozial z u w e n i g „ d y n a m i s c h " . Es w i r d argument i e r t , u m seiner sozialen u n d historischen Bezüge w i l l e n müsse grundsätzl i c h jeder N o r m b e r e i c h als Prozeß aufgefaßt werden, f o l g l i c h auch jener der K u n s t f r e i h e i t als r e l a t i v selbständig sich f o r t e n t w i c k e l n d e r
prozeduraler
P r o d u k t i o n s - u n d Rezeptionszusammenhang. D i e „ K u n s t i n s t i t u t i o n " habe, anstelle v o n W e r k g a t t u n g u n d G a t t u n g s t y p i k , A u s g a n g s p u n k t der s t r u k t u r i e r e n d e n Bereichsdogmatik v o n A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G z u werden. Jedenfalls b e i m H a p p e n i n g u n d b e i anderen F o r m e n der A k t i o n s k u n s t dürfe n i c h t die W e r k g a t t u n g entscheidend sein, sondern die i n s t i t u t i o n e l l e Bezogenheit auf den K u n s t b e t r i e b . Demgegenüber könne das Gattungstypische n u r das K o n v e n t i o n e l l e erfassen 3 1 . S o w e i t diese K r i t i k ü b e r h a u p t rechtsdogmatisch argumentiert, b e r u h t sie auf einigen Mißverständnissen. Das Schaffen v o n K u n s t als Vorgang ist i m Werkbereich,
ihre S t e l l u n g u n d A u s s t r a h l u n g i n K o m m u n i k a t i o n s Vorgän-
gen s i n d i m R a h m e n des Wirkbereichs
erfaßt u n d als frei garantiert. Beides
gehört z u m N o r m b e r e i c h des Grundrechts; w i e statisch oder w i e d y n a m i s c h ein W e r k sich i m E i n z e l f a l l herstellt u n d darstellt, gehört z u r F r e i h e i t u n d liegt an der Sache selbst, n i c h t an einem vorgefaßt statischen oder d o k t r i n ä r 29 Dagegen sind „Werkbereich" und „Wirkbereich", ohne Nachweis, als technische Termini übernommen; dazu etwa Stein, Staatsrecht, seit 2. Aufl. 1971, 199; 8. Aufl. 1982, 196ff.; Lerche, AfP 1973, 499; Mallmann, JZ 1974, 37f.; Häberle, Rechtstheorie 7 (1976), 92. 30 Ebd., 193 ff. 31 So J. Hoffmann, Die Kunstfreiheitsgarantie des Grundgesetzes, 230ff., 243, 248. Auf S. 254 muß der Autor einräumen, daß sein Ansatz (anders als der stukturierende) Fälle übrig läßt, in denen ein künstlerischer Versuch Repressionen schutzlos ausgeliefert ist. - Vgl. auch dens., Kunstfreiheit und Sacheigentum, NJW 1985, 237ff., 241 f., wonach Kunst „als Kommunikationsprozeß" zu definieren wäre, der bereichsdogmatisch „durch formale Indizien wie Werkgattungen" nur bedingt zu strukturieren sei.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
115
dynamischen, auf D y n a m i k geradezu v e r p f l i c h t e n d e n Begriff. E r s c h e i n u n gen w i e H a p p e n i n g oder andere F o r m e n der A k t i o n s k u n s t s i n d schon lange gattungstypisch, w e r d e n daher v o m N o r m b e r e i c h der K u n s t f r e i h e i t s g a r a n t i e ohne Z w e i f e l erfaßt. D i e W e r k g a t t u n g m e i n t n i c h t das K o n v e n t i o n e l l e , sondern das e m p i r i s c h S t r u k t u r e l l e . Daß eine neuartige künstlerische G a t t u n g sich empirisch
erst e i n m a l selbst k o n t u r i e r e n u n d z u r K e n n t n i s b r i n g e n
muß, k a n n i h r keine rechtliche G a r a n t i e oder dogmatische K o n z e p t i o n abnehmen. Ist sie dagegen i n d i v i d u e l l hervorgebracht u n d als G a t t u n g s t y pus sozial eingeführt, so gehört sie schon z u m N o r m b e r e i c h des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG. Begriffe w i e „ k o n v e n t i o n e l l " oder „ f o r t s c h r i t t l i c h " , w i e „ s t a t i s c h " oder „ d y n a m i s c h " b l e i b e n rhetorisch an der Oberfläche, erfassen n i c h t die für
eine Bereichsdogmatik
des p o s i t i v e n Grundrechts
entscheidenden
S t r u k t u r m e r k m a l e . Jeder A n g r i f f auf die (vom Grundgesetz respektierte) A u t o n o m i e der K u n s t , auf ihre Selbstgesetzlichkeit, schiebt an die Stelle des a b f ä l l i g so genannten , D i k t a t s des schaffenden Künstlers' das zweifelhaftere des bloß n o c h räsonierenden K u n s t r i c h t e r s , m a g dieser auch u n t e r d e m Banner historischen F o r t s c h r i t t s auftreten. Es ist w i d e r s i n n i g , u m der g r u n d r e c h t l i c h eingeräumten Freiheit der K u n s t w i l l e n diese g l o b a l als etwas i m gesellschaftlichen Prozeß Aufgehendes gegen das tatsächliche schöpferische H a n d e l n der einzelnen K ü n s t l e r ausspielen z u w o l l e n . I n der K o n f r o n t a t i o n m i t solcher K r i t i k erweisen sich die aus der Sache e n t w i c k e l ten Vorschläge der s t r u k t u r i e r e n d e n Bereichsdogmatik als eben dieser Sache angemessener, deren F r e i h e i t die Verfassung v e r b ü r g t 3 2 . D e r n o r m s t r u k t u r i e r e n d e Ansatz einer g r u n d r e c h t l i c h e n Bereichsdogmat i k w i r d i m Beschluß z u m Hessischen Universitätsgesetz auf die Wissenschaftsfreiheit
des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G ausgedehnt 3 3 . H i e r f i n d e n sich F a k -
t o r e n des Sachbereichs, die sich a m Maßstab des N o r m p r o g r a m m s
als
Normbereichselemente erweisen u n d die v o m Senat auch so behandelt w e r den, i n A n k n ü p f u n g an eine analoge F o r m e l v o n „wissenschaftlicher E i g e n gesetzlichkeit"
eingeführt
(typische Handlungsweisen b e i m
Auffinden,
D e u t e n u n d Weitergeben wissenschaftlicher Erkenntnisse). Wissenschaftliche A r b e i t w i r d als ernsthafter planmäßiger Versuch z u m E r m i t t e l n der 32 Von daher ist auch die Auffassung L. Schneiders, Der Schutz des Wesensgehalts von Grundrechten, 141 ff., unzutreffend, wonach Grundrechte wie Art. 5 Abs. 1 GG zum einen keinen gegenständlich konkretisierbaren Lebensbereich aufwiesen und andererseits das Normprogramm stets dahin tendiere, nur bestimmte, inhaltlich oder sachlich zutreffende Grundrechtsausübungen unter Schutz zu stellen. - Das bereichsdogmatische Konzept führt - wie mehrfach dargelegt - unter Einschluß der vom Normprogramm angepeilten Normbereichsdaten nicht zu einer definitorischen Einengung der Freiheitsgarantie, sondern zu ihrer umfassenden, ideologische Einschränkungen vermeidenden Verbürgung; dazu schon: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 35 ff., 92 ff. - Weitere Auseinandersetzimg mit unnötigen Mißverständnissen des Normstrukturkonzepts in Grundrechtsfällen bei F. MüUer, Strukturierende Rechtslehre, 385ff. 33 BVerfGE 47, 327 ff. 8
116
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
W a h r h e i t gefaßt. Das Vorhandensein verschiedener Wissenschaftstheorien, die Unabgeschlossenheit wissenschaftlicher Bemühungen, die Schlüsself u n k t i o n v o n Wissenschaft f ü r i n d i v i d u e l l e S e l b s t v e r w i r k l i c h u n g w i e f ü r den gesellschaftlichen Prozeß, die Verwissenschaftlichung vieler Lebensbereiche u n d die d a d u r c h steigende B e d e u t u n g der F u n k t i o n der Wissenschaft f ü r die A u s b i l d u n g v o n Menschen treten i m Ergebnis als N o r m b e r e i c h s f a k toren auf. D e r Senat behandelt Wissenschafts- u n d K u n s t f r e i h e i t insoweit gleich, als ihre N o r m p r o g r a m m e vergleichbar, u n d i n s o w e i t ungleich, als ihre empirischen Realdaten verschieden sind. I n der Folgezeit ist das Gericht i n Nuancen v o n der Position des M e p h i s t o Beschlusses abgewichen, beziehungsweise über diese hinausgelangt. Schon i n dieser ersten L e i t e n t s c h e i d u n g zur K u n s t f r e i h e i t w a r es n i c h t den Weg über einen a b s t r a k t e n „ W e r t b e g r i f f " gegangen, dem d a n n die i m E i n z e l f a l l fraglichen Gegenstände i m H i n b l i c k auf i h r e „ K u n s t " q u a l i t ä t z u subsumieren seien, sondern h a t k o m p l e x e r argumentiert. D e r Senat geht i n diesem Beschluß n o c h v o n einer D e f i n i e r b a r k e i t des Kunstbegriffs aus: „ D a s Wesentliche der künstlerischen B e t ä t i g u n g ist die freie schöpferische Gestaltung, i n der E i n d r ü c k e , Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers d u r c h das M e d i u m einer b e s t i m m t e n Formensprache
zu
u n m i t t e l b a r e r A n s c h a u u n g gebracht w e r d e n " 3 4 . D i e V e r f e h l t h e i t i n h a l t l i cher D e f i n i t i o n e n v o n K u n s t i m Verfassungsrecht h a t das G e r i c h t aber d a n n später i n seinem Beschluß z u m sogenannten A n a c h r o n i s t i s c h e n Z u g u n t e r s t r i c h e n 3 5 . I n A n k n ü p f u n g an „ M e p h i s t o " b e g i n n t es zunächst d a m i t , der Lebensbereich „ K u n s t " sei „ d u r c h die v o m Wesen der K u n s t geprägten, i h r a l l e i n eigenen S t r u k t u r m e r k m a l e z u b e s t i m m e n " . W i e w e i t danach die Kunstfreiheitsgarantie
der Verfassung reiche u n d was sie i m einzelnen
bedeute, lasse sich aber „ n i c h t d u r c h einen f ü r alle Ä u ß e r u n g s f o r m e n künstlerischer B e t ä t i g u n g u n d f ü r alle K u n s t g a t t u n g e n gleichermaßen g ü l t i g e n allgemeinen B e g r i f f u m s c h r e i b e n " 3 6 . „ D i e U n m ö g l i c h k e i t , K u n s t gener e l l z u definieren", e n t b i n d e aber „ n i c h t v o n der verfassungsrechtlichen P f l i c h t , die F r e i h e i t des Lebensbereiches K u n s t zu schützen, also b e i der k o n k r e t e n Rechtsanwendung z u entscheiden, ob die »Voraussetzungen des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G v o r l i e g e n ' " 3 7 . D a m i t muß sich n u n , veranlaßt d u r c h die besondere Gestaltung des Falles, auch das Bundesverfassungsgericht m i t dem D i l e m m a auseinandersetzen, die Ezgengesetzlichkeit der K u n s t d u r c h das G r u n d r e c h t der K u n s t f r e i h e i t sichern, A r t . 5 Abs. 3 also p r a k t i s c h anwenden u n d daher abgrenzen z u m ü s sen. Z u seiner E n t s c h e i d u n g angesichts eines n i c h t - k o n v e n t i o n e l l e n Werks 34 35 36 37
BVerfGE 30, 173ff., 188f. BVerfGE 67, 213 ff. Ebd., 224. Ebd., 225.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
117
k o m m t der Senat, i n d e m er nebeneinander d r e i K u n s t b e g r i f f e (einen m a t e rialen, einen f o r m a l e n u n d einen „offenen") verwendet, m i t denen er die eingeführten Realdaten i m p l i z i t als Elemente des Normbereichs v o n A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G herausarbeitet. D e r e n i n h a l t l i c h e U m s c h r e i b u n g folgt w i e d e r u m dem Mephisto-Beschluß. M i t der Aussage einer U n m ö g l i c h k e i t , K u n s t gener e l l i n h a l t l i c h z u definieren, geht das Gericht hier aber, erstmals r e f l e k t i e r t , n i c h t länger v o n einem idealistischen B e g r i f f aus. I m ü b r i g e n stellt es i n der v o r d e m Mephisto-Beschluß sehr streitigen F r a g e 3 8 nochmals k l a r , daß die K u n s t f r e i h e i t weder d u r c h die „ S c h r a n k e n t r i a s " des A r t . 2 Abs. 1 2. H a l b satz G G n o c h d u r c h die Vorbehalte des A r t . 5 Abs. 2 GG, sondern n u r d u r c h die Verfassung selbst begrenzt w e r d e n d a r f 3 9 . B e i m Verfahren, m i t dem diese Grenze gewonnen w e r d e n soll, geht das Bundesverfassungsgericht d a n n u n a u s d r ü c k l i c h v o n dem weniger r a t i o n a l e n Grundsatz der p r a k t i s c h e n K o n k o r d a n z aus: Es genüge i m g e r i c h t l i c h e n Verfahren n i c h t , ohne R ü c k s i c h t auf die K u n s t f r e i h e i t eine B e e i n t r ä c h t i g u n g des Persönlichkeitsrechts (Beleidigung) festzustellen. V i e l m e h r sei z u e r m i t t e l n , „ o b diese B e e i n t r ä c h t i g u n g derart schwerwiegend ist, daß die F r e i h e i t der K u n s t z u r ü c k z u t r e t e n hat; eine geringfügige B e e i n t r ä c h t i g u n g oder die bloße M ö g l i c h k e i t einer schwerwiegenden B e e i n t r ä c h t i g u n g r e i chen h i e r z u angesichts der hohen B e d e u t u n g der K u n s t f r e i h e i t n i c h t a u s " 4 0 . Z u r K l ä r u n g der Frage, ob die v o m Fachgericht zugrundegelegte Auffassung v o m Tatbestandsbereich des § 185 S t G B m i t d e m G r u n d r e c h t aus A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G vereinbar sei, ü b e r p r ü f t der Senat die Maßstäbe,
an denen das
A m t s g e r i c h t den „ A n a c h r o n i s t i s c h e n Z u g " gemessen h a t 4 1 , u n d k o m m t z u m Ergebnis der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung, da i m d o r t i g e n Verfahren die methodischen u n d dogmatischen Maßstäbe (Gesamtbetrachtung, mehrere I n t e r p r e t a t i o n s m ö g l i c h k e i t e n ) übergangen w u r d e n . D a m i t h a t das G e r i c h t f ü r die L ö s u n g der G r u n d r e c h t s k o l l i s i o n keine p a u schale A b w ä g u n g a n h a n d eines Wertsystems v o r g e n o m m e n 4 2 , sondern die Grenze w e s e n t l i c h k o n k r e t e r d u r c h Sachargumente aus d e m F a l l gefunden. I m „ K a r i k a t u r b e s c h l u ß " v o n 1987 4 3 äußert sich das Bundesverfassungsger i c h t z u r Frage der B e l e i d i g u n g d u r c h D a r s t e l l u n g eines Menschen als k o p u 38 Zum Steitstand vor der Mephisto-Entscheidung: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 14 ff. 3 9 Ebd., 228. 40 BVerfGE 67, 228. 41 Ebd., 228ff.; vgl. zum Aspekt der Maßstäblichkeit: F. Müller, Strafrecht, Jugendschutz und Freiheit der Kunst, 86 ff. 42 So noch im Mephisto-Beschluß, E 30, 173ff., 193: „Vielmehr ist ein im Rahmen der Kunstfreiheitsgarantie zu berücksichtigender Konflikt nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems durch Verfassungsauslegung zu lösen". 43 BVerfGE 75, 369ff. - Zu dieser Entscheidung jetzt auch Erhardt, 119ff., 211 ff.; grundsätzlich zum Verhältnis von Satire, Kunstfreiheit und Straf recht ebd., 114 ff., 152 ff. und durchgehend.
118
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
lierendes Schwein. Es w i e d e r h o l t seine Aussage z u r „ U n m ö g l i c h k e i t , K u n s t generell z u definieren" u n d v e r d e u t l i c h t gleichzeitig seine Position: „ K u n s t " ist ein T a t b e s t a n d s m e r k m a l des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 GG, muß also dogmatisch b e s t i m m b a r sein. „ E r l a u b t u n d n o t w e n d i g " sei „ a l l e r d i n g s n u r die U n t e r scheidung zwischen K u n s t u n d N i c h t k u n s t ; eine N i v e a u k o n t r o l l e , also eine D i f f e r e n z i e r u n g zwischen ,höherer' u n d ,niederer', ,guter' u n d s c h l e c h t e r ' ( u n d deshalb n i c h t oder w e n i g e r schutzwürdigen) K u n s t liefe demgegenüber auf eine verfassungsrechtlich u n s t a t t h a f t e I n h a l t s k o n t r o l l e h i n a u s " 4 4 . D e m gegenüber fehlt ein tragfähiger G r u n d f ü r das Vorgehen des Senats, b e i der I n t e r p r e t a t i o n der K a r i k a t u r e n „Aussagekern" u n d „ E i n k l e i d u n g " getrennt m i t B l i c k d a r a u f z u überprüfen, „ o b sie eine K u n d g a b e der M i ß a c h t u n g gegenüber der k a r i k i e r t e n Person e n t h a l t e n " . A n g e b l i c h müsse „beachtet werden, daß die Maßstäbe f ü r die B e u r t e i l u n g der E i n k l e i d u n g anders u n d i m Regelfall weniger streng als f ü r die B e w e r t u n g des Aussagekerns .. . " 4 5 . D i e v o m Bundesverfassungsgericht
in
ständiger
Praxis
beschworenen
„ w e r k g e r e c h t e n Maßstäbe" erfordern aber eine einheitliche B e w e r t u n g v o n F o r m u n d I n h a l t , die n i c h t n a c h unterschiedlichen Maßstäben b e u r t e i l t w e r den k ö n n e n 4 6 . D i e K o l l i s i o n zwischen d e m allgemeinen Persönlichkeitsrecht u n d der K u n s t f r e i h e i t w i r d h i e r sodann d u r c h abstrakte
„Abwägung"
gelöst, welche - w i e sich der Senat vorsichtshalber gleich selbst bescheinigt - „ i m vorliegenden F a l l zwangsläufig z u dem v o n i h m (sc. dem Gericht) gefundenen Ergebnis f ü h r e n " 4 7 mußte. Das Gericht sucht dabei n i c h t n a c h abwägbaren Einzelgesichtspunkten. Es geht ganz allgemein d a v o n aus, daß unsere Rechtsordnung die W ü r d e des Menschen als „obersten W e r t " anerk e n n t u n d daß das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 2 i V m A r t . 1 Abs. 1 GG) auf d e m Weg über das M e n s c h e n w ü r d e p r i n z i p
den
Kern
menschlicher E h r e schütze, so daß hier eine Rechtfertigung d u r c h die K u n s t f r e i h e i t n i c h t m ö g l i c h sei 4 8 . D e r B e g r ü n d u n g s t e x t geht d a m i t w i e d e r auf eine d e u t l i c h w e n i g e r differenzierte A b w ä g u n g b l o c k h a f t e r
„Werte",
hier einerseits der K u n s t f r e i h e i t , andererseits der Menschenwürde, zurück. I n d e m Beschluß z u m sogenannten „ H e r r n b u r g e r B e r i c h t " 4 9 h a t sich das Bundesverfassungsgericht erstmals zu der Frage geäußert, ob auch die W e r 44 Ebd., 377. - Das ist die Position von: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, z.B. 31 ff., 83ff. - Zur Verfehltheit inhaltlicher Definitionen von „Kunst" im Verfassungsrecht siehe ebd., 35ff. « Ebd., 378. 46 Vgl. Pieroth/ Schlink, Grundrechte, Rn. 701, m. Nw. - So auch schon: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, z.B. 68ff., 70ff. 47 Ebd., 379. 48 Ebd., 369, 380: „Bei Eingriffen in diesen durch Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Kern menschlicher Ehre liegt immer eine schwerwiegende Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts vor, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts [BVerfGE 67, 213, 228] durch die Freiheit künstlerischer Betätigung nicht mehr gedeckt ist". 49 BVerfGE 77, 240ff., ebenfalls von 1987.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
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b u n g f ü r ein K u n s t w e r k u n t e r den Schutz der Freiheitsgarantie des A r t . 5 Abs. 3 S. 1 G G f ä l l t . Z u r B e a n t w o r t u n g zieht das G e r i c h t F a k t o r e n des Sachbereichs heran, die sich a m Maßstab des N o r m p r o g r a m m s als Normbereichselemente erweisen; sie w e r d e n i n A n k n ü p f u n g an die U n t e r s c h e i d u n g v o n W e r k - u n d W i r k b e reich eingeführt. D e r W i r k b e r e i c h w i r d als der Sektor gefaßt, „ i n d e m der Ö f f e n t l i c h k e i t Z u g a n g z u d e m K u n s t w e r k verschafft w i r d , also seine D a r b i e t u n g u n d Verbreitung. Z u diesem W i r k b e r e i c h zählen a u c h die Medien, die d u r c h V e r v i e l f ä l t i g u n g , V e r b r e i t u n g u n d V e r ö f f e n t l i c h u n g eine u n e n t behrliche M i t t l e r f u n k t i o n zwischen K ü n s t l e r u n d P u b l i k u m a u s ü b e n " 5 0 . K u n s t sei öffentlichkeitsbezogen, auf öffentliche W a h r n e h m u n g angewiesen. W e r b u n g b i l d e ein K o m m u n i k a t i o n s m i t t e l , das daher ebenfalls z u m W i r k b e r e i c h künstlerischen Schaffens gehöre. Das Gericht zieht h i e r der Sache n a c h aus Elementen des Normbereichs dogmatische Schlüsse. Z u m ersten M a l differenziert es b e i der B e u r t e i l u n g von Eingriffen danach, ob eine A n k n ü p f u n g an den W e r k - oder an den W i r k bereich erfolgt. Es l e h n t zutreffend eine Stufentheorie f ü r die E i n s c h r ä n k b a r k e i t v o n der A r t ab, „daß f ü r den W e r k b e r e i c h ausschließlich die verfassungsrechtlich geschützten Rechtsgüter als S c h r a n k e n heranzuziehen sind, f ü r den W i r k b e r e i c h dagegen die allgemeine Rechtsordnung maßgeblich ist . . . " . Der Prüfungsmaßstab solle i n jedem F a l l derselbe bleiben, ob die H a n d l u n g n u n i n den W e r k - oder i n den W i r k b e r e i c h f ä l l t 5 1 . Daraus folge aber n i c h t , daß alle H a n d l u n g e n , die A r t . 5 Abs. 3 Satz 1 G G abdeckt, desselben Schutzes bedürfen. Sie k ö n n t e n durchaus unterschiedliche „ A u ß e n w i r k u n gen" haben; deshalb seien staatliche E i n g r i f f e u m so w e n i g e r zuzulassen, je näher die u m s t r i t t e n e H a n d l u n g dem K e r n der K u n s t f r e i h e i t zuzuordnen ist u n d je m e h r sie sich i m Bereich des Schaffens abspielt. Daraus ergebe „ s i c h jedoch n u r eine tatsächliche V e r m u t u n g dafür, daß die K u n s t f r e i h e i t
im
W e r k b e r e i c h eher V o r r a n g genießt als i m W i r k b e r e i c h " 5 2 . Diese D i f f e r e n z i e r u n g b e r ü h r t sich m i t der Auffassung, derzufolge eine Sanktion
grundsätzlich
an
Verbreitungstatbestände
im
Wirkbereich
a n k n ü p f e n k a n n , da der W i r k b e r e i c h über eine größere F l e x i b i l i t ä t der A k t i o n s - u n d Organisationsformen verfügt u n d u n b e d i n g t n u r g e w ä h r l e i stet, die M ö g l i c h k e i t gattungstypischer V e r ö f f e n t l i c h u n g ü b e r h a u p t offen z u halten. D e r K ü n s t l e r h a t aber i m Maß der faktischen A u s t a u s c h b a r k e i t 50
Ebd., 251; das im Text Folgende: ebd., 254. Ebd., 255.; vgl. in diesem Sinn schon: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, 103: „Der Wirkbereich ist dem Werkbereich gegenüber nicht verfassungsrechtlich minderen Ranges. Er wird vom Normprogramm nicht weniger geschützt als dieser. Aber die Normierung ,ist frei' (im Sinn von: soll frei sein) besagt für die verschieden strukturierten Hauptaspekte des grundrechtlichen Normbereichs nicht dasselbe". 52 Ebd., 254. 51
120
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
gleichwertiger
Kommunikationsweisen keinen grundrechtlichen Anspruch
auf eine besondere einzelne Verbreitungsart, die m i t der Rechtsordnung k o l l i d i e r t 5 3 . I n A b w a n d l u n g dieser Position geht das Bundesverfassungsgericht aber erst auf der Stufe des Abwägens k o l l i d i e r e n d e r d u r c h die Verfassung geschützter Rechtsgüter auf eine differenzierte G e w i c h t u n g v o n W e r k - u n d W i r k b e r e i c h ein u n d k o m m t n i c h t schon b e i der B e s t i m m u n g des N o r m bereichs z u einer unterschiedlichen B e w e r t u n g der A n k n ü p f u n g s m ö g l i c h keiten. 5. Art. 6 GG M e t h o d i s c h z u u n b e s t i m m t , sachlich sehr sorgfältig zieht das Bundesverfassungsgericht Realdaten aus den Sachbereichen des elterlichen E r z i e hungsrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) u n d des staatlichen B i l d u n g s - u n d E r z i e hungsauftrags ( A r t . 7 Abs. 1 GG) i m Sexualkunde-Beschluß h e r a n 5 4 , so die U n t e r s c h e i d u n g einer Wissen v e r m i t t e l n d e n Sexualwissenschaft u n d einer Werte v e r m i t t e l n d e n Sexualerziehung, die Rolle der E l t e r n i n der S e x u a l erziehung der K i n d e r , deren A b h ä n g i g k e i t v o n Lebensweise u n d Auffassung der E l t e r n , die Rolle der R e l i g i o n als eines sozialen F a k t o r s f ü r die S e x u a l moral, die v i e l f ä l t i g e n gesellschaftlichen Bezüge des Sexualverhaltens sowie Sexualerziehung z u der d u r c h
die
E l t e r n . D a u n d soweit diese F a k t o r e n m i t den N o r m p r o g r a m m e n
faktische
Unterschiede
schulischer
der
A r t . 7 Abs. 1 u n d 6 Abs. 2 S. 1 G G vereinbar u n d ferner f ü r die Entscheid u n g des vorliegenden Falles erheblich sind, b i l d e n sie n i c h t n u r Sachbereichs-, sondern Normbereichselemente. D e r Senat setzt sie dafür ein, den dogmatischen Gehalt des elterlichen Erziehungsrechts w i e des staatlichen B i l d u n g s - u n d Erziehungsauftrags sowie das V e r h ä l t n i s beider zueinander zu präzisieren.
6. Art.
7 Abs. 4 GG - Grundrechte
als
Leistungsrechte
D i e Frage n a c h der M ö g l i c h k e i t einer leistungsrechtlichen I n t e r p r e t a t i o n v o n Grundrechten, die t r a d i t i o n e l l „ i n erster L i n i e " als „ A b w e h r r e c h t e des Bürgers gegen den S t a a t " u n d d a m i t als S c h u t z w ä l l e verstanden werden, welche „ d i e Freiheitssphäre des einzelnen v o r E i n g r i f f e n der öffentlichen G e w a l t " sichern s o l l e n 5 5 , w u r d e i n jüngerer Z e i t erneut i m sogenannten F i n a n z h i l f e - U r t e i l des Bundesverfassungsgerichts v o m 8. A p r i l 19 8 7 5 6 a k u t .
53
F. Müller, Strafrecht, Jugendschutz und Freiheit der Kunst, 84 ff. - Vgl. ferner: Freiheit der Kunst als Problem der Grundrechtsdogmatik, z.B. 122f., 123ff., 130ff., 132 ff. 54 BVerfGE 47, 46ff., 66ff., 70ff. 55 In diesem Sinn bereits das Lüth-Urteil, BVerfGE 7, 198ff., 204.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
121
Das Bundesverfassungsgericht mußte sich d o r t z u m ersten M a l m i t der Frage beschäftigen, ob u n d w e n n ja, i n w e l c h e m U m f a n g die L ä n d e r v e r p f l i c h t e t sind, p r i v a t e Ersatzschulen i m Rahmen v o n A r t . 7 Abs. 4 G G f i n a n z i e l l z u unterstützen. Entscheidend w a r demnach, i n w i e f e r n das i n A r t . 7 Abs. 4 G G verkörperte
Freiheitsrecht
einer
leistungsrechtlichen
I n t e r p r e t a t i o n z u g ä n g l i c h ist. Soweit sich das Bundesverfassungsgericht i n seiner früheren Rechtsprec h u n g m i t vergleichbaren leistungsrechtlichen Problemen beschäftigt hatte, neigte es meist dazu, die auftauchenden Sach- u n d Rechtsfragen v o r a l l e m m i t H i l f e v o n die D o g m a t i k überlagernden allgemeinen grundrechtstheoretischen D e n k f i g u r e n z u entscheiden. Z u e r i n n e r n ist dabei an das N u m e r u s clausus-Urteil, i n d e m sich das G e r i c h t einer leistungsrechtlichen U m d e u t u n g der G r u n d r e c h t e g l o b a l zuwandte. D o r t heißt es: „Je stärker der moderne Staat sich der sozialen Sicherung u n d k u l t u r e l l e n F ö r d e r u n g der Bürger zuwendet, desto m e h r t r i t t i m V e r h ä l t n i s zwischen B ü r g e r u n d Staat neben das u r s p r ü n g l i c h e Postulat g r u n d r e c h t l i c h e r Freiheitssicherung v o r dem Staat die k o m p l e m e n t ä r e F o r d e r u n g n a c h g r u n d r e c h t l i c h e r V e r b ü r g u n g der Teilhabe an staatliche L e i s t u n g e n (...). W ü r d e sich die verfassungsrechtliche B e t r a c h t u n g v o n A n f a n g an auf die T e i l n a h m e a m V o r h a n denen verengen, ginge sie (...) a m K e r n der S c h w i e r i g k e i t e n v o r b e i (.. . ) " 5 7 . A u c h i m H o c h s c h u l - U r t e i l 5 8 s p r i c h t das Bundesverfassungsgericht
von
generellen Wertentscheidungen, welche „ d i e G e l t u n g s k r a f t des Freiheitsrechts i n R i c h t u n g auf Teilhabeberechtigungen" verstärken s o l l e n 5 9 . I m F i n a n z h i l f e - U r t e i l verzichtete der Erste Senat jedoch auf eine durchaus denkbare A n k n ü p f u n g an diese ältere, den leistungsrechtlichen Gehalt v o n G r u n d r e c h t e n i n allgemeiner
F o r m hervorhebende Rechtsprechung. W ä h -
r e n d das G e r i c h t f r ü h e r n o c h den zumeist n o r m t e x t u n a b h ä n g i g e n Versuchen der D i s k u s s i o n f ü r eine leistungs- bzw. teilhaberechtliche U m d e u t u n g der Grundrechte A u f m e r k s a m k e i t schenkte u n d sie m e h r oder weniger i n seine Entscheidungsbegründungen einbezog, b l e i b e n solche Überlegungen 56
BVerfGE 75, 40ff.; veröffentlicht auch in EuGRZ 1987, 242ff.; DVB1. 1987, 62Iff.; NJW 1987, 2359ff.; DÖV 1987, 592ff. 57 BVerfGE 33, 303ff., 330ff. - Gleichwohl läßt der Senat dort das Problem eines objektiven sozialstaatlichen Verfassungsauftrags zur Bereitstellung ausreichender Ausbildungskapazitäten bzw. die Frage, „ob sich aus diesem Verfassungsauftrag (...) ein einklagbarer Individualanspruch des Staatsbürgers (...) herleiten (läßt)", offen. Weiter stellt das Gericht die von ihm postulierte teilhaberechtliche Qualität der Grundrechte „unter de(n) Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann"; ebd., 333. 58 BVerfGE 35, 79ff, 114f. 59 Später ging das Gericht in der Mitbestimmungs-Entscheidung gegenüber einer teilhaberechtlichen Auslegung der Grundrechte in gewisser Weise wieder auf Distanz, um deren primäre abwehrrechtliche Funktion hervorzuheben (BVerfGE 50, 290, 337). Das richtete sich auch gegen Versuche, eine umfassende leistungsrechtliche Theorie der Grundrechte zu postulieren.
122
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
f ü r das F i n a n z h i l f e - J u d i k a t bedeutungslos. Stattdessen a r g u m e n t i e r t das G e r i c h t streng m e t h o d e n r a t i o n a l , i n d e m es pauschale,
normtextgelöste
grundrechtstheoretische E r w ä g u n g e n zugunsten einer normtextbezogenen bereichsdogmatischen I n t e r p r e t a t i o n v o n A r t . 7 Abs. 4 G G h i n t a n s t e l l t . Entscheidend s i n d somit zunächst die grammatische u n d g r a m m a t i s c h systematische Auslegung des i n A r t . 7 Abs. 4 S. 1 einerseits u n d i n S. 3 u n d 4 andererseits p o s i t i v i e r t e n Freiheitsrechts u n d seiner Genehmigungsvoraussetziingen. S o w e i t sich das J u d i k a t ü b e r h a u p t auf allgemeine leistungsrechtliche Vorschläge Grundrechte
z.B. einer i n s t i t u t i o n e l l e n G e w ä h r l e i s t u n g
i n V e r b i n d u n g m i t d e m Sozialstaatsgrundsatz
-
der
einläßt,
geschieht das n i c h t i m Z u s a m m e n h a n g m i t Ausführungen, die auf eine, abstrakte G ü l t i g k e i t postulierende, U m d e u t u n g der G r u n d r e c h t e abzielen. Es h a n d e l t sich dabei v i e l m e h r u m Gesichtspunkte, die f ü r die g r a m m a t i sche u n d grammatisch-systematische A u s l e g u n g des A r t . 7 Abs. 4 G G eine schwächere, das Ergebnis n u r stützende, bestätigende Rolle spielen 6 0 . D i e s o w o h l auf Grundrechtstheorie als auch auf globale rechtspolitische A r g u mente verzichtende Position des Bundesverfassungsgerichts ist sehr bemerkenswert. I n i h r d a r f w o h l eine n i c h t z u unterschätzende, über die bereichsdogmatische B e d e u t i m g des F i n a n z h i l f e - U r t e i l s hinausweisende U m k e h r f ü r die A r t u n d Weise gesehen werden, w i e das G e r i c h t leistungsrechtliche Probleme
im
Normbereich
einer
Freiheitsgarantie
künftig
behandeln
könnte. Anstelle allgemeiner grundrechtstheoretischer Aussagen b i l d e t jetzt eine bereichsdogmatisch spezifische Analyse der P r i v a t s c h u l f r e i h e i t u n d der k o n k r e t e n A u s ü b u n g s m ö g l i c h k e i t e n dieses Freiheitsrechts den Ausgangsp u n k t , v o n dem her die Frage n a c h d e m leistungsrechtlichen Gehalt v o n A r t . 7 Abs. 4 G G b e a n t w o r t e t w i r d . Dieses an der p o s i t i v e n Regelung ansetzende Konkretisierungsverfahren g e w i n n t n i c h t zuletzt d a d u r c h an m e t h o discher R a t i o n a l i t ä t , daß es das V e r h ä l t n i s zwischen geltendem Verfassungsrecht u n d n i c h t v e r b i n d l i c h e r Grundrechtstheorie w i e d e r zurechtr ü c k t . Wegen der p o s i t i v - r e c h t l i c h e n A b s t ü t z u n g d u r c h N o r m t e x t e h a t eine g r u n d r e c h t l i c h e Bereichsdogmatik s t r i k t e P r i o r i t ä t gegenüber der G r u n d rechtstheorie, der es überlassen b l e i b t , grundrechtsdogmatisch (noch) n i c h t entscheidbare K o n s t e l l a t i o n e n z u bearbeiten b z w . zusätzlich z u r (auch) bereichsdogmatischen K o n k r e t i s i e r u n g ihre spezifischen
Gesichtspunkte
e i n z u b r i n g e n (theoretische Konkretisierungselemente). So gesehen, l i t t die frühere Leistungsrechte-Diskussion daran, „daß die i m Grundgesetz v o r handenen (positiven) N o r m p r o g r a m m e n i c h t i n dem U m f a n g a r g u m e n t a t i v verarbeitet werden, i n w e l c h e m dies m ö g l i c h u n d auch geboten i s t " 6 1 . Das F i n a n z h i l f e - U r t e i l leistet einen w e r t v o l l e n B e i t r a g zur K o r r e k t u r dieses Befundes. I m p r a k t i s c h e n Ergebnis anerkennt das Gericht dabei die 60
Vgl. BVerfGE 75, 40ff., 62, 65f. F. Müller/Pieroth/Fohmann, Leistungsrechte im Normbereich einer Freiheitsgarantie, 122. 61
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
123
V e r p f l i c h t u n g der L ä n d e r , das p r i v a t e Ersatzschulwesen i n seinem Bestand zu schützen u n d neben dem öffentlichen Schulwesen z u f ö r d e r n 6 2 . D i e v o m Senat e n t w i c k e l t e n bereichsdogmatischen Aussagen lassen sich i m einzelnen w i e folgt zusammenfassen: A u s der I n t e r p r e t a t i o n v o n A r t . 7 Abs. 4 G G sind d r e i i n h a l t l i c h e K o m p o n e n t e n abzuleiten. Diese V o r s c h r i f t g e w ä h r t z u m einen die Gründungsfreiheit, andererseits die i n s t i t u t i o n e l l e G a r a n t i e der Privatschule u n d legt schließlich den „ f ü r die Schulgesetzgebung ausschließlich zuständigen L ä n d e r n darüber hinaus die P f l i c h t auf, das p r i v a t e Ersatzschulwesen neben dem öffentlichen Schulwesen z u f ö r d e r n u n d i n seinem Bestand z u s c h ü t z e n " 6 3 . E i n e derartige - i n der D i k t i o n des Gerichts - „sozialstaatliche E i n s t a n d s p f l i c h t " folgt aus der besonderen n o r m a t i v e n u n d faktischen
Lage des Privatschulwesens, w o b e i die Verfassung
in
A r t . 7 Abs. 4 S. 3 - 4 G G selbst die Bedingungen n o r m i e r t , die ein P r i v a t schulträger erfüllen muß, u m v o n dem Freiheitsrecht ü b e r h a u p t Gebrauch machen z u k ö n n e n 6 4 . A u f g r u n d einer Realanalyse des Zustandes des P r i v a t schulwesens k o m m t das G e r i c h t z u der Aussage, „ p r i v a t e
Schulträger
(seien) b e i dem bestehenden hohen K o s t e n n i v e a u heute n i c h t m e h r i n der Lage, aus eigener K r a f t sämtliche i n A r t . 7 Abs. 4 S. 3 - 4 G G angeführten Genehmigungsvoraussetzungen gleichzeitig u n d auf Dauer z u e r f ü l l e n " 6 5 . D i e M ö g l i c h k e i t , sich d u r c h auch n u r annähernd kostendeckende Schulgelder selbst z u finanzieren, sei den P r i v a t s c h u l e n schon deshalb v e r w e h r t , w e i l A r t . 7 Abs. 4 S. 3 G G eine d a d u r c h möglicherweise eintretende Sonder u n g der Schüler n a c h den Besitzverhältnissen der E l t e r n ausschließt 6 6 . Z u d e m müsse der Staat den schulischen Pluralismus auch gegen sich selbst u n d n i c h t zuletzt i n der Weise garantieren, daß er „ a u f eigenen A k t e n b e r u hende B e e i n t r ä c h t i g u n g e n dieses P l u r a l i s m u s d u r c h staatliche F ö r d e r u n g i n i h r e r W i r k u n g n e u t r a l i s i e r t " 6 7 . Diese K o m p e n s a t i o n s p f l i c h t entsteht f ü r das Gericht gerade dann, w e n n - w i e es t a t s ä c h l i c h z u beobachten sei - die staatlichen K u l t u s - u n d S c h u l v e r w a l t u n g e n „ e t w a d u r c h die H e b u n g des Standards schulischer E i n r i c h t u n g e n oder d u r c h die stetige Verbesserung 62
Da die strittigen Regelungen des Privatschulgesetzes der Freien und Hansestadt Hamburg diesem Verfassungsgebot nicht gerecht würden, erklärt es sie mit Art. 7 Abs. 4 GG bzw. - im vorliegenden Fall zusätzlich relevant - Art. 3 Abs. 1 GG für unvereinbar. - Die hier gegebene Zusammenfassung folgt wesentlich den differenzierten Ausführungen bei Jeand'Heur, Methodische Analyse, freiheitsrechtliche und leistungsrechtliche Konsequenzen des Finanzhilfe-Urteils, in: F. Müller (Hrsg.), Zukunftsperspektiven der Freien Schule, 67 ff. 6 3 BVerfGE, ebd., 62. 64 Ebd., 63 ff. 65 Ebd., 63. - Neben dem in Art. 7 Abs. 4 S. 3 enthaltenen Gebot, nicht hinter dem Bildungsstandard bzw. der Ausbildungsqualität der öffentlichen Schulen zurückzustehen, erwähnt der Senat vor allem die in S. 4 formulierte Pflicht der Ersatzschulen, die wirtschaftliche und rechtliche Stellung der in ihnen tätigen Lehrkräfte zu sichern, als einen der Faktoren, die zu einer Kostenexplosion im Privatschulwesen geführt haben (vgl. BVerfGE, ebd., 65). 66 Ebd., 63. 67 Ebd., 66.
124
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
der Lehrerbesoldung" die p r i v a t e n Ersatzschulen gemäß A r t . 7 Abs. 4 S. 3 4 G G einem i m m e r kostenintensiveren Anpassungsdruck unterwerfen. Soll e n daher „solche M a ß n a h m e n n i c h t i n d i r e k t z u einer d u r c h A r t . 7 Abs. 4 G G verbotenen B e n a c h t e i l i g u n g der Ersatzschulen führen, so muß der Staat sicherstellen, daß die V e r w i r k l i c h i m g seiner b i l d u n g s - u n d sozialpolitischen Ziele n i c h t auf K o s t e n der Lebensfähigkeit des p r i v a t e n Ersatzschulwesens geht"68. D e r Sache n a c h behandelt das Bundesverfassungsgericht A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G d a m i t als einen F a l l der Interventionsgarantie.
I m Gegensatz z u r
reinen Rechtsgarantie einerseits, die z w a r abstrakt die Existenz, n i c h t aber den k o n k r e t e n Bestand eines Rechtsinstituts sichert, sowie der t o t a l e n A u s ü b b a r k e i t s g a r a n t i e andererseits, die auf eine volle, w e i t g e h e n d voraussetzungslose G r u n d r e c h t s v e r w i r k l i c h u n g zielt, sind die E i n t r i t t s b e d i n g u n g e n der Interventionsgarantie vielschichtiger. B e i i h r h a n d e l t es sich d a r u m , f ü r den N o t f a l l , i n d e m die Realisierung eines Grundrechts n i c h t m e h r g e w ä h r leistet ist, eine G a r a n t e n s t e l l u n g des Staates anzunehmen. D a b e i ist vorausgesetzt, daß i m N o r m b e r e i c h des fraglichen Grundrechts der G a r a n t i e f a l l (sog. Interventionsfall) t a t s ä c h l i c h eingetreten ist u n d n o c h fortbesteht. Ob ein I n t e r v e n t i o n s f a l l vorliegt, ist d u r c h Normbereichsanalyse
zu ermitteln.
D i e Rechtsfolge, die der I n t e r v e n t i o n s f a l l n a c h sich zieht, geht d a h i n , eine o b j e k t i v e Rechtspflicht z u m Schutz des Garantiegegenstands bis z u r Beend i g u n g des Interventionsfalls auszulösen. D a b e i ist der Staat n u r z u solchen Schutzmaßnahmen v e r p f l i c h t e t , die i h m erstens m ö g l i c h , die zweitens z u m Schutz des Garantiegegenstands geeignet u n d die schließlich d r i t t e n s h i e r f ü r auch n o t w e n d i g s i n d 6 9 .
68 Ebd., 66 mit Verweis auf F. Müller/Pieroth/Fohmann, ebd. (Anm. 61), 143. Gemäß Leitsatz 2 der Entscheidung wird eine staatliche Handlungspflicht zur Erteilung von Finanzhilfe jedoch erst dann ausgelöst, wenn das Ersatzschulwesen „in seinem Bestand bedroht ist". Der Senat erläutert dies dahin, ein Eingreifen des Staates beruhe zwar im wesentlichen auf der Unmöglichkeit der Selbstfinanzierung privater Ersatzschulen. Dennoch stelle deren Bedürftigkeit die „unabdingbare Voraussetzung einer Förderungspflicht" dar. Gleichzeitig sei aber „die generelle Hilfsbedürftigkeit privater Ersatzschulen (...) heute ein empirisch gesicherter Befund" (BVerfGE, ebd., 67). Das Gericht gelangt zu dieser Auffassung u.a. unter Berücksichtigung von Zahlenmaterial, das - Standards der Sozialwissenschaften genügend - erhoben und ausgewertet wurde. - Zum Einbezug der Sozialwissenschaften bei der juristischen Entscheidungstätigkeit s. etwa: Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, in: Kassemerl Hoffmann-Riem/Limbach (Hrsg.), Grundrechte und soziale Wirklichkeit, 39ff., 51; dortauch, 48, zur rechtsstaatlich gebotenen Rollenverteilung: „Der Jurist kann zwar keine sinnvolle Grundrechtsdogmatik ohne den Sozialwissenschaftler betreiben, aber er wird durch den Sozial·wissenschaftier nicht ersetzbar". Zu den einzelnen Modalitäten bei der Vergabe von staatlichen Subventionen: Jeand'Heur, Methodische Analyse, freiheitsrechtliche und leistungsrechtliche Konsequenzen des Finanzhilfe-Urteils, 67 ff. 69 Für das Finanzhilfe-Urteil: Jeand'Heur, ebd. (Anm. 62), 103 ff. - Grundsätzlich zum Begriff der Interventionsgarantie: F. Müller/Pieroth/Fohmann, ebd. (Anm. 61), 126 ff.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
125
Ohne D i s k u s s i o n b l e i b t i n der B e g r ü n d u n g des U r t e i l s die Frage, ob b z w . w i e aus einer o b j e k t i v e n Rechtspflicht (staatliche G a r a n t e n p f l i c h t )
eine
s u b j e k t i v e Berechtigung auf F i n a n z h i l f e z u k o n s t r u i e r e n ist. I m öffentlichen Recht muß einer o b j e k t i v - ö f f e n t l i c h e n P f l i c h t des Staates n i c h t zwangsläuf i g ein s u b j e k t i v - ö f f e n t l i c h e r A n s p r u c h des p f l i c h t b e g ü n s t i g t e n
Bürgers
entsprechen. I n der T a t h a n d e l t es sich b e i der d u r c h A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G gegebenen o b j e k t i v - r e c h t l i c h e n
Garantenpflicht,
subjektiv-rechtlich
w e n d e t , u m e i n d e m E r s a t z s c h u l t r ä g e r zustehendes
ge-
Subventionsrecht,
dem g l e i c h w o h l k e i n Anspruchscharakter i m v o l l e n s u b j e k t i v - r e c h t l i c h e n , d.h. einklagbaren S i n n z u k o m m t . Prozeßrechtlich stellt die Verfassungsbeschwerde gemäß A r t . 93 Abs. 1 N r . 4 a G G die einzige M ö g l i c h k e i t dar, m i t der ein solches Begehren auf Feststellung verfolgt w e r d e n k a n n . D i e Verfassungsbeschwerde ist n a c h § 95 Abs. 1 S. 1 B V e r f G G ein auf feststellende Entscheidungen ausgerichteter Rechtsbehelf, wogegen t i t u l i e r b a r e
Lei-
stungsansprüche m i t i h r n i c h t durchgesetzt w e r d e n können. D u r c h Erheben einer Verfassungsbeschwerde k a n n somit die o b j e k t i v e F ö r d e r p f l i c h t
zu
einem s u b j e k t i v - ö f f e n t l i c h e n Subventionsrecht (ohne den C h a r a k t e r eines Leistungsanspruchs) s u b j e k t i v i e r t w e r d e n (Feststellungssubjektivierung). I m Ergebnis k a n n e i n p r i v a t e r Ersatzschulträger bei Vorliegen des I n t e r ventionsfalls, den das Gericht jeweils i m Weg einer Normbereichsanalyse e r m i t t e l n muß, aus A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G i V m A r t . 93 Abs. 1 N r . 4 a G G V e r fassungsbeschwerde m i t dem Z i e l erheben, das Bundesverfassungsgericht möge feststellen, daß der Staat i n E r f ü l l u n g seiner o b j e k t i v - r e c h t l i c h e n S u b v e n t i o n s p f l i c h t i n ausreichendem Maß Finanzleistungen z u erbringen habe, da andernfalls das d u r c h A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G n o r m i e r t e Freiheitsrecht verletzt w ä r e 7 0 . Rechtsmethodisch e n t w i c k e l t das Gericht die F i n a n z i e r u n g s p f l i c h t des Staates aus der Gegenüberstellung der i n A r t . 7 Abs. 4 G G enthaltenen N o r m t e x t v o r g a b e , aus der es G e w ä h r l e i s t u n g u n d besondere rechtliche A u s gestaltung des Privatschulwesens herleitet, m i t den tatsächlichen M ö g l i c h k e i t e n der A u s ü b u n g dieses Grundrechts. D a b e i zeigt ein Vergleich m i t der F i n a n z a u s s t a t t u n g der öffentlichen Realschulen u n d Gymnasien, daß der Landesgesetzgeber finanzielle L e i s t u n g e n gewähren muß, „ s o l l A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G n i c h t z u einem wertlosen I n d i v i d u a l g r u n d r e c h t auf G r ü n d u n g e x i stenzunfähiger
Ersatzschulen
und
z u einer
nutzlosen
institutionellen
Garantie verkümmern ( . . . ) " 7 1 . S o m i t w e r d e n v o r a l l e m Realdaten entscheidungserheblich,
die das
Gericht m i t t e l s einer Normbereichsanalyse g e w i n n t . D i e K o n k r e t i s i e r u n g
70 Vgl. zum Begriff der Feststellungssubjektivierung: F. Müller/Pieroth/Fohmann, ebd. (Anm. 61), 167 ff. 7 1 BVerfGE 75, 44ff., 65.
126
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
v o n A r t . 7 Abs. 4 G G k o n n t e h i e r ü b e r h a u p t n u r u n t e r V e r a r b e i t u n g dieser W i r k l i c h k e i t s e l e m e n t e erfolgen. Das Freiheitsrecht w i r d , w i e der Senat z u Recht ausführt, n u r b e i E r f ü l l u n g der i n S. 3 - 4 genannten Genehmigungsvoraussetzungen gewährt. Diese verweisen aber auf tatsächliche K r i t e r i e n , die eine Privatschule i m Vergleich m i t öffentlichen Schulen beachten muß. Ob Freie Schulen m i t i h r e n E i n r i c h t u n g e n , Lehrzielen, usw. n i c h t h i n t e r den staatlichen Schulen zurückstehen, k a n n das Gericht n u r d u r c h U n t e r s u c h u n g der tatsächlichen Verhältnisse überprüfen, i n denen sich das P r i v a t schulwesen heute befindet. D e r Senat behandelt f o l g e r i c h t i g den N o r m b e reich, auf den das N o r m p r o g r a m m des A r t . 7 Abs. 4 G G „ a b z i e l t " , als Sachbestandteil der V o r s c h r i f t selbst. Rechtsnormtheoretisch bewertet, verläßt er d a m i t e i n m a l m e h r die rechtspositivistische Gleichsetzung des N o r m t e x tes m i t der N o r m , i n d e m er die v o n i h m aus A r t . 7 Abs. 4 G G z u erzeugende Rechtsnorm als sachgeprägtes O r d n u n g s m o d e l l erarbeitet; als v e r b i n d l i chen A u s s p r u c h i m R a h m e n der organisierten Rechtsgemeinschaft, den der Rechtssatz ( N o r m t e x t ) s p r a c h l i c h vorbereitet, i n dem das Ordnende u n d das z u Ordnende zusammengehören u n d einander i n der P r a x i s der Rechtsverw i r k l i c h i m g n o t w e n d i g ergänzen u n d a b s t ü t z e n 7 2 . N i c h t zuletzt a n h a n d der F i n a n z h i l f e - E n t s c h e i d u n g läßt sich anschaulich nachweisen, daß d e m Juristen n i c h t eine fertige Rechtsnorm, eine l e x ante casum z u r V e r f ü g u n g steht, aus der es sich sodann subsumieren ließe. A l s Eingangsdaten des Konkretisierungsvorgangs w a r e n d e m Bundesverfassungsgericht n u r N o r m t e x t e , v o r a l l e m der des A r t . 7 Abs. 4 G G , sowie die Realdaten des Sachverhaltsbereichs „ P r i v a t s c h u l w e s e n "
vorgegeben.
Z u n ä c h s t mußte das G e r i c h t aus der I n t e r p r e t a t i o n aller Sprachdaten das N o r m p r o g r a m m , aus der V e r a r b e i t u n g der n o r m a t i v relevanten Realdaten den N o r m b e r e i c h e n t w i c k e l n , u m schließlich d u r c h Zusammenfügen v o n N o r m p r o g r a m m u n d N o r m b e r e i c h die Rechtsnorm u n d d a n n aus dieser die Entscheidungsnorm z u erzeugen. D i e Rechtsnorm ist s p r a c h l i c h i n den d e m J u d i k a t vorangestellten Leitsätzen f o r m u l i e r t , die ihrerseits i m Rahmen der Standards einer verfassungsrechtlich rückgebundenen j u r i s t i s c h e n A r g u m e n t a t i o n s k u l t u r dem fraglichen N o r m t e x t - hier A r t . 7 Abs. 4 G G - m ü s sen zugerechnet w e r d e n können. D i e i n den Leitsätzen des F i n a n z h i l f e 72 F. Müller, Juristische Methodik, z.B. 148. - Zum Stellenwert von Wirklichkeitselementen bei der Normkonkretisierung im Anschluß an dieses Konzept auch Grimm, Grundrechte und soziale Wirklichkeit, in: Hassemer/Hoffmann-Riem/Limbach (Hrsg.), Grundrechte und soziale Wirklichkeit, 39ff., 43f.: „Rechtsnormen erschöpfen sich weder in ihrem Text noch in dem darin ausgedrückten Befehl. Die Norm (richtiger: der Normtext; s. zu dieser terminologischen wie sachlichen Unterscheidung sogleich im Text; F.M.) wird vielmehr stets im Blick auf einen bestimmten Zustand der sozialen Wirklichkeit formuliert, den sie befestigen oder verändern soll (...). Der Wirklichkeitsausschnitt, auf den die Norm sich bezieht, (bleibt) dieser nicht äußerlich, sondern konstituiert ihren Sinn mit. Der Sinn kann daher nicht unter Absehung von der Wirklichkeit, die geregelt werden soll, ermittelt werden. Er ist wie der Normtext und das Normziel Normbestandteil".
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
127
U r t e i l s ausgesprochene S c h u t z p f l i c h t des Staates f ü r p r i v a t e Ersatzschulen u n d die daraus folgenden S u b v e n t i o n i e r u n g s p f l i c h t e n k ö n n e n A r t . 7 Abs. 4 G G n u r i n s o w e i t zugerechnet werden, als b e i der E r a r b e i t u n g v o n N o r m p r o g r a m m u n d N o r m b e r e i c h das G e r i c h t die aus der N o r m s t r u k t u r abzuleitende Rangfolge der K o n k r e t i s i e r u n g s e l e m e n t e 7 3 beachtet u n d i m K o n f l i k t f a l l dem jeweils n o r m t e x t n ä h e r e n A r g u m e n t den V o r r a n g eingeräumt hat. A u f diesen Gesichtspunkt w a r b e i der vorliegenden E n t s c h e i d u n g besonders z u achten, da s o w o h l die historische als auch die genetische Auslegung v o n A r t . 7 Abs. 4 G G u n s t r e i t i g einen Subventionsanspruch, „dessen A u f n a h m e i n die Verfassung a u s d r ü c k l i c h abgelehnt w o r d e n w a r " 7 4 , verneinte. D e r Senat h a t t e das N o r m p r o g r a m m v o n A r t . 7 Abs. 4 G G d u r c h g r a m m a tische u n d grammatisch-systematische K o n k r e t i s i e r u n g dieser V o r s c h r i f t dahingehend e n t w i c k e l t , der Staat sei v e r p f l i c h t e t , die v o n i h m verursachte B e e i n t r ä c h t i g u n g des Freiheitsrechts d u r c h F i n a n z h i l f e auszugleichen. Das G e r i c h t hätte h i e r näher n a c h d e m S t e l l e n w e r t des historisch-genetischen Aspekts fragen müssen. Es h ä t t e sich dabei v o r dem P r o b l e m befunden, eine K o n f l i k t s l a g e zwischen z w e i Konkretisierungselementen i m engeren S i n n (dem historischen u n d dem genetischen Aspekt) u n d w e i t e r e n A r g u m e n t e n dieses Typs (dem grammatischen sowie d e m grammatisch-systematischen Aspekt) u n d zusätzlich den Normbereichselementen auflösen z u müssen. I n einer K o n f l i k t s l a g e zwischen Konkretisierungselementen i m engeren S i n n liegt das S c h w e r g e w i c h t b e i denjenigen, die u n m i t t e l b a r den N o r m t e x t bearbeiten, also h i e r b e i den g r a m m a t i s c h e n u n d g r a m m a t i s c h - s y s t e m a t i schen Gesichtspunkten. Z u r ü c k t r e t e n müssen die historisch-genetischen Aspekte, da diese als I n t e r p r e t a t i o n s g r u n d l a g e n i c h t den N o r m t e x t selbst auswerten, sondern N i c h t - N o r m t e x t e (z.B. n i c h t m e h r geltende W o r t l a u t e , Parlamentsdebatten, u.ä.). D e r V o r r a n g der den N o r m t e x t d i r e k t i n t e r p r e tierenden Gesichtspunkte folgt aus rechtsstaatlichen Geboten: aus der B i n d u n g an Gesetz u n d Recht, der R i g i d i t ä t des Verfassungsrechts i m S i n n seiner N o r m t e x t - K l a r h e i t , ferner aus den V o r s c h r i f t e n der N o r m k l a r h e i t u n d Tatbestandsbestimmtheit, M e t h o d e n k l a r h e i t , Rechtssicherheit u n d aus der verfassungsrechtlichen Funktionenabgrenzung. D a h i e r die grammatischen u n d grammatisch-systematischen F a k t o r e n i m V e r b u n d m i t den Normbereichselementen
d e u t l i c h auf eine aus der K o m -
pensationspflicht des Staates folgende finanzielle U n t e r s t ü t z i m g d u r c h d e n Staat wiesen, mußte das Bundesverfassungsgericht seine genetisch-historischen Überlegungen h i n t a n s t e l l e n u n d zugunsten der F ö r d e r u n g p r i v a t e r Ersatzschulen entscheiden, u m so die M ö g l i c h k e i t der Rechtsausübung ü b e r h a u p t erst real z u sichern. Das g i l t auch deshalb, w e i l der W o r t l a u t v o n 73 S. dazu F. Müller, Juristische Methodik, 248 ff. - Vorausgesetzt ist dabei, daß im zu entscheidenden Fall ein methodologischer Konflikt auftritt; a.a.O., 251 ff. 74 BVerfGE 75, 44ff., 61.
128
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G i n seiner negativen G r e n z f u n k t i o n n i c h t gegen eine l e i stungsrechtliche D e u t u n g des Freiheitsrechts spricht. I n A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G heißt es eben n i c h t beispielsweise, das Recht z u r E r r i c h t u n g v o n p r i v a ten Ersatzschulen werde „ g e d u l d e t " oder das Betreiben „zugelassen"; sondern: „ g e w ä h r l e i s t e t " . Das ist eine F o r m u l i e r u n g , deren I n t e r p r e t a t i o n s s p i e l r a u m die v o m Bundesverfassungsgericht erarbeitete Rechtsnorm ohne Z w e i f e l n i c h t überschreitet. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß das Bundesverfassungsgericht i m F i n a n z h i l f e - U r t e i l n i c h t n u r eine V i e l z a h l bereichsdogmatischer
Ergebnisse
z u A r t . 7 Abs. 4 G G e n t w i c k e l t hat. Es bedient sich auch eines beispielhaft r a t i o n a l e n Verfahrens der Konkretisierung
v o n Grundrechten. Das G e r i c h t
verzichtet auf eine metarechtliche Theorie der Grundrechte, v o r a l l e m auch auf jeden Versuch einer allgemeinen
Umdeutung von Abwehrrechten i n Lei-
stungsansprüche. Stattdessen untersucht es - auf dem Weg über gramm
u n d Normbereich
Normpro-
des A r t . 7 Abs. 4 G G - die spezifische Ausgestal-
t u n g der P r i v a t s c h u l f r e i h e i t
i m Grundgesetz u n d deren w i r k l i c h e A u s -
übungsmöglichkeiten. Das Ergebnis, die B e j a h u n g einer m i t A r t . 7 Abs. 4 S. 1 G G z u begründenden G a r a n t i e n o r m , w i r d n i c h t grundrechtstheoretisch deduziert oder (rechts-)politisch postuliert, sondern m e t h o d i s c h erarbeitet. D i e Ergebnisse
des F i n a n z h i l f e - U r t e i l s können, gerade w e i l i n Gestalt
einer bereichsdogmatischen
A n s t r e n g u n g erzielt, n i c h t
unbesehen
auf
andere Grundrechte übertragen werden. M ö g l i c h u n d s i n n v o l l ist es jedoch, die v o m Bundesverfassungsgericht hier p r a k t i z i e r t e Bearbeitungsweise
lei-
stungsrechtlicher Problemfälle w e i t e r z u f ü h r e n : Ausgehend v o m E n t w u r f des N o r m p r o g r a m m s der den F a l l regierenden G r u n d r e c h t s v o r s c h r i f t
ist
demnach zuerst sorgfältig z u untersuchen, ob aus dieser ü b e r h a u p t eine G a r a n t i e n o r m b e g r ü n d b a r ist oder ob sie sich auf a b w e h r r e c h t l i c h e F u n k t i o n e n beschränkt. D a n a c h ist, i m bejahenden F a l l , der Typus der G a r a n t i e n o r m z u bestimmen. Sollte es sich u m eine Interventionsgarantie handeln, b l e i b t d u r c h Normbereichsanalyse festzustellen, ob der I n t e r v e n t i o n s f a l l vorliegt. B e i dessen B e j a h u n g s i n d d a n n A r t u n d U m f a n g der daraus f o l genden staatlichen Rechts- b z w . G a r a n t e n p f l i c h t z u erörtern. Schließlich muß die Frage einer m ö g l i c h e n S u b j e k t i v i e r b a r k e i t ( k a n n der G r u n d r e c h t s träger die aus der Rechtspflicht möglicherweise a b l e i t b a r e n A n s p r ü c h e einklagen?) b e a n t w o r t e t werden. 7. Art. 8 GG Das Bundesverfassungsgericht
stellt i n seinem sog. B r o k d o r f - U r t e i l 7 5
erstmals ausführliche Normbereichserwägungen z u A r t . 8 G G an. So w e r den f ü r Spontandemonstrationen, die sich aus a k t u e l l e m A n l a ß a u g e n b l i c k 75
BVerfGE 69, 315ff.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien l i e h b i l d e n , b e s t i m m t e versammlungsrechtliche
129
Vorschriften
als
nicht
a n w e n d b a r e r a c h t e t 7 6 . W e i t e r h i n erörtert das Gericht das r e l a t i v neue Phän o m e n der Großdemonstrationen. Es bezieht sich h i e r auf k o n k r e t e B e i spiele (Gorleben-Treck 1979, Bonner Friedensdemonstration 1981, süddeutsche Menschenkette 1983) u n d stellt fest, daß sich solche Veranstaltungen h i n s i c h t l i c h Trägerschaft, V o r b e r e i t u n g u n d D u r c h f ü h r u n g erheblich v o n h e r k ö m m l i c h e n D e m o n s t r a t i o n e n unterscheiden (u. a. Fehlen eines gesamtv e r a n t w o r t l i c h e n Anmelders, T ä t i g w e r d e n v o n E i n z e l g r u p p e n u n d I n i t i a t i ven ohne b e s t i m m t e n organisatorischen Z u s a m m e n h a l t aus e i n h e i t l i c h e m A n l a ß ) 7 7 . Das G e r i c h t stützt sich h i e r b e i maßgeblich auf die Erfahrungsber i c h t e der zuständigen L a n d e s i n n e n m i n i s t e r u n d die sog.
„Stuttgarter
Gespräche", an denen Polizei, U m w e l t s c h u t z v e r b ä n d e u n d Repräsentanten gesellschaftlicher K r ä f t e teilgenommen h a b e n 7 8 . D e n staatlichen Behörden w i r d es z u r P f l i c h t gemacht, n i c h t h i n t e r „ b e w ä h r t e n E r f a h r u n g e n " z u r ü c k zubleiben, die h i n s i c h t l i c h der f r i e d l i c h e n D u r c h f ü h r u n g v o n Großdemonstrationen gesammelt w e r d e n k o n n t e n 7 9 . Beispielhaft n e n n t das Gericht die K l a r s t e l l u n g der Rechtslage, das Vermeiden v o n P r o v o k a t i o n e n u n d Aggressionsreizen, die I s o l i e r u n g v o n G e w a l t t ä t e r n , besonnene Z u r ü c k h a l t u n g der Staatsmacht, V e r m e i d u n g übermäßiger Reaktionen sowie rechtzeitige K o n t a k t a u f n a h m e , die auf vertrauensvolle K o o p e r a t i o n gerichtet i s t 8 0 .
8. Art. 9 GG K o n t r o l l i e r b a r e Tatbestandselemente lassen sich auch aus dem N o r m b e r e i c h der K o a l i t i o n s r e c h t e des A r t . 9 Abs. 3 G G gewinnen. Dieser A u s s c h n i t t aus der allgemeinen Vereinigungsfreiheit
ist bereits
rechtsgeschichtlich
genauer umschrieben. So h a t das Bundesverfassungsgericht 8 1 schon f r ü h e r die f ü r die Z u e r k e n n u n g der T a r i f a u t o n o m i e an eine n i c h t k a m p f f ä h i g e Organisation entscheidenden Sachgesichtspunkte aus den geschichtlich gewachsenen, aus den n o r m i e r t e n w i e den faktischen M o m e n t e n des N o r m bereichs der g r u n d r e c h t l i c h e n K o a l i t i o n s f r e i h e i t z u e r m i t t e l n gesucht. W ä h r e n d die E i n z e l h e i t e n dieser Normbereichsanalyse z u m T e i l f r a g w ü r d i g e n Charakters sind, v e r l i e r t das G e r i c h t auf der anderen Seite z u Recht den A u s g a n g s p u n k t des N o r m p r o g r a m m s v o n A r t . 9 Abs. 3 G G n i c h t aus dem Auge: solche Verbände als K o a l i t i o n e n z u erfassen, die i h r e r S t r u k t u r n a c h imstande sind, „ i m Verein m i t dem sozialen Gegenspieler das A r b e i t s l e b e n zu ordnen u n d z u b e f r i e d e n " 8 2 . 76 77 78 79 80 81
Ebd., 350. Ebd., 357 ff. Ebd., 319, 355. Ebd, 316, 354. Ebd., 355. BVerfGE 18, 18ff., 25ff., 30ff.; s. auch BVerfGE 4, 96ff., 106f.
9 Müller, Grundrechte
130
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
Ganz i m V o r d e r g r u n d steht die s t r u k t u r i e r t e F a k t i z i t ä t eines Teils des Normbereichs v o n A r t . 9 Abs. 3 G G i n d e m Beschluß, der die T a r i f f ä h i g k e i t der I n n u n g e n u n d Innungsverbände f ü r m i t dem Grundgesetz vereinbar e r k l ä r t 8 3 . Das G e r i c h t w i d e r l e g t die A n s i c h t , die T a r i f f ä h i g k e i t der I n n u n gen sei m i t der K o a l i t i o n s f r e i h e i t unvereinbar, sogar d u r c h u n m i t t e l b a r e n R ü c k g r i f f auf „ d i e frühere u n d die jetzige gesellschaftliche W i r k l i c h k e i t " 8 4 . Historische u n d aktuelle, rechtserzeugte u n d tatsächliche D a t e n des N o r m bereichs v o n A r t . 9 Abs. 3 G G dienen d e m Gericht auch i n jenem Beschluß als entscheidende n o r m a t i v e K r i t e r i e n , der einen K e r n b e r e i c h der K o a l i t i o n s b e t ä t i g u n g i m Personalvertretungswesen herausarbeitet u n d g e w e r k schaftliche W e r b u n g v o r Personalratswahlen i n n e r h a l b b e s t i m m t e r G r e n zen auch i n der Dienststelle u n d w ä h r e n d der Dienstzeit verfassungsrechtl i c h geschützt sein l ä ß t . 8 5 . 9. Art. 12 GG Aufschlußreich f ü r die V e r b i n d u n g s t r u k t u r i e r e n d e r M e t h o d i k m i t den v o m F a l l aufgeworfenen dogmatischen Fragen s i n d solche Judikate, i n denen beide Seiten n i c h t genügend z u r D e c k u n g k o m m e n . So behandelt das Bundesverfassungsgericht
im
Facharzt-Beschluß86
Sachbereichs-
und
Normbereichsdaten auch dogmatisch ohne Unterschied. Wegen des N o r m programms v o n A r t . 12 Abs. 1 S. 1 G G s i n d hier solche Realdaten als E l e mente des Normbereichs z u fassen, die f ü r den Rechtsbegriff „ B e r u f " als einer auf Dauer angelegten, n i c h t sozial schädlichen u n d der Schaffung u n d E r h a l t u n g der Lebensgrundlage dienenden Beschäftigung erheblich sind. Daß die T ä t i g k e i t des Facharztes auf D a u e r ergriffen z u w e r d e n pflegt u n d daß es zwischen fachärztlicher u n d allgemeinärztlicher T ä t i g k e i t n u r eine geringe F l u k t u a t i o n g i b t , gehört i n diesem F a l l z u m N o r m b e r e i c h des Grundrechts. Dasselbe g i l t i n bezug auf das Schaffen u n d E r h a l t e n der Lebensgrundlage d u r c h die berufliche Praxis, f ü r den typischen Patientenkreis des Facharztes u n d die m i t seiner T ä t i g k e i t verbundene w i r t s c h a f t liche Chance u n d Lage. Wegen dieser m i t - n o r m a t i v e n F a k t e n erscheint das Facharztwesen n i c h t als r e c h t l i c h unselbständige V a r i a n t e i n n e r h a l b eines e i n h e i t l i c h e n Berufsbildes „ ä r z t l i c h e T ä t i g k e i t e n " , sondern als eigenständiger A n k n ü p f u n g s p u n k t f ü r die g r u n d r e c h t l i c h e Garantie. Daß n u n das B u n desverfassungsgericht 82
solche U n t e r s u c h u n g e n v o r d e m H i n t e r g r u n d der
BVerfGE 18, 18ff., 27. BVerfGE 20, 312ff., 318f., 322. 84 Ebd., 319. 85 BVerfGE 19, 303ff., 314ff., 318ff., 320 f.-Ansätze zur Normbereichsuntersuchung auch in BVerfGE 28, 295ff. (Inhalt der Koalitionsfreiheit), z.B. 304ff.; vgl. zur Frage, ob das gewerkschaftliche Zutrittsrecht zu kirchlichen Einrichtungen mit Normprogramm und Normbereich von Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar ist, BVerfGE 57, 220ff., 245ff. 86 BVerfGE 33, 125ff., 161 ff. 83
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
131
Frage d u r c h f ü h r t , ob der Parlamentsvorbehalt f ü r statusbildende N o r m e n g i l t oder n i c h t , leuchtet dogmatisch n i c h t ein. Z u n ä c h s t 8 7 h a t t e es der Senat z u Recht dahingestellt sein lassen, ob der F a c h a r z t - B e r u f i m Berufsfeld „ A r z t " r e c h t l i c h selbständig z u behandeln sei. G l e i c h w o h l w e r d e n danach ausführlichere U n t e r s u c h u n g e n z u den genannten Realdaten (des Sachbereichs w i e des Normbereichs) angestellt. Stattdessen w ä r e i m H i n b l i c k auf den Parlamentsvorbehalt dogmatisch z u fragen gewesen, ob die Entscheid u n g über statusbildende N o r m e n i m S i n n des Rechtsstaats- u n d D e m o k r a tiegrundsatzes eine „ w e s e n t l i c h e " Festlegung bedeutet oder n i c h t . Tatsachen aus dem U m k r e i s der Berufsfreiheit verarbeitet das Bundesverfassungsgericht auch i m Beschluß z u m Z w e i t e n Bildungs w e g 8 8 , u n d z w a r z u m einen den engen Z u s a m m e n h a n g zwischen Berufsausbildung, B e r u f s w a h l u n d A u s ü b i m g des Berufs, z u m andern - i n s o w e i t v o m F a l l her angezeigt - die R e l a t i o n zwischen allgemeinbildender S c h u l u n g i n einer E i n r i c h t u n g des Z w e i t e n Bildungswegs u n d der anschließenden (weiteren) B e r u f s t ä t i g keit. Soweit der Senat hier Elemente des Normbereichs v o n D a t e n des Sachbereichs abhebt, geschieht es n u r f ü r einen G e s a m t - N o r m b e r e i c h des A r t . 12 Abs. 1 GG, ohne die G r u n d r e c h t e der Berufsfreiheit u n d der freien W a h l der Ausbildungsstätte abzuschichten. B e i den engen V e r b i n d u n g e n zwischen den Realdaten der G r u n d r e c h t e des A r t . 12 Abs. 1 G G leuchtet das v o n der N o r m t h e o r i e her ein, v o n der M e t h o d i k aus ist es n o c h vertretbar. Dagegen erscheint es wegen der E r s t r e c k u n g des Einschränkungsvorbehalts
aus
A r t . 12 Abs. 1 S. 2 G G dogmatisch zweifelhaft, ob die Frage h ä t t e offenbleiben dürfen; u n d i m Ausmaß dieses Zweifels w ä r e d a n n auch m e t h o d i s c h u n d normtheoretisch eine stärkere D i f f e r e n z i e r u n g n a c h den N o r m p r o g r a m m e n der beteiligten G r u n d r e c h t e u n d entsprechend n a c h i h r e n N o r m b e r e i c h e n n ö t i g gewesen. D a r ü b e r hinaus w u r d e n andere Teile des Normbereichs der Berufsfreiheit u n t e r verfassungsrechtlichen A s p e k t e n s t r u k t u r e l l aufgeschlüsselt, w i e z.B. die verkehrspolitischen,
steuerpolitischen,
sozialpolitischen u n d
ausge-
dehnten statistischen E r w ä g u n g e n z u m T ä t i g k e i t s b i l d u n d z u r tatsächlichen E n t w i c k l u n g des W e r k f e r n v e r k e h r s 8 9 , Überlegungen z u r v o l k s w i r t s c h a f t l i chen Aufgabe, z u standesorganisatorischen Gegebenheiten u n d z u typischen tatsächlichen Gefahrenquellen auf dem Gebiet des Wareneinzelhandels 9 0 .
87 Ebd., 161. es BVerfGE 41, 251ff., 260ff. 89 BVerfGE 16, 147ff., 164f., 165ff., 170, 172ff. 90 BVerfGE 19, 330ff., 338ff.: Sachkundenachweis für die Aufnahme des Einzelhandels mit Waren aller Art mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. - Vgl. auch aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die eingehende Analyse eines Normbereichsteils von Art. 12 Abs. 1 GG in BVerfGE 8, 14,16ff. 9*
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3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG 10. Art. 14 GG
I n der „ N a ß a u s k i e s u n g " - E n t s c h e i d u n g v e r t r i t t das Bundesverfassungsger i c h t die Auffassung, „ d e r B e g r i f f des v o n der Verfassung gewährleisteten Eigentums muß aus der Verfassung selbst gewonnen w e r d e n " 9 1 . O b w o h l A r t . 14 Abs. 1 G G somit einen i m wesentlichen rechtserzeugten N o r m b e r e i c h auf weisen s o l l 9 2 , k a n n das G e r i c h t b e i der K o n k r e t i s i e r u n g
der
I n h a l t s b e s t i m m u n g des Eigentums i m Rahmen v o n A r t . 14 Abs. 1 S. 2 b z w . Abs. 2 G G gerade n i c h t auf die U n t e r s u c h u n g der n o r m a t i v relevanten Realdaten verzichten. Erst i m Weg einer recht ausführlichen Normbereichsanal y s e 9 3 gelingt es dem Senat, den Eigentumsbegriff zu e n t w i c k e l n u n d i h n f ü r die Fallösung h a n d h a b b a r z u machen. Das Gericht untersucht den N o r m b e r e i c h v o n A r t . 14 Abs. 1 G G i m M i t b e s t i m m u n g s u r t e i l v o n 1979 9 4 v o n dem Ansatz her, dessen N o r m p r o g r a m m schütze auch gesellschaftsrechtlich v e r m i t t e l t e Beteiligungsrechte 9 5 . D a z u gehört die aus gesellschaftsrechtlichen F i g u r e n (Gesellschaftsformen, M e h r heitsprinzip) folgende Tatsache, daß die eigentumsrechtlichen Befugnisse der A n t e i l s i n h a b e r sehr verschieden sein können; oder die Tatsache, daß sich die erweiterte M o n t a n - M i t b e s t i m m u n g auf den K a p i t a l m a r k t , die D i v i d e n d e n p o l i t i k der U n t e r n e h m e n oder den Grundsatz der R e n t a b i l i t ä t n i c h t a u s g e w i r k t hatte. Dieses empirische Ergebnis setzt der Senat als G r u n d l a g e einer Prognose darüber ein, welche A u s w i r k u n g e n das M i t b e s t i m m u n g s g e setz v o n 1976 außerhalb der M o n t a n - I n d u s t r i e auf die vermögensrechtliche S t e l l u n g der Anteilseigner haben werde. Schließlich w i r d der u n t e r s c h i e d l i che soziale S t e l l e n w e r t der Sachgrundlage des Anteilseigentums herausgearbeitet. D e r N o r m b e r e i c h des Anteilseigentums n a c h A r t . 14 Abs. 1 G G setzt sich somit aus rechtsunabhängigen, aus r e c h t l i c h geprägten u n d aus ganz rechtserzeugten Elementen zusammen. Dasselbe g i l t f ü r den i n der E n t s c h e i d u n g e n t w i c k e l t e n N o r m b e r e i c h der Vereinigungsfreiheit n a c h A r t . 9 Abs. 1 G G bezüglich solcher Unternehmen, die m i t b e s t i m m t werden. Das G e r i c h t analysiert die soziale F u n k t i o n v o n Kapitalgesellschaften, der M i t g l i e d s c h a f t i n i h n e n u n d demgegenüber die soziale F u n k t i o n sonstiger Vereinigungen, ferner das wechselnde V e r h ä l t n i s zwischen
Fremdbestimmung
und
gesellschaftsrechtlichen F o r m e n
96
Selbstbestimmung
in
verschiedenen
.
si BVerfGE 58, 300ff., 335. 92 So auch Höfling, Offene Grundrechtsinterpretation, 98. 93 Vgl. BVerfGE 58, 300ff., 338ff. 94 BVerfGE 50, 290 ff., 336ff., 354ff. 9 5 Ebd., 342f., 347f., 438f. 96 Speziell dazu ebd., 357 ff. - Im einzelnen vertritt der Senat (implizit) den allgemeinen Ansatz der strukturierenden Grundrechtsdogmatik, ebd., 337; er faßt allerdings den Normbereich von Grundrechten sprachlich vage als „Schutzbereich" bzw.
II. Rechtsprechung zu einzelnen Garantien
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Das Bundesverfassungsgericht ü b e r n i m m t b e i seinen allgemeineren A u s f ü h r u n g e n über die F u n k t i o n v o n G r u n d r e c h t e n 9 7 auch die These, die o b j e k t i v e F u n k t i o n der G r u n d r e c h t e dürfe n i c h t gegen die subjektive ausgespielt w e r d e n 9 8 . I n diesem S i n n verwendet das Gericht als Maßstäbe der verfassungsrechtlichen P r ü f u n g des Mitbestimmungsgesetzes v o r a l l e m diejenigen Einzelgrundrechte, die v o n i h r e m N o r m p r o g r a m m b z w . N o r m b e r e i c h her f ü r die E i n f ü h r u n g der e r w e i t e r t e n M i t b e s t i m m u n g regelungsrelevant sind. Dagegen sollen solche Topoi, die auf eine o b j e k t i v e F u n k t i o n der G r u n d rechte ohne d i r e k t e n N o r m t e x t b e z u g abheben, w i e z.B. der Gedanke eines „ i n s t i t u t i o n e l l e n Zusammenhangs der Wirtschaftsverfassung"
oder eines
„ S c h u t z - u n d Ordnungszusammenhangs der G r u n d r e c h t e " , u n b e r ü c k s i c h t i g t bleiben, da dies „ i m Grundgesetz keine Stütze ( f i n d e t ) " 9 9 . Entscheidungserheblich ist demnach die bereichsdogmatische K o n k r e t i sierung der Einzelgrundrechte, da n u r so v e r h i n d e r t w e r d e n k a n n , daß die je bereichsspezifische Freiheitsgarantie o b j e k t i v e n P r i n z i p i e n untergeordnet wird100. 11. Art. 38 i.V.m.
Art. 48 GG
D e r S p i e l r a u m f ü r das E i n o r d n e n v o n Realdaten i n den Sachbereich b z w . i n den N o r m b e r e i c h w i r d auch i m D i ä t e n - U r t e i l des Bundesverfassungsger i c h t s 1 0 1 d e u t l i c h , h i e r n o c h b e t o n t d u r c h die Differenz zwischen Mehrheits— entscheid u n d Sondervotum. D e r Senat stellt umfangreiche u n d bemerkensw e r t genaue U n t e r s u c h u n g e n z u m Status des Abgeordneten u n d z u dessen Ä n d e r u n g e n an, v o r a l l e m m i t B l i c k auf die Maßstäbe f ü r eine angemessene Entschädigung. Diese Realdaten w e r d e n m i t den zuvor e r m i t t e l t e n N o r m p r o g r a m m e n v o n A r t . 38 Abs. 1 S. 2 u n d besonders v o n A r t . 48 Abs. 3 S. 1 G G v e r m i t t e l t u n d der Sache n a c h als Normbereichselemente verwertet, d.h. den erarbeiteten Rechts- u n d Entscheidungsnormen m i t
zugrunde
„Schutzgut", ebd., 336ff., 354f., 355f. (zu Art. 9 Abs. 1 GG). Das Gericht untersucht den Normbereich des Anteilseigentums (Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG) und das Ausmaß seiner zulässigen Sozialbindung (Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG) mit rechtserzeugten und nicht rechtserzeugten Elementen, ebd., z.B. 342ff., 347ff., den Normbereich des Art. 9 Abs. 1 GG in Richtung der Funktionsfähigkeit von Kapitalgesellschaften ebenfalls mit faktischen bzw. rechtlich erzeugten Elementen, ebd., 257 ff. 97 BVerfGE 50, 290ff., 336f. 98 F. Müller, Die Positivität der Grundrechte, 1. Aufl. 1969, 44 u.ö. (s.a. oben). 99 BVerfGE 50, 290ff., 336. 100 Ebd., 337: „Die Funktion der Grundrechte als objektiver Prinzipien besteht in der prinzipiellen Verstärkung ihrer Geltungskraft, hat jedoch ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung (sc. der bereichsspezifischen Freiheitsgarantien). Sie läßt sich deshalb nicht von dem eigentlichen Kern lösen und zu einem Gefüge objektiver Normen verselbständigen, in dem der ursprüngliche und bleibende Sinn der Grundrechte zurücktritt". ιοί BVerfGE 40, 296ff., vor allem 310ff.; das Sondervotum ebd., 330ff., 334ff.
134
3. Teil: Die Positivität der Grundrechte in der Judikatur des BVerfG
g e l e g t 1 0 2 . Dagegen sollen n a c h dem S o n d e r v o t u m einige Elemente der neuer e n E n t w i c k l u n g i m Status des Abgeordneten m i t dem N o r m p r o g r a m m des A r t . 38 Abs. 1 S. 1 G G n i c h t vereinbar sein; so v o r a l l e m die Tendenz, die d u r c h A r t . 48 Abs. 3 G G geforderte E n t s c h ä d i g u n g als E n t g e l t oder Gehalt f ü r Dienste, als eine A r t Besoldung aufzufassen, w e i l die Ü b e r n a h m e u n d A u s ü b u n g v o n M a n d a t e n als „eine A r t S o n d e r l a u f b a h n des öffentlichen D i e n s t e s " 1 0 3 , d.h. b ü r o k r a t i s i e r t gesehen w i r d . Diese i n der B u n d e s r e p u b l i k D e u t s c h l a n d t a t s ä c h l i c h nachweisbaren E n t w i c k l u n g e n s i n d n a c h A u f f a s sung des dissentierenden Richters a u f g r u n d seiner abweichenden I n t e r p r e t a t i o n des N o r m p r o g r a m m s also n u r Elemente des Sachbereichs, n i c h t aber des Normbereichs der hier z u konkretisierenden Verfassungsartikel.
!02 Ebd., 315ff. !03 Ebd., 335.
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Zeidler, Karl: Zur Problematik von Art. 2 Abs. 1 GG, NJW 1954,1068. Zezschwitz, Friedrich von: Staatliche Neutralitätspflicht und Schulgebet, JZ 1966, 337. Zöbeley, Günter: Zur Garantie der Kunstfreiheit in der gerichtlichen Praxis, NJW 1985, 254.
Sachregister Abgeordneter, Status 133 f. Abgrenzung, normative 56f. Abwägung s. Güterabwägung Aktionsbereiche s. Grundrechte, Aktionsoder Sachbereich Aktionsformen s. Grundrechte, Aktionsformen Aktionsgarantien 90 s. a. Grundrechte, Aktionsgarantien Aktionskunst 114 f. Aktionsmodalitäten, austauschbare 75 Allgemeine Gesetze s. Gesetzesvorbehält, allgemeine Gesetze Allgemeinheit 33 Allgemeininteressen, vordringliche 14 (Fn. 10) s. a. Grundrechtsbegrenzung, immanente Gemeinschaftsvorbehalte „Anachronistischer Zug"-Beschluß 116f. Anknüpfungshandlung 88, 97 s. a. Grundrechtsverletzung Anstalten, öffentlich-rechtliche 107 Anteilseigentum - nicht rechtserzeugte Elemente 133 (Fn. 96) - Normbereich 132, 133 (Fn. 96) - rechtserzeugte Elemente 133 (Fn. 96) - Sozialbindung 133 (Fn. 96) Anteilseigner, vermögensrechtliche Stellung 132 Apotheken-Urteil 95 Arbeitsrecht 112 Argumentationskultur, juristische 126 Argumente, rechtspolitische 122 Ausgestaltungsvorbehalt 56, 58f., 64f., 72, 85 Auslegung 22, 24, 47 f., 61, 74, 86, 89, 90 (Fn. 97), 111 s. a. Konkretisierung; Konkretisierungselemente Auslegungsregeln, gesetzespositivistische 22 AuslegungsVerständnis 74
Baurecht 51 Bedeutungsfestsetzungen 110 Begrenzungshypothesen 35, 78 Begrenzungslehren, allgemeine 21, 34,46 (Fn. 12), 57 Begrenzungsrecht 86 Begriff 110 Begriffsbildung 23 (Fn. 47) Begriffsfeld 25 Bekenntnis 42, 80, 84,101 s. a. Glaubensfreiheit, Grundrecht Beleidigung 37 f., 117 Bereichsdogmatik 11, 36, 38f., 54, 57f., 64, 72, 74, 76, 87ff., 94, 103f. 113ff., 122,133 s. a. Dogmatik; Normbereich Beruf, Rechtsbegriff 130 Berufsausbildung 131 Berufsausübung 52 (Fn. 29), 131 Berufsausübungsregelung 53 Berufsfreiheit, Grundrecht 48, 83, 95, 108 (Fn. 14) - Einschränkungsvorbehalt 131 - Gesamt-Normbereich 131 - Normbereich 130 f. - Normprogramm 130 - Realdaten 130 f. - Sachbereich 131 - Wahl der Ausbildungsstätte 131 Besoldung 134 Bestrafung, gerichtliche 37 Bezugssystem des Verfassungsganzen 17 s. a. Verfassung, materiale Ganzheit Bildungs- und Erziehungsauftrag 120 Blankettformel 92 Bonner Friedensdemonstration 129 Brasilianische Bundesverfassung 103 (Fn. 3) Breitbandkabel 109 Brokdorf-Urteil 128 Bürgerliches Recht 26, 38 Bundesgerichtshof 13 (Fn. 7), 31 (Fn. 70), 53, 97, 100 Bundeskompetenz 111
Sachregister Bundesprüfstelle 29 Bundesrepublik Deutschland 134 Bundesverfassungsgericht 12 f., 20, 24, 26, 30, 38, 42 (Fn. 8), 46f., 67f., 70, 74f., 79, 81, 83, 91, 96, 103ff., 113f., 117f., 120, 124, 12 8 f f., 132f. Bundesverwaltungsgericht 13,25,30,33, 44 Deliktsfolgen 34 Demokratie, Meinungsvielfalt 109 Demokratiegrundsatz 131 Demonstration 100 Denken - total politisierendes 43 - verräumlichendes 43 Dezision - politische 23 - Rationalisierung 25 - Ursache des Privilegs 43 Diäten-Urteil 133 Diebstahl 56f. Direktive, generalklauselartige 22 s.a. Generalklausel Dividendenpolitik 132 Dogmatik 25, 37, 50, 59, 64, 86, 88, 121 - Einzelgrundrechte 31 (Fn. 71), 40, 64, 68 ff. s. a. Bereichsdogmatik - Grenzen 91 - Grenzlinien 24, 55 - rechtsstaatlich stabilisierende 48 - Struktur 58 - strukturierende 114 - Tatbestandsabgrenzung 89 Doktrin, juristische 12 Drittwirkung s. Grundrechte, Drittwirkung Dynamische Strukturtheorie des Rechts 110 Ehe 42, 66, 93, 102 Ehepartner 38 Eherecht 63 f. Eheverfehlung, juristischer Begriff 37 Ehre, menschliche 118 Ehrenschutznormen 68f., 84 Eigentumsfreiheit, Grundrecht - Begriff 38, 83, 132 - gesellschaftsrechtliche Figuren 132 - Inhaltsbestimmung 132 - Konkretisierung 132
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- Normbereichsanalyse 132 - Normprogramm 132 - Schranken 51 Eingriffe s. Grundrechtseingriffe Eingriffsermächtigung, ungeschriebene 28 (Fn. 59) Eingriffsgesetz 59 Eingriffsgewähr 22 (Fn. 45) Eingriffsintensität 89 Eingriffsintention 58 Eingriffssperre 22 (Fn. 45) Eingriffsvorbehalte 56, 58, 64f., 72 Einheit der Verfassung 18, 24, 43, 47 f. Einzeldogmatik s. Bereichsdogmatik Einzelfall 48 f. Elfes-Urteil 13, 79 Entscheidungsnorm 48, 80, 104 (Fn. 6), U l f . , 133 s.a. Normtext; Rechtsnorm Entscheidungsvorgang 114 Erheblichkeitsurteil 23 Ersatzdienstpflicht 24, 96 Ersatzdienstverweigerung 24 Ersatzschulwesen - Ausübungsmöglichkeiten 128 - Benachteiligung 124 - bereichsdogmatische Interpretation 122 ff. - faktische Lage 123 - Finanzhilfe 121, 124 (Fn. 68) - Garantienorm 128 - Genehmigungsvoraussetzungen 122 f. - generelle Hilfsbedürftigkeit 124 (Fn. 68) - genetische Auslegung 127 - grammatische Konkretisierung 122ff., 127 - Gründungsfreiheit 123 - historische Konkretisierung 127 - Kompensationspflicht 123 - Lebensfähigkeit 124 - normative Lage 123 - Normbereich 126ff. - Normbereichsanalyse 123 - Normprogramm 127f. - Realdaten 126 - Schutzpflicht des Staates 127 - Sonderungsverbot 123 - sozialstaatliche Einstandspflicht 123 - Sprachdaten 126 - systematische Konkretisierung 122 ff., 127
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Sachregister
- Unmöglichkeit der Selbstfinanzierung 124 (Fn. 68) s. a. Finanzhilfe-Urteil Erziehungsrecht, elterliches 120 Exekutive 42, 55, 86 Facharzt - Beruf 131 - einheitliches Berufsbild 130 - typischer Patientenkreis 130 Facharzt-Beschluß 130 Fallgestaltung, praktische 57 Falltypen 80, 88 - normativ verschiedene 57 - rationale Strukturierung 112 Familie 42, 66, 84, 93, 106 Familienrecht 63, 65 Fests tellungssub j ektivierung 125 s. a. Finanzhilfe-Urteil Finanzhilfe-Urteil 104 (Fn. 5), 120ff., 125 ff. s. a. Ersatzschulwesen Formalität positiven Rechts 61 Forschung 30, 97,101 forum internum 85 Freie Schulen s. Ersatzschulwesen; Finanzhilfe-Urteil Freiheit - geistige 51 - grundgesetzlich gewährleistete 42 f. - individuelle 76 - politische 76 - vorbehaltlos garantierte 76 Freiheit als Institut 62 Freiheitsgarantien 12, 16, 23f., 29ff., 35, 39, 41, 43ff., 53ff., 75f., 78, 81f., 84ff., 94, 98, 100, 102, 115 (Fn. 32), 122 s. a. bei den einzelnen Grundrechten Freiheitsstrafe 38f., 105 Fremdbestimmung 132 Funktionenabgrenzung, verfassungsrechtliche 127 Garantenpflicht 125, 128 s.a. Interventionsgarantie; Finanzhilfe-Urteil Garantie s. Freiheitsgarantien; bei den einzelnen Grundrechten Garantiefall 124 s. a. Interventionsfall; FinanzhilfeUrteil Garantiegehaltstheorie 23
Garantienorm 128 s.a. Garantenpflicht; Interventionsgarantie Garantieprinzipien 23 Gattungstypik 98, lOlf., 114f. Gefährdungsurteil 23 Geistlicher 52 (Fn. 29) Geldstrafe 38f. Geltung 34, 104 (Fn. 6) s. a. Normativität Gemeinschaftsvorbehalt 28f., 33 Gemeinwesen, demokratisches 43 Gemeinwohlklauseln, materielle 14 s. a. Grundrechtsbegrenzung Gemeinwohlprinzip 23 Generalklausel 31 (Fn. 71), 40ff., 59, 79f., 86, 92 s. a. Direktive, generalklauselartige Generalnorm, materielle 32 Generalvorbehalt 21 ff., 32, 61 f. s. a. Verfassungstheorie Gerichte 31, 38, 40 Gesamtbetrachtung 117 Gesellschaften 85 Gesetzesmaterialien 72 s.a. Konkretisierungselemente, genetische Gesetzesnorm s. Rechtsnorm Gesetzesvorschrift s. Rechtsnorm Gesetzesvorbehalt 16ff., 25, 28 (Fn. 59), 34f., 50, 55ff., 60, 63ff., 68, 72ff., 78ff., 82, 84ff., 88, 90, 103 - Abstufung 22, 32, 50, 54 - allgemeine Gesetze 16 (Fn. 18), 51, 58f., 61 f., 68f., 71 f., 76f., 80 - allgemeiner 45, 70, 84 - dogmatische Grundbedeutung 59 f. - einfacher 34, 57f. - Eingriffsvorbehalt 85 - Ergänzungsbedürftigkeit 63 - Fehlen 52 - grundrechtlicher 50, 66 - Maßstäblichkeit 58 - positivrechtlicher 17f., 26, 55 - qualifizierter 34, 57f. - spezieller 22 - als „Schleuse" 89 - Verständnis 65 Gesetzgeber 20, 29 (Fn. 62), 32 (Fn. 73), 35, 49, 55 (Fn. 34), 67, 69, 73f., 81, 109 - Absicht 72ff., 80 - Bindung 22
Sachregister - grundrechtsausgestaltender 26f. - grundrechtseinschränkender 23, 26f. - Verfassungstreue 21 Gesetzgebung 55, 63f., 82, 85 f. - Ermessen 20 - grundrechtsbezogene 63, 66 - verfassungssichernde 20 - verfassungsstärkende 20 Gewährleistungsschranken, systematische 51 Gewalt, öffentliche 35, 37ff., 43, 120 Gewerberecht 51 Gewissen 20, 42f., 84, 91, 101 Gewissensfreiheit, Grundrecht 24, 30, 41, 42 (Fn. 7), 47, 84, 96, 108 (Fn. 14) Glaube 20, 42, 84, 91 (Fn. 99), 101 GlaubensabWerbung 30, 98 Glaubensfreiheit, Grundrecht 30, 37f., 42 (Fn. 7), 84, 88f, 96, 98 Glaubenswechsel 30, 37f. Gleichheitssatz - allgemeiner 22, 42 - Herrschaft 44 - Normbereich 106 - Normprogramm 106 Gorleben-Treck 129 Grenzbestimmung - dogmatische 48f., 75 - verfassungstheoretische 25 - Vorbehalt 59, 69f., 84 Großdemonstrationen 129 Grundgesetz 14, 17f., 20, 28, 36, 39f., 46 (Fn. 12), 62, 73, 90, 95, 102, 122, 130, 133 - Abstufungstechnik 15 - Kompetenzregeln 111 - Rechtsgüterschutzsystem 22 - „rigide Verfassung" 19, 72 - Textstrenge 103 - Verfassungstypik 17 - Wertordnung 19, 25 Grundrechte 16, 21 ff., 26, 29, 32, 34f., 39f., 46, 48ff., 57ff., 65, 68ff., 78f., 82, 84ff., 90ff., 99, 103 - Abwehrrechte 120f., 128 - Aktionsformen 27, 75 - Aktionsgarantien 16f., 31, 34, 90 - Aktualisierung 38, 48f., 74, 76, 88, 93 ff., 101 - Ausübung 27, 29, 30, 33f., 46 (Fn. 12), 64, 67f., 75ff., 82, 94, 96, lOlf.
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- Ausübungsschranken 16 (Fn. 18), 46 (Fn. 12), 47 - Bereichsdogmatik s. Bereichsdogmatik - Bestand der Rechtsgemeinschaft 13 f. - Dogmatik 14, 21, 24f., 30, 33f., 36ff., 57, 73, 77,91,93,114, 132 s. a. Bereichsdogmatik - Drittwirkimg 37, 39f., 58, 95 - Elemente objektiver Ordnung 44 - formale Schranken 86 - Generalklauseln 79f., 103 - generelle Begrenzungen s. Grundrechtsbegrenzung - Gesamtsystem 21 (Fn. 40), 51 - Gesetzesvorbehalt 53, 58, 72 s.a. Grundrechtsbegrenzung - und Gesetzgebimg 19 ff. - Handlungsformen 16 - hermeneutischer Aufbau 40 ff. - institutionelle Gewährleistungen 122 - Interpretation 45f., 55, 73 s.a. Konkretisierung - Interventionsgarantie 124 - Kernbereich 52, 54 - Kollisionen 20, 22, 31, 34, 45f., 48f., 5Iff., 56, 58, 60, 75, 78, 82, 87ff., 94, 96, 100, 117 - Konkretisierung 11, 23ff., 80, 86,128 - Konkurrenzen 20, 33, 49, 51 ff., 54, 56ff., 88f., 97f. - Leistungsansprüche 104,120ff., 128 - Leitbüder 21, 62 - Mißbrauch 28ff. - Nichtstörungsschranken 102 - Normbereich 12, 45, 63, 103, 108 (Fn. 14), 132 (Fn. 96) s.a. bei den Einzelgrundrechten - Normprogramm 108 (Fn. 14), 115 (Fn. 32) s.a. bei den Einzelgrundrechten - objektive Funktion 133 - Positivität in der Judikatur 103 ff. - positivrechtliche Normierung 14, 34 - Ranghierarchie 54f. s.a. Kollisionen - rechtserzeugte Normbestandteile 24 - Rechtsnormtypus 11 (Fn. 1) - rechtspolitische Programmsätze 103 - Rechtsqualität 14, 32, 40f., 69 - Reichweite 14,20, 31, 39,42,44,49, 59, 78, 81, 87ff., 96 s.a. Grundrechtsbegrenzung
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Sachregister
- Sachbereich 11, 16f, 31, 34 - Sachgarantien statt Privilegien 43 ff. - sachgeprägte Schutzgarantien 11, 20, 23,41, 44f., 55, 57, 70, 72,93 - Sachhaltigkeit 11, 20f., 77, 81f., 86 - sachliche Begrenzungen 14f., 26, 31 f., 38, 62, 79, 81, 86f. - Sanktionen 49,119 f. - Schrankenübertragung 113 s.a. Grundrechtsbegrenzung - Schutzbereich 54, 132 (Fn. 96) - selbständige normative Gewährleistungen 12,18, 41 ff. - soziale Funktion 16 (Fn. 18) - Spezialität 97, 103 - sprachliche Fassung 42 - Staatsgerichtetheit 37 - Struktur 41 - subjektive Funktion 133 - Umdeutung 122 - und Unterverfassungsrecht 45f., 89ff. - und Verfassungsnormen 46 ff. - Vertextung 103 (Fn. 3) - Vorbehalt der „allgemeinen Gesetze" 19 s.a. Grundrechtsbegrenzung - vorbehaltlos gewährleistete 12, 19, 27f., 45ff., 53, 55f., 58, 71, 90, 96, 113 (Fn. 28) - Wechselwirkung 47f., 53, 91 - Werteordnung 30 - Wesensgehalt 13, 21 ff., 27, 42 (Fn. 8), 57f., 62, 75, 78, 86, 94f., 102, 108 (Fn. 14) Grundrechtsbegrenzung 18, 41, 63, 73, 92, 95, 97 - Abstufung der Eingriffsvorbehalte 12, 19 - Eingriffe 12, 17f., 32, 65, 68, 71 ff., 79, 82,95 - Generalvorbehalt der „allgemeinen Gesetze" 17 ff. - Güterabwägung 17 ff., 25 ff., 42, 46 (Fn. 12), 48 (Fn. 21), 53f., 59, 66, 69, 71, 75, 88, 91f., 111 - Kollisionsregeln 25ff. s.a. Grundrechte, Kollisionen - Nichtstörungsschranken 14 ff. - Pauschalvorbehalte 14 - polizeiliche Generalklausel 15 - Rigidität des Grundgesetzes 17 - Schrankenübertragung des Art. 2 Abs. 1 G G 11 ff., 17, 68ff.
- Schutz höherrangiger Gemeinschaftsgüter 13 ff. - Straf recht als allgemeine Grenze 27, 29, 34, 46 (Fn. 12), 57, 68, 79, 95 Grundrechtsbegrenzungstheorien 5, 33, 36, 42,45, 77,93 Grundrechtsdenken, formales 87 Grundrechtsfall 59, 73, 75 Grundrechtskatalog 34 Grundrechtstheorie 19, 27, 33, 42 (Fn. 7), 46, 122, 128 Grundrechtsträger 33, 37ff., 45, 94,108 Grundrechts Verbindungen 50 Grundrechtsverletzung - öffentliche Gewalt 39 - Unterscheidung von Anknüpfung, Maßstab, Sanktion 38ff. Grundrechtsverständnis - formales 64 - formalistisches 57, 62 - formaltechnisches 49f., 55 - materiales 65 - nicht normativ-konkretes 64 Gruppengrundrechte 103 (Fn. 3) Güterabwägung s. Grundrechtsbegrenzung, Güterabwägung Handeln - deliktisches 34, 40 - grundrechtlich geschütztes 31 - grundrechtlich nicht geschütztes 31 - rechtsfreies 31, 35 - richterliches 104 Handlungsformen 68, 99 Happening 114 f. s. a. Kunstfreiheit, Grundrecht Hermeneutik 104 (Fn. 6) s. a. Grundrechte, hermeneutischer Aufbau Herrnburger Bericht - Beschluß 118 Hessisches Universitätsgesetz - Beschluß 115 Hochschul-Urteil 121 Immanenz 23 (Fn. 47) Individualinteressen 34 Individualität 49 Indizierungsverbot 29 Informationsfreiheit 66 Inhaltsbestimmung 33 Inhaltsbestimmungsvorbehält 72, 85 Innungen, Tariffähigkeit 130
Sachregister Innungsverbände 130 Integration 43 Intention des Gesetzes 74 s.a. Konkretisierungselemente; Rechtsnorm Intention des Gesetzgebers s. Gesetzgeber, Absicht Interessenabwägung 25, 33 (Fn. 78), 34 Interessenträger 33 Interpretation 26, 86, 88, 98 s.a. Konkretisierung; Konkretisierungselemente Interpretationsarbeit 25 Interpretationsaspekte s. Konkretisierungselemente Interventionsfall 124f., 128 s.a. Garantiefall; Finanzhilfe-Urteil Interventionsgarantie 124,128 s.a. Garantenpflicht; Finanzhilfe-Urteil Irrationalität 50 Jugendliche 35 Jugendschutz 25, 27, 48 Jugendschutzbestimmungen 29, 68f., 84 Kabeltechniken 109 Kapitalgesellschaften 132, 133 (Fn. 96) Kapitalmarkt 132 Karikaturbeschluß 117 Karikaturen 118 Koalitionen 85 Koalitionsfreiheit, Grundrecht 129 f. Kollisionen s. Grundrechte, Kollisionen Kollisionsnormen 34, 58 Kollisionsregeln 25 Kommunikationsdienste, rundfunkähnliche 110 Kommunikationsfreiheit 107 Kommunikationsmacht 109 Kommunikationsmöglichkeiten, Austauschbarbeit 102 KommunikationsVorgänge 114 Kommunikations weisen 120 Konflikt, methodologischer 111 Konkretisierung 48, 80 - Eingangsdaten 126 - Grundrechte 91 ff. - rationale 26, 53, 73,104 s. a. Grundrechte, Konkretisierung Konkretisierungselemente - genetische 42 - grammatische 86, 111 - Konfliktslage 127 10 Müller, Grundrechte
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- aus dem Normbereich 112, 114, 116 s. a. Normbereich - Rangfolge 127 - systematische 42, 111 - theoretische 122 Konkurrenzen s. Grundrechte, Konkurrenzen Konkurrenznormen 58 Konsens 33, 36, 44, 77, 79 Kulturvölker 30 Kündigung 38 Künstler 35, 37ff., 49, 51 f., 64, 88, 95, 102, 119, 133 künstlerische Gattung 115 künstlerische Notwendigkeit 54 (Fn. 31) künstlerische Tätigkeit, Struktur 113 Kultusverwaltungen 123 Kunst 20, 29, 37, 42f., 48, 54, 80, 84, 86, 88, 91 (Fn. 99), 95, lOOf., 119 - Autonomie 115 - dogmatische Bestimmbarkeit 118 - Eigengesetzlichkeit 114, 116 - „entartete" 88 - inhaltliche Definitionen 116 - Inhaltskontrolle 118 - Kommunikationsprozeß 114 (Fn. 31) - Lebensbereich 116 - und Nichtkunst 118 - Niveaukontrolle 118 - Strukturmerkmale 116 - „zersetzende" 92 Kunstbetrieb 114 Kunstfreiheit, Grundrecht 25, 27, 29, 31 f., 35, 37f., 41f., 54 (Fn. 31), 73, 92f., 95, 97, 102, 113, 116ff. - Begriff 116 f. - Bedeutung 117 - bereichsdogmatische Konkretisierung 114 - Dogmatik 35 - immanente Begrenzung 48 (Fn. 21) - Normbereich 27, 97f., 114f. - Normprogramm 116 - Polizeifestigkeit 32 - Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG 13 (Fn. 5) - Schrankenübertragung 17 (Fn. 20) - Vorbehalt 67 - vorbehaltlose Garantie 33 - Werkbereich 113, 114 (Fn. 29), 119f. - Werkgattung 37,114ff. - Wirkbereich 113, 119
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Sachregister
Kunstinstitution 114 Kunstobjekt 113 Kunstrichter 115 Kunstwerk 24f., 35, 49, 53, 74, 87f., 97f. „Kunstwert" 25, 48 Landeskompetenz 111 Landesmediengesetz BaWü 110 law in the books 93 Lebensvorgang 51 Leerformeln 93 Legislative s. Gesetzgeber; Gesetzgebimg Legitimation, normative 53 Lehre 33,101 Lehrerbesoldung 124 Lehrherr 30 Lehrlinge 30 Leistungsansprüche s. Grundrechte, Leistungsansprüche Leistungsrechte-Diskussion 122 lex ante casum 126 Maler 37 Maßstäblichkeit 95 Medien 119 Mehrheitsentscheid 133 Meinungsfreiheit, Grundrecht 38, 51, 66, 68ff., 71, 73f, 76ff., 84, 89, 91f., 97, 100, 106, 109, 112 Menschenrechte 76 Menschenrechtskatalog 103 (Fn. 3) Menschenwürde, Grundrecht 48, 85,105, 114,118 Mephisto-Beschluß 31 (Fn. 70), 48 (Fn. 21), 103f., 113f., 116f. Metaphysik, materiellrechtliche 24 Methodenklarheit 17f., 33,127 Methodik, strukturierende 130 f. Mißbrauchslehre 28ff., 33, 35, 42, 86, 92, 98 s. a. Grundrechte, Mißbrauch Mitbestimmungs-Entscheidung 121, 132 Mitbestimmungsgesetz 132 f. Modalität 100 Mont an-Indus trie 132 Montan-Mitbestimmung 132 Motivationen, subjektive 26 „Muttergrundrecht" s. Persönlichkeitsrecht, allgemeines Nachbarrecht 51 Nachteil, rechtlicher 38
„ Naßauskiesungs " -Entscheidung 132 Natur der Sache 28 (Fn. 59) Naturrecht der Aufklärung 77 (Fn. 74) Naturrechtsdiskussion 41 (Fn. 4) Naturwissenschaftler 51 f. Nichtstörungsschranken s. Grundrechte, Nichtstörungsschranken Norm 13, 35, 43, 61ff., 66, 70, 76ff., 87, 89 - Auslegung 46 s.a. Konkretisierungselemente - Dogmatik 61 s.a. Bereichsdogmatik - Höherwertigkeit 26, 90 - Inhalt 20 - Klarheit 18, 28, 73,127 - Kollision 75, 88, 94f. - Konflikt 22 - öffentlich-rechtliche 57 - Optimierung 54 - rigide 74 - sittliche 35 - statusbildende 131 - strafrechtliche 57 - Vorrang 26 - zivilrechtliche 57 s.a. Rechtsnorm Normanwendung 50,108 (Fn. 14) Normative Kraft der Verfassung 63 „Normative Kraft des Faktischen" 40 Normativität 11, 62, 87,104 (Fn. 6), 107 Normbereich l l f . , 20, 25, 32, 40ff., 47ff., 54ff., 60ff., 72ff., 76ff., 80, 82, 85, 87, 91 ff., llOf., 113f., 120, 133f. - Daten 111, 115 (Fn. 32), 130 - Dichte 79 - Divergenzen 49 - eigengeprägter 41 ff. - Eingriff 35, 72, 94 - Elemente 103, 105f., 108 (Fn. 14), 115, 119f., 127, 133 - grundrechtlicher 16, 36, 38, 43, 46, 58, 60, 66, 74f., 86, 89, 100 - lmpermeabilität 41 - leistungsrechtliche Problematik 122 - nicht rechtserzeugter 42, 46, 63, 91, 114 - Rationalisierung 24 - rechtserzeugter 63, 65, 90, 102,111 - Reichweite 58 - Sachgeprägtheit 35, 42, 71, 79 - sachliche Begrenzung 55f., 69, 80, 99 - Sektoren 80
Sachregister - Struktur 20, 28 (Fn. 59), 32, 40, 42, 54, 56, 58, 65, 71, 83, 87 - und Typus 98 ff. - Überschneidungen 53, 94 - Verkürzung 64, 81 - Vermittlung mit Normprogramm 45 s. a. bei den Einzelgrundrechten; Sachbereich Normbereichsanalyse 20, 26, 45, 50, 54, 56, 62, 73, 90, 104, 107f., 112f., 124f., 128 Normbestandteil 41, 126 (Fn. 72) Nomkonkretisierung 126 (Fn. 72) s. im übrigen Konkretisierung; Grundrechte, Konkretisierung Normprogramm 11, 28 (Fn. 59), 32 (Fn. 76), 42, 44ff., 53f., 56, 60, 63, 71, 73, 80, 85ff., 90 (Fn. 97), 92, 94, 96, 98f., 101, 104 (Fn. 6), 105f., 108, llOf., 115, 119f., 122, 133f. s. im übrigen bei den einzelnen Grundrechten; s.a. Normtext; Rechtsnorm; Rechtsnormtheorie Normqualität 55 Normsetzung 82 f. Normstruktur 127 Normtext 103, 104 (Fn. 6), 108 (Fn. 14), 122, 126 ff. - Bindung 104 (Fn. 6) - Eingangsdatum der Konkretisierung 126 - Gleichsetzung mit der Norm 126 - Grenzfunktion 128 - grundrechtlicher 42 - Klarheit 127 s.a. Konkretisierungselemente, grammatische; Normprogramm; Wortlaut Normverständnis 32, 73f. Normwandel 110 Normwiderspruch 53 Normziel 126 (Fn. 72) Numerus-clausus-Urteil 121
„Objektiver Wille" des Gesetzgebers 74, 83 f. s. a. Konkretisierungselemente, genetische; Gesetzgeber Öffentliche Meinung 109,112 Öffentliche Sicherheit 16 Öffentlichkeit, demokratische 54 (Fn. 31) „Optimierung von Normen" 89 s. a. Praktische Konkordanz 10*
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Ordentliche Gerichtsbarkeit 38 Ordnung - freiheitliche 20 - öffentliche 15 (Fn. 15), 16 Organisationsformen, grundrechtlich garantierte 27 Organisationsgarantien 90 Parlamentsdebatten 127 Parlamentsvorbehalt 131 Pauschalvorbehalte 16, 33 Persönlichkeit von Gefangenen 105 „Persönlichkeitskerntheorie" 52 (Fn. 29) Persönlichkeitsrecht, allgemeines 12, 14 (Fn. 10), 43, 48 (Fn. 21), 92, 117f. - immanente Gemeinschaftsvorbehalte 13 f. - Schrankenübertragung 12 ff. Personalrats wählen 130 Personalvertretungswesen 130 Person würde 30 petitio principii 16, 61 Petition 75 Petitionsrecht 75, 84 Pluralismus, schulischer 123 Polizei 129 polizeiliche Generalklausel s. Grundrechtsbegrenzung, polizeiliche; Generalklausel Polizeivorbehalt 16 Positivität 15 (Fn. 14), 62 s.a. Grundrechte, Positivität in der Judikatur Praktische Konkordanz 21, 24, 47ff., 53, 55, 58, 66, 89f., 94, 117 Praxis 33 Presse, religiöse 51 f. Pressefreiheit, Grundrecht - freie Kommunikation 111 - geschützter Sozialbereich 107 - und Grundgesetz 16 (Fn. 15) - Normbereich 75 - Rechtslage im Kaiserreich 16 (Fn. 15) - Rechtslage in der Weimarer Republik 16 (Fn. 15) Presserecht 51 Presseunternehmen, konkurrierende 107 Pressevielfalt 109 Privatrechtsordnung, Grenze für Grundrechte 27 (Fn. 57) s.a. Grundrechtsbegrenzung Privatschulfreiheit, Grundrecht - Garantenstellung des Staates 124
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Sachregister
- institutionelle Garantie 123 - Interventionsgarantie 124 - leistungsrechtlicher Gehalt 122 s. a. Ersatzschulwesen; Finanzhilfeurteil, Interventionsgarantie Privileg 55 Privilegienordnung 57 Prozeß, gesellschaftlicher 116 Prozeßparteien 39 Rangproblematik s. Verfassungsrecht, Rangdifferenz zu Gesetzesrecht Rationalität, juristische 14, 47, 49ff., 72, 77 (Fn. 74), 122 Realdaten 105f., 108 (Fn. 14), 114, 116f., 125, 133 s.a. Normbereich Recht - konstitutive Verbürgung 41 - und Moral 60 - und Politik 60 - positives 22, 36, 41 - und Wirklichkeit 60 RechtsanWendung 48,116 Rechtserzeugung, strukturierter Vorgang 104 (Fn. 6), 108 (Fn. 14) Rechtsfall 46, 48, 104 (Fn. 6) Rechtsgedanke, überpositiver 33 Rechtsgemeinschaft 126 Rechtsgüterschutz 46 (Fn. 12), 61, 70f., 78, 87f., 120 Rechtsinstitut 124 Rechtslehre 77 Rechtsmißbrauch 29 s.a. Grundrechte, Mißbrauch Rechtsnorm 26, 49f., 56, 59, 66, 69, 79, 82, 89,100,104 (Fn. 6), llOf., 114,126, 128, 133 - allgemeine 48 - Befehl 126 (Fn. 72) - sachgeprägtes Ordnungsmodell 103, 108 (Fn. 14), 126 - sprachliche Auslegung 111 s.a. Konkretisierungselemente, grammatische - Struktur 33 - Text 126 (Fn. 72) s.a. Normtext s.a. Norm; Normativität; Normbereich; Normprogramm; Normstruktur Rechtspositionen 29 Rechtspflicht, staatliche 128 Rechtsnormtheorie 63f., 131 Rechtsordnung 13, 18, 36, 42ff., 57, 59, 60, 64, 66f., 86f., 89, 94, 118ff. s.a.
Konkretisierungselemente, systematische; Textstruktur Rechtspraxis 22, 25, 29ff., 61, 77 Rechtsprechung 26, 30f., 33, 37ff., 46 (Fn. 12), 47, 57, 68, 81, 83, 93 s.a. Bundesgerichtshof ; Bundesverfassungsgericht „Rechtsraum" 41, 43 Rechtssicherheit 127 Rechtsstaat 60f., 72, 103f., 111 Rechtsstaatsgebot 17, 127, 131 Rechtsverhältnis, materielles 39 Rechtsverwirklichimg 126 Redaktionsgeheimnis 111 f. Redefreiheit 100 Reflexion, verfassungstheoretische 11 „Reflexwirkungen" 76 Regelungsgesetz 59 Regelungsintention 58 Regelungsvorbehalte 56, 58, 64, 66f., 72, 85 Reine Rechtsgarantie 124 s.a. Interventionsgarantie Religion 120 Religionsausübung 84, 91 (Fn. 99), 100 f. Religionsfreiheit 75 Rentabilität 132 „rigide" Verfassung 72 Roman 37 Rundfunk - Anstalten 107, 109 - Begriff 107 ff. - internationaler Markt 109 - Massenkommunikationsmittel 107 - Meinungsfreiheit 112 - Mitarbeiter 112 - Organisation 106ff. - Sondersituation 109 f. - Veranstaltungen 106, 109 Rundfunkentscheidungen des BVerfG 104, 106 ff. Rundfunkfreiheit, Grundrecht - Anforderungen 109 - Gewährleistung 108 - Normativität 109 ff. - Normbereich 107, 109ff., 112 (Fn. 24) - Normbereichsanalyse 107 - Normprogramm 107,109ff. - Sachbereich 109ff. Rundfunkgesetze 112
Sachregister Sachbereich 12, 17, 22, 31, 34, 41, 43, 73, 96, 99, 102, 105f., 110, 115, 119, 130, 133f. s.a. Normbereich Sachfeld 25 Sachgarantien 16, 18, 45, 90 Sachgesetzlichkeit, natürliche 41 Sachstruktur 100 Sanktionen 68, 74, 88, 94f. Sanktionsebene s. Grundrechtsverletzung Satellit 109 Satzungsrecht 112 Scheidungsurteil 38 Scheinkollision 57, 75, 88, 94ff., 100 s.a. Grundrechte, Kollisionen Scheinkonkurrenz 88 s.a. Grundrechte, Konkurrenzen Schlüsselroman 31 (Fn. 70) Schranken 59, 77, 86, 93 s.a. Grundrechtsbegrenzung Schrankenschluß 21, 40 Schrankensystem, formales 18, 52 Schrankentrias 14 (Fn. 10), 15f., 52 (Fn. 29), 72, 92, 113, 117 s.a. Grundrechtsbegrenzung, Schrankenübertragung des Art. 2 Abs. 1 GG Schule 84 Schulform, konfessionelle 84 Schulverwaltungen 123 Schutz der Jugend 68 Schutzgarantie 71, 86 Schutzgüter 66, 78, 82, 89 Schutzzonen 49, 89, 94f., 100f. „Sein und Sollen" 60 Selbstbestimmung 132 Sexualkunde-Beschluß 120 Sexualmoral 120 Sexualwissenschaft 120 Sittengesetz 25, 92 f. Sondergesetze 16 (Fn. 18) Sonderinteressen, gruppenkontroverse 22 (Fn. 45) Sondervotum 133 f. Sozialbezug 83, 85 Sozialstaatsgrundsatz 122 Sozialwissenschaften 124 (Fn. 68) Sperrklauseln, materielle 73 Spezialgesetze, verdeckte 52, 80f. Spezialregelungen 50, 73, 86, 94 Spontandemonstrationen 128 Sprachdaten 108 (Fn. 14) s.a. Konkretisierungselemente; Normprogramm
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Staat 33 Staatsangehörigkeits-Beschluß 105 Staatsethik 63 Staatsmacht 129 Staatsverband 20 Strafanzeige 37 Strafgesetze 62, 79, 96 Straf prozeßrecht 111 Straf recht s. Grundrechtsbegrenzung, Strafrecht als allgemeine Grenze Strafrechtsvorschriften 34, 561, 79 Straftat 112 Strafvollzug, lebenslanger 105 Strukturierende Rechtslehre 108 (Fn. 14), 113 Stufentheorie 119 s.a. Grundrechtsbegrenzung Subjektiv-öffentliches Recht 100 Subsumtionsurteil 28 Subventionsrecht 125 Süddeutsche Menschenkette 129 „ Systematische Gewährleistungsschranken" 97 Tatbestandsabgrenzung 51 Tatbestandsbestimmtheit 127 Tarif autonomie 129 Tarifvertragsrecht 63, 65 Teilhabe an staatlichen Leistungen 121 Text, literarischer 37 Textbehandlung, methodische 103 s.a. Konkretisierungselemente Textstruktur 103 Totale Ausübbarkeitsgarantie 124 s.a. Interventionsgarantie Typizität 99 ff. Übermaßverbot 45, 48, 50, 53, 58, 68, 72, 78, 91, 111 Überschneidimg 60 Umkehrschluß 32 Umweltschutzverbände 129 Unantastbarkeitsbestimmung, formale 60 Unterverfassungsrecht 24, 26, 45ff., 49, 52ff., 58, 60,81,85,91 Urteilsvorbehalt 21, 69, 71 Variationsmöglichkeiten 100 Vereine 85 Vereinigungsfreiheit, Grundrecht 129, 132
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Sachregister
Vereinsfreiheit 51 Vereinsrecht 63, 65 Vereinswesen 42, 80 Verfassung 19, 21, 26f., 34, 43f., 50, 53, 55, 59ff., 65f., 85ff., 93ff., 115, 117, 119, 127, 132 - Änderung 19 - Aktualisierung 36 - Dogmatik 24, 26, 50, 61 - materiale Ganzheit 17 ff., 21 f., 24, 43f., 59, 62,65, 70, 96 - Normativität 21 (Fn. 37), 63 - Primat 22 - Rigidität 17 - sozialstaatlicher Auftrag 121 (Fn. 57) - Systematik 24 - Wertsystem 17, 19ff., 44 (Fn. 9), 52 (Fn. 29), 62, 70, 81, 117 Verfassungsbeschwerde 125 Verfassungsbestand 17 Verfassungsgeber 35, 56, 83f. Verfassungsgerichtsbarkeit 14, 19, 21 s. a. Bundesverfassungsgericht Verfassungsethik 62 Verfassungsebene 22 Verfassungslehre 50 Verfassungsordnung 11, 13 ff., 41, 43 f., 58 Verfassungspraxis 50 Verfassungsprinzipien 46 (Fn. 12) Verfassungsrecht 70, 76, 88ff., 96, 105, U l f . , 116, 122, 134 - gegenseitige Begrenzung 22, 30,48, 53, 77, 90 - Interpretation 20, 23ff., 36, 40, 42, 48, 50, 56, 63, 81, 86 - Kollision 46 f. - positives 12,17,19, 35, 61 - Rangdifferenz zu Gesetzesrecht 18, 29, 33, 35, 46, 50, 54, 60, 62, 64, 66f., 81, 89, 91 Verfassungsrechtsgüter 18, 22 Verfassungsstaat 35, 43f. Verfassungstheorie 17, 19, 21 ff., 44, 50, 63, 82 ff., 96 Verfassungstradition 27 VerfassungsVerständnis 74 Verfassungsvorbehalt, pauschaler 20 Verfassungswert 25 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 14 (Fn. 8), 23, 34, 48, 54, 67 s.a. Obermaßverbot
Verhaltensfreiheit, grundrechtlich eingeräumte 16 Verletzungstatbestände 27, 38 s. a. Grundrechtsverletzung Verleumdung 37 Vermieter 38 Versammlungen 85, 100 Versammlungsfreiheit, Grundrecht 51, 83 f., 100,128f. Verweisungsbegriffe 80 Verwirkungstatbestand 28 Volksgesundheit 48 Vorbehalt s. Gesetzesvorbehalt Vorbehalt der Rechtsqualität 59, 67 s. a. Gesetzesvorbehalt Vorbehaltlose Garantien 36, 55ff. Vorbehaltsgesetze 17, 26, 53, 55ff., 72ff., 78, 82, 85, 87f., 90, 93f. s.a. Gesetzesvorbehalt Vorbehaltsgesetzgebung 18, 25, 72 Vorbehaltsgrundrechte 28 (Fn. 59), 55ff. s.a. Gesetzesvorbehalt Vorrangproblematik 34f., 56f., 59f., 82, 86 Vor-Recht 55, 58, 90 Vorzugsregelung 53, 73, 94
Wahlplakat-Entscheidung 26, 38 Wareneinzelhandel 131 Wechselwirkung s. Grundrechte, Wechselwirkung Wehrpflicht 47 (Fn. 13) Weimarer Zeit 114 Werbung 91 f., 118f. Werkbereich s. Kunstfreiheit, Grundrecht Werkfernverkehr 131 Werkgattung s. Kunstfreiheit, Grundrecht Wertabwägung 19, 22, 34, 47 (Fn. 17), 49, 66, 75, 111 s.a. Grundrechtsbegrenzung, Güterabwägung Werte 21, 48, 56, 71, 78, 87,114 Wertentscheidungen 121 Wertordnung s. Verfassimg, Wertsystem Wertungen, irrationale 47 Wertungsfeld 25 Wesensgehalt s. Grundrechte, Wesensgehalt Wesensgehaltssperre 54, 82 (Fn. 85)
Sachregister Wille des Gesetzgebers 74 s. a. Gesetzgeber; Konkretisierungselemente, genetische Wirkbereich s. Kunstfreiheit, Grundrecht Wirklichkeit 11, 41, 106, 108 (Fn. 14), 126 (Fn. 72), 130 Wirklichkeitselemente 126 Wirtschaf tsverfassung 133 Wissenschaftsfreiheit, Grundrecht 20, 31, 41 f., 80, 84, 87f., 91, 97, 101, 112, 115f.
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Wissenschaftstheorien 116 Wortlaut 32, 35, 40, 86, 127f. s.a. Konkretisierungselemente, grammatische; Normtext, Grenzfunktion
Zeugnisverweigerungsrecht 112 Zitiergebot 73, 77 Zivilrecht 57 Zweiter Bildungsweg-Beschluß 131