Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt 1954 bis 1989 9783110465273, 9783110462623

A ZMSBw Publication Military alliances between nations have typically been concluded with the aim of fending off threa

182 26 4MB

German Pages 327 [332] Year 2017

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
Danksagung
I. Einleitung
II. Historische Rahmenbedingungen
III. Die Nordatlantische Allianz und der erste griechisch-türkische Konflikt um Zypern 1955‑1959
IV. Die NATO und der zweite griechisch-türkische Konflikt um Zypern 1963‑1965
V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967
VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen 1974
VII. Die langfristigen Auswirkungen auf das Bündnis 1974‑1980
VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren
IX. Zusammenfassung und Ergebnisse
Bildteil
Abkürzungen
Quellen und Literatur
Personenregister
Zum Autor
Recommend Papers

Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt 1954 bis 1989
 9783110465273, 9783110462623

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Brenner • Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt

Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses Begründet vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt Herausgegeben vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr Band 11

Die NATO im griechisch-türkischen Konflikt 1954 bis 1989

Von Stefan Maximilian Brenner

Bei diesem Buch handelt es sich um die leicht überarbeitete Fassung der 2016 von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam angenommenen Dissertation (Gutachter: Prof. Dr. Dieter Krüger, Prof. Dr. Sönke Neitzel).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston www.degruyter.com Redaktion und Projektkoordination: ZMSBw, Potsdam, Fachbereich Publikationen (0788-01) Koordination, Lektorat: Michael Thomae Satz, Bildbearbeitung, Projektassistenz: Carola Klinke Karten, Grafiken, Tabellen: Daniela Heinicke, Frank Schemmerling Bildredaktion: Esther Geiger Printed in Germany ∞ Gedruckt auf säurefreiem Papier Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN 978-3-11-046262-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-046527-3 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-046276-0 ISSN 2190-1414

Inhalt

Vorwort .............................................................................................................. Danksagung .......................................................................................................

IX XI

I.

Einleitung ................................................................................................ 1. Fragestellung ...................................................................................... 2. Forschungsstand ................................................................................. 3. Rahmenbedingungen, Methodik und Aufbau der Untersuchung ....... 4. Quellenlage ........................................................................................ a) Gedruckte Quellen und Memoiren ............................................... b) Quellenlage in den Archiven .........................................................

1 1 5 9 12 13 14

II.

Historische Rahmenbedingungen ............................................................ 1. Der griechisch-türkische Antagonismus im 20. Jahrhundert ............... 2. Die Aufnahme beider Staaten in das Nordatlantische Bündnis und die griechisch-türkischen Beziehungen zu Beginn der 1950er Jahre .... 3. Die militärische Bedeutung der Südostflanke in den frühen 1950er Jahren aus Sicht der NATO ....................................................

19 19

III.

Die Nordatlantische Allianz und der erste griechisch-türkische Konflikt um Zypern 1955‑1959 .......................................................................... 1. Die Wurzeln der Krise ........................................................................ 2. Der griechisch-türkische Bruch und die Haltung der Atlantischen Allianz 1954/55 ............................................................. 3. Erste Rückwirkungen und Gefahren des Konflikts für das Bündnis ....................................................................................... 4. Der Zypernkonflikt im Nordatlantischen Rat 1956 ............................ a) Das Ringen um die Rolle des Bündnisses ...................................... b) Der NATO-Rat und die griechisch-türkischen Auseinandersetzungen ................................................................... c) Wendepunkt Suezkrise: Die Zypernfrage vor dem Ministerrat der NATO .................................................................. 5. Hüterin des Friedens zwischen Griechenland und der Türkei? ............ 6. Wegbereiterin der griechisch-türkischen Einigung 1957/58 ............... a) Neue Schlichtungsversuche der Allianz ......................................... b) Heftige Debatten im NAC und neue Unruhen auf Zypern ...........

20 23 25 25 30 37 39 39 44 47 52 53 53 62

VI

Inhalt

c) Die Reaktion der NATO und die Rückwirkungen des Konflikts ................................................................................. d) Gezielte Einflussnahme der Allianz: Der erste Durchbruch? .......... e) Verschiebungen der geostrategischen Lage der Türkei und die Haltung des SACEUR zum Konflikt ....................................... f ) Schwachstellen in der Bündniskohärenz und schwindender Einfluss von Makarios in Athen .................................................... g) Das Ende der Krise: Innere Eskalation und äußere Stabilisierung ..................................................................... 7. Die Folgen und Gefahren des Konflikts für die NATO während der Krise ............................................................................................ IV.

V.

Die NATO und der zweite griechisch-türkische Konflikt um Zypern 1963‑1965 ........................................................................... 1. Ein neuer Brand an der Südostflanke ................................................. 2. Militärische Intervention durch eine NATO-Friedensstreitmacht? ..... 3. Die Eingriffe des SACEUR ................................................................ 4. Der Nordatlantische Rat und die Krise ............................................... 5. Gefahren für das Bündnis vor dem Hintergrund des Kalten Krieges .............................................................................. 6. Unilaterale »Krisenentschärfung« durch Washington: Machtlosigkeit des Atlantischen Bündnisses? ...................................... 7. Sanktionsversuche der NATO ............................................................ 8. Der Umgang mit der Krise unter Manlio Brosio ................................ a) Erste Initiativen des neuen NATO-Generalsekretärs ..................... b) Überlegungen zum Ausschluss Griechenlands und der Türkei ....... c) Erschwerte Suche nach einem Ausweg .......................................... d) Folgen des Konflikts für die Bündniskohäsion .............................. e) Bemühungen um Schadensbegrenzung und neue Lösungsversuche ................................................................... 9. Konsequenzen der Krise für die militärische Einsatzbereitschaft an der Südostflanke ............................................................................ 10. Griechische Kompromissbereitschaft und neue Bedrohungen für die Allianz im Jahre 1965 ............................................................. 11. Maßnahmen der NATO zur Lösung des Konflikts ............................. 12. Zwiespältige Haltungen der Mitgliedsstaaten in der Frage nach Militärhilfen für Griechenland und die Türkei ........................... 13. Fazit ................................................................................................... Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967 ................................. 1. Politische Rahmenbedingungen ......................................................... 2. Die Einstellung des Bündnisses zur Machtübernahme des griechischen Militärs .................................................................... 3. Der Ausbruch der neuen Krise und die Reaktion der westlichen Allianz .........................................................................

64 69 72 74 79 86 88 88 95 99 106 109 111 114 118 118 123 124 130 132 134 135 138 143 146 147 147 149 157

Inhalt

4. Schlichtungsversuche des amerikanischen Sonderbeauftragten Cyrus Vance und Sanktionen der NATO gegen Griechenland und die Türkei ................................................................................... 5. Folgen der Krise ................................................................................. VI.

VII

168 174

Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen 1974 ........................... 1. Militärpolitische Lage der NATO ....................................................... 2. Die fortgesetzte Frage nach der politischen Zukunft Griechenlands ... 3. Die Auseinandersetzung um die Ägäis im Frühjahr 1974 ................... 4. Ergebnis des ägäischen Konflikts ........................................................ 5. Die türkische Besetzung Nordzyperns ................................................ a) Der Sturz von Erzbischof Makarios ............................................... b) Die NATO am Vorabend der türkischen Militärintervention ........ c) Die Landung der türkischen Truppen und die Reaktion des Bündnisses .............................................................................. d) Die Entwicklungen bis zum ersten Waffenstillstand ...................... e) Weitere Kriegshandlungen und der mühsame Weg zum ersten Abkommen in Genf .................................................... f ) Die Fortsetzung der türkischen Operation und der Austritt Griechenlands aus den integrierten Strukturen der Allianz ............ 6. Die NATO als Stabilitätsfaktor an ihrer Südostflanke? .......................

177 177 179 183 197 199 199 201

Die langfristigen Auswirkungen auf das Bündnis 1974‑1980 ................. 1. Konsequenzen für die Militärorganisation der NATO ........................ 2. Bündnispolitische Folgen .................................................................. 3. Bemühungen der Allianz um Schadensbegrenzung: SACEURs Lösungsversuche zur Wiedereingliederung Griechenlands in die integrierten Strukturen .............................................................

244 244 251

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren ....................................

265

IX.

Zusammenfassung und Ergebnisse .......................................................... 1. Fähigkeit oder Unvermögen der NATO, bündnisinterne Krisen und Konflikte an ihrer Südflanke zu lösen? .............................. 2. Die Rückwirkungen des Konflikts auf die NATO .............................. a) Die politischen Auswirkungen – Schwächung oder langfristige Konsolidierung der Kohäsion im Bündnis? ................. b) Die militärischen Folgen – Bagatelle an der Südflanke oder dauerhafter Schaden? ............................................................

272

Bildteil ............................................................................................................... Abkürzungen ...................................................................................................... Quellen und Literatur ........................................................................................ Personenregister ..................................................................................................

281 289 292 312

VII.

212 221 225 232 241

258

272 276 276 278

Vorwort

Die Geschichte der Nordatlantischen Allianz bildet nun schon seit mehreren Jahrzehnten ein wichtiges Untersuchungsfeld der militärhistorischen Forschung im In- und Ausland. Mit Band 11 der Reihe »Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses« unterstreicht das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) einmal mehr sein Anliegen, fundierte wissenschaftliche Beiträge zur Geschichte des westlichen Bündnisses zu erarbeiten. Die NATO hat sich seit dem Ende des Kalten Krieges zahlreichen neuen Herausforderungen stellen müssen, die allein schon geografisch über die Problemlagen früherer Jahre deutlich hinausreichen, so der Einsatz in Afghanistan als erstes großes Engagement der Allianz außerhalb ihrer Grenzen. Inzwischen ist neben dem globalen Einsatzgeschehen die Bündnis- und Landesverteidigung an der Peripherie der NATO wieder stärker in Erscheinung getreten. Dabei stehen sowohl die Nordflanke im Baltikum als auch die Südostflanke an den Außengrenzen der Türkei im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Der Fokus der Forschungen am ZMSBw richtet sich dementsprechend bereits seit einiger Zeit auf die Flanken des Bündnisses. Bernd Lemkes Werk zur Geschichte der Allied Mobile Force und ihrem Einsatz an den Randgebieten der NATO stellte 2015 den Beginn dieser historiografischen Neuorientierung dar. Stefan Maximilian Brenner setzt diesen Weg fort und untersucht die bilateralen Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und der Türkei und die Rolle der NATO hierbei. Der Autor nutzt bislang noch nicht ausgewertete Quellen und analysiert unter Berücksichtigung der engen Verquickung der Innen- und Außenpolitik sowie auf breiter multiperspektivischer und multilateraler Basis das mitunter schwierige Verhältnis des Atlantischen Bündnisses zu seinen beiden Mitgliedsstaaten Griechenland und Türkei. In diesem Zusammenhang widmet er sich einem Forschungsaspekt, der in der Historiografie zur Atlantischen Allianz bisher nur unzureichend behandelt wurde: dem Umgang der NATO mit »Feindschaften« und militärischen Konflikten unter eigenen Mitgliedern einschließlich der daraus resultierenden Folgen für das Atlantische Bündnis. Das Buch liefert aufschlussreiche Antworten: über die einerseits begrenzte Fähigkeit der NATO, Konflikte im Bündnis zu schlichten, und andererseits über den Erfolg, Griechenland und die Türkei trotz der scharfen Gegensätze und wechselseitigen Drohgebärden dauerhaft in das gemeinsame Verteidigungsbündnis zu integrieren. Darüber hinaus leistet der Autor mit seinem Buch einen Beitrag zur historisch-politischen Einordnung gegenwärtiger globaler Entwicklungen. Gerade der griechisch-türkische Konflikt und insbesondere die Situation der Türkei als Mitglied der NATO an der Südostflanke

X

Vorwort

verweisen in vielen Aspekten auf Probleme, die den Kalten Krieg überdauert haben und heute noch bestehen. Ich danke Major Dr. Stefan Maximilian Brenner für seine aufschlussreichen Forschungen zu einem wichtigen Thema der Geschichte des Atlantischen Bündnisses. Möge das Buch eine gute Aufnahme sowohl in der Wissenschaft als auch in der breiten Öffentlichkeit finden. Dr. Hans-Hubertus Mack Oberst und Kommandeur des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr

Danksagung

Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um die gedruckte Fassung meiner Dissertation, die im Sommer 2016 von der Universität Potsdam angenommen wurde. Für die Drucklegung wurde das Manuskript geringfügig überarbeitet. Zur Entstehung und zum erfolgreichen Abschluss dieses Projekts möchte ich unserem Hause, dem Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, namentlich dem Kommandeur, Herrn Oberst Dr. Hans-Hubertus Mack, und insbesondere dem Leitenden Wissenschaftler, Herrn Prof. Dr. Michael Epkenhans, danken. Ohne deren Unterstützung und ohne die Finanzierung meiner Aufenthalte in europäischen und amerikanischen Archiven wäre mein Ziel, eine multiperspektivische Arbeit auf dem neuesten Stand der Forschung zu verfassen, in dieser Form nicht möglich gewesen. Weiterhin danke ich Herrn Prof. Dr. Söhnke Neitzel vom Lehrstuhl für Militärgeschichte und Kulturgeschichte der Gewalt der Universität Potsdam und Herrn Leitendem Wissenschaftlichem Direktor Prof. Dr. Dieter Krüger für die Begutachtung und Bewertung meiner Dissertation. Eine ganz besondere Anerkennung verdient jedoch Dr. Bernd Lemke, der meine Arbeit auf informellem Wege äußerst engagiert und zielstrebig begleitet und maßgeblich zum Gelingen des vorliegenden Werkes beigetragen hat. Bernd Lemke hat meine Untersuchungen in seinem 2014 erschienenen Sammelband »Periphery or Contact Zone? The NATO Flanks 1961 to 2013« auch der internationalen Forschung bekannt gemacht und mir im Laufe meiner Arbeit hilfreiche Kontakte zu NATO-Historikern vermittelt. Daneben möchte ich Herrn Mag. phil. Michael Thomae für dessen ausgezeichnetes Lektorat recht herzlich danken. Ein großes Dankeschön gilt nicht zuletzt meiner Frau und meinen beiden Kindern. Stefan Maximilian Brenner

Varna

Griechisch-türkische Spannungen in der Ägäis 1954 bis 1989

Niš

BULGARIEN Stara Sagora

1. Armee

Griech. und türk. Truppenaufmarsch am Evros 1967 und in Thrakien 1974

AN

»C« Korps

N

rein griechisch besetzt

IE

LANDSOUTHCENT

E

ub

h e i s c I o n

I n s

l n

k

a

Marmarameer

Gölcük

ca. 10 000 unbek. unbek.

Lesbos

Siros

Tripolis

Standort griechischer Truppenteile (Verbände und Großverbände)

Militärischer Staatsstreich 1960, 1971, 1980

TÜRKEI

Gebiete und Gewässer mit Spannungen und Konflikten um Hoheitsrechte und Zugehörigkeiten

LANDSOUTHEAST (HALFSEE)

Izmir (Smyrna)

Pogrom gegen griechische Minderheit 1955

Denizli

Çardak

* 4. Armee verfügt über Landungsboote zur Besetzung griechischer Inseln

Isparta

Tarsus

Türkische Ablehnung der Remilitarisierung von Leros 1954

K y k l a d e n

Adana Iskenderun

Antalya

Antakya G o l f

v o n

I s k e n d e r u n

Dalaman

Kos

G o l f

o

v o n

SYRIEN

d

A n t a l y a

e

n

Latakia

ab 1983

k

a

STRIKEFORSOUTH 6. US-Flotte

e

s

Rhodos

Karpathos

Teilung seit Sommer 1974

SOVMEDRON 5. Eskadra seit 1964

Türk.Rep. Nordzypern

Tartus

Nikosia

REP. ZYPERN

Iraklio

Hama

Dekelia (brit. Militärbasis)

Akrotiri (brit. Militärbasis)

Tripoli

BEIRUT

L e v a n t i s c h e s

M

i

t

t

e

l

m

e

e

Osmaniye

Mersin

geplanter Bau NATO-Tanklager auf Leros 1954

Leros

Griech. Remilitarisierung der Dodekanes-Inseln 1974

Kreta

Streitkräftestärken ab 1980

Konya

Aydin

Samos

Ikaria

Chania

Kayseri geplanter Standort NATO-Hauptquartier/ NATO-Stab 1978/79 (nicht umgesetzt)

Afyon

D

M e e r

4. A.*

Çiğli

Griech. Truppenteile auf Inseln verteilt insges. 32 000

I o n i s c h e s

Militärflugplatz/Fliegerhorst

Uşak

Griech.-türk. Zwischenfall bei NATO-Übung »Daffodil Face« 1974

ATHEN

ANKARA

4. A.

MEDNOREAST

Standort NATO-Hauptquartier/ NATO-Stab

Kütahya

6. Taktische Luftflotte (6th ATAF)

Mytilini

Chios

M e e r

Piräus

Pogrom gegen griechische Minderheit 1955

Kirikkale

Balikesir

4. Armee

Limnos

MEDEAST

Standort/Hauptquartier 4. türkische Armee (»Ägäische Armee«), nicht NATO-assigniert, Sivas Entstehung 1975

Adazapari

Bursa

Griech.-türk. Krisen und Spannungen um die Abgrenzung des Festlandsockels 1973, 1974, 1976

öa

Patras P e l e p o n n e s

r

Çorum 1. A.

Eskişehir

Ä g ä i s c h e s

Vólos

GRIECHENLAND

h

Gebze Izmit

Istanbul

n

i e

Samothraki

Verletzung des griech. Luftraumes durch türk. Jäger 1964 – 1989

Larissa

Lamia

T

Griech.-türk. Krise um Ölbohrrechte 1987

7. Taktische Luftflotte (7th ATAF)

Militärdiktatur 1967 – 1974

e

Thasos

Thessaloniki

Ioannina

»D« Korps

Standort/Hauptquartier 1. türkische Armee (»Bosporusarmee«)

NO

ALB

Komotini

80 000 765 410

1. A.

Legende

Karabük

N

os

»C« & »D« Korps

Zonguldak seit 1955 schrittweise Vertreibung der in der Westtürkei lebenden Griechen nach Griechenland

Edirne

Ev r

Ordu

Samsun

210 000 1 030 865

Plovdiv

Skopje

M e e r

DAMASKUS

M e e r

r 0

100

200

300

400

BA

J U G O S L AW I E N

S c h w a r z e s

Burgas

LI

SOFIA

500 km

Haifa

ISR.

© ZMSBw

07892-06

REPUBLIK ZYPERN

Limassol Famagusta

Pyl Larnaca

Paphos türkische Demarkationslinie griechische Demarkationslinie entmilitarisierte Zone (UN-Pufferzone)

Quelle: Le Monde diplomatique, Berlin, 2007.

07895-04

© ZMSBw

Quelle: Autor.

7

Akrotiri

8

Limassol

0

10

20

Akrotiri (brit. Militärbasis)

0m

30

500 m

40

50 km

18

17

Timbou

14

Larnaca

10

15

Famagusta

kontinuierlich frische Truppen und Kampfgerät nach Zypern (bis Ende Juli ca. 15 000 Soldaten).

zypriotischen Verteidiger.

19 seit 17.8.74 Ausweichen der griechisch-

wege zwischen Nikosia und Larnaca.

07896-03

© ZMSBw

zypriotischen Zivilbevölkerung auf der gesamten Insel.

18 17.8.74 Türkische Truppen unterbrechen die Versorgungs11 seit 20.7.74 Türkische Landungsschiffe verbringen

luftbewegliche Kräfte auf die Insel.

17 Fluchtbewegungen der griechisch- und türkisch-

Einnahme am 17./18.8.74 belagert.

16 seit 14.8.74 Morfou wird von türkischen Truppen bis zur

griechisch-zypriotische Militäreinrichtungen.

15 seit 13.8.74 Massive türkische Bombenangriffe auf

stützt von Schiffsartillerie und Jagdbombern, stoßen fächerförmig in das Landesinnere vor (Ende der Kämpfe am 18.8.74).

14 seit Ende Juli 74 Türkische mechanisierte Kräfte, unter-

mehreren Transportflugzeugen aus Kreta eingeflogen. Beim Anflug auf den Flughafen von Nikosia werden die Flugzeuge von den griechisch-zypriotischen Truppen versehentlich für türkische Maschinen gehalten und bekämpft. Ein Flugzeug wird abgeschossen. Dabei kommen 30 griechische Soldaten ums Leben. Ein griechisches Fallschirmjägerbataillon und ein Marineinfanteriebataillon erreichen den Flughafen von Nikosia.

13 21.7.74 Operation »Niki«: griechische Truppen werden in

und »Mareşal Fevzi Çakmak« werden auf der Suche nach dem griechischen Landungsschiff »Lesvos« versehentlich von eigenen Flugzeugen angegriffen. Dabei wird die »Adatepe« versenkt, die anderen beiden Zerstörer werden beschädigt und 3 türkische Flugzeuge abgeschossen.

LIBANON

SYRIEN

Iskenderun

Incirlik

12 21.7.74 Die türkischen Zerstörer »Kocatepe«, »Adatepe«

REPUBLIK ZYPERN

Mersin

10 seit 20.7.74 Türkische Lufttransportverbände verbringen

von Nikosia und Truppen der griechisch-zypriotischen Nationalgarde an.

9 seit 20.7.74 Türkische Jagdbomber greifen den Flugplatz

8 seit 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen greifen die türkisch-zypriotische Enklave in Limassol an.

türkisch-zypriotische Enklave in Avdimou ein.

7 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen nehmen die

kapitulieren vor den griechisch-zypriotischen Truppen.

6 20.7.74 Die türkisch-zypriotischen Verteidiger in Paphos

die Bewohner türkisch-zypriotischer Kommunen vielerorts aus ihren Siedlungen.

5 seit 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen vertreiben

dem türkischen Vormarsch entgegen.

4 seit 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen werfen sich

einen Brückenkopf 8 km westlich von Kyrenia.

3 20.7.74 Die türkischen Landungstruppen bilden zunächst

2 20.7.74 Türkische Zerstörer versenken zwei griechischzypriotische Torpedoboote.

ca. 1 200 Soldaten) sticht von Mersin und Iskenderun aus in See.

1 19.7.74 Türkischer Invasionsverband (erste Teile

Dekelia (brit. Militärbasis)

Nikosia

100

NIKOSIA

9

Kyrenia

12

19

19

9

Geunyeli

14

Zypern 1970

17

15

16

Rizokarpaso Morfou

9

Kyrenia

▪ 1955 – 59 griech.-zypriot. Guerillakrieg gegen britische Kolonialmacht ▪ 1956 – 59 bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen griech. und türk. Zyprioten

Paphos

(international nicht anerkannt)

ab 1983 Türkische Republik Nordzypern 13

9

10

4

TÜRKEI

Nikosia

6

Nikosia 5

Kyrenia 15

Türkisch besetzter Teil Zyperns

Beschießung durch Schiffsartillerie

Zypern 1975 14

Limassol

Luftangriff

Paphos ▪ 1963 – 65/1967 bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen griech. und türk. Zyprioten, darunter auch Angehörige der türk. und griech. Streitkräfte; dabei stellenweise ethnische Vertreibungen, Ausschreitungen, Ermordungen und Pogrome gegen türk. Zyprioten ▪ 1964/1967 Angriffe der türk. Luftwaffe auf Stellungen der griech. Zyprioten, aber auch auf griech.-zypriot. Siedlungen mit Napalmbomben

Luftlandung von Fallschirmjägern

Larnaca

3

Famagusta

Schiffsversenkung

türkisch-zypriotische Bevölkerung griechisch-zypriotische Bevölkerung britische Stützpunkte gemischte Dörfer und Siedlungen

Kyrenia

Vormarsch/Angriff türkischer Truppen

REPUBLIK ZYPERN Rizokarpaso

Paphos

Vormarsch/(Gegen-)Angriff griechisch-zypriotischer Truppen

Morphou

2

Limassol

11

türkisch-zypriotische Enklaven Gebiet unter Regierungskontolle (Staatspräsident Makarios III.) britische Stützpunkte

Larnaca

Türkische Truppen

Britische Kronkolonie Zypern

Griechisch-zypriotische und griechische Truppen

1

türkisch-zypriotisch bewohnte Gebiete gemischte Gebiete mit türkisch-zypriotischer Mehrheitsbevölkerung griechische Gebiete gemischte Gebiete mit griechisch-zypriotischer Mehrheitsbevölkerung

Operation »Atilla«, 20.7. – 18.8.1974

Zypern 1959

Famagusta

I. Einleitung

1. Fragestellung »Die Rolle der NATO im Zypernkonflikt dürfte definitiv ausgespielt sein. Jede Diskussion innerhalb der NATO ist geeignet, die Allianz weiter zu schwächen und die Gegensätze zwischen Griechen und Türken zu verschärfen, ohne dass es gelingt, zu einer Lösung auch nur beizutragen. Nachdem man die große Chance, die die NATO etwa im März dieses Jahres nicht wahrnahm, verpasste, sollte man jetzt nicht versuchen, mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt zu operieren.«1

Mit diesen pessimistischen Worten beurteilte der bundesdeutsche Botschafter in Ankara, Gebhardt von Walther, im September 1964 die Versuche der Nordatlantischen Allianz, den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei um die Insel Zypern zu lösen. Rund 20 Jahre später, im Oktober 1987, gelangte der Legationsrat Karl Heinz Kuhna im Auswärtigen Amt zu einer ähnlichen Bewertung: »Vor dem Hintergrund der Suezkrise, dem Wiederaufleben der Ägäis- und Zypernproblematik seit den 60er Jahren und nicht zuletzt seit dem US-Einsatz gegen Libyen im April 1986 hat das NATO-Konzept der Kriegsverhütung in der öffentlichen Meinung der Mittelmeerstaaten an Glaubwürdigkeit eingebüßt. Hierzu hat auch das Unvermögen beigetragen, Streitigkeiten zwischen NATO-Verbündeten (GRI/TUR) beizulegen. In der Tat zeigt das Beispiel des gri/ tur Konflikts, dass das Bündnis zu einer internen Streitschlichtung weder willens noch in der Lage ist.«2

Waren die Einschätzungen der beiden deutschen Diplomaten berechtigt? Oder neigten sie in ihren Urteilen dazu, die Rolle und den Einfluss der NATO einseitig zu schmälern? Die vorliegende Studie befasst sich mit der Frage nach dem Umgang der Nordatlantischen Allianz mit dem griechisch-türkischen Konflikt.3 Die Auseinandersetzung zwischen Griechenland und der Türkei spiegelt in der Wahrnehmung der beiden Staaten eine jahrhundertealte Erbfeindschaft wider, die lange vor der Gründung der NATO 1 2 3

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an Auswärtiges Amt (AA), 21.9.1964, PA AA, B  26 IA4, Nr. 2025/64. AA-interne Vorlage Vortragender Legationsrat Dr. Kuhna für Staatssekretär, AA, 14.10.1987, PA AA, B 14-201, Bd 143452, Nr. 203-360.90 MM. Zur allgemeinen historiografischen Standardliteratur über die NATO sei an dieser Stelle u.a. auf folgende Werke verwiesen: Greiner/Maier/Rebhan, Die NATO; Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz; Schmidt, A History of NATO; Krüger, Am Abgrund?; Kaplan, NATO Divided, NATO United; Kaplan, NATO 1948; Kaplan, The Long Entanglement.

DOI: 10.1515/9783110465273-001

2

I. Einleitung

entstanden war. Wenngleich auf niedriger Eskalationsstufe, dauern die Gegensätze bis heute an. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gestaltete sich das Verhältnis zwischen den beiden Kontrahenten wechselvoll. Phasen kriegerischer Konfrontation wurden von Zeiten relativer Entspannung abgelöst.4 Während des Zweiten Weltkrieges herrschte ein weitgehend harmonisches Verhältnis, das zu Beginn des Kalten Krieges sogar freundschaftliche Tendenzen annahm. Mit dem Anwachsen des Ost-West-Konflikts entschieden sich beide Staaten für das westliche Lager und traten 1952 der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation bei. Trotz dieser Entwicklungen, die eine neue Konfrontation nicht erwarten ließen, flammten die bilateralen Streitigkeiten zwei Jahre später in aller Schärfe wieder auf. Allerdings hatten sich die Rahmenbedingungen geändert. Griechenland und die Türkei hatten sich mit ihrem Beitritt zur NATO vertraglich zu Verbündeten erklärt. Die Bündnisgemeinschaft stand folglich vor der Frage, ob oder wie sie ihre beiden neuen Mitglieder daran hindern sollte, deren Auseinandersetzungen mit Waffengewalt auszutragen. Zudem lief die Allianz Gefahr, selbst Schaden zu nehmen, wenn zwei ihrer Angehörigen einander militärisch bedrohten. Die vorliegende Untersuchung widmet sich der Frage, welche Anläufe das Nordatlantische Bündnis unternahm, um die fortwährenden Krisen und Konflikte zwischen Griechenland und der Türkei zu entschärfen, die phasenweise in einen offenen Krieg zu münden drohten. Ziel soll es sein, am historischen Beispiel die Fähigkeit der Atlantischen Allianz zu überprüfen, bündnisinterne Auseinandersetzungen an ihrer Südostflanke beizulegen. Darüber hinaus sollen die Rückwirkungen der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen auf die Allianz beleuchtet werden. Schließlich wird der Frage nachgegangen, welche Maßnahmen die NATO ergriff, um die beiden verfeindeten Bündnispartner trotz ihrer Gegensätze zu integrieren und langfristig an die Allianz zu binden. Heute, mehr als 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges, steht die Südostflanke wegen der zahlreichen Kriege und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten dauerhaft im Blickpunkt der öffentlichen Diskussion. Vor dem Hintergrund der sicherheitspolitischen Interessen Europas an Griechenland und der Türkei ist daher gerade aus deutscher Perspektive eine Studie nötig, die sich mit der Rolle der NATO in dieser Region befasst. Im April 1949 unterzeichneten die europäischen Partnerstaaten Großbritannien, Frankreich, die Beneluxstaaten, Norwegen, Dänemark, Island, Italien und Portugal gemeinsam mit ihren transatlantischen Verbündeten Kanada und den Vereinigten Staaten den Nordatlantischen Vertrag.5 Die Partnerländer verpflichteten sich darin, ein politisches Verteidigungsbündnis zu schaffen mit dem Ziel, den Frieden, die Sicherheit und das Wohlergehen ihrer Völker innerhalb des gemeinsamen Vertragsgebiets zu erhalten und zu fördern.6 Die Mitglieder bekannten sich dazu, ihre internationalen Beziehungen und Streitfälle auf friedlichem Wege zu regeln und auf das Mittel der Gewalt nur im Einklang mit den völkerrechtlichen Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen zurückzugreifen. Vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage, des aufkeimenden Kal4

5 6

Näheres zum Griechisch-Türkischen Krieg zwischen 1919 und 1922 in Kap. II.; zu den griechischtürkischen Beziehungen zwischen 1923 und 1940 sei auf die folgende Monografie verwiesen: Bilgic, Turkish-Greek Relations. Zu den Ursprüngen der NATO siehe Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz. Ebd., S. 477; siehe hierzu auch die Präambel des Nordatlantikvertrages.

I. Einleitung

3

ten Krieges, der akut wahrgenommenen sowjetischen Bedrohung und des französischen Argwohns gegenüber einem wieder erstarkenden Deutschland richtete sich die Schutzfunktion des Abkommens – obgleich im Vertragstext nicht ausdrücklich erwähnt – gegen Angriffe und Aggressionen von Staaten, die nicht dem Bündnis angehörten.7 Die Nordatlantische Allianz beschränkte ihre Vertragsziele auf wenige Kernaussagen und überließ deren Umsetzung dem künftigen Diskurs ihrer Mitglieder.8 Die Möglichkeit eines bewaffneten Konflikts unter den eigenen Verbündeten ging dabei über die Vorstellungen der Gründungsväter hinaus. Dementsprechend fanden sich im Vertragsdokument keine Aussagen zum Umgang mit militärischen Auseinandersetzungen und gewaltsamen Streitigkeiten unter den Vertragsparteien. Gleiches galt auch für die Frage nach Sanktionen, falls einer oder mehrere Partner die Grundsätze des Dokuments verletzten. Abgesehen von einer wechselseitigen Konsultationspflicht sah die NATO keine Maßnahmen vor, die Beilegung von Konflikten zwischen den Partnerstaaten zu erzwingen oder ein Mitglied zu sanktionieren, wenn es die Vertragsbestimmungen missachtete.9 Es blieb den Bündnismitgliedern überlassen, gemeinschaftliche Übereinkünfte zu treffen, um Verstöße zu ahnden und die Mitglieder zur Vertragsdisziplin anzuhalten. Wie sich wenige Jahre nach dem NATO-Beitritt Griechenlands und der Türkei herausstellte, hatten die beiden Widersacher ihre tiefsitzenden Spannungen keineswegs überwunden. Die Konflikte um Zypern und in der Ägäis führten den übrigen Bündnispartnern vielmehr vor Augen, dass die bilateralen Krisen keine bloße Bagatelle an der Südflanke darstellten, sondern in einen offenen Krieg zwischen den beiden Staaten münden konnten. Daher musste sich die NATO die Frage stellen, wie sie auf die neue Herausforderung reagieren sollte. Dabei spielten insbesondere zwei Faktoren eine wesentliche Rolle: Wenn die NATO ihr Gesicht vor der Weltöffentlichkeit als Vertreterin von Frieden und Sicherheit sowie ihre Glaubwürdigkeit und Geschlossenheit als gemeinsames Verteidigungsbündnis gegenüber dem weltanschaulichen Gegner in Osteuropa wahren wollte, konnte sie eine derartige Krise auf Dauer nicht tolerieren. Die latente Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung unter den beiden Verbündeten unterschied den Konflikt deutlich von den all den anderen internen Krisen, denen die Allianz Zeit ihres Lebens gegenüberstand.10 Gleichzeitig musste das Bündnis aber auch ein besonderes Interesse hegen, seine exponierte, verwundbare Südostflanke politisch wie militärisch intakt zu 7

8 9 10

Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 266; Seiller, Rüstungsintegration, S. 32, hier: Der französische Außenminister Robert Schuman schloss noch 1950 die Möglichkeit einer Wiederbewaffnung des ehemaligen deutschen Kriegsgegners und eine Aufnahme der Bundesrepublik in die NATO kategorisch aus. Krüger, Am Abgrund?, S. 22. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 1 und S. 266; Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, S. 401. Dies trifft insbesondere auf das Suezdebakel im Jahr 1956 zu. Ungeachtet der Schwere dieser Krise bestand dort zu keinem Zeitpunkt die Gefahr, dass die NATO-Partner einander militärisch bekämpften. Zur NATO und der Suezkrise siehe das neueste Werk von Thomas Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise. Eine Ausnahme bildet hier lediglich der »Cod War« bzw. »Codfish War«, der Fischereikrieg zwischen Großbritannien und Island Anfang der 1960er und in den 1970er Jahren. Verglichen mit der Schwere der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen war dieser Konflikt jedoch eine eher unbedeutende Randerscheinung. Hierzu exemplarisch: Jónsson, Friends in Conflict.

4

I. Einleitung

halten. Kriegerische Auseinandersetzungen unter den eigenen Mitgliedern konnten der NATO nicht nur schweren Schaden zufügen, sondern der Sowjetunion unmittelbar in die Hände spielen. Die vorliegende Arbeit stellt daher folgende Leitfragen ins Zentrum ihrer Betrachtung: 1. Wie ging die NATO mit dem Dauerkonflikt an ihrer Südostflanke um? 2. Welche Rolle spielte die Nordatlantische Allianz in den Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und der Türkei? Welchen Einfluss besaß das Verteidigungsbündnis, um die Krisen und Konflikte zu entschärfen, die sich um Zypern und die Ägäis abzeichneten? Inwieweit war das Bündnis hier erfolgreich? Und war es der Integrationsfähigkeit und dem Wirken der NATO zu verdanken, dass Griechenland und die Türkei keinen offenen Krieg gegeneinander führten? 4. Wie wirkte sich der Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei im Gegenzug auf deren Treue gegenüber dem Bündnis und den politischen Zusammenhalt an der Südostflanke aus? Gelang es der Allianz, Anreize und Magnetwirkungen zu entwickeln, die den NATO-Austritt eines oder beider Mitgliedsstaaten als Folge des Konflikts verhinderten? 5. Welche Gefahren drohten der Allianz durch eine mögliche politische und militärische Erosion ihrer Südostflanke? Welche Folgen zogen die griechisch-türkischen Krisen für die militärische Abschreckung und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses an seiner exponierten Flanke nach sich? Der Untersuchungszeitraum von 1954 bis 1989 ist weit gefasst und umschließt beinahe die gesamte Epoche des Kalten Krieges11. Hinsichtlich der Methodik galt es zu entscheiden, ob die Forschungsanalyse breit oder tief angelegt werden sollte. Eine Tiefenbetrachtung hätte das Thema allzu sehr auf eine der zahlreichen griechisch-türkischen Einzelkrisen beschränkt und wäre damit vom zeitlichen Ansatz her den meisten Werken der Bandreihe »Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses« gefolgt. Diese betrachten mit Ausnahme des Bandes von Bernd Lemke zur Allied Mobile Force im Schnitt nur Zeiträume von fünf bis maximal zehn Jahren und beschränken sich in der Masse auf die 1950er Jahre.12 Ziel der vorliegenden Studie soll es daher sein, eine über mehrere Jahrzehnte angelegte, breit ausgerichtete Analyse des Forschungsgegenstandes vorzunehmen. Die Nordatlantische Allianz gilt es dabei weniger in ihrer Eigenschaft als Institution, sondern vielmehr in ihrer Rolle als Akteur zu beleuchten. Dies bedeutet keineswegs, dass die Handlungsabläufe innerhalb der Gremien des Bündnisses ausgespart bleiben, im Gegenteil. Die Konferenzen, NATO-Ratsbesprechungen und informellen »Korridorgespräche« stellen einen wesentlichen Bestandteil der Studie dar. Deren Analyse dient aber nicht dazu, die institutionelle Arbeits- und Funktionsweise des Atlantischen Bündnisses aufzuzeigen, sondern den Grad ihres Einflusses auf den Konfliktverlauf zu untersuchen. Mit Blick auf die Geschichte des Ost-West-Konfliktes stellt der Gegenstand einen besonderen Fall dar. Die Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei waren kein 11 12

Mit »Kalter Krieg« sei hier der gesamte Zeitraum des »Ost-West-Konfliktes« von 1945 bis zur Auflösung des Warschauer Vertrages im Jahre 1991 gemeint. Siehe das Werk von Bernd Lemke, das den Zeitraum von 1961 bis 2002 untersucht: Lemke, Die Allied Mobile Force; des Weiteren die Bände 1‑9 der Reihe »Entstehung und Problemen des Atlantischen Bündnisses«.

I. Einleitung

5

Produkt der Auseinandersetzungen zwischen NATO und Warschauer Pakt. Nichtsdestoweniger brachen die Konflikte nur zwei Jahre nach dem Beitritt beider Staaten zur westlichen Allianz aus, obwohl sie vorher über mehrere Jahrzehnte geruht hatten. Die Streitigkeiten gerieten in den Strudel der Konfrontation zwischen Ost und West, fanden mit deren Ende aber keinen Abschluss. Vielmehr setzten sie sich in den 1990er Jahren mit der Krise um die in der östlichen Ägäis gelegene Insel Imia/Kardak weiter fort. Demzufolge kann darüber diskutiert werden, ob oder inwieweit die griechisch-türkischen Auseinandersetzungen überhaupt Teil der Geschichte des Kalten Krieges bzw. des OstWest-Konfliktes sind.13 Zweifelsfrei bilden sie ein nicht zu unterschätzendes, wenngleich lange vernachlässigtes Kapitel der facettenreichen Geschichte der NATO. Vor dem Hintergrund der weltpolitischen Brennpunkte des beginnenden 21. Jahrhunderts ergibt sich auch die Relevanz der in dieser Arbeit gestellten Forschungsfragen.14 Zum einen sind die bilateralen Auseinandersetzungen um Zypern und die Ägäis bis heute keineswegs beigelegt, sondern sie schlummern lediglich unter dem Deckmantel der schweren wirtschaftlichen, innen- und außenpolitischen Probleme Griechenlands und der Türkei. Zum anderen stehen beide NATO-Mitglieder nach wie vor im Mittelpunkt des medialen Interesses. Für die Türkei gilt dies gleich in mehrfacher Hinsicht: einerseits wegen der in Syrien und dem Irak tobenden Bürgerkriege und Konflikte an den östlichen Außengrenzen Anatoliens und der dortigen türkischen Militärinterventionen, andererseits infolge der neuen Spannungen und Konflikte zwischen der autokratischen Regierung unter Recep Tayyip Erdoğan und der kurdischstämmigen Ethnie des Landes. Beide Krisenfelder stellen die NATO vor neue Herausforderungen. Nicht zuletzt bildet auch das komplizierte politische Verhältnis zwischen der Türkei und Europa einen Gegenstand öffentlicher Debatten. Auf Griechenland trifft die Relevanz zwar derzeit weniger in seiner Eigenschaft als NATO-Partner denn als Mitglied der Europäischen Union zu. Dennoch bietet der Blick auf die in dieser Studie zu betrachtenden Versuche der NATO, Griechenland und die Türkei im Bündnis zu halten, trotz der veränderten Rahmenbedingungen und unterschiedlichen Politikbereiche eine historische Parallele zu der Frage, ob oder wie es der EU gelingen wird, Griechenland langfristig erfolgreich an die Wirtschafts- und Währungsgemeinschaft Europas zu binden.

2. Forschungsstand Den neuesten Forschungsstand zum griechisch-türkischen Konflikt bietet die Monografie von Alexis Heraclides aus dem Jahr 2010.15 Der Autor zeigt am Beispiel der ägäi13

14

15

So erwähnt der amerikanische Historiker John Lewis Gaddis den griechisch-türkischen Konflikt in seinem Überblickswerk zur Geschichte des Kalten Krieges nicht einmal in einem Nebensatz: Gaddis, Der Kalte Krieg. Siehe hierzu auch die neue Studie von Bernd Lemke zum Einsatz der Allied Mobile Force als Instrument an der Nord- und Südflanke der Allianz: Lemke, Die Allied Mobile Force; ebenso der 2015 erschienene Sammelband Periphery or Contact Zone. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict.

6

I. Einleitung

schen Streitigkeiten chronologisch die Entwicklung der Auseinandersetzungen zwischen den beiden südöstlichen Mittelmeeranrainern auf.16 Heraclides neigt dazu, sowohl den Konflikt als auch Ansätze zu dessen Lösung vorwiegend auf der bilateralen griechischtürkisch Ebene zu betrachten und mögliche Einflüsse externer Akteure in weiten Teilen auszublenden. Dementsprechend schenkt der Autor Einflussnahmen internationaler Institutionen wie der UNO oder der NATO nur wenig Beachtung. Jedoch löst er sich von der häufig zu beobachtenden Neigung nationalistisch argumentierender griechischer Autoren, die Problematik in emotional gefärbter, einseitiger Sichtweise darzustellen.17 Die internationale Forschung zur Rolle der NATO in diesem Konflikt zeichnet sich durch zahlreiche Veröffentlichungen von Politologen, Soziologen, ehemaligen Diplomaten und Historikern aus. Ebenso vielfältig präsentieren sich deren Forschungsansätze und Betrachtungsweisen.18 Diese reichen von der ersten Zypernkrise in den 1950er Jahren über Streitigkeiten um Militarisierungs- und Ölbohrrechte in der Ägäis bis hin zu den Folgen des Konflikts für die integrierte Militärstruktur der NATO. Evanthis Hatzivassiliou (2012), Matthias Dembinski (2006 und 2010), Hakan Akbulut (2005), Victor Papacosma (2001), Ronald Krebs (1999) und der ehemalige amerikanische Diplomat Monteagle Stearns (1992) analysieren die Rolle des Nordatlantischen Bündnisses überwiegend unter politikwissenschaftlichen Gesichtspunkten und legen ihren Schwerpunkt auf die Rolle der NATO als Schlichtungsorgan und Vermittler.19 Die Monografie von Stearns nimmt in diesem Kontext eine Sonderrolle ein, da der Autor primär den amerikanischen Umgang mit dem Konflikt analysiert und erst in zweiter Linie die NATO ins Spiel bringt. Mit Ausnahme Dembinskis schreiben sämtliche Autoren dem Bündnis zumindest in Ansätzen bescheidene Erfolge zu. Jedoch stützen sich ihre Aussagen nur selten auf eigene Quellenrecherchen, sondern bieten Erklärungsmodelle, die entweder politischen Theorien und soziologischen Studien entstammen oder lediglich Ergebnisse der älteren Historiografie widerspiegeln, ohne grundsätzlich neue Forschungserkenntnisse zu liefern. Dionysios Chourchoulis’ Werk (2010) zählt ebenfalls zu dieser Forschungsrichtung.20 Im Gegensatz zu den anderen genannten Autoren untersucht Chourchoulis den Gegenstand mit dem quellengestützten Instrument des Historikers. Seiner Meinung nach soll das Nordatlantische Bündnis zwar nur indirekt, 16

17

18 19

20

Die griechisch-türkischen Konfliktfelder in der Ägäis wurden in den letzten 30 Jahren bereits mehrfach in politikwissenschaftlichen Werken behandelt; hierzu exemplarisch: Weithmann, Die Griechisch-Türkische Kontroverse; Akbulut, NATO’s Feuding Members; Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?; Sauerwein, Spannungsfeld Ägäis; Wilson, The Aegean Dispute (1979). Hierzu kann exemplarisch die Monografie von Fotios Moustakis angeführt werden, die ausschließlich der türkischen Seite sowie auch dem Nordatlantischen Bündnis die Verantwortung für das Entstehen und die Verschärfung des Konflikts zuweist. Gleiches gilt aber auch für ältere Autoren wie den ehemaligen griechischen Diplomaten Byron Theodoropoulos (1988) und Argyrios Pisiotis (1993), in Ansätzen auch für Victor Papacosma (2001): Moustakis, The Greek-Turkish Relationship; Papacosma, NATO and Internal Disputes, S. 199‑225; Pisiotis, L’OTAN et la Persistence, S. 905‑918; Theodoropoulos, Griechenland – Türkei, S. 295‑306. Eine detaillierte Analyse hierzu: Brenner, Die Achillesferse der NATO. Dembinski, Schaffen internationale Organisationen Frieden?; Dembinski, Griechenland und die Türkei. Rivalität trotz NATO-Mitgliedschaft; Akbulut, NATO’s Feuding Members; Papacosma, NATO and Internal Disputes, S. 199‑225; Stearns, Entangled Allies; Hatzivassiliou, Revisiting NATO’s Stabilizing Role in South-Eastern Europe; Krebs, Perverse Institutionalism. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO.

I. Einleitung

7

insgesamt aber stabilisierend auf das griechisch-türkische Verhältnis gewirkt haben. Allerdings behandelt der Autor in seiner Arbeit ausschließlich die 1950er Jahre und legt seinen inhaltlichen Schwerpunkt nicht auf den griechisch-türkischen Konflikt, sondern auf strategische und militärpolitische Fragen der Verteidigungsaufstellung der NATOSüdflanke. Folglich bleiben viele Antworten offen. Tarik Oguzlu (2004), Fotios Moustakis (2003), Argyrios Pisiotis (1993) und Yorgos Kourvetaris (1988) beurteilen die Rolle der NATO sehr negativ.21 Oguzlu wirft dem Bündnis vor, in der Konfliktbewältigung weitgehend untätig geblieben zu sein. Moustakis, Pisiotis und Kourvetaris vertreten eine stark nationalistisch geprägte Meinung. Die drei Autoren teilen die Ansicht, dass die Allianz den Konflikt nicht nur tolerierte, sondern mit seinen Militärhilfen an die Türkei sogar indirekt anheizte. Alle vier Forscher neigen dazu, die für Griechenland ungünstigen Entwicklungen des Konflikts der NATO anzulasten. Pisiotis schreibt ihr zudem die Verantwortung für das Entstehen der griechischen Diktatur der Jahre 1967 bis 1974 zu.22 Mit Ausnahme des Aufsatzes von Tarik Oguzlu spiegeln die Werke dieser Autoren eigene politische Ansichten wider, die nur geringes Bemühen um Objektivität erkennen lassen. Das Forschungsinteresse an der Rolle der NATO im Zypernkonflikt fand in den 1990er Jahren einen ersten Höhepunkt. Winfried Heinemann (1998) und Robert Holland (1995) legten für die 1950er Jahre erste fundierte, quellengestützte Arbeiten vor.23 Beide Autoren behandeln die Frühphase des Konflikts und zeigen die Schwierigkeiten des Atlantischen Bündnisses auf, in dieser Krise an Handlungsfähigkeit zu gewinnen. Jedoch legt Heinemann seinen inhaltlichen Schwerpunkt nicht auf den Stellenwert des Bündnisses in den griechisch-türkischen Streitigkeiten, sondern auf die institutionelle Prägung der Allianz durch den Konflikt. Es geht ihm primär um die innere Funktionsweise der NATO am Beispiel dieser Krise, weniger um die Frage des Erfolgs oder Misserfolgs bei der Schlichtung des Konflikts. Holland liefert hier aufschlussreichere Ergebnisse. Seiner Meinung sei es dem Bündnis zu verdanken gewesen, den Ausbruch offener Feindseligkeiten zwischen Griechenland und der Türkei verhindert zu haben. Davon abgesehen aber habe die NATO die Ursache des Konflikts nicht zu beseitigen vermocht. Claude Nicolet (2001 und 2002), Joseph S. Joseph (1993) und auch Philip Windsor (1964) befassen sich mit der zweiten Zypernkrise der Jahre 1964/65 und beleuchten die Differenzen unter den führenden Bündnispartnern hinsichtlich der Frage des Umgangs mit diesem Problem.24 Alle drei Autoren legen ihren Schwerpunkt jedoch auf das Thema »NATO und Zypern«, wohingegen sie der für das Atlantische Bündnis 21 22 23 24

Oguzlu, The Promise of NATO; Moustakis, The Greek-Turkish Relationship; Pisiotis, L’OTAN et la Persistence, S. 905‑918; Kourvetaris, The Southern Flank of NATO. Pisiotis, L’OTAN et la Persistence, S. 910. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses; Holland, NATO and the Struggle for Cyprus;. Nicolet, American and British NATO-Plans; Nicolet, The Development of US Plans; Joseph, Ethnic Loyalties; Windsor, NATO and the Cyprus Crisis. Daneben existiert seit Juni 2011 ein unveröffentlichter Aufsatz von Andreas Elliades, Doktorand an der Universität Zypern, mit dem Titel: NATO and the Cyprus Insurgency 1955‑1959. Paul-Henri Spaak’s Initiative to Provide NATO’s Good Offices. Der Aufsatz wurde im Rahmen eines wissenschaftlichen Workshops an der London School of Economics verfasst.

8

I. Einleitung

viel bedeutsameren Frage der Auseinandersetzung zwischen dem griechischen und türkischen Allianzpartner nur sekundäre Aufmerksamkeit widmen. Für den Zeitraum der1980er Jahre existieren lediglich zeitgenössische sicherheitspolitischen Studien. James Brown (1991), Richard Haass (1988), Robert McDonald (1988), Kenneth Mackenzie (1983) und Frank Church (1980) zeigen vor allem die Rückwirkungen und Gefahren des Konflikts für die militärische Funktionsfähigkeit des Bündnisses auf.25 Die Schlichtungsfrage und die politischen Auswirkungen auf die NATO blenden diese Autoren weitgehend aus. Mit Blick auf die genannten Autoren lässt sich festhalten, dass bis heute ein ungebrochenes internationales Forschungsinteresse am Umgang des Nordatlantischen Bündnisses mit dem griechisch-türkischen Konflikt besteht. Die meisten der in dieser Arbeit gestellten Leitfragen wurden auf die eine oder andere Weise tangiert. Dies geschah jedoch meist regional und zeitlich eng begrenzt oder der jeweilige Autor setzte sich nur mit einem Teil der Problematik auseinander, deren Analyse in vielen Fällen mehr Fragen aufwarf, als Antworten zu liefern. Wie bereits dargelegt, übernahmen die Autoren von Publikationen jüngeren Erscheinungsdatums nicht selten ihre Darlegungen einfach aus älteren Veröffentlichungen, ohne eigene, neue Forschungserkenntnisse zu liefern. Häufig berücksichtigten sie bei ihren Ausführungen auch nicht die parallel zum griechischtürkischen Konflikt verlaufenden Entwicklungen des Kalten Krieges. Dadurch neigte so mancher Autor dazu, wichtige geopolitische bzw. geohistorische Faktoren zu vernachlässigen und eindimensionale Schlussfolgerungen zu ziehen. Eine quellengestützte Gesamtbetrachtung des Themas in Form einer multiperspektivischen Analyse, die den gesamten Zeitraum des Ost-West-Konfliktes von den 1950er Jahren bis 1989 abdeckt, steht somit bislang noch aus. Gleiches gilt auch für die Frage nach möglichen, aktiven Handlungen der militärischen Funktionsträger der NATO, insbesondere des Supreme Allied Commander Europe (SACEUR). Zwar findet sich bei mehreren Autoren die eine oder andere Erwähnung.26 Eine fundierte Analyse fehlt jedoch auch hier bis heute. Die Forschung zur Frage nach den Rückwirkungen des griechisch-türkischen Konflikts auf die NATO zeichnet sich zwar im Gesamtüberblick durch eine höhere Dichte an Veröffentlichungen aus. Jedoch beschränken sich die bislang vorliegenden Ergebnisse überwiegend auf die 1980er Jahre. Diese beleuchten in erster Linie die Folgen für die militärische Funktionsfähigkeit des Bündnisses. Die Konsequenzen, die der Konflikt für die NATO in ihrer Eigenschaft als politischer Organisation nach sich zog, stellen dagegen in weiten Teilen ein Desiderat dar. Auch die Forschungsliteratur zur Haltung und Politik der Sowjetunion gegenüber der NATO-internen Auseinandersetzung beschränkt sich auf wenige Veröffentlichungen. Die Rolle Moskaus darf aber insofern nicht unterschätzt werden, als der Umgang der Allianz mit ihrem bündnisinternen Konflikt – soweit es den Zeitraum zwischen 1950 25 26

Brown, Delicately Poised Allies; Haass, Managing NATO’s Weakest Flank; McDonald, Alliance Problems; Mackenzie, Greece and Turkey; Binnendijk/Friendly, Turkey. Zu den einzelnen Erwähnungen: Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 124‑126 und S. 190‑191. Akbulut, NATO’s Feuding Members, S. 41; Stearns, Entangled Allies, S. 72 f.; Papacosma, NATO and Internal Disputes, S.  206; Papacosma, Greece and NATO, S.  205‑207; Mackenzie, Greece and Turkey, S. 11 f.; Church, Turkey, Greece and NATO, S. 59 f.

I. Einleitung

9

und 1990 betrifft – nicht ohne den Hintergrund des Kalten Krieges betrachtet werden kann. Mögliche Zielsetzungen oder Versuche der UdSSR, den griechisch-türkischen Konflikt zu fördern oder anzuheizen, um die NATO an ihrer Südostflanke zu destabilisieren, wurden in der Forschung bisher nur marginal behandelt. James Brown (1991) widmet den allgemeinen sowjetischen Zielen im Mittelmeerraum ein gesamtes Kapitel, ohne dabei auf den griechisch-türkischen Konflikt zu sprechen zu kommen.27 Gleiches gilt auch für Lawrence Kaplan (1985) und Thomas Etzold (1985).28 Monteagle Stearns (1992) beschreibt die generelle Politik Moskaus gegenüber Ankara und Athen, widmet dem griechisch-türkischen Konflikt in diesem Kontext jedoch nur sekundäres Interesse.29 Heinz Richter (1987) hat die Haltung der Sowjetunion zur griechisch-türkischen Auseinandersetzung auf wenigen Seiten angerissen.30 Ausschließlich Christos Kassimeris (2010), Dionysios Chourchoulis (2010) und Udo Steinbach (1975) lassen einen vagen Ansatz erkennen, eine politische oder militärische Zielsetzung der UdSSR zu rekonstruieren, die sich direkt auf die NATO und den griechisch-türkischen Konflikt bezieht.31 Die Forschungslücke tritt hier umso deutlicher zutage, als Quellenbestände des Auswärtigen Amtes, aber auch offengelegte CIA-Berichte und Telegramme der US-Botschafter aus den amerikanischen National Archives und den Presidential Libraries zu diesen Fragen eine nicht zu unterschätzende Bandbreite an Dokumenten bieten, die den derzeit eingeschränkten Zugang zu russischen Staatsarchiven teilweise ausgleichen können.

3. Rahmenbedingungen, Methodik und Aufbau der Untersuchung Für das Thema wurde ein integrationsgeschichtlicher Ansatz gewählt, der durch geopolitische bzw. geohistorische32, stellenweise auch durch mentalitätsgeschichtliche Betrachtungsweisen ergänzt wird. Das traditionelle Instrument klassischer Diplomatiegeschichte mit ihrer vornehmlichen Konzentration auf die bündnispolitische Eigenperspektive der NATO wird bei der vorliegenden Themenstellung den Ansprüchen an eine moderne Historiografie nicht mehr gerecht.33 Die integrationsgeschichtliche Methode verfolgt dagegen das Ziel, die Hintergründe, Verquickungen und Differenzen zwischen der Innen-, Außen- und Bündnispolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten und ihrer führenden Akteure zu analysieren und dadurch ein komplexes Bild zu entwerfen, dass die NATO in ihrer Eigenschaft als kollektives Netzwerk unterschiedlicher Individuen, Gruppen und Inter-

27 28 29 30 31 32 33

Brown, Delicately Poised Allies, S. 73‑82. Kaplan, NATO and the Mediterranean Powers, S. 3‑17; Etzold, The Soviet Union in the Mediterranean, S. 29‑47. Stearns, Entangled Allies, S. 51‑67. Richter, Der griechisch-türkische Konflikt, S. 47‑53. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 126‑131; Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 137‑138; Steinbach, Die Sowjetunion und die Zypernkrise. Zum Begriff der Geohistorie siehe Osterhammel, Raumbeziehungen. Ein solch »klassischer«, institutionengeschichtlich geprägter Ansatz findet sich am deutlichsten in der Monografie von Francis Beer aus dem Jahre 1969 wider: Beer, Integration and Disintegration.

10

I. Einleitung

essengemeinschaften mit vielfältigen Zielen und Absichten widerspiegelt.34 Die Mitglieder der Nordatlantischen Allianz handelten (und handeln auch heute) – von wenigen Ausnahmen abgesehen – als gewählte Regierungen nach den Grundsätzen westlicher Demokratie. Deren hohe Abhängigkeit von nationalen Zwängen und innenpolitischen Entwicklungen trat jeweils in Form einer Politik zutage, die im Allgemeinen die interessengeleiteten Ziele ihrer nationalen Wählerschaft und ihrer öffentlichen Meinung reflektierte. Die handelnden Akteure waren in ihren Absichten und Handlungsweisen daher weit weniger frei, als dies mitunter den Anschein erweckte. Auch waren sie bisweilen gezwungen, in der Bündnispolitik aus Rücksicht auf ihre nationale Wählerschaft ambivalente Ziele anzustreben. Dies soll an einem exemplarischen Ausblick auf einige Inhalte dieser Arbeit deutlich werden: So pendelte beispielsweise die Türkei in Fragen ihrer Außen- und Sicherheitspolitik zwischen verschiedenen Polen. Dem Ruf nach prowestlicher (Bündnis-)Politik und dem Ziel stabiler »kemalistischer« Strukturen standen nicht selten amerikafeindliche Tendenzen gegenüber. Letztere trugen spätestens seit den beginnenden 1970er Jahren zumindest teilweise das Merkmal einer islamistisch geprägten Neuausrichtung hin zum Nahen und Mittleren Osten. Gleiches galt auch für die Gratwanderung zwischen der Forderung nach westlichen Militär- und Wirtschaftshilfen und dem gleichzeitigen Versuch, sich politisch wie ökonomisch vom Westen zu emanzipieren. Ungeachtet ihrer Bindung an die NATO öffnete sich die Türkei seit Mitte der 1960er Jahre wirtschaftlichen und diplomatischen Annäherungsversuchen der Sowjetunion. Dies geschah jedoch weniger in der Absicht, in das Lager des kommunistischen Weltanschauungsgegners zu wechseln. Vielmehr bemühte sich Ankara darum, ein politisches Gegengewicht zu den europäischen und amerikanischen Interessen zu errichten und sich von Washington und der NATO nicht länger bevormunden zu lassen. Auch im Falle Griechenlands herrschten komplizierte und teilweise widersprüchliche Verhältnisse. Die griechische Regierung stand innenpolitisch unentwegt im komplexen Spannungsfeld von Kräften unterschiedlichster politischer Couleur. Athen war einerseits mit nationalistischen, panhellenischen Bestrebungen unter dem Stichwort der Megali Idea, der »Großen Idee«, alle Griechen in einem Nationalstaat zu vereinen, und der Enosis konfrontiert, die zeitweise unter dem maßgeblichen Einfluss des populären zyprischen Erzbischofs Makarios III. standen. Bis Mitte der 1960er Jahre trat der griechischzypriotische Führer lautstark für den Anschluss Zyperns an das griechische »Mutterland« (Enosis) ein und wusste große Teile der griechischen Bevölkerung für seine eigenwillige Politik zu instrumentalisieren. Zeitweise wurde der Erzbischof dabei in der griechischen Öffentlichkeit sprichwörtlich zur Ikone panhellenischer Visionen, wodurch er Athen erheblich unter Druck setzte. Andererseits pendelte Griechenland dauerhaft zwischen seiner Bindung an die NATO und linksradikalen Tendenzen. Anders als im Falle der Türkei bestimmten die bilateralen Streitigkeiten mit dem türkischen Nachbarland nahezu die gesamte Außen- und Sicherheitspolitik des Landes. Aus Protest gegen die vermeintliche Untätigkeit der westlichen Verbündeten gegenüber türkischen »Expansionsbestre34

In diesem Zusammenhang sei auf die Aufsätze von Wilfried Loth und Jürgen Osterhammel aus dem Jahr 2000 hingewiesen: Loth, Regionale, nationale und europäische Identität; Osterhammel, Internationale Geschichte.

I. Einleitung

11

bungen« auf Zypern und in der Ägäis wurden in der öffentlichen Meinung Stimmen laut, welche die Regierung auffoderten, sich entweder auf einen neutralistischen Kurs zu begeben oder sich sogar Moskau und dem Warschauer Pakt anzunähern. In diesem Rahmen verfolgte Athen nicht selten einander widersprechende Ziele. NATO- und amerikafeindliche Tendenzen in Regierung und Wählerschaft waren besonders zu Zeiten griechisch-türkischer Krisen von einem gleichzeitigen Ruf nach westlichen Militärhilfen und Sicherheitsgarantien gegen den türkischen »Erbfeind« begleitet. Ähnliche Spannungen und Widersprüche fanden ihren Niederschlag auch in der amerikanischen Außenpolitik im östlichen Mittelmeer. Grundsätzlich betrachteten das Weiße Haus und der Nationale Sicherheitsrat (NSC) die südöstlichen NATO-Partner durch die Brille des Kalten Krieges. Harry Trumans Doktrin der Eindämmung sowjetischer Einflüsse bildete an dieser Stelle den Ausgangspunkt. Die amerikanische Politik bewegte sich jedoch zwischen zwei gegensätzlichen Polen. Einerseits war der NSC bestrebt, den türkischen NATO-Partner als Garanten einer starken amerikanischen Stellung im östlichen Mittelmeer und im Nahen Osten wohlwollend zu stimmen und mit Rüstungsgütern zu versorgen. Andererseits standen der US-Präsident und der Kongress unter dem Zwang der inneren Rücksichtnahme auf die wirtschaftlich mächtige Lobby griechischstämmiger Amerikaner. Letztere übte besonders zu Wahlkampfzeiten Druck auf die Regierung aus, ihre Verteidigungshilfen an die Türkei zu begrenzen. Wenngleich der Einfluss der American Hellenic Educational Progressive Association (AHEPA) auf die amerikanische Außenpolitik nicht überbewertet werden darf, sollte deren Gewicht keinesfalls unterschätzt werden. Die Rücksichtnahmen des Weißen Hauses auf die Belange der eigenen Wählerschaft verhinderten mitunter eine konsequente politische Zielrichtung in der Region des östlichen Mittelmeers. In abgeschwächter Form traf dies auch auf die Bundesrepublik Deutschland zu. Als Frontstaat des Kalten Krieges war das Land hin und her gerissen zwischen bündnispolitischen Belangen, nationalen, außenpolitischen Zielen und einer kritischen, heimischen Wählerschaft. Einerseits besaß die Bundesregierung ein vitales bündnispolitisches Interesse an einer stabilen, wehrfähigen Südostflanke, einhergehend mit guten wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zu Griechenland und der Türkei. Militärhilfen an beide Partnerländer waren aus Bonner Sicht demnach unabdingbar. Andererseits keimten im Bundestag ethisch motivierte Debatten um die Frage eines generellen Lieferstopps deutscher Rüstungsgüter in Spannungsgebiete auf, von dem auch die Südostflanke betroffen war. Die deutsche Wählerschaft stand Waffenexporten in Krisengebiete spätestens seit Mitte der 1960er Jahre zunehmend kritisch bis ablehnend gegenüber. Ferner stand die Frage im Raum, ob Bonn zum Zwecke der Entschärfung der griechischtürkischen Spannungen und damit zum Wohle der NATO seine guten außen- und wirtschaftspolitischen Beziehungen zur Türkei gefährden sollte. Die Bundesregierung war sich unschlüssig, ob sie das sensible Thema der Einwanderung türkischer Gastarbeiterfamilien in die Bundesrepublik an die Bereitschaft Ankaras knüpfen sollte, in den Konflikten mit Griechenland kompromissbereiter zu agieren. Die Untersuchung verfolgt das Ziel, aus NATO-eigener Perspektive und den unterschiedlichen nationalen Sichtweisen »führender« Allianzmitglieder eine multiperspektivisch, multiarchivalisch und multilateral ausgerichtete Analyse zu erstellen. Zu den führenden Mitgliedsstaaten werden hier vor allem diejenigen Nationen gezählt, die den

12

I. Einleitung

maßgeblichsten Einfluss auf die Handlungsweisen der NATO in den griechisch-türkischen Krisen zu nehmen versprachen. Es handelt sich hier allen voran um die Vereinigten Staaten, gefolgt vom Vereinigten Königreich Großbritannien, und – mit einigem Abstand – auch um die Bundesrepublik Deutschland.35 Die Rolle der NATO wird in den vier Zypernkonflikten zwischen 1955 und 1974 und den beiden ägäischen Krisen des Frühjahrs 1974 und des Jahres 1987 chronologisch untersucht. In diesem Zusammenhang werden auch die Rückwirkungen des Konflikts auf die NATO thematisiert. Bei der vorliegenden Studie darf eine besondere Problematik nicht unberücksichtigt bleiben: Wie sollte die Nordatlantische Allianz mit Verbündeten umgehen, deren Staats- und Regierungssysteme nicht oder nur eingeschränkt dem westlichen Verständnis von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und freier Meinungsäußerung entsprachen? Hierzu zählten zeitweise Griechenland, Portugal und auch die Türkei. Dieser Gegenstand stellt unter Historikern derzeit noch ein Desiderat dar.36 Im konkreten Fall handelt es sich vor allem um die Frage, ob und inwieweit die Gegensätze zwischen dem westlichen Demokratieverständnis der NATO und den diktatorischen Zielen der griechischen Junta bis Mitte der 1970er Jahre zu berücksichtigen sind. Vor dem Hintergrund der hier gestellten Leitfragen lässt sich dieser Aspekt kaum vernachlässigen. Folglich wird auch dieses Thema die dargelegten Ausführungen stellenweise begleiten.

4. Quellenlage Als Basis für die Erstellung dieser Arbeit dienten zahlreiche Drahtberichte, Analysen und (Sitzungs-)Protokolle der Ständigen Vertreter beim Nordatlantischen Rat in Paris bzw. Brüssel sowie eine Vielzahl an Schriftverkehr zwischen den diplomatischen Auslandsvertretungen der führenden NATO-Staaten in Ankara und Athen und ihren jeweiligen Außen- und Verteidigungsministerien. Diese Dokumente konnten stellenweise durch Telegramme und Fernschreiben der NATO-Militärvertreter in Washington ergänzt wer35

36

Das Fehlen einer quellenbasierten griechischen und türkischen Perspektive könnte als strukturelle Schwäche ausgelegt werden. Man könnte den Vorwurf erheben, eine einseitige, »westlich« geprägte Geschichte der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen zu schreiben und den Sichtweisen der beiden Konfliktträger nicht ausreichend Beachtung zu schenken. Dieser Einwand träfe jedoch nur in Teilen zu. Wie sich den herangezogenen Quellen entnehmen lässt, besaßen die führenden NATO-Partner USA, Großbritannien und die Bundesrepublik Deutschland in dieser Angelegenheit keineswegs einheitlich »westliche« Auffassungen vom Stellenwert und der Rolle der Allianz. Ähnliches galt auch für die unterschiedlichen Ministerien, diplomatischen Vertreter und NATODelegationen innerhalb der Nationalstaaten. Vielmehr waren sämtliche Akteure gezwungen, sich eine eigene Meinung über die Ereignisse zu bilden und dabei die Haltung und Absichten der übrigen Mitstreiter zu berücksichtigen. Aus dieser multiperspektivischen Betrachtung heraus ist es möglich, den zeitgenössischen griechischen und türkischen Standpunkt jeweils in seinen Grundlinien zu rekonstruieren. Lediglich Alexandros Nafpliotis hat diese Frage in einem breiteren Zusammenhang in seiner Studie über Großbritannien und die griechischen Obristen ansatzweise aufgegriffen: Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels. Eine eigenständige Arbeit zu dieser Thematik existiert bislang noch nicht.

I. Einleitung

13

den. Dies schloss auch Darstellungen und Berichte der Militärattachés ein. Nicht zuletzt schufen Lagebeurteilungen, Gespräche der Staatsoberhäupter der einzelnen Mitgliedsstaaten mit dem NATO-Generalsekretär sowie Debatten der führenden Politiker mit ihren jeweiligen Beratern ein umfassendes, multiperspektivisches Gesamtbild. a) Gedruckte Quellen und Memoiren An veröffentlichten Quellen sind zunächst die Bände der Reihe »Foreign Relations of the United States« (FRUS) zu nennen, die sowohl in gedruckter Form vorliegen, aber auch elektronisch im World Wide Web zur Verfügung stehen.37 Diese Bände decken zwischenzeitlich den Zeitraum von 1955 bis 198038 ab und zeichnen sich durch eine hohe Dichte an Berichten, Protokollen, Telegrammen und Telefonkonferenzen zur Haltung und dem Umgang der US-Regierung und des State Department mit dem griechisch-türkischen Konflikt aus. Meldungen oder Berichte der amerikanischen NATO-Botschafter tauchen eher spärlich auf, weshalb die FRUS insgesamt nur punktuelle, mitunter auch lediglich indirekte Einblicke in den Umgang der NATO mit dem griechisch-türkischen Konflikt gewähren. Dessen ungeachtet erweisen sich die Inhalte der FRUS mit Blick auf das Wechselspiel zwischen der Bündnispolitik der NATO und der amerikanischen Außenpolitik gegenüber Griechenland und der Türkei als unverzichtbar. Auch spiegeln sie den Stellenwert wider, den Washington der Allianz in den einzelnen griechisch-türkischen Krisen beimaß. Folglich stellen die Akten der FRUS unter den gedruckten Beständen die wichtigsten Quellen dar. Bisweilen enthüllen sie auch Schlüsselinformationen zu internen Vorgängen und Entscheidungen der griechischen und türkischen Regierungen. An zweiter Stelle sind die Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland (AAPD)39 zu nennen. Neben den Dokumenten zur bundesdeutschen Außenpolitik gegenüber Griechenland, Zypern und der Türkei fallen hier vor allem die Drahtberichte der deutschen NATO-Botschafter in Paris und Brüssel an das Auswärtige Amt ins Auge. Allerdings bieten diese Dokumente mitunter nur bruchstückhafte Einblicke in die Lagebeurteilungen und Handlungsabläufe auf NATO-Ebene; sie geben in erster Linie deutsche Einschätzungen und Auffassungen wider. Jedoch erweisen sich insbesondere die zahlreichen Fußnoten und Querverweise auf inhaltlich nahestehende Dokumente im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA) als hilfreich. Neben den deutschen Akten existiert seit 2002 auch eine Bandreihe der Documents Diplomatiques Français.40 In Ergänzung zu den deutschen Akten bieten diese einen Einblick in die französische Sichtweise zum Umgang der NATO mit dem Konflikt und reflektieren die Kernziele der nationalen Außenpolitik Frankreichs.

37

38 39 40

FRUS, 1952‑1954, vol. 8, University of Wisconsin Digital Collections (UWDC), , letzter Aufruf 12.1.2017; Historical Documents. Foreign Relations of the United States (FRUS) 1955-1980. In: United States Department of State. Office of the Historian, , letzter Aurfruf 12.1.2017. Der Zeitraum bis 1988 ist derzeit in Vorbereitung. AAPD, 1963‑1985. Documents Diplomatiques Français, 1954‑1968.

14

I. Einleitung

An gedruckten Quellen zu nennen sind des Weiteren die Memoiren des ehemaligen amerikanischen Diplomaten Parker T. Hart41 (1990), der ehemaligen NATO-Generalsekretäre Paul-Henri Spaak42 (1969) und Dirk Stikker43 (1966) sowie des späteren griechischen Außenministers Dimitri Bitsios (1975)44. Spaak liefert aus seiner persönlichen Wertung heraus einen kurzen Einblick in die diplomatischen Verhandlungen um Zypern unter dem Dach der NATO in den 1950er Jahren. Stikker unterstreicht mit Blick auf die Zypernkrise des Jahres 1964 seinen eng begrenzten Spielraum als NATO-Generalsekretär. Beide Autoren neigen in diesem Kontext allerdings dazu, den Ausfluss ihrer persönlichen Bemühungen hervorzuheben, um ihre eigene Amtsperiode als Erfolgsgeschichte zu schildern. Parker T. Hart beschreibt die griechisch-türkischen Krisen der Jahre 1965 und 1967 aus seiner Sicht als ehemaliger amerikanischer Botschafter in Ankara. Dimitri Bitsios wiederum gewährt punktuelle Einblicke in die Zypernkrisen der 1950er und 1960er Jahre und schildert die innergriechischen Entscheidungsabläufe vom Standpunkt eines ehemaligen griechischen Politikers. Neben den bisher genannten Quellen gilt es auch das seit 1931 geführte Periodikum »Archiv der Gegenwart« (AdG, ursprünglich: Keesings Archiv der Gegenwart) zu erwähnen.45 Die Reihe bietet einen detaillierten Überblick über die verschiedenen zeitgenössischen Berichte der Weltpresse. Wenngleich die Hintergründe der einzelnen Ereignisse zumeist verschlossen bleiben, bieten die Verlautbarungen ein umfassendes Bild der Wahrnehmung des bündnisinternen Konflikts in den zeitgenössischen Printmedien und der Öffentlichkeit. Schlussendlich gilt es auch die Erklärungen und (Abschluss-)Kommuniqués der Ministertagungen des Nordatlantikrates und der Gipfeltreffen der Bündnismitglieder in den Blick zu nehmen.46 Diese liefern dem Historiker zur vorliegenden Thematik jedoch zumeist mehr Fragen als Antworten und sind daher lediglich geeignet, einen ersten Einstieg in das Thema zu finden. b) Quellenlage in den Archiven Das britische Nationalarchiv (The National Archives, TNA) in Kew (ehemals Public Record Office) weist für die 1950er Jahre vor allem im Bestand FO  371 eine schier unerschöpfliche Vielzahl an Telegrammen zwischen dem Londoner Foreign Office und dem Britischen Ständigen Vertreter bei der NATO in Paris auf, die den Umgang des NATO-Rates und des NATO-Generalsekretärs mit den griechisch-türkischen Auseinandersetzungen um Zypern detailreich dokumentieren. Teilweise haben die Berichterstat41 42 43 44 45 46

Hart, Two NATO Allies at the Threshold of War. Spaak, Memoiren. Stikker, Bausteine. Bitsios, Cyprus. AdG, Jahrgänge 24‑59, 1955‑1989. Erklärungen und (Abschluss-)Kommuniqués der Ministertagungen des Nordatlantikrates. In: Archiv der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpakt-Organisation Brüssel, , letzter Aufruf 12.1.2017.

I. Einleitung

15

ter sogar Emotionen und Stimmungslagen der beteiligten Akteure akribisch festgehalten. The National Archives zeigen sich bei der Offenlegung von Dokumenten weit weniger restriktiv als die nationalen Archive anderer NATO-Mitgliedsstaaten. Dort lassen sich zahlreiche Protokolle zu Sondersitzungen des NATO-Rats auffinden, deren Inhalte im NATO-Archiv unter Verschluss stehen. Das Schriftgut ergänzt sich durch Telegramme der britischen Botschafter in Ankara und Athen zur Haltung und Einstellung der griechischen und der türkischen Regierung gegenüber den Schlichtungs- und Vermittlungsversuchen der Atlantischen Allianz. Gleiches gilt für die Bestände des Colonial Office, dessen Aktenbestände sich mit denen des Foreign Office in weiten Teilen überschneiden. Nach 1959 nimmt die Dokumentendichte jedoch schlagartig ab. Die Bestände des FO und des späteren Foreign Commonwealth Office (FCO, nach Verschmelzung des Foreign Office mit dem Colonial Office seit 1968) weisen für die 1960er Jahren schwindende Zahlen an relevanten Akten auf. Erst für die 1970er Jahre ist wieder ein Anstieg zu verzeichnen, wenngleich die Aktenfülle nicht annähernd das Ausmaß der 1950er Jahre erreicht. Die Bestände nach 1981 wurden noch nicht geordnet und sind daher der Öffentlichkeit bis auf wenige Ausnahmen nicht zugänglich. Trotz der vorhandenen Lücken stellten die britischen Dokumente für die vorliegende Studie den dichtesten, aufschlussreichsten und relevantesten Quellenbestand dar. Das Politische Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin verfährt in seiner Freigabepolitik ähnlich großzügig wie The National Archives. Mit Ausnahme der Dokumente ab 1985 bestehen bei der Suche nach Quellen nur wenige Zugangsbeschränkungen. Auf Antrag können teilweise auch Akten der späten 1980er und 1990er Jahre eingesehen werden. Der Bestand B 150, dessen Inhalt in Findbüchern erfasst wurde und die Grundlage für die Bandreihe der gedruckten Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland bildet, verfügt über eine ansehnliche Zahl an Schriftgut über den Umgang der NATO mit ihren südöstlichen Bündnispartnern. Wenngleich die Überlieferung des Politischen Archivs nicht annähernd an die Quellendichte in TNA heranreicht, bieten die deutschen Akten nicht wenige Informationen, deren Inhalte in den amerikanischen Archiven bis heute nicht zugänglich sind. Dies betrifft insbesondere die Bestände der 1970er Jahre. Auch spiegeln die deutschen Akten wie kaum ein anderes Archiv anhand von Presseverlautbarungen und Äußerungen politischer Handlungsträger – aus deutscher Sicht – die Haltung und Zielsetzung der Sowjetunion in den griechisch-türkischen Krisen wider. Das Politische Archiv erweist sich daher für die Zeiträume ab 1960 als wertvolle Fundstätte. Ähnliches gilt für das Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, in Freiburg i.Br. Das Militärarchiv bietet in den Beständen BW  1 bis 4 in erster Linie Aktenbestände der Führungsstäbe des Bundesministeriums der Verteidigung (FüS I bis III), Berichte und Stellungnahmen des bundesdeutschen Militärvertreters beim NATO-Militärausschuss in Washington sowie Drahtberichte der Militärattachés in Ankara und Athen, die in den Beständen des Politischen Archivs nur teilweise aufzufinden sind. Mit Blick auf die Rückwirkungen des griechisch-türkischen Konflikts auf die Militärstruktur der NATO und deren politische Folgen in den 1970er Jahren stellten die Bestände eine unverzichtbare Ergänzung zum übrigen Archivgut dar. Im politischen Archiv der NATO in Brüssel findet sich vor allem in den Beständen der Council Records (C-R) und der Council Minutes (C-M) theoretisch eine bis

16

I. Einleitung

zum Jahr 1980 reichende, nicht zu unterschätzende Zahl an Akten und Aufzeichnungen zur Auseinandersetzung des Bündnisses mit dem Konflikt seiner beiden südöstlichen Mitglieder. Neben offiziellen Protokollen der NATO-Ratssitzungen liegen dort mitunter auch wortgetreue Mitschnitte der einzelnen Konferenzen vor. Die NATO verfährt in der Praxis des Aktenzugangs jedoch betont restriktiv, soweit es sich um Fragen der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen handelt. Das Archiv behält sich gemäß den vertraglichen Verpflichtungen der NATO vor, die entsprechenden Dokumente nur mit Zustimmung sämtlicher Mitgliedsstaaten für die Forschung freizugeben. So wurden mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand bislang nur wenige Schriftstücke offengelegt. Griechenland und die Türkei, aber auch das US-Außenministerium verweigern in zahlreichen Fällen bis heute ihre Einwilligung. Bi- oder multilaterale Schriftwechsel, Protokolle über Debatten und Sondersitzungen des NATO-Rates sowie inoffizielle Gespräche und Stellungnahmen der NATO-Vertreter werden bis heute systematisch dem öffentlichen Einblick entzogen.47 Darüber hinaus lässt sich ab den 1960er Jahren eine schrittweise abnehmende Zahl an grundsätzlich offen zugänglichen Akten ausmachen. Insgesamt werden hinsichtlich der griechisch-türkischen Krisen die meisten Schlüsseldokumente gezielt unter Verschluss gehalten. Das kleine Archiv der belgischen Fondation Paul-Henri Spaak bildet für den Bereich der 1950er Jahre eine wertvolle Ergänzung zu den TNA-Beständen. Die dort verfügbaren Dokumente über den Schriftverkehr zwischen Generalsekretär Spaak und den beteiligten Akteuren bestätigen zahlreiche inhaltliche Aussagen der britischen Quellen. Die Aktenbestände der National Archives and Records Administration (NARA) in Washington erwiesen sich für die Studie weit weniger ergiebig als erwartet. Zahlreiche Bestände, darunter der relevante Bestand RG  59, enthalten den Findbüchern zufolge zwar etliche Telegramme und Berichte, die dem Historiker wertvolle Aufschlüsse geben könnten. Jedoch stehen insbesondere diese Dokumente nach wie vor unter Verschluss. Nichtsdestoweniger finden sich im NARA frei zugängliche Schlüsseldokumente zur Zypernkrise des Jahres 1967, die inhaltliche Vakanzen der britischen und deutschen Quellenbestände ausgleichen. Die Presidential Library von Gerald Ford in Ann Arbor, MI verfügt in den NSABeständen über eine ansehnliche Aktenfülle zur Rolle der amerikanischen Regierung in den griechisch-türkischen Auseinandersetzungen seit 1974. Neben dem fernschriftlichen Verkehr zwischen dem State Department und den amerikanischen Botschaftern in Ankara, Athen und Nikosia finden sich dort auch etliche Memoranden und Telegramme aus dem Umkreis des Nationalen Sicherheitsrates und des US-Präsidenten. Sobald die Angelegenheiten einen NATO-Bezug enthalten, wird äußerst restriktiv verfahren: Sitzungsprotokolle über Konferenzen des NATO-Ministerrats, Beratungen Gerald Fords mit Generalsekretär Joseph Luns oder den NATO-Botschaftern der anderen Mitgliedsstaaten sind – wie auch im NARA – dem öffentlichen Zugriff vorenthalten. Dies schließt insbesondere Berichte und Stellungnahmen zu den Auswirkungen des griechisch-türkischen Konflikts auf die militärische Einsatzfähigkeit der NATO ein. In den meisten Fällen konnten daher lediglich Vorbereitungspapiere zu den Beratungen und Sitzungen 47

Dies wurde sowohl aus NATO-eigenen Findbüchern, aber auch durch einen kurzen Überblick der Bandbreite der unter Verschluss stehenden Dokumentenbestände ersichtlich.

I. Einleitung

17

des amerikanischen Präsidenten mit den Organen der NATO eingesehen werden. Diese Dokumente geben zwar nicht den tatsächlichen Gesprächsverlauf wider, führen aber zumindest die Argumentationsstränge auf, welche die nationalen Sicherheitsberater dem Präsidenten für dessen Besprechungen an die Hand gaben. Mitunter enthalten die Papiere auch amerikanische Bewertungen zur Haltung und den Zielsetzungen von NATOGeneralsekretär Luns. Ansonsten wurden lediglich einige Fernschreiben des amerikanischen NATO-Vertreters zur Einsicht freigegeben. Hier handelt es sich allerdings meist um kürzere Meldungen, die sehr sparsam mit Detailinformationen umgehen. Einen weiteren Baustein bilden auch die täglichen Lageberichte des außen- und sicherheitspolitischen Beraters im Weißen Haus. Die Dokumente erwähnen stellenweise Versuche der Allianz, die politische und militärische Situation an der Südostflanke zu stabilisieren. Davon abgesehen lässt aber auch das Ford-Archiv zahlreiche Fragen unbeantwortet. Noch weit restriktiver verhält sich die Presidential Library von Richard Nixon in Los Angeles. Den dortigen Inhaltslisten zu den Unterlagen des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates (NSC) und den Sitzungspapieren der Washington Special Action Group (WSAG) lässt sich entnehmen, dass nahezu sämtliche Berichte des amerikanischen NATO-Botschafters über den Umgang der Allianz mit den griechisch-türkischen Auseinandersetzungen systematisch dem öffentlichen Zugriff entzogen werden. Dies trifft sowohl auf den Konflikt um Zypern als auch auf die Streitigkeiten in der Ägäis zu. Die Masse der Aktenbestände wird unter Verschluss gehalten, obwohl die FRUS bereits Teile daraus veröffentlicht haben.48 Im Ergebnis können in der Nixon Library daher nur wenige Quellen eingesehen werden. Die Presidential Library von Ronald Reagan im Simi Valley, CA verfügt wohl wie kaum ein anderes ihrer Schwesterarchive über eine Fülle an Material zur NATO und dem griechisch-türkischen Konflikt in den 1980er Jahren. Jedoch liegen die Quellen auch hier nahezu vollständig unter Verschluss. Teilweise trifft dies auch auf Akten zu, die formal nicht als Verschlusssache gelten.49 Das Reagan-Archiv unterscheidet sich hier nicht wesentlich von der Nixon Library. Lediglich in den Country-Files (Teilbestand der White House Staff Office Files) zu Griechenland und der Türkei ließen sich einige verstreute Hinweise zum Umgang der NATO mit dem griechisch-türkischen Konflikt in den 1980er Jahren auffinden. Die wichtigsten Bestände zur Erforschung des Untersuchungsgegenstandes liegen somit in den britischen und deutschen Archiven; die relevanten Dokumente im NATOArchiv und in den amerikanischen Lagerorten stehen meist noch unter Verschluss. Für 48

49

Hier handelt es sich beispielsweise um: FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 16, Telegramm des amerikanischen Ständigen Vertreters an das State Dep. vom 4.7.1974, hier: Geplante Maßnahmen des NATO-Generalsekretärs zur Entspannung des griechisch-türkischen Streits um die ägäischen Ressourcen; und ebd., doc. 15, Interagency Intelligence Memorandum vom 21.6.1974, hier: CIABericht über die Höhe der Wahrscheinlichkeit einer militärischen griechisch-türkischen Auseinandersetzung. Dazu der als Verschlusssache markierte Bestand: Nixon Presidential Materials, NSC Files, Box 1312, Contingency Plans 1974, Cyprus and Greek-Turkish Contingency Plans. Während meines Archivaufenthalts befand sich eine leitende Mitarbeiterin der Kommission vor Ort, die für die Freigabe der Quellen für die Bandreihe der FRUS verantwortlich zeichnete. Sie teilte mir im Rahmen eines längeren Gesprächs mit, die NATO selbst lege großen Wert darauf, möglichst wenig Aktenmaterial offenzulegen. Das State Department gehe hier lediglich mit den Anliegen der anderen Mitgliedsstaaten konform.

18

I. Einleitung

die zweite Hälfte der 1960er Jahre lässt sich eine generell abnehmende Tendenz an verfügbaren Quellen ausmachen, die sich mit Beginn der 1970er Jahre spürbar verstärkt. Eine Ausnahme bildet mit Blick auf die deutschen und britischen Archive lediglich die Zypernkrise im Sommer 1974. Für die 1980er Jahre wiederum sind die Akten häufig nur rudimentär erschlossen, und sie stehen meist nur in Bruchteilen zur Verfügung. Die für die Forschung freigegebenen NATO-eigenen Dokumente des Archivs in Brüssel vermitteln einen Eindruck über die diplomatischen Gepflogenheiten innerhalb des Nordatlantischen Bündnisses. Auch zeichnen sie ein Bild von der NATO als zoon politikon, das eine bündniseigene Perzeption der Probleme der Allianzmitglieder an seiner Südostflanke entwickelte.50 Diese offiziellen Lagebeurteilungen wurden den Realitäten des griechisch-türkischen Konflikts jedoch nicht immer gerecht. Insbesondere verschwiegen sie die psychologischen Aspekte. Wie Vamik Volkan in seiner psychoanalytischen Studie aus dem Jahr 1999 beschreibt, spielen derartige Faktoren für den Ausgang diplomatischer Verhandlungen eine Rolle, die von Historikern bisweilen unterschätzt wird.51 Die Schlusskommuniqués, amtlichen Protokolle und Stellungnahmen der NATO geben die emotionale, von tiefsitzendem Nationalstolz geprägte Brisanz der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen nur in Ausnahmefällen wider. Im Gegensatz dazu lieferten die Berichte des britischen NATO-Botschafters an das Foreign Office nicht selten ein ungeschminktes Bild über die Polemik und Schärfe der griechisch-türkischen Debatten im NATO-Rat.

50 51

Zur NATO in ihrer Eigenschaft als zoon politikon siehe auch die Ausführungen von Winfried Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 7. Volkan, Das Versagen der Diplomatie, S. 200‑221.

II. Historische Rahmenbedingungen 1. Der griechisch-türkische Antagonismus im 20. Jahrhundert Die Ursprünge des griechisch-türkischen Antagonismus werden in der griechischen und türkischen Historiografie teilweise bis auf das Ereignis der Schlacht bei Manzikert im Jahre 1071 zwischen dem Heer des Sultans der Großseldschuken, Alp Arslan, und dem byzantinischen Kaiser Romanos IV. Diogenes zurückgeführt.1 Die naheliegenden Ursachen der Spannungen seit 1954 finden ihren Platz jedoch überwiegend in der jüngeren Geschichte der beiden Staaten. Der Griechisch-Türkische Krieg von 1919 bis 1922 und die Folgen der Friedenskonferenz von Lausanne im Jahre 1923 bilden hier zwei Schlüsselereignisse. Der Krieg zwischen Griechen und Türken in Anatolien war ein direktes Resultat des Zusammenbruchs des Osmanischen Reiches im Jahre 1918.2 Griechische Truppen drangen 1919 in Kleinasien ein mit dem Ziel, die pangriechische Vision der Megali Idea mit Konstantinopel als neuer Hauptstadt Wirklichkeit werden zu lassen.3 Diese Idee hatte sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausgebildet und spiegelte den Traum einer politischen Vereinigung aller griechisch bewohnten Territorien im östlichen Mittelmeer wider. Der Krieg endete jedoch im September 1922 mit der Niederlage des griechischen Heeres gegen die türkischen Verteidiger. In der Türkei wird dieses Ereignis heute noch als Auftakt zur Unabhängigkeit und nationalen Befreiung des Landes betrachtet, in Griechenland dagegen als »Kleinasiatische Katastrophe«. Im Friedensvertrag von Lausanne von 1923 einigten sich die Kriegsgegner auf eine wechselseitige, gewaltsame Bevölkerungsverschiebung, welche die zwangsweise Umsiedlung von 1,2 Millionen ethnischen Griechen aus Ostthrakien und der Westtürkei sowie von rund 400 000 Türken aus Westthrakien und der Ägäis nach sich zog. Dem türkischen Historiker Çağlar Keyder zufolge 1 2

3

Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 15. Das detaillierteste Werk hierzu (erschienen in fünf Bänden) stammt aus dem Jahr 2000: Shaw, From Empire to Republic. Über den zweiten Griechisch-Türkischen Krieg (1919‑1922) existiert ansonsten bis heute nur wenig internationale Literatur. Das kürzlich erschienene Buch von Philip Jowett (2015) stellt in erster Linie einen illustrierten Bildband zur zeitgenössischen griechischen und türkischen Armee dar: Jowett, Armies of the Greek-Turkish War. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 56‑61; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 13; Hirschon, »Unmixing Peoples« in the Aegean Region, S. 4; zur Megali Idea siehe auch Zelepos, Die Ethnisierung griechischer Identität; sowie den älteren Band von Michael Llewellyn Smith, Ionian Vision. Zur geografischen Vorstellung der Vision siehe u.a. Stouraiti/Kazamias, The Imaginery Topographies of the Megali Idea.

DOI: 10.1515/9783110465273-002

20

II. Historische Rahmenbedingungen

stellt diese ethnische Homogenisierung eine der wichtigsten Grundlagen für die Herausbildung der nationalen Identität des türkischen Volkes nach dem Ersten Weltkrieg dar.4 Da diese Nationsgründung jedoch auf ethnischen Vertreibungen fußt und daher völkerrechtlich fragwürdig ist, wird das Ereignis in der türkischen Geschichtsschreibung und in der kollektiven Erinnerungskultur der Türkei bis heute weitgehend verdrängt.5 In der griechischen Wahrnehmung stellt der Exodus dagegen ein Trauma dar, das sowohl in der Literatur als auch in der Benennung griechischer Stadtteile und Ortsnamen ihren Ausdruck findet. Daneben beseitigte die Konvention über den Bevölkerungsaustausch bei Weitem nicht alle Probleme zwischen den beiden Staaten. Der tiefsitzende Nationalstolz beider Völker und die traditionellen Rivalitäten blieben unverändert bestehen.6 Streitigkeiten um Fischereirechte in der Ägäis, Fragen der Remilitarisierung der griechischen Inseln vor der türkischen Westküste und der türkische Umgang mit der verbliebenen griechischorthodoxen Minderheit in Izmir und Istanbul bildeten weiterhin potenzielle Konfliktfelder.7 Vor allem aber hatte sich die ethnische Entflechtung des Jahres 1923 nicht auf die griechisch-türkische Mischbevölkerung Zyperns erstreckt. Als britische Kronkolonie war die Insel nicht in das Abkommen über den Bevölkerungsaustausch einbezogen worden. Folglich blieb die Frage, ob Griechenland und die Türkei nicht eines Tages versuchen könnten, Zypern zu annektieren und die jeweils andere Volksgruppe gewaltsam zu vertreiben.

2. Die Aufnahme beider Staaten in das Nordatlantische Bündnis und die griechisch-türkischen Beziehungen zu Beginn der 1950er Jahre Griechenland und die Türkei wurden nicht ohne Vorbehalte in das Atlantische Bündnis aufgenommen.8 In den Diskussionen, die die europäischen Mitglieder des Brüsseler Paktes9 (Frankreich, Großbritannien und die Beneluxstaaten) und ihre transatlantischen Partner Kanada und die Vereinigten Staaten führten, stand 1948 zeitweise sogar die Frage im Raum, ob überhaupt Italien als Mittelmeeranrainer im künftigen »atlantischen« Bündnis einen Platz finden sollte.10 Kanada und die Beneluxstaaten sprachen sich gegen die Erweiterung des geplanten Atlantikpaktes auf Staaten des östlichen Mittelmeers und des Nahen Ostens aus.11 Der türkische Botschafter erhielt im November 1948 in der amerikanischen Hauptstadt auf seine Anfrage nach einer türkischen Mitgliedschaft eine 4 5 6 7 8 9

10 11

Keyder, The Consequences of the Exchange of Populations for Turkey, S. 40. Ebd.; Millas, The Exchange of Populations in Turkish Literature, S. 224‑230. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 61 f. Bilgic, Turkish-Greek Relations, S. 85 f.; Oran, The Story of Those Who Stayed, S. 102 f. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 278. Der Brüsseler Pakt war ein europäisches Verteidigungsbündnis der Nachkriegsära, dem zu diesem Zeitpunkt Frankreich, Großbritannien und die Beneluxstaaten angehörten. Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, S. 97‑112, zufolge stellte der Pakt zentrale Weichen für die Gründung der NATO im Jahre 1949. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. XXVIII (Einleitung). Ebd.; Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, S. 360.

II. Historische Rahmenbedingungen

21

höfliche Absage. Das State Department teilte Ankara mit, dass sich der vorgesehene Gründungsvertrag lediglich auf Staaten der nordatlantischen Region beziehe.12 Aus Sicht der amerikanischen und europäischen Entscheidungsträger musste es genügen, dass die Türkei und das bürgerkriegsgeplagte Griechenland von Washington auf unilateralem Wege politisch, wirtschaftlich und militärisch gestützt wurden.13 Ankara hatte sich 1947 zunächst um die Bildung eines Verteidigungspaktes für das östliche Mittelmeer bemüht. Der Vertrag sollte neben der Türkei auch Griechenland und das Königreich Ägypten umfassen.14 Nichtsdestoweniger strebten sowohl Ankara als auch Athen bereits im Folgejahr danach, auf die eine oder andere Weise unter den Schutzschirm eines amerikanisch dominierten Verteidigungsbündnisses in Europa zu gelangen. Die Vereinigten Staaten leisteten zwar Wirtschafts- und Rüstungshilfe, doch hatten beide Staaten bis zu diesem Zeitpunkt kein verbrieftes Anrecht darauf. Man war diesbezüglich ganz vom Wohlwollen Washingtons und dessen geostrategischen Interessen abhängig. Demnach stand die amerikanische Unterstützung, so die griechische und türkische Einschätzung, auf unsicherer Basis. Ferner erhoffte sich Ankara mit seiner Mitgliedschaft in einer euroatlantischen Militärallianz den Zugang zu hochwertigen amerikanischen Rüstungsgütern und umfassenden Schutz gegen die sowjetische Bedrohung aus dem Norden. Geopolitisch betrachtet hatte das Land dem US-Partner durchaus etwas zu bieten. In Washingtons Augen war die Türkei Anfang der 1950er Jahre nicht nur Hüterin der strategisch bedeutsamen Meerengen am Bosporus und den Dardanellen. Vielmehr bildete die anatolische Halbinsel das Schlüsselgelände zur Eindämmung des sowjetischen Expansionsdrangs in Richtung des östlichen Mittelmeers und der Ölquellen des Persischen Golfs.15 Das Land bot zudem günstige Möglichkeiten für den Ausbau amerikanischer Militärstützpunkte und Flugplätze.16 Nicht zuletzt verfügten die türkischen Streitkräfte über eine hohe Personalstärke. Indes bedurfte die türkische Armee dringender, organisatorischer Reformen und einer umfassenden technischen Modernisierung, deren Umsetzung aus Sicht der westlichen Aliierten nur im Rahmen einer dauerhaften NATO-Mitgliedschaft des Landes realistisch erschien.17 Griechenland hingegen hatte spätestens seit dem Ende des Bürgerkrieges im Jahre 1950 ein handfestes Interesse an einer Aufnahme in das junge Bündnis.18 Die Motive Athens unterschieden sich dabei nicht wesentlich von den Beweggründen Ankaras. Die griechische Regierung strebte danach, einen Schutzschirm gegen die kommunistische Bedrohung aus Bulgarien und Rumänien zu erhalten und gleichzeitig in den Genuss vertraglich festgesetzter Militär- und Wirtschaftshilfen zu gelangen, die das Land stabilisieren und den Rückfall in einen neuen Bürgerkrieg verhindern sollten. Athen hielt seinen Anspruch auf eine Mitgliedschaft im westlichen Bündnis auch insofern für ge12 13 14 15 16 17 18

Bagci, Die türkische Außenpolitik 1945‑1956, S. 282. Kofas, Die amerikanische Außenpolitik, S. 86‑108; Clogg, Greece 1940‑1949; Richter, Griechenland 1940‑1950, S. 218‑443. Nähere Details hierzu auch in Kap. III. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. XXVII (Einleitung), S. XXIX und S. 3 f. Kuniholm, The Evolving Strategic Significance, S. 314 f.; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 15; Cohen, Strategy and Politics in the Middle East, S. 74. Athanassopoulou, Turkey – Anglo-American Security Interests, S. 119 und S. 139. Kuniholm, The Evolving Strategic Significance, S. 314 f.; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 15; Cohen, Strategy and Politics, S. 74. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 4.

22

II. Historische Rahmenbedingungen

rechtfertigt, als sich griechische Partisanen während des Zweiten Weltkrieges aktiv am Widerstand gegen die deutsche Wehrmacht beteiligt hatten.19 Darüber hinaus bildete die peloponnesische Halbinsel ein bedeutsames Bindeglied zwischen Europa und der Türkei und erschwerte Moskau den Zugang zum Mittelmeer.20 Die rasanten weltpolitischen Entwicklungen veränderten binnen Kürze die Bedrohungsperzeption des Atlanischen Bündnisses. Der Koreakrieg und die damit einhergehende, vermeintliche Expansion der Sowjetunion in Fernost rückten auch den Orient ins Zentrum möglicher Begehrlichkeiten des Kremls. Die britischen und amerikanischen Verteidigungsplaner diskutierten über die Frage, ob im Falle eines sowjetischen Überfalls auf den Vorderen Orient lediglich der Nahe Osten als »Innerer Ring« entlang des Mittelmeeres bis nach Ägypten gehalten werden sollte.21 Washington und die amerikanischen Stabschefs (Joint Chiefs of Staff) hielten jedoch die Verteidigung des gesamten Mittleren Ostens als »Äußerem Ring« (späteres Northern Tier Concept) für unverzichtbar und brachten Griechenland und die Türkei an diesem Punkt wieder ins Spiel. Auf Drängen der griechischen und türkischen Regierung, die mit ihrer Beteiligung am Koreakrieg ihren militärischen Wert als potenzielle Bündnismitglieder unter Beweis stellen wollten, konnte Washington 1951 schließlich die skeptischen europäischen Partner, allen voran Norwegen und die Niederlande, von der Notwendigkeit einer Aufnahme der beiden Mittelmeeranrainer in das Atlantische Bündnis überzeugen.22 Das historisch gewachsene Spannungsverhältnis zwischen Griechenland und der Türkei hatte in diesem Prozess keine Rolle gespielt. Allerdings hatten die beiden Staaten vor ihrem NATO-Beitritt auch kaum Anzeichen erkennen lassen, die auf eine Verschlechterung ihrer Beziehungen hindeuteten.23 Die griechische Presse hatte zwar Streitigkeiten mit der Türkei um Fischereirechte in der Ägäis beklagt, die sich vereinzelt in Übergriffen auf griechische Fischer geäußert hatten.24 Jedoch hatte der türkische Außenminister zur Freude Athens sogar versichert, Griechenland im Falle einer bulgarisch-sowjetischen Aggression militärisch zu Hilfe kommen zu wollen.25 Athen wiederum hatte im Sommer 1949 seine Freundschaft zur Türkei bekundet und die Initiative zur Gründung eines bilateralen Beistandspaktes ergriffen.26 Washington seinerseits hatte die beiden östlichen Mittelmeeranrainer lediglich hinsichtlich ihres Beitrages zur Eindämmung des sowjetischen Expansionsstrebens und der Verteidigung des Bündnisgebiets der NATO bewertet.27 Die Gefahr bilateraler Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und der Türkei bildete im Zuge der Debatten um die Aufnahme der beiden Staaten weder im 19 20 21 22

23 24 25 26 27

Manousakis, Griechenland und die NATO, S. 272. Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, S. 357. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 2‑17; Kuniholm, The Evolving Strategic Significance, S. 342‑347; Cohen, Strategy and Politics, S. 67‑79; Stearns, Entangled Allies, S. 75. Stearns, Entangled Allies, S. 75; Kuniholm, The Evolving Strategic Significance, S. 347. Zur türkischen Beteiligung am Koreakrieg siehe auch den kürzlich erschienenen Aufsatz von Mesut Uyar und Serhat Güvenç, One Battle and Two Accounts. Manousakis, Griechenland und die NATO, S. 273. Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.6.1951 und 2.10.1951, NARA, RG  59, NND 842929. Ebd. Athanassopoulou, Turkey – Anglo-American Security Interests , S. 190‑192. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 79 f.; Stearns, Entangled Allies, S. 75.

II. Historische Rahmenbedingungen

23

NATO-Rat noch auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs einen Gesprächsgegenstand. Das Foreign Office hatte in der Frage nach der Zukunft der britischen Kronkolonie Zypern zwar einen möglichen Zündstoff für das Verhältnis zwischen London und Athen erkannt und die amerikanische Regierung vergeblich aufgefordert, den NATOBeitritt Griechenlands an die griechische Zusage zu knüpfen, die künftigen Beziehungen unter den Mitgliedsstaaten nicht mit derartigen Angelegenheiten zu belasten. Die Gefahr eines griechisch-türkischen Konflikts um die Insel war dabei jedoch von keinem der Beteiligten in Betracht gezogen worden.

3. Die militärische Bedeutung der Südostflanke in den frühen 1950er Jahren aus Sicht der NATO Auf den ersten Blick hatte die NATO mit dem Beitritt Griechenlands und der Türkei einen beachtlichen militärischen Zugewinn erhalten.28 Die 34 zusätzlichen Divisionen, die Griechenland und die Türkei in das Bündnis einbrachten, schienen die konventionelle Unterlegenheit der Allianz gegenüber der Sowjetunion auszugleichen.29 Ferner sahen die Überlegungen des SACEUR General Dwight D. Eisenhower vor, die Territorien Griechenlands und der Türkei künftig als Basen zu nutzen, um im Falle eines sowjetischen Angriffs in Mitteleuropa atomare Gegenschläge aus der Luft und von der See her gegen das Kernland der UdSSR führen zu können.30 Der Gegenangriff von Süden sollte dabei in einer gemeinsamen Operation mit der Nordflanke zangenartig erfolgen. Tatsächlich aber stand in den militärischen Führungsstäben der NATO die Frage im Raum, ob Griechenland und die Türkei für das Bündnis nicht eher eine Belastung denn eine Verstärkung darstellten.31 Die neuen Truppenverbände an der Südostflanke bedeuteten für die Verteidigung Europas keinen Zugewinn, sondern stärkten das Bündnis bestenfalls auf dem Papier. Abgesehen vom strategischen Nutzen, den die NATO mit der Kontrolle über den Bosporus und die Dardanellen erhielt, konnten die beiden neuen Partner nur wenig zur aktiven Verteidigung des Bündnisgebiets beitragen. Nicht nur die türkische, sondern auch die griechische Armee war weit vom technischen und organisatorischen Stand moderner Streitkräfte entfernt. Im Falle einer bewaffneten Konfrontation mit sowjetischen Truppen in Mitteleuropa war nicht damit zu rechnen, dass sie ihren Verbündeten wirksam zu Hilfe kommen könnten. Vielmehr gingen die Strategen der NATO davon aus, dass Griechenland und die Türkei im Bündnisfall kaum imstande wären, ihr eigenes Staatsgebiet gegen eine Aggression vonseiten Bulgariens, Rumäniens oder der Sowjetunion zu verteidigen. Stattdessen hätten sie der massiven Unterstützung der NATO-Verbündeten bedurft, allen voran der 28

29 30 31

Einen detaillierten Überblick über die Ursprünge und die Entwicklung der integrierten Militärstruktur der NATO liefert der neue Aufsatz von Dieter Krüger, Institutionalizing NATO’s Military Bureaucracy. Rebhan, Der Aufbau des militärischen Instruments der NATO, S. 223. Kuniholm, The Evolving Strategic Significance, S. 345. Lemke, Die Allied Mobile Force, S.  135 und S.  158  f.; Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 12‑87.

24

II. Historische Rahmenbedingungen

6. US-Flotte. Die Allianz hätte sich damit jedoch der Gefahr ausgesetzt, ihre Fronten zu überdehnen, statt ihre militärische Schlagkraft im europäischen Mittelabschnitt zu konzentrieren.32 Die topografischen Besonderheiten der neuen Flanke stellten für das Ziel einer geschlossenen Verteidigung ohnehin eine Herausforderung dar. Vor allem Thrakien und der Bosporus bildeten verwundbare Regionen. Ein Angreifer hätte nach Überwindung der vorgelagerten Gebirgszüge von Norden her in offenes Gelände mit – im Gegensatz zu Mitteleuropa – geringer strategischer Tiefe vorstoßen können. Ferner bildete die Südostflanke weder politisch noch strategisch eine Einheit und erschwerte auch aus geografischer Sicht den Aufbau geordneter, effektiv arbeitender Kommandostrukturen. Insgesamt war der Nutzen, den das Bündnis aus der Erweiterung seiner Südflanke auf das östliche Mittelmeer zog, zum Zeitpunkt des griechischen und türkischen Beitritts daher primär politischer und erst in zweiter Linie militärischer Natur.

32

Lemke, Die Allied Mobile Force, hier S. 136 und S. 158. Siehe das von Bernd Lemke auf S. 136 aufgeführte Zitat des stellvertretenden US-Außenministers Robert A. Lovett zur möglichen Ausdünnung an den Fronten: »spreading the butter so thin that it would not feed anyone.«

III. Die Nordatlantische Allianz und der erste griechisch-türkische Konflikt um Zypern 1955‑1959

1. Die Wurzeln der Krise Um das 14. Jahrhundert v.Chr. besiedelten griechischstämmige Einwanderer aus Kleinasien und der Ägäis die Mittelmeerinsel Zypern.1 Ihre strategisch bedeutsame Lage zur Sicherung antiker See- und Handelswege und ihre fruchtbaren Böden führten immer wieder zu wechselnden Herrschaften ägyptischer, persischer oder hellenischer Prägung.2 Seit 58 v.Chr. befand sich die Insel fest in römischer Hand. In der Spätantike gelangte Zypern schließlich unter oströmische Verwaltungshoheit, die zu einer starken kulturellen Bindung der Insel an das griechisch geprägte, byzantinische Festland führte. Mit Beginn der Kreuzzüge Ende des 12. Jahrhunderts zerbrach das Band mit Konstantinopel. Zypern fiel zunächst in die Hände von Kreuzfahrern und gelangte später in genuesischen und venezianischen Besitz. Im Jahre 1571 eroberte das Osmanische Reich die Insel, was die Ansiedlung ethnischer Türken förderte. Auf dem Berliner Kongress 1878 stimmte Sultan Abdülhamid II. einer einstweiligen Unterstellung Zyperns unter britische Verwaltung zu. Der türkische Herrscher suchte sich mit dieser Geste die diplomatische Unterstützung der britischen Krone gegen etwaige russische Gebietsansprüche im Osten seines Reiches zu sichern.3 1923 annektierte London die Insel schließlich auf Basis des Vertrags von Lausanne und gliederte sie als Kronkolonie in das Britische Empire ein. Zypern blieb dadurch von den wechselseitigen Vertreibungen der griechischen und türkischen Ethnie verschont, die der griechisch-türkische Krieg andernorts nach sich zog. Im Gegensatz zu Thrakien und der Ägäis fand die bilaterale Konvention über den wechselseitigen Bevölkerungsaustausch auf der Insel keine Anwendung. Die griechisch-zypriotische Mehrheitsbevölkerung hatte gleich nach dem Eintreffen des britischen Gouverneurs im Jahre 1878 gefordert, Zypern schrittweise in die Selbstverwaltung zu überführen und schließlich mit dem griechischen »Mutterland« zu vereinen.4 Deren Zielsetzung fußte auf dem Konzept der Megali Idea. Die Idee von der Wiederherstellung des Byzantinischen Reiches mit Konstantinopel als neuer Hauptstadt 1 2 3

4

Dodd, The History and Politics, S. 1. Horstmann, Der Zypern-Konflikt, S. 8. Ebd., S. 3; und Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 3; Richter, Geschichte der Insel Zypern, Bd 1, S. 23 f. Richter liefert mit seinem vierbändigen Werk über die Geschichte der Insel Zypern von 1878 bis 1977 die bisher detaillierteste deutschsprachige historiografische Darstellung. Dodd, The History and Politics, S. 3‑15.

DOI: 10.1515/9783110465273-003

26

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

fand 1922 mit der griechischen Niederlage in Kleinasien ein jähes Ende.5 Die Vision blieb jedoch in der griechischen Wahrnehmung lebendig. Griechisch-zypriotische Nationalisten versuchten daher schrittweise, die britische Kolonialherrschaft auf Zypern auszuhöhlen. Zu Beginn der 1930er Jahre keimten erstmals größere Unruhen in den Kommunen auf, die Gouverneur Ronald Storrs gewaltsam unterdrücken ließ.6 Nach dem Zweiten Weltkrieg erfasste die Welle weltweiter Entkolonialisierung und das Streben nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auch das östliche Mittelmeer. Die griechischen Zyprioten stellten die Legitimität der Kolonialherren aus Westeuropa immer offener in Frage und forderten wiederholt den politischen Anschluss Zyperns an Griechenland.7 Auch die türkisch-zypriotische Volksgruppe hegte den Wunsch nach politischer Selbstbestimmung;8 eine Angliederung der Insel an Griechenland lehnte sie entschieden ab. Nach den Erfahrungen der Vergangenheit lief die Ethnie in ihrer Eigenwahrnehmung Gefahr, unter griechischer Herrschaft in die Rolle einer unterdrückten Minderheit zu geraten und ihren bisherigen sozialen und politischen Sonderstatus aufgeben zu müssen. Nicht zuletzt genoss die türkisch-zypriotische Oberschicht unter der britischen Verwaltung zahlreiche Privilegien. Dementsprechend stützte die türkischstämmige Volksgruppe den Fortbestand der britischen Hoheit nach Kräften. Ende der 1940er Jahre trat unter den griechischen Zyprioten ein neuer radikaler Führer hervor. Myriarthes Michail Christodoulos Mouskos alias Erzbischof Makarios  III. entstammte einer Familie der ländlichen Mittelschicht, die traditionell enge Beziehungen zum Klerus und zu gebildeten griechisch-zypriotischen Kreisen pflegte.9 Makarios hatte in den 1930er Jahren eine theologisch-akademische Ausbildung an der Universität von Athen genossen. Seine Radikalisierung hatte er indes nicht im griechischsprachigen Raum erfahren. Vielmehr war er nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Stipendium des ökumenischen Weltkirchenrates in die Vereinigten Staaten gegangen und hatte dort an der Boston University die Geschichte des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges kennengelernt. Die Ideale der Freiheit und Selbstbestimmung der Völker beeindruckten ihn nachhaltig.10 Nicht zuletzt schienen ihn seine dortigen Kontakte zu griechischstämmigen US-Amerikanern, die ihrem ethnischen Herkunftsland eng verbunden waren, geprägt zu haben. Vermutlich hatte er in diesen Jahren seine späteren Pläne ausgearbeitet, die pangriechischen Träume seiner Landsleute Wirklichkeit werden zu lassen und Zypern unter dem Schlagwort der Enosis mit Griechenland zu vereinen. Nach seiner Rückkehr auf die Insel verstand er sich darauf, mit rhetorischen Mitteln die Leidenschaften und den Nationalstolz seiner Landsleute für sich zu gewinnen.11 Innerhalb kürzester Zeit stieg er zum unumstrittenen geistigen und politischen Führer der griechischen Zyprioten auf. Führende Kreise in Athen beschrieben ihn als fanatisch, aber 5 6 7 8 9

10 11

Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 506 f. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 14 f., Stefanidis, Isle of Discord, S. 1 f.; Bilgic, Turkish-Greek Relations, S. 168. Kelling, Countdown to Rebellion, S. 103. Dodd, The History and Politics, S. 7‑11; Kelling, Countdown to Rebellion, S. 96. Vanezis, Makarios, S. 3‑28; zu Makarios III. siehe den neuesten Aufsatz von Anagnostopoulou, Makarios III; ebenso das ältere Werk von Mayes, Cyprus and Makarios, und die neuere, aber nicht veröffentlichte Arbeit von Zelepos, Erzbischof Makarios III. Vanezis, Makarios, S. 25. Bitsios, Cyprus, S. 39 f.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

27

auch geschickt genug, einen sakralen Kult um seine eigene Person zu erschaffen, die ihn selbst zum Inbegriff der Enosis werden ließ. Auf diesem Nährboden formte er schließlich eine radikale Untergrundbewegung, die seine Pläne unter gezielter Anwendung von Gewalt in die Tat umzusetzen verstand.12 Neuer Kopf der Untergrundbewegung wurde der griechisch-zypriotische Volksheld Georgios Grivas.13 Grivas hatte während des Zweiten Weltkriegs als Partisan gegen die Deutsche Wehrmacht gekämpft und aufseiten Athens aktiv am griechischen Bürgerkrieg teilgenommen. Mit dem Abzug der letzten britischen Truppen aus Griechenland in der Späthälfte der 1940er Jahre begann daher auch die griechische Regierung, sich den kühnen Ideen des Erzbischofs zu öffnen.14 Makarios seinerseits verstand sich darauf, die politische Führung in Athen mit seinen populären Ideen unter Druck zu setzen. Die griechische Bevölkerung war ihm dabei mehr als gewogen. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereinigten Staaten im Rahmen der Truman-Doktrin begonnen, auch in Südosteuropa den sowjetischen Einfluss zurückzudrängen.15 Washington stellte Griechenland und der Türkei zu diesem Zwecke ein umfassendes Hilfsprogramm zur Verfügung. US-Präsident Harry S. Truman bemühte sich darum, das Machtvakuum in Athen zu kompensieren, das London dort nach seinem Rückzug hinterlassen hatte. Im Gegensatz zur Türkei brach in Griechenland 1946/47 jedoch ein Bürgerkrieg aus. Die kommunistische Demokratische Armee Griechenlands (Dimokratikos Stratos Elladas) führte mit albanisch-jugoslawischer und bulgarischer Unterstützung einen Guerillakrieg gegen die konservative Regierung, um der linken Volksfront zur Macht zu verhelfen. Bis zum militärischen Sieg der Regierungstruppen im Herbst 1949 war das Land daher politisch und wirtschaftlich sehr geschwächt. Dementsprechend übte das amerikanische State Department Anfang der 1950er Jahre im Rahmen der »American Mission for Aid to Greece« (AMAG) einen direkten und dominierenden Einfluss auf die griechische Innen- und Außenpolitik aus mit dem Ziel, einen Neuaufstieg der politischen Linken und der Kommunistischen Partei Griechenlands zu verhindern.16 Trotz der US-Hilfen war die Regierung unter Premierminister Nikolaos Plastiras aber nicht in der Lage, dem zerrütteten Land aus eigener Kraft auf die Beine zu helfen.17 12 13 14 15

16

17

Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 80 und S. 88; Kelling, Countdown to Rebellion, S. 128‑130. Bitsios, Cyprus, S. 39 f. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 21; Kelling, Countdown to Rebellion, S. 128; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 113. Die Doktrin des amerikanischen Präsidenten Harry Truman aus dem Jahre 1947 sollte dem Zweck dienen, die westlichen Demokratien zu schützen und die Expansion des Kommunismus weltweit einzudämmen; Kofas, Die amerikanische Außenpolitik, S.  86‑108; Clogg, Greece 1940‑949; Richter, Griechenland 1940‑1950, S. 218‑443; Kuniholm, Die Nahostkriege, S. 458; Marantzidis, The Greek Civil War, S. 27‑54. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 80; Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 35‑37. Zum Beginn des amerikanischen Engagements in Griechenland im Zuge des griechischen Bürgerkrieges 1946/47 siehe auch die Ausführungen von Kuniholm, The Origins of the Cold War in the Near East, S. 399‑431; und Pelt, Tying Greece to the West, S. 38‑50. Zu den allgemeinen Motiven der US-Entwicklungshilfen während des Kalten Krieges Conteh-Morgan, Die US-Entwicklungshilfe; Richter, Griechenland 1940‑1950, S. 218‑282; und Kofas, Intervention and Underdevelopment. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 59‑68.

28

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Erst mit dem Wahlsieg des greisen Weltkriegsveteranen Alexandros Papagos schien die unsichere Periode ein vorläufiges Ende gefunden zu haben.18 Das amerikanisch-griechische Verhältnis wandelte sich von paternalistischer Bevormundung zu fraternalistischer Partnerschaft und stärkte das griechische Selbstbewusstsein. Gleichwohl blieb die positive innergriechische Entwicklung nicht ohne Folgen für die Haltung Athens in der Zypernfrage. Die griechische Regierung begann London gegenüber ihre Forderung nach einer Unabhängigkeit der Insel anzumelden. Washington betrachtete die Freiheitskämpfe kolonisierter Völker aus Angst vor kommunistischen Einflüssen mit fortwährendem Misstrauen. Dennoch hielt sich das State Department zurück, in der Angelegenheit für London Partei zu ergreifen und das griechische Vorhaben offen zu missbilligen.19 Zwar musste es der amerikanischen Regierung einerseits attraktiv erscheinen, sich auf den Standpunkt der westeuropäischen NATO-Verbündeten zu stellen, die nach wie vor über Kolonialbesitz verfügten.20 Andererseits aber stand die amerikanische Glaubwürdigkeit auf dem Spiel, wenn Washington dem freien Selbstbestimmungsrecht der Völker eine Absage erteilte. Moskau und die osteuropäischen Volksdemokratien konnten dann mit dem Vorwurf des Imperialismus und des Kolonialismus vor der Weltöffentlichkeit ideologisch an Boden gewinnen. Die Anziehungskraft des Postulats der »Freien Welt« stand in einem solchen Fall in Frage. Nicht zuletzt hatte Stalin just 1948 versucht, die Glaubwürdigkeit des Westens in dieser Angelegenheit zu untergraben und sich selbst an die Spitze der Freiheitsbewegungen zu setzen. Der Kreml hatte dazu den jungen Staat Israel während dessen zionistisch geprägter Gründungsphase maßgeblich unterstützt.21 Auf sowjetisches Betreiben hatte die Tschechoslowakische Republik die neu gegründete israelische Armee in großem Stil mit Militärgerät beliefert. Moskau seinerseits hatte den ersten Angriff der arabischen Staaten als imperialistische Aggression Großbritanniens gegen das freie Selbstbestimmungsrecht des jüdischen Staates verurteilt. Zudem sah sich die US-Regierung genötigt, in der Zypernangelegenheit Rücksicht auf die Interessen ihrer nationalen Wählerschaft zu nehmen. Im Mai 1950 hatte die Lobby griechischstämmiger Amerikaner in Washington begonnen, Petitionen für ein amerikanisches Engagement zur Unabhängigkeit Zyperns auf den Weg zu bringen.22 Unter den Befürwortern befanden sich auch einige Kongressabgeordnete.23 Die Regierung Truman konnte das Vorhaben zwar noch abwenden. Jedoch sah sich das State Depart-

18 19 20 21 22 23

Miller, The United States, S. 39 f. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 35. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S.  84, hier: Dazu zählten neben dem Vereinigten Königreich Großbritannien auch Frankreich, Belgien, die Niederlande und Portugal. Bachmann, Die UdSSR und der Nahe Osten, S. 111‑122; Kuniholm, Die Nahostkriege, S. 445. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 25. Ebd. Der Einfluss prominenter und vermögender griechischstämmiger Amerikaner auf die Außenpolitik der Vereinigten Staaten gegenüber Griechenland darf an dieser Stelle nicht unterschätzt werden. Clifford Hacket zufolge konnten nur wenige Mitglieder des Kongresses darauf verzichten, einen oder mehrere Vertreter der »griechischen« Lobby zu ihren Unterstützern zu zählen. Hierzu auch Hackett, The Role of Congress and Greek-American Relations, S. 142; und Münster, Der Einfluss lokaler Interessen auf die amerikanische Außenpolitik, S. 193.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

29

ment genötigt, London gegenüber formell zu erklären, kein strategisches Interesse mehr an einer britischen Präsenz auf der Insel zu besitzen.24 Dementsprechend konnte sich der griechische Premierminister Papagos seiner Sache sicher sein. Er konnte damit rechnen, zumindest auf offiziellem Wege keine Rüge aus Washington zu erhalten, wenn er London in der Angelegenheit zu Kompromissen drängte. Im April 1953 forderte er den britischen Außenminister Anthony Eden zu Zugeständnissen auf, die dieser jedoch brüsk zurückwies.25 London war zu diesem Zeitpunkt keinesfalls bereit, Zypern ohne Weiteres aufzugeben.26 Die Insel stellte einen strategischen Ausgangspunkt für britische Interessen im Nahen und Mittleren Osten dar. Nicht zufällig verlegten die britischen Mittelmeerstreitkräfte in diesen Tagen ihr Middle East Headquarters von Suez nach Zypern. Seit Ende der 1940er Jahre litt das Vereinigte Königreich unter wirtschaftlichen und militärischen Problemen. Die Zwangslage zeichnete sich durch ein wachsendes Ungleichgewicht zwischen der weltweiten britischen Militärpräsenz auf der einen und unzureichenden ökonomischen Ressourcen auf der anderen Seite aus.27 London hatte 1947 seine Militärhilfen an Griechenland eingestellt. Die einstige Weltmacht besaß folglich kein adäquates Mittel mehr, Athen in der Zypernfrage zur Zurückhaltung zu drängen.28 Das Foreign Office begann stattdessen fieberhaft nach Möglichkeiten zu suchen, um die britische Herrschaft auf der Insel anderweitig zu festigen. Ein bewaffneter Aufstand griechischer Zyprioten durfte sich aus Sicht Londons nicht auf eine völkerrechtliche Grundlage berufen können. Folglich stellte die britische Regierung im Februar 1954 erstmals Überlegungen an, die Türkei in den Konflikt einzuschalten.29 Diese Strategie bot sich für London aus mehreren Gründen an: Die griechisch-zypriotische Bewegung ignorierte nach wie vor die Interessen der türkischstämmigen Minderheit auf Zypern. Die türkische Regierung unter Ministerpräsident Adnan Menderes und die türkisch-zypriotische Volksgruppe zeigten sich vor dem Hintergrund der Ambitio-

24 25 26 27

28 29

Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 83. Ebd., S. 81. Holland, NATO and the Struggle for Cyprus, S. 35; Ovendale, Britische Außen- und Bündnispolitik, S. 135 f.; Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 77. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S.  82; Rebhan, Der Aufbau des militärischen Instruments der NATO, S.  181‑183; Holland, NATO and the Struggle for Cyprus, S. 33; Athanassopoulou, Turkey – Anglo-American Security Interests, S. 57. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 13; Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 34; zu dieser Thematik auch Clarke, The Last Thousand Days of the British Empire. Holland, Britain and the Revolt in Cyprus, S.  37 und S.  43  f.; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S.  82; Richter, Historische Hintergründe des Zypernkonflikts, S.  3; Bagci, Die türkische Außenpolitik, S. 172‑185. Vgl. dazu Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 49‑51. Daniels vertritt hier eine These, die von Holland, Richter, Heinemann und Bagci abweicht. Der Autorin zufolge soll Ankara nicht auf Drängen Londons, sondern eigeninitiativ in der Zypernfrage tätig geworden sein, um eine Angliederung der Insel an Griechenland zu verhindern. Die türkische Politik sei für das Foreign Office lediglich zur unverhofften Hilfe geworden. Umut Uzer (2011) widerspricht ebenfalls der Auffassung Daniels. Er unterstreicht zwar Ankaras grundlegendes Interesse an der Zukunft der Zyperntürken, betont aber, dass sich die Türkei nicht ohne britische Aufforderung in den Konflikt hätte einmischen können. Im Vertrag von Lausanne aus dem Jahre 1923 hätte Ankara auf jegliche Anrechte an Zypern verzichtet. Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 144.

30

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

nen von Erzbischof Makarios willig, die britische Herrschaft nach Kräften zu stützen.30 Dementsprechend begann der Plan des Foreign Office Formen anzunehmen. Mit der Rückendeckung aus London und Ankara vermochten die türkischen Zyprioten den griechischen Forderungen gleichwertige Ansprüche entgegenzusetzen.31 Wenn sich daraus ein diplomatischer Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei entwickelte, konnte das Vereinigte Königreich seine Notwendigkeit als übergeordneter Treuhänder über die Insel rechtfertigen. Makarios und seine Fürsprecher in Athen konnten dann weder die Unabhängigkeit Zyperns noch den Anschluss der Insel an Griechenland erwirken.32

2. Der griechisch-türkische Bruch und die Haltung der Atlantischen Allianz 1954/55 Die Atlantische Allianz äußerte um die Mitte des Jahres 1954 ein generelles Widerstreben, sich mit der Zypernfrage und den damit verbundenen Streitigkeiten überhaupt befassen zu wollen. Washington hielt den Nordatlantikrat für ungeeignet, sich mit Problemen auseinanderzusetzen, die nicht das gesamte Bündnis betrafen.33 Nach Kenntnis des State Department hatten die betroffenen Mitgliedsstaaten Großbritannien, Griechenland und die Türkei das Thema ohnehin nicht vor den Rat getragen. Den Amerikanern lagen aus Paris auch keine Informationen vor, wonach die bündnisinterne Kooperation zwischen London und Athen unter den Differenzen um die Insel gelitten habe. Das USAußenministerium beabsichtigte daher, die Streitigkeiten um Zypern vom NATO-Rat möglichst fernzuhalten, um die Solidarität und den Zusammenhalt im Bündnis nicht zu gefährden. Als Antwort auf die kompromisslose britische Politik beantragte die griechische Regierung noch im Sommer desselben Jahres, die Angelegenheit bei den Vereinten Nationen zu behandeln.34 Winston S. Churchill schrieb daraufhin an US-Präsident Eisenhower und warnte eindringlich vor den Folgen einer Zyperndebatte in New York. Er fürchtete um die bündnisinternen Beziehungen Griechenlands zu seinen NATO-Partnern Großbritannien und Türkei.35 Churchill unterstrich dabei das sichtlich abgekühlte Verhältnis zwischen griechischen und türkischen Offizieren während des kurz zuvor durchgeführten NATO-Manövers »Keystone«36. Obgleich Washington sich offiziell je30 31 32 33

34 35 36

Kelling, Countdown to Rebellion, S. 141. Holland, NATO and the Struggle for Cyprus, S. 37; Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 107 und S. 120 f. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 87 f.; Holland, NATO and the Struggle for Cyprus, S. 38. FRUS, 1952‑1954, vol. 8, doc. 368, S. 688 f., Mitteilung Assistant Secretary of State an Assistant Secretary of State for UN Affairs im State Department, 3.6.1954, University of Wisconsin Digital Collections (UWDC), , letzter Aufruf 21.5.2017. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 84. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 114. Ebd. Das NATO-Manöver »Keystone« an der Südostflanke fand Anfang September 1954 unter intensiver Beteiligung griechischer und türkischer Streitkräfte statt. Das Bündnis erprobte hier weiträu-

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

31

der Stellungnahme enthielt, bemühte sich das State Department auf diplomatischem Wege inständig, die griechische Regierung von ihren Plänen abzubringen.37 Eisenhower fürchtete, dass Moskau sich über die UNO in die Angelegenheit einmischen könnte. Die europäischen NATO-Mitglieder befanden sich dagegen im Zwiespalt. Frankreich, selbst Kolonialmacht im Ringen um seinen Besitz in Indochina und Algerien, sah in der Zypernfrage eine akute Gefährdung seiner nationalen Politik.38 Norwegen verfolgte zwar eine traditionelle Linie der Freiheit und Selbstbestimmung, wollte aber London nicht brüskieren. Mit Ausnahme Islands und der USA, die sich bei der UN-Vollversammlung ihrer Stimme enthielten, votierten daher die Vertreter aller NATO-Mitgliedsstaaten gegen den griechischen Antrag.39 Die nordatlantischen Partner ließen durch ihre Haltung erkennen, dass die Behandlung des Themas weder in den bündniseigenen Gremien noch in anderen internationalen Foren erwünscht war. Trotz der Empörung in der griechischen Öffentlichkeit, die sich nun gegen die westlichen Verbündeten in ihrer Gesamtheit richtete, blieb die NATO inaktiv.40 Die Delegationen der Ministerratssitzung im Dezember umgingen das Thema mit Bedacht. US-Außenminister John Foster Dulles sprach zwar am Rande der Tagung mit seinem griechischen Amtskollegen über die Problematik.41 Jedoch zielten seine Bemühungen in erster Linie darauf ab, das griechischamerikanische Verhältnis zu verbessern und in Athen um Verständnis für die Haltung Washingtons und der übrigen Bündnispartner zu werben.42 In der Folge begann die griechische Regierung, ihren atlantischen Bündnispartnern zu misstrauen. Gleichwohl suchte Athen die Angelegenheit im darauffolgenden Frühjahr über seinen NATO-Botschafter in Paris mehrfach zur Sprache zu bringen.43 Lord Lionel Ismay44, erster Generalsekretär der NATO, reagierte jedoch ausweichend auf das griechi-

37 38 39 40 41

42

43 44

mige Landoperationen auf griechischem und türkischem Boden. Hierzu Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 62; und Propagandafilm der US-Streitkräfte aus dem Jahre 1954, »NATO-maneuvers – The Big Picture«, , letzter Aufruf 12.1.2017. Der Film ist auch im NARA hinterlegt, ARC Identifier 2569561. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 114. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 84 f. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 114. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 86. FRUS, 1952‑1954, vol.  8, doc. 411, S.  749  f., Telegramm US-Außenminister an State Dep., 18.12.1954, UWDC, , letzter Aufruf 21.5.2013. Ebd. Zum allgemeinen griechischen Verhältnis zur NATO und den USA in den 1950er Jahren siehe auch Chourchoulis/Kourkouvelas, Greek Perceptions of NATO; Coloumbis, Greek Political Reaction. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an Foreign Office (FO), 5.3.1955, TNA, FO 371, 117626, Nr. 158. Jordan, Political Leadership, S.  23‑31. Hastings Lionel Ismay, 1.  Baron Ismay, wurde 1887 in Britisch-Indien geboren. Seine Familie war bürgerlicher Herkunft, verkehrte aber in der höheren Administration der Krone. Ismay war ein typischer Vertreter des alten Britischen Empire, das ihn aufgrund seiner vermeintlichen oder tatsächlichen Leistungen im Dienste der Armee ehrenhalber in den Adelsstand erhoben hatte. Nach dem Zweiten Weltkrieg startete er eine ambitionierte politische Karriere im britischen Verteidigungsministerium. – In den Jahren 1951/52 dominierten die amerikanischen Amtsträger und Offiziere die politischen und militärischen Führungsstrukturen der NATO, wohingegen die Briten personell nur schwach vertreten waren. Als Ausgleich bot US-Außenminister Dean Acheson der britischen Regierung an, den neugeschaffenen Posten des ersten NATO-Generalsekretärs mit einem Briten zu besetzen. Washington favorisierte dabei den

32

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

sche Anliegen. Stattdessen einigte er sich in vertraulicher Absprache mit dem britischen NATO-Vertreter darauf, das Thema bis auf Weiteres nicht auf die Tagesordnung des North Atlantic Council (NAC) zu setzen. Dies lag auch im Interesse des State Department. Washington war sehr am Erhalt der bündnisinternen Kohäsion gelegen.45 Folglich stellte sich Dulles den britischen Absichten nicht in den Weg, sondern forderte das griechische Außenministerium auf, die Bündnissolidarität nicht aus den Augen zu verlieren. Im April 1955 hatte die griechisch-zypriotische Untergrundorganisation Ethniki Organosis Kyprion Agoniston (EOKA) unter Georgios Grivas begonnen, die britische Herrschaft von ihrer Rückzugsbasis im Troodos-Gebirge aus militärisch zu bekämpfen.46 Waffen und Nachschub erhielten die Widerstandskämpfer auf verdecktem Wege aus Griechenland.47 London seinerseits hoffte weiter darauf, dass die türkischen Zyprioten mit Hilfe Ankaras ebenfalls den bewaffneten Kampf gegen die EOKA aufnehmen würden.48 Das Foreign Office ermutigte die türkische Regierung, ein Gegengewicht zu den griechischen Forderungen der Enosis zu bilden und nach Kräften eine Angliederung Zyperns an Griechenland zu verhindern.49 Gleichzeitig lud der britische Außenminister die griechische und türkische Regierung zu einer gemeinsamen Konferenz nach London ein, um so den Bestrebungen Athens entgegenzuwirken, die Zypernfrage wiederholt vor die Vereinten Nationen zu tragen.50 Das Foreign Office hatte im Vorfeld eine Verfassung für die Insel ausgearbeitet, die eine bescheidene zypriotische Selbstverwaltung vorsah. Das Modell beinhaltete eine gemischte Teilhabe griechischer und türkischer Zyprioten an den politischen Entscheidungen des Landes. Die Frage nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker sollte gleichermaßen für die türkischstämmigen Einwohner Zyperns gelten und der Enosis vor den Gremien der UNO ihre Legitimation absprechen. Der britische Gouverneur Robert Perceval Armitage sollte nicht mehr klassischer Kolonialherr sein, sondern lediglich ein übergeordneter Administrator für beide Volksgruppen. Die erste zypriotische Verfassung sollte Ankara wie Athen gleichermaßen Anrechte an der Zukunft Zyperns sichern und der EOKA das Wohlwollen antikolonial eingestellter Kreise der Weltöffentlichkeit entziehen. Die britische Regierung konnte dadurch ihre Oberhoheit einstweilen aufrechterhalten. Um den Erfolg der Konferenz nicht zu ge-

45

46

47 48 49 50

britischen Botschafter in Washington, Oliver Franks. Franks lehnte seine Ernennung jedoch ab. Die zweite Wahl fiel auf den kanadischen Außenministers Lester Pearson, dessen Freistellung die kanadische Regierung aber wiederum verweigerte. Die Wahl Ismays stellte schließlich einen Kompromiss dar, mit dem London einem peinlichen Dilemma entgehen wollte. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 116, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 15.3.1955, , letzter Aufruf 12.1.2017; Ebd., doc. 117, Gesprächsprotokoll John Foster Dulles mit griechischem Botschafter Michael Melas, 25.5.1955, , letzter Aufruf 12.1.2017. Kelling, Countdown to Rebellion, S.  151‑153; Richter, Geschichte der Insel Zypern, Bd  2, S. 158‑165. Zu den britischen Gegenmaßnahmen der Aufstandsbekämpfung siehe Robbins, The British Counter-Insurgency in Cyprus; und Dimitrakis, British Intelligence and the Cyprus Insurgency. Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 123; Pelt, Military Intervention, S. 97. Holland, NATO and the Struggle for Cyprus, S. 37. Holland, Britain and the Revolt in Cyprus, S. 51 und S. 58. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 88‑92; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 69 f.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

33

fährden, sah London bewusst davon ab, zyprische Volksgruppenvertreter, insbesondere Erzbischof Makarios einzuladen. Entgegen den britischen Absichten ließ Ankara sich jedoch nicht durch das Foreign Office steuern, sondern verfolgte seine eigene Interessenpolitik. Während Griechenland das Mitspracherecht der türkischen Regierung mit Blick auf Zypern grundlegend in Frage stellte und der Konferenz daher nur widerwillig zustimmte, tat Ankara bereits im Vorfeld kund, über eine Änderung des Status quo der Insel nicht verhandeln zu wollen. Nach türkischer Lesart schloss der Vertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923 eine Angliederung Zyperns an Griechenland für alle Zeiten aus.51 Darüber hinaus lief die Enosis türkischen Sicherheitsinteressen zuwider. Ankara war nicht bereit, eine griechische Insel dieser Größe an seiner strategisch bedeutsamen Mittelmeerküste zu tolerieren. Ferner schien die Türkei das Trauma des griechisch-türkischen Krieges der 1920er Jahre noch nicht überwunden zu haben. Die erste Zypernkonferenz im September desselben Jahres stand somit unter düsteren Vorzeichen.52 Wie angekündigt, lehnte die türkische Delegation eine Aufgabe oder Einschränkung der britischen Souveränität rundweg ab und beraubte London dadurch seines diplomatischen Spielraumes. Ferner warfen die türkischen Vertreter der griechischen Abordnung vor, die Konferenz angesichts fehlender Kompromissbereitschaft zum Scheitern bringen zu wollen. Noch während der laufenden Verhandlungen kam es zum Eklat. Unbekannte Täter verübten ein Bombenattentat vor dem türkischen Generalkonsulat in Saloniki nahe dem Geburtshaus des Staatsgründers Kemal Pascha Atatürk. Türkische Regierungskreise hatten das Attentat inszeniert, um die Konferenz vorzeitig scheitern zu lassen.53 Kurz darauf brachen schwere Pogrome gegen die in Izmir und Istanbul lebende griechische Volksgruppe aus, die sich auch vereinzelt gegen die jüdische und armenische Minderheit richteten. Alles deutete auf eine sorgfältige Vorbereitung der Ausschreitungen hin. Rädelsführer trugen Listen mit Namen und Adressen der Opfer bei sich, während an festen Sammelpunkten Hiebwaffen für den Mob bereitlagen. Die türkischen Ordnungskräfte sahen dem Geschehen weitgehend tatenlos zu. Erst gegen Mitternacht beendete das Militär die Ausschreitungen. Die Londoner Zusammenkunft fand daraufhin ein jähes Ende.54 Der griechisch-türkische Streit griff nun auf die NATO über. Die Ausschreitungen gegen die griechische Minderheit in Izmir und Istanbul hatten auch griechische Armeeangehörige und deren Familien beim NATO-Hauptquartier der Alliierten Landstreitkräfte in Südosteuropa (Headquarters Allied Forces South Eastern Europe, HALFSEE) 51 52 53

54

Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 120. Akbulut, NATO’s Feuding Members, S. 28; Richter, Geschichte der Insel Zypern, Bd 2, S. 197. Nach Stearns und Richter handelte es sich hier um ein Bombenattentat auf Initiative der türkischen Regierung, um einen Erfolg der Zypernkonferenz um jeden Preis zu verhindern. Stearns, Entangled Allies, S. 28; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 125. Derselben Meinung sind auch Chourchoulis, Daniels, Bagci und Uzer: Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S.  120; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 75; Bagci, Die türkische Außenpolitik 1945‑1956, S. 190‑194; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 123; Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 122; darüber hinaus auch Pelt, Military Intervention, S. 105 f. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 92.

34

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

und der 6. Allied Tactical Air Force (SIXATAF) getroffen.55 Der ehemalige französische Premierminister Pierre Mendès France wurde während seines Aufenthalts in Istanbul Augenzeuge der Exzesse und prangerte diese scharf in der französischen Presse an.56 Sowohl Bonn als auch Ostberlin fühlten sich veranlasst, interne Vergleiche zur deutschen »Reichskristallnacht« des Jahres 1938 zu ziehen. Athen protestierte bei der Allianz vehement gegen die Misshandlung seiner Offiziere.57 Das Bündnis geriet nun in Zugzwang. Ismay rief eine Sondersitzung des NATORates ein mit dem Ziel, die Auswirkungen des Vorfalls auf die operative Arbeitsfähigkeit von HALFSEE zu erörtern. Seiner Auffassung nach hatte die Allianz ihren bis dahin schwersten Ansehensverlust erlitten.58 Die Mitglieder des NATO-Rates suchte er zu beschwichtigen. Er hob hervor, dass das griechische Personal trotz der Ausschreitungen pflichtgemäß auf seinen Posten in den integrierten Stäben verblieben sei. Der türkische Ständige Vertreter bei der NATO, Mehmet Ali Tiney, beeilte sich darauf zu verweisen, dass seine Regierung von den Vorkommnissen überrascht worden sei. Die Ursachen des Vorfalls waren seinen Worten nach kommunistischen Agitatoren zuzuschreiben. Der griechische NATO-Botschafter Georgios Extinaris wies die türkische Darstellung jedoch energisch zurück. Seiner Sichtweise nach bildeten die Darlegungen seines Amtskollegen nur einen Vorwand, um die aktive Beteiligung der türkischen Behörden an den Ausschreitungen zu verdecken. Nach griechischem Verständnis hatte das türkische Verhalten den mühsamen Annäherungsprozess einer ganzen Generation zunichte gemacht. Die Stimmung zwischen dem griechischen und türkischen Vertreter war während der Unterredung sichtlich angespannt. Die westeuropäischen NATO-Botschafter ermahnten daher ihre beiden Kollegen, die Eintracht der Allianz zu wahren. Der deutsche Vertreter Herbert Blankenhorn forderte den Rat auf, dem türkischen Hinweis zu folgen und den Vorfall auf kommunistische Zersetzungsversuche hin zu untersuchen.59 Die junge Bonner Republik schien in diesen Tagen hinter jedem Ereignis eine sowjetische Kampagne zu wittern. Ismay hingegen hielt es eher für notwendig, die griechisch-türkische Freundschaft mit einer Aussöhnungsgeste wiederherzustellen, um die Eintracht des Bündnisses zu konsolidieren.60 Einige Mitglieder schlugen vor, eine pressewirksame Verlautbarung des NATO-Rats abzugeben, um Griechen und Türken auszusöhnen. Der amerikanische und der britische NATO-Botschafter mahnten jedoch zur Besonnenheit. Da der laufende Dienstbetrieb in Izmir keinen Schaden erlitten hatte, sahen sie keine Notwendigkeit, die Angelegenheit weiter zu vertiefen. Der Rat appellierte daher ledig-

55 56 57 58 59

60

Ebd. , S. 91 f. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 123. AdG, 25 (1955), 8.9.1955, S. 5341. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 8.9.1955, TNA, FO  371, 117710, Nr. 182. Ebd.; Drahtbericht bundesdeutscher Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 8.9.1955, PA AA, B 26 IA4, Nr. 68, hier: Im Gegensatz zu seinem britischen Kollegen legte der deutsche NATO-Botschafter sein Augenmerk ausschließlich auf die möglichen Hintergründe einer kommunistischen oder sowjetischen Anstiftung. Die Diskussion um eine griechisch-türkische Aussöhnung erwähnte die deutsche NATO-Delegation in ihrem Bericht nicht. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 8.9.1955, TNA, FO  371, 117710, Nr. 182.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

35

lich an beide Streitparteien, den Status quo ante auf bilateralem Wege wiederherzustellen und den Eindruck eines Bruchs in der Bündnissolidarität zu vermeiden.61 Daraufhin sagte die griechische Regierung ihre Teilnahme an sämtlichen NATOÜbungen mit türkischer Beteiligung ab.62 General Alfred Gruenther, SACEUR und Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, drückte der griechischen Regierung gegenüber sein Bedauern aus und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass Athen seine Entscheidung alsbald wieder revidiere.63 Er ließ aber auch deutlichen Unmut über die griechische Entscheidung erkennen, Manöver zu blockieren, die von den anderen Mitgliedsstaaten unter erheblichen zeitlichen und finanziellen Aufwendungen geplant worden waren. Gruenther verkannte jedoch, dass die griechische Haltung nicht darauf abzielte, dem Bündnis Schaden zuzufügen.64 Vielmehr beabsichtigte Athen, die amerikanische Regierung dazu zu bewegen, sich der Sache anzunehmen und Druck auf Ankara auszuüben, Wiedergutmachung zu leisten. Washington seinerseits nahm die Angelegenheit durchaus ernst. Statt aber auf die Türkei einzuwirken, instruierte das State Department seinen Botschafter in Athen, die griechische Regierung zu drängen, ihre Manöverabsagen zu widerrufen. Die Führungsmacht der NATO ließ an dieser Stelle wenig Sensibilität gegenüber dem griechischen Verbündeten erkennen und brüskierte Athen dadurch aufs Neue. Die Septemberereignisse markieren folglich auch das Ende des goldenen Zeitalters der griechisch-amerikanischen Beziehungen.65 Am 14. September 1955 tagte der NAC erneut zur griechisch-türkischen Lage. Die türkische Seite in Person von Tiney zeigte sich versöhnlich. Er versprach, eine Wiederholung der Ereignisse von Istanbul und Izmir ausschließen zu können, sofern Griechenland seine Entscheidung revidiere, den Militärmanövern der NATO fernzubleiben.66 Die europäischen Mitglieder und US-Vertreter George Perkins drängten den griechischen Delegierten ihrerseits dazu, seiner Regierung anzutragen, das Geschehene auf sich beruhen zu lassen. Griechenland aber verschärfte seine Haltung und blieb im Oktober 1955 allen NATO-Übungen fern.67 Athen hatte sich im Vorfeld erhofft, die Allianz angesichts des erlittenen Unrechts dazu bewegen zu können, stärker für den griechischen Standpunkt Partei zu ergreifen. Verteidigungsminister Panagiotis Kanellopoulos hatte gedroht, griechische Offiziere aus HALFSEE abzuziehen, sofern Ankara nicht umgehend finanziellen Ausgleich leistete.68 Zudem hatte der griechische Politiker gefordert, das gesamte Hauptquartier von Izmir an einen anderen, für Griechen sicheren Ort zu verlegen.

61 62 63 64 65 66 67 68

Fernschreiben Standing Group Liaison Officer (SGLO) an Standing Group NATO (SGN), 8.9.1955, NATO, LOSTAN 1359. Mitteilung NATO-Generalsekretär an Ständige Vertreter, 9.9.1955, NATO, PO (55) 746; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.9.1955, TNA, FO 371, 117710, Nr. 186. Mitteilung NATO-Generalsekretär an Ständige Vertreter, 12.9.1955, NATO, PO (55) 754. Bericht US-Botschaft Athen an State Dep., 14.9.1955, NARA, RG 59, NND 34144, Nr. 9/14/55. Chourchoulis/Kourkouvelas, Greek Perceptions of NATO, S. 500. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 14.9.1955, TNA, FO  371, 117710, Nr. 589; Fernschreiben SGLO an SGN, 15.9.1955, NATO, LOSTAN 1377. Mitteilung NATO-Generalsekretär an Ständige Vertreter, 3.10.1955, NATO, PO (55) 848. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 13.9.1955, TNA, FO  371, 117710, Nr. 462.

36

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Athen befand sich überdies in einer inneren Zwangslage. Der Handlungsspielraum des griechischen Kabinetts war eng bemessen.69 Premierminister Papagos lag im Sterben, während die türkischen Pogrome seinen Stellvertreter politisch in die Enge getrieben hatten. US-Außenminister Dulles hatte aus griechischer Sicht wenig Verständnis für das erlittene Unrecht Athens gezeigt. Die griechische Öffentlichkeit fühlte sich vonseiten der westlichen Verbündeten aufs Tiefste gedemütigt. Das State Department hatte lediglich ein gleichlautendes Telegramm an beide Bündnispartner verfasst, ihre Differenzen auf friedlichem Wege beizulegen.70 Das Vorgehen des amerikanischen Partners heizte die öffentliche Meinung in Griechenland insofern auf, als Athen dazu tendierte, unilaterale Aktionen Washingtons mit kollektiven Handlungen des Bündnisses gleichzusetzen.71 Wenngleich die griechische Regierung hier ein verzerrtes Bild von der NATO zeichnete, spiegelte sich darin doch unverkennbar der Stellenwert wider, den das kleine Land dem übermächtigen US-Verbündeten beimaß. Angesichts der herben Enttäuschung über die Haltung Washingtons wurden sowohl unter den Konservativen als auch unter den Anhängern der liberalen Parteien Griechenlands erste Stimmen laut, die eine Distanz zur Atlantischen Allianz und eine Kehrtwende zu neutralistischer Politik forderten.72 Erschwerend kam hinzu, dass die türkische Regierung ihre Zusagen verschleppte, die gedemütigten griechischen Offiziere und deren Familien zu entschädigen.73 Obwohl Athen seine Forderung wiederholte, gingen die griechischen NATO-Angehörigen und auch die griechische Volksgruppe in Istanbul und Izmir weitgehend leer aus. Trotz dieser Widersprüche war die neue Regierung unter ihrem neuen Premierminister Konstantinos Karamanlis schließlich zaghaft kompromissbereit. Griechenland stimmte dem feierlichen Aufzug seiner Staatsflagge über dem NATO-Hauptquartier in Izmir zu. Am 24.  Oktober fanden sowohl dessen Einweihung als auch das feierliche Zeremoniell der Neueröffnung des griechischen Konsulats in Izmir statt.74 Die türkische Regierung verhielt sich wohlwollend und verhängte den Ausnahmezustand über die Stadt, um neuerliche Unruhen zu unterbinden.75 Die Zypernfrage wurde in der türkischen Öffentlichkeit mit größter Zurückhaltung behandelt. Menderes bemühte sich darum, seine Beziehungen zu Athen zu konsolidieren. Die griechische Regierung ihrerseits war gewillt, ihren Platz in den kommenden Herbstmanövern des Bündnisses wieder einzunehmen.76 Auf der Folgesitzung des NATO-Rats ließ der griechische Vertreter erkennen, dass die symbolischen Gesten einen ersten Schritt zur Wiederaufnahme freundschaftlicher bilateraler Beziehungen andeuten könnten. Extinaris ließ aber keinen

69 70 71 72 73 74 75 76

Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 123. Ebd.; Andries, Greece and Turkey, S. 135; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 96. Andries, Greece and Turkey, S.136. Ebd. Mitteilung Generalsekretär an Ständige Vertreter, 17.10.1955, NATO, PO (55) 872; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 94 und S. 103‑106. Protokoll NAC-Sitzung, 2.11.1955, NATO, C-R (55) 49; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 2.11.1955, PA AA, B 14-301, Nr. 109. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 25.10.1955, PA AA, B 14-301, Nr. 2833/55. AdG, 25 (1955), 27.10.1955, S. 5428.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

37

Zweifel daran, dass der Erfolg maßgeblich von der künftigen türkischen Bereitschaft zu Entschädigungsleistungen abhing.77 Tatsächlich vermochten die offiziellen Gesten der Aussöhnung die tieferliegenden Ursachen der griechisch-türkischen Differenzen nicht zu verdecken. Diese kreisten vor allem um die quälende Frage nach der Zukunft Zyperns. Auf den Sitzungen des NATOMinisterrats im Oktober und Dezember vermieden die Allianzmitglieder, den belastenden Konflikt um die Insel zu erwähnen.78 Zwar versäumten die britischen und amerikanischen Delegationsmitglieder nicht, sich dem Anliegen ihrer griechischen Kollegen in Korridorgesprächen zu widmen.79 Der Zweck dieser Randverhandlungen bestand jedoch lediglich darin, Athen abermals davon zu überzeugen, seinen Bündnisverpflichtungen nachzukommen. Da die türkischen Wiedergutmachungsleistungen weiterhin ausblieben, begann Griechenland schrittweise, sein Personal bei den NATO-Dienststellen auf türkischem Boden zu reduzieren.

3. Erste Rückwirkungen und Gefahren des Konflikts für das Bündnis Zwar erwog keiner der beiden Bündnispartner in diesen Tagen, die Frage um die Zukunft Zyperns mit militärischen Mitteln auszutragen. Die Gefahren des griechischtürkischen Bruchs für die Allianz waren indes nicht von der Hand zu weisen. Da die beiden südöstlichen Partner bereits nach einer derart kurzen Zeit offene Streitigkeiten an den Tag legten, blieb aus Sicht der NATO zu vermuten, dass der sowjetische Gegner dies als Schwäche des inneren Zusammenhalts im westlichen Bündnis auslegte. Dieser Umstand musste umso schwerer wiegen, als Griechenland und die Türkei für Rumänien, Bulgarien und die Sowjetunion zu diesem Zeitpunkt militärisch kaum ernstzunehmende Gegner darstellten.80 Moskau hatte die bulgarischen Streitkräfte seit dem bulgarischsowjetischen Militärabkommen im Jahre 1947 mit zahlreichen T-34-Panzern und JakDüsenmaschinen neuerer Bauart ausgestattet.81 Trotz des atomaren Zeitalters war die türkische Armee hingegen noch nicht einmal vollständig motorisiert. Ankara war gezwungen, zu Aufklärungszwecken teilweise noch auf berittene Abteilungen zurückzugreifen.82 Aufseiten des Gegners warteten moderne, mechanisierte und schwimmfähige Kampfverbände. Somit steckte die Allianz in einem Dilemma. Ein Zusammenbruch der griechisch-türkischen Kooperation barg die Gefahr, die ohnehin schwache Verteidigungsaufstellung der beiden Bündnispartner innerhalb kürzester Zeit zunichte zu machen. Auch der unsichere Balkanpakt zwischen Griechenland, 77 78 79 80 81 82

Protokoll NAC-Sitzung, 2.11.1955, NATO, C-R (55) 49; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 2.11.1955, PA AA, B 14-301, Nr. 109. Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 16.12.1955, NATO, C-R (55) 60. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 103 und S. 106 f. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 103. Baev, Bulgarisch-sowjetische militärische Zusammenarbeit, S. 45. Dies wird aus einem internen Lehrfilm der Bundeswehr aus dem Jahre 1959 sichtbar: »Die Türkei – Wächter am Bosporus«, , letzter Aufruf 12.1.2017.

38

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

der Türkei und dem blockfreien Jugoslawien hätte dann keine Abhilfe mehr bieten können.83 Wenn die neu gegründete Warschauer Vertragsorganisation (WVO) diese Schwäche ausgenutzt und an der Südostflanke eine regionale Aggression gestartet hätte, hätte die Allianz politische und militärische Entschlossenheit demonstrieren müssen. Ein nukleartaktischer Eingriff der 6. US-Flotte wäre dann unumgänglich gewesen. Es ist jedoch fraglich, ob die westlichen Verbündeten tatsächlich zu einem solchen Schritt bereit gewesen wären. Schließlich hatten einige der Mitgliedsstaaten den Beitritt Griechenlands und der Türkei wenige Jahre zuvor nicht ohne Vorbehalte aufgenommen. Zudem hätte die Ursache einer solchen Krise der mangelnden Bündnisdisziplin der beiden Kontrahenten zugeschrieben werden können. Ferner blieb aus zeitgenössischer Sicht zu vermuten, dass Moskau keinen großangelegten Angriff führen, sondern eher versuchen würde, das westliche Bündnis an seiner exponiertesten Stelle mit örtlichen Nadelstichen zu zermürben. Die Allianz hätte in einem solchen Szenario vor der Frage gestanden, ob ein nuklearer Einsatz wirklich zielführend gewesen wäre. Nicht zuletzt hatte der US-Verbündete aus derlei Gründen wenige Jahre zuvor auch in Korea von der Nutzung atomarer Waffensysteme abgesehen.84 Die 6. US-Flotte hingegen wäre zu diesem Zeitpunkt technisch nicht imstande gewesen, mit rein konventionellen Mitteln wirksam zur Verteidigung der Region beizutragen.85 Hätte die NATO jedoch nicht eingegriffen, hätte das Bündnis unter Umständen erheblich an Glaubwürdigkeit verloren. Überdies durchlebte die Allianz 1955 eine erste innere Sinnkrise.86 Die Sowjetunion verstand sich angesichts der ersten, vermeintlichen Ost-West-Entspannung darauf, in diesen Tagen eine Charmeoffensive gegen die NATO zu starten mit dem Ziel, die Bedrohungsperzeption der Europäer gegenüber dem Kreml zu trüben. Da die junge Allianz erst vor wenigen Jahren ins Leben getreten war, gelang es Moskau kurzzeitig, in weiten Kreisen der Bevölkerung Westeuropas und Nordamerikas Zweifel an deren Sinn und Notwendigkeit hervorzurufen.87 Frankreichs Premierminister Edgar Faure erwähnte gar offen die Möglichkeit einer Auflösung des Bündnisses.88 Solidarität und Kohäsion in der NATO waren daher umso dringender geboten. Ein Streit zwischen zwei Allianzmitgliedern konnte aus diesem Grunde kaum ungelegener kommen. Auf der anderen Seite erweckten die westlichen Partner in Athen den Eindruck, Griechenland mit seinem Zypernanliegen im Stich zu lassen. Statt der eigenen Allianzpartner setzten sich schließlich die Mitglieder des Warschauer Paktes und die blockfreien arabischen Staaten für eine Wiederaufnahme der Zypernfrage bei den Vereinten Nationen ein.89 83

84 85 86

87 88 89

Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S.  149‑151. Der Balkanpakt war im November 1954 zwischen Griechenland, der Türkei und Jugoslawien geschlossen worden mit dem Ziel, einer potenziellen Bedrohung durch die Sowjetunion und ihrer südosteuropäischen Verbündeten zu begegnen. Hierzu Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 109‑111. Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 68. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 103. Nünlist, Die westliche Allianz; siehe hierzu auch Schmidt, Strukturen des »Kalten Krieges« im Wandel, S. 363‑371, der seinen Schwerpunkt allerdings in erster Linie auf die bundesdeutsche Lage bezieht. Nünlist, Die westliche Allianz, S. 14‑19. Ebd., S. 16. Andries, Greece and Turkey, S. 135; Pelt, Tying Greece to the West, S. 152.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

39

4. Der Zypernkonflikt im Nordatlantischen Rat 1956 a) Das Ringen um die Rolle des Bündnisses Als Antwort auf den gewaltsamen Aufstand der griechischen Zyprioten hatte die britische Regierung den Weltkriegsveteranen John Harding als neuen Gouverneur nach Nikosia einberufen.90 Harding verfolgte eine offensive Politik, die von drakonischen Gegenmaßnahmen gekennzeichnet war. Er hatte begonnen, mit Makarios zu verhandeln, ging aber mit großer Härte und Entschlossenheit gegen die zyprischen Aufrührer vor.91 In einer Debatte des britischen Unterhauses am 13. März 1956 legte Premierminister Anthony Eden schließlich die Gründe für das Scheitern der Gespräche mit dem Erzbischof dar.92 Er warf dem Oberhaupt der griechischen Zyprioten vor, die blutigen Terrorakte von Grivas insgeheim zu billigen. Der britische Gouverneur ließ den Erzbischof schließlich verhaften und verbannte ihn kurzerhand von der Insel.93 Makarios wurde fern der Heimat auf den Seychellen festgesetzt. Die britischen Maßnahmen erregten den Unmut Washingtons. Der innere Druck der griechisch-amerikanischen Lobby auf den Senat und die US-Regierung machte sich bemerkbar.94 Washington ermahnte London daher, neue Verhandlungen mit den Gefolgsleuten des Erzbischofs aufzunehmen.95 Auch drückte das State Department dem griechischen Außenminister, Spyros Theotokis, seine Anerkennung für dessen zurückhaltende Reaktion über die britische Vorgehensweise auf Zypern aus.96 Die amerikanische Regierung zielte dabei weniger darauf ab, den britischen Verbündeten bloßzustellen. Vielmehr rechnete das State Department mit neuen Reaktionen des wankelmütigen griechischen Bündnispartners. Griechenland stand im Verdacht, nicht nur seine NATOPflichten zu verletzen, sondern auch gezielt Missstimmung unter der Wählergruppe der griechischstämmigen US-Amerikaner zu schüren, wenn Washington das britische Vorgehen billigte.97 Athen wiederum fühlte sich nun ermutigt, London gegenüber in die Offensive zu treten und den britischen NATO-Vertreter Christopher Steel im NAC offen zur Rede zu stellen.98 Ismay konnte angesichts der heiklen Situation nicht anders, als den griechischen Antrag anzunehmen und für den 14. März 1956 eine erste Sondersitzung des NATO-Rates zur Zypernfrage einzuberufen. 90 91 92 93 94 95 96

97

98

Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 218 f. Ebd.; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 81‑83; Robbins, The British Counter-Insurgency in Cyprus. AdG, 26 (1956), 13.3.1956, S. 5674 f. Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 226. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 84. AdG, 26 (1956), 13.3.1956, S. 5674 f. Ebd.; FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 167, Offizielle Presseverlautbarung US-Botschaft Athen, 13.3.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 166, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 12.3.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 84‑95. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 14.3.1956, TNA, FO  371, 123876, Nr. 44.

40

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Extinaris verlas an diesem Tag auf Anweisung Athens eine lange Erklärung, in der er die britische Politik auf der Insel scharf kritisierte.99 Mit weitgreifenden historischen Ausschweifungen und dem Verweis auf das Abkommen von Lausanne suchte er auch das türkische Anrecht an Zypern zu widerlegen. Er schloss mit einem inszenierten, emotional geführten Appell an den Rat, für den griechischen Standpunkt Sympathie zu bekunden. Der britische NATO-Botschafter verteidigte Londons Standpunkt kühl und sachbezogen. Mit tatkräftigem Zuspruch seines türkischen Kollegen erklärte Steel, dass strategische Erwägungen und die Rücksichtnahme auf den türkischen Standpunkt keine andere Lösung für Zypern zuließen. Er warf auch in den Raum, dass Makarios das Angebot Londons abgelehnt hätte, eine verfassungsmäßige Regierung unter Beteiligung beider Volksgruppen ins Leben zu rufen. Die übrigen Anwesenden hatten sich bis dahin zurückgehalten. Jetzt aber meldeten auch sie sich kollektiv zu Wort. Der deutsche NATO-Botschafter Blankenhorn sprach mit ernster Miene über die Gefahren, die dem Bündnis durch den Streit an seiner Südostflanke drohten. Sein belgischer Amtskollege André De Staercke konfrontierte den griechischen Delegierten mit der Frage, ob Griechenland willens sei, die Entscheidung über die Zukunft Zyperns in die Hände der NATO zu legen. US-Vertreter Perkins und sein niederländischer Kollege Tjarda van Starkenborgh brachten die gemeinsame Auffassung der NATO-Partner schließlich auf den Punkt: Die Allianz könne in der Angelegenheit nicht Partei ergreifen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Der NATO-Rat könne lediglich Überlegungen anstellen, einen Ausweg aus der schwierigen Lage zu finden. Die Mitglieder einigten sich folglich darauf, Ismay die Aufgabe zu übertragen, in Einzelgesprächen weiter nach einer Lösung zu suchen.100 Am 16. März 1956 sprach Ismay vertraulich mit dem britischen Vertreter.101 Es stellte sich heraus, dass seine Auffassung als Generalsekretär nicht mit den Ansichten Londons konform lief. Obwohl er der NATO die Aufgabe übertragen wollte, einen neuen Verfassungsentwurf für die Insel zu erarbeiten, beharrte das Foreign Office auf einem restriktiven Standpunkt. Die Rolle der Allianz sollte sich nach britischem Willen auf einen übergeordneten Rahmen beschränken, unter dessen Deckmantel Griechen wie Türken ihr Gesicht wahrten. Ismay stand jedoch unter Druck, da der NAC auf den Vortrag seiner Ergebnisse wartete. Auch hinsichtlich seiner Aufgabe stand er im Zwiespalt.102 Einerseits bekleidete er das höchste politische Amt des Atlantischen Bündnisses. Andererseits aber fühlte er sich den Interessen der britischen Regierung verpflichtet. Schließlich folgte er trotz eigener Bedenken den Forderungen Londons. Er beschloss, dem Rat lediglich mitzuteilen, dass er mit den Streitparteien in Kontakt stehe und die Möglichkeiten des Bündnisses prüfe, in der Streitfrage zu vermitteln. Die NATO wiederum befand sich in einer diplomatischen Sackgasse. Weder Griechen noch Türken waren bereit, Gespräche mit Ismay zu führen, während die Briten

99 100 101 102

Ebd. Ebd.; Fernschreiben SGLO an SGN, 15.3.1956, NATO, LOSTAN 1623. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 16.3.1956, TNA, FO  371, 123877, Nr. 45. Ebd.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

41

das Thema Zypern vom Atlantikrat weiterhin fernzuhalten suchten.103 Zur selben Zeit konkurrierten London und Athen darum, die übrigen Bündnispartner jeweils für ihren Standpunkt zu gewinnen. Das Gros der Verbündeten war sich uneins, wie in dieser Angelegenheit weiter zu verfahren sei. Die italienische Regierung enthielt sich der Frage.104 Der kanadische Außenminister befürwortete weitere Debatten des Rates.105 Ottawa war bestrebt, die Kohäsion im Bündnis aufrechtzuerhalten. Norwegische Kreise äußerten sich dagegen weniger zurückhaltend.106 Die norwegische Presse kritisierte den althergebrachten »Kolonialstil« der britischen Regierung und warf der NATO vor, sich nicht ernsthaft um eine Lösung bemüht zu haben. Das State Department seinerseits hielt den Versuch für gefährlich, eine Lösung mit Hilfe der NATO durchzusetzen.107 Washington wollte eine Diskussion des Themas zwar nicht unterdrücken, aber auch nicht fördern. Das amerikanische Interesse am Mittelmeer war nach wie vor primär strategischer Natur. Die Feindseligkeiten zwischen Ankara und Athen galt es zwar zu unterbinden, und Griechenland durfte dem Bündnis nicht den Rücken kehren. Jedoch war Washington wenig darauf erpicht, die Frage der ethnischen Auseinandersetzungen auf Zypern, die griechisch-türkischen Spannungen oder die britisch-griechischen Differenzen um die Zukunft der Insel innerhalb der NATO-Gremien auszutragen.108 Die Führungsmacht der Allianz ließ keine Zweifel an ihrer Auffassung, dass die Verantwortung für die Beilegung der Krise allein in den Händen der drei Konfliktparteien lag.109 Im April 1956 traten die Auseinandersetzungen in eine neue Phase.110 Es gelang der britischen Kolonialmacht zunehmend, die türkische Volksgruppe für sich zu instrumentalisieren. Als Antwort darauf begann die EOKA ihre Angriffe direkt gegen türkischzypriotische Dörfer und Siedlungen zu richten. Die türkische Regierung wiederum nutzte die Zypernfrage als willkommenen Vorwand, um ihre unruhige Bevölkerung von gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Problemen abzulenken und ihre außenpolitische Standfestigkeit zu demonstrieren.111 Als Folge der neuen türkisch-britischen Politik 103

104 105 106 107

108 109

110 111

Telegramm britischer Botschafter Ankara an FO, 20.3.1956, TNA, FO  371, 123879, Nr.  257; Telegramm FO  an britische Botschaft Ankara, 22.3.1956, TNA, FO  371, 123879, Nr.  714; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 27.3.1956, TNA, FO  371, 123880, Nr.  237; Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 21.3.1956, TNA, FO  371, 123879, Nr. 224; FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 169, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 20.3.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Botschafter Rom an FO, 21.3.1956, TNA, FO 371, 123879, Nr. 71. Telegramm Britischer Hoher Kommissar Ottawa an Commonwealth Relations Office, 5.4.1956, TNA, FO 371, 123881, Nr. 355. Telegramm britische Botschaft Oslo an FO, 27.3.1956, TNA, FO 371, 123881, Nr. 1515. Gesprächsprotokoll J.A. Thompson, FO  Southern Department, und Rutter, US-Botschaft London, 30.3.1956, TNA, FO 371, 123886; FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 172, Telegramm State Dep. an britische Botschaft Washington, 28.4.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. Stearns, Entangled Allies, S. 8‑24. Protokoll Gespräch J.A. Thompson, FO  Southern Department, mit Rutter, US-Botschaft London, 30.3.1956, TNA, FO 371, 123886; FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 172, Telegramm State Dep. an britische Botschaft Washington, 28.4.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 98 f. Rustow, Turkey, S. 94.

42

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

änderte auch Athen seine Strategie. Der neue griechische NATO-Vertreter Michael Melas112 appellierte an die Bündnisgemeinschaft, nun doch zwischen den Konfliktparteien zu vermitteln.113 Ismay sah sich daher veranlasst, seine Rolle als oberster Repräsentant der Allianz an erste Stelle zu setzen und der britischen Verzögerungstaktik eine Absage zu erteilen. Seiner Sichtweise nach konnte das Bündnis vor den Augen der Weltöffentlichkeit an Ansehen gewinnen, wenn es den bündnisinternen Streit erfolgreich beilegte. Zudem stützten ihn die Vertreter der kleineren Mitgliedsstaaten.114 Während sich die Repräsentanten der USA, Frankreichs und Deutschlands enthielten, befürworteten der belgische und norwegische NATO-Botschafter ein Eingreifen der Allianz. Folglich sah sich London in wachsender Bedrängnis. Ismay und die kleineren Mitgliedsstaaten pochten immer stärker darauf, dem Bündnis auf der Suche nach einer Lösung einen festen Platz zuzugestehen.115 Schließlich gab die britische Regierung nach und begann, mit Athen in bilaterale Verhandlungen zu treten.116 Ankara reagierte daraufhin scharf. Das türkische Außenministerium konnte London gegenüber seinen Ärger nicht verhehlen.117 Aus türkischer Perspektive leisteten britischgriechische Gespräche nur der Unnachgiebigkeit Athens Vorschub. Es war offenkundig, dass London sich durch seine Zypernpolitik zunehmend seines eigenen Handlungsspielraums beraubte. Die Zypernfrage begann sich primär zu einem griechisch-türkischen Konfliktfeld zu entwickeln. Im Fortgang der Ereignisse stand die Frage im Raum, ob Zypern Gegenstand der anstehenden Maikonferenz des Ministerrats der NATO werden sollte. Das Thema drohte der Allianz weiteren Schaden zuzufügen, wenn sich ähnliche Debatten wie bei den Sitzungen der Ständigen Vertreter abspielten. Türkischen Informationen vom März 1956 zufolge beabsichtigte Athen, den Streitpunkt bei erstbester Gelegenheit auf die Tagesordnung der Außenministerkonferenz zu setzen.118 Washington sah dem Ansinnen mit Unbehagen entgegen, erklärte aber London gegenüber, eine Diskussion der Zypernfrage nicht grundsätzlich unterbinden zu wollen.119 Das State Department achtete nach wie vor darauf, den Griechen nicht das Gefühl zu vermitteln, in die Rolle eines bündnisinternen Außenseiters zu geraten. London wiederum spielte mit dem Gedanken, die Streitfrage von sich aus anzusprechen, um einer griechischen Initiative zuvorzukommen.120 112

113 114 115 116 117 118 119

120

Michael Melas war ab 1956 griechischer Ständiger Vertreter bei der NATO in Paris. Spaak beschrieb Melas in seinen Memoiren als »heimatverwurzelten«, leidenschaftlich geprägten, klugen, aber hitzköpfigen Mann. Er hielt Melas jedoch für erfahren genug zu wissen, dass im Rahmen internationaler Verhandlungen Kompromisse bisweilen unvermeidbar waren. Spaak, Memoiren, S. 364. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 25.4.1956, TNA, FO  371, 123885, Nr. 65. Ebd. Telegramm britischer Botschafter Ankara an FO, 28.4.1956, TNA, FO 371, 123886, Nr. 359. Ebd. Telegramm britischer Botschafter Ankara an FO, 2.5.1956, TNA, FO 371, 123890, Nr. 365. Vermerk Wolfgang von Welck, Länderabteilung AA, 27.3.1956, PA AA, B 26 IA4 (o.Nr.). FRUS, 1955‑1957, vol.  24, doc.  172, Telegramm State Dep. an britische Botschaft in Washington, 28.4.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. FO-internes Besprechungsprotokoll von J.G. Ward, 2.5.1956, TNA, FO 371, 123887.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

43

Kurz vor Tagungsbeginn entschied der britische Premierminister jedoch, auf eine neuerliche Debatte zu verzichten.121 Er bat die Türkei, das Thema ebenfalls von sich aus nicht anzusprechen.122 Es gelang dem Foreign Office, auch die anderen Mitgliedsstaaten davon zu überzeugen, die heikle Frage vorerst nicht aufzuwerfen. Lediglich der belgische Außenminister Spaak war anderer Ansicht, wurde von Washington aber im Vorfeld zur Zurückhaltung gedrängt.123 Dabei war nicht zu verkennen, welches Gewicht die amerikanische Stimme in der NATO besaß. Schließlich lenkte auch Athen ein und verzichtete darauf, die unliebsame Angelegenheit abermals vor die Versammlung zu tragen.124 Folglich entfiel eine Debatte zu Zypern.125 Die NATO nahm die Gelegenheit lediglich zum Anlass, einen generellen Rahmen für die Verbesserung der politischen Konsultation nach Artikel 4 des NATO-Gründungsvertrages ins Leben zu rufen.126 Die kleineren Allianzpartner, darunter Belgien und Italien, drängten darauf, mit der Schaffung einer neuen Kommission erstmals die Gelegenheit zu erhalten, ein Gegengewicht zur dominierenden Politik der »Großen Drei« (USA, Großbritannien, Frankreich) zu bilden und ihren Belangen stärker Gehör zu verschaffen.127 Der Ministerrat beabsichtigte, die allgemeine Zusammenarbeit der Bündnispartner in Fragen nichtmilitärischer Natur zu stärken. Mit Blick auf die Zypernfrage schuf die Konferenz aber nur den äußeren Rahmen, den griechischen und den türkischen Außenminister abermals zu Randgesprächen zu bewegen, die wiederum ergebnislos blieben.128 Die Debatte um die allgemeinen Fragen der politischen Konsultation im Bündnis blieben für die Korridorverhandlungen ohne Bedeutung. Daneben konnten sich London und Washington auch nicht über die Zukunft der Insel einigen.129 Und ebenso wurde in den folgenden Wochen keine Entscheidung darüber gefällt, welche Rolle und welchen Standpunkt die NATO in der Angelegenheit grundsätzlich einnehmen sollte. Im Herbst starteten State Department

121 122 123 124 125 126

127 128 129

Kurznachricht des britischen Premierministers an den Außenminister, 2.5.1956, TNA, FO 371, 123887. FO-internes Besprechungsprotokoll von J.G. Ward, 2.5.1956, TNA, FO 371, 123887. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 115. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 173, Telegramm US-Botschaft in Paris an State Dep., 4.5.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 4.5.1956, NATO, C-R (56) 20. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 115. Ismay hatte dieses Thema bereits im März 1956 vorgeschlagen; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 5.5.1956, NATO, C-R (56) 23; Draft resolution on the peaceful settlement of disputes and differences among members of the North Atlantic Treaty Organization, 17.11.1956, NATO, C-M (56) 126. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 124 f. und S. 258 f. Britische Botschaft Ankara an FO, 16.5.1956, TNA, FO 371, 123890, Nr. 1021. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 178, Protokoll Gespräch State Dep. mit britischem Botschafter in Washington, 19.6.1956, ; ebd., doc.  180, Protokoll Gespräch State Dep. mit britischem Botschafter in Washington, 22.6.1956, ; ebd., doc. 179, Entwurf Verlautbarung britische Regierung zu Zypern, 19.6.1956, , alle letzter Aufruf 12.1.2017; Protokoll Gespräch britischer Außenminister mit britischem Ständigen Vertreter (NATO) in London, 14.6.1956, TNA, FO 371, 123900 (o.Nr.); Telegramm britische Botschaft in Washington an FO, 22.6.1956, TNA, FO 371, 123900, Nr. 1414; Telegramm britische Botschaft Washington an FO, 23.6.1956, TNA, FO 371, 123900, Nr. 1415.

44

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

und Foreign Office schließlich einen weiteren halbherzigen Versuch, den Streitparteien einen neuen britischen Zypernplan schmackhaft zu machen.130 Dieser sah eine gemischte zypriotische Selbstverwaltung nach dem Prinzip des Mehrheitswahlrechts vor, ohne dass die britische Oberherrschaft angetastet würde. Der zentrale Schwachpunkt des Konzepts lag jedoch an der fehlenden Chance der türkisch-zypriotischen Minderheit, auf diesem Wege politische Teilhabe zu erlangen. Folglich scheiterte das Vorhaben bereits im Ansatz am türkischen Veto.131 b) Der NATO-Rat und die griechisch-türkischen Auseinandersetzungen Am 5. und 6. September 1956 drohten die Sondersitzungen des NATO-Rats zur Bühne eines offenen griechisch-türkischen Schlagabtauschs zu werden. Auf den Tagungen wurde ein gewaltsamer Einbruch in der griechischen Botschaft in Ankara thematisiert, bei dem geheime NATO-Dokumente entwendet worden waren.132 Anstelle einer sachlichen Auseinandersetzung entwickelte sich die Besprechung jedoch zu einer aufgeheizten Debatte. Der griechische Vertreter Melas warf der türkischen Regierung vor dem versammelten Rat vor, für den Vorfall verantwortlich zu sein.133 Er klagte Ankara zudem an, Griechenland mit Krieg gedroht zu haben, sollte es zu einer Selbstbestimmung Zyperns kommen. In polemischem Ton appellierte er an seinen türkischen Amtskollegen, in der Zypernfrage endlich eine kompromissbereitere Haltung einzunehmen. Der türkische Vertreter Muharrem Nuri Birgi134 wies die Anschuldigungen des Griechen am Folgetag scharf zurück. Er ließ keinen Zweifel daran, dass Ankara entschlossen war, den bilateralen Konflikt auch auf die Ägäis auszuweiten, wenn Athen der Türkei weiterhin das Recht absprach, Einfluss auf den Status der Insel zu nehmen. Die anderen Anwesenden reagierten auf die griechisch-türkische Auseinandersetzung sichtlich irritiert.135 Die Debatte zwischen den zerstrittenen Bündnispartnern hatte gezeigt, welchen Zündstoff die Krise in sich barg. Die Mitglieder sahen sich außerstande,

130

131

132

133 134 135

FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 194, Telegramm State Dep. an US-Botschaft in Paris, 8.9.1956, ; ebd., doc.  196, Protokoll Gespräch US-Außenminister mit griechischem Botschafter in Washington, 10.9.1956, ; ebd., doc. 200, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 5.10.1956, , alle letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 205, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 3.11.1956, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britische Botschaft Athen an FO, 29.8.1956, TNA, FO  371, 123964, Nr.  629; FO-interne Bewertung zu griechischer Haltung von John Galsworthy, FO Southern Department, 3.9.1956, TNA, FO 371, 123964. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 6.9.1956, TNA, FO  371, 123924, Nr. 631. Muharrem Nuri Birgi war zu diesem Zeitpunkt Vertreter des türkischen NATO-Botschafters Tiney. Telegramm britische Botschaft Athen an FO, 29.8.1956, TNA, FO  371, 123964, Nr.  629; FO-interne Bewertung zu griechischer Haltung von John Galsworthy, FO Southern Department, 3.9.1956, TNA, FO 371, 123964.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

45

auf die beiden NATO-Botschafter mäßigend einzuwirken. Das Bonner Auswärtige Amt hatte im Vorfeld beabsichtigt, eine Stellungnahme abzugeben, falls das griechisch-türkische Zerwürfnis zur Sprache gelangen sollte.136 Die Bundesregierung beteiligte sich seit Jahren aktiv an den amerikanischen Wirtschafts- und Finanzhilfen für Griechenland.137 Folglich war damit zu rechnen, dass eine deutsche Äußerung in Athen nicht ungehört verhallte. Die Bundesrepublik agierte jedoch als junges NATO-Mitglied noch sehr zurückhaltend und steuerte darauf hin, keinesfalls einseitig Partei zu ergreifen und dadurch ihre Beziehungen zu den mediterranen Verbündeten zu stören.138 Bonn hatte aber geplant, die Streitparteien wohlwollend zu ermahnen, ihre Differenzen aus Solidarität gegenüber dem Bündnis endlich beizulegen. Die deutsche Stellungnahme sollte jedoch nur erfolgen, sofern die anderen Delegierten vorher eigene Erklärungen abgeben würden. Da sich die übrigen Vertreter zurückhielten, ergriff auch Blankenhorn nicht das Wort. Das Foreign Office hingegen fühlte sich in seiner Auffassung bestätigt. Die britische Absicht, Zypern nicht in die Gremien der Allianz zu tragen, schien aus Londoner Sicht den Realitäten des Konflikts Rechnung zu tragen. John Galsworthy, Mitarbeiter des Southern Department im Foreign Office, verfasste nicht ohne Genugtuung eine Kurznachricht an seine Vorgesetzten. Nach seiner Bewertung hatte der griechisch-türkische Schlagabtausch im NAC seine Brisanz ungeschminkt offengelegt und dem belgischen und italienischen Verbündeten vor Augen geführt, wie wenig zielführend ihre Ambitionen und ihr diplomatischer Druck auf London gewesen seien, die Angelegenheit vor die NATO zu tragen.139 Ungeachtet des bündnisinternen »Krachs« hatten indes weder der griechische noch der türkische Vertreter versucht, ihr Gegenüber persönlich anzugreifen oder dessen Würde mit Worten zu verletzen.140 Trotz der tumultartigen Debatte waren beide NATOBotschafter darauf bedacht gewesen, die internationalen Gepflogenheiten zu wahren. Um die Wogen ein wenig zu glätten, hatte der türkische Delegierte Nuri Birgi sogar beteuert, dass Ankara keinesfalls Absichten hege, Griechenland wegen der Zypernfrage den Krieg zu erklären.141 In den Tagen, die auf die Sitzung folgten, wurden die kleineren Bündnismitglieder aktiver. Offensichtlich war das psychologische Klima für einige der Partner unerträglich geworden. Der belgische Botschafter in Athen nahm vertraulich mit dem griechischen Außenminister Evangelos Averoff-Tositsas Verbindung auf. Brüssel beabsichtigte, Griechenland davon zu überzeugen, die Angelegenheit auf offiziellem Wege in die Hände der

136 137

138 139 140 141

Aufzeichnung Hans-Ulrich von Marchtaler, AA, Abt. 3 an Staatssekretär, 3.9.1956, PA AA, B 14301, Nr. 304.201-01/94.08/1211/56. Pelt, Tying Greece to the West, S. 68‑93, hier: Bonn hatte hierzu mit Athen im Jahr 1953 ein Abkommen zur wirtschaftlichen Unterstützung Griechenlands getroffen. Der Vertrag umfasste sowohl direkte Subventionen für den Aufbau der Industrie des Landes, als auch großzügige Kredithilfen in Höhe von mehreren hundert Millionen D-Mark. Ebd, S. 160; Gürbey, Die Türkei-Politik der Bundesrepublik Deutschland, S. 159. Handschriftliche Bemerkung John Galsworthy, FO  Southern Department, 10.9.1956, TNA, FO 371, 123924. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 6.9.1956, TNA, FO  371, 123924, Nr. 645. Erklärung türkischer Ständiger Vertreter (NATO) vor dem NAC, 7.9.1956, NATO, PO (56) 829.

46

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

NATO zu legen.142 Spaak forderte zu diesem Zweck seinen griechischen Amtskollegen auf, den entscheidenden Schritt zu wagen und einen formellen Antrag an das Bündnis zu stellen, die Frage im Ministerrat zu behandeln.143 Athen lehnte den Vorstoß nicht grundsätzlich ab. Averoff erklärte in Paris, dass die griechische Regierung unter Umständen bereit sei, eine Schlichtung durch das Bündnis zu akzeptieren.144 Auch die Bundesregierung äußerte sich augenblicklich offener.145 Bundeskanzler Konrad Adenauer war zwar von einer NATO-Lösung nicht vollends überzeugt, befürwortete aber ein stärkeres Engagement der Allianz. Bundesaußenminister Heinrich von Brentano suchte zwischen London und Athen zu vermitteln. Er bekräftigte gegenüber dem britischen Botschafter in Bonn den deutschen Wunsch, mit Hilfe der Allianz eine neue Konferenz zur Beilegung der Streitfrage einberufen zu wollen.146 Das State Department und das Foreign Office hielten jedoch nichts vom deutschen und belgischen Vorgehen. Im Gespräch mit führenden Botschaftsvertretern in Ankara legte der amerikanische Konsul die Haltung Washingtons dar. Das US-Außenministerium erhob zwar grundsätzlich keine Einwände gegen eine Diskussion der Zypernfrage im NAC.147 Aus amerikanischer Sicht war das Bündnis als solches aber ungeeignet, als Schiedsinstanz zur Beilegung mitgliedsinterner Streitigkeiten zu dienen.148 London teilte diese Auffassung.149 Auch eine neue Vorsprache des deutschen Botschafters in der britischen Hauptstadt änderte nichts an dieser Haltung.150 Die Zypernfrage schien abermals keine Aussicht auf eine Schlichtung in den Gremien der NATO zu haben. Zudem schien die Konferenz der NATO-Parlamentarier151 am 22. November 1956 die angelsächsischen und amerikanischen Bedenken teilweise zu bestätigen.152 Der anwesende griechische Vertreter verglich die britische Zypernpolitik mit der sowjetischen Niederschlagung des Volksaufstands in Ungarn im selben Jahr und brüskierte mit seiner Stellungnahme die britische Delegation.

142 143 144 145 146 147 148 149 150 151

152

Mitteilung belgischer Außenminister Paul-Henri Spaak an belgische Botschaft Athen, PHS Archives, D 6091 (undatiert). Mitteilung Spaak an belgische Botschaft Athen, 20.9.1956, PHS Archives, D 6093. Schreiben britischer Ständiger Vertreter (NATO) an W.H. Young, Southern Department FO, 17.9.1956, TNA, FO 371, 123964. Britische Botschaft Bonn, E.J.W. Barnes an C.M Anderson, Western Department FO, 22.9.1956, TNA, FO 371, 123964 (Nr. unleserlich). Ebd. Britische Botschaft Ankara an FO, 2.10.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 1021/1147/56. Ebd. Dies war auch eine der Fragen, die das »Komitee der Drei« den Bündnismitgliedern gestellt hatte. Kurznachricht FO an britische Botschaft Ankara, 2.10.1956, TNA, FO 371 123964. Protokoll Gespräch John Galsworthy, FO Southern Department, mit Dr. Sikora, bdt. Botschaft London, 29.11.1956, TNA, FO 371, 123964. Die NATO-Parlamentarierkonferenz war ein Gremium, das 1955 ins Leben gerufen worden war, um Sicherheitsfragen zu erörtern und Probleme von gemeinschaftlichem Interesse auszutauschen. Sie verfolgte das Ziel, die nationalen, parlamentarischen Sichtweisen der einzelnen Mitgliedsstaaten im NATO-Rat zu verdeutlichen und eine Brücke zwischen der NATO und den Parlamenten zu bilden. Hierzu Varwick, Die NATO, S. 52. Britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.11.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 6917/55/56.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

47

c) Wendepunkt Suezkrise: Die Zypernfrage vor dem Ministerrat der NATO Die Suezkrise führte zu einer unerwarteten Wende. Im Sommer 1956 hatte der ägyptische Staatspräsident Gamal Abdel Nasser begonnen, den Suezkanal zu verstaatlichen.153 Die Wasserstraße befand sich mehrheitlich im Besitz der britisch-französischen »Compagnie Universelle du Canal Maritime de Suez« und war für die Briten eine vitale Lebensader für die eigene Erdölversorgung aus dem Nahen Osten.154 Wie im Falle Zyperns stellte die britische Hoheit über den Kanal ein Fragment des zerfallenden Empire dar. Frankreich war nicht gewillt, das ägyptische Vorgehen zu tolerieren, da Kairo die algerischen Aufständischen in Nordafrika logistisch unterstützte.155 Washington setzte analog seiner Doktrin des freien Selbstbestimmungsrechts der Völker auf eine diplomatische Lösung und drängte London und Paris dazu, mit Nasser in Verhandlungen zu treten.156 US-Außenminister Dulles unterstrich dabei das Missfallen der amerikanischen Bevölkerung gegenüber den spätkolonialen Interessen der alten europäischen Mächte.157 Dessen ungeachtet bereiteten sich Frankreich und das Vereinigte Königreich gemeinsam mit dem jungen Staat Israel verdeckt darauf vor, den Kanal mit militärischen Mitteln wieder in Besitz zu nehmen, falls die Verhandlungen mit Ägypten scheiterten; sprich: London und Paris verzichteten darauf, den amerikanischen Verbündeten über ihr Vorhaben in Kenntnis zu setzen.158 Der Quai d’Orsay betrachtete die Suezfrage ausschließlich als nationale Angelegenheit, die den Fortbestand Französisch-Algeriens betraf.159 Paris hielt eine Konsultation der NATO-Partner daher nicht für angebracht. Dies schloss auch den US-Verbündeten ein. London seinerseits fürchtete ohnehin um seinen schwindenden Einfluss im Nahen Osten.160 Wenn das Foreign Office den amerikanischen Bündnispartner um Einverständnis für seine Suezpläne hätte bitten müssen, hätte dies nichts anderes als ein Eingeständnis der britischen Schwäche bedeutet. Beide europäische Regierungen wussten auch um die Folgen einer diplomatischen Niederlage, wenn die US-Regierung das Vorhaben im Vorfeld missbilligen würde. Für den Fall einer sowjetischen Intervention rechnete die britische Krone hingegen mit militärischer Hilfe seitens Washingtons und der NATO.161 Israel wiederum strebte danach, eine Pufferzone einzurichten, um Angriffe radikaler arabischer Freiheitskämpfer von ägyptischem Territorium aus abzuwehren und gleichzeitig zu verhindern, dass Nasser den Suezkanal für israelische Han-

153 154 155 156 157 158

159 160 161

Eznack, Crises in the Atlantic Alliance, S. 47. Turner, Suez 1956; Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 112 f. und S. 180 f. Thamm, Institutionelle Reaktionen der NATO, S. 93; Vaïsse, France and the Suez Crisis, S. 138; Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 220‑223. Lucas, Divided We Stand, S. 145‑152; Richardson, When Allies Differ, S. 40‑48; Bowie, Eisenhower, Dulles and the Suez Crisis, S. 202. Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 94. Bowie, Eisenhower, Dulles and the Suez Crisis, S. 205 und S. 207; Eznack, Crises in the Atlantic Alliance, S. 47; Kaplan, NATO and the United States, S. 68; Richardson, When Allies Differ, S. 76; Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 431 f. Grosser, Das Bündnis, S. 200‑218; Thamm, Institutionelle Reaktionen der NATO, S. 93. Thamm, Institutionelle Reaktionen der NATO, S. 93. Richardson, When Allies Differ, S. 99.

48

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

delsschiffe sperrte.162 Darüber hinaus stellte Frankreich für den jüdischen Staat einen starken Waffenbruder dar, der die Sorge um die militärische Überlegenheit des arabischen Nachbarn gegebenenfalls mit Hilfe eines Präventivschlages beseitigen konnte.163 Da die Verhandlungen mit Kairo scheiterten, nahmen israelische Truppen innerhalb weniger Tage die Sinai-Halbinsel in Besitz. Britische Kräfte gingen bei Port Said an Land und eroberten nach intensiven Feuergefechten mit der ägyptischen Armee den Kanal. Entgegen britisch-französischen Erwartungen unterstützte Washington das militärische Vorgehen jedoch nicht.164 Im Nationalen Sicherheitsrat der Vereinigten Staaten bestand kein Zweifel daran, dass die eigene Regierung von den europäischen Verbündeten vorsätzlich getäuscht worden war.165 Folglich stellte sich der amerikanische Partner in der UN-Vollversammlung gegen die anglo-französische Allianz.166 Washington schloss sich der Forderung Moskaus nach einem Rückzug Israels vom Sinai an und begann seine Rüstungstransfers und seine Rohöllieferungen an die beiden europäischen Partner zu verzögern. Die Invasoren sahen sich umgehend gezwungen, die Kämpfe einzustellen. Israel zog seine Truppen von der Halbinsel nach und nach zurück. Der diplomatische Rückschlag und die offene Demütigung Londons und des Quai d’Orsay führten zu schwersten Differenzen Frankreichs und Großbritanniens mit dem amerikanischen Bündnispartner.167 Die NATO selbst hatte sich auf der Höhe der Krise lediglich als Spielball der divergierenden Interessenpolitik ihrer führenden Mitglieder erwiesen. Die Krise um Suez drohte die Allianz im Nachgang einer Belastungsprobe auszusetzen, welche die griechisch-türkischen Auseinandersetzungen wohl bald als bloße Bagatelle aussehen lassen mussten. Ismay hatte mit Beginn des amerikanischen Embargos auf äußerst emotionale Weise mit seinem Rücktritt gedroht, sollte Washington seine Öllieferungen an Frankreich und Großbritannien weiterhin an den Abzug der Streitkräfte beider Staaten vom Suezkanal knüpfen. Die Ergebnisse um Suez schienen ein alarmierendes Zeichen des gestiegenen Misstrauens unter den »Großen Drei« zu sein.168 Das Debakel hatte auch ungeschminkt die Folgen der unzureichenden politischen Konsultation unter den westlichen Verbündeten offengelegt. Die Folgen der Krise boten aber auch eine neue Chance. Der Weg schien nun frei, dem Ministerrat neben der Suezkrise auch die Zypernfrage unterbreiten zu können. London und Washington lehnten eine Rolle des Bündnisses als Schiedsinstanz der griechisch-türkischen Streitigkeiten nun nicht mehr kategorisch ab. Durch das Debakel um den Suezkanal gelangte die britische Regierung zu der schmerzhaften Erkenntnis, dass das Vereinigte Königreich nicht mehr über die Kräfte und Mittel verfügte, seinen geopolitischen Hegemonialanspruch im östlichen Mittelmeer aufrechtzuerhalten.169 Dies schloss auch seine Herrschaft über Zypern ein. Das britische Parlament wehrte sich zwar 162 163 164 165 166 167 168 169

Kuniholm, Die Nahostkriege, S. 449 f.; Pfeil, Die Suezkrise, S. 34. Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 236. Lucas, Divided We Stand, S. 219‑308; Richardson, When Allies Differ, S. 69‑76 Thamm, Institutionelle Reaktionen der NATO, S. 94. Richardson, When Allies Differ, S. 88‑96; Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 507. Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 514‑522, 593 und S. 597 f.; Zimmermann, Frankreich und die Suezkrise. Nach Meinung Zimmermanns hatte die NATO sogar »kläglichst versagt«. Kaplan, NATO and the United States, S. 68; Eznack, Crises in the Atlantic Alliance, S. 65. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 123.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

49

noch gegen eine Aufgabe der Insel und verwies auf deren Bedeutung für die britische Marine.170 Die britischen Stabschefs machten aber keinen Hehl daraus, dass der Wert Zyperns für die britische Flotte gering war. Die niedrige Wassertiefe zyprischer Häfen ließ die Stationierung von Kriegsschiffen nicht zu. Daneben sah sich London aus fiskalischen Gründen gezwungen, seinen Verteidigungshaushalt erheblich zu verkleinern und den strategischen Schwerpunkt des Königreichs künftig auf die Luftstreitkräfte und die Fähigkeiten der nuklearen Kriegführung zu beschränken. Allein die Suezkrise hatte das Land rund 50 Millionen US-Dollar an Währungsreserven gekostet.171 Auch Gouverneur Harding hielt eine britische Herrschaft über die Insel nicht länger für erforderlich.172 Seiner Auffassung nach konnte sich das Vereinigte Königreich damit begnügen, einige Militärstützpunkte für seine Luftstreitkräfte zu behalten. Hardings Aufmerksamkeit galt darüber hinaus mehr der Sorge, sein Gesicht zu wahren, wenn die britischen Truppen von der Insel abzogen. Der italienische NATO-Ratspräsident Gaetano Martino entschied nunmehr, neben der Suezfrage auch die griechisch-türkischen Differenzen um Zypern auf die Tagesordnung des Ministerrates zu setzen.173 In der Besprechung vom 11. Dezember 1956 griff der türkische Ministerpräsident Menderes das Thema als erster im Zuge seines Vortrages zur allgemeinen Lage im Nahen Osten auf.174 Er warf dem griechischen Außenminister Averoff nicht ohne Polemik vor, im Ministerrat lediglich Propaganda betreiben zu wollen. Dieser wiederum klagte über die britisch-türkische Taktik, Athens Versuche, die Angelegenheit vor die NATO zu tragen, fortwährend zu torpedieren.175 Auch die Ministertagung schien nun zur Bühne griechisch-türkischer Streitigkeiten zu werden. Die Sitzungen zur Südflanke und dem Nahen Osten äußerten sich teilweise in Form von leidenschaftlichen Auseinandersetzungen zwischen den beiden zerstrittenen Bündnispartnern.176 Dies änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass die Konferenz nach wie vor von der Suezfrage überschattet wurde.177 Ungeachtet der wechselseitigen Polemik zwischen der griechischen und türkischen Delegation widmeten US-Außenminister Dulles und sein französischer Amtskollege der Zypernfrage nur wenig Aufmerksamkeit.178 Die Suezkrise und der daraus entstandene bündnisinterne Schaden dominierten die Konferenz, während die emotional geführten Diskussionen um die Mittelmeerinsel und der griechisch-türkische Streit lediglich einen untergeordneten Tagungspunkt bildeten.179 170 171 172 173 174 175 176 177

178 179

Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 101 f.; Hatzivassiliou, Blocking Enosis, S. 260 f. Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 508. Ebd.; Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 235; Holland, Britain and the Revolt in Cyprus, S. 198. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 121. Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 11.12.1956, NATO, C-R (56) 70. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 871; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 12.12.1956, NATO, C-R (56) 71. Drahtbericht über Aufzeichnung Ergebnisse NATO-Ministerratstagung (11.‑14.12.1956) 16.12.1956, PA AA, B 14-301, Ref. 400, Nr. 54/1957. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FO, 12.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 871; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 12.12.1956, NATO, C-R (56) 71; Kommuniqué Ministertagung Nordatlantikrat, 11.‑14.12.1956, Archiv Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpakt-Organisation Brüssel, , letzter Aufruf 12.1.2017. Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 12.12.1956, NATO, C-R (56) 71. Ebd.; Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 542.

50

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Der Vorsitzende Martino schlug schließlich vor, das Thema Zypern erst wieder am Ende der Konferenz im Rahmen der Diskussion um die allgemeine Konsultation im Bündnis aufzugreifen.180 Der britische Außenminister Selwyn Lloyd und Dulles waren aber nach wie vor nicht davon überzeugt, eine Lösung des Problems mit Hilfe der NATO finden zu können. Lloyd bestand darauf, dass Griechen und Türken sich zurückhielten, bis neue britische Vorschläge über eine neue zypriotische Verfassung geprüft wären. Dulles ließ nur die knappe Bemerkung fallen, dass es sich um ein komplexes Problem handele, das »Expertenmeinungen« und »eingehende Studien« erfordern würde. Lediglich die kleineren Mitglieder forderten von der NATO, auf der Suche nach einer Lösung größeres Engagement zu zeigen. Spaak und der norwegische Außenminister Halvard Manthey Lange setzten neue Hoffnungen auf die Ergebnisse des Berichts der Kommission der »Drei Weisen«.181 Das Dokument sollte angesichts der Krisen um Suez und Zypern grundsätzliche Vorschläge zu den Modalitäten der wechselseitigen Konsultation unter den NATO-Verbündeten beinhalten. Spaak appellierte an alle Mitgliedsstaaten, hinsichtlich der Suez- und Zypernfrage nicht passiv zu bleiben. Er vertrat die Auffassung, dass diese Fragen nicht nur für einzelne Mitglieder, sondern für die gesamte Allianz von Belang seien. Zur Zypernfrage räumte der Belgier abschließend ein, dass die NATO hier nur tätig werden könne, wenn die zyprische Bevölkerung gewillt sei, neue britische Verfassungsvorschläge anzunehmen. Gegen Ende der Konferenz tagte der Rat zu den ausgearbeiteten Vorschlägen der »Drei Weisen«.182 Deren wichtigste Beschlüsse äußerten sich zunächst in einer allgemeinen Absichtserklärung. Streitigkeiten unter den Bündnismitgliedern sollten bündnisintern geregelt und nicht vor die Vereinten Nationen getragen werden, wie dies in der Zypernfrage von griechischer Seite her geschehen war. Daneben sollte die Allianz die formale Stellung ihres Generalsekretärs insofern stärken, als dieser ermächtigt werden sollte, allen Mitgliedsstaaten jederzeit seine Vermittlungsdienste anzubieten. Mit dem Einverständnis der jeweils Betroffenen sollte er sodann in die Lage versetzt werden, ein Verfahren zur Streitschlichtung zu entwickeln. Mit Blick auf die griechisch-türkischen Differenzen sah das Konzept einen rechtlich bindenden Rahmen vor, der die NATO in die Lage versetzte, in die Streitigkeiten ihrer Mitglieder auf offiziellem Wege einzugreifen. Für die griechisch-türkische Frage erwies sich die Resolution als gegenstandslos.183 Sowohl Averoff als auch Menderes waren mit dem vorgestellten Verfahren zwar generell 180 181 182

183

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 871; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 12.12.1956, NATO, C-R (56) 71. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 871; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 12.12.1956, NATO, C-R (56) 71. Draft resolution on the peaceful settlement of disputes and differences among members of the North Atlantic Treaty Organization, 17.11.1956, NATO, C-M (56) 126; Sitzungsprotokoll NATO-Ministerratstagung britischer Ständiger Vertreter (NATO), 13.12.1956, TNA, CAB 21, 3569, Nr. 872. Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 256‑258. Die weitere Entwicklung der Frage der Konsultation nach Art. 4 des NATO-Vertrages bzw. des »Komitees der Drei zu Fragen der Kooperation auf nichtmilitärischem Gebiet« soll hier nicht weiter verfolgt werden. Heinemann zufolge vermittelte dieses Werkzeug zwar auf verschiedenen Gebieten der bündnisinternen Konsultation neue Impulse, die für die NATO nicht zu unterschätzen waren. Dies traf jedoch nicht auf den griechisch-türkischen Konflikt zu. Bis in die beginnenden 1980er Jahre hinein konnten keine

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

51

einverstanden.184 Der griechische Außenminister schloss aber eine Behandlung der Zypernfrage mit der Begründung aus, dass diese bereits seit Längerem bei den Vereinten Nationen anhängig sei. Auch ein Appell der Mitglieder änderte nichts an der griechischen Auffassung. Das Ziel der Allianz, den Konflikt zwischen ihren beiden südöstlichen Mitgliedern auf institutionellem Wege zu erfassen und zu lösen, hatte sich als illusorisch herausgestellt. Dies lag aber nicht etwa nur am mangelnden Kooperationswillen der griechischen Regierung. Premierminister Karamanlis stand vielmehr unter dem ungebrochenen Druck seiner Wählerschaft.185 Makarios’ Popularität ließ ein Einlenken Griechenlands in der Zypernfrage schlichtweg nicht zu; dazu bedurfte es erst seiner Einwilligung, die angesichts der britischen Verbannung des Ethnarchen aber nicht zu erwarten war. Daneben erwies sich der Kirchenmann als wenig kompromissbereite und unnachgiebige Persönlichkeit.186 Nicht zuletzt stand auch er selbst unter dem politischen Druck seiner fanatischen und gewaltbereiten Anhänger – insbesondere des griechisch-zypriotischen Nationalhelden Grivas, aber auch verschiedener Eiferer im Dunstkreis der griechischorthodoxen Kirche. Mit Blick auf ihre Südostflanke stand die NATO somit indirekt in einem gefährlichen Abhängigkeitsverhältnis zu Makarios. Da die Ministerkonferenz keine Lösung erbracht hatte, befasste sich der Ständige Rat am 19.  Dezember auf britischen Antrag hin erneut mit dem Thema.187 London hatte im Vorfeld unter den NATO-Mitgliedern um Unterstützung für seinen bisherigen Zypernplan geworben.188 Das Foreign Office hielt nach wie vor an seinem Konzept fest, eine zypriotische Selbstverwaltung nach dem Mehrheitswahlrecht einzuführen und die Insel vorerst unter britischer Hoheit zu belassen.189 NATO-Botschafter Christopher Steel legte den Bündnispartnern den Vorschlag seiner Regierung vor.190 Obwohl der türkische Delegierte diesmal Kompromissbereitschaft signalisierte, wies sein griechischer Kollege den Entwurf zurück. Nach griechischer Auffassung räumte das Konstrukt den griechischen Zyprioten keine umfassenden Rechte ein. Die Haltung Athens trug dabei unzweideutig die Handschrift von Makarios und Grivas. Es war nicht zu verkennen, dass

184 185

186 187

188

189 190

Quellen gefunden werden, die auf eine wachsende, signifikante Bedeutung dieser Kommission in den griechisch-türkischen Streitfragen schließen lassen. Sitzungsprotokoll NATO-Ministerratstagung britischer Ständiger Vertreter (NATO), 13.12.1956, TNA, CAB 21, 3569, Nr. 872. Protokolle Gespräche Lloyd mit Menderes und Lloyd mit Averoff in Paris, 13.12.1956, TNA, CAB 21, 3569, Nr. 9 und 10; Sitzungsprotokoll NATO-Ministerratstagung Gespräch Lloyd und Dulles in Paris, 13.12.1956, TNA, CAB 21, 3569, Nr. 9; AdG, 26 (1956), 14.12.1956, S. 6152. Miller, The United States, S. 55. Empfehlung Southern Department FO an britischen Außenminister, 18.12.1956, TNA, FO 371, 123964, mit Blick auf die Resolution der »Dreierkommission« die NATO mit der Zypernfrage zu betrauen. Telegramm FO  an britische Botschaft Ankara, 18.12.1956, TNA, FO  371, 123964, Nr.  2435, hier: Der Botschafter sollte die türkische Regierung um verbale Befürwortung der britischen Pläne im NATO-Rat ersuchen. Ankara war demnach mit den Plänen Londons grundsätzlich einverstanden; Telegramm FO an britische Botschaft Paris, 18.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 3178; Telegramm FO an britische Botschaft Washington, 18.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 5961; Britische Botschaft Washington an FO, 19.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 2503; Britische Botschaft Bonn an FO, 19.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 996; Britische Botschaft Den Haag an FO, 20.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 1513. Zu diesem britischen Plan siehe S. 44. Protokoll NAC-Sitzung, 19.12.1956, NATO, C-R (56) 77.

52

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

die Zyperngriechen weder eine türkische Teilhabe noch die fortgesetzte Präsenz der Briten auf der Insel duldeten. Weder Washington noch die europäischen Verbündeten vermochten Athen hier umzustimmen.191 Die bundesdeutsche Regierung ihrerseits lehnte weitere Demarchen gegenüber Griechenland ab.192 Das Auswärtige Amt suchte einen streng neutralen Kurs einzuhalten, um sich nicht dem Ruf der einseitigen Parteinahme auszusetzen. In Bonn herrschte die Einsicht, dass die griechische Regierung infolge des Drucks ihrer nationalen Wählerschaft über keine andere Option verfügte, als den britischen Entwurf zurückzuweisen.

5. Hüterin des Friedens zwischen Griechenland und der Türkei? Ein Schlichtungserfolg der NATO stand somit generell in Frage. Ohne die Kompromissbereitschaft der griechischen Regierung konnte die Allianz lediglich versuchen, den Konflikt in Grenzen zu halten; ihn aber zu lösen, davon war sie weit entfernt. Das Bündnis hatte lediglich verhindert, dass die beiden Verbündeten ihre Feindschaft allzu offen austrugen und sich infolge des Konflikts weigerten, den Sitzungen des NATO-Rates weiterhin gemeinsam beizuwohnen. Dieser Umstand mochte die Gefahr einer militärischen Eskalation des Konflikts im Zweifelsfalle mildern. Jedoch blieb fragwürdig, ob es der Integrationswirkung der NATO zu verdanken war, einen griechisch-türkischen Waffengang um Zypern verhindert zu haben. Zwar stand die Insel nach wie vor unter britischer Hoheit und der Schlagabtausch zwischen dem griechischen und dem türkischen Bündnispartner beschränkte sich auf bloße Polemik, ohne in eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen den beiden Staaten zu münden. Dies musste jedoch nicht bedeuten, dass sie nicht grundsätzlich zu Kampfhandlungen um die Zukunft Zyperns bereit waren. Der Verzicht auf die Anwendung militärischer Mittel schien vielmehr an den materiellen und militärischen Defiziten beider Staaten zu liegen: Die Streitkräfte Griechenlands und der Türkei waren seit deren Beitritt zur NATO zwar quantitativ erheblich gewachsen.193 Die griechische Armee litt jedoch an einer chronischen Unterversorgung an Nachschubgütern, technischem Personal und Waffensystemen. Mit Ausnahme der Luftstreitkräfte betrug die Einsatzstärke der griechischen Truppen nur ein Drittel des Bedarfs, den die NATO eigentlich vorsah. Griechenland war 1956 nicht imstande, auch nur eine einzige gepanzerte Division aufzustellen. An der Grenze zur Türkei und auch im übrigen Thrakien fehlte es an mechanisierten Kräften. Auch die Seestreitkräfte, die für den Fall eines Krieges mit der Türkei unverzichtbar gewesen wären, bestanden nur aus wenigen, überalterten Kampfschiffen. Daneben war Athen für den Erhalt seiner Streitkräfte auf erhebliche amerikanische Finanzhilfen und 191

192 193

Telegramm britische Botschaft Paris an FO, 21.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 469; Telegramm britische Botschaft Rom an FO, 21.12.1956, TNA, FO  371, 123964, Nr.  1059; Telegramm britische Botschaft Brüssel an FO 23.12.1956, TNA, FO 371, 123964, Nr. 49. Telegramm britische Botschaft Bonn an FO, 22.12., Nr.  1005 und Kurztelegramm britische Botschaft Bonn, 27.12.1956, TNA, FO 371, 123964 (o.Nr.). Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 160 f.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

53

Ersatzteillieferungen angewiesen. Es lag auf der Hand, dass Griechenland für einen Waffengang mit seinem östlichen Nachbarn in keiner Weise gerüstet war. Für die Türkei stellte sich die militärische Lage kaum besser dar.194 Die Marine verfügte ebenfalls nur über veraltete, wenig einsatzbereite Kampfschiffe. Die Luftwaffe und das Fernmeldewesen wiesen beträchtliche technische Defizite auf. Neben einem chronischen Mangel an gut ausgebildeten, länger dienenden Soldaten fehlte es Ankara aber vor allem an Geld. Die schwache türkische Wirtschaft war selbst in Friedenszeiten kaum in der Lage, die Ausgaben ihres Streitkräftebedarfs ohne Hilfe des amerikanischen Partners zu decken. Einen Krieg mit Griechenland konnte sich die Türkei schlichtweg nicht leisten.

6. Wegbereiterin der griechisch-türkischen Einigung 1957/58 a) Neue Schlichtungsversuche der Allianz Von externer Seite drohten der NATO im Herbst des Jahres 1956 kaum politische Gefahren. Moskau war nicht daran gelegen, die Krise an der Südflanke der Allianz zu nutzen und für Griechenland vor der Weltöffentlichkeit Partei zu ergreifen. Statt das westliche Bündnis zu spalten, war der Kreml mehr auf seine neue Politik der Entstalinisierung und auf die schweren Unruhen in seinem Satellitenstaat Ungarn fixiert. Bis auf wenige Kommentare zum »düsteren« Charakter des amerikanischen Einflusses in der Region hatte die Sowjetführung die britische Kolonialpolitik auf Zypern weder in seiner staatlichen Presse noch bei den Vereinten Nationen offen kritisiert.195 Griechenland hatte die Angelegenheit jedoch zum Unwillen seiner Verbündeten abermals der UNO zur Prüfung vorgelegt.196 Nach wie vor betrachtete Eisenhower das Thema Zypern in erster Linie unter dem Blickwinkel des Kalten Krieges.197 Washington argwöhnte folglich, dass der Kreml versuchen könnte, über den Weg der UNO Zwietracht unter den Bündnismitgliedern zu sähen und gleichzeitig seinen Einfluss auf den Mittelmeerraum auszudehnen.198 Im Januar 1957 begann man daher in Washington Überlegungen anzustellen, ob der NATO nicht doch eine nützliche Rolle in der Beilegung der Zypernfrage zufallen könnte.199 State Department und NSC hatten erkannt, dass die Krise an der Südostflanke keine Bagatelle mehr darstellte, sondern zu einem ernsthaften Problem für die Allianz geworden war. US-Außenminister Dulles teilte den europäischen Verbündeten schließlich seine Auffassung mit. Das Bündnis sollte sich aus

194 195 196 197 198 199

Ebd., S. 281 f. Telegramm britischer Botschafter Moskau an FO, 22.3.1956, TNA, FO 371, 123879, Nr. 315. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 141 f. Ebd., S. 276. Ebd., S. 142; Oguzlu, The Promise of NATO, S. 461. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 218, Telegramm State Dep. an britische Botschaft Washington, 28.1.1957, , letzter Aufruf 12.1.2017

54

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

seiner Sicht darauf vorbereiten, in der Zypernfrage selbst die Initiative zu ergreifen.200 Die amerikanische Regierung hielt nun auch nichts mehr von direkten Gesprächen zwischen den Streitparteien.201 Der Gesinnungswandel der Führungsmacht brach das Eis. Ismay erhielt damit Rückendeckung. Das State Department setzte sich jetzt aktiv für ein Engagement der Allianz ein. Der Generalsekretär beabsichtigte daher, allen drei beteiligten Streitparteien seine Vermittlungsdienste auf offiziellem Wege anzutragen.202 Washington unterstützte ihn und schob türkische Einwände beiseite.203 Der amerikanische Einfluss auf Ankara entfaltete hier eine augenfällige Wirkung. Der US-Verbündete gab zu erkennen, dass im Zweifelsfall allein er die Tagesordnung der Nordatlantischen Allianz bestimmte.204 Auch Griechenland schien einzulenken. Außenminister Averoff ließ in Washington und Ottawa moderate Töne anklingen.205 Am 15. März 1957 rief Ismay den griechischen, türkischen und britischen Vertreter zu sich und bot sich als Mittler in der Zypernfrage an.206 London und Ankara nahmen nach gegenseitigen Abstimmungsgesprächen seinen Vorschlag an.207 Die griechische Regierung indes lehnte das Angebot ab.208 Trotz diplomatischer Initiativen des amerikanischen Botschafters in Athen waren der griechischen Regierung die Hände gebunden, solange Makarios und Grivas ihre Einwilligung verweigerten.209 Premierminister Karamanlis blieb bei seiner Auffassung, wonach London den Forderungen der griechischen Zyprioten nachgeben sollte.210 Verglichen mit Griechenland befand sich die britische Kolonialmacht jedoch in einem nicht minder schweren Dilemma. Wenn London den griechischen Ansprüchen nachgab und mit Makarios 200

201 202 203

204 205

206

207 208

209 210

FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 218, Telegramm State Dep. an britische Botschaft Washington, 28.1.1957 , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FO, 8.2.1957, TNA, FO 371, 130137, Nr. 20. Ebd. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 220, Protokoll Gespräch US-Außenminister mit Delegation des türkischen Außenministeriums, 9.2.1957, ; ebd., doc. 221, Protokoll Gespräch US-Außenminister und britischer Botschafter in Washington, 11.2.1957, , beider letzter Aufruf 12.1.2017. Freiberger, Allianzpolitik in der Suezkrise, S. 341. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 223, Protokoll Gespräch US-Außenminister mit griechischem Außenminister, 13.2.1957, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm britische UN-Delegation an FO über Äußerung Averoffs gegenüber Pearson, 22.2.1957, TNA, FO 371, 130137, Nr. 635. Brief NATO-Generalsekretär an griechischen, türkischen und britischen Ständigen Vertreter (NATO), 15.3.1957, NATO, PO (57) 339; Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 15.3.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 89, 90 und 603 . Telegramme FO an britische Botschaft Ankara, 15.3.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 602 und 604; Telegramm FO an britische Botschaft Ankara, 16.3.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 606. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 19.3.1957, TNA, FO  371, 130138, Nr.  96, hier: Der SACEUR teilte mit, dass der griechische NATO-Botschafter einstweilen zur Beratung nach Athen zurückbeordert worden war. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 230, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 20.3.1957, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO mit Antwortschreiben Melas an Ismay, 21.3.1957, TNA, FO 371 130138, Nr. 104; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO mit Antwortschreiben Melas an Ismay, 21.3.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 104.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

55

und Grivas direkt verhandelte, ohne Ankara zu beteiligen, konnte die Krise auch das britisch-türkische Verhältnis zerstören. Die Kohäsion im Bündnis drohte dann endgültig zu zerbrechen. Ismay setzte schließlich eine Sondersitzung an, um den Rat über die Antworten der drei Parteien zu konsultieren.211 Der griechische NATO-Botschafter seinerseits nutzte die Besprechung, um London im Auftrag Athens aufzufordern, Makarios aus seinem Exil zu entlassen.212 Die griechische Strategie hatte sich jetzt geändert. Statt eine Debatte der NATO über die Zukunft der Insel einzufordern, suchte Griechenland eine solche nun nach Kräften zu unterbinden. Athen hatte offensichtlich erkannt, dass die Türkei imstande war, über die Gremien der Allianz ihr Mitspracherecht an Zypern schrittweise zu legitimieren. Auf kollektiven Druck des NATO-Rates hin gelang es den Bündnismitgliedern schließlich, die griechische Regierung dazu zu drängen, Ismays Vorschlag nochmals zu überdenken.213 Generalsekretär und State Department bemühten sich in den Folgewochen intensiv darum, die griechische Regierung zum Einlenken zu bewegen.214 London seinerseits suchte der griechischen Zwangslage Rechnung zu tragen und entließ Makarios auf amerikanisches Drängen hin aus seiner Verbannung.215 Die EOKA hatte im Vorfeld verlauten lassen, ihre gewaltsamen Aktionen gegen die Kolonialmacht und die türkischzypriotische Volksgruppe einzustellen, sofern der Erzbischof die Seychellen verlassen und nach Griechenland reisen dürfe.216 Zwischenzeitlich war die Untergrundorganisation militärisch erheblich geschwächt worden.217 Die britischen Kräfte hatten der Widerstandsgruppe mit gezielten Maßnahmen der Aufstandsbekämpfung seit dem Spätherbst 1956 große Verluste beigefügt. Nach der Freisetzung Makarios’ kündigte Grivas daher einen sechsmonatigen Waffenstillstand an.218 Der ersehnte Durchbruch blieb aber aus. Der Erzbischof wurde bei seiner Ankunft in der griechischen Hauptstadt in einer Atmosphäre nationaler Hysterie empfangen, die es der Athener Regierung schier unmöglich machte, außenpolitische Kompromisse einzugehen.219 Makarios hielt in Athen aufs Neue demagogische Reden über die Enosis. Da London zudem begann, seine Streitkräftepräsenz auf Zypern zu reduzieren, feierte die EOKA bereits ihren Sieg.220 211 212 213 214

215

216 217 218 219 220

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 23.3.1957, TNA, FO  371, 130137, Nr. 20 (über die Sondersitzung des NAC am 22.3.1957). Ebd. Ebd. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 235, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 29.3.1957, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 3.4.1957 und 4.4.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 365 und 116. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 234, Protokoll Gespräch Macmillan mit Eisenhower, 23.3.1957, ; ebd., doc. 237, Macmillan an Eisenhower, 31.3.1957, , beide letzter Aufruf 12.1.2017. AdG, 27 (1957), 22.3.1957, S. 6333. Robbins, The British Counter-Insurgency in Cyprus, S. 154 f. Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 235. Protokoll Gespräch William Hayter, FO  Southern Department mit griechischem Botschafter, 10.4.1957, TNA, FO 371, 130138; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 149. Morgan, Sweet and Bitter Island, S.  235; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S.  149. Die britische Entscheidung, die eigene Truppenpräsenz zu reduzieren, betraf dabei keineswegs nur Zy-

56

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Ankara reagierte alarmiert.221 Das türkische Außenministerium griff London auf diplomatischem Wege in scharfen Tönen an. Jetzt war es an der türkische Regierung, sich den britischen Zypernplänen zu verweigern. Ministerpräsident Menderes wiederholte in der Öffentlichkeit seine Forderung nach einer Teilung der Insel.222 Er stachelte damit gleichermaßen die heimische Bevölkerung als auch Kreise der türkisch-zypriotischen Volksgruppe an. Es war unschwer zu verkennen, dass Menderes die Zypernfrage bewusst nutzte, um von seiner umstrittenen Innenpolitik abzulenken. Er war einer der ersten, die vom säkularen Kurs des charismatischen Staatsgründers Kemal Pascha Atatürk abwichen und den politischen Islam im Lande wieder aufleben ließen.223 Diese Strömung fand unter der Landbevölkerung und der aufstrebenden städtischen Mittelschicht wohlwollenden Zuspruch, nicht aber bei den kemalistischen Eliten. Bildungsbürgertum, Armee und Verwaltung verfolgten Menderes’ Politik mit Argwohn und offenem Misstrauen. Statt den sozioökonomischen Status der säkularen Führungsschichten zu stärken, hatte der Ministerpräsident deren Macht und Einfluss auf die Geschicke des Landes geschwächt. Ferner trug der Kurs seiner Demokrat Parti die Kennzeichen einer desolaten Wirtschaftslage und der gewaltsamen Unterdrückung der Meinungsfreiheit.224 Es zeichnete sich ab, dass Menderes die Türkei in Richtung einer autokratischen Einparteienherrschaft zu lenken suchte. Die Zypernfrage bildete für ihn daher einen willkommenen Anlass, um die türkische Wählerschaft hinter sich zu scharen und seine politische Stellung zu festigen. Als Reaktion auf das Verhalten der Briten beabsichtigte die türkische Seite, die Gewalttätigkeiten zwischen den Volksgruppen zu steigern, um der Weltöffentlichkeit vor Augen zu führen, dass eine geografische Trennung der Ethnien der einzige Weg wäre, den Frieden auf der Insel zu gewährleisten. Hier offenbarte sich der grundlegend unterschiedliche Handlungsspielraum zwischen der griechischen und türkischen Regierung: Während die griechischen Zyprioten Athen fortwährend unter Druck setzten und Karamanlis mit ihren Forderungen in ein Abhängigkeitsverhältnis gegenüber Makarios und Grivas drängten, verhielt sich die Lage im Falle der Türkei genau umgekehrt. Die türkisch-zypriotische Minderheit besaß in Ankara nur eine schwache Lobby. Wie sich noch zeigen sollte, diente das Schicksal der türkischen Zyprioten der Regierung Mende-

221 222 223

224

pern und das östliche Mittelmeer. Vielmehr war der britischen Tagespresse zu entnehmen, dass London unter dem Stichwort eines »New Look« sämtliche Grundlagen seiner Verteidigungspolitik und damit auch seine bisherige Rolle als Weltmacht in Frage stellte. Presseberichten zufolge erwog London, auch sein Personal bei der NATO um rund 40 % zureduzieren. Nuklearwaffen und ferngelenkte Waffensysteme sollten dadurch entstehende Defizite technisch kompensieren. Der traditionellen Fähigkeit, Kriege und Konflikte an der Peripherie zu führen, maß die britische Regierung wiederum nur mehr sekundäre Bedeutung bei. Hierzu: Auszug Pressebericht »The Evening Star«, 28.2.1957, BArch, BW 3 1582. Telegramm britische Botschaft Ankara an FO, 9.4.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 362. Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 235 f. Pelt, Military Intervention, S.  1, 61‑65 und S.  248; und Manousakis, Griechenland und die NATO, S. 276 f., hier: In den Wahlen seit 1950 hatte die Demokratische Partei von Ministerpräsident Adnan Menderes mehrfach überragende Wahlsiege davongetragen. Mit dem Ableben des charismatischen Staatsgründers Kemal Atatürk hatten dessen säkulare Reformen in weiten Kreisen der einfachen und mittleren Bevölkerung zusehends an Legitimität verloren. Menderes Rückkehr zu islamischer Religion und Brauchtum spiegelten hingegen den traditionellen Geist der türkischen »Volksseele« wider, den die kemalistische Führungselite gewaltsam zu beseitigen versucht hatte. Pelt, Military Intervention, S. 16, 61‑65; Weiker, The Turkish Revolution, S. 11; auch im Folgenden.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

57

res lediglich als Werkzeug, ihre Eigeninteressen an Zypern zu unterstreichen. Es lag nahe, dass Ankara der türkisch-zypriotischen Volksgruppe gar diktierte, wie ihre Forderungen gegenüber London und Athen zu lauten hatten. Die türkischstämmige Kommune profitierte zwar von den Ambitionen des »Mutterlandes«; ihren eigenen Willen vermochte sie aber nicht wirklich zu artikulieren. Die NATO verkannte die Situation offenbar – oder aber sie war nicht willens, das Gewicht ihrer diplomatischen Aktivitäten stärker auf die Türkei zu lenken. Obwohl die Allianz auf diesem Wege ihre angeschlagene Südostflanke hätte retten können, zogen die westlichen NATO-Partner diese naheliegende Handlungsoption nicht in Erwägung. Das Bündnis unternahm keine Schritte, Ankara mit kollektiven Versprechen dringend benötigter Wirtschafts- und Militärhilfen neue Kompromissbereitschaft zu entlocken. Darüber hinaus hatten auch die britisch-türkischen Beziehungen gelitten.225 Ankara fühlte sich in der Zypernpolitik von seinen Partnern in London zunehmend hintergangen. Eine britenfeindliche Stimmung hielt nun auch in der türkischen Hauptstadt Einzug. In weiten Kreisen der Bevölkerung herrschte die Auffassung, das Vereinigte Königreich habe sich, wie im türkischen Befreiungskrieg der Jahre 1919 bis 1923, offen auf die Seite der Griechen gestellt. Verborgene Urängste aus der Zeit der Zerschlagung des Osmanischen Reiches durch die europäischen Mächte nach dem Ersten Weltkrieg keimten wieder auf. Britische Truppen wurden nun erstmals zur Zielscheibe gewalttätiger Aktionen türkischer Zyprioten. Auch die Regierung in Athen blieb unnachgiebig. Karamanlis wies Ismays Angebot wiederholt zurück.226 Außenminister Averoff kündigte an, auf der für Mai anstehenden Ministerratssitzung der NATO jeden Versuch blockieren zu wollen, die Zypernfrage innerhalb des Bündnisses zu diskutieren.227 Das britische Zugeständnis, Makarios freizusetzen, hatte die Lage nicht entspannt, sondern die Fronten zwischen Griechenland und der Türkei sogar verhärtet. Noch im April 1957 eskalierte der Streit. Der türkische NATO-Botschafter warf der Regierung seines griechischen Kollegen Arglist und Feindseligkeit vor.228 Er berief sich dabei auf eine Äußerung des griechischen Außenministers. Averoff hatte angeblich mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die Türkei gedroht, sollten sich während der anstehenden Ostertage abermals gewaltsame Übergriffe auf die griechische Minderheit in Izmir und Istanbul ereignen. Ismay und die Mehrheit der Ständigen Vertreter werteten das türkische Papier als deutliche Warnung an das Bündnis.229 Die türkische Regierung schien aus Sicht der NATO-Mitglieder neue antigriechische Ausschreitungen oder Massaker an der griechischen Minderheit in der Westtürkei dulden zu wollen. Aber auch die Äußerung des griechischen Außenministers gab Anlass zur Besorgnis. Es lag jetzt an der NATO, 225 226 227 228

229

Bagci, Die türkische Außenpolitik 1945--1956, S. 201‑203. Telegramm britische Botschaft Athen an FO, 10.4.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 283; Telegramm FO an britische Botschaft Athen, 12.4.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 187. Telegramm britische Botschaft Athen an FO, 13.4.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 291. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.4.1957, TNA, FO  371, 130138, Nr. 123, hier: Der britische NATO-Botschafter erwähnte in seinem Bericht, das Protokoll sei in äußerst ungeschicktem und undiplomatischem Tenor verfasst worden. Zum Originaltext siehe Türkischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 17.4.1957, TNA, FO 371, 130138. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.4.1957, TNA, FO  371, 130138, Nr. 123.

58

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

eine Eskalation zwischen den beiden Bündnispartnern zu verhindern. Ismay rief daher am 17. April eine Eilsitzung des Rates ein. Die Besprechung begann in emotional aufgeladener Stimmung.230 Der griechische NATO-Botschafter Melas und der türkische Vertreter Tiney warfen sich auf Anweisung ihrer Regierungen wechselseitig historische Verbrechen und Verwerfungen ihrer beiden Staaten vor. Der griechische Vertreter stritt in der Runde der Mitglieder die Äußerung ab, die das türkische Papier seinem Außenminister unterstellte. Die Bündnispartner mahnten die Streitparteien daher zur Ruhe. Als Melas sich dennoch anschickte, die türkische Berechtigung an Zypern abermals in Frage zu stellen, schritt Ismay ein und schnitt ihm kurzerhand das Wort ab. Die Anwesenden hatten erkannt, dass die NATO aktiver handeln musste, wenn sie neue gewalttätige Unruhen und Pogrome gegen die griechische Minderheit auf türkischem Boden verhindern wollte. Wenn die Lage eskalierte, war zu erwarten, dass die angeschlagenen griechisch-türkischen Beziehungen einen Tiefpunkt erreichten. Die Südostflanke würde dann nur noch auf dem Papier weiterexistieren. Im Nachgang der Sitzung bemühte sich Ismay, beide Seiten auf bündnispolitischem Wege unter Druck zu setzen, damit sie ihre Streitigkeiten im Zaum hielten.231 Er drängte die griechische und türkische Regierung im Namen der NATO, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um öffentliche Ausschreitungen zu verhindern. Zur positiven Überraschung der Ratsmitglieder verliefen die Ostertage ohne Zwischenfälle.232 Indes basierte dies weniger auf den Bemühungen des Generalsekretärs und auf dem Appell der Allianzmitglieder. Vielmehr zog Washington im Hintergrund diplomatische Fäden. US-Botschafter George Allen hatte Makarios in Athen das Versprechen abgerungen, sich gegenüber den türkischen Zyprioten in seinen öffentlichen Reden wohlwollender zu zeigen.233 Daneben erinnerte das State Department die türkische Regierung daran, dass Washington seine großzügigen Wirtschaftshilfen an die Türkei auch überdenken könne.234 Die kurzzeitige Entspannung auf der Insel schien positive Signale in Richtung der griechischen und türkischen Hauptstadt zu senden. Davon abgesehen wurden aber keine Anzeichen laut, die auf einen Kompromiss hindeuteten.235 Die innere Lage Griechenlands ließ in der Zypernfrage weiterhin keine Zugeständnisse zu. Das Kabinett stand im Mai 1957 im regelrechten Feuer öffentlicher Kritik.236 In einer mit großer Schärfe geführten Debatte, die von zahlreichen Tumulten und Zwischenrufen unterbrochen wurde, sprach 230 231

232 233 234 235

236

Ebd. Schreiben (Originaltext) NATO-Generalsekretär an griechische und türkische Regierung, 17.4.1957, in: Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.4.1957, TNA, FO 371, 130138, Nr. 125. Weder in den Quellen einschließlich der Presseveröffentlichungen des Jahres 1957 noch in der Literatur finden sich Hinweise auf Ausschreitungen in Griechenland oder der Türkei. FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 247, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep, 26.4.1957, , letzter Aufruf 12.1.2017. Andries, Greece and Turkey, S. 142. Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 2.5.1957, NATO, CR (57) 26; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 2.5.1957, TNA, CAB  21, 3569, Nr.  357; Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 3.5.1957, NATO CR (57) 29; Telegramm britischer Botschafter Bonn an FO, 3.5.1957, TNA, FO  371 130138, Nr.  368;. Protokoll NATO-Ministerratssitzung, 3.5.1957, CAB  21, 3569, Nr. 368. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 25.5.1957, PA AA, B 14-301, Nr. 572/57.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

59

die griechische Kammer Premierminister Karamanlis schließlich mit knapper Mehrheit das Vertrauen aus. Die Zypernfrage hatte bei den zähen Verhandlungen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt. Der Oppositionspolitiker Georgios Papandreou237 hatte Außenminister Averoff schwere Vorwürfe gemacht, die griechischen Interessen gegenüber Großbritannien und der Türkei nicht hinreichend vertreten zu haben. Mit der Übernahme der Amtsgeschäfte durch Paul-Henri Spaak238 nahm die griechische Haltung zunächst eine unerwartete Wendung. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger genoss Spaak als Vertreter eines kleinen Landes in Griechenland weit größeres Vertrauen als Ismay. Noch vor dem formellen Amtsantritt des neuen Generalsekretärs hatte Averoff dem britischen Botschafter in Athen daher vertraulich mitgeteilt, dem ersten Schritt einer NATO-Vermittlung nun doch zustimmen zu wollen.239 Im griechischen Parlament verkündete der Außenminister wenige Wochen später, den Vermittlungsvorschlag des Bündnisses zu akzeptieren.240 Spaak widmete sich der Angelegenheit mit neuem Elan. Er beabsichtigte, die Zypernfrage zum Prüfstein der Autorität des NATO-Generalsekretärs sowie der grundsätzlichen Befähigung der Allianz zu machen, sich nicht nur als Verteidigungsbündnis, sondern auch als friedensstiftende Institution unter ihren Mitgliedern zu erweisen.241 Spaak hatte während der Ministertagung in Bonn mehrfach mit Averoff gesprochen.242 Der Grieche hatte seinen guten Willen bekundet und die bisherige Ablehnung der Schlichtung durch die NATO begründet. Die britische Nationalität Lord Ismays war dabei von entscheidender Bedeutung gewesen, wenngleich auch Spaak als Angehöriger einer – kleinen – Kolonialmacht243 in der griechischen Öffentlichkeit auf geteilte Meinungen stieß. Im weiteren Gespräch mit dem Generalsekretär ließ der Minister aber Kompromissbereitschaft erkennen. Averoff forderte Spaak auf, einen Mittelweg zu finden, der sowohl dem türkischen Ansinnen nach Taksim, der geografischen Teilung der Insel, als auch der Enosis gerecht würde. Der neue Generalsekretär beabsichtigte daher, mit Bedacht vorzugehen, um das Ansehen der NATO nicht durch fruchtlose Verhandlungen zu gefährden. Er plante, in einem ersten Schritt alle drei Hauptstädte zu besuchen, um die Standpunkte der Streitparteien 237

238

239 240 241 242 243

Georgios Papandreou war der Großvater des späteren griechischen Premierministers Georgios Andrea Papandreou, der von 2009 bis 2011 griechischer Premierminister der sozialdemokratischen Partei der PASOK war. Jordan, Political Leadership, S. 55‑67, hier: Paul-Henri Spaak, 1899 im flämischen Schaarbeck geboren, entstammte einer Politikerfamilie. Bereits in seiner Jugend rhetorisch geschult, trat er in jungen Jahren in die Politik ein. 1938 wurde er Premierminister des Landes. Den Zweiten Weltkrieg verbrachte er in London als belgischer Exilpolitiker. In den 1950er Jahren stieg er zum internationalen Staatsmann auf und wurde Präsident der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (Montanunion). Im Gegensatz zu Ismay genoss er es, seine eigene Person ins Rampenlicht zu stellen und seine politische Rolle theatralisch zu untermauern. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FO, 10.5.1957, TNA, FO  371, 130138, Nr. 22103/361/57. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 25.5.1957, PA AA, B 14-301, Nr. 572/57. Holland, NATO and the Struggle for Cyprus, S. 46. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 18.5.1957, TNA, FO  371, 130139, Nr. 336. Das Königreich Belgien stand 1957 mit Blick auf den umstrittenen Status seiner zentralafrikanischen Kolonie Belgisch-Kongo im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit.

60

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

genauer zu erfragen.244 Ihm schwebte dabei eine Lösung vor, welche die Unabhängigkeit Zyperns ins Zentrum des Interesses rückte und so den griechischen Forderungen entgegenkäme. Den türkischen Bedürfnissen sollte durch ein Abkommen Rechnung getragen werden, das eine Angliederung der Insel an Griechenland vertraglich unterband. Die NATO sollte das Abkommen überwachen. Trotz allem war Spaak sich dessen bewusst, dass die Zeit für Verhandlungen noch nicht reif war.245 Makarios lehnte eine Vermittlung durch das Bündnis nach wie vor ab. So stand der Generalsekretär unter zeitlichem Druck. Er fürchtete, dass London früher oder später seine Truppen von Zypern abziehen und die Kolonie ihrem Schicksal überlassen würde. Der Insel drohte dann eine ähnlich trübe Zukunft wie dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet Palästina.246 Am 13.  Juni 1957 unternahm er einen ersten konkreten Vermittlungsschritt. Er legte dem griechischen, türkischen und britischen Vertreter seine Vorschläge vor.247 Er bot seine Dienste als Schlichter an, ohne dabei die Funktion eines Schiedsrichters zu übernehmen. Seine Rolle sollte erst zum Tragen kommen, wenn eine einvernehmliche Diskussionsgrundlage gefunden war. Er forderte Griechenland und die Türkei auf, sich von Enosis und Taksim öffentlich zu distanzieren. Die Insel sollte eine besondere Form der Unabhängigkeit erhalten, die Ankara und Athen Schutzrechte für deren ethnische Angehörige auf der Insel gewährte. Ankara lehnte sein Angebot jedoch strikt ab. Aus türkischer Sicht leistete das Papier ausschließlich griechischen Interessen Vorschub.248 Auch Griechenland machte Anstalten, sich von seiner Zustimmung zu Spaaks Vermittlungsangebot wieder zu distanzieren.249 Karamanlis fürchtete, dass die NATO die türkische Verhandlungsposition auf diesem Wege unbewusst stärken könnte. Lediglich London und Washington standen Spaaks Initiative aufgeschlossen gegenüber.250 Das State Department hatte erkannt, dass die türkische Forderung nach einer Teilung der Insel mit beträchtlichen Schwierigkeiten verbunden war. Spaaks Vorschlag einer »garantierten« Unabhängigkeit traf daher im State Department auf Resonanz. Die britische Regierung hingegen schien sich immer deutlicher bewusst zu werden, dass Zypern sich zwischenzeitlich nur noch als drückendes koloniales Erbe erwies, das es alsbald loszuwerden galt. Presseberichte über die Vorgehensweise der britischen Armee auf der Insel – systematische Misshandlungen sowie Folter und Hinrichtung griechischer Zyprioten in den Ver244

245 246 247 248 249

250

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 18.5.1957, TNA, FO  371, 130139, Nr.  336; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 27.5.1957, TNA, FO  371, 130139, Nr. 22103/395/57. Griechisches Außenministerium an Spaak, 31.5.1957, PHS Archives, D 6095;. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 1.6.1957, TNA, FO 371, 130139, Nr. 22103/411/57. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 13.5.1957, TNA, FO  371, 130139, Nr. 22103/440/57. Spaaks Note, 13.6.1957 (Originaldokument), TNA, FO 371, 130139. Aide-Memoire des türkischen Außenministeriums gegen eine Unabhängigkeit Zyperns (Originaldokument, undatiert), TNA, FO 371, 130139. Schreiben niederländischer Ständiger Vertreter an Spaak vom 14.6.1957, PHS Archives, D 6097; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.6.1957, TNA, FO  371, 130139, Nr. 22103/462/57. Telegramm britische Botschaft Washington an FO, 21.6.1957, TNA, FO 371, 130139, Nr. 1319; Nachricht Ständiger US-Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 13.6.1957, PHS Archives, D 6096.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

61

hörzentren des britischen Geheimdienstes in Platres und Ormophita – ließen den Ruf in der britischen Öffentlichkeit lauter werden, die Herrschaft über die Insel endlich zu beenden.251 Trotz der britischen und amerikanischen Unterstützung schob der Generalsekretär die Pläne für seine Reisen nach Ankara und Athen Anfang Juli vorerst auf.252 In der türkischen Hauptstadt hatte der Wahlkampf Einzug gehalten. Regierung wie Opposition stellten sich gegen eine Unabhängigkeit Zyperns.253 Das amtierende Kabinett unter Menderes konnte sich nach wie vor keine Schwäche oder außenpolitische Kompromissbereitschaft erlauben. Durch die industrielle Rückständigkeit und die hohe Staatsverschuldung des Landes geschwächt, sah sich die Regierung stärker denn je gezwungen, wenigstens in der Außenpolitik ihre Durchsetzungsfähigkeit zu beweisen. Dies betraf nicht nur die Zypernfrage. Die Türkei verlegte in diesen Tagen Truppen an ihre Südostgrenze, um einen befürchteten kommunistischen Militärputsch im Nachbarland Syrien zu verhindern.254 Im Herbst 1957 stationierte Ankara drei Divisionen an der syrischen Grenze, um Druck auf Damaskus auszuüben, den antiwestlichen, prosowjetischen Kurs zu korrigieren, den das arabische Land eingeschlagen hatte. Syrien zählte neben Ägypten zu denjenigen Regimen, die nach sowjetischem Verständnis mit dem Imperialismus des Westens gebrochen und sich dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft verschrieben hatten.255 Zwar entsandte Moskau noch keine Truppen in die Region. Jedoch statteten sowjetische Kriegsschiffe Syrien demonstrativ einen Flottenbesuch ab. Spaak unternahm im Sommer 1957 einen vorerst letzten Versuch, die türkische Regierung davon zu überzeugen, sich auf seinen Vorschlag einzulassen.256 Er warnte Ankara vor den Gefahren für die Eintracht und Kohärenz des Bündnisses, wenn der Konflikt weiterhin ungelöst bliebe. Mit dem Argument, eine Unabhängigkeit der Insel nur unter strengen Garantiebedingungen und im Einvernehmen aller drei Beteiligten anstreben 251 252 253 254

255 256

Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 236 f.; Robbins, The British Counter-Insurgency in Cyprus, S. 157‑163. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 3.7.1957, TNA, FO  371, 130139, Nr. 462. Dawletschin-Lindner, Diener seines Staates, S. 193. Ebd.; Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 172 f., hier: Der SACEUR, General Lauris Norstad, sah den türkischen Initiativen mit Unbehagen entgegen. Angesichts des Sputnik-Schocks war Norstad sich der sowjetischen Fähigkeit bewusst, nuklear bestückte Interkontinentalraketen nun auch gegen das Territorium der Vereinigten Staaten einsetzen zu können Er legte der türkischen Regierung dar, dass er die Truppenverlegungen als nationaltürkische Angelegenheit, nicht aber als militärische Reaktion der NATO auf die Entwicklungen in Syrien betrachte. Um die Türkei dennoch zu beschwichtigen und das türkisch-amerikanische Verhältnis nicht zu belasten, verlegte Washington die 6. US-Flotte in den ägäischen Raum vor Izmir und stellte Ankara neue Finanzhilfen in Aussicht. Wie Pelt, Military Intervention, S. 142‑156, ausführt, drohte sich die syrische Krise zum Schauplatz einer neuen Konfrontation der beiden Blöcke zu entwickeln. Der Kreml sah in den türkischen Truppenverlegungen eine unmittelbare Bedrohung sowjetischer Interessen. NATO und US-Regierung drängten Ankara folglich dazu, von einem Einmarsch in Syrien abzusehen. Obgleich US-Außenminister Dulles persönlich ein türkisches Eingreifen befürwortete, ließ Washington seinem türkischen Bündnispartner gegenüber erkennen, dass die Angelegenheit ein ähnliches Ende wie die Suezkrise nehmen könnte, wenn die Türkei im Alleingang intervenierte. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 172 f.; Hatzivassiliou, Out-of-Area, S. 74; Kanet, Sowjetische Militärhilfe, S. 68. Schreiben NATO-Generalsekretär an türkischen Ministerpräsident, 16.7.1957, PHS Archives, D 6099.

62

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

zu wollen, suchte er den türkischen Ministerpräsidenten vergeblich zum Einlenken zu bewegen. b) Heftige Debatten im NAC und neue Unruhen auf Zypern Im Mai 1958 präsentierte die britische Regierung Spaak einen neuen Plan, Zypern schrittweise in die Unabhängigkeit zu überführen.257 Nach dem Namen des neuen britischen Premierministers Harold Macmillan benannt, sah der Entwurf eine siebenjährige Frist vor, in der weitreichende Maßnahmen kommunaler Eigenständigkeit auf Zypern eingeführt werden sollten. Neben zwei Repräsentantenhäusern sollte ein Rat geschaffen werden, der mehrheitlich mit griechischen Zyprioten zu besetzen war. Sowohl Griechenland als auch der Türkei sollte das gleichwertige Recht eingeräumt werden, einen hoheitlichen Vertreter zu bestellen, der neben dem Gouverneur ein politisches Mitspracherecht erhielte. Eine Teilung der Insel war nicht vorgesehen. London war nun bereit, den NATO-Rat und die Bündnismitglieder in der Zypernfrage zu konsultieren.258 Nichtsdestoweniger übte das Foreign Office auch Kritik an Spaaks Vorgehen. Der britische NATO-Botschafter Frank Roberts bemängelte, dass der Generalsekretär meist eigenmächtig gehandelt hätte, ohne sich mit der Mehrheit der Allianzmitglieder zu beraten. Nach britischer Auffassung hatte sich Spaak lediglich mit Washington abgestimmt. In der Tat hatte der NATO-Rat seit dem Ende der Amtszeit Ismays keine Sachstandsmeldungen mehr erhalten, weshalb sein Interesse an der Angelegenheit anderen Themen gewichen war.259 Auch Spaak selbst erkannte, dass er seine Vorgehensweise modifizieren und den Rat wieder stärker in seine diplomatischen Schritte einbinden musste.260 Er beabsichtigte, zunächst eine Sitzung des NATO-Rates einzuberufen, an der alle Mitglieder mit Ausnahme Großbritanniens, Griechenlands und der Türkei teilnehmen sollten. Er wollte die übrigen Mitgliedsstaaten dazu drängen, ihre passive Haltung aufzugeben und sich Ankara und Athen gegenüber für den MacmillanPlan auszuprechen. US-Außenminister Dulles zweifelte zwar am Erfolg des britischen Plans, sagte aber seine grundlegende Unterstützung zu.261 Bevor der Generalsekretär jedoch zur Tat schreiten konnte, überschlugen sich die Ereignisse. In den Tagen, die auf Spaaks Besprechung mit Roberts folgten, entzündeten sich in den Vororten Nikosias blutige Unruhen. Türkische Zyprioten drangen in die griechisch bewohnten Stadtteile ein und töteten zahlreiche Einwohner.262 Auch in anderen Regionen Zyperns begannen die Volksgruppen einander zu bekämpfen. Inner257 258 259 260

261 262

(Unbekannter Verfasser) FO an britischen Außenminister, 24.5.1958, TNA, FO 371, 136388. Ebd. Ebd.; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.5.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr. 23. FO an britischen Außenminister, 24.5.1958, TNA, FO 371, 136388; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.5.1958, TNA, FO 371, 136388, Nr. 23; Telegramm FO an britischen Ständigen Vertreter (NATO), 5.6.1958, TNA, FO 371, 136388; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 9.6.1958, TNA, FO 371, 136388, Nr. 65. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 205, Schreiben Dulles an Lloyd, 27.5.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. AdG, 28 (1958), 21.6.1958, S. 7136; Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 244.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

63

halb kürzester Zeit herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände, die der neue britische Gouverneur, Hugh Foot, nur mit Mühe eindämmen konnte. Die Kolonialverwaltung verdächtigte Ankara, die Gewalttaten und das Blutvergießen im Hintergrund aktiv zu steuern.263 Wie bei den Unruhen von Izmir und Istanbul im Jahr 1955 war der Auslöser des Aufruhrs auf einen Bombenanschlag unbekannter Täter zurückzuführen. Die griechisch-türkischen Beziehungen erreichten einen Tiefpunkt.264 Athen forderte die Allianzmitglieder auf, die Gewalttaten der türkischen Volksgruppe im NAC anzuprangern und die Türkei als Verantwortlichen zur Rede zu stellen.265 Um ihrem Appell Nachdruck zu verleihen, zog die griechische Regierung ihren Botschafter aus der türkischen Hauptstadt ab und drohte, ihren NATO-Verpflichtungen nicht länger nachzukommen, sollten sich derartige Vorfälle wiederholen.266 Der amerikanische Botschafter in Athen, Allen, beschrieb die örtliche Stimmung als äußerst angespannt.267 Seinem Bericht nach war die Regierung Karamanlis sich dessen gewahr, dass sie die Allianz mit ihrem Vorgehen auf undiplomatische Weise zu erpressen suchte. Das griechische Kabinett besaß aber keine Alternative, wollte es nicht seinen Sturz riskieren. Die Allianz geriet nun in Zugzwang. Spaak rief eilig eine neue Sitzung ein. Der NAC drohte am 10. Juni 1958 abermals zur Bühne der griechisch-türkischen Streitigkeiten zu werden. Die Tagung begann bereits mit einer Kontroverse um die formale Abhandlung der Tagesordnungspunkte, was dazu führte, dass sämtliche anderen Besprechungspunkte verschoben werden mussten.268 Der türkische Delegierte Selim Sarper269 begann auf gezielte Weisung aus Ankara, der griechischen Regierung in taktloser Weise Terrorismus und Aggressionen gegen türkisches Hoheitsgebiet vorzuwerfen. Auch forderte er Spaak und die Ratsmitglieder auf, die vertraulichen Gesprächsinhalte der Sitzung in der Presse öffentlich bekanntzugeben. Es war nicht zu verkennen, dass Sarper die NATO bewusst zu provozieren suchte.270 263

264 265 266 267

268

269

270

FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 207, Telegramm US-Konsulat Nikosia an State Dep., 9.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Vgl. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S.  188  f.; und Richter, Historische Hintergründe des Zypernkonflikts, S. 4, hier: Chourchoulis und Richter sind ebenfalls der Meinung, die Unruhen seien auf gezieltes Betreiben Ankaras erfolgt. Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 244. Telegramm britische Botschaft Ankara an FO, 9.6.1958, TNA, FO 371, 136388, Nr. 854. Ebd. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 208, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 10.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017, hier: Botschafter Riddleberger empfahl dringend, die NATO solle unverzüglich handeln. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr.  65; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 11.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr. 70. Spaak beschrieb Sarper in seinen Memoiren als einen Mann mit politischer Erfahrung und Scharfsinn. Selim Sarper stieg nach 1960 zum Außenminister der Türkei auf. Hierzu: Spaak, Memoiren, S. 364 f. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10. und 11.6.1958, TNA, FO 371, 136388, Nr. 65 und Nr. 70. Der Sozialpsychologe Vamik Volkan beschreibt ein solches Vorgehen auch heute noch als gängiges Mittel der Diplomatie. Es kann im Interesse einer oder mehrerer Streitparteien liegen, Konflikte im Rahmen von Verhandlungsgesprächen bewusst zu schüren, um am Ende weniger Kompromisse eingehen zu müssen, als dies bei friedlichen Debatten der Fall wäre. Volkan, Das Versagen der Diplomatie, S. 201.

64

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Der Generalsekretär reagierte scharf. Er wies den türkischen Vertreter zurecht, dass der NATO-Rat kein Propagandaforum sei.271 Die anwesenden Ratsmitglieder unterstützten Spaak.272 Sie übten Kritik an Sarpers Forderungen und stellten sich geschlossen hinter den Generalsekretär. Der griechische Vertreter seinerseits suchte die Stimmung im NAC für sich zu nutzen und klagte die Türkei an, ihre außenpolitischen Ziele mit Hilfe von Drohungen und Gewalt zu verfolgen. Sarper antwortete mit undiplomatischen Schmähreden gegen Griechenland und offenem Sarkasmus über die Enosis. Er schloss seine Rede mit den Worten, die Teilung Zyperns sei mittlerweile der einzige Kompromiss, den seine Regierung angesichts der Umstände einzugehen bereit sei. Die Ratsmitglieder waren über den offenen Eklat sichtlich irritiert.273 In der verfahrenen Lage wussten sie sich nicht anders zu helfen, als Londons Rolle als Kolonialmacht aufs Neue zu stärken. Sie erklärten ihrem griechischen und türkischen Verbündeten gegenüber einstimmig, dass es ausschließlich der britischen Regierung obliege, Ruhe und Ordnung auf der Insel wiederherzustellen. Auch Spaak suchte die prekäre Situation zu entschärfen. Er appellierte an den griechischen und türkischen Delegierten, keinen offenen Bruch innerhalb des Bündnisses zu verursachen. Der britische NATO-Vertreter beschrieb die Sitzung in seinem Telegramm an das Foreign Office als »langwierig und peinlich«.274 Die türkische Regierung hingegen hatte ihr Ziel erreicht. Sie hatte die Allianz mit Hilfe ihres NATO-Botschafters dazu gedrängt, die Legitimität der britischen Herrschaft auf der Insel zu stärken. Zudem reagierte London unmittelbar auf die Erklärung des NATO-Rates und verlegte wenige Tage später Teile seiner »Red Devils«, der 16. Fallschirmjägerbrigade, nach Zypern, um die dortigen Unruhen zu beenden.275 Wenn Griechenland und Makarios sich einer Teilung der Insel fortwährend verweigerten, bestand aus türkischer Perspektive die Aussicht, dass die Insel weiterhin eine britische Kolonie bliebe. Die Zeichen standen nach türkischer Bewertung günstig, dass London und die NATO hier ein Einsehen haben würden. c) Die Reaktion der NATO und die Rückwirkungen des Konflikts Das Bündnis war sich unschlüssig, wie es in der schwierigen Angelegenheit weiter verfahren sollte. Am 12. Juni 1958 trafen sich die NATO-Ratsmitglieder ohne die Vertreter Griechenlands, der Türkei und Großbritanniens, um über das Problem weiter zu beraten.276 Die Anwesenden diskutierten darüber, ob der Rat die Streitparteien abermals 271 272

273 274 275 276

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 11.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr. 65. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr.  70; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 11.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr. 65. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr. 70. Über die Reaktion des bundesdeutschen Vertreters liegen keine Erkenntnisse vor. Ebd. Hierzu AdG, 28 (1958), 21.6.1958, S. 7136. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 212, Editorial Note mit Originalauszug aus Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., , letzter Aufruf 12.1.2017.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

65

ermahnen sollte, mit friedlichen Mitteln eine Lösung anzustreben. Sie stimmten darin überein, dass der NAC aktiver werden müsse, da die Eintracht der NATO auf dem Spiel stehe. Andererseits waren sich die Bündnispartner darüber bewusst, dass das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der Allianz ernsthaften Schaden zu nehmen drohten, wenn der Rat mit seinen Bemühungen scheiterte. Die Mitglieder waren sich auch uneins über die Haltung des Bündnisses zum neuen britischen Zypernplan. Das italienische Außenministerium und die Beneluxstaaten unterstützten das Vorhaben.277 Frankreich betrachtete die Einführung der kommunalen Eigenständigkeit der Insel vor dem Hintergrund der turbulenten Ereignisse in Französisch-Algerien skeptisch.278 Der blutige Unabhängigkeitskrieg in den nordafrikanischen Departements beanspruchte in diesen Tagen die volle Aufmerksamkeit des Quai d’Orsay und schürte den französischen Argwohn gegenüber jedweden Entkolonialisierungsprozessen.279 Paris sagte seine Unterstützung daher nur sehr zögerlich zu.280 Norwegen ließ seine Entscheidung offen.281 Dänemark wiederum machte seine Zusage vom Beschluss der anderen Mitglieder abhängig, während die Bundesrepublik Deutschland sich ihrer Stimme enthielt.282 Folglich stand die Allianz dem Problem weitgehend hilflos gegenüber.283 Die Lage auf Zypern verschärfte sich von Tag zu Tag, während der griechische Bündnispartner mit seinem Rückzug aus der NATO drohte. Das State Department hoffte weiter inständig auf eine Lösung durch den NAC.284 Washington ahnte, dass Griechenland die Angelegenheit erneut vor die Vereinten Nationen tragen würde, wenn sich nicht bald eine Lösung des Problems abzeichnete. In der Ratssitzung vom 13. Juni 1958 erläuterte der britische Vertreter detailliert den Inhalt des Macmillan-Plans. Auf Anraten Spaaks appellierte er an seinen griechischen und türkischen Amtskollegen, das Angebot Londons zu überdenken und den Vorschlag nicht leichtfertig zurückzuweisen. Die NATO ihrerseits hatte erkannt, dass die gesamte Zukunft der Südostflanke vom Erfolg des britischen Zypernplans abhängen könnte. Der Generalsekretär und die Vertreter aller Mitgliedsstaaten suchten die beiden Partner nun einvernehmlich von den Vorteilen des britischen Entwurfs zu überzeugen. Der niederländische, der dänische und der deutsche Vertreter gaben ihre Zurückhaltung auf und befürworteten mit Nachdruck das Anliegen der übrigen Bündnispartner. Während der 277

278 279

280 281 282 283 284

Telegramm britische Botschaft Rom an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 374; Telegramm britische Botschaft Den Haag, 12.6.1958, TNA, FO 371 136368, Nr. 134; Telegramm britische Botschaft Luxemburg an FO, 12.6.1958, TNA, FO  371, 136368, Nr.  41; Telegramm britische Botschaft Brüssel, 13.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 114. Telegramm britische Botschaft Paris an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 309; und Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136388, Nr. 72. Zu den Hintergründen des französischen Algerienkrieges siehe Mollenhauer, Die vielen Gesichter der pacification, S. 329‑366. Zur Thematik der französischen Entkolonialisierung siehe auch: Clayton, The Wars of French Decolonization. Telegramm britische Botschaft Paris an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 309; und Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136388, Nr. 72. Telegramm britische Botschaft Oslo an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 126. Telegramm britische Botschaft Bonn an FO, 12.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 541; Telegramm britische Botschaft an FO , 14.6.1958, TNA, FO 371, 136368, Nr. 226. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.6.1958, TNA, FO  371, 136388, Nr. 72. FRUS, 1958‑1960, vol.  10/1, doc.  216, Telegramm US-Außenminister Dulles an Ständigen US-Vertreter (NATO) in Paris, 12.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017.

66

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

griechische Delegierte Hoffnung erkennen ließ, zählte sein türkischer Amtskollege die inhaltlichen Schwächen des Konzepts auf. Sarper kritisierte wiederholt die fehlende Option einer Teilung der Insel.285 Jedoch äußerte er sich diesmal in gemäßigtem Tonfall und lehnte das Papier nicht mehr kategorisch ab. Washington hatte Ankara im Vorfeld unter Druck gesetzt, eine moderatere Haltung einzunehmen. Am Vorabend der Ratssitzung hatte US-Botschafter Fletcher Warren den türkischen Ministerpräsidenten in Ankara gewarnt, dass die gewaltsamen Ereignisse auf Zypern den amerikanischen Interessen zunehmend zuwiderliefen. Warren hatte Menderes gegenüber dargelegt, dass die Türkei ihre strategische Partnerschaft mit Washington aufs Spiel setze, wenn sie sich weiter unkooperativ verhielte.286 Die Führungsmacht im Bündnis hatte unmissverständlich gezeigt, dass die lukrativen Wirtschafts- und Militärbeziehungen der Türkei zum Westen Kompromisse erforderten. Gleichwohl hatte auch der amerikanische Einfluss seine Grenzen. Analog der griechischen Regierung stand die politische Führung der Türkei vor einem schweren Dilemma.287 Der rigide Druck vonseiten der eigenen Wählerschaft stand den Forderungen des amerikanischen Verbündeten diametral gegenüber. Anfang Juni hatten in mehreren türkischen Städten Großdemonstrationen stattgefunden, die mit der Losung »Teilung Zyperns oder Tod« von der Regierung eine unnachgiebige Haltung forderten. Ähnlich düster stellte sich die Lage in Athen dar.288 Der dortige amerikanische Botschafter James Riddleberger urteilte, die griechische Regierung würde ihren direkten Sturz riskieren, wenn sie Macmillans Zypernplan beipflichtete. Der Handlungsdruck, der auf Premierminister Karamanlis seitens der griechischen Bevölkerung lastete, hatte den Politiker sogar dazu bewogen, das militärische Personal Griechenlands aus HALFSEE im Eiltransport abzuziehen.289 Die griechischen Behörden hatten die NATO über diesen Schritt nicht unterrichtet. Athen rechtfertigte die Maßnahme mit fortgesetzten Provokationen der türkischen Regierung.290 Der SACEUR, General Lauris Norstad, übersandte dem griechischen Verteidigungsminister eine Beschwerde.291 Den Berichten des deutschen Militärvertreters im NATO-Militärausschuss (MC) zufolge hatte die Zusammenarbeit der griechischen und türkischen Offiziere in den integrierten Strukturen bislang reibungslos funktioniert.292 Am 25. Juni 1958 aber 285 286

287 288 289 290 291

292

Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 13.6.1958, TNA, FO 371, 136389, Nr. 71, 72 und 73. FRUS, 1958‑1960, vol.  10/1, doc.  218, Telegramm US-Botschafter Ankara an State Dep., 13.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Bagci, Die türkische Außenpolitik 1945--1956, S. 204. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 222, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 14.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britische Botschaft Ankara an FO, 14.6.1958, TNA, FO 371, 136236, Nr. 900; AdG, 28 (1958), 21.6.1958, S. 7136. Telegramm britische Botschaft Ankara an FO, 16.6.1958, TNA, FO 371, 136236, Nr. 915; Telegramm britische Botschaft Athen an FO, 16.6.1958, TNA, FO 371, 136236, Nr. 414. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.6.1958, TNA, FO  371, 136389, Nr. 89; Antwortschreiben Generalmajor der griechischen Luftstreitkräfte, Diamantopoulos, an den Vorsitzenden des NATO-Militärausschusses, 19.6.1958, NATO, MCM-82-58. Bericht Nr. IV/1958, Deutscher Militärischer Vertreter (DMV) an BMVg, Orientierung zur militärpolitischen Lage aus Sicht der NATO-Arbeit des DMV, 11.7.1958, BArch, BW 3 1589; Bericht

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

67

reagierte Athen mit weiteren Sanktionen. An diesem Tag verließen die griechischen Offiziere beim NATO-Militärausschuss in Washington auf Weisung Athens wortlos den Lagebesprechungsraum, sobald türkische Offiziere eintraten.293 Der griechische Außenminister erklärte diesbezüglich, dass sein Land nicht mehr bereit sei, mit der Türkei in den integrierten Kommandostrukturen zusammenzuarbeiten.294 Für die NATO stellte sich diese Entwicklung besorgniserregend dar. Die Hauptquartiere von LANDSOUTHEAST und der SIXATAF waren aufgebaut worden, um im Falle eines Krieges mit dem Warschauer Pakt die NATO-assignierten Land- und Luftstreitkräfte beider Staaten unmittelbar zu führen.295 Die politischen Entwicklungen drohten nun auch das Betriebsklima in den integrierten Führungsstäben zu vergiften und die Arbeitsfähigkeit der Kommandobehörden zunichte zu machen. Die Südostflanke stand in Gefahr, nicht nur politischen, sondern auch militärischen Schaden zu nehmen. Das State Department suchte den türkischen Außenminister Fatin Zorlu vergeblich zu überreden, dem Macmillan-Plan doch noch zuzustimmen, um den griechischen Schritt zu revidieren.296 Zorlu reagierte mit harschen, vermutlich im Affekt geäußerten Worten. Er bezeichnete die griechische Entscheidung als »infantil« und forderte die NATO auf, einen Austritt Griechenlands billigend in Kauf zu nehmen. Der türkische Politiker ließ keinen Zweifel daran, dass Menderes aus Rücksicht auf seine Wählerstimmen nicht anders konnte, als auf seinem Veto zu bestehen. Spaak hatte einen wahren Drahtseilakt zu vollführen. Sowohl die griechische als auch die türkische Regierung standen unter erheblichem innerem Erfolgsdruck. Ankara war erbittert und fühlte sich in seinem Stolz verletzt. Menderes sah es als erniedrigend an, von der Allianz und vor allem von Washington bedrängt zu werden, in einer Frage nachzugeben, deren Lösung nach türkischer Auffassung eigentlich nicht Aufgabe des Bündnisses war.297 Athen hingegen suchte die Allianz mit der Drohung seines Austritts dazu zu drängen, die Türkei in die Schranken zu weisen. Der Generalsekretär entschied daher, einstweilen von weiteren Initiativen der NATO abzusehen.298 Zwischenzeitlich drohten der Südostflanke neue Gefahren aus dem Nahen Osten. Seit dem Frühjahr 1958 hatte sich Syrien mit dem moskaufreundlichen Ägypten unter Gamal Abdel Nasser politisch zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR) zusammengeschlossen.299 Die VAR drohte, die monarchische Herrschaft König Husseins von Jorda-

293 294 295 296 297 298 299

Nr. VI/1958, DMV an BMVg, Militärpolitische Lage, 12.11.1958, BArch, BW 3 1591. LANDSOUTHEAST war 1952 mit dem Eintritt Griechenlands und der Türkei geschaffen worden. Griechische wie türkische Offiziere standen dort unter dem Kommando eines US-amerikanischen Befehlshabers. Hierzu Rebhan, Der Aufbau des militärischen Instruments der NATO, S. 214. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 25.6.1958, TNA, FO  371, 136236 (o.Nr.). AdG, 28 (1958), 25.6.1958, S. 7143. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 222 f. FRUS, 1958-1960, vol. 10/1, doc. 225, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 15.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 15.6.1958, TNA, FO  371, 136389, Nr. 74. Scheben, Ein Bündnis mit begrenzter Haftung, S. 423; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 216.

68

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

nien und das prowestliche Regime Camille Chamouns im Libanon zu destabilisieren.300 Entsprechend der Dominotheorie301 Eisenhowers aus dem Jahre 1954 betrachtete die NATO prosowjetische Machtübernahmen an ihrer Peripherie als alarmierendes Signal, den inneren Bündniszusammenhalt stärken zu müssen. Im konkreten Fall galt es aus Sicht der europäischen und transatlantischen Verbündeten zu verhindern, dass der Konflikt um Zypern die Kohäsion und damit auch die integrierte Militärstruktur der Allianz im östlichen Mittelmeer zerstörte. Nur ein in sich geschlossenes westliches Militärbündnis wäre in der Lage, derartigen Entwicklungen an seinen geografischen Randbereichen wirksam entgegenzutreten. Nicht zuletzt waren die NATO-Verbündeten auf die Nutzung griechischer wie türkischer Stützpunkte und Flugfelder angewiesen. Die Aufklärungsflüge der amerikanischen U-2-Spionageflugzeuge von der südtürkischen Basis in Adana aus, aber auch der Einsatz anderer militärischer Luftfahrzeuge waren unverzichtbare Instrumente, um die Truppen- und Flugbewegungen der sowjetischen Streitkräfte im Süden der UdSSR zuverlässig zu überwachen.302 Daneben hatten die US-Streitkräfte jahrzehntelang Pläne ausgearbeitet, in denen amerikanische Militärstützpunkte im Nahen Osten dazu dienten, im Bedarfsfall Luftangriffe und nukleare Schläge gegen neuralgische Punkte der Sowjetunion zu führen.303 Dementsprechend sollte es sich in den Folgemonaten auch ergeben, dass London und Washington militärisch einschritten, um die Staatsführungen Jordaniens und des Libanon zu stabilisieren.304 Griechenland und die Türkei wiederum waren als geostrategische Brücke zum Vorderen Orient unverzichtbar geworden. Spätestens jetzt betraf die Zypernangelegenheit alle Bündnismitglieder. Bislang zurückhaltende Partner wie Deutschland oder die Niederlande konnten sich einer Stellungnahme in der griechisch-türkischen Frage nicht länger entziehen. Der französische NATO-Botschafter Étienne de Crouy-Chanel räumte in diesem Zusammenhang ein, dass das Bündnis sich angesichts der laufenden Ereignisse im Nahen Osten keine Schwäche oder innere Zerstrittenheit mehr leisten könne.305 Die äußere politische Lage an der Südostflanke stellte sich aus Sicht der Allianzmitglieder in der Tat als prekär dar. Obgleich die NATO den Schwerpunkt ihrer Verteidigungsplanung unverändert auf den innerdeutschen Mittelabschnitt legte, drohten an der türkischen Außengrenze neue Gefahren. Der Generalsekretär ermahnte daher Griechenland und die Türkei, fortan von wechselseitiger Polemik Abstand zu nehmen.306 300 301

302 303 304 305

306

Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 219 f.; und Louis, Ends of British Imperialism, S. 788 f. Die Dominotheorie Dwight D. Eisenhowers vom 7.4.1954 besagte, dass Staaten oder Regionen, die sich geografisch in der Nähe eines kommunistischen Landes befänden, durch die »populistische Kraft« der kommunistischen Ideologie ebenfalls kommunistisch würden. Näheres zu den Hintergründen des Einsatzes der U-2-Spionageflugzeuge über der Sowjetunion bei Pedlow, The CIA and the U-2 Program. McMahon, Heiße Kriege, S. 20. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 195 f. Zu den weiteren Hintergründen des amerikanischen Eingreifens im Libanon siehe auch McAlexander, Couscous Mussolini. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 16.6.1958, TNA, FO  371, 136389, Nr.  76; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.6.1958, TNA, FO  371, 136389, Nr.  83; FRUS, 1958‑1960, vol.  10/1, doc.  231, Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 16.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.6.1958, NA, FO  371, 136389, Nr. 83; FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 231, Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

69

Zur positiven Überraschung der Anwesenden gab der türkische Vertreter in der NACSitzung vom 16. Juni 1958 das Einverständnis seiner Regierung bekannt, mit London und Athen nun doch über die Zukunft Zyperns verhandeln zu wollen.307 Der türkischen Entscheidung lagen dabei handfeste geostrategische Erwägungen zugrunde. Die ungünstigen Entwicklungen im Nahen Osten bedrohten vitale Sicherheitsinteressen des exponierten Flankenstaates. Ein griechischer Rückzug aus dem Bündnis musste die Türkei geografisch von der NATO isolieren.308 Ankara wäre in einem solchen Fall nur noch von Neutralen oder potenziellen Feinden umgeben gewesen. Der türkische Oppositionsführer İsmet İnönü ließ zudem keine Gelegenheit aus, Menderes öffentlich zu kritisieren. Er warf dem Ministerpräsidenten vor, weder die inneren Probleme der Türkei gelöst zu haben, noch mit der Zypernfrage und den bedrohlichen Entwicklungen im Nahen Osten verantwortungsvoll umzugehen. Trotz der unsicheren, chaotisch anmutenden Entwicklungen schien es der Allianz vorerst gelungen zu sein, eine Eskalation des griechisch-türkischen Streits zu verhindern. Die äußeren geopolitischen Entwicklungen hatten die türkische Kompromissbereitschaft erhöht und das Klima zwischen den beiden zerstrittenen Verbündeten leidlich verbessert. d) Gezielte Einflussnahme der Allianz: Der erste Durchbruch? Dessen ungeachtet waren die weiteren Sitzungen zunächst ebenso wenig erfolgversprechend wie die vorangegangenen Konferenzen. Nicht Ankara, sondern Athen verweigerte sich einem Kompromiss. Spaak wandte all sein diplomatisches Geschick auf, um die Streitparteien zu Verhandlungen zu drängen. Nur trugen seine Bemühungen keine Früchte. Das State Department urteilte, dass die Sitzungen des NAC weiterhin ergebnislos verliefen.309 Griechenland verkündete, den Macmillan-Plan nach wie vor nicht akzeptieren zu können.310 Dennoch gab es Anlass zur Hoffnung. Athen signalisierte, seinen militärischen NATO-Pflichten wieder nachkommen und weiterhin im Bündnis verbleiben zu wollen.311 Nach intensiven Bemühungen des amerikanischen Botschafters stimmte Karamanlis schließlich trilateralen Gesprächen zwischen dem griechischen, türkischen und britischen NATO-Vertreter zu. Eine gemeinsame Konferenz auf der Ebene der Außenminister schloss der Regierungschef indes noch aus. Wie auch in Ankara, bewegte sich der Handlungsspielraum des griechischen Kabinetts nach wie vor in engen Bahnen. In der öffentlichen Meinung der Bevölkerung herrschte großes Misstrauen gegenüber Washington und der NATO. Beide galten als Unterstützer der spätkolonialen Politik der

307 308 309 310 311

State Dep., 16.6.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 214 f.; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 216 f.; Pelt, Military Intervention, S. 155. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 19. und 20.6.1958, TNA, FO 371, 136390, Nr. 80 und Nr. 92. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 215. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 29.6.1958, TNA, FO  371, 136236, Nr. 119.

70

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

alten europäischen Mächte. Der britische Zypernplan verkörperte nach Auffassung eines Großteils der griechischen und griechisch-zypriotischen Bevölkerung nur den Versuch, die britische Kolonialherrschaft auf der Insel aufrechtzuerhalten. Folglich lief Karamanlis Gefahr, die wachsende Amerikafeindlichkeit im Lande zu schüren, wenn er auf die Schlichtungsbemühungen des westlichen Bündnisses einging.312 Die labile Stimmung in Griechenland war auch im Weißen Haus bekannt. Aus diesem Grund stützte Washington zwar die Vermittlungsversuche der NATO, achtete aber darauf, selbst nicht zu sehr in bilaterale Verhandlungen mit der griechischen Regierung verwickelt zu werden.313 Wenn direkte Gespräche zwischen Washington und Athen nicht zu den gewünschten Ergebnissen führten, konnte dies für die amerikanische Regierung unbequeme Resultate nach sich ziehen. Die aufgewühlte Stimmung in Griechenland würde dann auf die griechischstämmige Wählerschaft in den Vereinigten Staaten abfärben. Nicht zuletzt hatte Makarios seit seiner Entlassung aus dem britischen Exil unentwegt versucht, die Lobby der Greco-Amerikaner für die Enosis zu gewinnen.314 Aus geostraegischer Perspektive heraus konnte sich das Weiße Haus aber keinesfalls einseitig für die griechischen Belange einsetzen. Eisenhower musste ansonsten damit rechnen, dass Ankara die amerikanischen Stützpunktrechte auf türkischem Boden einschränkte und damit die Nahostinteressen der Vereinigten Staaten gefährdete. Auch stand die NATOTreue der Türkei in einem solchen Fall in Frage. Spaak rief die NATO-Vertreter der Türkei, Griechenlands und Großbritanniens in der Folge mehrmals zusammen, um mit ihnen hinter verschlossenen Türen über den Macmillan-Plan zu debattieren.315 Der griechische und der türkische Delegierte lieferten sich jedoch weiterhin Wortgefechte. Indes wagte keiner der beiden Botschafter mehr, die Gespräche abzubrechen. Mit amerikanischer Hilfe schien der Generalsekretär erste Verhandlungen in Gang gebracht zu haben. Doch bald schon wurden seine Bemühungen erneut auf die Probe gestellt. Die Lage auf Zypern begann sich im Juli 1958 abermals zu verschlechtern. Es waren diesmal vorwiegend griechische Zyprioten, die eine neue Welle der Gewalt auslösten.316 Ankara drohte nun erstmals, mit eigenen Truppen in die Auseinandersetzungen auf der Insel einzugreifen. Trotz ihrer militärischen Schwäche war es der EOKA gelungen, die türkischen Zyprioten durch gezielte Sprengstoffanschläge einzuschüchtern und den britischen Sicherheitskräften weitere Nadelstiche zu versetzen. Gouverneur Foot antwortete mit drakonischen Maßnahmen und Massenverhaftungen. Er rief den Ausnahmezustand aus und entsandte britische Truppen und Polizeikräfte zu 312

313 314 315

316

FRUS, 1958‑1960, vol.  10/1, doc.  244, Telegramm US-Botschafter Athen an State Dep., 5.7.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 9.7.1958, TNA, FO 371, 136391, Nr. 157. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 245, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 10.7.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Vanezis, Makarios, S. 47. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 11.7.1958, TNA, FO  371, 136391, Nr.  138; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 15.7.1958, TNA, FO  371, 136391, (o.Nr.); FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 248, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 15.7.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Morgan, Sweet and Bitter Island, S. 246.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

71

landesweiten Razzien in Dörfer, in denen er Angehörige des griechisch-zypriotischen Widerstandes vermutete. Die türkischstämmige Volksgruppe wiederum gründete mit Hilfe Ankaras eine eigene Untergrundorganisation, die Türk Mukavement Teşkilatı (TMT), deren neuer Führer Rauf Denktaş wurde.317 Die türkische Armee begann parallel dazu, Kämpfer der TMT auf dem anatolischen Festland auszustatten und auszubilden.318 Der türkische Außenminister Fatin Zorlu gab öffentlich bekannt, dass die beiden zyprischen Volksgruppen kurz vor einem Bürgerkrieg stünden. Trotz der blutigen Entwicklungen auf Zypern zeitigten Spaaks Bemühungen diesmal Erfolge. Am 26. Juli 1958 traf er sich mit den drei Ständigen Vertretern zu einem weiteren vertraulichen Gespräch.319 Angesichts der düsteren Lage auf der Insel teilte der türkische NATO-Botschafter den Anwesenden in moderaten, aber entschlossenen Worten mit, dass die türkische Regierung den Macmillan-Plan nur akzeptiere, wenn den türkischen Zyprioten volle politische Mitbestimmungsrechte an der künftigen Staatsführung der Insel zuteil würden. Der griechische Delegierte wies die Forderung zwar zurück, bekundete jedoch ansonsten seine Verhandlungsbereitschaft. Es schien, als ob Makarios und die griechische Regierung ahnten, dass sie die Kontrolle über die Insel verlieren würden, wenn der Gesprächskanal zur Türkei abriss und die TMT gar am Ende militärisch die Oberhand gewann. Im Fortgang der Diskussion vermochte Spaak die unterschiedlichen Auffassungen einander soweit anzunähern, dass auf der Botschafterebene ein erster, wenngleich noch instabiler Konsens herrschte: »It then emerged from a lengthy discussion that the only criticisms which my Greek and Turkish colleagues had to make of the British plan related to the two points mentioned by Sarper [...] I repeatedly asked my colleagues whether either of them had any other criticisms of our plan, but none was forthcoming. Spaak and I suggested that this at least marked considerable progress, at all events at our level.”320

Der NATO-Generalsekretär schien einen zaghaften Durchbruch erzielt zu haben. Der griechische Delegierte drückte lediglich seine Zweifel aus, ob künftige Verhandlungsgespräche weiter unter dem Dach der Allianz stattfinden sollten. Er wies auf die feindselige Haltung der griechischen Öffentlichkeit gegenüber dem westlichen Bündnis hin. Die Konversation endete ansonsten erfolgversprechend. Beide Vertreter bekundeten einvernehmlich die dringende Notwendigkeit, die Beziehungen ihrer beiden Staaten auf eine neue, freundschaftliche Basis zu stellen. Spaak suchte nun alle Hebel in Bewegung zu setzen. Seiner Auffassung nach sollte Washington jetzt seinen Einfluss geltend machen. Er bat den amerikanischen NATOBotschafter, beim State Department vorzusprechen.321 Das Weiße Haus sollte die Frage seiner finanziellen Unterstützungen an die Türkei künftig stärker an die Flexibilität An-

317 318 319 320 321

Ebd.; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 221. Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 124; Pelt, Military Intervention, S. 112. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 26.7.1958, TNA, FO  371, 136391, Nr. 171. Ebd. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 26.7.1958, TNA, FO  371, 136391, Nr. 172.

72

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

karas in der Zypernfrage knüpfen. Nicht zuletzt hatte der Nationale Sicherheitsrat für die Türkei jährlich 100 Mio. US-Dollar an Wirtschaftshilfen vorgesehen.322 Am 1. August 1958 rief der Generalsekretär die drei Parteien erneut zu sich, um die Inhalte des britischen Plans näher zu diskutieren.323 Nach längerer Debatte musste er aber feststellen, dass seine Hoffungen auf einen Erfolg voreilig gewesen waren. Wenngleich seine Verhandlungen mit den drei NATO-Vertretern vielversprechend verliefen, hielt Athen sich weiter bedeckt. Makarios lehnte den Macmillan-Plan nach wie vor ab. Der Erzbischof beraubte die griechische Regierung damit ihres Handlungsspielraumes und machte Spaaks Fortschritte mit einem Federstrich zunichte.324 e) Verschiebungen der geostrategischen Lage der Türkei und die Haltung des SACEUR zum Konflikt Trotz der schleppenden Fortschritte Spaaks war London zuversichtlich. Der britische Premierminister Macmillan schlug seinem griechischen und türkischen Amtskollegen jeweils ein bilaterales Gipfeltreffen vor, um seinen Zypernplan auf der Ebene der Minister zu diskutieren.325 Menderes willigte grundsätzlich ein.326 Im Gegensatz zu Griechenland bemühte sich die türkische Regierung in diesen Tagen, dem britischen und amerikanischen Verbündeten unter Beweis zu stellen, welch hohen Stellenwert die NATO-Partnerschaft für ihr Land besaß. Die Entwicklungen im Nahen Osten trieben die Türkei zu Kompromissen. Die Regierung Menderes steckte wegen der Vorgänge an der Südostgrenze Anatoliens in arger Bedrängnis.327 Die politischen Ereignisse in Syrien drohten sich wie befürchtet in Jordanien zu wiederholen. Nur dank der Entsendung britischer Fallschirmjäger konnte das NATO-freundliche Regime von König Hussein in Amman stabilisiert werden. Auch im Irak vollzogen sich bedrohliche Entwicklungen. Eine Gruppe von Offizieren hatte Mitte Juli in Bagdad einen Staatsstreich durchgeführt und die probritische haschimitische Monarchie gestürzt. Das neue Regime unter seinem Führer Abd al-Karim Qasim knüpfte Verbindungen zu Moskau und distanzierte 322

323 324 325

326

327

FRUS, 1955‑1957, vol. 24, doc. 352, Protokoll NSC-Sitzung in Washington, 14.3.1957, ; ebd., doc. 374, Gesprächsprotokoll US-Präsident mit türkischem Ministerpräsident, 19.12.1957, , beide letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 1.8.1958, TNA, FO  371, 136391, Nr. 190. Schreiben NATO-Generalsekretär an britischen Premierminister, 15.8.1958, PHS Archives, D 6115. Telegramm FO  an britischen Ständigen Vertreter (NATO), 6.8.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 1079; Schreiben britischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 7.8.1958, PHS Archives, D  6108; und Mitteilung britischer Premierminister an NATO-Generalsekretär, 14.8.1958, PHS Archives, D 6116, hier: Der britische Außenminister Selwyn Lloyd und Premierminister Harold Macmillan dankten Spaak für dessen Bemühungen zur Vorbereitung des Gipfeltreffens. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 255, Mitteilung britischer Außenminister an US-Außenminister, 14.8.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 219 f.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

73

Türkei und Naher Osten 1958 JUG.

RUM. BULG.

SOWJETUNION Schwarzes Meer Kaspisches Meer

SOWJETUNION TÜRKEI GR.LAND Zypern brit.

Kreta

Mittelmeer

VAR SYRIEN

LIBANON

KGR. AFG.

KGR./REP.* IRAK

ISRAEL

KÖNIGREICH IRAN

KGR. JORDANIEN

PAK.

Emirat Kuwait

VAR ÄGYPTEN

neutrale Zone

Pers. Golf

Bahrain

brit.

Katar KÖNIGREICH SAUDIARABIEN

Vertragsoman brit. Prot.

Golf

v. O m

an

tes

Ro

Maskat und Oman

er

Me

Aden

KGR. JEMEN

Djibouti frz.

KAISERREICH ABESSINIEN

brit. Prot.

Aden

brit.

Golf

Brit.Somaliland

en

d v. A

Ita l.-S om alila nd

SUDAN

INDISCHER OZEAN

Mitgliedsstaaten Warschauer Pakt Mitgliedsstaaten NATO Mitgliedsstaaten Bagdadpakt (Middle East Treaty Organization, METO; nach 1959 Central Treaty Organization, CENTO) Vereinigte Arabische Republik (VAR) Arabische Föderation Am 14. Februar 1958 vereingten sich Ägypten und Syrien zur Vereinigten Arabischen Republik (VAR). Als Reaktion auf die Gründung der VAR erklärten am 14. Februar 1958 die beiden Königreiche Irak und Jordanien ihre Vereinigung zu einer von Großbritannien unterstützten Arabischen Föderation. * 14. Juli 1958: Sturz der prowestlichen Monarchie unter König Faisal II. und Premierminister Nuri as-Said durch © ZMSBw General Abd al-Karin Qasim. Gründung der Republik Irak. Der Irak trat 1959 aus dem Bagdadpakt (METO) aus.

07891-03

74

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

sich deutlich vom prowestlichen Bagdadpakt328. Wie im Falle der ägyptisch-syrischen Vereinigten Arabischen Republik hatte das irakische Volk in den Augen des Kremls den Imperialismus überwunden und sich dem Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft verschrieben.329 Angesichts der vermeintlichen Gefahr, die mit einer Ausdehnung des kommunistischen Machtbereiches auf den Nahen und Mittleren Osten einherging, rückten der amerikanische, britische und türkische NATO-Verbündete enger zusammen. Die neue Lage im Irak hatte das geostrategische Gleichgewicht in der Region verschoben: Die anatolische Halbinsel war nun überwiegend von feindlich gesinnten Nachbarstaaten umgeben.330 Im Osten und Südosten standen der prosowjetische Irak und die VAR. Im Norden und Nordwesten lauerte der Warschauer Pakt, im Westen der unsichere griechische Verbündete. Ankara konnte es sich nun keinesfalls mehr leisten, mit den NATOPartnern, einschließlich Griechenland, einen Bruch zu vollziehen, zumal auch der Bagdadpakt politisch am Boden lag. Staatspräsident Celâl Bayar warnte Menderes davor, die militärischen Kräfte der Türkei zu überdehnen. Stärker denn je war Ankara jetzt auf die Solidarität seiner westlichen Alliierten angewiesen. Die britische Regierung erhielt zwischenzeitlich die unheilvolle Nachricht aus Athen, dass das griechische Kabinett den Macmillan-Plan endgültig ablehnte.331 Wenn London sein Konzept aber ohne griechisches Einvernehmen umsetzte, mussten die NATO-Partner damit rechnen, dass Griechenland weitere NATO-Verpflichtungen missachtete, oder dem Bündnis gleich direkt den Rücken kehrte. Der SACEUR entschied daher erstmals, politisch in der griechisch-türkischen Angelegenheit tätig zu werden.332 Washington hatte ihm dafür die notwendige Rückendeckung erteilt. Ferner hatte ihn das griechische Außenministerium vertraulich darüber informiert, dass seine Präsenz in Athen dazu beitragen könnte, ein griechisches Abdriften aus der Allianz zu verhindern. Norstad reiste daher in beide Hauptstädte. Während er in Ankara nur wenige Stunden weilte, hielt er sich in Athen mehrere Tage auf, um mit Premierminister Karamanlis, Außenminister 328

329 330 331 332

Zu den Hintergründen der irakischen Revolution siehe Romero, The Iraqi Revolution. Der Bagdadpakt, nach 1958 auch Mittelostpakt und später CENTO (Central Treaty Organization) genannt, war 1955 mit amerikanischer Unterstützung als politisches Verteidigungsbündnis zwischen Großbritannien, der Türkei, dem Iran, dem Irak und Pakistan ins Leben gerufen worden. Es handelte sich im Kern um die Institutionalisierung des »Northern Tier Defence Project«, das unter britischer und amerikanischer Federführung vorangetrieben worden war. Das Vorhaben diente dem Zweck, den Einfluss der Sowjetunion im Nahen und Mittleren Osten geopolitisch wie geostrategisch einzudämmen. Der Mittelostpakt blieb jedoch zeit seines Lebens schwach, entbehrte aktiver militärischer Unterstützung seitens der USA und verharrte weitgehend im Zustand einer »Papierallianz«. Darüber hinaus verkörperte das Bündnis in den Augen der Mehrzahl der arabischen Staaten lediglich ein Instrument der britischen Regierung, ihren Einfluss in der Region auszudehnen. Nach dem moskaufreundlichen Putsch seiner Offiziere trat der Irak 1959 aus dem Bündnis aus. Hierzu Yeşilbursa, The Baghdad Pact, S. 216‑218; sowie Cohen, Strategy and Politics; siehe ferner auch Perrson, Great Britain. Kanet, Sowjetische Militärhilfe, S. 68. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 219; Yeşilbursa, The Baghdad Pact, S. 204 und S. 212‑215; Pelt, Military Intervention, S. 155. AdG, 28 (1958), 27.8.1958, S. 7250. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO vom 6.9.1958, TNA, FO 371, 136392, Nr. 258, hier: Die Originaldokumente zu den Gesprächen des SACEUR liegen im NATO-Archiv unter Verschluss. Die hier vorliegende Darstellung basiert daher auf den persönlichen Mitteilungen des SACEUR an den britischen NATO-Botschafter.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

75

Averoff und der griechischen Armeeführung zu sprechen. Der SACEUR drängte die griechischen Partner, ihre Offiziere nach HALFSEE zurückzubeordern. Karamanlis und Averoff reagierten jedoch ausweichend und versuchten, das Thema auf die Zypernfrage zu lenken. Die beiden griechischen Politiker bemühten sich darum, Norstad dafür zu gewinnen, in Washington für eine Treuhänderschaft Zyperns unter dem Vorsitz der UNO zu werben. Der SACEUR wies diesen Vorschlag zurück. Seiner Auffassung nach involvierte ein solches Unterfangen die Sowjetunion direkt in die Zypernfrage. f ) Schwachstellen in der Bündniskohärenz und schwindender Einfluss von Makarios in Athen Während Norstad in Ankara und Athen weilte, rief Spaak den NATO-Rat ohne die drei beteiligten Streitparteien ein, um abermals nach einem Ausweg aus der verfahrenen Situation zu suchen.333 Seine Hauptsorge galt den Absichten Londons, den MacmillanPlan am 1. Oktober 1958 ohne das griechische Einverständnis in Kraft zu setzen. Das Londoner Konzept sah die Entsendung eines türkischen Regierungsvertreters als Beisitzer des britischen Gouverneurs vor und konnte in der griechischen Hauptstadt für einen Aufschrei der Entrüstung sorgen. Der Generalsekretär drängte London folglich, die Neuordnung der politischen Verhältnisse auf der Insel aufzuschieben. Das Foreign Office ließ Spaaks Appell jedoch ins Leere laufen. Die britische Regierung war nicht mehr gewillt, von ihrem Entschluss abzuweichen.334 Das Foreign Office war der Meinung, dass Griechenland jedweden Entwurf ablehnen würde, der auf eine Partnerschaft mit der Türkei hinauslief. Seit dem Ende der Suezkrise hatte sich Zypern für die britische Kolonialmacht zu einer ähnlich drückenden Last entwickelt wie seinerzeit das Mandatsgebiet Palästina. London setzte jetzt alles daran, sich seiner unbequemen Verantwortung für die Insel zu entledigen. Der Plan sollte daher am 1. Oktober auch ohne griechische Zustimmung in Kraft treten. Spaak seinerseits reagierte auf die britische Haltung mit sichtlicher Verärgerung. Griechenland wiederum drohte, seine Mitgliedschaft in der Allianz zu beenden, sobald der Macmillan-Plan Formen annehmen würde.335 Die griechische Sichtweise schien auch durch zaghafte Spaltungsversuche Moskaus begünstigt worden zu sein. Im Januar desselben Jahres wollte der Kreml Karamanlis davon überzeugen, dass das griechische Staatsgebiet den NATO-Verbündeten lediglich als Brückenkopf und nukleares Schlachtfeld diene. Das State Department hatte sich zwischenzeitlich um eine »technische« Lösung bemüht. Das US-Außenministerium hatte die Türkei dazu überredet, den amtie333 334

335

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 19.9.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 237. Telegramm FO an den britischen Ständigen Vertreter (NATO), 20.9.1958, TNA, FO 371, 136392, Nr. 1319; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.9.1958, TNA, FO 371, 136392, Nr. 241. Mitteilungen griechischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär 22.9.1958, PHS Archives, D 6120 und D 6121; FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 260, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 20.9.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017.

76

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

renden türkischen Generalkonsul in Nikosia als Beisitzer des Gouverneurs zu benennen, anstatt einen neuen Vertreter aus Ankara zu entsenden.336 Washington hoffte, die Reaktion Athens dadurch mildern und einen griechischen Austritt aus der NATO verhindern zu können. Spaak zeigte sich skeptisch, war aber mit dem Vorhaben einverstanden. Nichtsdestoweniger stand er abermals vor einem Balanceakt. Er setzte schließlich alles auf eine Karte und ging in die diplomatische Offensive.337 Er warf Athen unmittelbar vor, fortwährend auf neuen Vorschlägen zu bestehen, ohne einen echten Kompromiss anzustreben. Entgegen seinen Erwartungen erhielt Spaak daraufhin eine Einladung in die griechische Hauptstadt.338 Das State Department betrachtete einen solchen Schritt mit Skepsis.339 Washington stellte sich einer Reise des Generalsekretärs nach Athen zwar nicht in den Weg, hielt ein solches Vorgehen aber nicht für erfolgversprechend. Aus amerikanischer Sicht hatte Spaak mit seinem Appell an London, den Macmillan-Plan aufzuschieben, Griechenland in dessen unnachgiebiger Haltung nur bestärkt. Persönliche Gespräche Spaaks in Athen hielt Washington daher zu diesem Zeitpunkt für kontraproduktiv. Der Generalsekretär drohte die amerikanische Unterstützung wieder zu verlieren. Nach seiner Rückkehr rief Spaak den NATO-Rat zu einer weiteren Besprechung ein, um über seinen Besuch zu berichten.340 Er eröffnete die Sitzung mit einem Bericht an alle Anwesenden, wonach Griechenland seine fortgesetzte Bündnismitgliedschaft in Frage stellte.341 Premierminister Karamanlis forderte eine trilaterale Konferenz unter Beteiligung der Volksgruppenvertreter Zyperns. Der türkische und britische NATOBotschafter lehnten dieses Ansinnen ab.342 Spaak fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Er deutete die Stellungnahmen des britischen und türkischen Delegierten als persönliche Kritik an seiner unermüdlichen Suche nach einer Lösung. Angesichts der Umstände hielt er eine emotional aufgeladene Rede über seine Pflichten als Generalsekretär und Vorsitzender des Atlantischen Bündnisses. Er schloss mit den wütenden Worten, nunmehr selbst zur »vierten Streitpartei« geworden zu sein. Der britische und der türkische NATO-Vertreter beeilten sich, ihn zu beschwichtigen und seine bisherigen Anstrengungen zu würdigen.343 Die übrigen Anwesenden hielten sich währenddessen erkennbar zurück. Sie schienen die Gefahr zu erkennen, die der Bündniskohärenz drohte, wenn die griechisch-türkische Streitfrage nun auch noch zwischen den übrigen NATO-Botschaftern und dem Generalsekretär in ein kontroverses 336 337 338 339 340 341 342 343

Ulunian, Soviet Cold War Perceptions of Turkey and Greece, S. 49. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.9.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 242. Ebd; Telegramm belgischer Ständiger Vertreter (NATO) an belgisches Außenministerium, 24.9.1958, PHS Archives, D 6123. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.9.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 243. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 24.9.1958, TNA, FO 371, 136392, Nr. 246 und Nr. 248. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 24.9.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 246. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 24.9.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 247. Ebd.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

77

Wortgefecht mündete. Das Thema konnte über den Rahmen der griechisch-türkischen Spannungen hinaus diplomatische Verstimmungen unter den Bündnismitgliedern nach sich ziehen. Trotz der aussichtslosen Lage im NAC zeichneten sich außerhalb der Allianz unerwartete Fortschritte ab. Karamanlis lehnte den Macmillan-Plan zwar weiterhin ab, bekundete aber öffentlich das griechische Interesse an einer neuen trilateralen Konferenz.344 Am 19. September 1958 hatte der griechische Politiker Makarios abseits der Öffentlichkeit mit den Realitäten der griechischen Lage konfrontiert.345 Der Erzbischof hatte Karamanlis wiederholt aufgefordert, Washington mit der Drohung eines griechischen Austritts aus der NATO unter Druck zu setzen, damit sich das Bündnis aktiv für die Enosis einsetzte. Der griechische Premier aber hatte das Ansinnen Makarios’ abgelehnt. Er hatte dem erbosten Ethnarchen dargelegt, dass aus seiner Sicht ein derartiges Vorgehen mit den vitalen Interessen des Landes und dem Wohl des griechischen Volkes nicht länger zu vereinbaren sei. Auch war sein Kabinett nicht länger bereit, die NATO-Mitgliedschaft um der Zypernfrage willen aufs Spiel zu setzen. Makarios hatte Karamanlis daraufhin mit öffentlichen Angriffen auf dessen Politik gedroht. Im Gegensatz zu seinem radikalen Mitstreiter Grivas hatte der Erzbischof aber erkannt, dass er ohne Athens Unterstützung Gefahr lief, am Ende doch eine britisch-türkische Zypernlösung akzeptieren zu müssen. Um sich seiner Machtposition weiterhin zu versichern, war Makarios daher in die Offensive gegangen. Er hatte in London Angehörige der oppositionellen britischen LabourPartei über seine Bereitschaft in Kenntnis gesetzt, der Enosis zu entsagen und eine Form »garantierter Unabhängigkeit« zu akzeptieren.346 Er hatte Karamanlis mit diesem Schritt zwar hintergangen, den Handlungsspielraum der griechischen Regierung aber gleichzeitig ungewollt erweitert. Als Spaak von den Vorgängen Kenntnis erhielt, reagierte er unverzüglich. Er suchte den amerikanischen NATO-Botschafter auf, um sich der Rückendeckung des State Department zu versichern.347 Washington zeigte sich interessiert. Die Unstimmigkeiten zwischen dem Generalsekretär und dem amerikanischen Partner schienen sich gelegt zu haben. Das US-Außenministerium lud ihn ein, in den kommenden Tagen in die Staaten zu fliegen, um dort das weitere Vorgehen zu besprechen. Noch vor der Abreise Spaaks stand Zypern jedoch abermals auf der Tagesordnung des NATO-Rates.348 Die Diskussion um die Inselfrage stellte mittlerweile ein ermüdendes, kräftezehrendes Thema dar, das sich regelmäßig an die Debatten des NAC um Fragen der Lastenteilung und der Verteidigungsstrategie anschloss. In Washington beriet sich Spaak mit dem amerikanischen Außenminister John Foster Dulles. Der Generalsekretär bemängelte das allgemeine Verhalten der NAC-Mitglie344 345 346 347 348

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 24.9.1958, TNA, FO  371, 136392, Nr. 250; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 230. Miller, The United States, S. 62; Anagnostopoulou, Makarios III., S. 263. Miller, The United States, S. 62; Anagnostopoulou, Makarios  III., S. 263; Bitsios, Cyprus, S. 78‑80. Telegramm belgischer Ständiger Vertreter (NATO) an belgisches Außenministerium, 25.9.1958, PHS Archives, D 6124. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 25.9.1958, FO 371, 136392, Nr. 254; Spaak, Memoiren, S. 369.

78

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

der in Fragen der bündnisinternen Konsultation.349 Seinem Urteil nach herrschte bei den Diskussionen im NATO-Rat häufig eine Situation des Schweigens, das keineswegs nur das griechisch-türkische Thema betraf. Zahlreiche Mitglieder beteiligten sich häufig nicht an wichtigen Debatten. Nach Auffassung Spaaks war Schweigen jedoch als Ausdruck eines fehlenden Einverständnisses zu werten. Dies konnte seiner Meinung nach den offenen Meinungsaustausch unter den Mitgliedern beeinträchtigen. Darüber hinaus beklagte er sich über die fortwährende Drohung Athens, das Bündnis zu verlassen.350 Auch Dulles gab sich äußerst besorgt.351 Er fürchtete, dass Athen seine militärische Zusammenarbeit mit der NATO schrittweise beenden und eine zunehmend neutralistische Politik verfolgen würde. Das türkische Verhalten bewertete der US-Außenminister ebenfalls kritisch. Das State Department schloss antigriechische Pogrome in der Türkei nicht aus, wenn London seinen Zypernplan noch länger aufschob. Am 1. Oktober 1958 setzte London sein Vorhaben in Kraft und ernannte den türkischen Generalkonsul in Nikosia zum Beisitzer seines Gouverneurs.352 Ankara erhielt dadurch das Recht, direkten Einfluss auf die Politik der Insel auszuüben. Die griechischen Zyprioten ermordeten daraufhin mehrere britische Zivilpersonen.353 Der türkische Botschafter in London hingegen drückte die Zufriedenheit seines Ministerpräsidenten über das konsequente britische Handeln aus. Spaak seinerseits suchte die griechische Regierung auf diplomatischem Wege zu beschwichtigen.354 Auch das State Department suchte auf Athen einzuwirken, seine Bündnispartnerschaft nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, und hob die strategische Bedeutung Griechenlands für die Allianz hervor.355 Der griechische Außenminister ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass die NATO-Mitgliedschaft Griechenlands von der Frage abhänge, ob Karamanlis sich weiter an der Macht hielt.356 In den Tagen, die auf den 1. Oktober folgten, besprach sich Karamanlis mit Erzbischof Makarios und seinem NATO-Botschafter. Der griechische Delegierte warnte seinen Regierungsschef davor, sich einer neuen, trilateralen Konferenz mit Großbritannien und der Türkei zu verweigern. Griechenland konnte sich seiner Ansicht nach zum Außenseiter im Bündnis stigmatisieren und alle materiellen Vorteile seiner Mitgliedschaft verlieren. Er riet seinem Premierminister, weiteren Verhandlungen mit London und An349 350

351

352

353 354 355 356

Drahtbericht bdt. Botschafter Washington an AA, 1.10.1958, PA AA, B 14-301, Nr. B 1575/58. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 265, Protokoll Gespräch US-Außenminister mit NATO-Generalsekretär, 27.9.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd.; FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc.  266, Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 28.9.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Interne Bewertung Ross (Vorname n.b.) FO, Southern Department, über Haltung des türkischen Generalkonsuls, 1.10.1958, TNA, FO 371, 136393; Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 1.10.1958, TNA, FO 371, 136393, Nr. 751. Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 4.10.1958, TNA, FO 371, 136393, Nr. 1475. Schreiben NATO-Generalsekretär an griechischen Premierminister, 1.10.1958, PHS Archives, D 6127. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 274, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 2.10.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 276, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 4.10.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 2.10.1958, TNA, FO 371, 136393, Nr. 761.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

79

kara keine offene Absage zu erteilen. Überraschenderweise lehnte auch Makarios den Vorschlag des NATO-Botschafters nicht rundweg ab. Der Erzbischof forderte aber, dass eine neue, trilaterale Konferenz keine vorläufige, sondern eine endgültige Lösung der Zypernfrage zum Ziele haben sollte.357 Offensichtlich wollte der Ethnarch mit seinem Einlenken verhindern, dass der Macmillan-Plan letztlich doch noch zu einer Teilung der Insel führte. Die neue Entwicklung erweiterte Karamanlis’ Handlungsspielraum. Der Premierminister verlor gegenüber der NATO kein Wort mehr über ein Ende der griechischen Mitgliedschaft.358 Vielmehr stellte seine Regierung neue Verhandlungsbedingungen auf. Athen war nun grundsätzlich bereit, einer griechisch-türkischen Zusammenkunft unter modifizierten Umständen zuzustimmen. Obgleich die Streitfragen der beiden südöstlichen Verbündeten dadurch noch keine Lösung erfuhren, schien die Aussicht auf eine griechisch-türkische Aussöhnung endlich konkretere Formen anzunehmen.359 g) Das Ende der Krise: Innere Eskalation und äußeren Stabilisierung Seit Inkrafttreten des Macmillan-Plans stand Ankara einer Schlichtung des Zypernstreits unter Beteiligung der Allianz offener gegenüber.360 Athen indes war weit davon entfernt, in der Angelegenheit endgültig einzulenken.361 Der griechische Premier ließ sich nach wie vor von Makarios beeinflussen und stellte in der Folgezeit abermals den Sinn und Nutzen einer trilateralen Konferenz in Frage.362 Spaak hegte daher wenig Hoffnung auf einen erfolgreichen Abschluss. Wann immer eine der beiden Parteien einzulenken schien, blockierte die andere den Kompromiss. Die neue Zypernbesprechung des NATO-Rates am 13. Oktober 1958 entwickelte sich zunächst, wie Spaak befürchtet hatte.363 Die Türkei lehnte neue griechische Bedingungen ab. Daraufhin griff der griechische Delegierte den Generalsekretär sowie den britischen und türkischen NATO-Vertreter auf Anweisung seiner Regierung mit scharfen

357 358 359

360

361 362 363

Bitsios, Cyprus, S. 87 f. Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 4.10.1958, TNA, FO 371, 136393, Nr. 767. Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 6.10.1958, TNA, FO 371, 136393, Nr. 283; Telegramm britischer Botschafter an FO, 6.10.1958, TNA, FO 371 136393, Nr. 284; Telegramm belgischer Ständiger Vertreter (NATO) an belgisches Außenministerium, 7.10.1958, PHS Archives, D 6133. FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc.  278, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 6.10.1958, , letzter Aufruf 12.1.207; Telegramm belgischer Ständiger Vertreter (NATO) an belgisches Außenministerium, 7.10.1958, PHS Archives, D 6133. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.10.1958, TNA, FO 371, 136394, Nr. 296. Ebd.; Bitsios, Cyprus, S. 89. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.10.1958, TNA, FO 371, 136394, Nr. 296; Protokoll NAC-Sitzung, 13.10.1958, PHS Archives, D 6134, hier: Das Originalprotokoll NATO, PO (58) 1281, liegt im NATO-Archiv noch unter Verschluss. Das Dokument wurde aber als Kopie im Spaak-Archiv freigegeben; Bitsios, Cyprus, S. 89.

80

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

Worten364 an. Es entfaltete sich eine hitzige Debatte, in die der belgische und erstmals auch der deutsche NATO-Botschafter eingriffen. Mit Unterstützung der beiden Delegierten gelang es Spaak schließlich, den griechischen Vertreter rhetorisch in die Defensive zu treiben.365 Neu war dabei die Mitwirkung der Bundesrepublik Deutschland. Bonn war zwischenzeitlich von seiner klassischen Politik der Zurückhaltung abgewichen und beteiligte sich aktiver an den Zyperndebatten im NAC. Das Motiv für die deutschen Bemühungen um Kohäsion und Kohärenz in der Allianz war dabei nicht uneigennützig. Die Bundesregierung blickte mit Unbehagen auf die drohenden Entwicklungen der neuen Berlinkrise. Nikita Chruščëv hatte am 10. Oktober 1958 seine Entschlossenheit bekundet, die »Besetzung« der »Freien Stadt« durch die Westmächte zu beenden.366 Mehr denn je war jetzt auch der Bonner Republik an einer Lösung der Zypernfrage gelegen, um den inneren Zusammenhalt der Bündnismitglieder zu festigen. Der griechische Vertreter räumte schließlich ein, dass Athen im Grunde lediglich bestrebt sei, in der Sache einen neutralen, unparteiischen Vermittler zu erhalten. Unter dieser Bedingung war Griechenland zu Verhandlungen bereit. Dennoch stand Spaak zum dritten Mal vor einem Balanceakt. Er schloss die Sitzung und kündigte an, einen neuen Lösungsentwurf vorzubereiten.367 Er betrachtete dies als seinen letzten Versuch, eine Schlichtung herbeizuführen, und ließ keinen Zweifel daran, dass er der Angelegenheit bereits überdrüssig war.368 Die Sitzung des Nordatlantischen Rates am 15. Oktober 1958 geriet zu einem neuen Eklat. Griechenland forderte abermals einen zeitlichen Aufschub. Spaak explodierte daraufhin förmlich. Er verkündete, am Ende seiner Kräfte zu sein. Die gesamte Situation war seinem Verständnis nach im Begriff, eine Schmach für das Bündnis zu werden. In seiner Erregung kritisierte er die öffentlichen Äußerungen von Averoff und Makarios auf das Schärfste. Er forderte den griechischen Vertreter auf zu begründen, weshalb der griechische Außenminister von der Gefahr eines Krieges mit der Türkei spreche und gleichzeitig behaupte, dass die NATO sich ihrem griechischen Bündnispartner gegenüber gleichgültig verhalte. In seinem Zorn ließ Spaak jetzt auch die diplomatischen Umgangsformen außer Acht und warf Griechenland unmittelbar vor, seine Verbündeten mit Austrittsankündigungen erpressen zu wollen. Er erklärte die Schlichtungsbemühungen des Bündnisses für gescheitert und fügte hinzu, die Allianz fortan mit allen Mitteln gegen die unverschämten Vorwürfe Athens zu verteidigen.369 Zum Entsetzen der anderen Anwesenden klagte der griechische Delegierte daraufhin London und Ankara offen an, in arglistiger Absicht zu handeln. Der britische und türkische Vertreter wiesen seine 364

365 366 367 368 369

Bitsios, Cyprus, S. 90, hier: Dimitrios Bitsios stellte das Auftreten des griechischen NATO-Botschafters in seinen Memoiren als weit moderater dar, als dies in den britischen und den NATOQuellen beschrieben wird. Allerdings ist Bitsios Ausführungen zu entnehmen, dass der griechische Vertreter bei seinen Handlungen detailliert den Instruktionen Athens folgte. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 13.10.1958, TNA, FO 371, 136394, Nr. 301. Luhmann, Die Berlin-Krise, S. 98. Ebd. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 13.10.1958, TNA, FO 371, 136394, Nr. 308 und Nr. 309. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 15.10.1958, TNA, FO 371 136394, Nr. 311.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

81

Anschuldigungen vehement zurück, woraufhin der Grieche sich ein wenig in seinen Äußerungen mäßigte. Nichtsdestoweniger stellte der türkische NATO-Botschafter nun seinerseits die Bereitschaft Ankaras zu Verhandlungsgesprächen mit Griechenland in Frage. Die Mitglieder reagierten alarmiert. In Anbetracht der Vorboten der neuen Berlinkrise bedurfte das Bündnis der inneren Kohäsion dringender denn je. Wenn die Zypernverhandlungen in diesem Stadium scheiterten, konnte Chruščëv sich in seinen Bestrebungen beflügelt sehen, West-Berlin gewaltsam von der Bundesrepublik zu trennen. Da die NATO offensichtlich nicht einmal in der Lage war, interne Streitigkeiten an ihrer Peripherie zu lösen, lag es nahe, dass sie auch in der Berlinfrage einer inneren Geschlossenheit entbehrte. Die anwesenden Delegierten suchten die heikle Lage daher nach Kräften zu entschärfen. Sie redeten beschwichtigend auf ihren türkischen Kollegen ein, während sie die Äußerungen des griechischen Vertreters zugleich deutlich kritisierten. Der niederländische NATO-Botschafter ermutigte Spaak, seine Bemühungen trotz der herben Rückschläge wieder aufzunehmen. Dieser fuhr jedoch fort, dem Griechen Vorhaltungen zu machen.370 Er klagte über die politische Schwäche und Abhängigkeit der griechischen Regierung: »He [der türkische NATO-Vertreter] found Spaak genuinely furious with the Greek government, who, he asserted, were slaves to a mad Prelate [Makarios].«371 Die Folgen der griechisch-türkischen Auseinandersetzung um Zypern prägten im Nachgang auch die allgemeine Stimmung unter den NATO-Botschaftern. Informelle Gespräche des britischen Vertreters mit seinen nord- und westeuropäischen Amtskollegen riefen alte Ressentiments gegenüber den südländischen Mitgliedern hervor.372 Der norwegische, der dänische und der niederländische NATO-Botschafter waren der Querelen sichtlich müde und äußerten sich sichtlich abfällig über ihre Verbündeten an der Südflanke: »any NATO country, other than Italy with her ridiculous policy of prestige [...] would be mad enough to agree to sit in at such a conference. Since Italy was ruled out because of her foolishness, vis-à-vis the Turks, the Greeks would find it difficult to find any volunteers in addition to Spaak.«373

Der dänische Vertreter ergänzte, dass alle NATO-Mitglieder mittlerweile davor zurückschreckten, sich mit den beiden »unmöglichen« Verbündeten überhaupt noch zu befassen. Die Zyperngespräche im NATO-Rat erbrachten auch im weiteren Verlauf keine Fortschritte.374 Auf der NAC-Sitzung des 22.  Oktober erklärte Spaak die griechischtürkischen Verhandlungen im NATO-Rahmen endgültig für gescheitert.375 Ohne ein substanzielles Einlenken Makarios’ schien ein Durchbruch seiner Meinung nach mittler370 371 372 373 374

375

Ebd. Ebd. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FO, 19.10.1958, TNA, FO 371, 136411, Nr. 327. Ebd. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.10.1958, TNA, FO 371, 136394, Nr.  313, Nr. 315 und Nr. 322; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 18.10.1958, TNA, FO 371, 136411, Nr. 326; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 20.10.1958, TNA, FO 371, 136411, Nr. 329. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.10.1958, TNA, FO 371, 136411, Nr. 333.

82

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

weile aussichtslos.376 Der Erzbischof lehnte seinen Worten nach nach wie vor jegliche Art von Konferenz ab, die nicht genau seinen Vorstellungen und den Zielen seiner radikalen Gefolgsmänner entsprach.377 Dessen ungeachtet begann sich das griechisch-türkische Verhältnis außerhalb der NATO-Gremien zu verbessern. Obwohl sich in der Zypernfrage keine inhaltlichen Fortschritte abzeichneten, verringerten sich die Spannungen zwischen Athen und Ankara zusehends. Offensichtlich war Karamanlis seiner Einstellung treu geblieben, dem zypriotischen Erzbischof nicht mehr zu gestatten, auf die militär- und bündnispolitischen Entwicklungen Griechenlands entscheidenden Einfluss zu nehmen. Trotz der ungelösten Fragen um die Zukunft der Mittelmeerinsel und der Streitigkeiten im NAC hatte sich das politische Klima zwischen Griechenland und der Türkei weiter stabilisiert. Am 29. Oktober 1958 erklärte der türkische NATO-Botschafter zur Überraschung der anwesenden NAC-Mitglieder, dass Ankara nun doch bereit sei, den neuen griechischen Bedingungen für eine Zypernkonferenz nachzugeben.378 Die Gründe für das unerwartete türkische Entgegenkommen entsprangen dabei keineswegs altruistischen, sondern handfesten geopolitischen Motiven. Die Vereinigte Arabische Republik suchte sich nach wie vor an Moskau anzunähern, während die Putschregierung im Irak zunehmend von sowjetischer Militärhilfe profitierte und das Ende ihrer Mitgliedschaft im Bagdadpakt einläutete.379 Ankara verdächtigte die UdSSR zudem der ideologischen Infiltration und Unterstützung der unruhigen kurdischen Minderheit auf türkischem Boden. Die sowjetischen Forderungen zur Berlinfrage ließen darüber hinaus erwarten, dass sich die neue Krise zwischen NATO und Warschauer Pakt verschärfte. Nach wie vor stellte die sowjetische Bedrohung für die Türkei ein weit gravierenderes Problem dar als die Querelen um die Mittelmeerinsel. Zwar hatte Athen nicht mehr gedroht, die Allianz zu verlassen und seinen östlichen Nachbarn dadurch geografisch von der NATO abzuschneiden. Dennoch musste die Türkei im Spiegel der globalen Entwicklungen dem Umstand Rechnung tragen, dass ein gespanntes Verhältnis zu Griechenland ihren verteidigungspolitischen Interessen deutlich abträglicher war als ein Einlenken in der Zypernfrage.380 Wenn Ankara sich mit dem griechischen Nachbarn im Westen überwarf, war das eigene Land geostrategisch isoliert und nur noch von feindlich gesinnten Anrainern umgeben. Zudem erhielt Athen in der Zypernfrage wachsenden Zuspruch vonseiten der VAR.381 Die Türkei drohte sich letzten Endes in einem von Feinden umgebenen Kessel wiederzufinden. Dementsprechend erntete Menderes scharfe innere Kritik an seiner

376

377 378

379

380 381

FRUS, 1958‑1960, vol. 10/1, doc. 283, Nachricht britischer Premierminister an US-Präsident, 27.10.1958, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd.; Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 233. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 29.10.1958, TNA, FO 371, 136412, Nr. 351; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 22.10.1958, TNA, FO 371, 136412, Nr. 352. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 239  f.; Bericht Nr.  VI/1958, Deutscher Militärischer Vertreter (DMV) an BMVg, Überblick über die militärpolitische Lage, 6.12.1958, BArch, BW 3 1591; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 221. Pelt, Military Intervention, S. 171. Ebd., S. 155 f.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

83

»abenteuerlichen« Zypernpolitik.382 Auf einem Geheimtreffen der türkischen Nationalversammlung warf der Oppositionspolitiker İnönü dem Ministerpräsidenten unter dem lauten Beifall der Anwesenden vor, in dieser Frage ungeahnte Risiken eingegangen zu sein, die das Land nicht länger tragen könne. Spätestens jetzt war der Wendepunkt in der türkischen Zypernpolitik erreicht. Athen wiederum war trotz der NATO-kritischen Tendenzen in der griechischen Bevölkerung gewillt, seinen Platz im Bündnis zu erhalten und vor dem Hintergrund der neuen Berlinkrise den äußeren Zusammenhalt der Atlantischen Allianz zu unterstreichen. Ende November hatte Chruščëv den westlichen Besatzungsmächten ein Ultimatum gestellt, sich binnen eines Jahres aus Berlin zurückzuziehen.383 Der sowjetische Staats- und Parteichef hatte gedroht, die Verbindungswege nach Westdeutschland zu kappen, wie dies im Jahre 1948 bereits einmal geschehen war. Während der NATO-Ministerrat in Paris tagte, beherrschte das Thema Berlin die Sitzungen des Militärausschusses.384 Wenn Griechenland im Angesicht der akuten äußeren Bedrohung Zweifel an seiner Bündnistreue aufkommen ließ, konnte sich dies auch auf die potenzielle Bereitschaft der Verbündeten auswirken, Thrakien und die peloponnesische Halbinsel im Zweifelsfall gegen Angriffe des Warschauer Paktes zu verteidigen. Im Falle eines Krieges war das Land dann gegen eine bulgarische oder rumänische Aggression auf sich allein gestellt. Darüber hinaus erzielten Griechenland und Erzbischof Makarios bei den Vereinten Nationen abermals keine Stimmenmehrheit für ihre Zypernpläne. Die griechische Delegation sah sich denselben fruchtlosen Diskussionen gegenüber, wie sie der griechische Delegierte bereits in der NATO geführt hatte.385 Der Erzbischof und seine radikalen Anhänger wurden sich immer deutlicher des Umstands gewahr, dass der Weg der Enosis ohne internationale Unterstützung früher oder später in eine Teilung der Insel münden musste.386 Eine Unabhängigkeit Zyperns auf Basis eines Kompromisses schien dagegen den einzigen Ausweg zu bilden. Dementsprechend erklärte sich der Ethnarch gegen Ende des Jahres 1958 widerwillig bereit, substanziellen Verhandlungen zwischen Ankara und Athen zuzustimmen. Der Weg zu Verhandlungen war damit frei. Außenminister Averoff traf sich in der Folge in New York mit seinem türkischen Amtskollegen Zorlu, um über die Zukunft der Insel zu verhandeln.387 Dieser war bereit, mit Athen zu kooperieren, sofern die türkischen Zyprioten eine gleichberechtigte politische Teilhabe an der künftigen Regierung der Insel erhielten. Averoff ließ zwar eine Antwort offen, zeigte sich aber für das Anliegen seines türkischen Amtskollegen empfänglich. Zudem verlor der griechische Außenminister kein kritisches Wort mehr über den Macmillan-Plan. Die türkische Delegation suchte ihrerseits das Gesprächsklima zu begünstigen, indem sie an die griechisch-türkische Freundschaft der Zeiten Kemal Atatürks

382 383 384 385 386 387

Holland, Britain and the Revolt in Cyprus, S. 269. Luhmann, Die Berlin-Krise, S. 98; Dülffer, Europa im Ost-West-Konflikt, S. 34. Bericht Nr.  VI/1958, DMV an BMVg, Überblick über die militärpolitische Lage, 6.12.1958, BArch, BW 3 1591. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 234 f. Ebd., S. 239‑241. Protokoll Besprechung britischer und türkischer Außenminister im Beisein ihrer NATO-Botschafter, 16.12.1958, TNA, CAB 21, 4918, Nr. 6.

84

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

und Eleftherios Venizelos erinnerte. Der griechische Außenminister erklärte schließlich die Bereitschaft seines Landes, auf Zypern föderative Strukturen zu schaffen, Türkisch als zweite Amtssprache einzuführen und der türkischen Volksgruppe ein eigenes Repräsentantenhaus zuzugestehen. In Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik war Averoff gewillt, den türkischen Zyprioten ein Vetorecht einzuräumen. Nur die Forderung nach einer gleichberechtigten Anzahl griechisch-zypriotischer und türkisch-zypriotischer Minister im Parlament der künftigen Inselrepublik lehnte er ab. Nichtsdestoweniger bekräftigten beide Seiten, über den NATO-Rat weiter miteinander verhandeln zu wollen. In der Folge zeichnete sich auch am Rande der NATO-Ministerkonferenz im Dezember 1958 ein Kompromiss ab. Der griechische, britische und türkische Außenminister trafen sich im Beisein ihrer Ständigen Vertreter zu einem informellen Gespräch.388 Die Unterredung verlief positiv. Mit Zustimmung des britischen Außenministers Selwyn Lloyd einigten sich Averoff und Zorlu darauf, künftige Verhandlungen bereits auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs zu führen. Die griechisch-türkischen Gespräche ließen schließlich auch die Auseinandersetzungen auf der Insel zur Ruhe kommen.389 Die EOKA kündigte eine Waffenruhe an, während Gouverneur Foot im Gegenzug die Hinrichtung zum Tode verurteilter Aufständischer aussetzte. London wiederum ließ den griechisch-türkischen Gesprächen freien Lauf. In der Sitzung des NATO-Rates vom 12. Februar 1959 konnte Spaak schließlich den Abschluss eines trilateralen Abkommens bekanntgeben, das in London und Zürich zwischen den drei Parteien getroffen worden war.390 Es war den Konfliktgegnern nach zähen und langwierigen Debatten endlich gelungen, sich auf einvernehmliche Bedingungen zu einigen.391 Das Dokument schuf eine rechtliche Grundlage, die künftig die Unabhängigkeit und territoriale Unantastbarkeit Zyperns sicherstellen sollte.392 Ein Anschluss der Insel an Griechenland sollte damit ebenso verhindert werden wie eine politische Teilung Zyperns unter Abspaltung der türkisch bewohnten Gebiete. Im Vertragstext behielten sich die drei Garantiemächte Großbritannien, Türkei und Griechenland aber auch das Recht vor, unilateral Maßnahmen zur Wiederherstellung des Status quo zu ergreifen, falls eine der Parteien nach ihrer Lesart eine Verletzung des Vertrages erkannte. Alle drei Garantiemächte erhielten zudem das Recht, jeweils ein Militärkontingent von einigen hundert Mann auf der Insel zu stationieren.393 Karamanlis und Averoff sprachen Spaak in einem Glückwunschtelegramm ihren Dank aus.394 Beide unterstrichen den Erfolg der langen Bemühungen des Generalse-

388 389 390 391 392 393 394

Protokoll Besprechung britischer und türkischer Außenminister im Beisein ihrer NATO-Botschafter, 16.12.1958, TNA, CAB 21, 4918, Nr. 18. Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 233. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.2.1959, TNA, FO  371, 144638, Nr. 84. Näheres zum inhaltlichen Ablauf der Verhandlungen bei: Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S. 245‑253. Londoner-Züricher Vertrag vom Februar 1959, gedruckt in: Hart, Two NATO Allies at the Threshold of War, S. 143‑158. Ebd.; Dodd, The History and Politics, S. 240. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.2.1959, TNA, FO  371, 144638, Nr. 84.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

85

kretärs. Obgleich die Beteiligten vermutlich ahnten, dass der Kompromiss brüchig und unsicher war, hob der griechische Premierminister hervor, dass die Einheit der Allianz nun wiederhergestellt sei.395 Griechenland und die Türkei hatten ihren Streit vorerst beendet und bekräftigten ihre gemeinsame Kohäsion im NATO-Bündnis. Allerdings hatte die Allianz über keine echten Sanktionsmöglichkeiten verfügt, um die zerstrittenen Mitglieder in der Zypernfrage zu Kompromissen zu bewegen. Den entscheidenden Ausschlag zur Beschwichtigung und Kompromissbereitschaft Athens hatten nicht die aktiven Bemühungen der NATO, sondern das selbstständige Einlenken Ankaras gegeben. Ungeachtet der hoffnungsvollen Stellungnahme des griechischen Premiers sollte Zypern darüber hinaus in den kommenden Jahrzehnten noch zum bitteren Zankapfel zwischen den beiden Staaten werden.396

395

396

Telegramm griechischer Ministerpräsident an NATO-Generalsekretär, 14.2.1959, PHS Archives, D 6143 und Telegramm griechischer Außenminister an NATO-Generalsekretär, 27.2.1959, PHS Archives, D 6146. Daneben sollte die Regierung Menderes den vermeintlichen Erfolg ihrer Amtsperiode nicht lange genießen. Im Mai 1960 putschte das türkische Militär gegen das Kabinett mit dem Vorwurf, sich »undemokratisch« verhalten zu haben. Dabei wurden Adnan Menderes, Fatin Zorlu und mehrere hundert Parteimitglieder in Schauprozessen auf den Yassidia-Gefängnisinseln zum Tode verurteilt und hingerichtet. Auffälligerweise klagten die Richter ihre ehemalige Regierung nicht wegen mutmaßlicher Fehler bei den Zypernverhandlungen an. Vielmehr legten sie den Angeklagten unter anderem die Verantwortung für die Pogrome von Izmir und Istanbul im Jahre 1955 sowie auch deren Folgen für den Niedergang des griechisch-türkischen Verhältnisses zur Last. Mogan Pelt zufolge hatte Adnan Menderes zudem versucht, dem Militär die Verantwortung für die Pogrome in die Schuhe zu schieben. Der Ministerpräsident hatte damit einen Grundstein für den Umsturz und die Verhaftung seiner Regierung gelegt. Ein späterer Bericht des amerikanischen Konsuls Maxwell Berry in Izmir legte darüber hinaus einige der tieferen Ursachen des Umsturzes offen. Neben der Einführung des politischen Islam und der Abkehr von säkularen, kemalistischen Prinzipien durch die Regierung Menderes hatte u.a. die niedrige Besoldung der Offiziere wesentlich zu den Ursachen des gewaltsamen Machtwechsels beigetragen. Der damit verbundene, geringe gesellschaftliche Stellenwert der türkischen Militärelite hatte zu erheblichem Unmut und Frustrationen geführt. Insbesondere die traditionelle kemalistische Führungsschicht aus Militär und Bildungsbürgertum hatte eine latente Geringschätzung vonseiten der Regierung erfahren. Mit dem gewaltsamen Putsch hatte die Militärführung nicht nur ihren sozialen und ökonomischen Status rehabilitiert, sondern sich fortan auch eine Position verschafft, die ihr eine Aufsichts- und Überwachungsfunktion über die Aktivitäten künftiger Regierungen gewährte. Hierzu: Turkey in the 1960’s and 1970’s; Richter, Griechenland 1950‑1974, S.  125; Bericht US-Konsul Izmir an State Dep., »Some Comments on the Political Attitudes of the Military«, 22.10.1965, S. 197‑200, und auch die damit einhergehende Meinung von Mogans Pelt: Pelt, Military Intervention, S.  106‑110, 181 und S.  248. Der neueste Aufsatz zu diesem Thema findet sich im Journal of Cold War Studies im Aufsatz von Christopher Gunn. Gunn führt den Umsturz u.a. auch auf die fortwährende ökonomische Misswirtschaft der Regierung von Adnan Menderes zurück, die in der Folge dazu führte, dass der amerikanische Partner seine Wirtschafts- und Finanzhilfen an die Türkei kappte und den Sturz der Regierung durch das Militär dadurch begünstigte. Hierzu: Gunn, The 1960 Coup in Turkey, S. 12529; Weiteres zu den Hintergründen des türkischen Militärputschs findet sich auch in den älteren Werken von Walter Weiker (1963), welches die Revolution im Wesentlichen aus amerikanischer Sicht beschreibt. Siehe dazu auch das zeitgleich erschienene Werk des türkischen Professors Alid Fuad Başgil (1963). Hierzu: Weiker, The Turkish Revolution; und Başgil, La Révolution Militaire.

86

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

7. Die Folgen und Gefahren des Konflikts für die NATO während der Krise Angesichts der militärischen Schwäche der griechischen und türkischen Streitkräfte bestand auch in den Jahren 1957/58 grundsätzlich geringe Kriegsgefahr. Griechenland konnte seine Militärausgaben Ende der 1950er Jahre nur mit enormen Finanzhilfen seitens des amerikanischen Partners decken.397 Auch blieb die Kampfkraft seiner Landstreitkräfte weit hinter den Forderungen der NATO zurück. Es fehlte nach wie vor an gepanzerten Kräften und Fernmeldegerät. Die Marine befand sich zwar in einem besseren Zustand und verfügte bereits über einige modernere Kriegsschiffe. Jedoch steckte die Aufrüstung der Seestreitkräfte unverändert in den Kinderschuhen und sollte vor 1963 keinen Abschluss finden. Lediglich die Luftwaffe zeichnete sich dank umfangreicher USHilfe durch eine relativ hohe Einsatzbereitschaft ihrer Luftfahrzeuge aus, nur fehlte es an geschulten Piloten, technischem Personal und gesichertem Nachschub. Athen wäre daher kaum in der Lage gewesen, einen Angriff der mechanisierten bulgarisch-rumänischen Kräfte gegen sein Staatsgebiet abzuwehren. Die augenscheinlich expansiven Bestrebungen der Staaten des Warschauer Paktes, die sich nicht zuletzt in der zweiten Berlinkrise widerspiegelten, ließen einen bündnisinternen Krieg um die Zukunft Zyperns daher selbstmörderisch erscheinen. Die Türkei wiederum litt unter einer galoppierenden Inflation, die in den Staatsbankrott zu münden drohte.398 Noch stärker als die griechische Armee war das türkische Militär auf die Finanzhilfen seiner NATO-Partner angewiesen, allen voran der USA. Die türkischen Streitkräfte waren ihren griechischen Gegenspielern zwar quantitativ um ein Vielfaches überlegen. Auch verfügte Ankara über weit mehr gepanzerte Kräfte und wäre zumindest zu Lande potenziell in der Lage gewesen, einen begrenzten Krieg gegen seinen griechischen Nachbarn zu führen. Die bedrohlichen Entwicklungen an der Südostgrenze Anatoliens und die desolate Finanzlage Ankaras ließen die Idee eines Waffengangs mit Athen aber in weite Ferne rücken.399 Der Konflikt hinterließ auch innerhalb der Allianz seine Spuren. Wie sich gezeigt hatte, drohten die geringe Kompromissbereitschaft der Griechen sowie die wiederkehrenden Vorwürfe einseitiger Parteinahme seitens der NATO im Herbst 1958 das Betriebsklima im NATO-Rat, im Militärausschuss und in den integrierten Stäben von LANDSOUTHEAST und der SIXATAF zu vergiften. Daneben bestand die Gefahr, dass sich die NATO öffentlich blamierte, wenn sie ihren internen Konflikt nicht beilegte, sondern stattdessen öffentliche Angriffe Athens über sich ergehen ließ, die so nur von Warschauer-Pakt-Staaten zu gewärtigen waren. Trotz dieser Unstimmigkeiten hielten sich die Nebenwirkungen in Grenzen. Weder Ankara noch Athen ließen vor den Augen der Weltöffentlichkeit Ambitionen erkennen, offen von ihrer Bündnisdisziplin abzuwei397 398 399

Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 202‑206. Ebd. Vgl. ebd., S. 223, hier: Chourchoulis vertritt an dieser Stelle eine abweichende Meinung. Seiner Auffassung nach drohte Ankara der griechischen Nachbarin jeweils im Jahr 1956 und 1957 offen mit Krieg. Der Autor kann seine Ausführungen an diesem Punkt jedoch nicht belegen.

III. Der erste griechisch-türkische Konflikt

87

chen und dem Warschauer Pakt dadurch eine Angriffsfläche zu bieten, unter den NATOStaaten Zwiespalt zu säen und den inneren Zusammenhalt der Allianz aufzuweichen. Auf der militärischen Seite waren die Auswirkungen hingegen gravierender: Die griechischen »Sanktionen« gegen die NATO begannen die Arbeitsfähigkeit der noch im Aufwuchs befindlichen Hauptquartiere von LANDSOUTHEAST und der SIXATAF empfindlich zu stören. Neben dem wiederholten Abzug des griechischen Personals aus den südöstlichen Kommandobehörden der NATO hatte die griechisch-türkische Kooperation auf militärischem Gebiet seit dem Sommer 1958 praktisch aufgehört zu bestehen.400 Die militärische Abschreckung lastete daher im Kern nur noch auf der konventionellen und nukleartaktischen Schlagkraft der 6. US-Flotte. Dieser Umstand hätte sich im Falle einer rumänisch-bulgarischen oder sowjetischen Aggression insofern verheerend ausgewirkt, als die griechischen und türkischen Streitkräfte ohnehin nur lose in die integrierten Strukturen der NATO eingeflochten waren und im Kriegsfall durch die Militärallianz nicht auf der taktischen Ebene hätten geführt werden können.401 Im Falle eines Krieges wären sie daher allenfalls im Verbund in der Lage gewesen, die Kräfte des Warschauer Paktes so lange hinzuhalten, bis die westlichen Verbündeten, allen voran die 6. US-Flotte, in das Geschehen eingegriffen hätten.

400 401

Ebd., S. 214 und S. 222 f. Ebd.

IV. Die NATO und der zweite griechisch-türkische Konflikt um Zypern 1963‑1965 1. Ein neuer Brand an der Südostflanke Das trilaterale Londoner und Züricher Zypernabkommen des Jahres 1959 sollte sich schon bald als unsicherer Vertrag erweisen. Erzbischof Makarios ging aus den ersten freien Wahlen dank der Stimmenmehrheit seiner Volksgruppe als unumstrittener Sieger hervor, doch musste er sich den verfassungsrechtlichen Grundsätzen beugen.1 Die türkischen Zyprioten erhielten ein Drittel aller Sitze im Repräsentantenhaus sowie etliche Posten in der Verwaltung und den bewaffneten Sicherheitskräften. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die ethnischen Gegensätze verschwanden. Die Zusammenarbeit zwischen den ehemaligen Mitgliedern der EOKA und den Angehörigen der TMT war von tiefsitzenden Ressentiments und unverkennbarem Misstrauen geprägt. Die griechischzypriotischen Freiheitskämpfer unter Georgios Grivas gaben insgeheim weder ihr Streben nach der Enosis auf, noch standen sie in ihren Überzeugungen fest hinter der neuen Verfassung des jungen Staates. Aus ihrer Sicht hatten Ankara und die britische Kolonialmacht sie ihres legitimen Rechts beraubt, die Zukunft ihrer Heimat selbstbestimmt zu gestalten. Folglich bildeten sich im Dunstkreis um Grivas nach kurzer Zeit im Untergrund neue paramilitärische Gruppierungen, welche die alten EOKA-Strukturen abseits der Öffentlichkeit wiederbelebten.2 Die EOKA war nach der Regierungsbildung nicht entwaffnet worden, was schließlich den Aufbau einer neuen, verdeckten Streitmacht mit bald mehreren Tausend Mann ermöglichte. Sympathisanten aus dem Griechischen Generalstab3 in Athen unterstützten das Vorhaben technisch und logistisch.4 Auch die türkisch-zypriotische Volksgruppe war mit ihrer neuen Situation unzufrieden.5 Zwar hatten deren Vertreter mit Fazil Küçük als neuem Vizepräsidenten einen starken Fürsprecher ihrer Interessen erhalten. Dennoch fühlten sie sich ihrer einstigen Privilegien und Sonderrechte beraubt und fanden sich als ungeliebte Minderheit in ei-

1

2 3 4 5

Daniels, Diplomacy and Its Discontents, S.  262  f.; Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 20; näheres zum konstitutionellen System Zyperns in den 1960er Jahren siehe Dodd, The History and Politics, S. 42‑51. Bahcheli, Greek-Turkish Relations, S. 55 f. Internationale Bezeichnung: Hellenic General Staff. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 160 f. Ebd.

DOI: 10.1515/9783110465273-004

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

89

nem »griechischen« Staat wider. Sie strebten daher nach größtmöglicher kommunaler Autonomie und standen nur halbherzig hinter der Struktur der neuen Republik. Konstantinos Karamanlis bemühte sich nach seiner Wiederwahl im November 1961 trotz der widrigen Umstände, das Zypernabkommen mit Leben zu füllen und Ankara wohlwollend zu stimmen.6 Sein Kabinett wusste, dass die bilateralen Beziehungen zur Türkei maßgeblich von den künftigen Entwicklungen auf der Insel bestimmt würden. Wenn die türkischstämmige Volksgruppe auf Zypern nicht in den vollen Genuss ihrer vertraglichen Rechte gelangte, würde dies unangenehme Folgen für die griechische Minderheit in Izmir und Istanbul nach sich ziehen. Verglichen mit den Zyperngriechen genoss die griechische Minderheit in der Türkei in Athen zwar keinen herausragenden Stellenwert mehr, und sie besaß in der griechischen Hauptstadt kaum Fürsprecher ihrer Interessen. Nichtsdestoweniger hatten die Pogrome im Jahrzehnt zuvor den griechischen Nationalstolz tief verletzt.7 Als Sitz des ökumenischen griechisch-orthodoxen Patriarchats bildete Istanbul nach wie vor ein historisch-religiöses Zentrum des byzantinischen Erbes. Makarios war nach wie vor nicht bereit, sich von Athen lenken zu lassen.8 Seine Popularität in Griechenland engte den Handlungsspielraum des griechischen Premierministers aufs Neue ein und schuf dadurch ein ähnliches Konfliktpotenzial mit der Türkei wie im Jahrzehnt zuvor. Im Jahre 1962 wurde deutlich, dass sich die politische Lage auf Zypern spürbar verschlechterte.9 Streitigkeiten brachen über die Frage der Errichtung ethnisch getrennter Wohngebiete in den größeren Ortschaften und Siedlungen der Insel aus. Makarios schlug vor, den Verfassungsvertrag zu ändern, und trat mit seinem Vorhaben an die türkisch-zypriotische Führung heran. Da Fazil Küçük seine Zustimmung verweigerte, reiste der Erzbischof nach Ankara, um der türkischen Regierung seine Vorschläge zu unterbreiten. Das türkische Außenministerium wies sein Vorhaben schroff zurück. Jegliche verfassungsrechtliche Änderung galt in den Augen Ankaras als Bruch des Garantievertrages. Auch in Athen fand Makarios zunächst keine Zustimmung. Außenminister Averoff warnte den Ethnarchen vor unbedachten Schritten. Makarios’ Vorhaben konnte aus griechischer Sicht die Beziehungen zwischen den beiden zyprischen Volksgruppen zerstören und damit einen neuen Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei heraufbeschwören. In der Tat zielte das Anliegen des Erzbischofs seinem Inhalt nach auf eine verfassungsrechtliche Entmachtung der türkisch-zypriotischen Ethnie ab. Makarios ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen. Am 3. November 1963 kündigte er unter Missachtung des türkisch-zypriotischen Vetorechts eigenmächtig eine Reform der zypriotischen Verfassung an.10 London als dritte Garantiemacht schwieg 6 7 8 9

10

Miller, The United States, S. 86‑89. Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 506 f.; zur Rolle und Geschichte der griechischen Minderheit in Istanbul siehe auch Alexandris, The Greek Minority of Istanbul. Miller, The United States, S. 86‑89. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S.  20‑23. An dieser Stelle sei ein weiteres Mal auf den Psychoanalytiker Vamik Volkan zu verweisen, der die hier zutreffende These vertritt, wonach emotionsgeladene Konflikte zwischen gegnerischen Gruppierungen mit dem Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung keineswegs gelöst sein müssen. Die Konflikte können zu einem späteren Zeitpunkt wieder hervorbrechen und sich zu einer neuen Krise entwickeln. Volkan, Das Versagen der Diplomatie, S. 16. Dodd, The History and Politics, S. 48.

90

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

zu den Vorgängen. Die britische Regierung war nicht gewillt, sich aufs Neue mit ihrer ehemaligen Kolonie zu befassen, die das Vereinigte Königreich im Jahrzehnt zuvor so viele Mühen und Ressourcen gekostet hatte. Jenseits des Atlantiks war das Interesse an der Insel dagegen gestiegen. Die Entwicklungen der weltpolitischen Lage hatten Washingtons Blick für Regionen geschärft, die bislang unter europäischer Kolonialherrschaft gestanden hatten. Mit der fortschreitenden Selbstständigkeit zahlreicher Nationen intensivierte sich in den 1960er Jahren der Wettlauf der beiden Systeme um die Gunst der wachsenden Zahl blockfreier Staaten der Dritten Welt.11 Die Unabhängigkeit zahlreicher afrikanischer Staaten ließ im US-Außenministerium und im NSC Stimmen laut werden, die danach riefen, den sowjetischen Gegner vom Zugang zu natürlichen Ressourcen und dem Zugriff auf geostrategisch bedeutsame Regionen abzuschneiden. Auch Zypern geriet in den Strudel des Kalten Krieges. Die amerikanischen Interessen kreisten vorrangig um die Frage, wie die Insel an das westliche Lager gebunden werden könnte.12 Die bislang verbotene Bewegung der kommunistischen Anorthotiko Komma Ergazomenou Laou (AKEL, »Fortschrittspartei«) hatte nach der Unabhängigkeit der Insel den Status einer legalen Partei erhalten. Nach Auffassung der amerikanischen Nachrichtendienste musste der Einfluss der zyprischen Kommunisten daher unter allen Umständen geschwächt werden. Makarios hingegen sollte mit amerikanischen Wirtschaftshilfen in seiner Herrschaft gestärkt und an den Westen gebunden werden. Die eigentliche Problematik des spannungsgeladenen Verhältnisses griechischer und türkischer Zyprioten fand im State Department indes nur wenig Anklang. Der Erzbischof schien in seiner Eigenschaft als weltlicher Staatsführer und kirchlicher Würdenträger augenscheinlich den idealen Verbündeten zu verkörpern, um sowjetische Einflussnahmen von Zypern fernzuhalten. Folglich beging Präsident John F. Kennedy den Fauxpas, den Ethnarchen zum Ärger Ankaras und Fazil Küçüks ohne Begleitung einer türkisch-zypriotischen Delegation in die Vereinigten Staaten zu Gesprächen einzuladen. Nachdem Makarios seine Verfassungsreform verkündet hatte, brachen neue Spannungen zwischen den Volksgruppen aus. Washington war sich unschlüssig, wie mit der Angelegenheit zu verfahren sei.13 Die Mehrzahl der Mitglieder des NSC betrachtete die Lage nach wie vor ausschließlich durch die Brille des Kalten Krieges. Weder Makarios noch Küçük standen zu diesem Zeitpunkt mit Moskau in Verbindung. Dementsprechend schienen die ethnischen Spannungen – im Gegensatz zu der Gefahr, die von der AKEL herrührte – einer sowjetischen Einmischung wenig Angriffsfläche zu bieten. Folglich wurde sich das Weiße Haus nur langsam der Bedrohung bewusst, die sich aus dieser Krise für das griechisch-türkische Verhältnis und die Südostflanke der NATO entwickeln konnte. Das State Department startete erst nach längerem Zögern eine Initiative, die Ankara dazu drängen sollte, auf die Forderungen des Erzbischofs einzugehen und mit dem Ethnarchen zu verhandeln.14 Aber weder Makarios noch die türkische Staatsführung waren gewillt, dem amerikanischen Drängen nachzugeben. Die neue türkische Regierung un11 12 13 14

McMahon, Heiße Kriege, S. 16‑34; Frey, Die Vereinigten Staaten und die Dritte Welt, S. 35‑60. Miller, The United States, S. 86‑89 Ebd., S. 92 f. Ebd., S. 91 f.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

91

ter dem greisen Ministerpräsidenten Mustafa İsmet İnönü, dem einstigem Mitstreiter des charismatischen Staatsgründers Kemal Pascha Atatürk und Kriegsheld zahlreicher Schlachten gegen Griechenland im Jahre 1921, war keinesfalls bereit, den einseitigen Zielen des griechisch-zypriotischen Staatsführers nachzugeben.15 Nicht zuletzt hatte İnönüs Republikanische Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi) die neuen Wahlen nach der türkischen Revolution im Jahr 1960 nur knapp gewonnen und stand unter öffentlichem Druck. Die politische Bewegungsfreiheit des neuen türkischen Regierungschefs war also eng bemessen. Gleichzeitig gewann Makarios in Athen mit seinem Vorhaben an Boden. Durch die Wahlniederlage Karamanlis’ im Sommer 1963 wurde der Widerstand der griechischen Regierung gegen die Pläne des Erzbischofs zusehends schwächer.16 Das Land befand sich in einer Phase des politischen Umbruchs, die von zahlreichen Regierungswechseln geprägt war. Das innergriechische Klima zeichnete sich durch schwache, instabile und in der Wählerschaft nicht gefestigte Staatsführungen aus.17 Einflussreiche Kreise des Griechischen Generalstabs ließen ihren zypriotischen Waffenbrüdern auf verdecktem Wege über See militärische Ausrüstung und Kampfgerät zukommen. Überdies heizten Georgios Grivas und seine radikalen Anhänger die öffentliche Meinung in Athen an; sie zwangen die griechischen Kabinette, ihrem Drängen nach Unterstützung nachzugeben.18 Ankara hingegen erklärte Makarios’ Verfassungsänderungen im Dezember 1963 als Rechtsbruch und ermutigte die türkisch-zypriotische Volksgruppe, sich offen dagegen aufzulehnen. In kürzester Zeit entzündeten sich gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen den beiden Ethnien, an denen sich griechisch-zypriotische Sicherheitskräfte und auch das kleine türkische Militärkontingent auf der Insel beteiligten.19 Unter den pausenlosen Angriffen der griechisch-zypriotischen Miliz, die zahlreiche Verluste zu beklagen hatte, brach der türkisch-zypriotische Widerstand schließlich zusammen.20 Tausende türkischer Zyprioten flohen aus ihren Dörfern oder wurden vertrieben. Im Gegenzug flammten in Istanbul erneut gewaltsame Ausschreitungen gegen die dort lebende griechische Minderheit auf.21 Die Entwicklungen auf Zypern lieferten den lokalen türkischen Behörden einen willkommenen Anlass, Repressalien gegen die ungeliebte, nicht assimilationswillige Randgruppe der Griechen zu verhängen. Den kemalistisch geprägten Eliten war die generelle Anwesenheit von Bevölkerungsgruppen, die sich in ihrer Selbstwahrnehmung als »nicht-türkisch« definierten, ohnehin ein Dorn im Auge.22 Letzteres betraf Griechen, Armenier, Kurden und Juden gleichermaßen. 15 16 17 18 19 20 21 22

Ebd., S. 92 f.; Weiker, The Turkish Revolution, S. 82‑115. Miller, The United States, S. 92 f.; Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 132. Aufzeichnung Staatssekretär, AA, Abt. I , zur Weiterleitung an Bundespräsidialamt, 3.1.1964, PA AA, B 26 IA4 (o.Nr.) und Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 160‑163. Miller, The United States, S. 92. Dodd, The History and Politics, S. 41‑48. Miller, The United States, S. 94. Richter, Historische Hintergründe des Zypernkonflikts, S.  5; Dodd, The History and Politics, S. 49‑55. Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S.  506 und S.  512‑521; und Plaggenborg, Ordnung und Gewalt, S. 38 und S. 359, hier: Die Lehre des Kemalismus ist in ihrer Basisausrichtung von rasseideologischen Lehren zu unterscheiden. Zwar lehnt auch der Kemalismus multiethnische und pluralistische Gesinnungen innerhalb der Grenzen der Türkei ab. Die Minderheiten auf türki-

92

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Die NATO hatte sich bis zu diesem Zeitpunkt mit dem Konflikt noch kaum befasst. Da Zypern nicht Mitglied der Nordatlantischen Allianz war, lag die formale Zuständigkeit einer Schlichtung seit dem Einigungsvertrag bei den Garantiemächten. Indes konnte das Bündnis nicht verhindern, dass Griechenland und die Türkei ihren Konflikt alsbald aufs Neue vor den Gremien der Allianz ausfochten. In den Morgenstunden des 25. Dezember 1963 trug der türkische NATO-Botschafter Muharrem Nuri Birgi dem versammelten Rat eine scharf formulierte Verlautbarung zu den Ereignissen auf Zypern vor.23 Dem Wortlaut des Schreibens nach befand sich die türkische Volksgruppe in höchster Gefahr. Für die türkischstämmigen Bewohner der Insel stand zu befürchten, von den griechischen Zyprioten regelrecht abgeschlachtet zu werden. Ankara drohte, eigene Truppen zu entsenden und unilateral einzugreifen, sollte Großbritannien als dritte Garantiemacht nicht umgehend die Lage unter Kontrolle haben. London hatte sich jedoch bereits im Vorfeld außerstande erklärt, mit militärischen Mitteln zu intervenieren.24 Das Vereinigte Königreich hatte im Rahmen der zyprischen Unabhängigkeit die beiden souveränen Militärstützpunkte Dekelia und Akrotiri im Süden und Osten des Landes einbehalten, auf denen sich britische Kräfte befanden. Aus Sicht des Foreign Office waren die dortigen Truppen jedoch weder zahlenmäßig noch technisch in der Lage, den Frieden auf der Insel mit Waffengewalt wiederherzustellen. Der NATO-Rat seinerseits wurde von den Ereignissen überrascht.25 Die Mitglieder konnten nur überhastet reagieren und einen schwachen Appell an Ankara richten, in der Angelegenheit Ruhe zu bewahren. NATO-Generalsekretär Dirk Stikker26 bat Birgi lediglich, den NAC zu informieren, bevor die Türkei militärische Maßnahmen ergriff.

23

24 25

26

schem Boden sind aber nicht per se aufgrund ihrer Herkunft oder Ethnie als Fremdkörper definiert, sondern aufgefordert, sich zu assimilieren und aktiv zum »Türkentum« zu bekennen. Nichtsdestoweniger musste ein derart radikaler Nationalismus für die auf türkischem Gebiet verbliebene Minderheitenbevölkerung des ehemaligen Osmanischen Reiches bedeuten, ihre eigene Identität und Kultur aufgeben bzw. verleugnen zu müssen. Für Angehörige des griechisch-orthodoxen Patriarchats in Istanbul, aber auch für christliche Armenier, nationalbewusste Kurden und orthodoxe Juden war dies eine nahezu unerfüllbare Bedingung. Umut Uzer teilt diese Meinung: Kemal Atatürk vertrat die Auffassung, dass alle Einwohner des Staates, unbenommen ihrer Rasse oder Religion, türkische Staatsbürger seien, sofern sie sich zu Kemalismus, Säkularismus und türkischem Nationalismus bekannten. Doch auch Uzer gesteht ein, dass Atatürk in seinen Reden bisweilen dazu neigte, vom »noblen Blut« und der »Schönheit der türkischen Rasse« zu sprechen. Auch »reinigte« der Staatsgründer die türkische Sprache von arabischen und persischen Wörtern und verhängte mitunter Repressalien gegen alle nichtmuslimischen Einwohner Anatoliens. Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 39‑54. FRUS, 1961‑1963, vol. 16, doc. 305, Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 25.12.1963, , letzter Aufruf 12.1.2017; Documents Diplomatiques Français 1963, t.  2, doc.  256, S.  659  f., Französischer Botschafter Athen an Ministère des Affairs Étrangères, 26.12.1963, hier S. 659. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 23. FRUS, 1961‑1963, vol. 16, doc. 305, Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 25.12.1963, http://history.state.gov/historicaldocuments/frus1961-63v16/d305>, letzter Aufruf 12.1.2017; Drahtbericht AA an bdt. Botschafter Ankara, Athen, Paris, Washington, und an Ständige Vertreter (UN und NATO), 3.1.1964, PA AA, B 26 IA4 , Nr. 81-10/0/92.43. Jordan, Political Leadership, S. 103‑117, hier: Dirk Uipko Stikker, 1897 in Winschoten/Niederlande als Sohn eines Landbesitzers geboren, war nach seinem Jurastudium überwiegend als Bankier und Industrieller tätig. Nach dem Zweiten Weltkrieg begann er seine politische Karriere als nieder-

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

93

In Nikosia entbrannten währenddessen neue Straßenkämpfe zwischen griechischzypriotischen Ordnungskräften und türkisch-zypriotischen Aufständischen. Infolge der chaotischen Zustände gerieten auch ausländische Diplomaten unter Beschuss. Heckenschützen töteten wahllos Angehörige des britischen Militärkontingents, die sie für gegnerische Soldaten hielten.27 Binnen Kürze brach die Versorgung mit Lebensmitteln und Trinkwasser in der Stadt zusammen. State Department und Foreign Office gelang es schließlich, die verfeindeten Parteien zu einem ersten Waffenstillstand zu drängen.28 Die türkische Regierung begann jedoch, Teile ihrer Flotte vor die Küste Zyperns zu verlegen und die Insel mit Jagdbombern zu überfliegen.29 Ankara wiederholte seine Drohung, aktiv in das Geschehen einzugreifen, sollten die Kämpfe auf der Insel von Neuem ausbrechen.30 Athens Reaktion wiederum ließ nicht lange auf sich warten: Die griechische Regierung suchte die Türkei im NAC und bei SACEUR anzuprangern. Aus griechischer Sicht verletzte der türkische Nachbar mit dem Abzug von Teilen seiner Seestreitkräfte im Marmarameer seine Bündnisverpflichtungen.31 Die Übergangsregierung unter Ioannis Paraskevopoulos drohte ferner, alle griechischen Offiziere aus HALFSEE abzuziehen, sollte die Türkei auf Zypern intervenieren. Die Südostflanke der Allianz schwebte schlagartig wieder in Gefahr. Ein wiederholter griechisch-türkischer Konflikt konnte den politischen wie militärischen Zusammenhalt in der Region zerbrechen lassen. Daneben drohte die Verlegung von Teilen der türkischen Seestreitkräfte nach Zypern auch die Abschreckungsfunktion der dortigen Verteidigungsaufstellung des Bündnisses auszuhöhlen. Die exponierte Flanke stellte ohnehin eine unveränderte militärische Schwachstelle dar, die nach wie vor durch Verteidigungshilfen der westlichen Bündnispartner gestützt werden musste.32 Griechenland hatte erst im Dezember 1963 im NAC über die unzureichende Kampffähigkeit seiner Truppen

27 28

29 30 31

32

ländischer Außenminister und Botschafter in London, die ihn Ende der 1950er Jahre schließlich in die Kreise der NATO führte. Obwohl er nicht über das charismatische Auftreten Spaaks verfügte, genoss er in London und Washington hohes Ansehen. Seine Nominierung für das Amt des NATOGeneralsekretärs war dennoch umstritten. Die französische Regierung hielt ihn aufgrund seiner wenig europazentrierten, »pro-atlantischen« Sichtweise für wenig geeignet und suchte stattdessen den italienischen Botschafter in Paris, Manlio Brosio, als Gegenkandidaten ins Rennen zu schicken. Da Stikker zu dieser Zeit bereits gesundheitlich angeschlagen war, rechnete der Quai d’Orsay mit einer kurzen Amtsperiode und gab schließlich nach. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 31.12.1963, PA AA, B 26 IA4, Nr. 590/63. Ebd.; FRUS, 1961‑1963, vol.  16, doc.  305, Telegramm State Dep. an Ständigen US-Vertreter (UN), 28.12.1963, http://history.state.gov/historicaldocuments/frus1961-63v16/d308>, letzter Aufruf 12.1.2017. Drahtberichte bdt. Botschaft Nikosia an AA, 27.12. und 28.12.1963, PA AA, B 26 IA4 , Nr. 61 und Nr. 62. Ebd.; Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 128. Drahtberichte bdt. Botschaft Athen an AA, 10.1. und 17.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 14 und Nr. 26; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 8.1.1964, TNA, DEFE 11, 397, Nr. 22. Special Economic Problems of the Less Developed Member Countries. Draft Resolutions for the Athens Meeting, 26.4.1962, NATO C-M (62) 53; Implementation of the Resolution on the Defence Problems of Greece. Note by the Chairman of the Working Group on the Defence Problems of Greece, 24.8.1962, NATO, C-M (62) 87; Griechischer Ständiger Vertreter (NATO) an GenSek, 29.1.1963, NATO, PO (63) 73; Protokoll NAC-Sitzung, 16.12.1963, 31.1.1964, NATO, C-R (63) 74.

94

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

an der griechisch-bulgarischen Grenze geklagt. Die griechischen Landstreitkräfte waren den dort stationierten mechanisierten Divisionen des Warschauer Paktes im taktischen Vergleich an Zahl und Kampfkraft hoffnungslos unterlegen. Auch überstiegen die Forderungen der NATO an die griechische Verteidigungsfähigkeit die wirtschaftlichen Möglichkeiten Athens um ein Vielfaches. Die Entwicklungen am Eisernen Vorhang in Mitteleuropa, namentlich die Berlinkrise 1958, der innerdeutsche Mauerbau 1961 sowie nicht zuletzt die Kubakrise hatten aber bewiesen, dass die Bedrohung für den Westen nicht ab-, sondern eher noch zugenommen hatte. Nicht umsonst hatte die NATO die Anzahl ihrer Bodentruppen und Luftstreitkräfte in Mitteleuropa zeitweise um bis zu 25 Prozent erhöht.33 Darüber hinaus konnten die globalen Entwicklungen die Zypernkrise in eine neue »Kubakrise« verwandeln.34 Aus Furcht vor der bevorstehenden Invasion türkischer Truppen hatte sich Makarios hilfesuchend nach neuen Verbündeten umgesehen und sich schließlich sogar an Moskau gewandt.35 Wie Kennedy hatte Chruščëv der Sowjetunion einen neuen Kurs gegenüber der Dritten Welt verordnet.36 Auf einer geheimen Sitzung des Zentralkomitees der KPdSU hatte der Staats- und Parteichef verkündet, dass die Entwicklungsländer einen integralen Schauplatz des Kalten Krieges darstellten. Dementsprechend suchte der Kreml stärkere Beziehungen auch zu denjenigen Staaten zu knüpfen, deren Regierungssysteme einen Wechsel zu kommunistischen Strukturen unwahrscheinlich erscheinen ließen. Wann immer die Politik eines blockfreien Staates im sowjetischen Interesse lag, war die Parteiführung bereit, enge Bindungen zu knüpfen und politische, wirtschaftliche und militärische Hilfe zu leisten. Die Förderung der Selbstständigkeit dieser Länder sollte deren Abhängigkeit vom westlichen Lager beenden und sowjetfreundliche Tendenzen bestärken.37 Soweit es sich um Gebiete an der Peripherie der UdSSR handelte, versprach sich der Kreml zudem, schrittweise den geostrategischen Ring aufbrechen zu können, den die westlichen Bündnissysteme NATO, CENTO (Central Treaty Organization)38 und SEATO (Southeast Asia Treaty Organization) um die westlichen und südlichen Grenzen der UdSSR gelegt hatten. Bereits auf dem XX. Parteitag der KPdSU im Jahre 1956 hatte Chruščëv verkündet, dass diejenigen blockfreien Staaten, die nicht westlichen Militärbündnissen angehörten, in ihren Befreiungskriegen gegen den Imperialismus und Kolonialismus euroatlantischer Prägung von der Sowjetunion militärisch zu unterstützen seien.39 Der Anteil sowjetischer Rüstungsexporte in die Dritte Welt war seither um mehr als 30 Prozent gestiegen. Die Republik Indonesien, die aus Sicht Moskaus zu der ausgesuchten Staatengruppe zählte, 33 34 35 36 37 38

39

Duffield, Power Rules, S. 161. Windsor, NATO and the Cyprus Crisis, S. 4. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 4.1.1964, AA, B 26 IA4 , Nr. 7/64. McMahon, Heiße Kriege, S. 21‑23; Latham, The Cold War in the Third World, S. 264‑267. Bachmann, Die UdSSR und der Nahe Osten, S. 181‑185. Die CENTO erwies sich als Koloss auf tönernen Füßen. Ohne eine integrierte Militärstruktur und ohne die aktive Mitgliedschaft der USA befand sich der einstige Mittelostpakt spätestens seit dem Austritt des Irak Ende der 1950er Jahre in stetem Niedergang. Teherans Differenzen mit den NATO-Mächten USA und Großbritannien wurden bereits 1962 offenkundig, als der Schah die Stationierung von Boden-Luft-Raketen der CENTO-Partner auf seinem Territorium verweigerte. Hierzu Dimitrakis, Failed Alliances during the Cold War, S. 156‑163. Ebd.; Boden, Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln?, S. 463‑467; Latham, The Cold War in the Third World, S. 264 f.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

95

erhielt zwischen 1956 und 1965 allein dreimal soviel Militärhilfe wie die Sozialistische Republik Nordvietnam. Die politische Herrschaft eines klerikalen, dem Kommunismus fernstehenden Würdenträgers auf Zypern stellte somit kein ideologisches Hindernis dar, sich militärisch für den Erhalt der »nationalen Souveränität« der Mittelmeerinsel einzusetzen. Anders als in den 1950er Jahren war Zypern keine britische Kolonie mehr, sondern nach dem Verständnis des Kremls ein junger, blockfreier Staat, der um seine Freiheit und Selbstbehauptung gegenüber den imperialistischen Großmächten des Westens ringen musste. Nicht zufällig hatten sich zahlreiche Staaten des Warschauer Paktes, darunter auch die DDR, intensiv um diplomatische Kontakte nach Zypern bemüht, während die Sowjetunion selbst bereits im Frühjahr 1961 eine zypriotisch-sowjetische Gesellschaft zum Zwecke des wissenschaftlich-technischen Austauschs ins Leben gerufen hatte.40 Folglich reagierte Moskau im Januar 1964 umgehend auf das Hilfeersuchen des Erzbischofs und verkündete in der Weltpresse, unverzüglich mit Waffengewalt intervenieren zu wollen, sollte Zypern von türkischer oder anderer Seite militärisch angegriffen werden.41

2. Militärische Intervention durch eine NATO-Friedensstreitmacht? Obwohl die Krise das Bündnis unmittelbar betraf, hielt der NATO-Rat sich einstweilen zurück. Seine Empfehlung, die Zypernkrise unter den Garantiemächten des Londoner und Züricher Abkommens ohne Intervention der Allianz auszutragen, brachte London aber in Zugzwang. Wie Griechenland und die Türkei stand Großbritannien völkerrechtlich in der Pflicht, die bewaffneten Zusammenstöße auf der Insel zu beenden oder zumindest einzugrenzen.42 Da das Vereinigte Königreich als einzige Partei nicht in die Streitigkeiten involviert war, lastete der moralische Druck des gesamten Bündnisses auf London. Die britische Regierung war aber keinesfalls bereit, die drückende Verantwortung der Befriedung der Insel alleine zu tragen.43 Das Foreign Office wies seinen NATOBotschafter Evelyn Shuckburgh daher an, dem NATO-Rat den Vorschlag einer NATOFriedensstreitmacht zu präsentieren. Der britische Delegierte besprach die Thematik mit dem britischen Militärvertreter beim Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE).44 Er meldete schließlich nach London, SACEUR und dem NAC vorzuschlagen, dass die mobile NATO-Truppe Allied Mobile Force (AMF) für diesen Zweck herangezogen werden könne.45 Der Verband war 1961 zusammengestellt worden, um den äußeren Gegner an den Flanken der NATO politisch abzuschrecken und gleichzeitig die Solidarität im Bündnis zu demonstrieren.46 Ein Einsatz der AMF als Friedenstruppe 40 41 42 43 44 45 46

Kruse, Bonn, S. 55. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 4.1.1964, PA AA, B 26 IA4 , Nr. 7/64. Nicolet, American and British NATO-Plans, S. 316; Reddaway, Burdened with Cyprus, S. 150. Telegramm FO  an britischen Ständigen Vertreter (NATO), 7.1.1964, TNA, DEFE  11, 397, Nr. 177. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 8.1.1964, TNA, DEFE 11, 397, Nr. 16. Ebd. Näheres zur AMF siehe in dem neuem Standardwerk Lemke, Die Allied Mobile Force. Ebd., S. 2 f.

96

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

war allerdings weder innerhalb noch außerhalb des NATO-Vertragsgebiets vorgesehen. Shuckburgh gab daher zu bedenken, dass die meisten Allianzmitglieder einer solchen Idee wohl eher ablehnend gegenüberstehen würden. London gab sich damit nicht zufrieden. Die Lage auf der Insel begann sich aufs Neue zu verschärfen. Folglich suchte das Foreign Office den amerikanischen Partner stärker in die Pflicht zu nehmen.47 Die Briten übten Druck auf Washington aus mit dem Hinweis, entweder ihre Rheinarmee im deutschen Mittelabschnitt verkleinern oder sich militärisch vollständig aus Zypern zurückzuziehen zu müssen.48 Entgegen seinen ursprünglichen Planungen bestand London jedoch nicht mehr auf einer NATO-eigenen Streitmacht, sondern sprach lediglich von einer Truppe, deren Kontingent aus den Bündnisstaaten rekrutiert werden sollte. Der britische Botschafter in Washington, Ormsby Gore, suchte am 24. Januar 1964 US-Außenminister Dean Rusk zu überzeugen, die Londoner Vorschläge zu unterstützen. Er bemühte sich, das State Department zu überreden, eigene Friedenstruppen zu stellen, um die Briten auf der Insel zu entlasten. Der amerikanische Verbündete hielt sich jedoch bedeckt. Rusk stand der Idee zwar nicht ablehnend gegenüber, weigerte sich jedoch, Zusagen zu einem möglichen amerikanischen Beitrag zu machen.49 Seiner Ansicht nach konnte ein Einsatz eigener Truppen auf Zypern die Stationierung von US-Streitkräften in der Türkei gefährden, da die amerikanischen Soldaten in einem solchen Fall unter Umständen gezwungen waren, auf der Insel gegen das türkische Militärkontingent vorzugehen. Dean Rusk bot daher an, die britische Rheinarmee mit eigenen Kräften personell zu entlasten, wenn London die Federführung des Zyperneinsatzes ohne amerikanische Beteiligung übernahm.50 Mit dem Tod Kennedys und der Amtsübernahme Lyndon B. Johnsons hatten sich die Zielsetzungen des Weißen Hauses gewandelt.51 Der neue Präsident legte den Schwerpunkt seiner Amtsführung auf innenpolitische Belange. Außenpolitische Notwendigkeiten hatten sich den ineren Bedürfnissen in jeder Hinsicht unterzuordnen. Kritiker sprachen bereits seit Beginn des Jahres 1964 davon, dass Johnson in der Außenpolitik desorganisiert und unverantwortlich handele. Europäische Staats- und Regierungschefs bemängelten sein fehlendes Hintergrundwissen in auswärtigen Angelegenheiten. Der deutsche NATO-Militärvertreter im Military Council, Generalmajor Gerhard Wessel, schrieb im Spätherbst 1964 in seinem Bericht, dass der neue amerikanische Präsident dazu neige, in außenpolitischen Fragen situationsbezogen zu taktieren, statt eine weitgesteckte Linie zu verfolgen.52 47

48 49

50 51 52

Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 24.1.1964, PA AA, B  26  IA4, Nr.  41/64; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 1, Protokoll Gespräch britischer Botschafter und US-Secretary of State, 24.1.1963, , letzter Aufruf 12.1.2017. Nicolet, American and British NATO-Plans, S. 316. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 1, Protokoll Gespräch britischer Botschafter mit US-Außenminister, 24.1.1963, , letzter Aufruf 12.1.2017. Nicolet, American and British NATO-Plans, S. 318. Schwartz, Lyndon Johnson and Europe, S. 26‑33. Bericht Nr. II/1964, DMV an BMVg, Gedanken zur verteidigungspolitischen Lage, 17.11.1964, BArch, BW 3 1593.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

97

Da das State Department und das Weiße Haus eine Entscheidung hinauszögerten, unternahm das Foreign Office einen neuen Schachzug.53 London erinnerte den US-Verbündeten daran, dass die Angelegenheit nicht nur Zypern, sondern insgesamt die Südostflanke der NATO beträfe. Demnach war die britische Regierung keineswegs gewillt, die Bürde der Krise alleine zu tragen. Ankara seinerseits leistete den Briten ungewollte Schützenhilfe. İnönü setzte den amerikanischen Botschafter in Ankara über die bevorstehende Invasion türkischer Truppen in Kenntnis. Armee und Marine hatten im Seehafen von İskenderun begonnen, Truppen und amphibisches Landungsgerät für die Verlegung nach Zypern vorzubereiten. Washington reagierte umgehend.54 Angesichts der neuen Lage konnten State Department und Pentagon den Präsidenten überzeugen, einen militärischen Eigenbeitrag zur Aufstellung der geplanten NATO-Friedenstruppe zu leisten. Johnson bestand lediglich darauf, dass dem britischen Verbündeten die Federführung für das Unternehmen obliege.55 Mit der Zusage des amerikanischen Partners trat London schließlich an die Mitglieder heran.56 Die Türkei selbst war dem Vorhaben wohlgesonnen.57 Allerdings war Ankara nur dann bereit, eigene Soldaten für das vorgesehene Kontingent zu stellen, wenn sich eine Lösung des Streits um die zyprische Verfassung abzeichnete. Athen wiederum befand sich in einem Dilemma. Obgleich die politischen Entscheidungsträger den Plan gleichfalls favorisierten, lehnten die griechischen Zyprioten das Konzept ab und forderten die Entsendung einer Friedenstruppe der UNO.58 Die griechische Regierung stand vor der Entscheidung, Makarios entweder zu unterstützen und eine türkische Landung auf der Insel in Kauf zu nehmen, oder aber einer militärischen Befriedung durch die NATO zuzustimmen.59 Angesichts der bevorstehenden türkischen Militärintervention entschied sich die griechische Übergangsregierung unter Ioannis Paraskevopoulos gegen den Willen des Erzbischofs und pflichtete dem Vorhaben ihrer NATO-Partner bei.60 Völkerrechtlich gesehen besaß der zypriotische Staatschef ohnehin nur ein begrenztes Veto. Dem Züricher und Londoner Vertrag nach verfügten die Garantiemächte über das gemeinsame Recht, den Frieden auf der Insel im Bedarfsfall auch ohne die Einwilligung der griechischen Zyprioten militärisch durchzusetzen. Zudem hatte der Erzbischof am 2. Januar 1964 einen Rechtsbruch begangen, indem er den trilateralen Garantievertrag öf53 54 55

56 57 58

59 60

Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 53‑58. Ebd. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 2, Telefongespräch US-Präsident mit Under Secretary George Ball, 25.1.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 30.1.1964, TNA, DEFE  11, 399, Nr. 66. Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 30.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 128; Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 57; Uslu, The Cyprus Question, S. 31. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 1, Protokoll Gespräch britischer Botschafter mit US-Außenminister, 24.1.1963, http://history.state.gov/historicaldocuments/frus1964-68v16/d1>, letzter Aufruf 12.1.2017; Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 58‑63. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 160‑163. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 1, Protokoll Gespräch britischer Botschafter mit US-Außenminister, 24.1.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 23.1.1964, AA, B 26 IA4, Nr. 32.

98

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

fentlich für nichtig erklärt hatte.61 Die griechische Regierung stimmte dem Vorhaben der NATO-Partner daher nicht nur zu, sondern verteidigte den Plan sogar offen gegen Einmischungsversuche Moskaus. Athen gab hierzu eine öffentliche Erklärung ab, um einem möglichen sowjetischen Eingreifen dessen völkerrechtliche Legitimität abzusprechen:

»jedoch bestehe bei chruschtschow offenbar ein missverstaendniss. es gebe keine auslaendische intervention in zypern. britische streitkraefte staenden dort auf ersuchen zyprischer regierung, um bei der aufrechterhaltung der ordnung auf der insel zu helfen. auch frage angeblicher natointervention sei nicht existent. zur debatte stehe lediglich die unterstuetzung der britischen verbaende durch einheiten befreundeter laender.«‚62

Bonn war dem Unternehmen grundsätzlich nicht abgeneigt. Das Bundeskabinett konsultierte bereits den Generalinspekteur der Bundeswehr.63 Obgleich das Auswärtige Amt noch zögerte, erklärte sich das Bundesministerium der Verteidigung bereit, Offiziere zur Besprechung der Einzelheiten des Operationsplans vorab nach London zu entsenden.64 Das geplante Einsatzkontingent sollte kampfkräftige Truppen von je 4000 britischen sowie je 1200 deutschen, französischen und amerikanischen Soldaten umfassen.65 Auch Italien, Belgien und die Niederlande waren dem Vorhaben gewogen.66 Norwegen zögerte noch und wollte die dänische und die kanadische Haltung abwarten.67 Frankreich hingegen versagte seine Zustimmung. Die Hintergründe für die französische Haltung waren aber weniger im östlichen Mittelmeer als vielmehr in Washington und Paris zu finden. Die Grande Nation rang seit Jahren mit dem amerikanischen Bündnispartner um ihre eigene Machtstellung innerhalb der Allianz.68 Der französische Unmut äußerte sich vor allem an der zweitrangigen Führungsrolle Frankreichs sowie an der unzureichenden Beteiligung in Fragen der nuklearen Verteidigungsplanung der NATO durch den amerikanischen Partner.69 Als Folge davon setzte der Quai d’Orsay Washington in zahlreichen bündnisinternen Angelegenheiten Widerstand entgegen. Die Uneinigkeit in der Zypernfrage bildete dabei unverkennbar den Ausfluss der französischamerikanischen Differenzen.

61 62 63 64 65 66 67 68

69

Aufzeichnung Staatssekretär AA, Abt. I, zur Weiterleitung an Bundespräsidialamt, 3.1.1964, PA AA, B 26 IA4. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 1.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 50. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 64. AAPD, 1964, Bd  1, Dok.  37, Runderlass Staatsekretär Carstens an bdt. Botschafter in den NATO-Mitgliedsstaaten, 2.2.1964, S. 180 f. AAPD, 1964, Bd  1, Dok.  34. Aufzeichnung Staatssekretär Carstens, 31.1.1964, S.  168‑170; Kruse, Bonn, S. 116. Aufzeichnung Staatssekretär, AA, Abt. I, 3.1.1964, PA AA, B 26 IA4 (o.Nr.). Drahtbericht bdt. Botschaft Oslo an AA, 5.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 22. Locher, A Crisis Foretold, S.  108  f.; siehe zu dieser Frage auch das Gesamtwerk von Anna Locher: Locher, Crisis? What Crisis?; Reyn, Atlantis lost; Wenger, The Politics of Military Planning, S. 176‑178. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 14. Das gespannte persönliche Verhältnis zwischen Johnson und de Gaulle dürfte die französische Haltung noch verstärkt haben. Der französische Präsident bezeichnete Johnson als »radikalen Cowboy« und »engstirnigen US-Politiker«. Anfang 1964 äußerte de Gaulle sich sogar beleidigend über seinen US-Amtskollegen: »I rather like Johnson. He doesn’t even take the trouble to pretend he’s thinking.« Schwartz, Lyndon Johnson and Europe, S. 29.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

99

Paris verweigerte nicht nur sein Einverständnis, sondern legte im Rahmen der NATO auch sein generelles Veto gegen das »anglo-amerikanische« Vorhaben ein.70 Das Ministère des Affaires Étrangères argumentierte, nicht über den Abschluss des Londoner und Züricher Abkommens konsultiert worden zu sein. Dementsprechend sei der Quai d’Orsay auch nicht bereit, einer solchen Friedensmission beizupflichten. Entgegen dem Wortlaut des NATO-Gründungsvertrages war die Nordatlantische Allianz nach französischem Verständnis ausschließlich zum Zwecke der Verteidigung gegen einen sowjetischen Angriff ins Leben gerufen worden. Daneben versteifte sich auch der Widerstand der griechisch-zypriotischen Volksgruppe.71 Die örtliche Presse in Nikosia griff London und Washington massiv an, verglich das Vorhaben mit der Intervention der Briten am Suezkanal und forderte die Sowjetunion auf, Zypern militärisch zur Hilfe zu eilen. In der zyprischen Hauptstadt demonstrierten Tausende von Studenten und skandierten NATO-feindliche Parolen. Unter diesen Umständen wurde es für das westliche Bündnis nahezu unmöglich, Truppen auf die Insel zu verlegen, ohne in die Rolle einer ungeliebten Besatzungsmacht zu geraten. Der deutsche Generalinspekteur Heinz Trettner, Offizier der Fallschirmjägertruppe und Weltkriegsveteran, war der Meinung, dass das Bundeswehrkontingent sich möglicherweise einen grausamen und rücksichtslosen Kampf mit der griechischstämmigen Zypernbevölkerung liefern müsse, der ähnliche Ausmaße wie seinerzeit die deutsche Invasion auf Kreta 1941 erreichen könnte.72 Seiner Auffassung nach sei dies mit den Grundsätzen der Inneren Führung der Bundeswehr und dem Menschenbild moderner deutscher Streitkräfte nicht mehr vereinbar. Der heftige griechisch-zypriotische Protest und die Spaltung der NATO-Mitglieder in dieser Frage führten schließlich dazu, dass die Beteiligten den britisch-amerikanischen Plan zu den Akten legten. Darüber hinaus hatte die Regierung Paraskevopoulos ihr Einverständnis zu den Plänen der NATO teuer erkauft. Die Entscheidung war in der griechischen Wählerschaft nicht auf Resonanz gestoßen. Das Kabinett musste bereits am 16. Februar 1964 der NATO-kritischen Zentrumsunion (Enosis Kendrou) von Georgios Papandreou weichen. Die neue Regierung begab sich erneut in ein Abhängigkeitsverhältnis zu Erzbischof Makarios.73

3. Die Eingriffe des SACEUR Der SACEUR, General Lyman Lemnitzer, stufte die Lage inzwischen als sehr ernst ein. Er vereinbarte mit Stikker am 28. Januar 1964, Ankara und Athen kurzfristig einen

70 71 72

73

Documents Diplomatiques Français 1964, t. 1, doc. 70, S. 150‑154, Note Sous-Diréction d’Europe Méridionale, Ministère des Affairs Étrangères, 4.2.1964, hier S. 153 f. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 61. Vermerk Staatssekretär Carstens, 30.1.1964, PA AA, B 150, VS-Bd 420, (auch als Anm. 7 gedruckt in: AAPD, 1964, Bd 1, Dok. 34, Aufzeichnung Staatssekretär Carstens, 31.1.1964, S. 168‑170); Kruse, Bonn, S. 118. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 160‑163; Miller, The United States S. 86.

100

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Besuch abzustatten.74 Lemnitzer beabsichtigte, die Militärführungen beider Staaten aufzufordern, den Streit nicht eskalieren zu lassen. Insbesondere sollte der Türkische Generalstab seiner Meinung nach İnönü von dessen Interventionsplänen abhalten, um einen Bruch im Bündnis zu vermeiden.75 Der SACEUR bestand ausdrücklich darauf, seine Mission nicht als militärisches Organ der Allianz, sondern als schlichter Vermittler wahrzunehmen.76 Obgleich er nicht leugnen konnte, dass sich seine Autorität bei den Streitparteien aus seiner Funktion als oberster nationaler Befehlshaber der amerikanischen Streitkräfte in Europa speiste, suchte er sich abzusichern, sollte von griechischer oder türkischer Seite Kritik an seinem Vorhaben aufkommen. Die Lage im östlichen Mittelmeer spitzte sich unterdessen zu.77 Die griechische Marine begann vor der Küste Kretas einen Flottenverband zusammenzuziehen und Transportschiffe mit Mannschaften und schwerem Kampfgerät zu beladen. Das griechische Verteidigungsministerium versetzte seine Luftwaffe in Alarmbereitschaft. Athen gab öffentlich bekannt, ein Eingreifen der Türkei keinesfalls zu tolerieren. Die türkische Marine wiederum wartete in İskenderun auf den Befehl, mit den ersten Landungstruppen in Richtung Zypern auszulaufen.78 Der militärische Arm der NATO begann erste Auswirkungen zu spüren. Griechische wie türkische Offiziere versagten wechselseitig ihre Teilnahme an gemeinsamen Lagebesprechungen bei HALFSEE, wenngleich die Stäbe von LANDSOUTHEAST und SIXATAF noch arbeitsfähig blieben.79 Die Lage stellte sich im Frühjahr 1964 als weitaus gefährlicher dar als zuzeiten der ersten Zypernkrise. Trotz gravierender Rüstungsprobleme verfügten Griechenland und die Türkei im Zuge ihres Streitkräfteaufbaus erstmals über personelle, technische und logistische Fähigkeiten, in größerem Umfang und auch zur See einen – wenn auch nur zeitlich und örtlich begrenzten – Schlagabtausch zu führen. Das griechische Heer litt zwar noch unter erheblichen Defiziten. Die Seestreitkräfte hingegen hatten im Jahr zuvor umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen abgeschlossen und waren weitgehend einsatzbereit.80 Die NATO hatte die Hemmschwelle zu einem offenen Krieg mit ihren Rüstungshilfen ungewollt gesenkt.81 Nichtsdestoweniger hatte sich dieses Vorgehen aus bündnispolitischer Sicht als alternativlos erwiesen. Als kollektives Verteidigungsbündnis hatte sich die Allianz zu gegenseitiger politischer wie militärischer Unterstützung gegen gemeinsame äußere Bedrohungen verpflichtet. Militär- und Rüstungshilfen für die schwächeren Mitglieder waren aus Sicht der handelnden Akteure unerlässlich, wollte die NATO ihren 74 75

76 77 78 79 80 81

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 28.1.1964, TNA, DEFE  11, 397, Nr. 56. Documents Diplomatiques Français 1964, t. 1, doc. 49, S. 112 f., Représentant Français au Grand Quartier Général des Puissances Alliées en Europe, Cabinet du Commandant Suprème, an Mr. Laloy, Directeur adjoint au Département, 28.1.1964, hier S. 112; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 28.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 78. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 28.1.1964, TNA, DEFE  11, 397, Nr. 56. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 29.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 45. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an BMVg, 29.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 84. Ebd. Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 203. Krebs, Perverse Institutionalism, S. 369.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

101

Zweck erfüllen und sich nicht, wie in den Gründungsjahren, als zahnloser Papiertiger gegenüber dem Warschauer Pakt erweisen.82 Wachsende Gefahr drohte auch vonseiten der Sowjetunion. Moskau hatte abermals angekündigt, Zypern im Falle einer türkischen Invasion militärisch zu Hilfe zu kommen.83 Sofern das Politbüro und der Ministerrat der KPdSU entscheiden würden, in die bewaffneten Auseinandersetzungen zweier NATO-Mitglieder militärisch einzugreifen, stünde die Allianz vor einem Dilemma. Entweder würde sie dann den Bündnisfall erklären und unter Umständen einen nuklearen Schlagabtausch mit dem Warschauer Pakt in Kauf nehmen oder sich passiv verhalten und ihre Glaubwürdigkeit, Kohäsion und Abschreckungsfähigkeit aufs Spiel setzen.84 Moskau seinerseits begnügte sich nicht mit bloßen Drohgebärden. Um den griechisch-türkischen Binnenkonflikt anzuheizen und die NATO an ihrer exponierten Südostflanke zu destabilisieren, belieferte der Warschauer Pakt die griechischen Zyprioten auf Umwegen mit Waffen und anderem Militärgerät tschechoslowakischen und rumänisch-bulgarischen Ursprungs.85 Der SACEUR führte in Ankara eindringliche Gespräche mit Außenminister Erkin und Ministerpräsident İnönü. Er wies mit Nachdruck auf die äußeren Bedrohungen hin, die mit einer Ausweitung des Konflikts verbunden wären.86 Lemnitzer warnte den türkischen Verbündeten vor unüberlegten Schritten. Seinen Worten nach wäre Ankara im Begriff, mit einer Invasion auf Zypern den Unmut der Weltöffentlichkeit auf sich zu ziehen.87 Der Türkei verblieben dann nur noch wenige, freundlich gesinnte Partner. Der SACEUR wies seine Gesprächspartner darauf hin, dass Washington im Falle einer militärischen Intervention seine Rüstungs- und Verteidigungshilfen einstellen würde. Mit seinen Darlegungen gelang es ihm schließlich, die türkische Regierung dazu zu drängen, neue Verhandlungsgespräche mit den Griechen und den griechischen Zyprioten aufzunehmen.88 82 83 84

85

86

87

88

Greiner, Die Entwicklung der Bündnisstrategie, S. 38. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 28.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 7. Um ihre konventionelle Unterlegenheit im Bereich der Landstreitkräfte auszugleichen, sah die NATO entsprechend ihrer Militärdoktrin MC  14/2 »Massive Vergeltung« vor, jede militärische Aggression des Warschauer Paktes in der einen oder anderen Weise mit nuklearen Gefechtsfeldwaffen zu beantworten, sofern sich jene nicht ausschließlich auf eine lokale Ebene beschränkte. Allerdings war die MC 14/2 in erster Linie auf die Verteidigung des innerdeutschen Mittelabschnitts zugeschnitten und für die Abwehr eines Angriffs auf die Südostflanke nur bedingt geeignet. Hierzu: Duffield, Power Rules, S. 121‑150. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 85; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 47, Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 22.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017; zur allgemeinen sowjetischen Militärhilfe für Drittweltstaaten siehe auch Kanet, Sowjetische Militärhilfe; und Kanet, Vier Jahrzehnte sowjetische Wirtschaftshilfe. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 30.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 47, hier: Auch der bundesdeutsche Botschafter betonte, dass der SACEUR großen Wert darauf legte, als Organ der NATO aufzutreten. Den deutschen Informationen zufolge hatte Lemnitzer die Anwesenheit amerikanischer Diplomaten bei seinen Verhandlungsgesprächen mit Griechenland und der Türkei abgelehnt. Binder, Lemnitzer, S. 327. Die Inhalte von Lemnitzers Gesprächen stammen aus der Biografie von James Binder, der diese aus Lemnitzers Memoiren heranzog. Die Originalprotokolle und Telegramme liegen im NARA und im NATO-Archiv noch unter Verschluss. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 30.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 47.

102

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

In Athen traf er auf Verteidigungsminister Dimitrios Papanikolopoulos. Im Gegensatz zu Ankara war die dortige politische Lage infolge der Krise äußerst angespannt. Die Übergangsregierung war mit der Situation überfordert und befand sich angesichts der maritimen Übermacht des türkischen Widersachers in emotional aufgeladener Stimmung. Papanikolopoulos verlangte, dass die Türkei ihre Landungskräfte von der Bucht bei İskenderun abziehe. Daneben forderte er den amerikanischen Bündnispartner auf, mit der 6. US-Flotte bei Zypern vor Anker gehen, um eine türkische Aggression notfalls mit Gewalt zu unterbinden. Der SACEUR wiederum suchte das Gemüt seines Gesprächspartners zu beschwichtigen.89 Er ermahnte Griechenland, keine unüberlegten Maßnahmen zu ergreifen, ohne das Bündnis vorher zu konsultieren. Daneben erinnerte er die griechische Regierung daran, dass ihre Streitmacht den Truppen des östlichen Nachbarn an Zahl und Kampfkraft hoffnungslos unterlegen sei; ein Waffengang gegen die Türkei wäre für Griechenland selbstmörderisch.90 Noch am selben Tag entspannte sich die Stimmung in der griechischen Hauptstadt.91 Teile der 6. US-Flotte waren im Raum zwischen Zypern und İskenderun eingetroffen. Washington hatte die STRIKEFORSOUTH in die Gewässer südlich der Türkei verlegt, um den möglichen Einsatz türkischer Landungsboote in Richtung Zypern zu erschweren. Es war dem SACEUR mit Unterstützung des maritimen Verbandes vorerst gelungen, Kampfhandlungen zwischen den zerstrittenen Bündnispartnern abzuwenden. Die Wurzel der Streitigkeiten war damit allerdings nicht beseitigt. Am 11.  Februar 1964 entzündeten sich neue Kämpfe bei Limassol im Süden der Insel.92 Die Auseinandersetzungen währten mehrere Tage. Das britische Parlament hatte nach dem Scheitern der NATO-Initiative schließlich doch beschlossen, auf eigene Truppen zurückzugreifen und im Alleingang zu versuchen, die Bürgerkriegsparteien zu trennen.93 Das Vereinigte Königreich hatte sich seiner doppelten Verantwortung nicht länger entziehen können. Großbritannien war nicht nur Garantiemacht, sondern hatte Zypern 1961 auch in das Commonwealth aufgenommen. Jedoch vermochten die britischen Kräfte die blutigen Zusammenstöße nur mit Mühe einzudämmen. Ungeachtet der Anwesenheit der 6. USFlotte vor Zypern gerieten die griechische Regierung und die Bevölkerung wenige Wochen später erneut in Panik.94 Es gingen Gerüchte um, dass die Türkei plane, innerhalb der nächsten 48 Stunden auf der Insel zu landen. Aus griechischer Sicht war dann ein Krieg mit dem östlichen Nachbarn unvermeidbar. Die griechischen Streitkräfte standen in erhöhter Alarmbereitschaft. Das State Department vermittelte währenddessen über seinen Sonderbeauftragten, Under Secretary George Ball, zwischen Nikosia, Ankara und Athen.95 Die Verhandlun89 90 91 92 93 94 95

FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 5, Telegramm SACEUR an US-Verteidigungsminister, 30.1.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Binder, Lemnitzer, S. 328. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 30.1.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 47. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 14.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 64/64. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 77 und S. 115. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 15.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 76. FRUS, 1964‑1968, vol.  16, doc.  6, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 8.2.1964, ; ebd., doc. 7, Telegramm USBotschaft Ankara an State Dep., 9.2.1964, ; ebd., doc. 8, Telegramm US-Botschaft London an State Dep., 9.2.1964, ; ebd., doc. 14, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 14.2.1964, , alle letzter Aufruf 12.1.2017; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 311/64. Ball, The Past, S. 337‑359. Ebd.; Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 132 f. Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 18.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 199; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (UN) an AA, 19.2.1964, PA AA, B  26  IA4, Nr.  110; zur Debatte des UN-Sicherheitsrats siehe auch AdG, 34 (1964), 18.3.1964, S. 11122; Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 78. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 10, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 11.2.1964, ; ebd., doc.  14, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 14.2.1964, , beide letzter Aufruf 12.1.2017. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 21.2.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 267.

104

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

sollte versuchen, eine Schlichtung vor Ort vorzunehmen. Generalsekretär Stikker wies das Vorhaben jedoch zurück. Er meldete schwerwiegende Bedenken gegen eine direkte Beteiligung des Bündnisses an. Da die Mittelmeerinsel nicht zum Vertragsgebiet der Allianz zählte, sah er keine rechtliche Handhabe, in die Ereignisse auf der Insel einzugreifen.101 Aufgrund seiner juristischen Prägung war Stikker weitaus stärker bürokratischem Denken verhaftet als seinerzeit Spaak. Dementsprechend bemühte er sich in weit geringerem Maße als sein Vorgänger, auf informellem Wege zwischen den Streitparteien zu vermitteln. In der NAC-Sitzung am 9.  März brachte der türkische Delegierte das Thema auf die Tagesordnung.102 Er warf Griechenland vor, die zypriotische Verfassung verletzt zu haben. Sein griechischer Kollege sprach Ankara im Gegenzug das Recht ab, ohne Zustimmung der beiden anderen Garantiemächte in die Geschehnisse auf der Insel einzugreifen.103 Die anwesenden Ratsmitglieder nahmen die Äußerungen der beiden Streitparteien zur Kenntnis.104 Der NATO-Rat sah sich jedoch nicht imstande, eine Lösung herbeizuführen. Die Unruhen hielten weiter an, und die türkische Regierung ging nun in die Offensive. Sie stellte Makarios ein Ultimatum, seine Übergriffe auf die türkischen Zyprioten einzustellen, und drohte wiederholt, mit Truppen auf der Insel zu landen.105 Athen rief daraufhin die Familienangehörigen der griechischen NATO-Angehörigen aus Izmir zurück.106 Wie im Jahrzehnt zuvor reagierte Athen auf türkische Interventionsdrohungen mit Sanktionen gegen die Allianz. Der Griechische Generalstab bereitete sich darauf vor, auch die Offiziere selbst aus HALFSEE abzuziehen. Weiterhin erklärte das Kabinett Papandreous, dass eine Landung türkischer Streitkräfte auf Zypern einer Kriegserklärung der Türkei an Griechenland gleichkäme. Der SACEUR suchte nun abermals einzugreifen und drängte den Türkischen Generalstab zur Besonnenheit.107 Er warnte seine Bünd101

102 103 104 105 106 107

Annual Political Appraisal NATO-Generalsekretär, 24.4.1964, NATO, C-M (64) 35; Stikker, The Role of the Secretary General, S. 11 f.; und Stikker, Bausteine, S. 407 f., hier: Stikker suchte sich in seinen späteren Darlegungen und Memoiren für seine zögerliche Haltung zu rechtfertigen. Er argumentierte, es sei lediglich Aufgabe des Bündnisses gewesen, sich auf die Konsequenzen der Krise für das griechisch-türkische Verhältnis zu konzentrieren. Daneben klagte er, er hätte als Generalsekretär des Bündnisses über keine eigenen politischen oder diplomatischen Vertreter verfügt. Er hätte vertrauliche Informationen nur auf inoffiziellem Wege oder über die militärischen Organe der NATO erhalten. Demnach sei er in seiner Handlungsfähigkeit äußerst eingeschränkt gewesen. Er selbst hätte aber maßgeblich dazu beigetragen, Kampfhandlungen zwischen den beiden Streitparteien zu verhindern. Protokoll NAC-Sitzung, 9. und 10.3.1964, 14.3.1964, NATO, AC/119-R (64) 9. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter ( NATO) an AA, 16.3.1964, PA AA, B  26  IA4, Nr. 20-04-01-Zypern-0/64. Protokoll NAC-Sitzung, 9. und 10.3.1964, 14.3.1964, NATO, AC/119-R (64) 9. AdG, 34 (1964), 18.3.1964, S. 11123. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 13.3.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 156. AdG, 34  (1964), 18.3.1964, S.  11123. Dem Türkischen Generalstab oblag seit dem Sturz der Regierung Menderes nicht nur die Führung der Streitkräfte. Vielmehr besaß er den Status eines politisch verankerten Verfassungsorgans. Dementsprechend konnte die Militärführung gegenüber der Regierung und dem Kabinett einen – je nach Lage der politischen Machtverhältnisse – aktiven, wenn nicht gar dominierenden Einfluss auf die Innen-, Außen- und Sicherheitspolitik des Landes nehmen. Die Rolle des Verteidigungsministeriums hingegen beschränkte sich vorrangig auf die Sicherstellung der personellen und materiellen Versorgung der Streitkräfte. Hierzu Kramer, Die politische Praxis, S. 36.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

105

niskameraden vor unüberlegten Schritten. Wenn die Türkei sich mit Griechenland auf einen Waffengang einlasse, würde sie unweigerlich amerikanische Waffensysteme nutzen, die ihr im Rahmen der NATO-Militärhilfe überlassen worden seien.108 Lemnitzer drohte abermals mit dem Ende der amerikanischen Rüstungslieferungen. Der UNO-Sicherheitsrat brachte zwischenzeitlich einen Beschluss zur Aufstellung einer multinationalen Friedenstruppe auf den Weg, an der sich auch einige NATO-Partner mit Truppen beteiligten.109 Erste kanadische UN-Einheiten trafen auf Zypern ein. Ankara nahm daher einstweilen von seinem Ultimatum Abstand. Nichtsdestoweniger erwies sich die militärische Präsenz der Vereinten Nationen als trügerische Hoffnung. Die United Nations Peacekeeping Force in Cyprus (UNFICYP) vermochte weder die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit auf der Insel durchsetzen noch den externen Zufluss von Personal, Waffen und Gerät aus Griechenland und der Türkei zu unterbinden.110 Vielmehr begann sich die Lage weiter zu verschärfen. Makarios selbst entglitt stellenweise die Kontrolle über die laufenden Entwicklungen. Die radikalen Führer der griechisch-zypriotischen Milizen, Nikos Sampson und Polykarpos Yiorgadjis, bisheriger Innenminister des Landes, begannen eigenmächtig Wege zu beschreiten und sich einen regelrechten Wettbewerb im Kampf gegen die türkischen Zyprioten zu liefern.111 Lediglich Grivas hatte einstweilen beschlossen, sich nicht mehr aktiv an den Auseinandersetzungen zu beteiligen. Der SACEUR monierte im April 1964 das schwache Mandat, das aufgrund der Uneinigkeit im UN-Sicherheitsrat über keine solide Rechtsgrundlage verfügte. Er machte gegenüber den Vertretern des Foreign Office keinen Hehl daraus, dass UNFICYP weder befugt noch militärisch dafür ausgestattet war, die Streitparteien zu entwaffnen. Lemnitzer war sich bewusst, dass seine Bemühungen besonders auf türkischer Seite zunehmend an Überzeugungskraft verloren.112 Der Einfluss des SACEUR drohte an seine Grenzen zu stoßen, sobald Ankara bewusst wurde, dass die 6. US-Flotte eine türkische Landung auf Zypern nicht mit militärischen Mitteln verhindern würde.113 Auch war damit zu rechnen, dass der innere Handlungsdruck die Sorge İnönüs um amerikanische Rüstungslieferungen im Laufe der Zeit verdrängen würde. Der Erfolg Lemnitzers war 108 109 110 111 112 113

Binder, Lemnitzer, S. 327; vgl. Anm. 87. AdG, 34. Jg. 1964, 18.3.1964, S. 11123. Bahcheli, Greek-Turkish Relations, S. 62; und Váli, Bridge across the Bosporus, S. 254; Miller, The United States, S. 100. Ker-Lindsay, Britain and the Cyprus Crisis, S. 94. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 16.4.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. C/072/4. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 111, Telefongespräch Under Secretary of State George Ball mit US-Präsident, 9.8.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017, hier: Die Tatsache, dass ein militärisches Eingreifen der STRIKEFORSOUTH gegen eine türkische Invasion in Washington nicht ernsthaft zur Debatte stand, geht aus einem späteren Telefongespräch zwischen US-Präsident Johnson und Under Secretary George Ball vom 9.8.1964 hervor. Auf die Frage Johnsons, welche Möglichkeiten Washington besitze, angesichts türkischer Luftangriffe auf Zypern Maßnahmen zu ergreifen, antwortete Ball: »Not much more, unless we wanted to intervene militarily, and I don’t think anybody wants that. We’re going to get the Sixth Fleet more closer, at least – just got a call from Bob to talk to him about it now. We’ve got destroyers standing off Cyprus to take our own people off – there are about 350 Americans on the island – if it comes to that. But beyond that I don’t know what we could do.«

106

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

daher von zweifelhafter Dauer. Die türkische Militärführung war über die Entwicklungen frustriert, da Ankaras Verhandlungsposition immer ungünstiger wurde. Lemnitzers Einschätzung nach stand daher ein Kampfeinsatz der türkischen Luftwaffe über der Insel unmittelbar bevor.

4. Der Nordatlantische Rat und die Krise Am 7. April 1964 empörte sich der türkische NATO-Botschafter in einer Sondersitzung des NAC über die schwache Haltung der Allianz.114 Das Kabinett von İsmet İnönü ließ keine Zweifel daran, dass die türkische Zurückhaltung ihren Zenit erreicht habe. Ankara würde in Kürze eine militärische Lösung herbeiführen. Der türkische Zorn richtete sich dabei nicht direkt gegen die NATO, sondern primär gegen den amerikanischen Verbündeten.115 Seit jeher betrachtete Ankara die westliche Allianz nur als erweiterten, strategischen Militärpakt mit den USA.116 Die Gremien des Bündnisses bildeten dabei lediglich eine Plattform, um mit dem amerikanischen Partner auf institutionalisierter Basis besser kooperieren zu können. Die Republikanische Volkspartei İnönüs erwartete eine Gegenleistung für die langjährige Treue und Verbundenheit des Landes zu seinen westlichen Bündnispartnern.117 Washington sollte nach türkischer Auffassung in das Geschehen auf Zypern militärisch eingreifen und das Blutvergießen umgehend beenden. Intellektuelle Kreise in Ankara forderten die Vereinigten Staaten auf, als Führer der Freien Welt ihrer allumfassenden Verantwortung gerecht zu werden und unter den NATO-Partnern für »gerechten« Ausgleich zu sorgen. Mit Blick auf das mutmaßliche Unrecht, dass den türkischen Zyprioten durch ihre griechischstämmigen Landsleute widerfahre, stehe Washington in der moralischen Pflicht zu intervenieren, wollte es seinen Hegemonialanspruch und seine Glaubwürdigkeit als Leuchtturm der westlichen Hemisphäre nicht verlieren. Noch während des Monats April drückte Ankara abermals seinen Unmut über die Untätigkeit der NATO-Verbündeten aus.118 Staatspräsident Cemal Gürsel erklärte, die fehlende Solidarität der Allianz gegenüber türkischen Belangen fortan als Bruch der Bündniskohäsion anzusehen. Verteidigungsminister İlhami Sancar warf der NATO vor, ihre Pflichten aus dem Nordatlantikvertrag nicht ernst zu nehmen. Einflussreiche Mitglieder der regierenden Cumhuriyet Halk Partisi begannen öffentlich Zweifel zu äußern, ob die NATO ihrem türkischen Bündnispartner im Falle einer externen Aggression überhaupt Beistand leisten würde, wenn sie bereits in Friedenszeiten ernste Probleme zwischen ihren Mitgliedern ignorierte. An den Universitäten und höheren Bildungseinrich114

115 116 117 118

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 17.4.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. C/072/ (unleserlich); FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 39, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 6.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Uslu, The Cyprus Question, S. 42‑45. Yilmaz, Turkey’s Quest for NATO Membership, S. 492. Uslu, The Cyprus Question, S. 42‑45. Ebd.; Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 186 f.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

107

tungen des Landes kursierten Flugblätter, die der amerikanischen Regierung vorwarfen, völkerrechtswidrig Bomben über Nordvietnam abzuwerfen, der Türkei aber ihr legitimes Recht verweigerten, das Leben türkischer Zyprioten zu schützen. Aus türkischer Sicht wog dieser Umstand umso schwerer, als Ankara sich in den Kriegen und Krisen um Korea, Kuba und Vietnam stets vorbehaltlos hinter den amerikanischen Partner gestellt oder Washington gar militärisch unterstützt hatte. Angesichts der prekären Situation entschied Stikker, nun doch zu handeln.119 Er bot dem türkischen Ministerpräsidenten an, Ankara kurzfristig einen Besuch abzustatten, um über die verfahrene Lage zu sprechen. İnönü nahm sein Angebot unverzüglich an. Die anderen Mitgliedsstaaten aber blieben skeptisch. Der britische Delegierte legte dem Generalsekretär nahe, zunächst die Auffassungen der anderen Bündnispartner zu erfragen.120 Diese rieten dem Generalsekretär in der Mehrzahl von seinem Vorhaben ab. Sie versprachen sich von einem derartigen Schritt wenig Erfolg. Vielmehr fürchteten sie, die Allianz in den Verruf einseitiger Parteinahme zu bringen und Moskau eine willkommene Gelegenheit zu bieten, Griechenland von der NATO fortzulocken. Das State Department lenkte schließlich ein und befürwortete Stikkers Initiative, solange der Generalsekretär versprach, die griechische und türkische Regierung gleichermaßen aufzusuchen.121 Obwohl seine Gespräche um Zypern keine konkreten Fortschritte erbrachten, gelang es Stikker, sich in beiden Hauptstädten Gehör zu verschaffen.122 Ähnlich Lemnitzer bediente er sich der sensiblen Frage nach kollektiven Militärhilfen.123 Er sprach den heiklen Gegenstand lediglich in Athen an, um in Ankara nicht noch mehr Unmut hervorzurufen. In der griechischen Hauptstadt traf er dabei einen empfindlichen Nerv.124 Griechenland besaß an der Vergabe von NATO-Verteidigungshilfen ein vitales Interesse. Athen hatte Stikker bereits im Vorfeld auf deren baldige Festlegung gedrängt. Die griechische Armee sollte für die Jahre 1964/65 Finanz- und Rüstungshilfen im Wert von rund 40 Mio. US-Dollar erhalten.125 Die Bundesrepublik Deutschland bildete dabei mit rund 9 Mio. US-Dollar noch vor den USA mit 5 Mio. den größten Geldgeber Athens. Stikker gab der griechischen Regierung zu verstehen, dass es für die Allianz schwierig sei, im Falle eines mitgliederinternen Konflikts zu intervenieren. Er warnte seine Gesprächspartner aber, dass die Verteidigungshilfen für Griechenland und die Türkei mit Beginn der Kampfhandlungen ausgesetzt würden. Der griechische Außenminister Stavros Kostopoulos reagierte auf diese Aussage bestürzt und beklagte sich im Nachgang 119 120 121 122 123

124 125

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 20.4.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. 189. Protokoll Gespräch FO  mit US-Botschaft London, 22.4.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. C/072/5. Ebd. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 7.5.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 270. Die rechtliche Grundlage für kollektive Militärhilfen der NATO an eigene, bedürftige Mitgliedsstaaten fußte auf Artikel 3 des NATO-Gründungsvertrages, der den Vertragsparteien die Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung vorschrieb, um die Widerstandskraft der Allianz gegen bewaffnete Angriffe zu stärken und fortzuentwickeln. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 39, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 6.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd.; und AAPD, 1964, Bd  1, Dok.  114, Aufzeichnung Ministerialdirektor Krapf, AA, über Verteidigungshilfe an Griechenland, 28.4.1964, S. 493‑495.

108

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

beim amerikanischen Botschafter in Athen.126 Wie von den NAC-Mitgliedern befürchtet, warf Griechenland der NATO vor, einseitig für die Türkei Partei zu ergreifen. Aus Sicht der griechischen Regierung bestärkte das Bündnis die Türken in ihrer Unnachgiebigkeit, wenn es drohte, seine Militärhilfen an Griechenland einzustellen. Wie von den Zeitgenossen befürchtet, suchte sich Kostopoulos unsolidarischer Mittel zu bedienen, um die westlichen Verbündeten unter Druck zu setzen. Seiner Aussage nach konnte sich das griechische Volk auf der Suche nach einer Lösung des Zypernproblems künftig auch an die Sowjetunion wenden, wenn es sich von seinen Verbündeten im Stich gelassen fühlte. Obgleich die NATO-Mitglieder, allen voran die amerikanische Regierung, aber auch die Bundesrepublik Deutschland, keine Anstalten machten, Stikkers Sanktionsdrohungen Nachdruck zu verleihen, zeigte die Äußerung des Generalsekretärs kurzzeitig Wirkung. Der griechische Außenminister kündigte zwar unverändert an, dass Griechenland gegen eine Debatte des Zypernproblems im Ministerrat der NATO Veto einzulegen gedachte.127 Trotzdem schien es, dass sich Athen in dieser Frage nicht wie angedroht an den Kreml wenden würde. Stavros Kostopoulos war sogar bereit, sich am Rande der anstehenden Ministerkonferenz in Den Haag nochmals mit der türkischen Delegation und den anderen Bündnispartnern zu Gesprächen einzufinden.128 Direkte griechisch-türkische Verhandlungen kamen auf der Tagung nicht zustande. US-Außenminister Rusk sprach aber in bilateralen Korridorsitzungen mit seinem griechischen und türkischen Amtskollegen. Kostopoulos versprach, die Rolle der UNO auf Zypern stärken zu wollen. Auch betrachtete Griechenland den Londoner und Züricher Vertrag nach wie vor als bindend, wenngleich Athen der Türkei das Recht abstritt, in der Angelegenheit unilateral zu intervenieren. Der türkische Außenminister Feridun Erkin wiederum signalisierte das türkische Interesse an bilateralen Verhandlungen. Er beklagte jedoch zum wiederholten Male die Lage auf der Insel und suchte Rusk vergeblich eine Aussage darüber abzuringen, ob Washington gewillt wäre, eine Invasion der Türkei zu dulden. Während der laufenden Sitzungen griff Erkin das Thema mit Bedacht auf.129 Er unterstrich die Bedeutung der Bündniskohärenz und begrüßte das Übereinkommen des Rates, der Problematik stärkeres Augenmerk widmen zu wollen. Angesichts des moderaten Tons waren auch die anderen Allianzmitglieder bereit, sich eingehender um eine Lösung zu bemühen.130 Der kanadische Außenminister Paul Martin ermahnte Griechenland und die Türkei, Druck auf die zyprischen Volksgruppen auszuüben, ihre Streitigkeiten endlich beizulegen. Ottawa war der Meinung, dass die NATO eine besondere Verantwortung für das Schicksal der Insel trage. Die kanadische Öffentlichkeit vertrat 126

127 128 129 130

FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 39, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 6.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017; AAPD, 1964, Bd 1, Dok. 114, Aufzeichnung Ministerialdirektor Krapf, AA, über Verteidigungshilfe an Griechenland, 28.4.1964, S. 493‑495. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 9.5.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 280. Ebd.; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 42, Telegramm Secretary of State an State Dep., 11.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Protokoll NATO-Ministerratsitzung vom 12.5.1964, 3.6.1964, NATO, C-M (64) 23. Protokoll NATO-Ministerratsitzung vom 12.5.1964, 2.6.1964, NATO, C-M (64) 22.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

109

die Auffassung, dass das Bündnis den scharfen Konflikt zwischen den beiden Allianzpartnern nicht länger ignorieren dürfe. Bundesaußenminister Gerhard Schröder wiederum lenkte den Blick auf die Gefahr, die dem Bündnis durch Einflussnahmen der Sowjetunion drohte. Er war der Ansicht, dass Moskau eine Aussöhnung zwischen den Volksgruppen bewusst erschwere. Trotz der positiven Ansätze erbrachte die Konferenz keine wesentlichen Fortschritte. Da die griechisch-türkischen Beziehungen eng an die Entwicklungen auf Zypern geknüpft waren, hatte die NATO ihr besonderes Interesse an der Inselfrage zwar erkannt. Auch hatten sich der griechische und der türkische Außenminister auf der Tagung wohlwollend verhalten. Das Bündnis vermochte aber nach wie vor keine geeignete Lösung für die Zukunft Zyperns zu finden. Die beiden zerstrittenen Bündnispartner verpflichteten sich lediglich, die Maßnahmen der UNO zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung zu respektieren.131 Dies war kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Der britische Abgeordnete Humphry Berkeley brachte den Stand der Verhandlungen Ende Mai 1964 auf den Punkt:132 Weder eine Teilung der Insel noch die Enosis ließen sich unblutig verwirklichen. Zwischen den griechischen und türkischen Zyprioten bestehe seiner Auffassung nach keinerlei zwischenmenschlicher Kontakt mehr. Folglich sei nicht mehr zu erwarten, dass Ankara und Athen sich an den Verhandlungstisch setzten. Ein neues Abkommen scheine daher unmöglich. Die Allianz habe nach britischem Verständnis mit ihren Schlichtungsversuchen versagt.

5. Gefahren für das Bündnis vor dem Hintergrund des Kalten Krieges Potenzielle Rückwirkungen der neuen Krise auf das Bündnis traten mannigfaltig auf. Die ohnehin schwache und labile Verteidigungsaufstellung an der Südostflanke drohte die Glaubwürdigkeit ihrer Abschreckung vollständig zu verlieren, falls sich Griechenland und die Türkei in Kampfhandlungen verstrickten. Sofern Griechenland darüber hinaus seine Offiziere aus den integrierten Stäben der Flanke abgezogen hätte, hätte dies empfindliche Folgen für die örtliche militärische Führungsfähigkeit der NATO haben können. Zudem begann auch Moskau, sich in den Konflikt zu involvieren und die allianzinterne Krise in den Strudel des Kalten Krieges zu ziehen. Der Kreml drohte Ankara unverhohlen mit militärischer Gewalt, sollten türkische Truppen auf Zypern landen. Im äußersten Fall wäre die Allianz daher Gefahr gelaufen, in eine militärische Auseinandersetzung mit der Sowjetunion zu geraten. Die tatsächlichen Folgen für das Bündnis blieben jedoch in zweierlei Hinsicht begrenzt. Zum einen bildeten die Präsenz und die atomare Schlagkraft der 6. US-Flotte das eigentliche Schwergewicht der militärischen Abschreckung an der Südostflanke. Der 131

132

Kommuniqué Ministertagung Nordatlantikrat, 12.‑14.5.1964. In: Archiv Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpakt-Organisation Brüssel, , letzter Aufruf 12.1.2017. Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 29.5.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 954/64.

110

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Abschreckungswert der griechischen und türkischen Streitkräfte hingegen war angesichts der militärischen und wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten beider Partner nur gering.133 Zum anderen war eine direkte Konfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt eher hypothetisch. Nach der Kubakrise und den Auseinandersetzungen um Westberlin musste es als unwahrscheinlich gelten, dass sowjetische, bulgarische oder rumänische Divisionen versuchen würden, ausgerechnet an der Südostflanke eine großangelegte Operation gegen die westliche Allianz zu führen. Jenseits der säbelrasselnden sowjetischen Rhetorik blieb fragwürdig, ob NATO und Warschauer Pakt tatsächlich riskierten, sich wegen eines weiteren »Inselkonflikts« in einen Krieg zu begeben, der den Einsatz nukleartaktischer Gefechtsfeldwaffen nach sich ziehen würde.134 Weitaus gefährlicher hingegen waren die Folgen, die aus einem Zusammenbruch des politischen Zusammenhalts und der Glaubwürdigkeit des Nordatlantikvertrages herrühren konnten. Wenn Griechenland und die Türkei einander den Krieg erklärt und die Allianz eine sowjetische Militärintervention gegen einen ihrer Bündnispartner ignoriert hätte, hätte sie einen erheblichen Ansehens- und Glaubwürdigkeitsverlust erleiden können. Dies wäre auch dann der Fall gewesen, wenn das sowjetische Eingreifen lediglich dem Zweck gedient hätte, die türkische Flotte an einer Landung auf Zypern zu hindern. Nicht zuletzt drohte dem Bündnis eine weitere Gefahr. Wenngleich die Südostflanke nicht denselben militärischen Wert wie der innerdeutsche Mittelabschnitt besaß, war ihre geostrategische Bedeutung für die Allianz nicht zu unterschätzen. Anatolien und die peloponnesische Halbinsel dienten nicht nur als wichtige Basen der Luftaufklärung und der radargestützten Überwachungsanlagen der NATO gegenüber der Sowjetunion. Vielmehr erfüllte die Türkei eine wichtige geopolitische Funktion als Brücke zum Nahen Osten, von dessen Ölressourcen aus Sicht der Zeitgenossen der materielle Fortschritt und Wohlstand des Westens abhing. Nicht zuletzt rangen Washington und Moskau unverändert um die Gunst der blockfreien Staaten des Nahen und Mittleren Ostens. Da der Warschauer Pakt den Konflikt zumindest punktuell anheizte und die griechischen Zyprioten auf Umwegen mit Waffen und Militärgerät belieferte, lief die NATO Gefahr, an ihrer exponierten Flanke von innen heraus zersetzt zu werden.135 Wenn Moskau seine Lieferungen an Makarios und seine Anhänger intensiviert, sowjetische Militärberater auf die Insel entsandt oder sich gar angeschickt hätte, griechisch-zypriotische Soldaten in der Sowjetunion auszustatten und im Partisanenkampf auszubilden, hätte 133 134

135

Chourchoulis, A Secondary Front?, S. 119. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 111, Telefongespräch Under Secretary of State George Ball mit US-Präsident, 9.8.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017, hier: Under Secretary George Ball schlug Johnson im Sommer 1964 in der Tat lediglich taktische Maßnahmen der 6. US-Flotte vor, die im Falle einer türkischen Landung ein militärisches Eingreifen der Sowjetunion erschweren sollten. Auf die Frage Johnsons, wie wahrscheinlich eine Intervention Moskaus sei, entgegnete Ball: »We’ve considered it very hard and we’ve looked at it very long and we don’t think at all it’s going to happen. But, nevertheless, we’re going to try to get some fleet units up there just to be on guard if anything should occur. It would be very hard for them to intervene, almost impossible – except by air. They couldn’t put enough ashore by submarine to do it and they can’t get their – any naval units out there. They would just be exposing themselves in a way they never would.« FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 47, Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 22.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

111

dies am Ende in einen Stellvertreterkrieg zwischen der Türkei und der UdSSR münden können, sobald türkische Truppen auf der Insel gelandet wären. Im Spiegel der neuen Doktrin Nikita Chruščëvs wäre ein solches Vorgehen der KPdSU keineswegs ausgeschlossen gewesen. Ferner hätte die Allianz damit rechnen müssen, dass Griechenland in einem solchen Szenario eine – gegen die Türkei gerichtete – Waffenbrüderschaft mit der Sowjetunion eingegangen wäre. Spätestens dann hätte die Südostflanke der NATO nicht länger existiert.

6. Unilaterale »Krisenentschärfung« durch Washington: Machtlosigkeit des Atlantischen Bündnisses? Die Lage auf Zypern glich nach wie vor einem Pulverfass. Ende Mai 1964 gingen die griechischen Zyprioten verstärkt dazu über, türkischstämmige Bewohner der Insel punktuell als Geiseln zu nehmen, um den Widerstand der türkisch-zypriotischen Kämpfer zu brechen und »Recht und Ordnung« wiederherzustellen.136 Das State Department rechnete mit weiteren Auseinandersetzungen. Daneben berichtete die amerikanische Botschaft in Nikosia von Lieferungen sowjetischer Waffensysteme an die griechischzypriotische Führung, deren Transfer über Ägypten abgewickelt würde.137 Nach Aussage der amerikanischen Diplomaten bildete Kairo auch griechisch-zypriotische Piloten aus, die anschließend mit leichten Jagdmaschinen des nordafrikanischen Staates ausgerüstet würden. Amerikanischen Informationen zufolge hätte der sowjetische Botschafter in Nikosia dem Erzbischof langfristige Kredite zum Erwerb sowjetischer Militärtechnik in Aussicht gestellt. Auch in der Ägäis kündigten sich zwischenzeitlich Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei an. Als Antwort auf die Entwicklungen verletzten türkische Jagdflugzeuge mehrfach den griechischen Luftraum.138 Griechenland wiederum stationierte Truppen auf den ostägäischen Inseln Rhodos und Kos und brach damit aus türkischer Sicht das völkerrechtliche Abkommen zur Entmilitarisierung dieser Zone.139 Athen verdächtigte Ankara, die Inseln mit türkischen Truppen handstreichartig besetzen zu wol136

137 138 139

FRUS, 1964‑1968, vol.  16, doc.  45, Telegramm State Dep. an US-Delegation bei der UNO, 21.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 47, Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 22.5.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 19.5.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 20-4-1-Zypern 1/64; Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 360‑363 und S. 369 f.; und Mann, The GreekTurkish Dispute, S. 28, hier: Das Recht auf Militarisierung der ostägäischen Inseln war völkerrechtlich strittig. So waren beispielsweise die nördlichen Inseln Lemnos und Samothrake aufgrund ihrer exponierten Lage nahe den Dardanellen im Friedensvertrag von Lausanne aus dem Jahr 1923 zur entmilitarisierten Zone erklärt worden. Da zu dieser Zone auch die Meerengen selbst zählten, hatte Ankara 1936 erfolgreich auf eine Revision des Abkommens im Meerengenvertrag von Montreux gedrängt. Gleichzeitig aber war die Türkei in den 1960er Jahren nicht bereit, die Remilitarisierungserlaubnis der Meerengen auch für die griechischen Inseln in der östlichen Ägäis anzuerkennen. Mit der juristischen Seite des Ägäiskonflikts haben sich vor allem Alexis Heraclides und Deniz

112

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

len, um ein Faustpfand für spätere Zypernverhandlungen zu erhalten. Der türkische Außenminister wiederum kündigte am 4. Juni 1964 an, dass die Entscheidung über eine türkische Invasion jeden Tag fallen könne.140 US-Botschafter Raymond Hare meldete aus Ankara, dass das türkische Eingreifen unmittelbar bevorstehe.141 Amerikanischen Informationen zufolge hatte İnönü erklärt, lediglich den Nordteil der Insel besetzen zu wollen.142 Das türkische Staatsoberhaupt hatte auch bei Hare um Verständnis geworben und anklingen lassen, dass die künftigen Beziehungen zwischen Washington und Ankara von der amerikanischen Haltung abhingen. Angesichts der prekären Lage entschloss sich Johnson direkt einzuschreiten. Vordergründig schien das Weiße Haus der Gefahr Rechnung zu tragen, die dem Bündnis drohte, wenn die Türkei sich einen Stellvertreterkrieg mit Griechenland und der Sowjetunion lieferte. Johnsons primäre Beweggründe waren jedoch nach wie vor innenpolitischer Natur. Die Sorge um den Fortbestand der Südostflanke der NATO stand erst an zweiter Stelle. Für November 1964 stand der amerikanische Wahlkampf an. Die Lobby der griechischstämmigen US-Amerikaner hatte das Staatsoberhaupt mit einer regelrechten Flut von Petitionen überhäuft und war nicht davor zurückgeschreckt, ihre Stimmabgaben und Zusagen zur Wahlkampffinanzierung offen an die Bedingung zu knüpfen, dass das Weiße Haus eine türkische Invasion auf der Insel unterbinde.143 Führende Kreise um Johnson fürchteten, dass Barry Goldwater, Gegenkandidat der Republikaner, aus der Zypernkrise politisch Kapital schlagen könnte. Der Präsident entschied sich daher situativ gegen die türkischen Interessen. Unter dem Druck der griechischstämmigen Wählerschaft übersandte Johnson dem türkischen Ministerpräsidenten eine äußerst scharfe Note, mit der er den Bündnispartner zutiefst brüskierte.144 Er wies ausdrücklich auf die Gefahr einer direkten Konfrontation mit der Sowjetunion hin und kündigte an, im Falle einer Intervention Moskaus sein Veto gegen eine Beistandspflicht der NATO einzulegen. Das taktlose Vorgehen des amerikanischen Staatsoberhaupts deckte sich in diesem Punkt mit seiner wenig umsichtigen Außenpolitik. Die türkische Regierung fühlte sich von ihrem übermächtigen Verbündeten geradezu verraten.145 İnönü brach zwar sein militärisches Vorhaben ab, klagte den amerikanischen Partner aber an, sich nicht für die Türkei als derjenigen Seite entschieden zu haben, die im griechisch-türkischen Streit »im Recht« stehe.146 Johnsons diplomatischer Eklat leistete in der Folge einer schleichenden

140

141 142 143 144

145 146

Bölukbaşı befasst: Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S.  167‑249; Bölükbaşı, Turkey and Greece; Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO, S. 44. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 51, Aufzeichnung Telefongespräch US-Außenminister mit türkischem Botschafter, 4.6.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 53, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 5.6.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd. Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 171; Bolukbasi, The Superpowers, S. 90 f. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 54, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 5.6.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Der stellvertretende amerikanische Außenminister George Ball schrieb später in seinen Memoiren, er habe dies als »brutalste diplomatische Note« empfunden, die er jemals zu Gesicht bekommen habe. Ball, The Past, S. 353. Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 171. Joseph, Ethnic Loyalties, S. 239.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

113

Entfremdung der Türkei von ihrem US-Verbündeten Vorschub. Große Teile der Öffentlichkeit begannen die Abhängigkeit ihres Landes vom amerikanischen Bündnispartner nunmehr als drückende Bürde zu empfinden.147 Interne türkische Wahlumfragen unter führenden politischen und gesellschaftlichen Persönlichkeiten in Ankara und Istanbul im Jahre 1965 ergaben, dass 84 Prozent ihre positive Einstellung gegenüber den Vereinigten Staaten ins Gegenteil verkehrt hatten.148 Einige Oppositionsparteien forderten energisch den Austritt der Türkei aus der NATO und der CENTO.149 Der griechische Außenminister hingegen drückte seine Wertschätzung für Johnsons Vorgehen aus und brachte den amerikanischen Botschafter dadurch in Verlegenheit.150 Hier offenbarte sich abermals die hegemoniale amerikanische Stellung im Bündnis, die der Quai d’Orsay so scharf kritisierte. Johnson nahm sich das Recht heraus, für die gesamte Allianz zu sprechen, ohne die übrigen Bündnispartner vorher konsultiert zu haben.151 Das Weiße Haus schien nach französischer Bewertung aus der Kubakrise keine Lehren gezogen zu haben. Die NATO wiederum suchte den türkischen Verbündeten zu beschwichtigen, um einen Bruch im Bündniszusammenhalt zu vermeiden. Als der SACEUR von Johnsons Vorgehen erfuhr, beeilte er sich, nach Ankara zu fliegen. Noch am selben Tag suchte er İnönü auf, um den diplomatischen Schaden zu begrenzen, der durch die Verbalnote zu entstehen drohte.152 Stikker wiederum bereiste zu diesem Zeitpunkt die europäischen Hauptstädte, um seinen Abschied anzukündigen.153 Angesichts der zugespitzten Lage an der Südostflanke kehrte er am 23. Juni 1964 vorzeitig nach Paris zurück und berief den NAC zu einer Eilsitzung ein. Während der Besprechung suchte er mit hoffnungsvollen Worten die Wogen zu glätten, die angesichts der Entwicklungen auf Zypern in Ankara für Wut und Empörung sorgten. Darüber hinaus gestand er jedoch ein, dass die Allianz in dieser Lage machtlos sei. Wie im Jahrzehnt zuvor spielte sich im NATO-Rat ein neues Wortgefecht zwischen dem griechischen und türkischen Vertreter ab. Es war nicht zu verkennen, dass das Bündnis der Lage nicht mehr Herr werden konnte.

147 148 149 150 151 152

153

Pelt, Military Intervention, S. 234. Váli, Bridge across the Bosporus, S. 108. Pelt, Military Intervention, S. 235. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 57, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 8.6.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Nicht zuletzt besaß das Bonner Auswärtige Amt zunächst keine Kenntnis vom Inhalt der Note. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 11.6.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 317. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 55, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 5.6.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017, hier: Die Unterredung des SACEUR mit Inönü erfolgte unmittelbar, nachdem US-Botschafter Hare dem türkischen Premier die Note überreicht hatte. Der genaue Inhalt des Gesprächs wurde in einem Telegramm Lemnitzers an das State Department festgehalten. Das Dokument befindet sich jedoch im NARA und im NATO-Archiv noch unter Verschluss. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 11.6.1964, PA AA, B  26  IA4, Nr.  317; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 24.6.1964, TNA, FO 371, 174758, Nr. 1072/16. Stikkers Amtszeit sollte im August 1964 mit der Übergabe seiner Dienstgeschäfte an Manlio Brosio enden.

114

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

7. Sanktionsversuche der NATO In Anbetracht der fatalen Situation fanden sich die NATO-Botschafter im Domizil des kanadischen Delegierten George Ignatieff zu einem informellen Gespräch ein. Ignatieff nahm bei der Unterredung kein Blatt vor den Mund. Er vertrat die Auffassung, dass die Allianz in der Zypernaffäre zu wenig Aktivität gezeigt habe.154 Seinen Ausführungen nach forderte die kanadische Regierung das Bündnis auf, endlich Druck auf beide Staaten auszuüben, neue Verhandlungen zu führen. Ottawa war über Stikkers Verhalten sichtlich verärgert und warf dem Generalsekretär vor, seine Zeit mit Abschiedsbesuchen zu vergeuden, statt seinen Pflichten nachzukommen. Auch Johnsons Initiative gegenüber der Türkei war in der kanadischen Hauptstadt auf Missfallen gestoßen. Die Vertreter der Beneluxstaaten und Italiens stützten die Darlegungen ihres kanadischen Kollegen. Sie forderten einstimmig, Griechenland und die Türkei an die Verpflichtungen des Nordatlantikvertrages zu erinnern. Die zerstrittenen Bündnispartner sollten erkennen, dass ihre Verhaltensweisen mit einer Mitgliedschaft im NATO-Bündnis nicht länger zu vereinbaren seien. Dies betreffe sowohl die griechische Remilitarisierung der ostägäischen Inseln als auch die türkischen Pläne, mit eigenen Truppen auf Zypern zu landen. Die übrigen Anwesenden blieben jedoch skeptisch. Vor allem der deutsche Vertreter Wilhelm Grewe sprach sich gegen diese Idee aus. Sanktionen waren seiner Meinung nach im Nordatlantischen Vertrag nicht vorgesehen. Auch der britische, französische und amerikanische Vertreter blieben unentschlossen.155 Sie waren sich unsicher, ob es sinnvoll sei, die NATO zum gegebenen Zeitpunkt in eine derart aktive Rolle zu drängen. Das Foreign Office fürchtete, den türkischen Bündnispartner noch mehr zu brüskieren und seinen Austritt aus der Allianz zu provozieren.156 Am 1. Juli 1964 tagte der NATO-Rat in einer neuen Sondersitzung.157 Während der amerikanische NATO-Botschafter die heikle Frage nach Sanktionen vermied, begann sein britischer Kollege Evelyn Shuckburgh, das Thema vorsichtig zur Sprache zu bringen. Offensichtlich hatte London seine Meinung geändert. Ohne seinen griechischen und türkischen Kollegen in Verlegenheit bringen zu wollen, kam Shuckburgh auf die Frage nach der Gefahr eines Krieges unter Bündnismitgliedern zu sprechen. Seinen Worten nach war ein solches Szenario mit den Prinzipien der Allianz nicht vereinbar. Die britische Initiative ermutigte die übrigen Anwesenden. Sie ermahnten Griechenland und die Türkei, dass die Grundprinzipien der Allianz Gefahr liefen, gegenstandslos zu werden, wenn sich zwei der Verbündeten eine militärische Auseinandersetzung lieferten.158 Die geschlossene Haltung der Ratsmitglieder ließ den griechischen und türki154 155 156 157 158

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 30.6.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. 273. Ebd. Telegramm FO an britischen Ständigen Vertreter (NATO) , 2.7.1964, TNA, FO 371, 174758, Nr. 2712. Telegramm Standing Group Representative (SGRep) an Standing Group NATO (SGN), 1.7.1964, NATO, LOSTAN, 5808. Ebd.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

115

schen Delegierten daraufhin vorsichtiger werden. Die Streitparteien waren sich nach wie vor ihrer Abhängigkeit vom Schutzschirm der NATO gegenüber der Bedrohung durch den Warschauer Pakt bewusst. Christos Palamas reagierte daher ausweichend. Auch der türkische Vertreter suchte sich einer Stellungnahme zu entziehen. Im Gegensatz zu seinem griechischen Kollegen forderte Nuri Birgi die Allianz aber auf, sich weiter mit der Angelegenheit zu befassen. Am Morgen des 4. Juli versammelte Stikker die NATO-Botschafter ohne Beteiligung des griechischen und türkischen Delegierten, um darüber zu beraten, ob der NAC erneut über die Krise debattieren sollte.159 Die Mitglieder versprachen sich jedoch wenig davon, die verfeindeten Verbündeten abermals zur Rede zu stellen. Sie legten Stikker nahe, sich mit dem Griechen und dem Türken vorerst in Einzelgesprächen zu treffen. Der Generalsekretär selbst beurteilte die gesamte Situation an der Südostflanke als wenig transparent. Trotzdem hielt er selbst es für notwendig, den griechischen NATO-Botschafter mit den Vorwürfen zu konfrontieren, die ihm die kanadische Regierung bei seinem letzten Amtsbesuch mitgeteilt hatte. Ottawa war in großer Sorge über die Infiltration Zyperns durch griechisches Militär. Kanadische UNO-Soldaten hatten berichtet, dass die Griechen reguläre Truppen, gepanzerte Fahrzeuge und Artillerie auf die Insel einsickern ließen. Die kanadische Regierung warf Athen vor, die UN-Resolutionen gebrochen und die NATO-Mitgliedsstaaten vorsätzlich getäuscht zu haben. Stikker sah daher dringenden Handlungsbedarf. Der kanadische NATO-Botschafter befürwortete dessen Anliegen mit Nachdruck. Kanada beteiligte sich mit einem eigenen Kontingent an der Militärmission UNFICYP. Ottawa fürchtete daher, dass kanadische UNO-Soldaten der Wirkung von Waffensystemen aus heimischer Produktion ausgesetzt werden könnten, die das Land dem griechischen Bündnispartner im Rahmen des NATO-Militärhilfeabkommens überlassen hatte. Die kanadische Regierung schien keinesfalls in die Verlegenheit geraten zu wollen, der eigenen Öffentlichkeit erklären zu müssen, dass kanadische Militärangehörige bei UNFICYP durch Waffensysteme kanadischen Ursprungs verwundet oder getötet worden wären. Premierminister Lester Pearson hatte aus diesem Grunde beschlossen, sämtliche kanadische Verteidigungshilfen an Griechenland und die Türkei bis auf Weiteres einzustellen. Obgleich Papandreou die Vorgänge offiziell geleugnet hatte, hatten auch britische Beobachter gemeldet, dass die griechische Armee versuchte, die griechischen Zyprioten unter Bruch des Londoner und Züricher Vertrages mit regulären Truppen zu verstärken.160 Zudem hatte sich die Lage verschärft, nachdem der berüchtigte Mitstreiter und militärische Handlanger von Makarios, Georgios Grivas, Anfang Juni begonnen hatte, die griechisch-zypriotischen Streitkräfte neu zu formieren.161 In der Tat hatte Papandreou im April 1964 gemeinsam mit Makarios beschlossen, griechische Truppen verdeckt nach Zypern einzuschleusen, um der akuten Gefahr einer türkischen Landung militärisch ent-

159 160 161

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 4.7.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. 292, auch im Folgenden. Telegramm britischer Botschafter Ottawa an Commonwealth Relations Office (CRO), 5.7.1964, TNA, FO 371, 174758, Nr. 897. Uslu, The Cyprus Question, S. 63.

116

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

gegenzutreten.162 In den Sommermonaten befanden sich bereits rund 12 000 griechische Soldaten auf der Insel. In Anbetracht der schweren Vorwürfe Ottawas prüften nun auch die NATO-Botschafter der »Großen Drei« die Möglichkeit, Sanktionen gegen Streitparteien zu verhängen und die Verteidigungshilfen der Allianz vorerst auszusetzen.163 Deutschland enthielt sich trotz seiner Stellung als viertgrößte Wirtschafts- und Verteidigungsmacht im Bündnis einer Stellungnahme. Anders als die europäischen Verbündeten war Bonn nicht mit eigenen Soldaten an UNFICYP beteiligt, sondern hatte den Vereinten Nationen lediglich Finanzhilfen zur Ausstattung der Friedenstruppe zur Verfügung gestellt.164 Dänemark hingegen reagierte auf die Berichte noch schärfer als der kanadische Bündnispartner. Kopenhagen stand Sanktionen der NATO gegen eigene Verbündete zwar grundsätzlich kritisch gegenüber, jedoch stellte das kleine nordeuropäische Land ebenfalls Truppen für UNFICYP. Der dänische Vertreter Schram-Nielsen legte daher unmissverständlich dar, dass Dänemark den griechischen Partner nicht länger als Verbündeten betrachtete, sollten griechische Soldaten auf Zypern auf dänische UN-Soldaten schießen.165 Der NATO-Rat hatte erstmals Überlegungen angestellt, die Krise um die Insel mit Hilfe von Sanktionen gegen die zerstrittenen Bündnispartner zu entschärfen. Nicht wenige NATO-Partner fürchteten um die Sicherheit ihrer UN-Angehörigen. Da Griechenland die Wehrmittel der Allianz zudem missbrauchte, um den Konflikt zwischen den zyprischen Volksgruppen anzuheizen, konnte das Bündnis seine Sanktionspläne rechtfertigen. Ein solches Vorgehen der NATO schien einen Erfolg in Aussicht zu stellen. Militärisch gesehen waren die griechischen Zyprioten beinahe vollständig auf die Hilfe Athens angewiesen.166 Griechenland und die Türkei wiederum bedurften fortwährender amerikanischer, kanadischer und deutscher Verteidigungshilfen.167 Darüber hinaus benötigte Ankara Wirtschaftshilfen vonseiten der USA und der Bundesrepublik. Demzu162 163

164 165 166 167

Papandreou, Democracy at Gunpoint, S. 132; Bahcheli, Greek-Turkish Relations, S. 64 f.; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 251 f. Bei den NATO-Militär- bzw. Verteidigungshilfen handelte es sich je nach Bedarf und Bewilligung sowohl um reine Finanzhilfen als auch um die unentgeltliche Lieferung von Rüstungsgütern aller Art. Ein anschaulicher Beleg hierzu ist das bundesdeutsche Beispiel von 1965: »dass Griechenland und die Türkei in erster Linie finanzielle Unterstützung zur Deckung ihrer Haushaltsfehlbeträge benötigen.« Aufzeichnung Ref  II  A7, AA, 7.12.1965, PA AA, B  150  IIA7, VS-Bd  904 (weitere Angaben n.b.), als Anm. 7 in: AAPD, 1965, Bd 3, Dok. 451, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 8.12.1965, S. 1863‑1864; Feststellung Ministerialdirektor Harkort vom 14.12.1965 zur Verteidigungshilfe für Griechenland: »Eine Vorlage mit dem Vorschlag weiterer Hilfe soll am 7. Januar im Bundesverteidigungsrat erörtert werden. Sie sieht ein Dreijahreshilfeprogramm im Gegenwert von 100 Mio. DM vor [...] Daher ist je zur Hälfte die Lieferung gebrauchten Bundeswehrmaterials und die Beschaffung neuen Materials nach griechischen Wünschen vorgesehen.« Hierzu Drahterlass AA an bdt. Ständigen Vertreter (NATO), 14.12.1965, PA AA, B 150 IIIA4, VS-Bd 5109, Nr. 1447, als Anm. 11 in: AAPD, 1965, Bd 3, Dok. 451, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 8.12.1965, S. 1863 f. Zur Aussetzung der Verteidigungshilfen als Sanktion siehe Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 4.7.1964, TNA, FO 371, 174758, Nr. 292. Kruse, Bonn, S. 133 f. Ebd. Vanezis, Makarios, S. 61. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 8.7.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. C/072/29.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

117

folge konnten das Ausbleiben von Subventionen und ein Lieferstopp für Rüstungsgüter die zerstrittenen Bündnispartner empfindlich treffen. Washington dachte jedoch in anderen Kategorien.168 Die Sanktionspläne der Allianz stießen im Weißen Haus nicht auf Resonanz. Aus Sicht des US-Präsidenten und seiner Berater sollten der NAC und die Militärvertreter bei der NATO lediglich versuchen, auf den Türkischen und den Griechischen Generalstab mäßigend einzuwirken. Sanktionen liefen den amerikanischen Interessen zuwider. Das ohnehin abgekühlte türkisch-amerikanische Verhältnis konnte nach amerikanischer Bewertung andernfalls dazu führen, dass Ankara dem US-Verbündeten Stützpunktrechte verweigerte.169 In Athen sah die Lage nicht besser aus. Mit Ausnahme der Anhänger der konservativen Parteien stand die öffentliche Meinung in Griechenland den amerikanischen Stützpunktrechten kritisch bis ablehnend gegenüber.170 Die amerikanische Regierung durfte ihr Verhältnis zu Premierminister Papandreou nicht über die Maßen strapazieren. Ferner spielten Rücksichtnahmen auf die eigene Wählerschaft nach wie vor eine zentrale Rolle. Die einflussreiche American Hellenic Educational Progressive Association171 griechischstämmiger US-Amerikaner übte unverändert Druck auf Johnson aus. Eine Drohung Washingtons, Griechenland von den Rüstungshilfen des Bündnisses abzuschneiden oder das Land gar aus dem westlichen Verteidigungsbündnis auszuschließen, kam für das Weiße Haus daher zu diesem Zeitpunkt nicht in Frage.172 Am 8. Juli 1964 tagte der Ständige Rat abermals zur griechisch-türkischen Krise. Die Sitzung zog sich über mehrere Stunden hin und barg erheblichen Zündstoff in sich. Der griechische Delegierte Christos Palamas warf der NATO Untätigkeit vor und warnte vor der Gefahr eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei. In der Folge lieferte er sich ein weiteres Mal ein scharfes Wortgefecht mit dem türkischen Vertreter Nuri Birgi.173 Der amerikanische NATO-Botschafter Thomas Finletter hielt sich entsprechend seinen Anweisungen aus Washington bedeckt.174 Der kanadische Delegierte George Ignatieff indes sprach die heikle Angelegenheit direkt an. Es war nicht zu verkennen, dass Ottawa im Gegensatz zu Washington keine Rücksicht auf etwaige griechischstämmige Wähler zu nehmen brauchte. Der Kanadier forderte von seinem griechischen und türkischen Kollegen glaubhafte Beweise, dass die zyprischen Streitparteien nicht mit Waffensystemen aus dem Bereich der »NATO-Mutual Aid« versorgt würden, und gab den Beschluss seiner Regierung bekannt, ihre Militärhilfen für beide Flankenpartner einzustellen, bis sämtliche Zweifel ausgeräumt seien.175 168 169 170 171 172 173 174 175

FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 82, Protokoll NSC-Sitzung, 7.7.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Karaosmanoglu, Turkey and the Southern Flank, S. 298. Siehe hierzu die zeitgenössische Sicht bei Coloumbis, Greek Political Reaction, S. 77‑90. Die AHEPA, 1922 gegründet, war die wichtigste zentrale Organisation griechischstämmiger Amerikaner. Hierzu Hackett, The Role of Congress and Greek-American Relations, S. 142. Bolukbasi, The Superpowers, S. 90 f. Telegramm SGRep an SGN über NAC-Sitzung vom 8.7.1964, 9.7.1964, NATO, LOSTAN, 5827. Ebd.; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 7.7.1964, TNA, FO 371, 174758, Nr. 2729. Telegramm SGRep an SGN über NAC-Sitzung vom 8.7.1964, 9.7.1964, NATO, LOSTAN, 5827.

118

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Die Aussage Ignatieffs rief sowohl beim griechischen als auch beim türkischen Delegierten heftige Reaktionen hervor.176 Der türkische Vertreter widersprach den Vorwürfen energisch. Er versicherte, dass die Türkei der türkisch-zypriotischen Volksgruppe weder Waffen noch Personal habe zukommen lassen. Auch Palamas geriet aus der Fassung. Er scheute sich aber, zu den Vorhaltungen Stellung zu nehmen, und erwähnte lediglich, die Frage an das griechische Außenministerium weitergeben zu wollen. Faktisch befand sich Athen in einer misslichen Lage. Die Regierung Papandreou stand im Parlament von allen Seiten unter Druck, die Zypernfrage im griechischen Sinne zu lösen.177 Die Öffentlichkeit forderte vehement, eine türkische Invasion auf der Insel mit militärischen Mitteln zu verhindern. Folglich blieb die Frage nach der Aufrüstung der griechischen Zyprioten vom Standpunkt Papandreous aus alternativlos. Presse und Opposition warfen ihrem Premierminister überdies vor, in der Angelegenheit zu zögerlich zu agieren. Papandreou erntete nun die Früchte seines Wahlsieges über Konstantinos Karamanlis im Jahr zuvor, den er sich mit markigen Worten zur Lösung der Zypernfrage und dem Versprechen der Enosis erkauft hatte. Der amerikanische Botschafter in Athen meldete nach Washington, dass der griechische Premierminister innerhalb und außerhalb seines Kabinetts zahlreiche Rivalen besäße, die nur darauf warteten, ihn zu stürzen. Sobald der Regierungschef in der Zypernfrage den ersten diplomatischen Fehler beginge, wäre das Ende der Herrschaft seiner Mitte-Links-Partei (Enosis Kendrou) abzusehen. USBotschafter Henry Labouisse meinte weiterhin, dass das griechische Volk zwar für eine militärische Verteidigung der Insel gegen türkische Invasoren plädierte. Für den Fall, dass Papandreou aber untätig bliebe oder politisch versagte, prognostizierte der amerikanische Diplomat den politischen Sturz des Premiers durch das griechische Militär.

8. Der Umgang mit der Krise unter Manlio Brosio a) Erste Initiativen des neuen NATO-Generalsekretärs Währenddessen spitzte sich die Lage auf Zypern weiter zu. Freischärler beider Volksgruppen terrorisierten die Angehörigen der jeweils anderen Ethnie.178 Noch im selben Monat teilte die griechische Regierung Ankara mit, dass sie türkischen NATO-Offizieren künftig den Zutritt zu ihren Luftwaffenbasen auf Kreta verweigern würde.179 Die Maßnahme Athens war offensichtlich die Antwort auf fortgesetzte Luftraumverletzungen durch türkische Jagdflugzeuge in der Ägäis. Daneben hatte Ankara seit Ende Juni begonnen, auf die Zypernereignisse mit Repressalien gegen die griechische Minderheit in Istan-

176 177 178 179

Ebd. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 67, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 13.6.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 13.7.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 53. Ebd.; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 19.7.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 380; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 19.6.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 1406/64.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

119

bul und an der türkischen Westküste zu reagieren.180 Die ungeliebte Volksgruppe wurde nach und nach aus ihren Wohnorten vertrieben und gewaltsam gezwungen, das Land zu verlassen und nach Griechenland zu emigrieren. Die Behörden beschlagnahmten dabei nicht selten den Besitz und das Vermögen der Vertriebenen. Im März 1964 hatte die Türkei auch den Niederlassungsvertrag für die griechische Minderheit auf türkischem Boden aus dem Jahre 1930 für gegenstandslos erklärt. Im August brachen im Raum um Kyrenia neue Kämpfe aus.181 Die griechisch-zypriotischen Kräfte unter Grivas starteten eine Offensive gegen türkisch-zypriotische Hochburgen bei Kokkina-Mansura.182 Die Gefahr einer türkischen Invasion rückte abermals in den Blickpunkt der Öffentlichkeit.183 Der Türkische Generalstab beriet sich mit Regierungschef İnönü in vertraulicher Sitzung. In der türkischen Presse verkündete Außenminister Erkin schließlich, dass eine Landung auf der Insel nur noch eine Frage der Zeit sei. Die türkischen Zeitungen kritisierten die Drohung Präsident Johnsons vom Juni und prangerten in diesem Zusammenhang das gewaltsame Vorgehen der amerikanischen Streitkräfte in Vietnam an. Das UN-Kontingent auf der Insel sah sich außerstande, die Kämpfe zu beenden und konnte auch die Zivilbevölkerung nicht schützen. Papandreou gab in einem Interview bekannt, dass die Enosis nun in vollem Gange sei. Obwohl sich seine Äußerung primär an die griechische Bevölkerung und nicht an die Türkei richtete, gab ein Sprecher des türkischen Außenministeriums daraufhin in der türkischen Presse die unverhohlene Drohung bekannt: »dass griechen sich keiner täuschung mehr hingeben sollten, dass nunmehr ihre vernichtung kommt.«184 Um die Ankündigung zu unterstreichen, griffen türkische Jagdbomber griechischzypriotische Stellungen bei Kokkina an.185 Der Einsatz der Jäger, die ursprünglich aus amerikanischen Beständen stammten und den NATO-assignierten Verbänden des Landes angehörten, erfolgte in mehreren Wellen unter Nutzung schwerer Waffen und Napalmbomben, deren tödliche Wirkung auch die Zivilbevölkerung nicht verschonte. Athen wiederum versetzte seine Streitkräfte in höchste Alarmbereitschaft.186 Da sich unter den griechisch-zypriotischen Truppen auch reguläre Einheiten der griechischen Armee befanden, musste die NATO erdulden, dass sich Griechenland und die Türkei auf Zypern bereits militärisch bekämpften. Beide Bündnispartner konnten nun nicht mehr verbergen, dass sie für ihre Gefechte NATO-geliefertes Kampfgerät zweckentfremdeten.

180

181 182 183 184 185

186

Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 13.7.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 53; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 19.7.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 380; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 19.6.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 1406/64; Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 512‑521. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 8.8.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 625. Uslu, The Cyprus Question, S. 63. f.; Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 164 f. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 8.8.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 625. Ebd. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 10.8.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 347/64; Begründungsschreiben türkischer Außenminister an NATO-Generalsekretär, 22.8.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. 1304/S-2576, hier: Ankara zog hierfür bis zum 22. August Teile seiner Luftstreitkräfte aus dem NATO-Verbund ab. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 8.8.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 421.

120

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Washington appellierte an Papandreou, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um Makarios zur Räson zu bringen.187 Der Erzbischof hatte öffentlich gedroht, ein blutiges Massaker an den türkischen Zyprioten zu begehen, falls die türkischen Jäger ihre Luftschläge nicht einstellten. Der Ethnarch hatte sich zudem wiederholt mit einem Hilfeersuchen an Moskau gewandt. Dementsprechend fürchtete Washington, dass Moskau und der ägyptische Präsident Nasser Militärberater auf die Insel entsenden könnten und Zypern zum Schauplatz eines Stellvertreterkrieges zwischen der Türkei auf der einen und Griechenland und dem Warschauer Pakt auf der anderen Seite würde. Der NSC stellte daher Überlegungen an, Makarios mit Hilfe eines inszenierten Putsches zu stürzen.188 Nur so schien es aus amerikanischer Sicht noch möglich, den fatalen Lauf der Ereignisse abzuwenden. Der neue Generalsekretär Manlio Brosio189 rief den NATO-Rat zu einer Eilsitzung zusammen. Die Anwesenden sicherten ihm ihre Unterstützung zu und legten ihm nahe, in dieser Angelegenheit zu tun, was immer ihm richtig erschiene.190 Der griechische und der türkische Vertreter legten Brosio in der Folge Protestschreiben ihrer Regierungen vor, in denen jene sich über das Gebaren der jeweils anderen Volksgruppe auf Zypern beklagten.191 Darüber hinaus verzichteten beide Seiten aber auf weitere provokative Äußerungen. Ankara ließ keine Kriegsdrohungen mehr verlauten und vermied es, dem griechischen Verbündeten direkte Vorwürfe zu machen. Der türkische Außenminister begrüßte stattdessen neue Diskussionen des Problems im NAC und erklärte sich bereit, jegliche Handlungen des Generalsekretärs zu unterstützen, die zur wechselseitigen Entspannung beitrugen. Athen suchte den türkischen Bündnispartner zwar weiterhin als

187 188 189

190

191

Uslu, The Cyprus Question, S. 65. Nicolet, The Development of US-Plans, S. 113‑120. Jordan, Political Leadership, S. 165‑174, hier: Manlio Giovanni Brosio, 1897 in Turin geboren, entstammte einer Diplomatenfamilie. Er geriet in den 1920er Jahren mehrfach in Konflikt mit dem faschistischen Regime unter Benito Mussolini, war zeitweise inhaftiert und wurde aus der Politik verbannt. Nach dem Krieg profitierte er von seiner Rolle als Angehöriger der antifaschistischen Liga. Brosio diente als Botschafter in unterschiedlichen Verwendungen, seine politische Laufbahn verlief eher mäßig erfolgreich. Anfang der 1960er Jahre entwickelte er sich zum Favoriten der französischen Regierung für das Amt des NATO-Generalsekretärs. Vor dem Hintergrund der amerikanisch-französischen Auseinandersetzung zog Italien seine Kandidatur zugunsten Stikkers aber vorläufig zurück. Brosio bemühte sich nun um eine Laufbahn in der Politik, jedoch ohne Erfolg. Mit dem nahenden Rücktritt Stikkers erblickte er eine neue Karrierechance. Obwohl seine Kandidatur von breiter französischer und amerikanischer Zustimmung begleitet war, stieß seine Ernennung im Nachgang auf scharfe Kritik in der Öffentlichkeit. Die New York Times schrieb, dass Brosios Amtsübernahme einen Niedergang des politischen Stellenwerts des NATO-Generalsekretärs signalisiere. Brosio sei seiner bisherigen Laufbahn nach stets nur ein Botschafter gewesen, der nicht über das staatsmännische Profil seiner Vorgänger verfüge. Über den detaillierten Verlauf der Sitzung wurden bis heute in keinem der herangezogenen Archive Dokumente freigegeben. Deren Ergebnis lässt sich aber aus den Anweisungen des Auswärtigen Amtes an den bdt. NATO-Botschafter Grewe sowie aus den Folgeereignissen rekonstruieren. Aufzeichnung AA für Ständigen Vertreter (NATO), 10.8.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 1094. Schreiben griechischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 11.8.1964, NATO, PO (64) 454; Schreiben griechischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 17.8.1964, TNA, FO 371, 174758, Nr. 5599/I 30; Schreiben türkischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 14. und 17.8.1964, NATO, LOM, 286/64; Schreiben türkischer Außenminister an NATO-Generalsekretär, 17.8.1964, NATO, PO (64) 453.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

121

unnachgiebig darzustellen und warf der Allianz vor, Griechenland zu diskriminieren.192 Trotzdem scheute sich auch Außenminister Stavros Kostopoulos davor, von der Gefahr eines Krieges mit der Türkei zu sprechen. Vielmehr forderte er den Generalsekretär auf, den Ministerrat der NATO einzuberufen, um die bestehenden Spannungen auf friedlichem Wege zu entschärfen. Die Initiative der kanadischen Regierung schien bei den beiden Widersachern trotz der verschärften Lage auf Zypern kurzzeitig zur Mäßigung beigetragen zu haben. Sowohl Ankara als auch Athen rechneten damit, dass Kürzungen der Militärhilfen auf lange Sicht schmerzhafte Folgen für beide Seiten nach sich ziehen könnten. Dennoch sollte sich die vermeintliche Entspannung als voreilig erweisen. Der Regierungssprecher Papandreous gab in Athen bekannt, dass die sowjetischen Äußerungen zur Freiheit und Unabhängigkeit Zyperns einen bedeutenden Beitrag für den Frieden darstellten. Gleichzeitig verkündete die griechische Regierung ihren Entschluss, Teile ihrer Truppen aus der integrierten Struktur des Bündnisses abzuziehen.193 Dies betraf auch das Personal von LANDSOUTHEAST in Izmir. Die Auswirkungen auf die militärische Einsatzbereitschaft der Südostflanke ließen nicht lange auf sich warten.194 Sie traten vor allem im Bereich der Führungsunterstützung auf. Der SACEUR urteilte, dass die allgemeine Operationsführung und die logistische Einsatzunterstützung zwar nur geringfügig beeinträchtigt wären. Das Fehlen des griechischen Streitkräfteelements in HALFSEE bewirkte aber, dass der Befehlshaber der NATO-Landstreitkräfte Südosteuropa (COMLANDSOUTHEAST) und der Kommandeur der 6. Taktischen Luftflotte (COMSIXATAF) ihre Führungsaufgaben im Bereich des Frühwarnsystems und der verzugslosen Reaktionsfähigkeit nur mehr unzureichend erfüllen konnten. Die Hauptursache lag an der Abwesenheit des Griechisch sprechenden Personals im Fernmeldewesen und in der Nachrichtenübermittlung. Ähnliches galt für die türkischen Streitkräfte. Zwar hatte Ankara nicht beabsichtigt, die NATO zu sanktionieren, und daher auch kein Personal aus den integrierten Stäben abgezogen. Jedoch hatte die türkische Regierung vorübergehend Teile ihrer assignierten Luftstreitkräfte zum Zwecke des Kampfeinsatzes auf Zypern aus dem NATO-Verbund herausgelöst und dadurch die Fähigkeit der Allianz beeinträchtigt, auf mögliche Aggressionen des Warschauer Paktes am Bosporus und den Dardanellen zeitgerecht zu reagieren.195 Obgleich weder die NATO noch die US-Regierung den Erzbischof zu zügeln vermochten, stellten die griechischen Zyprioten ihre Angriffe unterdessen ein. Die Ursache für den Rückzug war paradoxerweise in Moskau zu finden. Die UdSSR hatte auf Makarios’ Ersuchen zwar reagiert und ihre Ankündigung wiederholt, im Falle einer externen Aggression nicht untätig bleiben zu wollen.196 Auch hatte der Kreml den zyprischen 192 193 194 195 196

Schreiben griechischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 11.8.1964, NATO, PO (64) 454; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 18.8.1964, PA AA, B  150  IA4, Bd  35, VS-Bd 689, Nr. 1120. Schreiben SACEUR an NATO-Generalsekretär, 29.8.1964, NATO, PO (64) 476. AAPD, 1964, Bd 2, Dok. 235, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an Bundesaußenminister Schröder, 18.8.1964, S. 975‑977. Sowjetische Verlautbarung zu Zypern, 17.8.1964, NATO, PO (64) 451; Drahtbericht bdt. Botschaft Moskau an AA, 10.8.1964, PA AA, B  26  IA4, Nr. 652; Uslu, The Cyprus Question, S. 65.

122

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Staatsführer ermutigt, seine Freiheit und Unabhängigkeit zu bewahren. Das sowjetische Militär und die Parteiführung hatten aber ausdrücklich vermieden, den Anschein zu erwecken, noch länger gewaltsam in den Konflikt eingreifen zu wollen. Auch hatte der Kreml explizit darauf verzichtet, die Türkei vor der Weltöffentlichkeit als Aggressor anzuprangern. Chruščëv hatte Makarios vielmehr signalisiert, dass die Sowjetunion kein vitales Interesse mehr hege, ihrem Schützling noch länger Rückendeckung zu erteilen.197 Daran änderte auch das Militär- und Wirtschaftsabkommen zwischen Moskau und Nikosia nichts mehr.198 Der sowjetische Vertreter im UN-Sicherheitsrat hatte sogar sein Veto gegen eine Resolution eingelegt, welche die Türkei auffordern sollte, ihre Luftangriffe auf Zypern einzustellen.199 Stattdessen hatte das sowjetische Außenministerium begonnen, sich zunehmend für die Rechte der türkischen Zyprioten einzusetzen und Sympathie für eine »föderative« Lösung der Zypernfrage zu bekunden.200 Dementsprechend musste der Erzbischof vorsichtiger agieren, wollte er jetzt nicht das akute Risiko einer türkischen Landung in Kauf nehmen. Es war nicht abzusehen, ob die griechischzypriotischen Streitkräfte im Falle einer Invasion in der Lage wären, den Feind aufzuhalten. Auch blieb fragwürdig, ob Athen imstande wäre, den griechischen Zyprioten militärisch zu Hilfe zu kommen. Ohne sowjetische Rückendeckung konnte eine türkische Invasion der Herrschaft des Erzbischofs somit unter Umständen ein schnelles und bitteres Ende setzen. Das Kalkül Moskaus lag hingegen auf der Hand: Angesichts der türkisch-amerikanischen Differenzen witterte der Kreml offenkundig Möglichkeiten, einen Keil in die Allianz zu treiben. Wenn die Sowjetunion ihren feindlichen Kurs gegenüber Ankara beibehielte, triebe sie die Türkei nur wieder enger in die Arme der NATO. Wenn sich die UdSSR jetzt aber zurückhielte und ihrem südlichen Nachbarn freundlich gesonnen sei, könne sie auf der anatolischen Halbinsel eine emotionale Stimmung fördern, die der Bindung des Landes an den Westen abträglich wäre. Zypern und Makarios wären in diesem Falle zweitrangig. Da sich sowohl auf Zypern als auch im griechisch-türkischen Verhältnis eine leichte Entspannung abzeichnete, erblickte auch Brosio eine Chance zu handeln.201 Er rief den türkischen, kanadischen, amerikanischen, dänischen und britischen Delegierten zu einer Eilbesprechung ein.202 Unter den Anwesenden entwickelte sich in der Folge eine lebhafte Diskussion. Die Debatte kreiste um die unmittelbaren Maßnahmen, welche die Allianz ergreifen könnte, um die Situation auf der Insel nachhaltiger zu entspannen. Der Generalsekretär erinnerte die Bündnispartner daran, dass seine eigene Handlungsfähigkeit begrenzt sei. Er konfrontierte den türkischen Delegierten mit der Frage, weshalb Ankara 197 198 199 200 201

202

Drahtbericht bdt. Botschaft Moskau an AA, 10.8.1964, PA AA, B  26  IA4, Nr.  652; Uslu, The Cyprus Question, S. 65. Kruse, Bonn, S. 148. Bitsios, Cyprus, S. 170. Dodd, The History and Politics, S. 71. AAPD, 1964, Bd 2, Dok. 235, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an Bundesaußenminister Schröder, 18.8.1964, S. 975‑977, hier S. 977. Grewe schrieb in diesem Zusammenhang an seine Vorgesetzten im Auswärtigen Amt, dass Brosio die Ratsmitglieder durch das Tempo und die zielbewusste, energische Art beeindrucke, mit der er in der Zypernfrage operiere. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 19.8.1964, TNA, FO  371, 174758, Nr. 1072/43.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

123

es bisher unterlassen habe, den NATO-Rat zu konsultieren, bevor Luftangriffe auf Zypern starteten. Der türkische Vertreter verteidigte sich mit dem Hinweis, dass die Allianz aus der türkischen Hauptstadt mehrfach Warnhinweise erhalten habe, aber stets untätig geblieben sei. Jedoch suchte er die Anwesenden mit dem Hinweis zu beschwichtigen, dass eine türkische Landung auf der Insel unwahrscheinlicher geworden sei. Noch am selben Tag rief Brosio den NAC zu einer weiteren Sondersitzung zusammen, zu der weder der griechische noch der türkische NATO-Botschafter geladen waren.203 Er äußerte Besorgnis über den griechischen Teilabzug aus dem militärischen NATOVerbund und der wenig solidarischen Äußerung des griechischen Regierungssprechers über den »Beitrag Moskaus für den Frieden«. Die Anwesenden teilten seine Ansichten. Einige der Vertreter erwähnten abermals die Möglichkeit von Rüstungssanktionen gegen Griechenland und die Türkei, um die Streitparteien auf diesem Wege zu zwingen, in neue Verhandlungen zu treten. Jedoch musste sich die Allianz eingestehen, dass der Erfolg bilateraler Gespräche ohne die Einbindung Makarios’ fragwürdig war. Der innere Handlungsdruck, unter dem Papandreou stand, ließ eine andere Lösung nicht zu. Daneben bedurften kollektive Sanktionen nach wie vor der amerikanischen und deutschen Zustimmung. Wie im Falle Griechenlands hatten sich beide Partner bislang als zahlungskräftigste und großzügigste Verbündete der Türkei erwiesen.204 Deutschland hatte Ankara im Januar 1964 versprochen, Wehrmaterial der Bundeswehr im Wert von rund 50 Mio. DM zu übereignen.205 Sowohl Bonn als auch Washington hielten sich aber in der Frage nach einem Embargo bedeckt.206 Noch schien die Bundesregierung nicht bereit zu sein, die Bündnissolidarität mit einem Lieferstopp gegenüber Griechenland und der Türkei strapazieren zu wollen. b) Überlegungen zum Ausschluss Griechenlands und der Türkei In der Ratssitzung vom 19. August 1964 legte der griechische NATO-Botschafter Palamas den Mitgliedern die innere Zwangslage Athens offen.207 Die griechische Regierung wäre kaum noch imstande, den Erzbischof zu kontrollieren. Das Wort der griechischen Regierung verliere bei Makarios und dessen Anhängern zunehmend an Gewicht. Die Ausführungen des griechischen Vertreters waren nicht unbegründet. Der französische Botschafter in Athen meldete nach Paris, dass die Regierung Papandreou nicht nur jegliche Kontrolle über Zypern verloren, sondern sich quasi bedingungslos den Zielsetzungen des Erzbischofs verschrieben habe.208 203 204

205 206 207 208

AAPD, 1964, Bd 2, Dok. 235, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an Bundesaußenminister Schröder, 18.8.1964, S. 975‑977. AAPD, 1964, Bd 1, Dok. 18, Protokoll Besprechung AA, Legationsräte v. Stechow und v. Stein mit Vertretern BMVg, Ministerialdirektoren Sachs und Kieper sowie Oberstleutnante Lege und Acker über Verteidigungshilfen an die Türkei, 22.1.1964, S. 101‑106. AAPD, 1964, Bd 1, Dok. 21, Runderlass AA, Ministerialdirektor Jansen, 22.1.1964, S. 115‑117. Ebd. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 19.8.1964, PA AA, B  150  IIA7, Bd  35, VS-Bd 690, Nr. 1125. Documents Diplomatiques Français 1964, t. 2, doc. 72, S. 177 f., M. Baeyens, frz. Botschafter in Athen, an M. Couve de Murville, frz. Außenminister, 20.8.1964, hier S. 177 f.

124

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Dessen unbenommen kehrte das griechische Personal noch in derselben Woche in die integrierten Stäbe zurück und nahm seinen Dienst bei LANDSOUTHEAST und der SIXATAF wieder auf.209 Jedoch traf Athen seine Entscheidung unter Vorbehalt. Der französische Botschafter in der griechischen Hauptstadt teilte dem Ministère des Affaires Étrangere mit, die Öffentlichkeit in Athen sei mehrheitlich davon überzeugt, dass das Bündnis die Türkei wegen des größeren türkischen Militärpotenzials fortwährend zu Lasten Griechenlands begünstige.210 Nach französischer Bewertung könne die griechische Regierung gar nicht anders, als den öffentlichen Forderungen nachzugeben und sich ihrer Verpflichtungen aus dem NATO-Vertrag schrittweise zu entledigen, wollte sie nicht ihren politischen Niedergang riskieren. Die Rückkehr des militärischen Personals in die integrierten Stäbe wertete der Quai d’Orsay aber als Zeichen, dass Griechenland keinesfalls beabsichtige, der Allianz den Rücken kehren. Die Einsatzbereitschaft der griechischen Streitkräfte hing nach französischem Urteil vollständig von den Militärhilfen der NATO und dem amerikanischen Verbündeten ab. Am 28.  August 1964 unterhielt sich Brosio mit dem deutschen NATO-Vertreter Wilhelm Grewe über die Krise des Bündnisses. Der Generalsekretär hegte wenig Hoffnung auf eine Lösung der Zypernfrage mit Hilfe der Vereinten Nationen oder der USRegierung.211 Vielmehr befürchtete er tagtäglich, dass sich das griechisch-türkische Verhältnis aufs Neue verschlechterte. Es bereitete ihm Kopfzerbrechen, was die NATO noch unternehmen könnte, um im äußersten Fall den Ausbruch von Kampfhandlungen zu verhindern. Brosio spielte mit dem Gedanken, Griechenland und die Türkei im Falle eines Krieges aus der Allianz auszuschließen. Bonn und Washington lehnten eine solche Idee jedoch rundweg ab.212 Neben dem Argument, dass ein solches Verfahren im NATOVertrag nicht vorgesehen sei, brachten die Bonner Entscheidungsträger vor allem eines zum Ausdruck: Moskau hätte in einem solchen Fall genau das erreicht, was die KremlFührung beabsichtigte. Die Sowjetunion könnte auf Zypern Fuß fassen, Griechenland und die Türkei zu einer neutralistischen Politik zwingen und die NATO aus dem östlichen Mittelmeer verdrängen. c) Erschwerte Suche nach einem Ausweg Auch im Herbst des Jahres 1964 vermochte die NATO keine Lösung zu erzielen.213 Trotz der Ambitionen Brosios gelang es dem Bündnis weder, eine Strategie der Krisen209 210 211 212 213

Schreiben Acting Executive Secretary an Ständige Vertreter (NATO), 27.8.1964, NATO, RDC (64) 365. Documents Diplomatiques Français 1964, t. 2, doc. 72, S. 177 f., M. Baeyens, frz. Botschafter in Athen an M. Couve de Murville, frz. Außenminister, 20.8.1964, hier S. 178. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 28.8.1964, PA AA, B  150  IIA7, Bd  35, VS-Bd 690, Nr. 1152. Telegramm AA an bdt. Ständigen Vertreter (NATO), 29.8.1964, PA AA, B  150  IIA7, Bd  35, VS-Bd 690, Nr. 81-04/92.43/4221/64. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 9.9.1964, TNA, FO  371, 174759, Nr. 1072/62; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 151, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 2.9.1964, ; ebd., doc. 152, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 3.9.1964, ; ebd., vol. 16, doc. 153, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 4.9.1964, , alle letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 154, Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 2.9.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 157, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 8.9.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd.; Váli, Bridge across the Bosporus, S. 143‑146. Váli führte hierzu in seiner Studie aus dem Jahre 1971 an, dass der Bruch der türkisch-amerikanischen Freundschaft nicht nur den politischen Entwicklungen, sondern im Grunde auch den unvereinbaren Mentalitätsunterschieden beider Völker geschuldet sei. Die extrovertierte und direkte Umgangsweise der Amerikaner gelte bei den Türken als primitiv und ungehobelt. Andererseits verhielten sich die Einwohner der Vereinigten Staaten wiederum dort reserviert, wo sich die Türken ausgelassen zeigten. Váli zufolge stünden sich die Lebensweisen beider Völker einander diametral gegenüber. Váli, Bridge across the Bosporus, S. 144.

126

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Moskau indes zögerte nicht lange.218 Noch bis August 1964 hatte die Sowjetunion der Türkei im Falle eines Eingreifens auf Zypern mit militärischer Intervention gedroht und symbolisch einige diplomatische und wirtschaftliche Sanktionen gegen Ankara verhängt. Die neue innertürkische Entwicklung aber hatte den Kreml blitzartig zum Umdenken veranlasst. Der sowjetische Botschafter in Ankara hatte unvermittelt begonnen, İnönü mit verlockenden Angeboten Finanzhilfen und lukrative Handelsverträge in Aussicht zu stellen, um die krisengebeutelte türkische Wirtschaft anzukurbeln. Der bundesdeutsche Botschafter in Ankara argwöhnte, dass Moskau darauf abzielte, die Türkei dem Kreml mit Freundschaftsgesten anzunähern und dadurch den Bündniszusammenhalt an der Südflanke der NATO Stück für Stück aufzuweichen.219 Zwar konnte Makarios im Falle einer türkischen Invasion nicht länger auf sowjetische Hilfe zählen. Jedoch erhöhte sich dadurch auch die Gefahr einer türkischen Landung. Die Allianz wiederum kämpfte mit allgemeinen inneren Problemen, die eine kohärente Politik gegenüber den zerstrittenen Partnern an der Südostflanke zusätzlich erschwerten. Obgleich Europa für die amerikanische Führungsmacht nach wie vor den wichtigsten Schauplatz des Kalten Krieges darstellte, forderte Washington seine Verbündeten auf, sich im globalen Rahmen stärker zu engagieren.220 Dies betraf insbesondere die aktive Beteiligung der NATO-Partner am Vietnamkrieg. Entgegen den amerikanischen Erwartungen waren weder die Briten noch die Franzosen bereit, sich für den transatlantischen Verbündeten an derartigen überseeischen Unternehmungen zu beteiligen. Das Vereinigte Königreich verwies auf seine wirtschaftlichen und finanziellen Probleme. Und der französische Staatspräsident Charles de Gaulle sparte nicht mit Kritik am amerikanischen Vorgehen in Südostasien. Deutschland hielt sich aufgrund seiner historischen Vorbelastungen zurück, berief sich auf die kritische Haltung seiner Öffentlichkeit und schloss seine militärische Beteiligung daher weitgehend aus. Bonn schien darüber hinaus der DDR-Führung keinen Vorwand liefern zu wollen, die Bundesrepublik als »imperialistisch, kolonialistisch und kriegslüstern« zu brandmarken. Washington hingegen trug mit seiner Politik in Europa nur wenig zur Vertrauensbildung bei. Die Führungsmacht im Bündnis reduzierte ihre Truppen am innerdeutschen Mittelabschnitt und schien in der Wahrnehmung der Europäer ihren aktiven Beitrag zur Verteidigung des Alten Kontinents auch grundsätzlich verringern zu wollen. Insbesondere Großbritannien und die Bundesrepublik befürchteten ein sinkendes Interesse Washingtons an der Fähigkeit der NATO zur nuklearen Abschreckung im Herzen Europas.221 Die Forderung des amerikanischen Verteidigungsministers Robert McNamara an die Europäer, ihre eigenen konventionellen Kräfte am Mittelabschnitt aufzustocken und sich darüber hinaus an Militäroperationen in Vietnam zu beteiligen, führte zu erheblichen Verstimmungen zwischen den euroatlantischen Partnern.222 Die italienische Regierung urteilte gar, dass der Vietnamkrieg Europa als Nummer eins in der verteidi218 219 220 221 222

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.9.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 2025/64. Ebd. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 15‑17. Wenger, The Politics of Military Planning. Ebd.; Kaplan, McNamara, Vietnam and the Defense of Europe, S. 287 f.; näheres zu den Auseinandersetzungen dieser Tage um Militärstrategie, Verteidigungsplanung und nukleare Teilhabe der europäischen Partner auch bei Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 55‑66.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

127

gungspolitischen Prioritätenliste des amerikanischen Bündnispartners abgelöst hätte.223 Wenn Europäer und Amerikaner sich wegen der Querelen um Fragen der militärischen Lastenteilung und strategischen US-Interessen in Südostasien überwarfen, stand es nicht gut um die Zukunft der Allianz. Ein Krieg zwischen Griechenland und der Türkei oder die Versuche Moskaus, die NATO an ihrer Peripherie mit »Freundschaftsangeboten« an die Türkei zu zersetzen, konnten zu diesem Zeitpunkt kaum ungelegener kommen. Brosio führte daher beharrlich weitere Vermittlungsgespräche mit dem griechischen und türkischen NATO-Botschafter in der Absicht, einen neuen Weg zur Aussöhnung der Zyprioten zu finden und die Einheit des Bündnisses an seiner exponierten Flanke wiederherzustellen.224 Seine Gespräche mit dem griechischen Delegierten waren jedoch nicht von Erfolg gekrönt. Athen lehnte jede weitere Schlichtungstätigkeit der Allianz ab. Die griechische Regierung forderte den Generalsekretär auf, sich auf seine Rolle als Vermittler zu beschränken und sich ansonsten nicht weiter mit dem Konflikt der beiden Bündnispartner zu befassen. Lediglich Ankara agierte flexibler. Der türkische Vertreter Nuri Birgi ermutigte Brosio, sich umgehend den dringendsten Fragen zu widmen, welche nicht nur die Krise um die Insel, sondern auch Fragen der Vertreibung von Angehörigen der griechischen Minderheit in der Türkei betreffen sollten.225 Indes blieb fraglich, ob die türkische Regierung ihrem NATO-Botschafter in diesen Fragen große Bedeutung beimaß. Es konnte nicht im Interesse İnönüs liegen, die heikle Angelegenheit der türkischen Minderheitenpolitik in die Allianz zu tragen. Es lag daher nahe, dass Birgi an dieser Stelle nur seine persönliche Meinung vertrat, ohne konkrete Instruktionen aus der türkischen Hauptstadt erhalten zu haben. Brosio blieb daher unschlüssig, wie er weiter verfahren sollte.226 Aus Washington erhielt er keine Unterstützung.227 Die amerikanische Regierung hielt seine Versuche, eine einvernehmliche Lösung zu finden, zu diesem Zeitpunkt für wertlos. In der Sitzung des NSC vom 8. September 1964 hatten der Sondergesandte Dean Acheson und der stellvertretende US-Außenminister George Ball vielmehr die Ansicht vertreten, dass Papandreou nicht die Kraft besitze, sich Makarios gegenüber durchzusetzen. Ihrer Auffassung nach konnte auf dem Verhandlungsweg keine Lösung erzielt werden. Die beiden Berater sahen nur noch einen Ausweg aus der Krise: Die türkischen Streitkräfte sollten vollendete Tatsachen schaffen und einen Teil der Insel gewaltsam besetzen. Makarios konnte ihren Informationen nach aus Moskau keine Hilfe mehr erwarten. Ferner hatte der Türkische Generalstab Acheson versichert, die Anwendung militärischer Gewalt bei einer Landungsoperation auf das Nötigste zu beschränken. Johnson war zwar skeptisch geblieben, ob es dem türkischen Militär gelingen würde, einen solchen Krieg angesichts des zu erwartenden griechisch-zypriotischen Widerstandes schnell zu beenden. Da der Kreml dem Erzbischof aber keine Unterstützung mehr zugesagt hatte, hatte Johnson sich nicht mehr grundsätzlich gegen ein militärisches Vorgehen Ankaras ausgesprochen. Auch stand eine Gefährdung seiner Wiederwahl als Präsident 223 224 225 226 227

Nuti, A Decade of Delusions and Disappointments, S. 206. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.9.1964, TNA, FO  371, 174759, (o.Nr.). Ebd. Ebd. Ebd.; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 155, Protokoll NSC-Sitzung, 8.9.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017.

128

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

nicht mehr zur Debatte. Er war zuversichtlich, dass eine türkische Invasion auf Zypern nicht vor Jahresende und somit erst nach den amerikanischen Wahlen stattfinden würde, zumal die Wetterverhältnisse im Mittelmeer seiner Ansicht nach in den Herbstmonaten keine Landungsoperationen auf Zypern zuließen.228 Folglich konnte er sich der Stimmen der griechischstämmigen Wähler für den Zeitraum seiner Wiederwahl noch sicher sein. Die Empfehlung des amerikanischen NATO-Botschafters Finletter fiel dementsprechend einseitig aus.229 Er legte Brosio nahe, Griechenland und der Türkei keine Hilfe mehr anzubieten, bevor nicht beide Seiten ihre Beziehungen eigenständig verbessert hätten. Das kanadische und italienische Außenministerium teilten die amerikanische Sichtweise.230 Griechenland und die Türkei sollten ihrer Meinung nach zunächst von sich aus Kooperationsbereitschaft ankündigen. Das Auswärtige Amt wiederum hielt von den Plänen der drei anderen Bündnispartner wenig. Der deutsche Botschafter in Ankara beurteilte die amerikanische Politik in der Krise als unverantwortlich und realitätsfremd.231 Der deutsche NATO-Botschafter Grewe forderte die Bündnisgemeinschaft auf, die Hände nicht in den Schoß zu legen.232 Die Allianz sollte fortfahren, Druck auf beide Streitparteien auszuüben. Grewe drängte die Bündnispartner auch zu Sanktionen. Bonn hatte Anfang September 1964 seine Zurückhaltung aufgegeben und war dem kanadischen Beispiel gefolgt. Der Bundestag hatte auf Anraten der deutschen Botschafter in Ankara und Athen beschlossen, seine zögerliche Politik zu beenden und die deutschen Rüstungslieferungen aus dem NATO-Militärhilfeabkommen bis auf Weiteres einzustellen.233 Die Gründe der Entscheidung waren allerdings weniger als Initiative anzusehen, Griechenland und die Türkei durch Sanktionen dazu zu zwingen, ihren Streit beizulegen. Hier spiegelte sich lediglich die Meinung Grewes und des Auswärtigen Amtes wider. Vielmehr vertraten führende Kreise der Regierung Ludwig Erhards, aber auch der Opposition im Bundestag den Grundsatz, dass die Bundesrepublik generell kein Kriegsgerät mehr in Krisengebiete liefern sollte. Umstrittene Liefervorhaben über die Ausfuhr von Panzern in die Krisenregion Israel und der Verkauf von Handfeuerwaffen in die Apartheidrepublik Südafrika hatten die öffentliche Meinung in Westdeutschland wachgerüttelt und die Bundesregierung in Fragen des Waffenexports zu einem restriktiveren Kurs gedrängt.234 Vor allem die selbstbewusster werdende deutsche Linke reagierte auf die Verletzung von Menschenrechten in der Welt zunehmend sensibel. Dies galt nicht nur für die Unrechtspolitik Südafrikas und die umstrittene Vorgehensweise Israels 228 229 230 231 232 233 234

Ebd. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 10.9.1964, TNA, FO  371, 174759 (o.Nr.). Ebd. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.9.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 2025/64. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 11.9.1964, TNA, FO  371, 174759 (o.Nr.). AdG, 34 (1964), 6.10.1964, S. 11466. AAPD, 1964, Bd 1, Dok. 54, Aufzeichnung Legationsrat Schirmer, 24.2.1964, S. 269‑272; ebd., Dok.  136, Protokoll Gespräch Bundeskanzler Erhard mit US-Botschafter McGhee, 23.5.1964, S.  566‑569; ebd., Dok.  151, Drahtbericht Bundesminister Schröder an Bundeskanzler Erhard, 5.6.1964, S. 604 f.; AAPD, 1964, Bd 2, Dok. 179, Aufzeichnung Ministerialdirektor Böker, 29.6.1964, S.  711  f.; AAPD, 1965, Bd  1, Dok. 65, Aufzeichnung Staatsssekretär Carstens, 10.2.1965, S. 286‑289; Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 126‑141.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

129

gegenüber der arabischstämmigen Bevölkerung des Landes. Auch NATO-Partner standen in der Kritik. Die griechischen Waffentransfers an Makarios und seine Anhänger, aber auch der Abwurf von Napalmbomben auf griechisch-zypriotische Siedlungen durch die türkische Luftwaffe ließen den Ruf laut werden, deutsche Rüstungsgüter nicht mehr nach Griechenland und in die Türkei zu liefern. Darüber hinaus hatte Ostberlin Mitte August 1964 pressewirksam begonnen, die Bundesrepublik wegen der Überstellung von Kampfflugzeugen an die Türkei zu brandmarken.235 Vor dem Hintergrund der türkischen Luftangriffe auf Zypern und der Folgen für die betroffene Zivilbevölkerung sah sich die Bundesregierung im Zugzwang, der SED-Führung, aber auch der eigenen Opposition keine weiteren Angriffspunkte zu liefern. Nationale Belange dominierten auch in Bonn gegenüber bündnispolitischen Erwägungen. Die Allianzmitglieder waren sich der Tatsache bewusst, dass die Möglichkeiten des Generalsekretärs, den Konflikt beizulegen, strukturell eng begrenzt waren.236 Ohne eine Lösung in der Zypernfrage standen die Chancen auf eine griechisch-türkische Aussöhnung schlecht. Die NATO konnte aber, selbst wenn sie es gewollt hätte, mit Makarios nicht direkt verhandeln, da der Ethnarch den Dialog mit dem Bündnis kategorisch ablehnte. Indes war zu erwarten, dass Premierminister Papandreou keiner Lösung zustimmen würde, die den Erzbischof kompromittierte. In einer Frage jedoch bestand unter den führenden Mitgliedsstaaten und Brosio ein unbestrittener Konsens: Griechenland könne seine Verantwortung für die Vorgänge auf der Insel nicht von sich weisen, solange dort nach wie vor Tausende griechischer Soldaten stationiert seien.237 Der Generalsekretär befand sich in einer ähnlich schwierigen Lage wie seinerzeit Spaak. Obwohl Makarios nicht zu Gesprächen mit der Allianz bereit war, musste das Bündnis schnellstmöglich ein Konzept für die Zukunft der Insel vorlegen, wollte es am Ende nicht doch einen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei riskieren. Dementsprechend entwickelte der Generalsekretär einen eigenen Lösungsentwurf. Das Papier enthielt konkrete Vorschläge für die Schlichtung der Auseinandersetzung zwischen den zyprischen Volksgruppen.238 Brosio schwebte dabei ähnlich den damaligen Entwürfen Spaaks eine Art Referendum über die Zukunft der Insel vor. Die Verbündeten indes blieben skeptisch. Der britische NATO-Vertreter und sein amerikanischer Kollege hielten das Konzept für wenig zielführend, solange Makarios einen Vorschlag aus der Feder der NATO nicht akzeptierte. Die europäischen Partner wiederum hielten es mehrheitlich für gefährlich, Vermittlungsversuche anzugehen, ohne dass Griechen und Türken sich vorher verpflichteten, mit Brosio uneingeschränkt zu kooperieren. Im Foreign Office herrschte daneben die Meinung vor, dass Brosio seine Autorität untergrabe, wenn er unter den gegebenen Umständen einen neuen Schlichtungsversuch wagte.239 Der Generalsekretär erkannte schließlich, dass seine Ambitionen verfrüht waren, solange sein Plan 235 236 237 238 239

Kruse, Bonn, S. 141. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 11.9.1964, TNA, FO  371, 174759 (o.Nr.). Ebd. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.9.1964, TNA, FO  371, 174759, Nr. 456. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 14.9.1964, TNA, FO  371, 174759, Nr. 457.

130

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

bei den Mitgliedsstaaten nicht auf ungeteilte Zustimmung stieß. Der bundesdeutsche Botschafter in Ankara urteilte hierzu:

»Die Rolle der NATO im Zypernkonflikt dürfte definitiv ausgespielt sein. Jede Diskussion innerhalb der NATO ist geeignet, die Allianz weiter zu schwächen und die Gegensätze zwischen Griechen und Türken zu verschärfen, ohne dass es gelingt, zu einer Lösung auch nur beizutragen. Nachdem man die große Chance, die die NATO etwa im März dieses Jahres nicht wahrnahm, verpasste, sollte man jetzt nicht versuchen, mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt zu operieren.«240

d) Folgen des Konflikts für die Bündniskohäsion Gegen Ende des Jahres 1964 wurde das Bündnis unversehens von den Rückwirkungen des Konflikts eingeholt. Die türkische Antwort auf den Bonner Beschluss zur Einstellung der deutschen Verteidigungshilfen hatte nicht lange auf sich warten lassen. Inönü hatte zwischen dem 30.  Oktober und dem 6.  November nach rund 20-jähriger Unterbrechung als erster ranghoher türkischer Politiker die sowjetische Hauptstadt besucht. Nach seiner Rückkehr hatte er ein Gespräch mit dem bundesdeutschen Botschafter in Ankara geführt.241 Der türkische Ministerpräsident hatte sich darin optimistisch gezeigt. Das türkisch-sowjetische Verhältnis hatte sich im Vergleich zu den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Makarios hatte die Rückendeckung des Kremls weitgehend verloren. Folglich stand die Türkei den Ereignissen auf Zypern und der griechisch-zypriotischen Forderung nach der Enosis gelassener gegenüber. Gleichzeitig aber hatte sich die Regierung İnönü vom amerikanischen Partner entfremdet; sie war dazu übergegangen, ihre Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zur Sowjetunion zu intensivieren. In Bonn hatte der türkische Regierungschef die westlichen Bündnispartner dennoch zu beschwichtigen versucht und für die türkische Annäherung an die Sowjetunion um Verständnis geworben. Seiner Aussage nach hatte die schwierige Finanzlage des türkischen Staatshaushalts nicht unerheblich zu diesem Schritt beigetragen.242 In der Tat hatte die türkische Wirtschaft auch nach 1960 unter erheblichen Wachstumsschwierigkeiten und einer galoppierenden Inflation gelitten.243 In US-Dollar gerechnet schrieb der Staatshaushalt seit Jahren rote Zahlen im dreistelligen Millionenbereich. Die notwendigen Direktimporte überstiegen den Wert der Ausfuhren Jahr für Jahr um ein Vielfaches. Das Land exportierte überwiegend billige Agrarprodukte und war gezwungen, teure Fer240

241 242 243

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.9.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 2025/64, hier: Mit der »großen Chance« spielte der deutsche Botschafter Gebhard von Walther offensichtlich auf die unentschlossene Haltung des NAC und der amerikanischen Regierung vom Frühjahr 1964 an. Vermutlich erinnerte sich Walther auch an den ersten vergeblichen Versuch Stikkers, die NATO zur Kürzung der Militärhilfen für Griechenland und die Türkei zu bewegen. AAPD, 1964, Bd  2, Dok.  235, Drahtbericht bdt. Botschafter in Ankara an AA, 13.11.1964, S. 1299‑1304, hier S. 1300 f. Ebd.; Váli, Bridge across the Bosporus, S. 322 und S. 325 f. AAPD, 1964, Bd 2, Dok. 235, Drahtbericht bdt. Botschafter in Ankara an AA, 13.11.1964, S. 1299‑1304, hier S. 1300 f.; Váli, Bridge across the Bosporus, S. 322 und S. 325 f. Zu den historischen Hintergründen der türkischen Wirtschaftsentwicklung siehe Scheben, Wachstumsstrategien im Nahen Osten, S. 141‑147.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

131

tigprodukte und Industriegüter gegen kostbare Devisen einzuführen. Gleichzeitig blieb der Anteil ausländischer Privatinvestitionen gering. Dementsprechend waren die sowjetischen Handels- und Investitionsangebote in Ankara auf fruchtbaren Boden gefallen. Das abgekühlte türkisch-amerikanische Verhältnis hatte wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen. Ferner hatte die Türkei begonnen, ihre Bündnismitgliedschaft künftig an Bedingungen zu knüpfen.244 İnönü hatte zwar seine grundsätzliche Treue zur NATO bekräftigt, gleichzeitig aber den neuen politischen Kurs seines Landes aufgezeigt. Als Gegenleistung für die türkische Bindung an die Allianz hatte er die Bundesregierung aufgefordert, ihre Militärhilfen wieder aufzunehmen.245 Obgleich das türkische Vorgehen einer regelrechten Erpressung glich, hatte Bonn schließlich zugesagt, seinen Beschluss zu revidieren, sofern die Allianz diesen Schritt ausdrücklich befürwortete. Die türkische Regierung und das Militär waren erbittert, dass ihre Disziplin und Beherrschtheit in der Zypernfrage nicht honoriert wurde.246 Um die Jahreswende 1964/65 warf Ankara dem amerikanischen Partner vor, tatenlos geblieben zu sein, als Griechenland Tausende von Soldaten auf die Insel verbracht hatte.247 Inönü räumte zwar ein, dass Ankara wegen der griechischstämmigen Lobby in den Staaten Verständnis für die Handlungen der amerikanischen Regierung habe. Doch ließ der türkische Ministerpräsident keinen Zweifel daran, dass auch er den Belangen seiner nationalen Wählerschaft Rechnung tragen müsse. In der türkischen Öffentlichkeit wie auch in höchsten politischen Kreisen herrschte die Auffassung, dass weder Washington noch der NATO daran gelegen sei, den vitalen Interessen der Türkei hinreichend Beachtung zu schenken.248 Antiwestliche Demonstranten hatten lautstark den türkischen Austritt aus dem westlichen Bündnis und die Schließung sämtlicher amerikanischer Militäreinrichtungen auf türkischem Boden gefordert. Trotz der generellen Treuebekundung der türkischen Regierung bedeutete diese Entwicklung für die NATO einen nicht zu übersehenden Prestigeverlust. Zwar war es Moskau in der Vergangenheit bereits mehr als einmal gelungen, die griechische Bündnistreue ins Wanken zu bringen. Ankara gegenüber aber war das sowjetische Verhältnis zumeist kühl und konfrontativ gewesen. Im Gegensatz zu Griechenland hatte die Allianz sich in Fragen der Bündnissolidarität und Kohärenz auf den türkischen Partner nahezu uneingeschränkt verlassen können. Das abgekühlte türkisch-amerikanische Verhältnis aber hatte das Ende des goldenen Zeitalters der türkischen Bindung an die NATO eingeläutet. Auch die griechische Antwort auf die türkisch-sowjetische Annäherung ließ nicht lange auf sich warten. Als Reaktion auf die neue Entwicklung zog der Griechische Generalstab sein Personal abermals aus den Stäben von LANDSOUTHEAST und der SIXATAF ab.249 Der sinkende Stern des Erzbischofs brachte Premierminister Karamanlis in 244 245 246 247 248 249

Richter, Der griechisch-türkische Konflikt, S. 50. Ebd.; Aufzeichnung Legationsrat Middelmann, AA, 5.11.1964, PA AA, B  150  IA4, Bd  63, VS-Bd 689 (Nr. n.b.). Undatierte interne Aufzeichnung des AA über Beurteilung der Lage um Zypern (Verfasser ebenfalls unbekannt), PA AA B 26 IA4. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 169, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 29.12.1964, , letzter Aufruf 12.1.2017. Delvoie, Turkey in NATO, S. 4. Memorandum bdt. General Ernst Ferber an den NATO-Militärausschuß, 9.11.1964, NATO, MCM-151-64.

132

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

arge Bedrängnis. Dem griechischen Politiker blieb aus seiner Sicht keine andere Wahl, als den Misserfolg seines Wahlkampfversprechens der NATO anzulasten und Sanktionen gegen das Bündnis zu verhängen. Nur so erhoffte er sich, seine Stellung gegenüber der Opposition zu behaupten.250 Brosio seinerseits unterrichtete den NAC gegen Jahresende 1964 über die Vorgänge und fasste die Auswirkungen des Konflikts auf die NATO zusammen. Seiner Einschätzung nach hatte der Niedergang der griechisch-türkischen Beziehungen nicht nur die Solidarität und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses an seiner Südostflanke geschwächt, sondern der Sowjetunion auch Gelegenheit verschafft, den NATO-internen Konflikt für ihre Ziele auszunutzen. Ihm zufolge hatte das westliche Bündnis im östlichen Mittelmeer an Einfluss verloren. Moskau hingegen hatte seinem Urteil nach in der Region an Boden gewonnen.251 e) Bemühungen um Schadensbegrenzung und neue Lösungsversuche Angesichts der gefährlichen Entwicklung handelte der Generalsekretär umgehend. Er hatte erkannt, dass er den Belangen des türkischen Verbündeten stärker Rechnung tragen musste. Unter dem Vorwand seines Antrittsbesuchs reiste Brosio unmittelbar nach Inönüs Rückkehr aus Moskau in die Türkei.252 Er suchte dort auf diplomatischem Wege die türkische Bündnissolidarität zu stärken und den inneren Zusammenhalt der Allianz zu festigen. Er machte aus seiner Besorgnis über die türkischen Verhandlungen mit Moskau keinen Hehl. Es war nicht zu verkennen, dass der Generalsekretär den türkischen Verbündeten regelrecht umwarb: »brosio habe sich bei jeder eroerterung des themas zypern groesster objektivitaet befleissigt – so sehr, dass diese haltung auf tuerkischer seite bei allem verstaendnis fuer die position des generalsekretaers manchmal etwas irritierend gewirkt habe. andererseits wird in diesem zusammenhang erwaehnt, dass brosio hie und da geaeussert habe, er persoenlich verstehe die turkische argumentation sehr gut [...] in seiner tischrede bei dem essen, das erkin zu seinen ehren gab, erwiderte brosio hierauf mit einer zusicherung allgemeinen verstaendnisses fuer die bedeutung und lage der tuerkei im buendnis.«253

Die türkischen Gesprächspartner waren Brosio gegenüber aufgeschlossen. Sie äußerten Verständnis für die schwierige Lage der NATO und bekräftigten erneut ihre Treue zum Bündnis. Nichtsdestoweniger beharrten sie darauf, Zypern auf der anstehenden Ministerkonferenz erneut zur Sprache zu bringen.254 Daneben wussten die türkischen Amtsträger die Situation auch für ihre übrigen Belange zu nutzen. Außenminister Erkin unterstrich die hohen Kosten des türkischen Beitrags zur integrierten Bündnisverteidigung, die Ankara finanziell an seine Grenzen getrieben hätten. Er ließ keinen Zweifel daran, dass die Türkei von ihren westlichen Verbündeten ausdrücklich erwartete, dass 250 251 252 253 254

Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 129. Bericht NATO-Generalsekretär über sein Beobachtungsmandat, 11.12.1964, NATO, PO (64) 688. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 11.11.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 901. Ebd. Ebd.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

133

jene ihre Militär- und Wirtschaftshilfen fortsetzten. Der türkische Politiker wies Brosio darauf hin, dass Bonn bereit sei, über die Wiederaufnahme seiner Rüstungshilfen zu verhandeln, sofern die NATO dies befürwortete. Erkin bat den Generalsekretär daher mit Nachdruck, sich für die Wiederaufnahme der deutschen Leistungen einzusetzen. Brosio seinerseits hielt es wegen der heiklen Lage für notwendig, den türkischen Interessen stärker als zuvor entgegenzukommen. Er ersuchte London und Washington, Druck auf Athen auszuüben, in der Zypernfrage flexibler zu agieren.255 Griechenland sollte anerkennen, dass es in seinem eigenen Interesse lag, von der Enosis in ihrer klassischen Form Abstand zu nehmen. Eine Teilung der Insel war seiner Ansicht nach nicht mehr zu vermeiden. Griechenland sollte rund 95 Prozent des Territoriums erhalten, der Türkei aber eine eigene, souveräne Enklave zugestehen. Mit diesem Plan hoffte der Generalsekretär, einen Mittelweg zwischen der Enosis und den türkischen Teilungsforderungen zu finden. Im Gegenzug sollte die Türkei ihr Recht auf Intervention im griechischen Teil der Insel unwiderruflich aufgeben. Seinen Ambitionen war abermals kein Erfolg beschieden. State Department und Foreign Office billigten den Plan nicht. Auf Anraten des britischen Botschafters in Athen legten die Londoner Entscheidungsträger ihre Einwände dar.256 Sie monierten, dass Papandreou jegliche Pläne ablehnte, die nicht mit Makarios’ Absichten korrelierten. Daneben fürchteten sie, dass die Türkei nunmehr einen größeren Anteil am »zyprischen Kuchen« einforderte. Auch argwöhnten sie, dass Moskau die türkische Kompromissbereitschaft negativ beeinflussen könnte.257 Folglich fielen die Ergebnisse der NATO-Ministerkonferenz im Dezember 1964 mit Blick auf das Zypernproblem sehr bescheiden aus.258 Brosio konnte seinen Plan ohne die Unterstützung der führenden Mitgliedsstaaten nicht in die Tat umsetzen. Darüber hinaus zog keiner der Bündnispartner in Erwägung, die kollektiven Militärhilfen des Bündnisses zu kappen, um den diplomatischen Druck auf Athen zu erhöhen. Stattdessen nutzten der türkische Außenminister und sein griechischer Amtskollege die Gelegenheit, die Verbündeten abermals über den kritischen Zustand ihrer Streitkräfte und ihrer schwachen Volkswirtschaften in Kenntnis zu setzen. Beide Politiker drängten die Allianz mit Nachdruck dazu, ihre Verteidigungshilfen fortzusetzen. Melas betonte, dass Athen alsbald gezwungen wäre, sein Militär drastisch zu reduzieren, wenn keine neuen Finanz- und Rüstungstransfers einträfen. Erkin hingegen wurde nicht müde, die hohe strategische und bündnispolitische Bedeutung der Türkei herauszustellen. Daneben unterstrich er, dass der unbefriedigende Zustand der Verteidigungsaufstellung an der Südostflanke geeignet sei, die Sowjetunion glauben zu machen, dass nicht nur die militärische, sondern auch die politische Stärke und der innere Zusammenhalt der Allianz 255 256 257 258

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 13.11.1964, TNA, FO 371, 174759, Nr. 527. Telegramm britischer Botschafter Athen an FO, 14.11.1964, TNA, FO 371, 174759, Nr. 1527. Dodd, The History and Politics, S. 71. Report by the Secretary General of Progress during the Period 1st July to 31st December, 1964, 26.4.1965, NATO, C-M (65) 33; Kommuniqué Ministertagung Nordatlantikrat, 15.‑17.12.1964, Archiv Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpakt-Organisation Brüssel, , letzter Aufruf 12.1.2017; FO-internes Papier zu den Vortragspunkten des britischen Außenministers auf der NATO-Ministertagung vom 15. bis 17.11.1964, o.D., TNA, FO 371, 174759, Nr. 1072/92.

134

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

nachgelassen hätten.259 Erkin schien mit seinen Äußerungen auch andeuten zu wollen, dass die NATO-Treue der Türkei maßgeblich von den Militär- und Wirtschaftshilfen der westlichen Partner abhing. Der Ministerrat einigte sich schließlich darauf, die kollektiven Verteidigungshilfen für Griechenland und die Türkei im kommenden Jahr fortzusetzen.260 Kanada und die Bundesrepublik legten dagegen kein Veto ein. Die griechische und türkische Bündnistreue gewann dadurch an Stabilität. Allerdings entschärfte der Beschluss weder die Spannungen auf Zypern, noch verbesserte er das griechisch-türkische Missverhältnis. Vielmehr beklagte sich der türkische NATO-Botschafter noch vor dem Jahreswechsel bei Brosio, dass Griechenland nach wie vor Truppen und Kampfgerät nach Zypern und auf die entmilitarisierten Inseln vor der türkischen Küste verbracht hätte.261

9. Konsequenzen der Krise für die militärische Einsatzbereitschaft an der Südostflanke Neben den Gefahren für den politischen Zusammenhalt hatte der Konflikt auch handfeste Folgen für die Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses. Der Abzug des griechischen Personals bei HALFSEE und der SIXATAF führte dazu, dass das Meldesystem und die Nachrichtenübermittlung im Rahmen des NATO-Frühwarnsystems in der Region nicht mehr zuverlässig funktionierten. Im Falle einer Aggression vonseiten des Warschauer Paktes hätte dies bedeutet, dass die Kräfte der NATO und die amerikanische STRIKEFORSOUTH im Mittelmeer wertvolle Reaktionszeit verloren hätten. Dies war umso gefährlicher, als die Türkei mit dem Teilabzug ihrer NATO-assignierten Fliegerstaffeln eine vorübergehende Lücke in das regionale Luftverteidigungssystem des Bündnisses gerissen hatte.262 Schwerer noch wogen die Folgen für die Durchführung der geplanten NATOManöver »Deep Furrow« in Griechenland und der AMF-Übung »Eastern Express«263 in der Südosttürkei während der Sommermonate. Die Luftangriffe der türkischen Jagdbomber über Zypern, die Verletzungen des griechischen Luftraumes durch türkische Jäger, die Repressalien gegen die griechische Minderheit in der Westtürkei, das fortgesetzte Fehlen des griechischen Personals in den südöstlichen Kommandostäben des Bündnisses sowie nicht zuletzt das griechische Veto gegen die Durchführung der Übung »Eastern Express« bewogen die NATO-Mitgliedsstaaten schließlich dazu, beide Vorhaben abzusa-

259

260 261

262 263

Protokoll Konferenz NATO-Außen- und Verteidigungsminister vom 16.12.1964, 8.2.1965, NATO, C-R (64) 56; Protokoll Konferenz NATO-Außen- und Verteidigungsminister vom 16.12.1964, NATO, C-R (64) 57. Decision to Follow up the Requests by Greece and Turkey for a Special Defense Assistance for 1965, 18.12.1964, NATO, C-M (64) 135. Schreiben türkischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 22.12.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 1304/S-3806/B.119; Schreiben türkischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 22.12.1964, PA AA, B 26 IA4, Nr. 1304/S-3806/B.121. Váli, The Turkish Straits and NATO, S. 95. Näheres zur AMF-Übung »Easter Express« bei Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 219 und S. 265.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

135

gen.264 Für die militärische Schlagkraft und Einsatzbereitschaft der Südostflanke war das insofern gravierend, als das amphibische Manöver »Deep Furrow« eigentlich dem Zweck hätte dienen sollen, die Fähigkeit der NATO zu überprüfen, das Schlüsselgelände Thrakiens und der türkischen Meerengen gegen einen bulgarischen Angriff zu verteidigen.

10. Griechische Kompromissbereitschaft und neue Bedrohungen für die Allianz im Jahre 1965 Im Frühjahr 1965 stellte sich die Lage auf Zypern unverändert dar. Weder gab sich Makarios kompromissbereit, noch waren die türkisch-zypriotischen Führer gewillt, von ihrer Forderung nach föderativen Strukturen und geografischer Teilung der Insel abzuweichen.265 Dementsprechend zeichnete sich auch zwischen Ankara und Athen zunächst keine Entspannung ab. In der Sitzung des NATO-Rates am 10. Februar 1965 unterrichtete der türkische Delegierte Birgi die Versammlung ein weiteres Mal über einen bevorstehenden Angriff bewaffneter griechisch-zypriotischer Kräfte auf türkische Zyprioten.266 Er verwies abermals auf die Entschlossenheit der Türkei, militärisch einzuschreiten, um das Leben der türkischen Zyprioten zu schützen. Nichtsdestoweniger räumte er ein, dass seine Regierung diese Entscheidung nach wie vor als letztes Mittel betrachtete, sollten diplomatische Schritte erfolglos bleiben. Der griechische Delegierte Palamas suchte die Vorwürfe Birgis zu entkräften. In polemischer Anspielung auf die vormaligen sowjetischen Drohungen gegen die Türkei argumentierte er, dass es in der Vergangenheit stets türkische Interventionsdrohungen gewesen seien, die äußere Gefahren für das Bündnis heraufbeschworen hätten.267 Der griechische NATO-Botschafter appellierte an die Allianz, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um die Türkei an militärischen Schritten zu hindern. Birgi warf dem NAC vor, gegenüber dem Leid der türkischen Zyprioten teilnahmslos zu bleiben. Die übrigen NATO-Botschafter enthielten sich einer Stellungnahme. Sie waren der griechisch-türkischen Streitereien schlicht überdrüssig. Auch in der Debatte des Rates über die Ost-West-Beziehungen des Bündnisses lieferten sich die Vertreter Griechenlands und der Türkei einen rhetorischen Schlagabtausch.268 Der türkische NATO-Botschafter erklärte unverhohlen, dass der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko gegenüber der Türkei einen »unbestreitbaren Akt der Logik und Fairness« an den Tag gelegt hätte. Auf die pikierte Reaktion der anwesenden Mitglieder hin revidierte er seine Worte ein wenig. Er bekräftigte die Treue der türkischen Regierung zum Bündnis und suchte die NATO-Partner zu beschwichtigen. Ankara hätte seinen Worten nach lediglich die türkischen Beziehungen zur UdSSR in einer Weise normalisiert, wie dies auch Großbri264

265 266 267 268

Ebd., S. 325 und S. 328; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 21.8.1964, PA AA, B 150 IA4, Bd 35, VS-Bd 689, Nr. 1133; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 21.8.1964, PA AA, B 150 IA4, Bd 35, VS-Bd 689, Nr. 1137. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 8.2.1965, PA AA, B 26 IA4, Nr. 84/65. Protokoll NAC-Sitzung vom 10.2.1965, 19.2.1965, NATO, C-R (65) 6. Ebd. Protokoll NAC-Sitzung vom 24.2.1965, 3.3.1965, NATO, C-R (65) 9.

136

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

tannien und die USA in der Vergangenheit getan hätten. Palamas wiederum suchte die Darlegungen seines türkischen Kollegen ins Gegenteil zu verkehren. Er argumentierte zum Abschluss der Besprechung mit fortgesetzter Polemik und drohte an, dass auch Griechenland sich dem sowjetischen Gegner politisch annähern könne, wenn Ankara diesen Weg als geeignet betrachtete, seine Solidarität gegenüber der Allianz zu bekunden. Der Kreml setzte unterdessen seine »Freundschaftsoffensive« gegenüber der türkischen Regierung fort. Gromyko gab öffentlich bekannt, dass die UdSSR sich nunmehr gegen die Enosis und für einen »föderativen« Staatsaufbau Zyperns einsetze.269 Darüber hinaus stellte er der Türkei im März 1965 ein neues Hilfsangebot in Aussicht. Vor dem Hintergrund der prekären türkischen Haushaltslage zögerte die neue Regierung unter Suat Hayri Ürgüplü nicht, die sowjetischen Ambitionen für sich zu nutzen, um das Bündnis dazu zu drängen, sich der fiskalischen Probleme Ankaras anzunehmen. Der türkische Ministerpräsident äußerte gegenüber den NATO-Verbündeten, dass der Türkei im Grunde sehr daran gelegen sei, das sowjetische Angebot abzulehnen.270 Der akute Devisenmangel seines Landes ließe dies aber nur zu, wenn die Allianzmitglieder der Türkei umgehend Finanzhilfen gewährten und Militärgüter zur Verfügung stellten. Sein besonderes Augenmerk lag dabei auf deutschen oder amerikanischen Transferleistungen. In Bonn stieß die Forderung des türkischen Regierungschefs auf offene Ohren.271 Das Auswärtige Amt hielt die Ausrüstungshilfen für nützlich und notwendig. Staatssekretär Rolf Otto Lahr schrieb dem Bundestagsabgeordneten Rainer Barzel, dass den Zersetzungsversuchen des Ostblocks Tür und Tor geöffnet würden, wenn die Bundesrepublik der Türkei die Auslieferung von Wehrmaterial und die Auszahlung monetärer Hilfen verweigerte. Die deutschen Einschätzungen waren nicht unbegründet. Aus Sicht der NATO schien der Kreml den Konflikt zwischen den beiden südöstlichen NATO-Partnern nach Kräften zu schüren. Moskau umwarb die Türkei und verkaufte den griechischen Zyprioten zur selben Zeit sowjetische Boden-Luft-Raketen, die über Ägypten nach Zypern verbracht werden sollten.272 Obgleich die 6. US-Flotte deren Verbringung auf die Insel verhindern konnte, empörte sich Washington bei der griechischen Regierung darüber, dass eine Stationierung jener Lenkflugkörper auf Zypern geeignet sei, eine unkontrollierbare militärische Reaktion der Türkei hervorzurufen. Zwar hatte Athen im Vorfeld verhindert, dass Makarios Zugriff auf die Waffensysteme erhielt. Lediglich griechische, nicht aber griechisch-zypriotische Offiziere waren von sowjetischen Militärberatern in 269 270

271

272

Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 22.1.1965, PA AA, B 26 IA4, Nr. 28. Aufzeichnung Ministerialdirektor Meyer-Lindenberg, 23.3.1965, PA AA, B 150 IA4, VS-Bd 2450 (weitere Angaben n.b.), als Anm. 37 in: AAPD, 1965, Bd 1, Dok. 149, Staatsekretär Lahr an Abgeordneten Barzel, 25.3.1965, S. 618 f., hier S. 619. Aufzeichnung Ministerialdirektor Meyer-Lindenberg, 23.3.1965, PA AA, B 150 IA4, VS-Bd 2450 (weitere Angaben n.b.), als Anm. 37 in: AAPD, 1965, Bd 1, Dok. 149, Staatsekretär Lahr an Abgeordneten Barzel, 25.3.1965, S. 618 f., hier S. 619; AAPD, 1965, Bd 1, Dok. 149, Staatsek. Lahr an Abgeordneten Barzel, 25.3.1965, S. 611‑614. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 168 f.; Dodd, The History and Politics, S. 71; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 179, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 15.3.1965, ; ebd., doc.  180, Telegramm USBotschaft Athen an State Dep., 16.3.1965, , beide letzter Aufruf 12.1.2017.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

137

Kairo an den Flugabwehrgeräten ausgebildet worden. Nichtsdestoweniger verdächtigte Washington die griechischen Armeeangehörigen, den Sowjetoffizieren während der Unterrichtung eingestufte Informationen über den Einsatz und die Verwendung westlicher Flugabwehrraketen des Typs »Nike« verraten zu haben.273 Das State Department setzte Athen darüber in Kenntnis, dass diese Affäre die griechisch-amerikanischen Beziehungen auf eine harte Probe stelle. Dessen ungeachtet hatte der türkeifreundliche Kurs der KPdSU in Griechenland erhebliche Rückwirkungen. Der sowjetische Botschafter in Athen setzte den griechischen Premierminister offiziell darüber in Kenntnis, dass der Kreml die Enosis nicht länger unterstütze. Moskau war lediglich daran gelegen, den Beitritt Zyperns zur westlichen Allianz zu verhindern.274 Die Regierung Papandreou und die radikale Linke fühlten sich vor den Kopf gestoßen.275 Antisowjetische Tendenzen in der Bevölkerung stärkten die Opposition und die politische Stellung rechtsextremistischer Führungskreise innerhalb des Militärs. Der Sturz der Mitte-Links-Regierung Papandreous war nur noch eine Frage der Zeit. Die politische Entwicklung Griechenlands schien an dieser Stelle der späteren Machtübernahme des Militärs im Jahre 1967 bereits den Weg zu ebnen. Erzbischof Makarios konnte nun nicht mehr umhin, seiner Enttäuschung über die neue Politik Moskaus freien Lauf zu lassen.276 Er räumte gegenüber der amerikanischen Botschaft in Nikosia ein, dass nunmehr die Türkei in der Gunst des Kremls stünde. Georgios Papandreou distanzierte sich jetzt erstmals von den politischen Zielen des Erzbischofs. Der griechische Premierminister war sogar gewillt, einen Bruch mit Makarios zu vollziehen, sollte der Ethnarch noch immer zu keinen Kompromissen bereit sein.277 Papandreou wollte die fehlgeleitete Politik des zyprischen Staatsoberhaupts keinesfalls mehr mittragen. Die Rüstungsgeschäfte des Erzbischofs mit der Sowjetunion hatten die griechisch-amerikanischen Beziehungen erheblich strapaziert. Papandreou spielte daher mit dem Gedanken, seine Beziehungen zu Nikosia aufzukündigen und die griechischen Truppen von der Insel abzuziehen. Es stand für ihn außer Frage, dass er in der Enosis realitätsbezogener agieren musste, wollte er Griechenland nicht in eine politische Sackgasse führen.278 Dementsprechend schloss er künftige Verhandlungen mit der Türkei ohne Rücksicht auf Makarios nicht mehr aus. Ankara wiederum nahm Gromykos Äußerungen zu Zypern mit Wohlwollen auf.279 Die Zeichen standen günstig, mit Hilfe des neuen sowjetischen Kurses eine Lösung für die Insel im türkischen Sinne aushandeln. Die Türkei sah sich in ihrem nationalen Selbstwertgefühl gestärkt. Ankara hatte seinen politischen Stellenwert ohne Hilfe des amerikanischen Verbündeten erhöht und trat Washington gegenüber mit neuem Selbst273

274 275 276 277 278 279

Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 168 f.; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 180, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 16.3.1965, , letzter Aufruf 12.1.2017. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S.  168; Drahtbericht bdt. Botschaft Moskau an AA, 20.8.1964, PA AA, B 150 IA4, Bd 35, VS-Bd 689, Nr. 2211/64. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 28.1.1965, PA AA, B 26 IA4, Nr. 114/65. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 171, Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 23.1.1965, , letzter Aufruf 12.1.2017. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 168. Ebd., S. 182. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 29.1.1965, PA AA, B 26 IA4, Nr. 175/65.

138

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

bewusstsein auf.280 Die starre Westbindung der 1950er Jahre gehörte der Vergangenheit an. Die türkische Staatsführung knüpfte jetzt an die autonome Politik an, die seinerzeit unter Atatürk geherrscht hatte. Der Besuch des neuen sowjetischen Sekretärs des Zentralkomitees der KPdSU, Nikolaj Podgornyj, stellte für die Türkei daher ein sprichwörtliches Symbol ihrer neuen Emanzipation dar.281 Für die NATO bedeutete dies lediglich eine neue Zwangslage. Zwar war das Risiko einer türkischen Militärintervention und damit auch die Gefahr eines bündnisinternen Krieges gesunken. Nichtsdestoweniger war es Moskau gelungen, seinen Einfluss in der Zypernfrage erheblich zu erweitern. Ferner hatte der Kreml das griechische-amerikanische Verhältnis mit der Affäre um die sowjetischen Boden-Luft-Raketen empfindlich gestört und zur selben Zeit die türkische Bindung an den Westen gelockert. Ankara wiederum setzte die Allianz mit seiner Forderung nach neuen Verteidigungshilfen unter Druck. Wenn die westlichen Verbündeten die türkischen Belange weiterhin ignorierten, liefen sie Gefahr, dass sich die Türkei von der NATO löste. Moskau würde dann über kurz oder lang seine Ziele erreichen. Unabhängig davon, ob der griechische Partner sich in einem solchen Fall wieder fester an die Allianz band oder gleichfalls einen neutralistischen Kurs einschlug, war zu erwarten, dass das Bündnis seine Südostflanke verlor: Weder würde die NATO dann noch länger die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen kontrollieren, noch könnte die Militärorganisation dann weiterhin Stützpunktrechte auf türkischem Boden nutzen, um die sowjetischen Truppenbewegungen von Süden her radar- und flugtechnisch zu überwachen. Auch würde eine solche Entwicklung den Aktionsradius der 6. US-Flotte im östlichen Mittelmeer empfindlich beschneiden. Mit dem Verlust der Türkei als Brücke zum Nahen und Mittleren Osten würde Moskau zudem seinen Einfluss im Vorderen Orient ungehindert ausweiten können.

11. Maßnahmen der NATO zur Lösung des Konflikts Im April 1965 beschwerte sich das griechische Außenministerium über türkische Repressionen.282 Athen setzte die Botschafter der NATO-Mitgliedsstaaten darüber in Kenntnis, dass Staatspräsident Cemal Gürsel die in Istanbul verbliebenen Griechen aufs Neue drangsalierte und mit deren Zwangsausweisung drohte. Daneben klagte die griechische Führung über Manöverübungen der türkischen Streitkräfte, bei denen türkische Luftfahrzeuge wiederholt den griechischen Luftraum über der Ägäis verletzt hätten. Die griechische Regierung empörte sich darüber umso mehr, als Außenminister Kostopoulos zwischenzeitlich signalisiert hatte, mit der Türkei einen Kompromiss über Zypern aushandeln zu wollen. Als Antwort auf die griechischen Beschwerden nahm US-Außenminister Dean Rusk mit seinem türkischen Amtskollegen Hasan Esat Işık Verbindung auf. Letzterer sicherte dem amerikanischen Politiker zu, dass Ankara bereit sei, mit Griechenland wieder in Dialog zu treten. 280 281 282

Ebd.; Váli, Bridge across the Bosporus, S. 177. Ebd. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 13.4.1965, PA AA, B 26 IA4, Nr. 140.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

139

Auf Antrag des griechischen NATO-Vertreters rief Brosio den NAC zwischenzeitlich zu einer neuen Sondersitzung ein.283 Palamas trug in moderatem Ton den Inhalt seiner Klagen vor. Sein türkischer Kollege Birgi leugnete die Vorwürfe nicht, stellte diese aber als Folge des zerrütteten griechisch-türkischen Verhältnisses dar. Trotzdem war die Türkei gewillt, ihr Verhältnis zu Athen zu verbessern und einen friedlichen Ausgleich zu suchen. Die Kompromissbereitschaft beider Seiten ermutigte auch die übrigen Mitglieder zu neuen Initiativen. Wie ihre Vorgänger in den 1950er Jahren appellierten sie mit Nachdruck an Griechenland und die Türkei, den gemeinsamen Bündniszweck vor individuelle Belange zu stellen. Sie suchten kollektiven Druck auf ihre beiden Partner auszuüben, externen Akteuren wie Erzbischof Makarios oder der Sowjetunion nicht länger zu erlauben, ihre bilateralen Beziehungen zu gefährden. Die Außenminister Griechenlands und der Türkei sollten vielmehr die Gelegenheit nutzen, um im Rahmen der anstehenden NATO-Ministerkonferenz in London miteinander in Verbindung zu treten. Noch am selben Tag appellierte auch Brosio an die griechische und türkische Regierung, auf der Ministerratstagung einen neuen Dialog zu beginnen.284 Ferner sollten beide Seiten von jeglichen Maßnahmen absehen, welche die Lage wieder verschärfen könnten. In Nikosia sorgte das Vorgehen der Allianz währenddessen für Unruhe. Makarios reiste eilig nach Athen, um zu verhindern, dass die griechische Regierung ihren Außenminister ermächtigte, mit seinem türkischen Kollegen substanzielle Gespräche über die Zukunft Zyperns zu führen.285 Der Erzbischof schien sich jedoch seiner geschwächten Stellung bewusst zu sein. Er konnte im Lichte der neuen Entwicklungen nur erfolgreich sein, wenn er und seine Anhänger die türkischen Zyprioten nicht länger behelligten. Dementsprechend verhielten sich die griechischen Zyprioten in diesen Tagen sehr zurückhaltend gegenüber ihren türkischstämmigen Landsleuten.286 Am 3. Mai gewährten sie der türkischen Volksgruppe in der Hauptstadt wieder volle Bewegungsfreiheit und stellten sämtliche Scharmützel und Zwischenfälle ein. Die Lage auf der Insel entspannte sich spürbar. Brosio schickte sich unterdessen an, beide Außenminister zu Verhandlungen zu drängen.287 Er beabsichtigte, auf Işık einzuwirken, um das antigriechische Gebaren Ankaras zu zügeln. State Department und Foreign Office unterstützten ihn. London und Washington wiesen ihre Botschafter in der griechischen Hauptstadt an, Papandreou wegen der Vorfälle in der Ägäis zu beschwichtigen und ihn abermals vom Nutzen griechischtürkischer Gespräche auf der anstehenden Ministerkonferenz der NATO in London zu überzeugen.288

283 284

285 286 287 288

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 27.4.1965, TNA, DO  220, 168, Nr. 112. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 27.4.1965, TNA, DO  220, 168, Nr. C/072/91; Kopie Briefentwurf Brosio an Palamas und Birgi, 23. 4.1965, NATO, PO (65) 224, in: TNA, DO 220, 168 (Originaldokument im NATO-Archiv noch unter Verschluss). Telegramm britische Botschaft Nikosia an CRO, 3.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 648. Ebd.; Situation Report (SitRep) britische UN-Truppe an Commonwealth Relations Office (CRO), 3.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 657. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 4.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 125. Telegramm FO an britischen Botschafter Athen, 3.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 630.

140

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

Nach anfänglicher Skepsis gab sich der griechische Premierminister aufgeschlossen.289 Zwar bemängelte er gegenüber dem britischen Botschafter, dass die Türken bisher keine Anstalten unternommen hätten, von ihren Drohgebärden Abstand zu nehmen. Gleichwohl war seine Regierung bereit, mit Ankara in Verhandlungen zu treten. Die Türkei ihrerseits war mit dem Vorhaben einverstanden. Das türkische Außenministerium bestand lediglich darauf, dass das Londoner und Züricher Abkommen über Zypern weiterhin seine Gültigkeit behielte.290 Unter dieser Bedingung war Ankara gewillt, sein Verhältnis zu Athen auf eine neue Basis zu stellen. Die Frühjahrstagung des Ministerrats der NATO stand nicht nur im Zeichen der griechisch-türkischen Verhandlungen. Vielmehr spitzte sich die langjährige innere Krise zwischen den führenden Bündnismitgliedern Frankreich und den Vereinigten Staaten zu. Die gegensätzlichen Positionen zwischen Washington und Paris um Fragen der nuklearen Teilhabe und der Konsultation im Bündnis traten immer offener zutage.291 Frankreich erblickte in der Allianz nur mehr ein reines Instrument amerikanischer Interessen und drohte, die NATO zu verlassen oder sich zumindest aus den integrierten Militärstrukturen zurückzuziehen.292 Der Quai d’Orsay setzte Washington auf nahezu allen Ebenen Widerstand entgegen und stellte die Bündnissolidarität auf eine harte Probe.293 Gleichzeitig sah sich die amerikanische Führungsmacht genötigt, wegen des Vietnamkrieges weitere Truppen aus Europa abzuziehen und dadurch neuen Unmut unter den Europäern zu entfachen.294 Angesichts des Missverhältnisses mit Washington hielt sich Paris nicht länger mit offener Kritik an der amerikanischen Politik in Fernost zurück und nahm sogar neue Handelsbeziehungen zu Hanoi auf.295 Der Krieg in Südostasien drohte die NATO regelrecht zu spalten. Folglich fand die griechisch-türkische Frage trotz ihrer Brisanz zunächst nur begrenzte Aufmerksamkeit.296 Mit Ausnahme des kanadischen Außenministers Paul Martin, der die Zypernfrage wegen der kanadischen Beteiligung an UNFICYP erwähnte, hielten sich die anwesenden Staatsmänner mit Äußerungen und Stellungnahmen zur Südostflanke einstweilen bedeckt.297 Lediglich Dean Rusk widmete sich am Rande der Tagung seinem griechischen Amtskollegen.298 Er schlug vor, die Botschafter beider Staa289 290 291 292

293 294 295 296 297 298

Telegramme britischer Botschafter Athen an FO, 29.4. und 5.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 355 und Nr. 383. Besprechungsprotokoll britischer Außenminister mit US-Under Secretary, (?).5.1965, TNA, DO 220, 168 (nur als Aktenfragment vorhanden). Schwartz, Lyndon Johnson and Europe, S. 92—139. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 13 f., beschreibt die 1960er Jahre für die NATO allgemein als »Dekade der Krise«. Wenger, The Politics of Military Planning, S. 178; AAPD, 1965, Bd 2, Dok. 220, Drahtbericht bdt. Botschafter Washington an AA, 24.5.1965, S. 896‑898, hier: S. 897 f. Zu den tieferen Hintergründen und Folgen des französischen Austritts aus den integrierten Bündnisstrukturen sei erneut auf folgende Literatur hingewiesen: Reyn, Atlantis Lost; Locher, Crisis? What Crisis?; Kaplan, NATO and the United States, S. 77‑129; und Eznack, Crises in the Atlantic Alliance. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 14 f. Kaplan, McNamara, Vietnam and the Defense of Europe, S. 286‑300. Bericht Nr.  I/1965, DMV an BMVg, Lage aus Sicht der NATO-Arbeit des DMV, 15.5.1965, BArch, BW 3 1594. Dies geht aus den NATO-Sitzungsprotokollen hervor. Protokoll Sitzung NATO-Ministerrat vom 11.5.1965, 21.6.1965, NATO, C-R (65) 21. Hierzu FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 190, Telegramm Dean Rusk an State Dep., 13.5.1965, , letzter Aufruf 12.1.2017.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

141

ten zu beauftragen, vor der Aufnahme weiterer Verhandlungen die wichtigsten Detailfragen zu diskutieren. Am 12. Mai 1965 gelangte das Thema schließlich in der Ratssitzung zur Sprache.299 Sowohl Außenminister Kostopoulos als auch sein türkischer Amtskollege Işık bemühten sich um ein gemäßigtes Auftreten. Işık ging zunächst auf das türkisch-sowjetische Verhältnis ein, um den Argwohn der Verbündeten zu zerstreuen. Er ließ es sich zwar nicht nehmen, die Beziehungen zwischen Moskau und Ankara positiv herauszustellen. Jedoch suchte er die Verbündeten davon zu überzeugen, dass das neue Verhältnis zu Moskau die türkische NATO-Mitgliedschaft nicht im Mindesten beeinträchtige. Nachdem er die Bündnissolidarität seines Landes bekundet hatte, kam er unmittelbar auf das Hauptanliegen der Türkei zu sprechen. Die militärische Lage an der Südostflanke befand sich seinem Urteil nach in bedenklichem Zustand. Işık appellierte an die NATO, zügige Entscheidungen über die Zuweisung neuer Rüstungshilfen an die südlichen Flankenpartner zu treffen. Erst dann wandte er sich der Zypernfrage zu. Er berichtete über konstruktive Gespräche300 mit seinem griechischen Kollegen. Lediglich der Verbleib der griechischen Truppen auf Zypern bereitete Ankara nach wie vor Sorgen. Auch Kostopoulos lenkte sein Augenmerk zunächst nicht auf die Zypernfrage, sondern kam wie der türkische Minister auf die Militärhilfen des Bündnisses zu sprechen. Athen benötigte die materielle Unterstützung seiner westlichen Verbündeten dringender denn je. Der griechische NATO-Botschafter Christos Palamas hatte am 16. April 1965 ein Schreiben an Brosio mit dem Aufruf gerichtet, noch im laufenden Jahr NATOFinanzmittel von mindestens 23 Mio. US-Dollar bereitzustellen, um den nötigsten Bedarf der griechischen Streitkräfte decken zu können.301 Dementsprechend unterstützte Kostopoulos die Forderung seines türkischen Amtskollegen nach Kräften. Griechenland erwartete mit Ungeduld die Beratungen des Militärausschusses zur strategischen Lage an der Südflanke und bestand in Fragen solidarischer Rüstungshilfen auf einer schnellen Lösung.302 Zu Zypern äußerte sich Kostopoulos dagegen moderat. Wenngleich Griechenland eine direkte Beteiligung der NATO in der Angelegenheit ablehnte, legte Athen besonderes Augenmerk auf den konstruktiven Dialog mit seinem türkischen Bündnispartner. In Fragen der kollektiven Militärhilfen herrschte zwischen Ankara und Athen ein augenfälliger Konsens. Die Finanzierung ihres Streitkräftebedarfs besaß für Griechenland und die Türkei einen derart hohen Stellenwert, dass deren Außenminister diesem Gegenstand augenblicklich höhere Priorität beimaßen als dem Zankapfel Zypern. Der griechisch-türkische Dialog war auf der Tagung dementsprechend wieder zu neuem Leben erwacht. Weder Kostopoulos noch Işık hatten sich »säbelrasselnder« Rhetorik oder polemischer Äußerungen bedient; sie waren sich mit Respekt begegnet. Gegenüber der NATO aber hatten beide Verbündete dargelegt, dass die Einhaltung ihrer Bündnispflich299 300 301 302

Protokoll Sitzung NATO-Ministerrat vom 12.5.1965, 22.6.1965, NATO, C-R (65) 22; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 671. Der Bericht über den Inhalt der Gespräche liegt im NARA noch unter Verschluss. Schreiben griechischer Ständiger Vertreter (NATO) an NATO-Generalsekretär, 16.4.1965, NATO, PO (65) 227. Protokoll Sitzung NATO-Ministerrat vom 12.5.1965, 22.6.1965, NATO, C-R (65) 22; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 12.5.1965, TNA, DO 220, 168, Nr. 671.

142

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

ten handfester Rüstungstransfers bedürfe. Obgleich keiner der beiden dies offen aussprach, hing davon letzten Endes auch deren Treueverhältnis zur Allianz ab. Auf der Konferenz hielten sich die Mitgliedsstaaten mit konkreten Zusagen bedeckt. Daher verlieh die türkische Regierung ihrer Forderung in den Folgewochen Nachdruck. Die prekäre Finanzlage veranlasste Ankara, Außenminister Gromyko am 17. Mai in die türkische Hauptstadt einzuladen, um die türkisch-sowjetischen Handelsbeziehungen zu intensivieren.303 Die Reaktion des Bündnisses ließ diesmal nicht lange auf sich warten. Bonn handelte sofort. Bereits am 30.  Juni 1965 beschloss das Bundeskabinett im Eilverfahren, der Türkei vorzeitige Verteidigungshilfen in Höhe von 50 Mio. DM zu gewähren, die auf künftige Militärhilfen im NATO-Rahmen angerechnet werden sollten.304 Im Juli wiederum einigten sich die Verteidigungsminister der NATO-Mitgliedsstaaten einvernehmlich darauf, den Beschluss über die Wiederaufnahme der Rüstungshilfen an Griechenland und die Türkei vom Dezember 1964 zügig umzusetzen.305 Diejenigen Staaten, die zu Auszahlungen bereit waren, sollten ihre Transferleistungen an Griechenland und die Türkei umgehend in die Wege leiten. Die NATO hatte erkannt, dass der Grad der Allianzbindung ihrer beiden südöstlichen Partner eng an das Zugeständnis multilateraler Verteidigungshilfen geknüpft war. Der griechisch-türkische Konflikt zog für die NATO an dieser Stelle insofern empfindliche Folgen nach sich, als beide Mitglieder ihrer Enttäuschung über die Haltung des Bündnisses in der Zypernfrage freien Lauf ließen und dementsprechend neue Anreize für den Preis ihrer Bündnistreue einforderten. In der zweiten Jahreshälfte 1965 standen die Zeichen für die NATO günstig, den Dialog ihrer zerstrittenen Bündnispartner am Leben zu erhalten. Athen hatte sich von der Enosis distanziert und war zu Verhandlungen mit der Türkei bereit.306 In Anbetracht seiner schwierigen Lage stimmte auch Makarios widerwillig griechisch-türkischen Verhandlungen zu.307 Die griechische Regierung nahm mit dem türkischen Botschafter noch im Juni 1965 erste Gespräche auf.308 Im Juli aber stockten die Verhandlungen aufs Neue. Im NATO-Rat wiederum lieferten sich der griechische und türkische Vertreter abermals Wortgefechte, wenngleich der Ton diesmal moderat blieb.309 Politisch bedeutete die Entwicklung für Papandreou ein Desaster. Die fehlende Erfüllung seines Wahlversprechens über die Enosis kostete den Premierminister und sein Kabinett das Amt.

303 304

305 306 307

308 309

AdG, 35 (1965), 22.5.1965, S. 11868. Drahterlass AA an bdt. Ständigen Vertreter (NATO), 22.7.1965, PA AA, B 150 IIA7, VS-Bd 904, (weitere Angaben n.b.); auch als Anm. 4 abgedr. in: AAPD, 1965, Bd 3, Dok. 451, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 8.12.1965, S. 1863 f., hier: S. 1863. Recommendation on Defence Aid to Greece and Turkey, 2.6.1965, NATO C-M (65) 48. AA-interne Stellungnahme, Ref. I A4 an Ref. II A7, 6.7.1965, PA AA, B 26 IA4, Nr. 140. FRUS, 1964‑1968, vol.  16, doc.  193, Protokoll US-Außenminister mit zypriotischem Außenminister, 10.6.1965, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 192, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 1.6.1965, , letzter Aufruf 12.1.2017. Protokoll NAC-Sitzung vom 7.7.1965, 13.7.1965, NATO C-R (65) 32.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

143

Die konservative Regierung unter seinem Nachfolger Stephanos Stephanopoulos trat ein schweres politisches Erbe an.310 Auch in den Folgemonaten waren keine inhaltlichen Fortschritte erkennbar. Zwar hatten die gewalttätigen Unruhen ein vorläufiges Ende gefunden. Makarios und die griechischen Zyprioten ließen jedoch keinen Versuch ungenutzt, Athen weiterhin von Zugeständnissen an die türkische Seite abzuhalten. Türkische Zyprioten forderten unterdessen energisch die Teilung der Insel.311 Trotz der ungelösten Fragen entspannte sich die Lage an der Südostflanke spürbar. Obgleich der griechische NATO-Botschafter neue Verletzungen des griechischen Luftraumes durch türkische Jäger anmahnte, verliefen die Debatten im NATO-Rat sichtlich entspannter.312 In der NAC-Sitzung des 29. September legte der niederländische Delegierte Griechenland und der Türkei nahe, nicht zu sehr auf ihren Rechten zu bestehen, sondern stattdessen im Sinne des gemeinsamen Bündnisinteresses zu handeln. Die Tagung des NATO-Ministerrats im Dezember 1965 ließ eine neue Richtung erkennen.313 Ungeachtet der wechselseitigen Vorwürfe bekräftigten der griechische und der türkische Außenminister ihre Bereitschaft, den begonnenen Dialog fortzuführen und ihr zerrüttetes Verhältnis trotz der ungelösten Streitfragen um Zypern nachhaltig verbessern zu wollen.

12. Zwiespältige Haltungen der Mitgliedsstaaten in der Frage nach Militärhilfen für Griechenland und die Türkei Noch während der laufenden Dezembertagung des Ministerrats rief Brosio die NATOBotschafter ohne den griechischen und türkischen Vertreter zusammen, um gemeinschaftlich über die kollektive Verteidigungshilfen an beide Mitglieder zu debattieren.314 Er legte den Anwesenden seinen Bericht vor. Aus dem Papier ging hervor, dass mit Ausnahme der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik Deutschland bislang kein anderes NATO-Mitglied bereit war, sich an den fortgesetzten Hilfsleistungen für Griechenland und die Türkei mit einem eigenen Beitrag zu beteiligen. Die Mitgliedsstaaten argumentierten, dass Ankara und Athen zwar Erklärungen abgegeben hätten, wonach sie die erhaltenen Leistungen ausschließlich zum Zwecke der Bündnisverteidigung verwendeten. Die Mitglieder warfen den beiden Flankenpartnern aber vor, ihre Rüstungshilfen zu missbrauchen, um sich gegenseitig militärisch zu bedrohen. Noch etwas Weiteres kam hinzu: Griechenland und die Türkei mussten sich den Vorwurf gefallen lassen, die monetären Zuweisungen in erster Linie dazu zu verwenden, ihre fiskalischen Haushalts310 311 312 313 314

Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 171. Protokoll NAC-Sitzung vom 17.9.1965, 1.10.1965, NATO, C-R (65) 39; Pressebericht General-Anzeiger, 18.8.1965, hinterlegt in: PA AA B 26 IA4. Protokoll NAC-Sitzung vom 17.9.1965, 1.10.1965, NATO, C-R (65) 39; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 1.10.1965, PA AA B 26 IA4, Nr. 20-92.43-0/65. Protokoll Sitzung Ministerrat vom 15.12.1965, 11.2.1966, NATO, C-R (65) 54. AAPD, 1965, Bd 3, Dok. 451, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 8.12.1965, S. 1863 f.

144

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

defizite auszugleichen.315 Der bundesdeutsche NATO-Delegierte Wilhelm Grewe und sein amerikanischer Kollege Harlan Cleveland widersprachen dieser Auffassung. Neben der Notwendigkeit, Militärhilfen zur Sicherung und Verteidigung der Südostflanke zu gewähren, waren die Unterstützungsleistungen ihrer Meinung nach unabdingbar, um die beiden Partner fester an die Allianz zu binden und sie vor unüberlegten Schritten zu bewahren. Am 15.  Dezember gelangte das Thema im Kreise der Außen- und Verteidigungsminister zur Sprache. Angesichts der Gefahr des türkischen Abdriftens hob Brosio den bündnispolitischen Wert der Verteidigungshilfen hervor und verwies auf deren Bedeutung zur Stärkung des inneren Zusammenhalts.316 Der ehemalige griechische NATOBotschafter und nunmehrige Finanzminister Michael Melas und der türkische Verteidigungsminister Ahmet Topaloğlu stützten die Ausführungen des Generalsekretärs. Beide unterstrichen die finanziellen und militärischen Bedürfnisse ihrer Staaten. Auch Bundesverteidigungsminister Kai-Uwe von Hassel pflichtete ihren Aussagen bei. Aus deutscher Sicht waren die Militärhilfen für die Aufrechterhaltung der Bündnissolidarität unerlässlich. Hassel hob dabei die bereits erbrachte Leistung Bonns hervor.317 US-Außenminister Rusk und sein kanadischer Kollege Martin schlossen sich den Worten des deutschen Politikers an.318 Washington stellte sogar in Aussicht, das Projekt der »Military Assistance« notfalls auf unilateralem Wege fortzusetzen, und forderte die übrigen Partner auf, dem Anliegen der beiden südöstlichen Bündnispartner zu entsprechen. Es war offenkundig, dass die amerikanische Regierung darauf abzielte, den sowjetischen Einfluss auf die Türkei nach Kräften zu schmälern. Auch der französische Verteidigungsminister Pierre Messmer und sein italienischer Amtskollege Giulio Andreotti bekundeten ihr Interesse an einer stabilen Südflanke. Beide Staaten waren jetzt willens, ihren Beitrag zu den fortgesetzten Rüstungshilfen zu leisten. Der britische Verteidigungsminister Denis Healey äußerte sich dagegen skeptisch. London bestand darauf, dass ein solcher Beschluss keine bindenden Zahlungsverpflichtungen für die Mitglieder enthalten dürfe. Healeys Amts315

316 317

318

Hierzu die Aufzeichnung AA, Ref II A7 vom 7.12.1965, PA AA, B 150 IIA7, VS-Bd 904 (weitere Angaben n.b.): »dass Griechenland und die Türkei in erster Linie finanzielle Unterstützung zur Deckung ihrer Haushaltsfehlbeträge benötigen. Sie erwarten daher entweder Budgethilfe oder solche Zivilgüter, die durch den Verkauf auf dem Inlandsmarkt Drachmen oder türkische Pfunde erbringen.« Auch als Anm. 7 abgedr. in: AAPD, 1965, Bd 3, Dok. 451, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 8.12.1965, S. 1863 f. Protokoll Sitzung Ministerrat vom 15.12.1965, 8.2.1966, NATO, C-R (65) 53. Ebd.; AAPD, 1966, Bd  1, Dok.  44, Drahterlass AA an bdt. Ständigen Vertreter (NATO), 23.2.1966, S. 207 f., hier: Ministerialdirigent Hans Hellmuth Ruete (AA) schrieb hierzu später an Grewe: «Entgegen der Auffassung der Regierungen einiger NATO-Mitgliedsstaaten hat die Bundesregierung stets den Standpunkt vertreten, dass der Zypernkonflikt keinen Anlass geben sollte, die in Übereinstimmung mit Artikel 3 des Nordatlantik-Pakt-Vertrages an Griechenland und die Türkei zur Stärkung der Südostflanke der NATO gerichtete Verteidigungshilfe auszusetzen oder einzustellen. Die Bundesregierung hat sich dabei von der Überzeugung leiten lassen, dass eine Fortführung der NATO-Verteidigungshilfen geeignet sein werde, bei den Partnerstaaten – und zwar bei Regierung und Bevölkerung – das Gefühl der Zugehörigkeit zu einem gemeinsamen, für den Bestand beider Länder gleich bedeutungsvollen Bündnissystem zu stärken, und eine Grundlage für das Bemühen um eine friedliche Auseinandersetzung über die aus der Zypernfrage resultierenden Gegensätze zu schaffen.« Ruetes Stellungnahme entsprach allerdings mit Blick auf die zeitweise Aussetzung bundesdeutscher Militärhilfen nicht ganz den Tatsachen. Protokoll Sitzung Ministerrat vom 15.12.1965, 8.2.1966, NATO, C-R (65) 53.

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

145

kollegen aus den Beneluxstaaten sowie die nordischen Verbündeten enthielten sich einer Stellungnahme. Sie legten zwar kein Veto gegen eine fortgesetzte Unterstützung der Mittelmeerpartner ein. Ihr Schweigen ließ jedoch auf mangelnde Bereitschaft schließen, sich an der Wiederaufnahme der Hilfsleistungen beteiligen zu wollen. Die Minister einigten sich schließlich darauf, ihre NATO-Botschafter mit einem neuen Plan für die Zuweisung von Verteidigungshilfen an beide Länder zu betrauen.319 Das Bündnis setzte sich nunmehr gemeinschaftlich zum Ziel, möglichst viele seiner Mitglieder dazu zu bewegen, sich dem Vorhaben mit einem eigenen Beitrag anzuschließen. Dennoch war nicht zu verkennen, dass einige Mitgliedsstaaten den Forderungen Griechenlands und der Türkei abwehrend gegenüberstanden. Es widerstrebte ihnen, dass die beiden Flankenpartner ihre Bündnistreue und Kohäsion an monetäre und materielle Hilfsleistungen knüpften. Ihre mangelnde Zahlungsbereitschaft sollte sich im Folgejahr bestätigen. Der britische, niederländische und luxemburgische Verbündete stimmten auf der Ministerratssitzung vom 4.  Mai 1966 zwar der solidarischen Notwendigkeit fortgesetzter Militärhilfen der NATO zu.320 Jedoch verweigerten sie Griechenland und der Türkei finanzielle Beiträge aus ihren nationalen Budgets. Der Fehlbetrag der kleineren, aber wirtschaftsstarken Mitgliedsstaaten war jedoch nicht zu unterschätzen. 1965 hatte allein das Königreich Belgien rund 1  Mio. US-Dollar an Militärhilfen an Griechenland ausbezahlt.321 Auch die Niederlande und Luxemburg hatten sich unter den Geldgebern befunden. Verglichen mit dem amerikanischen Beitrag von rund 5  Mio. USDollar mussten sich künftig fehlende Leistungen der kleineren Mitglieder in der Summe schmerzhaft bemerkbar machen. Hier offenbarten sich die Spätfolgen der griechisch-türkischen Auseinandersetzungen: Die ohnehin unterschwellige Konkurrenz zwischen den militärischen Bedarfsträgern der Nord- und der Südflanke der NATO322 sowie die wachsende Zahlungsunwilligkeit der wirtschaftsstärkeren Mitglieder hatten sich durch die Ereignisse an der Südostflanke noch verstärkt.323 Die kleineren west- und nordeuropäischen Mitglieder waren nur noch ungern bereit, ihre Solidarität gegenüber den südöstlichen Verbündeten durch finanzielle und materielle Zugeständnisse zu unterstreichen, wenn diese aus Sicht der Geldgeber Militärmaterial der NATO zweckentfremdeten, ihr Personal unangekündigt aus den integrierten Stäben abzogen und sich wirtschaftlich und politisch der Sowjetunion annäherten.

319

320 321 322 323

Ebd.; Kommuniqué Ministertagung Nordatlantikrat, 14.‑16.12.1965, Archiv Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpakt-Organisation Brüssel, , letzter Aufruf 12.1.2017. Protokoll Sitzung Ministerrat vom 4.5.1966, 10.5.1966, NATO, C-R (66) 16. AAPD, 1964, Bd  1, Dok.  114, AA-Aufzeichnung Ministerialdirektor Krapf über Verteidigungshilfe an Griechenland, 28.4.1964, S. 493‑495. Näheres zur Konkurrenz der Flanken siehe Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 156. Das Thema der Lastenteilung in der NATO stellt derzeit noch ein weitgehendes Forschungsdesiderat dar. Mit Ausnahme Helmut Hammerichs, der sich dieser Problematik für den Zeitraum zwischen 1949 und 1954 widmet, hat sich damit lediglich Bernd Lemke im Rahmen seiner Arbeit zur AMF ansatzweise befasst: Hammerich, Jeder für sich und Amerika gegen alle?; Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 197‑203.

146

IV. Der zweite griechisch-türkische Konflikt

13. Fazit Obwohl das griechisch-türkische Problem auf der Ministertagung im Frühjahr nur begrenzten Widerhall gefunden hatte, konnte die NATO doch noch einen mittelfristigen Erfolg verbuchen. Die Gefahr eines militärischen Schlagabtausches hatte sich vor dem Hintergrund des bilateralen Dialoges auf ein Minimum reduziert. Die Aussicht auf neue Verteidigungshilfen schien hier eine maßgebliche Rolle gespielt zu haben. Im Lichte der Abhängigkeit von den Rüstungsgütern und Geldmitteln der übrigen Allianzmitglieder behandelten beide Bündnispartner ihre Auseinandersetzung sachbezogener, wenngleich die Spannungen auf Zypern nur oberflächlich an Schärfe verloren hatten. Faktisch war der Erfolg aber nur in zweiter Linie der NATO zuzuschreiben. Paradoxerweise hatte vor allem Moskau mit seiner janusköpfigen Politik indirekt und ungewollt zur Entschärfung des Inselkonflikts beigetragen. Der zweigleisige Kurs der Sowjetunion, die Türkei zu umwerben und die griechischen Zyprioten politisch im Stich zu lassen, Makarios aber zeitgleich Flugabwehrraketen zu verkaufen, hatte den Ethnarchen in letzter Konsequenz seiner militärischen Unterstützer und Fürsprecher in Athen beraubt. Das Kabinett Papandreous und seine gemäßigte Nachfolgeregierung unter Stephanos Stephanopoulos konnten es sich aus ihrer Wahrnehmung heraus nicht leisten, ihre Beziehungen zu Washington zu gefährden, während die Sowjetunion sich zur selben Zeit um die Gunst der türkischen Erbfeindin bemühte. In Anbetracht des Verlusts seiner Schutzpatrone in Moskau und Athen konnte der Erzbischof schließlich nicht mehr umhin, seine Politik gegenüber den türkischen Zyprioten zu mäßigen und sich griechischtürkischen Verhandlungsgesprächen nicht mehr kategorisch in den Weg zu stellen. Dies wiederum erklärte auch die gestiegene Dialogbereitschaft der griechischen Regierung. Global betrachtet hatte somit der Kalte Krieg die Krise entspannt. Die Rückwirkungen des Konflikts auf die äußere Haltung Griechenlands und der Türkei zur NATO waren 1965 insgesamt gering. Mit Blick auf die Türkei waren die Konsequenzen für den inneren Zusammenhalt dagegen besorgniserregend. Es war der Sowjetunion zwar nicht gelungen, das Bündnis an der Südostflanke zu spalten und Ankara von der NATO zu lösen. Die Versuche Moskaus, die türkische Regierung über finanzielle Anreize von der Allianz schrittweise zu trennen, hatten sich dem äußeren Ergebnis nach als erfolglos erwiesen. Die Türkei hatte öffentlich ihre fortgesetzte Treue zum Bündnis unterstrichen. Der innere Zusammenhalt aber hatte einen ernstzunehmenden Schlag erhalten. Wenn Bündnistreue und Kohäsion sich im Wesentlichen über finanzielle Erfordernisse und Zugeständnisse definierten, konnte dies für die kommenden Jahre und Jahrzehnte eine gefährliche Entwicklung bedeuten. Wenn Ankara seine NATO-Bindung nur noch an materielle Bedingungen knüpfte und seine Verbündeten unter dem Vorwand unter Druck zu setzen suchte, sowjetische Hilfsangebote nur gegen kollektive Rüstungs- und Finanzhilfen ablehnen zu können, stand es um die Solidarität im Bündnis schlecht. Wenn gleichzeitig einige der europäischen Mitglieder die Zuweisung von Militärhilfen mit dem Vorwurf der Zweckentfremdung verweigerten, konnte dies den Grundstein für eine Entwicklung legen, die langfristig dazu führen mochte, dass sowohl Griechenland als auch die Türkei sich vom Bündnis distanzierten oder die Allianz gar verließen. Der dauerhafte Fortbestand der Südostflanke schien dann mehr als ungewiss.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

1. Politische Rahmenbedingungen Das Frühjahr 1967 war unverändert von der inneren Krise der NATO geprägt. Der Abzug weiterer amerikanischer Truppen aus Europa wegen des eskalierenden Krieges in Vietnam, aber auch der französische Austritt aus den integrierten Bündnisstrukturen im Jahr zuvor hatten ihre Spuren hinterlassen.1 Die Enttäuschung Washingtons über die fehlende Bereitschaft der europäischen Verbündeten, sich aktiv am Kriegsgeschehen in Südostasien zu beteiligen, ging nach Einschätzung des deutschen Militärvertreters in Washington mit dem mangelhaften Willen der Europäer einher, sich stärker über die Grenzen des NATO-Vertragsgebiets hinaus zu engagieren.2 Das Bündnis lief aus Sicht der Bundesregierung Gefahr, seine globale Bedeutung zu verlieren, wenn die Weltpolitik künftig nur noch von den Vereinigten Staaten, der UdSSR und der aufstrebenden Volksrepublik China bestimmt würde. Darüber hinaus hatte sich Frankreich seit seinem Ausscheiden aus der Militärstruktur des Bündnisses im März 1966 zielgerichtet darum bemüht, die NATO in seinem Sinne zu reformieren.3 Staatspräsident Charles de Gaulle hatte mehrfach versucht, die europäischen Mitgliedsstaaten von der Idee eines Bündnisses im klassischen Sinne zu überzeugen und die integrierte Militärorganisation aufzulösen. Wenngleich er mit seinem Konzept vor allem in Bonn auf Widerstand gestoßen war, schwebte dem Quai d’Orsay eine neue gesamteuropäische Ordnung vor, die im Westen maßgeblich von Frankreich und im Osten von der Sowjetunion geprägt werden sollte. Die westliche Allianz und der Warschauer Vertrag sollten sich dabei schrittweise auflösen, um einem neuen europäischen Sicherheitssystem Raum zu geben. Rüstungs- und sicherheitspolitische Belange sollten vorwiegend in Moskau und Paris entschieden werden, wenngleich de Gaulle dem amerikanischen und deutschen Partner volles Mitspracherecht einzuräumen versprach. Der sowjetische Staats- und Parteichef Leonid I. Brežnev hatte sich den französischen 1

2 3

Siehe Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 17 f., zu den 1960er Jahren als »Dekade der Krise« für die NATO; Wenger, The Politics of Military Planning, S. 178; Reyn, Atlantis Lost; Locher, Crisis? What Crisis?; Kaplan, NATO and the United States, S. 77‑129; Eznack, Crises in the Atlantic Alliance; Kaplan, McNamara, Vietnam and the Defense of Europe, S. 286‑300; Duffield, Power Rules, S. 176‑178; zum Vietnamkrieg siehe Greiner, Die Blutpumpe. Bericht Nr.  I/1967, DMV an BMVg, Lage aus Sicht der NATO-Arbeit des DMV, 5.4.1967, BArch, BW 3 1598. Soutou, De Gaulles France and the Soviet Union, S. 182‑184.

DOI: 10.1515/9783110465273-005

148

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Vorschlägen nicht grundsätzlich verschlossen.4 Jedoch hatte er als Vorbedingung die völkerrechtliche Anerkennung der DDR gefordert und eine amerikanische Beteiligung an dem neuen Konzept ausgeschlossen. Diese Forderung ging dem Quai d’Orsay jedoch zu weit, wollte Frankreich nicht Gefahr laufen, mit seinem Vorhaben am Ende der sowjetischen Hegemonie zum Opfer zu fallen. Auf jeden Fall ließ das französische Vorgehen erkennen, dass es um den inneren Zustand der Allianz nicht sonderlich gut bestellt war. Auch an der Südostflanke der NATO waren die politischen Verhältnisse unsicher. Die griechischen Kabinette unter den Premierministern Stephanos Stephanopoulos und Ioannis Paraskevopoulos konnten sich nur mit Mühe der Forderungen der oppositionellen Parteien erwehren.5 Andreas Papandreou, aufstiegsorientierter und populärer Sohn des vormaligen Regierungschefs Georgios Papandreou, stellte den Nutzen der fortgesetzten NATO-Mitgliedschaft Griechenlands offen in Frage. Damit einhergehend suchte er das Land in Richtung eines neutralistischen Kurses zu lenken. Stephanopoulos und sein Nachfolger mussten den Bestrebungen Papandreous Rechnung tragen, indem sie einen ähnlichen Kurs wie der türkische Nachbar einschlugen.6 Griechenland suchte sich von der engen Bindung an den Westen zu lösen und knüpfte neue Handelsbeziehungen mit Moskau, Sofia und Bukarest. Ankara hatte im März des Jahres 1966 sowjetische Anleihen im Wert von mehreren Millionen US-Dollar aufgenommen, die Moskau in Form von technisch-industriellen Aufbauhilfen gewährt hatte.7 Der Kreml hatte dem südlichen Nachbarn großzügige Rückzahlungsmodalitäten eingeräumt. Die türkische Regierung konnte ihre Schulden mit landwirtschaftlichen Produkten tilgen, welche die UdSSR freiwillig zu überhöhten Preisen importierte. Bis Ende der 1960er Jahre erhielt Ankara dadurch in Summe mehr sowjetische Wirtschaftshilfen als moskaufreundliche Regierungen unter den blockfreien Staaten.8 Die Türkei hatte sich daneben endgültig vom Kurs der 1950er Jahre losgesagt. Ankara betrachtete die Belange der NATO und die Bedürfnisse des amerikanischen Partners nicht länger als identisch mit seinen eigenen sicherheitspolitischen Zielsetzungen.9 Wann immer die Absichten der Allianz oder des US-Verbündeten türkischen Interessen zuwiderliefen, zögerte die Türkei nicht länger, im NATO-Rat ihr Veto einzulegen. Vor diesem Hintergrund hatte die Regierung Süleyman Demirels 1966 begonnen, das Seerechtsabkommen von Montreux aus dem Jahre 1936 restriktiver auszulegen und den NATO-Verbündeten die militärische Durchfahrt durch die Dardanellen zu erschweren. Amerikanische und britische Zerstörer konnten die Meerengen fortan nur mehr passieren, wenn ihre Bewaffnung ausdrücklich unter die Seerechtskonvention fiel. Atomare Waffensysteme der STRIKEFORSOUTH schieden damit aus. Auch bestand die türkische Staatsführung darauf, die rechtlichen Modalitäten der amerikanischen Militärbasen auf türkischem Boden neu zu verhandeln.10 Ankara beabsichtigte, den Stützpunkten

4 5 6 7 8 9 10

Ebd. Miller, The United States, S. 124‑126; Maragkou, Cold War in the Aegean, S. 351. Hatzivassiliou, Greece and the Cold War, S. 177‑180. Andries, Greece and Turkey, S. 175. Bolukbasi, The Superpowers, S. 119. Andries, Greece and Turkey, S. 179 f. Bolukbasi, The Superpowers, S. 124 f.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

149

ihren autonomen Status zu entziehen und die Anlagen unter türkische Rechtshoheit zu stellen. Demirel hatte sich bereits im August 1964 und im April 1966 darum bemüht, die Privilegien und Stationierungsrechte der US-Streitkräfte auf türkischem Boden einzuschränken.11 Die Türkei wollte damit ausschließen, dass Washington die Stützpunkte für militärische Zwecke im Vorderen Orient verwendete. Aus türkischer Sicht dienten die Basen in der Mehrzahl eher nationalen amerikanischen Interessen und weniger den kollektiven Zielsetzungen der NATO. Ferner hinderten die Militärstützpunkte Ankara daran, sich der arabischen Welt und dem Ostblock zu öffnen. Folglich untersagte die türkische Regierung dem amerikanischen Verbündeten während des arabisch-israelischen Sechstagekrieges, israelisches Militär von türkischem Boden aus zu versorgen.12 Darüber hinaus setzte Ankara im Sommer 1969 ein neues Defense Cooperation Agreement durch, das den US-Streitkräften zahlreiche Beschränkungen auferlegte.

2. Die Einstellung des Bündnisses zur Machtübernahme des griechischen Militärs Die innergriechischen Verhältnisse waren seit dem Sturz Georgios Papandreous im Juli 1965 von einer fortwährenden Regierungskrise geprägt.13 Staatsstreichartige Verschwörungen rechtsgerichteter Kreise auf der einen, Massendemonstrationen und Generalstreiks der Gewerkschaften auf der anderen Seite stürzten das Land in chaotische Zustände. Die wirtschaftliche Entwicklung stagnierte.14 Kleinbäuerliche Armut auf dem Lande ging mit einer grassierenden Arbeitslosigkeit in den Städten einher. Die unterentwickelte Industrie und das schwindende Volkseinkommen verschärften die Lage der Bevölkerung. Dem standen wachsender Klientelismus und eine Monopolisierung des Wohlstands durch Oligarchen wie die Familien der Großreeder Onassis und Niarchos gegenüber. Dementsprechend fanden radikale Reformer, die weder dem Spektrum des alteingesessenen »Establishments« noch den Kommunisten angehörten, vor allem unter der verarmten Landbevölkerung Zuspruch.15 Im Dezember 1966 wurden Anzeichen laut, die auf einen Putsch führender Armeekreise hindeuteten.16 Oberst Georgios Papadopoulos, der selbst ländlichen Verhältnissen entstammte und sich als Emporkömmling der neuen Militärelite etabliert hatte, rief einen siebenköpfigen »Revolutionsrat« ins Leben, der sich zum Ziel setzte, den zerrütteten Staatsapparat zu zerschlagen und eine Diktatur im Lande zu errichten. In den Morgenstunden des 21. April 1967 hatte die Stunde der »Junta der Obristen« geschlagen. Die griechische Militärführung übernahm gewaltsam die politische Macht in

11 12 13 14 15 16

Ebd.; Kuniholm, Turkey and NATO, S. 426; Coufoudakis, Turkey and the United States, S. 188. Bolukbasi, The Superpowers, S. 120‑24 f.; Kuniholm, Turkey and NATO, S. 426; Coufoudakis, Turkey and the United States, S. 188; Andries, Greece and Turkey, S. 179 f. Zu den Hintergründen ausführlich Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 262‑283. Nikolinakos, Widerstand und Opposition in Griechenland, S. 108‑110. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 352; Ioannides, Realpolitik, S. 36. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 262‑283.

150

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

der Hauptstadt.17 Truppenverbände des Feldheeres besetzten handstreichartig alle Fernsprecheinrichtungen, Rundfunksender und die wichtigsten Zeitungsverlage im Land. Unter Papadopoulos’ Führung entmachtete das griechische Militär Premierminister Panagiotis Kanellopoulos und dessen Kabinett. Gleichzeitig inhaftierte die Armee Tausende politischer Gegner und potenzieller Regimekritiker. Darunter befanden sich auch einige hochrangige Mitglieder der Streitkräfte, wie der Oberbefehlshaber der Marine, der sich geweigert hatte, mit den Putschisten zu kooperieren.18 Die neuen Machthaber riefen noch am selben Tag über den Athener Rundfunk die neue »Nationalregierung Griechenlands« mit Konstantinos Kollias als neuem Premier und Grigorios Spandidakis als neuem Verteidigungsminister aus. Faktisch aber behielt Papadopoulos die Machtfäden in der Hand. Die Putschisten unterstrichen in ihrer Regierungserklärung die griechische Treue zur NATO und bekräftigen ihr Streben nach einer friedlichen Lösung der Zypernfrage. Auch stellten sie eine Rückkehr zu parlamentarischen Strukturen nach »notwendigen, radikalen Änderungen« des Staatsapparates in Aussicht. Zugleich appellierten sie inständig an den amerikanischen Bündnispartner, das laufende Militärhilfeprogramm der USA unter allen Umständen fortzusetzen.19 Der griechische Umsturz sorgte auch in Nikosia für Unruhe.20 Die griechischen Zyprioten beobachteten argwöhnisch die Ereignisse in Athen. Der amerikanische Botschafter sprach von der Gefahr eines analogen Staatsstreichs gegen Makarios. Der Erzbischof fürchtete zudem, dass die neuen griechischen Machthaber über seinen Kopf hinweg ein 17

18 19

20

AdG, 37 (1967), 27.4.1967, S. 13132‑13134; zu den Ursachen der griechischen Militärdiktatur liefern die folgenden Werke den neuesten Forschungsstand: Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels; und Richter, Griechenland 1950‑1974. Exemplarisch auch die älteren Werke: Murtagh, The Rape of Greece; Woodhouse, The Rise and the Fall of the Greek Colonels; Andrews, Greece in the Dark; und auch die Memoiren von Andreas Papandreou, Democracy at Gunpoint. Für den deutschsprachigen Raum siehe die journalistisch geprägten Werke: Griechenland. Dokumentation einer Diktatur; Bakojannis, Militärherrschaft; Meynaud, Bericht. Die politisch-soziologischen Hintergründe für das Entstehen der griechischen Diktatur beleuchtete Gregor Manousakis in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1981, Der Aus- und Wiedereintritt Griechenlands, hier S. 21 f.: »Griechenland kennt keine modernen politischen Strukturen. Das freie Zusammenspiel der Kräfte, so wie es in den westlichen Demokratien bekannt ist, findet in Griechenland nicht statt. Die Folgen sind politische und soziale Stauungseffekte in der griechischen Gesellschaft, die sich periodisch eruptionsartig entladen. Die sich frei betätigenden Parteien können hier keine Abhilfe leisten, weil sie Persönlichkeitsgebilde sind. Nur in einem halbwegs ideologisch definierten Standort werden sie ohne bindendes politisches und soziales Programm vornehmlich durch die Person des Parteiführers zusammengehalten. Dieser führt sie, gemäß seinem politischen Interesse, autoritär, was ihre ausgleichende Funktion mindert. Eine auftretende politische Krise gleitet daher in der Regel in anarchische Zustände ab, weil die Massen, ohne moderne soziale Bindungen und ohne tragfähige politische Organisationen, schnell zu Opfern von Demagogen werden. Am Ende dieses Prozesses steht das Eingreifen der Armee, das nicht immer der Wiederherstellung der Ordnung dient. Oft ist eine solche Situation willkommene Gelegenheit für ehrgeizige Offiziere, Diktaturen zu gründen. Der Putsch vom 21. April 1967 und die daraus resultierende Diktatur waren die Folge eines solchen Prozesses.« AdG, 37 (1967), 27.4.1967, S.  13132‑13134; Richter, Griechenland 1950‑1974, S.  312 und S. 328. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 286, Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 9.5.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. Bilateral Paper, State Department, über NATO-Ministerial Meeting June 13‑15 1967, 5.7.1967, NARA, RG 59, NND 35807, Nr. NATO-BL 3.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

151

Abkommen über die Zukunft der Insel mit Ankara aushandeln könnten. Der unerwartete Militärputsch hatte sein Selbstvertrauen zutiefst erschüttert. Er entsandte daher seine engsten Vertrauten nach Athen, um die neue griechische Haltung gegenüber Nikosia abzutasten. Trotz der Gegensätze zwischen dem westlichen Demokratieverständnis der NATO und der diktatorischen Herrschaft des neuen Militärregimes schien die unvorhergesehene Entwicklung vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nicht nur Gefahren, sondern auch verlockende Chancen zu bieten, der latenten politischen und militärischen Schwäche der Südostflanke des Bündnisses endlich ein Ende zu setzen.21 Nicht zuletzt konnte dadurch auch der Gefahr eines möglichen Wahlsieges der Kommunisten vorgebeugt werden, die angesichts der desolaten wirtschaftlichen Lage in Griechenland politisch an Boden gewannen.22 Die gewaltsame Machtergreifung des griechischen Militärs entsprach zwar nicht der Präambel des Nordatlantikvertrages. Die Allianz hatte sich darin den Grundsätzen der (westlichen) Demokratie, der Freiheit des Menschen und der Rechtsstaatlichkeit verschrieben. Nichtsdestoweniger hatte die NATO bei ihrer Gründung im Jahre 1949 schon einmal den Sündenfall begangen und Portugal eine Mitgliedschaft im Bündnis gewährt.23 Trotz des fragwürdigen, ständestaatlichen Einparteiensystems unter António de Oliveira Salazar hatte sich das kleine Land aus geostrategischen Erwägungen für die westlichen Alliierten als unverzichtbar erwiesen.24 Die zu Portugal zählende Inselgruppe der Azoren im mittleren Atlantik hatte den Alliierten während des Zweiten Weltkriegs als Nachschubbasis gedient und stellte für die amerikanischen Streitkräfte seitdem ein unverzichtbares militärisches Schlüsselgelände dar. Nicht nur die Kontrolle sämtlicher Schifffahrtsrouten des Atlantik, sondern auch die schnelle Verlegung von Kräften an die Südflanke, nach Nordafrika oder in den Nahen Osten war für die NATO von vitalem Interesse gewesen. Ungeachtet der inneren Verhältnisse Portugals hatten die Gründerväter des Bündnisses Lissabon daher in ihren Kreis aufgenommen. Wie der portugiesische Bündnispartner hatte auch das Athener Militärregime seine feste Bindung an die Allianz bekundet.25 Das neue Griechenland musste daher unter den westlichen Verbündeten den Eindruck erwecken, im Rahmen seiner proklamierten »Neuordnung« künftig nicht mehr turbulenten innenpolitischen Entwicklungen zu erliegen. Letztere hatten nach amerikanischem Verständnis nur allzu häufig schwache, von Erzbischof Makarios gegängelte und von antiamerikanischen Tendenzen beeinflusste Regierungen hervorgebracht.26 Erstmals seit dem griechischen NATO-Beitritt 21 22 23

24

25 26

Maragkou, Cold War in the Aegean, S. 350; siehe auch Nikolinakos, Widerstand und Opposition in Griechenland, S. 72‑78, der eine überwiegend marxistisch geprägte Sichtweise vertritt. Maragkou,The Foreign Factor, S.  350, 428,  438; Nikolinakos, Widerstand und Opposition in Griechenland, S. 72‑78. Zum NATO-Beitritt Portugals siehe Andrade, Portugiesische Außen- und Bündnispolitik, der das Thema der portugiesischen Diktatur allerdings ebenfalls ausblendet; zum Beitritt Portugals siehe auch Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 165‑167. Andrade, Portugiesische Außen- und Bündnispolitik , S. 262‑264; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S.  165  f.; hierzu auch Gersdorff, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, S. 362‑373, der die Frage der portugiesischen Diktatur während der Gründungsphase der NATO in wenigen Sätzen aufgegriffen hat. Miller, The United States, S. 152; Maragkou, Cold War in the Aegean, S. 351. Miller, The United States, S. 112‑124.

152

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

schien in Athen eine starke und verlässliche Staatsmacht zu herrschen, die versprach, die griechisch-türkischen Streitigkeiten um die Zypernfrage beizulegen und die Südflanke politisch und militärisch zu stabilisieren. Die Bündnismitglieder hegten dabei die Hoffnung, dass die griechische Diktatur alsbald wieder zu demokratischen Verhältnissen zurückkehren würde, wie dies aus ihrer Sicht 1960 und 1971 nach den Militärputschen in der Türkei geschehen war. Am 26.  Mai 1967 trug NATO-Generalsekretär Manlio Brosio dem versammelten NAC seine Stellungnahme zu den innergriechischen Ereignissen vor. Er war sehr darauf bedacht, die Entwicklungen in Griechenland mit Fingerspitzengefühl zu behandeln, und übte daher nur verhalten Kritik.27 Die griechisch-türkischen Beziehungen hatten sich seiner Meinung nach im Vorjahr verbessert. Brosio bemängelte aber die häufigen Regierungswechsel in Griechenland, die den Dialog zwischen Ankara und Athen erschwert hätten. Gleiches galt für die fortgesetzten Verschiffungen von griechischem Rüstungsgerät nach Zypern. Ferner erinnerte er den griechischen Bündnispartner vorsichtig an die demokratischen Grundprinzipien der Allianz. Die Reaktionen der übrigen Bündnismitglieder fielen unterschiedlich aus. Das Weiße Haus stand dem neuen Militärregime mit sichtlichem Unbehagen gegenüber.28 In den Augen der Weltöffentlichkeit unterstützte die amerikanische Regierung ohnehin fortwährend Regime, deren Umgang mit Menschenrechten fragwürdig war. Eine Militärdiktatur innerhalb der NATO konnte Moskau propagandawirksam in die Hände spielen. Trotzdem scheute sich Washington davor, die griechische Junta offen zu kritisieren. Erst auf Druck des Kongresses und der Greco-Amerikaner reduzierte US-Präsident Johnson seine diplomatischen Korrespondenzen mit der griechischen Hauptstadt und setzte die Lieferung schweren Kampfgeräts an Griechenland einstweilen aus.29 Auch Verteidigungsminister McNamara hielt sich zurück. Er drängte seinen griechischen Amtskollegen lediglich auf der informellen Ebene, zu demokratischen Verhältnissen zurückzukehren. Washingtons Politik war widersprüchlich und inkonsequent. Die amerikanischen Rüstungssanktionen liefen Gefahr, ihren Zweck zu verfehlen.30 Das Embargo beeinträchtigte die griechische Verteidigungsaufstellung in den militärischen Planungen der NATO, wohingegen der freie Transfer amerikanischer Handwaffen die Unterdrückung 27 28

29 30

Annual Political Appraisal, NATO Secretary General, 26.5.1967, NATO, C-M (67) 30; Pedaliu, A Discordant Note, S. 105. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 63. In der Forschung herrschte lange Zeit eine Kontroverse über die Frage der amerikanischen Beteiligung am griechischen Umsturz. Den neuesten Forschungsstand dazu bildet der Band von Heinz Richter ab, der eine aktive Mitwirkung der amerikanischen Geheimdienste am Militärputsch, namentlich der Central Intelligence Agency, ausschließt: Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 305—309. Vgl. auch Konstantina Maragkou,The Foreign Factor, S. 436—451, die Richters Auffassung zwar grundsätzlich teilt, aber der Meinung ist, CIA und Pentagon seien über die allgemeine Putschgefahr in Griechenland stets im Bilde gewesen. Auch hätten London und Washington den Umsturz mittels schweigender Zustimmung begünstigt oder zumindest billigend in Kauf genommen. Zum älteren Forschungsstand siehe exemplarisch die 1968 veröffentlichte, marxistisch geprägte Interpretation von Rousseas, Militärputsch in Griechenland. Andries, Greece and Turkey, S. 163; Miller, The United States, S. 148‑152; Woodhouse, The Rise and the Fall of the Greek Colonels, S. 40. Miller, The United States, S. 152.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

153

der griechischen Bevölkerung weiterhin begünstigte. Zudem schlossen sich London, Bonn und Paris den amerikanischen Sanktionen nicht an, sondern sie gestatteten Athen weiterhin, schwere Waffensysteme in Europa zu erwerben.31 Darüber hinaus war die amerikanische Regierung in ihrem Inneren gespalten. Pentagon und State Department drängten das Weiße Haus, die strategische Handlungsfähigkeit der NATO mit seinen Sanktionen nicht zu gefährden. US-Außenminister Dean Rusk legte Lyndon Johnson im Juli 1967 nahe, die Lieferung schwerer Rüstungsgüter wieder aufzunehmen.32 Er begründete seine Empfehlung mit dem Hinweis, dass ein breit angelegtes Embargo die amerikanischen Nutzungsrechte für Militäreinrichtungen auf griechischem Boden gefährden könnte. Deren Bedeutung war seit dem israelisch-arabischen Sechstagekrieg erheblich gestiegen. Im Gegensatz zur Türkei hatte Athen dem überseeischen Partner großzügige Überflugrechte und die uneingeschränkte Nutzung seiner Militärbasen gewährt.33 Es lag auf der Hand, dass Griechenland mit diesem Schritt seine Bindung an die NATO unterstreichen und seine Bündnistreue gegenüber dem amerikanischen Partner unter Beweis stellen wollte. Pentagon und State Department ihrerseits hielten es für unabdingbar, Griechenland als aktives und gleichberechtigtes NATO-Mitglied zu erhalten.34 Athen durfte keinesfalls dazu verleitet werden, den französischen Weg einzuschlagen und den integrierten Strukturen des Bündnisses den Rücken zu kehren. Für die amerikanischen Ministerien besaßen strategische Belange dabei deutliche Priorität vor etwaigen politischen oder moralischen Bedenken.35 Das Pentagon warnte davor, die griechischen Streitkräfte weiter mit Sanktionen zu belegen, zumal die Sowjetunion im Begriff war, ihre maritime Präsenz im östlichen Mittelmeer zu verstärken und den bulgarischen Bündnispartner mit neuester Waffentechnik zu beliefern. Dies wog umso schwerer, als sich Sofia im Laufe der Zeit zu einem der loyalsten Verbündeten Moskaus entwickelt hatte.36 Rusk empfahl dem Präsidenten daher, das Embargo auf wenige, ausgesuchte Waffensysteme zu reduzieren. Seiner Meinung nach genügte dieser Schritt, um das Regime dazu anzuhalten, prominente politische Gefangene zu entlassen und den Unmut der griechischstämmigen Amerikaner über den Militärputsch zu lindern.37 Die Ereignisse des Prager Frühlings in der ČSSR bewirkten schließlich, dass Johnson im Oktober 1968 sämtliche Rüstungssanktionen gegen Griechenland wieder aufhob.38

31 32

33 34

35 36 37

38

Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 64. FRUS, 1964‑1968, vol.  16, doc.  296, Memorandum US-Außenminister an US-Präsidenten, 21.7.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. Miller, The United States, S. 152. FRUS, 1964‑1968, vol.  16, doc.  296, Memorandum US-Außenminister an US-Präsidenten, 21.7.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. Andries, Greece and Turkey, S. 163. Maragkou, Cold War in the Aegean, S. 349. FRUS, 1964‑1968, vol.  16, doc.  296, Memorandum US-Außenminister an US-Präsidenten, 21.7.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. Miller, The United States, S. 155; Kassimeris, Greece and the American Embrace; Duke, United States Military Forces, S. 64, 162; Pelt, Tying Greece to the West, S. 295.

154

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Die Bundesrepublik Deutschland gestand sich zwar ein, dass die griechische Junta das Ansehen des westlichen Bündnisses schädigte.39 Jedoch suchte auch Bonn der Aussage Glauben zu schenken, dass das Militär die Regierungsgewalt nach und nach wieder in demokratische Hände legen würde. Daneben unterstrich das Auswärtige Amt die strategische Bedeutung Griechenlands als Bindeglied zur Türkei. Vor dem Hintergrund des wachsenden sowjetischen Einflusses im östlichen Mittelmeer war es aus Bonner Sicht zu begrüßen, dass Griechenland bestrebt war, das Verhältnis zu seinem türkischen Nachbarn zu verbessern und eine einvernehmliche Lösung für das Zypernproblem zu finden. Botschafter Oskar Schlitter berichtete aus Athen, dass das Regime seine NATOVerpflichtungen sehr ernst nähme.40 Schlitters Meinung nach war damit zu rechnen, dass die neue Regierung sich als »deutlich verlässlicher« als ihre Vorgängerinnen erweisen würde. Dementsprechend legte das Auswärtige Amt der Bundesregierung nahe, Athen gegenüber zwar unmissverständlich darzulegen, dass die westdeutsche Öffentlichkeit die inneren Vorgänge in Griechenland keineswegs billige.41 Jedoch dürfte Griechenland unter keinen Umständen im Bündnis isoliert werden. Vielmehr sollte das Land weiterhin als gleichberechtigtes Mitglied der Allianz betrachtet und behandelt werden. Meinungsverschiedenheiten über die Art und Weise der Staatsführung in den einzelnen Mitgliedsstaaten galt es aus bundesdeutscher Sicht nicht in die Gremien der NATO zu tragen. Das Auswärtige Amt bestand auch darauf, die deutsche Militärhilfe für Griechenland unter allen Umständen fortzusetzen. Unter dem Druck der öffentlichen Meinung distanzierte sich die Bundesregierung schließlich von der griechischen Diktatur.42 Auch stimmte Bonn einer Debatte des Problems im Europarat zu.43 Darüber hinaus verzichtete die Große Koalition unter Kurt Georg Kiesinger aber darauf, weitere Maßnahmen gegen die Junta zu ergreifen. Das Kabinett hielt an den NATO-Verteidigungshilfen und den diplomatischen Verbindungen nach Griechenland fest, wenngleich die Stimmung im Bundestag von zahlreichen Debatten über das Für und Wider eines Embargos geprägt war. Mit dem Hinweis auf die Gefahr, die dem Verteidigungsbündnis drohte, wenn Athen auf den Verlust der deutschen Militärhilfen mit einem NATO-feindlichen Kurs reagierte, gelang es der CDU schließlich, sich gegen die kritischen Stimmen in der SPD durchzusetzen. Die Ansichten Londons harmonierten mit der deutschen Haltung. Zwar regten sich im britischen Parlament in den ersten Wochen Anzeichen von Skepsis und Abneigung.44 Auch drückte Premierminister Harold Wilson seine Sorge über den politischen Stellenwert der Allianz aus. Seinen Worten nach hielte neben Portugal nun bereits eine zweite Diktatur Einzug im Atlantischen Bündnis. Angesichts der kritischen Stimmen aus Presse 39 40

41 42 43 44

AAPD, 1967, Bd  2, Dok.  308, Aufzeichnung Ministerialdirektor Böker, AA, 24.8.1967, S. 1219‑1224; Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 45‑47. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 12.7.1967, PA AA, B 150 IIA7, VS-Bd 2504, Nr. 227. (auch als Anm. 5 gedruckt in: AAPD, 1967, Bd 2, Dok. 308, Aufzeichnung Ministerialdirektor Böker, AA, über die deutsche Haltung gegenüber Griechenland, 24.8.1967, S. 1219‑1224, hier: S. 1220). AAPD, 1967, Bd  2, Dok.  308, Aufzeichnung Ministerialdirektor Böker, AA über die deutsche Haltung gegenüber Griechenland, 24.8.1967, S. 1219‑1224. Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 49. Ebd., S. 49‑62. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 20‑25.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

155

und Opposition plädierte London gemeinsam mit dem belgischen und italienischen Verbündeten dafür, künftig keine NATO-Manöver mehr auf griechischem Gebiet stattfinden zu lassen.45 Wie in London reagierte die Öffentlichkeit auch in Brüssel und Rom ungehalten auf Pressemeldungen über die Einrichtung von Konzentrationslagern, systematischer Folter46 und anderen Menschenrechtsverletzungen in Griechenland. Im Foreign Office herrschte aber Unmut über den Gedanken, die laufenden Beziehungen zum griechischen Verbündeten abzubrechen. Außenminister George Brown betonte Wilson gegenüber den strategischen Stellenwert des griechischen Territoriums für die südöstliche Verteidigungsaufstellung der NATO. Brown warnte den Premierminister davor, Athen in die Isolation zu treiben, und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die neue Regierung sich im Laufe der Zeit demokratischen Spielregeln stellen würde. Der Sechstagekrieg im Juni 1967 schien Browns Ansichten über den strategischen Wert Griechenlands zu bestätigen. Wie das State Department gab auch das Foreign Office bekannt, dass sich die Junta im Nahostkonflikt als äußerst zuverlässiger und hilfreicher Partner der westlichen Verbündeten erwiesen hätte.47 Die griechischen Obristen hatten den amerikanischen Luftstreitkräften nicht nur großzügige Überflugrechte und die uneingeschränkte Nutzung der amerikanischen Basen gewährt, sondern der 6. USFlotte auch griechische Werften und andere Nachschubeinrichtungen zur Verfügung gestellt.48 Das Foreign Office sprach sich somit ausdrücklich dagegen aus, Griechenland im NATO-Rat zu brüskieren und dadurch seinen Wert als Pufferzone gegen die Expansion des sowjetischen Einflusses im östlichen Mittelmeer zu mindern.49 Der Pragmatismus des britischen Außenministeriums sollte die Politik Londons gegenüber Griechenland noch in den Folgejahren prägen.50 Die nordischen und westeuropäischen Verbündeten reagierten auf die Machtübernahme zunächst mit offener Ablehnung.51 Die norwegische Öffentlichkeit war über den Umsturz erzürnt. Die Haltung des Storting, des norwegischen Parlaments, schwankte zwischen kühler Ablehnung durch die Konservativen und offener Verurteilung seitens der Arbeiterparteien. Nichtsdestoweniger wog auch an der Nordflanke das bündnispolitische Eigeninteresse schwerer als das Missfallen über den griechischen Verbündeten. Die norwegische Regierung setzte Athen über ihren Botschafter stillschweigend darüber in 45

46

47 48 49 50 51

FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 295, Rundtelegramm State Dep. an die Hauptstädte aller NATO-Mitgliedsstaaten, 12.7.1967 , letzter Aufruf 12.1.2017. Die Anwendung von Folter durch die Polizei und die Sicherheitskräfte galt in Griechenland – wie auch in der Türkei – zwar seit jeher als gängige Verhörmethode bei kriminaltechnischen Ermittlungen. Die Entrüstung der europäischen Öffentlichkeit ließ sich aber dadurch erklären, dass dieses Zwangsmittel seit der Machtübernahme der Junta mit der vollständigen Aussetzung rechtsstaatlicher Normen und der Errichtung von Konzentrationslagern einherging. Daneben wurde die Folter unter der Junta zur primären und massenhaft angewandten Methode, um den Willen der Staatsgewalt durchzusetzen. Die strukturelle Willkür verlieh dem Regime einen Charakter, der an das nationalsozialistische Deutschland oder an die Diktaturen in der Dritten Welt erinnerte. Hierzu Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 312 und S. 322 f. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 20‑-25. Maragkou, Cold War in the Aegean. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 20‑25. Ebd., S. 22. Telegramm britische Botschaft Oslo an FO, 22.5.1967, TNA, FCO 9, 148, Nr. 2.

156

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Kenntnis, trotz ihrer Vorbehalte die wirtschaftliche und (militär-)politische Zusammenarbeit mit Griechenland aufrechterhalten zu wollen. Die Forderungen des Parlaments, die norwegischen Militärhilfen auszusetzen, stießen im Kabinett auf taube Ohren. Um den kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit den Wind aus den Segeln zu nehmen, verkündete das Außenministerium in einer Pressekonferenz, dass Oslo die neue Regierung seines NATO-Verbündeten ausschließlich de facto akzeptiere, sich eine völkerrechtliche Anerkennung aber vorbehalte. Als symbolische Geste sagte die norwegische Marine ihre Teilnahme am internationalen Athener Military Penthatlon ab. Die Regierung von Per Borten beschwichtigte die öffentliche Meinung in der Folge mit dem Hinweis, dass das Problem der griechischen Diktatur zwar nicht in den Gremien der NATO, wohl aber auf den Sondersitzungen des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaften weiter behandelt würde. Die Haltung Den Haags deckte sich weitgehend mit der Einstellung der übrigen Verbündeten.52 In einer emotional geführten Parlamentsdebatte entrüsteten sich nahezu alle Parteien der niederländischen Opposition über die Gefahr eines neuen Faschismus in Europa. Sie appellierten an die Regierung und die NATO, der Herrschaft der Junta unverzüglich ein Ende zu setzen. Jedoch gelang es auch dem niederländischen Kabinett, sich gegenüber der Opposition und den kritischen Stimmen durchzusetzen. Außenminister Joseph Luns weigerte sich, den griechischen Bündnispartner mit Hilfe internationaler Gremien zu sanktionieren. Vielmehr sprach er sich für bilaterale Verhandlungen aus, um auf diplomatischem Wege zu versuchen, behutsam Einfluss auf die neue Militärregierung zu nehmen. Eine Kürzung niederländischer Verteidigungshilfen an Griechenland schloss Luns zu diesem Zeitpunkt aus. Frankreich wiederum entschied, wegen der Inhaftierung politischer Gegner einstweilen eine reservierte Haltung gegenüber Athen einzunehmen.53 Sanktionen oder sonstige Maßnahmen fasste aber auch der Quai d’Orsay nicht ins Auge.54 Der dänische Bündnispartner hingegen reagierte scharf. In Anbetracht der familiären Bindungen zwischen dem dänischen und dem griechischen Königshaus war der Druck der öffentlichen Meinung in Kopenhagen ungleich größer, als dies bei den anderen europäischen Verbündeten der Fall war.55 Auf Initiative des Parlamentarischen Außenpolitischen Ausschusses kündigte der dänische NATO-Botschafter an, den griechischen Verbündeten im NAC zur Rede stellen zu wollen. Dänemark beabsichtigte, Griechenland wegen der Verletzung der nordatlantischen Prinzipien in den Gremien der Allianz anzuprangern und vor den Augen der Mitglieder offen mit dem Vorwurf der Menschenrechtsverletzung zu konfrontieren. Jedoch stieß der dänische Delegierte mit seinem Vorhaben auf wenig Resonanz.56 Der griechische Vertreter Phendon Cavalierato argumentierte bereits im Vorfeld, dass dem NATO-Rat eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Athens nicht zustehe. Auch die anderen Bündnispartner verhielten sich 52 53 54 55 56

Telegramm britische Botschaft Den Haag an FO, 12.5.1967, TNA, FCO 9, 148, (o.Nr.). Telegramm britische Botschaft Paris an FO, 4.5.1967, TNA, FCO 9, 148, Nr. 394. Ebd.; Pedaliu, A Discordant Note, S. 102 f. Telegramm britische Botschaft Kopenhagen an FO, 5.5.1967, TNA, FCO 9, 148, Nr. 141. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FO, 3.5.1967, TNA, FCO  9, 148, Nr.  173; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FO, 5.5.1967, TNA, FCO 9, 148, Nr. 181.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

157

dem Ansinnen Kopenhagens gegenüber skeptisch bis ablehnend. Das dänische Außenministerium lenkte daher schließlich ein und informierte den britischen Botschafter, dass Dänemark nicht beabsichtige, einen Eklat im NATO-Rat herbeizuführen.57 Die Regierung von Ministerpräsident Poul Hartling sah folglich davon ab, die heikle Angelegenheit im NATO-Rat zur Sprache zu bringen. Das Außenministerium ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass Dänemark nicht bereit sei, einen derartigen Kurs des Bündnisses auf Dauer mitzutragen und demokratische Grundwerte um den Preis eines pragmatischen, bündnispolitischen Ansatzes zu opfern: »The Danish Government wished to continue its membership in NATO […], but its public opinion was far from unanimous. The presence of Portugal in the Alliance was bad enough and inconsistent with the declared purposes of the Treaty; if NATO was to harbor more military régimes, its attractiveness to the Danish electorate would be gravely reduced and the ability of the Danish Government to maintain public support for the alliance would be impaired.”58

Die Mitgliedschaft des kleinen nordischen Landes war in den Folgejahren keineswegs gesichert.59 Wenngleich aus vielschichtigeren Gründen, forderten liberale Kreise der dänischen Öffentlichkeit nach 1969 den Austritt aus der Allianz, deren Nutzen vielen Dänen mittlerweile fragwürdig erschien. Hier offenbarte sich, dass die Frage nach dem Stellenwert demokratischer Grundwerte enormen politischen Sprengstoff für das innere Gefüge des Bündnisses in sich barg. Die Entwicklung konnte dazu führen, dass die NATO als Vertreterin der freien Welt zunehmend an Glaubwürdigkeit verlor. Kennzeichen hierfür war nicht nur die Haltung der blockfreien Staaten gegenüber der Allianz. Die Unruhen in den Vereinigten Staaten wegen des unpopulären, blutigen Vietnamkriegs, die massiven Ausschreitungen zwischen militanten Demonstranten und der Westberliner Polizei anlässlich des Besuchs des Schahs in der Bundesrepublik und die aufstrebende, revoltierende Generation der »1968er« boten für die marxistisch-leninistischen Volksdemokratien Aussichten, trotz des bevorstehenden Prager Frühlings im Westen langfristig ideologisch an Boden zu gewinnen.60

3. Der Ausbruch der neuen Krise und die Reaktion der westlichen Allianz Am 10. Mai 1967 hatte Oberst Georgios Papadopoulos öffentlich angekündigt, die Enosis lediglich im Rahmen des Schutzes türkischer Zyprioten sowie im einvernehmlichen Dialog mit Ankara weiterverfolgen zu wollen.61 Der neuen griechischen Regierung 57 58 59 60

61

Telegramm britische Botschaft Kopenhagen an FO, 5.5.1967, TNA, FCO 9, 148, Nr. 140. Ebd. Agger, Striving for Détente, S. 198. Zur Praxis des US-Abnutzungskrieges in Vietnam siehe Greiner, Die Blutpumpe; zu den Studentenunruhen gegen den Iran in der Bundesrepublik siehe Philipp Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 183‑200. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 287, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 10.5.1967, , letzter Aufruf 12.7.2017.

158

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

war auf den ersten Blick an engen und harmonischen Beziehungen zu ihrem türkischen Nachbarn gelegen. Im Juli verhandelte Außenminister Pavlos Economou-Gouras mit seinem türkischen Amtskollegen in New York über ein Abkommen, das der Türkei Teile Zyperns zur einstweiligen Verpachtung anbot.62 Athen schlug in diesem Kontext vor, die kommunalen Rechte der türkischen Zyprioten zu verbriefen. Im Kern aber hing das Militärregime dem antiquierten Ziel der Megali Idea und der Enosis an, dessen Visionen sich ungebrochen im politischen Anschluss Zyperns an das griechische »Mutterland« widerspiegelten.63 Lediglich die Rolle Makarios’ hatte sich darin geändert. Der Erzbischof genoss bei der Junta kein hohes Ansehen. Das State Department urteilte, dass das neue Regime vielmehr Druck auf den Ethnarchen ausübte, sich dem Willen der griechischen Machthaber zu beugen und nicht mehr unabhängig zu agieren. Washington ging davon aus, dass Papadopoulos mit dem Gedanken spielte, Makarios gewaltsam zu beseitigen.64 Wenn der zyprische Staatsführer weiter eigene Wege beschritte oder Verbindungen nach Moskau knüpfte, hätte seine Stunde geschlagen. Die Zeiten für Nikosia wurden in der Tat rauer. Der politische Höhenflug des Kirchenfürsten schien seinen Zenit überschritten zu haben. Es war nicht mehr zu verkennen, dass die Stimme des Erzbischofs seit der Errichtung des griechischen Militärregimes in Athen zunehmend an Gewicht verlor. Der Ethnarch musste gar darum kämpfen, seine eigene politische Stellung auf der Insel zu behaupten. Trotzdem lehnte der türkische Außenminister İhsan Sabri Çağlayangil das griechische Angebot ab.65 Stattdessen beklagte sich die türkische Regierung bei der NATO, dass die griechischen Zyprioten nach wie vor Waffenlieferungen erhielten und sich anschickten, die türkische Volksgruppe aufs Neue einzuschüchtern.66 Der türkische Ministerpräsident erklärte im September 1967 auf einer Pressekonferenz, dass die Türkei einer Annexion der Insel durch Griechenland keinesfalls zustimmen würde.67 Demirel trug dabei nicht nur nationalen Forderungen Rechnung, sondern nahm auch Rücksicht auf die Interessen Moskaus. Der Kreml hatte im Juli desselben Jahres gegen jede Änderung des souveränen Status der Insel protestiert.68 Moskau argwöhnte, dass die NATO mit dem Anschluss Zyperns an Griechenland versuchen könnte, ihr Vertragsgebiet im östlichen Mittelmeer zu erweitern. 62

63 64

65

66 67 68

FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 294, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 10.5.1967, ; ebd., doc.  295, Rundtelegramm State Dep. an die Hauptstädte aller NATO-Mitgliedsstaaten, 12.7.1967, , beide letzter Aufruf 12.1.2017; Rizas, The Greek Military Regime’s Policy Towards Cyprus, S. 239 f. Dodd, The History and Politics, S. 80. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 295, Rundtelegramm State Dep. an Hauptstädte aller NATOMitgliedsstaaten, 12.7.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. Dodd, The History and Politics, S. 80 f.; Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 86‑92; und Fernau, Griechenland unter Georg Papadopoulos, S. 282; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 396‑399; Dodd, The History and Politics, S. 80 f. Protokoll NAC-Sitzung vom 13.6.1967, 12.7.1967, NATO, C-R (67) 27. AdG, 37 (1967), 27.4.1967, S. 13437 f. Auszug aus der griechischen Wochenzeitung »Elftheria Cosmos« vom 8.7.1967, NARA, RG 59, NND 36470.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

159

Spätestens mit dem Ausbruch der neuen Krise im Herbst 1967 gewahrte die NATO, dass sie sich in ihren Hoffnungen getäuscht sah, die jahrzehntelangen Querelen um Zypern mit Hilfe des neuen griechischen Regimes endlich beilegen zu können. Am 15. November entbrannten im Süden der Insel schwere Kämpfe zwischen griechisch-zypriotischen Ordnungskräften und der türkischstämmigen Minderheit.69 Die griechischen Zyprer wurden diesmal offen und direkt von Offizieren des Griechischen Generalstabs geführt. Der kanadische NATO-Botschafter teilte seinem amerikanischen Amtskollegen noch am selben Tage mit, dass das Hauptquartier von UNFICYP mit türkischen Vergeltungsschlägen aus der Luft rechne.70 US-Vertreter Cleveland informierte Brosio über die Ereignisse auf der Insel und drängte ihn dazu, umgehend zu handeln.71 Der Generalsekretär seinerseits zögerte nicht lange. Er rief Griechenland und die Türkei zur Mäßigung auf und rief die NATO-Botschafter der wichtigsten Mitgliedsstaaten zu einer Sonderbesprechung zusammen.72 Im Gegensatz zu den Krisensitzungen früherer Jahre debattierten die Anwesenden diesmal intensiv über die Vorgänge auf der Insel.73 Die Allianz hatte in diesem Punkt aus den bisherigen Konflikten zwischen Griechenland und der Türkei Lehren gezogen und wusste, dass eine Lösung der Krise nur in Frage käme, wenn der NATO-Rat sich direkt mit den Ereignissen auf Zypern befasste. Die Ständigen Vertreter waren sich darüber einig, dass die Kernursache für die blutigen Zusammenstöße diesmal eindeutig beim griechischen Truppenkontingent auf der Insel lag. Nicht Makarios, sondern Grivas galt in ihren Augen als Drahtzieher der Auseinandersetzungen. Der ehemalige Gefolgsmann des Erzbischofs hatte sich von seinem politischen Ziehvater losgesagt und sich nahezu vollständig unter die Kontrolle der griechischen Junta begeben.74 Für die NATO ergab sich jetzt ein neues Lagebild. In den bisherigen griechisch-türkischen Krisen hatte das Bündnis auf die Zypernereignisse stets nur mittelbaren Einfluss nehmen können. Zum ersten Mal aber war die Wurzel des Konflikts nicht auf der Insel zu finden, sondern hatte ihren Ursprung direkt in Athen. Die Junta suchte mit Hilfe der Zypernfrage ihre militärische Stärke und Durchsetzungsfähigkeit gegenüber möglichen Konterrevolutionären zu untermauern.75 Wenngleich die NATO folglich größeren Einfluss auf den Konfliktverlauf würde nehmen können, mussten die Bündnismitglieder andererseits darauf gefasst sein, dass die griechische Militärregierung weit weniger vor 69

70 71 72 73 74 75

Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 15.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, CONFIDENTIAL HCC  202, NATO 418, Nr.  53; Dodd, The History and Politics, S. 82 f.; Uslu, The Cyprus Question, S. 97. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 15.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, CONFIDENTIAL HCC 204, NATO 419, Nr. 40. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 16.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET HCC 322, NATO 431, Nr. 51. Ebd., hier: Brosio lud den französischen Delegierten aufgrund des amerikanisch-französischen Zerwürfnisses nicht mit in die Besprechung ein. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 16.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET HCC 389, NATO 434, Nr. 84. Uslu, The Cyprus Question, S. 98. Papadopoulos räumte in einem späteren Gespräch mit dem griechischen König am 27.11.1967 ein, dass seine Politik der Enosis gescheitert sei. Zahlreiche Offiziere legten ihm dies als politische wie militärische Führungsschwäche aus. Hierzu Rizas, The Greek Military Regime’s Policy Towards Cyprus, S. 241.

160

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Kampfhandlungen mit der Türkei zurückschreckte als ihre demokratischen Vorgängerregierungen. Die Hemmschwelle zu einem offenen Krieg lag deutlich niedriger als in den Krisen zuvor. Nicht zufällig hatten einige Gefolgsmänner des griechischen Regimes den waghalsigen Plan vorgeschlagen, zur »Klärung« der Zypernfrage einen Präventivschlag gegen die Türkei zu führen. Als Vorbild sollte das blitzartige Vorgehen der israelischen Streitkräfte im Sechstagekrieg dienen. Die Allianzmitglieder legten Brosio daher nahe, mit Nachdruck an Griechenland und die Türkei zu appellieren, die Krise auf diplomatischem Wege beizulegen.76 Beide Bündnispartner sollten ihre Interessen zurückstellen und ihren Willen zur Kompromissbereitschaft bekunden. Damit einhergehend sollte der Generalsekretär das griechische Regime unmissverständlich spüren lassen, dass die NATO Athen diesmal die volle Verantwortung für den Ausbruch der Gewalt zuschrieb. Auch Washington besaß ein nachhaltiges Interesse, den bündnisinternen Konflikt in Grenzen zu halten.77 Die Sowjetunion schickte sich in diesen Tagen an, im östlichen Mittelmeer militärisch Fuß zu fassen und sich dort einen neuen Rüstungswettlauf mit den USA zu liefern. Bis Mitte der 1960er Jahre hatte die 6. US-Flotte die unumstrittene Seeherrschaft im Mittelmeerraum besessen. Da Griechenland und die Türkei infolge ihrer schwachen Volkswirtschaften kaum in der Lage waren, den militärischen und technologischen Anforderungen der neuen Bündnisstrategie der »Flexible Response«78 gerecht zu werden, stellte der maritime Großverband das kampfstärkste und flexibelste Element zur Verteidigung der Südflanke dar.79 Im Gegensatz zur NATO verfügte die Sowjetunion kaum über geeignete Häfen, Werften und Instandsetzungsanlagen in der Region, wodurch ihre logistische Durchhaltefähigkeit auf See im Falle eines Krieges begrenzt blieb. Während des Sechstagekrieges aber hatte Moskau begonnen, für die syrisch-ägyptischen Interessen Partei zu ergreifen. Im Gegenzug hatte die Sowjetunion erste Hafenrechte im Nahen Osten erhalten. Die sowjetischen Seestreitkräfte waren nun in der Lage, den Operationsradius der Soviet Meditarranean Squadron (SOVMEDRON, 5. Escadra) im Mittelmeer erheblich auszudehnen. Moskau konnte sogar einige nuklear bestückte Unterseeboote in die Region entsenden. Die Flotte verfügte bald über Schiffswerften, Bunker und Lagerstätten für den militärischen Nachschub im östlichen Mittelmeer und im Roten Meer.80 Gleiches traf auf die Nutzung ägyptischer Luftwaffenstützpunkte zu. Diese boten der sowjetischen Militärführung Möglichkeiten, ihre maritime Schlagkraft aus 76 77 78

79

80

Ebd. Brown, Delicately Poised Allies, S. 75‑85; Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 653; Studie des State Dep.: US-Policy in the Middle East, 23.5.1968, NARA, RG 59, NND 36623. Die NATO-Strategie der »Flexible Response« (MC  14/3) sah erstmals die Option einer militärischen Reaktion auf Aggressionen des Warschauer Paktes ohne den Einsatz von Nuklearwaffen vor. Die militärischen Anforderungen an die konventionelle Komponente lagen dementsprechend hoch. Eine detaillierte Beschreibung dazu bei Kugler, Commitment to Purpose, S. 169‑208; und Mey, NATO-Strategie vor der Wende, S. 120‑133. Brown, Delicately Poised Allies, S. 75‑85; Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 653; Studie des State Dep.: US-Policy in the Middle East, 23.5.1968, NARA, RG 59, NND 36623; Chourchoulis/ Kourkouvelas, Greek Perceptions of NATO, S. 502. Brown, Delicately Poised Allies, S. 75‑85; Chourchoulis, A Nominal Defence?, S. 653; Studie des State Dep.: US-Policy in the Middle East, 23.5.1968, NARA, RG 59, NND 36623; Chourchoulis/ Kourkouvelas, Greek Perceptions of NATO, S. 502; AdG, 38 (1968), 26.1.1968, S. 13691‑13693.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

161

der Luft zu verstärken und Bewegungen der amerikanischen STRIKEFORSOUTH mit Hilfe von Radartechnik lückenlos zu überwachen. Daneben errichtete die sowjetische Marine in Alexandria einen Führungsstab, der die Operationen der SOVMEDRON umfassend koordinierte. Während die 5. Escadra im Mai 1967 zunächst nur über neun Zerstörer verfügt hatte, war ihre Zahl bereits im Juli auf zwei Kreuzer, 15 Zerstörer, zwölf U-Boote und weitere 15 Versorgungsschiffe angewachsen.81 Bis 1971 stieg die Stärke der Flotte einschließlich ihrer Begleitfahrzeuge sogar auf mehr als 50 Schiffe an.82 Die taktische Luftflotte der Sowjetstreitkräfte in Ägypten wiederum verfügte Anfang der 1970er Jahre über bombengeschützte Fliegerhorste für rund 200 Kampfflugzeuge. Im selben Zuge intensivierte Moskau auch seine Rüstungsexporte nach Nordafrika und in die arabische Welt und suchte über militärtechnische und wirtschaftliche Entwicklungshilfen weiter geopolitisch an Einfluss zu gewinnen.83 Allein in Ägypten stationierte die Sowjetunion zu Beginn des Jahres 1968 rund 2500 Mann an militärischem Lehrpersonal, das die ägyptischen Streitkräfte an modernen sowjetischen Jagdmaschinen schulen sollte. Die sowjetische Expansion stellte für die Nordatlantische Allianz und insbesondere auch für die US-Streitkräfte in der Region eine nicht zu vernachlässigende Bedrohung dar. Bislang hatte das Mittelmeer als NATO-dominiertes Gewässer gegolten.84 Bis Mitte der 1960er Jahre hatte die STRIKEFORSOUTH noch über Kapazitäten verfügt, im Bedarfsfall offensive Schläge gegen landgebundene militärische Einrichtungen des Warschauer Pakts zu führen.85 Mit dem gewachsenen Aktionsradius der 5. Escadra lief die US-Flotte hingegen Gefahr, sich mehr und mehr zu einem defensiven Werkzeug zu entwickeln. Moskau drohte Washington zudem, seine Vorherrschaft über die Seeverbindungswege in den Nahen und Mittleren Osten streitig zu machen. Die neue politische Lage hatte dazu geführt, dass die 6. US-Flotte nun nicht mehr über das Recht verfügte, die Häfen Ägyptens, Syriens, Algeriens und des Libanon anzulaufen. Die maritime Überlegenheit der amerikanischen Seestreitkräfte gegenüber der Sowjetunion bildete für die Vereinigten Staaten jedoch ein Schlüsselelement zur Durchsetzung ihrer außen- und sicherheitspolitischen Zielsetzungen in der Region.86 Nicht zuletzt drohte der Sechstagekrieg den Vorderen Orient in einen weiteren Stellvertreterkrieg im Rahmen des OstWest-Konfliktes zu verwandeln.87 Da das Militärbündnis der CENTO sich nach wie vor als schwach und wenig effektiv erwies, rückten sowohl die Südostflanke der NATO als auch Zypern in den Mittelpunkt der amerikanischen Interessen.88 Der britische Stützpunkt Akrotiri im Süden der Insel barg atomare Waffensysteme und erlaubte britischen 81 82 83

84 85 86 87 88

Andries, Greece and Turkey, S. 189 f. Ebd.; siehe hierzu auch den zeitgenössischen Aufsatz (1970) von Whetten, Soviet Strategy. AdG, 38  (1968), 26.1.1968, S.  13691  f.; Kanet, Vier Jahrzehnte sowjetische Wirtschaftshilfe, S.  50  f. Zur Thematik der Militärhilfen und Militärbeziehungen des Warschauer Paktes in die Dritte Welt sei in diesem Zusammenhang der Band von Klaus Storkmann erwähnt, der sich vor allem mit der Rolle der DDR befasst hat: Storkmann, Geheime Solidarität. AdG, 38 (1968), 26.1.1968, S. 13691 f.; Protokoll NAC-Sitzung vom 28.2.1968, 15.3.1968, NATO, C-R (68) 11; Dismukes/Weiss, Mare Rosso, S. 4.; Andries, Greece and Turkey, S. 189 f. Wilson, The US Sixth Fleet, S. 12. Campbell, The Mediterranean Crisis, S. 606. Kuniholm, Die Nahostkriege, S.  452; Di Nolfo, The Cold War and the Transformation of the Mediterranean S. 245. Sakkas, The Greek Dictatorship, the USA and the Arabs, S. 250.

162

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Bombern, Ziele im Kaukasus zu bekämpfen, welche die NATO andernfalls nur von türkischen Basen aus erreichen konnte.89 Die Türkei hatte den britischen Verbündeten jedoch in Friedenszeiten die Stationierung von Luftstreitkräften auf ihrem Hoheitsgebiet untersagt, um ihr Verhältnis zu Moskau nicht zu strapazieren. Vor diesem Hintergrund blieb das State Department nicht untätig. Assistant Secretary Lucius Battle rief den griechischen Botschafter in Washington am 17. November 1967 zu sich und drückte den Unmut Washingtons über die Ereignisse auf Zypern aus.90 Er forderte Athen mit Nachdruck auf, die Truppenbewegungen des griechischen Kontingents auf der Insel zu beenden und auch gewalttätige Streifzüge griechischer Zyprioten zu unterbinden. Die Geschlossenheit von NATO und US-Regierung blieb nicht ohne Wirkung. Griechenland war sichtlich daran gelegen, das Wohlwollen seiner westlichen Bündnispartner nicht unnötig aufs Spiel zu setzen. Papadopoulos rief Grivas daher nach Athen zurück und wies die unterstellten griechisch-zypriotischen Kräfte an, sich aus den umkämpften Gebieten zurückzuziehen.91 Die unerwartete Flexibilität des Militärregimes ließ erkennen, dass kritische Gegenstimmen in Griechenland seit der Machtübernahme der Junta verstummt waren. Dies schloss auch Erzbischof Makarios und seine Anhänger mit ein. Zwischenzeitlich trafen Teile der 6. US-Flotte in den nördlichen Küstengewässern Zyperns ein. Wie schon drei Jahre zuvor suchte Washington die Spannungen durch die Präsenz amerikanischer Kampfschiffe symbolisch zu entschärfen.92 Das erhoffte Ergebnis blieb jedoch aus. Statt einer Entspannung drohte die Krise augenblicklich von türkischer Seite zu eskalieren. Die türkische Presse warf dem amerikanischen Verbündeten vor, Ankara mit seiner Militärpräsenz abermals daran hindern zu wollen, den bedrängten türkischen Zyprioten zu Hilfe zu kommen.93 Trotz der Bemühungen der westlichen Verbündeten, die Krise zu entschärfen, wies Demirel den Türkischen Generalstab aufs Neue an, sich auf eine Landung vorzubereiten.94 Dies schloss auch den Einsatz militärischer Mittel gegen griechische Truppen ein, sollten diese versuchen, die Invasionstruppen an ihrem Vorhaben zu hindern. Die türkische Luftwaffe stand in erhöhter Bereitschaft.95 Bodenpersonal war auf dem Fliegerhorst Eskisehir damit beschäftigt, Jagdbomber für den Einsatz über Zypern vorzubereiten. Als Folge versetzte auch Griechenland seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft.96 Seit dem Ausbruch der Spannungen hatte sich der griechische NATO-Botschafter bei Brosio über neuerliche Luftraumverletzungen türkischer Jäger in der Ägäis beklagt.97 Auf Drängen des Generalsekretärs hatte der SACEUR sich der Angelegenheit angenommen und 89 90 91 92 93 94 95 96 97

Dimitrakis, Failed Alliances of the Cold War, S. 71 f. und S. 165. State Dep. – Situation Report, 17.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520. Ebd. USCINCEUR an CINCUSNAVEUR, 17.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520, CONFIDENTIAL C0479, B 766Z JCS 1072/17 R2, Nr. 41. Ebd. USCINCEUR an DoD, 18.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 534, Nr. 42. USCINCEUR an DoD, 20.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 466, Nr. 50. State Dep. – Situation Report, 19.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520. Telegramm Ständiger Militärischer US-Vertreter (USNMR SHAPE) an State Dep., 19.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 488, Nr. 8.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

163

in enger Zusammenarbeit mit CINCSOUTH die griechischen und türkischen Offiziere beim NATO-Headquarters Allied Forces Southern Europe (AFSOUTH, mit Sitz in Neapel) zu einer Aussprache überredet. Die türkische Militärführung hatte ihre Gesprächsbereitschaft jedoch wegen der Kämpfe auf Zypern wieder zurückgezogen. Die Südostflanke des Bündnisses drohte erneut schweren Schaden zu nehmen. Brosio warnte den türkischen NATO-Botschafter Birgi, die Maßnahmen der türkischen Regierung seien geeignet, den Streit mit dem griechischen Verbündeten in einen offenen Krieg eskalieren zu lassen.98 Gleichzeitig bot Brosio abermals seine Vermittlung an. Birgi schob jedoch Athen die Verantwortung für den Ausbruch der neuen Feindseligkeiten zu und forderte den Generalsekretär auf, dem griechischen Streben nach Enosis endlich Einhalt zu gebieten.99 Währenddessen griff der Krisenherd auch auf die nördliche Ägäis über. Die türkischen Streitkräfte trafen intensive Vorbereitungen für Kampfhandlungen mit Griechenland an der thrakischen Grenze.100 Die türkische 1. Armee, deren bündnisinterner Auftrag eigentlich in der Verteidigung des Bosporus gegen bulgarisch-sowjetische Aggressionen bestand, brachte schwere Artillerie am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros in Stellung.101 Pioniertruppen bereiteten währenddessen Feldbefestigungen vor, um gegen griechische Scharmützel gewappnet zu sein. Im Gegenzug zog das griechische Regime kurzzeitig in Erwägung, einen Präventivschlag aus der Luft gegen die dort befindlichen türkischen Truppen zu führen.102 Die Schwelle zu einem offenen Krieg zwischen den beiden Bündnispartnern lag niedriger als je zuvor. Angesichts des drohenden Waffengangs wurde die Militärorganisation der NATO augenblicklich aktiv.103 Der Militärausschuss tagte in einer Krisensitzung.104 Die anwesenden Militärvertreter drückten ihre Besorgnis über die möglichen Folgen eines griechisch-türkischen Schlagabtauschs aus. Sie verwiesen auf die ohnehin schwache Verteidigungsaufstellung bei LANDSOUTHEAST und der SIXATAF, deren akuter Zusammenbruch bevorstünde, sollten Ankara und Athen zu den Waffen greifen. Die NATOOffiziere appellierten an ihre griechischen und türkischen Kameraden, ihre Regierungen von unüberlegten Schritten abzuhalten. Auf Drängen Washingtons und des Militärausschusses appellierte der SACEUR an den Türkischen und den Griechischen Generalstab, von jeglichen Kampfhandlungen abzusehen. Er warnte Griechenland und die Türkei, dass eine derartige Entwicklung die Schlagkraft des Bündnisses schwer beeinträchtigen und der westlichen Welt erheblichen Schaden zufügen könnte. Wie seine Vorgänger erinnerte der SACEUR die zerstrittenen Bündnispartner auch daran, dass ihre Streitkräfte 98 99 100 101 102 103 104

Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 18.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 91, NAO 00493, Nr. 91. Ebd. State Dep. – Situation Report, 20.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520; USCINCEUR an DoD, 19.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 382, Nr. 49. Ebd.; Hart, Two NATO Allies at the Threshold of War, S. 55. USCINCEUR an DoD, 19.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 382, Nr. 49. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 20.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, CONFIDENTIAL 303, NATO 00514, Nr. 50. Memorandum NATO-Militärausschuss, 21.11.1967, NATO Military Archive, Mons, SHAPE, IMSWM-219-67. Ich danke Bernd Lemke (ZMSBw) für den Hinweis auf diese Quelle.

164

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

von den übrigen NATO-Partnern dazu ausgebildet und ausgerüstet worden seien, einen äußeren Gegner abzuwehren, nicht aber, um einen bündnisinternen Konflikt mit militärischen Mitteln auszutragen. Der türkische Geheimdienst ließ den SACEUR daraufhin die verdeckte Nachricht zukommen, dass die Türkei sich der katastrophalen Folgen sehr wohl bewusst wäre, die ein Krieg mit Griechenland nach sich ziehen könnte.105 Weder die türkische Regierung noch der Generalstab besäßen ein Interesse, Griechenland zu einem Waffengang herauszufordern. Wenn die griechische Regierung aber nicht einlenkte und ihre Truppen von Zypern abzog, sähe sich Ankara gezwungen, mit eigenen Kräften auf der Insel zu landen. Es stand außer Zweifel, dass die Türkei fest entschlossen war, die Zypernfrage ein für allemal zu lösen und dafür auch zu militärischen Mitteln zu greifen. Brosio wandte sich am 20. November 1967 erneut an Demirel und Papadopoulos, appellierte abermals an deren Zurückhaltung und bot seine Vermittlung an.106 Der türkische Außenminister Çağlayangil forderte mit Nachdruck den Abzug der griechischen Truppen von der Insel.107 Griechenland hingegen schloss eine Rückverlegung seiner Verbände kategorisch aus.108 Nach Auffassung der Junta musste es genügen, dass die Kämpfe auf der Insel zum Erliegen gekommen waren. Der griechische NATO-Botschafter betrachtete die Forderung Ankaras als erniedrigend und warf der türkischen Regierung vor, Athen zu erpressen. Brosio und die Mitglieder des NATO-Rates hielten die Lage daher für wenig aussichtsreich.109 Der NAC war sich unschlüssig, welche Maßnahmen das Bündnis angesichts seiner begrenzten Handlungsmöglichkeiten noch ergreifen konnte. Die britische, amerikanische und die kanadische Regierung hatten zwischenzeitlich eine eigene Initiative auf den Weg gebracht, um den Rückzug aller griechischen Truppen aus Zypern mit der Athener Militärregierung auszuhandeln.110 Der Plan traf in Ankara auf große Zustimmung. In Athen hingegen ließ Außenminister Panagiotis Pipinelis sein Mißfallen über das Vorhaben erkennen. Lediglich Makarios war dem Ansinnen wohlgesonnen.111 Die frühere Abhängigkeit der griechischen Regierungen von den Absichten des Erzbischofs hatte sich zwischenzeitlich ins Gegenteil verkehrt. Die Ethnarch war politisch zunehmend an den Rand gedrängt worden. Die bewaffneten Kräfte auf der Insel wurden mehrheitlich von Athen kontrolliert, wohingegen Makarios selbst um sein Leben fürchten musste, wenn er sich dem Willen des Regimes nicht beugte. Folglich übte der Erzbischof nur noch geringen Einfluss auf die Ereignisse aus. In Anbetracht der prekären Lage stand die NATO nach wie vor im Zugzwang. Auch Washington bemühte sich vor dem Hintergrund der vitalen amerikanischen Interessen in der Region nach Kräften, die Rolle der Allianz in dieser Frage zu stärken. US-Under 105 106 107 108 109 110 111

USCINCEUR an CINCUSNAVEUR, 20.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520, SECRET 546, Nr. 8. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 21.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, CONFIDENTIAL 28, NATO 531, Nr. 45. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 21.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 911, NATO 530, Nr. 47. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 21.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 164, NATO 544, Nr. 48. Ebd. State Dep. – Situation Report, 21.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520. FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 313, Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 22.11.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

165

Secretary Eugene Rostow drängte Brosio, die Hände nicht in den Schoß zu legen.112 Er forderte den Generalsekretär auf, direkt in die beiden Hauptstädte zu reisen, um durch seine Präsenz vor Ort einen Kompromiss zu erzielen. Die Schlichtungstätigkeit des Bündnisses war mittlerweile zu einem Hauptanliegen Washingtons geworden. Das State Department kündigte überdies an, die Verschiffung amerikanischer Rüstungsgüter für Griechenland und die Türkei bis auf Weiteres zu verzögern.113 Das US-Außenministerium hatte im Eilverfahren Lagebeurteilungen anlegen lassen, welche die Folgen eines solchen Schrittes prüfen sollten.114 Die amerikanische Regierung war zu dem Schluss gekommen, dass die prekäre Situation umgehend Sanktionen gegen die beiden Bündnispartner erforderte. Zudem hielt sich die greco-amerikanische Lobby diesmal weitgehend zurück.115 Die AHEPA hüllte sich angesichts der offensichtlichen Divergenzen zwischen der repressiven Politik der Junta und den Interessen der Greco-Amerikaner in Schweigen. Athen seinerseits reagierte umgehend auf das amerikanische Embargo. Der griechische NATO-Botschafter setzte Brosio kurzerhand über die Verhandlungsbereitschaft seiner Regierung in Kenntnis.116 Papadopoulos lud den Generalsekretär zu einem Besuch in die griechische Hauptstadt ein. Brosio wiederum nahm die Erklärung Athens mit Wohlwollen auf und forderte beide Streitparteien auf, nicht zu den Waffen zu greifen, solange seine Schlichtungstätigkeit im Gange sei. Auch der amerikanische NATO-Botschafter ermutigte den Generalsekretär, seine Vermittlungsversuche fortzusetzen.117 Er sicherte Brosio nochmals die uneingeschränkte Unterstützung Washingtons zu. Ankara blieb skeptisch.118 Jedoch verfügte auch Demirel kaum über Alternativen. Ungeachtet der Drohkulisse, welche die türkischen Streitkräfte mit ihren Invasionsvorbereitungen aufgebaut hatten, waren die Landungskräfte für eine Invasion auf Zypern noch nicht hinreichend gerüstet.119 Es fehlte an einsatzbereiten Landungsbooten und 112 113 114

115

116 117 118 119

Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 21.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 257, NATO 546, Nr. 87. Memorandum for the Cyprus Working Group: Public Statement on Suspension of US-Military Assistance to both Greece and Turkey, 21.11.1967, NARA, RG 59, NND 36470. Memorandum for the Cyprus Working Group: Contingency Paper – Possible Economic Pressure on Greece and Turkey, 21.11.1967, NARA, RG  59, NND  36470; Memorandum US-Military Assistance to Greece and Turkey: Possible Suspension for Unauthorized Utilization, 20.11.1967, NARA, RG  59, NND  36470; Memorandum for the Cyprus Working Group: Suspension of US-Military Assistance to Greece and Turkey, 22.11.1967, NARA, RG 59, NND 36470. Bolukbasi, The Superpowers, S.  145. Ioannides, Realpolitik, S.  47‑50, vertritt die gegenteilige Auffassung. Seiner Ansicht nach habe sich die Junta bei den Greco-Amerikanern großer Beliebtheit erfreut. Der Autor räumt lediglich ein, dass einige griechischstämmige US-Amerikaner auf die Junta »apathisch« reagiert hätten. Fraglich bleibt bei dieser These allerdings, weshalb sich die griechischstämmige Lobby gegenüber den amerikanischen Sanktionen bedeckt hielt. Wie später, im Jahre 1975, aus griechischen Regierungskreisen bekannt wurde, hatte der Kongress – vermutlich auf Drängen einflussreicher Kreise der AHEPA – sogar durchgesetzt, dass Washington seine Militärhilfen für Griechenland während der Diktatur von rund 71 Mio. US-Dollar im Jahre 1967 auf lediglich 7 Mio. im Jahre 1973 reduzierte. Vgl. hierzu auch Drahtbericht bdt. MilAttaché Athen an AA, 4.2.1975, BArch, BW 4 3067, Nr. 27/ 75. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 21.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 583, NATO 559, Nr. 50. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 22.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 655, NATO 573, Nr. 4. Ebd. Uslu, The Cyprus Question, S. 99 f.; Bolukbasi, The Superpowers, S. 135‑137.

166

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Kapazitäten für den Lufttransport. Der Türkische Generalstab räumte gegenüber der amerikanischen Militärführung ein, dass er nicht in der Lage wäre, ausreichend gepanzerte Kräfte und Luftlandetruppen auf die Insel zu verlegen, um den Erfolg des Unternehmens sicherzustellen. Darüber hinaus verfügte die türkische Marine nur über wenig Erfahrung in amphibischen Operationen. Nicht zuletzt stellte die Präsenz der 6.  USFlotte ein psychologisches Hindernis dar. Wenn die türkische Regierung sich dennoch für eine militärische Antwort an Griechenland entschied, blieb ihr somit nur die riskante Möglichkeit, eine Vergeltungsoffensive in Thrakien zu starten. Allerdings war dann fraglich, wie die NATO, der amerikanische Partner und die Weltöffentlichkeit reagieren würden. Ankara lief in einem solchen Fall Gefahr, selbst als Aggressor dazustehen. Folglich willigte auch die türkische Regierung in bilaterale Verhandlungen unter dem Dach der NATO ein.120 Trotzdem wurden noch keine Anzeichen von Entspannung laut. Stattdessen drohte dem militärischen Arm der Südostflanke Gefahr. Der Griechische Generalstab setzte Washington darüber in Kenntnis, dass die türkische Luftwaffe Teile ihrer Jägerstaffeln auf die Basen Ciğli bei Izmir (Ägäische Küste) und Incirlik bei Adana (nördlich von Zypern) verlegt hatte.121 Da auf diesen Stützpunkten auch amerikanische Flugzeuge stationiert waren, vermutete Athen, dass die Türkei darauf spekuliere, griechische Jäger würden im Falle eines türkischen Angriffs keine Vergeltung üben, um nicht die Luftfahrzeuge des US-Verbündeten zu treffen. Die griechischen Militärs ließen aber keinen Zweifel daran, dass sie im Falle eines türkischen Angriffs keine Rücksicht auf das amerikanische Militärgerät zu nehmen imstande wären, sondern sich gezwungen sähen, einen Schlag gegen alle dort befindlichen Maschinen auszuführen. Die Südostflanke der NATO glich einem Pulverfass, dessen Lunte bereits brannte. Wie schon die türkischen Vorgängerregierungen saß das Kabinett Demirels in einer Zwickmühle zwischen innen- und außenpolitischen Zwängen. Aufgestachelte Demonstranten in Istanbul, Ankara und Erzurum forderten die Landung der türkischen Truppen auf Zypern.122 Sie riefen ihren Regierungschef wegen dessen zögerlicher Haltung bereits öffentlich zum Rücktritt auf. In Sprechchören appellierten sie an die türkischen Streitkräfte, der Misere der türkisch-zypriotischen Landsleute endlich ein Ende zu setzen. In der Nationalversammlung griffen die oppositionellen Parteien den Regierungschef massiv an und warfen ihm vor, die einmalige Chance zu vergeuden, dem Erzbischof und den verhassten Griechen »eine Lektion« zu erteilen. Auch in den eigenen Reihen wurde der Ruf nach einer Entscheidung lauter. Der konservative Flügel der regierenden Adalet Partisi (Gerechtigkeitspartei) hielt eine gewaltsame Teilung der Insel für unausweichlich und wies auf die Überlegungen der Armeeführung hin, die Landung ihrer Truppen notfalls mit Hilfe ziviler Fährschiffe zu unterstützen. Der türkische Ministerpräsident setzte Athen schließlich ein Ultimatum. Die Junta sollte ihre Kräfte bis zum 23. November

120 121 122

Uslu, The Cyprus Question, S. 99 f.; Bolukbasi, The Superpowers, S. 135‑137; Telegramm State Dep. an US Botschaft Ankara, 22.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, Nr. 89. Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 22.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520, CONFIDENTIAL (unleserlich), Nr. 88. Bolukbasi, The Superpowers, S. 136‑138.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

167

von der Insel abziehen. Andernfalls würde die Türkei zu den Waffen greifen. Das türkische Parlament ging sogar noch einen Schritt weiter: Die Große Nationalversammlung ermächtigte Demirel, Griechenland im Bedarfsfalle unmittelbar den Krieg zu erklären.123 Trotz der verwundbaren Lage, in der die NATO sich befand, hielt Moskau sich zurück. Der Kreml unternahm keinen Versuch, den Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei zu schüren, um das westliche Bündnis zu destabilisieren. In Anbetracht der aufkeimenden inneren Unruhen und dem Ruf nach grundlegenden Reformen im tschechoslowakischen Bruderstaat befand sich auch der Warschauer Pakt in einer wachsenden Binnenkrise.124 Neben der ČSSR sorgte auch Rumänien für blockinterne Differenzen mit der Sowjetunion. Bukarest suchte die vom Kreml geforderte, politische und militärische Unterordnung der Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages unter die sowjetische Hegemonie zu untergraben und forderte die Gleichberechtigung aller Partner.125 Die Staats- und Parteiführung in der sowjetischen Hauptstadt hatte genug damit zu tun, die sozialistische Vertragsorganisation nach innen zu konsolidieren. Darüber hinaus schien auch das sowjetisch-chinesische Zerwürfnis die Staats- und Parteiführung in diesen Tagen mehr als das östliche Mittelmeer zu beschäftigen, zumal die wachsenden Spannungen zwischen Moskau und Peking Gefahr liefen, in einen offenen, militärischen Konflikt in Fernost zu münden.126 Folglich begnügten sich Radio Moskau und der sowjetische UN-Vertreter mit allgemeinen Vorwürfen an Griechenland und die NATO, mit der Krise um Zypern den Frieden in der Region zu gefährden.127 Zwar gingen amerikanische Nachrichtendienste davon aus, dass Moskau langfristig Ziele hegte, auf der Insel Stützpunktrechte für die SOVMEDRON zu erwerben.128 Die Sowjetunion wagte zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht, derartige Ziele aktiver zu verfolgen. Vielmehr lag es auch im Interesse des Kremls, den Frieden im östlichen Mittelmeer zu bewahren, wenn auch aus gänzlich anderen Motiven als die NATO: Unabhängig davon, wie ein möglicher griechisch-türkischer Krieg um Zypern endete, ging Moskau davon aus, dass weder die griechische Junta noch die türkische Regierung die Existenz einer kommunistischen Partei auf der Insel tolerieren würden. Aus Sicht des Zentralkomitees und des Politbüros würde der Ausgang eines Krieges nur dazu führen, dass Zypern sich entweder in griechisches oder türkisches Hoheitsgebiet verwandelte. In beiden Fällen rechnete der Kreml mit umfassenden Stützpunktrechten für die NATO. Das sowjetische Außenministerium blieb daher offiziell weitgehend unparteiisch und beschränkte sich darauf, der Türkei für den Fall eines Krieges mit Griechenland zivile logistische Hilfsleistungen anzubieten.129 Die Lieferung von Militärtechnik und Munition schloss Moskau jedoch aus.

123 124 125 126 127 128 129

Uzer, Identity and Turkish Foreign Policy, S. 134. Kramer, Die Sowjetunion, der Warschauer Pakt und blockinterne Krisen. Rijnoveanu, Rumänien und die Militärreform de Warschauer Paktes, S. 221 f. Stöver, Der Kalte Krieg, S. 348‑355. State Dep. – Situation Report, 23.11. und 25.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520. Ebd. USCINCEUR an Vereinigte Stabschefs US-Streitkräfte (JCS), 25.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 506, Nr. 49.

168

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

4. Schlichtungsversuche des amerikanischen Sonderbeauftragten Cyrus Vance und Sanktionen der NATO gegen Griechenland und die Türkei US-Präsident Johnson entsandte am 22.  November 1967 den stellvertretenden USAußenminister Cyrus Vance als Sonderbeauftragten in die Region, um die Krise zu entschärfen und das besondere Anliegen Washingtons zu untermauern, den Frieden zwischen Griechenland und der Türkei zu bewahren.130 In Anbetracht der langfristigen Folgen seines scharfen Telegramms vom Juni 1964 verzichtete Johnson dieses Mal darauf, die türkische Regierung mit einer neuen Verbalnote zu brüskieren.131 Der amerikanische Botschafter Parker Hart fürchtete an diesem Tage, dass es sich nur noch um Stunden handeln könne, bis die türkische Armeeführung den Befehl zum Übersetzen ihrer Truppen nach Zypern erteilte.132 Die türkischen Botschafter in den europäischen Hauptstädten warben bei den NATO-Partnern bereits um Verständnis, sollte Ankara in Kürze militärisch zur Tat schreiten.133 Türkische Jagdbomber überflogen Zypern unterdessen in unregelmäßigen Abständen. Die türkischen Seestreitkräfte bereiteten in Istanbul amphibische Landungsboote und zivile Frachtschiffe für den Transport der Invasionsstreitmacht vor.134 An der türkischen Südküste entluden Transportfahrzeuge Hunderte von Kampfpanzern der 5. Mechanisierten Brigade. Jenseits des Bosporus im türkischen Thrakien standen abseits der Hauptverkehrswege Nachschubfahrzeuge, Artillerie und Panzerabwehrgeschütze in vorbereiteten Stellungen und getarnten Unterständen bereit. Gleichzeitig bewegten sich Kampfverbände türkischer Infanterie langsam in Richtung der griechischen Grenze.135 Die türkische Militärführung griff bei ihren Vorbereitungen auch auf NATO-assignierte Kräfte zurück.136 Obgleich die Maßnahmen in Thrakien trotz ihres martialischen Charakters eher defensiver Natur zu sein schienen, konnte ein türkischer Präventivschlag in diesem Stadium nicht mehr ausgeschlossen werden. Auch in Bonn war man sich der ernsten Lage bewusst. Die Bundesregierung suchte daher ihre guten Beziehungen zu Griechenland und der Türkei ins Spiel zu bringen, um beide Widersacher zu Kompromissen zu drängen.137 Die Vorsprachen der deutschen Diplomaten wurden in beiden Hauptstädten wohlwollend aufgenommen, waren aber 130 131 132 133 134 135 136 137

Telegramm State Dep. an US-Botschaft Athen, 22.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 639, Nr. 41. Bolukbasi, The Superpowers, S. 137; Güney, The USA’s Role in Mediating the Cyprus Conflict, S. 32. Hart, Two NATO Allies at the Threshold of War, S. 68. Aufzeichnung Staatssekretär Duckwitz zur Vorlage bei Bundesaußenminister, 23.11.1967, PA AA, B 150 IIA7, Nr. 8104-9243-/3816/67. USCINCEUR an USNMR (NATO), 23.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 920, Nr. 51; State Dep. – Situation Report, 22.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520. USCINCEUR an USNMR (NATO), 23.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 324, Nr. 92. USCINCEUR an Oberbefehlshaber US-Luftstreitkräfte in Europa (USAREUR), 23.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 270, Nr. 7. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 24.11.1967, PA AA, B 150 IIA7, Nr. 388; und Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 24.11.1967, PA AA, B 150 IIA7, Nr. 1024.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

169

nicht von Erfolg gekrönt. Vielmehr vermeldete der Drahtbericht der bundesdeutschen Botschaft in Ankara, dass das Gespräch mit der türkischen Regierung nur die Befürchtungen über den unmittelbar bevorstehenden Ausbruch griechisch-türkischer Kampfhandlungen bestätigt habe. Unmittelbar nach seiner Ankunft führte Vance in der griechischen und türkischen Hauptstadt Gespräche mit dem Ziel, den Ausbruch militärischer Feindseligkeiten zu verhindern.138 Im Gegensatz zu seinen deutschen Kollegen gelang es dem amerikanischen Sonderbeauftragten nach zähen und langwierigen Verhandlungen, Ankara dazu zu überreden, seine Invasionspläne einstweilen aufzuschieben. Auch konnte er der türkischen Regierung das Einverständnis abtrotzen, Brosios Vermittlungsangebot anzunehmen. Mit Versprechungen über künftige Wirtschaftshilfen vermochte Vance den türkischen Verbündeten schließlich doch zu schrittweisen Zugeständnissen zu bewegen.139 Die Gefahr war damit jedoch keineswegs gebannt. Die Krise konnte letztlich nur beigelegt werden, wenn Athen nachgab und seine Truppen von der Insel abzog. Die Allianzmitglieder einigten sich folglich darauf, dem amerikanischen Beispiel Folge zu leisten und ihre Verteidigungshilfen für Griechenland und die Türkei gemeinschaftlich auszusetzen.140 Die Entscheidung lief den Bemühungen von Vance dabei keineswegs zuwider. Der eiligen Entscheidung lag vielmehr das doppelte Ziel zugrunde, die griechische Junta unter Druck zu setzen und gleichzeitig Moskaus unterschwelligen Intrigen entgegenzuwirken, die Türkei vom Bündnis abzuspalten. Zwar hatte sich der Kreml in der griechisch-türkischen Streitfrage bislang zurückgehalten und keine Versuche unternommen, den Konflikt anzuheizen. Gleichwohl versäumte Moskau nicht die Gelegenheit, das türkische Verhältnis zur NATO zu stören.141 Der sowjetische Militärattaché in London suchte den türkischen Militärattaché mehrfach davon zu überzeugen, dass die westlichen Verbündeten Athen in großem Stile mit Rüstungsgütern belieferten, um die 138

139 140 141

Final Report of Vance Mission to Turkey, Greece and Cyprus Nov. 22‑Dec 4, 1967, 14.12.1967, NARA, RG 59, NND 989520; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 320, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 24.11.1967, ; ebd., doc. 322, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 25.11.1967, ; ebd., doc.  324, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 25.11.1967, ; ebd., doc. 325, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 25.11.1967, ; ebd., doc.  326, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 27.11.1967, ; ebd., doc. 328, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 28.11.1967, ; ebd., doc.  329, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 28.11.1967, ; ebd., doc. 330, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 28.11.1967, ; ebd., doc. 332, Auszug Protokoll 579. Sitzung NSC, 29.11.1967, , alle letzter Aufruf 12.1.2017; Hart, Two NATO Allies at the Threshold of War, S. 59‑103; Uslu, The Cyprus Question, S. 100—102; Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 23.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 192, NATO 567, Nr. 45. Göktepe, The Cyprus Crisis, S. 440. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 25.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 738, NATO 631, Nr. 47. Büro des US-Militärattachés (USDAO) an DoD, 28.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520, CONFIDENTIAL 1741, Nr. 305.

170

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

militärische Unterlegenheit Griechenlands im Falle eines Waffengangs mit der Türkei auszugleichen. Obwohl die türkische Militärführung die sowjetischen Behauptungen zurückwies, musste die NATO ein deutliches Zeichen setzen, wollte sie den Sticheleien Moskaus nachhaltig entgegentreten. Der informelle Beschluss zur vorübergehenden Einstellung der Militärhilfen durfte indes nur in einer Form erfolgen, die beiden Streitparteien zugleich ihre Unterstützung entzog. Andernfalls lief die Allianz Gefahr, sich dem Vorwurf der einseitigen Parteinahme auszusetzen und der Sowjetführung auf diesem Wege in die Hände zu spielen. Trotzdem war an eine endgültige Kompromissbereitschaft Ankaras noch nicht zu denken.142 Die Sanktionen der NATO schienen türkischerseits eher das Gegenteil zu bewirken. Die politische Lage in der Türkei blieb unverändert angespannt.143 Der amerikanische Botschafter in Griechenland, Philipps Talbot, war auf Weisung des State Department zu Verhandlungen nach Ankara geflogen und meldete nach Washington, dass sich die türkische Regierung und Bevölkerung in einem gefährlich fatalistischen Gemütszustand befänden. Seinem Bericht nach war Demirel nicht länger bereit, den Helotenstatus der türkischen Zyprioten zu tolerieren. Den Worten der türkischen Regierung folgend stand die Ehre des eigenen Volkes auf dem Spiel. Ankara drohte abermals mit einer Landung, sollte Griechenland seine Truppen nicht umgehend von der Insel abziehen. Überdies waren während des Aufenthalts von Cyrus Vance demonstrierende Studenten in Istanbul auf den Zaun einer amerikanischen Regierungseinrichtung geklettert, hatten eine Flagge der Vereinigten Staaten entwendet und diese öffentlich auf dem TaksimPlatz verbrannt.144 Zugleich hatte eine wutentbrannte Menge amerikafeindliche Parolen skandiert. Die Demonstranten hatten angekündigt, sich dieses Mal nicht von einem Drohbrief des US-Präsidenten einschüchtern zu lassen. Das Istanbuler Tageblatt »Tercüman« verfasste einen Artikel, der Präsident Johnson in der Uniform eines griechischen Generals abbildete. Sogar die liberalen, linksgerichteten Parteien forderten angesichts der Lage einen entscheidenden Schlag zur Lösung der seit Jahrzehnten schwelenden Zypernfrage. Die Hysterie der Bevölkerung spiegelte sich auch in den Streitkräften wider. Offiziere des Feldheeres standen kurz davor, gegen die Regierung und den Generalstab zu meutern.145 Sie drohten unverhohlen an der Istanbuler Kriegsakademie, Demirel und die Militärführung im Handstreich zu entmachten, sollte Ankara bis zum 27. November

142 143

144

145

Ebd. USCINCEUR an DoD, 22.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520, SECRET 435, Nr.  87; USCINCEUR an Oberbefehlshaber US-Seestreitkräfte in Europa (USNAVEUR), 21.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 978, Nr. 7; Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, Nr. 7; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 319, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.11.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. USCINCEUR an DoD, 22.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 435, Nr. 87; USCINCEUR an Oberbefehlshaber US-Seestreitkräfte in Europa (USNAVEUR), 21.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 978, Nr. 7; Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, Nr. 7; FRUS, 1964‑1968, vol. 16, doc. 319, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.11.1967, , letzter Aufruf 12.1.2017. USCINCEUR an DoD, 27.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 501, Nr. 53.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

171

die Zypernfrage nicht im türkischen Sinne lösen. Damit einhergehend kündigten sie an, die Krise um die Insel dann militärisch »auf eigene Faust«146 bereinigen zu wollen. Schließlich lenkte Athen ein.147 In Anbetracht der akuten türkischen Kriegsbereitschaft, der griechischen Abhängigkeit von den Militärhilfen des Westens und der empfindlichen Sanktionen der NATO erkannte das Militärregime, dass die griechische Durchhaltefähigkeit in einem Krieg mit der Türkei nur von kurzer Dauer sein würde. Im Falle eines Waffengangs mit dem östlichen Nachbarn mussten die Obristen damit rechnen, ihr Land innerhalb der NATO zu isolieren. Eine militärische Niederlage gegen die Türkei oder eine erfolgreiche Besetzung Zyperns durch türkische Truppen konnte zudem ein schnelles Ende der Herrschaft der Junta bedeuten. Die griechische Regierung setzte den amerikanischen NATO-Delegierten Harlan Cleveland und den US-Botschafter in Ankara folglich darüber in Kenntnis, dass sie nun doch bereit sei, ihre Truppen von der Insel abzuziehen.148 Gleichzeitig forderte das Regime von der türkischen Regierung, ihre provozierenden und bedrohenden Maßnahmen umgehend einzustellen. Die Allianz bemühte sich unterdessen, die Anstrengungen von Vance zu unterstützen. Der britische Delegierte drängte die europäischen NATO-Botschafter dazu, sich geschlossen hinter die Schlichtungsbemühungen Brosios und des US-Außenministers zu stellen.149 Der Generalsekretär kündigte an, Griechenland und der Türkei auf eigene Initiative hin einen Besuch abzustatten, um vor Ort auf die beiden Bündnispartner schlichtend einzuwirken.150 Der NAC billigte seine Pläne.151 Noch am selben Abend reiste Brosio nach Athen und richtete zeitgleich ein Telegramm an Demirel, in dem er die türkische Regierung wiederholt ermahnte, während des laufenden Schlichtungsprozesses keine unbedachten Schritte zu unternehmen.152 In der griechischen Hauptstadt traf er auf Vance und koordinierte mit dem US-Sondergesandten das weitere Vorgehen. In Ankara wiederum verhandelte Brosio mit der türkischen Regierung über eine Verlängerung des Ultimatums für den Abzug der griechischen Truppen.153 Außenminister Çağlayangil erklärte sich schließlich bereit, auf eine Intervention zu verzichten, zumal Athen guten Willen gezeigt hätte.154 146 147 148

149 150 151 152 153

154

Ebd. Bahcheli, Greek-Turkish Relations, S.  74; Kalaitzaki, US-Mediation in Greek-Turkish Disputes, S. 115. Telegramm State Dep. an Ständigen US-Vertreter (NATO), 23.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, Nr. 47; Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 23.11.1967, NARA, RG  59, NND  989520, Nr.  45; USCINCEUR an DoD, 25.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, Nr. 91, hier: Auch Makarios war nun bereit, über einen Abzug der griechischen Truppen und einer weitgehenden Entwaffnung beider Volksgruppen zu verhandeln. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 24.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 642, NATO 625, Nr. 92. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 24.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 488, NATO 624, Nr. 48. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 24.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 642, NATO 625, Nr. 92. Ebd. US-Botschaft Athen an State Dep., 26.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 971, Athens 02435, Nr. 4; State Dep. – Situation Report, 25.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520; State Dep. – Situation Report, 26.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520. State Dep. – Situation Report, 29.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520.

172

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Nach seiner Rückkehr in die griechische Metropole trug Brosio dem griechischen Außenminister die türkischen Bedingungen vor.155 Pipinelis reagierte zwar ungehalten. Dennoch willigte auch der griechische Minister ein, die türkischen Forderungen in Einklang mit Vances Vermittlungsergebnissen anzunehmen. In der Zwischenzeit rief Brosios Stellvertreter den NATO-Rat in Brüssel zusammen, ohne den griechischen und türkischen Delegierten zu beteiligen.156 US-Vertreter Cleveland schlug vor, mit Hilfe des griechischen und türkischen NATO-Botschafters neue Versuche zu unternehmen, den Dialog zwischen den verfeindeten Hauptstädten wieder zu beleben. Die Anwesenden einigten sich schließlich darauf, Brosios Schlichtungsprozess nach Kräften zu unterstützen.157 Die NATO-Botschafter der USA, Kanadas, Großbritanniens, Deutschlands und Italiens berieten darüber, welche Schritte der NATO-Rat noch unternehmen konnte, um Brosios und Vances Anstrengungen zu unterstützen.158 Sie einigten sich darauf, den Rat im Falle von Kampfhandlungen zwischen Griechenland und der Türkei umgehend zu einer Eilsitzung zusammenzurufen. Sie vereinbarten, in einem solchen Fall einen geschlossenen Appell an beide Streitparteien zu richten, die militärischen Auseinandersetzungen unverzüglich einzustellen und auf Brosios Vermittlungsversuche wieder einzugehen. Im Zuge der äußeren Entspannung erübrigten sich weitere Handlungen des NAC jedoch. Nichtsdestoweniger vertrat das Bonner Auswärtige Amt die Auffassung, dass Vance seinen Erfolg nur der engen Zusammenarbeit zwischen Washington und der NATO verdanke.159 Die türkische Armee erklärte sich am 29. November schließlich bereit, ihre Interventionsstreitkräfte von der türkischen Südküste und aus Thrakien abzuziehen, sobald die griechischen Truppen auf Zypern ihre Schiffe in Richtung Heimat bestiegen.160 Cleveland meldete nach Washington, dass die öffentliche Meinung in Europa die Bemühungen der NATO und der amerikanischen Regierung dieses Mal als deutlichen Erfolg werte.161 Der »Herald Tribune«, die »Times«, der »Daily Telegraf«, »Le Figaro« und »Die 155 156 157 158 159 160 161

Ebd. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 27.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 789, NATO 000648, Nr. 51. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 27.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 190, LONDON 04316, Nr. 53. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 28.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, SECRET 387, NATO 677, Nr. 53. Drahterlass Staatssekretär Duckwitz an bdt. Ständigen Vertreter, 29.11.1967, PA AA, B 150 IA4, VS-Bd 3756, Nr. 55. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 29.11.1967, PA AA, B 150 IIA7, Nr. 401. Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 29.11.1967, NARA, RG  59, NND 989520, LIMITED OFFICIAL USE 340, NATO 725, Nr. 88; Miller, The United States, S. 178 f., hier: Nachdem sich die Lage zwischen Ankara und Athen beruhigt hatte, reiste Cyrus Vance nach Nikosia, um auch Makarios davon zu überzeugen, den Beschluss Athens über den Abzug der griechischen Truppen auf der Insel zu billigen. Der Erzbischof verhielt sich nicht nur wohlwollend, sondern war angesichts seiner eigenen bedrohten Machtstellung sogar sehr erfreut über die Entwicklung. Indes forderte er, dass mit Ausnahme der UN-Friedenstruppen alle fremden Streitkräfte von der Insel abziehen sollten. Makarios versuchte auf diesem Wege abermals, das Züricher und Londoner Abkommen zu brechen, indem er sich nicht nur der Kräfte der Junta, sondern auch des türkischen Militärkontingents auf der Insel entledigte. Vance konnte den Erzbischof erst nach mühevollen Verhandlungen überreden, die Frage der Stationierung fremder Soldaten auf der Insel in die Entscheidungshoheit der UNO zu legen. Darüber hinaus aber war der Ethnarch nach

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

173

Welt« betonten einhellig die Bedeutung der Allianz bei der Entschärfung der Krise. Die Vermittlungsreisen Brosios hätten sich als wegweisender Schlüssel zur Entspannung der Lage erwiesen. Cleveland vertrat jedoch die Meinung, dass der unmittelbare Schlichtungserfolg Cyrus Vance und der amerikanischen Regierung zuzuschreiben sei. Brosio und die NATO hätten den US-Sondergesandten lediglich unterstützt. Dessen ungeachtet räumte er ein, dass die Gespräche des Generalsekretärs erheblich zum internationalen Image des Bündnisses beigetragen hätten. Die öffentliche Wertschätzung der NATO war aus seiner Sicht im richtigen, historisch entscheidenden Moment gestiegen. In Anbetracht des französischen Austritts aus den integrierten Strukturen im Vorjahr 1966 vermittelte die Außenwirkung des Schlichtungserfolges in der Tat neue Impulse. Die Entschärfung der griechisch-türkischen Krise steigerte die Attraktivität der Nordatlantischen Allianz in Zeiten bündnisinterner Umbrüche und politisch-gesellschaftlicher Umwälzungen. Neben ihrer praktischen Bedeutung als Militärbündnis vermochte die NATO ihren ideellen Charakter als nordatlantische Wertegemeinschaft vor den Augen der Weltöffentlichkeit neu zur Schau zu stellen und ihren inneren Zusammenhalt nach außen hin zu demonstrieren. Das Bündnis hatte überdies bewiesen, dass es unter Umständen doch imstande war, seine beiden südöstlichen Mitglieder aktiv daran zu hindern, ihre Streitigkeiten militärisch auszutragen. In der gegenwärtigen Krise hatten drei Faktoren den Ausschlag gegeben: Zum Ersten hatte sich der starke amerikanische Verbündete mit handfesten Maßnahmen dafür eingesetzt, den Konflikt zu entschärfen und die NATO zugleich aktiv in sein Vorgehen einzubinden. Zweitens hatte in der Frage der Handhabung des Konflikts weitgehend Deckungsgleichheit zwischen Washington und den europäischen Bündnispartnern geherrscht. Zum Dritten hatte die Krise eines inneren »Störfaktors« entbehrt, auf den die Allianz keinen direkten Einfluss hätte ausüben können. Erstmals seit Ausbruch der ersten Zypernkrise im Jahrzehnt zuvor hatte deren Beilegung nicht mehr der Kooperation des Erzbischofs Makarios bedurft. NATO und amerikanische Regierung hatten zur Entschärfung des Konflikts direkt auf Athen einwirken können, ohne die Interessen einer dritten Partei berücksichtigen zu müssen. Ironischerweise hatte die griechische Diktatur den Schlichtungsprozess insofern erleichtert, als das Regime bei seinen Zugeständnissen keine Rücksicht mehr auf innere Kritiker und eine demokratische Wählerschaft zu nehmen brauchte.162

162

wie vor nicht gewillt, der türkischen Volksgruppe ihre verfassungsmäßigen politischen Rechte zu gewähren. Aus türkischer Sicht war es war daher nur eine Frage der Zeit, bis sich die bürgerkriegsähnlichen Kämpfe wiederholten. Vgl. auch Aufzeichnung Ministerialdirektor Meyer-Lindenberg, 5.12.1967, PA AA, B  150, Bd  371 (weitere Angaben n.b.; auch als Anm. 1 abgedr. in: AAPD, 1967, Bd 3, Dok. 418, Bdt. Botschaft Ankara an AA, 6.12.1967, S. 418 f., hier S. 419), der hierzu am 5.12.1967 Stellung nahm: »Die verschiedenen Vermittlungsaktionen zur Abwendung eines bewaffneten Konflikts haben zwar den Ausbruch offener Feindseligkeiten verhindert, aber noch keine Lösung des Zypernkonflikts gebracht. Eigentlicher Sieger des Konflikts ist Makarios, der endlich seinen Gegenspieler Grivas losgeworden ist und darüber hinaus auch die griechischen Truppen los wird, die ihn bisher bei seinen Zielen gestört haben.« Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 400.

174

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

5. Folgen der Krise Trotz der positiven Darstellungen in der europäischen Presse hatte die Zypernkrise im türkisch-amerikanischen Verhältnis ihre Spuren hinterlassen. Nicht umsonst hatten radikale Gruppierungen auf der Höhe des Konflikts zu Ausschreitungen gegen amerikanische Staatsbürger und zu Angriffen auf US-Einrichtungen auf türkischem Boden aufgerufen.163 Langfristig bestand die Gefahr, dass sich das wachsende Missverhältnis zwischen Washington und Ankara zementierte.164 Für die NATO konnte dies insofern unangenehme Folgen nach sich ziehen, als das Bündnis in den Augen der Türkei nach wie vor einen von den Vereinigten Staaten dominierten Militärpakt verkörperte. Die türkische Regierung warf dem US-Verbündeten vor, sie fortwährend in ihrer Außenpolitik zu gängeln. Hierzu zählte aus türkischer Sicht nicht nur Johnsons Drohbrief vom Juni 1964, sondern gleichermaßen Vances Schlichtungsmission. Auch verdächtigte die türkische Öffentlichkeit den amerikanischen Partner, die Regierung und das Militär mit Hilfe der CIA unentwegt in seinem Sinne zu beeinflussen. Die wirtschaftliche und militärische Abhängigkeit des Landes von den USA verstärkte diesen Eindruck. Damit einhergehend versteifte sich in Regierung und Bevölkerung der Gedanke, dass die NATO und das Weiße Haus den türkischen Militärbeitrag zur Nordatlantischen Allianz weder ernsthaft honorierten noch Anstalten machten, den sicherheitspolitischen Interessen Ankaras Rechnung zu tragen. So war zu erwarten, dass sich diese Sichtweise in den kommenden Jahren negativ auf die militärischen Stützpunktrechte der NATO und der US-Streitkräfte auswirkte. Schwerer noch wogen die Konsequenzen für die generelle Bündnistreue des türkischen Partners. Politische und akademische Kreise sowie weite Teile der türkischen Armeeführung machten aus ihrer Enttäuschung über die NATO keinen Hehl.165 Sie betrachteten die Schlichtungsmissionen von Brosio und Vance mitnichten als Erfolg. In ihren Augen handelte es sich bei diesen Vorgehensweisen vielmehr um Bestrebungen des westlichen Bündnisses, die Türkei abermals an der legitimen Ausübung ihrer Schutzrechte gegenüber der türkisch-zypriotischen Volksgruppe zu hindern.166 Somit setzte sich die ungewisse Entwicklung fort, die dem Fortbestand der Südostflanke seit Mitte der 1960er Jahre eine unsichere Zukunft bescherte. Der bundesdeutsche Botschafter in Ankara, Horst Groeppner, meldete in diesem Zusammenhang nach Bonn: »Politisch wesentlich ist, dass die ›NATO-Treue‹ der Türkei heute nicht mehr mit gleicher uneingeschränkter Sicherheit bestätigt werden kann wie in der Vergangenheit, in der gerade Türkei stets Notwendigkeit festen Zusammenhalts und größter Wirksamkeit des Bündnisses unterstrichen hat. Schon heute wird hier die Zugehörigkeit zur NATO in militärischen Krei-

163

164 165 166

Oberbefehlshaber US-Streitkräfte im Atlantik (USCINCLANT) an NATO Adress Indicator Group 84, 27.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, SECRET 279-67, Nr. 55; USCINCEUR an DoD, 24.11.1967, NARA, RG 59, NND 989520, UNCLASSIFIED 946, Nr. 10. Coufoudakis, Turkey and the United States, S. 186, Delvoie, Turkey in NATO, S. 4; und Celik, Contemporary Turkish Foreign Policy, S. 49. AAPD, 1967, Bd 3, Dok. 418, Bdt. Botschaft Ankara an AA, 6.12.1967, S. 1603‑1606. Ebd.; siehe auch Göktepe, The Cyprus Crisis, S. 441.

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

175

sen fast nur noch unter materiellen Gesichtspunkten betrachtet. Unter diesen Umständen sollte von westlicher Seite alles getan werden, um die Gefahr einer Abkehr des Landes vom westlichen Bündnis und seines Abgleitens in ein neutrales, wenn nicht gar neutralistisches Lager vorzubeugen.«167

In Anbetracht der florierenden Beziehungen zur UdSSR schien die Türkei ihre NATOMitgliedschaft nur mehr aufgrund ihrer Einbettung in das integrierte westliche Verteidigungssystem und der damit verbundenen Abhängigkeit von den Finanz- und Militärhilfen der Bündnispartner aufrechterhalten zu wollen. Lediglich das harsche Vorgehen Moskaus in der Niederschlagung des »Prager Frühlings« im Folgejahr 1968 führte Ankara eindringlich vor Augen, dass ein neutralistischer oder sowjetfreundlicher Kurs sich schnell als zweischneidiges Schwert erweisen würde.168 Immerhin rief sich die Türkei im August 1968 wieder ins Bewusstsein, dass die exponierte geografische Lage Anatoliens nach wie vor des Schutzschirms und der Solidarität der westlichen Verbündeten bedurfte. Mit Blick auf die griechische Diktatur steckte die NATO dagegen in einem Dilemma. Das Militärregime sollte in den kommenden Jahren noch für weitere Debatten und bündnispolitischen Zündstoff sorgen. Die Junta hatte ihre grundsätzliche Treue zur Allianz zwar bekräftigt. Auch hatte das Regime das seit den 1950er Jahren im Niedergang befindliche Verhältnis zwischen Washington und Athen erheblich aufgewertet. Der Ausbruch der dritten Zypernkrise und die fortgesetzte politische Instabilität der Südostflanke hatten allerdings deutlich gemacht, dass das Regime den westlichen Partnern mit Blick auf die griechisch-türkischen Streitfragen ebenso viele Probleme bereitete wie seine demokratischen Vorgängerinnen. Es stand die Frage im Raum, ob die Mitgliedsstaaten Papadopoulos und dessen diktatorische Führungselite weiterhin als legitimen Vertragspartner betrachten oder Athen nicht vielmehr die Anerkennung als gleichberechtigtes Bündnismitglied verweigern sollten. Vor allem die deutsche NATO-Delegation riet von einer Isolation des Landes ab. Der bundesdeutsche Vertreter Wilhelm Grewe empfahl dringend, den griechischen Verbündeten keinesfalls wegen Menschen- oder Bürgerrechtsfragen zu brüskieren.169 Seinem Verständnis nach konnten Sanktionen oder politischer Druck auf Athen nur zum Scheitern des mühsam aufgebauten Zypernkompromisses führen. Der deutsche Diplomat ging davon aus, dass das von Cyrus Vance erarbeitete Übereinkommen wertlos würde, wenn Griechenland nicht mehr vollgültig in den institutionellen Rahmen der Allianz eingebettet wäre. Für Athen bestünde in einem solchen Fall keine Notwendigkeit mehr, seine Zusagen zu erfüllen und die griechischen Truppen von der Insel abzuziehen. Ankara griffe dann unverzüglich zu den Waffen. Die Regierung Demirel stehe ohnehin im schweren Feuer der Kritik. Grewe zufolge klagten Opposition und Militär die türkische Regierung an, eine Abmachung von höchst fragwürdigem Wert getroffen, statt die einmalige Gelegenheit ergriffen zu haben, die Zypernfrage endlich im türkischen Sinne zu »bereinigen«. Ein Krieg zwischen Griechenland und der Türkei würde sich seiner Meinung nach auch nicht allein auf den Verlust des Streitkräftepotenzials der beiden NATO-Partner beschränken. Vielmehr gefährdete ein solcher Zustand den taktischen 167 168 169

AAPD, 1967, Bd 3, Dok. 418, Bdt. Botschaft Ankara an AA, 6.12.1967, S. 1603‑1606 Andries, Greece and Turkey, S. 181 f. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 20.12.1967, PA AA, B 150 IIA7, Nr. 1957.

176

V. Die NATO als Akteur im Konflikt des Jahres 1967

Operationsradius und die logistische Durchhaltefähigkeit der 6. US-Flotte. Die Südostflanke der NATO läge dann nicht nur politisch, sondern auch militärisch am Boden. In der Tat barg das Szenario eines griechisch-türkischen Krieges eine erhebliche Gefahr. Wenn die Streitkräfte beider Staaten zu den Waffen griffen, sich auf Zypern militärisch bekämpften und den Konflikt auf Thrakien und die Ägäis ausweiteten, stand nicht nur der Fortbestand der griechischen und türkischen Verteidigungsaufstellung gegen den Warschauer Pakt in Frage. Vielmehr drohte in einem solchen Fall auch die logistische Versorgung der STRIKEFORSOUTH über griechische und türkische Häfen zu versiegen. Im Lichte der Expansionsbestrebungen der SOVMEDRON war dann zu erwarten, dass die NATO um ihre Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer würde fürchten müssen. Ferner würden die NATO und die US-Streitkräfte ihre Stützpunkte einschließlich ihrer radartechnischen Frühwarn- und Überwachungsanlagen verlieren. Die amerikanischen Einrichtungen litten ohnehin unter den Folgen der türkischen Entfremdung. Die türkische Staatsführung ging in der Folge dazu über, sich das Eigentumsrecht über die Basen vorzubehalten, und arbeitete darauf hin, die amerikanische Präsenz auf türkischem Boden Zug um Zug zu reduzieren. Bis 1970 war das Pentagon gezwungen, rund 40 Prozent seines Personalbestandes in der Türkei abzubauen. Die weitreichenderen Folgen für das Kräftegleichgewicht in der Region und den Einfluss des Westens im Vorderen Orient waren im Falle eines griechisch-türkischen Krieges ebenfalls nicht absehbar. Die NATO würde sich mit dem Vorwurf der Weltöffentlichkeit auseinandersetzen müssen, ein diktatorisches, unberechenbares Regime in Athen gestützt und dadurch den schwelenden Konflikt zwischen ihren beiden Bündnispartnern angeheizt zu haben. Die Glaubwürdigkeit der Allianz, aber auch die innere Kohäsion der Bündnismitglieder standen dann auf dem Spiel. Zwar blieb offen, ob Griechenland und die Türkei es wagen würden, einen bewaffneten Konflikt um Zypern auch in Thrakien auszutragen. Trotz der türkischen Mobilmachungsmaßnahmen war sich die Führung in Ankara der Folgen einer Ausweitung des Konflikts auf die nördliche Ägäis bewusst. Daneben blieb unklar, wie belastbar sich die militärische Durchhaltefähigkeit beider Staaten erweisen würde, wenn die NATO die Kriegshandlungen ihrer beiden Verbündeten dauerhaft mit Sanktionen belegte. Jedoch war ein Waffengang angesichts der explosiven innenpolitischen Lage in der Türkei grundsätzlich keineswegs ausgeschlossen.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen 1974 1. Militärpolitische Lage der NATO Die beginnenden 1970er Jahre standen für die NATO im Lichte der KSZE- und MBFRVerhandlungen.1 In den Ost-West-Beziehungen zeichnete sich augenscheinlich eine politische Entspannung ab. Auch hatten der Harmel-Bericht, die Strategie der »Flexible Response« sowie die neue Rolle der Bundesrepublik Deutschland die jahrelangen Probleme der Nordatlantischen Allianz erheblich gemildert.2 Nach dem Austritt Frankreichs aus den integrierten Militärstrukturen hatte sich Deutschland neben den USA und Großbritannien zum dritten Pfeiler des Bündnisses entwickelt.3 Die wachsende Détente mit der Sowjetunion wurde vor allem in Europa mit Wohlwollen begrüßt. Trotzdem war die Epoche unverändert von den Interessenkonflikten der Mitglieder geprägt. Das transatlantische Verhältnis zu Washington gestaltete sich zusehends schwieriger.4 Dies betraf insbesondere die Absichten Richard Nixons, die NATO-Verteidigung stärker auf europäische Schultern zu legen, um die eigenen Streitkräfte zu entlasten. Ferner schloss Washington bei den anstehenden Strategic Arms Limitation Talks (SALT) ein bilaterales Abkommen mit der Sowjetunion, das sich zum Ziel setzte, das Staatsgebiet der USA vor der Reichweite der Fernwaffen des Warschauer Paktes zu schützen.5 Die Europäer hingegen hatten an den Verhandlungen der beiden Supermächte wenig Anteil und sahen sich daher strategisch im Nachteil. Die sowjetischen Mittelstreckenraketen konnten den alten Kontinent unvermindert bedrohen.6 Im Gegenzug wurden in Washington kritische 1

2 3 4

5 6

Zum Thema der KSZE siehe neuerdings: Kieninger, Den Status quo aufrechterhalten; Bange, Der KSZE-Prozess. Die Verhandlungen über die MBFR zur gegenseitigen Verminderung von Streitkräften und Rüstung verliefen parallel zur KSZE-Konferenz. Krüger, Am Abgrund?, S. 118‑123. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 102. Kaplan, NATO and the United States, S. 132‑137; näheres zum gespannten Verhältnis zwischen den Europäern und dem amerikanischen Verbündeten auch bei Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 20‑24. Kaplan, NATO and the United States, S. 132; Kieninger, Den Status quo aufrechterhalten, S. 74. Kieninger, Den Status quo aufrechterhalten, S.  72, hier: Die Tatsache, dass Nixon bei den Verhandlungen die technologische Entwicklung der Sowjetunion auf dem Gebiet der Raketentechnik unterschätzte, stand auf einem anderen Blatt. Washington sprach sich zwar für eine Begrenzung von Interkontinentalraketen aus, nicht aber für solche mit Mehrfachsprengköpfen. Der Nationale Sicherheitsrat hatte nicht damit gerechnet, dass die sowjetische Industrie bereits 1974 in der Lage sein würde, derart moderne Waffensysteme in hoher Stückzahl zu produzieren.

DOI: 10.1515/9783110465273-006

178

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Stimmen laut, welche die europäische Entspannungspolitik als Nachgiebigkeit, wenn nicht gar als Konspiration mit dem Ostblock werteten. Im Jahre 1973 traten die unterschiedlichen Gemengelagen besonders deutlich hervor. Vor dem Hintergrund des Jom-Kippur-Krieges und des arabischen Ölembargos gegen die westliche Welt nahmen die bündnisinternen Differenzen schließlich Formen eines offenen Zerwürfnisses an.7 Aus politischen und juristischen Erwägungen, aber auch aus Furcht vor einer Verschärfung der arabischen Ölsanktionen verweigerten die europäischen Verbündeten den US-Streitkräften Überflugrechte und die Nutzung amerikanischer Nachschubbasen zur Unterstützung Israels.8 Ferner verhandelte die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG)9 unter der Führung Frankreichs mit der OPEC, ohne Washington an den Gesprächen zu beteiligen.10 Das Weiße Haus wiederum zog infolge seiner globalen Belastungen weitere Truppen vom NATO-Mittelabschnitt in Europa ab.11 Der Bündniszusammenhalt stand vor einer neuen Belastungsprobe. Auch die Türkei setzte ihren eingeschlagenen Weg fort. Das neue sicherheitspolitische Konzept Ankaras setzte auf eine klare Trennung zwischen den eigenen geopolitischen Zielsetzungen und den kollektiven Interessen der NATO.12 Die türkische Regierung fühlte sich in Fragen der äußeren Sicherheit durch die NATO nur noch bedingt vertreten. Der Türkische Generalstab löste Teile seiner Streitkräfte dauerhaft aus dem NATO-Unterstellungsverhältnis heraus und führte sie in nationale Verantwortung zurück. Die Türkei begründete ihren Schritt mit dem Argument, als Flankenstaat in den neuen Verteidigungsplanungen der NATO keine ausreichende Berücksichtigung mehr zu finden.13 Die Strategie der »Flexible Response« diente nach türkischer Auffassung ausschließlich dem Zweck, die Kräfte des Bündnisses auf die Verteidigung Mitteleuropas gegen einen sowjetischen Angriff zu konzentrieren. Die Südostflanke spielte nach türkischer Interpretation keine große Rolle mehr. Darüber hinaus hatte sich auch das jahrelange sowjetische Werben um die Türkei ausbezahlt.14 Obgleich ein türkischer NATO-Austritt für Ankara nicht zur Debatte stand, gewährte das Land dem sowjetischen Handelspartner 1972/73 großzügige Durchfahrtsrechte für dessen Kriegsmarine. Die freie Passage stärkte den militärischen Aktions7

8 9 10

11 12 13 14

Kaplan, NATO and the United States, S.  136; Lemke, Die Allied Mobile Force, S.  29  f.; und Lundestad, The United States and Western Europe, S. 162 f.; Blumenau, West Germany and the United States, S. 124‑133. Kaplan, NATO and the United States, S. 136; Blumenau, West Germany and the United States, S. 125; Sherwood, Allies in Crisis, S. 138. Lediglich Portugal bildete hier eine Ausnahme. Zeitgenössisch wurde in den Quellen bereits teilweise von der EG gesprochen. Bericht Nr.  I/1974, DMV an BMVg, Beurteilung der allgemeinen Situation und der Arbeit des Militärausschusses, 2.5.1974, BArch, BW  3  1573; Bericht Nr.  I/1974, DMV an BMVg, Ölkrise-Auswirkungen auf die NATO, 2.5.1974, BArch, BW 3 1573. Kaplan, NATO and the United States, S. 136; Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 29 f.; und Lundestad, The United States and Western Europe, S. 162 f. Bericht Nr. I/1974, DMV an BMVg, Beurteilung der allgemeinen Situation und der Arbeit des Militärausschusses, Wehrstruktur alliierter Streitkräfte, 2.5.1974, BArch, BW 3 1573. Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 19. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 100; Richter, Der griechisch-türkische Konflikt, S. 51; Kaplan, NATO and the United States, S. 136; Soviet Buildup in the Mediterranean, The Times, 15.3.1973; Telegramm britischer MilAttaché Moskau an britischen MilAttaché Ankara, 26.10.1973, TNA, FCO 9, 1848, (o.Nr.); Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 20.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

179

radius der SOVMEDRON und sorgte bei den westlichen NATO-Partnern für Unmut. Der britische Militärattaché in Moskau rechnete damit, dass Ankara seine Zugeständnisse bald auch auf sowjetische Flugzeugträger ausweiten würde. Die unsichere Bündniskohärenz des türkischen Partners war aus Sicht der Allianz umso kritischer, als die sowjetischen Seestreitkräfte just zu dieser Zeit begonnen hatten, ihre Präsenz auf den Weltmeeren zu steigern und die transatlantischen Nachschubrouten der NATO immer vehementer zu bedrohen. Darüber hinaus räumte die Türkei ihrem sowjetischen Nachbarn während des JomKippur-Krieges das Recht ein, militärischen Nachschub nach Syrien und in den Irak über türkisches Staatsgebiet zu verbringen. Auch gewährte das Land den sowjetischen Luftstreitkräften Überflugrechte, um die Arabische Republik Ägypten logistisch aus der Luft zu versorgen.15 Analog den europäischen Verbündeten untersagte Ankara dem amerikanischen Partner hingegen die Nutzung seiner Flugplätze auf türkischem Boden. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Mustafa Bülent Ecevit begründete ihre Entscheidung mit dem Verweis auf nationale Interessen.16 Ecevit sprach auch davon, sich künftig weder auf die NATO, noch auf den amerikanischen Partner als Garanten der nationalen Sicherheit des Landes verlassen zu wollen. US-Außenminister Henry Kissinger notierte später in seinen Memoiren, dass die Sowjetunion während dieses Krieges den NATO-Luftraum großzügiger hatte nutzen können als der amerikanische Verbündete.17

2. Die fortgesetzte Frage nach der politischen Zukunft Griechenlands Auch in der Ausgestaltung des KSZE-Prozesses stießen widerstreitende Interessen, Vorstellungen und Zielsetzungen zwischen den Amerikanern und ihren europäischen Verbündeten aufeinander. Sie erschwerten ein geschlossenes Auftreten gegenüber den Verhandlungspartnern in Osteuropa.18 Richard Nixon und sein nationaler Sicherheitsberater Kissinger wollten den Status quo der geopolitischen und ideologischen Teilung Europas zementieren. Washington fürchtete, dass Moskau die KSZE-Gespräche andernfalls nutze, um den Zusammenhalt der NATO-Partner aufzuweichen und einen Prozess der »Finnlandisierung«19 Westeuropas in Gang zu setzen. In der amerikanischen Perzeption konnte Sicherheit nicht durch eine Lockerung der Blockbildung erzielt werden, sondern ausschließlich durch eine Balance des Kräftegleichgewichts zwischen den beiden welt15

16 17 18 19

Telegramm britischer MilAttaché Moskau an britischen MilAttaché Ankara, 26.10.1973, TNA, FCO 9, 1848, (o.Nr.); Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 20; siehe auch den Aufsatz von Yair Evron, The Soviet Union in Egypt, aus dem Jahr 1970 über die Stationierung sowjetischer BodenLuft-Raketen und sowjetischer Kampfflugzeuge zum Zwecke der Abwehr israelischer Luftangriffe auf Ägypten. The Pulse. A Daily Review of the Turkish Press, 1.2.1974, TNA, FCO 9, 2109, Nr. 2654; und Bolukbasi, The Superpowers, S. 176 f. Sherwood, Allies in Crisis, S. 140. Kieninger, Den Status quo aufrechterhalten, S. 67‑73. Finnlandisierung bezeichnet den politischen, wirtschaftlichen oder militärischen Druck eines mächtigen Staates auf seinen schwächeren Nachbarn, um diesen zu einer bestimmten Politik zu bewegen. Zur Finnlandisierung der Südostflanke siehe auch Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 214.

180

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

politischen Führungsmächten USA und UdSSR. Die Vorstellungen der Europäer wichen in dieser Frage grundlegend von den amerikanischen Ansichten ab. Insbesondere die Bundesrepublik Deutschland wollte die europäische Teilung überwinden und die beiden deutschen Staaten einander annähern.20 In dem Glauben, dass die autokratischen und diktatorischen Gesellschaftssysteme Osteuropas mit den freien Gesellschaften der westlichen Welt nicht dauerhaft konkurrieren konnten, wollten die Europäer das starre System des Kommunismus mit Hilfe eines behutsamen Wandels durch Annäherung erreichen.21 Kennzeichen hierfür war nicht zuletzt die Neue Ostpolitik der Bundesrepublik, ausgelöst durch den Kniefall Bundeskanzlers Willy Brandt vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos im Jahre 1970. Wie Bundesaußenminister Walter Scheel auf der Ministertagung der NATO in Kopenhagen drei Jahre später betonte, glaubte man im Westen fest an die Stärke des Systems demokratischer Grundfreiheiten und der Beachtung der Menschenrechte. An genau diesem Punkt konnten die europäischen Allianzpartner jedoch in Verlegenheit geraten: Wie sollte das westliche Bündnis die Festschreibung seiner Grundwerte gegenüber den osteuropäischen Volksdemokratien glaubwürdig vertreten, solange ihr griechischer und portugiesischer Bündnispartner ebenjenen Prinzipien offen widersprachen? Obgleich das griechische Regime jeden inneren Rückhalt verloren zu haben schien und eine Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen dem Willen aller Mitgliedsstaaten entsprach, waren sich die Bündnispartner uneins, ob eine Démarche gegenüber Athen angebracht sei. London und Amsterdam erwogen im Mai 1973, das Thema auf der anstehenden Ministerratssitzung der NATO zu behandeln.22 Nach einigen Überlegungen beschränkten sie sich aber auf bilaterale Appelle. Washington wiederum war sich unschlüssig, ob die Vereinigten Staaten offen für eine Rückkehr Griechenlands zur Demokratie eintreten sollten.23 Die Greco-Amerikaner und der Kongress drängten die Regierung zwar, sich für eine Rückkehr zu parlamentarischen Verhältnissen in Griechenland auszusprechen. Auch knüpfte der Kongress seine Einwilligung zu weiteren Militärhilfen an innergriechische Reformen. Der NSC blieb jedoch skeptisch. Wenn das Regime den äußeren Druck zu demokratischen Reformen mit Beschneidungen bei den Stützpunktrechten seiner NATO-Partner beantwortete, würden die US-Interessen in der Region unter Umständen Schaden erleiden. Ferner benötigte der kleine ägäische Verbündete 20 21 22

23

Krüger, Am Abgrund?, S. 123‑125. Kieninger, Den Status quo aufrechterhalten, S. 74‑79. FCO-interne Studie: NATO: The Anomaly of Greece, Mai 1973, TNA, FCO  9, 1720 (o.Nr.); Hugh Green, European-Atlantic Action Committee on Greece an Member of Parliament Goronwy Roberts, House of Commons, 26.5.1973, TNA, FCO 9, 1720 (o.Nr.); Memorandum James Callaghan, Member of Parliament an britischen Außenminister, 6.6.1973, TNA, FCO 9, 1720 (o.Nr.); Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 30.5.1973, TNA, FCO  9, 1720, Nr.  2/2; Telegramm britische Botschaft Den Haag an FCO, 31.5.1973, TNA, FCO 9, 1720, Nr. 26. Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 2.5.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files, Greece, Box  595, SECRET Athens 2592, Nr.  45; FRUS, 1973‑1976, vol.  30, doc. 5, National Intelligence Estimate, 19.7.1973, ; ebd., doc. 12, Protokoll Besprechung Secretary of State mit Regional Staff, 20.3.1974, , beide letzter Aufruf 12.1.2017; Britische Botschaft Washington an FCO, 15.10.1973, TNA, FCO  9, 1725, Nr. 3/7; Britische Botschaft Athen an FCO, 3.10.1973, TNA, FCO 9, 1725, Nr. 3/2.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

181

dringend neue Rüstungsgüter, deren Ausbleiben die Südostflanke der NATO wiederholt schwächen konnte. Nicht zuletzt musste sich Washington auch die Frage stellen, ob die diktatorischen Verbündeten sich für die Nahostpolitik der USA nicht gar als gewinnbringender erwiesen als die demokratischen Bündnispartner. Ausgerechnet Portugal hatte der 6.  US-Flotte während des Jom-Kippur-Krieges keinerlei Nutzungsbeschränkungen für deren Stützpunkte auf den Azoren auferlegt.24 Ferner hätte Washington das Nachsehen, wenn freie Wahlen in Griechenland eine linksgerichtete Regierung mit antiamerikanischen und NATO-feindlichen Tendenzen an die Spitze des Landes brächten. Der griechische Exilpolitiker Andreas Papandreou hatte öffentlich bekanntgegeben, im Falle seiner Wiederwahl eine radikal antiamerikanische Politik verfolgen zu wollen.25 US-Außenminister Kissinger ordnete daher an, das Regime nur mit äußerstem Bedacht zu tadeln.26 Eine Kritik an Athen im Rahmen der NATO schloss er kategorisch aus. Das State Department beschränkte sich schließlich darauf, über die amerikanische Botschaft zaghaft das Interesse Washingtons an freien Wahlen im Lande zu bekunden.27 Lediglich Norwegen sprach die heikle Angelegenheit am 15. Juli 1973 direkt an.28 Ohne den griechischen Partner beim Namen zu nennen, legte Außenminister Dagfinn Vårvik dem versammelten Ministerrat unzweideutig dar, dass die Allianz ihre Politik der Sicherheit und Entspannung im weltpolitischen Rahmen nur dann glaubwürdig vertreten könne, wenn alle Mitglieder den politischen Verpflichtungen der Nordatlantikcharta nachkämen. Demokratie, persönliche und politische Freiheiten waren aus norwegischer Sicht für deren Erfüllung unverzichtbar. Vårvik erntete indes nur ausweichende Antworten. Sein griechischer Amtskollege suchte das Gespräch stattdessen auf vermeintliche Leistungen seiner Regierung in den KSZE-Vorverhandlungen zu lenken. Auch die Bundesrepublik Deutschland hielt sich bedeckt. Bonn war sehr an der inneren Kohäsion im Bündnis gelegen. Die Bundesregierung verharrte daher auf ihrem Standpunkt, sich nicht in die innergriechischen Belange einzumischen.29 Das Auswärtige Amt vertrat auch die Meinung, dass Norwegen die inneren Verhältnisse Griechenlands keinesfalls erneut auf die Tagesordnung der NATO-Konferenzen setzen dürfe.30 Im Bundeskanzleramt herrschte die Auffassung, dass die Mitgliedsstaaten von jeglichen Schritten absehen müssten, welche die Bündnismitgliedschaft Griechenlands beeinträchtigten. Dies galt aus Bonner Sicht sowohl für Rüstungsexporte als auch für die Behandlung der Problematik auf den Tagungen des NATO-Rats. Eine Missbilligung Athens konnte nach 24 25 26 27 28 29 30

Bericht Nr. I/1974, DMV an BMVg, Beurteilung der allgemeinen Situation und der Arbeit des Militärausschusses, (o.D.), BArch, BW 3 1573. Miller, The United States, S. 174. Ebd., S. 171. NSC-Memorandum, Sauners/ Appelbaum an US-Außenminister, 5.7.1973, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files – Greece, Box 594. Protokoll NATO-Ministerratssitzung vom 15.7.1973, 18.7.1973, NATO, C-R (73) 36. AAPD, 1973, Bd 2, Dok. 172, Bdt. Botschaft Athen an AA, 1.6.1973, S. 903‑906. AAPD, 1973, Bd  3, Dok.  404, Aufzeichnung Ministerialdirektor Hermes für Bundesaußenminister, 7.12.1973, S. 1991‑1994; Schreiben StS Sachs, AA, an StS Grabert, Bundeskanzleramt, 28.12.1973, Ref. 422, Bd 117148 (als Anm. 17 gedruckt in: AAPD, 1973, Bd 3, Dok. 404, Aufzeichnung Ministerialdirektor Hermes für Bundesaußenminister, 7.12.1973, S. 1991‑1994, hier S. 1993 f.); Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 12.6.1973, PA AA, B 150, Bd 296, Nr. 287; Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 104.

182

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

deutschem Verständnis die Südflanke schwächen oder Griechenland aus dem Bündnis treiben. Bonn ließ keinen Zweifel daran, dass seinem Empfinden nach jegliche Störungen des griechischen Verhältnisses zu seinen NATO-Partnerstaaten unerwünscht seien. Das Auswärtige Amt suchte die norwegische Regierung daher eindringlich von wiederholter Kritik an der Junta abzuhalten.31 Mit Blick auf die Forderung nach Demokratie und Menschenrechten in den KSZE-Verhandlungen blieb die bundesdeutsche Politik somit letzten Endes widersprüchlich. In Anbetracht des veränderten gesellschaftlichen Zeitgeistes und des politischen Wechsels zu liberaleren Regierungen hatten sich die vormals konservativen Einstellungen einiger Mitgliedsstaaten aber gewandelt. Ungeachtet des diplomatischen Drucks von amerikanischer Seite ließen es sich der kanadische und der norwegische Außenminister, Mitchell Sharp und Knut Frydenlund, nicht nehmen, den innergriechischen Missstand auf der Brüsseler Herbsttagung der NATO (1973) wiederholt anzuprangern.32 Sharp forderte die Allianz auf, ihre demokratischen Grundprinzipien ernst zu nehmen.33 Die fortgesetzte Missachtung der Atlantikcharta gefährdete seiner Meinung nach die Solidarität im Bündnis. Frydenlund wurde noch deutlicher.34 Die Prinzipien der Demokratie und der Menschenrechte waren für Norwegens Bevölkerung mehr als bloße Lippenbekenntnisse. Die NATO war nach norwegischem Verständnis ein Bündnis zum Schutze und Wohlergehen, nicht aber zur Unterdrückung seiner Völker. Die brutale und blutige Niederschlagung von Studentendemonstrationen am 14. November 1973 durch Armee und Polizei in der griechischen Hauptstadt unter dem Einsatz von Panzern hatte die norwegische Öffentlichkeit aufs Tiefste schockiert.35 Oslo appellierte daher offen an den griechischen Partner, die Menschenrechte zu achten und endlich zu demokratischen Verhältnissen zurückzukehren. Die Sicherheitskräfte Griechenlands hatten dabei auch auf Militärgerät aus NATOBeständen zurückgegriffen.36 Die Bilder hatten in der norwegischen Bevölkerung offenbar dahingehend für Aufruhr gesorgt, als sie an die sowjetische Niederschlagung des Prager Frühlings wenige Jahre zuvor erinnerten. Zudem hatte sich die politische Lage in Griechenland seit einigen Monaten erheblich verschärft.37 Papadopoulos hatte sich zwischenzeitlich zum Staatsoberhaupt des zerrütteten Landes erklärt.38 Nachlassende ökonomische Erfolge und außenpolitischer Rechtfertigungszwang hatten ihn im Sommer 1973 dazu bewogen, ein Reformprogramm auf den Weg zu bringen. Er hatte politische

31 32 33 34 35

36 37 38

Ebd. Telegramm FCO an britische Botschaft Oslo, 29.11.1973, TNA, FCO 41, 1142, Nr. 139; Telegramm britische Botschaft Oslo an FCO, 3.12.1973, TNA, FCO 41, 1142, Nr. 278. Protokoll NATO-Ministerratssitzung vom 10.12.1973, 1.2.1974, NATO, C-R (73) 74. Telegramm britische Botschaft Oslo an FCO, 7.12.1973, TNA, FCO 9, 1721, Nr. 287. Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 17.11.1973, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files, Greece, Box 595, LIMITED OFFICIAL USE Athens 8032, Nr. 42; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 388‑394; Pelt, Tying Greece to the West, S. 335 f. Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 110 f. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 188‑212; und Miller, The United States, S. 170‑175; Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 105 f. Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 105.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

183

Häftlinge entlassen, einen neuen Ministerpräsidenten ernannt und die Bildung einer Zivilregierung angeordnet. Der militärische Einfluss sollte reduziert und die Pressezensur schrittweise aufgehoben werden. Gleichzeitig hatte er für das Folgejahr freie Wahlen in Aussicht gestellt. Seinen halbherzigen Reformen war jedoch kein Erfolg beschieden. Im Zuge von Massenprotesten hatte der Chef der Militärpolizei, Brigadegeneral Dimitrios Ioannidis, den Diktator entmachtet und das Kriegsrecht ausgerufen. Die demokratischen Reformen hatten damit ein vorzeitiges Ende gefunden. Die Reaktion des griechischen Außenministers Spyridon Tetenes auf die Vorhaltungen seines norwegischen Kollegen erinnerte stark an die Diktaturen der Dritten Welt, wie diese in den 1970er Jahren überwiegend in Zentralafrika und Lateinamerika Schule machten.39 Er verbat sich jegliche Einmischung in die inneren Angelegenheiten seines Landes. Aus griechischer Sicht überschritt das Nordatlantische Bündnis seine Befugnisse, wenn es sich mit den inneren Belangen seiner Mitgliedsstaaten befasste.

3. Die Auseinandersetzung um die Ägäis im Frühjahr 1974 Im Sommer und Herbst 1951 waren in der östlichen Ägäis erstmals seit Ende des Zweiten Weltkriegs griechisch-türkische Streitigkeiten – um Fischereirechte – ausgebrochen.40 Obwohl die griechische Presse sich zu dieser Zeit über türkische Übergriffe auf griechische Fischer beklagt hatte, waren zwischen Ankara und Athen noch keine größeren diplomatischen Spannungen aufgekommen. Vielmehr hatte der türkische Außenminister zur Freude Athens versichert, Griechenland im Falle einer sowjetischen Aggression militärisch zu Hilfe kommen zu wollen.41 Vor dem Hintergrund der ersten Zypernkrise 1954 hatte sich das Verhältnis der beiden Staaten jedoch zusehends verschlechtert. Ankara hatte die Errichtung einer militärischen Befestigung auf der griechischen Insel Leros abgelehnt und damit einen Nährboden für weitere Auseinandersetzungen geschaffen, obwohl der Bau der dortigen Infrastruktur in erster Linie NATO-eigenen Zwecken hätte dienen sollen.42 Die Türkei hatte sich dabei auf den 1947 geschlossenen Friedensvertrag von Paris zwischen Italien und den Alliierten berufen. Das Dokument hatte Griechenland zwar die dodekanesische Inselgruppe zugesprochen, diese aber gleichzeitig zur demilitarisierten Zone erklärt. Aus türkischer Sicht hätte das Bauvorhaben der NATO einer vermeintlichen griechischen Politik der Militarisierung des gesamten Dodekanes Vorschub geleistet. Seit der Frage nach zypriotischer Selbstbestimmung und der Enosis hatte Ankara daher jeden griechischen Schritt Athens in der Ägäis mit Argwohn verfolgt. 39

40 41 42

Protokoll NATO-Ministerratssitzung vom 10.12.1973, 30.1.1974, NATO C-R (73) 74. An dieser Stelle sei insbesondere auf die afrikanischen Diktatoren Idi Amin, Jean-Bédel Bokassa und den chilenischen Staatschef Augusto Pinochet verwiesen. Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.6.1951 und 2.10.1951. NARA, RG  59 , NND 842929. Ebd. Memorandum of Conversation des State Dep., 15.11.1954, NARA, RG  59, NND  917365; Chourchoulis, The Southern Flank of NATO, S. 205; Heinemann, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses, S. 112 f.

184

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Im Jahre 1967 war es zwischen Griechenland und der Türkei in Thrakien und der Ägäis beinahe zu offenen Kampfhandlungen gekommen.43 Jedoch waren die Truppenaufmärsche am Grenzfluss Evros nur eine Folge der Zypernkrise.44 Mit der Entschärfung des Konfliktes um die Insel waren die wechselseitigen Drohgebärden in der Ägäis abgeklungen. In den 1970er Jahren sollte der ägäische Konflikt aber erstmals eigenständige Formen annehmen.45 Im November 1973 bahnte sich im Zuge des arabischen Ölembargos eine neue Auseinandersetzung um die Abgrenzung des Festlandssockels westlich der griechischen Inseln Lesbos und Chios an.46 Das Genfer Seerechtsabkommen von 1958 hatte festgelegt, dass nicht nur das Festland eines jeden Staates, sondern auch jede Insel ein eigenes Kontinentalschelf besaß.47 Der Konvention nach übte jeder Küstenstaat ungeteilte Rechte zur Erforschung und Ausbeutung fossiler Ressourcen im Bereich seines Festlandssockels aus. Griechenland hatte das Abkommen ab den 1960er Jahren dahingehend ausgelegt, dass die gesamte Ägäis bis vor die türkische Küste als griechisches Hoheitsgebiet zu betrachten sei.48 Der griechischen Auslegung nach handelte es sich bei den ägäischen Gewässern um ein rein griechisches Meer. Im Kern zielte Athen mit seinen Forderungen darauf ab, die traditionelle Dominanz Griechenlands in der Ägäis zu behaupten.49 Ankara hatte das Abkommen völkerrechtlich nicht anerkannt, bis 1973 aber auch keinen Anstoß daran genommen.50 Die amerikanische Oceanic Exploration Company hatte jedoch Anfang 1973 in den umstrittenen Tiefen nahe der Insel Thasos bei verschiedenen Bohrungen umfangreiche Öl- und Gasvorkommen geortet.51 Diese Nachricht hatte die türkische Aufmerksamkeit geweckt. Während Athen sich anschickte, die Ressourcen zu erkunden, begann Ankara, seiner staatlichen türkischen Erdölgesellschaft (Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı, TPAO) für die umstrittenen Gebiete symbolische Bohrlizenzen zu erteilen.52 Die NATO nahm diese Entwicklungen zunächst gleichgültig auf. Obwohl Ankara die Verbündeten über die Streitfragen um die Ägäis informierte, nahmen diese davon anfangs kaum Notiz.53 Vor dem Hintergrund der innergriechischen Entwicklungen rich43 44 45 46 47

48 49 50 51 52 53

Siehe rückblickend Kap. V. Meinardus, Der Konflikt über den Status der ostägäischen Inseln, S. 43. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 77 f. Ebd. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S.  16; und Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 314‑326, hier: Der Definition des Abkommens zufolge handelte es sich bei einem Festlandssockel um den Meeresgrund und den Meeresuntergrund außerhalb der unmittelbaren Küstengewässer, deren Tiefe eine Ausbeutung der dort befindlichen Bodenschätze zuließ. Grenzte, wie im ägäischen Fall, ein Festlandssockel an einen anderen Staat, dessen Küste gegenüberlag, so galt als Grenzlinie die Mittellinie zwischen beiden Staaten auf offener See. Der nächste Halbsatz besagte aber, dass besondere Umstände auch die Festlegung einer anderen Grenzlinie rechtfertigten, wodurch das Abkommen juristisch angefochten werden konnte. Zur völkerrechtlichen Seite des Konflikts siehe auch: Athanasopulos, Greece, Turkey and the Aegean Sea. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 17 f. Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 303 f. Akbulut, NATO’s Feuding Members, S. 36. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 411. Ebd.; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara – Marineattaché – an BMVg, 2.5.1974, BArch, BW 4 3121, Nr. 13/74. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 30.3.1974, TNA, FCO 9, 2009, Nr. 343.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

185

tete sich das Augenmerk der Bündnispartner in erster Linie auf die griechische Militärdiktatur, wann immer sich die Allianz mit der politischen Lage an ihrer Südostflanke befasste. Der innenpolitische Kurs Athens dominierte die Sitzungen zu Griechenland und der Türkei und bereitete den NATO-Verbündeten weit größeres Kopfzerbrechen als der schwelende Konflikt zwischen den beiden Partnern. Die ungelöste Zypernfrage und die ägäischen Differenzen stießen daher auf weit weniger Resonanz als noch im Jahrzehnt zuvor.54 Im März 1974 begann der Streit um die umstrittenen Gewässerzonen schärfere Konturen anzunehmen. Die türkische Regierung bot Griechenland mehrfach an, das ägäische Thema auf der Internationalen Konferenz der Mittelmeerstaaten aufzugreifen.55 Athen jedoch lehnte das türkische Ansinnen ab. Für das Militärregime stellte die Abgrenzung griechischer Hoheitsgewässer eine innere, nationale Angelegenheit dar, die keiner Diskussion mit einem fremden Staat bedurfte.56 Ankara wiederum war nicht geneigt, die griechische Sichtweise zu akzeptieren.57 Nach der neueren türkischen Deutung handelte es sich bei der Ägäis um einen seerechtlichen Sonderfall.58 Die ostägäischen Inseln stellten gemäß türkischer Lesart eine natürliche Verlängerung des türkischen Festlandssockels dar. Folglich forderte das Land seinen griechischen Nachbarn auf, die umstrittene Zone neu aufzuteilen. Seit den Zypernkrisen aber waren vertrauensvolle Gespräche über die ägäischen Fragen nicht mehr möglich. Da eine Einigung ausblieb, ließ der erste Zwischenfall nicht lange auf sich warten. Während der NATO-Übung »Daffodil Face«59 befahl der eingesetzte türkische Leiter der Übung entgegen der Anordnung des Commander in Chief Allied Forces Southern Europe (CINCSOUTH), dass türkische Marineflugzeuge mit scharfen Schuss taktische Luftunterstützung im umstrittenen Luftraum fliegen sollten. Griechenland erhob daraufhin schweren Protest und zog seine Truppenteile aus dem laufenden Manöver ab. Anfang April 1974 wurden Berichte über griechische Truppenverstärkungen an der thrakischen Grenze laut.60 Der türkische Verteidigungsminister wiederum forderte Athen auf, sich in der ägäischen Frage endlich an den Verhandlungstisch zu begeben.61 Ankara übersandte dem griechischen Bündnispartner eine Verbalnote und drohte mit Konsequenzen, sollte keine einvernehmliche Lösung gefunden werden.62 Nach Einschätzung des bundesdeutschen Botschafters in Ankara, Gustav Adolf Sonnenhol, war die Türkei 54 55 56 57 58 59

60 61 62

Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 5.4.1974, TNA, FCO 9, 2010. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 5.3.1974, TNA, FCO 9, 2009, Nr. 3/8; Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 79; Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 302 f. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 79. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 3.4.1974, BArch, BW 4 3049, Nr. 384/74. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 17 f. Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 1.4.1974, TNA, FCO  9, 2009, Nr.  343, hier: »Daffodil Face« war eine maritime Übung des NATO-Bündnisses in der Ägäis zwischen Samos und Chios, an der Flottillen der USA, Großbritanniens, Italiens, Griechenlands und der Türkei teilnahmen. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 4.4.1974, TNA, FCO 9, 2009, Nr. FCO 794/E, 99/04; Pressemitteilung BBC, 4.4.1974, TNA, FCO 9, 2009. Eigenartigerweise forderte nicht der türkische Außenminister, sondern der türkische Verteidigungsminister die griechische Seite zur Verhandlungsbereitschaft auf. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 29.3.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 102465, Nr. 248.

186

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

keineswegs darauf erpicht, eine militärische Auseinandersetzung mit Griechenland zu provozieren. Sonnenhol unterstrich, dass die türkische Regierung gleichwohl nicht gewillt sei, in der Sache nachzugeben. Die Türkei hatte seit Beginn der 1970er Jahre turbulente Entwicklungen durchlebt.63 Innere Unruhen, Streiks und gewaltsame Zusammenstöße hatten die konservative Gerechtigkeitspartei unter Süleyman Demirel zum Rücktritt gezwungen. Das Militär hatte im Frühjahr 1971 mit Gewalt eine zivile Übergangsregierung eingesetzt, deren Anordnungen vom Obersten Militärrat gegengezeichnet werden mussten. Faktisch stand das Parlament damit unter der Aufsicht der Armeeführung, wenngleich die Streitkräfte – im Gegensatz zu Griechenland – keine Absichten hegten, eine vollgültige Diktatur im Lande einzuführen. Mit dem Amtsantritt des Kabinetts von Mustafa Bülent Ecevit und seiner Republikanischen Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi) waren im Oktober 1973 wieder demokratische Verhältnisse eingekehrt. Dennoch lastete das wachsame Auge des Generalstabs auf den Handlungen der Politik. Die Armee betrachtete sich als Wächterin der von Kemal Atatürk geschaffenen säkularen Staatsordnung und als Hüterin der türkischen Verfassung. Die Regierung Ecevits hingegen war zu diesem Zeitpunkt weder hinreichend gefestigt, noch genoss sie das uneingeschränkte Vertrauen des Generalstabs. Dementsprechend setzte sie auf einen außenpolitischen Kurs, der die Stärke und kemalistische Verfassungstreue des neuen Kabinetts mit Hilfe der ägäischen Frage unter Beweis stellen sollte.64 Um die türkischen Interessen zu unterstreichen, führte die am Bosporus stationierte türkische 1. Armee im selben Zeitraum in Thrakien ein groß angelegtes Manöver ihrer Bodentruppen durch.65 Das Foreign Commonwealth Office drängte NATO-Generalsekretär Joseph Luns66 angesichts der neuen Spannungen dazu, sich mit der Angelegenheit zu befassen.67 Luns reagierte jedoch verhalten. Er war sich unschlüssig, ob die NATO in diesem Stadium bereits aktiv werden sollte. Auch Washington verhielt sich reserviert. US-Außenminister

63 64 65 66

67

Brown, Delicately Poised Allies, S. 47 f. Bolukbasi, The Superpowers, S. 176 f. Telegramm britischer MilAttaché Ankara an Ministry of Defence, 11.4.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Joseph Antoine Marie Hubert Luns, 1911 in Rotterdam geboren, Studium der Rechtswissenschaften, von 1933 bis 1936 Mitglied der »Nationaal-Socialistische Beweging in Nederland«. Während des Zweiten Weltkriegs trat er in den diplomatischen Dienst ein. 1949 übernahm er das Amt des Ständigen Niederländischen UN-Vertreters. 1952 wurde er in der Regierung der Katholischen Volkspartei niederländischer Außenminister. Aufgrund seiner eigenwilligen Amtsführung war er im Jahre 1971 gezwungen, von seinem Amt zurückzutreten. Wie auch bei einigen seiner Vorgänger war Luns anschließende Ernennung zum Generalsekretär der NATO umstritten. Er erwies sich als konservativer, strenger Verfechter der militärischen Abschreckung und stand der Détente der 1970er Jahre äußerst kritisch gegenüber. Berichten des »Spiegel« zufolge äußerte Luns sich während seiner Amtszeit bisweilen auch in undiplomatischen Verbalattacken gegen die Friedensbewegung. Siehe hierzu den Artikel zu Luns in: »Der Spiegel«, Nr. 30, 22.7.2002, , letzter Aufruf 12.1.2017; Joseph Luns. In: NATO Review, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 5.4.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 70; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 8.4.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 160.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

187

Kissinger setzte seinen türkischen Amtskollegen Turan Güneș darüber in Kenntnis, im Falle eines begrenzten militärischen Schlagabtauschs zwischen Griechenland und der Türkei nicht intervenieren zu wollen.68 Das Weiße Haus erblickte offenkundig noch keine Notwendigkeit, in der Angelegenheit einzuschreiten.69 Nicht zuletzt stand Nixon wegen der Watergate-Affäre im heftigen Feuer von Presse und Öffentlichkeit und ließ den Ereignissen in der Region daher kaum Aufmerksamkeit zuteil werden.70 Vor dem Hintergrund der turbulenten Entwicklungen in Vietnam und der Streitigkeiten mit den Europäern um die Zukunft der militärischen Lastenteilung im Bündnis nahm der griechisch-türkische Konflikt in Washington vorerst nur geringen Stellenwert ein. Nixons Interesse am Mittelmeerraum reduzierte sich in diesen Tagen im Wesentlichen auf drei Aspekte: den Zugang zu preiswertem Rohöl, die Eindämmung regionaler sowjetischer Einflussnahmen und die Abwehr arabischer Bedrohungen Israels, einhergehend mit der Pflege amerikanischer Beziehungen zu Tel Aviv.71 Aber noch hielten sich die Spannungen in Grenzen. Die staatlich gelenkten griechischen Zeitungen beschränkten sich auf wenige, polemische Kommentare.72 Die türkische Presse wetterte gegen den Verkauf amerikanischer Phantomjäger, deutscher UBoote und französischer AMX-Panzer an Griechenland. Auch warfen türkische Blätter den westlichen Verbündeten vor, das Rüstungsgleichgewicht zuungunsten der Türkei verschieben zu wollen.73 Entgegen der öffentlichen Rhetorik bekannten sich das türkische Außenministerium und die Luftwaffenführung aber dazu, dass diese Verschiebung des Kräftegleichgewichts im Grunde unbedeutend sei. Griechische Behauptungen, der Türkei mit dem Erwerb einiger neuer Jagdflugzeuge militärisch gewachsen zu sein, galten in Ankara geradezu als »lächerlich«.74 Ministerpräsident Ecevit kündigte an, den friedlichen Dialog mit Griechenland aufrechterhalten zu wollen.75 Im quantitativen Kräftevergleich war die griechische Armee ihrem türkischen Gegner in der Tat unterlegen. Dies galt insbesondere für die Landstreitkräfte.76 Athen verfügte im Sommer 1974 über ein stehendes Heer von insgesamt 122 000 Mann (im Dezember 1973 noch 162 000) und rund 650 ältere Kampfpanzer der Typen M-47 und M-48. Griechenland konnte darüber hinaus bis zu 230 000 Reservisten einberufen. Die griechische Marine bestand aus neun größtenteils älteren Zerstörern, sieben U-Booten und 68

69 70 71 72 73 74 75 76

FRUS, 1973‑1976, vol.  30, doc.  201, Protokoll Gespräch US-Außenminister mit türkischem Außenminister, 15.4.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 226. Miller, The United States, S. 186 f.; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 413. Di Nolfo, The Cold War and the Transformation of the Mediterranean, S. 251. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen – MilAttaché – an BMVg, 23.4.1974, BArch, BW  4  3122, Nr. 28/74. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 9.4.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Ebd. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 16.4.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Váli, The Turkish Straits and NATO, S. 86 f.; Note by Chiefs of Staff Committee, Defence Policy Staff on Military consequences of Greek withdrawal from NATO integrated structure, 12.5.1975, TNA, FCO 41, 1695, Nr. DP Note 207/75; Study on Military implications of Greek withdrawal from NATO, J. Garnier, Cdr. Royal Navy, 14.8.1974, TNA, FCO  41, 1695; AdG, 44  (1974), 1.8.1974, S. 18854.

188

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

13 Patrouillenbooten. Die Luftwaffe verfügte über rund 220 Kampfflugzeuge, darunter eine Staffel Abfangjäger des Typs Northrop F-5 A und F-4 Phantom. Dem standen 450 000 Mann mit etwa 1400 Panzern M-47 und M-48 auf türkischer Seite gegenüber. Die Kopfstärke der türkischen Armee konnte im Falle der Mobilmachung jedoch auf 1,5 Mio. Mann anwachsen. Die türkische Marine besaß daneben vier moderne Zerstörer aus amerikanischen Beständen, acht ältere Zerstörer, 15 U-Boote sowie insgesamt rund 50 Patrouillen- und Landungsboote. Die Luftwaffe bestand aus ca. 320 Kampfflugzeugen der Typen F-5 A und Convair F-102 mit vier Staffeln Abfangjägern, die zum größten Teil in der Bosporusregion stationiert waren. Angesichts der noch begrenzten Spannungen verhielt sich die Allianz nach wie vor zurück. Generalsekretär Luns entschied lediglich, sich mit dem griechischen und dem türkischen NATO-Vertreter in Einzelgesprächen zu treffen, um die Gemüter der Streitparteien zu besänftigen.77 Er ermahnte beide Seiten, weiter nach Wegen zu suchen, ihre Differenzen auf dem Verhandlungswege beizulegen, und bot seine Vermittlung über das Bündnis an. Im Mai verschärfte sich die Lage jedoch. Das griechische Militär verstärkte seine Bemühungen, die Ansprüche Athens in der Ägäis zu festigen. Fernmeldetruppen begannen, auf den demilitarisierten Inseln nahe der türkischen Küste elektronische Anlagen zur Nachrichtengewinnung und Aufklärung zu errichten.78 Gleichzeitig versetzte Athen Teile seiner thrakischen Kampfverbände in volle Gefechtsbereitschaft. Der türkische Verteidigungsminister Hasan Işık forderte die NATO daraufhin in einer schmetternden, emotionalen Rede vor dem türkischen Senat auf, das militärische Gleichgewicht beider Staaten durch bevorzugte Rüstungslieferungen an Griechenland nicht zu gefährden.79 NATO-Botschafter Donald Rumsfeld80 äußerte seine Besorgnis. Er sprach am 14. Mai mit dem britischen NATO-Botschafter Edward Peck, ob London und Washington Luns nicht doch auffordern sollten, aktivere Vermittlungsbemühungen anzustreben.81 Peck lehnte jedoch ab. London war der Auffassung, neue Schritte erst unternehmen zu müssen, wenn militärische Zwischenfälle aufträten. Washington wurde augenblicklich aktiv. Das State Department sorgte sich um die Interessen amerikanischer Ölbohrfirmen in der Region.82 Zudem appellierten in der US-Hauptstadt Vertreter der griechisch-amerikanischen Lobby an Richard Nixon, einen 77 78 79 80

81 82

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 5.4.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 165. Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 13.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 334; Telegramm britischer MilAttaché Athen an MilAttaché Ankara, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 325. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 9.5.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 102465, Nr. 377. Donald Henry Rumsfeld wurde später vor allem mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen in den Irak im Jahr 2003 unter George W. Bush bekannt. Rumsfeld war von 1973 bis 1974 Ständiger US-Vertreter bei der NATO. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 14.5.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 206. FCO-internes Schreiben. Mr. Cornish, Southern European Dep. an Mr. Baker, 17.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 113. Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 226, führt an, das State Department hätte keine Notwendigkeit gesehen, tätig zu werden. Der Autor hat an dieser Stelle den Quelleninhalt jedoch inhaltlich falsch widergegeben.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

189

türkischen Zugriff auf die ägäischen Ressourcen zu unterbinden.83 Rumsfeld riet Luns daher, seine Vermittlungsdienste zum wiederholten Male anzubieten.84 Unterdessen zeichnete sich ab, dass der britische Vertreter Recht behalten sollte. Trotz der säbelrasselnden Rhetorik und der griechischen Teilmobilmachung schien der Ausbruch eines Krieges unwahrscheinlich. Im Gegensatz zu den Zypernkrisen der 1960er Jahre war keiner der beiden Seiten an einer bewaffneten Lösung gelegen. Obwohl sich kleinere Vorfälle ereigneten, etwa der Beschuss eines türkischen Fischkutters durch ein griechisches Patrouillenboot, zeichnete sich keine weitere Eskalation der Lage ab.85 Mit Ausnahme der Alarmierung seiner thrakischen Verbände verzichtete Athen auf weitere Mobilmachungen.86 Das griechische Militärregime stand in diesen Tagen vor den Scherben seiner desolaten Politik. Die US-Botschaft bezeichnete die Lage in Athen als katastrophal. Das Regime von Dimitrios Ioannidis konnte sich nach Meinung der amerikanischen Diplomaten nur noch mit drakonischen Repressionsmaßnahmen an der Macht halten. Die Junta hatte in den Augen des griechischen Volkes jedwede Legitimation verloren und vermochte auch nicht mit Plänen für eine Zukunft Griechenlands aufzuwarten. Die Arbeitsbereitschaft der griechischen Militärstäbe und nationalen Kommandobehörden befand sich in einem bedauernswerten Zustand. Gleiches galt für die Einsatzbereitschaft und die Schlagkraft der griechischen Streitkräfte. Dementsprechend ließ sich Ankara von den griechischen Truppenbewegungen in Thrakien kaum beeindrucken.87 Die türkische Armee hielt ihren Friedensbetrieb aufrecht. Das Außenministerium kündigte sogar an, weiter an Verhandlungen festzuhalten und lediglich auf direkte militärische Aggressionen Griechenlands in geeigneter Weise zu reagieren. Dennoch traten neue Unwägbarkeiten auf den Plan. Auch in der türkischen Hauptstadt bahnte sich eine Regierungskrise an. Ecevits Republikanischer Volkspartei war es nach wie vor nicht gelungen, mit der Islamischen Heilspartei (Millî Selamet Partisi) als zweitstärkster Kraft zu koalieren und eine tragfähige Regierung aufzubauen.88 Die Divergenzen zwischen den Kemalisten und den »Islamisten« schienen unüberbrückbar. Ecevit stand zudem unter starkem Druck seitens der türkischen Öffentlichkeit, da

83

84 85 86

87 88

Schreiben Dr. George Kostopoulos, Vorsitzender der Griechischen Wissenschaftler in den USA, an US-Präsidenten, 13.6.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files, WHCF Countries, CO 56 Turkey, Box 70. FCO-internes Schreiben. Mr. Cornish, Southern European Dep. an Mr. Baker, 17.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 113. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 16.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 006. Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 13.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 334; Telegramm britischer MilAttaché Athen an MilAttaché Ankara, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 325; Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 2.5.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files, Greece, Box 595, SECRET Athens 2592, Nr. 42. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 16.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 506. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 9.5.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 102465, Nr. 377; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 17.5.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 400; Telegramm britischer MilAttaché Ankara an Ministry of Defence, 11.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Näheres zu den Hintergründen der Entwicklung der islamistischen Parteien in der Türkei seit den 1970er Jahren findet sich bei: Özel, Political Islam and Islamic Capital.

190

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

seine Verhandlungen zur Annäherung der Türkei an die Staaten der arabischen Halbinsel gescheitert waren.89 Die türkische Freundschaftsgeste an den Nahen Osten war mit dem Kurs der Regierung Ecevit einhergegangen, eine von der NATO und dem Westen unabhängigere Politik anzustreben. Die labile türkische Volkswirtschaft war von der Ölkrise weit schwerer getroffen worden als die Ökonomien der westlichen Verbündeten. Dementsprechend hatte sich Ankara um engere politische und wirtschaftliche Bindungen zu den OPEC-Mitgliedern bemüht. Die Türkei hatte hier im Wesentlichen zwei Ziele verfolgt: Indirekte Wirtschaftshilfe durch vergünstigte Rohstoffpreise sowie die Teilhabe am vermeintlichen weltpolitischen Machtzuwachs der erdölfördernden Nationen. Damit einhergehend hatte Ankara darauf gehofft, seine wirtschaftliche Abhängigkeit von den NATO-Partnern verringern zu können. Die Staaten des Nahen Ostens jedoch hatten der aus ihrer Sicht »neo-osmanischen Hegemonialpolitik« die kalte Schulter gezeigt. Die türkischen Ambitionen nach einem Sonderabkommen waren demnach nicht von Erfolg gekrönt. Das Kabinett Ecevits konnte sich folglich keine weiteren Fehlschläge mehr erlauben.90 Aus dessen Sicht durfte die Türkei auf ihren legitimen Anteil am ägäischen Erdöl nun unter keinen Umständen mehr verzichten. Ecevit entsandte daher das ozeanografische Forschungsschiff »Candarli« in Begleitung von mehreren Kriegsschiffen in die umstrittenen Gewässer, um die ägäischen Ansprüche seines Landes zu unterstreichen.91 Die Besatzung stach am 29. Mai 1974 in Begleitung von sieben Zerstörern und zwei U-Booten in Richtung Lesbos in See.92 In den ersten Junitagen führte das Schiff in der strittigen Zone nördlich der Insel seismische Messungen des Gewässerbodens durch.93 Die griechische Marine beobachtete die Arbeiten, griff aber nicht in das Geschehen ein. Athen meldete später, dass die »Candarli« keine griechischen Hoheitsrechte verletzt hätte, da der Meeresboden nicht angetastet worden sei. Auch das Tagesgeschäft des NATO-Militärausschusses verlief in gewohnten Bahnen.94 Griechische wie türkische Offiziere nahmen regulär an den laufenden Sitzungen teil und sprachen das Thema der bilateralen Spannungen nicht an. Der Türkische Generalstab ließ in den Tagen der Gewässererkundung öffentlich verlauten, dass die Begleitflotte der »Candarli« lediglich mit dem Ziel ausgelaufen sei, an der geplanten NATO-Übung

89

90

91 92

93

94

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 9.5.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 377; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 17.5.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 400; Telegramm britischer MilAttaché Ankara an Ministry of Defence, 11.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.); Delvoie, Turkey in NATO, S. 6 f. Ein CIA-Bericht vom 21.6.1974 urteilte, die Koalition Ecevits habe maßgeblich zum Anstieg der griechisch-türkischen Spannungen in der Ägäis beigetragen. Hierzu FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 15, CIA Interagency Intelligence Memorandum, 21.6.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britische Botschaft Athen (British National Advisor) an Ministry of Defence, 23.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 576. FCO-interne Kurznachricht, Kurznachricht Mr. Cornish an Mr. Baker, 29.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.); Telegramm britischer MilAttaché Ankara an Ministry of Defence, 30.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 7.6.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 102465, Nr. (unleserlich)/74; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 10.6.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 462. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FCO, 27.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 001.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

191

»Good Friendship 74«95 teilnehmen zu wollen.96 Zwischenfälle mit griechischen Marineeinheiten waren seiner Aussage nach nicht zu erwarten. Die NATO-Kommandeurtagung bei LANDSOUTHEAST ließ ebenfalls keine Spannungen erkennen.97 Griechische und türkische Truppenführer tauschten sich in offenen Gesprächen kollegial und sachbezogen über die Lage in der Ägäis aus. Der britische Militärattaché beschrieb die Atmosphäre als harmonisch. Auch der deutsche Attaché meldete aus Athen, dass der Oberbefehlshaber der griechischen Seestreitkräfte sich bei gesellschaftlichen Veranstaltungen sehr zuvorkommend um den türkischen Marineattaché bemüht habe.98 Nicht zuletzt nahmen griechische und türkische Zerstörer unverändert an gemeinsamen Manövern des Bündnisses teil. Trotzdem war sich die Führung der NATO des labilen politischen Klimas zwischen den beiden Flankenpartnern bewusst. Der stellvertretende NATO-Generalsekretär, Paolo Pansa, rief den griechischen und türkischen Vertreter zu sich und drückte abermals Luns’ Sorge über die Vorgänge in der Ägäis aus.99 Die türkischen Seestreitkräfte hatten bei »Good Friendship  74« ihre Fähigkeiten erprobt, großangelegte Landeoperationen mit Panzern und schwerem Kampfgerät durchzuführen.100 Obgleich das Manöver eigentlich NATO-Zwecken hatte dienen sollen, musste die Allianz der Tatsache ins Auge sehen, dass Ankara die Schulung seiner Truppen künftig auch dazu nutzen konnte, die ostägäischen Inseln zu besetzen.101 Pansa forderte den griechischen NATO-Botschafter Anghelos Chorafas und dessen türkischen Amtskollegen Orhan Eralp daher auf, an die Zurückhaltung und den guten Willen ihrer Regierungen zu appellieren. Ankara und Athen sollten nach einer Lösung suchen, ihre Differenzen auf dem Verhandlungswege beizulegen. Die Entwicklungen in der Ägäis bargen auch Gefahren für die militärischen Radar- und Fernmeldeeinrichtungen der NATO auf Rhodos.102 Als Antwort auf die türkischen Übungstätigkeiten bei »Good Friendship« hatte Griechenland begonnen, eine Panzereinheit auf den dodekanesischen Inseln zu stationieren.103 Diese Maßnahme stellte für die Türkei zwar keine nennenswerte taktische Bedrohung dar. Die NATO-eigenen fernmeldetechnischen Frühwarnanlagen in der Region liefen jedoch Gefahr, beschädigt 95

96

97 98 99 100 101 102 103

Drahtbericht bdt. Botschaft Athen – Marineattaché – an BMVg, 14.6.1974, BArch, BW 4 3122, Nr. 18/74 (M), hier: »Good Friendship 74« war eine NATO-Übung, an der maritime Verbände der türkischen und amerikanischen Streitkräfte teilnahmen. Telegramm britischer MilAttaché Ankara an Ministry of Defence, 30.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.); The Pulse. A Daily Review of the Turkish Press, 31.5.1974, Supplement  40: Lausanne Balance, TNA, FCO 9, 2010. Telegramm britischer MilAttaché Ankara an Ministry of Defence, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Drahtbericht bdt. Botschaft Athen – Milattaché – an BMVg, 18.6.1974, BArch, BW  4  3066, Nr. 37/74. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 30.5.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 251. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen – Marineattaché – an BMVg, 14.6.1974, BArch, BW 4 3122, Nr. 18/74 (M). Ebd. Ironischerweise sollten die türkischen Verbände ihre amphibischen Fertigkeiten nicht in der Ägäis, sondern zum Zwecke ihrer späteren Invasion auf Zypern nutzen. Telegramm britischer MilAttaché Athen an Ministry of Defence, 30.4.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 325. The Pulse. A Daily Review of the Turkish Press, 31.5.1974, Supplement 40: Lausanne Balance, TNA, FCO 9, 2010.

192

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

oder zerstört zu werden, wenn sich die türkische Marine dort See- oder Luftgefechte mit griechischen Truppen lieferte. Dementsprechend rief der Vorsitzende des NATOMilitärausschusses die Militärführungen beider Staaten zur Selbstbeherrschung und Mäßigung auf.104 Unterdessen besprach sich Generalsekretär Luns mit dem britischen Außenminister James Callaghan.105 Zur griechisch-türkischen Krise legte er dar, mehrfach mit der griechischen und türkischen Regierung verhandelt zu haben. Ankara hätte seine Bemühungen belobigt und sich aufgeschlossen gezeigt. Güneş habe in diesem Zusammenhang geäußert, dass die türkischen Flottenbewegungen in der Ägäis rein zufällig mit der Seeroute der »Candarli« korrelierten. Luns erläuterte Callaghan weiterhin, dass die griechische Regierung seinem Verständnis nach lediglich eine Drohkulisse errichte, um in der derzeitigen Lage ihr Gesicht zu wahren.106 Um die Lage nicht unnötig zu verschärfen, hätte das Regime die eigene Presse sogar angewiesen, von weiterer Rhetorik Abstand zu nehmen. Trotzdem kündigte der Generalsekretär an, im Falle einer Eskalation direkt in der griechischen und türkischen Hauptstadt diplomatisch intervenieren zu wollen.107 Zur selben Zeit bemühte sich auch Ecevit, den Konflikt in Grenzen zu halten.108 Obgleich die türkische Regierung ihren außenpolitischen Anspruch gegenüber Athen schon häufiger mit maritimen Vorstößen untermauert hatte, beteuerte Güneş öffentlich, dass die Eskorte der »Candarli« lediglich dazu diente, »Zwischenfällen« vorzubeugen. Die türkische Marine würde auf griechische Provokationen oder Störungen der Observationstätigkeit des Forschungsschiffes zwar reagieren, dabei aber mit Bedacht vorgehen. Ecevit erklärte vor der türkischen Nationalversammlung, größten Wert auf gute Beziehungen zu Griechenland zu legen.109 Die laufenden Maßnahmen seien lediglich ein geeigneter Weg, dem westlichen Nachbarn darzulegen, dass Ankara nicht auf seine legitimen Rechte an der Ägäis verzichte. Ansonsten betonte der Ministerpräsident, das freundschaftliche Verhältnis zu Griechenland festigen zu wollen, um die Eintracht der Atlantischen Allianz zu wahren. Im NATO-Rat stieß die griechisch-türkische Frage in diesen Tagen nur auf wenig Resonanz. Die Ständigen Vertreter nahmen Luns’ Bericht über die Lage an der Südostflanke zur Kenntnis. Ankara wie Athen hatten versichert, ihre Differenzen auf friedlichem Wege zu regeln.110 Angesichts der begrenzten Gefahr traf die Allianz in der griechisch-türkischen Frage aber keine neuen Entscheidungen. Die Mitgliedsstaaten 104 105 106 107

108 109 110

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 31.5.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 260. Gesprächsprotokoll britischer Außenminister mit NATO-Generalsekretär, 31.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Ebd. Dies berichtete auch der britische Botschafter aus Athen. Vgl. hierzu Schreiben britische Botschaft Athen an FCO, Mr. Tomkys an Mr. Cornish, 29.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 31.5.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 260; Telegramm FCO an britischen Ständigen Vertreter (NATO), 30.5.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 124. Schreiben britische Botschaft Ankara an FCO, Mr. Fullerton an Mrs. Wright, 31.5.1974, TNA, FCO 9, 2010 (o.Nr.). Ebd. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 4.6.1974, TNA, FCO  9, 2010, Nr. 251; Protokoll Gespräch britischer Außenminister mit NATO-Generalsekretär vom 30.5.1974, 31.05.1974, TNA, FCO 9, 2005 (o.Nr.).

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

193

berieten sich lediglich über die Kanäle ihrer diplomatischen Vertretungen in Athen, inwieweit das Bündnis sich weiter mit der Angelegenheit befassen sollte.111 Nach wie vor wurden die Sitzungen des NATO-Rates von der Existenz der Athener Militärdiktatur überschattet. Der langfristige Fortbestand der Südostflanke schien durch die innere Lage Griechenlands weit mehr gefährdet zu sein als durch die griechisch-türkischen Spannungen. London und Washington tauschten sich intensiv darüber aus, ob es sinnvoll sei, auf der anstehenden Tagung des NATO-Ministerrats in Ottawa offene Kritik an der Junta zu üben, oder stattdessen zu versuchen, eine weitere Diskussion des Themas zu unterbinden. Das griechische Regime bildete mittlerweile die einzige Diktatur im Bündnis. In Portugal hatten linksgerichtete Teile der Armee die ständestaatliche Diktatur von Salazar in einem nahezu unblutigen Putsch gestürzt. Die »Nelkenrevolution« hatte dem kleinen westeuropäischen Land nach fast 50 Jahren den Weg zu demokratischen Strukturen geebnet. Die britische Regierung erwog daher, sich im Ministerrat der NATO für eine Wiederherstellung der Demokratie in Griechenland auszusprechen.112 Washington hingegen stand einer offenen Kritik nach wie vor skeptisch gegenüber. Aus Sicht Kissingers konnten Vorhaltungen der westlichen Verbündeten die ohnehin desolate politische Situation in Griechenland nur verschlimmern und die Südostflanke weiter aufweichen. Der NSC hielt den Verbleib des Landes in der NATO für wenig wahrscheinlich, wenn das Regime stürzte. Mitte Juni 1974 begann sich die ägäische Lage erneut zuzuspitzen. Athen kündigte an, sein küstennahes Hoheitsgebiet analog der Genfer Seerechtskonvention von sechs auf zwölf Seemeilen auszudehnen.113 Die türkische Presse und Öffentlichkeit reagierten mit Entrüstung. Eine solche Maßnahme würde türkischen Schiffen von der ägäischen Seite her nicht nur den freien Zugang zum offenen Meer versperren, sondern auch den türkischen Streitkräften die Möglichkeit verwehren, in der internationalen Zone der Ägäis Übungen abzuhalten, ohne vorher griechische Hoheitsgewässer zu passieren.114 Sofern die Türkei hier keinen Widerspruch einlegte, würde Griechenland auch die Streitfrage um die Aufteilung des Festlandssockels für sich entscheiden. Folglich setzte Ankara die griechische Botschaft darüber in Kenntnis, dass die Türkei den unilateralen Beschluss Athens unter keinen Umständen akzeptieren würde. Um seinen Einspruch zu untermauern, entsandte Ecevit die »Candarli« abermals in die umstrittene Region. Das Schiff 111 112

113

114

Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 11.6.1974, TNA, FCO 9, 2010, Nr. 152. Telegramm FCO an britische Botschaft Washington, Athen, Ankara und Ständ, NATO-Vertreter, 31.5.1974, NA, FCO 9, 2010; Britischer Botschafter Washington an FCO, 5.6.1974, NA, FCO 9, 2010, Nr. 1991; und Nafpliotis, Britain and the Greek Colonels, S. 227 f. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 81. Vor dem Jahr 1936 hatten sich die Hoheitsgewässer Griechenlands und der Türkei auf eine Entfernung von drei Seemeilen zur Küste beschränkt. Nach 1936 hatten beide Staaten diese Zone auf sechs Seemeilen ausgedehnt. Auf der UN-Seerechtskonvention von 1958 wurde erstmals die Möglichkeit einer Ausdehnung nationaler Hoheitsgewässer auf bis zu zwölf Seemeilen eingeräumt, aber völkerrechtlich noch nicht endgültig festgelegt. Nahezu alle Mittelmeerstaaten griffen diese Regelung jedoch auf und dehnten ihre Hoheitsgewässer aus. Auch die Türkei hatte ab 1964 beschlossen, ihre Schwarz- und Mittelmeerküsten auszuweiten, sich aber in der Ägäis auf die bisherigen sechs Seemeilen zu beschränken, um Griechenland nicht einseitig zu provozieren. Dementsprechend war Ankara aber auch nicht bereit, eine griechische Ausdehnung auf zwölf Seemeilen anzuerkennen. Hierzu Mann, The Greek-Turkish Dispute, S. 17; Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 326‑336. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 24.

194

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

sollte diesmal Vermessungen des Meeresbodens vornehmen. Zeitgleich startete die Türkei das großangelegte ägäische Jahresmanöver »Storm«, an dem sich rund 15 000 Mann der Luft-, Boden- und Seestreitkräfte des Landes beteiligten.115 Athen reagierte darauf ebenfalls mit einer Militärübung, übermittelte Ankara eine Verbalnote und entsandte einige Kampfschiffe in die strittigen Gewässer, um die Aktivitäten der türkischen Forschungsgesellschaft zu observieren.116 Nach britischer Auffassung bestand Griechenland weniger auf dem Anspruch, alleine über die ägäischen Ölressourcen verfügen zu dürfen.117 Vielmehr fürchtete Athen, seine Hoheit über die ostägäischen Inseln zu verlieren. Der amerikanische Botschafter in der griechischen Hauptstadt meldete nach Washington, dass Ioannidis insgeheim davor zurückschrecke, das Feuer auf seinen türkischen Nachbarn eröffnen zu lassen.118 Griechenland würde lediglich alles daran setzen, seine Interessenssphären in der Ägäis abzustecken. An diesem Punkt schaltete sich Moskau in den Konflikt ein. Die Sowjetunion hatte sich in der ägäischen Krise bislang zurückgehalten.119 Lediglich die staatliche Presse hatte einige propagandistisch aufgeladene Artikel in der »Pravda« veröffentlicht. Darin hatte die UdSSR der NATO vorgeworfen, die Krise zwischen den beiden Mittelmeeranrainern mit der Lieferung von Rüstungsgerät verschärft zu haben. Der Kreml selbst enthielt sich jedoch einer offiziellen Stellungnahme. Moskau schien mit seiner Politik sicherstellen zu wollen, dass auch die NATO sich einer Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Warschauer Vertrages enthielt. Nun aber berührte die unorthodoxe griechische Neuregelung vitale sowjetische Interessen.120 Moskau legte Athen auf diplomatischem Wege dar, die griechische Auslegung keinesfalls anzuerkennen. Wenn der Kreml der griechischen Ankündigung nicht offen widerspräche, könne die 5. Escadra die Ägäis nicht mehr befahren, ohne griechische Hoheitsgewässer zu durchkreuzen. Auch würden sowjetische Marinehelikopter stets den griechischen Luftraum verletzen, sobald sie während der Durchfahrt von einem ihrer Schlachtschiffe oder Flugzeugträger abhoben.121 Nicht zuletzt war die SOVMEDRON just zu dieser Zeit auf über 57 Schiffe, darunter acht schwere Kreuzer, angewachsen und stellte für Moskau daher ein wichtiges strategisches Instrument dar.122 Da sich die Krise nicht weiter verschärfte, blieb die NATO wiederum passiv. Die Allianz widmete sich auf der Ministertagung in Ottawa nach wie vor dem Hauptthema: der inneren Lage Griechenlands.123 Es gelang den Allianzmitgliedern, den griechischen 115

116 117 118 119 120 121 122 123

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 14.6.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 479; ebd. auch der Drahtbericht vom 12.6.1974, Nr. 473; Telegramm britischer Mil Attaché Athen an Ministry of Defence, Juni 1974, TNA, FCO 9, 2011 (o.Nr., nähere Datumsangaben fehlen); Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 14.6.1974, TNA, FCO 9, 2011 (o.Nr.); Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 310. Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 79; Telegramm britischer MilAttaché Athen an Ministry of Defence, Juni 1974, TNA, FCO 9, 2011 (o.Nr., nähere Datumsangaben fehlen). Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 15.6.1974, TNA, FCO 9, 2011, Nr. 7. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 14, Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 14.6.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Britische Botschaft Moskau an FCO, 3.7.1974, TNA, FCO 9, 2011 (o.Nr.). Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 80 f. Ebd. Soviet Buildup in the Mediterranean, The Times, 15.3.1973. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 4.6.1974, BArch, BW 4 3049.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

195

Bündnispartner dazu zu drängen, eine baldige Rückkehr zu demokratischen Strukturen in Aussicht zu stellen.124 Die Frage der ägäischen Spannungen nahm hingegen nur wenig Raum ein. Luns beschränkte sich darauf, erneut an den griechischen und türkischen Außenminister zu appellieren, die Eintracht des Bündnisses zu wahren, einen Ausgleich in Verhandlungen zu suchen und wechselseitige Provokationen zu vermeiden. Trotz der geringen Aktivität der Allianz zeichnete sich aber ein moderater Erfolg ab. Die Vorteile der strukturellen Beschaffenheit des Bündnisses als Forum der Konsultation, aber auch die Solidarität und Kohäsion im Rahmen gegenseitiger Finanz- und Militärhilfen erwiesen sich dieses Mal als integrale Wegbereiter der Entspannung. Im Angesicht ihrer gemeinsamen Bündnispartnerschaft bekräftigten der griechische und der türkische Außenminister, fest zur Allianz zu stehen und weiterhin bereit zu sein, ihre Streitigkeiten in friedlichem und freundschaftlichem Rahmen beizulegen.125 Gleichzeitig trafen sich Spyridon Tetenes und Turan Güneș am Rande der Tagung zu bilateralen Gesprächen. Wenngleich ihre Debatten um die Abgrenzung der Ägäis ohne konkretes Ergebnis verliefen, war der Dialog von wechselseitigem Respekt geprägt.126 Der deutsche Botschafter in Ankara, Sonnenhol, führte das Ausbleiben eines inhaltlichen Erfolges auf die »Starrköpfigkeit« des Griechischen Generalstabs zurück.127 Die Gesprächsbereitschaft der beiden Verbündeten war indes nicht uneigennützig. Keine der Streitparteien sah es für seine Interessenpolitik in diesen Tagen als gewinnbringend an, wegen einiger ägäischer Ölvorkommen einen Krieg vom Zaun zu brechen und dadurch die Vorteile ihrer NATO-Mitgliedschaft aufs Spiel zu setzen.128 Beide Regierungen richteten ihr Augenmerk vielmehr darauf, vor der eigenen Öffentlichkeit ihr Gesicht zu wahren. Darüber hinaus erhielt vor allem die Türkei für den Unterhalt ihrer Streitkräfte nach wie vor erhebliche amerikanische Finanzhilfen.129 Für die griechische Junta dagegen konnte eine militärische Niederlage das Ende ihrer labilen Herrschaft bedeuten. Beide Bündnispartner waren sich des Umstands bewusst, dass keine Partei mit militärischen Mitteln nachhaltige Erfolge würde erzielen können. Zwar waren die türkischen Streitkräfte ihren griechischen Gegenspielern im Bereich der Bodentruppen um ein Mehrfaches überlegen. Washington hielt jedoch keine der beiden Seiten für hinrei124

125

126

127 128 129

Telegramm britische Botschaft Ottawa an FCO, 20.6.1974, TNA, FCO  9, 2011, Nr.  429; Erklärung über die Atlantischen Beziehungen, 21.6.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Telegramm britische Botschaft Ottawa an FCO, 20.6.1974, TNA, FCO  9, 2011, Nr.  429; Kurznachricht Ministerialdirektor van Well an BKanzleramt und BMVg, 24.6.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 203-322.00 TUR VS-NFD. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 3.7.1974, TNA, FCO  9, 2011, Nr. 347; Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 9.7.1974, TNA, FCO 9, 2012, Nr. 3/8; Bdt. Botschaft Ankara an AA, 5.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 102465, Nr. 563; FRUS, 1973‑1976, vol.  30, doc.  15, CIA Interagency Intelligence Memorandum, 21.6.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 5.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 102465, Nr. 563. FRUS, 1973‑1976, vol.  30, doc.  15, CIA Interagency Intelligence Memorandum, 21.6.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Memorandum US-Außenminister an US-Präsident für Besuch bei NATO in Brüssel vom 25.6. bis 27.6.1974, undatiert, Pres. Lib. Richard Nixon, Henry A. Kissinger NSC Country Files, Europe, Box 53.

196

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

chend gerüstet, einen längeren Feldzug logistisch und finanziell zu bewältigen. Die militärischen Berater des NSC urteilten, dass die materiellen Reserven beider Armeen selbst bei Gefechten niedriger Intensität innerhalb kürzester Zeit erschöpft wären und durch Nachschub vonseiten der NATO-Verbündeten ergänzt werden müssten. Ein Krieg war nach Auffassung des Nationalen Sicherheitsrates somit äußerst unwahrscheinlich. Dessen ungeachtet blieb die ägäische Frage ungelöst. Nach wie vor konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sich griechische und türkische Marinekräfte in kleinere Zusammenstöße oder Zwischenfälle verwickelten.130 In Anbetracht der Gesprächsbereitschaft beider Parteien waren die Erfolgsaussichten einer Schlichtung aber deutlich gestiegen. Generalsekretär Luns war daher entschlossen, nun eine Lösung für den Konflikt zu erarbeiten. Er rief die NATO-Botschafter der USA, Großbritanniens, Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Belgiens am 4. Juli 1974 zusammen, um über neue Initiativen in der ungelösten Frage zu beraten, und legte den anwesenden Delegierten seine Pläne dar.131 Er beabsichtigte, eine schnelle und pragmatische Lösung herbeizuführen. Die völkerrechtlichen Aspekte der Ägäis, die Repressionen gegen die griechische Minderheit in der Westtürkei sowie die noch ungelöste Zypernfrage sollten seiner Ansicht nach vorerst offen bleiben. Es galt, Griechen und Türken erst einmal dazu zu bewegen, die Ausbeutung der ägäischen Ressourcen auf technischem Wege gemeinschaftlich anzugehen. Die Frage der Gewinnaufteilung sollte dabei vorerst ausgeklammert und später friedlich ausgehandelt werden. Griechenland sollte von türkischer Seite her die Zusicherung erhalten, dass die seerechtlichen Fragen der Hoheit Athens über die Gewässer nicht angetastet würden. Ankara wiederum sollte aufgefordert werden, in Fragen der geografischen Abgrenzung auf seine Ansprüche zu verzichten, da die Türkei schlussendlich an den ägäischen Ressourcen hinreichend beteiligt würde. Die anschließende Debatte unter den Anwesenden verdeutlichte die Sympathien der Mitglieder für Luns’ Vorhaben.132 Die Ständigen Vertreter teilten die Auffassung, dass Griechenland die Türkei angemessen an den ägäischen Ressourcen beteiligen müsse. Im Gegenzug dürfe Ankara keinesfalls mehr provozierend agieren. Da das griechische Regime ohnehin wenig Sympathie genoss, erwartete die NATO, dass Griechenland von sich aus einlenkte, wenn das Bündnis hier geschlossen handelte. Luns wollte keine Zeit mehr verlieren, das Vorhaben in die Tat umzusetzen.133 Doch seine Initiative war nur von kurzer Dauer. Trotz der vielversprechenden Pläne für die Schlichtung durch die Allianz verloren die Streitparteien innerhalb weniger Tage jedes Interesse an einer Lösung.134 Die Aufmerksamkeit Griechenlands und der Türkei richtete sich vielmehr auf den neuen Brandherd Zypern. 130 131

132 133 134

FRUS, 1973‑1976, vol.  30, doc.  15, CIA Interagency Intelligence Memorandum, 21.6.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd., doc. 16, Telegramm Ständiger US-Vertreter an State Dep., 4.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 4.7.1974, TNA, FCO 9, 2011, Nr. 354. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FCO, 4.7.1974, TNA, FCO 9, 2011, Nr. 354. Telegramm britischer Ständiger Vertreter an FCO, 5.7.1974, TNA, FCO 9, 2011, Nr. 355. Dies zeigt sich unter anderem am schlagartigen Rückgang der vorhandenen Dokumente zur griechisch-türkischen Debatte um die ägäische Frage. In den britischen Akten findet sich eine letzte Meldung vom 4.7.1974 über einen griechisch-türkischen Notenaustausch. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 12.7.1974, TNA, FCO 9, 2012, Nr. 3/8.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

197

4. Ergebnis des ägäischen Konflikts Obwohl Luns’ Bemühungen um eine dauerhafte Lösung des ägäischen Streits keine Früchte mehr trugen, hatte die NATO einen Erfolg erzielt. Die integrierende Wirkung des Bündnisses mit seinen Grundsätzen der Solidarität und Kohäsion war hier erstmals entscheidend zum Zuge gekommen, wenngleich deren Kern an dieser Stelle abermals in den materiellen Begünstigungen der schwächeren Bündnispartner greifbar geworden war: Die unmittelbaren Vorteile der Rüstungs- und Finanzhilfen, welche Griechenland und die Türkei im Bündnis genossen, hatten sich als stärker erwiesen als deren Interessen an der Ägäis. Im Gegensatz zum türkischen Nachbarn erhielt Griechenland zu dieser Zeit aus Washington zwar nur begrenzte Lieferungen an Militärgerät. Die griechische Regierung war jedoch in der Lage, mittels allgemeiner Verteidigungshilfen der NATO Rüstungsgüter bei den anderen Verbündeten zu erwerben. Insbesondere Deutschland stellte sich hier als großzügiger Vorreiter dar.135 Daneben berührte die Frage um geografische Abgrenzungsrechte in der Ägäis nicht derart vitale Interessen, wie dies bei den Zypernkrisen regelmäßig der Fall war. Vor allem waren aus türkischer Sicht keine Schutzrechte von Angehörigen der eigenen Ethnie bedroht. Seit den rücksichtslosen Vertreibungen nach dem Ersten Weltkrieg und dem Vertrag von Lausanne im Jahre 1923 über den wechselseitigen Bevölkerungsaustausch gab es auf den ägäischen Inseln praktisch keine griechisch-türkische Mischbevölkerung mehr.136 Lediglich die wenigen, im griechischen Westthrakien lebenden Türken und die unterdrückte griechische Minderheit in der Westtürkei bildeten einen möglichen Nährboden für neues Konfliktpotenzial. Jedoch hatten die späten 1960er Jahre gezeigt, dass das Schicksal dieser Volksgruppen weder in Ankara noch in Athen auf reges Interesse stieß.137 Der Fortbestand des griechisch-orthodoxen Patriarchats von Istanbul nahm in der Türkeipolitik Athens keinen nennenswerten Stellenwert mehr ein. Gleiches traf auch auf die verstreuten moslemischtürkischen Gemeinden in Westthrakien zu, von denen Ankara kaum Notiz nahm. Im Vergleich zu den bisherigen Auseinandersetzungen um Zypern schienen beide Seiten erstmals einen politischen Reifungsprozess vollzogen zu haben, der den wechselseitigen Umgang trotz der vorliegenden Spannungen deutlich von den Krisen der 1950er und 1960er Jahre unterschied. Dies war vor allem am moderaten Verhalten der Türkei ersichtlich geworden. Die jahrzehntelange Integrationswirkung der NATO hatte an diesem Punkt zaghafte Früchte getragen. Sie hatte die Bereitschaft der Konfliktgegner ansteigen lassen, ihre Differenzen in Grenzen zu halten. Beide Parteien waren sich durchweg des Umstands bewusst, dass ein Krieg um die Ägäis in keinem Verhältnis zu den Folgen stehen würde, die ein größerer militärischer Zusammenstoß nach sich zöge. Neben der ohnehin begrenzten militärischen Durchhaltefähigkeit würde jedweder bewaffnete Konflikt oberhalb der lokalen Ebene zum schmerzhaften Verlust der 135

136 137

Geiger, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO, S.  175; und AAPD, 1973, Bd  3, Dok.  404, Aufzeichnung Ministerialdirektor Hermes für Bundesaußenminister, 7.12.1973, S. 1991‑1994. Siehe hierzu rückblickend die Ausführungen in Kap. II. Rizas, Managing a Conflict between Allies, S. 370; Meinardus, Die Türkei-Politik Griechenlands, S. 506 und S. 526‑531; Wilson, The Aegean Dispute (1979), S. 17.

198

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

NATO-Verteidigungshilfen führen. Es lag daher im beiderseitigen Interesse, militärische Zwischenfälle oder Scharmützel zu vermeiden, die unversehens in eine Eskalation der Krise münden könnten. Dem Urteil der militärischen Berater Nixons folgend, wären beide Armeen ohne die logistische Unterstützung der NATO-Verbündeten im Falle eines Krieges schnell am Ende ihrer Möglichkeiten gewesen. Das Athener Regime musste zudem damit rechnen, nach einem verlorenen Krieg vor dem endgültigen politischen Zusammenbruch zu stehen. Folglich trug die Bündnismitgliedschaft Griechenlands und der Türkei an dieser Stelle spürbar zur Vermeidung militärischer Gewalttätigkeiten bei. Dennoch darf der strukturelle Einfluss der NATO nicht überbewertet werden. Die institutionelle Wesensart des Bündnisses trug nur insofern zum Erfolg bei, als es sich bei der ägäischen Krise um einen Konflikt niedriger Intensität handelte. Im Falle von Spannungen höheren Ausmaßes war zu erwarten, dass die bloße Integrationswirkung der Allianz kaum noch entschärfende Wirkung erzielen würde. Auch würde die griechische und türkische Abhängigkeit von den materiellen Hilfen der Bündnispartner dann keine verlässliche Gewähr mehr bieten, den Ausbruch eines Krieges zu verhindern. Zwar war damit zu rechnen, dass die logistischen Kapazitäten beider Armeen nach ersten Kämpfen rasch versiegten. Dies würde die Kampfhähne jedoch nicht notgedrungen davon abhalten, sich Seegefechte in der Ägäis zu liefern oder sich in Zwischenfälle und Scharmützel am thrakischen Grenzfluss Evros zu verwickeln, die dann in unkontrollierte Gewalt ausarten und die örtliche Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen könnten. Auch würde Ankara eine oder mehrere ostägäische Inseln im Handstreich besetzen, um Athen zu Zugeständnissen in der Aufteilung des Festlandssockels zu zwingen. Im Falle eines neuen Konflikts um Zypern war davon auszugehen, dass die Emotionen der Streitparteien höher schlagen würden als rationales militärpolitisches Kalkül. Überdies boten sich alternative Möglichkeiten, die Auseinandersetzung auszutragen. Wie sich in der Vergangenheit gezeigt hatte, schreckten die griechischen Streitkräfte auf Zypern nicht davor zurück, die türkisch-zypriotische Bevölkerung zu drangsalieren und gewaltsam aus ihren Dörfern zu vertreiben. Ankara wiederum hatte sich im Gegenzug nicht gescheut, Napalmbomben auf griechisch-zypriotische Siedlungen zu werfen, den griechischen Luftraum über der Ägäis zu verletzen und griechische Fischerboote zu versenken. Für die NATO selbst blieben die Konsequenzen der ägäischen Krise marginal. Weder die Militärstruktur noch der politische Arm der Allianz wurden durch die laufenden Ereignisse nachhaltig beeinträchtigt. Zwar litt die Südostflanke insgesamt erheblich unter den allgemeinen politischen Entwicklungen Griechenlands und der Türkei. Die fehlende Legitimität und Regierungsschwäche der griechischen Junta und der desolate Zustand der griechischen Streitkräfte setzten der NATO in diesem Bereich ebenso zu wie die eigenwilligen Zielsetzungen der Türkei, ihre Beziehungen zur Sowjetunion zu festigen und ihre nationale Außenpolitik auf den Nahen Osten statt auf bündnispolitische Aspekte in Mitteleuropa zu konzentrieren. Diese Umstände standen zweifellos in direktem Zusammenhang mit den bisherigen Konflikten um Zypern. Die ägäischen Spannungen aber hatten – im Gegensatz zu den Krisen um Zypern – die schwierigen Verhältnisse an der Südostflanke nicht nachhaltig verschärft.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

199

5. Die türkische Besetzung Nordzyperns a) Der Sturz von Erzbischof Makarios Gegen Ende der 1960er Jahre hatte sich das Verhältnis zwischen Nikosia und Athen weiter verschlechtert, vor allem hatte sich seit der Machtübernahme der griechischen Junta die Politik Erzbischofs Makarios Zug um Zug gewandelt.138 Der zyprische Staatsführer unterstellte den griechischen Obristen, die Enosis mittlerweile nur noch als Vorwand zu nutzen, um ihre Diktatur in Richtung Zypern auszuweiten. Der Ethnarch begann sich daher deutlich von seinem bisherigen Leitmotiv zu distanzieren, die Insel mit Griechenland zu vereinigen. Auch lehnten nicht wenige Zyprioten den politischen Kurs des Militärregimes ab.139 Athens einstige Rolle als Schutzmacht und Fürsprecher der zyprischen Interessen hatte in ihren Augen schwer gelitten. Die repressive Politik der Obristen hatte auch dazu geführt, dass zahlreiche politisch Verfolgte und Regimegegner auf die Insel geflohen waren. In Anbetracht der innergriechischen Entwicklungen hatte sogar die kommunistische AKEL auf Zypern begonnen, den Kirchenfürsten zu unterstützen.140 Die Kommunisten waren Makarios in den 1950er Jahren stets ein Dorn im Auge gewesen, da sie den Anschluss an Griechenland abgelehnt und sich am Befreiungskampf der griechischen Zyprioten kaum beteiligt hatten. Der Ethnarch konnte auch nicht mehr auf die Hilfe Moskaus zählen. Zwar hegte der Kreml ein generelles Interesse, die Souveränität Zyperns zu stärken und das Regime des Erzbischofs zu stützen.141 Die Sowjetregierung erblickte darin nach wie vor einen Weg, den Anschluss Zyperns an Griechenland zu verhindern und so einem etwaigen NATOBeitritt des Inselstaates entgegenzuwirken. Dennoch befanden sich das Politbüro und das sowjetische Außenministerium im Zwiespalt. Die Sowjetmacht war sich bewusst, dass sie den Erzbischof nicht unterstützen konnte, ohne ihre laufenden Beziehungen zu Ankara zu gefährden. Wenn sich das sowjetische Verhältnis zum türkischen Nachbarn verschlechterte, stand der strategische Wert der SOVMEDRON auf dem Spiel. Die UdSSR verfolgte wie eh und je das weitgesteckte Ziel, ihre Militärpräsenz im Mittelmeer und auf den Weltmeeren kontinuierlich zu steigern.142 Die sowjetische 5. Escadra verfügte im Frühjahr 1973 über Stützpunktrechte, die von Tartus in Syrien über Port Said und Alexandria entlang der nordafrikanischen Küste bis nach Algier reichten.143 Die maritimen Interessen Moskaus erstreckten sich mittlerweile bis nach Ostafrika und in 138 139 140

141 142 143

Asmussen, Cyprus at War, S. 15 f. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 395 f. Kadritzke/Wagner, Im Fadenkreuz der NATO, S. 23‑25. Seit dem Umsturz in Athen hatte die AKEL durch die zahlreichen Flüchtlinge aus Griechenland bei den Wahlen des Jahres 1971 sogar einen Stimmenzuwachs auf rund 30 % verzeichnen können. Hierzu Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 94. Steinbach, Neuere Entwicklungen, S. 535‑539. Ebd. »The Times: Soviet buildup in the Mediterranean«, 15.3.1973, TNA, FCO 9, 1847; CIA-Bericht/ SitRep, 15.7.1974, 14.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box  7, Nr.  3; Ioannides, Realpolitik, S.  268; Gabriele, Mediterranean Naval Forces, S. 68.

200

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

den Persischen Golf.144 Gemessen an der Zahl und Beschaffenheit ihrer Kampfschiffe stellte die Flotte mittlerweile ein ernstzunehmendes Gegengewicht zur amerikanischen STRIKEFORSOUTH dar.145 Die türkische Wasserstraße am Bosporus und den Dardanellen war auf jeden Fall eine Achillesferse, die den sowjetischen Ambitionen schnell ein Ende setzen konnte, wenn Moskaus gute Beziehungen zur Türkei abkühlten. Seit dem Machtantritt des griechischen Militärregimes besaß Makarios nicht mehr nur Anhänger unter seinen Gefolgsleuten.146 Da sich der Erzbischof den Plänen Athens fortwährend widersetzt hatte, war ein Bruch mit seinem einstigen Mitstreiter Georgios Grivas nicht ausgeblieben. Letzterer hatte trotz seines greisen Lebensalters in der Folge eine neue Untergrundorganisation aufgebaut, um den widerspenstigen Ethnarchen gewaltsam zu stürzen. Weitere Gefahr drohte Makarios direkt aus der griechischen Hauptstadt. In den Augen von Ioannidis war der griechisch-zypriotische Führer wegen seiner Verbindungen zur AKEL ins »kommunistische Lager« gewechselt und hatte sich damit endgültig zum Volksfeind erklärt.147 Das Regime hatte Ende der 1960er Jahre eine neue Gruppierung geschaffen, die sich vorwiegend aus griechisch-zypriotischen Rechtsextremisten rekrutierte. Die Ethniko Metopo (EM) stand unter dem Einfluss griechischer Geheimdienstoffiziere und verübte im März 1970 ein erstes Attentat auf den zyprischen Staatschef. Obgleich Makarios den Anschlag unversehrt überstand, waren seine Tage gezählt. Es schien nur eine Frage der Zeit zu sein, bis die Obristen sich des widerspenstigen Kirchenfürsten entledigen würden. Sowohl die Polizei als auch die Nationalgarde versagten Makarios zusehends ihre Loyalität und zwangen ihn dazu, sich neue Sicherheitskräfte aufzubauen.148 Auf Anweisung der Junta entzog ihm der Heilige Synod der griechischorthodoxen Kirche seine geistliche Würde, während Grivas ihn energisch aufforderte, von seinem Amt als Oberhaupt der Republik zurückzutreten. Makarios’ Widersacher Grivas verstarb im Januar 1974, und nur kurze Zeit später, im Sommer des Jahres, fand die langjährige Herrschaft des Kirchenfürsten ein jähes Ende.149 Nach der Entmachtung von Papadopoulos verschärfte Athen seine Gangart gegenüber Nikosia. Terrorakte und politische Zersetzungsversuche vonseiten der EOKA und der EM standen auf der Tagesordnung. Am Morgen des 15.  Juli kam es schließlich zum offenen Eklat. Juntatreue Teile der Nationalgarde putschten gegen die Regierung. Die Vorgänge in Athen sieben Jahre zuvor schienen sich nun in der zyprischen Hauptstadt zu wiederholen. Panzertruppen besetzten den Präsidentenpalast, den Flughafen und den örtlichen Radiosender. Anders als seinerzeit in Athen verwickelten sich die Putschisten aber in heftige Gefechte mit loyalen Anhängern des Erzbischofs und kommunistischen Kämpfern der AKEL, die mehrere Tage lang andauerten. Mit der Eroberung der Ortschaft Paphos endeten die letzten Kämpfe mit dem Sieg der Aufständischen. Makarios 144 145 146 147 148 149

Etzold, The Soviet Union in the Mediterranean, S. 31. Chipman, NATO and the Security Problems of the Southern Region, S. 21. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 395‑406; AdG, 42 (1972), 19.5.1972, S. 17101 f.; Asmussen, Cyprus at War, S. 16 f.; Dodd, The History and Politics, S. 102 f. Ioannides, Realpolitik, S. 73. AdG, 43 (1973), 29.8.1973, S. 18136‑18140; Coufoudakis, US Foreign Policy, S. 259. AdG, 44 (1974), 1.8.1974, S. 18851 f.; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 415‑423; Uslu, The Cyprus Question, S. 115 f.; Asmussen, Cyprus at War, S. 21‑32; Ioannides, Realpolitik, S. 72 f.; CIA-Bericht/SitRep, 16.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 6.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

201

konnte sich zum britischen Militärstützpunkt Akrotiri durchschlagen und begab sich kurze Zeit später nach London ins Exil.150 b) Die NATO am Vorabend der türkischen Militärintervention Washington war über die griechischen Pläne im Bilde gewesen. Die CIA hatte Nixon und den Nationalen Sicherheitsrat im Vorfeld detailliert über die zypriotschen Umsturzplanungen unterrichtet.151 Der Präsident hatte jedoch wenig Interesse an den Vorgängen gezeigt. Nixons Sorge um den Ausgang des Watergate-Skandals hatte die Ereignisse in Südosteuropa zur Bagatelle werden lassen und die außenpolitische Entscheidungsfähigkeit des Weißen Hauses beträchtlich gelähmt.152 Außenminister Henry Kissinger hatte den Vorschlägen des Senats eine deutliche Absage erteilt, in die Zypernpolitik Athens einzugreifen. Der NSC sah daher keinen Anlass, die Junta von ihrem Vorhaben abzuhalten.153 Nicht zuletzt stand Washington der Verbrüderung des Erzbischofs mit der kommunistischen AKEL argwöhnisch gegenüber. Der Nationale Sicherheitsrat einigte sich darauf, der Junta lediglich die Besorgnis des Weißen Hauses über den gewaltsamen Regierungswechsel auf Zypern darzulegen.154 Unmittelbar nach dem Umsturz legte auch der amerikanische Botschafter William Macomber in Ankara seinen Vorgesetzten im State Department nahe, nicht in die internen Machtkämpfe der griechischen Zyprioten einzugreifen.155 Washington sollte lediglich den Schutz der türkischstämmigen Volksgruppe im Auge behalten, um neue Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei zu verhindern. Hier konnte sich der NSC zynischerweise auf den griechischen Verbündeten verlassen: Die türkische Botschaft in Nikosia bestätigte, dass die Putschisten peinlich genau darauf achteten, die türkische Kommune nicht zu behelligen und jegliche Zwischenfälle zwischen den beiden Ethnien zu vermeiden.156 Ferner hätte eine Intervention der CIA den Fortbestand des amerikanischen Flottenstützpunktes in der kretischen Souda-Bucht gefährden können.157 Die Basis bildete insofern einen bedeutenden Pfeiler für die Operationsfähigkeit der 6. US-Flotte, als Ankara seinem überseeischen Verbündeten nach wie vor regelmäßig die Nutzung seiner Stützpunkte in der Türkei untersagte, wann immer Washington in die arabisch-israelischen Konflikte eingriff. Darüber hinaus erweckte die Machtübernahme der EOKA zunächst sogar den trügerischen Anschein, als ob sich die Lage auf der 150 151 152 153 154 155 156 157

Miller, The United States, S. 189; Uslu, The Cyprus Question, S. 119; Asmussen, Cyprus at War, S. 36‑39. Briefing Paper von US-Außenminister für US-Präsident, 25.‑27.6.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files Europe, Box 53; Uslu, The Cyprus Question, S. 116‑120. Ioannides, Realpolitik, S. 30 und S. 113; Slengesol, A Bad Show?, S. 127 f. Memorandum NSC für US-Außenminister, 15.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC WSAG Meetings – Cyprus Box H-96. Contingency Study for Cyprus, NSC Interdepartmental Group for Near East and South Asia, April 1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC WSAG Meetings – Cyprus Box H-96. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 85, Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 15.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Asmussen, Cyprus at War, S. 32. Uslu, The Cyprus Question, S. 122; Stearns, Entangled Allies, S. 20.

202

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Insel stabilisiere. Der von Athen eingesetzte griechisch-zypriotische Volksgruppenführer Nikos Sampson hatte sich in den vergangenen Zypernkrisen zwar als besonders gewalttätiger und rücksichtsloser Verfechter der Enosis hervorgetan. Auch hatten er und seine Gefolgsleute zahlreiche Massaker und Gräueltaten an der türkisch-zypriotischen Zivilbevölkerung verübt. Jedoch kündigte er als neuer Präsident in einer eiligen Radioansprache freie Wahlen und die Wiederaufnahme der Gespräche zwischen den beiden Volksgruppen an.158 Die Obristen in Athen schienen Ankara beweisen zu wollen, dass es sich bei der Angelegenheit lediglich um einen unbedeutenden Machtwechsel innerhalb der griechisch-zypriotischen Führungsspitze handelte. Darüber hinaus stritt das griechische Außenministerium jegliche Verwicklung der Junta in die Vorgänge auf der Insel ab.159 Dessen ungeachtet geriet die türkische Volksgruppe in Panik.160 Sampson galt seit den Unruhen 1963/64 in den Augen der türkischstämmigen Bevölkerung als brutaler Schlächter.161 Der Führer der türkischen Zyprioten, Rauf Denktaş, rief alle Angehörigen seiner Ethnie auf, in ihren Häusern zu verbleiben, und mobilisierte eilig die bewaffneten Kräfte der TMT. Auch Ankara reagierte alarmiert.162 Ecevit rief das Kabinett zu einer Krisensitzung zusammen. Die türkische Regierung kündigte an, den politischen Zustand mit Sampson an der Spitze Zyperns unter keinen Umständen zu tolerieren. Trotz der Spannung, die in Ankara herrschte, hoffte die türkische Regierung aber noch auf einen Ausweg, um eine Militärintervention zu vermeiden. Nichtsdestoweniger trafen die Streitkräfte hastige Vorbereitungen. Der Türkische Generalstab setzte seine 1. Armee am Bosporus und seine 2. Armee an der syrischen Grenze in Alarmbereitschaft und befahl deren Kommandeure zur Lagebesprechung in den Generalstab. Gleichzeitig wurde die Flotte angewiesen, Zerstörer als Geleitschutz für Landungsboote vorzubereiten. Kampfverbände des Feldheeres ergriffen erste Maßnahmen für ihren Einsatz auf Zypern. Die NATO wiederum konnte sich angesichts der konfusen Situation nicht auf ein einheitliches Handeln einigen. Generalsekretär Luns rief den griechischen und den türkischen Bündnispartner zu Verhandlungen auf und bot sich als Mittler in der neuen Krise an.163 In Anbetracht der angespannten Lage blieb sein Appell jedoch ohne Wirkung. Der niederländische Außenminister Max van der Stoel wiederum versuchte die NATOMitgliedsstaaten davon zu überzeugen, Griechenland kollektiv unter Druck zu setzen, damit Ausschreitungen gegen die türkischen Zyprioten unterblieben. Bonn befürwortete 158 159 160 161 162

163

Memorandum NSC für US-Außenminister, 15.7.1974, Pres. Lib.Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, NSA; Uslu, The Cyprus Question, S. 120. CIA-Bericht/SitRep, 15.7.1974, 14.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 3. Ebd. Asmussen, Cyprus at War, S. 23. CIA-Bericht/ SitRep, 15.7.1974, 14.00  Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 3; Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 15.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC WSAG Meetings – Cyprus Box H-96, CONFIDENTIAL ANKARA 5564, Nr. 5084. CIA-Bericht/ SitRep, 15.7.1974, 14.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 3; Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 15.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC WSAG Meetings – Cyprus Box H-96, CONFIDENTIAL ANKARA 5564, Nr. 5084; Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 15.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC WSAG Meetings – Cyprus Box H-96, SECRET USNATO 3885, Nr. 6793.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

203

Stoels Vorhaben. London indes blieb zögerlich und gab vor, in seiner Eigenschaft als Garantiemacht für Zypern keine leichtfertige Entscheidung treffen zu können. Auch Luns selbst war sich unschlüssig, ob er den NAC zu einer Krisensitzung einberufen sollte.164 Die niederländische Regierung hingegen klagte die griechische Regierung unverblümt der Urheberschaft der Ereignisse auf Zypern an und übte scharfe Kritik an der NATO und dem amerikanischen Partner.165 Amsterdam warf den Allianzmitgliedern vor, trotz der brisanten Situation gegenüber der Junta passiv zu bleiben. Washington wiederum stellte Überlegungen an, welche Maßnahmen die NATO in der prekären Lage ergreifen könnte.166 Das State Department spielte mit dem Gedanken einer militärischen Intervention des Bündnisses, zumal auch Moskau begonnen hatte, sich für die Krise zu interessieren. Der sowjetische Botschaftsrat in Nikosia hatte beim britischen Hochkommissar vorgesprochen und vorsichtig die Frage gestellt, wie London reagierte, wenn die SOVMEDRON militärisch eingriffe, um den alten Zustand Zyperns wiederherzustellen.167 Es war nicht zu verkennen, dass die Sowjetregierung in den neuen Verhältnissen eine akute Gefahr erblickte, die Insel über kurz oder lang als Teil der NATO wiederzufinden.168 Eine derartige Konstellation würde die Operationsfähigkeit und die Bewegungsfreiheit der 5.  Escadra zwischen Syrien und Ägypten empfindlich stören. Eine Intervention der SOVMEDRON schien den sowjetisch-türkischen Beziehungen hingegen nicht zum Nachteil zu gereichen. Das britische Hochkommissariat lehnte das sowjetische Anliegen jedoch entschieden ab.169 Zwischenzeitlich debattierte der Nationale Sicherheitsrat der Türkei in einer stundenlangen nächtlichen Sitzung über das Für und Wider einer Intervention.170 Die Anwesenden kamen zu dem Schluss, dass Ankara umgehend Maßnahmen ergreifen müsse, um das Leben und die Unversehrtheit der türkischen Zyprioten zu schützen. Die türkische Volksgruppe auf der Insel verfügte nur über wenige tausend Bewaffnete, denen im Falle neuer Auseinandersetzungen eine erdrückende Übermacht an Soldaten der Nationalgarde und der EOKA gegenüberstünden. Den Sicherheitsrat bewegte aber noch eine andere Tatsache: Der Putsch auf der Insel berührte die empfindliche geostrategische Lage der Türkei.171 Wenn die Herrschaft Sampsons zur Enosis führte, konnte Athen im Spannungs- oder Kriegsfall die wichtigen Häfen Mersin und İskenderun blockieren und die Türkei an ihren empfindlichen Regionen, im Süden an der Küste und der Schnittstelle 164 165 166 167

168 169 170

171

Bericht Krisenstab Zypern AA, 15.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 203. CIA-Bericht/SitRep, 15.7.1974, 14.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 3. Memorandum NSC für US-Außenminister, 15.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC WSAG Meetings – Cyprus Box H-96. CIA-Bericht/SitRep, 15.7.1974, 18.00  Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 4; Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 16.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 1828. So auch die Beurteilung des CIA: CIA-Bericht/SitRep, 16.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 6, Annex II. CIA-Bericht/SitRep, 16.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 6. CIA-Bericht/SitRep, 16.7.1974, 7.00 Uhr und 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 5 bzw. Nr. 6, Annex I; Lageorientierung Zypernkrise, 17.7.1974, BMVg, Fü S II, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 96.

204

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

zu Syrien und dem Irak, bedrohen. Auch wäre die anatolische Halbinsel dann über das gesamte östliche Mittelmeer verteilt von griechischen Eilanden umgeben. In Anbetracht der Unberechenbarkeit der griechischen Junta erschien ein solcher Umstand für Ankara untragbar. Die türkische Marine zog daher weitere Teile ihrer Flotte in der Ägäis zusammen und versetzte ihre Fliegerstaffeln in Adana in erhöhte Gefechtsbereitschaft. Verteidigungsminister Hasan Işık legte den westlichen NATO-Partnern dar, dass Makarios’ Regentschaft – verglichen mit Sampsons Herrschaft – geradezu ein Segen gewesen sei.172 Nach türkischer Auffassung hatte Griechenland eindeutig internationales Recht verletzt. Der türkische Politiker machte aber auch aus seiner Enttäuschung über die schwache Reaktion der NATO keinen Hehl. Sofern die Allianz nicht unverzüglich Gegenmaßnahmen ergriffe, drohte die türkische Regierung, ihre Zusammenarbeit mit Griechenland in den Militärstäben des Bündnisses einzustellen. Die Türkei ließ ferner erkennen, dass sie nicht davor zurückschreckte, die alten Machtverhältnisse auf Zypern mit militärischen Mitteln wiederherzustellen. Am 16. und 17. Juli 1974 versammelte sich der NAC zu ersten Krisensitzungen. In Anbetracht der türkischen Entschlossenheit forderten Luns, der amerikanische NATOBotschafter Donald Rumsfeld und sein belgischer Amtskollege André de Staercke den griechischen Vertreter Anghelos Chorafas mit Nachdruck auf, dem NAC zu den Ereignissen auf Zypern Rede und Antwort zu stehen.173 Der griechische Delegierte musste eingestehen, dass Athen den gewaltsamen Umsturz in Nikosia nicht nur gebilligt hatte, sondern seit dem Machtantritt Sampsons auch die Befehlsgewalt über die zyprische Nationalgarde ausübte. De Staercke wertete die Aussage von Chorafas vor dem versammelten Rat als griechisches Eingeständnis, für den Putsch alleine und direkt verantwortlich zu sein. Die Vorhaltungen der NATO sorgten in der griechischen Hauptstadt für sichtliche Verstimmung. Ioannidis verstrickte sich gegenüber dem amerikanischen Botschafter Henry Tasca in unkontrollierte, emotionale Wutausbrüche und brüstete sich mit den Worten, einen kommunistischen Umsturz auf Zypern verhindert zu haben.174 In Gegenwart des amerikanischen Diplomaten stieß er herbe Flüche gegen den Erzbischof aus, bezichtigte den Ethnarchen des Nepotismus und der Homosexualität und verkündete lautstark das Ende der Ära Makarios. Zwei Tage später lenkte der Diktator jedoch ein. Obgleich Athen seine Verantwortung für den Umsturz offiziell weiter bestritt, erklärte sich das Regime auf Drängen der NATO-Verbündeten bereit, Teile seines militärischen Führerkorps von der Insel abzuziehen.175 172 173

174

175

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 16.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 600. Ebd., S. 43; CIA-Bericht/SitRep, 16.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 6; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 17.7.1974, PA AA, B 150, Bd 309, Nr. 1034. Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 16.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, NSC Country Files – Greece, Box 595, SECRET 3583, ATHENS 4528, Nr. 41, sowie SECRET 3595, ATHENS 4528, Nr. 42. Drahtbericht bdt. Botschaft Washington an AA, 18.7.1974, PA AA, B 150, Bd 309, Nr. 2101; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 18.7.1974, ebd., Nr.  1043; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 19.7.1974, ebd., Nr.  1044; CIA-Bericht/SitRep,

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

205

Der Erfolg war jedoch nur ein scheinbarer. Ankara forderte die Rückverlegung aller auf Zypern stationierten griechischen Soldaten. Der türkische Außenminister trat an London mit dem Vorschlag heran, den Status quo ante auf der Insel im Rahmen einer gemeinsamen Militäraktion wiederherzustellen.176 Ankara berief sich dabei auf die Grundlage des Züricher und Londoner Vertrages. Die Türkei war fest entschlossen, gewaltsam in der Angelegenheit zu intervenieren und strebte lediglich nach der Unterstützung des britischen Verbündeten. Premierminister Harold Wilson wich dem türkischen Anliegen aber aus.177 London besaß weder das Interesse noch die Mittel, sich in ein militärisches Abenteuer zu verwickeln, das in der britischen Öffentlichkeit wegen seines kolonialen Erbes ohnehin auf wenig Gegenliebe stieß.178 Der britische Verteidigungsminister musste zudem mit erheblichen Kürzungen in seinem Haushalt rechnen. Außenminister James Callaghan und US-Außenminister Kissinger einigten sich folglich darauf, Athen ein Ultimatum für den Abzug seiner Truppen zu stellen, um die Türkei auf diesem Wege zu beschwichtigen.179 Washingtons Motive unterschieden sich allerdings von den Absichten Londons. Der NSC hielt den gegenwärtigen Zustand Zyperns insofern für gefährlich, als sowjetische Zerstörer vor der Küste der Insel patrouillierten.180 Moskau hatte erklärt, eine Ausdehnung des griechischen Machtbereichs unter keinen Umständen zu dulden. Unbestätigten Meldungen Bonns zufolge bewegten sich auch mechanisierte Truppenverbände des Warschauer Paktes in Richtung der griechisch-bulgarischen Grenze. Trotz alledem machte Nixon seinem Außenminister im vertraulichen Gespräch deutlich, dass er die Ansichten der Europäer nicht teile, Makarios schnellstmöglich wieder als Staatsoberhaupt der Insel einzusetzen und den alten Zustand wiederherzustellen.181 Das Weiße Haus befürchtete, Moskau und der kommunistischen AKEL auf diesem Wege in die Hände zu spielen. Womöglich konnte es dem Kreml so doch noch gelingen, Stützpunktrechte für die SOVMEDRON auf Zypern zu erwerben. Folglich wies Nixon Kissinger an, die Rückkehr des Erzbischofs nach Kräften zu verschleppen. Es galt aus Sicht des US-Präsidenten Zeit zu gewinnen, um eine alternative Lösung zu erarbeiten. Die Sowjetunion durfte nach amerikanischer Bewertung keine Anknüpfungspunkte finden, die inneren Entwicklungen auf der Insel zu beeinflussen. Es gab folgende zwei Möglichkeiten: eine zyperninterne Schlichtung auf den Weg zu bringen oder aber Ankaras Unter-

176 177 178 179

180 181

17.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 8; Asmussen, Cyprus at War, S. 68; BMVg, Fü S II, Lageorientierung Zypernkrise, 18.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 18.7.1974, TNA, FCO, 41,1461 (o.Nr.). Asmussen, Cyprus at War, S. 50‑64. Ebd.; Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 18.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 1858; Asmussen, Cyprus at War, S. 63. Bericht Nr.  I/1974, DMV an BMVg, Wehrstruktur alliierter Streitkräfte, 2.5.1974, BArch, BW 3 1573. Telefongespräch britischer Außenminister mit US-Außenminister, 17.7.1974, 5.04 Uhr, HAK Telephone Conversations Telcons Box  26, Pres. Lib. Richard Nixon; Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 18.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 1858. Lageorientierung Zypernkrise, 18.7.1974, BMVg, Fü  S  II, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457. Telefongespräch US-Präsident mit US-Außenminister, 17.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, HAK Telephone Conversations Telcons Box 26.

206

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

nehmung freien Lauf zu lassen. Da Moskau sich den türkischen Angriffsvorbereitungen gegenüber gelassen zeigte, schien eine türkische Intervention aus Sicht des Weißen Hauses größeren Erfolg zu verheißen. Dementsprechend startete das State Department nur halbherzige Versuche, die Türkei von ihrem Vorhaben abzubringen.182 Gleiches galt für Nixons Appell an Griechenland und die Türkei, im Interesse der Allianz von einer Eskalation der Lage abzusehen.183 Anders als Lyndon Johnson zehn Jahre zuvor vermied der amerikanische Präsident, Druck auf den türkischen Partner auszuüben. Die 6. USFlotte machte keine Anstalten, sich zwischen Zypern und der türkischen Südküste zu positionieren, um eine Landung türkischer Kräfte auf der Insel zu erschweren.184 Die griechischstämmige Lobby wiederum hielt sich nicht zuletzt wegen ihrer mutmaßlichen Verstrickung in den Watergate-Skandal zurück.185 Zwischenzeitlich begann sich die Situation zuzuspitzen. Die politische Lage seiner Regierung ließ Ecevit keinen großen Handlungsspielraum. Wie auch zehn Jahre zuvor war die Stimmung in der türkischen Öffentlichkeit sichtbar aufgeheizt.186 Die Entwicklungen auf Zypern bildeten dabei nur das Zünglein an der Waage. Seit dem Frühjahr stand das Kabinett des Ministerpräsidenten unverändert im Kreuzfeuer der Kritik.187 Presse und Opposition prangerten die wenig standhafte Haltung der Regierung gegenüber den amerikanischen Forderungen nach Reduzierung des Anbaus von Schlafmohn in der türkischen Landwirtschaft an. Das Gewächs bildete wegen seiner Verarbeitungsmöglichkeit zu Opium eine lukrative Einnahmequelle.188 Aber auch im Parlament hatte Ecevit keinen leichten Stand. Im Sommer 1974 war es ihm endlich gelungen, mit der »Islamischen Heilspartei« zu koalieren. Als Preis dafür hatte sich der Regierungschef gegenüber den islamistischen Tendenzen seines Regierungspartners aufgeschlossener gezeigt. Auch hatte er die Entlassung politischer Häftlinge angeordnet. Konservative Kreise und das Militär warfen dem Ministerpräsidenten daraufhin vor, die laizistischen Prinzipien des Staatsgründers Kemal Atatürk zu verletzen, die eine strikte Trennung von Staat und Religion propagierten. In Anbetracht der heiklen Lage sah sich Ecevit genötigt, in der Zypernfrage entschlossen vorzugehen, um seinen politischen Gegnern nicht noch mehr Angriffsfläche zu bieten. Nicht zuletzt drängten die sonst weithin gespaltenen Oppositionsparteien darauf, den Streitkräften endlich den Marschbefehl und den 182 183 184 185

186 187

188

Asmussen, Cyprus at War, S. 84; Uslu, The Cyprus Question, S. 127; Miller, The United States, S. 192‑194. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 20.7.1974, PA AA, B 150, Bd 309, Nr. 1050. BMVg, Fü  S  II, Lageorientierung Zypernkrise, 18.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457. Kutler, The Wars of Watergate, S. 205‑208, zufolge war der Großunternehmer und US-Amerikaner griechischer Herkunft Thomas Pappas tief in unterschiedliche Bestechungsaffären Nixons verwickelt. Pappas galt in den 1970er Jahren als führender Vertreter der griechischstämmigen Lobby. Ähnliches traf auch auf den seit 1969 amtierenden, ebenfalls griechischstämmigen amerikanischen Vizepräsidenten Spiro Agnew zu. Vgl. auch und Ioannides, Realpolitik, S. 59‑67. Gesprächsvorschlag für Pressemitteilung, AA, Ref 203 für BReg, 19.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457. CIA-Bericht/SitRep, 23.7.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 23, hier: Rückblende des Berichts auf die Tage vor der türkischen Intervention auf Zypern. Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 219‑225.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

207

verhassten Griechen eine Lektion zu erteilen.189 Hatten die türkischen Politiker in den vormaligen Krisen um Zypern das Militär zu beschwichtigen versucht, so waren es jetzt das Parlament und die Regierung, die ein schnelles Handeln des Türkischen Generalstabs forderten.190 Da London das türkische Anliegen zurückgewiesen hatte, sah Ankara seinen Alleingang als legitim an.191 Kritische Bedenken des bundesdeutschen Botschafters über die Frage, welche Zukunft Ecevit nach einem türkischen Sieg über das Regime Sampsons für die Insel vorsehe, schob der Vorsitzende des Türkischen Politischen Ausschusses beiseite:

»auf meine frage, was die tuerkische regierung nach einem sieg über die putschisten zu tun gedenke, um die lage zu normalisieren, sagte mir mein gespraechspartner, dass man darüber noch nicht eigentlich nachgedacht habe. zuerst gelte es zuzuschlagen. das uebrige wuerde sich dann ergeben.«192

Die türkische Regierung räumte lediglich ein, von ihren Interventionsplänen Abstand nehmen zu wollen, wenn das Athener Regime vorher stürzte.193 Andernfalls stünden Ehre und Ansehen der Nation auf dem Spiel. Bonn zeigte Verständnis für die türkischen Absichten.194 Zwar stand die Bundesregierung der Art der Durchführung mit ernster Besorgnis gegenüber. Auch verfügte die Regierung Schmidt durchaus über Mittel, Ankara unter Druck zu setzen.195 Die Frage des Nachzugs türkischer Gastarbeiterfamilien in die Bundesrepublik, die türkischen Staatsschulden gegenüber Westdeutschland und die bundesdeutschen Wirtschafts- und Militärhilfen bildeten hier nur einige neuralgische Punkte. Das Bundeskabinett pflegte zur Türkei aber grundsätzlich harmonische Beziehungen, welche die Regierung nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen gedachte. Bundeskanzler Helmut Schmidt sah es daher zu diesem Zeitpunkt nicht als zielführend an, die türkische Zypernpolitik zugunsten der unbeliebten griechischen Junta zu beeinflussen. Unterdessen hatte auch die Sowjetregierung Ankara gegenüber signalisiert, dass der Kreml sich im Falle eines militärischen Eingreifens zurückhielte, solange die Unabhängigkeit Zyperns gewahrt bliebe und die Türkei keine Versuche anstellte, die Insel zu annektieren oder in die NATO einzugliedern.196 Zwar bemühte sich Moskau, einen Be-

189

190 191 192 193 194 195

196

Drahtberichte bdt. Botschaft Ankara an AA, 19.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 624 und Nr. 632; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 19.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 631. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. Gesprächsvorschlag für Pressemitteilung, AA, Ref 203 für BReg, 19.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 19.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 632. Ebd. Gesprächsvorschlag für Pressemitteilung, AA, Ref 203 für BReg, 19.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457. AA-interne Stellungnahme, Ref 203, für StS, 23.7.1974, Mutmaßliche bündnispolitische Folgen des griechisch-türkischen Konflikts, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd  101457, Nr.  201360.90 ZYP/74. CIA-Bericht/SitRep, 20.7.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 14; Nowacki, Der Zypernkrieg, S. 259; Bolukbasi, The Superpowers, S. 194.

208

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

schluss des UN-Sicherheitsrates auf den Weg zu bringen, der eine äußere Einmischung in die inneren Angelegenheiten Zyperns untersagte.197 Die Resolution richtete sich aber vor allem gegen Nikos Sampson und dessen griechische Handlanger. Das türkische Interventionsvorhaben kommentierten die Moskauer Tageszeitungen hingegen mit wohlwollender Zustimmung. Die UdSSR befand sich im Grunde in einer schwachen Position:198 Im Gegensatz zur NATO verfügte sie nicht über Mittel und Wege, signifikanten Einfluss auf die zyprischen Entwicklungen zu nehmen. Alle drei Garantiemächte gehörten der westlichen Allianz an. Die Sowjetführung konnte lediglich versuchen, in einer Art von Schaukelpolitik zwischen der Türkei, Griechenland und den USA einen moderaten Ausgang des Konflikts herbeizuführen. Die ersehnten zyprischen Stützpunktrechte für die 5. Escadra waren nach dem Putsch Sampsons in weite Ferne gerückt. Politbüro und Ministerrat mussten sich mit dem mageren Ziel begnügen, einen möglichen NATO-Beitritt der Insel zu verhindern. Die amerikanischen Nachrichtendienste unterstellten Moskau, den griechisch-türkischen Dauerkonflikt aufrechterhalten, die NATO im östlichen Mittelmeer destabilisieren und auf Zypern Fuß fassen zu wollen.199 Die realen Entwicklungen zeugten jedoch eher vom Gegenteil: Die fortwährenden griechisch-türkischen Spannungen begannen der Entfaltungsmöglichkeit der SOVMEDRON abträglich zu werden. Dies betraf insbesondere die bilateralen Streitigkeiten in der Ägäis. Die ungehinderte Passage der Wasserstraße zwischen Mittelmeer und Schwarzem Meer stellte für die Bewegungsfreiheit der 5. Escadra nach wie vor ein strategisches Nadelöhr dar. Ein maritimer Konflikt, gefolgt von Seegefechten zwischen Griechenland und der Türkei, würde die Bewegungsfreiheit der sowjetischen Marine empfindlich stören. Auch ansonsten schien der Westen die sowjetischen Expansionsbestrebungen überzubewerten. Global betrachtet musste die Sowjetmacht darauf bedacht sein, ihre begrenzten Ressourcen im Rüstungswettlauf mit den USA nicht zu überdehnen.200 Die strukturellen Schwächen und der Rückstand der sozialistischen Zentralverwaltungswirtschaft waren seit Beginn der 1970er Jahre immer offener zutage getreten. Damit einhergehend bedurften die Volkswirtschaften der Staaten des Rates für gegenseitige Wirtschafthilfe (RGW)201 wegen der gestiegenen Weltmarktpreise für Energie zunehmend sowjetischer Subventionen. Zeitgleich aber hatte sich das Wirtschaftswachstum der UdSSR spürbar verlangsamt. Der Verteidigungssektor verschlang überproportional viele Ressourcen und Arbeitskräfte, wollte man doch mit den modernen, elektronischen Waffensystemen des Westens und der beginnenden digitalen Revolution Schritt halten. Der Lebensstandard der Bevölkerung verharrte dagegen auf niedrigem Niveau. Die gesellschaftliche Unzufriedenheit äußerte sich in offenen oder stillen Protesten, begleitet von scharfen Gegenmaßnahmen der Sowjetführung, die sich in Lagerhaft und – just im Februar 1974 – in der Ausweisung des weltbekannten Schriftstellers 197 198 199 200 201

Steinbach, Die Sowjetunion und die Zypernkrise, S. 338 f. Ebd. CIA-Bericht/SitRep, 16.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 6, Annex II. Davis, Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der sowjetischen Militärausgaben, S. 271‑276. Näheres zur Funktionsweise des RGW bei Dangerfield, Sozialistische Ökonomische Intergration.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

209

und Dissidenten Aleksandr Solženizyn widerspiegelten.202 Daneben plagten auch den Warschauer Pakt blockinterne Krisen, die von wiederholten sowjetischen Militärinterventionen in den »Bruderstaaten« gekennzeichnet waren.203 Darüber hinaus durfte der Kreml auch nicht zu sehr auf Konfrontation mit der NATO gehen, wollte er den Erfolg der KSZE-Gespräche nicht gefährden. Die Staaten des Ostblocks versprachen sich von den laufenden Verhandlungen nicht nur die Anerkennung des Status quo der Grenzen in Mitteleuropa, sondern sie hofften gleichermaßen auf eine substanzielle Verbesserung ihrer Wirtschaftsbeziehungen zum Westen.204 Der sowjetische Außenhandelsminister rechnete gar mit großzügigen amerikanischen Krediten. Ein Anheizen der griechisch-türkischen Spannungen und eine damit einhergehende, gezielte Schwächung der westlichen Allianz musste in den Augen Moskaus daher zu diesem Zeitpunkt schädlich erscheinen. Die türkischen Streitkräfte schlossen unterdessen ihre Landungsvorbereitungen ab.205 Ankara hatte seine Luftwaffe, Armee und Flotte in volle Gefechtsbereitschaft versetzt und zahlreiche Reservisten einberufen. Teile der türkischen 1. Armee lagen am thrakischen Grenzfluss Evros in Bereitschaft, um zu verhindern, dass griechische Truppen der Türkei während der laufenden Operation in den Rücken fielen. In den zypernnahen Seehäfen Mersin und İskenderun lagen rund 100 Landungsboote des amphibischen Kommandos bereit, um Expeditionstruppen nach Zypern überzusetzen. Vor der Küste ankerten Zerstörer, Küstenwachboote und U-Boote, um die Landungskräfte während der Überfahrt vor griechischen Angriffen zu schützen. Panzer- und Infanterieverbände warteten in küstennahen Bereitschaftsräumen auf ihre Marschbefehle, Luftlandetruppen bestiegen ihre Transportmaschinen. Unbestätigten Informationen zufolge setzten türkische Luftfahrzeuge im Schutze der Nacht bereits erste Trupps mit Fallschirmjägern über türkischzypriotischen Ortschaften ab.206 Türkische Jagdbomber überflogen währenddessen die Küsten Zyperns zu Aufklärungszwecken. Trotz der scheinbar geordneten Vorbereitungen mussten die türkischen Streitkräfte bereits zu diesem Zeitpunkt improvisieren. In der Südosttürkei beschlagnahmte die Armee in großem Stile Kraft- und Betriebsstoffe, um den unzureichenden Nachschub der Invasionstruppen kurzfristig auszugleichen.207 Nicht wenige Truppenführer klagten über die hektischen Vorbereitungen, die ihren Verbänden nur wenig Zeit ließen, ihre Marschbereitschaft herzustellen.208 Auch blieben zahlreiche Kampffahrzeuge während der Verlegung an die Küste infolge technischer Ausfälle liegen. Zudem erschwerte die infrastrukturelle Rückständigkeit Ostanatoliens mit seinem unzureichend ausgebauten Straßen- und Wegenetz und den veralteten Eisenbahntrassen aus der Zeit des Osmanischen Reiches die taktische und operative Beweglichkeit der türkischen Verbände.209 202 203 204 205 206 207 208 209

Siehe hierzu auch Bittner, Sowjetische Dissidenz und Intelligenzija; Zubok, The Soviet Union and Détente, S. 441 f. Kramer, Die Sowjetunion, der Warschauer Pakt und blockinterne Krisen. Bange, Der KSZE-Prozess, S.  91; Jajesniak-Quast, Polen, die CSSR und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, S. 380 f.; Zubok, The Soviet Union and Détente, S. 438‑440. Lageorientierung Zypernkrise, 18.7.1974, BMVg, Fü  S  II, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457; Lageorientierung Zypernkrise, 19.7.1974, BMVg, Fü S II, ebd. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 19.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 623. Ebd., Nr. 630. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. BArch, BW 2 5780, Verschlusssache.

210

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Die türkische Mobilmachung versetzte Athen in Unruhe.210 Die Bevölkerung war angesichts der ausländischen Rundfunkmeldungen über die Invasionsvorbereitungen der Türkei sichtlich aufgebracht. Das brüchige Regime weigerte sich jedoch nach wie vor, der türkischen Forderung nach einem Abzug der griechischen Truppen und der Absetzung Sampsons nachzugeben. Ein Gesichtsverlust würde in der Tat das Ende der siebenjährigen Militärherrschaft bedeuten. Ioannidis und der Griechische Generalstab befanden sich in einem apathischen Zustand. Letzterer ließ die griechische Führung offensichtlich glauben, dass der amerikanische Verbündete die türkische Landung doch noch in letzter Minute verhindern würde, wie dies zehn Jahre zuvor schon einmal geschehen war.211 Am 18. und 19. Juli 1974 beriet sich Luns mit Vertretern des State Department und des Foreign Commonwealth Office.212 Die europäischen Bündnispartner konnten ihre Sympathien für die türkischen Zielsetzungen nicht verhehlen. Die NATO-Partner waren sich darüber einig, dass das griechische Regime die verfahrene Lage mutwillig herbeigeführt hätte. Luns selbst war der Meinung, dass eine Landung der türkischen Truppen auf Zypern die Junta demütigen und endlich den erhofften Sturz der Diktatur nach sich ziehen würde. Seiner Ansicht nach wäre der Weg dann frei für eine Rückkehr zur Demokratie. Er räumte ein, dass das Regime nur dank der NATO so lange an der Macht geblieben sei.213 Dementsprechend hielt er es für falsch zu versuchen, zwischen Griechenland und der Türkei zu vermitteln. Die Ausführungen des Generalsekretärs ließen erkennen, dass die Zeit der Toleranz gegenüber den griechischen Obristen abgelaufen war. Die Bedenken seiner Gesprächspartner, mit einer solchen Verfahrensweise einen NATO-Austritt Griechenlands zu provozieren, tat Luns ab. Seiner Meinung nach hatte das Land längst bewiesen, dass die materiellen Vorteile der griechischen Bündnismitgliedschaft weit höher wogen als das Interesse an Zypern. Auch die Gefahr eines griechisch-türkischen Krieges hielt Luns für gering. In Anbetracht des ungleichen Kräfteverhältnisses beider Staaten und des desolaten Zustands der griechischen Streitkräfte hielt er einen Waffengang für unwahrscheinlich: »Brimelow asked, what would happen if there were a war between Greece and Turkey. Luns said that the Turks would make mincemeat of the Greeks. There was nothing they like more than cutting Greek throats.«214 Informell hatte sich die Allianz darauf geeinigt, die Türkei bei ihren Interventionsplänen gewähren zu lassen. Die NATO war geneigt, den Versprechungen Ecevits Glauben zu schenken, dass die türkischen Streitkräfte nur ein Minimum an Gewalt anzuwenden gedächten und ihre Operation möglichst unblutig vollziehen würden.215 Die Konsequenzen, die der Südostflanke damit drohten, schienen die Beteiligten auszublenden. 210 211 212 213 214 215

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 20.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 353. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 425. Gesprächsprotokoll Luns mit Vertretern FCO und Ständigem US-Vertreter (NATO), 19.7.1974, TNA, FCO 41, 1461; Asmussen, Cyprus at War, S. 89 f. Ebd. Gesprächsprotokoll Luns mit Vertretern FCO und Ständigem US-Vertreter, 19.7.1974, TNA, FCO 41, 1461. Drahtberichte bdt. Botschaft Ankara an AA, 20.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 642 und Nr. 643.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

211

Lediglich der Militärausschuss der NATO beurteilte die Entscheidung kritischer.216 Ankara hatte seine Streitkräfte zum Zwecke der Angriffsvorbereitungen aus den integrierten Strukturen des Bündnisses abgezogen und vollständig unter nationale Kontrolle gestellt. Das Military Committee gelangte zu dem Ergebnis, dass die Verteidigungsbereitschaft der Südostflanke schon jetzt erheblich beeinträchtigt worden war. Der Wegfall der türkischen Komponente an taktischen Flugzeugen hatte die Fähigkeit der NATO zur Aufklärung und Luftverteidigung in der Region schwer geschädigt. Ähnliches galt für das elektronische Frühwarnsystem des Bündnisses (NADGE), das infolge des Abzugs des türkischen Personals bereits erste Lücken im radartechnischen Überwachungsnetz aufwies. Das Radarsystem und die dazugehörige Nachrichtenübermittlung hatten sich für die Beobachtung der see-, luft- und landgebundenen Truppenbewegungen des Warschauer Paktes in der Vergangenheit als unverzichtbar erwiesen. Nur die türkischen Militärvertreter und Verbindungsoffiziere in den integrierten Stäben hatte Ankara auf ihren Posten belassen, um zu demonstrieren, dass seine Bündnistreue trotz der Zypernkrise ungebrochen war.217 Gleichwohl verfügte die NATO angesichts der prekären Lage aus ihrer Sicht kaum über Alternativen: Wenn das Bündnis militärisch in das Zyperngeschehen eingriff, um den Status quo ante wiederherzustellen, liefen die Mitglieder Gefahr, in eine Identitätskrise zu geraten. Die NATO führte in einem solchen Fall indirekt Krieg gegen ihr griechisches Mitglied. Aus bündnispolitischer Sicht war ein derartiges Vorgehen undenkbar. Wenn die Allianz hingegen darauf abzielte, Ankara mit scharfen Sanktionen zu belegen oder gar mit Hilfe der STRIKEFORSOUTH zu versuchen, die türkischen Truppen gewaltsam an ihrem Vorhaben zu hindern, riskierte das Bündnis, ähnlich schmerzhafte Konsequenzen zu erleiden wie seinerzeit im Nachgang der Zypernkrise im Jahr 1964. Der türkische Partner würde sich dann unter Umständen noch stärker vom Westen abwenden. Sofern die Türkei in der Folge einen neutralistischen Kurs einschlug oder sich gar offen mit der Sowjetunion solidarisierte, hörte die Südostflanke auf zu bestehen. Der Kreml hätte dann einen klaren regionalen Sieg erzielt. Im ungünstigsten Fall würde die SOVMEDRON sogar türkische Hafenrechte erwerben können, wohingegen die Allianz sämtliche Stützpunktrechte in der Türkei verlöre. Die Vormachtstellung der NATO im Mittelmeerraum und der Fortbestand der ohnehin geschwächten CENTO stünden dann endgültig in Frage. Moskau würde in einem solchen Szenario seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten ungehindert ausdehnen und gegebenenfalls versuchen, den Westen von seinem Zugang zu den fossilen Erdölessourcen abzuschneiden. Demnach schien die passive Haltung der Allianz den einzig rationalen Ausweg aus dem Dilemma zu bilden. Die Unberechenbarkeit und Starrsinnigkeit der griechischen Junta sowie die stillschweigende Zustimmung Moskaus zu den türkischen Invasionsplänen waren aus Sicht der Allianz offenbar der einzig gangbare Weg, um eine Katastrophe an der Südostflanke zu verhindern. 216 217

Memorandum MC – Withdrawal of Turkish Forces to National Control, 21.7.1974, NATO, IMSWM-172-74. Dies geht aus einem späteren, rückblickenden Drahtbericht der bdt. Botschaft in Ankara hervor. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 29.7.1974, Zwischenarchiv B  14-201, Bd  101458, Nr. 1231.

212

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Unbenommen barg der Ansatz auch Unwägbarkeiten: Sobald Ioannidis und Sampson stürzten und Athen zur Demokratie zurückkehrte, befände sich die NATO im Zugzwang. Das Bündnis müsste nach dem Fall der Junta unter allen Umständen versuchen, den türkischen Bündnispartner zur Einstellung seiner Kampfhandlungen auf Zypern zu bewegen. Nach Beginn der Invasion wäre jedoch nicht abzusehen, ob und inwieweit sich Ankara von den westlichen Bündnispartnern noch beeinflussen ließe. Vielmehr müsste die NATO damit rechnen, dass der Konflikt nach Ausbruch der Gewalt eine Eigendynamik entfaltete. Ethnische Vertreibungen und Massaker an der Zivilbevölkerung wären aufseiten beider Kriegsparteien nicht ausgeschlossen. Auch wäre die Reaktion Moskaus schwer abzuschätzen. Und wie würde der Kreml sich verhalten, wenn die türkischen Truppen größere Teile Zyperns oder gar die gesamte Insel in Besitz nahmen? In diesem Fall würden sich die bewaffneten Auseinandersetzungen auf die Ägäis ausweiten und dort möglicherweise in einen offenen griechisch-türkischen Krieg münden. Gleichwohl schien der NATO in Anbetracht der Umstände keine Wahl zu bleiben, als sich auf dieses Risiko einzulassen. c) Die Landung der türkischen Truppen und die Reaktion des Bündnisses Am 19. Juli 1974 startete die Türkei das Unternehmen »Atilla«. Um die Mittagszeit setzte sich der türkische Invasionsverband mit den ersten 1200 Soldaten und 60 Kampfpanzern über See in Bewegung.218 In den frühen Morgenstunden des Folgetages entluden die Landungsboote ihre Einheiten westlich des nordzyprischen Seehafens von Kyrenia, ohne auf Gegenwehr zu stoßen. Zeitgleich setzten türkische Transportmaschinen drei Luftlandeverbände über der türkisch-zypriotischen Enklave nordöstlich der Hauptstadt ab mit dem Ziel, die Hauptverkehrsroute zwischen Nikosia und der Küste zu kappen. Türkische Jagdbomber griffen währenddessen den Flugplatz der Hauptstadt sowie die südlich davon gelegene Kaserne der griechisch-zypriotischen Nationalgarde an. Auch nahmen sie das nahe gelegene Feldlager der griechischen Festlandtruppen unter Beschuss. Türkische Zerstörer versenkten vor der Küste zwei griechisch-zypriotische Kanonenboote. Amerikanischen Angaben zufolge beabsichtigte der Türkische Generalstab, einen Brückenkopf zu errichten, um die türkische Enklave nördlich von Nikosia dem Zugriff der griechischen Zyprioten zu entziehen. Das Gros der türkischen Seestreitkräfte sammelte sich währenddessen in der Ägäis.219 Falls Griechenland der Türkei den Krieg erklärte, sollten die dort befindlichen Truppen die griechischen Inseln vor der türkischen Küste im Handstreich besetzen und dadurch auch die ägäische Frage im türkischen Sinne lösen. Die griechisch-zypriotischen Truppenführer wurden von der Invasion sichtlich überrascht.220 Ungeachtet der Verwirrung begannen sich die griechisch-zypriotische Natio218

219 220

Lageorientierung Zypernkrise, 20.7.1974, BMVg, Fü  S  II, BArch, BW  1  183491; Asmussen, Cyprus at War, S.  95; CIA-Bericht/SitRep, 20.7.1974, 2.00  Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box  7, Nr.  13; CIA-Bericht/SitRep, 20.7.1974, 7.00 Uhr, ebd., Nr. 14. Bolukbasi, The Superpowers, S. 195. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 425.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

213

nalgarde, die EOKA und das griechische Kontingent zu sammeln, um sich dem türkischen Vormarsch entgegenzuwerfen. Sampson rief die Bevölkerung über den Rundfunk der Hauptstadt auf, sich umgehend zu bewaffnen und im Rahmen einer Volkswehr mit allen erdenklichen Mitteln Widerstand gegen die Eindringlinge zu leisten. Im Raum von Nikosia entbrannten erste Kämpfe mit türkischen Fallschirmjägern, in die auch Soldaten der UNFICYP verwickelt wurden. Aufforderungen des UNO-Sicherheitsrates, die Kämpfe einzustellen, verhallten auf beiden Seiten ungehört. Dem Befehl Sampsons folgten auch bewaffnete Übergriffe griechischer Zyprioten auf Angehörige der türkischstämmigen Volksgruppe. Alsbald war die Hauptstadt Schauplatz blutiger Straßenkämpfe. Griechenland seinerseits ordnete die Generalmobilmachung seiner Streitkräfte an. Die amerikanische Botschaft in Athen berichtete, dass zwei Divisionen Infanterie ihre Kasernen verlassen hatten, um im Eilmarsch an der Ostgrenze zur Türkei Bereitstellungsräume gegen einen möglichen türkischen Angriff zu beziehen. Die übrigen, in Thrakien stationierten griechischen Truppen bereiteten sich auf erste Scharmützel am Evros vor. Gefechtsfahrzeuge aller Art und Armeelastwagen säumten die verstaubten Landstraßen und Verkehrswege in Richtung des Grenzflusses zur Türkei. Indes erklärten weder Griechenland noch die Türkei einander den Krieg. Auch zogen sie ihre Botschafter nicht aus den Hauptstädten ab und beließen ihre NATO-Vertreter weiter in den Gremien der Allianz. Teile der 6. US-Flotte und ein weiterer Zerstörer der 5. Escadra bewegten sich währenddessen in Richtung Zypern.221 Bulgarien setzte seine Streitkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft. Darüber hinaus aber gab Moskau der NATO zu verstehen, dass der Warschauer Pakt keine Absichten hege, in das Geschehen einzugreifen. Leonid I. Brežnev versäumte allerdings nicht, der NATO in seiner Rede vor dem polnischen Sejm Vorhaltungen zu machen, die Krise mit der militärischen Aufrüstung Griechenlands und der Türkei mutwillig verschärft zu haben.222 Mit Bekanntwerden der türkischen Landung trat der NATO-Rat am Morgen des 20.  Juli 1974 zu einer Eilsitzung zusammen.223 Der britische Vertreter Edward Peck unterrichtete die Anwesenden darüber, dass London die türkische Regierung darum ersucht habe, die Kämpfe nicht unnötig auszuweiten und alsbald auf einen Waffenstillstand hinzuarbeiten. Ankara sollte sich nach britischer Auffassung verpflichten, lediglich den verfassungskonformen Zustand Zyperns wiederherzustellen. Zugleich habe das FCO Athen energisch aufgefordert, nicht mit regulären Truppen zu intervenieren, sondern das Regime Sampsons endlich »von der Bildfläche« verschwinden zu lassen. Auch der amerikanische NATO-Botschafter Donald Rumsfeld berichtete von einem ähnlichen Appell Nixons an beide Streitparteien und forderte die übrigen Verbündeten auf, sich dem britisch-amerikanischen Vorgehen anzuschließen. Under Secretary Joseph Sisco bemühte sich seit den frühen Morgenstunden inständig darum, Griechenland und

221

222 223

CIA-Berichte/SitRep, 20.7.1974, 7.00  Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box  7, Nr.  14 und Nr. 15; Lageorientierung Zypernkrise, 20.7.1974, BMVg, Fü S II, BArch, BW 1 183491; Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 20.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 55. Drahtbericht bdt. Botschaft Warschau an AA, 21.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 665. AAPD, 1974, Bd 2, Dok. 217, Drahtbericht Botschaftsrat Ranzau an AA, 20.7.1974, S. 964‑966.

214

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

die Türkei von einem direkten Waffengang abzuhalten.224 Washington hatte Athen gedroht, seine Rüstungslieferungen einzustellen, falls griechische Truppen vom Festland aus in die Auseinandersetzung eingriffen.225 Die europäischen Verbündeten pflichteten dem amerikanischen Anliegen bei, betrachteten die Lage aber mit großer Besorgnis.226 Vor allem der belgische NATO-Botschafter André de Staercke warnte vor den Konsequenzen der laufenden Entwicklung. Im Gegensatz zu den anderen Gesandten hatte er sämtliche griechisch-türkische Auseinandersetzungen seit dem Jahr 1954 durchlebt und kannte daher nur zu gut die Unwägbarkeiten, die dem Bündnis mit jedem neuen Konflikt zwischen Griechenland und der Türkei drohten. Seiner Auffassung nach durchlebte die NATO ihre bislang schwerste Krise. Ähnlich pessimistisch urteilten mittlerweile auch die Bundesregierung und der Quai d’Orsay. Im Gegensatz zu NATO-Generalsekretär Luns sah das Bonner Auswärtige Amt die Gefahr eines griechisch-türkischen Krieges als hoch an. Bundeskanzler Helmut Schmidt appellierte an Griechenland und die Türkei, im Interesse des Bündnisses einen militärischen Konflikt unter allen Umständen zu vermeiden.227 Der französische NATO-Botschafter François de Tricornot de Rose wiederum warnte vor einer Eskalation der Krise und forderte den Rat auf, dem bündnisinternen Konflikt schnellstmöglich ein Ende zu setzen.228 Der griechische und der türkische Vertreter, Anghelos Chorafas und Orhan Eralp, lieferten sich ihrerseits im NATO-Rat ein hitziges Wortgefecht, das in seiner Schärfe an die ratsinternen Zyperndebatten der 1950er Jahre erinnerte. Während der griechische Delegierte die türkische Invasion vor den Augen des Rates als verbrecherischen Akt anprangerte, suchte Eralp die Intervention als Friedensoperation mit humanitären Zielen darzustellen.229 Dennoch machte keiner der beiden Anstalten, den Sitzungssaal aus Protest gegen die Äußerungen seines Kontrahenten zu verlassen. In den Folgetagen tobten die Kämpfe auf Zypern weiter, ohne dass der türkische Invasionsverband nennenswerte Erfolge erzielte. Am türkischen Seehafen von Mersin bestiegen frische Kampfverbände ihre Landungsboote. Der anfängliche Enthusiasmus des türkischen Expeditionskorps wich jedoch bald einer ersten Resignation.230 Bei Paphos im Südwesten der Insel vernichteten türkische Marinekräfte und Jagdbomber versehentlich eigene Versorgungsschiffe sowie einen Zerstörer, die sie fälschlicherweise für einen grie224 225 226 227 228 229

230

CIA-Bericht/SitRep, 20.7.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 14. AAPD, 1974, Bd  2, Dok.  218, Runderlass Ministerialdirektor Simon an alle bdt. Botschafter, 20.7.1974, S. 967. Ebd., Dok. 217, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 20.7.1974, S. 964‑966. Schreiben Bundeskanzler an griechische und türkische Regierung, 20.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Ref 203, Nr. 320.20 ZYP. AAPD, 1974, Bd 2, Dok. 217, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 20.7.1974, S. 964‑966. Ebd. An dieser Stelle sei wiederum auf den Psychoanalytiker Volkan Vamik verwiesen. Vamik zufolge handelte es sich bei dem hier gezeigten Verhalten um einen klassischen Schachzug zwischenstaatlicher Diplomatie. Das eigene Handeln wurde vor den Augen der anderen anwesenden Diplomaten moralisch stilisiert und das Verhalten der gegnerischen Partei als »unmoralisch« und verwerflich angeprangert. Eigentlicher Adressaten waren dabei weniger die gegnerische Partei oder die anderen NATO-Partner als vielmehr das eigene Volk und die eigene, nationale Wählerschaft. Volkan, Das Versagen der Diplomatie, S. 205 f. G2-Sonderinformation BMVg, Fü S II, 23.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 21/ 74.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

215

chischen Nachschubkonvoi hielten.231 Zwei weitere türkische Zerstörer wurden schwer beschädigt. Obgleich türkische Hubschrauber und Transportmaschinen weitere Truppen über der Insel absetzten und sich nun bereits rund 6000 Mann auf Zypern befanden, gelang es der türkischen Armeeführung nicht, im vorgesehenen Zeitplan ihre Schlüsselziele zu erkämpfen.232 Die Luftwaffe flog pausenlos Luftangriffe auf Stellungen der Nationalgarde. Nach der Überwindung des ersten Schocks war der Widerstand der griechisch-zypriotischen Verteidiger zunehmend verbissener geworden. Mit Ausnahme des Brückenkopfes, der sich von der Küste Kyrenias bis zu den Nordausläufern Nikosias zog, kontrollierte die türkische Armee trotz ihrer unumschränkten Luftherrschaft lediglich einige verstreute Enklaven, in denen sich Fallschirmjäger eingenistet hatten. Die Invasion war ins Stocken geraten. Erste Anzeichen logistischer Schwierigkeiten machten sich bemerkbar. Es fehlte den Landungstruppen an schweren Waffensystemen, Munition und Versorgungsgütern, die den Hauptkampflinien mangels geeigneter Anmarschwege und fehlender Transportkapazitäten nur unzureichend zugeführt werden konnten. Kraftfahrzeuge, Kampfpanzer und gepanzerte Truppentransporter blieben mangels Betriebsstoffs oder wegen technischer Ausfälle an den Straßenrändern liegen.233 Britischen Meldungen zufolge waren die Verluste der türkischen Invasionsstreitmacht bereits in diesem Stadium weit höher, als der Türkische Generalstab einzuräumen bereit war. Insbesondere die luftgelandeten Fallschirmtruppen hatten zahlreiche Ausfälle durch Feindfeuer und wetterbedingte Widrigkeiten zu beklagen. Darüber hinaus wies die türkische Armee erhebliche Defizite im koordinierten, effektiven Zusammenwirken ihrer drei Teilstreitkräfte auf. Hier offenbarten sich die schweren Ausbildungsmängel und Führungsschwächen der türkischen Offiziere. Die großangelegten Manöver vergangener Jahre hatten sich nicht selten auf eingespielte Vorführeffekte beschränkt, die in scharfen Operationen von geringem Nutzen waren.234 Auch erschwerte das Fehlen eines leistungsfähigen Funk- und Fernmeldenetzes den Truppenführern vor Ort eine koordinierte, zielgerichtete Führung ihrer Verbände.235 Die Rücktransporte der Sanitätseinheiten, die mit Hunderten von Verwundeten oder Gefallenen an den Hauptverbandplätzen in der Türkei eintrafen, bremsten rasch den Enthusiasmus der türkischen Öffentlichkeit. Auf den Höhenzügen um Kyrenia sowie am Flughafen von Nikosia lieferten sich die griechischen Zyprioten währenddessen erbitterte Kämpfe mit den Eindringlingen.236 Im Gegensatz zu den unerfahrenen türkischen Soldaten schienen die griechischen Zyprio231

232

233 234 235 236

Pressemeldung Bulletin AP, 21.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7; Lageorientierung Zypernkrise, 22.7.1974, BMVg, Fü S II, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457; Richter, Griechenland 1950-1974, S. 431 f.; Weyers Flottentaschenbuch, 53. Jg. 1975/76, S. 148 f. In diesem Absatz hier und im Folgenden, wenn nicht anders angegeben: G2-Sonderinformation BMVg, Fü S II, 23.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 21/74; Lageorientierung Zypernkrise, 21.7.1974, BMVg, Fü  S  II, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd  101457; Telegramm bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 647; Asmussen, Cyprus at War, S. 104‑106. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. Interne Stellungnahme BMVg, Fü  S  III  1/Fü  S  III  2, 16.9.1974, BArch, BW  2  6722; BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. BArch, BW 2 5780, Verschlusssache. G2-Sonderinformation BMVg, Fü S II, 23.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 21/74; Lageorientierung Zypernkrise, 21.7.1974, BMVg, Fü S II, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457;

216

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

ten noch von ihren Erfahrungen gewaltsamer Auseinandersetzungen vergangener Jahre zu zehren; sie zeigten sich mit ihrem Kriegsgerät, unter dem sich neben griechischen Waffensystemen vorwiegend ältere Panzer des Typs T-34 und einige Dutzend Schützenpanzerwagen BTR-152 befanden, gut vertraut. Auch das auf der Insel stationierte reguläre griechische Truppenkontingent beteiligte sich aktiv an den Kämpfen und verwickelte sich mit den türkischen Kampfverbänden in direkte Gefechte. Gebannt verfolgten die amerikanischen Joint Chiefs of Staff, aber auch die Bundeswehrführung in Bonn, dass sich Kampfkraft und Logistik der türkischen Streitkräfte als weit schwächer und unkoordinierter erwiesen, als dies in NATO-Kreisen allgemein angenommen wurde.237 Gleiches galt für das Führungsverhalten der türkischen Kommandeure. Dies wog umso schwerer, als ein großer Teil der griechisch-zypriotischen Gegner nur unzureichend ausgerüstet und bewaffnet war – ein Umstand, der auf die Kräfte des Warschauer Paktes im Falle eines Konflikts mit der NATO nicht zutreffen würde. Spätere Berichte des BMVg enthüllten auch die gravierenden logistischen Mängel der türkischen Luftstreitkräfte. Die Luftwaffe konnte ihre Einsatzbereitschaft bereits am zweiten Tag der Operation nur dank umfangreicher Ersatzteillieferungen aus der befreundeten Arabischen Republik Libyen aufrechterhalten.238 Diese Mängel mussten auch der Sowjetführung nicht verborgen bleiben. Teile der 5. Escadra kreuzten in den Gewässern vor der Insel und observierten seit Tagen aufmerksam die dortigen Vorgänge.239 Im Süden Zyperns entbrannten unterdessen schwere Gefechte zwischen den Volksgruppen, denen Übergriffe der Nationalgarde auf die türkisch-zyprische Zivilbevölkerung folgten. Anders als von Ankara erhofft, konnte die TMT militärisch kaum zum Erfolg der Invasoren beitragen. Bei Limassol und in anderen Ortschaften vertrieben die Truppen Sampsons Tausende von Angehörigen der eingeschüchterten türkischstämmigen Volksgruppe aus deren Siedlungen. Presseberichten zufolge hatten griechische Zyprioten bereits vereinzelt damit begonnen, die Flüchtlinge der feindlichen Ethnie systematisch zu ermorden. Griechische Vorausabteilungen hatten währenddessen an der thrakischen Grenze erste Verfügungsräume bezogen und warteten auf ihren Einsatzbefehl.240 Ansonsten aber boten auch Griechenland und seine Streitkräfte ein dürftiges Bild.241 Zahlreiche Truppenverbände steckten auf den überfüllten, holprigen Landstraßen fest und blockierten sich gegenseitig auf ihren Marschrouten, während die wenigen Schienenwege hoffnungslos überlastet waren. Intakte Luftfahrzeuge oder Mittel für den See-

237

238

239 240

241

Telegramm bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 647; Asmussen, Cyprus at War, S. 104‑106. Asmussen, Cyprus at War, S. 106; (Rückblickende) Stellungnahme/Grobdisposition durch Dipl.Politologe Markus an Stabsabteilungsleiter Fü S III, BMVg Fü S III 1, Anlage 3, 22.8.1974, BArch, BW 2 6722. Beitrag zur Bundeskanzlerlage am 20.  August 1974, 19.8.1974, BMVg, Fü  S  II, BArch, BW 2 10060; näheres zu den Motiven Libyens für die Unterstützung der Türkei im Folgenden, S. 231. Lageorientierung Zypernkrise, 21.7.1974, BMVg, Fü  S  II, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 647; CIA-Bericht/SitRep, 21.7.1974, 15.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 18. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 20.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 361.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

217

transport standen kaum zur Verfügung. In Erwartung des nahenden Kriegsausbruchs neigte die griechische Bevölkerung zu panikartigen Hamsterkäufen an haltbaren Lebensmitteln und Kraftstoffen, die schließlich auch zu Versorgungsengpässen bei der Armee führten. Athen rief den Ausnahmezustand aus und forderte alle Reservisten auf, sich umgehend bei ihren Truppenteilen zu melden. Der öffentliche Nahverkehr brach an vielen Stellen des Landes zusammen. Ähnliches galt für die Strom- und Trinkwasserversorgung, deren Betrieb im Zuge der Mobilmachung nur noch notdürftig aufrechterhalten werden konnte. Aus Sicht des bundesdeutschen Botschafters in Athen schien Griechenland den Krieg gegen die Türkei bereits verloren zu haben, noch bevor dieser überhaupt begonnen hatte. Unterdessen hatte die türkische 1. Armee zwei gepanzerte Großverbände nach Westen verlegt, die in vorgeschobenen Stellungen darauf warteten, dass die Griechen das Feuer eröffneten.242 Landungsboote hielten sich vor der ägäischen Küste bereit, um die dodekanesischen Inseln in Besitz zu nehmen. Die NATO hingegen hatte jede Kontrolle über die laufenden Entwicklungen verloren. Athen hatte sein Personal bei LANDSOUTHEAST abgezogen und erwog, auch seine Offiziere vom militärischen Hauptquartier SHAPE im belgischen Mons nach Athen zurückzubeordern.243 Im Militärausschuss in Washington spielte sich erstmals eine polemische Debatte zwischen dem griechischen und türkischen Militärvertreter ab, die der Vorsitzende nur mit Mühe zur Ruhe bringen konnte.244 Die Sitzungen des MC zielten ansonsten lediglich darauf ab, die Rückwirkungen der Krise auf die Militärstruktur des Bündnisses zu erfassen und deren Folgen in den Sitzungen des Militärausschusses zu analysieren.245 Ein Kernpunkt war dabei der Abzug der türkischen NATO-Kräfte, da Ankara seine Truppen der Allianz bislang nicht mehr rückunterstellt hatte. In diesem Kontext versuchte der türkische Militärvertreter, eine fachliche Diskussion über die Folgen der Krise auf die Verteidigungsfähigkeit der Allianz zu unterbinden. Im Lichte der drohenden Kriegsgefahr war dem türkischen Delegierten sehr daran gelegen, vor den Augen des Griechen jegliche Gespräche zur strukturellen Beschaffenheit der türkischen Streitkräfte im Keim zu ersticken. Die Debatte legte offen, dass auch der militärische Arm des Bündnisses zu diesem Zeitpunkt nur wenig zur Entspannung der Lage beitragen konnte. Die Sitzungen des MC verdeutlichten lediglich, wie gefährdet die NATO und ihre Militärstruktur an ihrer Südostflanke waren. Ferner teilte Ministerpräsident Ecevit dem bundesdeutschen Botschafter in Ankara mit, dass die Türkei fortan nicht mehr bereit sei, mit Griechenland im Bündnis militärisch zusammenzuarbeiten.246 242

243 244 245 246

Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 647; CIA-Bericht/ SitRep, 21.7.1974, 15.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 18. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 22.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 1055. Bericht Nr. II/1974, DMV an BMVg, Betrachtungen des DMV zur militärischen Lage der Allianz, 25.11.1974, BArch, BW 3 1573. Telegramme britischer Ständiger Militärischer Vertreter (SHAPE) an Department of Defence, 22.7. und 23.7.1974, TNA, FCO 41, 1461, (o.Nr., 22.7.)) und Nr. 375 (23.7.). AA-interne Stellungnahme Dr. Munz, Ref  203, Lageorientierung zur Zypernkrise, PA AA, 22.7.1974, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457.

218

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Die Einschätzung Luns’, wonach es Griechenland nicht wagen würde, seinem türkischen Nachbarn den Krieg zu erklären, konnte sich angesichts der blutigen Entwicklungen schnell als Trugschluss erweisen. Wenngleich zu vermuten blieb, dass sich ein Schlagabtausch auf den Evros und die ostägäischen Inseln beschränken würde und die Armeen der verfeindeten Bündnispartner in Kürze logistisch erschöpft wären, würden sich weite Teile der militärischen Bündnisverteidigung an der Südostflanke rasch auflösen. Das State Department rechnete jeden Augenblick damit, dass griechische Truppen das Feuer auf die türkischen Stellungen in Thrakien eröffneten.247 Den amerikanischen Bewertungen nach würden die türkischen Kräfte ihre numerische Überlegenheit in den unwegsamen thrakischen Gebirgsregionen nicht hinreichend entfalten können, sodass sich die Kämpfe rasch auf die Ägäis ausdehnten. In Athen setzten die griechischen Streitkräfte zwischenzeitlich ihre überstürzte Mobilmachung fort. Dennoch zeichnete sich ein vager Lichtblick ab.248 Die Junta steckte in einer tiefen Führungskrise. Generalstab und Ministerrat verweigerten sich dem selbstmörderischen Ansinnen Ioannidis’, den Zyperngriechen mit militärischem Nachschub zu Hilfe zu kommen, solange die türkischen Jagdstaffeln den Luftraum über der Insel kontrollierten.249 Die Versorgung der zyprischen Verteidiger vom griechischen Festland aus schien daher illusorisch. Es blieb aus Sicht der Junta allenfalls noch die Möglichkeit, Ankara trotz numerischer Unterlegenheit direkt den Krieg zu erklären. Hier traf Ioannidis jedoch ebenfalls auf den Widerstand des Generalstabs.250 Es zeichnete sich ab, dass die Tage des Regimes gezählt waren. Das Pentagon seinerseits hatte damit begonnen, die Auslieferung schwerer Waffensysteme und Phantomjäger an Griechenland zu verzögern.251 Premierminister Adamantios Androutsopoulos informierte den amerikanischen Botschafter und Kissinger über den Kopf Nikos Sampsons hinweg, dass Griechenland einem Waffenstillstand auf Zypern nicht mehr abgeneigt sei.252 Washington und das FCO bemühten sich daher lebhaft um die Vermittlung einer Waffenruhe.253 In den Telefonaten mit Kissinger äußerte der türkische Ministerpräsident seinen Unmut.254 Ecevit warf Griechenland vor, eine Feuerpause lediglich missbrauchen zu wollen, um den griechischen Zyprioten logisti247

248 249 250 251

252 253

254

FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 112, Briefing Memorandum Assistant Secretary of State for European Affairs für US-Außenminister Kissinger, 22.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 432‑439; Richter, Geschichte Griechenlands, S. 431 f. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 20.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 642. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 432‑439; Richter, Geschichte Griechenlands, S. 431 f. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 113, Protokoll Sitzung der Washington Special Actions Group, 21.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. Ebd.; Telefongespräch US-Außenminister mit griechischem Außenminister, 21.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, HAK Telephone Conversations Telcons Box 26. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 21.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101457, Nr. 371; Drahtberichte bdt. Botschaft Ankara an AA, 21.7.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 644 und 646; Telefongespräch britischer Außenminister mit US-Außenminister, 21.7.1974, Pres. Lib. Richard Nixon, HAK Telephone Conversations Telcons Box 26. Telefongespräch US-Außenminister mit türkischem Ministerpräsident, 21.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 10.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

219

sche Hilfe zukommen zu lassen. Dennoch konnte der US-Außenminister den türkischen Regierungschef dazu drängen, einem einstweiligen Waffenstillstand beizupflichten. Das Einlenken der türkischen Regierung geschah indes nicht absichtslos. Zwar hatte Kissinger vermieden, Ankara direkt mit Sanktionen zu drohen, sollte Ecevit nicht einlenken.255 Faktisch aber war damit zu rechnen, dass Washington mit seinen Rüstungslieferungen für die türkischen Streitkräfte ähnlich verfahren würde, wie dies bei Griechenland bereits der Fall war. Wie sich gezeigt hatte, litt die türkische Luftwaffe schon jetzt an Versorgungsschwierigkeiten. Ein amerikanisches Embargo würde die Operation innerhalb kürzester Zeit zum Scheitern bringen. Auch die Bundesrepublik Deutschland erhöhte ihren Druck auf Ankara. Trotz ihrer guten Beziehungen zur Türkei hatte sich die Regierung Schmidt zu einer Entscheidung durchgerungen und ihre Verteidigungshilfen bis zum Inkrafttreten des Waffenstillstands ausgesetzt.256 Davon abgesehen konnte sich Ankara nicht sicher sein, ob der amerikanische Partner und die Sowjetunion sich nicht wider Erwarten auf ein ähnliches Vorgehen wie zu Zeiten der Suezkrise einigen würden, wenn die Türkei den Bogen überspannte.257 Die Regierung Ecevit war sich ihrer strukturellen Abhängigkeit vom kontinuierlichen Zufluss amerikanischer Militärgüter sowie vom Wohlwollen der Weltordnungsmächte USA und UdSSR bewusst.258 Die Türkei musste damit rechnen, dass die Quelle der amerikanischen Verteidigungshilfen schnell versiegen würde, wenn Ecevit seine Gesprächsbereitschaft dauerhaft verweigerte. Darüber hinaus musste Ankara vorsichtig agieren, um nicht am Ende den Argwohn Moskaus zu schüren. Wenn die Türkei ihre Kampagne unbeirrt fortsetzte, konnte sie in den Augen des Kremls schnell in den Verdacht geraten, Zypern annektieren und zum Vertragsgebiet der westlichen Allianz erklären zu wollen. Das Land würde sich dann unter Umständen in einer ähnlich unglücklichen Lage widerfinden wie seinerzeit Frankreich und Großbritannien. Moskau wiederholte in diesen Tagen seine Forderung nach einem Abzug aller fremden Truppen aus Zypern.259 Der Kreml war gewillt, seinem Anliegen über den UNO-Sicherheitsrat Nachdruck zu verleihen. Wenn die türkische Armee am Ende gezwungen wäre, sich auf internationalen Druck hin von der Insel zurückzuziehen, würde dies eine schwere nationale Demütigung und das sichere politische Ende Ecevits bedeuten. Zudem benötigten die erschöpften Interventionstruppen eine Atempause. Die dürftige Kriegskunst der Invasoren ließ einen Sieg im Stile des israelisch-arabischen Sechstagekrieges utopisch erscheinen. Nicht zufällig bezeichnete Kissinger die bisherigen taktischen Erfolge der türkischen Streitkräfte als »lausig«.260 Verhandlungen und eine einstweilige Waffenruhe würden der türkischen 255 256

257 258 259 260

Bolukbasi, The Superpowers, S. 199. AA-interne Stellungnahme, Ref 203, für StS, 23.7.1974, Mutmaßliche bündnispolitische Folgen des griechisch-türkischen Konflikts, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd  101457, Nr.  201360.90 ZYP/74; Fernschreiben Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung an bdt. Geräte- und Materialdepots, 22.7.1974, BArch, BW 2 10063, Nr. 141. Uslu, The Cyprus Question, S. 135. Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 207; Bolukbasi, The Superpowers, S. 199 f. AAPD, 1974, Bd 2, Dok. 221, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 23.7.1974, S. 974‑979. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 110, Gesprächsprotokoll Sitzung der Washington Special Actions Group, 21.7.1974, , letzter

220

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Armee hingegen Gelegenheit verschaffen, den Fehlschlag ihrer Militäroperation vor der eigenen Öffentlichkeit zu kaschieren und Zeit zu gewinnen, um dringend benötigten Nachschub und Verstärkungen heranzuführen. Nicht zuletzt war die Zahl der Verteidiger zwischenzeitlich auf mehr als 40 000 Mann angewachsen.261 Die äußere Bedrohung hatte die verbliebenen Anhänger von Makarios, die EOKA und die Nationalgarde über ihre interne Feindschaft hinwegsehen lassen. Obgleich es den griechischen Zyprioten an Nachschub, Munition und Sanitätsmaterial fehlte, waren sie den Invasoren zahlenmäßig noch immer deutlich überlegen. Solange die türkische Militärführung die Kopfstärke ihrer Truppen auf der Insel nicht signifikant erhöhte, konnte sie mitnichten damit rechnen, die feindlichen Kräfte zügig zu zerschlagen. Die einstige Popularität Makarios’ und seiner Anhänger in der arabischen Welt hatte überdies dazu geführt, dass die palästinensische Fatah den Erzbischof in der Vergangenheit mit Waffen und Munition versorgt hatte. Der Einschätzung des NSC zufolge verfügten die griechischen Zyprioten trotz fehlenden Nachschubs aus Griechenland noch über ausreichende Bestände, um den Kampf gegen die Türken eine Zeitlang fortzuführen. Ferner erwiesen sich die veralteten amerikanischen M-47-Kampfpanzer der türkischen Armee für schnelle Operationen dieser Art als denkbar ungeeignet. Deren hoher Kraftstoffverbrauch, gepaart mit intensiver Reparaturanfälligkeit, hatte sich während der laufenden Operation schmerzhaft bemerkbar gemacht. Auf griechischen Antrag hin tagte der NAC noch in den späten Abendstunden des 21. Juli.262 Wie ihre militärischen Kollegen im MC, führten der griechische und türkische NATO-Botschafter auch hier eine polemische Debatte. Der griechische Delegierte Anghelos Chorafas drohte seinem türkischen Amtskollegen vor den Augen der Bündnispartner unverhohlen mit Krieg, sollte Ankara seine Aggression auf Zypern nicht alsbald einstellen. Der Rat wiederum suchte die Emotionen mit Mühe zu beschwichtigen. Das Bonner Auswärtige Amt zog intern die Bilanz, dass die NATO mit Blick auf die Krise »partiell handlungsunfähig« sei.263 In der Tat hatte das Bündnis lediglich erreicht, dass die politischen und militärischen Vertreter Griechenlands und der Türkei – ungeachtet ihres Stellvertreterkrieges auf Zypern – mit Ausnahme von LANDSOUTHEAST in den Gremien und Kommandobehörden der NATO verblieben waren. Athen hatte keine weiteren Offiziere aus den integrierten Hauptquartieren des Bündnisses abgezogen.264 Dadurch hatten beide Mitglieder indirekt bekundet, wenigstens formal Verbündete bleiben zu wollen.

261 262

263 264

Aufruf 12.1.2017. Ebd. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 22.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 1054; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 22.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101457, Nr. 1055. Stellungnahme StS Gelhoff, AA für Bundesaußenminister, 23.7.1974, PA AA, B  150, Bd  309, Nr. 872. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 117, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara und Belgrad, 23.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

221

d) Die Entwicklungen bis zum ersten Waffenstillstand In den frühen Morgenstunden des 22. Juli 1974 suchten beide Kriegsparteien letzte Geländegewinne zu erzielen, um sich vor Inkrafttreten des vereinbarten Waffenstillstands aus einer Position der Stärke heraus in die anstehenden Verhandlungen zu begeben. Bei Kyrenia landete die Türkei mit weiteren Truppen. Jedoch war nicht zu übersehen, dass die türkische Militärführung die taktische Initiative verloren hatte.265 Es war Ankara nicht gelungen, die Hauptverbindungsstraße zwischen der Küste und der zypriotischen Hauptstadt vollständig in Besitz zu nehmen. Die Kräfte der Nationalgarde hingegen hatten die schwach bewaffnete türkisch-zypriotische Minderheit auf der Insel in arge Bedrängnis gebracht. Gerüchte über Massaker und Gräueltaten häuften sich und erreichten auch die amerikanische Botschaft in Nikosia. Ankara und die türkischen Zyprer kontrollierten zwischenzeitlich weniger Territorium als noch vor Beginn der Invasion. Angesichts der griechisch-zypriotischen Erfolge hatte Athen seine Zurückhaltung revidiert.266 Der Griechische Generalstab hatte schließlich doch entschieden, die Zyperngriechen durch reguläre Truppen vom Festland zu verstärken.267 Ergebnissen der amerikanischen Luftaufklärung zufolge war es der griechischen Armee kurzfristig gelungen, trotz der türkischen Überwachung des zypriotischen Luftraums je ein Bataillon Fallschirmjäger und Marineinfanterie im Lufttransport auf den Flughafen von Nikosia zu verbringen, der sich nach wie vor in der Hand der Truppen Sampsons befand.268 Gleichzeitig zog die griechische Armee ihre nach Norden ausgerichteten thrakischen Truppen von der Nordgrenze zu Bulgarien ab, um ihre Kräfte gegen die Türkei am Evros zu verstärken. Die Griechen zogen es vor, ihre NATO-Verpflichtungen zu verletzen und die Nordflanke gegenüber den bulgarischen Truppen zu entblößen, wollten sie doch der türkischen 1. Armee in Thrakien keine zahlenmäßig unterlegenen Verbände entgegenstellen.269 265 266 267 268

269

Briefing für Washington Special Actions Group Meeting (WSAG) im State Dep., 22.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7. CIA-Bericht/SitRep, 21.7.1974, 24.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7 (o.Nr.). Briefing für Washington Special Actions Group Meeting (WSAG) im State Dep., 22.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7. Ebd. Es handelte sich hier um die griechische Operation »Niki«, über die in der westlichen Literatur nur wenig bekannt ist. Bei diesem Unternehmen soll eine der griechischen Noratlas-Maschinen versehentlich von griechisch-zypriotischen Truppen abgeschossen worden sein. Rund 30 griechische Soldaten kamen dabei ums Leben. Hierzu Pressebericht: Cypriot officials say they may have found Greek aircraft shot down in 1974, The Guardian, 6.8.2015, , letzter Aufruf 10.5.2017. CIA-Bericht/SitRep, 22.7.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Nr. 22. Der Abzug der griechischen Truppen von der bulgarischen Nordflanke stellte vermutlich keine leichtfertige Entscheidung dar. Zwischen Griechenland und Bulgarien herrschte eine tiefsitzende Erbfeindschaft, die dem griechisch-türkischen Antagonismus in mancherlei Weise ähnelte. Während des Zweiten Weltkriegs hatten bulgarische Truppen Massaker an der griechisch-makedonischen Zivilbevölkerung begangen. Griechische Soldaten wiederum hatten zuvor während der Balkankriege 1912 Gräueltaten an bulgarischen Einwohnern verübt. Die Blockbildung des Kalten Krieges hatte das gegenseitige Misstrauen und die Feindschaft zwischen den beiden Staaten noch vertieft. Hierzu exemplarisch: Tagungsbericht The Holocaust in Greece: Genocide and its Aftermath, 21.11.2014, Thessaloniki. In: H-Soz-Kult, 7.1.2015, , letzter Aufruf 12.1.2017. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 439 f. Briefing für Washington Special Actions Group Meeting (WSAG) im State Dep., 22.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7. Ebd. Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 22.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, Athens 4368 und 4369 (o.Nr.). AdG, 44 (1974), 1.8.1974, S. 18855. Asmussen, Cyprus at War, S. 140.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

223

bündeten.276 General Bonanos berichtete US Under Secretary of State Joseph Sisco über den Fatalismus und die bittere Enttäuschung über die Untätigkeit Washingtons. In griechischen Augen hatte der Westen in dieser Krise offen für die Türkei Partei ergriffen. Unterdessen erfuhr der amerikanische Militärattaché in Athen, dass Generalleutnant Ioannis Davos, Kommandeur des 3. Griechischen Armeekorps und langjähriger Verbindungsoffizier der NATO, im Begriff war, mit seinen Truppen auf die Hauptstadt zuzumarschieren, um Ioannidis und die Junta gewaltsam zu entmachten.277 Davos hatte auch verlauten lassen, eine neue Zivilregierung in Athen einsetzen zu wollen. Die Führung des griechischen Feldheeres schien das Vorgehen zu billigen. Die innere Lage Griechenlands begann sich nunmehr zu stabilisieren.278 Bonanos und Davos entbanden Ioannidis am Folgetag seiner Ämter und riefen die Vertreter der früheren Kabinette auf, eine neue Regierung zu bilden. Vor dem Hintergrund des zerrütteten, leidgeprüften Landes versammelten sich die gealterten Mitglieder der einstigen Parteien unter dem vormaligen demokratischen Premierminister Panagiotis Kanellopoulos. Unter den Vertretern befand sich auch die alte Garde von Außenminister Evangelos Averoff und dem eilends aus seinem Pariser Exil zurückgekehrten, nunmehr 67 Jahre alten Konstantinos Karamanlis. Angesichts der prekären außenpolitischen Situation übernahm Karamanlis mit Zustimmung der Anwesenden bis zur Ausschreibung von Neuwahlen einstweilen die Bildung einer neuen Regierung. Das Kabinett der neu gegründeten Partei Nea Dimokratia begann mit seiner mühevollen Aufgabe, wieder rechtsstaatliche Prinzipien im Lande einkehren zu lassen. Es galt, politische Gefangene auf freien Fuß zu setzen, die Foltergefängnisse und Haftanstalten der Junta zu schließen und griechische Exilpolitiker zu rehabilitieren. Nicht zuletzt sah das neue Kabinett vor, die Anhänger des Regimes schrittweise aus deren führenden Ämtern im Staatsapparat zu drängen. Die Nachwehen der siebenjährigen Diktatur dauerten indes noch lange an. Die Reaktion Ankaras auf den Sturz von Ioannidis fiel wohlwollend aus. Ecevit richtete umgehend ein Telegramm an Karamanlis und begrüßte die Rückkehr des alten Premiers.279 Auch hatte sich die öffentliche Krisenstimmung in der Türkei zwischenzeitlich entspannt.280 Die Regierung hatte in den Augen von Militär und Bevölkerung ihre nationale Stärke und ihr außenpolitisches Durchsetzungsvermögen unter Beweis gestellt. Der Druck der Oppositionsparteien war vom Kabinett gewichen. Trotz der zwiespältigen Erfolge der türkischen Truppen war es Ecevit gelungen, der Öffentlichkeit den Eindruck zu vermitteln, auf Zypern einen glanzvollen militärischen Sieg errungen zu haben.

276 277 278

279 280

Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 22.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7, SECRET Athens 4756, Nr. 21. Lagebericht Defense Intelligence Agency (DIA) an DoD, 21.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 7 (o.Nr.). CIA-Bericht/SitRep, 23.7.1974, 16.30 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 25; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 446‑448; Rock, Macht, Märkte und Moral, S. 116; AdG, 42 (1974), 1.8.1974, S. 18863 f. Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 24.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, UNCLAS Ankara 5892, Nr. 5274. CIA-Bericht/SitRep, 23.7.1974, 12.00  Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 24; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 29.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101458, Nr. 1231.

224

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Das Ende der griechischen Diktatur hatte auch die kurze Herrschaft Nikos Sampsons auf Zypern ausklingen lassen.281 Als Handlanger und Protegé von Ioannidis verfügte er seit der Regierungsübernahme durch Karamanlis nicht länger über den Rückhalt der Nationalgarde. Sein brüchiges Regime löste sich innerhalb weniger Stunden auf. Neuer Präsident Zyperns wurde Glafkos Klerides, ein gemäßigter, wenngleich enger Anhänger von Erzbischof Makarios.282 Klerides verkörperte in den Augen Washingtons einen Hoffnungsträger, der friedliche Verhältnisse zwischen den verfeindeten Volksgruppen auf der Insel zu etablieren versprach. Das State Department hielt den neuen Politiker für geneigt, den türkischen Zyprioten größere Autonomie zugestehen, wodurch Ankara zur Einstellung seiner militärischen Offensive bewegt werden mochte.283 Mit dem Regierungsantritt von Karamanlis richteten sich nun alle Augen auf die anstehenden Friedensverhandlungen. Als Garantiemächte Zyperns sollten die Außenminister der Türkei, Griechenlands und Großbritanniens in den kommenden Wochen in Genf tagen.284 Die Zuversicht Washingtons und der NATO, nach dem Abgang Sampsons den Frieden auf der Insel wiederherstellen zu können, stellte sich jedoch als herbe Täuschung heraus. Zypern erwies sich nach wie vor als Pulverfass.285 Ungeachtet des Waffenstillstands lieferten sich die Volksgruppen fortgesetzte Gefechte, während die UNO-Soldaten vergeblich versuchten, die türkischen Interventionstruppen daran zu hindern, den Flughafen von Nikosia weiter mit Panzern zu beschießen. In diesem Kontext wiederholte Ankara seine Forderung, einen eigenen autonomen Landesteil für die türkisch-zypriotische Bevölkerung zu schaffen. Eine Rückkehr zu den alten Verhältnissen stand nach türkischer Auffassung nicht mehr zur Debatte. Das türkische Militär verbrachte unaufhörlich frische Truppen auf die Insel.286 Lediglich die begrenzten amphibischen Transportkapazitäten verzögerten den breitgefächerten Aufmarsch weiterer Kräfte. Moskau wiederum hielt sich nach wie vor zurück. Die SOVMEDRON kreuzte lediglich mit einigen Schiffen in den nahegelegenen Gewässern.287 Aus der Perspektive des bundesdeutschen Botschafters in Moskau schien der Kreml die weiteren Entwicklungen abwarten zu wollen.288

281 282 283

284

285 286 287 288

Asmussen, Cyprus at War, S. 118; Uslu, The Cyprus Question, S. 134. AdG, 44 (1974), 1.8.1974, S.  18855  f.; CIA-Bericht/SitRep, 23.7.1974, 12.00  Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 24. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 118, Briefing Memorandum Assistant Secretary of State for European Affairs für US-Außenminister Kissinger, 23.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017. FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 117, Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara und Belgrad, 23.7.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm US-Botschaft Athen an State Dep., 23.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box  8, SECRET Athens 4830, Nr. 4379. CIA-Bericht/SitRep, 23.7.1974, 12.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 24. CIA-Bericht/SitRep, 23.7.1974, 16.30 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 25. Ebd. Drahtbericht bdt. Botschaft Moskau an AA, 25.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101458, Nr. 2591.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

225

Nach Meinung des State Department lief die türkische Regierung Gefahr, einen Friedensvertrag für die Insel an Bedingungen zu knüpfen, die für Griechenland unannehmbar würden. Der griechische Militärvertreter beklagte sich vor dem versammelten Militärausschuss darüber, dass Ankara das Waffenstillstandsabkommen nicht einhielte. Der türkische Vertreter wiederum warf seinem griechischen Kameraden vor, dass Athen Truppen auf die demilitarisierten griechischen Inseln vor der türkischen Küste verlegte und dadurch die Gefahr eines Krieges zwischen den beiden NATO-Partnern abermals erhöhte.289 Der britische und der amerikanische Vertreter mahnten die Delegierten zur Besonnenheit und forderten beide Seiten auf, die Angelegenheit mit Fingerspitzengefühl zu behandeln. Athen seinerseits kündigte an, aktiv in die Kämpfe auf Zypern einzugreifen, sollte die Türkei ihre Angriffe auf griechisch-zypriotische Stellungen nicht einstellen. Trotz des friedlichen Machtwechsels in Nikosia und Athen stand das griechisch-türkische Verhältnis weiter auf des Messers Schneide. e) Weitere Kriegshandlungen und der mühsame Weg zum ersten Abkommen in Genf Am 25. Juli unterrichtete Luns den NATO-Rat über eine Démarche, die er an Ecevit gerichtet hatte mit der dringenden Aufforderung, den Waffenstillstand einzuhalten.290 Der Generalsekretär hatte die Türkei auch ermahnt, Zusammenstöße mit Truppen der UNO zu unterlassen. UNFICYP bemühte sich verzweifelt darum, die Kriegsparteien am Flughafen von Nikosia von weiteren Kämpfen abzuhalten. Luns hatte den türkischen Ministerpräsidenten darauf hingewiesen, dass nach wie vor Militärangehörige der NATO-Mitgliedsstaaten bei der UN-Mission auf Zypern dienten. Der türkische NATO-Botschafter versicherte dem Generalsekretär, dass Ecevit persönlich dafür Sorge trage, Zwischenfälle türkischer Truppen mit UNO-Soldaten zu vermeiden. Ankara erklärte sich auch bereit, mit Athen wieder auf bündnispolitischer Ebene zu kooperieren.291 Dessen ungeachtet wurden die anlaufenden Verhandlungen von weiteren Verletzungen der Waffenruhe überschattet.292 Trotz der Feuerpause stieß der türkische Einsatzverband vom Norden Zyperns weiter fächerförmig ins Landesinnere vor. Türkische Landungsboote entluden an der Nordküste weitere Panzereinheiten und schwere Artillerie. Die Stärke der türkischen Truppen war zwischenzeitlich auf rund 15 000 Mann angewachsen.293 Im Gegenzug kesselte die Nationalgarde im Süden der Insel zahlreiche 289

290 291 292 293

Telegramm State Dep. an US-Botschaft Ankara, 23.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 159040; Lageorientierung Zypernkrise BMVg, Fü S II, BArch, BW 2 10060. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 25.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101458, Nr. 1066. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 26.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101458, Nr. 701. Asmussen, Cyprus at War, S. 152; Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 26.7.1974, BArch, BW 2 10063, Nr. 1943. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 26.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101458, Nr. 406.

226

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Dörfer der türkischstämmigen Kommune ein und vertrieb deren Einwohner gewaltsam von ihren Wohnsitzen.294 In Genf konfrontierte Ankara die griechische Delegation währenddessen mit harten Forderungen.295 Die Türkei verlangte von London und Athen, die Rechtmäßigkeit ihrer Militäroperation anzuerkennen und der türkischen Armee das Recht einzuräumen, ihre Truppen auf der Insel in unbegrenztem Maße zu verstärken. Die Schmach des Sommers 1964 schien aus türkischer Sicht getilgt zu sein. Ecevit sah sich bereits in der Rolle eines unbestrittenen militärischen Siegers und war trotz griechischer und britischer Zugeständnisse nicht gewillt, von seinen Bedingungen zurückzutreten. Britischen Berichten zufolge befand sich der türkische Ministerpräsident auch in einer starken Abhängigkeit von den Entscheidungen des Türkischen Generalstabs, der nur wenige Kompromisse einzugehen bereit war.296 Dementsprechend konnten der britische Außenminister James Callaghan und Henry Kissinger die griechische und türkische Position nur in mühseligen Debatten einander annähern. Der strittigste Punkt kreiste dabei um den Abzug der türkischen Truppen. Griechenland fand sich hier in einer deutlich unterlegenen Position wider. Die Fähigkeit Athens, seine außenpolitischen Interessen wahrzunehmen, war in diesen Wochen eng begrenzt. Karamanlis und seine Fraktion waren intensiv damit beschäftigt, die widerspenstigen Anhänger der Junta aus deren Ämtern zu drängen und die Macht des neuen Kabinetts gegen etwaige Umsturzversuche zu sichern.297 Daneben hatte Andreas Papandreou von seinem kanadischen Exil aus angekündigt, alsbald nach Griechenland zurückzukehren und eine neue, linksradikale Politik auf den Weg zu bringen. In der Folge hatten sich Gerüchte über eine Konterrevolution Junta-naher Offiziere verbreitet. Ein neuerlicher Putsch würde jedoch katastrophale Folgen nach sich ziehen. Die gebeutelte Republik stand ohnehin am Rande des sozialen und wirtschaftlichen Ruins. Karamanlis musste erst politisch fest im Sattel sitzen, bevor er den Forderungen der Türkei entgegentrat. Bundesdeutschen Einschätzungen nach konnte die zerrüttete griechische Armee wenig gegen die türkischen Truppen ausrichten.298 Selbst wenn sie ihre beiden auf Zypern befindlichen Infanterieverbände gegen die türkischen Invasoren in den Kampf warf, wäre sie nicht imstande, diese Kräfte weiter zu versorgen. Die wenigen Noratlas- und C-47 Transportmaschinen würden ein leichtes Ziel für türkische Abfangjäger bilden. Für einen längeren Geleitschutz waren die griechischen Phantomjäger auf Kreta in keiner Weise gerüstet. Seetransportkapazitäten standen nur unzureichend zur Verfügung. Ferner würden die griechischen Schiffe Gefahr laufen, auf ihrem Weg durch das Mittelmeer von türkischen Zerstörern versenkt zu werden. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass 294 295 296 297

298

Asmussen, Cyprus at War, S. 152. Ebd., S. 161‑167; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 26.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101458, Nr. 406. Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 29.7.1974, BArch, BW 2 10063, Nr. (unleserlich), Az: Pol 320.00 Zypern. CIA-Bericht/SitRep, 27.7.1974, 7.30 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 34; State Dep. »Cyprus Task Force«, Sit Rep, 27.7.1974, 8.00 Uhr, ebd., Box  8, Nr.  22; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 3.8.1974, BArch, BW 2 10062, Nr. 451. Stellungnahme BMVg, Fü S II für BND, 29.7.1974, BArch, BW 2 10060, Nr. 24/74.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

227

ausgerechnet eine Militärregierung die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte Griechenlands hatte verkümmern lassen.299 Callaghan konfrontierte den griechischen Außenminister Georgios Mavros mit dem Umstand, dass Ankara einen Rückzug seiner Streitkräfte erst akzeptierte, wenn eine substanzielle Lösung vorlag.300 Athen lenkte daher widerwillig ein und gab den türkischen Belangen nach. Als Antwort auf den griechischen Kompromiss begannen die türkischen Kräfte am 27.  Juli, ihre Offensive einzustellen und dem Waffenstillstand schrittweise nachzukommen.301 Mit Ausnahme einzelner Scharmützel durch versprengte Gruppen griechisch-zypriotischer Freischärler beschränkten sich die Auseinandersetzungen vorerst nur auf sporadische Schusswechsel. Jedoch fuhr wiederum Ankara fort, luftbewegliche Truppen mit Transporthubschraubern auf die Insel zu verbringen.302 Die türkische Militärführung stellte den UNO-Soldaten und dem Zivilpersonal von UNFICYP ein Ultimatum, binnen 24 Stunden den türkisch besetzten Sektor der Insel zu räumen.303 Andernfalls, so der Kommandeur der Interventionskräfte, würden die UN-Angehörigen mit Waffengewalt vertrieben. Das Gleichgewicht drohte sich nun vollends zu türkischen Gunsten zu verschieben. In seiner Not wandte sich der Außenminister Mavros erneut an die NATO.304 Athen hoffte inständig, mit Hilfe der Allianz doch noch einen »gerechteren« Ausgleich für die Zukunft Zyperns zu erlangen, und drängte Luns, kurzfristig eine Sitzung des Ministerrats einzuberufen. Die Mitgliedsstaaten blieben jedoch skeptisch. Bonn verhielt sich zögerlich. Das Auswärtige Amt wollte abwarten, wie London und Washington reagierten.305 Das State Department indes betrachtete den Nutzen einer solchen Debatte vor dem Hintergrund der Genfer Gespräche als fruchtlos. Es musste aus amerikanischer Sicht genügen, dass Kissinger mit Ecevit bereits über die Modalitäten des künftigen Friedensvertrages verhandelte. Das Weiße Haus konnte ohnehin keine Zeit für weitere griechische Querelen erübrigen.306 In der amerikanischen Hauptstadt dominierten in diesen Tagen andere Schlagzeilen. Der Watergate-Skandal hatte das Amtsenthebungsverfahren für Richard Nixon ins Rollen gebracht.307 Die innenpolitischen Entwicklungen rückten die Ereignisse in Südosteuropa unverkennbar in den Hintergrund. Nixons Inter299 300 301 302

303

304 305

306 307

Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 409. Asmussen, Cyprus at War, S. 167. Ebd.; CIA-Bericht/SitRep, 27.7.1974, 15.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 35. Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 28.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, CONFIDENTIAL 9177, NICOSIA 1882, (o.Nr.). Telegramm US-Botschaft Nikosia an State Dep., 29.7.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, CONFIDENTIAL 9211, NICOSIA 1931 (o.Nr.). Rundtelegramm NATO-Generalsekretär an Regierungen der NATO-Mitgliedsstaaten, 29.7.1974, TNA, FCO 9, 1942, NATO CONFIDENTIAL SITCEN 2901. AA-interne Vorlage für Bundesaußenminister zu Sondersitzung NATO-Rates auf Ministerebene wg. Zypernkonflikt, 29.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv, B 14-201, Bd 101458; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 1.8.1974, PA AA, B 150, Bd 310, Nr. 729. Telegramm britische Botschaft Washington an FCO, 29.7.1974, TNA, FCO 9, 1942, Nr. 2539. Asmussen, Cyprus at War, S. 177, hier: Nixon war gezwungen, am 8.8.1974 von seinem Amt als US-Präsident zurückzutreten.

228

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

esse an Zypern beschränkte sich in diesen Tagen darauf, ein fertiges griechisch-türkisches Abkommen auf dem Tisch sehen zu wollen.308 Dessen Inhalte waren für ihn unter den gegebenen Umständen zweitrangig. Italien wiederum hielt eine Sitzung des NAC für schädlich, solange die Gespräche in Genf noch andauerten.309 Rom betrachtete eine Versammlung des Rates eher für geeignet, den Hader zwischen Ankara und Athen zu forcieren. Großbritannien und Dänemark standen Athen zwar wohlwollend gegenüber. Dennoch begnügte sich auch das FCO damit, Griechenland zu beschwichtigen und die türkische Regierung anzuhalten, dem griechischen Antrag keine zusätzlichen Steine in den Weg zu legen.310 Der britische NATO-Vertreter Edward Peck äußerte sich in diesem Kontext durchaus realistisch.311 Seiner Meinung nach konnte die Allianz schwerlich mehr bewirken, als Griechenland und der Türkei ihr Interesse an der Angelegenheit zu signalisieren. Peck unterstrich lediglich die Notwendigkeit, beiden Verbündeten die fortgesetzte Wertschätzung der NATO entgegenzubringen. Die südöstlichen Partner sollten nicht das Gefühl haben, mit ihren Problemen vom Bündnis alleine gelassen zu werden. Vor dem Hintergrund der kollektiven Meinung der Mitgliedsstaaten erklärte Luns dem griechischen Ständigen Vertreter Chorafas, dass auch er selbst eine Sondersitzung der NATO-Botschafter für ausreichend hielte.312 Luns legte des Weiteren dar, dass er die Bündnispartner nicht dazu zwingen könne, ihre Außenminister zu einer Sondersitzung nach Brüssel zu entsenden. Enttäuscht und gekränkt über die Inaktivität der Allianz, trat Griechenland schließlich von seinem Begehren zurück.313 Nach griechischem Verständnis hatte die NATO zugelassen, dass die Türkei mit ihrem gewaltsamen Vorgehen auf Zypern den Artikel 1 des Nordatlantikvertrages verletzt hatte. Es musste aus griechischer Sicht scheinen, als ob sich die Ereignisse von 1955 wiederholten, als die NATO und die US-Regierung das erlittene Unrecht der Pogrome von Istanbul und Izmir ignoriert hatten.

308 309 310 311 312 313

Telefongespräch US-Außenminister mit US-Präsident, 30.7.1974, 16.45  Uhr, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 11. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 29.7.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 413 und Nr. 414. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 29.7. und 30.7.1974, TNA, FCO 9, 1942, Nr. 414 und Nr. 419. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 29.7.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 413 und Nr. 414. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 29.7.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 413. Rundtelegramm NATO-Generalsekretär an Regierungen der NATO-Mitgliedsstaaten, 29.7.1974, TNA, FCO  9, 1942, NATO CONFIDENTIAL NAC 3159; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 30.7.1974, TNA, FCO 9, 1942, Nr. 414; Woodhouse, Karamanlis, S. 216; Theodoropoulos, Griechenland – Türkei, S. 295-306, hier: Der spätere griechische NATOBotschafter, Generalsekretär des griechischen Außenministeriums und Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, Byron Theodoropoulos, ließ auch Jahre später noch der Verbitterung Athens über den Umgang der NATO mit der Zypernkrise 1974 freien Lauf. In seiner Münchner Rede vor der Südosteuropa-Gesellschaft im November 1985 klagte er die westliche Allianz an, nicht für die Sicherheit Griechenlands sorgen zu können, sondern in dieser Hinsicht »hohl und unglaubwürdig« zu erscheinen. Er warf der NATO ferner vor, den internationalen Frieden und die westliche Demokratie nicht mehr glaubhaft vertreten zu können, seit der Mitgliedsstaat Türkei bewaffnete Gewalt gegen den souveränen Staat Zypern angewandt hatte.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

229

Nach zähen Verhandlungen einigten sich beide Parteien mit britischer und amerikanischer Unterstützung am 30. Juli in Genf auf ein einstweiliges Abkommen, das der türkischen Partei unverkennbare Vorrechte gewährte.314 Ankara hatte durchgesetzt, in den türkisch besetzten Gebieten der Insel eine eigenständige Sicherheitszone einrichten zu dürfen. Die Nationalgarde hatte sich aus den eroberten türkisch-zypriotischen Dörfern wieder zurückzuziehen. In den Ortschaften mit griechisch-türkischer Mischbevölkerung sollten fortan ausschließlich Soldaten der UNFICYP Sicherheits- und Ordnungsaufgaben wahrnehmen. Das Dokument erwähnte ausdrücklich die Existenz von zwei getrennten Verwaltungshoheiten auf der Insel. Dem Wortlaut nach lief das Papier auf eine dauerhafte Teilung der Insel hinaus. Die Türkei hatte damit ein strategisches Schlüsselziel erreicht. Gleichwohl entspannte sich die Lage auf Zypern nicht. Türkische Truppen stießen in den ersten Augusttagen abermals von Kyrenia aus weiter nach Westen vor und besetzten die Ortschaften Lapithos und Karavas.315 Der griechische NATO-Vertreter beklagte sich abermals bei Luns über den türkischen Bruch des Waffenstillstands. Sein türkischer Kollege räumte den Vorstoß der Interventionskräfte zwar ein, warf der Nationalgarde aber vor, die neuen Gefechte von sich aus provoziert zu haben. Die türkischen Einheiten waren angeblich gezwungen gewesen, ihre Pufferzone auszudehnen, um sich vor Scharmützeln des Gegners zu schützen. In Nikosia herrschte unterdessen der Ausnahmezustand.316 Die Hospitäler der Hauptstadt waren mit Verwundeten und Gefallenen überfüllt, während fanatische Nationalisten in der sommerlichen Hitze jugendliche Freischärler zu einer Art »Volkssturm« mobilisierten, um dem türkischen Erbfeind Einhalt zu gebieten. Gerüchte über Gräueltaten, Folter und Massaker der türkischen Armee an griechischen Zyprioten machten die Runde, die von der örtlichen Presse noch geschürt wurden. UN-Vertreter und das Internationale Rote Kreuz sprachen von ethnischen Säuberungen, die zum Ziel hätten, griechisch-zypriotische Zivilisten systematisch aus den türkisch besetzten Gebieten zu vertreiben.317 Türkisches Militär vertrieb zahlreiche UNO-Soldaten auf rüde Weise von ihren Kontrollpunkten und entfernte die Flaggen der Vereinten Nationen. Ecevits Versprechen an Luns erwies sich in dieser Hinsicht als wertlos. In der Nähe der umkämpften Gebiete geriet die griechisch-zyprische Zivilbevölkerung angesichts der heranrückenden türkischen Truppen in Panik. Vermehrt setzten Flüchtlingsbewegungen in Richtung Süden ein. Die türkische Regierung wiederum warf der Nationalgarde vor, die muslimische Volksgruppe im Kernland der Insel zu terrorisieren. Ankara zufolge hatten die Zyperngriechen zahlreiche türkische Ortschaften von der Versorgung mit Nahrungsmitteln und medizinischer Hilfe abgeschnitten und einige Dörfer ausgeplündert und niedergebrannt. 314

315

316 317

Asmussen, Cyprus at War, S., 168 f.; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 451 f.; Uslu, The Cyprus Question, S. 140 f.; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 2.8.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 744. Asmussen, Cyprus at War, S.  171‑178; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 4.8.1974, TNA, FCO 9, 1942, Nr. 425; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 31.7.1974, TNA, FCO 9, 1942, Nr. 423; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 5.8.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd  101458, Nr.  1093; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 3.8.1974, BArch, BW 2 10062, Nr. 453. Drahtbericht bdt. Botschaft Nikosia an AA, 29.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101458, Nr. 63. Ebd.; Asmussen, Cyprus at War, S. 171‑174; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 452.

230

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Angesichts der katastrophalen Entwicklungen auf der Insel gewann auch der ägäische Streit wieder an Schärfe. Der türkische Ministerpräsident forderte Griechenland energisch auf, entweder zu harmonischen Beziehungen mit Ankara zurückzukehren, oder aber das NATO-Bündnis zu verlassen.318 Gleichzeitig warnte er Athen aufs Neue, dass die Türkei eine Remilitarisierung der griechischen Insel Rhodos und des Dodekanes nicht dulden werde. Die zivile Luftfahrtbehörde der Türkei kündigte an, ab sofort internationale Linienmaschinen anzuweisen, sich bei der türkischen Luftfahrtkontrolle in Istanbul anzumelden, bevor sie die Ägäis überflogen.319 Ankara stellte damit geltendes Luftfahrtrecht in Frage und zog den neuerlichen Zorn Griechenlands auf sich. Die NATO reagierte auf die Entwicklungen reserviert. Das Bündnis gab sich mit der Begrenzung des internen Schadens zufrieden, welcher der Allianz durch den Konflikt zu entstehen drohte. Die Überlegungen kreisten dabei primär um die militärischen und militärpolitischen Konsequenzen der Krise, nicht aber um Wege zu deren Entschärfung.320 Weder tagte der NAC, noch versammelten sich die Ständigen Vertreter zu weiteren informellen Besprechungen. Die NATO-Mitgliedsstaaten brachten in ihrer Gesamtheit nicht die Entschlossenheit auf, sich nachhaltiger für die Wiederherstellung des Friedens auf Zypern einzusetzen. Stattdessen verließ sich die Allianz auf den Fortbestand des griechisch-türkischen Abkommens in Genf. Anders als im Jahre 1967 vermochte das Bündnis sich diesmal nicht in die Rolle eines Akteurs zu begeben, der sich nach Kräften dafür einsetzte, dem mühsam geschlossenen Kompromiss tragfähige Wirkung zu verleihen. Weder schritt das Bündnis ein, um Ankara über den sensiblen Weg der Militärund Wirtschaftshilfen zu drängen, seine Truppen auf der Insel zu reduzieren und von ethnischen Vertreibungen in seiner besetzten Zone abzusehen, noch übte die NATO Druck auf Athen aus, die Nationalgarde und die griechisch-zypriotischen Freischärler zu entwaffnen, um die türkisch-zypriotischen Siedlungen vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen. Der NATO-Militärausschuss begnügte sich in diesen Tagen mit einer Bestandsaufnahme, wie die Allianz künftig Verfahren entwickeln könnte, um kurzfristige nationale Rückunterstellungen NATO-assignierter Kräfte abzufedern, ohne dass der militärische Arm dadurch Schaden nahm. Ungeachtet des akuten Kriegszustandes auf Zypern zeichneten das State Department und das Bonner Verteidigungsministerium ein optimistisches Bild. Der deutsche Botschafter in Ankara räumte zwar ein, dass die NATO in der Krise kaum aktiv geworden sei. Beiden Ministerien zufolge hätte die Allianz dank ihrer inneren Kohäsion aber wesentlich zur Beruhigung des Konflikts beigetragen. Das BMVg sah die fortgesetzte

318 319 320

AdG, 44 (1974), 1.8.1974, S. 18857; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 1.8.1974, PA AA, B 150, Bd 310, Nr. 729. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 452. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 31.7.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 422; Dipl.-Politologe Markus an StS Mann: Militärpolitische Bewertung des Zypernkonflikts und Folgen für die NATO und die BRD, BMVg, Fü S III 1, 9.8.1974, BArch, BW 2 6722; Drahtbericht bdt. Botschaft Washington an AA, 9.8.1974, PA AA, B 150, Bd 310, Nr. 2344; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 1.8.1974, PA AA, B  150, Bd  310, Nr.  729; AA-interner Vermerk StS über Gespräch mit britischem Botschafter in Bonn, 9.8.1974, PA AA, B 150, Bd 310, (o.Nr.).

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

231

NATO-Mitgliedschaft Griechenlands und der Türkei nicht als gefährdet an.321 Washington hingegen fühlte sich in seiner Haltung bestätigt, der türkischen Zypernoperation freien Lauf gelassen zu haben. Aus Sicht des State Department hatte das Unternehmen »Atilla« gar positive Effekte erzielt. Die Militäroperation der Türkei hätte nicht nur die unliebsame Junta in Athen hinweggefegt. Vielmehr hätte der vermeintliche Krisenzusammenhalt des Bündnisses die Beziehungen zwischen den Europäern und ihren amerikanischen Partnern sichtlich verbessert. Washington war nicht länger über die fehlende Unterstützung der Türkei und der Europäer im Jom-Kippur-Krieg verstimmt. Im Gegenzug schien Ankara dem Weißen Haus die Demütigung des Johnson-Briefes aus dem Jahre 1964 verziehen zu haben. Das amerikanisch-türkische Verhältnis hatte wohl einen positiven Auftrieb erhalten – insbesondere mit Blick auf die schwierigen Verhandlungen um Stützpunktrechte der US-Streitkräfte in der Türkei. Ferner hatte Moskau keinen Profit aus der Krise geschlagen. Nach Einschätzung der bundesdeutschen Diplomaten in Ankara hätten Europa und die NATO von ihrer Nachsicht gegenüber den sicherheitspolitischen Zielen der Türkei profitiert.322 Augenscheinlich fühlte sich Ankara von den Europäern in seinen nationalen Zielsetzungen ernster genommen und war geneigt, sich der EWG politisch anzunähern. Seit der türkischen Landung auf Zypern hatte die Türkei zudem ihre Stellung im Nahen und Mittleren Osten gefestigt. Das mühsame türkische Werben um die Gunst der arabischen Welt hatte erste Früchte getragen. Entgegen ihrer einstigen Bewunderung für Makarios hatten die Nahoststaaten und die Partner der CENTO ihr Verhältnis zur Türkei sichtbar aufgewertet. Sie hatten sich von der Entschlossenheit des Landes beeindruckt gezeigt, ihre türkisch-zypriotischen, muslimischen Glaubensbrüder mit Waffengewalt zu schützen. Die OPEC hatte dementsprechend ihre Rohölexporte an die Türkei begünstigt. Bekanntermaßen hatte auch die junge Arabische Republik Libyen unter ihrem Machthaber Oberst Muammar al-Gaddafi323 die türkische Luftwaffe während der Krise mit dringend benötigten Ersatzteilen für deren NorthropJäger beliefert.324 Offensichtlich suchte sich Gaddafi das Wohlwollen und die Anerkennung der Staaten des Nahen Ostens zu sichern, um seinem Ziel einer panarabischen Union in Nordafrika einen Schritt näher zu rücken. Daneben herrschte zwischen Ankara und Tripolis ein enges Vertrauensverhältnis, das sich nicht zuletzt in der Vielzahl türkischer Gastarbeiter in der nordafrikanischen Ölmetropole widerspiegelte.325 Lediglich Teheran hatte sein Missfallen über das türkische Unternehmen bekundet, da Ecevit den 321

322 323 324 325

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 31.7.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 422; Dipl.-Politologe Markus an StS Mann: Militärpolitische Bewertung des Zypernkonflikts und Folgen für die NATO und die BRD, BMVg, Fü S III 1, 9.8.1974, BArch, BW 2 6722; Drahtbericht bdt. Botschaft Washington an AA, 9.8.1974, PA AA, B 150, Bd 310, Nr. 2344; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 1.8.1974, PA AA, B  150, Bd  310, Nr.  729; AA-interner Vermerk StS über Gespräch mit britischem Botschafter in Bonn, 9.8.1974, PA AA, B 150, Bd 310, (o.Nr.). Drahtbericht bdt. Botschaft in Ankara, 29.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101458, Nr. 1231/ 74. Gaddafi hatte 1969 den Monarchen Idris durch einen Militärputsch gestürzt und eine Diktatur in dem nordafrikanischen Land errichtet. Beitrag zur Bundeskanzlerlage am 20. August 1974, 19.8.1974, BMVg, Fü S II, BArch, BW 2 10060; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 13.8.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 781. Snyder, Defending the Fringe, S. 49.

232

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

persischen und pakistanischen CENTO-Partner vor Beginn der Operation nicht konsultiert hätte.326 Spätestens seit der Ölkrise des Vorjahres deutete zudem alles darauf hin, dass die Bedeutung der Türkei als Brücke zum arabisch-orientalischen Raum für die westliche Welt erheblich gestiegen war. Sowohl die Möglichkeit der Wiederbelebung des Mittelostpaktes als auch der Einfluss des Westens auf die arabischen OPEC-Staaten musste im Interesse von NATO, EWG und den nationalen Zielsetzungen Washingtons liegen. Aus Sicht der nordatlantischen Partner bestand somit kein Handlungsbedarf, in die laufenden Ereignisse auf Zypern einzugreifen und das Verhältnis zwischen der Türkei und ihren westlichen Verbündeten erneut auf die Probe zu stellen. Die Folgen der Entwicklungen für die bündnisinterne Kohäsion und die humanitären Konsequenzen für die zypriotische Bevölkerung schienen die Beteiligten dabei zu ignorieren. f ) Die Fortsetzung der türkischen Operation und der Austritt Griechenlands aus den integrierten Strukturen der Allianz Ungeachtet der Zuversicht, die in Washington und Bonn über die laufenden Entwicklungen vorherrschte, ließen die weiteren Verhandlungen in Genf keinen inhaltlichen Durchbruch erkennen. Trotz intensiver Bemühungen Kissingers und Callaghans scheiterten die Genfer Gespräche nach langwierigen Debatten.327 Die Fronten zwischen den Verhandlungspartnern hatten sich verhärtet. Einerseits konnte Ecevit nicht umhin, den Forderungen der türkischen Öffentlichkeit nach einer Teilung der Insel nachzugeben und von den griechischen Zyprioten die Aufgabe der Nordhälfte der Insel einzufordern.328 Insbesondere die konservative Adalet Partisi (Gerechtigkeitspartei) unter Süleyman Demirel setzte Ecevits Kabinett mit Hilfe des Militärs massiv unter Druck. Aber auch im Innern seiner Koalition musste Ecevit darauf bedacht sein, die Zügel nicht aus der Hand zu geben. Der islamistische Partner (Millî Selamet Partisi) unter seinem Führer Necmettin Erbakan schickte sich bereits an, den Erfolg der Zypernoperation auf seine Fahnen zu schreiben und Ecevit politisch in den Hintergrund zu drängen. Wenn seine Republikanische Volkspartei (Cumhuriyet Halk Partisi) in der Zypernfrage jetzt keine Stärke zeigte, drohte die junge Regierung zwischen Islamisten und Konservativen zerrieben zu werden. Wie später in London bekannt wurde, reiste die türkische Delegation somit nach Genf, ohne über den geringsten Verhandlungsspielraum zu verfügen.329 Athen und Nikosia betrachteten die türkischen Ansprüche als unannehmbar.330 Außenminister Mavros warf Ankara vor, Bedingungen zu stellen, die einer Kapitulation Griechenlands im Stile der Niederlage von 1923 gleichkämen. Die Türkei bestand darauf, die rund 90 000 Einwohner zählende griechisch-zypriotische Bevölkerung des ge326 327 328 329 330

Drahtbericht bdt. Botschaft in Ankara, 29.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101458, Nr. 1231/74. Asmussen, Cyprus at War, S. 181‑215. Bolukbasi, The Superpowers S. 202 f.; Campany, Turkey and the United States, S. 47. Drahtbericht bdt. Botschaft London an AA, 14.8.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd 101459, Nr. 2119. Asmussen, Cyprus at War, S. 181‑215; Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 454‑456.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

233

samten Nordteils der Insel in den Süden Zyperns zu verschieben. In der Tat erinnerte der türkische Plan an die kleinasiatische Katastrophe, sprich die brachialen Bevölkerungsvertreibungen des Jahres 1923 als Folge des Griechisch-Türkischen Krieges.331 Es zeichnete sich ab, dass Ankara wieder zu den Waffen greifen würde. Sofern die Türkei aus ihrer Sicht die einmalige Gelegenheit jetzt nicht nutzte, um die Zypernfrage in ihrem Sinne zu bereinigen, würde sie mit dem schwelenden Brand auf der Insel noch Jahrzehnte zu kämpfen haben. Überdies schienen weder die USA noch die Sowjetunion die Türkei daran hindern zu wollen, ihr militärisches Vorhaben zum Abschluss zu bringen. Die Bedenken der türkischen Regierung, sich nach dem erfolgreichen Ende ihrer Militäroperation in einem politischen Debakel wie seinerzeit Großbritannien und Frankreich nach der Suezkrise wiederzufinden, waren also unbegründet. Aus Sicht des State Department und des NSC genoss die Türkei einen weit höheren geopolitischen wie auch geostrategischen Stellenwert als der griechische Bündnispartner.332 Die klassische amerikanische Lagebeurteilung, wonach die Südostflanke nur geschlossen gegen einen Angriff des Warschauer Paktes zu verteidigen wäre, trat zwar nicht aus militärischer, wohl aber aus politischer Sicht in den Hintergrund. Als Brücke zum Nahen Osten war die Türkei für das Weiße Haus dermaßen bedeutend, dass es dafür sogar bereit war, notfalls einen griechischen Austritt aus der NATO in Kauf zu nehmen.333 Dagegen durfte der türkische Partner seine Bindung an die Allianz unter keinen Umständen lockern.334 Wenn Ankara von der NATO und der CENTO Abstand nähme, würde sich das Kräftegleichgewicht der Blöcke im Vorderen Orient empfindlich verschieben. Der NSC betrachtete Saudi-Arabien und den Iran seit den frühen 1970er Jahren als integrale Säulen (»Twin pillars«) gegen die fortschreitende Ausbreitung des sowjetischen Einflusses im Mittleren Osten, deren Bedeutung für Washington seit der Ölkrise noch zugenommen hatte.335 Der Irak und Syrien hatten sich bereits in bedrohlicher Weise Moskau angenähert.336 Auch belieferte der Kreml Algerien, Libyen und Syrien nach wie vor mit beträchtlichen Mengen an Militärgütern.337 Der Wettlauf zwischen Moskau und Washington reichte zwischenzeitlich sogar bis in die junge zentralasiatische Republik Afghanistan, die der iranische Herrscher Mohammad Reza Schah Pahlavi mit 331 332

333

334 335 336 337

Siehe rückblickend Kap. II. Asmussen, Cyprus at War, S. 210‑215; Uslu, The Cyprus Question, S. 143; Uslu, The TurkishAmerican Relationship, S. 208 f.; FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 129, Memorandum of Conversation Ford, Kissinger, Major General Scowcroft, 13.8.1974, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm britische Botschaft Washington an FCO, 14.8.1974, TNA, FCO 9, 1947, Nr. 2693. William E. Colby, Direktor des CIA, legte US-Außenminister Kissinger eine Studie vor, die ausdrücklich auf die hohe Wahrscheinlichkeit eines griechischen Austritts aus der NATO hinwies, sollten Washington oder die Allianz die Fortsetzung der Operation »Atilla« nicht verhindern. Dem Urteil des CIA zufolge würde der griechische Rückzug aus dem westlichen Bündnis für Premierminister Karamanlis die einzige Möglichkeit sein, sich weiter an der Macht zu halten. Memorandum William Colby an Henry Kissinger Kissinger, 13.8.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8. Ebd.; Beitrag zur Bundeskanzlerlage am 20.  August 1974, 19.8.1974, BMVg, Fü  S  II, BArch, BW 2 10060. Kuniholm, Die Nahostkriege, S. 454 f. und S. 458. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 138. Di Nolfo, The Cold War and the Transformation of the Mediterranean, S. 252.

234

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

amerikanischer Hilfe der sowjetischen Einflussnahme zu entziehen suchte.338 US-Präsident Gerald Ford, Kissinger und die Militärberater im NSC einigten sich am 13. August 1974 folglich darauf, das türkische Vorgehen auf Zypern weiter zu dulden, um einem Sturz Ecevits zu verhindern und gleichzeitig die türkische NATO-Bindung zu festigen.339 Es galt aus amerikanischer Sicht lediglich Athen davon abzuhalten, seinem östlichen Nachbarn den Krieg zu erklären. Moskau wiederum betrachtete die türkischen Pläne mit Skepsis.340 Doch auch der Kreml blieb gelassen, solange Ecevit die besetzte Zone nicht annektierte und in das Vertragsgebiet des westlichen Bündnisses eingliederte. Dementsprechend verfügte die Türkei indirekt über einen Freibrief, ihr militärisches Unternehmen fortzusetzen.341 Die türkischen Truppen mussten nun schnell agieren, bevor neue Hindernisse auf den Plan traten. Die günstige Lage konnte sich aus türkischer Sicht alsbald wieder ändern, wenn die weltpolitischen Entwicklungen in eine andere Richtung schwenkten. Der Einfluss der griechisch-amerikanischen Lobby in Washington auf der einen sowie die Forderung Moskaus auf der anderen Seite, die Unabhängigkeit Zyperns zu wahren, konnten dazu führen, dass die türkischen Belange den Interessen der Supermächte würden weichen müssen. Urängste aus der Zeit des Osmanischen Reiches, als die Rede vom »kranken Mann am Bosporus« die Runde machte und das einstige Großreich schließlich zerschlagen wurde, schienen zumindest noch unterschwellig in der türkischen Mentalität verwurzelt zu sein. Ankara hatte aus den Zypernkrisen der vergangenen Jahre offensichtlich »gelernt«, der Politik beider Supermächte zu misstrauen und seine Eigeninteressen durchzusetzen, wann immer sich die Gelegenheit bot. Auffälligerweise hatten die türkisch-zypriotischen Führer Ankara auf offiziellem Wege nicht um weitere Hilfe gebeten.342 Dies musste nicht bedeuten, dass Rauf Denktaş und seine Gefolgsleute eine Fortsetzung der türkischen Militäroperation nicht begrüßten. Jedoch schien die Türkei die Angehörigen ihrer eigenen Ethnie auf Zypern nach wie vor nicht als eigenständige Minderheit mit Anspruch auf politisches Mitspracherecht und Souveränität wahrzunehmen. Vordergründig gaben die türkischen Regierungen vor, den Schutz der angestammten Heimatorte der Zyperntürken im Auge zu haben. Wie die weitere Entwicklung aber zeigte, tendierte die türkische Politik nicht unbedingt dazu, eine vertragliche Vereinbarung zu erzielen, die türkisch-zypriotische Dörfer und Siedlungen im Süden der Insel schützte. Vielmehr galt es aus Sicht der türkischen Regierung, ein geschlossenes Staatsgebiet im Norden Zyperns zu etablieren, das sämtlichen Zyperntürken im Anschluss als neuer Lebensraum aufoktroyiert würde. Die Strapazen, Entbehrungen und materiellen Verluste der im Süden der Insel lebenden türkisch-zypriotischen 338 339

340

341 342

Gibbs, Die Hintergründe der sowjetischen Invasion, S. 297. Asmussen, Cyprus at War, S.  210‑215; Uslu, The Cyprus Question, S.  143; Uslu, The Turkish-American Relationship, S.  208  f.; FRUS, 1973‑1976, vol.  30, doc.  129, Memorandum of Conversation Ford, Kissinger, Major General Scowcroft, 13.8.1974, , letzter Zugriff 12.1.2017; Telegramm britische Botschaft Washington an FCO, 14.8.1974, TNA, FCO 9, 1947, Nr. 2693. Drahtbericht US-Botschaft Ankara an AA (Gespräch bdt. Botschafter mit sowjet. Botschafter), 7.8.1974, PA AA, Zwischenarchiv B  14-201, Bd  101458, Nr.  762; AA-internes Vorlagepapier Ref 203 für Bundesaußenminister, 13.7.1974, PA AA, Zwischenarchiv B 14-201, Bd 101459. Di Nolfo, The Cold War and the Transformation of the Mediterranean, S. 253. Weder in den herangezogenen Quellen noch in der Literatur findet sich diesbezüglich ein Hinweis.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

235

Flüchtlinge durch die Aufgabe ihrer angestammten Heimstätten stießen in Ankara offenkundig auf wenig Empathie. In militärischer Hinsicht befanden sich die türkischen Kräfte in einer weit günstigeren Lage als noch zuvor im Monat Juli.343 Den rund 45 000 griechisch-zypriotischen Soldaten der Nationalgarde und der griechischen Festlandsverbände standen nun bereits 32 000 türkische Armeeangehörige gegenüber. Die Türkei hatte die Waffenruhe intensiv genutzt, um Nachschub und Verstärkungen heranzuführen und damit einen möglichen Fehlschlag der Operation auszuschließen. Im Gegensatz zu den Verteidigern waren die türkischen Kräfte größtenteils mechanisiert und mit schwerem Kampfgerät, Artillerie, Hunderten von M-47-Panzern und M-113-Truppentransportern ausgetattet. Auch kontrollierte die türkische Luftwaffe unverändert den Luftraum über der Insel. Griechenland wiederum sah sich militärisch weder imstande, in das Kriegsgeschehen einzugreifen, noch die griechisch-zypriotische Nationalgarde auf dem Seeweg von Griechenland aus mit Nachschub zu versorgen. Im Lichte des neuen Kräfteverhältnisses urteilte die CIA, dass es den türkischen Truppen nun doch innerhalb weniger Tage gelingen könnte, den Nordteil der Insel zu besetzen. Größere Widerstandsnester der Nationalgarde, so die CIA, würden von den Türken innerhalb kürzester Zeit eingekesselt und zur Übergabe gezwungen. In der Nacht des 13. August begannen türkische Jagdbomber von ihrem Fliegerhorst Incirlik aus, die militärischen Einrichtungen des Gegners mit massiven Bombenteppichen zu belegen.344 Bodentruppen durchbrachen die griechisch-zypriotischen Verteidigungsstellungen und stießen von den Außenbezirken der Hauptstadt aus im Eiltempo in Richtung ihres östlich gelegenen Hauptangriffsziels Famagusta vor.345 Im Westen riegelten die türkischen Truppen die nördlichen Gebirgszüge westlich von Kyrenia ab und zwangen die dort verbliebenen Verteidiger zur Aufgabe. Marinekräfte unterstützten das taktische Vorgehen von der See. In den Abendstunden des 14.  August belagerten die Angreifer die Ortschaft Morfou nahe der nördlichen Westküste der Insel. Die Invasoren kesselten auch den Flughafen von Nikosia ein und schnitten die dort stationierten UN-Truppen vom Nachschub ab, um die Räumung des Geländes zu erzwingen. Dabei kam es auch zu Zusammenstößen und Gefechten mit britischen und kanadischen UNEinheiten. In Anbetracht der materiellen Überlegenheit und des fehlenden Nachschubs der griechisch-zypriotischen Verteidiger war es nur eine Frage der Zeit, bis der Türkische Generalstab sein operatives Ziel erreichte. Athen reagierte unverzüglich.346 Griechenland stand vor einer harten Zerreißprobe, deren Ausgang die Frage nach Krieg oder Frieden mit der Türkei bestimmen würde. 343

344 345

346

Memorandum William Colby an Henry Kissinger Kissinger, 13.8.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8; Kassimeris, Greek Response to Cyprus Invasion, S. 259. Kassimeris spricht sogar von rund 40 000 türkischen Soldaten; Stellungnahme BMVg, Fü  S  II für Bundesverteidigungsminister, 5.8.1974, BArch, BW  2  10060 (o.Nr.). Telegramm CIA an White House Sit Room, 14.8.1974, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8 (Nr. als Verschlusssache gekennzeichnet). CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 1; Stellungnahme Fü S II für Bundesverteidigungsminister, 15.8.1974, BArch, BW 2 10060, Nr. 37. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 458 f.; Woodhouse, Karamanlis, S. 217.

236

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

Premierminister Karamanlis scharte Verteidigungsminister Averoff und den Griechischen Generalstab um sich und forderte die Armeeführung in überstürzter Weise auf, die türkischen Invasionstruppen auf Zypern mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln anzugreifen. Trotz der emotional aufgeheizten Stimmung des griechischen Premiers wich sein innerer Zustand jedoch bald der Ernüchterung. Die Anwesenden legten ihm ungeschminkt die Lage der griechischen Streitkräfte dar. Weder die Luftwaffe noch die Flotte wären imstande, auch nur im Mindesten erfolgreich gegen die türkischen Expeditionskräfte vorzugehen. Dieser Tatsache mussten auch die jungen, fanatischen Offiziere des Feldheeres ins Auge sehen, die es bevorzugten, lieber ehrenvoll zu sterben, als die Schmach der Niederlage gegen den türkischen Erbfeind zu ertragen.347 Und wenn die am Evros stehenden Verbände schließlich das Feuer auf die türkischen Truppen eröffneten, riskierte Athen, auch in der ägäischen Frage eine schwere Niederlage zu erleiden.348 Griechenland lief dann Gefahr, nicht nur Zypern, sondern ebenso den Dodekanes zu verlieren. Die türkischen Streitkräfte schienen nur auf die erstbeste Gelegenheit zu warten, die Inseln als Vergeltung für eine griechische Aggression zu besetzen. Wie Washington im Vorfeld vermutet hatte, gab Griechenland in den Morgenstunden des 14.  August schließlich bekannt, aus der integrierten Militärorganisation der NATO auszutreten.349 Karamanlis unterstrich seinen Beschluss nach außen hin als Protest gegen die Passivität des Bündnisses gegenüber der türkischen Aggression.350 Der griechische Premier wies später auf seinen eingeschränkten Handlungsspielraum hin. Angesichts der erzürnten griechischen Öffentlichkeit hätte er vor der Wahl gestanden, sich zwischen einem aussichtslosen Krieg gegen die Türkei, dem Sturz seiner Regierung oder eben dem griechischen Austritt aus der Militärorganisation der NATO zu entscheiden.351 Er hatte letzteren Schritt vorgezogen. Der NATO-Rat fand sich zwischenzeitlich zu einer hektischen Krisensitzung ein.352 Der griechische Delegierte Byron Theodoropoulos gab die Entscheidung von Karamanlis vor dem NAC bekannt und warf dem Bündnis vor, sich unfähig erwiesen zu haben, eine militärische Auseinandersetzung zwischen seinen Mitgliedern zu verhindern. Der deutsche NATO-Botschafter Franz Krapf wiederum suchte die Haltung der Allianz gegenüber seinem griechischen Kollegen zu verteidigen. Seinen Worten nach wäre das Bündnis nicht dafür geschaffen worden, interne Konflikte unter seinen Mitgliedern zu lösen. Dem deutschen Verständnis nach hätte die NATO bereits alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Krise abzuwenden. Auf die Aussage Krapfs hin brachte der griechische Delegierte seine persönliche Meinung zum Ausdruck: Der Beschluss seiner Re347 348 349 350 351

352

CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 12.30 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 2. Ebd.; Rizas, Atlanticism and Europeanism in Greek Foreign, S. 53. CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 1. Rizas, Atlanticism and Europeanism in Greek Foreign, S. 52. Papacosma, Greece and NATO, S. 364; Gesprächsprotokoll US-Präsident mit griechischem Premiermister, 29.5.1975, , letzter Aufruf 12.1.2017; Iatrides, The United States and Greece, S. 95. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 14.8.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 437; AAPD, 1974, Bd 2, Dok. 236, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 14.8.1974, S. 1028‑1030.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

237

gierung, die Militärorganisation der NATO zu verlassen, diente nicht dem Zweck, dem Bündnis selbst Schaden zuzufügen. Vielmehr sei dieser Schritt als Antwort gegenüber denjenigen Mitgliedsstaaten zu werten, die mehr hätten tun können, um die Lage zu beruhigen und einen friedlichen Ausgang der Krise herbeizuführen. Der griechische Zorn richtete sich dabei unverkennbar gegen den amerikanischen Verbündeten. Nicht umsonst hatte der griechische Premierminister mit möglichen Konsequenzen für die US-Militärstützpunkte gedroht.353 Dies konnte auch das »Home Porting Agreement« betreffen, das der 6. US-Flotte umfangreiche Hafenrechte in Griechenland gewährte.354 In einer Rundfunkansprache an das griechische Volk verurteilte Karamanlis die Duldung der türkischen Invasion seitens der NATO und der amerikanischen Regierung als »schändlichen Akt«.355 Athen fühlte sich von den westlichen Alliierten gedemütigt. Der Griechische Generalstab begann, seine Offiziere von allen militärischen Dienststellen und Kommandobehörden der NATO abzuziehen.356 Athen war zutiefst verbittert, dass die Flugzeugträger der STRIKEFORSOUTH seit Wochen in den Gewässern des östlichen Mittelmeers kreuzten, ohne in das Geschehen einzugreifen.357 London und Washington hatten sich vorab darauf verständigt, keinesfalls militärisch zu intervenieren und ihre Verteidigungshilfen an Griechenland und die Türkei erst dann auszusetzen, wenn sich beide Widersacher Gefechte in Thrakien oder der Ägäis lieferten. Der Türkische Generalstab seinerseits versicherte der CIA, dass Ankara sehr daran gelegen wäre, den Konflikt nicht auszuweiten.358 Die türkische Militärführung betonte, die Streitkräfte würden ihre kriegerischen Handlungen auf Zypern beschränken. Kampfhandlungen in Thrakien und der Ägäis schloss Ankara aus, solange Athen die türkischen Truppen hier nicht provozierte. In der laufenden Sitzung des NATO-Rates enthielten sich die übrigen Mitglieder einer Stellungnahme.359 Nur der britische NATO-Botschafter äußerte sich kritisch. Peck warnte den türkischen Vertreter Eralp, dass Ankara auf bestem Wege sei, die Sympathien seiner westlichen Verbündeten zu verspielen. Er warf der Türkei vor, die Zypernverhandlungen vorschnell abgebrochen zu haben. Mit Blick auf künftige Verteidigungshilfen der Allianz oder Wirtschaftshilfen vonseiten der Europäischen Gemeinschaft (EG) konnte der britische Vorwurf in der Tat empfindliche Folgen für das strukturschwache Land nach sich ziehen, sollten die Kontinentaleuropäer sich den Vorhaltungen Londons anschließen und Konsequenzen daraus ziehen. Eralp suchte das türkische Vorgehen daher zu rechtfertigen. Er monierte, die kompromisslose Haltung der griechischen Zyprioten 353 354 355 356 357 358 359

CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 1. Bericht Nr.  II/1974, DMV an BMVg, Persönliche Betrachtungen des DMV zur Situation der Allianz und zur militärischen Lageentwicklung, 25.11.1974, BArch, BW 3 1573. Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zu NATO, S. 106. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 459. Stellungnahmen BMVg, Fü S II für Bundesverteidigungsminister, 15.8. und 16.8.1974, BArch, BW 2 10060, Nr. 37 und Nr. 45. CIA-Bericht/SitRep, 15.8.1974, 12.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 9, Nr. 5. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 14.8.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 437; AAPD, 1974, Bd 2, Dok. 236, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 14.8.1974, S. 1028‑1030.

238

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

hätte Ankara zu schnellem Handeln gedrängt. Um die Bündnispartner zu beschwichtigen, betonte er, dass der Türkei sehr daran gelegen wäre, nach dem Ende der Krise mit Griechenland weiter im Rahmen der NATO zu kooperieren. Während sich die übrigen NATO-Botschafter weiter bedeckt hielten, wurden kritische Stimmen der Militärvertreter laut. Der anwesende Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, Flottenadmiral Peter John Hill-Norton, warnte die Mitglieder vor den Risiken, die dem Bündnis mit dem Ausscheiden Griechenlands drohten.360 Er verwies auf die Gefahr einer offenen Lücke an der Südostflanke sowie auf die zu erwartenden Folgen für die radartechnischen Überwachungsanlagen und das elektronische Frühwarnsystem der Allianz. Nach Auffassung der Militärexperten des Bündnisses würde die Verteidigungsplanung der NATO-Südflanke erheblich unter den Konsequenzen zu leiden haben. Trotz der Warnungen des Militärausschusses begnügten sich die Mitgliedsstaaten jedoch mit einem wenig erfolgversprechenden Appell an Griechenland und die Türkei, neue Verhandlungen aufzunehmen. Wie in der Situation nicht anders zu erwarten, stieß das Anliegen in Ankara auf taube Ohren. In den Folgetagen setzten die türkischen Verbände ihr Unternehmen fort und erreichten ihre Schlüsselziele.361 Die gepanzerten Kräfte stießen trotz Verzögerungsgefechten des Feindes weiter fächerförmig vor. Die türkischen Bataillone bewegten sich bewusst langsam, um die griechisch-zypriotische Bevölkerung zur Räumung ihrer Dörfer und Siedlungen zu animieren.362 Die Invasoren setzten dabei aktiv auf die Verbreitung von Schreckensnachrichten, um den Flüchtlingsstrom der griechischen Zyprioten in Richtung Süden zu beschleunigen. Die türkische Artillerie begleitete das Vorrücken mit heftigem Beschuss auf die verbliebenen Stellungen des Feindes, während türkische Jagdbomber pausenlos aus der Luft in das Geschehen eingriffen.363 Die türkischen Kräfte kesselten Nikosia schließlich von mehreren Seiten ein und versetzten die Hauptstadt in einen Belagerungszustand. UNO-Soldaten der verbündeten NATO-Partner gerieten wiederholt zwischen die Fronten und erlitten stellenweise Verluste durch türkischen Beschuss. An den Ostgrenzen der zyprischen Metropole lieferte sich die Nationalgarde mit den Angreifern erbitterte Gefechte.364 Griechisch-zypriotische Freiwilligenverbände griffen daneben gezielt die Ortschaften der türkischstämmigen Bevölkerung an. Volksgruppenkämpfe 360

361

362 363 364

Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 14.8.1974, TNA, FCO 9, 1942, Nr. 437; AAPD, 1974, Bd 2, Dok. 236, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 14.8.1974, S. 1028‑1030. Hier und im Folgenden, wenn nicht anders angegeben: CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 1; CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 12.30 Uhr, ebd., Box 8, Nr. 2; CIA-Bericht/SitRep, 15.8.1974, 7.00 Uhr, ebd., Box  9, Nr.  4; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 15.8.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 811; Stellungnahme BMVg, Fü S II für Bundesverteidigungsminister und BND, 16.8.1974, BArch, BW  2  10060, Nr.  45; CIA-Bericht/SitRep, 19.8.1974, 7.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 9, Nr. 13. Richter, Historische Hintergründe des Zypernkonflikts, S. 7. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 15.8.1974, BArch, BW 2 10061, Nr. 810; Asmussen, Cyprus at War, S. 229‑231. Die Quellen geben keinen Aufschluss darüber, inwieweit die beiden auf der Insel befindlichen regulären griechischen Verbände an den Kämpfen beteiligt waren, die Athen vor dem Waffenstillstand auf die Insel hatte verbringen können. Zweifelsfrei bleibt jedoch, dass diese Kräfte vom Nachschub aus Athen gleichfalls abgeschnitten waren.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

239

entfalteten sich abermals in sämtlichen Teilen der Insel. Bei Famagusta beschossen türkische Einheiten versehentlich Truppen der britischen Militärbasis Dhekelia und lösten beinahe ein örtliches Gefecht mit Kräften ihres britischen NATO-Partners aus. Die von Ankara beabsichtigte, gewaltsame ethnische Umsiedlung im Stile der 1920er Jahre nahm so ihren Lauf. Die Vertreibungstaktik gewann zusehends an Dynamik, während die Flüchtlingsströme beider Ethnien zahlreiche Straßen und Wege säumten.365 Türkische Armeeeinheiten misshandelten bei ihren Vormarsch stellenweise Angehörige der griechisch-zypriotischen Zivilbevölkerung und richteten systematisch Kriegsgefangene hin oder verschleppten diese in die Türkei.366 Die griechisch-zypriotische Nationalgarde reagierte darauf mit blutigen Vergeltungsmaßnahmen, die den Untaten der türkischen Truppen in nichts nachstanden. Rund 170 000 Personen beider Ethnien waren durch Flucht und Vertreibung von der »Flurbereinigung« betroffen. Die radikale griechischtürkische Bevölkerungsverschiebung des Jahres 1923 schien rund 50 Jahre später auf Zypern ihren tragischen Abschluss gefunden zu haben. Obgleich Athen weitere Teile seiner 3. Armee an den Evros verlegte, blieb die Lage in Thrakien ruhig.367 Die türkischen Verbände befanden sich in erhöhter Bereitschaft, vermieden jedoch, sich der Grenze zu sehr zu nähern, um keine Zwischenfälle mit griechischen Patrouillen zu provozieren. Der NATO-Rat bemühte sich unterdessen um eigene Schadensbegrenzung.368 Luns ermunterte die Mitgliedsstaaten, Verständnis für den griechischen Austritt aus den Militärstrukturen aufzubringen. Er wies auf den engen Handlungsspielraum Karamanlis’ und dessen schweres Erbe als demokratischer Nachfolger der Junta hin. Der SACEUR wiederum suchte vergeblich herauszufinden, ob Griechenland lediglich beabsichtigte, seine NATO-assignierten Truppen der Befehlsgewalt der Kommandobehörden der Allianz zu entziehen oder nach dem Vorbild Frankreichs gänzlich aus der integrierten Struktur auszutreten. Die türkische Armee schloss ihre Operation wenige Tage später erfolgreich ab.369 Mit der Einnahme Famagustas und seines bedeutenden Exporthafens hatte sie schließlich den gesamten Nordostteil der Insel besetzt und den strategisch wichtigen Flugplatz Timbou bei Nikosia erobert. Im Westen war ihnen die Stadt Morfou in die Hände gefallen. Die Ortschaft bildete einen Hauptumschlagplatz für den Export von Zitrusfrüchten und anderen Agrargütern, mit denen der zyprische Staatshaushalt bislang den Großteil seiner Einnahmen bestritten hatte. Der türkische Expeditionsverband trennte Nikosia schließlich auch von seiner Versorgung über den Seehafen Larnaca. Die Hauptstadt war 365 366 367 368

369

Asmussen, Cyprus at War, S. 265‑280; Richter, Geschichte der Insel Zypern, Bd 4, S. 538‑544. Asmussen, Cyprus at War, S. 274‑279; Richter, Historische Hintergründe, S. 7. CIA-Bericht/SitRep, 14.8.1974, 12.30 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 2. Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 16.8.1974, TNA, FCO  9, 1942, Nr. 443; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 16.8.1974, PA AA, B 150, Bd 311, Nr. 1138; Stellungnahme/Grobdisposition durch Dipl.-Politologe Markus an Stabsabteilungsleiter BMVg, Fü S III, BMVg Fü S III 1, Anlage 3, 22.8.1974, BArch, BW 2 6722. Stellungnahmen BMVg, Fü  S  II für Bundesverteidigungsminister und BND, 16.8., 17.8. und 18.8.1974, BArch, BW  2  10060, Nr.  45 (16.8.), o.Nr. (17.8., 18.8.); Stellungnahmen BMVg, Fü S II 2 an BND, 19.8. und 20.8.1974, BArch, BW 2 10060, Nr. 56 und Nr. 57; CIA-Bericht/ SitRep, 16.8.1974, 12.30 Uhr, und Bericht State Dep. Cyprius Task Force, 17.8.1974, 16.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 9, Nr. 8.

240

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

nun vollständig vom Nachschub abgeschnitten und stand kurz vor der Kapitulation. Der Widerstand der Nationalgarde und der griechisch-zypriotischen Milizen gegen die materielle Übermacht der türkischen Invasoren erlahmte zusehends. Die verbliebenen Kräfte der Nationalgarde begannen ins südliche Kernland der Insel auszuweichen. Die Verteidiger waren damit faktisch geschlagen. Seit dem 17. August kam es zu keinen nennenswerten Kampfhandlungen mehr. Die türkischen Truppen besetzten den nördlichen Teil Nikosias, der die spätere neue Hauptstadt der »Türkischen Republik Nordzypern« werden sollte. Ankara kontrollierte nun rund 36 Prozent der Insel und erklärte sich zu neuen Waffenstillstandsverhandlungen bereit. Ecevit konnte zufrieden sein. In einem pompösen militärischen Zeremoniell gratulierte er dem Türkischen Generalstab und suchte dabei seine eigene Rolle als führender Politiker des Landes hervorzuheben. Mit diesem Schachzug konnte er der Opposition Demirels den Wind aus den Segeln nehmen und sich endlich der Ergebenheit der türkischen Armeeführung versichern. Trotz der militärischen Überlegenheit seines Landes durfte er den Bogen aber nicht überspannen.370 Die Türkei musste nun Kompromisse eingehen. Die Kosten des Unternehmens lasteten schwer auf dem schwachen türkischen Staatshaushalt. Vor allem aber durfte Ankara die duldsame Haltung der Supermächte nicht überstrapazieren. Wenn das Land seinen Feldzug auf Zypern jetzt weiter nach Süden fortsetzte, drohte das Unternehmen für die Türkei einen ähnlichen Ausgang zu nehmen wie seinerzeit die Suezkrise für Großbritannien und Frankreich. In der griechischen Hauptstadt hingegen entlud sich der blanke Volkszorn gegen den amerikanischen Verbündeten.371 Die Öffentlichkeit ließ ihrer Wut in Form von ungezügelten, gewaltsamen Demonstrationen freien Lauf. Athens Straßen waren geprägt von Hasstiraden gegen den transatlantischen Partner, während im Parlament tiefste Verbitterung über das Verhalten Washingtons herrschte. Die diplomatischen und kommerziellen Einrichtungen der Vereinigten Staaten mussten durch Sicherheitskräfte vor Übergriffen geschützt werden. Die griechische Regierung hatte zudem begonnen, den militärischen Flugverkehr des amerikanischen Partners im griechischen Luftraum durch Auflagen und behördliche Schikanen einzuschränken.372 Die amerikanische Botschaft wies Washington darauf hin, dass Karamanlis Überlegungen anstellte, das bilaterale Abkommen über die US-Stützpunkte im Lande aufzukündigen. Athen spielte mit dem Gedanken, die strategische Partnerschaft mit der NATO und dem amerikanischen Verbündeten in den kommenden Jahren zu beenden und sich stattdessen stärker der EWG anzunähern.373 Die amerikanische Botschaft berichtete auch über neue Kontakte des griechischen Außenministeriums zur sowjetischen Botschaft.374 Obgleich Athen derartige Vorwürfe be370 371 372 373

374

Stellungnahme BMVg, Fü S II 2 an BND, 20.8.1974, BArch, BW 2 10060, Nr. 57. Richter, Griechenland 1950‑1974, S. 468 f.; Stellungnahme BMVg, Fü S II 2 an BND, 20.8.1974, BArch, BW 2 10060, Nr. 57. CIA-Bericht/SitRep, 16.8.1974, 17.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 8, Nr. 9. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 137‑167; Nikolinakos, Widerstand und Opposition in Griechenland, S. 314. Zu diesem Thema siehe neuerdings auch Karamouzi, Greece, The EEC and the Cold War; zur Person und dem politischen Werdegang Andreas Papandreous siehe die 2012 publizierte Monografie von Draenos, Andreas Papandreou. CIA-Bericht/SitRep, 19.8.1974, 17.00 Uhr, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977, Box 9, Nr. 15.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

241

stritt, verdächtigten amerikanische Geheimdienstmitarbeiter die griechische Regierung, mit Moskau über ein Militärabkommen zu verhandeln, um sich schrittweise von der NATO loszusagen. Die innergriechischen Entwicklungen und die außenpolitische Neuausrichtung Griechenlands führten im September 1974 schließlich zur Gründung der neuen, linksgerichteten Partei Panellinio Sosialistiko Kinima (PASOK) unter Andreas Papandreou, die den Grundstein für einen fortgesetzten Antiamerikanismus legte, der sich letztlich auch gegen die NATO in ihrer vermeintlichen Eigenschaft als Handlungsorgan Washingtons richtete.375

6. Die NATO als Stabilitätsfaktor an ihrer Südostflanke? Anders als in den vorangegangenen Konflikten um Zypern hatten im Sommer 1974 zum ersten Mal sämtliche Regulierungsmechanismen der NATO zur Bewältigung der Krise versagt. Die Allianz hatte sich erhofft, den Status quo ante auf Zypern wiederherstellen und die ungeliebten Diktaturen in Griechenland und Zypern beseitigen zu können, wenn sie eine türkische Militärintervention tolerierte. Jedoch war der türkische Bündnispartner nach der Landung seiner Truppen nicht mehr bereit gewesen, auf seinen Anteil am zyprischen »Kuchen« zu verzichten. Der Sturz der griechischen Junta, der Wiedereinzug der Demokratie in Griechenland und der Abgang Nikos Sampsons hatten nichts an dieser Haltung geändert. Zudem hatten Washington und Moskau die türkische Besetzung des Nordteils der Insel geduldet, da die Operation den globalen Zielsetzungen beider Supermächte nicht zuwiderlief. Während sich der Kalte Krieg 1964/65 ungewollt als Schlüsselfaktor erwiesen hatte, den Konflikt um Zypern zu entschärfen, hatte die nachlassende Konfrontation zwischen den Blöcken im Jahr 1974 genau das Gegenteil bewirkt. Die griechisch-türkische Krise war eskaliert. Nicht die NATO hatte den drohenden Krieg zwischen Griechenland und der Türkei verhindert. Vielmehr waren beide Staaten von sich aus davor zurückgeschreckt, sich wegen des Zankapfels Zypern auf einen Feldzug einzulassen, der sich nicht nur auf die Insel beschränken, sondern sich auch auf Thrakien, die Ägäis und das übrige östliche Mittelmeer hätte ausweiten können. Die NATO-Mitglieder hatten nicht den Willen aufgebracht, den türkischen Bündnispartner gemeinschaftlich an der Fortsetzung seiner Militäroperation zu hindern. Sie hatten den amerikanischen Interessen an der Türkei offenkundig größere Bedeutung beigemessen als der NATO-Bindung des griechischen Partners und ihren bündnisinternen Zusammenhalt den nationalen Interessen der amerikanischen Führungsmacht untergeordnet. Die Zielsetzungen der europäischen Bündnispartner hatten in mancherlei Hinsicht im Einklang mit den Nahost-Ambitionen Washingtons gestanden. Auch hatte die Allianz weder den politischen Weg der griechischen Diktatur noch die desaströse Zypernpolitik der Junta zu verantworten. Jedoch hatten die Bündnismitglieder nach der Rückkehr Athens zu demokratischen Verhältnissen und dem Sturz Nikos Samp375

Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 98; Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO, S. 111.

242

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

sons nicht den kollektiven Willen aufgebracht, sich den radikalen Zielen der Türkei entgegenzustellen, um das griechische Vertrauen in die NATO wiederzugewinnen und den blutigen Kampfhandlungen auf Zypern ein Ende zu setzen.376 Selbst im Lichte der Erkenntnis, dass die bündniseigene Militärstruktur erheblich unter den Konsequenzen leiden würde, hatte die Allianz die interessengeleitete Türkeipolitik ihres mächtigen amerikanischen Partners vor ihren inneren Zusammenhalt und vor die Grundsätze des Nordatlantikvertrages gestellt, obwohl die Mitgliedsstaaten die kriegerischen Handlungen ihres türkischen Verbündeten im Grunde zutiefst missbilligen mussten: Unbenommen der Frage nach der Legitimation der türkischen Besetzung Nordzyperns, stellten die archaisch anmutenden, gewaltsamen ethnischen Bevölkerungsverschiebungen durch türkische Truppen eine schwere Verletzung des Nordatlantikvertrages dar.377 Wie sich im Nachgang gezeigt hatte, war Ankara auch nicht geneigt gewesen, in Genf ernsthaft über friedliche Alternativen zur Lösung der Inselkrise zu verhandeln. Dies bedeutet nicht, dass die NATO im Gegenzug für die griechische Seite Partei ergreifen und damit das türkische Vertrauen in die Allianz hätte zerstören sollen. Wie aber die Krise des Jahres 1967 unmissverständlich gezeigt hatte, konnten kollektive Angebote und Aussichten auf eine Erhöhung der Wirtschafts- und Militärhilfen mitunter auch den türkischen Bündnispartner dazu bewegen, seine Zypernziele moderater zu verfolgen – vorausgesetzt, der amerikanische Verbündete war willens, die Allianz in dieser Angelegenheit nach Kräften zu unterstützen. Im Jahre 1967 hatte die Türkei preisgegeben, unter Umständen doch von ihren Zypernansprüchen zurückzutreten und im Sinne des bündnisinternen Zusammenhalts einen kooperativen, kompromissbereiten Ausgleich mit Griechenland zu suchen. Kollektive, militärisch-ökonomische Anreize vonseiten der euroatlantischen Partner, wie beispielsweise die Lieferung moderner Leopard-Panzer378 für die türkischen Streitkräfte, Entwicklungshilfen und Schuldenerlässe über den Weg der EWG, aber auch Anreize zur Beschäftigung weiterer türkischer Gastarbeiter in der westdeutschen Industrie hätten daher im Verbund zweifelsohne Wirkung erzielen können.379 Im Spiegel der hohen Staatsverschuldung, der grassierenden Arbeitslosigkeit und 376

377

378 379

Dies traf selbst auf den eigenwilligen Bündnispartner Frankreich zu, der nach der Verstaatlichung der Öl- und Gasreserven Algeriens von der OPEC in ebenso große Abhängigkeit geriet wie seine westlichen Verbündeten. Hierzu Di Nolfo, The Cold War and the Transformation of the Mediterranean, S. 256. In Artikel 1 des Nordatlantikvertrages hatten sich alle Mitgliedsstaaten verpflichtet, sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung und Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar wären. Unbenommen der völkerrechtlichen Legitimation, die Ankara aus dem Londoner und Züricher Garantievertrag für seine Militärintervention zog, widersprach eine Politik gewaltsamer ethnischer Säuberungen auf dem Territorium eines fremden Inselstaates auch bei großzügiger Auslegung dem Inhalt des Vertrages. Die Türkei erhielt erste Kampfpanzer vom Typ Leopard I nicht vor Anfang der 1980er Jahre. Sen, Türkische Arbeitnehmergesellschaften, S.  38, hier: Die türkischen Gastarbeiter in Westdeutschland waren für Ankara insofern wirtschaftspolitisch bedeutsam, als diese die hohe Arbeitslosigkeit im Lande dämpfen und durch Geldtransfers in ihre Heimat gleichzeitig erheblich zur Reduzierung des türkischen Handelsbilanzdefizits mit der Bundesrepublik Deutschland beitrugen. Seit der Ölkrise hatte die Bundesrepublik jedoch einen Anwerbestopp verhängt. Gürbey, Die Türkei-Politik der Bundesrepublik Deutschland, S. 215‑217, zufolge hatte die Anwerbung türkischer Gastarbeiter seit dem deutsch-türkischen Abkommen im Jahre 1961 sogar den wichtigsten Faktor der deutsch-türkischen Wirtschaftsbeziehungen dargestellt.

VI. Der Höhepunkt der griechisch-türkischen Krisen

243

des hohen Modernisierungsbedarfs der türkischen Streitkräfte hätte die NATO der türkischen Regierung mit materiellen Anregungen größere Handlungsspielräume gegenüber Armee und Opposition verschaffen können. Wenn die Türkei auf diesem Wege eingelenkt hätte, wäre die Allianz auch den geopolitischen Nahostinteressen Washingtons gerecht geworden, ohne ihren bündnisinternen Zusammenhalt opfern zu müssen. Das Bündnis hatte aber nicht den gemeinschaftlichen Willen aufgebracht, sich aktiv und kollektiv für einen möglichen Ausweg einzusetzen, der Ankara veranlasste, seine Offensive einzustellen, und der Athen dazu bewegte, die griechischen Zyprioten zu entwaffnen, um künftige Auseinandersetzungen mit der türkischen Volksgruppe zu unterbinden. In diesem Kontext hatte die Allianz die Möglichkeit verstreichen lassen, die drei Garantiemächte gemeinschaftlich dazu anzuhalten, Zypern zu entmilitarisieren, Enklaven und Pufferzonen zwischen den verstreuten Siedlungen der Volksgruppen einzurichten, einen teilautonomen Sonderstatus für die türkisch-zypriotischen Dörfer und Siedlungen zu etablieren und die ungehinderte Bewegungsfreiheit aller Ethnien auf der Insel sicherzustellen.380 Der NATO selbst hätte hier eine Schlüsselrolle zufallen können. Der alte Plan aus dem Jahre 1964 zur Aufstellung einer Friedenstruppe des Bündnisses lag nach wie vor in den Schubladen des Foreign Commonwealth Office. Solange das Bündnis daran festgehalten hätte, den souveränen Status der Insel wiederzustellen, und keine Ambitionen gehegt hätte, dort eigene Stützpunkte zu errichten, hätte es dem Kreml nur eine geringe Angriffsfläche geboten. Vor dem Hintergrund der KSZE-Verhandlungen wäre ein derartiger Ansatz in der Tat erfolgversprechend gewesen. Stattdessen aber hatte die NATO unter der Ägide Washingtons die katastrophalen Entwicklungen auf Zypern und den daraus resultierenden Austritt ihres griechischen Bündnispartners aus den integrierten Militärstrukturen in Kauf genommen. Die Konsequenzen dieser Entscheidung ließen nicht lange auf sich warten: Der verhängnisvolle Entschluss führte bereits im Folgejahr 1975 dazu, dass sich das türkische Verhältnis zu Washington und der NATO erheblich verschlechterte, statt sich zu verbessern. Die angedachte Rolle der Türkei als verlässlicher geopolitischer und geostrategischer Vorposten der westlichen Hemisphäre gegen eine Ausdehnung des sowjetischen Einflusses im Nahen und Mittleren Osten und ihre Funktion als (wirtschafts-)politisches Bindeglied des Westens zum Vorderen Orient stand damit in Frage. Die Unwägbarkeiten der amerikanischen Politik und der folgenreiche Beschluss des Senats, auf Drängen der griechisch-amerikanischen Lobby ein Waffenembargo gegen die Türkei zu verhängen, zerstörten das neu gewonnene Vertrauen zwischen Washington und Ankara.381 Letzten Endes bewirkte das einseitige Vorgehen der NATO, dass sich sowohl Griechenland als auch die Türkei vom Bündnis distanzierten und die Südostflanke des Bündnisses in der zweiten Hälfte der 1970er Jahre ihre instabilste Phase seit dem Beitritt der beiden Staaten im Jahre 1952 durchlebte. 380

381

Hier kann ein Vergleich zur späteren Vorgehensweise der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung der NATO in den 1990er Jahren im Rahmen des KFOR- und SFOR-Einsatzes sowie der OSZE-Missionen nach dem jugoslawischen Bürgerkrieg gezogen werden. Hierzu exemplarisch das ältere, aber nach wie vor detaillierteste Werk: Campany, Turkey and the United States; sowie Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 210 und S. 217; und Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 108‑119.

VII. Die langfristigen Auswirkungen auf das Bündnis 1974‑1980 1. Konsequenzen für die Militärorganisation der NATO Auf den ersten Blick betrachtet, hatte der griechische Austritts aus den integrierten Strukturen der NATO nur marginale Schäden angerichtet. Der Verlust des griechischen Streitkräftepotenzials schien weder die konventionellen noch die nukleartaktischen Fähigkeiten der Allianz zu mindern. Athen wäre auch vor Ausbruch der vierten Zypernkrise kaum in der Lage gewesen, sein Staatsgebiet gegen eine Aggression des Warschauer Paktes eigenständig zu verteidigen.1 NATO-interne Studien hatten zudem die strukturellen Mängel der griechischen und türkischen Armeen offengelegt.2 Die Landstreitkräfte beider Bündnispartner verfügten nur über unzureichende Fähigkeiten zur Abwehr der zahlreichen mechanisierten Verbände des gegnerischen Paktes. Auch klaffte eine tiefe Lücke zwischen den Forderungen des Bündnisses und der tatsächlichen Zahl ihrer gepanzerten Kräfte. Weder die Waffensysteme noch der Grad der Beweglichkeit und Mechanisierung ihrer Truppen entsprachen dem Stand der technischen Entwicklung. Gleiches galt für die Seestreitkräfte. Mit Blick auf die Einsatzbereitschaft und Kampfkraft der SOVMEDRON besaß Griechenlands Flotte für die NATO lediglich den Wert einer maritimen Hilfstruppe. Nicht zuletzt befanden sich auch die Luftwaffen beider Partner in einem argen Zustand. Die Masse der Luftfahrzeuge war deutlich überaltert und litt an chronischem Ersatzteilmangel. Die Luftstreitkräfte waren weder fähig, ihren eigenen Luftraum ohne fremde Hilfe zu verteidigen, noch verfügten ihre Jäger über Nachtkampfeigenschaften. Athen zielte keineswegs darauf ab, seine militärischen Bündnispflichten zu vernachlässigen und dadurch dem Warschauer Pakt eine ungeschützte Flanke zu überlassen, doch war es nicht von der Hand zu weisen, dass die Griechen über eine wenig effektive Verteidigungsaufstellung verfügten.3 Der Griechische Generalstab konzentrierte große Teile seiner Truppen in Westthrakien und auf den ägäischen Inseln, um den türkischen Nachbarn abzuschrecken. Die griechische Militärführung setzte ihre Streitkräfte dabei der Gefahr aus, im Falle einer Auseinandersetzung mit der WVO von bulgarischen und rumänischen Angriffsverbänden rasch eingekesselt zu werden. Dar1 2 3

Report of the Executive Working Group on the Defence Problems of the Alliance, 30.5.1974, NATO, AC/281-D (74). Ebd.; Studie Chiefs of Staff Committee – Defence Policy Staff, British Armed Forces, 12.5.1975, TNA, FCO 41, 1695, Nr. 207/75. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache.

DOI: 10.1515/9783110465273-007

VII. Die langfristigen Auswirkungen

245

über hinaus begann Athen trotz knapper Finanzmittel, kostspielige Radargeräte auf dem Dodekanes zu installieren.4 Die Anlagen sollten dazu dienen, türkische Truppenbewegungen an der ägäischen Küste auf Schritt und Tritt zu überwachen. Der deutsche Militärattaché in Athen urteilte daher, dass Griechenland im Falle eines Konflikts mit dem Warschauer Pakt nur wenig zur integrierten Verteidigung des NATO-Bündnisgebiets würde beitragen können.5 Wie der NATO-Militärausschuss aber im Sommer 1974 bereits prognostiziert hatte, stellte sich das Ausmaß der Konsequenzen weit gravierender dar, als dies auf der politischen Ebene der NATO zunächst wahrgenommen worden war. Das griechische Ausscheiden aus den integrierten Strukturen beraubte die NATO ihrer Fähigkeit, die Staatsgebiete Bulgariens, Albaniens und Südjugoslawiens mit elektronischen Mitteln wirksam zu überwachen.6 Gleiches galt für die Region um Kreta und Teile des Ionischen Meeres. Mit dem Ausstieg Athens aus dem NADGE hatte die NATO ihren Zugriff auf die radartechnischen Frühwarnanlagen auf griechischem Boden verloren. Somit stand in Frage, ob das Bündnis ein Eindringen gegnerischer Luftfahrzeuge in den Kommandobereich des Hauptquartiers der Alliierten Streitkräfte Süd (AFSOUTH) im Bedarfsfall noch zeitgerecht orten konnte.7 Ferner hatte der griechische Austritt die Radaranlagen auf türkischem Boden und das türkische Luftverteidigungssystem isoliert. Die NATO war nicht mehr imstande, die Südostflanke mit ihrer Überwachungselektronik flächendeckend abzuschirmen. Auch hatte Griechenland seine Jagdmaschinen sowie sein Bodenpersonal von der SIXATAF in Izmir abgezogen und eine einstweilige Lücke in deren Flugbereitschaft gerissen. Die NATO war folglich gezwungen, den Verlust dieser taktischen Komponente mit Hilfe der im italienischen Vicenza gelegenen 5. Luftflotte (FIFTHATAF) und den trägergestützten Flugzeugen der STRIKEFORSOUTH auszugleichen. Die 6. US-Flotte selbst lief jedoch Gefahr, ihre griechischen Hafenstützpunkte aus dem bilateralen Home Porting Agreement zu verlieren. Da Athen auf diesem Wege die Bewegungsfreiheit des US-Verbündeten in der Ägäis beschnitt, wurde es zusehends schwieriger, die türkischen Meerengen im Bündnisfall gegen eine äußere Aggression zu verteidigen.8 Mit Blick auf die STRIKEFORSOUTH blieb fraglich, wie viel die Flotte – abgesehen von ihrem nuklearen Potenzial – aktiv zur Verteidigung des Bündnisgebiets beitragen konnte.9 Ihre Flugzeugträger würden sich im Kriegsfall einer akuten Bedrohung 4 5 6 7

8 9

Drahtbericht bdt. MilAttaché an BMVg, 18.2.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113496, Nr. 21/76. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. Ebd. Mitteilung NATO Acting Secretary an Ständige Vertreter, 8.8.1975, NATO PO (75) 93 (aus den Akten BArch, BW 2 6620, da im NATO-Archiv nicht öffentlich zugänglich, obwohl als UNCLASSIFIED eingestuft); AAPD, 1976, Bd 2, Dok. 330, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 18.11.1976, S. 1496‑1502; Drahtbericht DMV an BMVg, Fü S III, 15.8.1974, BArch, BW 2 5780, Nr. 5677/ 74; BArch, BW 2 6620, Verschlusssache; BArch, BW 2 6707, Verschlusssache; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 25.4.1975, TNA, FCO 9, 2227, Nr. 187; Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 13.2.1975, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Pres. Agency File 1974‑1977, Box 17, SECRET 9555, NATO 790, Nr. 61. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 12.9.1975, PA AA, B 14-201, Bd 113495, Nr. 631; Wilson, The US Sixth Fleet, S. 5‑7. Wilson, The US Sixth Fleet, S. 47.

Quelle: eigene Darstellung.

nach 1974 kein griech. Personal mehr 1978 geplant, aber nicht umgesetzt

1 2

© ZMSBw 07893-03

Land Forces South Central Europe (COMLANDSOUTHCENT) 2 Larissa, Griechenland

Commander 7th ATAF 2 Larissa, Griechenland

Land Forces Southeastern Europe (COMLANDSOUTHEAST) 1 Izmir, Türkei

Commander 6th ATAF 1 Izmir, Türkei

Commander Air Force Southern Europe (COMAIRSOUTH) Neapel, Italien

Commander 5th ATAF Vicenza, Italien

Commander Land Forces Southern Europe (COMLANDSOUTH) Verona, Italien

Commander Naval Striking and Support Forces Southern Europe (COMSTRIKEFORSOUTH) 6. US-Flotte

Commander Allied Naval Forces Southern Europe (COMNAVSOUTH) Neapel, Italien

Commander-in-Chief Allied Forces Southern Europe (CINCSOUTH) Neapel, Italien

Supreme Allied Commander Europe (SACEUR) Casteau, Belgien

Militärstruktur der Südflanke der NATO Mitte der 1950er Jahre bis Ende der 1980er Jahre (ohne britische Mittelmeerflotte, die bis 1967 existierte)

246 VII. Die langfristigen Auswirkungen

VII. Die langfristigen Auswirkungen

247

durch sowjetische U-Boote erwehren müssen. Zudem musste die Allianz im äußersten Fall damit rechnen, rund 90 Prozent ihrer durch die Türkei verlaufenden Fernmeldeverbindungen zu verlieren.10 Die Anschlussstellen wurden nach wie vor von griechischem Personal betrieben. Wenn Athen auch hier seine fortgesetzte Kooperation versagte, drohten die türkischen Streitkräfte von der NATO fernmeldetechnisch abgeschnitten zu werden. Weder das drahtlose Funknetz noch die Satellitentechnik waren zu dieser Zeit leistungsfähig genug, einen Ausfall der griechischen Kabelverbindungen zu überbrücken. Im Bündnisfall war dann an eine geschlossene Verteidigung des Südostabschnitts nicht mehr zu denken. Der griechische Abzug beeinträchtigte auch die integrierten Planungsabläufe. Athen weigerte sich fortan, am Defence Review Committee11, am Ausschuss für Verteidigungsplanung der NATO (Defence Planning Committee) und in der Nuklearen Planungsgruppe des Bündnisses mitzuarbeiten.12 Ferner entzog der Griechische Generalstab den integrierten Stäben und Kommandobehörden der Allianz den Großteil seines nationalen Personals. Lediglich im Obersten Hauptquartier der Alliierten Streitkräfte in Brüssel (SHAPE), im NATO-Militärausschuss in Washington und beim Stab der Landstreitkräfte Süd (LANDSOUTH) in Verona beließ Athen seine militärischen Vertreter. Die griechische Militärführung erteilte den Verbindungsoffizieren der NATO keine Auskünfte mehr über Lage, Zustand und Truppenbewegungen ihrer Streitkräfte.13 Die Arbeit im Hauptquartier des Commander Eastern Mediterranean Area (COMEDEAST)14 stand vollends still. Bei AFSOUTH in Neapel reduzierte die griechische Armee ihr Personal um rund 40 Prozent und störte die dortigen strategischen Planungsabläufe für die Südostflanke. In den Hauptquartieren von LANDSOUTHEAST und der SIXATAF blieben die Posten der griechischen Soldaten vollständig unbesetzt, wodurch die Arbeits- und Einsatzbereitschaft beider Stäbe vorübergehend zum Erliegen kam. Bislang hatten dort griechische und türkische Stabsoffiziere unter dem Kommando eines amerikanischen Befehlshabers gemeinschaftlich ihren Dienst versehen.15 Mit dem Abzug des griechischen Personals stellten sich die Streitkräfte und das Staatsgebiet Athens künftig als weißer Fleck auf den taktischen Lagekarten der NATO dar. Auch der nunmehr rein

10 11

12 13 14

15

Drahtbericht DMV an BMVg Fü S III, 15.8.1974, BArch, BW 2 5780, Nr. 5677/ 74. Das NATO Defence Review Committee (DRC) verfasste u.a. Langzeitstudien über die Struktur, die Beschaffenheit und den militärischen Wert der nationalen und NATO-assignierten Streitkräfte der einzelnen Bündnispartner, um deren Wert für die integrierte Bündnisverteidigung zu analysieren und den entsprechenden Verbesserungs- und Modernisierungsbedarf zu erfassen. Hierzu exemplarisch: DRC, NATO Defence Planning 1975‑1979, Turkey, Note by Chairman, 18.11.1974, NATO, DRC/WP (74) 5. Ebd.; Bewertung der Folgen des Austritts Griechenlands aus der militärischen Integration durch Oberstleutnant i.G. Köhler, BMVg, Fü S III 1, 4.10. und 9.10.1974, BArch, BW 2 6707. Drahtbericht bdt. MilAttaché Athen an BMVg, 19.8.1975, PA AA, B  14-201, Bd  113495, Nr. 98/75. Der COMEDEAST mit Sitz in Athen zeichnete verantwortlich für die ägäischen, ionischen und kretischen Gewässer. Bis zum Austritt Athens aus der integrierten Struktur hatte der griechische Chef des Marinestabes in Athen diesen Posten inne. Hierzu McDonald, Alliance Problems, S. 75. Ebd.; Drahtbericht bdt. MilAttaché Athen an BMVg, 19.8.1975, PA AA, B 14-201, Bd 113495, Nr.  98/75; Rebhan, Der Aufbau des militärischen Instruments der NATO, S.  214; McDonald, Alliance Problems, S. 75.

248

VII. Die langfristigen Auswirkungen

griechisch besetzte, vorgeschobene Gefechtsstand von LANDSOUTHEAST in Thessaloniki stellte seine Arbeit ein. Aus geostrategischer Perspektive beschränkten sich die Gefahren für die NATO aber nicht nur auf ihre exponierte Flanke.16 Da Athen sowohl seine Teilnahme an gemeinsamen Manövern als auch den Einsatz des flexiblen Elements der Allied Mobile Force auf seinem Staatsgebiet untersagte, konnte die NATO das griechische Territorium – selbst wenn sie es gewollt hätte – im Zweifelsfall nicht mehr mit kollektiven Mitteln verteidigen.17 Griechenland untersagte den Militärattachés der NATO-Partner im August 1975, den Verlauf der Sommerübung »Ptolemäus« seiner Landstreitkräfte zu beobachten.18 Daneben verbot die Regierung türkischen NATO-Verbänden, fortan griechische Hoheitsgewässer zu durchqueren oder den griechischen Luftraum zu überfliegen.19 Das Bündnis war dementsprechend nicht mehr imstande, größere Manöver in der Region einsatznah zu gestalten, zumal Ankara unter den gegebenen Umständen auch seine Teilnahme an der Frühjahrsübung WINTEX  75 absagte.20 Mit dem Ausscheren Athens war der Warschauer Pakt potenziell in der Lage, weite Teile Griechenlands mit nur schwachen Kräften im Handstreich zu besetzen. Aus Sicht der Militärführung der NATO konnte das Vereinte Oberkommando der WVO im Bedarfsfall die bislang gegen das griechische Staatsgebiet gerichteten Kräfte von zehn mechanisierten Divisionen mit rund 2000 Kampfpanzern und 450 taktischen Flugzeugen von der bulgarisch-griechischen Grenze abziehen und an der mitteleuropäischen Front der DDR und der ČSSR positionieren. Obgleich dies nicht geschah, verfügte Moskau theoretisch über ein Mittel, den Druck auf die NATO zu erhöhen, dass sie am innerdeutschen Mittelabschnitt zusätzliche Kräfte als Gegengewicht in Stellung brachte. Vor dem Hintergrund der euroatlantischen Querelen um die Frage der militärischen und finanziellen Lastenteilung hätte ein solcher Schritt für weitere, unangenehme Verstimmungen zwischen Washington und den europäischen Allianzpartnern sorgen können. Schwerer noch wogen die Folgen, die aus dem amerikanischen Embargo gegen die Türkei herrührten. Als Antwort auf die türkische Besetzung Nordzyperns hatte die griechisch-amerikanische Lobby zahlreiche Senatsabgeordnete mobilisiert, denen es gelang, ein einstweiliges Waffenembargo gegen Ankara zu verhängen.21 Der Kongress hatte damit die ambitionierte Nahostpolitik der amerikanischen Regierung zunichte gemacht. Zwar hatte der politische Einfluss der griechischstämmigen Amerikaner seit 1970 spür16 17 18 19

20

21

BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 270; Stellungnahme BMVg, Fü S III 6 an Fü S III 1, Beziehungen Griechenlands zur NATO, 4.3.1977, BArch, BW 2 10023, Nr. 1490/77. Drahtberichte bdt. MilAttaché Athen an BMVg, 19.8. und 1.9.1975, BArch, BW  4  3067, Nr. 99/75 und Nr. 105/75. AAPD, 1976, Bd 2, Dok. 330, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 18.11.1976, S. 1496‑1502; Mitteilung NATO Acting Secretary an Ständige Vertreter, 8.8.1975, NATO PO (75) 93 (aus den Akten BArch, BW  2  6620, da im NATO-Archiv nicht öffentlich zugänglich, obwohl als UNCLASSIFIED eingestuft). Näheres zur NATO-Übung WINTEX  75 ausführlich bei Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 120 f.; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 27.2.1975, TNA, FCO 9, 2340, Nr. 108. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S.  108‑112; Campany, Turkey and the United States, S. 55‑66; Uslu, The Turkish American Relationship, S. 210‑217; Geiger, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO, S. 174 f.; Mackenzie, Greece and Turkey, S. 13.

VII. Die langfristigen Auswirkungen

249

bar abgenommen. Die AHEPA war jedoch nach wie vor stark genug, in außenpolitischen Fragen Druck auf Washington auszuüben, den griechischen Forderungen nach Sanktionen gegen die Türkei Rechnung zu tragen. Obwohl die europäischen NATO-Partner den fehlenden Nachschub der türkischen Streitkräfte mit Billigung Washingtons nach Kräften auszugleichen suchten, verschärfte das Embargo die ohnehin prekäre Materiallage der Türkei.22 Es fehlte bald nicht nur an Ersatzteilen, Ausrüstungs- und Munitionsbeständen, sondern auch an ausgebildeten Technikern zur Materialerhaltung und Instandsetzung elektronisch betriebener Waffensysteme und Flugzeugtriebwerke.23 Ähnliches galt für den Ausbildungsstand türkischer Piloten und Offiziere. Das Personal war bislang ausschließlich in den Vereinigten Staaten unterrichtet worden. Die operationelle und logistische Handlungsfähigkeit der türkischen Luft- und Seestreitkräfte reduzierte sich derart, dass jene ihre westlichen Verbündeten im Zweifelsfall nur noch mit minimalen Kräften unterstützen konnten. Die Situation der Landstreitkräfte stellte sich zwar mit Blick auf deren Kampfkraft als günstiger dar. Jedoch fehlte den Bodentruppen zunehmend funktechnisches Feldgerät. Ohne ausreichende Fernmeldemittel war an ein Zusammenwirken mit den Partnerarmeen der Verbündeten aber nicht mehr zu denken. Darüber hinaus klagten die türkischen Kommandeure über den zunehmenden Mangel an modernen Panzerabwehrlenkflugkörpern, ohne die die türkischen Truppen den mechanisierten Kräften des Warschauer Paktes im Falle von Kampfhandlungen nicht mehr gewachsen waren. Darüber hinaus reagierten die türkischen Regierungen unter Ecevit und Demirel auf die amerikanische Ausfuhrsperre mit scharfen Gegenmaßnahmen, die nicht ohne Konsequenzen für die NATO blieben. Ankara untersagte den US-Streitkräften im Lande, ihre Stützpunkte fortan weiter zu nutzen, soweit die Basen nicht ausdrücklich NATO-eigenen Zwecken dienten.24 Auch stellte die türkische Regierung sämtliche US22

23 24

Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 115; BArch, BW 2 6620, Verschlusssache; Bericht Nr.  II/1975, DMV an BMVg, Militärpolitik, Strategie, Verteidigungsplanung – Die Südflanke der NATO, 25.11.1975, BArch, BW  3  1576; Geiger, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO, S. 174 f. Bundesverteidigungsminister Georg Leber bezeichnete die Sanktionen des amerikanischen Senats im Februar 1976 als »dumm und gefährlich« und kritisierte aufs Heftigste die Vorgehensweise des US-Verbündeten, die Türkei aus nationalen Beweggründen derart zu brüskieren (siehe hierzu den Artikel: Leber kritisiert in der Türkei den amerikanischen Senat, Süddeutsche Zeitung, 4.2.1976). Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 4.2.1976, PA AA, B 150, VS-Bd 14069, Nr. 118 (nähere Angaben n.b.; auch als Anm. 11 abgedr. in: AAPD, 1976, Bd 1, Dok. 30, Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 18.11.1976, S. 119‑122); Drahtbericht bdt. MilAttaché Ankara an BMVg, 5.1.1976, BArch, BW 4 2161, Nr. 1/76; Interne Stellungnahme AA für Bundesaußenminister, Ref 203, 28.7.1975, PA AA, B 14-201, Bd 113508, Nr. 321.00 TUR; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 28.12.1976, PA AA, B 14-201, Bd 110224, Nr. 1234; Gesprächsprotokoll US-Präsident Ford mit NATO-Generalsekretär Luns, 10.9.1975, , letzter Aufruf 12.1.2017; Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 21.3.1975, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Pres. Agency File 1974‑1977, Box 17, SECRET 5691, NATO 1569, Nr. 62; Telegramm Ständiger US-Vertreter (NATO) an State Dep., 10.4.1975, ebd., SECRET 1677, NATO 1952, Nr. 42. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. Lundestad, The United States and Western Europe, S. 187; Grosser, The Western Alliance, S. 285 f.; McDonald, Alliance Problems, S. 78; Güney, Anti-Americanism in Turkey, S. 475; Zukunft der US-Basen ungewiss, Bonner Rundschau, 10.7.1975.

250

VII. Die langfristigen Auswirkungen

Militärstützpunkte unter türkische Hoheit. Washington erhielt strenge Auflagen für den Einsatz seiner fliegenden Verbände und die Stationierung atomarer Waffensysteme. Die Türkei gefährdete damit den strategischen Lufttransport des US-Partners zur Unterstützung seiner Truppen in der Türkei. Ferner untersagte die türkische Regierung dem amerikanischen Verbündeten, seine Radarstationen aus dem NADGE zur Überwachung des ukrainisch-kaukasischen Gebiets der Sowjetunion und des Schwarzen Meeres weiter zu betreiben. Das amerikanische Personal auf türkischem Boden war fortan nur mehr berechtigt, Wartungsarbeiten an den dortigen Anlagen vorzunehmen, aber nicht befugt, diese in Betrieb zu nehmen. Mit deren Schließung konnte Washington auch weite Teile des östlichen Mittelmeers nicht mehr vom Lande aus observieren. Darunter litt die taktische Effektivität der STRIKEFORSOUTH. Dementsprechend konnte die NATO die Tätigkeit der sowjetischen Streitkräfte auf den nuklearen Raketenabschussanlagen im Süden der UdSSR nur mehr eingeschränkt observieren.25 Dies schloss auch atomare Tests der Strategischen Raketentruppen ein. Gleiches betraf generelle Truppenbewegungen des Warschauer Paktes an der Peripherie zur Südflanke der NATO. Das Bündnis verfügte fortan weder über eine Handhabe, die Auflagen aus dem SALT-Vertrag nachhaltig durchzusetzen, noch war die NATO befähigt, das sowjetische Militärpotenzial in diesem Teil der Welt zuverlässig abzuschätzen. Der deutsche Militärvertreter im MC räumte im August 1975 in einer geheimen Stellungnahme ein, dass die Verteidigungsaufstellung der NATO an ihrer Südostflanke beträchtlichen Schaden genommen habe.26 Dies betraf seinem Urteil nach nicht nur die Aufklärungsfähigkeiten, sondern auch den Einsatz der landgebundenen, atomaren Waffensysteme der US-Streitkräfte auf türkischem Boden.27 Der Türkische Generalstab rief zudem eine neue, der NATO nicht unterstellte 4.  »Ägäische« Armee ins Leben, die sich aus zwei neu aufgestellten Brigaden zusammensetzte und mit Landungsbooten, Kampfhubschraubern und Marineinfanterie ausgestattet war. Ankara begründete diese Maßnahme mit der griechischen Remilitarisierung der ägäischen Inseln. Zwar waren sich Militär und Regierung durchweg bewusst, dass der griechische Nachbar keine wirkliche Gefahr für die nationale Sicherheit des Landes darstellte. Dennoch sollte der Verband im Bedarfsfall auf eine griechische Aggression reagieren, indem er die ostägäischen Inseln zügig besetzte.28 Wenngleich Größe und Einsatzwert dieser neuen Streitmacht nicht überschätzt werden durften, nahm Ankara mit deren Aufstellung billigend in Kauf, der 1. Türkischen Armee am Bosporus wertvolle Ressourcen zu entziehen und die Sicherung der Meerengen zu schwächen. Insgesamt wurde die Militärorganisation der NATO von den Entwicklungen schwer getroffen. Zwar wurden die Schlagkraft und Einsatzbereitschaft der Bündnisstreitkräfte 25

26 27 28

AAPD, 1976, Bd 2, Dok. 330, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 18.11.1976, S.  1496‑1502; BArch, BW  2  6620, Verschlusssache; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 14.2.1975, BArch, BW 2 6620, Nr. 166; Bdt. Botschaft Ankara an AA, 14.2.1976, BArch, BW 2 6620, Nr. 166; Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 30.7.1975, PA AA, B 14-201, Bd 113508, Nr. 810; Wilson, The Aegean Dispute (1984), S. 110. BArch, BW 2 6620, Verschlusssache. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 14.2.1975, BArch, BW 2 6620, Nr. 166. Fernschreiben BMVg, Fü S III 1 an AA, 17.6.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113508 (o.Nr.); Brown, Delicately Poised Allies, S. 92, 97‑99; Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 190; Axt/ Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 31.

VII. Die langfristigen Auswirkungen

251

im europäischen Mittelabschnitt und an der Nordflanke von den Ereignissen an der Südostflanke kaum beeinträchtigt. Gleichwohl litt die Militärorganisation der Allianz unter substanziellen Einschränkungen. Der Verlust der technischen Möglichkeiten zur Aufklärung und Frühwarnung erwies sich als tiefer Einschnitt in die Fähigkeit des Bündnisses, zeitgerecht auf eine externe Aggression an der Südflanke zu reagieren. Der militärische Arm der Allianz war somit auf einem wichtigen Auge seines elektronischen Frühwarnsystems und seiner radartechnischen Überwachung blind geworden. Die Satellitentechnik war in den 1970er Jahren noch nicht annähernd so weit entwickelt, um derartige Einbußen ohne Weiteres zu kompensieren. Aus militärischer Sicht war der Südosten damit in weiten Teilen sprichwörtlich zur offenen Flanke geworden. Die Truppen des Warschauer Vertrages konnten in den betroffenen Sektoren verdeckte Angriffsvorbereitungen treffen oder atomare Waffensysteme stationieren, ohne dass die NATO davon zeitgerecht Notiz nahm. Sie waren – nach Einschätzung der britischen Vereinigten Stabschefs – in der Lage, zumindest zur See oder aus der Luft einen Überraschungsangriff auf die Bündnisstreitkräfte an der Südflanke zu starten.29

2. Bündnispolitische Folgen Nicht weniger gravierend waren die politischen Folgen. In zähen Verhandlungen drängten die NATO-Partner Griechenland mit Beginn des Frühjahrs 1975 dazu, seine »Restriktionen« gegenüber dem Bündnis zu mildern.30 Athen seinerseits deutete an, dass es seine Rückkehr in die integrierten Strukturen an einen militärischen Rückzug der Türkei aus Nordzypern knüpfte. Die griechische Presse und Öffentlichkeit wetterte unterdessen unentwegt gegen die NATO und den US-Verbündeten und ließ ihrer Empörung über die vermeintlich ungerechte Behandlung Griechenlands während der Zypernkrise freien Lauf.31 Premierminister Konstantinos Karamanlis bekannte sich öffentlich dazu, die amerikanischen Stützpunkte auf griechischem Territorium Zug um Zug reduzieren zu wollen. Ähnlich dem türkischen Modell sollten die verbliebenen Basen künftig unter der Hoheit Athens 29 30

31

Bericht des Defence Policy Staff/Chiefs of Staff Committee, 21.4.1975, TNA, FCO  9 2227, Nr. 207/75. Siehe die zahlreichen Drahtberichte des bdt. Ständigen Vertreters (NATO) an AA: 26.3.1974, PA AA, B 150, Bd 325, Nr. 434; 14.4.1975, PA AA, B 150, Bd 326, Nr. 516; 9.10.1975, PA AA, B  150, Bd  336, Nr.  1427; 16.10.1975, PA AA, B  150, Bd  337, Nr.  1465; 12.5.1976, PA AA, B 150, Bd 347, Nr. 630; ebenso die Drahtberichte der bdt. Botschaft Athen an AA: 13.10.1975, PA AA, B 150, Bd 336, Nr. 706; 14.10.1975, PA AA, B 150, Bd 336, Nr. 715; Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 17.10., 18.10. und 19.10.1975, TNA, FCO 9, 2228, Nr. 383, 387 und Nr. 390. Die TNA-Bestände FCO 9, 2227, 2228, 2229, und FCO 41, 1697, sowie die Akten der Pres. Lib. Gerald Ford, NSA President. Country Files Mid East 1974‑1977, Box 11, enthalten zahlreiche Berichte über schleppende Verhandlungen zwischen NATO-Rat, USRegierung und Griechenland, die hier nicht mehr im Einzelnen aufgeführt werden sollen. Drahtberichte bdt. Botschaft Athen an AA, 15.9., 17.9. und 17.10.1975, PA AA, B  14-201, Bd 113495, Nr. 641, 648 und Nr. 726; des Weiteren Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 17.01.1975, PA AA, B 14-201, Bd 113496, Nr. 35; Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 120 f.

252

VII. Die langfristigen Auswirkungen

stehen und in erster Linie nationalen Verteidigungsinteressen dienen. So stellte Griechenland beispielsweise den eigenen Nutzen am Fortbestand des amerikanischen Radarstützpunktes bei Heraklion auf Kreta in Frage, der bislang Teile Bulgariens und des Nahen Ostens überwacht hatte.32 Daneben ließ das Land auch Zweifel an seiner Bündnistreue aufkommen. Auf die kritische Frage eines Oppositionellen, wie sich Athen verhielte, sollte es zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt zum Konflikt kommen, antwortete Verteidigungsminister Averoff im Parlament polemisch, dies hänge davon ab, welcher Seite Griechenland in einem solchen Fall angehöre.33 Obgleich er seine Aussage später wieder revidierte und die griechische Treue zur Allianz unterstrich, reagierten die westlichen Bündnispartner pikiert. Dessen ungeachtet konnte Athen den amerikanischen Verbündeten teilweise mit Hilfe der griechisch-amerikanischen Lobby zu großzügigen Zugeständnissen bewegen. Trotz des griechischen Austritts aus den Militärstrukturen der NATO vergütete die amerikanische Regierung ihre militärischen Nutzungsrechte auf griechischem Boden mit Rüstungs- oder Finanzhilfen im Wert von rund 70 Prozent der Transfers, die Washington jeweils der Türkei im Rahmen kollektiver Unterstützungsleistungen zukommen ließ.34 Im April 1976 empfahl der NSC den Kongressabgeordneten und dem Weißen Haus, der Türkei Finanzhilfen in Höhe von rund 50 Mio. US-Dollar und 150 Mio. an Krediten zu gewähren. Griechenland sollte im Gegenzug 33 Mio. US-Dollar an Zuwendungen und 127 Mio. als Anleihen erhalten. Auch der bundesdeutsche Partner entschied, seine Rüstungshilfen an Athen entsprechend zu streuen.35 Bonn schloss mit Griechenland und der Türkei für das Jahr 1977 jeweils Verträge ab, die beiden Bündnispartnern bundesdeutsche NATO-Hilfen im Wert von 60 bzw. 100  Mio. DM zusicherten. Gemessen am Streitkräftepotenzial beider Bündnismitglieder standen Griechenland fortan Militärhilfen zu, die in keinem Verhältnis mehr zu seinem begrenzten Allianzbeitrag standen. Athen verdoppelte seinen Verteidigungsetat, stellte der Militärorganisation aber nach wie vor keine Truppen zur Verfügung.36 Zudem blieb der von Washington gewünschte Erfolg aus. Bis zum Jahre 1977 entwickelte Karamanlis zwar einen neuen Vertragsentwurf für den rechtlichen Status der US-Stützpunkte,37 den Abschluss des Abkommens ließ er aber offen. Darüber hinaus suchte Griechenland mit Argusaugen zu verhindern, dass Ankara für ein etwaiges Entgegenkommen gegenüber Washington und den NATO-Verbündeten Zuwendungen erhielt, in deren Genuss Athen nicht gleichermaßen gelangte.38 32 33 34

35 36

37 38

Drahtbericht bdt. Botschaft Athen 12.9.1975, PA AA, B 14-201, Bd 113495, Nr. 631. Drahtbericht bdt. Botschaft an AA, 17.1.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113496, Nr. 35. Stearns, Entangled Allies, S. 40‑50; Binnendijk/Friendly, Turkey, S. 20; McDonald, Alliance Problems, S.  79; Memorandum NSC für Brent Scowcroft, Nationaler Sicherheitsberater, 6.4.1976, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA Pres. Country Files Mid East 1974‑1977, Box 10. Telegramm britische Botschaft Bonn an Department of Defence, 7.7.1976, TNA, FCO 9, 2400. Zum Wachstum und zum Anteil der griechischen Verteidigungsausgaben am griechischen Staatshaushalt zwischen 1975 und 1980 siehe Sezgin, The Defense-Growth Relation, S. 115; und Kollias, The Greek-Turkish Conflict, S. 217 f. Binnendijk/Friendly, Turkey, S. 45. Stearns, Entangled Allies, S. 46‑50; Duke, United States Military Forces, S. 165; AAPD, 1976, Bd 2, Dok. 330, Runderlaß Legationsrat Heibach, 17.12.1976, S. 1654‑1661; Memorandum Sit

VII. Die langfristigen Auswirkungen

253

Die griechische Regierung löste damit einen Wettlauf mit ihrer Widersacherin aus, der dem Zweck der kollektiven Militärhilfen offen zuwiderlief. Das konkurrierende Denken nahm stellenweise groteske Formen an. Beide Staaten wiesen mitunter Finanzhilfen ihrer westlichen Partner als Anreiz für die Gewährung fortgesetzter Stützpunktrechte zurück, um der gegnerischen Seite keine Vorteile einzuräumen. So verhandelte US-Präsident Ford mit Ankara im März 1976 darüber, die Beschränkungen für amerikanische Stationierungsrechte zu lockern. Der Türkei bot er im Gegenzug militärische und wirtschaftliche Subventionen im Wert von einer Milliarde US-Dollar an.39 Obgleich das Abkommen nicht nur wegen des griechisch-türkischen Rüstungswettlaufs scheiterte, sondern auch mit dem fortgesetzten Embargo Washingtons verknüpft war, wurde der Teufelskreis an dieser Stelle offensichtlich. Der militärische Arm der NATO hatte wiederum das Nachsehen. Der griechische Premierminister räumte im Frühjahr 1976 Washington gegenüber ein, dass er aus Rücksicht auf seine Wählerschaft kaum über alternative Handlungsspielräume verfüge.40 Die regierende Nea Dimokratia stand unter heftigem öffentlichen Druck, der griechischen NATO-Mitgliedschaft ein Ende zu setzen.41 In zähen Debatten stritt Verteidigungsminister Averoff mit der Opposition im Parlament auch über die Frage, ob die amerikanischen Stützpunkte im Lande überhaupt noch eine Daseinsberechtigung besäßen. Das Kabinett bemühte sich zwischen 1975 und 1977 redlich, der Forderung nach einem griechischen Rückzug aus dem Bündnis zu widersprechen.42 Die Regierung war sich nach wie vor des Wertes ihrer NATO-Mitgliedschaft bewusst. Ein endgültiger Austritt Athens würde der türkischen Seite in den Streitfragen um Zypern und der Ägäis erhebliche Vorteile verschaffen.43 Auch drohte Griechenland dringend benötigter Verteidigungshilfen verlustig zu gehen. Seit der türkischen Besetzung Nordzyperns konnte Athen es sich weniger denn je erlauben, im Rüstungswettlauf mit der Türkei ins Hintertreffen zu geraten.44 Dessen ungeachtet brachte die Öffentlichkeit das Kabinett in arge Bedrängnis. Seit dem Zyperndesaster sprachen sich rund zwei Drittel der Bevölkerung für eine schrittweise Loslösung des Landes vom Bündnis aus.45 Lediglich ein Zehntel plädierte dafür, der integrierten Militärorganisation der NATO wieder beizutreten. Derartige Umfragewerte beflügelten den Oppositionspolitiker Andreas Papandreou. Die »Panhellenische Sozialistische Bewegung« (PASOK) suchte jeden Fehltritt Karamanlis auszunutzen, um

39 40 41 42

43 44 45

Room für sicherheitspolitischen Berater Brent Scowcroft, 31.3.1976, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA White House Sit Room, Box 13; Memorandum Brent Scowcroft für US-Präsident Ford, 4.8.1976, ebd., Box 16; Gürkan, NATO, Turkey and the Southern Flank, S. 18; Gürkan, Die Türkei, S. 14 f. McDonald, Alliance Problems, S. 78; Stearns, Entangled Allies, S. 41; Duke, United States Military Forces, S. 275 und S. 277. Memorandum Brent Scowcroft für US-Präsident Ford, 18.3.1976, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA White House Sit Room, Box 13. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 21.1.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113496, Nr. 47. Mitteilung BMVg an AA zu griechischen Beziehungen zur NATO, 9.3.1977, BArch, BW 2 10023, Nr. 1557/77; Brief Premierminister Karamanlis an US-Präsident Ford, 8.10.1975, , letzter Aufruf 10.5.2017. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S. 120. Iatrides, The United States and Greece, S. 97. Carmocolias, Image of NATO and the US, S. 38 f.

254

VII. Die langfristigen Auswirkungen

sich mit ihrer Agenda des »Antiamerikanismus, Antiimperialismus und des Austritts aus der NATO« Wählerstimmen zu verschaffen. Es war abzusehen, dass die PASOK früher oder später den Weg an die Spitze des Landes fand.46 Neue Putschversuche und Gerüchte über Attentate auf Premierminister Karamanlis ließen das Land nicht zur Ruhe kommen.47 Karamanlis sah sich daher zu einer ambivalenten Politik gezwungen. Einerseits warb das griechische Staatsoberhaupt bei seinen Verbündeten weiter um Rüstungshilfen, um die fortgesetzte NATO-Bindung des Landes vor der eigenen Wählerschaft zu rechtfertigen. Andererseits näherte sich Griechenland den blockfreien Staaten der Dritten Welt an und nahm Rüstungsverhandlungen mit Rumänien auf. Wie Griechenland und die Türkei hatte Bukarest seit 1968 versucht, innerhalb des Warschauer Vertrages eine politische und militärische Sonderrolle zu erhalten.48 Zudem schloss Athen mit Moskau just im Jahr des NATO-Doppelbeschlusses und des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan (1979) einen Vertrag, welcher der SOVMEDRON Instandsetzungsrechte für ihre Schiffe in griechischen Werften einräumte.49 Griechenland brüskierte damit die westlichen Verbündeten und nährte Zweifel an seiner Zuverlässigkeit als Bündnispartner. Insgesamt hing der Verbleib des Landes in der NATO am seidenen Faden: der Bereitschaft Washingtons, seine Militärhilfen für Griechenland prozentual an die amerikanischen Türkeihilfen zu koppeln, und dem Umstand, dass der türkische Nachbar ebenfalls Mitglied des Nordatlantischen Bündnisses war. Den einzigen positiven Nebeneffekt bildete dabei die Tatsache, dass es der Allianz auf diesem Wege gelang, schlichtenden Einfluss auf die ägäischen Streitigkeiten zu nehmen, die sich in der neuen Krise um Ölbohrrechte im Sommer 1976 abermals entzündeten.50 46 47

48

49

50

Brown, Challenges and Uncertainty, S. 7‑9, hier: Die PASOK gelangte im Jahr 1981 an die Macht. Drahtberichte bdt. MilAttaché Athen an AA, 6.3. und 10.3.1975, BArch, BW 4 3067, Nr. 36/75 und Nr. 43/75; Gesprächsprotokoll US-Präsident Ford mit griechischem Premiermister Karamanlis, 29.5.1975, , letzter Aufruf 12.1.2017. Rijnoveanu, Rumänien und die Militärreform des Warschauer Paktes, S.  224; Umbach, Das rote Bündnis, S.  210  f.; Drahtbericht bdt. MilAttaché an BMVg, 9.7.1975, PA AA, B  14-201, Bd 113495, Nr. 83/75. Kassimeris, Greece and the American Embrace, S.  122; AdG, 46  (1976), 11.3.1976, S.  20070; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 12.9.1979, PA AA, B 14-201, Bd 115869; Drahtbericht bdt. Botschaft Washington an AA, 14.9.1979, PA AA, B 150, Bd 426, Nr. 3267; Drahtberichte bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA: 26.10.1979, PA AA, B  150, Bd  430, Nr.  1082; und 2.11.1979, PA AA, B 150, Bd 431, Nr. 1117. Die ägäische Krise des Jahres 1976 wird in dieser Studie nicht mehr gesondert behandelt, da deren Verlauf den Ereignissen des Frühjahrs 1974 in vielerlei Hinsicht ähnelte und sich im Ergebnis mit der ersten Krise weitgehend deckte. Im Sommer 1976 entsandte die Türkei das Forschungsschiff »Sismik  I« in die ägäischen Gewässer, um erneut einen Bohrversuch auf dem von Athen beanspruchten Festlandssockel anzusetzen. Von der Opposition, der linksgerichteten PASOK-Partei Andreas Papandreous’, politisch angeheizt, versetzte die Regierung Karamanlis ihre gesamten Streitkräfte in volle Alarmbereitschaft, obgleich das türkische Wasserfahrzeug diesmal nur von einem einzigen Kriegsschiff begleitet wurde. Da die »Sismik« aber nur seismische Messungen an der Wasseroberfläche vornahm, ohne den Meeresboden zu berühren, begnügten sich die alarmierten griechischen Marineeinheiten damit, die türkische Tätigkeit zu observieren. Ungeachtet der wechselseitigen Provokationen zielten dabei weder Griechenland noch die Türkei vorsätzlich darauf ab, die Spannungen in eine militärische Auseinandersetzung münden zu lassen. Hierzu Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara und Drahtbericht bdt. MilAttaché Ankara an BMVg, 6.7.1976, PA AA, B 14-

VII. Die langfristigen Auswirkungen

255

Mit Blick auf die Türkei stellte sich die Situation ähnlich dar. Neben den Querelen um amerikanische Stützpunkte und militärische Nutzungsrechte der NATO auf türkischem Boden setzte auch Ankara seinen eigenwilligen Kurs fort. In Anbetracht der »unzuverlässigen« Haltung des US-Verbündeten drohte sich die Türkei von der Allianz zu distanzieren.51 Nicht zuletzt hatte sich die türkische Absage an die NATO-Übung WINTEX 75 als düsteres Vorzeichen erwiesen.52 Anders als im Falle Griechenlands ließ die neu gewählte, nationalkonservative Adalet Partisi unter Süleyman Demirel keine Zweifel daran, dass ein Rückzug Ankaras aus dem Bündnis nicht in Frage kam.53 Nicht nur die materiellen Vorteile westlicher Verteidigungshilfen, sondern auch die Teilhabe der eigenen Streitkräfte an moderner, integrierter Verteidigungsplanung und zeitgemäßer Rüstungstechnologie stellten für den Türkischen Generalstab ein unverzichtbares Element dar, wollte die Türkei ihre aufstrebende Rolle als Mittelmacht zwischen Europa, der Sowjetunion und dem Nahen Osten behaupten. Nichtsdestoweniger entbrannten auch in der türkischen Metropole kontroverse Debatten über die künftige Zielrichtung des Landes.54 Angesichts des US-Embargos diskutierte die Öffentlichkeit über die Frage, ob die NATO-Bindung den türkischen Nahostinteressen nicht abträglich sei. In der Politik herrschten geteilte Meinungen, ob die NATO noch länger als Garant der nationalen Sicherheit des Landes betrachtet werden könne. Ferner hatten weite Teile der türkischen Wählerschaft einen traditionellen Weg eingeschlagen, der den radikalen Laizismus der Kemalisten mehr und mehr in Frage stellte. Weder Ministerpräsident Ecevit noch Demirel waren in der Lage, tragfähige Kabinette zu bilden, ohne mit der islamistischen Millî Selamet Partisi zu koalieren. Ähnlich Griechenland suchte auch die Türkei einen »dritten« Weg zu beschreiten und ihre NATO-Mitgliedschaft flexibler zu gestalten. Sowohl die Adalet Partisi als auch die Cumhuriyet Halk Partisi setzten auf einen Kurs, der

51

52 53 54

201, Bd 113509, Nr. 26/76; des Weiteren folgende Drahtberichte der bdt. Botschaft Athen an AA: 6.7.1976, PA AA, B 14-201, Bd 110224, Nr. 491; 15.7.1976, PA AA, B 150, Bd 351, Nr. 509; 21.7.1976, PA AA, B 14-201, Bd 110224, Nr. 527; 21.7.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr.  1569; 26.7.1976, PA AA, B  14-201, Bd  113509, Nr.  547; 27.7.1976, PA AA, B  14-201, Bd 113509, Nr. 550; 31.7.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 579; 16.8.1976, PA AA, B 14201, Bd 113509, Nr. 640; die Drahtberichte der bdt. Botschaft Ankara an AA: 21.7.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 699; 29.7.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 720; 16.8.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 769; 31.8.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 810; ebenso die Drahtberichte des bdt. Ständigen Vertreters (NATO) an AA: 2.8.1976, PA AA, B  14-201, Bd 113509, Nr. 201-360.90 GRI; 9.8.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 979; 10.8.1976, PA AA, B 14-201, Bd 113508, Nr. 986; 3.9.1976, AA, B 14-201, Bd 113509, Nr. 1055; sowie Memorandum Presidential Daily Briefing, 12./13.8.1976, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA WHSR, Box 16; Memorandum Brent Scowcroft für US-Präsident Ford, 3.9.1976, Pres. Lib. Gerald Ford, NSA White House Sit Room, Box 16; schließlich Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 20; Wilson, The Aegean Dispute (1979), S. 97; Heraclides, The Greek-Turkish Conflict, S. 88. Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO: 5.2.1975, TNA, FCO  9, 2340, Nr.  67; und 16.9.1975, TNA, FCO  9, 2341, Nr.  382; Runderlass FCO, Diplomatic Report, 30.6.1976, FCO 9, 2444, Nr. 295/76. Telegramm FCO  an britischen Ständigen Vertreter (NATO), 25.2.1975, TNA, FCO  9, 2340, Nr. 56. Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 46‑50; Gürkan, Die Türkei, S. 15. Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 20; Binnendijk/Friendly, Turkey, S. 22‑29.

256

VII. Die langfristigen Auswirkungen

Ankara stärker in Richtung des politischen Islam trieb, wie dieser seinerzeit unter Adnan Menderes in den 1950er Jahren vorgeherrscht hatte.55 Darüber hinaus suchte sich die Türkei ihren arabischen Nachbarn anzunähern. Ankara finanzierte 1976 die Weltkonferenz der Organisation für Islamische Zusammenarbeit und bemühte sich um enge Kontakte zu den OPEC-Staaten des Vorderen Orients.56 Als Folge ihres neuen Kurses untersagte die türkische Regierung dem amerikanischen Partner im Frühjahr 1979, den US-Stützpunkt Incirlik zu nutzen, um gegebenenfalls Einfluss auf den islamischen Umsturz Ajatollah Ruhollah Chomeinis im Iran nehmen oder amerikanische Staatsbürger aus der US-Botschaft in Teheran evakuieren zu können.57 Daneben beteiligte sich die Türkei auch nicht an den amerikanischen Sanktionen gegen die neue Islamische Republik Iran, sondern festigte stattdessen ihre Handelsbeziehungen zur UdSSR.58 Dass Ankara in das Lager Moskaus wechseln und dem Warschauer Vertrag beitreten würde, war wenig wahrscheinlich. Doch nahm das Land bereitwillig sowjetische Wirtschaftskredite entgegen, die sich bis 1977 auf mehr als eine Milliarde US-Dollar belaufen sollten.59 Moskau gewährte der türkischen Regierung weiterhin großzügige Rückzahlungsbedingungen in Form von billigen Exportprodukten. Darüber hinaus verhielt sich der Kreml wohlwollend gegenüber türkischen Ambitionen, völkerrechtliche Anerkennung für die Teilung Zyperns zu erhalten. Im Gegenzug genoss die SOVEMDRON großzügige Bewegungsfreiheit in den türkischen Meerengen, die – entgegen der Seerechtskonvention von Montreux – mittlerweile auch moderne Flugzeugträger der Kiew-Klasse einschloss.60 Zwar verlor der ambitionierte Aktionsradius der Flotte seit dem sowjetisch-ägyptischen Zerwürfnis im Herbst 1975 zusehends an Kraft.61 Auch wurde bis in die 1980er Jahre hinein offensichtlich, dass Moskau nicht imstande war, sein Netz von Stützpunktrechten im Mittelmeerraum dauerhaft aufrechtzuerhal-

55

56 57

58 59 60 61

Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 20; Binnendijk/Friendly, Turkey, S. 22‑29; AAPD, 1976, Bd  2, Dok.  236, Protokoll dt.-amerikanisches Regierungsgespräch in Washington, 16.7.1976, S. 1097‑1101; Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 264. Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 39 und S. 42 f.; McDonald, Alliance Problems, S. 79. Zu den unterschiedlichen Erklärungsansätzen des politischen Umsturzes im Iran siehe Kurzman, The Unthinkable Revolution in Iran; zur US-Reaktion auf die Entwicklungen: Zanchetta, The United States and the »Loss« of Iran, S. 138‑148; zur Analyse vor dem Hintergrund des Kalten Krieges: Saikal, Islamism, the Iranian Revolution and the Soviet Invasion of Afghanistan; Güney, Anti-Americanism in Turkey, S. 475. Uslu, The Turkish-American Relationship, S. 264. Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 17. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 20.7.1976, PA AA, B 150, Bd 352, Nr. 921; Snyder, Defending the Fringe, S. 20; McDonald, Alliance Problems, S. 78. Mitteilung Vorsitzender an Ad-hoc-Gruppe Mittelmeer (NATO), 13.10.1975, BArch, BW 2 6620; Gabriele, Mediterranean Naval Forces S. 67‑70. Der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat hatte bereits 1972 begonnen, die sowjetischen Militärberater des Landes zu verweisen und damit einen Abbau der freundschaftlichen Beziehungen zu Moskau in Gang gesetzt. Mit dem Jom-KippurKrieg im Folgejahr fiel auch der Nimbus der Zuverlässigkeit sowjetischer Waffensysteme, deren Unzulänglichkeiten sich im Wüstenkrieg mit Israel offenbarten. Das abgekühlte Verhältnis zu Kairo bedeutete längerfristig auch den Verlust der sowjetischen Beziehungen zu den übrigen arabischen Mittelmeerstaaten. Hierzu: Werner, Das Krisenmanagement der Supermächte, S. 451‑461.

VII. Die langfristigen Auswirkungen

257

ten.62 Trotzdem mussten sich die Bündnispartner die Frage stellen, wie die Türkei ihre Verpflichtungen und ihre Loyalität im Krisenfalle auslegte.63 Insgesamt hatten sich Griechenland und die Türkei vom Nordatlantischen Bündnis distanziert. Zwar bekräftigten beide Partner öffentlich ihre fortgesetzte Loyalität zur NATO. Die Allianz musste aber längerfristig damit rechnen, dass deren Mitgliedschaft unter Umständen nur dann anhielt, wenn die übrigen Verbündeten – allen voran die USA – bereit waren, finanzielle und militärische Hilfe zu leisten und beide Staaten auch dann von den Vorteilen kollektiver militärischer Zusammenarbeit profitieren zu lassen, wenn diese selbst ihren Eigenbeitrag verweigerten. Sowohl Ankara als auch Athen ließen erkennen, dass sich die westlichen Bündnispartner den Fortbestand der Südostflanke auf lange Sicht teuer erkaufen mussten.64 Nach dem Sturz des prowestlichen Schahs im Iran und dem endgültigen Zusammenbruch der CENTO war auch nicht abzusehen, ob sich der Kalte Krieg nicht künftig stärker auf den Nahen und Mittleren Osten verlagern würde. Washington ging in den späten 1970er Jahren sogar ansatzweise dazu über, die Südflanke in seiner nationalen Lagebeurteilung als neuen »Mittelabschnitt« künftiger Verteidigungsplanungen des Bündnisses anzusehen.65 Die Türkei war sich dabei ihres hohen Werts als Brückenkopf der NATO zum Vorderen Orient deutlich bewusst.66 Davon abgesehen verhinderten lediglich die fortwährenden griechisch-türkischen Spannungen ein Abdriften beider Staaten vom Bündnis. Paradoxerweise entwickelten sich die ungelöste Frage um die Zukunft Zyperns und der anhaltende Konflikt in der Ägäis zum integrierenden Element. Solange die Spannungen anhielten, mussten Ankara wie Athen befürchten, der jeweils gegnerischen Partei unverhoffte Vorteile zu verschaffen, wenn sie die Allianz verließen. Nur wenn beide Widersacher dem Bündnis gleichzeitig den Rücken kehrten, schied dieser Faktor aus. In Anbetracht der scharfen, konkurrierenden Interessen um materielle Begünstigungen seitens der NATO und des gegenseitigen Argwohns war ein solcher Fall aber unwahrscheinlich. Trotzdem drohte der Allianz Gefahr. Weder die KSZE-Schlussakte noch die SALTAbkommen hatten den Rüstungswettlauf der beiden Blöcke zu beenden vermocht oder zu einer nachhaltigen Entspannung zwischen Moskau und Washington geführt.67 Griechenland und die Türkei ihrerseits ließen ihre Bündnispartner spüren, dass sie ihre Loyalitätspflichten unter Umständen sehr eigenwillig auslegen würden. Je nach Szenario musste sich die NATO die Frage stellen, ob und inwieweit ihre südöstlichen Verbündeten im Falle eines Konflikts mit dem Warschauer Pakt bereit wären, aktiv am Kampfgeschehen teilzunehmen. Sofern sich der Kriegsschauplatz auf Mitteleuropa beschränkte, ohne dass das Territorium der Südostflanke betroffen wäre, würde die Allianz darauf gefasst sein müssen, dass Ankara und Athen den Artikel 5 des NATO-Vertrages in einer Weise interpretierten, die ihnen eine militärische Beteiligung so weit als möglich 62 63 64 65 66 67

Etzold, The Soviet Union in the Mediterranean, S. 38; Brown, Delicately Poised Allies, S. 81. Diese Frage warf der türkische Politikwissenschaftler Nuri Eren schon 1977 auf: Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 20. Binnendijk/Friendly, Turkey, S. 30. Fenech, The Mediterranean Region in the Cold War and After, S. 236. Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 168 f. Kieninger, Den Status quo aufrechterhalten, S.  73; Zubok, The Soviet Union and Détente, S. 428‑435.

258

VII. Die langfristigen Auswirkungen

ersparte.68 Nicht umsonst wurden unter türkischen Politikern wie Militärs in den späten 1970er Jahren kritische Stimmen laut, die unverhohlen die Befürchtung äußerten, Ankara könnte wegen seiner NATO-Mitgliedschaft in einen heißen Konflikt mit dem Ostblock gezogen werden, der nationaltürkischen Interessen abträglich sei.69 Die Entwicklungen der 1970er Jahre stellten die Bündniskohäsion somit auf eine harte Probe. Es blieb abzuwarten, ob die Sogwirkung der Allianz sich auch weiterhin als stark genug erwies, die beiden schwierigen Flankenpartner an sich zu binden.

3. Bemühungen der Allianz um Schadensbegrenzung: SACEURs Lösungsversuche zur Wiedereingliederung Griechenlands in die integrierten Strukturen Im Oktober 1975 deutete Athen gegenüber seinen NATO-Verbündeten erstmals an, seine Rückkehr in die integrierten Strukturen auf Basis eines Sonderverhältnisses wieder in Erwägung zu ziehen.70 Das griechische Kabinett registrierte die wachsenden Nachteile, die den Streitkräften des Landes erwuchsen, solange sie der Militärorganisation fernblieben. Der Griechische Generalstab vermisste die ausbleibenden Geldmittel aus dem Infrastrukturprogramm der NATO ebenso wie den Verlust der militärfachlichen Expertise, die den griechischen Offizieren in den integrierten Stäben zuteil geworden war. Zudem schien der türkische Widersacher aus der Situation politischen Profit zu ziehen. Griechenland drohte gegenüber der Türkei in die Rolle eines zweitklassigen Bündnispartners abzusinken. Die NATO war daran gelegen, Griechenland den Wiedereinstieg zu erleichtern. Der Ausschuss für integrierte Verteidigungsplanung (Defence Planning Commitee, DPC) richtete eine Ad-hoc-Gruppe ein, um das kleine Land auf lange Sicht hin wieder in die Militärstrukturen einzugliedern. Im Frühjahr 1976 diskutierte das Gremium erste Schritte.71 Der griechische Delegierte bekundete die Bereitschaft seines Landes, grundsätzlich wieder einen Beitrag zur kollektiven Verteidigung des Bündnisgebiets leisten zu wollen. Ungeachtet ihrer NATO-feindlichen Rhetorik war die griechische Regierung abseits von Presse und Öffentlichkeit bereit, ihre Streitkräfte zu Planungs- und Übungszwecken wieder dem Kommando der NATO-Stäbe zu unterstellen. Athen war auch ge68

69 70

71

Varwick, Die NATO, S.  25, hier: Der NATO-Artikel  5 enthielt keine automatische Beistandspflicht, sondern forderte den einzelnen Partner lediglich auf, diejenigen Maßnahmen militärischer Gewalt zu ergreifen, die er selbst im Zusammenwirken mit den anderen Verbündeten für erforderlich hielt. Die Frage nach der griechischen und türkischen Bereitschaft zu militärischem Beistand für die westlichen NATO-Verbündeten warf der türkische Politikwissenschaftler Nuri Eren schon 1977 auf: Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 20 Eren, Turkey, NATO and Europe, S. 20. Papacosma, Greece and NATO, S. 204; Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO, S. 106; FRUS, 1973‑1976, vol. 30, doc. 53, Telegramm State Dep. an Ständigen US-Vertreter (NATO) und US-Botschaft Athen, 4.10.1975, , letzter Aufruf 12.1.2017. Note by Chairman NATO Council/Defense Planning Committee, 23.2.1976, NATO, OEG-D (76) 1 (Aktenkopie im britischen Bestand TNA, FCO 9, 2400 aufgefunden).

VII. Die langfristigen Auswirkungen

259

willt, künftig wieder Manöver auf seinem Staatsgebiet zuzulassen und mit eigenen Truppen daran teilzunehmen. Ferner stellte Karamanlis den westlichen Partnern in Aussicht, die infrastrukturellen Anlagen und Einrichtungen des Bündnisses wieder zur Nutzung freizugeben. Der politische Spielraum des griechischen Regierungschefs war aber nach wie vor eng begrenzt. Griechische Truppen nahmen beispielsweise im Spätherbst 1975 an der NATO-Übung »Deep Express 75« im türkischen Thrakien teil.72 Die Antwort im griechischen Parlament ließ nicht lange auf sich warten: Die Regierung erntete schwere Kritik vonseiten der Opposition. Die PASOK hinderte Karamanlis unentwegt daran, seinen Solidaritätsbekundungen Taten folgen zu lassen.73 Darüber hinaus erschwerte auch Ankara den Reintegrationsprozess. Vor dem Hintergrund der ägäischen Krise im Sommer 1976 sperrte sich die türkische Regierung dagegen, den Status quo ante in der Ägäis wiederherzustellen. Die Türkei war nicht bereit, ihre militärischen Kontrollbefugnisse im ägäischen Luftverkehr der NATO an ihr Nachbarland abzutreten.74 Vor 1974 hatte ausschließlich Athen diese Verantwortlichkeiten ausgeübt. Zum Unwillen der übrigen Bündnispartner war die türkische Staatsführung auch nicht mehr geneigt, einer Rückkehr griechischer Offiziere zu LANDSOUTHEAST und der SIXATAF zuzustimmen.75 Seit Dezember 1977 hatten sich die beiden Hauptquartiere zusehends in türkisch geführte NATO-Stäbe verwandelt.76 Die ägäische Frage bildete indes nur den Vorwand, um die tieferliegenden Ursachen der türkischen Haltung zu überdecken. Vielmehr richtete sich der Zorn Ankaras gegen das fortgesetzte amerikanische Embargo.77 Die Kabinette Ecevits und Demirels warfen Athen indirekt vor, die amerikanischen Sanktionen mit Hilfe der griechischstämmigen Lobby zu schüren.78 Daneben fühlte sich die Türkei von Washington im Stich gelassen. Auf der Sitzung des DPC im September 1977 äußerte der türkische Verteidigungsminister Cihat Bilgehan, dass die industrielle und finanzielle Entwicklung seines Landes den Unterhalt der türkischen Streitkräfte ohne die Wiederaufnahme der amerikanischen Rüstungshilfen nicht länger zuließe.79 Ein Ende des Lieferstopps sei in dieser Situation unabdingbar. Bilgehan warnte nicht nur vor der sinkenden Einsatzbereitschaft der türkischen Verbände. Mit Blick auf die amerikanischen Stützpunktrechte drohte er auch mit den Folgen, die der US-Verbündete in der öffentlichen Meinung der Türkei zu gewärtigen hätte. Bei Athen lagen die Dinge ähnlich. Karamanlis knüpfte den Wiedereintritt Griechenlands nicht etwa an Streitpunkte zur ägäischen Frage. Stattdessen forderte der griechische Premier als Vorbedingung einer neuen militärischen Partnerschaft mit Ankara

72 73 74 75 76 77 78 79

Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 246 f. Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO, S. 109. Ebd., S. 107. Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 21.10.1977, PA AA, B  150, Bd  378, Nr. 1252. Papacosma, Greece and NATO, S. 204. AAPD, 1977, Bd 2, Dok. 356, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 8.12.1977, S. 1715‑1721. Ebd.; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 27.1.1978, PA AA, B 150, Bd 385, Nr. 100. AAPD, 1977, Bd 2, Dok. 356, Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 8.12.1977, S. 1715‑1721.

260

VII. Die langfristigen Auswirkungen

den Rückzug der türkischen Truppen aus Zypern.80 Washington sollte die Türkei dahingehend unter Druck setzen. Trotz der widrigen Umstände suchte der SACEUR mit Beginn des Jahres 1978 einen Weg zu finden, die griechische Reintegration über eine Neugliederung der Südostflanke zu erleichtern. Sein Plan sah vor, neben LANDSOUTHEAST in Izmir ein neues Hauptquartier auf griechischem Boden zu schaffen. Die neue Kommandobehörde, LANDSOUTHCENT genannt, sollte rein griechisch besetzt sein und ihren Standort in Larissa erhalten. Beide Stäbe sollten durch den CINCSOUTH von Neapel aus militärisch geführt werden. Gleiches galt für die Aufstellung der neuen griechischen 7. Taktischen Luftflotte (SEVENATAF).81 Eine Rückkehr zu gemischt besetzten Kommandobehörden schloss der SACEUR hingegen aus. Davon abgesehen sollte die Kommandostruktur aber ihren ursprünglichen Zustand einnehmen. Die militärischen Kontrollbefugnisse über dem ägäischen Luftraum sollten wieder auf Athen übertragen werden. Dagegen legte die türkische Regierung ihr Veto ein.82 Sie forderte, die Frage nach der geografischen Aufteilung militärischer Verantwortungsbereiche in der Ägäis von Grund auf neu zu verhandeln. Kabinett und Generalstab argumentierten dabei mit Verteidigungsfragen:83 Ankara würde die Unversehrtheit seines Staatsgebiets bei einer etwaigen Aggression der SOVMEDRON nicht gewährleisten können, solange die Verantwortlichkeiten im ägäischen Luftraum und den Gewässerzonen nicht einvernehmlich geregelt seien. Bonn seinerseits suchte den türkischen Partner vergeblich mit dem Verweis auf laufende Wirtschaftshilfen umzustimmen.84 Im Gegensatz zu Athen knüpfte die Türkei ihre Zustimmung zum Wiedereintritt Griechenlands ausdrücklich an eine Vorablösung der strittigen Strukturfragen.85 Die wesentlichen Gründe hierfür waren erneut innenpolitischer Natur. Ankara sah sich abermals wirtschaftlichen Krisenzeiten gegenüber. Die industrielle Produktion des Landes stagnierte. In den Städten wie auf dem Lande litt die Bevölkerung an chronischer Arbeitslosigkeit. Galoppierende Inflationsraten und eine nicht zu bewältigende Staatsverschuldung drohten die Türkei abermals in einen Bankrott zu treiben. Ferner drängten die jahrelangen amerikanischen Rüstungssanktionen, Probleme mit ethnischen Minderheiten und der Konflikt mit der kurdischstämmigen Bevölkerung Ecevit zusehends in die Enge. Der Ministerpräsident sah sich aufs Neue gezwungen, die Stärke seines Kabinetts über den Weg der Außenpolitik unter Beweis

80 81

82 83 84 85

AAPD, 1977, Bd 1, Dok. 116, Protokoll Gespräch Bundeskanzler Helmut Schmidt mit griechischem Premierminister Konstantinos Karamanlis, 8.5.1977, S. 602‑607. AA-interne Stellungnahme zur griechischen Reintegration in die NATO, 2.1.1979, PA AA, B 150, Bd 408, Nr. 201-360.90 GRI/5/79; AA-interne Aufzeichnung zur Problematik der Reintegration Griechenlands zur Vorlage bei Bundesaußenminister, 12.11.1979, PA AA, B 150, Bd 432, Nr. 201360.90 GRI 2872/79. Rundschreiben türkischer Ständiger Militärischer Vertreter an Militärausschuss, 17.7.1978, TNA, FCO 46, 1726. Ebd.; Telegramm britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 14.7.1978, TNA, FCO  46, 1726, Nr. 283. AA-interne Stellungnahme zur griechischen Reintegration in die NATO, 2.1.1979, PA AA, B 150, Bd 408, Nr. 201-360.90 GRI/5/79. Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 25.1.1979, PA AA, B 150, Bd 409, Nr. 26.

VII. Die langfristigen Auswirkungen

261

zu stellen. Er musste sich gegenüber Griechenland und der NATO als krisenfester und durchsetzungsfähiger Staatsmann profilieren. Im September 1978 hob der US-Kongress das Waffenembargo gegen den türkischen Bündnispartner auf.86 Generalsekretär Luns und der SACEUR, Alexander Haig, starteten daher im Folgejahr einen weiteren hoffnungsvollen Versuch, die angeschlagene Flanke zu stabilisieren.87 Die militärischen Verantwortungsbereiche in der Ägäis sollten nicht mehr kategorisch voneinander abgegrenzt werden. Türkischen Sicherheitsbelangen sollte Rechnung getragen werden, indem nicht nur griechische, sondern auch andere NATO-Offiziere den Luftraum über den griechischen Inseln kontrollieren konnten. Dies würde türkische Führungskräfte mit einschließen. Während Ankara Gesprächsbereitschaft signalisierte, wies Konstantinos Karamanlis den Vorschlag entrüstet zurück. Die griechische Presse hatte im Vorfeld das Gerücht aufkommen lassen, wonach der Chef des Griechischen Generalstabs eingewilligt hätte, die Lufthoheit des Landes zu Kompromisszwecken einzuschränken. Dementsprechend hatten die Anhänger der PASOK vehement gegen die Regierung gewettert. Andreas Papandreou hatte seinem Konkurrenten öffentlich vorgeworfen, die territoriale Unversehrtheit der griechischen Halbinsel in verantwortungsloser Weise aufs Spiel zu setzen. Noch im selben Monat bemühte sich der SACEUR ein weiteres Mal um einen Kompromiss.88 Die Lufthoheit über die griechischen Inseln sollte ausdrücklich dem griechischen NATO-Stab in Larissa obliegen. Die Verteidigung des Luftraumes auf offener See sollte dagegen Aufgabe der Allianz sein. NATO-Offiziere aus Drittstaaten hatten den Luftraum zu überwachen, um die Rivalitäten zwischen Ankara und Athen zu entspannen. Griechenland wies Haigs Vorschlag jedoch abermals zurück. Das Kabinett monierte die Schwierigkeiten, die sich für LANDSOUTHCENT mit Blick auf die hohe Zahl von rund 3000 griechischen Inseln ergäben. Um die Jahreswende 1979/80 brachte General Bernard Rogers, der Nachfolger Haigs, schließlich einen weiteren Entwurf auf den Weg.89 Er trat an Griechenland mit dem radikalen Vorschlag heran, zu militärischen Zwecken die Aufteilung von Verantwortungsbereichen in der Ägäis gänzlich aufzuheben. Dem griechischen Premier waren aber auch hier die Hände gebunden. Nichtsdestoweniger räumte Karamanlis ein, dass er sehr an einem griechischen Wiedereintritt in die integrierten Bündnisstrukturen interessiert sei. Seine Regierung hatte erkannt, dass der Eintritt Griechenlands in die EG zunehmend von der Einstellung des Landes zur NATO 86 87

88

89

McDonald, Alliance Problems, S. 79. Papacosma, Greece and NATO, S. 205; Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO, S. 108; Telegramm britische Botschaft Athen an FCO, 30.5.1979, TNA, FCO 9, 2836, Nr. 141; FCO-internes Hintergrundpapier zu ägäischen Streitigkeiten und Fragen der NATO-Kommandostruktur, 8.6.1979, TNA, FCO 9, 2841 (o.Nr.); AA-interne Aufzeichnung zur Problematik der Reintegration Griechenlands zur Vorlage bei Bundesaußenminister, 12.11.1979, PA AA, B 150, Bd 432, Nr. 201-360.90 GRI 2872/79. Papacosma, Greece and NATO, S. 205; Meinardus, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO, S. 109; Drahterlass AA an bdt. Botschaften Ankara und Athen, 22.6.1979, PA AA, B 150, Bd 421, Nr. 201-360.90 GRI/1586/79; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 26.6.1979, PA AA, B 150, Bd 421, Nr. 446; AA-interne Aufzeichnung zur Problematik der Reintegration Griechenlands zur Vorlage bei Bundesaußenminister, 12.11.1979, PA AA, B 150, Bd 432, Nr. 201-360.90 GRI 2872/79. Papacosma, Greece and NATO, S. 205 f.

262

VII. Die langfristigen Auswirkungen

abhing.90 Auch war der nunmehr 73-jährige Politiker sogar bereit, auf den ursprünglich geforderten türkischen Abzug aus Zypern als Bedingung für den Wiedereintritt seines Landes zu verzichten.91 Türkische Vorbedingungen für die Reintegration Griechenlands stellten jedoch aus griechischer Sicht eine tiefgreifende Demütigung dar. Statt auf das Angebot des SACEUR einzugehen, wählte der griechische Politiker daher den offensiven Weg. Er setzte alles auf eine Karte und verkündete Anfang September 1980 in der Presse, Griechenland vollständig aus der NATO zurückzuziehen und sämtliche US-Stützpunkte räumen zu lassen, wenn sich in den kommenden Wochen kein geeigneter Weg auftat, Griechenland wieder in die Militärstrukturen aufzunehmen.92 Auch die Türkei besaß im Grunde ein vitales Interesse, ihren Nachbarn wieder als vollgültiges Mitglied der Militärorganisation zu sehen. Die unsichere Entwicklung im Iran, der Zerfall der CENTO und der sowjetische Einmarsch in Afghanistan führten der Türkei wiederholt ihre instabile geopolitische Lage vor Augen.93 Daneben gestaltete sich auch die innere Situation des Landes sehr schwierig. In der türkischen Hauptstadt herrschten 1980 chaotische Zustände.94 Mordkomplotte gegen Vertreter aller Parteien begleiteten den Niedergang des türkischen Regierungssystems. Gewalttätige Streiks und Arbeitsniederlegungen waren in zahlreichen Fabriken und Industriebetrieben an der Tagesordnung. Links- und rechtsextremistische Gruppierungen, rivalisierende islamistische und kurdische Terrorgruppen verstärkten die soziale Unsicherheit. Die Ordnungskräfte hatten Mühe, der Situation Herr zu werden. Das Militär rief in zahlreichen Provinzen Anatoliens das Kriegsrecht aus. Noch konnte zwar nicht von einem Bürgerkrieg gesprochen werden. Jedoch war die Regierung Demirels (Adalet Partisi) innenpolitisch und wirtschaftlich schwer angeschlagen; sie verfügte daher auch in ihrer Griechenlandpolitik nur über begrenzte Handlungsoptionen. Wie ihre Vorgängerinnen durfte sie unter diesen Umständen keine Zweifel an ihrer Stärke und Durchsetzungsfähigkeit aufkommen lassen. Die abwechselnd regierenden Volksparteien der Adalet Partisi und der Cumhuriyet Halk Partisi standen wegen ihrer Koalitionen mit den Islamisten Necmettin Erbakans beim Generalstab ohnehin im Verdacht, die laizistisch-kemalistischen Prinzipien zu verletzen.95 Ein für die Türkei nachteiliger Kompromiss in der Frage der griechischen Reintegration stand außer Frage, wollten die jeweils amtierenden Regierungen nicht wie 1971 Gefahr laufen, einem neuerlichen Eingriff des Militärs als »Hüter« der Verfassung 90 91

92 93 94

95

Karamouzi, Greece, the EEC and the Cold War, S. 124. AAPD, 1978, Bd  1, Dok.  134, Protokoll Gespräch Bundeskanzler Helmut Schmidt mit griechischem Premierminister Konstantinos Karamanlis, 3.5.1978, S. 635‑641; Hessmann, NATO South, S. 458; FCO-Interne Lagebeurteilung zu Griechenland und der Türkei, 26.4.1979, TNA, FCO  9, 2841, Nr.  32; AA-interne Aufzeichnung zur Problematik der Reintegration Griechenlands zur Vorlage bei Bundesaußenminister, 12.11.1979, PA AA, B 150, Bd 432, Nr. 201-360.90 GRI 2872/79; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 20.12.1979, PA AA, B 150, Bd 435, Nr. 1013; AAPD, 1979, Bd 2, Dok. 300, Protokoll Gespräch Bundeskanzler Helmut Schmidt mit griechischem Premierminister Konstantinos Karamanlis, 20.10.1979, S. 1497‑1506. Papacosma, Greece and NATO, S.  206; Telegramm britische Botschaft Washington an FCO, 2.10.1980, TNA, FCO 9, 2965 (o.Nr.). Papacosma, Greece and NATO, S. 206. Schreiben britische Botschaft Ankara an FCO, 11.3. und 8.4.1980, TNA, FCO 9, 3053 (beide o.Nr.); Telegramme britische Botschaft Ankara an FCO, 14.5. und 30.5.1980, TNA, FCO  9, 3053, Nr. 225 unmd Nr. 243. Papacosma, Greece and NATO, S. 206.

VII. Die langfristigen Auswirkungen

263

zum Opfer zu fallen. Obgleich Griechenland wie die Türkei somit ein begründetes Interesse besaßen, Athens Streitkräfte wieder der Militärorganisation zuzuführen, schienen die Bemühungen der NATO ins Leere zu laufen. Unerwarteterweise wendete sich jedoch das Blatt. Die Bemühungen der türkischen Kabinettsführung um politische Standfestigkeit konnten den Sturz der Regierung nicht verhindern. Am frühen Morgen des 12. September 1980 verhaftete die türkische Militärführung die Mitglieder der Regierung Demirel und die führenden Köpfe der Opposition.96 In einem unblutigen Putsch übernahm der Türkische Generalstab die politische Macht und setzte die Verfassung des Landes außer Kraft. Der Chef des Generalstabs, General Kenan Evren, verkündete in einer Rundfunkansprache an das Volk das Ende der bislang bestehenden Regierung. Der türkische Sicherheitsrat kündigte an, den Staat wieder nach »säkularen« Grundsätzen zu ordnen. Anders als seinerzeit in Griechenland rechneten die NATO-Partner aber damit, dass die Armee nach Wiederherstellung der kemalistischen Staatsordnung ihre Macht wieder in parlamentarische Hände legen würde. Obwohl die westlichen Bündnispartner die autoritären Züge der türkischen Demokratie mit Skepsis betrachteten, hatte die Armeeführung in deren Augen niemals Ambitionen erkennen lassen, eine dauerhafte Diktatur im Lande zu errichten.97 Die zeitweiligen Verhaftungen, Hinrichtungen und die Ausweitung des Kriegsrechts bildeten aus Sicht der NATO-Verbündeten nur einen vorübergehenden Zustand. Zudem fand die gewaltsame Regierungsübernahme des Militärs in manchen Teilen der türkischen Gesellschaft auch Zustimmung. Der Türkische Generalstab war bestrebt, Wirtschaft, Tourismus und Außenhandel nicht zu behelligen. Die Armeeführung versicherte, die unsicheren inneren Zustände zu beseitigen, die gesellschaftliche Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen und stabile Verhältnisse einkehren zu lassen. Anders als zuzeiten des Sturzes von Menderes im Jahre 1960 setzte General Kenan die verhafteten Politiker wenige Monate später wieder auf freien Fuß. Vor allem aber bemühte sich der Generalstab um ein harmonisches Verhältnis zu den NATO-Partnern. Die Militärführung war dafür sogar bereit, in der griechischen Frage nachzugeben. Ein Militärsprecher kündigte an, die Beziehungen zu Athen verbessern und Griechenland den Wiedereintritt in die Militärorganisation erleichtern zu wollen.98 96

97

98

Hier und im Folgenden, wenn nicht anders angegeben: Telegramm britischer Ständiger Vertreter (EG) beim Europäischen Parlament Brüssel an FCO, 16.9.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 3954; Schreiben britische Botschaft Ankara an FCO, 17.9.1980, TNA, FCO 9, 3054 (o.Nr.); Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 19.9.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 407; Diplomatischer Bericht britische Botschaft Ankara für FCO, 24.9.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 193/80; Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 7.10.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 425; FCO-interne Stellungnahme zu türkischem Umsturz, 9.10.1980, TNA, FCO 9, 3054; Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 13.10.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 430. Telegramm britische Botschaft Bonn an FCO, 13.9.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 675, hier: Die deutsche Reaktion entsprach hier weitgehend dem Bild der westlichen NATO-Partner: Bonn war bereit, seine Wirtschafts- und Militärhilfen an die Türkei unverändert fortzusetzen. Bundeskanzler Schmidt und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher bestanden lediglich auf einer baldigen Rückkehr zu demokratischen Verhältnissen. Nur der linke Flügel der Jungsozialisten in der SDP forderte den Ausschluss der Türkei aus der NATO. Dessen Appelle stießen jedoch im Bundestag auf wenig Resonanz. Telegramm britische Botschaft Ankara an FCO, 19.9.1980, TNA, FCO 9, 3054, Nr. 406.

264

VII. Die langfristigen Auswirkungen

Mit der Machtübernahme des türkischen Militärs schien das westliche Bündnis für die Türkei um die Wende des Jahrzehnts wieder an Bedeutung zu gewinnen. Der NATO-Doppelbeschluss und die vermeintlichen sowjetischen Expansionsbestrebungen im Mittleren Osten hatten das Ende der Entspannungsära zwischen den Blöcken eingeläutet und drängten Ankara aus eigenem sicherheitspolitischem Interesse zu einem klaren Bekenntnis zur NATO. Vor allem wegen dringend benötigter westlicher Militärhilfen war Ankara schließlich bereit, von seinen Bedingungen zurückzutreten und einer Reintegration des ägäischen Nachbarn ohne Vorbedingungen beizupflichten.99 Karamanlis’ Kalkül sollte in diesem Falle aufgehen: In Anbetracht der türkischen Kompromissbereitschaft sprach auch das griechische Parlament der Regierung nach einer hitzigen Debatte das Vertrauen aus und billigte die Rückkehr des Landes in die Militärorganisation.100 Wenngleich nur auf indirektem Wege, war es der Allianz letzten Endes gelungen, Griechenland wieder fester an sich zu binden. Die Vorteile, die Ankara und Athen aus dem griechischen Wiedereintritt in den militärischen Arm des Bündnisses zogen, wogen weit stärker, als die politischen Führungen vor ihrer nationalen Wählerschaft zuzugeben bereit waren. Trotzdem war zu diesem Zeitpunkt fraglich, ob die Errungenschaft von Dauer sein würde. Die NATO hatte nach wie vor keinen tragfähigen Konsens über die künftige Militärstruktur ihrer Südostflanke erreicht.

99

100

Dies belegen die intensiven Debatten des NATO-Verteidigungsausschusses (DPC) über akut benötigte NATO-Rüstungshilfen der Türkei im Frühjahr und Sommer 1980. Dies schloss auch die Lieferung teurer ziviler Verbrauchsgüter wie fossiler Brennstoffe ein. Hierzu Schreiben britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 27.2.1980, TNA, FCO 46, 2393, Nr. DEFO 62/29; Telegramme britischer Ständiger Vertreter (NATO) an FCO, 6.5., 13.5. und 29.5.1980, TNA, FCO 46, 2394, Nr. 206, Nr. 228 und Nr. 256. Papacosma, Greece and NATO, S. 206 f.

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

Ungeachtet des griechischen Wiedereintritts in die integrierten Strukturen des Bündnisses waren die 1980er Jahre von weiteren Querelen um die Ägäis geprägt. Türkische Luftraumverletzungen über griechischem Hoheitsgebiet gingen mit griechischen Manöverabsagen an die NATO einher und machten die Versuche des SACEUR und des NATO-Verteidigungsausschusses zunichte, die Südostflanke militärisch zu stabilisieren.1 Der Streit um die Abgrenzung der militärischen Kontrollbefugnisse blieb nach wie vor ungelöst. Athen verweigerte den Aufbau der geplanten SEVENATAF und des neuen Hauptquartiers LANDSOUTHCENT in Larissa. Darüber hinaus reduzierte die griechische Regierung bis 1988 Zug um Zug ihre Zusammenarbeit mit den atlantischen Bündnispartnern.2 Im März 1988 konnte nach deutscher Bewertung nur noch im Rüstungsbereich von einer funktionierenden Kooperation Athens mit der NATO gesprochen werden.3 Ferner erschwerte Griechenland den westlichen Verbündeten die Nutzung NATO-eigener Einrichtungen auf griechischem Boden, wann immer das Bündnis Militärübungen plante und türkische Kräfte an den Manövern beteiligt werden sollten.4 Die NATO-Übung »Apex Express« im Jahre 1982 musste aus solchen Gründen abgesagt werden.5 Das Manöver sollte dazu dienen, auf militärischem Wege die gemeiname Bündnissolidarität zu demonstrieren. Griechenland setzte nach dem Wahlsieg der sozialistischen PASOK im Oktober 1981 auch auf politischer Ebene seinen bündniskritischen Kurs fort und erklärte den

1

2 3 4

5

Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 6.11.1982, PA AA, B 150, Bd 549, Nr. 767; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 1.12.1982, PA AA, B 150, Bd 552, Nr. 2197; AA-interne Bewertung zur griechischer Haltung zur NATO und griechisch-türkischem Verhältnis im NATO-Bündnis, 3.6.1983, PA AA, B 150, Bd 567, Nr. 201-360.90/GRI/2088/83 VS-V; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 2.2.1983, PA AA, B 150, Bd 556; Nr. 195; AdG, 54 (1984), 20.8.1984, S. 27991; Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 273; Coufoudakis, GreekTurkish Relations, S. 212; Meinardus, Der Konflikt über den Status der ostägäischen Inseln, S. 46; Brown, Delicately Poised Allies, S. 15; Haass, Alliance Problems, S. 64 Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 23.03.1988, PA AA, B 14-201, Bd 143452, Nr. 322. Ebd. Brown, Delicately Poised Allies, S. 15; Haass, Alliance Problems, S. 64; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 1.12.1982, PA AA, B 150, Bd 552, Nr. 2197; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 6.11.1987, PA AA, B 14-201, Bd 143452, Nr. 997; Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 13.11.1987, PA AA, B 14-201, Bd 143452, Nr. 1018. Eine ausführliche Beschreibung der Vorgänge, die zur Absage des Manövers führten, findet sich bei Lemke, Die Allied Mobile Force, S. 270‑272.

DOI: 10.1515/9783110465273-008

266

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

türkischen NATO-Partner in der eigenen Öffentlichkeit zum Hauptfeind des Landes.6 Der neue Regierungschef Andreas Papandreou unternahm im Dezember 1981 sogar den Versuch, in den Sitzungen des Defence Planning Committee von der NATO Sicherheitsgarantien für Griechenland gegen einen möglichen militärischen Angriff der Türkei einzufordern. Da die Mitgliedsstaaten dies erwartungsgemäß ablehnten, weigerte sich Papandreou auf der Dezembertagung des NATO-Ministerrates, seine Unterschrift unter das Abschlusskommuniqué zu setzen.7 Darüber hinaus wurde die griechische Regierung nicht müde, die NATO und den amerikanischen Partner vor der Weltöffentlichkeit scharf zu kritisieren. Zudem litt die Bündniskohärenz abermals unter der griechischen Haltung:8 Athen war nicht bereit, die Sanktionen der westlichen Bündnispartner gegen die UdSSR wegen des Einmarsches in Afghanistan mitzutragen, und solidarisierte sich in Fragen der Unterdrückung von Streikbewegungen in Polen mit dem Kreml. Auch beteiligte sich Papandreou nicht am Wirtschaftsembargo der EG gegen das von Gaddafi beherrschte Libyen, das im Verdacht stand, den internationalen Terrorismus in Europa und im Nahen Osten zu unterstützen. Ferner gewährte Athen dem amerikanischen Partner Stützpunktrechte nach wie vor nur gegen großzügige Finanzhilfen.9 Abseits der Öffentlichkeit hielt Griechenland aber an seiner NATO-Bindung fest.10 Wie die Vorgängerregierung unter Konstantinos Karamanlis gelangte auch die PASOK zu dem Schluss, dass die griechische Mitgliedschaft im Bündnis und die damit verbundenen Verteidigungshilfen und Rüstungstechnologien dem kleinen Land im Wettlauf mit der Türkei unverzichtbare Vorteile boten.11 Dementsprechend machte Papandreou der NATO und dem US-Verbündeten hinter verschlossenen Türen Zugeständnisse in Stützpunkt- und Stationierungsfragen, die der griechischen Wählerschaft meist verborgen blieben.12 Das Verhältnis der Türkei zur NATO hatte sich seit dem Ende des amerikanischen Rüstungsembargos leicht verbessert. Ankara betrachtete den griechischen Nachbarn nach wie vor nicht als primäre Bedrohung seiner nationalen Sicherheit.13 Die Hauptsorge bestand vielmehr in den Versuchen der kurdischen PKK, den Südosten des Landes mit Terrorakten zu destabilisieren. Außenpolitisch standen der Nahe und Mittlere Osten daher an der Spitze der Agenda.14 In Syrien und dem Libanon befanden sich Rückzugsorte und Versorgungszentren für terroristische Gruppierungen kurdischer und armenischer

6

7 8 9 10 11

12 13 14

Undatiertes, FCO-internes Arbeitspapier zur Beurteilung der Regierung Andreas Papandreou, TNA, FCO  46, 2628; Telegramme britische Botschaft Athen an FCO, 23.10. und 4.11.1981, TNA, FCO  46, 2628, Nr.  303 und Nr.  324; Coufoudakis, Greek-Turkish Relations, S.  212; Brown, Delicately Poised Allies, S. 5. FCO-internes Papier zur Vorlage bei Secretary of State, 10.12.1981, TNA, FCO 46, 2628. Haass, Alliance Problems, S. 62. Brown, Delicately Poised Allies, S. 24. Haass, Alliance Problems S. 63. Ebd. Dies lässt sich der griechischen Haltung in den NATO-Debatten um Militärhilfen für Griechenland, die Türkei und Portugal entnehmen. Hierzu Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter (NATO) an AA, 19.4.1982, PA AA, B 150, Bd 524; Nr. 726. Haass, Alliance Problems S. 63. Brown, Delicately Poised Allies, S. 50‑52. Ebd., S. 66‑69.

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

267

Herkunft. Ferner drohte das neue türkische Bauprojekt des Atatürk-Staudamms neue Konflikte um die Wasserversorgung mit den südlichen Anrainerstaaten auszulösen. Auch den religiösen Fundamentalismus im Iran unter Ajatollah Chomeini und den seit Herbst 1980 tobenden irakisch-iranischen Golfkrieg verfolgte die kemalistische Militärführung mit Argwohn. Lediglich das türkische Verhältnis zu Israel war in diesen Jahren einigermaßen stabil. In Anbetracht der unsicheren Lage im Nahen und Mittleren Osten räumten die westlichen Verbündeten ein, dass die Türkei weit größerer Rüstungshilfen bedurfte, als Washington Ministerpräsident Turgut Özal aus Rücksicht auf den griechischen Partner zuzugestehen bereit war.15 Die türkische Volkswirtschaft litt unter denselben Problemen wie im Jahrzehnt zuvor. Der Staatshaushalt des Landes vermochte den enormen Instandhaltungs- und Modernisierungsbedarf der türkischen Streitkräfte nicht annähernd zu decken. Der US-Kongress hatte zwar das Embargo beendet, verweigerte jedoch die Erhöhung laufender Militärhilfen, solange die Türkei in der Zypernfrage keine neuen Kompromisse mit Athen einging.16 Derartige Forderungen blieben für Ankara ein Tabu. Als Antwort auf die amerikanischen Bedingungen folgte das Land schließlich dem griechischen Beispiel und stellte die Stützpunktrechte der NATO und der US-Streitkräfte im Lande in direkte Abhängigkeit zu den Transferleistungen der westlichen Partner. Trotz der fortgesetzten Schwierigkeiten, denen das Bündnis im Umgang mit den beiden zerstrittenen Mitgliedern gegenüberstand, zeichneten sich auch positive Auswirkungen ab. Das konkurrierende Verhalten Griechenlands und der Türkei um westliche Rüstungshilfen erwies sich insofern als integrierender Faktor, als keiner der beiden Staaten es wagte, der Allianz wegen der bilateralen Streitigkeiten den Rücken zu kehren. Die dringend benötigten Verteidigungshilfen entfalteten auf diesem Wege eine bindende Wirkung. Dieser Umstand hinderte die beiden Widersacher jedoch nicht daran, ihre bilateralen Auseinandersetzungen über den kollektiven Bündniszweck zu stellen. Seit 1982 schwelte zwischen Griechenland und der Türkei ein neuer Streit um die Militarisierung der nordägäischen Insel Lemnos. Athen hatte eine Brigade Kampftruppen auf dem Eiland stationiert, um seine Hoheitsrechte in der Ägäis gegenüber Ankara zu unterstreichen.17 Die türkische Regierung hatte darauf mehrfach mit Verletzungen des griechischen Luftraumes reagiert und ihre militärischen Aktivitäten in der Ägäis intensiviert. Ankara betrachtete die griechische Truppenpräsenz nach wie vor als völkerrechtswidrig und berief sich dabei auf das Demilitarisierungsabkommen des Vertrages von Lausanne aus dem Jahre 1923. Griechenland wiederum erachtete die Entmilitarisierung seit der Konvention von Montreux für nichtig und wies die türkische Auslegung zurück.18

15 16 17 18

Haass, Alliance Problems S. 65; Beschlussvorlage des AA an den Bundessicherheitsrat, 24.1.1980, PA AA, B 150, Bd 471, Nr. 201-363.60/2/239/80 VS-V. Haass, Alliance Problems, S. 65. AA-interne Vorlage der Unterabteilung  20 für Staatssekretär zur multilateralen Überprüfung Griechenlands, 23.11.1984, PA AA, B 150, VS-Bd 12071 (201), Nr. 201-363.95/1821/84/VS-V. Drahtbericht bdt. Botschaft Ankara an AA, 18.3.1982, PA AA, B 150, Bd 529, Nr. 420; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 1.12.1982, PA AA, B 150, Bd 552, Nr. 2197; Meinardus, Der Konflikt über den Status der ostägäischen Inseln, S. 46.

268

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

Zwar hielt sich der Konflikt trotz der dauerhaften Spannungen in Grenzen. Die NATO-Mitgliedsstaaten erachteten eine militärische Auseinandersetzung als unwahrscheinlich. Athen selbst bemühte sich Ende 1982, den Dialog mit der türkischen Hauptstadt am Leben zu erhalten und ein moderates Gesprächsklima zu schaffen.19 Die Allianz ihrerseits versuchte die Lage zu entspannen, indem sie im Raum Lemnos keine multinationalen Manöver mehr ansetzte.20 Nichtsdestoweniger war das Bündnis im Spätherbst 1984 direkt von den Zwistigkeiten betroffen. Die auf Lemnos stationierte 88. griechische Infanteriebrigade war bis dato kein NATO-assigniertes Streitkräfteelement gewesen. In den Sitzungen des NATO Defence Review Committee Ende November 1984 suchte Athen den Verband erstmals in die kollektiven Verteidigungsplanungen des Bündnisses zu integrieren, um dessen Präsenz auf Lemnos zu legalisieren.21 Der SACEUR war dem griechischen Anliegen wohlgesonnen.22 Die Türkei aber legte Veto gegen das Vorhaben ein und drohte dem amerikanischen Verbündeten, das Verhältnis zur Allianz grundsätzlich zu überdenken, wenn das Bündnis dem griechischen Ansinnen nachgab.23 In der Folge weigerten sich Griechenland und die Türkei schließlich, ihre bündnisinternen Streitkräftepläne anzuerkennen, was die Verteidigungsplanungen der NATO an ihrer Südostflanke empfindlich zu stören drohte. NATO-Generalsekretär Peter Carington und der NATO-Rat forderten beide Partner vergeblich auf, ihren Streit nicht auf dem Rücken der Allianz auszutragen. Im Ergebnis konnte das NATO Defence Planning Committee das Streitkräftepotenzial Griechenlands und der Türkei nicht mehr in die kollektiven Bestandsaufnahmen und Verteidigungsanstrengungen des Bündnisses integrieren.24 Die Länderkapitel Griechenlands und der Türkei fehlten bis 1989 im offiziellen Bestandsbericht der Allianz (General Report) und erschwerten die bündniseigene Beurteilung der militärischen Einsatzbereitschaft an der Südflanke. Zudem sollte sich die Auseinandersetzung im Jahre 1989 in ähnlicher Weise wiederholen. Ankara legte Veto gegen die Modernisierung einer griechischen Fernmeldeanlage auf Rhodos ein, die mit Infrastrukturmitteln der NATO überholt werden sollte.25 Beide Staaten blockierten daraufhin wechselseitig ihre Länderkapitel im NATO-Infrastrukturhaushalt und brachten die bautechnischen Vorhaben des Bündnisses auf griechischem und türkischem Boden stellenweise zum Erliegen. Der griechisch-türkische Verteidigungsabschnitt blieb bis zum Ende des Kalten Krieges die Achillesferse des Bündnisses.

19 20 21

22 23 24

25

Drahtbericht bdt. Botschaft Athen an AA, 8.12.1982, PA AA, B 150, Bd 552, Nr. 833. Meinardus, Der Konflikt über den Status der ostägäischen Inseln, S. 46. Drahtberichte bdt. Ständiger Vertreter an AA, 22.11.1984, PA AA, B 150, VS-Bd 12071 (201), Nr. 1984 und Nr. 1989; und Drahtberichte bdt. Botschafter Ankara an AA, 24.11. und 26.11.1984, PA AA, B  150, VS-Bd  12071 (201), Nr.  2643 und Nr.  2655; Brown, Delicately Poised Allies, S. 13 f. Memorandum State Dep.artment für Robert McFarlane, White House, 23.11.1984, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Executive Secretariat NSC Country File Turkey, Box 20. Ebd.; Drahtbericht bdt. Ständiger Vertreter an AA, 27.11.1984, PA AA, B  150, VS-Bd  12071 (201), Nr. 2028. Drahtberichte bdt. Ständiger Vertreter an AA: 29.11.1984, PA AA, B 150, VS-Bd 12071 (201), Nr. 2058 und Nr. 2068; 30.11.1984, PA AA, B 150, VS-Bd 12071 (201), Nr. 2075; Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 30. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 66 f.

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

269

Im Frühjahr 1987 zeichnete sich eine neue Krise um Schürfrechte in der Ägäis ab. Anlass dafür bildete die Verlautbarung des auf griechischer Seite tätigen, internationalen Erdölkonsortiums der North Aegean Petroleum Company/Denison Mines Ltd. (NAPC). Das Syndikat kündigte auf Geheiß der griechischen Regierung an, in den umstrittenen Gewässern um die Insel Thasos mit Probebohrungen nach fossilen Rohstoffen zu beginnen.26 Ende Februar legte die türkische Regierung Protest gegen das Vorhaben ein und drohte Athen mit militärischen Reaktionen, sollte Griechenland die Erforschung des Gewässerbodens in der strittigen Zone zulassen.27 Obwohl die griechische Regierung sich Ende März schließlich bereit erklärte, auf die Bohrungen zu verzichten, entspannte sich die Lage nicht. Ankara rief den Nationalen Sicherheitsrat seines Landes zu einer Sondersitzung ein, um über die wiederholten Ambitionen seines Nachbarlandes zu beraten, die ägäischen Streitfragen im griechischen Sinne zu lösen. Als Antwort auf die vermeintlichen Provokationen Athens erteilte die türkische Regierung ihrer staatlichen Erdölgesellschaft TPAO ebenfalls Bohrlizenzen, entsandte ihre beiden Forschungsschiffe »Sismik« und »Piri Reis« in Richtung des umstrittenen Gebiets und gab öffentlich bekannt, in den besagten Gewässern mit eigenen Bohrversuchen zu beginnen.28 Der Türkische Generalstab warnte Griechenland, dass er die Arbeiten mit eigenen Seestreitkräften gegen fremde Interventionen zu schützen gedachte.29 Den übrigen NATO-Mitgliedsstaaten gab Ankara zu erkennen, dass ein militärischer Schlagabtausch mit der westlichen Nachbarin nicht ausgeschlossen sei, sollte die griechische Marine versuchen, das Vorhaben gewaltsam zu unterbinden.30 Die Auseinandersetzung begann sich zuzuspitzen. Athen versetzte seine Streitkräfte in Alarmbereitschaft, berief zahlreiche Reservisten ein und entsandte seine gesamte Flotte in die Ägäis.31 Das griechische Außenministerium setzte die Bündnispartner darüber in Kenntnis, dass griechische Zerstörer das Feuer auf die türkischen Forschungsschiffe eröffnen würden, falls jene mit Bohrtätigkeiten begännen.32 Gleichzeitig warf Premierminister Papandreou der NATO und dem amerikanischen Verbündeten vor, den Konflikt mit wachsenden Rüstungstransfers an die Türkei künstlich verschärft zu haben. Auch lehnte der griechische Regierungschef eine Schlichtung durch Washington oder den NATO-Rat ausdrücklich ab.33 Ferner brüskierte Papandreou die westlichen Partner, indem er Außenminister Karolos Papoulias34 ins benachbarte kommunistische Bulgarien entsandte, um dort für diplomatische Unterstützung gegen die Türkei zu wer26 27 28 29 30 31 32 33 34

Ebd., S. 37 und S. 42; Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S. 102. Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S. 104 f. Ebd., S. 105; Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 39 f. Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 23.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 8; AdG, 57 (1987), 20.8.1984, S. 30972. White House Sit Room Note, 27.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 1; Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S. 106. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S.  39  f.; Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S. 113 und S. 120; Brown, Delicately Poised Allies, S. 12. White House Sit Room Note, 27.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 1. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 42‑44; Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S. 109 f. Karolos Papoulias war später von 2005 bis März 2015 griechischer Staatspräsident.

270

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

ben. Im Vorjahr hatte Athen seine diplomatischen Beziehungen zu Sofia intensiviert und mit dem einstigen Erbfeind eine wechselseitige Freundschaftserklärung unterzeichnet, die einem Nichtangriffspakt beider Staaten gleichkam. Darüber hinaus drohte die griechische Regierung, den US-Militärstützpunkt Nea Makri zu schließen. Athen forderte den amerikanischen Partner auf, die Türkei unter Druck zu setzen, damit diese ihre Forschungsexpedition unverzüglich abbrach.35 In der griechischen Bevölkerung wurden währenddessen Anzeichen einer wachsenden Krisenstimmung laut, die durch die Aussagen Papandreous in der Presse noch angeheizt wurde. In den ländlichen Regionen Thrakiens reagierten die griechischen Einwohner mit Hamsterkäufen an Lebensmitteln, um Versorgungsengpässe zu überwinden, sollten sich am Grenzfluss Evros erste Gefechte mit türkischen Truppen entzünden. Auch die Türkei mobilisierte Teile ihrer Luftstreitkräfte.36 Das türkische Heer und die Flotte aber verharrten weitgehend im Friedenszustand.37 Es lag nahe, dass sich der Türkische Generalstab der zahlenmäßigen Stärke seiner 1. Armee am Bosporus und der Schutzlosigkeit des Dodekanes gegen eine Besetzung durch seine 4. »Ägäische« Armee im Falle eines Krieges bewusst war und daher keine vorschnelle, kostspielige Mobilmachung seiner Streitkräfte anordnen wollte. Anders als im griechischen Thrakien blieb auch die türkische Bevölkerung gelassen.38 Dennoch bewerteten CIA, NSC und das State Department die Lage als sehr ernst. Der amerikanische Nachrichtendienst vertrat die Ansicht, dass ein griechisch-türkischer Schlagabtausch eine Spirale der Eskalation auslösen und unter Umständen in einen langen und blutigen Krieg münden könnte.39 Die NATO reagierte umgehend. Sie hatte aus den vergangenen ägäischen Konflikten Lehren gezogen. Den Mitgliedsstaaten war im Laufe der Jahre und Jahrzehnte bewusst geworden, dass die Allianz – im Gegensatz zu den schweren Krisen um Zypern – in den ägäischen Streitigkeiten mit den zu Gebote stehenden diplomatischen Mitteln und dem Instrument der kollektiven Militärhilfen schlichtende Wirkung erzielen konnte, wenn sie rasch handelte. Generalsekretär Lord Carington berief den NATO-Rat daher zu einer Sondersitzung ein. Er beabsichtigte, den griechischen und den türkischen Partner durch eine Aussprache dazu zu drängen, von einer Verschärfung der Lage abzusehen und einen Ausweg in Verhandlungen zu suchen.40 Zeitgleich warnten Vertreter des State Department, des FCO und des Auswärtigen Amtes die türkische Regierung gemeinschaftlich davor, die Angelegenheit eskalieren zu lassen. Sie drohten mit Konsequenzen. Augenscheinlich brachten sie dabei die amerikanischen und deutschen Rüstungslieferungen zur Sprache. Die europäischen Bündnispartner wiederum gaben Ministerpräsident Özal zu bedenken, dass die lukrative Mitgliedschaft seines Landes in der EG nicht mehr in Frage käme, wenn seine Regierung den Konflikt weiter schürte. Ankara hatte den Antrag 35 36 37 38 39 40

Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S.  44; Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 28.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 8. Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 28.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 8. Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S. 111 und S. 115. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 44. Protokoll Gespräch Vertreter NSC, State Dep., Pentagon, CIA und JCS im White House Sit Room, 27.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 8. Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S.  43  f. und S.  95; AdG, 57  (1987), 20.8.1987, S. 30972.

VIII. Der Fortgang des Konflikts in den 1980er Jahren

271

auf Aufnahme in die Gemeinschaft just im selben Jahr gestellt und erhoffte sich mit einem Beitritt wirtschaftliches Wachstum und eine zunehmende Industrialisierung seiner agrarisch geprägten Regionen.41 Es gelang Carington und den NATO-Mitgliedern schließlich, die Türkei zum Einlenken zu bewegen.42 Özal erklärte nach einigem Zögern, Athen nicht unnötig provozieren zu wollen und seine Forschungsschiffe innerhalb der eigenen Hoheitsgewässer zu belassen, solange Griechenland dasselbe täte.43 Kurz darauf beorderte er die »Sismik« und die »Piri Reis« in ihre Heimathäfen zurück und erklärte die Krise offiziell für beendet.44 Es hatte sich abermals offenbart, dass den westlichen Militärhilfen für Ankara weit größere Bedeutung zukam, als türkische Öl- oder Sicherheitsinteressen in der Ägäis. Es war nicht zu verkennen, dass die türkische Abhängigkeit von den Rüstungs- und Finanzhilfen der NATO-Partner vor dem Hintergrund der schwachen Wirtschaft des Landes, der prekären Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten und in den von Kurden bewohnten Gebieten der Südosttürkei offenkundig einen höheren Stellenwert besaß als der Streit mit dem griechischen Nachbarn. Dementsprechend hatte die Türkei auf die griechische Mobilmachung moderat reagiert und die Schlichtungsbemühungen der NATO positiv aufgenommen. Dies bedeutete jedoch nicht, dass Ministerpräsident Özal einen Krieg mit Griechenland um jeden Preis hatte vermeiden wollen.45 Die Krise hatte aus türkischer Sicht aber insofern an Schärfe verloren, als Griechenland der NAPC den in Aussicht gestellten Bohrauftrag wieder entzogen hatte. Nicht zuletzt schien der Ausgang der Krise aus Sicht der Türkei zufriedenstellend verlaufen zu sein. Die Regierung Özals hatte die nationalen Interessen ihres Landes erfolgreich verteidigt und dem griechischen Nachbarn ein weiteres Mal vor Augen geführt, dass sie einen einseitigen griechischen Zugriff auf die fossilen Ressourcen in der Ägäis nicht duldete. Die NATO wiederum hatte ihre Integrations- und Schlichtungswirkung direkt und unmittelbar entfaltet. Das Bündnis hatte zeitgerecht und entschlossen reagiert, um insbesondere den türkischen Verbündeten zum Einlenken zu bewegen, bevor die Spannungen bedrohlichere Ausmaße annahmen. Der kollektive Wille der Allianz, die Krise mit aktiven Mitteln beizulegen, ehe die Auseinandersetzungen eskalierten, hatte die Gefahr eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei frühzeitig gebannt.

41 42 43 44 45

Brown, Delicately Poised Allies, S. 64. Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S.  110; Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 44. Telegramm US-Botschaft Ankara an State Dep., 28.3.1987, Pres. Lib. Ronald Reagan, WHSOF Ledsky Nelson Files, Box 8; AdG, 57 (1987), 20.8.1987, S. 30972. Dimitrakis, Greek Military Intelligence, S.  110; Axt/Kramer, Entspannung im Ägäiskonflikt?, S. 44. Dimitrakis, Greek Military Intelligence, vertritt die Meinung, weder Griechenland noch die Türkei hätten ernsthaft beabsichtigt, miteinander Krieg zu führen. Der Autor stützt sich bei seinen Ausführungen jedoch nahezu ausschließlich auf Zeitzeugengespräche oder Memoiren ehemaliger griechischer Militärs, ohne archivalische Dokumente heranzuziehen.

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

1. Fähigkeit oder Unvermögen der NATO, bündnisinterne Krisen und Konflikte an ihrer Südflanke zu lösen? Die vorliegende Studie hatte zum Ziel, die Rolle der NATO im griechisch-türkischen Konflikt zwischen 1952 und 1989 zu analysieren. Dabei ging es zunächst um die Fähigkeit des Bündnisses, die Krisen und Konflikte ihrer beiden südöstlichen Partner zu entschärfen und einen offenen Krieg zwischen Griechenland und der Türkei zu verhindern. In der ersten Zypernkrise in den 1950er Jahren bemühte sich die NATO nach anfänglichem Zögern um eine Lösung des Konflikts. Das Bündnis nutzte dafür in erster Linie diplomatische Wege. Generalsekretär Paul-Henri Spaak suchte mit Hilfe des NATORates einen Ausgleich zwischen den Streitparteien herzustellen und einen Ausweg für die Zukunft der Insel zu finden, der beiden Seiten gerecht würde. Jedoch blieb der Erfolg weitgehend aus. Die zahlreichen Debatten, die sich im NAC um die Zypernfrage abspielten, trugen lediglich dazu bei, die emotionale Brisanz des Konflikts geringfügig zu mildern. Die Abhängigkeit der griechischen Regierung vom zyprischen Erzbischof Makarios blockierte einen Kompromiss. Erst 1958 führten politische Entwicklungen im Nahen und Mittleren Osten zu einem Ausweg aus dem Dilemma. Die sowjetfreundliche Politik der Vereinigten Arabischen Republik (Syrien und Ägypten) und des Irak ließen der Türkei aus ihrer Sicht keine andere Wahl, als in der Zypernfrage nachzugeben, um ein dauerhaftes Zerwürfnis mit ihrem westlichen NATO-Partner Griechenland zu verhindern. Andernfalls wäre Ankara aus seiner Bewertung heraus Gefahr gelaufen, nur noch von feindlich gesinnten Nachbarstaaten umgeben zu sein und den militärischen Anschluss an seine westlichen Verbündeten zu verlieren. Die türkische Regierung trat daher von ihrer Forderung nach einer Teilung der Insel zurück und ebnete den Weg zu einem vertraglichen Abkommen mit Griechenland. Strukturell betrachtet trug die türkische Mitgliedschaft in der NATO somit zu diesem Kompromiss bei. Eine aktive Rolle nahm das Bündnis dabei aber nicht ein. Die Gefahr eines Krieges zwischen Griechenland und der Türkei blieb in dieser Krise gering. Zwar herrschte auf beiden Seiten eine hohe emotionale Anspannung. Jedoch verdrängten die Bedrohung durch den Warschauer Pakt und die gravierende griechische und türkische Abhängigkeit von amerikanischen Militärhilfen bei den Konfliktparteien jeden Gedanken an einen wechselseitigen Waffengang. Darüber hinaus wären weder Griechenland noch die Türkei militärisch und finanziell imstande gewesen, einen Feldzug gegen das jeweilige Nachbarland zu führen. Die türkischen Streitkräfte wären dem griechischen DOI: 10.1515/9783110465273-009

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

273

Gegner im quantitativen Kräftevergleich zwar um ein Vielfaches überlegen gewesen. Der kärgliche Staatshaushalt und die bedrohlichen Entwicklungen an den Südostgrenzen der Türkei zwangen Ankara jedoch dazu, die Option eines Krieges mit Griechenland grundlegend auszuschließen. Keine der beiden Seiten war daher gewillt, den Streit um die Zukunft Zyperns mit kriegerischen Mitteln auszutragen. Dementsprechend bedurfte es in dieser Krise keiner Intervention der NATO, um den Frieden zu bewahren. In der zweiten Zypernkrise im Jahre 1964 gelang es dem SACEUR zunächst, die beiden zerstrittenen Bündnispartner von einem wechselseitigen, militärischen Schlagabtausch abzuhalten. Der zeitlich begrenzte Erfolg war jedoch in erster Linie auf dessen Stellung als Oberster Befehlshaber der US-Streitkräfte in Europa und auf die Unterstützung Washingtons und der 6.  US-Flotte zurückzuführen. Seine Funktion als Vertreter der NATO spielte bei den Streitparteien dagegen nur eine untergeordnete Rolle. Die Eigenwirkung der NATO zur Entschärfung der Krise blieb daher marginal. Als der Konflikt sich zu verschärfen begann, verlor das Bündnis jede Kontrolle über die laufenden Entwicklungen. Die Allianz stand der rüden, von nationalen Eigeninteressen dominierten Vorgehensweise US-Präsident Johnsons in dieser Phase weitgehend machtlos gegenüber und musste mit ansehen, wie der amerikanische Verbündete die Türkei mit undiplomatischen Mitteln von einer Landung auf Zypern abhielt. Washington versagte sich auch der Initiative des Nordatlantischen Rates, über informelle Rüstungssanktionen Druck auf Griechenland und die Türkei auszuüben, die westlichen Verteidigungshilfen und die zur Verfügung gestellten NATO-Waffensysteme nicht für den Einsatz auf der Insel zu missbrauchen. Der Schlichtungserfolg des Bündnisses beschränkte sich daher auf diplomatische Initiativen, welche die griechische und türkische Kriegsrhetorik in der Folge ein wenig dämpften. Im Folgejahr 1965 schien das Bündnis doch noch entscheidend dazu beizutragen, den Konflikt zu entschärfen. Es sah zunächst so aus, als ob die NATO beide Bündnispartner über diplomatische Kanäle und rüstungspolitische Anreize dazu zu bewegen vermochte, ihre Differenzen um Zypern unter Verzicht auf wechselseitige Drohgebärden auszutragen. Der tatsächliche Einfluss der Allianz war aber gering. Vielmehr gelang es der türkischen Regierung, ihre westlichen Partner mit dem Verweis auf sowjetische Handels- und Wirtschaftsangebote unter Druck zu setzen, kollektive Verteidigungshilfen als Preis für ihre generelle Bündniskohärenz einzufordern. Zwar entspannte sich der Konflikt auf diesem Wege: Mit der sowjetischen Annäherung an die Türkei verlor Erzbischof Makarios seine bisherige Rolle als Günstling Moskaus und der griechischen Regierung, musste seine gewaltsame Politik gegenüber der türkisch-zypriotischen Volksgruppe zügeln und konnte sich einem griechisch-türkischen Ausgleich nicht länger in den Weg stellen. Jedoch hatte nicht die NATO, sondern die Sowjetunion mit ihrer »Freundschaftsoffensive« gegenüber der Türkei die Spannungen indirekt entschärft und die Gefahr eines Krieges zwischen den beiden zerstrittenen Bündnispartnern gebannt. Wenngleich keiner der beteiligten Akteure dies beabsichtigte, war es letzten Endes der Kalte Krieg, der diese Krise löste. In der dritten Zypernkrise im Jahre 1967 war der NATO zum ersten Mal ein entscheidender Durchbruch beschieden. Das wachsende amerikanische Interesse am Nahen Osten und der militärische Machtzuwachs der sowjetischen 5.  Escadra richteten Washingtons Blick weit stärker als bislang auf das östliche Mittelmeer. Dementsprechend

274

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

arbeitete die amerikanische Regierung gezielt darauf hin, das Bündnis in die Rolle eines aktiven Schlichters zwischen Griechenland und der Türkei zu versetzen und die Allianz hier nach Kräften zu unterstützen. Obgleich nicht die NATO, sondern Washington und dessen Sonderbeauftragter Cyrus Vance auf der Höhe der Auseinandersetzungen einschritten und die türkische Regierung davon überzeugten, von einer militärischen Landung auf der Insel abzusehen, stieg die Bedeutung des Bündnisses in dieser Krise erheblich. Die Rüstungshilfen der westlichen Verbündeten und die griechische und türkische Einbettung in die integrierten Strukturen und politischen Gremien der NATO stellten für beide Streitparteien diesmal den zentralen Anreiz dar, die Schlichtungsvereinbarung einzuhalten, die der amerikanische Sondergesandte mühsam erarbeitet hatte. Mit aktiver amerikanischer Rückendeckung und tatkräftiger Unterstützung des State Department gelang es dem Bündnis an dieser Stelle zum ersten Mal, maßgeblich zur Stabilisierung des griechisch-türkische Verhältnisses beizutragen und einen Waffengang zwischen den beiden Staaten auf lange Sicht zu verhindern. Der Konflikt des Jahres 1967 legte aber andererseits offen, dass den Schlichtungsversuchen der Allianz jeweils nur dann von Erfolg gekrönt war, wenn die amerikanische Führungsmacht aktiv und gezielt darauf hinarbeitete, den Streit zwischen den verfeindeten Bündnispartnern mit Hilfe der NATO beizulegen. Demnach musste Washington nicht nur selbst bereit sein, enormen politischen Druck auf Griechenland und die Türkei auszuüben, sondern – im Gegensatz zu Lyndon Johnsons unilateralem Vorgehen vom Juni 1964 – alles daran zu setzen, die NATO in das amerikanische Vorgehen einzubinden. In den bisherigen Krisen hatte der US-Verbündete entweder nur begrenzt interveniert oder aber den Ehrgeiz vermissen lassen, die übrigen Allianzmitglieder an seiner Vorgehensweise teilhaben zu lassen. Nicht zufällig offenbarten sich hier auffällige Parallelen zur unilateralen Politik Washingtons während der Kubakrise. In der vierten Zypernkrise im Sommer 1974 verfiel Washington in sein altes Verhaltensmuster. NSC und Weißes Haus zeigten kein Interesse an einer Schlichtung durch die NATO und weigerten sich, die türkische Regierung an der Fortsetzung ihrer militärischen Operation auf Zypern zu hindern. Die amerikanischen Planungen zielten darauf ab, Ankara – nicht aber die griechische Regierung unter Konstantinos Karamanlis – fester an die Allianz zu binden. Washingtons nationale Ambitionen im Nahen und Mittleren Osten bedurften mehr denn je der Türkei als Brücke zum Vorderen Orient. Dementsprechend suchten Nixon und seine sicherheitspolitischen Berater das türkischamerikanische Verhältnis nicht durch eigene Interventionen im Zypernkonflikt zu belasten. Um sich der Bündnistreue des türkischen Partners zu versichern, war das Weiße Haus bereit, die neue griechische Regierung unter Konstantinos Karamanlis zu brüskieren. Obwohl die europäischen NATO-Partner vereinzelt Zweifel an der Zweckmäßigkeit dieser Entscheidung hegten, vermochten sie die Allianz ohne den Willen und die aktive Unterstützung des amerikanischen Verbündeten nicht in die Lage zu versetzen, die Krise um die Insel auf anderem Wege zu lösen. Die bündnispolitischen Mechanismen versagten hier weitestgehend und zogen in der Folge den griechischen Austritt aus den integrierten Militärstrukturen der NATO nach sich. Ferner deckten die gewaltsamen Ereignisse die Grenzen der Integrationswirkung des Bündnisses auf. Auf der Höhe der Krise herrschte in der griechischen Regierung und in den Streitkräften eine emotionale Stimmung, die das Land an den Rand eines Krieges

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

275

mit der Türkei trieb.1 Athen schreckte vor direkten Kampfhandlungen mit seinem türkischen Nachbarn nahezu ausschließlich wegen des desolaten Zustands und der Schwäche seiner eigenen Streitkräfte zurück. Die strukturelle Abhängigkeit des Landes von den westlichen Verteidigungshilfen spielte wegen der aufgeheizten Gemüter an diesem Punkt nur eine untergeordnete Rolle. Es wurde deutlich, dass die institutionellen Organisationsstrukturen, politischen Bündnisgremien und die integrierte Militärstruktur der Allianz einen Krieg unter Bündnismitgliedern bei Konflikten derartigen Ausmaßes im Zweifelsfalle nicht verhindern konnten. Bei den ägäischen Krisen der Jahre 1974 und 1987 stellte sich die Situation hingegen anders dar. Anders als in der Zypernfrage überwog das grundsätzliche Anliegen Griechenlands und der Türkei, die Spannungen nicht ausufern zu lassen. Folglich war die NATO bei diesen Konflikten in der Lage, die wechselseitigen Spannungen zu entschärfen, ohne dass der Hegemon dabei die Federführung übernahm. Die Abhängigkeit der Streitparteien von den kollektiven Militär- und Rüstungshilfen des Bündnisses spielte diesmal eine zentrale Rolle. Unter dem Schirm des Bündnisses waren beide Streitparteien bestrebt, ihre Auseinandersetzungen primär mit friedlichen Mitteln auszutragen, militärische Drohgebärden auf ein Minimum zu beschränken und ihren Zwist nicht außer Kontrolle geraten zu lassen. Die Allianz wiederum konnte verhindern, dass die Krisen eskalierten und sich die Bündnispartner unter dem Stichwort eines »war by accident« unversehens in einem Krieg wiederfanden, den eigentlich keine der beiden Parteien gewollt hatte. Dementsprechend konnten die Schlichtungsmechanismen der NATO hier deutlich höhere Wirkung entfalten, als dies bei den Zypernkrisen der Fall war. Das ägäische Spannungsfeld wies ein strukturelles Konfliktpotenzial auf, das hinsichtlich der Gefahr einer bewaffneten Auseinandersetzung weit unterhalb der Schwelle der Krisen um Zypern lag. Anders als bei der emotionsgeladenen Zypernfrage handelte es sich hier nicht um Angelegenheiten, die durch ethnische Machtfragen und panhellenische Bestrebungen befeuert wurden. In der Ägäis und in Thrakien gab es seit den wechselseitigen Bevölkerungsvertreibungen des Jahres 1923 praktisch keine ethnischen Streitpunkte mehr. Mit Blick auf ihre nationale Wählerschaft besaßen daher sowohl die griechische, als auch die türkische Regierung größeren Handlungsspielraum. Darüber hinaus berührten die ägäischen Spannungen auch nicht die empfindliche Südostküste der Türkei mit ihren wirtschaftlich und strategisch bedeutsamen Seehäfen Mersin und İskenderun. Obgleich es der NATO nicht gelang, die ägäischen Konflikte vollständig und dauerhaft zu beenden, bewahrte sie bei diesen Auseinandersetzungen den Frieden zwischen den beiden Verbündeten. Aufgrund des Gesamtbildes lässt sich schlussfolgern: Die Fähigkeit der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation, bündnisinterne Krisen und Konflikte zwischen verfeindeten Bündnispartnern kollektiv zu entschärfen, traf ausschließlich dann zu, wenn die Auseinandersetzungen niedrige Intensität aufwiesen. Die Streitparteien selbst mussten die grundlegende Bereitschaft erkennen lassen, ihre wechselseitigen Konflikte nicht ausufern zu lassen und eine Entscheidung möglichst ohne Waffengewalt herbeizuführen. 1

Der französische Historiker und Politologe Alfred Grosser vertritt sogar die Meinung, dass sich Griechenland zu diesem Zeitpunkt mit der Türkei faktisch bereits im Krieg befunden habe. Grosser, The Western Alliance, S. 285.

276

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

Letzten Endes konnte das Nordatlantische Bündnis aus seiner institutionellen Eigenwirkung heraus den guten Willen und die Verhandlungsbereitschaft der zerstrittenen Mitglieder nur verstärken, nicht aber erzwingen. Dennoch lässt sich für das Wesen der NATO ein wichtiger Aspekt festhalten: Das Bündnis bildete einen dauerhaften Stabilitätsfaktor zur Sicherung und Stabilisierung des europäischen Raumes bis an seine exponierten Außengrenzen, solange die bündnisinternen Konflikte eine bestimmte Eskalationsstufe nicht überschritten. Die Allianz stellte somit nicht nur ein reines Abschreckungs- und Verteidigungsbündnis nach außen dar, sondern erfüllte grundsätzlich auch eine – wenngleich begrenzte – Funktion nach innen, bewaffnete Auseinandersetzungen unter ihren Mitgliedern zu verhindern.

2. Die Rückwirkungen des Konflikts auf die NATO a) Die politischen Auswirkungen – Schwächung oder langfristige Konsolidierung der Kohäsion im Bündnis? In den 1950er Jahren hielten sich die politischen Risiken des Konflikts für die NATO in Grenzen. Weder versuchte der Warschauer Pakt, die Krise zu nutzen, um einen Keil in die westliche Allianz zu treiben und Griechenland und die Türkei vom Bündnis zu entfernen, noch ließen die beiden Mitglieder ernsthafte Ambitionen erkennen, als Folge des Konflikts offen von ihrer Bündnisdisziplin abzuweichen oder der Allianz gar den Rücken zu kehren. Beide Staaten hielten weitgehend an ihrer Bündnistreue fest. Im Gegensatz dazu stellte die zweite Zypernkrise (1963‑1965) den politischen Zusammenhalt des Bündnisses – soweit es die Südostflanke betraf – auf eine harte Probe. Die Türkei begann ihre Bindung an die Allianz zunehmend an Bedingungen zu knüpfen. Zwar gelang es der Sowjetregierung nicht, das Land vom westlichen Lager zu entfernen. Die wirtschafts- und entwicklungspolitischen Anreize Moskaus konnten die anatolische Halbinsel weder von der NATO lösen, noch die türkische Staatsführung dazu bewegen, einen Austritt aus dem westlichen Bündnis ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Jedoch zeigte die türkische Regierung unverkennbare Tendenzen, ihr Verhältnis zur Allianz künftig stärker an materielle Zuwendungen ihrer Verbündeten zu knüpfen. Gleichzeitig verfügte die Allianz mit ihren solidarischen Rüstungshilfen aber auch über Anreize, auf die weder Griechenland noch die Türkei verzichten wollten. Die NATO entfaltete über diesen Weg eine Anziehungskraft, die es beiden Flankenpartnern unattraktiv erscheinen ließ, sich ihrer Mitgliedschaft zu entledigen. Infolge der dritten griechisch-türkischen Krise im Jahre 1967 verschärfte sich die kritische Haltung der Türkei zum Bündnis. Ankara ging dazu über, seine Zugehörigkeit zur NATO nicht mehr nur überwiegend, sondern fast ausschließlich unter materiell-militärischen Gesichtspunkten und seiner lukrativen Einbettung in das integrierte Verteidigungssystem zu sehen. Lediglich die Ereignisse des Prager Frühlings riefen der türkischen Politik und Öffentlichkeit wieder stärker ins Bewusstsein, dass Solidarität und Bündniszusammenhalt keine Einbahnstraße darstellten und die ideellen Werte der Freiheit und Selbstbestimmung der Völker kein bloßes Lippenbekenntnis der NATO verkörperten.

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

277

Die Auswirkungen der vierten Zypernkrise (1974) markierten einen Höhepunkt. Sowohl die Türkei, als auch Griechenland ließen die Verbündeten in den späten 1970er und 1980er Jahren spüren, dass ihre Mitgliedschaft in der NATO einen hohen Preis hatte. Darüber hinaus stellten beide Partner ihre Bündniskohärenz in Frage. Einerseits blockierten oder sanktionierten sie die Militärorganisation, wann immer ihnen dies aus Rücksicht auf ihre nationale Wählerschaft notwendig erschien. Andererseits neigten sie dazu, von der Bündniskohärenz abzuweichen und ihre Beziehungen zum Warschauer Pakt zu intensivieren, ohne dies mit den westlichen Verbündeten abzustimmen. Insgesamt litt der bündnisinterne Zusammenhalt an der Südostflanke schwer unter dem griechisch-türkischen Konflikt. Auch schädigte der Dauerkonflikt die Kohärenz und die politische Zusammenarbeit an der Südostflanke erheblich. Gleichwohl gelang es der Allianz, Griechenland und die Türkei an sich zu binden. Die rüstungspolitischfinanziellen und geostrategisch-militärfachlichen Anreize erwiesen sich als zentrales Mittel, die Kohäsion zwischen Griechenland, der Türkei und den übrigen NATO-Partnern grundsätzlich zu erhalten. Obwohl die griechische Regierung der Allianz unentwegt vorwarf, die Sicherheit ihres Landes gegenüber der Türkei nicht garantieren zu können, gelang es der NATO, Griechenland 1980 sogar zum Wiedereintritt in die integrierten Strukturen zu bewegen. Allerdings geschah dies um den Preis hoher finanzieller Aufwendungen, welche die führenden Nationen im Bündnis tragen mussten. Zudem stellten die materiell-militärischen Anreize nicht das einzige Integrationsmittel dar. Paradoxerweise dienten die griechisch-türkischen Spannungen bis zu einem gewissen Grade selbst als Motor, beide Staaten dazu zu drängen, weiter an ihrer Mitgliedschaft festhalten. Weder Griechenland noch die Türkei konnten es sich aus ihrer Sicht leisten, das Bündnis zu verlassen und der gegnerischen Partei dadurch unbestreitbare Vorteile in den ägäischen Streitigkeiten zu verschaffen. Nur wenn beide Widersacher sich gleichzeitig entschlossen hätten, der NATO den Rücken zu kehren, wäre dieser Aspekt ausgeschieden. In Anbetracht des zähen Konkurrenzdenkens der Widersacher trat dieser Fall jedoch nicht ein. Vor allem Griechenland war zu dem Schluss gekommen, dass es seine nationale Sicherheit gegenüber einer möglichen Aggression des türkischen Nachbarn trotz fehlender Schutzversprechen der NATO nur im Rahmen einer dauerhaften Bündnismitgliedschaft würde erhalten können. Obgleich der griechisch-türkische Dauerkonflikt die Kohäsion im Bündnis auf das Äußerste strapazierte, stärkte er – auf lange Sicht – gerade dadurch den inneren Zusammenhalt. Die Krisen stellten unter Beweis, dass die NATO zwei zutiefst zerstrittene, verfeindete Partner langfristig integrieren konnte, obwohl sie deren Streitigkeiten nicht zu beseitigen vermochte. Zwar führte die Bündnismitgliedschaft sowohl in Ankara als auch in Athen mitunter zu Frustrationen, fehlgeschlagenen Erwartungen und Auseinandersetzungen mit den anderen Bündnispartnern. Der Nutzen, den die beiden Flankenpartner aus ihrer Teilhabe am Bündnis zogen, wog jedoch im Ergebnis stets höher als die Kosten etwaiger Kompromisse. An diesem Punkt stellte die Allianz ihre politische Krisenfestigkeit und den grundsätzlichen Fortbestand ihres inneren Zusammenhalts unter Beweis. Mit Blick auf ihre äußere Geschlossenheit gegenüber Spaltungsversuchen des Warschauer Paktes ging die NATO sogar langfristig gestärkt aus den griechischtürkischen Krisen hervor.

278

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

Hier stach die Nordatlantische Allianz unter anderen Bündnissen und Verteidigungsallianzen des 20. Jahrhunderts hervor. Zumindest in der neueren Geschichte westlicher Militärbündnisse ist ein derartiger Konflikt zwischen zwei Verbündeten, der im Ergebnis weder zum Zerfall noch zum vollständigen Austritt eines oder mehrerer Mitglieder führte, weitgehend ohne Gegenstück geblieben. Der Balkanpakt und die CENTO bilden hier zeitgenössische Gegenbeispiele. Beide Organisationen konnten weder den Austritt einzelner Mitglieder verhindern, noch ihre Angehörigen und deren Streitkräfte in ein System kollektiver Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit strukturell so integrieren, dass daraus eine dauerhafte und beständige Allianz entstand.2 Im Gegensatz zur CENTO waren die Mitgliedsstaaten der NATO in ihrer Mehrzahl gesellschaftlich stabil, demokratisch gefestigt und wirtschaftlich prosperierend. Die nordatlantischen Partner besaßen trotz ihrer fortwährenden Streitigkeiten um die Führungsrolle innerhalb der Allianz, der Verteilung militärischer Lasten und der Nuklearplanung ein gegenseitiges Grundvertrauen.3 Sie konnten sich grundsätzlich darauf verlassen, im Falle einer fremden Aggression auf den Beistand der übrigen Mitglieder zählen zu können. Ferner verfügten sie über die notwendigen Mittel, eine integrierte Militärorganisation zu finanzieren und ihren schwächeren Partnern finanzielle und materielle Verteidigungshilfen zukommen zu lassen. b) Die militärischen Folgen – Bagatelle an der Südflanke oder dauerhafter Schaden? Bereits in den 1950er Jahren stellte der politische Bruch zwischen Griechenland und der Türkei eine ernste Gefahr für die im Aufbau befindliche Verteidigungsaufstellung an der Südostflanke dar. Der Zusammenbruch der griechisch-türkischen Kooperation auf militärischem Gebiet beeinträchtigte zwar weder die nukleare Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses noch die Verteidigungsplanungen der NATO im europäischen Mittelabschnitt. Jedoch wäre im Falle einer Aggression des Warschauer Paktes mit einem schnellen Verlust der strategisch bedeutsamen Meerengen am Bosporus und den Dardanellen zu rechnen gewesen. Die NATO hätte in einem solchen Szenario unter Umständen den Zusammenbruch der gesamten Südflanke in Kauf nehmen müssen. In jedem Fall aber hätte das Bündnis den geografischen Anschluss an den ohnehin politisch und militärisch schwachen Bagdadpakt verloren, der die Ausdehnung des sowjetischen Einflusses in den Nahen und Mittleren Osten verhindern sollte. Mitte der 1960er Jahre stellte sich die Situation nur wenig anders dar. Militärisch erwiesen sich die Folgen als ebenso gravierend wie im Jahrzehnt zuvor. Jedoch litt diesmal nicht nur die instabile griechisch-türkische Verteidigungsaufstellung. Vielmehr waren auch das zwischenzeitlich in Betrieb genommene elektronische Frühwarnsystem (NADGE) und die regionale Luftverteidigung der NATO betroffen. Ferner war das Bündnis an seiner Südostflanke fortan nicht mehr in der Lage, die kollektive Einsatzfähigkeit und Kampfbereitschaft seiner konventionellen Kräfte mit Hilfe von multina2 3

Grosser, The Western Alliance, S. 124 f. Varwick, Die NATO, S. 13.

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

279

tionalen Militärmanövern sicherzustellen. Dies schloss nicht nur die griechischen und türkischen Streitkräfte ein, sondern betraf auch das flexible taktische Element der NATO – die Allied Mobile Force. Folglich konnten nur der nukleartaktische Schutzschild und die maritimen und fliegerischen Kräfte der 6. US-Flotte die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit der Allianz in der Region weiter gewährleisten. In der Krise des Jahres 1967 drohten die Auseinandersetzungen auch auf Thrakien überzugreifen, was ein weit größeres Gefahrenpotenzial in sich barg als in den bisherigen Konflikten. Wenn griechisch-türkische Kampfhandlungen am Grenzfluss Evros begonnen hätten, wäre die Südostflanke zwischen den Fronten zerrieben worden. Die NATO und die amerikanischen Streitkräfte hätten unter Umständen nicht nur mit der bloßen Beeinträchtigung sondern mit der Zerstörung ihrer radartechnischen Frühwarnanlagen und der Schließung ihrer Stützpunkte in Griechenland und der Türkei rechnen müssen. Der Radius und die Dichte der technischen Überwachungsfähigkeiten des Bündnisses hätten in einem solchen Fall dauerhaft an Spannweite und Effektivität verloren. Darüber hinaus wäre zu erwarten gewesen, dass ein Krieg unter den beiden Verbündeten das geostrategische Gleichgewicht in der Region erheblich zuungunsten der NATO verschoben hätte. Obgleich die Sowjetunion sich in dieser Krise politisch weitgehend bedeckt hielt, musste das Bündnis damit rechnen, dass die wachsenden sowjetischen Seestreitkräfte von der zerschlagenen Flanke profitiert und den Ausbau der Stützpunktrechte der SOVMEDRON im Mittelmeer zielgerichtet forciert hätten. Die Allianz wäre dann unter Umständen Gefahr gelaufen, ihre traditionelle Seeherrschaft im östlichen Mittelmeer aufgeben zu müssen. Die Südflanke hätte in einem solchen Fall neuer, aufwendiger Verteidigungsplanungen bedurft. In der zweiten Hälfte der 1970er Jahre erreichten die militärischen Folgen des Konflikts ihren Zenit. Die militärischen Einschnitte, die der Besetzung Nordzyperns durch türkische Truppen und dem damit verbundenen amerikanischen Rüstungsembargo gegen die Türkei folgten, stellten einen Schaden für die NATO dar, der weit über die bisherigen Beeinträchtigungen hinausging. An der Südostflanke gelangten die technischen Fähigkeiten der Aufklärung und Frühwarnung des Bündnisses über Jahre hinweg in einer Art und Weise zum Erliegen, als hätte zuvor ein Krieg zwischen Griechenland und der Türkei stattgefunden. Die militärische Reaktionsfähigkeit der Südflanke war dadurch erheblich gefährdet. Dies betraf teilweise auch die regionalen Einsatzmöglichkeiten nukleartaktischer Gefechtsfeldwaffen. Die Verschiebung des militärischen Kräftegleichgewichts hätte sich überdies auch auf den Mittelabschnitt auswirken können. Der Warschauer Pakt hätte nicht benötigte Truppen aus der Region abziehen, an der innerdeutschen Grenze oder in der ČSSR stationieren und damit den militärischen Druck auf die NATO erhöhen können. Auch führte der griechische Wiedereintritt in die integrierten Strukturen im Jahr 1980 weder dazu, dass die Stäbe und Kommandobehörden im griechisch-türkischen Verteidigungsabschnitt fortan effektiver arbeiteten, noch war die NATO in der Lage, dort wieder Übungen und Manöver abzuhalten. Insgesamt hatte sich die Südostflanke seit Ausbruch des griechisch-türkischen Konflikts im Jahre 1954 zur militärischen Achillesferse der NATO entwickelt. Die Abschreckungs- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses verharrte hier – im Gegensatz zum europäischen Mittelabschnitt – in den 1980er Jahren noch immer auf demselben niedrigen Niveau, das in den 1950er Jahren vorgeherrscht hatte. Dieser Schaden wog umso

280

IX. Zusammenfassung und Ergebnisse

schwerer, als während des gesamten Zeitraumes nicht die geringste Aussicht bestand, auf dem Wege des Bündniszusammenhalts und der Integrationswirkung der Allianz eine Besserung erzielen zu können. Anders als im europäischen Mittelabschnitt, wo die Angehörigen der NATO ein militärisches Erstarken und Rüstungsanstrengungen benachbarter Mitgliedsstaaten begrüßten und förderten, betrachteten der griechische und der türkische NATO-Partner seit Ausbruch der ersten Zypernkrise jeden militärischen Machtzuwachs ihres Bündnisnachbarn als latente Gefahr für die eigene Sicherheit.4 Sie zerstörten damit von vornherein jegliche Grundlage für den Aufbau einer effektiven und schlagkräftigen Verteidigungsaufstellung. Unter diesen Bedingungen stellte die Südostflanke militärisch eine offene Flanke dar, die weder durch zusätzliche Rüstungs- und Finanzhilfen an Griechenland und die Türkei noch durch sonstige technische, strategische oder diplomatische Maßnahmen hätte geschlossen werden können. Heute, im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts, hat die NATO ihre sicherheitsund verteidigungspolitischen Schwerpunkte mehr denn je auf die Flanken verlagert; sie steht dort vor neuen militärischen Herausforderungen. Dies betrifft im Norden den Schutz der baltischen Partnerstaaten vor vermeintlichen oder tatsächlichen Bedrohungen durch die Russische Föderation. Wegen der tobenden Bürgerkriege in Syrien, dem Irak und der Bedrohung durch die Terromiliz »Islamischer Staat« ist aber vor allem die Südflanke zu einem neuralgischen Punkt geworden. Ungeachtet der zahlreichen wirtschafts-, innen- und sicherheitspolitischen Herausforderungen, vor denen Griechenland und die Türkei derzeit stehen, hängen die militärische Sicherheit und Verteidigungsfähigkeit dieser Region der NATO nicht zuletzt vom Zusammenhalt, dem wechselseitigen Vertrauen und der Kooperation beider Bündnispartner ab.

4

Mit der Frage des wechselseitigen Grundvertrauens zwischen den Europäern und dem amerikanischen Partner hat sich vor allem Wallace Thies auseinandergesetzt: Thies, Why NATO Endures, S. 133.

Bildteil

281

NATO-Generalsekretär Lord Lionel Ismay, im Hintergrund links SACEUR General Alfred Gruenther, April 1952. ap/dpa/picture alliance/Süddeutsche Zeitung Photo

NATO-Gipfel in Paris, Dezember 1957. V.l.n.r am Tisch sitzend: Der türkische Ministerpräsident Adnan Menderes, der britische Premierminister Harold Macmillan, US-Präsident Dwight D. Eisenhower, NATO-Generalsekretär Paul-Henri Spaak. Rue des Archives/AGIP/ Süddeutsche Zeitung Photo

282

Bildteil

Erzbischof Makarios III. und der griechische Premierminister Konstantinos Karamanlis, November 1955. SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Der griechisch-zypriotische Oberst Georgios Grivas, März 1959. SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Der griechische Außenminister Evangelos Averoff, ca. 1982. Sven Simon/Süddeutsche Zeitung Photo

Bildteil NATO-Generalsekretär Paul-Henri Spaak und SACEUR General Lauris Norstad, ca. 1961. UPI/Süddeutsche Zeitung Photo

Türkische Zyprioten demonstrieren in Limassol gegen die griechische Politik, 1964. Rue des Archives/AGIP/ Süddeutsche Zeitung Photo

NATO-Ministerratssitzung, Dezember 1963: NATO-Generalsekretär Dirk Stikker (links) neben US-Außenminister Dean Rusk. Rue des Archives/AGIP/ Süddeutsche Zeitung Photo

283

284

Bildteil

Der griechische Premierminister Georgios Papandreou, 1964 (links im Bild). Rue des Archives/AGIP/Süddeutsche Zeitung Photo

SACEUR General Lyman Lemnitzer, März 1959. UPI/Süddeutsche Zeitung Photo

Der türkische Ministerpräsident İsmet İnönü und türkische Offiziere, Februar 1962. SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Bildteil

285

NATO-Generalsekretär Manlio Brosio und US-Präsident Lyndon Johnson, Februar 1968. UPI/Süddeutsche Zeitung Photo

Griechische Regierung nach der Machtübernahme des Militärs, 1967. V.l.n.r.: Innenminister Stilianos Patakos, Premierminister Konstantin Kollias, Informationsminister und Minister beim Premier Georgios Papapdopoulos, Koordinationsminister Nicholas Makarezos, Verteidigungsminister Grigorios Spandidakis. ap/dpa/picture alliance/ Süddeutsche Zeitung Photo

Der amerikanische Sonderbeauftragte Cyrus Vance, Juli 1968. UPI/Süddeutsche Zeitung Photo

286

Bildteil

Der amerikanische Außenminister Henry Kissinger und NATO-Generalsekretär Joseph Luns, Juli 1974. SZ Photo/Süddeutsche Zeitung Photo

Der türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit, März 1978. ap/dpa/picture alliance/Süddeutsche Zeitung Photo

SACEUR General Alexander Haig, 1978. Kucharz/Süddeutsche Zeitung Photo

Bildteil Landung auf Zypern: Türkische Truppen rücken am 30. Juli 1974 auf der Küstenstraße östlich von Kyrenia in Gebiete vor, die von griechischen Zyprioten gehalten werden. UPI/Süddeutsche Zeitung Photo

Vorrücken türkischer Truppen auf Famagusta, 16. August 1974. UPI/Süddeutsche Zeitung Photo

Von der türkischen Armee nach Abschluss der Operation Atilla aus Famagusta vertriebene griechisch-zypriotische Familie, 17. August 1974. ap/dpa/picture alliance/ Süddeutsche Zeitung Photo

287

288

Abkürzungen

AA AAPD AdG AFSOUTH AHEPA AKEL

Auswärtiges Amt Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland Archiv der Gegenwart NATO-Headquarters Allied Forces Southern Europe American Hellenic Educational Progressive Association Anorthotiko Komma Ergazomenou Laou (Fortschrittspartei des werktätigen Volkes auf Zypern) AMF Allied Mobile Force AP Adalet Partisi (Gerechtigkeitspartei bzw. Justizpartei der Türkei) ATAF Allied Tactical Air Force BArch Bundesarchiv bdt. bundesdeutsch BMVg Bundesministerium der Verteidigung BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland CENTO Central-Treaty-Organization (vorher: Bagdad-Pakt bzw. Mittelostpakt) CHP Cumhuriyet Halk Partisi (Republikanische Volkspartei der Türkei) CINCMED Commander in Chief Mediterranean CINCSOUTH Commander in Chief Allied Forces Southern Europe COM Commander COMECON Council for Mutual Economic Assistance (dt. RGW) COMEDEAST Commander Eastern Mediterranean Area CRO Commonwealth Relations Office DoD U.S. Department of Defense DMV (Bundes-)Deutscher Militärischer Vertreter (im NATO-Militärausschuss) DPC (NATO) Defence Planning Committee DRC (NATO) Defence Review Committee EG/EWG Europäische (Wirtschafts-)Gemeinschaft(en) EM Ethniko Metopo (Nationale Front Zyperns) EOKA Ethniki Organosis Kyprion Agoniston (Nationale Organisation griechisch-zypriotischer Kämpfer) FCO Foreign Commonwealth Office FIFTHATAF 5th Allied Tactical Air Force

290

Abkürzungen

FO Foreign Office HALFSEE NATO-Headquarters Allied Forces Southeastern Europe HQ Headquarters JCS US-Joint Chiefs of Staff KFOR Kosovo Force KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KSZE Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa LANDSOUTHCENT Allied Land Forces South Central Europe LANDSOUTHEAST Allied Land Forces South-Eastern Europe LANDSOUTH Allied Land Forces Southern Europe MBFR Mutual and Balanced Force Reductions MC Military Committee (NATO) MSP Millî Selamet Partisi (Islamische Heilspartei bzw. Nationale Heilspartei der Türkei) MLF Multilateral Force NAC North Atlantic Council NADGE NATO Air Defence Ground Environment NARA National Archives and Records Administration NSC National Security Council (USA) OSZE Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa PA AA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes PASOK Panellinio Sosialistiko Kinima (Panhellenische Sozialistische Bewegung) PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) RGW Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe SACEUR Supreme Allied Commander Europe SALT Strategic Arms Limitation Talks SEATO Southeast Asia Treaty Organisation (Manilapakt) SEVENATAF 7th Allied Tactical Air Force SFOR Stabilization Force SGLO Standing Group Liaison Officer SGN Standing Group NATO SGRep Standing Group Representative SHAPE Supreme Headquarters Allied Powers Europe SIXATAF 6th Allied Tactical Air Force SOVMEDRON Soviet Mediterranean Squadron (gleichzeitig 5. Escadra) STRIKEFORSOUTH Naval Striking and Support Forces Southern Europe (gleichzeitig 6. US-Flotte) TNA The National Archives TMT Türk Mukavement Teşkilatı (Türkische Widerstandsorganisation, Zypern)

Abkürzungen

TPAO

291

Türkiye Petrolleri Anonim Ortaklığı (Turkish Petroleum Corporation) UNFICYP United Nations Peacekeeping Force in Cyprus USAREUR Commander-in-Chief U.S. Air Force Europe USCINCEUR Commander-in-Chief U.S. Forces Europe USCINCLANT Commander-in-Chief U.S. Forces Atlantic USCINCNAVEUR Commander-in-Chief U.S. Naval Forces Europe USDAO U.S. Defense Attaché Office USNMR U.S. National Military Representative (Ständiger Militärischer USVertreter bei SHAPE) VAR Vereinigte Arabische Republik (Syrien und Ägypten) WEU Westeuropäische Union WHCF White House Central Files WHSOF White House Staff Office Files WSAG Washington Special Actions Group WVO Warschauer Vertragsorganisation

Quellen und Literatur

1. Ungedruckte Quellen The National Archives, London/Kew (TNA) CAB 21 Cabinet Office and predecessors: Registered Files (1916 to 1965) DEFE 11 Ministry of Defence: Chiefs of Staff Committee: Registered Files DO 220 Commonwealth Relations Office: Mediterranean Department: Registered Files (2-MED Series) FO 371 Foreign Office, Political Departments: General Correspondance from 1906 to 1966 FCO 9 Foreign Office, Central Department and Foreign and Commonwealth Office, Southern European Department: Registered Files (C and WS Series) FCO 41 Foreign Office, Western Organizations and Co-ordination Department and Foreign and Commonwealth Office, Western Organizations Department: Registered Files (W and WD Series) FCO 46 Foreign Office and Foreign and Commonwealth Office: Defence Department and Successors: Registered Files (ZD, DP and DT Series) Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA AA) B 14 B 26 B 150

Zwischenarchiv, NATO- und Verteidigungsfragen Länderreferate Mittelmeer Einzelakten Bundesarchiv, Abteilung Militärarchiv, Freiburg i.Br. (BArch)

BW 1 BW 2 BW 3 BW 4

Bundesministerium der Verteidigung Führungsstab der Bundeswehr/ Führungsstab der Streitkräfte Nichtteilstreitkraftgebundene Deutsche Anteile und Deutsche Vertreter bei Dienststellen der Nato Militärattachéstäbe

Quellen und Literatur

293

National Archives, Washington, DC; College Park, MD (NARA) RG 59

Records of the Department of State Gerald Ford Presidential Library, Ann Arbor, MI

NSA Kissinger Scowcroft West Wing Office Files 1969‑1977 NSA Presidential Agency File 1974‑1977 NSA Presidential Country Files Middle East 1974‑1977 NSA White House Sit Room Files Protokoll des Gesprächs von US-Präsident Gerald Ford mit dem griechischem Premiermister Konstantinos Karamanlis, 29.5.1975,

Protokoll des Gesprächs von US-Präsident Gerald Ford mit NATO-Generalsekretär Joseph Luns, 10.9.1975,

Protokoll des Gesprächs von US-Präsident Gerald Ford mit US-Botschafter Jack Kubisch, Athen, 17.10.1975,

Richard Nixon Presidential Library, Los Angeles, CA HAK Telephone Conversations Telcons Nixon Presidential Materials, NSC Files NSC Country Files NSC WSAG Meetings WHCF Countries Ronald Reagan Presidential Library, Simi Valley, CA WHSOF Executive Secretariat NSC Country Files WHSOF Ledsky Nelson Files WHSOF Ledsky Nelson Files NATO-Archives, Brüssel (NATO) AC The North Atlantic Council (AC/119 Political Committee) C-M Council Minutes C-R Council Records DRC/WP Defence Review Comittee IMSWM International Military Staff

294

Quellen und Literatur

Standing Group Liaison Office (SGLO, 1952‑1956) and Office of the Standing Group Representative (SGREP, 1956‑1967) MCM Military Committee Memoranda (MCM) Series LOSTAN Standing Group Liaison Office Messages PO Private Office of the Secretary General RDC Defence Committee Meeting Records

LOM

Archives Paul-Henri Spaak/Fondation P.H. Spaak, Brüssel (PHS Archives) D-Serie

2. Audiovisuelle Medien Die Türkei – Wächter am Bosporus [Lehrfilm der Bundeswehr von 1959],

NATO-Maneuvers – The Big Picture [Wochenschau der US-Streitkräfte von 1954],

Bericht zur Tagung: The Holocaust in Greece: Genocide and its Aftermath, 21.11.2014, Thessaloniki,

3. Gedruckte Quellen und Literatur AAPD siehe Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland AdG siehe Archiv der Gegenwart The Aegean Sea after the Cold War. Security and Law of the Sea Issues. Ed. by Aldo Chircop [u.a.], Basingstoke [u.a.] 2000 Agger, Jonathan Søborg, Striving for Détente. Denmark and NATO, 1966‑67. In: Transforming NATO in the Cold War, S. 183‑200 Akbulut, Hakan, NATO’s Feuding Members: The Cases of Greece and Turkey, Frankfurt a.M. [u.a.] 2005 (= Internationale Sicherheit, 5) Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland 1963‑1985. Hrsg. von Hans-Peter Schwarz [u.a.], München 1995‑2015 Alexandris, Alexis, The Greek Minority of Istanbul and Greek-Turkish Relations 1918‑1974, Athen 1983 Anagnostopoulou, Sia, Makarios III, 1950‑77. Creating the Ethnarchic State. In: The Archbishops of Cyprus, S. 240‑292 Andrade, Luis, Portugiesische Außen- und Bündnispolitik 1949‑1956. In: Nationale Außen- und Bündnispolitik, S. 255‑267

Quellen und Literatur

295

Andrews, Kevin, Greece in the Dark ... 1967‑1974, Amsterdam 1980 Andries, Willy, Greece and Turkey. In: Small Powers in Alignment, S. 97‑197 The Archbishops of Cyprus in the Modern Age: The Changing Role of the ArchbishopEthnarch, Their Identities and Politics. Ed. by Andrekos Varnava and Michalis N. Michael, Cambridge 2013 (Keesings) Archiv der Gegenwart, Jahrgänge 24‑59, Essen [u.a.] 1955‑1989 Asmussen, Jan, Cyprus at War. Diplomacy and Conflict during the 1974 Crisis, London, New York 2008 Athanasopulos, Haralambos, Greece, Turkey and the Aegean Sea. A Case Study in International Law, Jefferson, London 2001 Athanassopoulou, Ekavi, Turkey – Anglo-American Security Interests 1945‑1952. The First Enlargement of NATO, London, Portland 1999 Axt, Heinz-Jürgen und Heinz Kramer, Entspannungspolitik im Ägäiskonflikt? Griechisch-türkische Beziehungen nach Davos, Baden-Baden 1990 (= Aktuelle Materialien zur Internationalen Politik, 22) Bachmann, Wiebke, Die UdSSR und der Nahe Osten, Zionismus, ägyptischer Nationalismus und sowjetische Außenpolitik bis 1956, München 2011 (= Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 102) Baev, Jordan, Bulgarisch-sowjetische militärische Zusammenarbeit 1955 bis 1964. In: Der Warschauer Pakt, S. 43‑58 Bagci, Hüseyin, Die türkische Außenpolitik 1945‑1956. In: Nationale Außen- und Bündnispolitik, S. 281‑309 Bagci, Hüseyin, Die türkische Außenpolitik während der Regierungszeit Menderes von 1950‑1960, Bonn 1988 Bahcheli, Tozun, Greek-Turkish Relations Since 1955, Boulder, London 1990 Bakojannis, Pavlos, Militärherrschaft in Griechenland. Eine Analyse zu Parakapitalismus und Spätfaschismus, Stuttgart 1972 Ball, George, The Past has another Pattern. Memoirs, London, New York 1982 Bange, Oliver, Der KSZE-Prozess und die sicherheitspolitische Dynamik des Ost-WestKonflikts 1970‑1990. In: Wege zur Wiedervereinigung, S. 87‑104 Başgil, Ali Fuat, La Révolution Militaire de 1960 en Turquie (ses Origines), Genf 1963 Beer, Francis A., Integration and Disintegration in NATO. Processes of Alliance Cohesion and Prospects for Atlantic Community, Ohio 1969 Bilgic, Bestami Sadi, Turkish-Greek Relations in the Interwar Era: From War to Détente, 1923‑1940, Ann Arbor, MI 2007 Binder, James, Lemnitzer. A Soldier for His Time, Washington, DC, London 1997 Binnendijk, Hans, and Alfred Friendly, Turkey, Greece and NATO: The Strained Alliance. A Staff Report to the Committee on Foreign Relations, United States Senate, Washington, DC 1980 Bitsios, Dimitri S., Cyprus. The Vulnerable Republic, Thessaloniki 1975 Bittner, Stephen V., Die sowjetische Dissidenz und Intelligenzija. In: Macht und Geist im Kalten Krieg, S. 517‑536. Blumenau, Bernhard, West Germany and the United States during the Middle East Crisis of 1973: ›Nothing But a Semi-Colony?‹ In: Routledge Handbook of Transatlantic Security, S. 123‑137

296

Quellen und Literatur

Boden, Ragna, »Fortsetzung des Klassenkampfes mit anderen Mitteln?« Sowjetische Militärhilfepolitik gegenüber Entwicklungsländern am Beispiel der Republik Indonesien, (1956‑1965). In: MGZ, 65 (2006), 2, S. 463‑483 Bölükbaşı, Deniz, Turkey and Greece. The Aegean Disputes. A Unique Case in International Law, London 2004 Bolukbasi, Suha, The Superpowers and the Third World. Turkish-American Relations and Cyprus, Lanham [u.a.] 1988 (= Exxon Education Foundation Series on Rhetoric and Political Discourse, 15) Bowie, Robert R., Eisenhower, Dulles and the Suez Crisis. In: Suez 1956, S. 189‑214 Brenner, Stefan M., Die Achillesferse der NATO: Die Nordatlantische Allianz und der griechisch-türkische Binnenkonflikt 1952‑1989. Ein Überblick zum Stand der Forschung. In: MGZ, 71 (2012), 1, S. 108‑127 British Ways of Counter-Insurgency. A Historical Perspective. Ed. by Matthew Huges, London, New York 2013 Brown, James, Challenges and Uncertainty. NATO’s Southern Flank. In: Air University Review, Mai‑Juni 1980, S. 3‑16 Brown, James, Delicately Poised Allies: Greece and Turkey – Problems, Policy Choices and Mediterranean Security, London 1991 The Cambridge History of the Cold War, 3 vols., vol. 1: Origins; vol. 2: Crises and Détente; vol. 3: Endings. Ed. by Melvyn P. Leffler und Odd Arne Westad, Cambridge 2010 Campany, Richard C., Turkey and the United States, The Arms Embargo Period, New York [u.a.] 1986 Campbell, John C., The Mediterranean Crisis. In: Foreign Affairs, 53 (1975), 4, S. 605‑624 Carmocolias, Demetrios, Image of NATO and the US in the Athens Daily Press, 1974‑1980. In: Journal of Political and Military Sociology, 9 (1981), 3, S. 229‑240 Çelik, Yasemin, Contemporary Turkish Foreign Policy, Westport, CO [u.a.] 1999 Chipman, John, NATO and the Security Problems of the Southern Region: From the Azores to Ardahan. In: NATO’s Southern Allies, S. 8‑52 Chourchoulis, Dionysios, and Lykourgos Kourkouvelas, Greek Perceptions of NATO during the Cold War. In: Southeast European and Black Sea Studies, 12 (2012), 4, S. 497‑514 Chourchoulis, Dionysios, A Nominal Defence? NATO Threat Perception and Responses in the Balkan Area, 1951‑1967. In: Cold War History, 12 (2012), 4, S. 637‑657 Chourchoulis, Dionysios, A Secondary Front? NATO’s Forward Defense Strategy and Its Application in the Southeastern Region, 1966‑1974. In: Periphery or Contact Zone, S. 117‑134 Chourchoulis, Dionysios, The Southern Flank of NATO, 1951‑1959, Military Strategy or Political Stabilization, Lanham [u.a.] 2014 (bereits 2010 elektronisch veröffentlicht) Clarke, Peter F., The Last Thousand Days of the British Empire. The Demise of a Superpower 1944‑47, London [u.a.] 2008

Quellen und Literatur

297

Clayton, Anthony, The Wars of French Decolonization, London [u.a.] 1994 Clogg, Richard, Greece 1940‑1949. Occupation, Resistance, Civil War. A Documentary History, Basingstoke 2002 Cohen, Michael, Strategy and Politics in the Middle East 1954‑1960. Defending the Northern Tier, New York 2005 Coloumbis, Theodore A., Greek Political Reaction to American and NATO Influences, New Haven [u.a.] 1966 Conteh-Morgan, Earl, Die US-Entwicklungshilfe während des Kalten Krieges. In: Ökonomie im Kalten Krieg, S. 63‑81 Coufoudakis, Van, Greek-Turkish Relations, 1973‑1983. The View from Athens. In: International Security, 9 (1985), 4, S. 185‑217 Coufoudakis, Van, Turkey and the United States. The Problems and Prospects of a Post-War Alliance. In: Journal of Political and Military Sociology, 9 (1981), 2, S. 179‑196 Coufoudakis, Van, US Foreign Policy and the Cyprus Question. An Interpretation. In: Millenium – Journal of International Studies, 5 (1976), 3, S. 245‑268 Crossing the Aegean. An Appraisal of the 1923 Compulsory Population Exchange between Greece and Turkey. Ed. by Renée Hirschon, New York [u.a.] 2010 (= Studies in Forced Migration, 12) Dangerfield, Martin, Sozialistische Ökonomische Integration. Der Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW). In: Ökonomie im Kalten Krieg, S. 348‑369 Daniels, Barbara A., Diplomacy and Its Discontents: Nationalism, Colonialism, Imperialism and the Cyprus Problem, Diss., Pretoria, University of South Africa 2009,

Davis, Christopher M., Die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der sowjetischen Militärausgaben. In: Ökonomie im Kalten Krieg, S. 260‑278 Dawletschin-Lindner, Camilla, Diener seines Staates. Celal Bayar (1883‑1986) und die Entwicklung der modernen Türkei, Wiesbaden 2003 (= Turkologie und Türkeikunde, 6) Delvoie, Louis A., Turkey in NATO. An Ambivalent Ally, Kingston 2005 (= Occassional Paper. Center for International Relations, 58) Dembinski, Matthias, Griechenland und die Türkei: Rivalität trotz NATO-Mitgliedschaft. In: Die internationale Organisation des Demokratischen Friedens, S. 161‑192 Dembinski, Matthias, Schaffen internationale Organisationen Frieden? NATO, EU und der griechisch-türkische Konflikt, Frankfurt a.M. 2006 (= Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, HSFK-Report, 3/2006) Détente in Cold War Europe. Politics and Diplomacy in the Mediterranean and the Middle East. Ed. by Elena Calandri [u.a.], London, New York 2012 Di Nolfo, Ennio, The Cold War and the Transformation of the Mediterranean, 1960‑1975. In: The Cambridge History of the Cold War, vol. 2, S. 250‑257 Dimitrakis, Panagiotis, British Intelligence and the Cyprus Insurgency. In: International Journal of Intelligence and Counter-Intelligence, 21 (2008), 2, S. 375‑394 Dimitrakis, Panagiotis, Failed Alliances during the Cold War. Britain’s Strategy and Ambitions in Asia and the Midle East, London 2011

298

Quellen und Literatur

Dimitrakis, Panagiotis, Greek Military Intelligence and the Turkish »Threat« During the 1987 Aegean Crisis. In: Journal of Modern Greek Studies, 25 (2007), 1, S. 99‑127 Dismukes, N. Bradford, and Kenneth A. Weiss, Mare Rosso. The Mediterranean Theater, Alexandria VA 1984 (= Center for Naval Analyses, Professional Paper, 423) Documents Diplomatiques Français 1954‑1968. Ed. par Commission des Documents Diplomatiques Français, Paris [u.a.] 2000‑2010 Dodd, Clement, The History and Politics of the Cyprus Conflict, Basingstoke [u.a] 2010 Draenos, Stan, Andreas Papandreou. The Making of a Greek Democrat and Political Maverick, London, New York 2012 Dülffer, Jost, Europa im Ost-West-Konflikt 1945‑1990, München 2004 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, 18) Duffield, John, Power Rules. The Evolution of NATO’s Conventional Force Posture, Stanford 1995 Duke, Simon, United States Military Forces and Installations in Europe, Oxford 1989 The Economics of Regional Security. NATO, the Mediterranean and Southern Africa. Ed. by Jürgen Brauer and Keith Hartley, Amsterdam [u.a.] 2000 (= Studies in Defence Economies, 6) Elliades, Andreas, NATO and the Cyprus Insurgency 1955‑1959. Paul-Henri Spaak’s Initiative to provide NATO’s Good Offices [The 5th Biennial Observatory PhD Symposium on Contemporary Greece and Cyprus, London School of Economics 2‑3, June 2011], London 2011 (unveröffentlicht, NATO Archives, Brüssel) Eren, Nuri, Turkey, NATO and Europe. A Deteriorating Relationship?, Paris 1977 (= The Atlantic Papers, 34) Erklärungen und (Abschluss-)Kommuniqués der Ministertagungen des Nordatlantikrates. In: Archiv der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland bei der Nordatlantikpakt-Organisation Brüssel, Etzold, Thomas H., The Soviet Union in the Mediterranean. In: NATO and the Mediterranean, S. 29‑50 Europe, Cold War and Coexistence, 1953‑1965. Ed. by Wilfried Loth, London [u.a.] 2004 (= Cass Series. Cold War History, 4) Evron, Yair, The Soviet Union in Egypt. In: Survival. Global Politics and Strategy, 12 (1970), 8, S. 259‑262 Eznack, Lucile, Crises in the Atlantic Alliance. Affect and Relations among NATO Members, New York 2012 Fenech, Dominic, The Mediterranean Region in the Cold War and after. In: Naval Policy and Strategy in the Mediterranean, S. 226‑241 Fernau, Friedrich-Wilhelm, Griechenland unter Georg Papadopoulos. Die konstitutionelle Phase. In: Europa-Archiv, 24 (1969), 8, S. 275‑286 Foreign Relations of the United States. Ed. by the Department of State, Office of the Historian, Washington, DC, 1967 ff. 1952‑1954, vol. 8: Eastern Europe, Soviet Union, Eastern Mediterranean 1955‑1957, vol. 14: Soviet Union, Eastern Mediterranean

Quellen und Literatur

299

1958‑1960, vol. 10, part 1: Eastern Europe Region, Soviet Union, Cyprus 1958 1960, vol. 10, part 2: Eastern Europe, Finland, Greece, Turkey [Bände 1952/54 bis 1958/60: ] 1961‑1963, vol. 16: Eastern Europe, Cyprus, Greece, Turkey 1964‑1968, vol. 16: Cyprus, Greece, Turkey 1969‑1972, vol. 24: Eastern Europe, Eastern Mediterranean 1969‑1972 1973‑1976, vol. 30: Greece, Cyprus, Turkey 1977‑1980, vol. 21: Cyprus, Turkey, Greece [Bände 1961/63 bis 1977/80: ] Freiberger, Thomas, Allianzpolitik in der Suezkrise 1956, Bonn 2013 (= Internationale Beziehungen. Theorie und Geschichte, 11). Frey, Marc, Die Vereinigten Staaten und die Dritte Welt im Kalten Krieg. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 35‑60 FRUS siehe Foreign Relations of the United States Gabriele, Mariano, Mediterranean Naval Forces. In: NATO and the Mediterranean, S. 65‑75 Gaddis, John Lewis, Der Kalte Krieg. Eine neue Geschichte, München 2007 Geiger, Tim, Die Bundesrepublik Deutschland und die NATO in den Siebziger- und Achtzigerjahren. In: Wege zur Wiedervereinigung, S. 165‑182 Gersdorff, Gero von, Die Gründung der Nordatlantischen Allianz, München 2009 (= Anfänge und Probleme des Nordatlantischen Bündnisses, 7) Gibbs, David N., Die Hintergründe der sowjetischen Invasion in Afghanistan 1979. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 291‑314 Göktepe, Cihat, The Cyprus Crisis of 1967 and Its Effects on Turkey’s Foreign Relations. In: Middle Eastern Studies, 41 (2005), 3, S. 43‑444 Greece and Turkey. Adversity in Alliance. Ed. by Jonathan Alford, Aldershot 1984 (= Adelphi Library, 12) Greece in the Twentieth Century. Ed. by Theodore Coloumbis [u.a.], London [u.a.] 2004 Greek-American Relations: A Critical Review. Ed. by John Iatrides, New York 1980 (= Modern Greek Research Series, 3) Greiner, Bernd, Die Blutpumpe. Zur Strategie und Praxis des Abnutzungskrieges in Vietnam 1965‑1973. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 167‑238 Greiner, Christian, Klaus A. Maier und Heinz Rebhan, Die NATO als Militärallianz. Strategie, Organisation und nukleare Kontrolle im Bündnis 1949 bis 1959. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Bruno Thoß, München 2003 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, 4) Greiner, Christian, Die Entwicklung der Bündnisstrategie 1949 bis 1958. In: Greiner/ Maier/Rebhan, Die NATO, S. 19‑176 Griechenland. Dokumentation einer Diktatur. Zsgest. und hrsg. von Helen Vlachos, Wien, München 1972 Grosser, Alfred, Das Bündnis. Die westeuropäischen Länder und die USA seit dem Krieg, München 1982 Grosser, Alfred, The Western Alliance. European-American Relations since 1945, Paris, München, London, New York 1980

300

Quellen und Literatur

Güney, Aylin, Anti-Americanism in Turkey. Past and Present. In: Middle Eastern Studies, 44 (2008), 3, S. 471‑487 Güney, Aylin, The USA’s Role in Mediating the Cyprus Conflict. A Story of Success or Failure? In: Security Dialogue, 35 (2004), 1, S. 27‑42 Gürbey, Gülüzar, Die Türkei-Politik der Bundesrepublik Deutschland unter Konrad Adenauer (1949‑1963), Pfaffenweiler 1990 Gürkan, Ihsan, NATO. Turkey and the Southern Flank. A Mideastern Perspective, New York 1980 (= National Strategy Information Center, 11) Gürkan, Ihsan, Die Türkei. Eckpfeiler der NATO im Südosten. In: Beiträge zur Konfliktforschung, 11 (1981), 1, S. 5‑44 Güven, Dilek, Nationalismus und Minderheiten. Die Ausschreitungen gegen die Christen und Juden in der Türkei vom September 1955, München 2012 (= Südeuropäische Arbeiten, 143) Gunn, Christopher, The 1960 Coup in Turkey. A U.S. Intelligence Failure or a Successful Intervention? In: Journal of Cold War Studies, 17 (2015), 2, S. 103‑139 Haass, Richard, Alliance Problems in the Eastern Mediterranean – Greece, Turkey and Cyprus: Part I. In: Prospects for Security in the Mediterranean, S. 61‑71 Haass, Richard, Managing NATO’s weakest Flank: The United States, Greece, and Turkey. In: Orbis, 30 (1986), 3, S. 457‑473 gemeint Hackett, Clifford P., The Role of Congress and Greek-American Relations. In: GreekAmerican Relationions, S. 131‑147 Hammerich, Helmut R., Jeder für sich und Amerika gegen alle? Die Lastenteilung der NATO am Beispiel des Temporary Council Committee 1949 bis 1954, München 2003 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, 5) Harris, George, Troubled Alliance. Turkish-American Problems in Historical Perspective, 1945‑1971, Washington, DC 1972 Hart, Parker, Two NATO Allies at the Threshold of War: Cyprus, a firsthand Account of Crisis Management 1965‑1968, Durham [u.a.] 1990 Hatzivassiliou, Evanthis, Revisiting NATO’s Stabilizing Role in South Eastern Europe. The Cold War Experience and Longue Durée. In: Southeast European and Black Sea Studies, 12 (2012), 4, S. 515‑531 Hatzivassiliou, Evanthis, Blocking Enosis. Britain and the Cyprus Question, March‑December 1956. In: The Journal of Imperial and Commonwealth History, 19 (1991), 2, S. 247‑263 Hatzivassiliou, Evanthis, Greece and the Cold War. Frontline State, 1952‑1967, London, New York 2006 (= Cass Series. Cold War History, 12) Hatzivassiliou, Evanthis, Out-of-Area. NATO-Perceptions of the Third World, 1957‑1967. In: Cold War History, 13 (2013), 1, S. 67‑88 Heinemann, Winfried, Vom Zusammenwachsen des Bündnisses. Die Funktionsweise der NATO in ausgewählten Krisenfällen 1951 bis 1956, München 1998 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, 1) Heiße Kriege im Kalten Krieg. Hrsg. von Bernd Greiner [u.a.], Hamburg 2006 (= Studien zum Kalten Krieg, 1) Heraclides, Alexis, The Greek-Turkish Conflict in the Aegean. Imagined Enemies, New York [u.a.] 2010

Quellen und Literatur

301

Hessmann, James D., NATO South. The Forgotten Flank. In: Atlantic Community Quarterly, 17 (1979/80), 4, S. 454‑463 Hirschon, Renée, »Unmixing Peoples« in the Aegean Region. In: Crossing the Aegean, S. 3‑11 A History of NATO. The First Fifty Years, 3 vols. Ed. by Gustav Schmidt, Houndmills [u.a.] 2001 Holland, Robert, Britain and the Revolt in Cyprus, 1954‑1959, Oxford 1998 Holland, Robert, NATO and the Struggle for Cyprus. In: Journal of Modern Greek Studies, 13 (1995), 1, S. 33‑61 Horstmann, Harry, Der Zypernkonflikt. Ursachen, Verlauf, Perspektiven, Norderstedt 1998 Iatrides, John O., NATO and Aegean Disputes. The Cold War and After. In: The Aegean Sea after the Cold War, S. 32‑46 Iatrides, John O., The United States and Greece in the Twentieth Century. In: Greece in the Twentieth Century, S. 69‑110 Ifantis, Kostas, and Mustafa Aydin, Turkish-Greek Relations. The Security Dilemma in the Aegean, London [u.a.] 2004 Inseln als Brennpunkte internationaler Politik. Konfliktbewältigung im Wandel des internationalen Systems 1980‑1984: Kreta, Korfu, Zypern. Hrsg. von Jost Dülfer, Hans-Otto Mühleisen und Verona Torunsky, Köln 1986 (= Bibliothek Wissenschaft und Politik, 35) Internationale Geschichte. Themen – Ergebnisse – Aussichten. Hrsg. von Wilfried Loth und Jürgen Osterhammel, München 2000 (= Studien zur Internationalen Geschichte, 10) Das internationale Krisenjahr 1956. Polen, Ungarn, Suez. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Winfried Heinemann und Norbert Wiggershaus, München 1999 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 48) Die internationale Organisation des Demokratischen Friedens. Studien zur Leistungsfähigkeit regionaler Sicherheitsstudien. Hrsg. von Matthias Dembinski und Thomas Hasenclever, Baden Baden 2010 (= Studien der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung HSFK, 9) Ioannides, Chris P., Realpolitik in the Eastern Mediterranean. From Kissinger and the Cyprus Crisis to Carter the Lifting of the Turkish Arms Embargo, New York 2001 (= Modern Greek Research Series, 10) Jajeśniak-Quast, Dagmara, Polen, die ČSSR und die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft. In: Ökonomie im Kalten Krieg, S. 370‑394 James, Alan, Keeping the Peace in the Cyprus Crisis 1963‑64, Basingstoke [u.a.] 2002 Jónsson, Hannes, Friends in Conflict. The Anglo-Icelandic Cod Wars and the Law of the Sea, London 1982 Jordan, Robert S., Political Leadership in NATO: A Study in Multinational Diplomacy, Colorado 1979 Joseph, Joseph S., Ethnic Loyalties vs. Allied Commitments: Greek-Turkish Conflict over Cyprus as a Source of Strain for NATO. In: Thetis, 2 (1995), S. 235‑243

302

Quellen und Literatur

Jowett, Philip S., Armies of the Greek-Turkish War 1919‑22, Oxford [u.a.] 2015 Kadritzke, Niels und Wolf Wagner, Im Fadenkreuz der NATO. Ermittlungen am Beispiel Cypern, Berlin (West) 1976 Kalaitzaki, Theodora, US Mediation in Greek-Turkish Disputes since 1954. In: Mediterranean Quarterly, 16 (2005), 2, S. 106‑124 Kanet, Roger E., Sowjetische Militärhilfe für nationale Befreiungskriege. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 61‑83 Kanet, Roger E., Vier Jahrzehnte sowjetische Wirtschaftshilfe. In: Ökonomie im Kalten Krieg, S. 45‑62 Kaplan, Lawrence S., The Long Entanglement. NATO’s First Fifty Years, Westport, CT 1999 Kaplan, Lawrence S., McNamara, Vietnam and the Defense of Europe. In: War Plans and Alliances in the Cold War, S. 286‑300 Kaplan, Lawrence S., NATO 1948. The Birth of the Transatlantic Alliance, Lanham, MD [u.a.] 2007 Kaplan, Lawrence S., and Robert W. Clawson, NATO and the Mediterranean Powers in Historical Perspective. In: NATO and the Mediterranean, S. 3‑18 Kaplan, Lawrence S., NATO and the United States. The Enduring Alliance, Boston 1988 (= Twayne’s International History Series, 1) Kaplan, Lawrence S., NATO Divided, NATO United. The Evolution of an Alliance, Westport, CT 2004 Karamouzi, Eirini, Greece, the EEC and the Cold War 1974‑1979: The Second Enlargement, Basingstoke 2014 (= Security, Conflict and Cooperation in the Contemporary World) Karaosmanoglu, Ali, Turkey and the Southern Flank: Domestic and External Contexts. In: NATO’s Southern Allies, S. 287‑353 Kassimeris, Christos, Greece and the American Embrace: Greek Foreign Policy towards Turkey, the US and the Western Alliance, London 2010 (= Library of International Relations, 42) Kassimeris, Christos, Greek Response to Cyprus Invasion. In: Small Wars & Insurgencies, 19 (2008), 2, S. 256‑273 Kayaoglu, Barin, Cold War in the Aegean: Strategic Imperatives, Democratic Rhetoric. The United States and Turkey 1945‑52. In: Cold War History, 9 (2009), 3, S. 321‑345 Kelling, George H., Countdown to Rebellion. British Policy on Cyprus, New York [u.a.] 1990 Ker-Lindsay, James, Britain and the Cyprus Crisis 1963‑1964, Mannheim 2004 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 27) Keyder, Çağlar, The Consequences of the Exchange of Populations for Turkey. In: Crossing the Aegean, S. 39‑52 Kieninger, Stephan, Den Status quo aufrechterhalten oder ihn langfristig überwinden? Der Wettkampf westlicher Entspannungsstrategien in den Siebzigerjahren In: Wege zur Wiedervereinigung, S. 67‑86 Kofas, Jon V., Die amerikanische Außenpolitik und der griechische Bürgerkrieg 1946‑1949. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 86‑108

Quellen und Literatur

303

Kofas, Jon V., Intervention and Underdevelopment. Greece During the Cold War, University Park [u.a.] 1989 Kollias, Christos, The Greek-Turkish Conflict and Greek Military Expenditure 1960‑92. In: Journal of Peace Research, 33 (1996), 2, S. 217‑228 Kolonialkriege. Militärische Gewalt im Zeichen des Imperialismus. Hrsg. von Thoralf Klein und Frank Schumacher, Hamburg 2012 Kourvetaris, Yorgos A., The Southern Flank of NATO: Political Dimensions of the Greco-Turkish Conflict since 1974. In: East European Quarterly, 21 (1988), 4, S. 431‑446 Kramer, Heinz, Die politische Praxis: Institutionen und Verfahren. In: Informationen zur politischen Bildung, Nr. 313/2011, 4. S. 26‑39 Kramer, Mark, Die Sowjetunion, der Warschauer Pakt und blockinterne Krisen während der Brežnev-Ära. In: Der Warschauer Pakt, S. 273‑336 Krebs, Ronald, Perverse Institutionalism. NATO and the Greco-Turkish Conflict. In: International Organization, 53 (1999), S. 343‑377 Krisen im Kalten Krieg. Hrsg. von Bernd Greiner [u.a.], Hamburg 2008 (= Studien zum Kalten Krieg, 2) Krüger, Dieter, Am Abgrund? Das Zeitalter der Bündnisse: Nordatlantische Allianz und Warschauer Pakt 1947 bis 1991, Fulda 2013 (= Schriftenreihe Point Alpha, 1) Krüger, Dieter, Institutionalizing NATO’s Military Bureaucracy. The Making of an Integrated Chain of Command. In: NATO’s Post Cold War Politics, S. 50‑70 Kruse, Thorsten, Bonn – Nikosia – Ostberlin. Innerdeutsche Fehden auf fremdem Boden 1960‑1972, Mainz [u.a.] 2013 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 58) Kugler, Richard L., Commitment to Purpose. How Alliance Partnership Won the Cold War, Santa Monica, CA 1993 Kuniholm, Bruce, The Evolving Strategic Significance of Turkey’s Relationship with NATO. In: A History of NATO, vol. 3, S. 339‑357 Kuniholm, Bruce R., The Origins of the Cold War in the Near East. Great Power Conflict and Diplomacy in Iran, Turkey and Greece, Princeton, NJ 1980 Kuniholm, Bruce R., Turkey and NATO. Past, Present and Future. In: Orbis, 27 (1983), S. 421‑446 Kuniholm, Bruce, Die Nahostkriege, der Palästinakonflikt und der Kalte Krieg. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 442‑468 Kurzman, Charles, The Unthinkable Revolution in Iran, Cambridge, MA 2004 Kutler, Stanley I., The Wars of Watergate. The Last Crisis of Richard Nixon, New York 1990 Latham, Michael E., The Cold War in the Third World, 1963—1975. In: The Cambridge History of the Cold War, vol. 2, S. 258‑280 Lemke, Bernd, Die Allied Mobile Force 1961‑2002, Berlin, Boston 2015 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses, 10) Locher, Anna, A Crisis Foretold: NATO and France, 1963‑66. In: Transforming NATO in the Cold War, S. 107‑127 Locher, Anna, Crisis? What Crisis? NATO, de Gaulle and the Future of the Alliance, 1963‑1966, Baden-Baden 2010

304

Quellen und Literatur

Loth, Wilfried, Regionale, nationale und europäische Identität. Überlegungen zum Wandel europäischer Staatlichkeit. In: Internationale Geschichte, S. 357‑370 Louis, William R., Ends of British Imperialism. The Scramble for Empire, Suez and Decolonization, London [u.a.] 2006 Lucas, Scott W., Divided We Stand. Britain, US and the Suez Crisis, London [u.a.] 1991 Luhmann, Thies, Die Berlin-Krise von 1958 bis 1963 in Berichterstattung und Kommentierung der Tageszeitung »Die Welt«, Hamburg 2011 Lundestad, Geir, The United States and Western Europe since 1945. From »Empire« by Inivitation to Transatlantic Drift, Oxford 2003 Macht und Geist im Kalten Krieg. Hrsg. von Bernd Greiner [u.a.], Hamburg 2011 (= Studien zum Kalten Krieg, 5) Mackenzie, Kenneth, Greece and Turkey: Disarray on NATO’s Southern Flank, London 1983 (= Conflict Studies, 154) Mann, Stephen F., The Greek-Turkish Dispute in the Aegean Sea. Its Ramifications for NATO and the Prospects of Resolution, Monterey, CA 2001 Manousakis, Gregor, Der Aus- und Wiedereintritt Griechenlands in die militärische Integration der NATO. In: Beiträge zur Konfliktforschung, 2 (1981), S. 19‑32 Manousakis, Gregor, Griechenland und die NATO 1949‑1956. In: Nationale Außenund Bündnispolitik, S. 269‑280 Manousakis, Gregor, Was wird aus den US-Basen in Griechenland. In: Europäische Wehrkunde, 11 (1981), S. 489‑491 Maragkou, Konstantina, Cold War in the Aegean. Favouritism in NATO’s Southeastern Flank. The Case of the Greek Colonels, 1967‑74. In: Cold War History, 9 (2009), 3, S. 347‑366 Maragkou, Konstantina, The Foreign Factor and the Greek Colonels’ Coming to Power on 21 April 1967. In: Southeast European and Black Sea Studies, 6 (2006), 4, S. 427‑443 Marantzidis, Nikos, The Greek Civil War (1944‑1949) and the International Communist System. In: Cold War Studies, 15 (2013), 4, S. 25‑54 Mastny, Vojtech, und Gustav Schmidt, Konfrontationsmuster des Kalten Krieges 1946 bis 1956. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes hrsg. von Norbert Wiggershaus und Dieter Krüger, München 2003 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, 3) Mayes, Stanley, Cyprus and Makarios, London 1960 McAlexander, Richard, Couscous Mussolini. US-Perceptios of Gamal Abdel Nasser, the 1958 Intervention in Lebanon and the Origins of US-Israeli Special Relationship. In: Cold War History, 11 (2011), 3, S. 363‑385 McDonald, Robert, Alliance Problems in the Eastern Mediterranean – Greece, Turkey and Cyprus: Part II. In: Prospects for Security in the Mediterranean, S. 72‑89 McMahon, Robert J., Heiße Kriege im Kalten Krieg. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 16‑34 Meinardus, Roland, Der Konflikt über den Status der ostägäischen Inseln. In: EuropaArchiv. Zeitschrift für internationale Politik, 40 (1985), S. 41‑48

Quellen und Literatur

305

Meinardus, Roland, Griechenlands gestörtes Verhältnis zur NATO. In: Europa-Archiv. Zeitschrift für internationale Politik, 37 (1982), S. 105‑114 Meinardus, Roland, Die Türkei-Politik Griechenlands. Der Zypern-, Ägäis- und Minderheitenkonflikt aus der Sicht Athens (1967‑1982), Frankfurt a.M. [u.a.] 1985 (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 31, 80). Mey, Holger H., NATO-Strategie vor der Wende. Die Entwicklung des Verständnisses nuklearer Macht im Bündnis zwischen 1967 und 1990, Baden-Baden 1992 (= Nomos Universitätsschriften. Politik, 32) Meynaud, Jean, Bericht über die Abschaffung der Demokratie in Griechenland: Parteien, Kapital, Koenigshaus, Armee – vor und nach dem Putsch, Berlin 1969 Millas, Hercules, The Exchange of Populations in Turkish Literature: The Undertone of Texts. In: Crossing the Aegean, S. 221‑234 Miller, James E., The United States and the Making of Modern Greece. History and Power, 1950‑1974, Chapel Hill 2009 Mollenhauer, Daniel, Die vielen Gesichter der pacification: Frankreichs Krieg in Algerien (1954‑1962). In: Kolonialkriege, S. 329‑366 Morgan, Tabitha, Sweet and Bitter Island. A History of the British in Cyprus, London, New York 2010 Moustakis, Fotios, The Greek-Turkish Relationship and NATO, London [u.a.] 2003 Mühleisen, Hans-Otto, Der Zypernkonflikt 1950‑1984. In: Inseln als Brennpunkte internationaler Politik, S. 97‑144 Münster, Ernst-Wilhelm, Der Einfluss lokaler Interessen auf die amerikanische Außenpolitik. In: Weltmacht ohne Politik, S. 185‑206 Murtagh, Peter, The Rape of Greece. The King, the Colonels and the Resistance, London 1994 Nafpliotis, Alexandros, Britain and the Greek Colonels. Accommodating the Junta in the Cold War, New York [u.a.] 2013 Nationale Außen- und Bündnispolitik der NATO-Mitgliedstaaten. Hrsg. von Norbert Wiggershaus und Winfried Heinemann, München 2000 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses bis 1956, 2) NATO after Fifty Years. Ed. by Victor S. Papacosma [u.a.], Wilmington, DE 2001 NATO and the Mediterranean. Ed. by Lawrence Kaplan [u.a.], Wilmington, DE 1985 NATO’s Post Cold War Politics. The Changing Provision of Security. Ed. by Sebastian Mayer, London 2014 (= New Security Challenges) NATO’s Southern Allies. Internal and External Challenges. Ed. by John Chipman, London, New York 1988 Naval Policy and Strategy in the Mediterranean. Past, Present and Future. Ed. by John B. Hattendorf, London 2000 (= Cass Series. Naval Policy and History, 10) Nicolet, Claude, American and British NATO-Plans for Cyprus, 1959‑1964. In: Thetis, 8 (2001), S. 314‑318 Nicolet, Claude, The Development of US Plans for the Resolution of the Cyprus Conflict in 1964. »The Limits of American Power«. In: Cold War History, 3 (2002), 1, S. 95‑126 Nikolinakos, Marios, Widerstand und Opposition in Griechenland. Vom Militärputsch 1967 zur neuen Demokratie, Darmstadt, Neuwied 1974

306

Quellen und Literatur

Nowacki, Helmut, Der Zypernkrieg 1974. Eine Analyse seiner Ursachen, Hamburg 1982 Nünlist, Christian, Die westliche Allianz und Chruščevs Außenpolitik im Jahre 1955. In: Der Warschauer Pakt, S. 9‑26 Nuti, Leopoldo, A Decade of Delusions and Disappointments: Italy and NATO in the 1960’s. In: Transforming NATO in the Cold War, S. 201‑218 Ökonomie im Kalten Krieg. Hrsg. von Bernd Greiner [u.a.], Hamburg 2010 (= Studien zum Kalten Krieg, 4) Özel, Işik, Political Islam and Islamic Capital. The Case of Turkey. In: Religion and Politics in Europe, the Middle East and North Africa, S. 139‑161 Oguzlu, Tarik, The Promise of NATO in the Construction of Cooperative TurkishGreek Relations. In: The Review of International Affairs, 3 (2004), 3, S. 458‑478 Oran, Baskin, The Story of Those Who Stayed: Lessons From Articles 1 and 2 of the 1923 Convention. In: Crossing the Aegean, S. 97‑116 Osterhammel, Jürgen, Internationale Geschichte, Globalisierung und die Pluralität der Kulturen. In: Internationale Geschichte, S. 387‑408 Osterhammel, Jürgen, Raumbeziehungen. Internationale Geschichte, Geopolitik und historische Geographie. In: Internationale Geschichte, S. 287‑308 Ovendale, Richie, Britische Außen- und Bündnispolitik 1949‑1956. In: Nationale Außen- und Bündnispolitik, S. 129‑152 Papacosma, S. Victor, Greece and NATO. In: NATO and the Mediterranean, S. 189‑213 Papacosma, S. Victor, NATO and Internal Disputes. Greece and Turkey. In: NATO after Fifty Years, S. 199‑225 Papandreou, Andreas G., Democracy at Gunpoint. The Greek Front, London 1971 Pedaliu, Effie G.H., »A Discordant Note«. NATO and the Greek Junta, 1967‑1974. In: Diplomacy & Statecraft, 22 (2011), S. 101‑120 Pedlow, Gregory, und Donald Welzenbach, The CIA and the U-2-Program 1954‑1974, History Staff, Center for the Study of Intelligence, Central Intelligence Agency, (o.O.) 1998. In: CIA Library, , letzter Aufruf 13.12.2016 Pelt, Mogens, Military Intervention and a Crisis of Democracy in Turkey. The Menderes Era and its Demise, London [u.a.] 2014 (= Library of Modern Turkey, 1) Pelt, Mogens, Tying Greece to the West: US-West-German-Greek Relations 1949‑1974, Copenhagen 2006 Periphery or Contact Zone. The NATO Flanks 1961 to 2013. On behalf of Bundeswehr Centre of Military History and Socail Sciences ed. by Bernd Lemke, Freiburg i.Br 2015 (= Neueste Militärgeschichte. Analysen und Studien, 4) Perrson, Magnus, Great Britain, the United States, and the Security of the Middle East. The Formation of the Baghdad Pact, Lund 1998 Pfeil, Ulrich, Die Suezkrise. In: In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 17‑18/2006, S. 32‑38 Pisiotis, Argyrios, L’OTAN et la Persistence du Conflit Gréco-Turc. In: Politique Étrangère, 58 (1993), 4, S. 905‑918

Quellen und Literatur

307

Plaggenborg, Stefan, Ordnung und Gewalt. Kemalismus, Faschismus, Sozialismus, München 2012 Prospects for Security in the Mediterranean. Ed. by Robert O’Neil, Basingstoke 1988 (= International Institute for Strategic Studies Conference Papers, 11) Rebhan, Heinz, Der Aufbau des militärischen Instruments der NATO. In: Die NATO als Militärallianz, S. 175‑250 Reddaway, John, Burdened with Cyprus. The British Connection, London 1986 Religion and Politics in Europe, the Middle East and North Africa. Ed. by Jeffrey Haynes, London [u.a.] 2010 (= Routledge/ECPR Studies in European Political Science, 64) Reyn, Sebastian, Atlantis lost. The American Experience with De Gaulle, 1958‑1969, Amsterdam 2010 Richardson, Louise, When Allies Differ. Anglo-American Relations during the Suez and Falkland Crises, New York 1996 Richter, Heinz A., Geschichte der Insel Zypern, 1878‑1977, 4 Bde, Bd 1:1878‑1949; Bd 2: 1950‑1959; Bd 3: 1959‑1965; Bd 4: 1965‑1977, Mannheim [u.a.] 2006‑2009 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, Bände 29, 35, 37, 41) Richter, Heinz A., Geschichte Griechenlands im 20. Jahrhundert, Bd 2: 1939‑2004, Mainz, Ruhpolding [2015] (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 67/2) Richter, Heinz A., Griechenland 1940‑1950. Die Zeit der Bürgerkriege, Mainz, Ruhpolding 2012 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 59) Richter, Heinz A., Griechenland 1950‑1974. Zwischen Demokratie und Diktatur, Mainz, Ruhpolding 2013 (= Peleus. Studien zur Archäologie und Geschichte Griechenlands und Zyperns, 60) Richter, Heinz A., Der griechisch-türkische Konflikt und die Haltung der Sowjetunion, Köln 1987 (= Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaftliche und internationale Studien, 8) Richter, Heinz A., Historische Hintergründe des Zypernkonflikts. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 12/2009, S. 3‑8 Rijnoveanu, Carmen, Rumänien und die Militärreform des Warschauer Paktes 1960 bis 1970. In: Der Warschauer Pakt, S. 209‑223 Rizas, Sotiris, Atlanticism and Europeanism in Greek Foreign and Security Policy in the 1970s. In: Southeast European and Black Sea Studies, 8 (2008), 1, S. 51‑66 Rizas, Sotiris, The Greek Military Regime’s Policy Towards Cyprus, 1967‑1974. In: Modern Greek Studies Yearbook, 18/19 (2003), S. 239‑252 Rizas, Sotiris, Managing a Conflict between Allies. United States Policy towards Greece and Turkey in Relation to the Aegean Dispute, 1974‑1976. In: Cold War History, 9 (2009), 3, S. 367‑387 Robbins, Simon, The British Counter-Insurgency in Cyprus. In: British Ways of Counter-Insurgency, S. 147‑170 Rock, Philipp, Macht, Märkte und Moral. Zur Rolle der Menschenrechte in der Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren,

308

Quellen und Literatur

Frankfurt a.M. 2010 (= Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften, 1070) Romero, Juan, The Iraqi Revolution of 1958. A Revolutionary Quest for Unity and Secret, Lanham [u.a.] 2011 Rousseas, Stephen W., Militärputsch in Griechenland oder: Im Hintergrund der CIA, Reinbek bei Hamburg 1968 Routledge Handbook of Transatlantic Security. Ed. by Basil Germond [u.a.], London [u.a.] 2010 Rustow, Dankwart A., Turkey. America’s Forgotten Ally, New York 1989 Saikal, Amin, Islamism, the Iranian Revolution and the Soviet Invasion of Afghanistan. In: The Cambridge History of the Cold War, vol. 3, S. 112‑134 Sakkas, John, Conflict and Détente in the Eastern Mediterranean: From the Yom Kippur War to the Cyprus Crisis, October 1973‑August 1974. In: Détente in Cold War Europe, S. 141‑154 Sakkas, John, The Greek Dictatorship, the USA and the Arabs, 1967‑1974. In: Journal of Southern Europe and the Balkans, 4 (2004), 3, S. 245‑257 Sauerwein, Friedrich, Spannungsfeld Ägäis. Informationen, Hintergründe, Ursachen des griechisch-türkischen Konfliktes um Cypern und die Ägäis, Frankfurt a.M. [u.a.] 1980 Scheben, Thomas, Ein Bündnis mit begrenzter Haftung. Ägypten im Kalten Krieg. In: Heiße Kriege im Kalten Krieg, S. 408‑441 Scheben, Thomas, Wachstumsstrategien im Nahen Osten während des Kalten Krieges. In: Ökonomie im Kalten Krieg, S. 124‑162 Schimmelpfennig, Frank, Internationale Politik, Paderborn [u.a.] 2008 (= Grundkurs Politikwissenschaft, 5) Schmidt, Gustav, Strukturen des »Kalten Krieges« im Wandel. In: Mastny/Schmidt, Konfrontationsmuster, S. 3‑379 Schwartz, Thomas A., Lyndon Johnson and Europe: In the Shadow of Vietnam, Cambridge, MA [u.a.] 2003 Seiller, Florian, Rüstungsintegration. Frankreich, die Bundesrepublik Deutschland und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft 1950 bis 1954, Berlin, München, Boston 2015 (= Entstehung und Probleme des Atlantischen Bündnisses, 9) Sen, Faruk, Türkische Arbeitnehmergesellschaften. Gründung, Struktur und wirtschaftliche Funktion der türkischen Arbeitnehmergesellschaften für die sozioökonomische Lage der Türkei, Frankfurt a.M. 1980 (= Europäische Hochschulschriften, 5) Sezgin, Selami, The Defense-growth Relation. Evidence from Greece. In: The Economics of Regional Security, S. 113‑138 Shaw, Stanford J., From Empire to Republic. The Turkish War of National Liberation 1918 to 1923. A Documentary Study, 5 vols., Los Angeles, Ankara 2000 (= Publications of Turkish National Society. Serie 16, 84a-84e) Sherwood, Elizabeth D., Allies in Crisis. Meeting Global Challenges to Western Security, New Haven [u.a.] 1990 Slengesol, Ivar-André, A Bad Show? The United States and the 1974 Cyprus Crisis. In: Mediterranean Quarterly, 11 (2000), 2, S. 96—129

Quellen und Literatur

309

Small Powers in Alignment. Ed. by Omer de Raeymaker [u.a.], Leuven 1974 (= Studies in International Relations, 2) Smith, Michael Llewellyn, Ionian Vision. Greece in Asia Minor 1919‑1922, London 1973 Snyder, Jed C., Defending the Fringe. NATO, the Mediterranean and the Persian Gulf, Boulder, CT [u.a.] 1987 (= Sais Papers in International Affairs, 11) Solomon, James B., The Multilateral Force: America’s Nuclear Solution for NATO (1960‑1965), Annapolis 1999 (= U.S. NA Trident Scholar Project Report No 269) Soutou, Georges-Henri, De Gaulle’s France and the Soviet Union from Conflict to Détente. In: Europe, Cold War and Coexistence, S. 170‑186 Spaak, Paul-Henri, Memoiren eines Europäers, Hamburg 1969 Spatial Conceptions of the Nation. Modernizing Geographies in Greece and Turkey. Ed. by Nikiforos Diamandouros, Thalia Dragonas and Caglar Keyder, London [u.a.] 2010 (= International Library of Historical Studies, 66) Stearns, Monteagle, Entangled Allies. U.S. Policy Toward Greece, Turkey, and Cyprus, New York 1992 Stefanidis, Ioannis D., Isle of Discord. Nationalism, Imperialism and the Making of the Cyprus Problem, New York 1999 Steinbach, Udo, Neuere Entwicklungen in den politischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und der Türkei, Griechenland und Zypern. In: Osteuropa, 7 (1973), S. 531‑539 Steinbach, Udo, Die Sowjetunion und die Zypernkrise. In: Osteuropa, 5 (1975), S. 338‑348 Stikker, Dirk U., Bausteine für eine neue Welt. Gedanken und Erinnerungen an schicksalhafte Nachkriegsjahre, Wien, Düsseldorf 1966 Stikker, Dirk, The Role of the Secretary General of NATO. In: The Western Alliance, S. 3‑28 Stöver, Bernd, Der Kalte Krieg 1947‑1991. Geschichte eines radikalen Zeitalters, München 2007 Storkmann, Klaus, Geheime Solidarität? Militärbeziehungen und Militärhilfen der DDR in die Dritte Welt, Berlin 2012 (= Militärgeschichte der DDR, 21) Stouraiti Anastasia, and Alexander Kazamias, The Imaginery Topographies of the Megali Idea: National Territory as Utopia. In: Spatial Conceptions of the Nation, S. 11‑34 Stuart, Douglas T., and William T. Tow, The Limits of Alliance. NATO and Out-ofArea problems since 1949, Baltimore 1990 Suez 1956. The Crisis and Its Consequences. Ed. by William Roger Louis [u.a.], Oxford 1989 Thamm, Sascha, Institutionelle Reaktionen der NATO auf die Krisen des Bündnisses. Von der Gründung bis zum NATO-Doppelbeschluss, Osnabrück 2002 The Western Alliance. Its Status and Prospects. Ed. by Edgar S. Furniss, Ohio 1965 Theodoropoulos, Byron, Griechenland – Türkei: Außen- und sicherheitspolitische Probleme an der Südostflanke der NATO. In: Revue Hellénique de Droit International, 38/39 (1988), S. 295‑306 Thies, Wallace J., Why NATO Endures, Cambridge 2009

310

Quellen und Literatur

Transforming NATO in the Cold War. Challenges beyond Deterrence in the 1960s. Ed. by Andreas Wenger, Christian Nuenlist and Anna Locher, London, New York 2007 Turkey in the 1960’s and 1970’s through the Reports of American Diplomats. Ed. by Rifat N. Bali, Istanbul 2010 Turner, Barry, Suez 1956: The Inside Story of the First Oil War, London 2006 Ulunian, Artiom A., Soviet Cold War Perceptions of Turkey and Greece, 1945‑58. In: Cold War History, 3 (2003), 2, S. S. 35‑52 Umbach, Frank, Das rote Bündnis. Entwicklung und Zerfall des Warschauer Paktes 1955 bis 1991, Berlin 2005 (= Militärgeschichte der DDR, 10) Uslu, Nasuh, The Cyprus Question as an Issue of Turkish Foreign Policy and TurkishAmerican Relations, 1959‑2003, New York 2003 Uslu, Nasuh, The Turkish-American Relationship between 1947 and 2003. The History of a Distinctive Alliance, New York 2003 Uyar, Mesut, and Serhat Güvenç, One Battle and Two Accounts. The Turkish Brigade at Kuni-ri in November 1950. In: The Journal of Military History, 80 (2016), S. 1117‑1147 Uzer, Umut, Identity and Turkish Foreign Policy. The Kemalist Influence in Cyprus and the Caucasus, London 2011 (= Library of International Relations, 52) Vaïsse, Maurice, France and the Suez Crisis. In: Suez 1956, S. 131‑144 Váli, Ferenc A., Bridge across the Bosporus. The Foreign Policy of Turkey, Baltimore [u.a.] 1971 Váli, Ferenc A., The Turkish Straits and NATO, Stanford, CA 1972 Vanezis, Procopios N., Makarios. Life and Leadership, London 1979 Varwick, Johannes, Die NATO. Vom Verteidigungsbündnis zur Weltpolizei?, München 2008 Volkan, Vamik D., Das Versagen der Diplomatie. Zur Psychoanalyse nationaler, ethnischer und religiöser Konflikte, 2. Aufl., Gießen 2000 (= Bibliothek der Psychoanalyse, 20) War Plans and Alliances in the Cold War. Threat Perceptions in the East and West. Ed. by Vojtech Mastny [u.a.], London [u.a.] 2006 Der Warschauer Pakt. Von der Gründung bis zum Zusammenbruch 1955 bis 1991. Hrsg. von Torsten Diedrich, Winfried Heinemann und Christian F. Ostermann, Berlin 2009 (= Militärgeschichte der DDR, 16) Wege zur Wiedervereinigung. Die beiden deutschen Staaten in ihren Bündnissen 1970 bis 1990. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Oliver Bange und Bernd Lemke, München 2013 (= Beiträge zur Militärgeschichte, 75) Wegweiser zur Geschichte. Irak und Syrien. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Bernd Lemke unter Mitarb. von Stefan Maximilian Brenner, Paderborn 2016 Weiker, Walter F., The Turkish Revolution 1960‑1961. Aspects of Military Politics, Washington, DC 1963 Weithmann, Michael, Die Griechisch-Türkische Kontroverse in der Ägäis. Geopolitische, historische, kulturelle und rechtliche Aspekte, Norderstedt 2009

Quellen und Literatur

311

Weltmacht ohne Politik? Das amerikanische Regierungssystem nach den Wahlen von 1976. Hrsg. von Werner Kaltefleiter und Edward Keynes, Berlin 1979 (= Verfassung und Verfassungswirklichkeit, 12) Wenger, Andreas, The Politics of Military Planning. Evolution of NATO’s Strategy. In: War Plans and Alliances in the Cold War, S. 165‑192 Werner, Oliver, Das Krisenmanagement der Supermächte im Jom-Kippur-Krieg 1973. In: Krisen im Kalten Krieg, S. 446‑476 Weyers Flottentaschenbuch. Hrsg. von B. Weyer und Gerhard Albrecht, 53 (1975/76), München 1975 Whetten, Lawrence L., Soviet Strategy. The Mediterranean Threat. In: Survival. Global Politics and Strategy, 12 (1970), S. 252‑259 Wilson, Andrew, The Aegean Dispute, London 1979 (= Adelphi Papers, 155) Wilson, Andrew, The Aegean Dispute. In: Greece and Turkey, S. 90‑130 Wilson, Desmond, The US Sixth Fleet and the Conventional Defense of Europe, Arlington 1976 (= Center for Naval Analyses. Professional Paper, 160) Windsor, Philip, NATO and the Cyprus Crisis, London 1964 (= Adelphi Papers, 14) Woodhouse, Christopher M., Karamanlis. The Restorer of Greek Democracy, Oxford 1982 Woodhouse, Christopher M., The Rise and Fall of the Greek Colonels, London [u.a.] 1985 Yeşilbursa, Behçet Kemal, The Baghdad Pact. Anglo-American Defence Policies in the Middle East, 1950‑1959, London [u.a.] 2005 Yilmaz, Suhnaz, Turkey’s Quest for NATO Membership. The Institutionalization of the Turkish-American Alliance. In: Southeast European and Black Sea Studies, 12 (2012), 4, S. 481‑495 Zanchetta, Barbara, The United States and the »Loss« of Iran: Repercussions on Transatlantic Security. In: The Routledge Handbook of Transatlantic Security, S. 138‑152 Zelepos, Ioannis, Erzbischof Makarios III. und die »Enosis«. Kontinuität und Wandel in der Politik Makarios Zyperns mit Griechenland 1950—1974, Hamburg 1994 (unveröffentlicht, in der Universitätsbibliothek Hamburg einsehbar) Zelepos, Ioannis, Die Ethnisierung griechischer Identität 1870‑1912. Staat und private Akteure vor dem Hintergrund der »Megali Idea«, München 2002 Zimmermann, Detlev, Frankreich und die Suezkrise. In: Das internationale Krisenjahr, S. 395‑420 Zubok, Wladislaw, The Soviet Union and Détente of the 1970’s. In: Cold War History, 8 (2008), 4, S. 427‑447

Personenregister

Abdülhamid II., Sultan 25 Acheson, Dean 127 Adenauer, Konrad 46 al-Gaddafi, Muammar 231, 266 Allen, George V. 54, 58, 63 Allessandrini, Adolfo 114 Alp Arslan, Sultan der Großseldschuken 19 Andreotti, Giulio 144 Androutsopoulos, Adamantios 218, 222 Armitage, Robert Perceval 32 Atatürk, Kemal Pascha 33, 56, 83, 91, 138, 186, 206 Averoff-Tositsas, Evangelos , 43, 45 f., 49 f., 54, 57, 59, 67, 74, 78, 80, 83 f., 89, 223, 236, 252 f. Baeyens, Jacques 123 f. Ball, George 102 f., 127 Barzel, Rainer 136 Battle, Lucius 162 Bayar, Celâl 73 Belcher, Taylor G. 118 Berkeley, Humphry 109 Bilgehan, Cihat 259 Blankenhorn, Herbert 34, 40, 45, 65, 80 Bonanos, Georgios 222 f. Boon, Henry 114, 143 Borten, Per 156 Boyesen, Jens 42, 81 Brandt, Willy 180 Brentano, Heinrich von 46 Brežnev, Leonid I. 147, 213 Brimelow, Thomas 210 Brosio, Manlio 285

Brosio, Manlio Giovanni 118, 120, 122‑124, 127‑129, 132‑134, 139, 141, 143 f., 152, 159 f., 162‑165, 169, 171‑174 Brown, George 155 Burgess, Warren Randolph 71, 77 Burrows, Bernhard 171 f. Çağlayangil, İhsan Sabri 158, 164, 171 Callaghan, James 192, 205, 226 f., 232 Carington, Peter, 6. Baron Carrington 268, 270 f. Cavalierato, Phendon 156, 164 f., 172 Chamoun, Camille 68 Chomeini, Ajatollah Ruhollah 256, 267 Chorafas, Anghelos 191, 204, 214, 217, 220, 228 Chruščëv, Nikita S. 80 f., 83, 94, 111, 122 Churchill, Winston S. 30 Cleveland, Harlan 144, 159, 165, 171‑173 Couve de Murville, Maurice 124 Crouy-Chanel, Étienne de 68 Davos, Ioannis 223 Demirel, Süleyman 148 f., 158, 162, 164‑167, 170 f., 175, 186, 232, 240, 249, 255, 259, 262 f. Denktaş, Rauf 71, 202, 234 Dulles, John Foster 31 f., 36, 47, 49 f., 53, 62, 77 f. Ecevit, Mustafa Bülent 179, 186 f., 189 f., 192 f., 202, 206 f., 210, 218 f., 223‑227, 231 f., 234, 240, 249, 255, 259 f., 286 Economou-Gouras, Pavlos 158

Personenregister

Eden, Anthony 29, 32, 39, 43 Eisenhower, Dwight D. 23, 30 f., 53, 68, 70, 281 Eralp, Orhan 191, 214, 217, 220, 225, 229, 237 Erbakan, Necmettin 232, 262 Erhard, Ludwig 128 Erkin, Feridun Cemal 101, 103, 108 f., 112, 119 f., 132‑134 Evren, Kenan 263 Extinaris, Georgios 31, 34‑36, 40 Faure, Edgar 38 Finletter, Thomas K. 114, 117, 122, 128 f. Foot, Hugh 63, 70, 78, 84 Ford, Gerald 16, 234, 253 Frydenlund, Knut 182 Galsworthy, John 45 Gaulle, Charles de 126, 147 Goldwater, Barry 112 Gore, Sir Ormsby 96 Grewe, Wilhelm 114, 124, 128, 144, 172, 175 Grivas, Georgios 27, 32, 39, 51, 54‑56, 77, 88, 91, 105, 115, 119, 159, 162, 200, 282 Groeppner, Horst 174 Gromyko, Andrej A. 135‑137, 142 Gruenther, Alfred 35, 281 Güneș, Turan 187, 192, 195 Gürsel, Cemal 106, 138 Haig, Alexander 261, 286 Harding, John 39, 49 Hare, Raymond 103, 112 f. Hartling, Poul 157 Hart, Parker T. 14, 168, 171 Hassel, Kai-Uwe von 144 Healey, Denis 144 Herwarth von Bittenfeld, Hans-Heinrich 46 Hill-Norton, Peter John 238 Hjorth-Nielsen, Hennig 156 Hussein, König von Jordanien 68, 72 Ignatieff, George 114 f., 117 f., 122

313

İnönü, Mustafa İsmet 69, 83, 91, 97, 100 f., 105‑107, 112 f., 119, 125‑127, 130 f., 284 Ioannidis, Dimitrios 183, 189, 194, 200, 204, 210, 212, 218, 223 f. Işık, Hasan Esat 138 f., 141, 188, 204 Ismay, Lord Lionel 31, 34, 39 f., 42, 48, 54 f., 57‑59, 62, 281 Johnson, Lyndon B. 96 f., 112‑114, 117, 119, 125, 127, 152 f., 168, 170, 174, 206, 231, 273 f., 285 Kanellopoulos, Panagiotis 35, 150, 223 Karamanlis, Konstantinos 36, 51, 54, 56 f., 59 f., 63, 66, 69 f., 73 f., 76‑79, 82, 84, 89, 91, 118, 131, 223 f., 226, 236 f., 239 f., 251‑254, 259, 261, 264, 266, 274 f., 282 Kennedy, John F. 90, 94, 96 Kiesinger, Kurt Georg 154 Kissinger, Henry 179, 181, 187, 193, 201, 205, 218‑220, 226 f., 232, 234, 286 Kleffens, Elco van 65 Klerides, Glafkos 224 Köprülü, Mehmet Fuat 43 Kollias, Konstantin 285 Kollias, Konstantinos 150 Kostopoulos, Stavros 107‑109, 113, 121, 133, 138‑141 Krapf, Franz 236 Küçük, Fazil 88‑90 Kuhna, Karl Heinz 1 Labouisse, Henry R. 118, 139 Lahr, Rolf Otto 136 Lange, Halvard Manthey 50 Lemnitzer, Lyman L. 99‑101, 105‑107, 284 Leusse, Pierre de 114 Lloyd, Selwyn 50, 84 Luns, Joseph 16 f., 156, 186, 188 f., 191 f., 195 f., 202‑204, 210, 214, 218, 225, 227‑229, 239, 261, 286 Macmillan, Harold 62, 66, 72, 281 McNamara, Robert S. 126, 152 Macomber, William B. 201

314

Personenregister

Makarezos, Nicholas 285 Makarios III., Erzbischof von Zypern 10, 26 f., 30, 33, 39 f., 51, 54‑58, 60, 64, 70‑72, 74, 77‑81, 83, 88‑91, 94, 97, 99, 103‑105, 110, 115, 120‑123, 126 f., 129 f., 133, 135‑137, 139, 142 f., 146, 150 f., 158 f., 162, 164, 173, 199 f., 204 f., 220, 224, 231, 272 f., 282 Martino, Gaetano 49 f. Martin, Paul 108, 140, 144 Mason, Roy 205 Mavros, Georgios 227, 232 Melas, Michael 42, 44 f., 51, 54 f., 57 f., 60, 64‑66, 70 f., 78‑81, 133, 144 Menderes, Adnan 29, 36, 49 f., 56 f., 61 f., 66 f., 69, 72 f., 82, 256, 263, 281 Mendès France, Pierre 34 Messmer, Pierre 144 Millar, Frederick 46 Murray, Ralph 139 Nasser, Gamal Abdel 47, 67, 120 Nixon, Richard 17, 177, 179, 187 f., 198, 201, 205 f., 213, 228, 274 Norstad, Lauris 66, 73 f., 283 Nuri Birgi, Muharrem 44 f., 78, 92, 104, 113‑115, 117 f., 120, 122 f., 127, 135, 139, 142, 163, 172 Özal, Turgut 267, 270 f. Oliveira Salazar, António de 151, 193 Pahlavi, Mohammad Reza Schah 233 Palamas, Christos 104, 113‑115, 117 f., 120, 123, 127, 135 f., 139, 141‑143 Pansa, Paolo 191 Papadopoulos, Georgios 149 f., 157 f., 162, 164 f., 175, 181 f., 200 Papagos, Alexandros 28 f., 36 Papandreou, Andreas 148, 181, 226, 241, 253, 261, 266, 269 f. Papandreou, Georgios 59, 99, 103 f,, 115, 117‑121, 123, 125, 127, 129, 133, 137, 139, 142, 146, 148 f., 284 Papanikolopoulos, Demitrios 102

Papapdopoulos, Georgios 285 Papoulias, Karolos 269 Paraskevopoulos, Ioannis 93, 97, 99, 148 Patakos, Stilianos 285 Pearson, Lester 41, 115 Peck, Sir Edward 188, 213, 228, 237 Perkins, George 34 f., 40 Pineau, Christian 49 Pipinelis, Panagiotis 164, 172 Plastiras, Nikolas 27 Podgornyj, Nikolaj V. 138 Protopapadakis, Aristeidis 66 Qasim, Abd al-Karim 72 Reagan, Ronald 17 Reuter, Paul 114 Riddleberger, James 66, 69 Roberts, Frank 54, 60, 62, 64 f., 70 f., 76, 79‑81 Rogers, Bernard 261 Romanos IV. Diogenes, byzant. Kaiser 19 Rostow, Eugene 165 Rumsfeld, Donald 188 f., 204, 213 Rusk, Dean 96, 108, 138, 140, 144, 153, 283 Ryżov, Nikita S. 126 Sahm, Ulrich 225 Sampson, Nikos 105, 202, 204, 207 f., 210, 212 f., 216, 218, 221 f., 224, 241 f. Sarper, Selim 63‑66, 69‑71, 76, 79‑82 Scheel, Walter 180 Schlitter, Oskar 154 Schmidt, Helmut 207, 214, 219 Schram-Nielsen, Erik 116, 122 Schröder, Gerhard 109 Sharp, Mitchell 182 Shuckburgh, Evelyn 95 f., 107, 114, 122, 129 Sisco, Joseph 214, 223 Solženizyn, Aleksandr 209 Sonnenhol, Gustav Adolf 185 f., 195, 218

Personenregister

Spaak, Paul-Henri 14, 16, 43, 46, 50, 59, 60‑65, 67‑72, 74, 76‑81, 84, 104, 129, 272, 281, 283 Spandidakis, Grigorios , 150 Staercke, André de 40, 42, 80, 114, 204, 214 Stalin, Iosif V. 28 Starkenborgh, Tjarda van 40, 81 Steel, Christopher 34, 39 f., 51 Stephanopoulos, Stephanos 143, 146, 148 Steward, Michael 46 Stikker, Dirk 14, 92, 99, 104, 107 f., 113‑115, 283 Stoel, Max van der 203 Storrs, Ronald 26 Talbot, Philipps 170 Tasca, Henry J. 194, 204, 218, 222 Tempelhoff, Hans-Georg von 66 Tetenes, Spyridon 195 Theodoropoulos, Byron 229, 236

315

Theotokis, Spyros 39 Tiney, Mehmet Ali 34 f., 45, 51, 54, 57 f., 60 Topaloğlu, Ahmet 144 Trettner, Heinz 98 f. Tricornot de Rose, François de 214 Truman, Harry S. 11, 27 f. Tsirimokos, Ilias 143 Tuluy (türk. Botschafter in Athen) 142 Ürgüplü, Suat Hayri 136 Vance, Cyrus 168‑175, 274, 285 Vårvik, Dagfinn 181 Venizelos, Eleftherios 84 Walther, Gebhardt von 1, 126, 128, 130 Warren, Fletcher 66 Wassard, Mathias Aagaard 65, 81 Wessel, Gerhard 96 Wilson, Harold 154 f., 205 Yiorgadjis, Polykarpos 105 Yokas, Panayotis 46 Zorlu, Fatin 67, 71, 83 f.

Zum Autor

Major Dr. phil. Stefan Maximilian Brenner, geb. 1978 in München, seit 1998 Angehöriger der Bundeswehr. Zwischen 2002 und 2006 Studium der Geschichte und Sozialwissenschaften an der Helmut-Schmidt Universität/Universität der Bundeswehr in Hamburg (Magister Artium); seit 2010 Historikeroffizier am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, 2016 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Potsdam. Veröffentlichungen u.a.: Operation Atilla. Die Besetzung Nordzyperns durch türkische Truppen im Sommer 1974. In: Militärgeschichte. Zeitschrift für historische Bildung, 2/2016, S. 18‑21; Irak, Syrien und die bipolare Weltordnung. In: Wegweiser zur Geschichte. Irak und Syrien. Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr hrsg. von Bernd Lemke unter Mitarb. von Stefan Maximilian Brenner, Paderborn 2016, S.  77‑83; NATO and the second Greco-Turkish conflict over Cyprus (1964/65): Its consequences for political cohesion of the North Atlantic Alliance. In: Periphery or Contact Zone? The NATO Flanks 1961 to 2013. On behalf of Bundeswehr Centre of Military History and Social Sciences ed. by Bernd Lemke, Freiburg i.Br. u.a. 2015 (= Neueste Militärgeschichte. Analysen und Studien, 4); Die Achillesferse der NATO: Die Nordatlantische Allianz und der griechisch-türkische Binnenkonflikt 1952‑1989. Ein Überblick zum Stand der Forschung. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift, 71 (2012), S. 108‑127; Military Coalitions in War and Peace: NATO and the Greek-Turkish Conflict 1952‑1989. In: Journal of Military and Strategic Studies, 14 (2012), No. 3 & 4.

Varna

Griechisch-türkische Spannungen in der Ägäis 1954 bis 1989

Niš

BULGARIEN Stara Sagora

1. Armee

Griech. und türk. Truppenaufmarsch am Evros 1967 und in Thrakien 1974

AN

»C« Korps

N

rein griechisch besetzt

IE

LANDSOUTHCENT

E

ub

h e i s c I o n

I n s

l n

k

a

Marmarameer

Gölcük

ca. 10 000 unbek. unbek.

Lesbos

Siros

Tripolis

Standort griechischer Truppenteile (Verbände und Großverbände)

Militärischer Staatsstreich 1960, 1971, 1980

TÜRKEI

Gebiete und Gewässer mit Spannungen und Konflikten um Hoheitsrechte und Zugehörigkeiten

LANDSOUTHEAST (HALFSEE)

Izmir (Smyrna)

Pogrom gegen griechische Minderheit 1955

Denizli

Çardak

* 4. Armee verfügt über Landungsboote zur Besetzung griechischer Inseln

Isparta

Tarsus

Türkische Ablehnung der Remilitarisierung von Leros 1954

K y k l a d e n

Adana Iskenderun

Antalya

Antakya G o l f

v o n

I s k e n d e r u n

Dalaman

Kos

G o l f

o

v o n

SYRIEN

d

A n t a l y a

e

n

Latakia

ab 1983

k

a

STRIKEFORSOUTH 6. US-Flotte

e

s

Rhodos

Karpathos

Teilung seit Sommer 1974

SOVMEDRON 5. Eskadra seit 1964

Türk.Rep. Nordzypern

Tartus

Nikosia

REP. ZYPERN

Iraklio

Hama

Dekelia (brit. Militärbasis)

Akrotiri (brit. Militärbasis)

Tripoli

BEIRUT

L e v a n t i s c h e s

M

i

t

t

e

l

m

e

e

Osmaniye

Mersin

geplanter Bau NATO-Tanklager auf Leros 1954

Leros

Griech. Remilitarisierung der Dodekanes-Inseln 1974

Kreta

Streitkräftestärken ab 1980

Konya

Aydin

Samos

Ikaria

Chania

Kayseri geplanter Standort NATO-Hauptquartier/ NATO-Stab 1978/79 (nicht umgesetzt)

Afyon

D

M e e r

4. A.*

Çiğli

Griech. Truppenteile auf Inseln verteilt insges. 32 000

I o n i s c h e s

Militärflugplatz/Fliegerhorst

Uşak

Griech.-türk. Zwischenfall bei NATO-Übung »Daffodil Face« 1974

ATHEN

ANKARA

4. A.

MEDNOREAST

Standort NATO-Hauptquartier/ NATO-Stab

Kütahya

6. Taktische Luftflotte (6th ATAF)

Mytilini

Chios

M e e r

Piräus

Pogrom gegen griechische Minderheit 1955

Kirikkale

Balikesir

4. Armee

Limnos

MEDEAST

Standort/Hauptquartier 4. türkische Armee (»Ägäische Armee«), nicht NATO-assigniert, Sivas Entstehung 1975

Adazapari

Bursa

Griech.-türk. Krisen und Spannungen um die Abgrenzung des Festlandsockels 1973, 1974, 1976

öa

Patras P e l e p o n n e s

r

Çorum 1. A.

Eskişehir

Ä g ä i s c h e s

Vólos

GRIECHENLAND

h

Gebze Izmit

Istanbul

n

i e

Samothraki

Verletzung des griech. Luftraumes durch türk. Jäger 1964 – 1989

Larissa

Lamia

T

Griech.-türk. Krise um Ölbohrrechte 1987

7. Taktische Luftflotte (7th ATAF)

Militärdiktatur 1967 – 1974

e

Thasos

Thessaloniki

Ioannina

»D« Korps

Standort/Hauptquartier 1. türkische Armee (»Bosporusarmee«)

NO

ALB

Komotini

80 000 765 410

1. A.

Legende

Karabük

N

os

»C« & »D« Korps

Zonguldak seit 1955 schrittweise Vertreibung der in der Westtürkei lebenden Griechen nach Griechenland

Edirne

Ev r

Ordu

Samsun

210 000 1 030 865

Plovdiv

Skopje

M e e r

DAMASKUS

M e e r

r 0

100

200

300

400

BA

J U G O S L AW I E N

S c h w a r z e s

Burgas

LI

SOFIA

500 km

Haifa

ISR.

© ZMSBw

07892-06

REPUBLIK ZYPERN

Limassol Famagusta

Pyl Larnaca

Paphos türkische Demarkationslinie griechische Demarkationslinie entmilitarisierte Zone (UN-Pufferzone)

Quelle: Le Monde diplomatique, Berlin, 2007.

07895-04

© ZMSBw

Quelle: Autor.

7

Akrotiri

8

Limassol

0

10

20

Akrotiri (brit. Militärbasis)

0m

30

500 m

40

50 km

18

17

Timbou

14

Larnaca

10

15

Famagusta

kontinuierlich frische Truppen und Kampfgerät nach Zypern (bis Ende Juli ca. 15 000 Soldaten).

zypriotischen Verteidiger.

19 seit 17.8.74 Ausweichen der griechisch-

wege zwischen Nikosia und Larnaca.

07896-03

© ZMSBw

zypriotischen Zivilbevölkerung auf der gesamten Insel.

18 17.8.74 Türkische Truppen unterbrechen die Versorgungs11 seit 20.7.74 Türkische Landungsschiffe verbringen

luftbewegliche Kräfte auf die Insel.

17 Fluchtbewegungen der griechisch- und türkisch-

Einnahme am 17./18.8.74 belagert.

16 seit 14.8.74 Morfou wird von türkischen Truppen bis zur

griechisch-zypriotische Militäreinrichtungen.

15 seit 13.8.74 Massive türkische Bombenangriffe auf

stützt von Schiffsartillerie und Jagdbombern, stoßen fächerförmig in das Landesinnere vor (Ende der Kämpfe am 18.8.74).

14 seit Ende Juli 74 Türkische mechanisierte Kräfte, unter-

mehreren Transportflugzeugen aus Kreta eingeflogen. Beim Anflug auf den Flughafen von Nikosia werden die Flugzeuge von den griechisch-zypriotischen Truppen versehentlich für türkische Maschinen gehalten und bekämpft. Ein Flugzeug wird abgeschossen. Dabei kommen 30 griechische Soldaten ums Leben. Ein griechisches Fallschirmjägerbataillon und ein Marineinfanteriebataillon erreichen den Flughafen von Nikosia.

13 21.7.74 Operation »Niki«: griechische Truppen werden in

und »Mareşal Fevzi Çakmak« werden auf der Suche nach dem griechischen Landungsschiff »Lesvos« versehentlich von eigenen Flugzeugen angegriffen. Dabei wird die »Adatepe« versenkt, die anderen beiden Zerstörer werden beschädigt und 3 türkische Flugzeuge abgeschossen.

LIBANON

SYRIEN

Iskenderun

Incirlik

12 21.7.74 Die türkischen Zerstörer »Kocatepe«, »Adatepe«

REPUBLIK ZYPERN

Mersin

10 seit 20.7.74 Türkische Lufttransportverbände verbringen

von Nikosia und Truppen der griechisch-zypriotischen Nationalgarde an.

9 seit 20.7.74 Türkische Jagdbomber greifen den Flugplatz

8 seit 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen greifen die türkisch-zypriotische Enklave in Limassol an.

türkisch-zypriotische Enklave in Avdimou ein.

7 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen nehmen die

kapitulieren vor den griechisch-zypriotischen Truppen.

6 20.7.74 Die türkisch-zypriotischen Verteidiger in Paphos

die Bewohner türkisch-zypriotischer Kommunen vielerorts aus ihren Siedlungen.

5 seit 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen vertreiben

dem türkischen Vormarsch entgegen.

4 seit 20.7.74 Griechisch-zypriotische Truppen werfen sich

einen Brückenkopf 8 km westlich von Kyrenia.

3 20.7.74 Die türkischen Landungstruppen bilden zunächst

2 20.7.74 Türkische Zerstörer versenken zwei griechischzypriotische Torpedoboote.

ca. 1 200 Soldaten) sticht von Mersin und Iskenderun aus in See.

1 19.7.74 Türkischer Invasionsverband (erste Teile

Dekelia (brit. Militärbasis)

Nikosia

100

NIKOSIA

9

Kyrenia

12

19

19

9

Geunyeli

14

Zypern 1970

17

15

16

Rizokarpaso Morfou

9

Kyrenia

▪ 1955 – 59 griech.-zypriot. Guerillakrieg gegen britische Kolonialmacht ▪ 1956 – 59 bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen griech. und türk. Zyprioten

Paphos

(international nicht anerkannt)

ab 1983 Türkische Republik Nordzypern 13

9

10

4

TÜRKEI

Nikosia

6

Nikosia 5

Kyrenia 15

Türkisch besetzter Teil Zyperns

Beschießung durch Schiffsartillerie

Zypern 1975 14

Limassol

Luftangriff

Paphos ▪ 1963 – 65/1967 bürgerkriegsähnliche Kämpfe zwischen griech. und türk. Zyprioten, darunter auch Angehörige der türk. und griech. Streitkräfte; dabei stellenweise ethnische Vertreibungen, Ausschreitungen, Ermordungen und Pogrome gegen türk. Zyprioten ▪ 1964/1967 Angriffe der türk. Luftwaffe auf Stellungen der griech. Zyprioten, aber auch auf griech.-zypriot. Siedlungen mit Napalmbomben

Luftlandung von Fallschirmjägern

Larnaca

3

Famagusta

Schiffsversenkung

türkisch-zypriotische Bevölkerung griechisch-zypriotische Bevölkerung britische Stützpunkte gemischte Dörfer und Siedlungen

Kyrenia

Vormarsch/Angriff türkischer Truppen

REPUBLIK ZYPERN Rizokarpaso

Paphos

Vormarsch/(Gegen-)Angriff griechisch-zypriotischer Truppen

Morphou

2

Limassol

11

türkisch-zypriotische Enklaven Gebiet unter Regierungskontolle (Staatspräsident Makarios III.) britische Stützpunkte

Larnaca

Türkische Truppen

Britische Kronkolonie Zypern

Griechisch-zypriotische und griechische Truppen

1

türkisch-zypriotisch bewohnte Gebiete gemischte Gebiete mit türkisch-zypriotischer Mehrheitsbevölkerung griechische Gebiete gemischte Gebiete mit griechisch-zypriotischer Mehrheitsbevölkerung

Operation »Atilla«, 20.7. – 18.8.1974

Zypern 1959

Famagusta