Die militärische Elite des Kaiserreichs: 24 Lebensläufe 3806240183, 9783806240184

Warum endete der 1. Weltkrieg nicht früher? Ein biografischer Erklärungsversuch Paul von Hindenburg, Helmuth von Moltke

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German Pages 272 [322] Year 2020

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhalt
Einleitung – Die militärische Elite des Kaiserreichs
Oberst Max Bauer
Generalfeldmarschall Kronprinz Rupprecht von Bayern
Generaloberst Hans Hartwig von Beseler
Generaloberst Karl von Einem gen. von Rothmaler
General der Infanterie Erich von Falkenhayn
General der Artillerie Max von Gallwitz
Generalfeldmarschall
Colmar Freiherr von der Goltz
Generalleutnant Wilhelm Groener
Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg
Admiral Franz Ritter von Hipper
General der Kavallerie Ernst von Hoeppner
Generalmajor Max Hoffmann
General der Infanterie Hermann von Kuhl
General der Infanterie Paul von Lettow-Vorbeck
General der Kavallerie Otto Liman von Sanders
General der Infanterie Erich Ludendorff
Generalfeldmarschall August von Mackensen
Generaloberst Helmuth von Moltke (der
Jüngere)
Oberst Walter Nicolai
Admiral Reinhard Scheer
General der Kavallerie Friedrich Graf von der Schulenburg
Generaloberst Johannes Friedrich Leopold
„Hans" von Seeckt
General der Artillerie Gerhard Tappen
Generalfeldmarschall Herzog
Albrecht von Württemberg
Auswahlbibliografie
Autorenverzeichnis
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Die militärische Elite des Kaiserreichs: 24 Lebensläufe
 3806240183, 9783806240184

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Lukas Grawe Die militärische Elite des Kaiserreichs

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Kaiser Wilhelm II. umgeben von seinen Heerführern (Foto um 1915)

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Lukas Grawe

Die militärische Elite des Kaiserreichs 24 Lebensläufe

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Abbildungsnachweis: akg-images: S. 2, 19, 31, 45, 55, 64, 79, 89, 112, 128, 154, 178, 190, 204, 216, 229, 251, 296; bpk Bildagentur: S. 140, 164, 275, 287; Hans Frentz, Hindenburg und Ludendorff und ihr Weg durch das deutsche Schicksal, Berlin 1937, nach S. 44: S. 240; Staatsbibliothek Berlin: S. 240; WBG-Archiv: S. 99.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg Theiss ist ein Imprint der wbg © 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Kristine Althöhn, Mainz Satz: Vollnhals Fotosatz, Neustadt a. d. Donau Umschlaggestaltung: Harald Braun, Helmstedt Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany

Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4018-4 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-8062-4084-9 eBook (epub): 978-3-8062-4085-6

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Inhalt Einleitung – Die militärische Elite des Kaiserreichs Oberst Max Bauer Heiko Suhr

. . . . . . . . .

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. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17

Generalfeldmarschall Kronprinz Rupprecht von Bayern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter J. Weiß Generaloberst Hans Hartwig von Beseler Christian Th. Müller

. . . . . . . . . . . . . .

28

. . . . . . . . . . . . . . . .

42

Generaloberst Karl von Einem gen. von Rothmaler Carsten Siegel

. . . . . . . .

53

. . . . . . . . . . . . .

63

. . . . . . . . . . . . . . . . .

77

General der Infanterie Erich von Falkenhayn Holger Afflerbach General der Artillerie Max von Gallwitz Nikolas Dörr

Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz Oliver Stein Generalleutnant Wilhelm Groener Johannes Hürter

. . . . . . .

89

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg Michael Jonas Admiral Franz Ritter von Hipper Nicolas Wolz

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

General der Kavallerie Ernst von Hoeppner Niklas Lenhard-Schramm Generalmajor Max Hoffmann John Zimmermann

. . . . . . . . . . . . . . 111

. . . . . . . . . . . . . . 139

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

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INHALT

General der Infanterie Hermann von Kuhl Gerd Krumeich

. . . . . . . . . . . . . . . 163

General der Infanterie Paul von Lettow-Vorbeck Eckard Michels General der Kavallerie Otto Liman von Sanders Eckhard Lisec General der Infanterie Erich Ludendorff Frank Jacob

. . . . . . . . . . 176

. . . . . . . . . .

189

. . . . . . . . . . . . . . . .

203

Generalfeldmarschall August von Mackensen Theo Schwarzmüller

. . . . . . . . . . . . 215

Generaloberst Helmuth von Moltke (der Jüngere) Annika Mombauer Oberst Walter Nicolai Markus Pöhlmann

. . . . . . . . . 227

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

Admiral Reinhard Scheer Michael Epkenhans

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

General der Kavallerie Friedrich Graf von der Schulenburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 Lukas Grawe Generaloberst Johannes Friedrich Leopold „Hans“ von Seeckt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deniza Petrova General der Artillerie Gerhard Tappen Daniel R. Bonenkamp Generalfeldmarschall Herzog Albrecht von Württemberg . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Schukraft

. . . . . . . .

274

. . . . . . . . . . . . . . . . . . 284

. . . . . . . . . . . . . . . . .

294

Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 6

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Einleitung – Die militärische Elite des Kaiserreichs von Lukas Grawe

I

n der deutschen Öffentlichkeit stand der Erste Weltkrieg lange Zeit im Schatten des Zweiten Weltkriegs. Angesichts der deutschen Verantwortung für 55 Millionen Tote und den Mord an den europäischen Juden ist dies mehr als verständlich. Eine verstärkte Aufmerksamkeit erfuhr der „Große Krieg“, wie der Erste Weltkrieg in Frankreich und Großbritannien genannt wird, dann allerdings im Jahr 2014, als sich der Kriegsausbruch zum 100. Mal jährte. Zahlreiche Historiker, Journalisten und Autoren nahmen das Jubiläum zum Anlass, sich ausführlich mit der viel zitierten „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ (George F. Kennan) zu befassen. Eine kaum zu überschauende Menge an neuen Monografien, Sammelbänden und Zeitschriftenbeiträgen flutete den Markt und sorgte dafür, dass wir über den Ersten Weltkrieg nun weitaus mehr wissen als noch vor wenigen Jahren. Doch auch im vermeintlich komplett durchleuchteten Feld des Ersten Weltkriegs lassen sich Lücken ausmachen. Dies gilt sogar für den Bereich der biografisch orientierten Militärgeschichtsschreibung, einem traditionell viel bearbeiteten Forschungszweig. Während etwa die militärische Elite Hitlers in mehreren Sammelbänden sowie in zahlreichen Einzelbiografien umfassend abgehandelt worden ist,1 liegen vergleichbare Studien für das Deutsche Kaiserreich nur in geringer Zahl vor. So existierten zu besonders prominenten Militärs wie Paul von Hindenburg, Erich Ludendorff oder Erich von Falkenhayn bereits vorzügliche Darstellungen.2 Doch über andere hochrangige und einflussreiche Oberbefehlshaber und Generalstabsoffiziere wie Karl von Einem, Friedrich Graf von der Schulenburg oder Albrecht Herzog von Württemberg lassen sich kaum fundierte Arbeiten finden. Diese Leerstelle betrifft auch die kaiserliche Marine. Wissenschaftliche Literatur über Reinhard Scheer oder Franz von Hipper sucht man vergeblich. Dieser Befund verwundert umso mehr, wenn man bedenkt, dass des Kaisers militärische Elite nicht nur eine wesentliche Mitverantwortung für den Ersten Weltkrieg trug. Dass dieser nicht durch Friedensinitiativen vorzeitig beendet wurde, sondern in einen jahrelangen Abnutzungskrieg

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mit dem Einsatz neuer industrieller Tötungstechniken eskalierte, lag eben auch an einer lange Zeit friedensunwilligen deutschen Militärführung. Diese verschloss noch im Angesicht des drohenden militärischen Zusammenbruchs des Reichs ihre Augen vor der unabwendbaren Niederlage und trieb schließlich mit der „Dolchstoßlegende“ einen verhängnisvollen Spaltpilz in die Gesellschaft der Weimarer Republik, der wesentlich zum Untergang der ersten gesamtdeutschen Demokratie beitrug. Sicherlich hängt das Fehlen einschlägiger Studien zur Elite des Kaisers auch mit der problematischen Quellenlage zusammen. Da zahlreiche Nachlässe der hochrangigen Militärs des Kaiserreichs während des Zweiten Weltkrieges durch den alliierten Luftangriff auf das Potsdamer Heeresarchiv Opfer der Flammen wurden, ist eine lückenlose Lebenslaufrekonstruktion bei vielen Offizieren nicht mehr möglich. Die nach wie vor vorhandenen Quellen sowie der reiche Fundus an zeitgenössischen Veröffentlichungen ermöglichen es aber, diese Lücken zu schmälern und auch auf diese Weise wichtige Anstöße für tiefer gehende Forschungen zu liefern. Wer aber war des Kaisers militärische Elite? Aus welchem Umfeld setzte sie sich zusammen? Diesen Fragen hat die Geschichtsschreibung bereits mehrfach Aufmerksamkeit geschenkt. Das Offizierkorps nahm innerhalb des Deutschen Kaiserreichs bereits seit den erfolgreichen „Einigungskriegen“ von 1864, 1866 und 1870/71 eine herausragende Stellung ein und bildete einen zentralen Stützpfeiler der preußisch-deutschen ­Monarchie.3 Das Offizierkorps wies dabei eine äußerst hohe Homogenität auf. Die meisten Offiziere stimmten mit einer konservativen, königstreuen und zuweilen auch reaktionären Grundhaltung überein, die ihnen erst den Weg zur Offizierslaufbahn eröffnete. War die Offizierskaste jahrhundertelang ein Privileg des Adels gewesen, so sorgten die wiederholten Heeresverstärkungen im Deutschen Kaiserreich dafür, dass die Armee auch auf den „Adel der Gesinnung“ (Wilhelm II.) und damit auf Söhne aus großbürgerlichen Kreisen zurückgreifen musste. Auch wenn der Anteil des Adels vor dem Krieg kontinuierlich abnahm, vermochte er es doch, seine Vormachtstellung in den höchsten Diensträngen und in den prestigeträchtigen Garderegimentern zu behaupten. Klassenunterschiede bestanden demnach auch nach der Jahrhundertwende innerhalb des Offizierkorps fort. Doch auch hier setzte sich der bürgerliche Professionalismus, der das Kriegshandwerk als Wissenschaft ansah, immer mehr durch – der Stellenwert der Bildung nahm nach der Jahrhundertwende zu. Erhalten blieb das feudale Erscheinungsbild des Offizierkorps,

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das Traditionen und althergebrachten Überlieferungen einen großen Stellenwert einräumte. Ungeachtet der landsmannschaftlichen Unterschiede zwischen Sachsen, Bayern, Württembergern und Preußen, wies das wilhelminische Offizierkorps ein ausgewiesenes Kastendenken auf. Offiziere sahen sich als gesellschaftliche und staatstragende Elite, die eine herausgehobene gesellschaftliche und soziale Stellung einnahm. Die vor allem nach der Jahrhundertwende von der deutschen Reichsleitung verfolgte Machtpolitik trugen die meisten Offiziere bedenkenlos mit – vielfach sehnten hochrangige Militärs sogar einen Krieg herbei, um ihre Fähigkeiten endlich unter Beweis stellen zu können.4 Zahlreiche Offiziere folgten darüber hinaus sozialdarwinistischen und nationalistischen Ideen. Ein Krieg wurde auf diese Weise als Lackmustest für die deutsche „Volkskraft“ aufgefasst. Als Elite des deutschen Offizierkorps galten die Generalstabsoffiziere, erkennbar an ihren karmesinroten Streifen an den Uniformhosen. Anders als im restlichen Offizierkorps spielten persönliche Beziehungen bei der Auswahl der Generalstabsoffiziere eine geringere Rolle, das Leistungsprinzip war hier wichtiger. Dies führte unter anderem zu einem höheren Anteil an Bürgerlichen innerhalb des Korps. In wechselnden Dienststellungen zwischen „Front“, dem Großen Generalstab in Berlin und den einzelnen Truppengeneralstäben der Armeekorps oder Divisionen wurden die Generalstabsoffiziere zu Führergehilfen erzogen, um ihren jeweiligen Kommandieren General im Falle eines Krieges operativ beraten zu können. Dank einer einheitlichen Doktrin sollten die angehenden Führergehilfen austauschbar sein. Die strenge Auslese hatte schließlich zur Folge, dass von den 22 000 deutschen Offizieren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs lediglich ein Prozent dem Generalstab angehörte.5 In ihrem operativen Denken war die Generalität zu großen Teilen einem Dogma der Beweglichkeit verhaftet, das durch schnelle und offensive Stöße die Vernichtung des Gegners vorschrieb. Die Frage, ob diese mittels eines Frontaldurchbruchs oder einer Umfassung der Flanken angestrebt werden sollte, wurde nach dem Amtsantritt Alfred von Schlieffens als Chef des Generalstabs im Jahr 1891 weitgehend zugunsten der letzteren Variante entschieden. Zwar fanden sich auch unmittelbar vor 1914 noch einige Befürworter einer flexibleren Vorgehensweise, die ein starres Festlegen auf die Umfassung verneinte, doch blieben diese Stimmen in der Minderheit. Einig war sich die höhere deutsche Militärführung jedoch in der Frage, dass ein Krieg durch ein offensives Vorgehen und eine totale Vernichtung der gegnerischen Streitkräfte entschieden

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werden musste. Ein defensives Verharren an den eigenen Grenzen schloss man von vornherein aus und begründete dies unter anderem mit der geografischen Zwangslage, in der sich das Deutsche Reich zwischen den Großmächten Frankreich und Russland befand. Nur wenige hochrangige Offiziere rechneten aber mit jenen Ereignissen, die spätestens im November 1914 zu einem Erstarren der Fronten im Westen führten. Dass ein Krieg mit Millionenheeren und modernen Waffen in einem Grabenkrieg festlaufen konnte, hatte man zwar seit dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904/05 grundsätzlich erkannt, aber für den europäischen Kriegsschauplatz als unwahrscheinlich verworfen. Auf diesen Wandel der Qualität des Krieges musste die Militärführung neue Antworten finden. Der Einsatz von schwerer Artillerie, von Flammenwerfern und Maschinengewehren sowie die Bedingungen des Grabenkriegs stellten auch die höhere Führung vor neue Herausforderungen. Lange fehlte es der Militärelite jedoch an einem Konzept, wie der festgefahrene und verlustreiche Grabenkrieg wieder zu einem Bewegungskrieg gemacht werden konnte. In breiter Erinnerung ist dabei vor allem ein geflügeltes britisches Sprichwort geblieben, das die einfachen britischen Soldaten „Löwen“ nannte, die von „Lämmern“ geführt worden seien6 – eine Umschreibung, die häufig auch auf die deutsche Generalität angewandt wird. Tatsächlich symbolisiert nichts besser die Sinnlosigkeit des Ersten Weltkrieges als die Menschenleben verschlingenden Kämpfe um wenige Meter umgepflügten Ackerboden vor Verdun oder an der Somme. Die Erwartungen der deutschen Militärführung an den Ablauf eines Krieges wurden auch im Hinblick auf den Seekrieg enttäuscht. Die deutsche Marineführung hatte seit Jahren auf eine alles entscheidende Seeschlacht gegen Großbritannien hingearbeitet, die dann im Verlaufe des Krieges ausblieb. Auch wenn sich die beiden Kontrahenten in mehreren Gefechten gegenüberstanden, kam es nicht zu jener Konfrontation, die sich beide erhofft hatten. Schließlich riegelte die britische Royal Navy, anders als von der kaiserlichen Marine erwartet, die Nordsee nicht in der Nähe der deutschen Küste, sondern zwischen Großbritannien und Nor­ wegen ab. Für die deutsche Flotte und ihre Führer bedeutete der Erste Weltkrieg daher in erster Linie eine Zeit angespannten Wartens, häufig verbunden mit gähnender Langeweile. Der Erste Weltkrieg unterschied sich jedoch nicht nur an der Front, sondern auch in der Heimat von vorangegangenen Konflikten. Die zunehmende Totalisierung des Kriegs forderte nicht nur ein „Volk in Waffen“, bei dem jeder taugliche Mann eingezogen wurde. Vielmehr wurde

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auch die gesamte Wirtschaft dem Primat des Militärischen untergeordnet. Damit änderte sich auch die gesellschaftliche Rolle der Frauen, die nun den Platz der Männer in der heimischen Kriegswirtschaft einnehmen mussten. Diese Ereignisse in der Heimat ließen auch die deutsche Mili­ tärelite nicht kalt. Abseits ihrer kriegerischen Tätigkeit verfolgten viele Generäle auch die politischen, gesellschaftlichen und sozialen Entwicklungen im Reich. Gerade die zunehmenden gesellschaftlichen Spannungen, die aus der Forderung der Bevölkerung nach mehr politischen Mitspracherechten entstanden und schließlich in ausgedehnten Streiks und zaghaften Parlamentarisierungsbemühungen der kaiserlichen Regierung gipfelten, wurden von der Militärelite an der Front kritisch beäugt. Andere Militärs verschlossen hingegen ihre Augen vor den Vorgängen in der Heimat, fokussierten sich auf ihr kriegerisches Kerngeschäft und wurden von den Ereignissen im November 1918 umso härter getroffen. Die lange Dauer des Krieges und die Tendenz zur Totalisierung des Konflikts führten zu einem Machtwachstum der Militärführung. Ver­ körpert wurde dieses vor allem durch die 3. Oberste Heeresleitung (OHL) unter Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff, die ab August 1916 in alle militärischen und zivilen Bereiche eingriff. Auch wenn die beiden Militärs de jure nicht die politische Leitung des Reiches übernahmen, übten sie aufgrund ihres militärischen Prestiges de facto eine Militärdiktatur mit weitreichenden Kompetenzen aus.7 Mit dem „Gesetz über den vaterländischen Hilfsdienst“, das die OHL vehement gefordert hatte, wurden alle deutschen Männer vom 17. bis zum 60. Lebensjahr erfasst und zur Dienstleistung in der Kriegswirtschaft verpflichtet. In sozialpolitischer Hinsicht erkannte es erstmals die Gewerkschaften an und kam damit der Arbeiterschaft entgegen, um Streiks zu verhindern und die Unzufriedenheit zu verringern. Militärisch setzten Hindenburg und Ludendorff auf eine Entscheidung des Konflikts mithilfe des uneingeschränkten U-Boot-Krieges, was den finalen Ausschlag zum Kriegseintritt der Vereinigten Staaten von Amerika gab. Die deutsche Militärführung war letztlich auch verantwortlich für zahlreiche Kriegsverbrechen, die vor allem, aber nicht nur im Rahmen des deutschen Einmarschs in Belgien verübt wurden. Mit der Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität, aber auch mit der Verkündung und Durchführung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges nahmen die hochrangigen Militärs den Bruch des Völkerrechts in Kauf, um den Krieg siegreich zu beenden. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg hatte dabei die wirkmächtigste Parole bereits am 4. August 1914 im

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Reichstag vorgegeben: „Not kennt kein Gebot.“8 Das deutsche Vorgehen erwies sich letztlich als äußerst kontraproduktiv, gab es den Alliierten doch die Möglichkeit, mit dem „blutrünstigen Hunnen“ ein wirkmächtiges Propagandamotiv zu erschaffen. Deutsche Kriegsverbrechen wirkten auch nach Ende der Kampfhandlungen noch nach und veranlassten die Siegermächte schließlich zur Forderung nach Auslieferung der beteiligten Offiziere. Angesichts des erfolgreichen Beginns des Krieges, bei dem die deutschen Truppen tief in französisches, belgisches und später auch in russisches, serbisches und rumänisches Gebiet vorstießen, mündeten die Kriegszieldiskussionen im Deutschen Reich rasch in weitreichenden Annexionsforderungen, wobei auch die deutsche Generalität zu großen Teilen als Verfechter eines „Siegfriedens“ in Erscheinung trat. Es waren unter anderem diese „Siegfrieden-Illusionen“, die eine frühzeitige Beilegung des Konflikts verhinderten und dazu beitrugen, dass viele Militärs wider besseres Wissen auch im Sommer 1918 noch keine Verhandlungen mit den Alliierten über eine Beendigung des Krieges führen wollten.9 Als sich der militärische Zusammenbruch nicht mehr vermeiden ließ, gelang es der deutschen Militärführung, sich der Verantwortung zu entziehen und das Odium der Niederlage der neuen politischen Führung zuzuschieben. Unter dem Schlagwort „im Felde unbesiegt“ klagten zahlreiche hochrangige Militärs nach dem Krieg die deutsche Heimatfront an, den „siegreichen“ deutschen Truppen in den Rücken gefallen zu sein. Diese „Dolchstoßlegende“ sollte sich schnell als schwere Hypothek für die neu entstandene deutsche Republik erweisen.10 Für die Militärs zeitigte die Niederlage aber noch wesentlich tiefgreifendere Folgen: Als erste Verfechter des monarchischen Gedankens brach für einen Großteil der deutschen Militärelite mit der Abdankung und Flucht des Kaisers eine Welt zusammen. Das schmachvolle Ende der Hohenzollern-Dynastie beraubte die Offiziere ihres „Obersten Kriegsherrn“, auf den sie ihren Eid geleistet hatten. Gerade in Marinekreisen genoss Wilhelm II. aufgrund seiner Förderung der deutschen Flotte bis zum Ende des Krieges ein ungeheuer großes Ansehen, der Schock über den Verlust der Leitfigur wirkte hier noch stärker als im Heer. Die neue demokratische Staatsform blieb vielen hochrangigen Offizieren daher zeitlebens fremd. Viele verharrten in innerer Opposition, einige betätigten sich öffentlich gegen die Weimarer Republik. Die meisten Militärs schrieben sich den Kampf gegen den als „Schandfrieden“ empfundenen Versailler Vertrag

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auf die Fahnen und suchten innerhalb des rechten politischen Spektrums nach neuen Leitfiguren, die diesen Kampf zu führen bereit waren. Der vorliegende Band stellt 24 hochrangige Militärs des Deutschen Kaiserreichs vor, die während des Ersten Weltkrieges wichtige Kommandooder Generalstabsstellen innehatten. Viele der hier beleuchteten Offiziere sind bislang noch nicht durch eine fundierte biografische Skizze untersucht worden. Aufgrund der hohen Anzahl von Personen, die im Zeitraum des „Großen Krieges“ in den Generals- und Admiralsrang aufstiegen oder wichtige Stabsstellen besetzten, kann die hier getroffene Auswahl natürlich nur einen kleinen Ausschnitt bieten.11 Die vorgestellten Personen sollten sowohl die West- und die Ostfront als auch die Nebenfronten auf dem Balkan, im Orient und in den deutschen Kolonien repräsentieren. Aufgenommen wurden Offiziere, die in ihrer Stellung über ein gewisses Maß an Einfluss auf militärische oder politische Entscheidungen ­verfügten, sei es als Oberbefehlshaber eines Großverbands, als Generalstabschefs oder als ranghohe Generalstabsoffiziere in der Obersten Heeresleitung. Die Auswahl der Marineoffiziere beschränkte sich bewusst auf lediglich zwei Personen, da die Kaiserliche Marine in weiten Teilen des Krieges zu einer passiven Rolle verurteilt war und die Entscheidung des Konflikts auf dem Land fiel. So groß die politische und finanzielle Bedeutung der Flotte in der Vorkriegszeit war, so wenig trug sie letztlich zur militärischen Entscheidung des „Völkerringens“ bei. Hinzu kommt mit Ernst von Hoeppner der „Kommandierende General der Luftstreitkräfte“ und damit der erste deutsche Soldat, der die Aufsicht über eine deutsche Luftwaffe in Kriegszeiten führte. Dass bei dieser Auswahl einige Offiziere nicht mit aufgenommen werden konnten, die während des Ersten Weltkriegs ebenfalls als meinungsstarke und einflussreiche Personen in hohen Stellungen gedient haben, ist dem begrenzten Platz innerhalb dieses Sammelbandes geschuldet. Inhaltlich soll bei diesen biografischen Abrissen vor allem, aber nicht ausschließlich, die Zeit des Ersten Weltkriegs im Mittelpunkt stehen. Zentral sind dabei die Fragen, wer die Angehörigen der Militärelite waren und wie sie zu den wichtigsten militärischen, politischen, gesellschaft­ lichen und sozialen Ereignissen des Krieges standen.12 Sofern es die ­Quellenlage zulässt, sollen sowohl innenpolitische Ansichten der Militärs berücksichtigt werden (etwa über die deutsche Sozialdemokratie oder den Sturz der Hohenzollern-Monarchie) als auch außenpolitische Anschauungen Erwähnung finden (etwa über die russische Oktoberrevolution, die

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Verletzung der belgischen Neutralität oder den Kriegseintritt der USA). Auch soll ihre Beteiligung an der Kriegszieldiskussion miteinbezogen werden. Zeigten sich die Militärs als Annexionisten oder setzten sie sich für einen Vernunftfrieden ein? Drängten sie auf einen Waffenstillstand oder verschlossen sie bis zum Schluss die Augen vor der militärischen Realität? Politischen Fragestellungen soll dabei ebenso nachgegangen werden wie wirtschaftlichen und technischen Perspektiven. Zudem sollen die Militärs auch im Hinblick auf militärische Fragen durchleuchtet werden. Wie beurteilten sie die deutschen Chancen auf einen Sieg? Für welche strategischen und operativen Maßnahmen machten sie sich stark? Wie standen die hier untersuchten Generäle und Admiräle zu dem Einsatz von Giftgas, wie zur Verkündung des uneingeschränkten U-BootKrieges? Wie standen sie zu den von deutschen Truppen verübten Kriegsverbrechen? Nahmen sie die unmenschlichen Lebensbedingungen der einfachen Soldaten in den Schützengräben wahr, und wenn ja, standen sie diesen Entbehrungen gleichgültig oder mitfühlend gegenüber? Wie wirkte auf die hochrangige Generalität und Admiralität der zum Grabenkrieg erstarrte Abnutzungskampf? Welche Lösungsansätze suchten die Militärs, um die gescheiterten operativen Vorkriegsvorstellungen wieder zum Leben zu erwecken und so den Stellungskrieg aufzubrechen? Im Hinblick auf die Marine ist zudem die Frage interessant, wie die deutsche Admiralität mit der weitgehend passiven Rolle ihrer Teilstreikraft zurechtkam und wie sie die Leistungen des deutschen Heeres beurteilte.13 Hier wäre neben den operationsgeschichtlichen Fragen auch Raum für sozialhistorische und kulturgeschichtliche Perspektiven. Abseits der Jahre 1914 bis 1918 sollen die biografischen Skizzen auch den Werdegang der einzelnen Militärs nachzeichnen, wobei auch hier die Fragen nach politischen und gesellschaftlichen Ansichten im Mittelpunkt stehen. Sehnten sich die hier untersuchten Generäle und Admiräle nach einem Krieg, wie dies beispielsweise für Erich von Falkenhayn konstatiert werden kann?14 Auch die Zeit nach der deutschen Niederlage soll in den Beiträgen zur Sprache kommen. Hier ist vor allem die Frage interessant, wie die Militärs, die im Kaiserreich eine monarchietragende Säule waren, zur neuen demokratischen Staatsform Deutschlands standen. Schließlich soll die Haltung jener Militärs, die 1933 noch lebten, zum Nationalsozialismus geklärt werden. Diese Fragen sollen, soweit es die Quellenlage zulässt, durch die folgenden biografischen Skizzen aufgegriffen und beantwortet werden. Angesichts des begrenzten Raums können verständlicherweise nicht alle

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Aspekte gleichermaßen behandelt werden. Der vorliegende Sammelband versteht sich jedoch auch als Anreiz zu weiter gehenden Forschungen. Schließlich bleiben nach wie vor genügend hochrangige Militärs, deren Lebenslauf im Rahmen einer umfangreichen Biografie erforscht werden könnte. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Während die Kriegserfahrung der einfachen Soldaten vielfach schon im Stile einer Mentalitätsgeschichte oder einer „Militärgeschichte von unten“ untersucht wurde,15 lassen sich vergleichbare Studien über die höhere Militärführung bislang nicht finden. Auch wenn sie nicht in den Schützengräben einen täglichen Kampf ums Überleben führen mussten, erlitten sie doch auch persönliche Schicksalsschläge. Auch sie „erlebten“ den Ersten Weltkrieg – eben auf eine andere Art und Weise als die einfachen Soldaten. Als Herausgeber danke ich ganz herzlich allen Beiträgern dieses Sammelbands, die mit vielen Biografien historiografisches Neuland betreten haben. Auch sei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft gedankt, die sich zur Drucklegung der Studien bereit erklärt hat. Hier ist vor allem Daniel Zimmermann hervorzuheben, der sich für die Verwirklichung der Idee kontinuierlich eingesetzt hat und auf offene Fragen stets eine Antwort hatte. Ein Wort zur Angabe archivalischer Bestände: Das Bundesarchiv in Freiburg wird bewusst mit „BA-MA“ abgekürzt, um es von den anderen Dienststellen des Bundesarchivs abzuheben. Anmerkungen 1 Als Beispiele seien hier genannt: Ueberschär, Gerd R. (Hrsg.), Hitlers militärische Elite, 2 Bände, Darmstadt 1998 und Smelser, Ronald / Syring, Enrico (Hrsg.), Die Militärelite des Dritten Reichs. 27 biographische Skizzen, Berlin / Frankfurt am Main 1995. Dazu kommen etliche Biografien einzelner Generäle. Siehe auch die Gruppenbiografie von Hürter, Johannes, Hitlers Heerführer. Die deutschen Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Sowjetunion 1941/42, München 2006. 2 Afflerbach, Holger, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, 2. Auflage, München 1996 (= Beiträge zur Militärgeschichte 42); Nebelin, Manfred, Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München 2010; Pyta, Wolfram, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, München 2007 und Schwarzmüller, Theo, Zwischen Kaiser und „Führer“. Generalfeldmarschall August von Mackensen. Eine politische Biographie, Paderborn 1995. 3 Als Literaturgrundlagen seien hier genannt: Demeter, Karl, Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 1650–1945, 2. Aufl. Frankfurt am Main 1962; Deist, Wilhelm, Zur Geschichte des preussischen Offizierkorps 1888–1918, in: Hofmann, Hanns Hubert (Hrsg.), Das deutsche Offizierkorps 1860–1960, Boppard am Rhein 1977, S. 39–57 und Stoneman, Mark R., Bürgerliche und adelige Krieger: Zum Ver-

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hältnis von sozialer Herkunft und Berufskultur im wilhelminischen Armee-Offizierkorps, in: Reif, Heinz (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland II. Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 25–63. Dülffer, Jost / Holl, Karl (Hrsg.), Bereit zum Krieg. Kriegsmentalität im wilhelminischen Deutschland 1890–1914. Beiträge zur historischen Friedensforschung, Göttingen 1986. Millotat, Christian E. O., Das preußisch-deutsche Generalstabssystem. Wurzeln – Entwicklung – Fortwirken, Zürich 2000, S. 80. „Lions led by donkeys“. Siehe Cook, Tim, Historical Controversy: „Lions led by Donkeys“, in: Tucker, Spencer C. (Hrsg.), World War I: Encyclopedia, Bd. 1, Santa Barbara 2005, S. 1249. Dazu Asprey, Robert B., The German High Command at War. Hindenburg and Ludendorff Conduct World War I, New York 1991 und Kitchen, Martin, The Silent Dictatorship. The Politics of the German High Command under Hindenburg and Ludendorff, 1916–1918, London 1976. Wollstein, Günter, Theobald von Bethmann Hollweg. Letzter Erbe Bismarcks, erstes Opfer der Dolchstoßlegende, Göttingen / Zürich 1995, S. 97. Zu den Bemühungen, den Krieg zu beenden, hat Holger Afflerbach vor Kurzem eine neue Studie vorgelegt. Siehe Afflerbach, Holger, Auf Messers Schneide. Wie das Deutsche Reich den Ersten Weltkrieg verlor, München 2018. Barth, Boris, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933, Düsseldorf 2003. Weggelassen wurden beispielsweise der Chef des Militärkabinetts Moriz von Lyncker und der Chef des Kaiserlichen Hauptquartiers, Hans von Plessen. Beide einflussreichen Persönlichkeiten sind erst vor wenigen Jahren Protagonisten einer umfangreichen Studie gewesen. Kaiser Wilhelm II. als oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914–1918. Bearbeitet und eingeleitet von Holger Afflerbach, München 2005. Zu den Grundlagen der Militärbiografie siehe Krethlow, Carl Alexander, Militärbiographie: Entwicklung und Methodik, in: Epkenhans, Michael / Förster, Stig / Hagemann, Karen (Hrsg.), Militärische Erinnerungskultur. Soldaten im Spiegel von Biographien, Memoiren und Selbstzeugnissen, Paderborn 2006 (= Krieg in der Geschichte 29), S. 1–27. Einige interessante Ansätze dazu liefert Wolz, Nicolas, Das lange Warten. Kriegs­ erfahrungen deutscher und britischer Seeoffiziere 1914 bis 1918, Paderborn 2008 (= Zeitalter der Weltkriege 3). Afflerbach, Falkenhayn, S. 540. Als frühe und wegweisende Beispiele seien hier genannt: Wette, Wolfram (Hrsg.), Der Krieg des kleinen Mannes. Eine Militärgeschichte von unten, München 1992; Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd / Renz, Irina (Hrsg.), „Keiner fühlt sich hier mehr als Mensch“. Erlebnis und Wirkung des Ersten Weltkriegs, Essen 1993 und Ulrich, Bernd, „Militärgeschichte von unten“. Anmerkungen zu ihren Ursprüngen, Quellen und Perspektiven im 20. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 22 (1996), S. 473–503.

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Oberst Max Bauer von Heiko Suhr

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m 31. Januar 1869 kam Max Bauer in Quedlinburg als Sohn des Stadtrates Friedrich Carl Bauer zur Welt.1 Der Familientradition folgend begann der junge Bauer nach erfolgreicher Reifeprüfung 1888 ein Studium der Rechtswissenschaften in Berlin, brach dieses aber aus finanziellen Gründen nach nicht einmal einem Semester ab und trat noch im selben Jahr in das 2. Fußartillerie-Regiment in Swinemünde ein. Nach dem Besuch der Kriegsschule in Hannover tat Bauer Dienst bei der Fußartillerie in Danzig-Neufahrwasser, Swinemünde und Metz. Eine erste richtungsweisende Kommandierung erfolgte im Januar 1899 mit seinem Eintritt in die Artillerieprüfungskommission, wo er zunächst als Assistent und später – ab Januar 1890 befördert zum Sekondeleutnant – als Adjutant des Präses fungierte. Hier wurden ihm fundierte technische Kenntnisse des Geschützbaus vermittelt. Ab 1902 war Hauptmann Bauer Batterie-Chef im Fußartillerie-Regiment Nr. 7 in Westfalen. 1905 wurde er dann zur Festungsabteilung im Großen Generalstab kommandiert, nachdem er bei einem vorangegangenen Bataillons-Schießen durch unkonventionelle Taktik und selbstkritisches Verhalten positiv aufgefallen war.2 Im Großen Generalstab war er für die russischen Festungen zuständig und erstellte bald eine Denkschrift über die NarewBefestigungen, die er erstmals in ihrer Gesamtheit analysieren wollte. Mangels verfügbarer schriftlicher Zeugnisse begab er sich getarnt als Holzhändler nach Warschau, um von dort einzelne Erkundungsreisen zu unternehmen. Da während der revolutionären Wirren die militärische Wachsamkeit eher gering ausfiel, konnte er mehrere Festungen auch von innen erkunden und abschließend urteilen, dass sich die Festungen in „überaus kläglichem Zustand“ befänden.3 In einer zweiten Spionagereise begab er sich erneut nach Russland, um sich nun auch der schweren Artillerie zu widmen. Dabei kam er wieder zu sehr skeptischen Einschätzungen, aus denen er schlussfolgerte, dass auch die japanische schwere Artillerie – man stand sich im Sommer 1905 in Port Arthur in einer verlustreichen Schlacht gegenüber – nicht sonderlich leistungsfähig gewesen sein konnte. Da dies der Lehrmeinung im Großen Generalstab widersprach, kam es zu ersten Auseinandersetzungen mit seinen Vorgesetzen.

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Fernab seines eigentlichen Aufgabenspektrums fertigte Bauer als direkte Folge aus dem Konflikt bis Ende 1906 eigenmächtig eine Denkschrift über schwere und schwerste Artillerie aus technischer, organisatorischer und taktischer Perspektive an. Dazu pflegte er – den üblichen Verhaltensweisen des Generalstabs durchaus widersprechend – enge private Kontakte zu den führenden Ingenieuren der Rüstungsdynastie Krupp in Essen. Weil sich einige Feldversuche als überaus erfolgversprechend erwiesen, konnte Bauer den eigentlich zuständigen Leiter der Aufmarschabteilung Oberst Hermann Stein auf seine Seite ziehen, womit er fortan im Generalstab „freie Bahn“ hatte.4 Steins Nachfolger Erich Ludendorff holte Bauer dann im September 1909 zur Aufmarschabteilung, womit eine äußerst enge und folgenreiche Zusammenarbeit ihren Anfang fand. Zu seinen Aufgaben gehörten nun unter anderem die Organisation der Spezialtransporte der schweren Artillerie, die Entwicklung neuer Taktiken zum Sturm von gegnerischen und auch die Erörterung der Mobilmachung deutscher Festungen. Bauer setzte sich also recht früh mit Fragen der kriegswirtschaftlichen Organisation und der wirtschaftlichen Mobilmachung insgesamt auseinander. Der im März 1911 zum Major beförderte Offizier blieb – abgesehen von einer etwa einjährigen Kommandierung 1912 als Generalstabsoffizier bei der 39. Division in Colmar / Elsass – bis Kriegsausbruch im Großen Generalstab. Seine Beförderungen verliefen bis dahin zwar den Richtlinien entsprechend, aber man muss trotzdem schon von einer Laufbahn sprechen, die über die normalen Erwartungen hinausging, da Bauer – ohne je die Kriegsakademie besucht zu haben – fester Bestandteil des Großen Generalstabs war. Das komplexe und vielschichtige Wirken von Max Bauer in den Jahren des Ersten Weltkrieges kann hier nicht in seiner Gesamtheit beleuchtet werden. Bauers Einfluss auf die Einführung und die Entwicklung des Gaskrieges vor dem Hintergrund des industriellen Massenkriegs taugt aber als Fallstudie, um sein Wirken an den Schnittstellen von Militär, Industrie und Wissenschaft zu konkretisieren. Seine Ränkespiele gegen Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg sollen außerdem kurz gestreift werden. Ab dem 1. August 1914 fungierte Bauer als Leiter der Sektion II (schwere Artillerie und Festungen) der Operationsabteilung des Generalstabs des Feldheeres. Zum 16. Juli 1915 wurde er Chef der Operationsabteilung II. Mit dem Wechsel zur dritten OHL erhielt Bauers Abteilung eine entscheidende organisatorische Aufwertung durch die Angliederung der aufgelösten Stelle des Feldmunitionschefs und durch die Einrichtung einer kriegswirtschaftlichen Sektion. Bauer wuchs damit

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Beim 30jährigen Regierungsjubiläum im Großen Hauptquartier in Spa, 15. Juni 1918: Kaiser Wilhelm II. im Gespräch mit Oberst Max Bauer

mehr und mehr zu Ludendorffs Fachmann für die Reorganisation der gesamten Kriegswirtschaft heran und konnte daraus auch innenpolitischen Einfluss ableiten. Im März 1916 wurde er zum Oberstleutnant und im August 1918 schließlich zum Oberst befördert. Ludendorff sorgte schließlich wegen seines – durchaus umstrittenen – Einflusses auf die Entwicklung der schweren Artillerie für Bauers Auszeichnungen mit der Ehrendoktorwürde der Universität Berlin und dem Pour le Mérite. Unmittelbar nach Kriegsausbruch dachte wohl keine der Krieg führenden Nationen ernsthaft an den Einsatz chemischer Giftstoffe.5 Fritz Haber – Direktor des Kaiser-Wilhelm-Instituts für physikalische Chemie und Elektrochemie – brachte das Hauptproblem zugespitzt auf einen Nenner: Militärs, Wissenschaftler und Techniker würden zwar „unter demselben Dache“ leben, sich „auf der Treppe“ auch grüßen, aber es gebe keinerlei „Ideenaustausch“. Erst nachdem sich nach der Schlacht an der Marne Anfang September 1914 die überaus prekäre Munitionsversorgung vollauf gezeigt hatte, nahm die ernsthafte Entwicklung von Gaskampfstoffen im Deutschen Reich ihren Anfang. Haber und der Physikochemiker Professor Walther Nernst – zwei spätere Chemienobelpreisträger –

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sorgten für die wissenschaftliche Expertise. Der Chef des Generalstabs des Feldheeres Falkenhayn beauftragte im Oktober 1914 den ArtillerieExperten Bauer, die entsprechenden Entwicklungen anzustoßen. Basierend auf den vorhandenen Kontakten zur Wissenschaft wandte sich Bauer an den für den Aufstieg Leverkusens zur Chemiestadt verantwortlichen Generaldirektor der Bayer AG Carl Duisberg. Zu ersten Versuchen auf dem Fußartillerie-Schießplatz in Köln-Wahn trafen sich dann die von Bauer zu einer Sonderkommission zusammengestellten Duisberg, Nernst und der im Kriegsministerium tätige Theodor Michelis. Bauer selbst war – entgegen gängiger Darstellungen – kein Mitglied dieser Kommission, sondern übermittelte als Impulsgeber deren Ergebnisse an die OHL.6 Zunächst konzentrierte man sich auf die Entwicklung sogenannter „Niespulver“ – Augen, Nasen und den Rachenbereich reizend –, die erstmals im Oktober 1914 an der Westfront mit geringem taktischem und strategischem Nutzen getestet wurden. Ab Januar 1915 begannen erste Tests mit Chlor, das in der chemischen Industrie massenhaft als Nebenprodukt vorhanden war. Auf Vorschlag Duisbergs wurde bald das weit toxischere Phosgen beigemengt. Chlor wurde im April 1915 erstmals an der Westfront verwendet. Dazu wurden spezielle Gastruppen aufgestellt, um die technische Umsetzung zu professionalisieren. Zu diesen beorderte Max Bauer unter anderem die späteren Nobelpreisträger Otto Hahn, James Franck und Gustav Hertz. Die Entwicklungen waren aber noch überaus improvisiert, liefen größtenteils mehrgleisig und in direkter Konkurrenz. Aus Bauers Sicht musste der Hauptzweck der von ihm zusammengestellten Kommission und der ersten Versuche sein, die vorhandene Skepsis der OHL und besonders Falkenhayns gegenüber Gaskampfstoffen zu brechen. Dies gelang vollkommen, wie der Übergang von Reizstoffen zu potenziell tödlichen Kampfstoffen zum Jahreswechsel 1914/1915 zeigt. Die weitere Entwicklung des Gaskrieges, entstandene Probleme wie die Abhängigkeit von den Windverhältnissen und Gegenmaßnahmen wie Gasmasken sollen hier übersprungen werden. Auffallend sind die überaus geringen Hemmungen der beteiligten Personen. Bauer selbst hielt nach dem Krieg ein Verbot chemischer Kampfmittel für einen Widerspruch gegen jeden „Grundsatz technischer Kulturentwicklung“.7 Haber argumentierte, dass chemische Kampfstoffe den Krieg insgesamt abkürzen und somit Menschenleben retten würden. Bauers Rolle war es auch, bei seinen Vorgesetzten und den beteiligten Wissenschaftlern und Industriellen Widerstände gegen den massenhaften Einsatz tödlich wirkender Gaskampfmittel zu brechen.

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Bauer war nicht nur die entscheidende Figur bei der Genese des Gaskrieges durch das Zusammenbringen militärischer, industrieller und wissenschaftlicher Vertreter, sondern auch einer der wenigen Militärs, der vom Wert der Gaskampfmittel restlos überzeugt war. Zusammen mit dem für die Detailplanung verantwortlichen Hermann Geyer war er derjenige, der die operativen Entscheidungen des Gaseinsatzes traf und dafür von Ludendorff fast völlige Handlungsfreiheit erhielt. Das Verhältnis zu Carl Duisberg illustriert in auffälliger Weise sowohl Bauers Rolle als auch seine Charakterzüge. Auf funktioneller Ebene zeichnete Max Bauer dafür verantwortlich, auf informellen Wegen strukturelle Hemmnisse bei der Umsetzung des Gaskampfes abgebaut bzw. schlicht andere Beteiligte – wie die Artillerieprüfungskommission (Apeka) – ausgeschaltet zu haben. Duisberg schrieb im Oktober 1915, dass Bauers Eingreifen „Wunder getan“ hätte und er von der Apeka schließlich zu weiteren Versuchen aufgefordert worden sei. Im März 1916 beschwerte sich Duisberg bei Bauer, dass der „heilige Bürokratismus“ bei der Apeka und im Kriegsministerium seine Bemühungen um den Gaskrieg ausbremsen würde. Bauer solle doch bald eingreifen, damit „die so schön ins Werk gesetzte neue Waffe“ nicht einschlafe.8 Auf persönlicher Ebene zeigt die Korrespondenz der beiden Max Bauers große Beeinflussbarkeit, die schon Walter Nicolai negativ aufgefallen war.9 Duisberg hat sich diese Schwäche gezielt zunutze gemacht, indem er Bauer schmeichelnd nicht nur als „Vater und Anstifter“ einzelner Gaskampfmittel, sondern gar als „Spiritus rector“ der gesamten Entwicklung des deutschen Gaskrieges titulierte.10 Weiterhin stand das für die Kriegsführung „untragbare System Bethmanns“ (Walter Nicolai) Bauers Auffassung des totalen Krieges im Weg, sodass er bald gezielt nach Schwachstellen seines Gegners suchte, um Druck auf den Reichskanzler aufzubauen. Material für seine Agitation erhielt Bauer aus Industriekreisen unter anderem von Carl Duisberg. Ein erster Faktor war dabei die Reform des preußischen Wahlrechts, die Bauer kategorisch ablehnte. Es sei ein „Unglück“, dass diese Frage im Krieg überhaupt angeschnitten worden sei, denn ein reformiertes Wahlrecht würde das Ende Preußens und Deutschlands als Monarchie bedeuten.11 Dieser Aspekt war vor allem für Bauer deswegen von Belang, weil die OHL nicht direkt gegen den Reichskanzler als engen Vertrauten des Kaisers vorgehen konnte. Erst als sich der Reichskanzler mit seiner recht moderaten Haltung in der Frage der Wahlrechtsreform zunehmend selbst isolierte, bot sich eine Chance, Bethmann Hollweg anzugehen. Dafür instrumentalisierte Bauer als Nächstes die Debatte um den rücksichtslosen

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U-Boot-Krieg, den er retrospektiv als „nötig und erfolgversprechend“ ansah.12 Das Beispiel des U-Boot-Krieges – Kaiser und Reichskanzler hatten in ihrer ablehnenden Haltung in dieser Frage den Militärs jahrelang Paroli geboten – zeigt deutlich die Vermischung militärischer und politischer Ziele bei Bauer. Er verstand die politische Diskussion um den UBoot-Krieg vor allem als Vehikel, um weiter gegen den Reichskanzler vorzugehen. Bauer ging es insgesamt also deutlich um die völlige militärische Dominanz über politische Erwägungen. Der Krieg war für ihn so einschneidend, dass sich die deutsche Außen- und Innenpolitik ohne Vorbehalt dem militärisch Notwendigen zu beugen habe. Diese Pervertierung des berühmten Clausewitz-Zitates legt nahe, dass es für Bauer im Krieg weder Innenpolitik allgemein noch speziell Diskussionen um Parteien und Parlamentarismus geben dürfe. Clausewitz erwecke – so Bauer – mit seinem Zitat den Anschein, dass derjenige, der den Krieg leite, unter demjenigen stehe, der die Politik bestimme. Der Kriegsausbruch habe aber die Politik bedeutungslos gemacht, sodass es nur Kriegspolitik geben könne und die OHL somit das Recht und die Pflicht habe, aktiv die Politik zu gestalten.13 Hielt der preußische Sittenkodex Ludendorff von versteckter politischer Opposition ab, so kannte Bauer diese Maßstäbe offensichtlich nicht.14 Ihm war jedes Mittel recht, um den Reichkanzler aus dem Amt zu drängen. Bauer suchte daher ganz bewusst Kontakte zu den politischen Gegnern von Bethmann Hollweg. Im März 1917 verfasste Bauer eine Denkschrift Demokratie oder Monarchie, die wohl am deutlichsten überhaupt seinen politischen Standpunkt umreißt und die typische Ansichten konservativer wilhelminischer Eliten auf die Spitze treibt: die naive Banalisierung politischer Zusammenhänge, die unerbittliche Gering­ schätzung politischer Gleichberechtigung, die groteske Herabwürdigung demokratischer Kräfte, die panische Furcht vor linksliberalen Kräften. Der eigentliche Zweck der Denkschrift war aber die Absetzung des Reichskanzlers; Bauers Bestrebungen erreichten Anfang Juli 1917 ihren Höhepunkt. In Berlin prüfte er im Wissen von Ludendorff, ob die verschwörerische Allianz mittlerweile stark genug war, um beim Kaiser offen gegen den Reichskanzler zu intervenieren. Am 12. Juli 1917 fand eine von Bauer initiierte Besprechung des preußischen Kronprinzen mit Parteivertretern (unter anderem Stresemann, Erzberger, Westarp) statt, die von Bauer versteckt protokolliert wurde. Wilhelm II. weigerte sich zunächst, dieses Protokoll als authentisch anzuerkennen, sodass Ludendorff und Hindenburg erst offen mit ihrem Rücktritt drohen mussten, ehe

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der Kaiser schließlich Bethmann Hollweg abberief. Diese politische Intrige war zu einem Großteil ein Werk Bauers, der als treibende Kraft und Bindeglied zwischen politischen und militärischen Kreisen fungierte, um den aus seiner Sicht den totalen Krieg ausbremsenden Reichskanzler zu entfernen. Ähnlichen Einfluss hatte Bauer auch auf die Entlassungen des Chefs des Geheimen Zivilkabinetts Rudolf von Valentini, des Chefs des Kriegsamtes Wilhelm Groener und des Chefs des Generalstabs des Feldheeres Erich von Falkenhayn. Nach dem Ersten Weltkrieg und seiner im Juni 1919 erfolgten Entlassung aus dem Militärdienst durchlebte Max Bauer eine überaus wechselvolle berufliche Entwicklung.15 Er wurde zunächst publizistisch aktiv und gehörte wie Gerhard Tappen, Walter Nicolai und Wilhelm Groener zur Autorengruppe der jüngeren Stabsoffiziere, die über ihren Rang hinaus als Experten des industrialisierten Großkrieges operativen und politischen Einfluss ausgeübt hatten. War das Schreiben für Bauer zunächst vor allem eine Strategie zur Finanzierung des Lebensunterhaltes und zur Bewältigung der unerwarteten Freizeit, erwuchs daraus bald ein aktiver Kampf gegen das politische System der Weimarer Republik. In seinen politischen Hauptschriften Konnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, abbrechen (Berlin 1918) und Der Irrwahn des Verständigungs-Friedens (Berlin 1919) schwang Bauer sich zu einem der wichtigsten Verfechter der Dolchstoßlegende auf. Die OHL habe an der Front zunehmend das „Stocken des Pulsschlags der Heimat“ gespürt, sodass der Ersatz entweder ganz ausgeblieben oder nur mit einer großen „moralischen Verseuchung“ durch „internationalistische“ Kräfte an der Front angekommen sei. Die „Vergiftung der Heimat“ sei die eigentliche Ursache der Niederlage. Die deutschen Siegchancen – so Bauer – seien anfangs „glatt“ und später immer noch „aussichtsvoll“ gewesen. Die Niederlage „um eine Nasenlänge“ war daher für Bauer „nur und ausschließlich durch das Versagen der Heimat“ zu erklären. Als im Hintergrund wirkende Kraft glaubte Bauer, die „Irrlehren des Marxismus“ identifiziert zu haben.16 Bauers politische Aktivitäten gipfelten im konterrevolutionären KappLüttwitz-Putsch ab dem 13. März 1920.17 Angefangen hatten die Bestrebungen dazu bereits im Frühjahr 1919, als sich um Ludendorff, Bauer und Waldemar Pabst nationale Kräfte sammelten, um aus der Isolierung zu einer einheitlichen Front zusammenzufinden. Während der entscheidenden Stunden des Putsches spielte Bauer eine politische Führungsrolle, in die er sich einerseits selbst hineindrängte, andererseits aber auch durch den hadernden Kapp hineingetrieben wurde. Trotz des ausgerufenen General-

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streiks versuchte Bauer, den Putsch bis zur allerletzten Konsequenz aufrechtzuerhalten, musste aber am 17. März das Palais des Reichskanzlers verlassen, womit der Putsch auch symbolisch sein Ende fand. Auch wenn Bauer dem Namen nach hinter Kapp, Lüttwitz oder Ludendorff zurückstand, muss er doch als eine Zentralfigur des gesamten Putsches identifiziert werden. Er wurde nun steckbrieflich gesucht und floh ins Ausland. Die folgenden drei Jahre verbrachte Bauer im Exil zunächst in Bayern, dann in Ungarn und Wien.18 Hauptziel war – neben weiterer Schriftstellerei, unter anderem sein Hauptwerk Der große Krieg in Feld und Heimat (Tübingen 1921) – vor allem die Vereinigung der europäischen Rechten zu einer internationalen gegenrevolutionären Front gegen den Kommunismus. Dazu kooperierte Bauer eng mit verschiedenen Gruppen: sowohl mit Freikorps-Führern um Hermann Ehrhardt und Waldemar Pabst oder mit den ungarischen Rechten um Gyula Gömbös als auch mit monarchistischen russischen Kreisen im Gefolge von Max Erwin von Scheubner-Richter. Aus der Frage der Bewaffnung der aufzustellenden Freikorps erwuchsen dabei bald Bauers neuerliche Kontakte zum weltweiten Rüstungsmarkt, u. a. zu Emil Georg Bührle in der Schweiz oder zum Hamburger Chemiefabrikanten Hugo Stoltzenberg. Die letzte Karrierestufe waren schließlich Bauers private militärische Beratertätigkeiten von Winter 1923 bis zu seinem Tod 1929, so in der Sowjetunion, in Spanien und Argentinien sowie vor allem in China. Auf diese genauer einzugehen, ist hier nicht möglich, verwiesen sei aber auf einige Konstanten. Zentral erscheinen zunächst die wohl irgendwann in Madrid erfolgte endgültige Abkehr von aller politischen Tätigkeit und die vollständige Fokussierung auf das militärische Fachgebiet. Nur so war Bauers offizielle Amnestie in Deutschland möglich, der er auch aufgrund finanzieller Sorgen zustimmen musste. Weiterhin zu nennen sind Bauers privilegierte Kontakte aus den Jahren im Exil. Die Mission in der Sowjetunion zu Leo Trotzki verdankte Bauer einer Vermittlung des ihm seit Anfang 1919 bekannten Karl Radek. Der Bauer aus München und Wien aus dem Umfeld von Scheubner-Richter bekannte Erzherzog Wilhelm von Habsburg vermittelte ihn an seinen Cousin, den spanischen König Alfons XIII. Abschließend sind Bauers nach wie vor bestehende Kontakte zur Rüstungsindustrie zu erwähnen. So versuchte Bauer in Spanien und in Russland, sowohl Stoltzenberg als auch den Flugzeugpionier Hugo Junkers an dortigen Rüstungsprojekten zu beteiligen. Die Kontakte zu Carl Duisberg waren hingegen abgerissen, als dieser sich schon bald nach Kriegsende deutlich von Max Bauers politischen Aktivitäten distanzierte.19

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Während seiner letzten Mission in China erkrankte Bauer Anfang April 1929 in Nanking schwer. Nachdem ein österreichischer Arzt zunächst Typhus festgestellt hatte, wurde Bauer auf einem britischen Dampfer nach Shanghai gebracht. Schon während der Überfahrt stieg sein Fieber rapide an und er bekam einen ungeklärten Hautausschlag, sodass Ärzte des deutschen Krankenhauses zunächst die Aufnahme wegen Pockenverdachts verweigerten, Bauer aber dann doch aufnehmen mussten. Als am 26. April schließlich endgültig die hämorrhagischen Pocken diagnostiziert wurden, kam Bauer auf die Isolierstation des britischen Militärkrankenhauses. Dort verstarb er 60-jährig am 6. Mai 1929 in den frühen Morgenstunden. Sein Leichnam wurde nach Swinemünde überführt und dort bestattet.20 Auffallend an Bauers Persönlichkeit ist zunächst seine zutiefst destruktive Handlungs- und Denkweise. Der Nachrichtendienstchef Walter Nicolai sprach pointiert von einer typischen Art Bauers, „Bestehendes zu zerstören, ohne Besseres an seine Seite zu stellen“.21 Hier sind nicht nur seine Bestrebungen zur Ausschaltung von Bethmann Hollweg zu nennen, sondern auch seine pessimistische Deutung revolutionärer Ereignisse. Er schrieb 1921 – rückblickend auf die Novemberrevolution 1919, aber auch bezugnehmend auf seine Erlebnisse 1905 in Russland –, dass Revolutionen nie durch die „Kraft ihrer Idee“ oder durch die „Stärke ihrer Organisation“ zum Erfolg kämen, sondern allein durch die Schwäche der zu stürzenden Regierungen.22 Bauer war ein führender Vertreter eines totalen Krieges, der alle Kreise der Gesellschaft zu erfassen hatte und in dem die Militärs auch Politik, Wissenschaft und Industrie maßgeblich steuern sollten. Dieses Ideal gesamtgesellschaftlicher militärischer Führung liefert dann die Erklärung dafür, warum Bauer sich unablässig in nahezu alle diese Aspekte einzumischen versuchte. Der Großteil des preußisch sozialisierten Offizierskorps mag unpolitisch gewesen sein in dem Sinn, dass man zwar von der Gesinnung klar antidemokratisch, antisozialdemokratisch, kaisertreu und patriotisch war, sich aber sonst von jeder Einmischung ins Politische fernhielt. Es gab nur wenige Offiziere, die für sich in Anspruch nehmen konnten, Kenntnisse von den Mechanismen der Politik zu besitzen und erkannt zu haben, dass die Politik letztlich ganz anders funktioniert als ihr eigenes Metier. Von diesen wenigen Offizieren haben sich noch weniger angemaßt, aktiv gestaltend in die Politik einzugreifen. Oberst Bauer ist hier ein seltener und extremer Ausnahmefall, denn er nahm für sich in Anspruch, ohne politische Ausbildung, mit nur primitivem politischem

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Verständnis und frei von dem Skrupel seiner Standesgenossen stets dann Politik machen zu können, wenn er es für den Verlauf des Krieges als entscheidend ansah. So drängte Max Bauer stärker als andere militärische Eliten darauf, das Problem, geschulte Arbeitskräfte für die wachsende Rüstungsproduktion zur Verfügung zu stellen, rücksichtslos zu lösen. Mit dem Hindenburgprogramm verließ die OHL im August 1916 unter maßgebendem Einfluss von Bauer den moderaten Weg des Kriegsministeriums und zog ab September 1916 auch in Betracht, belgische Arbeiter zwangsweise für die deutsche Industrie zu rekrutieren. Am 28. September verlangte Bauer im Namen der OHL die unmittelbare Bereitstellung von Arbeitskräften für den Heeresersatz. Die dafür notwendigen Zwangsmaßnahmen seien – so Bauer – durch die Haager Konventionen gedeckt, da Arbeitslose in Belgien die dortige öffentliche Ordnung bedrohen würden. Ludendorff setzte sich schließlich über die Bedenken des Auswärtigen Amtes und der deutschen Zivilverwaltung hinweg und setzte den Zwangseinsatz durch. Oberst Max Bauer war im Ersten Weltkrieg der „Prototyp des sich gewaltsam in die politischen Angelegenheiten einmischenden Militärs“ bei gleichzeitig auffallenden weltanschaulichen Parallelen zu späteren Nationalsozialisten.23 Dazu zählt auch, dass Bauer als Hauptberater verheerenden und massiv radikalisierenden Einfluss auf Ludendorff hatte. So konnte Bauer stets mit der vollen Autorität der OHL auftreten, was entscheidend zu seinem Einfluss weit über den militärischen Rang hinaus beigetragen hat. Diese Positionierung Bauers ist einzuordnen in die allgemeine Entwicklung der Militärs im Weltkrieg. Aus einem reinen Kampfverband war immer mehr ein „gesamtgesellschaftlich agierender Organisator von Gewalt“ (Michael Geyer) geworden. Man mag Bauer aber zugutehalten, dass sein übersteigerter Ehrgeiz und seine Tendenz, sich wirklich überall einzumischen, nicht in egoistischen Motiven wurzelten, sondern viel eher in seinem pervertierten Militarismus-Verständnis. Dazu passt auch sein geringschätziger Umgang mit dem eigenen Körper. Von Bauer ist bekannt, dass er unter chronischen Schmerzen sowie Schlafstörungen litt und sich selbst exzessiv mit Sanatogen – einem Kräftigungsmittel für Nerven und Körper – medikamentierte.24 Bauers Wirken nach 1918 gliedert sich in zwei Phasen. Zunächst gilt es, sein federführendes politisches Wirken in rechtsextremen Kreisen zu betrachten. Seine Unzufriedenheit und seine Verbitterung nach Kriegsende mögen als typisch für viele Offiziere seines Standes gelten. Sein realitätsfremdes politisches Wirken bis zum Kapp-Putsch und seine abenteuer­lichen

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Planungsversuche im Exil unterstreichen seine politische Naivität, die ihn von dem Großteil seiner Standesgenossen negativ abhebt. Seine theoretisch orientierte militärische Beratertätigkeit zeigt aber auch, dass Max Bauer schon im Ersten Weltkrieg ein anerkannter militärischer Fachmann, ein hervorragender Organisator und ein begnadeter Netzwerker war. Nach Kriegsende zog er durchaus die richtigen Schlüsse, rückte von dem Konzept der schweren Artillerie ab und trat für die Verwendung kleiner und möglichst eigenständig agierenden Trupps ein. Er erkannte auch früh den Wert einer Luftwaffe oder der vollständigen Motorisierung. Bei der Gesamtbewertung muss aber deutlich das politische Element überwiegen. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16

Voigt, Oberst Max Bauer, S. 9–32; Afflerbach, Max Bauer, S. 373f. BA-MA, N 1022/7, Bl. 1–3. BA-MA, N 1022/7, Bl. 4–6. BA-MA, N 1022/7, Bl. 9. BA-MA, N 1022/1e, Bl. 95–137; Martinetz, Gaskrieg, S. 9–27. Carl Duisberg an Max Bauer, 3.3.1915, BAL, AS: Max Bauer. BA-MA, N 1022/1e, Bl. 137. Carl Duisberg an Max Bauer, 5.10.1915 und 17.3.1916, BAL, AS: Max Bauer. Epkenhans (Hrsg.), Geheimdienst und Propaganda, S. 178. Carl Duisberg an Max Bauer, 24.7.1915 und 2.8.1915, BAL, AS: Max Bauer. BA-MA, N 1022/2, Bl. 287. Bauer, Der große Krieg, S. 29f. Ebd., S. 146f. Voigt, Oberst Max Bauer, S. 86–96. Ebd., Kap. III–IX. Bauer, Der Irrwahn, S. 11, 19, 51; Bauer, Der große Krieg, S. 62; BArch, R 8048/423, Bl. 205. 17 Voigt, Oberst Max Bauer, S. 238–276. 18 Ebd., S. 288–384. 19 Carl Duisberg an Max Bauer, 23.12.1919, BAL, AS: Max Bauer. Duisberg schreibt, dass er Bauer und seinen politischen Ambitionen nie habe „folgen“ können, zwar seinen „Idealismus“ bewundert habe, aber insgesamt dann doch ein „arger Pessimist“ geblieben sei. 20 BA-MA, N 1022/69, Bl. 218–226. 21 Epkenhans (Hrsg.), Geheimdienst und Propaganda, S. 548. Nicolai zitiert weiter ein geflügeltes Wort von Bauer: „Der Reichskanzler muss weg und sein Nachfolger auch.“ Ebd., S. 179. 22 BA-MA, N 1022/7, Bl. 5. 23 Afflerbach, Max Bauer, S. 374. 24 Carl Duisberg an Max Bauer, 25.5.1918, BAL, AS: Max Bauer. Duisberg versorgte Bauer im Krieg mehrfach mit Sanatogen. Walter Nicolai erinnert sich, dass Bauer aufgrund eines Nervenleidens nur in „hermetisch“ abgedunkelten Räumen habe schlafen können; vgl. Epkenhans (Hrsg.), Geheimdienst und Propaganda, S. 178.

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HEIKO SUHR

Ungedruckte Quellen Bayer AG Corporate History & Archives, Leverkusen (BAL), Autographensammlung (AS), Max Bauer. Bundesarchiv, Berlin (BArch), R 8048/423, Bl. 205: Max Bauer, Erklärung, ohne Ort, ohne Datum [1924]. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 1022, Nachlass Max Bauer, 113 Aufbewahrungseinheiten, Unterlagen aus der Dienstzeit bei der Preußischen Armee, politische Tätigkeit in der Weimarer Republik, Beteiligung am Kapp-Putsch, Rüstungsgeschäfte und Beratertätigkeit in China.

Gedruckte Quellen und Literatur Afflerbach, Holger, Art. Max Bauer, in: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd / Renz, Irina (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2003, S. 373f. Bauer, Max, Konnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, abbrechen? Berlin 1918. Bauer, Max, Der Irrwahn des Verständigungs-Friedens, Berlin 1919. Bauer, Max, Der große Krieg in Feld und Heimat. Erinnerungen und Betrachtungen, Tübingen 1921. Martinetz, Dieter, Der Gaskrieg 1914/18. Entwicklung, Herstellung und Einsatz chemischer Kampfstoffe. Das Zusammenwirken von militärischer Führung, Wissenschaft und Industrie, Bonn 1996. Voigt, Adolf, Oberst Max Bauer. Generalstabsoffizier im Zwielicht 1869–1929, Osnabrück 1974.

Generalfeldmarschall Kronprinz Rupprecht von Bayern von Dieter J. Weiß

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ls Prinz Rupprecht Maria Luitpold Ferdinand von Bayern am 18. Mai 1869 in München als Sohn des nachmaligen Königs Ludwigs III. und der Erzherzogin Marie Therese von Österreich-Este geboren wurde, war Bayern noch ein souveränes Königreich. Das eigenständige Heer unter dem König als Oberbefehlshaber in Friedenszeiten gehörte dann im Kaiserreich zu den Reservatrechten Bayerns. König Ludwig II. ernannte gemäß der Haustradition Prinz Rupprecht zu seinem 17. Geburtstag am 18. Mai 1886 zum Secondeleutnant, der freilich zunächst die Matura

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a­ blegen musste. Am 8. August 1886 begann er seinen aktiven militärischen Dienst im Infanterie-Leib-Regiment in München. Hier durchlief er die militärische Grundausbildung, neben Reiten, Schießen, Turnen, Bajonett-, Säbel- und Florettfechten erteilten ihm Lehrer der Kriegsschule ersten Unterricht in theoretischen Fächern. Schon bis 1914 war das Leben Prinz Rupprechts wesentlich durch den Militärdienst geprägt gewesen.1 Bei der Wahl des Offiziersberufs hatte man ihn nicht gefragt, es war dies einer der wenigen für einen Prinzen seiner Zeit möglichen Aufgabenbereiche. Ob er nun eine innere Neigung zum Militärdienst spürte oder nicht, er hat sich dieser Aufgabe jedenfalls mit allem Pflichtgefühl und mit Erfolg unterzogen. Nach Ablauf von zwei Jahren wurde er von der Infanterie im Juni 1888 in das 3. FeldArtillerie-Regiment Königin Mutter versetzt. Seit dem Sommersemester 1891 hörte er an der 1867 gegründeten bayerischen Kriegsakademie Vorlesungen. Der aus ihren Absolventen rekrutierte bayerische Generalstab sollte neben dem preußischen „Großen Generalstab“ zumindest gleichrangig bestehen können. Im Rahmen des 23. Lehrgangs besuchte Rupprecht die Taktikvorlesungen, im zweiten Halbjahr hörte er dazu Kriegsgeschichte. Der Militärdienst wurde durch ein breit angelegtes Studium an den Universitäten München und Berlin in Staats-, Geistes- und Naturwissenschaften durchbrochen. Im August 1891 nahm Prinz Rupprecht seinen aktiven Dienst wieder auf, im Herbst wurde er zum 1. Schweren ReiterRegiment versetzt und zum Premier-Leutnant befördert. Beim 24. Lehrgang 1893/94 nahm Rupprecht am zweiten und dritten Kursus des Generalstabslehrgangs teil. Das Ziel der Ausbildung war dabei, ihn die Schule des Generalstabes durchlaufen zu lassen, um später dessen Aufgaben aus eigener Anschauung beurteilen zu können.2 Auch hier galten wie für seine ganze Ausbildung die Prinzipien Auswahl und Beschränkung. Zu seinem 24. Geburtstag 1893 wurde Prinz Rupprecht zum Rittmeister befördert und ihm wurde die Führung der 2. Eskadron beim 1. Schweren Reiter-Regiment anvertraut. Für den begeisterten Reiter bedeutete der Dienst bei der Kavallerie ein Stück Lebensfreude. Im Oktober 1895 wurde er Hauptmann und Kompaniechef im Infanterie-Leib-Regiment, im Juni 1896 wurde er zum Major und Kommandeur des 1. Bataillons befördert. Drei Jahre wirkte er in dieser Stellung. In dieser Zeit studierte er das Werk Taktische und strategische Grundsätze der Gegenwart. Der Autor, General Sigismund W. von Schlichting, bezog gegen die Betonung des Drills in der militärischen Ausbildung Stellung und plädierte für ein

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s­ tärkeres Gewicht der Gefechtsübung. Rupprecht schloss sich seinen Forderungen an und setzte sie nach seinen Möglichkeiten in die Praxis um. Prinz Rupprecht durchlief rasch die militärische Laufbahn. Die Karrieren der Prinzen führten grundsätzlich schneller und direkter zu kommandierenden Posten als bei den übrigen Offizieren. Am 7. Oktober 1900 wurde der erst 31-jährige Prinz zum Generalmajor ernannt und nach Bamberg versetzt, wo er als Kommandeur der 7. Infanteriebrigade wirkte. Im Anschluss übernahm er als Generalleutnant das Kommando über die erste Division in München. Nach dem Abschied seines Onkels, des Prinzen Arnulf von Bayern, aus dem aktiven Dienst erhielt er die Stelle eines Kommandierenden Generals des I. Bayerischen Armeekorps. Am 19. April 1906 wurde Rupprecht zum General der Infanterie befördert. In seiner neuen Funktion als Korpskommandant wurde er mit allen Angelegenheiten der Bayerischen Armee vertraut. In dem knappen Jahrzehnt bis zum Kriegsausbruch erhielt er in verantwortlicher Stellung eine gründliche Vorbildung für seine späteren Aufgaben als Feldherr. Einen erheblichen Teil seiner Dienstzeit beanspruchten Truppenbesichtigungen und Manöver. In dieser Zeit fanden eine fortschreitende Modernisierung der Armee, besonders bei der Artillerie, und der Aufbau einer Luftwaffe statt. Rupprecht pflegte einen offenen Führungsstil und wollte stets die Meinung seiner Stabsoffiziere hören. Im Februar 1913 ernannte Prinzregent Ludwig seinen Sohn zum Generalobersten. Einen Monat später wurde Prinz Rupprecht zum Generalinspekteur der IV. Armeeinspektion des Deutschen Heeres berufen. Diese bildete keine direkte Kommandostelle, doch war der Generalinspekteur der designierte Befehlshaber für den Fall einer Mobilmachung. Ihm unterstanden nun drei bayerische und das III. preußische Armeekorps. So bestimmten die Notwendigkeiten der Heeresführung und große Manöver seinen Aufgabenbereich. Außerdem verlieh ihm der Prinzregent die Eigenschaft als direkter Vorgesetzter aller bayerischen Truppen. Mit der Thronbesteigung seines Vaters als König Ludwig III. im November 1913 wurde Rupprecht zum Kronprinzen von Bayern, wodurch sich seine Repräsentationsaufgaben noch vermehrten. Bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Sommer 1914 avancierte Generaloberst Kronprinz Rupprecht zum Oberbefehlshaber des 6. Armeekommandos, in dem die bayerischen Truppen zusammengefasst waren.3 Hier stellt sich die Frage, ob er als eigenständiger Feldherr wirkte oder nur, ähnlich dem Deutschen Kaiser, als Staffage für seinen militärischen Stab diente? Er war sich selbst der Problematik fürstlicher Oberbefehlshaber

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Kronprinz Rupprecht von Bayern auf einer Porträtaufnahme von 1914

durchaus bewusst, doch hielt er ihre größere Entscheidungsfreudigkeit aufgrund ihres jüngeren Alters und der geringeren Notwendigkeit, persönliche Rücksichten nehmen zu müssen, für vorteilhaft.4 Der Kronprinz wollte sich nicht auf eine repräsentative Rolle beschränken, sondern war stets über die aktuelle Entwicklung informiert und traf selbst die erforderlichen Entscheidungen. Er hielt sich nicht nur in seinem jeweiligen Hauptquartier hinter der Front auf, sondern besuchte immer wieder unter Lebensgefahr seine Soldaten in der Feuerlinie. Sein Arbeitstag war durch das Studium der eingehenden Meldungen seiner Truppen und der Anordnungen der OHL sowie durch Besprechungen mit seinem Stab geprägt. Persönlich besichtigte er die Schlachtfelder, um sich ein umfassendes Bild zu verschaffen. Während des gesamten Krieges führte er ein handschriftliches Tagebuch, das er nach dem Krieg in Auszügen veröffentlichen ließ.

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Kronprinz Rupprecht erfuhr erst zu Kriegsbeginn den genauen Aufmarschplan der 6. Armee, der im Rahmen des Schlieffen-Plans die Aufgabe zugedacht war, die Reichslande Elsass-Lothringen zwischen Metz und Saarburg zu verteidigen und hier einen großen Teil des französischen Heeres zu binden. Da sich die Lage in den ersten Wochen nicht plangemäß entwickelt hatte, entschloss er sich zu einem Angriff, um die deutsche Strategie zu retten und die Hauptarmee auf dem rechten Flügel in Belgien und Nordfrankreich zu entlasten.5 Er befürchtete den Abzug französischer Truppen von seiner Front, die dem deutschen Hauptangriff in Nordfrankreich entgegengestellt würden. Rupprecht hatte dazu zwar keinen Befehl von der OHL, doch deckte diese sein Vorgehen. Der Angriffsbefehl vom 20. August 1914 war seine persönliche Entscheidung. Die Schlacht in Lothringen wurde ein Sieg der bayerischen Truppen, der bayerische Kronprinz wurde zunächst einheitlich als bedeutender Feldherr gefeiert. Bereits am 22. August sandte ihm Kaiser Wilhelm II. mit den Worten „Ich danke Gott mit Dir für den herrlichen Sieg“ das Eiserne Kreuz Erster und Zweiter Klasse. König Ludwig III. zeichnete seinen Sohn mit der höchsten bayerischen Kriegsdekoration aus, dem Militär-Max-Joseph-Orden. Erst später setzte bei Militärschriftstellern Kritik an diesem Angriff ein, die ein weiteres Zurückgehen der 6. Armee gewünscht hätten, um die gegnerischen Truppen in einer Umfassungsschlacht vernichtend zu schlagen.6 Die deutsche Strategie aber und damit die Voraussetzung für einen siegreichen Friedensschluss waren mit dem Scheitern des Schlieffen-Plans an der Marne bereits im September 1914 zusammengebrochen. Die 6. Armee wurde im Herbst zur Verstärkung des rechten Armeeflügels nach Flandern verlegt, wo sie sich weitgehend im Stellungskrieg festrannte.7 Diese Phase wurde durch Munitionsmangel und den Abtransport von Truppen an die Ostfront eingeleitet. Kronprinz Rupprecht entwickelte verschiedene strategische Konzepte, um den Stellungskrieg aufzubrechen.8 Das gespannte Verhältnis des bayerischen Kronprinzen zur OHL veränderte sich auch nach dem Wechsel an ihrer Spitze mit der Ernennung des Generalleutnants Erich von Falkenhayn kaum. Bereits im Oktober 1914 notierte Rupprecht, dass verschiedene gute Gelegenheiten für ein Vorantreiben einer Offensive verpasst worden seien. Scharf kritisierte er die ihm zaudernd und planlos erscheinende militärische Führung Falkenhayns, den er ohnehin für eine Fehlbesetzung hielt.9 Die Bedenken über die Strategie der OHL verließen Kronprinz Rupprecht während des weiteren Kriegsverlaufs nicht mehr. Dabei entwickelte er Alternativen für das militärische Vorgehen wie auch eigenständige

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­A ngriffspläne.10 Die Missachtung seiner Befehlsgewalt durch Falkenhayn sowie andere Ungeschicklichkeiten der OHL führten zu einer Beschwerdeschrift an den Kaiser.11 Nach dem Scheitern des Angriffs auf Verdun unternahm der Kronprinz im Juli des Jahres 1916 über den bayerischen Gesandten in Berlin einen Vorstoß beim Reichskanzler, Falkenhayn als Chef des Generalstabes absetzen zu lassen.12 Nach dem im Sommer 1916 von ihm mitausgelösten Sturz Falkenhayns wurde der kurz zuvor zum bayerischen wie zum preußischen Generalfeldmarschall ernannte Kronprinz Rupprecht im August 1916 als Oberbefehlshaber einer nach ihm benannten Heeresgruppe aus drei Armeen eingesetzt. Die Berufung Hindenburgs und Ludendorffs an die Spitze der OHL begrüßte er zunächst. Ab dem Spätherbst 1916 plädierte Rupprecht für die Verkürzung der deutschen Westfront unter Aufgabe von Terrain. Schließlich stimmte die OHL dem Plan eines teilweisen Rückzuges in die sogenannte SiegfriedStellung entlang der Linie Arras-St. Quentin-Soissons zu, die hinter der Kampffront als Auffangstellung aufgebaut werden konnte. Freilich wollte der Kronprinz die deutsche Armee nicht auf die Defensive beschränken, sondern erstrebte durch Konzentration aller Kräfte Rückhalt für neue Offensiven. Der Rückzug in die Siegfried-Stellung wurde am 4. Februar 1917 befohlen und bis in den März ausgeführt.13 Im Räumungsgebiet mussten auf Anordnung der OHL alle Einrichtungen zerstört werden, die für gegnerische Zwecke militärisch hätten nutzbar sein können. 140 000 Einwohner wurden ins Hinterland deportiert. Rupprecht drohte wegen dieser Gewaltmaßnahmen sogar mit seinem Rücktritt.14 Der Kronprinz bemühte sich, sinnloses Blutvergießen zu vermeiden und die Zivilbevölkerung nicht unter den Folgen des Krieges leiden zu lassen. So kritisierte er das Niederbrennen von Dörfern und Plünderungsaktionen und versuchte, derartige Vorkommnisse durch Befehle zu verhindern, weil sie nachrückende deutsche Truppen behinderten, aber auch aus humanitären Gründen.15 Bevor seine aus dem Elsass abgezogenen Truppen im September 1914 erneut französischen Boden betreten sollten, erließ er einen Tagesbefehl über das Verhalten gegenüber der feindlichen Zivilbevölkerung.16 Dabei mahnte er zur Vorsicht vor Überfällen hinter der Frontlinie, gebot rücksichtsvollen Umgang mit den Einwohnern und untersagte Plünderungen streng. Als Hauptgegner betrachtete Kronprinz Rupprecht stets die Briten.17 Als Ende Oktober 1914 erstmals britische Truppen der 6. Armee gegenüberstanden, ließ er sich in einem Tagesbefehl zu seinem härtesten Ausspruch hinreißen: „Darum, wenn es jetzt gegen diesen Feind geht, übt

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Vergeltung wider feindliche Hinterlist für so viele schwere Opfer! Zeigt ihnen, daß die Deutschen nicht so leicht aus der Weltgeschichte zu streichen sind, zeigt ihnen das durch deutsche Hiebe von ganz besonderer Art!“18 Die alliierte Propaganda nutzte diese markige Äußerung weidlich als Beleg für die brutale deutsche Kriegführung aus. Dabei bemühte sich Rupprecht um einen menschlichen Umgang mit den Kriegsgefangenen. Kronprinz Rupprecht beschäftigte sich mit dem in der deutschen Öffentlichkeit viel diskutierten Problem des U-Boot-Krieges, durch den die britischen Nachschublinien unterbunden werden sollten. Lange blieb er aus Rücksicht auf die Haltung der neutralen Staaten Gegner eines uneingeschränkten U-Boot-Krieges, obwohl er darauf keinen direkten Einfluss nehmen konnte. Im Februar 1915 eröffnete die deutsche Marine den UBoot-Handelskrieg.19 Als Rupprecht erfuhr, dass die britische Admiralität ihre Handelsflotte angewiesen habe, unter neutraler Flagge zu fahren, plädierte er für den Kampfeinsatz von U-Booten.20 Im Januar und Februar 1916 wurden im Deutschen Reich Forderungen nach der uneingeschränkten Führung des U-Boot-Krieges erhoben, um Großbritannien in sechs Monaten zum Frieden zwingen zu können.21 Kronprinz Rupprecht informierte den bayerischen Außenminister über die von ihm geteilte Anschauung Admiral Ludwig von Schröders, dass dies aus militärischen Gründen nicht realistisch sei.22 Die OHL versuchte nun, Großbritannien durch den Angriff auf Verdun und durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg niederzuringen. Die Kämpfe vor Verdun wurden unter Einsatz der modernen Massenvernichtungswaffen wie Giftgas geführt. Rupprecht verurteilte dieses Vorgehen, ohne es freilich verhindern zu können. Ethische und taktische Motive flossen dabei zusammen: „Als Dr. Haber mit General von Falkenhayn vor der ersten Anwendung bei mir weilte, verhehlte ich nicht, daß mir das neue Kampfmittel des Gases nicht nur unsympathisch erschiene, sondern auch verfehlt, denn es sei sicher anzunehmen, daß, wenn es sich als wirksam erwiese, der Feind zum gleichen Mittel greifen würde und bei der vorherrschenden westöstlichen Windrichtung zehnmal öfter gegen uns Gas abblasen könnte, als wir gegen ihn.“23 Als die Kriegslage für das Deutsche Reich immer verzweifelter wurde, kam Kronprinz Rupprecht im Herbst 1916 zu der Überzeugung, dass jetzt keine Rücksicht mehr auf die neutralen Staaten zu nehmen sei, weil die Nachschubzufuhr zu ihnen durch die alliierte Blockade ohnehin abgeschnitten wäre.24 Die Hungerblockade der deutschen Küsten durch britische Schiffe führte ihn zur Forderung, mit gleichen Mitteln

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zu antworten. Dabei war er sich bewusst, dass der uneingeschränkte ­U-Boot-Krieg den Kriegseintritt der USA bedeuten würde, deren militärische Schlagkraft er nicht so eklatant unterschätzte wie die OHL.25 Allerdings schwankte er in seinem Urteil über den U-Boot-Krieg, wirklichen Einfluss auf die Entwicklung konnte er ohnehin nicht nehmen. Immer stärker wurde im Verlauf des Weltkrieges die Zivilbevölkerung nicht nur Opfer von Kämpfen, sondern ganz gezielt in die militärischen Auseinandersetzungen einbezogen. Die Ausweitung des Krieges durch Bombardements aus der Luft verurteilte Kronprinz Rupprecht scharf und intervenierte gegen die deutschen Luftangriffe auf britische Städte. Der Vertreter des Auswärtigen Amtes beim Kaiser, Karl Georg von Treutler, konnte ihm im Januar 1915 mitteilen, dass wegen seiner Bedenken weitere Luftangriffe auf London verboten würden.26 Trotzdem wurden die Bombenabwürfe später fortgesetzt. Im folgenden Jahr sprach Rupprecht sich erneut gegen das Bombardement feindlicher Städte aus, weil es keinen Nutzen brächte und den Gegner nur zu Repressalien herausforderte.27 Die Bombenabwürfe aus Zeppelinen über London verurteilte er außerdem als militärisch unnütz. Deshalb protestierte er auch im Juli 1918 beim Reichskanzler gegen den Abwurf von Brandbomben über Paris.28 Zu Beginn des Krieges war Kronprinz Rupprecht von einem Erfolg der deutschen Waffen überzeugt und teilte zunächst die Kriegsziele seines Vaters König Ludwigs III. Zur Stärkung des Föderalismus hielt er eine Erweiterung Bayerns im Elsass für geboten, für das Reich erhob er Annexionsansprüche gegenüber Belgien, obwohl ihn mit seinem Schwager, dem belgischen König Albert, bis zum Kriegsausbruch eine herzliche Freundschaft verbunden hatte. Noch im Frühjahr 1915 hing Rupprecht der Vorstellung eines Siegfriedens mit Annexionen an.29 Die Westgrenze des Deutschen Reiches sollte so weit vorgeschoben werden, dass ihm Luxemburg, Nordfrankreich, Belgien und die Niederlande einverleibt ­ werden würden.30 Der geplante Trialismus Preußen – Bayern – Niederlande in einem Staatenbund in Anlehnung an das 1806 untergegangene Alte Reich hätte eine völlig neue Konstellation für die Reichs- wie die Europapolitik bedeutet.31 Dieses Projekt war weniger Ausfluss nationalistischen Größenwahns als ein Versuch, die Hegemonie Preußens in der Nachkriegsordnung zu begrenzen. Die Schwere der eigenen Verluste und die Einsicht, dass es unmöglich sei, einen positiven Kriegsausgang mit Waffen zu erzwingen, wandelten Kronprinz Rupprecht aber vom Anhänger eines Sieg- zum Verfechter eines Verständigungsfriedens.32 Er erkannte ab dem Herbst 1915, dass der

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Krieg nicht fortgesetzt werden dürfte. Erste Überlegungen zur Friedensproblematik hatte bei ihm im Januar 1915 eine angebliche Wiener Äußerung ausgelöst, Österreich-Ungarn könne den Krieg nur bis in den März durchhalten.33 Im Oktober 1915 wies der Kronprinz General von Falkenhayn auf die Notwendigkeit eines baldigen Friedensschlusses hin, weil es unmöglich sei, aus dem Stellungskrieg herauszukommen.34 Dies erfordere die Herausgabe der besetzten Gebiete in Frankreich und Belgien, ohne eine ins Gewicht fallende Kriegsentschädigung zu erhalten. Auch in einem Gespräch mit Reichskanzler Bethmann Hollweg äußerte er diese Auffassung.35 Militärische, föderalistische und innenpolitische Argumente ließen bei Kronprinz Rupprecht seit dem Frühjahr 1916 immer stärker die Überzeugung wachsen, dass ein Friedensschluss dringend geboten sei. Um dieses Ziel zu erreichen, konnte er aber nur versuchen, auf König Ludwig III. einzuwirken, bei dem er allerdings wenig Gehör fand. Bayern besaß ohnehin nicht die Möglichkeit, Kaiser und Reich zu einem Friedensschluss zu veranlassen. Im Juni 1916 teilte er dem bayerischen Außenministerium mit, dass er die Hoffnung auf durchschlagende Erfolge und einen Durchbruch an der Westfront aufgegeben habe.36 Die Anerkennung der völligen Unabhängigkeit Belgiens hielt er nunmehr für eine notwendige Friedensbedingung. Gefährliche Ansätze zu einer völligen Verkehrung der Autoritätsverhältnisse im Reich beeinträchtigten diese Bemühungen. Die OHL unter Hindenburg und Ludendorff erstrebte zunehmend stärkeren Einfluss auf die Politik, wodurch die Friedensbemühungen unterlaufen wurden. Der bayerische Kronprinz stimmte den Überlegungen des Zentrumsabgeordneten Matthias Erzberger zur Friedensfrage zu, doch wollte er eine öffentliche Diskussion vermeiden, um die Siegeszuversicht der Gegner nicht anzustacheln.37 Wenige Tage nach dem Sturz Bethmann Hollwegs erließ die Reichstagsmehrheit aus Zentrum, Fortschrittlicher Volkspartei und Sozialdemokraten am 19. Juli 1917 eine Friedensresolution, in der ein Verständigungsfriede unter Verzicht auf Eroberungen gefordert wurde. Rupprecht war mit ihrem Inhalt einverstanden, hielt aber den Zeitpunkt für verfehlt.38 Immer stärker schaltete Kronprinz Rupprecht sich in die politischen Abläufe ein. Seine politischen Vorstellungen zur aktuellen Kriegslage, zur Notwendigkeit eines raschen Friedensschlusses und zur Wahrung der Souveränität Bayerns fasste er in einem umfangreichen Memorandum vom 19. Juli 1917 für den Vorsitzenden im bayerischen Ministerrat, ­Außenminister Graf Georg Hertling, zusammen. Dringend forderte er

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einen raschen Friedensschluss mit Russland unter Verzicht auf Annexionen. In der bevorstehenden Kampfpause nach der feindlichen Sommeroffensive sollten über die Könige von Spanien oder Schweden den Gegnern auf dem westlichen Kriegsschauplatz die deutschen Kriegsziele mitgeteilt werden, „die sich auf die Erreichung des status quo ante bellum unter Verzicht auf doch nicht einzutreibende Entschädigung beschränken müssen. An der Forderung der Rückgabe der Kolonien darf die Erreichung des Friedens nicht scheitern.“39 Graf Hertling aber verstand die Dringlichkeit der Darlegungen nicht. Bei der Feier der Goldenen Hochzeit seiner Eltern im Februar 1918 offenbarte Kronprinz Rupprecht dem Deutschen Kaiser unverblümt seine Ansicht über die Kriegslage, was zu einer Verstimmung führte.40 Der Friede von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland vom 10. März 1918 und zeitweilige militärische Erfolge der Frühjahrsoffensive in der Picardie lösten wieder Annexionsforderungen bei Wilhelm II. und der OHL aus. Rupprecht musste dagegen zunehmende Missstimmung unter den deutschen Truppen konstatieren, die ein Ende des Krieges unter allen Umständen herbeisehnten.41 Angesichts der sich rapid verschlechternden militärischen Lage und der Ergebnislosigkeit seiner bisherigen Mahnungen richtete Kronprinz Rupprecht am 1. Juni 1918 erneut einen dringenden Friedensappell an den zum Reichskanzler avancierten Graf Hertling.42 Zwei Monate später nutzte Kronprinz Rupprecht einen kurzen Heimaturlaub zu politischen Gesprächen, um auf die Notwendigkeit eines raschen Friedensschlusses hinzuweisen.43 Am 15. August beschloss nun auch der bayerische Ministerrat, die Reichsregierung zum raschen Abschluss eines Verständigungsfriedens aufzurufen; nicht nur, weil sich die militärische Situation weiter verschlechtere, sondern auch, weil sonst eine Initiative durch den Reichstag und damit eine fortschreitende Parlamentarisierung des Reiches drohe.44 Kronprinz Rupprecht verfügte nur über geringe Möglichkeiten, seine Einsichten umzusetzen. Zum einen war er in vorgegebene Befehlsstrukturen eingebunden, zum anderen war er der Erbe und nicht der Träger der Krone. Er konnte keine politischen Entscheidungen durchsetzen, sondern nur Vorschläge unterbreiten. Als Offizier musste er sich von der Politik fernhalten, als Thronfolger war er verfassungsmäßig auf die Mitarbeit im Staatsrat und im Reichsrat beschränkt, an deren Sitzungen er während des Krieges nicht teilnehmen konnte. Um einen Friedensschluss zu er­ reichen, konnte er nur versuchen, auf König Ludwig und die bayerische Regierung einzuwirken.

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Im Herbst 1918 war Kronprinz Rupprecht fern von den Entscheidungszentren in seinem Hauptquartier in Brüssel festgehalten.45 Schließlich war er von der Notwendigkeit des Rücktritts des Kaisers und dem Abschluss eines Friedens auch unter harten Bedingungen überzeugt. Am 1. November versuchte er Ludwig III. vorsichtig dazu zu bringen, die ­Initiative zu ergreifen und den Kaiser zur Abdankung zu bewegen.46 Einen Tag später wurde nach langwierigen Verhandlungen die bayerische Regierung auf parlamentarischer Basis umgebildet. Doch dies war zu spät, um die Münchner Revolution vom 7. November verhindern zu können. Kronprinz Rupprecht protestierte am 10. November 1918 gegen die ohne Legitimation erfolgte „politische Umwälzung, die ohne Mitwirkung der gesetzgebenden Gewalten und der Gesamtheit der bayerischen Staatsbürger in Heer und Heimat von einer Minderheit ins Werk gesetzt wurde“,47 und wollte die Entscheidung über die Staatsform einer aus freien Wahlen bestimmten Nationalversammlung anvertrauen.48 Er konnte sich nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands nicht länger in Brüssel, nach der Niederlegung des Oberkommandos wollte er sich nicht weiter beim Heer aufhalten. Da ihm der direkte Weg in die Heimat durch die revolutionären Unruhen verschlossen war, wählte er die Reiseroute über die neutralen Niederlande. Kronprinz Rupprecht musste sich nach seiner Heimkehr in gänzlich veränderte Umstände fügen. Zunächst besaß er keinen Wohnsitz mehr, er verfügte weder über Besitz noch über Einkommen. Er war überzeugt, dass an eine Wiedererrichtung der Monarchie zu Lebzeiten seines Vaters nicht zu denken sei. Zu der Sorge um Bayern in den revolutionären Wirren und seine eigene ungesicherte persönliche Existenz war die Gefahr einer Auslieferung an die Siegermächte dazugekommen. Im Vertrag von Versailles vom 28. Juni 1919 musste Deutschland sich zur Anerkennung der Kriegsschuld sowie zur Auslieferung des Kaisers und aller „Kriegsverbrecher“ verpflichten. Sein Name stand auf der Auslieferungsliste der Ententemächte vom 3. Februar 1920 von 895 führenden deutschen Militärs.49 Frankreich warf ihm vor, den Befehl gegeben zu haben, keine britischen Gefangenen zu machen, sondern sie zu töten. Diese wie andere Vorwürfe bestritt er vehement und konnte dies durch Zeugenaussagen belegen. Schließlich überließen die Siegermächte die Prozessführung gegen die wegen Kriegsverbrechen beschuldigten Personen der deutschen Gerichtsbarkeit. Das Reichsgericht erklärte alle gegen Kronprinz Rupprecht erhobenen Beschuldigungen „für haltlos und widerlegt“, das Verfahren wurde am 4. Juni 1923 endgültig eingestellt.

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Mit dem Tod seines Vaters König Ludwigs III. am 18. Oktober 1921 übernahm Kronprinz Rupprecht dessen Thronansprüche, ohne diese konkret umsetzen zu wollen.50 Ein vorläufiges Ende fand die direkte Revolutionszeit mit der Regelung der Versorgungsansprüche des Königshauses durch die Einrichtung des Wittelsbacher Ausgleichsfonds (WAF) im Jahr 1923. Nun war ein Weg gefunden, der es Kronprinz Rupprecht und den übrigen Angehörigen des Königshauses ermöglichte, repräsentative Aufgaben zu übernehmen und damit zur Beruhigung der politischen Verhältnisse in der Zwischenkriegszeit beizutragen. Der Kronprinz hielt sich von den politischen Alltagsgeschäften fern, repräsentierte aber bei zahlreichen Versammlungen nicht nur von Patriotenund Kriegervereinen in ganz Bayern wie ein Souverän.51 Für weite Kreise der Bevölkerung wirkte er als Identifikationsfigur, die in der schweren Not von Nachkriegszeit und Inflation Halt und Orientierung bot. Sein Verhältnis zum Nationalsozialismus war ähnlich wie bei der Bayerischen Volkspartei (BVP) und der katholischen Kirche durch grundsätzliche Ablehnung gekennzeichnet.52 Seit sich zum Jahresende 1932 die Gefahr einer nationalsozialistisch dominierten Reichsregierung immer drohender abzeichnete, schien die Ausrufung der Monarchie als letztes Rettungsmittel für Bayern in greifbare Nähe gerückt, was aber scheiterte.53 Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler protestierte Kronprinz Rupprecht mehrfach gegen die praktische Aufhebung der Länder und plädierte für eine neue Verfassung, um das Verhältnis zwischen Reich und Ländern im Sinne Bismarcks zu regeln.54 Als dies ungehört verhallte, zog er sich aus dem öffentlichen Leben zurück, stand aber unter Beobachtung des nationalsozialistischen Regimes. Kein Wittelsbacher trat der NSDAP oder einer ihrer Formationen bei, was als deutliche Ablehnung verstanden wurde. Während des Zweiten Weltkriegs ging Rupprecht ins Exil nach Italien, seine Familie war harter Verfolgung und KZ-Haft ausgesetzt. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges kehrte er nach Deutschland zurück und starb am 2. August 1955 auf Schloss Leutstetten. Kronprinz Rupprecht war ein erfolgreicher Feldherr, der Sieger in der Schlacht von Lothringen, ein strategischer Kopf, der verschiedene Konzepte entwarf, den Stellungskrieg aufzubrechen, und der den erfolgreichen Rückzug in die Siegfried-Stellung plante. Scharfe Kritik übte er an dem zunehmenden Einfluss des Generalstabschefs wie der Stabschefs der einzelnen Armeekorps sowohl auf die militärischen Entscheidungen wie auf die Politik.55 Er war aber auch der bayerische Thronfolger und überblickte aus dieser Verantwortung stets mehr als das reine Kampfgeschehen. Aus

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seiner realistischen Einschätzung der Kriegsentwicklung wandelte er sich ab dem Herbst 1915 vom Anhänger eines Sieg- zu dem eines Verständigungsfriedens. Frühzeitig erkannte er die drohenden Gefahren von Niederlage und Revolution, doch konnte er seine Erkenntnisse nicht durchsetzen. Auch eine Persönlichkeit im Rang des bayerischen Thronfolgers war eingebunden in vorgegebene politische und militärische Strukturen. So bleibt etwas von Tragik um die Gestalt seiner Persönlichkeit. Im Zentrum seines politischen Denkens stand stets Bayern, bei seinen Über­ legungen zum Sieg wie zum Frieden, in der Zeit der Monarchie wie anschließend in der des Freistaates. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 45–55. Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 128. Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 96–126; März, Haus Wittelsbach, S. 165–180. Tagebucheintrag vom 5.4.1917, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 130. Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 106–108 (mit Nachweis des folgenden Zitats). Afflerbach, Kronprinz Rupprecht, S. 32f. Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 250–309. Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 109–118. Afflerbach, Falkenhayn, S. 214f.; Afflerbach, Kronprinz Rupprecht, S. 33–37. Tagebucheinträge vom 16. und 30.10.1914, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 213, 217, 236f. 11 Janßen, Kanzler und General, S. 127f., Anm. 15; Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 112. 12 Tagebucheintrag vom 5.7.1916, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 497; Janßen, Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung, S. 351–354. 13 Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 92–134. Zum Verlauf: Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Bd. 12, S. 119–155. 14 Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 118–120; Afflerbach, Kronprinz Rupprecht, S. 42. 15 Tagebucheintrag vom 28.8.1914, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 65. 16 Tagebucheintrag vom 19.9.1914, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 47f. 17 Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 313. 18 Tagebucheintrag vom 19.10.1914, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 57f. 19 Schröder, U-Boote, S. 95–126. 20 Tagebucheintrag vom 1.2.1915, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 295. 21 Schröder, U-Boote, S. 189–202. 22 Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 136. 23 Tagebucheintrag vom 1.3.1915, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 305; Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 138. 24 Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 137. 25 Ebd., S. 138. 26 Tagebucheintrag vom 16.1.1915 und vom 22.6.1916, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 287 und 483. 27 Tagebucheintrag vom 11.5.1916, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 463. 28 Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 139.

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GENERALFELDMARSCHALL KRONPRINZ RUPPRECHT VON BAYERN

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40 41 42 43 44 45 46 47 48 49 50 51 52 53 54 55

Ebd., S. 129–134. Erwähnt auch bei Fischer, Griff nach der Weltmacht, S. 219f. Janßen, Macht und Verblendung, S. 65. Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 143–153. Tagebucheintrag vom 5.1.1915: Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 283. Tagebucheintrag vom 13.10.1915, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 394; Janßen, Macht und Verblendung, S. 86. Tagebucheintrag vom 13.10.1915, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 1, S. 395f.; Janßen, Macht und Verblendung, S. 85f. Tagebucheintrag vom 10.6.1916, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 8. Tagebucheintrag vom 10.7.1917, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 219. Tagebucheintrag vom 14.7.1917, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 226. Rupprecht an Lerchenfeld, 19.7.1917, abgedruckt in: Deuerlein (Hrsg.), Briefwechsel Lerchenfeld-Hertling, Nr. 396aa, S. 912–916; Teildruck: Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 14–20. Tagebucheintrag vom 19.2.1918, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 330–332. Tagebucheintrag vom 26.5.1918, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 402. Tagebucheintrag vom 1.6.1918, abgedruckt in: Sendtner, Rupprecht von Wittelsbach, S. 351f. Tagebucheinträge vom 14.8. bis 1.9.1918, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 438f. Albrecht, Landtag, S. 355–358. Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 153–156. Tagebucheintrag vom 1.11.1918, Teildruck: Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 3, S. 29f. Tagebucheintrag vom 10.11.1918, Rupprecht, Kriegstagebuch Bd. 3, S. 370. Weiß, Kronprinz Rupprecht, S. 163–169, Zitat S. 164. Ebd., S. 174–178. Ebd., S. 203f., 223f. (Zitat S. 223). Ebd., S. 236–249. Ebd., S. 249–262. Ebd., S. 263–272. Ebd., S. 273–278. Tagebucheintrag vom 5.4.1917, Rupprecht, Kriegstagebuch, Bd. 2, S. 130f.

Unveröffentlichte Quellen Der Nachlass Kronprinz Rupprechts von Bayern, darunter seine nur in Auszügen veröffentlichten Kriegstagebücher, findet sich im Geheimen Hausarchiv, Abt. III im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, München (BayHStA).

Gedruckte Quellen und Literatur Afflerbach, Holger, Kronprinz Rupprecht von Bayern im Ersten Weltkrieg, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 75/1 (2016), S. 21–54. Albrecht, Willy, Landtag und Regierung in Bayern am Vorabend der Revolution von 1918. Studien zur gesellschaftlichen und staatlichen Entwicklung Deutschlands von 1912–1918, Berlin 1968. Deuerlein, Ernst (Hrsg.), Briefwechsel Hertling-Lerchenfeld 1912–1917, 2 Teile, Boppard am Rhein 1973 (= Deutsche Geschichtsquellen des 19. und 20. Jahrhunderts 50).

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März, Stefan, Das Haus Wittelsbach im Ersten Weltkrieg. Chance und Zusammenbruch monarchischer Herrschaft, Regensburg 2013. Rupprecht von Bayern, Kronprinz, Mein Kriegstagebuch, hrsg. von Eugen von Frauenholz, 3 Bde., München 1928/29. Sendtner, Kurt, Rupprecht von Wittelsbach Kronprinz von Bayern. Auf Anregung und unter Förderung und Mitarbeit von Dr. Otto Kolshorn. Mit Auszügen aus persönlichen Aufzeichnungen und einem Schlußkapitel von Kronprinz Rupprecht von Bayern, München 1954. Storz, Dieter, Kronprinz Rupprecht von Bayern – dynastische Heerführung im Massenkrieg, in: Heinemann, Winfried/Pöhlmann, Markus (Hrsg.): Monarchen und ihr Militär, Potsdam 2010, S. 45–57. Weiß, Dieter J., Kronprinz Rupprecht von Bayern. Eine politische Biographie, Regensburg 2007. Weiß, Dieter J., Ein Wittelsbacher zwischen Monarchie und Demokratie. Kronprinz Rupprecht von Bayern: Ein Lebensbild, in: Leutheusser, Ulrike / Rumschöttel, Hermann (Hrsg.), König Ludwig III. und das Ende der Monarchie in Bayern, München 2014, S. 67–82. Weiß, Dieter J., Die Wittelsbacher im Ersten Weltkrieg, in: Kronenbitter, Günther / Pöhl­ mann, Markus (Hrsg.), Bayern und der Erste Weltkrieg, München 2017, S. 123–133.

Generaloberst Hans Hartwig von Beseler von Christian Th. Müller

I

nnerhalb der Generalität des Deutschen Kaiserreiches nahm Hans Hartwig von Beseler gleich in mehrfacher Hinsicht eine Sonderstellung ein. Anders als die meisten Spitzenmilitärs stammte er aus einer explizit bildungsbürgerlichen Familie mit liberal-konservativer Prägung und hatte seine militärische Laufbahn in der zwar als gelehrt, aber auch als wenig vornehm geltenden Pioniertruppe begonnen. Neben Richard von Schubert war Beseler der einzige Pionier, der bis zum Ende des Kaiserreiches den Dienstgrad Generaloberst erreichen sollte. Umfassend gebildet und vielseitig interessiert verkörperte er – wie außer ihm wohl nur noch Colmar von der Goltz und Hermann von Kuhl – den Typus des gelehrten Offiziers. Inwieweit es diese Spezifika waren, welche seinen Aufstieg in die höchsten militärischen Positionen verhinderten, muss Spekulation bleiben. Trotz anerkannt herausragender geistiger Fähigkeiten und militärischer

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Leistungen wurde seine Karriere jedoch gleich mehrfach durch persönliche Zurücksetzungen ausgebremst, bevor er ab 1915 als Generalgouverneur in Kongress-Polen vor eine primär politische Aufgabe gestellt wurde, an der er erst scheiterte und schließlich zerbrach. Hans Hartwig von Beseler wurde am 27. April 1850 in Greifswald geboren. Seine Mutter Emilie war die Tochter eines Geheimen Oberbergbaurates und kam aus Berlin. Sein aus dem Herzogtum Schleswig stammender Vater war der angesehene Juraprofessor und liberale Abgeordnete Georg Beseler. Nach dessen Berufung an die Friedrich-Wilhelms-Universität 1859 verbrachte Beseler seine Jugendjahre in Berlin. Hier erhielt er am Königlichen Wilhelms-Gymnasium eine humanistische Bildung, wobei er schon bald ein ausgeprägtes Interesse für Mathematik und moderne deutsche Literatur entwickelte. Mindestens genauso prägend war aber auch die intellektuelle Atmosphäre seines Elternhauses, wo unter anderem führende deutsche Historiker der damaligen Zeit wie Duncker, Mommsen, Ranke, Sybel und Treitschke verkehrten.1 Im Hochgefühl der preußischen Siege von 1864 und 1866 mochte sich Beseler jedoch nicht für die vom Vater favorisierte Gelehrtenlaufbahn erwärmen. Ihn zog es zum Militär. Immerhin konnte der Vater ihm den ursprünglich angestrebten Eintritt in die noch völlig unbedeutende Marine des Norddeutschen Bundes ausreden. So trat Beseler nach dem Abitur am 1. April 1868 in das Gardepionierbataillon ein, wo er nach „vorzüglich“ bestandener Offiziersprüfung ab Oktober 1868 als Sekondeleutnant diente.2 Während des Krieges 1870/71 nahm er an den Kämpfen um Metz und an der Belagerung von Paris teil, wofür er mit dem Eisernen Kreuz zweiter Klasse ausgezeichnet wurde. Danach besuchte er zunächst die Artillerieund Ingenieurschule und erhielt im Herbst 1874 sein Ingenieurzeugnis. Schon bald vermochte der ihm allzu „handwerksmäßig“3 daherkommende Pionierdienst Beseler jedoch nicht mehr zu befriedigen. Der angestrebte Wechsel zur Infanterie gestaltete sich allerdings schwierig. Stattdessen wurde er 1876 zum Studium an der Kriegsakademie zugelassen. Mit deren erfolgreichem Abschluss drei Jahre später standen ihm dann aber auch noch ganz andere Karrierewege offen. Bereits im Frühjahr 1880 wurde er in den Großen Generalstab kommandiert, wo er durch Alfred von Waldersee gefördert wurde. Nun folgten „drei reich erfüllte Jahrzehnte“4 in wechselnden Truppen-, vor allem aber Stabsdienstverwendungen. Zeitgleich mit der Beförderung zum Hauptmann wurde Beseler 1882 in den Großen Generalstab versetzt. 1884 bis 1887 diente er im Truppengeneralstab der 30. Division in Metz. In

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­ ieser Zeit heiratete er 1885 die gerade 18-jährige Clara Cornelius, mit der d er drei Töchter bekam. Nach sieben Jahren im Generalstab gelang schließlich auch der Wechsel zur Infanterie und Beseler wurde Kompaniechef im Infanterieregiment 74 in Hannover. Doch seine Verwendung als Kompaniechef blieb ebenso wie die als Kommandeur des Infanterieregiments 65 in Köln (1898/99) und der 6. Division in Brandenburg (1903/04) nur eine kurze Episode. Bereits ab 1888 lehrte er für vier Jahre Kriegsgeschichte an der Kriegs­ akademie, bevor er 1892/93 unter Waldersee im Generalkommando des IX. Armeekorps in Altona diente. Danach war er beinahe fünf Jahre lang Chef der Armeeabteilung im preußischen Kriegsministerium, wo er maßgeblich die Heeresvorlage von 1898 und die damit verbundene Verstärkung der technischen Truppen vorbereitete. 1899 kehrte er schließlich in den Großen Generalstab zurück und wurde Anfang 1900 zum Generalmajor ernannt. Als Oberquartiermeister III, dem die für Operationsstudien bzw. Kriegsakademie / Generalstabsdienst zuständige 5. und 8. Abteilung unterstanden, sowie als Mitglied der Studienkommission der Kriegsakademie nahm Beseler nun tief greifenden Einfluss auf die Heranbildung der künftigen Generalstabsoffiziere.5 In dieser Zeit arbeitete er eng mit Generalstabschef Alfred von Schlieffen zusammen. Als sich Ende 1903 Schlieffens baldige Pensionierung abzeichnete, galt der inzwischen zum Generalleutnant avancierte Beseler als aussichtsreicher Kandidat für dessen Nachfolge. Der Chef des Militärkabinetts Dietrich von Hülsen-Haeseler machte auch einen entsprechenden, von Kriegsminister Karl von Einem entschieden unterstützten Vorschlag. Daraufhin wurde Beseler am 27. Januar 1904 von Wilhelm II. in den erblichen Adelsstand erhoben. Der Kaiser selbst präferierte jedoch – wie Helmuth Rogge hervorhob – den „Träger eines großen Namens“ gegenüber dem „Könner“. So trat statt Beseler Generalleutnant Helmuth von Moltke (d. J.) die Schlieffen-Nachfolge an.6 Mehr als diese Entscheidung seines Dienstherren enttäuschte Beseler aber der Umstand, dass ihm die erhoffte Übernahme eines Armeekorps verwehrt blieb. Stattdessen wurde er im Herbst 1904 zum Chef des Ingenieur- und Pionierkorps und Generalinspekteur der Festungen bestimmt. In dieser Funktion kümmerte er sich um den Ausbau der Festung Metz und drängte auf die aus seiner Sicht bislang völlig vernachlässigte Befestigung der deutschen Nordseeküste. Im Kriegsministerium stieß Letzteres jedoch auf nur wenig Gegenliebe. Auf Betreiben von Kriegsminister

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General Hans v. Beseler (Fotopostkarte um 1915)

J­ osias von Heeringen erhielt der 1907 zum General der Infanterie beförderte Beseler daher im Dezember 1910 die Aufforderung, seinen Abschied einzureichen, und wurde Anfang 1911 zur Disposition gestellt.7 Nach dem für Beseler überraschenden Ende seiner Militärkarriere erschloss er sich in Politik und Militärpublizistik zwei neue Tätigkeitsfelder. Bereits während seines Militärdienstes hatte Beseler die Zeitläufe aufmerksam, aber wohl auch etwas ratlos verfolgt. So betrachtete er den Aufstieg der „scheußlichen Sozialisten“8 und den „technisch-materialistischen Zeitgeist“ mit Sorge, während er zugleich die öffentliche Repräsentation des Kaiserreiches als aus der Zeit gefallene „Rumpelkammer mittelalterlichen Gepränges“9 kritisierte. Oder, um es mit Werner Conze zu formulieren: „Er beobachtete das Versagen der Konservativen und der Liberalen, die ihm verhaßte Schlüsselstellung des ‚Ultramontanismus‘ durch das Zentrum und die als volkszerstörend angesehene Sozialdemokratie. So blieb ihm allein die Armee als der schützende Hort.“10 Obschon durch sein Elternhaus eher liberal geprägt, schloss er sich daher der staatstragend auftretenden Freikonservativen Partei an und

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bereitete sich darauf vor, für diese ein Land- oder Reichstagsmandat zu übernehmen. Doch bevor dies zustande kam, wurde Beseler Anfang 1912 durch Wilhelm II. auf Lebenszeit in das Preußische Herrenhaus berufen. Hier trat er jedoch kaum hervor, sondern widmete sich in der Hauptsache der Mitarbeit in verschiedenen Kommissionen des Hauses.11 Anders verhielt es sich mit seiner militärpublizistischen Tätigkeit, ­welche ganz durch die Vorstellung einer bevorstehenden „Weltkrisis“ geprägt war. Beseler sorgte sich um Ausbildung und Geist des Heeres.12 In seiner Jubiläumsschrift zum 100. Jahrestag der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Preußen plädierte er 1913 angesichts des heraufziehenden großen Krieges vehement für deren vollständige Ausschöpfung.13 Mit Beginn des Ersten Weltkrieges wurde Beseler reaktiviert und zum Kommandierenden General des – brandenburgischen – III. Reservekorps ernannt. Als Teil der 1. Armee unter Generaloberst Alexander von Kluck marschierte sein Korps am äußersten rechten Heeresflügel in das neu­ trale Belgien ein. Nachdem sich das Gros des belgischen Feldheeres am 20. August 1914 in den Schutz der zum „Nationaal Reduit“ ausgebauten Festung Antwerpen zurückgezogen hatte, erhielt Beseler den Auftrag, Flanke und Rücken des deutschen Umfassungsflügels gegen die zahlenmäßig deutlich überlegene belgische Gruppierung im Raum Antwerpen zu sichern. Bereits am 25./26. August 1914 sah sich das III. Reservekorps mit einem belgischen Ausfall konfrontiert, der in heftigen Kämpfen zurückgeschlagen werden musste. Nach Verstärkung durch die Marine­ division gelang es Beseler vom 9. bis 13. September, auch den zweiten großen Ausfall abzuwehren.14 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Oberste Heeresleitung (OHL) Beseler bereits den Auftrag zur Einnahme Antwerpens erteilt. Ein vor 1914 im Großen Generalstab erarbeiteter Angriffsplan hatte dafür einen Kräfteansatz von fünf Reservekorps vorgesehen. Beseler verfügte jedoch nur über drei Divisionen. Auch wenn diese später noch um die 4. Ersatzdivision, zwei gemischte Landwehrbrigaden sowie diverse Artillerieeinheiten verstärkt wurden, stand die derart konstituierte Armeegruppe Beseler vor einer kaum durchführbaren Aufgabe.15 Aufgrund des Mangels an Kräften und Munition sollte der Angriff nur an einem relativ schmalen Abschnitt im Südosten der Festung geführt werden. Dabei befanden sich Beselers Truppen selbst in höchst exponierter Lage und liefen Gefahr, ihrerseits von überlegenen belgischen und alliierten Kräften angegriffen zu werden.16 Tatsächlich kam der am 27. September beginnende deutsche Angriff nur knapp einem geplanten belgischen zuvor. Während die Infanterie das

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Vorgelände der Festung einnahm, wurden 173 schwere Geschütze, davon 13 schwerste Mörser der Kaliber 30,5 cm und 42 cm, auf Schussweite an den äußeren Fortgürtel herangebracht. Am 28. September eröffnete die Belagerungsartillerie das Feuer auf die Forts. Drei Tage später trat die Infanterie zum Sturm an und eroberte in wechselvollen Kämpfen bis zum 3. Oktober die südöstlichen Forts. Zu diesem Zeitpunkt verdichteten sich die Hinweise auf einen bevorstehenden Entsatz der Festung durch französische und britische Truppen. Beseler drängte daher zum beschleunigten Angriff auch auf den inneren Fortgürtel. Vom 3. bis 6. Oktober wurde unter großen Schwierigkeiten – behindert durch überflutetes Gelände und fortwährende Gegenangriffe – das Flüsschen Nete forciert und die Artillerie vorgezogen. Ab 7. Oktober wurden dann auch die inneren Forts unter Beschuss genommen. Als am Morgen des 9. Oktober die Forts 4 und 5 vom Gegner geräumt vorgefunden wurden, begann der letzte Akt der Kämpfe um Antwerpen.17 Während Vertreter der Stadtverwaltung mit Beseler über die Übergabebedingungen verhandelten und schließlich die Kapitulation unterzeichneten, schlossen deutsche Verbände Antwerpen nun auch von Westen ein. Doch sie kamen zu spät, um dem sich per Bahn und Straße nach Westen absetzenden belgischen Feldheer noch den Weg verlegen zu können.18 Gleichwohl hatte die Armeegruppe Beseler einen beachtlichen Erfolg errungen. Trotz äußerst ungünstiger Rahmenbedingungen war es ihr gelungen, eine der stärksten europäischen Festungen in lediglich 13 Tagen, im verkürzten Angriffsverfahren zu erobern. Beselers Expertise als Pionier und vormaliger Generalinspekteur der Festungen, „sein klarer Blick, sein treffendes Urteil, sein zielbewußtes, sicheres Handeln sowie seine außerordentlich geschickte Einwirkung“ auf die ihm unterstellten Truppen hatten daran – neben der überschweren Belagerungs­ artillerie und der mangelnden Initiative des zahlenmäßig überlegenen Gegners – entscheidenden Anteil. In Anerkennung dieser Leistung wurde Beseler mit dem Pour le Mérite ausgezeichnet.19 Nach dem Fall von Antwerpen verfolgte Beseler den zurückgehenden Gegner bis an die Yser und nahm dann im Rahmen der neu aufgestellten 4. Armee an der Ersten Flandernschlacht teil. Nachdem die deutsche Offensive hier gescheitert war, wurde Beselers III. Reservekorps bis Ende November 1914 zur Verstärkung der 9. Armee an die Ostfront verlegt. Hier konnte er im Sommer 1915 noch einmal seine besondere Befähigung zur Führung des Festungskrieges unter Beweis stellen. Ende Juli 1915 wurde Beseler vom Oberbefehlshaber Ost (Ober Ost) beauftragt, den

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Angriff auf Nowogeorgiewsk – die größte und stärkste der russischen Festungen – zu leiten. Wie schon vor Antwerpen waren auch hier die bereitgestellten Kräfte und Mittel denkbar knapp bemessen. Die neu gebildete Armeegruppe Beseler verfügte „über Truppen in Stärke von etwa vier Divisionen, die mit Ausnahme eines Teils der Belagerungsbatterien nur aus Landwehr und Landsturm bestanden und im ganzen rund 300 Geschütze einsetzen konnte, davon reichlich 100 schweres und 14 schwerstes Steilfeuer.“20 Angesichts des Umstandes, dass die verfügbare Angriffsinfanterie fast durchweg aus älteren Jahrgängen bestand, setzte Beseler primär auf eine überwältigende Artilleriewirkung. Begleitet von kleineren Ablenkungsangriffen wurden unter radikaler Zusammenfassung des Artilleriefeuers in einem schmalen Angriffsabschnitt an der Nordostfront zunächst Breschen in die gegnerischen Befestigungen geschossen. Dann wurden diese durch die dichtauf folgende Infanterie in teils noch heftigen Kämpfen eingenommen. Auf diese Weise arbeiteten sich die Angreifer fast zwei Wochen lang von den äußeren Forts bis zur Zitadelle der Festung hindurch. Mit dem Fall der Zitadelle war das Schicksal der Festung am 19. August 1915 besiegelt. 90 000 russische Soldaten kapitulierten und gingen in Gefangenschaft.21 Für Beseler markierte die Kapitulation von Nowogeorgiewsk das Ende seiner kurzen Feldherrnkarriere. Dekoriert mit dem Eichenlaub zum Pour le Mérite wurde er am 24. August 1915 zum Generalgouverneur des Generalgouvernements Warschau ernannt. Ohne größere Verwaltungserfahrung und ohne sich zuvor mit der polnischen Frage beschäftigt zu haben, wurde Beseler damit praktisch über Nacht zum Exponenten der deutschen Polenpolitik. In Briefen an seine Frau kommen sein Respekt vor der ihm übertragenen „riesenhaften Aufgabe“ und die Sorge, „ob etwas Staatsmann und Politiker in mir steckt“, klar zum Ausdruck.22 Mit Beginn des Ersten Weltkrieges stand das Projekt eines eigenständigen polnischen Staates und die Frage nach dessen territorialem Zuschnitt plötzlich wieder auf der Agenda der europäischen Großmächte. Sowohl Russland als auch die Mittelmächte weckten bei der polnischen Bevölkerung Hoffnungen auf politische Autonomie oder gar einen eigenen Staat, um sie für ihre Kriegszwecke zu instrumentalisieren. Während des ersten Kriegsjahres hatte dies aber fast ausschließlich propagandistischen Charakter. Mit dem großen Rückzug des russischen Heeres und der Besetzung Kongress-Polens durch die Mittelmächte, ergab sich im Sommer 1915

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­jedoch die Frage, was mit dem besetzten und nun in die Generalgouvernements Warschau und Lublin geteilten Gebiet geschehen sollte. Aus deutscher Sicht waren dabei möglichst zwei Ziele zu erreichen: die Sicherung des Reiches gegenüber Russland und die Einbindung der polnischen Gebiete in das Mitteleuropaprojekt der Reichsleitung. Für die Lösung der polnischen Frage ergaben sich somit drei grundsätzliche Optionen: 1. die Aufteilung Kongress-Polens zwischen Deutschland und ÖsterreichUngarn, 2. die Bildung eines deutsch kontrollierten Pufferstaates gegen Russland sowie 3. die sogenannte austro-polnische Lösung. Danach wäre der größte Teil Kongress-Polens der nun trialistisch zu reformierenden Habsburgermonarchie zugeschlagen worden. Zugleich hätte Deutschland den sogenannten „polnischen Grenzstreifen“ annektiert, um die Verteidigungsfähigkeit seiner Ostgrenze zu verbessern.23 Von Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg mit einer „gerechten und loyalen Verwaltung“ beauftragt, aber ohne klare politische Vorgaben machte sich Beseler mit seiner neuen Aufgabe vertraut. Beraten durch Bogdan von Hutten-Czapski, einen preußischen Politiker polnischer Herkunft, beschäftigte sich Beseler mit der „vertrackten“ polnischen Frage, reiste durchs Land und knüpfte Kontakte zu den verschiedenen politischen Strömungen.24 Bereits Ende 1915 legte Beseler mit seiner Denkschrift „Grundsätze für eine neue Landesverteidigung“ ein erstes Konzept für die Zukunft Kongress-Polens vor. Darin sprach er sich für die Annexion eines polnischen Grenzstreifens entlang der WartheNarew-Linie und gleichzeitig für die Bildung eines polnischen Pufferstaates als Bollwerk gegen Russland aus. Damit wurde Beseler zum Akteur in den äußerst schwierigen und langwierigen Auseinandersetzungen um die Lösung der polnischen Frage.25 Hier hatte er es mit einer hochkomplexen Akteurs- und Interessenkonstellation zu tun. Weder auf deutscher noch auf österreichisch-ungarischer Seite und erst recht nicht zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn herrschte Einigkeit über den einzuschlagenden Weg. Die polnische Seite stellte sich politisch noch stärker fragmentiert dar. Kennzeichnend war dabei, dass die große Gruppe der Nationaldemokraten mit der Entente sympathisierte, während Pilsudskis Sozialisten und die „Passivisten“ nur eingeschränkt zur Zusammenarbeit mit den Mittelmächten bereit waren. Lediglich die kleine Gruppe der konservativ und monarchistisch eingestellten „Ultraaktivisten“ unterstützte die Politik der Besatzungsmächte. Eine stringente Politik war unter diesen Umständen kaum möglich. Insbesondere der Reichskanzler lavierte zwischen den antipolnisch ein-

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gestellten preußischen Eliten, der sich zunehmend verselbstständigenden Baltikumspolitik des Ober Ost, den Forderungen der OHL nach kriegswirtschaftlicher Ausbeutung der besetzten Gebiete sowie dem österreichungarischen Verbündeten. Damit verbunden waren handfeste Zielkonflikte in Beselers Besatzungspolitik. In dem Bestreben, in der polnischen Bevölkerung Sympathien für Deutschland zu wecken, unterstützte Beseler den Aufbau der polnischen Verwaltung, eröffnete die Warschauer Hochschulen wieder, förderte polnische Kultureinrichtungen und gewährte auch für patriotische Kundgebungen weitgehende Freiräume. Gleichzeitig ächzte das Land aber unter der Ausbeutung durch die Besatzungsmacht. Während Agrarprodukte und Bodenschätze rigoros der deutschen Kriegswirtschaft zugeführt wurden, hungerte die polnische Bevölkerung. Als dann auch noch Kirchenglocken beschlagnahmt und Arbeitskräfte zwangsrekrutiert wurden, kam es zu heftigen, auch gewaltsamen Protesten.26 Immerhin machte sich Bethmann, der zunächst der austro-polnischen Lösung zugeneigt hatte, im Sommer 1916 zögerlich die Idee des polnischen Pufferstaates zu eigen. Angesichts der deutlich verschlechterten Kriegslage erhofften sich Reichsleitung und OHL in Polen einen neuen Verbündeten, der die Kriegsanstrengungen der Mittelmächte möglichst bald mit einer „polnischen Wehrmacht“ unterstützen sollte. Nach einigem Hin und Her proklamierten Beseler und sein österreichisch-ungarischer Kollege Karl Kuk am 5. November 1916 in Warschau bzw. Lublin das Königreich Polen. Allerdings hatte dieses einstweilen weder einen König noch eine Regierung und vor allem kein klar definiertes Territorium. Beseler plädierte zwar vehement für die Gründung eines polnischen Staates. Doch gleichzeitig forderte er die Annexion eines verkleinerten Grenzstreifens entlang der Bobr-Narew-Linie. Zum Ausgleich sollte der neue polnische Staat Gebietsentschädigungen im Osten erhalten.27 Reagierte die polnische Bevölkerung auf die Proklamation daher bereits nur mäßig begeistert, so sorgte Beselers nächster Schritt, die Veröffentlichung eines Werbeaufrufs für die neue polnische Armee am 9. November 1916, für massive öffentliche Proteste – ohne polnische Regierung könne es auch keine polnische Armee geben. Die Einsetzung des 25-köpfigen Staatsrates im Januar, die Benennung des den noch fehlenden ­Monarchen vertretenden Regentschaftsrates im September sowie schließlich die Einsetzung eines polnischen Ministerpräsidenten im November 1917 kamen zu spät, um die wachsende Ablehnung gegenüber den Besatzungsmächten noch verhindern zu können.

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Bereits in seinem Bericht vom 20. Dezember 1916 war Beselers vorübergehender Optimismus einer trüben Lagebeurteilung gewichen. Angesichts deren zunehmend renitenter Haltung fürchtete Beseler, dass er bald gegen Jozef Pilsudski und seine Anhänger vorgehen müsse, was dann aber zum offenen Aufstand gegen die Besatzungsmacht führen könnte. Bei der OHL schlug Beselers Bericht wie eine Bombe ein. Paul von Hindenburg sah darin eine politische „Bankrotterklärung“ und forderte – ­a llerdings erfolglos – Beselers umgehende Ablösung.28 Von nun an wurde seine Tätigkeit als Generalgouverneur immer mehr zu einer „Leidensgeschichte“.29 Der Aufbau der „polnischen Wehrmacht“ kam nur schleppend voran, bevor im Juli 1917 die „Eidkrise“ die vorangegangenen Bemühungen weitgehend zunichtemachte. Die von Beseler maßgeblich mitgetragene deutsche Polenpolitik hatte sich spätestens jetzt als illusionär erwiesen. So sah Beseler seine Aufgabe nun vor allem darin, „den Wirrwarr in einer für uns möglichst vorteilhaften Weise aufzulösen.“30 Die Chancen dafür verschlechterten sich jedoch rapide. Mit den 14 Punkten von US-Präsident Woodrow Wilson hatte die von den Mittelmächten propagierte Lösung der polnischen Frage aus polnischer Sicht massiv an Wert verloren. Damit schrumpften die Handlungsspielräume für Beseler, der im Januar 1918 zum Generaloberst befördert worden war, noch mehr. Angesichts der sich abzeichnenden Niederlage der Mittelmächte wurde Beselers Position schließlich im Oktober 1918 unhaltbar. Ohne klare Richtlinien aus Berlin und ohne militärische Unterstützung durch die OHL stand er auf verlorenem Posten. Hilflos musste er der Machtübernahme durch polnische Politiker und Paramilitärs sowie der Selbstauflösung seiner Truppen im Zuge der Novemberrevolution zusehen. Nachdem das Generalgouvernement faktisch nicht mehr existierte und er am 9. November den Kaiser telegrafisch um seine Ablösung gebeten hatte, verließ er Warschau im Morgengrauen des 12. November 1918 inkognito auf einem von Pilsudski bereitgestellten Weichseldampfer. Als kranker Mann kehrte Beseler nach Berlin zurück. Hier sah er sich alsbald den Vorwürfen nationalistischer Kreise ausgesetzt, die seine Politik als zu polenfreundlich und seine Abreise aus Warschau als schändliche Flucht verurteilten. Obschon er in einem von ihm selbst beantragten Kriegsgerichtsverfahren 1919 rehabilitiert wurde, war sein Ruhm als Sieger von Antwerpen und Nowogeorgiewsk dahin. Am 20. Dezember 1921 starb er als gebrochener Mann in einem Neubabelsberger Sanatorium.

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CHRISTIAN TH. MÜLLER

Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Conze, Polnische Nation, S. 106f. Rogge, Beseler, S. 372. Conze, Polnische Nation, S. 108. Ebd., S. 109. Rogge, Beseler, S. 377. Ebd., S. 379. Ebd., S. 379. Brief vom 16.5.1893, zitiert nach: Conze, Polnische Nation, S. 109. Brief vom 21.8.1893, zitiert nach: Conze, Polnische Nation, S. 109. Conze, Polnische Nation, S. 110. Rogge, Beseler, S. 379. Beseler, Soldatenberuf. Beseler, Gedanken. Beseler, Wehrpflicht. Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Bd. 5, S. 221f. Ebd., S. 222–224. Tschischwitz, Antwerpen 1914, S. 25. Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Bd. 5, S. 225f. Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Bd. 5, S. 237–240. Tschischwitz, Antwerpen 1914, S. 55. Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Bd. 5, S. 240. Tschischwitz, Antwerpen 1914, S. 100f. Reichsarchiv, Der Weltkrieg, Bd. 8, S. 276. Ebd., S. 377–379. Briefe vom 24.8.1915 und vom 3.9.1915, zitiert nach: Conze, Polnische Nation, S. 113. Conze, Polnische Nation, S. 123. Ebd., S. 114. Geiss, Grenzstreifen, S. 111. Kauffman, Elusive alliance, S. 56. Conze, Polnische Nation, S. 130. Lemke, Allianz und Rivalität, S. 318. Geiss, Grenzstreifen, S. 37f. Rogge, Beseler, S. 383. Brief vom 4.7.1917. Zitiert nach Geiss, Grenzstreifen, S. 41.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 30, Nachlass Hans von Beseler, 86 Aufbewahrungseinheiten, 1,7 laufende Meter, darunter seine persönlichen Kriegstagebücher, umfangreiche Korrespondenz und seine unveröffentlichten Lebenserinnerungen.

Gedruckte Quellen und Literatur Beseler, Hans von, Vom Soldatenberufe, Berlin 1912. Beseler, Hans von, Die Allgemeine Wehrpflicht. Ein Gedenkwort zum 17. März, Berlin 1913. Beseler, Hans von, Gedanken über Ausbildung und Truppenübungen, Berlin 1913. Conze, Werner, Beseler, Hans von, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 176. Conze, Werner, Polnische Nation und deutsche Politik im Ersten Weltkrieg, Köln / Graz 1958 (= Ostmitteleuropa in Vergangenheit und Gegenwart 4).

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GENERALOBERST KARL VON EINEM GEN. VON ROTHMALER

Geiss, Imanuel, Der polnische Grenzstreifen 1914–1918. Ein Beitrag zur deutschen Kriegszielpolitik im Ersten Weltkrieg, Lübeck 1960. Kauffman, Jesse, Beseler, Hans von, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, DOI: 10.15463/ie1418.10830. Kauffman, Jesse, Elusive Alliance. The German Occupation of Poland in World War I, Cambridge, Massachusetts 2015. Lemke, Heinz, Allianz und Rivalität. Die Mittelmächte und Polen im ersten Weltkrieg (bis zur Februarrevolution), Wien 1977 (= Quellen und Studien zur Geschichte Osteuropas, Bd. 18). Rogge, Helmuth, Hans von Beseler [1850–1921], in: Pommersche Lebensbilder 1 (1934), S. 371–390. Tschischwitz, Erich von, Antwerpen 1914. Unter Benutzung der amtlichen Quellen des Reichsarchivs, Oldenburg i. O. 1925 (= Schlachten des Weltkrieges, 3).

Generaloberst Karl von Einem gen. von Rothmaler von Carsten Siegel

K

arl Wilhelm Georg August Gottfried von Einem (seit Namensvereinigung 1884) genannt von Rothmaler wurde am Neujahrstag des Jahres 1853 in Herzberg am Harz als ältester Sohn des königlich hannoverischen Rittmeisters George August von Einem und von Julie von Einem geb. von Hedemann in eine Familie mit langer Militärtradition hineingeboren. Sein Großvater väterlicherseits, Gottfried von Einem, diente unter anderem als Adjutant Wellingtons, sein Urgroßvater mütterlicherseits war kein Geringerer als der Freikorpsführer Wilhelm von Dörnberg.1 Nach der Niederlage Hannovers im Deutschen Krieg trat Einem im Mai 1867 auf eigenen Wunsch in die preußische Kadettenanstalt Bensberg am Rhein ein, die er aber bereits nach einem Jahr in Richtung Hauptkadettenanstalt Berlin-Lichterfelde wieder verließ. Mit gerade einmal 17 Jahren erhielt von Einem am 3. August 1870 seine Einberufung zur Ersatzschwadron des Ulanen-Regiments Nr. 14 in Münster. Mit seinem Regiment nahm er 1870/71 unter anderem an der Belagerung von Metz und der Schlacht um Amiens teil. Nach der Rückkehr des Regiments nach Deutschland avancierte der junge Leutnant zum Regiments- und später,

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ab 1876, zum Brigade-Adjutanten der 8. Kavallerie-Brigade in Erfurt. In dieser Stellung machte er die Bekanntschaft mit der Tochter seines Kommandeurs Marie von Rothmaler, welche er schließlich am 26. September 1877 heiratete. Seit dem 1. Mai 1880 zur Dienstleistung im Generalstab kommandiert, wurde er nur ein Jahr später dauerhaft in diesen versetzt. Das war umso ungewöhnlicher, da Einem nur die Kriegsschule in Kassel, nicht aber die Kriegsakademie in Berlin besucht hatte. Dies spricht dafür, dass er einerseits einflussreiche Fürsprecher hatte, andererseits aber auch als besonderes Talent angesehen wurde. Zwischen 1882 und 1898 gelang Einem eine beachtliche Karriere mit immer wieder wechselnden Verwendungen in Truppe und Generalstab. So führte er unter anderem zwischen Januar 1894 und Oktober 1895 als Oberstleutnant das Kürassier-Regiment Nr. 4, um im Anschluss als Oberst den Posten des Generalstabschefs des VII. Armeekorps in Münster zu bekleiden.2 Eine auch für seine weitere Karriere einschneidende Veränderung stellte die Versetzung ins preußische Kriegsministerium im September 1898 dar. Dort übernahm er zunächst den Posten des Chefs der Armee-Abteilung, bevor er am 22. Mai 1900, inzwischen Generalmajor, zum Direktor des Allgemeinen Kriegs-Departments aufstieg, womit er de facto zum Stellvertreter von Kriegsminister Heinrich von Goßler avancierte. Die zunehmende Unzufriedenheit Kaiser Wilhelms II. mit seinem Kriegsminister sowie die immer stärker hervortretende Ablehnung des Reichstages diesem gegenüber führte am 10. Mai 1903 zu Goßlers Entlassung. Einem wurde zuerst vorläufig mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Ministers betraut und nur wenige Wochen später, am 14. August 1903, auch offiziell zum preußischen Kriegsminister ernannt.3 Mit seiner Ernennung stieg Einem in eines der höchsten und verantwortungsvollsten Ämter auf, welches die preußisch-deutsche Armee zu bieten hatte. Unter Zeitgenossen galt es aber gleichzeitig auch als die undankbarste Aufgabe, die Heer und Staat zu vergeben hatten.4 Das preußische Kriegsministerium war die oberste Militärverwaltungsbehörde des Deutschen Reiches, verfügte selbst aber über keinerlei Kommandobefugnisse gegenüber der Armee. Als Kriegsminister verantwortete er die Ausbildung und Organisation des Heeres sowie die Entwicklung und ­ ­Ein­führung neuer Waffen und Ausrüstung. Auch oblag Einem, der das Parlament und seine Vertreter verachtete, die Vertretung der Interessen der Armee nach außen, das heißt gegenüber Regierung und Reichstag. Trotz dieses Umstandes gewann er schnell das Vertrauen sowohl seiner Untergebenen als auch das der Mehrheit des Reichstages. Er galt als

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Karl von Einem auf einer Porträtaufnahme um 1910

­ erson „von scharfem Verstande, bewundernswert schneller Auffassung, P größter Gewandtheit in Schrift und Wort, erstaunlichem Gedächtnis, [und] großer Geschicklichkeit in mündlichen Verhandlungen.“5 Außerdem gehörte er in seiner Position zu den engsten militärischen Beratern des Monarchen. Dabei kam ihm zugute, dass er mit dem zeitweise schwierigen Naturell des Kaisers umzugehen wusste und sich gegen ­d iesen häufig durchzusetzen verstand. Demgegenüber stand eine gewisse Scheu vor Konflikten. Einem machte nie einen Hehl aus seiner Ablehnung gegenüber dem Reichstag und plädierte im engeren Kreis sogar zeitweise für die Abschaffung des bestehenden Reichstagswahlrechts.6 Auch empfand er eine tief sitzende Aversion gegenüber der Sozialdemokratie. Dass er eigenem Bekunden nach niemals einem Sozialdemokraten bewusst die Hand gereicht hatte, schrieb er noch in seinen Erinnerungen mit Stolz.7 Für das

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preußisch-deutsche Militär sah er in der wachsenden Zahl sozialdemokratisch gesinnter Rekruten eine Gefahr für das innere Gefüge der Truppe und deren Zuverlässigkeit, weshalb er sie von Amts wegen bekämpfte. So beantragte er etwa am 17. April 1907 bei der Reichsanwaltschaft die Einleitung eines Strafverfahrens gegen Karl Liebknecht wegen dessen Schrift Militarismus und Antimilitarismus. Dieser wurde daraufhin vom Reichsgericht wegen Vorbereitung zum Hochverrat verurteilt. Einems Amtszeit als Kriegsminister war vor allem durch rüstungs­ politische Zurückhaltung geprägt. Anfänglich plädierte er im Einvernehmen mit seinem Amtsvorgänger sowie mit Reichskanzler Bernhard von Bülow für eine qualitative statt quantitative Rüstung des Heeres.8 Für ihn war die organisatorische Entwicklung der Armee vorerst abgeschlossen. Nun galt es, bestehende Lücken in Ausrüstung und Bewaffnung zu schließen und die innere Qualität des Heeres zu heben. Hintergrund dieser Politik war sein Bestreben, ein politisch zuverlässiges und sozial homogenes Offizierkorps zu erhalten, also wenn möglich eine Absenkung der Ansprüche an die Herkunft der Rekruten zu vermeiden.9 Im Kontext eines solchen standeskonformen Offizierkorps muss sicherlich auch seine Rede vor dem Reichstag im Gefolge der Harden-Eulenburg-Affäre gedeutet werden, in welcher er seine Abscheu gegenüber homosexuellen Offizieren äußerte. Er forderte diese zum Verlassen der Armee auf und drohte ihnen andernfalls mit „Vernichtung“.10 Vor allem aber zwang die schlechte Finanzlage des Reiches, versursacht unter anderem durch die immense Flottenrüstung, zu einer rigiden finanziellen Selbstbeschränkung. So verschob er in seiner Amtszeit mehrfach Heeresvorlagen in der Hoffnung, später günstigere Bedingungen für deren Durchsetzung zu finden. Er ging sogar so weit, von sich aus einen ausdrücklichen Verzicht auf die vollständige Durchführung der Wehrpflicht auszusprechen – ein Vorgehen, welches schlussendlich zu einem mehrjährigen rüstungspolitischen Stillstand bei den deutschen Landstreitkräften führte.11 Sosehr er sich auch gegen eine personelle Vermehrung des Heeres stemmte, umso aufgeschlossener zeigte er sich gegenüber der technischen Modernisierung der Armee. So kam es unter seiner Ägide zur dringend notwendigen Umrüstung der Artillerie auf moderne Rohrrücklaufgeschütze und zur Einführung des Gewehrs Modell 98. Außerdem unterstützte er die Entwicklung der Luftschiffe des Grafen Zeppelin. Ebenso nachhaltig wie seinerzeit umstritten war zudem die Einführung feldgrauer Uniformen, welche General von Einem auch gegen den anfänglichen Widerstand des Kaisers durchsetzte.12

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Der ständige Kampf um finanzielle Mittel für die Belange des Heeres und die Art und Weise der Bülow’schen Regierungsführung brachten Karl von Einem zusehends in Konflikte mit der Reichsleitung. Daher verwundert es kaum, dass er den Rücktritt Bülows am 14. Juli 1909 begrüßte. Er selbst bat nur wenige Wochen später darum, von seinen Pflichten als preußischer Kriegsminister entbunden zu werden. In seinen Memoiren begründete er dies zum einen mit der Ankündigung des neuen Kanzlers Theobald von Bethmann Hollweg, an der rigiden Sparpolitik festzuhalten, zum anderen mit gesundheitlichen Problemen und Amtsmüdigkeit.13 General von Einem wurde vom Kaiser daraufhin zum 1. September 1909 als Kommandierender General des VII. Armeekorps in Münster eingesetzt. In dieser Funktion war Einem oberster Soldat im Bereich seines Armeekorps und nur dem Kaiser selbst verpflichtet, bei dem er Immediatrecht genoss. Er trug die Verantwortung für alle Truppen in seinem Korpsbezirk und hatte deren Ausbildung zu überwachen. Bei inneren Unruhen konnte er aber ferner die vollziehende Gewalt von den zivilen Stellen übernehmen. Dieser Fall trat 1912 während des großen Bergarbeiterstreiks ein, als er Truppen zur Beendigung des Streiks einsetzte, wobei er durchaus umsichtig agierte und eine weitere Eskalation der Situation vermied.14 An der Spitze seines VII. Armeekorps zog Karl von Einem schließlich 1914 im Verband der 2. Armee unter Generaloberst Karl von Bülow in den Ersten Weltkrieg. Kaum in Eupen aus dem Zug gestiegen, erhielt er am 8. August das Kommando über die Belagerungstruppen vor Lüttich. Sofort ließ er die verlustreichen wie erfolglosen Frontalangriffe der Infanterie einstellen. Mithilfe der extra zu diesem Zwecke vor dem Krieg aufgestellten schweren Belagerungsartillerie gelang es seinen Truppen bis zum 16. August, sämtliche Festungswerke zur Kapitulation zu zwingen.15 Im weiteren Verlauf des Vormarsches durch Belgien und Nordfrankreich bildete Einems VII. Armeekorps das rechte Flügelkorps der 2. Armee und damit die Verbindung zur 1. Armee von Generaloberst Alexander von Kluck. Einem weilte damit im entscheidenden Augenblick am Brennpunkt des Westfeldzuges. Und er schien das drohende Unglück an der Marne frühzeitig zu erahnen. So wies er bereits am 4. September in seinem Tagebuch auf den bedenklichen Umstand hin, dass die 1. und 2. Armee ohne Zusammenhang agieren würden.16 Außerdem erkannten Einem und sein Stab bereits früh die immer weiter klaffende Lücke zwischen beiden Armeen. In den folgenden Tagen äußerte er immer wieder sein völliges Missfallen über die operativen Maßnahmen Bülows, dessen

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Agieren er für verrückt hielt, da es die Lücke zur 1. Armee stetig größer werden ließ und so die Gefahr einer Trennung der beiden Großverbände erhöhte.17 Der Ausgang der Schlacht an der Marne bestätigte schließlich die Befürchtungen Einems. Schon während des Vormarsches berichtete Einem mehrfach über ­A ngriffe der belgischen Zivilbevölkerung auf seine Einheiten.18 Über die Folgen schrieb er bereits am 10. August an seine Frau: „Hier hat sich wenig geändert, doch scheint die hinterlistige und abscheuliche Mordgier der Belgier im Abflauen durch das energische Vorgehen unsererseits. Wir haben leider sehr viel sengen und brennen müssen und viele Bewohner haben ihr Land eingebüßt.“19 Einem hielt die deutschen Repressalien gegenüber der belgischen Zivilbevölkerung, das heißt Erschießungen und das Anzünden ganzer Dörfer und Städte, für notwendig und legitim. Kriegsverbrechen konnte er darin jedenfalls nicht erblicken. Die Niederlage des preußisch-deutschen Heeres an der Marne hatte weitreichende, auch personelle Konsequenzen für das Westheer. So erhielt General von Einem am 12. September das Kommando über die 3. Armee von Generaloberst Max von Hausen. Dem sich nun im Verlauf des Herbstes und Winters 1914/15 auch im Frontabschnitt seiner Armee entwickelnden Graben- und Stellungskrieg konnte er von Anfang an wenig abgewinnen, da dieser die Moral der Soldaten schwer schädige. Auch würden die ständigen Artillerieangriffe die Psyche der Soldaten schwer belasten und keine operativen Ergebnisse liefern. Von den Leistungen seiner Soldaten zeigte er sich während des Krieges immer wieder tief beeindruckt. Er empfand tiefen Respekt für deren Mut und Durchhaltewillen. Trotz der schweren Strapazen während der langen Märsche und an der Front kämpften sie tapfer und diszipliniert.20 Ebenfalls kritisch äußerte er sich ab Mitte 1915 über die Verwendung neuartiger Kriegsmittel, allen voran von Giftgas, da diese Kriege nicht ausrotten, sondern nur furchtbarer machen und damit den Hass zwischen den Völkern schüren würden. Darüber hinaus beklagte er bereits am Tag des erstmaligen Giftgas-Einsatzes in einem Brief an seine Frau den zunehmenden Mangel an Ritterlichkeit in diesem Kriege.21 Nichtsdestoweniger kam auch an seinem Frontabschnitt bis Kriegsende immer wieder Giftgas zum Einsatz. Seine erste Bewährungsprobe als Oberbefehlshaber der 3. Armee erlebte er bei der Abwehr des französischen Durchbruchsversuchs in der Champagne zwischen Reims und den Argonnen im Winter 1915. Ihm und seinen Truppen gelang es, den Durchbruch der zahlen- und materialmäßig deutlich überlegenen französischen Armee zu verhindern. Besonders

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drückend wirkte sich dabei der massive Munitionsmangel auf deutscher Seite aus, ein Problem, das nach dem Krieg auch Einem und seinem Wirken als Kriegsminister angelastet wurde. Nachdem ein erneuter Durchbruchsversuch im Herbst 1915 durch die 3. Armee abgewiesen werden konnte, blieb die Front in diesem Bereich, mit Ausnahme einer erneuten französischen Offensive 1917, bis zur deutschen Sommeroffensive 1918 weitestgehend ruhig. Bereits im Januar 1915 zum Generaloberst befördert und für seine Leistungen in der Winterschlacht am 15. März mit dem Pour le Mérite ausgezeichnet, verblieb Einem bis 1918 in seiner Stellung. Ob dies nun als besondere Wertschätzung seiner defensiven Fähigkeiten verstanden werden kann oder eher als Abschieben an einen verhältnismäßig ruhigen Frontabschnitt, bleibt dabei aufgrund fehlender Quellen unklar – ungewöhnlich war es auf jeden Fall. Die relative Ruhe an seinem Frontabschnitt ermöglichte es Einem, die aktuellen politisch-militärischen Geschehnisse eingehend zu analysieren sowie in Briefen und Tagebucheinträgen zu kommentieren. So beschäftigte er sich etwa ab 1916 intensiv mit der Frage des uneingeschränkten U-Boot-Krieges, dessen Aussetzung er für einen schweren Fehler und für das Eingeständnis deutscher Schwäche durch die Regierung Bethmann Hollweg hielt.22 Auch er glaubte den Versprechungen der Marineleitung, dass der U-Boot-Krieg Großbritannien innerhalb weniger Monate an den Verhandlungstisch bringen würde. Dementsprechend erfreut reagierte er am 1. Februar 1917 auf die Entscheidung für dessen Wiederaufnahme. Die wenig später folgende Kriegserklärung der USA konnte dabei sein Gefühl, von einem enormen Albdruck befreit worden zu sein, nicht trüben.23 Einem nahm an, dass die amerikanischen Verstärkungen nicht, oder wenigstens zu spät, über den Atlantik nach Europa gelangen würden. Zweifel am Erfolg der U-Boote kamen ihm erst ab Juni 1918. Weder war es bis dahin gelungen, den Transport von 700 000 bis 900 000 amerikanischen Soldaten auf den europäischen Kontinent zu verhindern, noch zeigte sich Großbritannien friedensbereit. Die Verantwortung dafür sah er sowohl bei der Marineführung, die völlig unrealistische Versprechungen gemacht hatte, als auch beim Reichskanzler, der zu lange mit dem uneingeschränkten U-Boot-Krieg gezögert hatte.24 Ein ähnlich zögerliches und übertrieben nachgiebiges Verhalten warf er der Regierung wenig später bei den Friedensverhandlungen mit Russland in Brest-Litowsk vor. Einem begrüßte die revolutionären Entwicklungen in Russland seit Februar 1917 freudig, wirkten diese doch zum Vorteil des preußisch-deutschen Heeres an der Ostfront. Einzig der Umgang mit der

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russischen Zarenfamilie stieß Einem, dem überzeugten Anhänger der Monarchie, übel auf. In den russischen Entwicklungen sah er zudem all seine Vorurteile und Befürchtungen über das Wesen und Wirken der ­Sozialdemokratie bestätigt und fürchtete ähnliche Auswüchse auch in Deutschland.25 Nach der Unterzeichnung des Friedens am 3. März 1918 war er aber optimistisch, den Krieg im Westen mit den Truppen aus dem Osten innerhalb eines Jahres beenden zu können.26 Das Schicksalsjahr 1918 brachte für das preußisch-deutsche Heer im Westen eine letzte große Operation, in deren Verlauf auch Einems 3. Armee noch einmal zur Offensive beiderseits von Reims überging. Nach deren Scheitern zog sie sich im Herbst 1918, von amerikanischen Verbänden hart bedrängt, in die Maas-Antwerpen-Stellung zurück. Wie seine Aufzeichnungen aus der Kriegszeit erkennen lassen, sorgte sich Karl von Einem schon seit Mitte 1916 um den Fortbestand der Mo­ narchie in Deutschland. Durch die zunehmende Stärkung parlamenta­ rischer Kräfte mit immer weiterführenden Zugeständnissen, etwa den Wahlrechtsänderungen für das preußische Abgeordnetenhaus im April 1917, sah Einem die „Republik im Anmarsch“.27 Daher überraschten ihn die Ereignisse an der Heimatfront ab August 1918 nicht sonderlich. Schuld an der kriegsmüden und revolutionären Stimmung im Reich hätten dabei auch die ständigen euphorischen Siegesmeldungen der offiziellen Stellen, die Erwartungen geweckt hätten, deren Nichterfüllung nun zu großer Enttäuschung unter der Bevölkerung führen musste.28 Auf einen Sieg rechnete Einem ab August 1918 nicht mehr, sondern hoffte nur noch auf einen erträglichen Frieden und den Erhalt der Monarchie. Deren Sturz am 9. November 1918 und den Waffenstillstand zwei Tage später kommentierte er verbittert in seinem Tagebuch mit den Zeilen: „Wir sind tief gedemütigt und zugrunde gerichtet. […] Selig die Toten, die das nicht zu erleben brauchten!“29 Das Ende des Krieges brachte für Einem doch noch einmal eine Veränderung. Nach der Abdankung Kaiser Wilhelms II. und dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes übernahm er das Kommando über die Heeresgruppe des deutschen Kronprinzen, da dieser infolge seines Thronverzichts ebenfalls den Weg ins Exil antreten musste. Er führte seine Truppen geordnet ins Reich zurück und wurde dort letztendlich am 18. Januar 1919 zur Disposition gestellt, womit eine fast 50-jährige Militärkarriere ihr Ende fand. Nach dem Krieg wurde es vorerst ruhig um den ehemaligen Generaloberst. Erst Ende der 1920er-Jahre trat er wieder stärker in die Öffentlich-

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keit, als er begann, sich für die konservativen Kräfte, vor allem für die DNVP unter Alfred Hugenberg, politisch zu engagieren. So nahm er unter anderem auf dessen Einladung an der Gründungsveranstaltung der Harzburger Front am 11. Oktober 1931 teil. Auch nutzte er seine guten Kontakte zum inzwischen zum Reichspräsidenten gewählten Paul von Hindenburg und warb bei diesem intensiv für eine Kanzlerschaft Hugenbergs.30 Dieser lehnte jedoch eine Berufung des DNVP-Führers ab, was im weiteren Verlauf zu einer zunehmenden Entfremdung der beiden ehemaligen Kriegskameraden führte. Höhepunkt dieser Entwicklung war die Reichspräsidentenwahl 1932, als Einem es in seiner Funktion als Vorsitzender des Waffenrings der Deutschen Kavallerie ablehnte, eine Wahlempfehlung für Hindenburg auszusprechen.31 Er begründete dies damit, dass dieser der Kandidat der Sozialdemokratie und des Zentrums sei. Sein Hass auf die SPD hatte sich durch die Ereignisse der Jahre 1918/19 noch einmal gesteigert und war inzwischen unversöhnlich.32 Seine Mitgliedschaft in der nationalistisch-monarchistischen Vereinigung „Bund der Aufrechten“, deren „Erster Bundesführer“ er ab Februar 1933 wurde, zeigte seine weiterhin ungebrochene monarchistische Gesinnung.33 Trotzdem begrüßte er die Machtübernahme Adolf Hitlers, obwohl er der Bewegung des Nationalsozialismus durchaus kritisch gegenüberstand. So nutzte er nach 1933 sein Ansehen und seine Kontakte, um verfolgten Personen zu helfen. Beispielsweise intervenierte er erfolgreich für die einstige Klavierlehrerin seiner Tochter, die ihre Anstellung aufgrund ihres jüdischen Glaubens verloren hatte. Auch ehemaligen Kriegs- und Regimentskameraden versuchte er zu helfen.34 Gesundheitlich zusehends beeinträchtigt und in den letzten Monaten seines Lebens an das Bett gefesselt, starb Einem am 7. April 1934 in Mühlheim an der Ruhr. Generaloberst Karl von Einem gehörte unzweifelhaft zur militärischen Elite des Deutschen Kaiserreiches. Als preußischer Kriegsminister schon früh in die oberste Führungsriege des preußisch-deutschen Militärs aufgestiegen, gehörte er lange Zeit auch zum engsten Kreis um Wilhelm II. Als militärischer Führer erwarb er sich während des Weltkrieges den Ruf eines Defensivspezialisten an der Westfront. Ungeachtet seiner militärischen Expertise und seiner kritischen Reflexion des deutschen Agierens im Großen Krieg, blieb er wie viele seiner Kameraden zeitlebens geprägt von einer konservativ-monarchistischen Einstellung. Diese äußerte sich beispielsweise in seiner aggressiv geäußerten Homophobie. Darüber hinaus zeigte sie sich in der genüsslich gepflegten Feindschaft gegenüber der Sozialdemokratie gepaart mit der Ablehnung

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parlamentarischer Mitbestimmung, die ihn in der Spätphase der Weimarer Republik an die Seite der Deutschkonservativen brachte. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20

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Gackenholz, Einem, S. 394; sowie: Möller-Witten, General v. Einem, S. 12–19. Einem, Erinnerungen, S. 11–47. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 244. Ebd., S. 27. Zitiert nach: ebd., S. 244. Förster, Der doppelte Militarismus, S. 110. Einem, Erinnerungen, S. 67. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 245f. Ebd., S. 246. Rede Einems im Reichstag, abgedruckt in: Verhandlungen des Reichstages, Band 229, 12. Legislaturperiode, 61. Sitzung, 29.11.1907, S. 1913–1916. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 264. Einem, Erinnerungen, S. 89f. Ebd., S. 156. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 88. Herwig, Marne, S. 116. Tagebucheintrag vom 4.9.1914, in: Einem, Armeeführer, S. 47. Tagebucheintrag vom 7.9.1914, in: ebd., S. 51. Brief an Marie von Einem, 8.8.1914, BA-MA, N 324/36, Bl. 4. Brief an Marie von Einem, 10.8.1914, BA-MA, N 324/36, Bl. 5. Vgl. dazu u. a.: Tagebucheintrag vom 5.3.1915, in: Einem, Armeeführer, S. 105; Tagebucheintrag vom 31.8.1914, in: ebd., S. 44; sowie Brief an Marie von Einem, 9.8.1918, in: ebd., S. 448. Tagebucheintrag vom 11.6.1915, in: ebd., S. 125; sowie Brief an Marie von Einem, 23.4.1915, in: ebd., S. 117. Briefe an Marie von Einem, 19.8.1916 und 4.2.1917, in: ebd., S. 250 und 281. Tagebucheintrag vom 1.2.1917, in: ebd., S. 280f. Briefe an Marie von Einem, 4.2.1917 und 16.8.1918, in: ebd., S. 281 und 426. Briefe an Marie von Einem, 16.3. und 20.3.1917, in: ebd., S. 293f. Brief an Marie von Einem, 20.12.1917, in: ebd., S. 356f. Briefe an Marie von Einem, 8.4. und 12.7.1917, in: ebd., S. 297 und 326. Briefe an Marie von Einem, 16.8. und 24.8.1918, in: ebd., S. 425 und 428f. Tagebucheintrag vom 11.11.1918, in: ebd., S. 468. BA-MA, N 324/28, Heft 1, Bl. 81–122. An den Waffenring der Deutschen Kavallerie vom 18.2.1932, in: BA-MA, N 324/29, Heft 2, Bl. 9. Brief an Hindenburg, 7.4.1932, in: BA-MA, N 324/29, Heft 2, Bl. 136f. Schriftwechsel zur Übernahme des Amtes als Bundesführer und Dankesschreiben des Kaisers, in: BA-MA, N 324/30, Heft 3, Bl. 59–61; sowie Hofmann, „Wir sind das alte Deutschland“. Vgl. zum Fall Stern: BA-MA, N 324/30, Heft 3, Bl. 61 (Stern), sowie zum Fall Jaffé: BA-MA, N 324/30, Heft 3, Bl. 72f.

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Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Karl von Einem, N 324, 64 Auf bewahrungseinheiten, darunter vor allem Tagebuchaufzeichnungen, Notizen aus seiner Amtszeit als Kriegsminister und aus dem Ersten Weltkrieg, sowie umfang­ reiche Korrespondenzen.

Gedruckte Quellen und Literatur Alter, Junius (Hrsg.), Ein Armeeführer erlebt den Weltkrieg. Persönliche Aufzeichnungen des Generalobersten v. Einem, Leipzig 1938. Einem, Karl von, Erinnerungen eines Soldaten 1853–1933, Leipzig 1937. Förster, Stig, Der doppelte Militarismus. Die deutsche Heeresrüstungspolitik zwischen Status-quo-Sicherung und Aggression 1890–1913, Stuttgart 1985 (= Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz 118). Gackenholz, Hermann, „Einem, Karl von“, in: Neue Deutsche Biographie 4 (1959), S. 394–395. Hofmann, Arne, „Wir sind das alte Deutschland, Das Deutschland, wie es war …“ Der „Bund der Aufrechten“ und der Monarchismus in der Weimarer Republik, Frankfurt am Main 1998 (= Moderne Geschichte und Politik 11). Möller-Witten, Hans, General v. Einem. Eine Erinnerungsgabe für den Generalobersten und preußischen Kriegsminister Karl v. Einem, gen. v. Rothmaler anläßlich seines 100. Geburtstages am 1. Januar 1953, Essen 1952. Stein, Oliver, Die deutsche Heeresrüstungspolitik 1890–1914. Das Militär und der Primat der Politik, Paderborn 2007 (= Krieg in der Geschichte 39).

General der Infanterie Erich von Falkenhayn von Holger Afflerbach

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rich von Falkenhayn, der am 11. September 1861 in Graudenz geboren wurde und am 8. April 1922 in Schloss Lindstedt bei Potsdam starb, war eine der wichtigsten militärischen und politischen Persönlichkeiten des späten Wilhelminismus. Eine außergewöhnliche soldatische Karriere brachte ihn an die Spitze des deutschen Heeres. Falkenhayn war von 1913 bis 1915 preußischer Kriegsminister und von 1914 bis 1916 Generalstabschef und damit Oberkommandierender der deutschen Armee. Er muss

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Generalstabschef Erich von Falkenhayn (Foto um 1913/14)

dem kleinen Kreis europäischer Politiker, Diplomaten und Militärs zugerechnet werden, die während der Julikrise 1914 über Krieg und Frieden zu entscheiden hatten. Der General zählt damit zu den Mitverantwort­ lichen für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und hat später, als Generalstabschef, die deutsche Strategie der ersten beiden Kriegsjahre geprägt. Das Thema Soldatentum und Krieg dominierten Falkenhayns Leben in ungewöhnlicher und fast ausschließlicher Weise. Schon seine Familie – Falkenhayn war, vom familiären Hintergrund her, ein „preußischer Junker“ – war militärisch geprägt. Von seinen fünf Brüdern wurden vier Berufssoldaten, einer Reserveoffizier; seine einzige Schwester heiratete einen späteren General. Mit zehn Jahren kam Falkenhayn in die Kadettenanstalt, machte dort Abitur, wurde Leutnant, durchlief seine soldatische Laufbahn, bis er, als bereits todkranker Mann, 1919 seinen Abschied erhielt. Seine militärische Karriere führte ihn ganz nach oben. Er kam als Oberleutnant in die Generalstabsausbildung, was bereits ein bedeutender Karrieresprung war, den nur die Tüchtigsten schafften. Doch dann, im

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Jahre 1896, nahm er als Hauptmann plötzlich seinen Abschied und ging als Militärinstrukteur nach China. Dieser Schritt war für einen preußischen Offizier äußerst ungewöhnlich und es wurde von den Zeitgenossen vermutet, Falkenhayn habe wegen Spielschulden die Armee verlassen müssen. In Wahrheit jedoch nahm er den Posten als Militärinstrukteur mit kaiserlichem Segen an; der Schritt hing mit dem deutschen Versuch zusammen, den Einfluss in Ostasien auszubauen. Falkenhayn blieb nicht lange in chinesischen Diensten und wechselte zuerst in das gerade er­ worbene Pachtgebiet von Kiaochow, dann, im Zusammenhang mit dem ­Boxerkrieg, zum Ostasiatischen Expeditionskorps und später zur Ostasiatischen Besatzungsbrigade über; er war auch der deutsche Vertreter in der Militärregierung in Tientsin. Als er 1903 nach Deutschland zurückkehrte, stieg er durch Tüchtigkeit und kaiserliche Protektion sehr schnell zum General auf. Seine Karriere erreichte einen ersten Höhepunkt, als er im Juli 1913 zum preußischen Kriegsminister ernannt wurde. In dieser Funktion hatte er eine wichtige Rolle in der Zabern-Affäre; seine forsche Verteidigung der parlamentsunabhängigen Kommandogewalt trug wesentlich dazu bei, dass sich dieser Kasernenhofskandal zu einer schweren parlamentarischen Krise ausweiten konnte. Falkenhayn hatte eine Blitzkarriere gemacht. Und trotzdem war er mit seinem Leben nicht zufrieden. Aus einem privaten Briefwechsel mit Con­ stantin von Hannecken, einem in Nordchina tätigen deutschen Unternehmer, geht hervor, dass Falkenhayn sich im Kasernenalltag und vor allem bei der Stabsarbeit tödlich langweilte. Er fühlte sich nicht als „richtiger Generalstäbler“1 und träumte davon, als Militärberater nach China zurückzugehen und sich mit dem hohen Gehalt finanziell sanieren zu können. Und in gleicher Weise ersehnte er sich als militärischer Aktivist dringlichst einen europäischen Krieg. Das Leben eines Friedenssoldaten empfand er als unerträglich öde.2 Deshalb übte er an Kaiser Wilhelm II. wegen dessen angeblicher Friedensliebe auch immer wieder scharfe Kritik. Doch muss gefragt werden, ob Falkenhayn, als er 1913 als preußischer Kriegsminister eine einflussreiche Stellung erreicht hatte, diesen Gefühlen Taten folgen ließ und tatkräftig mitwirkte, den Weltkrieg herbeizuführen. Gelegenheit dazu bot sich ihm nach der Ermordung Erzherzog Franz Ferdinands in Sarajevo am 28. Juni 1914. Falkenhayn nahm als preußischer Kriegsminister an den entscheidenden Sitzungen im Juli 1914 teil. Sein Einfluss war aber begrenzt: Als Kriegsminister war er für die Organisation, Ausrüstung und Mobilmachung des Heeres zuständig, aber nicht für dessen Führung; dies war Aufgabe des Generalstabschefs,

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also des jüngeren Moltke, dessen Einfluss auf die politischen Entscheidungen in der Julikrise 1914 weit größer war. In der Besprechung am 5. Juli 1914 („Blankoscheck“) glaubte Falkenhayn nicht, dass sich die österreichisch-ungarische Regierung trotz energischer Worte tatsächlich zum Handeln aufraffen würde, er unterschätzte also die Entschlossenheit der Wiener Regierung zur Eskalation. Im weiteren Verlauf der Julikrise gab es einen deutlichen Unterschied zwischen Falkenhayn und Generalstabschef Moltke, der den kommenden Weltkrieg für eine europäische Katastrophe hielt und ihn trotzdem herbeiwünschte. Moltke schwankte unter dem Gewicht der gewaltigen Verantwortung, befürwortete aber aus strategischen Gründen den Krieg. Auch Falkenhayn versuchte nicht, den Konflikt zu verhindern, sondern presste auf möglichst frühe Mobilmachung. Gemeinsam mit Moltke, dessen Schwanken und Zögern ihn enervierte, suchte er durch Druck auf Kaiser und Reichskanzler den Kriegsausbruch zu beschleunigen. Falkenhayn glaubte bei seinem Drängen einerseits, auf die Kriegsvorbereitungen der anderen Seite antworten zu müssen. Andererseits wird aus seinen tagebuchähnlichen Aufzeichnungen offensichtlich, dass er sich den Krieg auch in diesen entscheidenden Tagen herbeisehnte. Damit war er absolut kein Einzelfall im deutschen Offizierkorps; aber selten kann ein zu großen Teilen nichtpolitischer, aktivistischer Kriegswunsch so klar belegt werden wie bei ihm. Bei Kriegsbeginn war er begeistert. Zu Reichskanzler Bethmann Hollweg sagte er, mitgerissen vom Enthusiasmus der Menge in Berlin, am 4. August 1914: „Und mögen wir auch darüber zu Grunde gehen, schön wars doch!“3 Allerdings wusste Falkenhayn, dass dieser Krieg – anders als es der Kaiser den Truppen versprochen hatte – nicht vorbei sein würde, „bevor das Laub von den Bäumen fällt.“ Er sprach von einem „furchtbar ernsten Ringen“, das „mindestens eineinhalb Jahre“ dauern werde, und äußerte sich bei Kriegsausbruch sogar skeptisch über die deutschen Siegeschancen.4 Moltke hatte sich in der Julikrise so fahrig und nervös gezeigt, dass der Chef des Militärkabinetts, Moriz Freiherr von Lyncker, sich schon bei Kriegsausbruch nach einem Nachfolger umsah, der in der Lage sein sollte, im Notfall Moltkes Aufgaben sofort übernehmen zu können. Er fragte Falkenhayn, ob er bereitstünde; und dieser bejahte die Frage. Falkenhayn zog mit dem deutschen Hauptquartier, mit Kaiser und Generalstab ins Feld. Dort blieb ihm, als Kriegsminister, zunächst wenig mehr zu tun übrig, als im Hauptquartier in Luxemburg an Moltkes Operationsführung und dessen sklavischem Festhalten am Schlieffen-Plan herumzunörgeln und sich mit

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diesem darüber vollkommen zu zerstreiten. Nach der Marneschlacht, am 14. September 1914, war es dann so weit. Moltke, der wegen dieser Rückschläge nervös und überreizt war, wurde vom Militärkabinett abgesetzt und Falkenhayn übernahm die Führung der deutschen Armeen, wenn auch zunächst nur kommissarisch, aber ab November 1914 auch offiziell. Er hielt zunächst am bisherigen strategischen Konzept fest: Die Erringung des Sieges im Westen gegen Frankreich sollte der Ausgangspunkt für den siegreichen Kriegsausgang sein. Er glaubte, durch Umgruppierungen der Angriffsarmeen und Ausgreifen nach Westen die Westmächte doch noch überflügeln zu können, wurde aber in den Flandernschlachten des Herbst 1914 (Ypern und Langemarck) eines Besseren belehrt. Die enormen Verluste dieser ergebnislosen Offensive beschädigten Falkenhayns Reputation außerordentlich. Die Front erstarrte Ende Oktober / Anfang November 1914 endgültig im Schützengrabenkrieg, der sich schon im September angekündigt hatte. Spätestens Anfang November 1914 erkannte Falkenhayn die Unmöglichkeit, noch einen entscheidenden Durchbruch erzielen zu können. Hier zeigte sich, dass er lernfähig war; zunehmend verfestigte sich bei ihm die Ansicht, dass ein Durchbruch und damit die Schlachtentscheidung im Schützengrabenkrieg an der Westfront nicht mehr erwartet werden dürfe und auch erst nach Erfindung neuer technischer Mittel gelingen könne. Gedrückt durch die Misserfolge an der Westfront und beklemmenden Munitionsmangel wog er nüchtern die langfristigen Perspektiven des Krieges ab und kam zu dem Ergebnis, dass die Entente bei Mobilisierung ihrer weltweiten Ressourcen noch beträchtlich zulegen und die Mittelmächte irgendwann durch das immer ungünstigere Stärkeverhältnis er­ drücken werde. Falkenhayn zog daraus die Folgerung, dass so bald wie möglich ein politischer Ausweg aus dem Krieg gesucht werden müsse. Er teilte dem Reichskanzler am 18. November 1914 mit, dass die deutsche Armee nicht mehr in der Lage sei, auf militärischem Wege den Sieg zu erzwingen, und dass deshalb politische Schritte erforderlich seien. Er schlug eine neue Strategie vor, die auf seinen eigenen politischen und strategischen Einschätzungen basierte. Falkenhayn hielt Russland für einen durch Größe und Bevölkerungsstärke unbezwingbaren Gegner, dem man zwar schwere Niederlagen zufügen, ihn aber niemals vollständig niederwerfen könne. Im Falle ­ Frankreichs spielten in Falkenhayns Einschätzung sowohl politische wie historische Erwägungen eine Rolle. Der westliche Nachbar war für ihn ein Gegner, dessen Unterlegenheit gegenüber dem Deutschen Reich seit

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1870 eine Tatsache war, die nicht erneut bewiesen zu werden brauchte; auch hier befürwortete er einen Separatfrieden. Den eigentlich gefähr­ lichen Feind sah Falkenhayn in Großbritannien. Er schlug dem Kanzler eine dieser Einschätzung entsprechende Strategie vor: Sonderfrieden mit Frankreich und Russland, anschließend die Niederzwingung Großbritannien durch die Marine, wenn es nicht nach dem Ausscheiden der kontinentalen Verbündeten von sich aus aufgebe. Um die Friedensverhandlungen nicht zu erschweren, schlug Falkenhayn gegenüber beiden kontinentalen Gegnern einen Annexionsverzicht vor. Diese Warnung des obersten Soldaten hatte aber nicht die Konsequenzen, die man erwarten sollte. Bethmann Hollweg glaubte Falkenhayn nicht und hielt ihn für einen Schwarzseher, der die Nerven verloren habe. Er wandte sich stattdessen an Paul von Hindenburg und dessen Gehilfen Erich Ludendorff, die beide infolge des Sieges bei Tannenberg und als Retter Ostpreußens vor der russischen Invasion mythischen Ruhm nicht nur in der Armee, sondern auch in der Bevölkerung genossen. Beide vertraten die Ansicht, der deutsche militärische Schwerpunkt sollte nun in den Osten verlegt und Russland durch schwere Niederlagen aus dem Krieg gedrängt werden. Das wiederum harmonierte mit Ideen Bethmann Hollwegs und des Auswärtigen Amtes, den Sinn des Krieges in einer ­Zurückdrängung Russlands und der Schaffung einer Pufferzone in Osteuropa zu sehen. Somit prallten zwei Konzepte der politischen und militärischen Führung aufeinander: Falkenhayns Erkenntnis der deutschen Schwäche und der daraus resultierende Wunsch nach einem Sonder­ frieden vorzugsweise mit Russland und Bethmann Hollwegs, von Hindenburg und Ludendorff lebhaft unterstützter Plan eines militärischen Sieges gegen Russland. Die Chancen für einen Sonderfrieden waren gering, da sich die Entente-Staaten am 4. September 1914 im Londoner Abkommen verpflichtet hatten, keinen Separatfrieden abzuschließen. In Großbritannien und Frankreich konnten sich die Befürworter eines alliierten Siegfriedens gegen die Vorstöße Andersdenkender immer durchsetzen und über den gesamten Krieg hinweg die Linien der Kriegspolitik bestimmen. Und ähnlich war es, zumindest in den ersten beiden Kriegsjahren, auch in Deutschland. Auch deshalb blieb eine dritte Alternative neben Sieg- oder Separatfriedensstrategie sowohl von Falkenhayn als auch von Bethmann im November 1914 unerörtert: ein Friedensangebot an die gesamte Entente. Falkenhayn nahm an, dieses würde als Schwäche ausgelegt werden und die Gegner nur anspornen, nicht entmutigen.

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Es gelang ihm im Winter 1914/15, die militärische Krise des November 1914 zu überwinden. Die Westfront widerstand auch den mit großer Überlegenheit geführten Frühjahrsangriffen der Franzosen. Aus strategischem Zwang heraus musste Falkenhayn im Frühjahr 1915 dann doch eine Offensivoperation an der Ostfront einleiten. Dies lag daran, dass die österreichisch-ungarische Armee gegen die Russen immer weiter zurückging; schon in den ersten Kriegsmonaten hatte sie schwere Verluste erlitten und Territorium preisgeben müssen. Auch zeichnete sich ab, dass Italien, durch die österreichische Schwäche verlockt, zur Eroberung der „irredenten Gebiete“ Trient und Triest in den Krieg eintreten würde. Um die österreichische Ostfront zu stützen und damit Italien abzuschrecken, organisierte Falkenhayn einen Entlastungsangriff an der österreichischen Ostfront in Galizien. Dieser – der Durchbruch von Gorlice-Tarnów, begonnen am 2. Mai 1915 – entwickelte sich zum größten deutschen Sieg des Ersten Weltkriegs. Die Verfolgung der geschlagenen russischen Armeen wurde ein strategischer Erfolg mit großen Auswirkungen auf den gesamten weiteren Kriegsverlauf und führte in seiner Fortsetzung bis in den Herbst 1915 hinein nicht nur zur Befreiung weiter, bisher russisch besetzter österreichischer Gebiete, sondern auch zur Eroberung RussischPolens und von Teilen des Baltikums. Doch, darin im scharfen Gegensatz zu Hindenburg und Ludendorff, war und blieb Falkenhayn an der Eroberung weiter Landstriche im Osten desinteressiert. Stattdessen drängte er den Reichskanzler schon im Mai 1915, die militärischen Erfolge zu einem Sonderfriedensangebot an Russland auszunutzen – auch „unter Verzicht auf jeden Landerwerb“ im Osten. Dieser Vorstoß scheiterte weniger an der lauwarmen Haltung des Kanzlers als vielmehr am Zaren, der diese historische Chance, sein Land, seine Regierung, seine Familie und seine Person zu retten, ablehnte; er begründete sein Nein mit der Loyalität gegenüber seinen Verbündeten. Das Kriegsjahr 1915 war für die Mittelmächte das erfolgreichste des gesamten Krieges. Zu den Erfolgen an der Ostfront gesellte sich die erfolgreiche Abwehr im Westen und an den Dardanellen sowie die Eroberung Serbiens im Herbst 1915. Für Falkenhayn stellte sich nun die Frage, wie er diesen Krieg jetzt weiterführen sollte. Immerhin schien eines erreicht: die Brechung der russischen Offensivkraft. Nun wollte Falkenhayn durch ähnliche Teilschläge den Kriegswillen der Westmächte brechen: Durch einen Angriff gegen Verdun sollten die Franzosen friedensbereit gemacht und durch die Erklärung des warnungslosen

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U-Boot-Krieges die Briten zum Nachgeben gezwungen werden. Hier sehen wir erneut seine Konzeption begrenzter Schläge: Er zielte nicht auf einen militärischen Totalsieg ab, sondern auf die „Ermattung“ der Gegner, um ein letztlich politisches Kriegsende zu ermöglichen. Der Angriff auf Verdun wurde von Falkenhayn im Dezember 1915 konzipiert. Er stellte sich vor, dass mithilfe von starker Artillerie, aber nur beschränktem infanteristischem Einsatz – zehn Divisionen aus der Heeresreserve – eine lang gezogene Höhenlinie vor dieser wichtigen französischen Festung im Handstreich erobert werden sollte. Dort sollte dann schwere deutsche Artillerie postiert werden. Die Festung Verdun wäre damit dem deutschen Beschuss hilflos ausgeliefert gewesen. Dem französischen Oberkommando würden nur zwei Alternativen bleiben: Verdun zu räumen, was für Deutschland ein gewaltiger, wenn auch nicht kriegsentscheidender Erfolg gewesen wäre, oder aber, was Falkenhayn als wahrscheinlich annahm, zur Rückeroberung der Höhenlinien anzutreten, um diese Bedrohung auszuschalten. Falkenhayn wollte die Franzosen also, im buchstäblichen Sinne, zu einer „uphill battle“ zwingen, die scheitern musste und ihnen gewaltige Verluste zufügen würde. Daran knüpfte er auch die Hoffnung, die Briten würden ihren wankenden Verbündeten durch einen überhasteten Entlastungsangriff stützen müssen, zu dessen Abwehr er einen beträchtlichen Teil seiner Reserven zurückhielt. Also wollte er auch die Briten zum verlustreichen Angriff im Schützengrabenkrieg zwingen. Eng damit verbunden waren Falkenhayns Forderungen, den unbeschränkten U-Boot-Krieg wieder aufzunehmen. Die, wie die anglophobe Fraktion in der deutschen Führung, allen voran Falkenhayn und Tirpitz, glaubte, von einer kühl rechnenden Handelsoligarchie regierte Inselnation würde den Krieg abbrechen, wenn es infolge des warnungslosen U-Boot-Krieges an ihre eigene Substanz ginge – und das wäre bei der Versenkung wesentlicher Teile ihrer Handelsflotte, vielleicht sogar einer Hungersnot in Großbritannien der Fall. Allerdings besaß die Marine zur Durchführung einer effektiven Blockade der Britischen Inseln nicht die nötige Zahl an Hochsee-U-Booten. Tirpitz half sich, indem er die Zahl einsatzbereiter U-Boote manipulierte, unter anderem durch Hinzunahme der im Bau befindlichen und reiner Küsten-U-Boote. Falkenhayn wiederum hinterfragte die Angaben der Marine nicht und versuchte auch dem kritischeren Reichskanzler, der den unbeschränkten U-Boot-Krieg verhindern wollte, die Einmischung in eine Ressortangelegenheit der anderen Teilstreitkraft zu verwehren.

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Falkenhayns Kriegsplan für 1916 fußte auf grundfalschen und unmilitärischen Spekulationen. Er basierte auf der Hoffnung, dass nicht geschlagene und militärisch auch nicht zu schlagende Gegner die Nerven verloren und aufgaben, obwohl sie bei kühlem Kopf weiterkämpfen konnten. Ursache für diese eigenartige Form der Kriegsplanung, die nicht mehr auf die stärkeren Bataillone, sondern auf völkerpsychologische Betrachtungen setzte und strategische Fehler der anderen Seite fest einkalkulierte, war allerdings die vollständige Alternativlosigkeit der Politik, das heißt Bethmanns, ein politisches Kriegsende herbeiführen zu können und zu wollen; und die wachsende Verzweiflung Falkenhayns, der angesichts der von ihm oftmals eingestandenen kräftemäßigen Unterlegenheit der deutschen Armeen nicht wusste, wie er den Krieg zu Ende bringen sollte, bevor die deutschen Kräfte erschöpft waren. Falkenhayn konnte sich in der Frage des unbeschränkten U-Boot-Krieges gegen die Diplomaten, die dies mit Rücksicht auf das neutrale Amerika verhindern wollten, nicht durchsetzen, wohl aber setzte er den Angriff gegen die Franzosen in die Tat um. Der Angriff auf Verdun war eine Idee von zynischer Genialität, die, wenn alles wie geplant funktioniert hätte, für die Franzosen unangenehme Folgen hätte haben können. Die Voraussetzung zu ihrem Erfolg war aber die rasche Einnahme der entscheidenden Höhenlinien vor der Festung. Der Angriff begann am 21. Februar 1916. Er misslang jedoch aufgrund verschiedener taktischer Fehler, die Falkenhayn zu verantworten hatte; vor allem war die Angriffsarmee infantristisch zu schwach berechnet und der Angriff wurde gegen das Anraten aller Experten nur auf einem Maasufer vorgetragen. Das Ergebnis war jedoch schlimmer als ein sofortiges Scheitern; der Angriff wurde ein verhängnisvoller halber Erfolg. Es wurden spektakuläre Anfangserfolge erzielt, wie die Eroberung von Fort Douaumont, die nicht einfach wieder aufgegeben werden sollten; die erreichte Linie war aber taktisch so ungünstig, dass sie auf Dauer nicht zu halten war. Stattdessen entschieden Falkenhayn und der Stabschef der vor Verdun kämpfenden 5. Armee, Konstantin Schmidt von Knobelsdorf, im langsamen Vorkämpfen die ursprünglich erstrebte Linie doch noch zu erreichen. Beide halfen sich auch gegenseitig über zahlreiche Momente des Zweifelns hinweg; diese waren allerdings nur zu berechtigt. Die Kämpfe waren bald schon für die deutschen Truppen sehr verlustreich; die Opfer wurden von Falkenhayn aber in Kauf genommen, da er die französischen Verluste weit überschätzte und glaubte, dass die Franzosen bedeutend stärker litten. Ursprünglich hatte er nur mit den Verlusten gerechnet, die

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den Franzosen beim Angriff auf die Höhenlinie entstehen sollten; jetzt, da die deutschen Truppen die andere Hälfte dieser Höhenlinie erst noch erobern mussten und ebenfalls stark litten, tröstete er sich mit dem Gedankengang, dass sein Plan zwar nicht wie vorausberechnet funktioniert hatte, aber doch gut genug und die Franzosen proportional derart stärker litten als die Deutschen, dass sie irgendwann keine Soldaten – wie man damals sagte, kein „Menschenmaterial“ – mehr haben würden. Jeder deutsche Soldat, der fiel, war in dieser Sicht zu verantworten, denn für ihn fielen, wie Falkenhayn glaubte, drei Franzosen. Tatsächlich lag die Verlustbilanz am Ende der Kämpfe vor Verdun aber nur bei 1:1,1 zu deutschen Gunsten. Falkenhayn schaffte es nicht, das schon Ende Februar 1916 im Kern misslungene Unternehmen einfach abzubrechen, sondern krallte sich fest und ließ den Angriff monatelang weiterlaufen. Doch ist hier zu erwähnen – nicht zu seiner Entlastung, sondern zur historischen Einordnung eines solchen Verhaltens –, dass die politischen Planer und die militärischen Stäbe ihr Ziel, den Krieg zu gewinnen, höher einschätzten als die Opfer, die dies kostete. Bethmann Hollweg, Clemenceau und Lloyd George waren infolge ihrer Weigerung, den Krieg politisch und auf dem Kompromissweg beenden zu wollen, indirektere, aber keine geringeren Schlächter als Falkenhayn, Joffre oder Haig. Hinzu kam, dass in allen Planungsstäben des Ersten Weltkriegs Soldaten nicht als Menschen, sondern wie ein Nachschubartikel behandelt wurden. Auch Falkenhayn gab mehrfach die typische Anweisung aus, „Männer und Munition“ zu sparen. Angesichts der angeblichen „Ausblutungs-Erfolge“ vor Verdun, eines österreichischen Sieges gegen die Italiener und der Passivität aller Gegner rechnete Falkenhayn im Mai 1916 mit dem Sieg noch im Herbst 1916, spätestens im Frühjahr 1917. Da schien es zunächst nur ein Schönheitsfehler zu sein, als die Russen bei einem überraschenden Angriff bei Luck Ende Juni 1916 einen Abschnitt der österreichischen Front überrannten, obwohl sie zahlenmäßig dem Verteidiger kaum überlegen waren. Es dauerte Wochen, bis Falkenhayn und der Generalstab den Ernst der Lage erkannten. Sie mussten den Österreichern mit umfangreichen Truppenentsendungen aushelfen, um ihren Zusammenbruch zu verhindern. Doch es kam noch schlimmer: Die Alliierten griffen im Juli 1916 an allen Fronten an. Mit den gleichzeitigen Angriffen an der Somme, am Isonzo und der Brussilow-Offensive nahmen sie die Mittelmächte in die Zange. Allerdings erwies sich der alliierte Angriff an der Somme für Franzosen wie Briten schnell als ungeheurer Fehlschlag. Die Briten hatten schon am

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ersten Angriffstag fast 60 000 Verluste zu beklagen, und kein Erfolg wog die Opfer auf. Falkenhayn gelangte Mitte Juli 1916 zu der Erkenntnis, dass im Westen „die Situation ernst und schwer“ sei, allerdings würde die Westfront halten.5 lm Osten wollte die Stabilisierung der Österreicher trotz des immer größeren Einsatzes deutscher Reserven, die als „Korsettstangen“ zur Stützung der österreichischen Front beitragen sollten, hingegen nicht richtig gelingen. In dieser Situation kam es erneut zum Strategiestreit in der deutschen Führungsspitze. Bethmann war nunmehr entschlossen, Falkenhayn auszutauschen. Sein Konzept des unbedingten Vorranges der Westfront schien falsch, denn die Westfront hielt zwar, aber die russischen Erfolge gegen die Österreicher drohten den Krieg zu entscheiden. Aktive Schützenhilfe erhielt der Reichskanzler dabei von Hindenburg und Ludendorff, die ihren Befehlsbereich an der Ostfront auszuweiten suchten; gleichzeitig arbeiteten sie auf die Ablösung Falkenhayns hin. Diesem gelang es zunächst, sich gegen seine Opponenten zu behaupten. Doch nahm die Kritik an seiner Führung ebenso wie die Nervosität der deutschen Führung infolge des Allfrontenangriffes weiter zu. Wie angespannt die Lage war, sieht man an der Entwicklung der Heeresreserven: Anfang 1916 hatte das Deutsche Reich eine Heeresreserve von 25½ Divisionen, die im August 1916 auf eine einzige Division zusammengeschrumpft war.6 Noch hielten die Fronten, aber jede weitere, auch nur kleine Belastung drohte den Zusammenbruch nach sich zu ziehen. Als Ende August 1916 die Wucht der alliierten Angriffe bereits wieder abzunehmen begann und sich die Lage leicht entspannte, trat Rumänien, verleitet durch die militärische Schwäche Österreich-Ungarns, an alliierter Seite in den Krieg ein. Das war der Todesstoß für Falkenhayn, der den sich ankündigenden Kriegseintritt des Agrarlandes Rumänien erst für Ende September, nach der Ernte erwartet hatte. Am 28. August 1916 wurde er durch Hindenburg und Ludendorff ersetzt. Der Wechsel des Generalstabschefs war nicht nur ein Personenwechsel, es war ein Wechsel in der gesamten Strategie und, um mit dem Historiker Gerhard Ritter zu sprechen, ein „epochaler Abschnitt“ in der Geschichte des Deutschen Reiches.7 Falkenhayn hatte viele Fehler begangen, von denen die Flandernschlachten und Verdun zu Lande, der von ihm geforderte unbeschränkte U-Boot-Krieg zur See die schwersten waren. Er hatte von seinen Soldaten Ungeheuerliches verlangt und ihren massenhaften Tod mit einem Zynismus in Kauf genommen, der sein Andenken für immer verdunkeln wird. Andererseits hatte er, was das Strategische angeht, den Blick für das

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Mögliche nicht verloren, war deshalb gegen das Streben nach einem Totalsieg eingetreten und hatte auf ein politisches Kriegsende hingearbeitet. Er hatte Annexionen abgelehnt und befürwortete im Wesentlichen den Status quo. Sein Credo war: „Wenn wir den Krieg nicht verlieren, haben wir ihn gewonnen.“8 Mit Ludendorff und seinem nominellen Chef Hindenburg kehrten nun ein anderer Geist und ein anderes Konzept des Krieges im Generalstab ein.9 Dies war ein Wechsel mit ungeheuren historischen Fernwirkungen. Der wesentliche strategische Unterschied war, dass Ludendorff glaubte, durch geschickte strategische Dispositionen und unter Anspannung aller Kräfte den militärischen Sieg gegen einen nicht kompromissbereiten Gegner erfechten und ihm den deutschen Willen aufzwingen zu können. Er zog den militärischen Totalsieg als einzige realistische Möglichkeit des Kriegsendes – neben der Niederlage – in Betracht. Die historischen Folgen des Führungswechsels im August 1916 gehen weit über den Ersten Weltkrieg hinaus. Ludendorff war nicht nur an der Überspannung der deutschen Kräfte schuld, die in der Niederlage des Jahres 1918 gipfelte. Seine Überzeugung von der Bezwingbarkeit Russlands und seine Pläne eines deutsch kontrollierten Osteuropas formten das Weltbild deutscher Offiziere der Zwischenkriegszeit und sind ein direkter Vorläufer der katas­ trophalen Ideen, die hin zum Unternehmen „Barbarossa“ führten. Nach seiner mit Haltung hingenommenen Ablösung war Falkenhayn ein resignierter und gebrochener Mann. Er war nicht freiwillig ausgeschieden und hatte das Gefühl, versagt zu haben. Der General verbrachte den Rest seines Lebens damit, vor dieser nur halb eingestandenen Erkenntnis zu fliehen. Falkenhayn konnte aber noch einige wichtige Kommandos übernehmen. Im Herbst 1916 wurde er als Armeeführer gegen Rumänien eingesetzt und konnte dort durch einen brillanten Feldzug, der nach wenig mehr als zwei Monaten zur Eroberung Bukarests führte, sein militärisches Renommee wieder auffrischen. Mit dieser Offensive, einer der eindrucksvollsten des Ersten Weltkriegs, hatte Falkenhayn sich selbst, den Zeitgenossen und der Nachwelt gezeigt, dass er ein großer militärischer Könner war. Danach wurde er in die Türkei entsandt, um die Wiedereroberung Bagdads in die Wege zu leiten; tatsächlich erzwangen es die strategischen Umstände, dass er sich in Wahrheit um die Verteidigung Palästinas kümmern musste. Hier scheiterte er, wofür aber die äußerst ungünstigen Umstände, die Überlegenheit der Alliierten, die katastrophalen Nachschubverbindungen und die Erschöpfung und Unterernährung der türkischen Truppen die Hauptursache waren. Es gelang Falkenhayn

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nicht, Jerusalem gegen die Briten zu verteidigen. Stattdessen erwarb er ein ganz anderes, großes Verdienst: Er beschützte die jüdischen Siedler in Palästina gegen eine von den Osmanen geplante Umsiedelung, die wegen deren angeblicher Kollaboration mit den Alliierten geplant wurde, und verhinderte damit, dass diese sich, wie bei den Armeniern 1915, vielleicht zu einem Völkermord entwickelt hätte. 1918 wurde er aus der Türkei abberufen und verbrachte den Rest des Krieges als Armeeführer an der Ostfront, wo er jedoch, nach dem Friedensschluss von Brest-Litowsk, nur noch eine Besatzungsarmee kommandierte. Schon hier zeigten sich die ersten Symptome einer dann zum Tode führenden Krankheit, nämlich einer Niereninsuffizienz. Er kehrte im ­Januar 1919 nach Deutschland zurück und nahm, bereits schwer krank, seinen Abschied. Physisch und psychisch äußerst mitgenommen, außerdem angefeindet durch seine Gegner in der Generalität und der Öffentlichkeit schrieb er seine Memoiren. Im Mai 1920 mietete er das Schlösschen Lind­stedt bei Potsdam, das ihn finanziell zu ruinieren drohte. Am 8. April 1922 starb Falkenhayn und wurde unter großem militärischem Gepränge auf dem Friedhof Bornstedt in Potsdam beigesetzt. Falkenhayns Geschichte ist die eines Mannes, bei dem sich vernünftige, abgewogene, sachliche Anschauungen ebenso nachweisen lassen wie höchst unvernünftige, ja mörderische Ideen. Er gehörte zu der alten Schule preußischer Militärs, die, bei allen Fehlern, in Kategorien der begrenzten deutschen Möglichkeiten dachten und deshalb uferlose Welteroberungspläne ablehnten. Er kann stellvertretend für jene Generation wilhelminischer Offiziere genommen werden, die sich aus einer Mischung von militärischem Aktivismus und soldatischem Überlegenheitsgefühl in erschreckender Leichtfertigkeit einen Krieg herbeisehnten. Für Falkenhayn war die Aussicht, sich als Soldat im Krieg bewähren zu können, offenbar wichtiger als die politischen Momente, die gegen einen solchen Krieg sprachen und die er kannte und offenbar auch für zutreffend hielt. Hier trug Falkenhayn eine ungeheure Verantwortung, der er nicht gerecht geworden ist. Seine Führung von 1914 bis 1916 zeigt ebenfalls ein Doppelgesicht: Seine Einsicht in die beschänkten deutschen Möglichkeiten, sein Streben nach einem politischen Kriegsende und seine flexible Anpassung an die strategischen Notwendigkeiten verdienen Anerkennung, sein überlanges Festhalten an den nutzlosen Massenschlächtereien vor Ypern und vor Verdun hingegen und der Zynismus, mit dem er hohe Verluste in Kauf nahm und rechtfertigte, schärfste Kritik. Falkenhayns Kriegstreibereien vor 1914 und dann vor allem der „Ausblutungsgedanke“, mit dem er

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das Massaker vor Verdun erklärte und rechtfertigte, verdunkeln sein Andenken bis heute und überschatten die positiven Seiten seiner militärischpolitischen Tätigkeit während des Ersten Weltkriegs. Anmerkungen 1 Afflerbach, Falkenhayn, S. 60. 2 Ebd., S. 50f. 3 Tagebucheintrag Kurt Riezlers vom 22.11.1914, gedruckt in: Riezler, Tagebücher, Aufsätze, Dokumente, S. 226–229. 4 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 41f.; 46f. 5 Afflerbach, Falkenhayn, S. 423. 6 Ebd., S. 446. 7 Ritter, Staatskunst und Kriegshandwerk, Bd. 3, S. 249. 8 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 514. 9 Nebelin, Ludendorff.

Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Erich von Falkenhayn, N 2069, neun Auf bewahrungseinheiten, enthält vor allem Briefe an den Freund Constantin von Hanneken sowie sonstigen Schriftwechsel. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Bestand RH 61 („Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt“): Zahlreiche Studien, die sich mit Falkenhayn und seiner Operationsführung beschäftigen.

Gedruckte Quellen und Literatur Afflerbach, Holger, Falkenhayn: Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, 2. Aufl., München 1996. Falkenhayn, Erich von, Die Oberste Heeresleitung 1914–1916 in ihren wichtigsten Entschließungen, Berlin 1920. Foley, Robert T., German Strategy and the Path to Verdun. Erich von Falkenhayn and the Development of Attrition, 1870–1916. Cambridge 2005. Foerster, Wolfgang, Falkenhayns Plan für 1916. Ein Beitrag zur Frage: Wie gelangt man aus dem Stellungskriege zu entscheidungssuchender Operation? In: Militärwissenschaftliche Rundschau 2 (1937), S. 304–330. Guth, Ekkehard P., Der Gegensatz zwischen dem Oberbefehlshaber Ost und dem Chef des Generalstabes des Feldheeres 1914/15. Die Rolle des Majors v. Haeften im Spannungsfeld zwischen Hindenburg, Ludendorff und Falkenhayn, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 35 (1984), S. 75–111. Janßen, Karl-Heinz, Der Kanzler und der General. Die Führungskrise um Bethmann Hollweg und Falkenhayn, 1914–1918, Göttingen 1967. Janßen, Karl-Heinz, Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung 1916, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 7 (1959), S. 337–371.

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Kraft, Heinz, Staatsräson und Kriegsführung im kaiserlichen Deutschland 1914–1916. Der Gegensatz zwischen dem Generalstabschef von Falkenhayn und dem Ober­ befehlshaber Ost im Rahmen des Bündniskrieges der Mittelmächte, Göttingen 1980. Ritter, Gerhard, Staatskunst und Kriegshandwerk. Das Problem des „Militarismus“ in Deutschland. 4 Bde. München 1954–1968 (besonders Bd. 2 und 3). Solger, Wilhelm, Falkenhayn, in: Heerführer des Weltkrieges, hrsg. von der Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaft, Berlin 1939, S. 72–101. Wendt, Hermann, Verdun 1916. Die Angriffe Falkenhayns im Maasgebiet mit Richtung auf Verdun als strategisches Problem, Berlin 1931. Zwehl, Hans von, Falkenhayn, Berlin 1926.

General der Artillerie Max von Gallwitz von Nikolas Dörr

A

ls bekennender Katholik und aus dem einfachen Bürgertum stammend, stellt Max von Gallwitz nicht den typischen preußischen General dar. Dennoch stieg er in die militärische Elite des Kaiserreichs auf. Geboren wurde Max Karl Wilhelm Gallwitz am 2. Mai 1852 in Breslau. Sein Vater Karl war Kreissteuereinnehmer und Feldwebel im preußischen Heer, seine Mutter Elisabeth war Tochter eines Ratssekretärs. Max Gallwitz entschied sich früh für die Offizierslaufbahn. Einen maßgeblichen Einfluss auf diese Entscheidung hatte sein Großvater mütterlicherseits. Während Gallwitz das katholische Gymnasium in Breslau besuchte, wohnte er bei seinen Großeltern. Sein Großvater Friedrich Buchwald war politisch strikt konservativ, monarchietreu und promilitärisch eingestellt, was Gallwitz laut eigenen Aussagen nachhaltig beeinflusste. Nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges und dem Ablegen des Abiturs trat Gallwitz am 13. August 1870 in das 9. Schleswig-Holsteinische Feldartillerieregiment in Rendsburg ein. Knapp zwei Wochen später wurde er mit seinem Regiment nach Frankreich verlegt. Während des Krieges nahm er unter anderem an der Belagerung von Metz, dem Marsch zur Loire und der Schlacht um Orléans teil. Gallwitz fiel dadurch auf, dass er, in einer nahezu hegemonial-protestantischen norddeutschen Einheit dienend, im Garnisonsort St. Quentin des Öfteren die örtliche katholische Kirche zur Messe aufsuchte. Während des Krieges lernte Gallwitz

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die strategischen Vorteile einer gut funktionierenden Artillerie, verbunden mit einer offensiven Ausrichtung, kennen. Beide Aspekte prägten fortan sein militärisches Denken. Nach dem deutschen Sieg gegen Frankreich stieg Gallwitz rasch in der Hierarchie auf und bekleidete verschiedene Posten im Heer und der ­M ilitärverwaltung – zumeist mit einem Schwerpunkt im Bereich der ­A rtillerie. Nach der Absolvierung der preußischen Kriegsakademie mit Best­noten wurde er 1883 in den Großen Generalstab kommandiert, 1885 als Hauptmann in diesen versetzt. Knapp zwei Jahre später wechselte er in das Kriegsministerium, wo er im Referat „Feldgerät“ eingesetzt wurde. Während seiner Zeit im Ministerium heiratete er im Mai 1891 in Glogau die 19 Jahre jüngere Frieda Englerth. 1893 wurde der gemeinsame Sohn Werner und 1896 die Tochter Barbara – benannt nach der Schutzpatronin der Artillerie – geboren. Sein Sohn Werner schlug ebenfalls eine Militärkarriere ein. Als Generalleutnant der Wehrmacht fiel er 1944 bei Sewastopol. Im Kriegsministerium gelang Gallwitz 1897 der Aufstieg zum Chef der Feldartillerie-Abteilung. Nachdem er 1899 das Kommando über das Feldartillerie-Regiment 76 in Freiburg im Breisgau und anschließend über die 29. Feldartillerie-Brigade erhalten hatte, ging er 1902 zurück in das preußische Kriegsministerium, wo er als Direktor des wichtigen Armee-Verwaltungs-Departments diente. Gleichzeitig wurde er zum stellvertretenden Bevollmächtigten des Kriegsministeriums beim Bundesrat ernannt, wo er insbesondere in den Aushandlungsprozessen mit Parlamentariern bezüglich der Heeresvorlagen tätig war. Neben der militärischen wurde diese politische Erfahrung für Gallwitz’ späteres Wirken als Reichstagsabgeordneter in der Weimarer Republik wichtig. Politisch ließ sich der aufstrebende Offizier mit seiner monarchietreuen, nationalistischen und antisemitischen Einstellung in der Mehrheit des preußischen Offizierskorps verorten. Eine Ausnahme bildeten seine Sympathien für den rechtskonservativen Flügel der Zentrumspartei, die er als Katholik hegte. Kaiser Wilhelm II. war er treu ergeben, kritisierte jedoch im Privaten dessen häufiges impulsives Handeln. 1906 wurde Max von Gallwitz zum Kommandeur der 15. Infanteriedivision in Köln ernannt. Dort lernte er den Oberbürgermeister und späteren Staatssekretär des Reichsamts des Innern sowie Reichstagspräsidenten Max Wallraf kennen. Mit diesem arbeitete er nach Kriegsende im Katholikenausschuss der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) zusammen. Mehrfach wurde Gallwitz als kommender preußischer Kriegsminister und

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Max von Gallwitz (Foto ist undatiert)

Chef des Generalstabs gehandelt. Bereits 1907 berichteten Zeitungen, dass er Karl von Einem als Kriegsminister ablösen solle. Gallwitz – zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den Adelsstand erhoben – sah sich selbst jedoch nicht als Kandidat, da er nicht als erster bürgerlicher Kriegsminister allein als Konzession gegenüber den Liberalen ernannt werden wollte. 1911 wurde er schließlich zum Generalinspekteur der Feld-Artillerie ernannt und zum General der Artillerie befördert. Gallwitz, nun bereits über 60 Jahre alt und seit Juni 1913 anlässlich des 25-jährigen Thron­ jubiläums Kaiser Wilhelms II. in den preußischen Adelsstand erhoben, resignierte in dieser Phase zusehends, weil er kein weiteres Vorankommen in seiner Karriere für möglich hielt. Vor dem Eintritt in die Pension sollte er als letzten Posten ursprünglich im Juli 1914 zum Präsidenten des Reichsmilitärgerichts ernannt werden, aber der Ausbruch des Ersten Weltkriegs machte Gallwitz mit seiner ­Erfahrung und insbesondere seinen Spezialkenntnissen im Bereich der Artillerie wieder zu einem gefragten Militärführer. Gallwitz selbst schien

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ein weiteres aktives militärisches Engagement herbeizusehnen. So ­notierte er am 28. Juli 1914 – dem Tag der Kriegserklärung Österreich-­ Ungarns an Serbien – in sein Tagebuch: „Was blüht mir? Auf meine Springpunkt-Vorträge habe ich jedenfalls keine Lust mehr. Soll meine alte Idee in Erfüllung gehen, dass ich im ersten und letzten Dienstjahre einen Krieg mitmache? Welch Fügung!“1 Am 1. August erklärte das Deutsche Kaiserreich schließlich Russland den Krieg und ordnete die General­mobilmachung an. Gallwitz kommentierte dies mit dem Eintrag: „Schluss der Friedens-Tagebuecher!“2 Am folgenden Tag bekam er den Befehl über das der 2. Armee unterstehende Garde-Reservekorps übertragen. Gallwitz empfand den Kriegsbeginn als große Genugtuung, da ihm dadurch ein aktives Kommando anstatt des ungeliebten Postens als Präsident des Reichsmilitärgerichts ermöglicht wurde: „Als ich neben dem Kaiser stand und mir alles in den letzten Jahren Erlebte durch den Kopf ging, da war ich dankbar und sah ein, dass es doch merkwürdige Fügungen im Menschenleben gibt; wie wunderbar bin ich an das Ziel meiner Wünsche gelangt! Sollte ich die Erfüllung mit meinem Blute bezahlen müssen, es wäre gerecht und konsequent.“3 Eine Woche später nahm er mit seiner Truppe an der völkerrechtswidrigen Invasion des neutralen Belgien teil. Sein Auftrag lautete, die belgische Festung Namur an der Maas einzunehmen. Innerhalb von nur zwei Tagen gelang die Eroberung infolge des Einsatzes schwerer Artillerie mit relativ geringen eigenen Verlusten. Im offiziellen Werk des Reichsarchivs wurde insbesondere die Flexibilität von Gallwitz gelobt, die sich in der Anpassung an die „verschiedenartigen Forderungen des Bewegungs- und Festungskrieges“ sowie in „beweglichen Angriffsverfahren“ zeigte.4 Erich Ludendorff lobte ihn gar als „eine[n] der besten Führer unseres Heeres“.5 Der in der Heimat nun als Kriegsheld angesehene Gallwitz wurde kurz darauf mit seiner Truppe an die Ostfront versetzt, die er jedoch erst nach Ende der Schlacht bei Tannenberg erreichte. Unter dem Kommando von Hindenburg und Ludendorff kämpfte Gallwitz unter anderem in der Schlacht an den Masurischen Seen gegen die russischen Truppen. Im Dezember 1914 wurde ihm zusätzlich der Befehl über einige österreichische Truppen übertragen. Gegenüber der Obersten Heeresleitung setzte sich Gallwitz erfolgreich dafür ein, dass das sogenannte „Korsettstangen­ prinzip“ umgesetzt wurde, wodurch österreichische Armeeverbände an Schlüsselstellen mit deutschen Soldaten und Offizieren verstärkt wurden. Einen großen Erfolg erzielten die von ihm befehligten Truppen Mitte Juli

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1915 in der Zweiten Schlacht bei Przasnysz mit dem Durchbruch durch die russischen Linien am Narew. Wenige Tage später, am 24. Juli 1915, wurde ihm dafür der Orden Pour le Mérite verliehen. Der ehrgeizige General kommentierte die Verleihung in seinem Tagebuch lakonisch: „Also die Stufe wäre auch erreicht!“6 Knapp zwei Monate später erhielt er zusätzlich das zugehörige Eichenlaub. Auch im Reichstag wurde er vom Vorsitzenden der Nationalliberalen Partei Ernst Bassermann explizit gelobt und auf eine Ebene mit Paul von Hindenburg, August von Mackensen und Erich von Falkenhayn gestellt.7 Am 30. November 1915 wurde er darüber hinaus von der Albert-LudwigsUniversität Freiburg im Breisgau zum Ehrendoktor ernannt.8 Trotz des Erfolgs an der Ostfront war für Gallwitz kein schnelles Ende des Krieges in Sicht. Vor dem Hintergrund des festgefahrenen Stellungskrieges an der Westfront schrieb er am 26. August 1915 in sein Kriegstagebuch: „Wird dieser Band der Kriegstagebücher der letzte sein? Nach der Wucht der letzten Russenschläge möchte man es hoffen, angesichts der Arbeit, die noch im Westen zu leisten ist, nicht glauben.“9 Im Herbst 1915 erhielt Gallwitz den Auftrag, in zentraler Rolle die Eroberung Serbiens durchzuführen. Dafür wurde er zum Oberbefehlshaber der 11. Armee ernannt. Zusammen mit bulgarischen Truppen wurde das Ziel im Oktober erreicht. Eigentlich sollte Gallwitz anschließend eine Offensive gegen die von den Entente-Mächten gehaltene griechische Großstadt Thessaloniki leiten, doch wurden die Pläne schließlich zurückgenommen und der General im März 1916 nach Verdun versetzt. Gallwitz sollte als Artillerie-Fachmann zum Sieg der deutschen Truppen beitragen. Als Führer der Angriffstruppe Verdun-West konnte jedoch auch Gallwitz, trotz kurzzeitiger Geländegewinne – vor allem die Eroberung der beiden Hügel „Toter Mann“ und „Höhe 304“ – nichts ausrichten. Stattdessen wurde er im Juli zum Oberbefehlshaber der 2. Armee ernannt und zur Abwehr der Entente-Offensive an die Somme beordert. Gallwitz setzte sich auch dort für eine offensive Verteidigung ein, die jedoch kaum umgesetzt werden konnte. Die geplante Alberich-Bewegung zur Rückkehr in eine Defensivstellung kritisierte er aus strategischen Motiven, aber auch weil er die geplanten Zerstörungen während des Rückzugs ablehnte: „Welche Grenzen der Barbarei gibt es noch, welche Rücksichten auf Völkerrecht und Menschlichkeit? So schlimm haben es die Russen in Ostpreußen nicht gemacht; vielleicht in Nordpolen – und welche Flut der Verachtung hat sich auf sie ergossen! Ein zweiter Melac10 zu werden, dazu gebe ich mich

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nicht her, vorher gehe ich.“11 Mit seinen Vorgesetzten war Gallwitz zunehmend unzufrieden. Insbesondere Erich Ludendorff, der während der Schlacht an der Somme zusammen mit Paul von Hindenburg Erich von Falkenhayn in der Führung der Obersten Heeresleitung abgelöst hatte, kritisierte er explizit: „Das Unterordnungsverhältnis hier gefällt mir nicht und kann besser werden. Militärisch ist hier nicht viel zu holen. Es droht die Ludendorffsche Verwüstung.“12 Mit hohen Verlusten auf beiden Seiten scheiterte schließlich die alliierte Offensive. Anschließend erhielt Gallwitz im Dezember 1916 den Oberbefehl über die 5. Armee, die vor Verdun lag, konnte jedoch keine Entscheidung im Stellungskrieg herbeiführen. Auffällig war erneut sein kontinuierliches Eintreten für eine Offensivstrategie: „Ein teilweises Zurückweichen gerade an der Maas schließt mehr Nachteile als Vorteile ein; eine Kräfte­ ersparnis ist zweifelhaft und keineswegs groß. Allerdings bleibt beim Halten vorn die Notwendigkeit einer Stellungs-Berichtigung durch Angriff bestehen.“13 Ebenso trat Gallwitz während des Krieges vehement für eine gewaltsame Lösung gegenüber sozialdemokratischer Agitation im Heer ein. Bereits 1912 hatte er schockiert auf die Wahl Philipp Scheidemanns zum Vizepräsidenten des Reichstags reagiert und ein hartes Durchgreifen gegen die Sozialdemokratie gefordert: „Regiert der Kaiser noch, gibt es noch vaterländisch-monarchische Auffassung? Ist denn niemand, der mit Keulen dreinschlägt?“14 Nicht zuletzt deswegen avancierte Gallwitz in konservativen, nationalistischen und Militärkreisen zu einem Kandidaten für das Amt des Reichskanzlers in Nachfolge von Theobald von Bethmann Hollweg und kurze Zeit später erneut als Nachfolger von Georg Michaelis. Kurzzeitig spielte sogar Gallwitz selbst mit diesem Gedanken und arbeitete ein Regierungsprogramm aus, das sich durch autoritäre Maßnahmen wie der Ausschaltung des Parlaments auszeichnete: „Dritte Phase: Bitte an Seine Majestät, den Reichstag heimschicken zu dürfen; Kabinettsregierung ohne Brüskierung der Mittelparteien, aber mit schärfstem Beobachten und Anfassen des sozialistischen Führertums. Revolutionsversuche sofort militärisch niederschlagen.“15 Zu Beginn des Jahres 1918 wurde Gallwitz mit dem Oberbefehl über die nach ihm benannte Heeresgruppe betraut. Mit dieser nahm er an der deutschen Frühjahrsoffensive im Norden Frankreichs teil. Im anschließenden Abwehrkampf nahm er im September an der Schlacht von St. Mihiel gegen das US-amerikanische Expeditionskorps und der bis Kriegsende andauernden alliierten Maas-Argonnen-Offensive teil. Auch nach

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dem Scheitern der Frühjahrsoffensive und der Rückkehr der deutschen Truppen in Defensivpositionen hielt Gallwitz – trotz des aussichtslosen Zustands – weitere Offensiven für die geeignetste Strategie. Diese Haltung vertrat er auch gegenüber dem neuen Reichskanzler Max von Baden und dem Kriegskabinett, als er Ende Oktober 1918 nach Berlin gerufen wurde, um zusammen mit General Bruno von Mudra über die Situation an der Front zu berichten. Gallwitz setzte sich nachdrücklich für eine Weiterführung des Krieges ein. Zuvor, als sich mit dem Ende der Regierung Hertling ein erneuter Wechsel im Amt des Regierungschefs abgezeichnet hatte, war Gallwitz in konservativen Kreisen nicht nur als ein potenzieller Nachfolgekandidat genannt worden. Er sollte vielmehr als „kluger, tatkräftiger Militär“ mit „diktatorischer Gewalt an die Spitze kommen.“16 Gallwitz sah zwar im Falle der Abdankung des Kaisers eine Militärdiktatur als sinnvolle Lösung an, wollte selbst aber nicht an deren Spitze treten: „Ich hoffe, sie suchen sich für den Diktatorposten einen ­a nderen. Ich bin dazu nicht genügend blutrünstig.“17 Nach dem Waffenstillstand von Compiègne am 11. November 1918 blieb er vorerst in der Armee, um einen geordneten Rückzug seiner Truppen zu organisieren. Eine kritische Haltung nahm er in den letzten Wochen seiner Dienstzeit zu den Soldatenräten ein.18 Nach der endgültigen Niederlage und der Abdankung von Kaiser Wilhelm II. schied Gallwitz nach knapp über 48-jähriger Dienstzeit am 6. Dezember 1918 schließlich offiziell aus dem Armeedienst aus. Die Novemberrevolution lehnte er ebenso ab wie die Weimarer Demokratie. Den Tag der Ausrufung der Republik am 9. November 1918 bezeichnete Gallwitz retrospektiv als einen der „unseligsten Tage unserer deutschen ­Geschichte!“19 Die neue Nationalflagge sah er als „schwarz-rot-gelben Lappen“20 an. Der ehemalige General hielt in dieser Phase auch mit radikalen Antisemiten Kontakt. Der weiterhin kaisertreu eingestellte Gallwitz wechselte nun in die Politik, wo er ein klassischer Vertreter der Dolchstoßlegende wurde: „Ein Volk, das sich in solchen Stunden, wo es auf das Letzte und Beste ankommt, wo nur Zusammenfassung aller Kräfte noch helfen kann, angesichts der drängenden Feinde noch den Luxus einer Revolution leistet, das kann nicht obenauf bleiben, das ist der Knechtung würdig. […] Finis Borussiae! Finis Germaniae! An das baldige glanzvolle Wiederkehren in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit […] glaube ich nicht.“21 Neben dem vermeintlichen Verrat an der Heimatfront sah er die Hauptschuld für die deutsche Niederlage in den seiner Meinung nach zu schwachen

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Bundesgenossen.22 Zwischen 1920 und 1924 vertrat er als Abgeordneter die DNVP im Reichstag. Als überzeugter Katholik war Gallwitz auch in der protestantisch geprägten DNVP ein Sonderfall. Im Parlament setzte sich Gallwitz vor allem für die Anerkennung ehemaliger Soldaten ein, so zum Beispiel für Pensionsansprüche ehemaliger Unteroffiziere oder die Erhöhung finanzieller Zuschüsse für kriegsbeschädigte Soldaten. Gallwitz’ Festhalten an der Dolchstoßlegende und seine grundsätzliche Ablehnung der republikanischen Demokratie waren öffentlich bekannt. So griff der Vorsitzende der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) Georg Ledebour während der Parlamentsdebatte über den Entwurf des Ermächtigungsgesetzes im Januar 1923 den DNVPAbgeordneten direkt an: „Ich verstehe es, daß der Herr General v. Gallwitz freudig grinst, wenn festgestellt wird, daß das Ansehen der Republik und der demokratischen Einrichtungen untergraben wird. Sie und Ihr Herr Kollege Laverrenz23 sind natürlich darüber erfreut, daß diese unfähigen Vertreter des Bürgertums Ihnen die Kastanien aus dem Feuer holen. Da haben Sie vollkommen recht, daß Sie oder Ihre Hintermänner, die Sie hier im Hause nicht gern hinter sich sitzen haben wollen, […] oder deren Hintermänner, die Nachahmer Mussolinis, die jetzt schon den Säbel wetzen und den Knüppel schwingen, ihre helle Freude daran haben können.“24 Gallwitz’ Ablehnung der Demokratie mündete in seiner Teilnahme an der Gründungskonferenz der „Harzburger Front“ am 11. Oktober 1931. Neben seiner politischen Tätigkeit schrieb er in der Weimarer Republik zwei Bücher (Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–1916: Belgien, Osten, Balkan, 1929 und Erleben im Westen 1916–1918, 1932) und zahlreiche Artikel und Briefe über seine Erfahrungen als General im Weltkrieg.25 Ebenso engagierte er sich gegen die Verurteilung seiner Soldaten in den Kriegsverbrecherprozessen bzw. gegen deren Auslieferung, die unter anderem von der Regierung des neu gegründeten Königreiches Jugoslawien aufgrund von Kriegsverbrechen im Serbien-Feldzug gefordert wurde.26 Gallwitz, dem ebenso die Verurteilung und Auslieferung drohte, blieb letztlich ein freier Mann. Der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten stand er ambivalent gegenüber. Mehrfach kritisierte er deren Radikalität: „Im Reich geht die Konterrevolution weiter; Nazigrößen und Truppen hauen dabei vielfach über den Strang trotz bremsender Erlasse Hitlers.“27 Trotz seines Antisemitismus sah er das Vorgehen der Nationalsozialisten als zu hart an: „Die Nazis haben eine große Boykott-Bewegung gegen die Juden einge­ leitet als Gegengewicht gegen die ausländische Greuel-Propaganda. Es

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scheint, daß diese den Nazis ein willkommener Anlaß ist für ihre übertriebene Judenverfolgung. Auch ich bin für Eindämmen des jüdischen Einflusses, vorwiegend auf kulturellem Gebiete; was die Nazis jetzt einleiten, ist aber teils ungerecht, teils undurchführbar und wird bald einem Rückschlage unterliegen.“28 Ebenso sah er die Gefahr, dass die DNVP, von der er zu Beginn des Jahres 1933 sogar die Ehrenmitgliedschaft verliehen bekommen hatte, von der NSDAP marginalisiert werde. Die Selbstauflösung der Partei knapp zwei Wochen vor dem Inkrafttreten des Gesetzes gegen die Neubildung von Parteien kommentierte er entsprechend verbittert: „Der Verlauf war nicht mehr zu hemmen. Ich bin aber tief bewegt. Nachdem ich 80 Jahre als konservativer Mensch gelebt und gewirkt habe, vermag ich mich dem Hakenkreuz trotz seiner großen Erfolge nicht einzugliedern.“29 Hitler hielt er in außenpolitischen und militärischen Fragen für einen geeigneten Staatsmann, während er dessen Vorgehen im Innern des Reiches des Öfteren – allerdings nur im Privaten – kritisierte. Gallwitz hielt bis zu seinem Tode an den konservativen Idealen des preußischen Offizierskorps fest und zelebrierte jährlich den Geburtstag des Kaisers, der sich seit 1918 im Exil im niederländischen Doorn befand. Weniger als ein Jahr vor seinem Tod blickte Gallwitz mit Resignation auf seine Karriere zurück, weil er nie über den Rang des Generals der Artillerie hinauskommen war. Entsprechend verbittert notierte er: „Für Namur nicht die geringste Dekoration erhalten, russische Offensive ganz disqualifiziert, Serbien alles auf Konto Mackensen, Somme alles auf Konto Kuhl, 1¾ Jahre aktiver General der Artillerie, 2 Armeegruppen, 4 Armeen, 2 Heeresgruppen geführt und nicht Generaloberst geworden.“30 Seine begonnenen Memoiren konnte er nicht beenden.31 Während einer Erholungsreise nach Italien starb Gallwitz am 18. April 1937 wenige Wochen vor seinem 85. Geburtstag in Neapel. Die faschistische Regierung Benito Mussolinis organisierte für die Überführung des Leichnams des verstorbenen Generals einen Trauerzug. Adolf Hitler kondolierte dem Sohn von Max von Gallwitz persönlich. Am 23. April wurde Max von Gallwitz mit einem Staatsbegräbnis in Freiburg im Breisgau beigesetzt. In der Folgezeit wurden Gallwitz zu Ehren mehrere Kasernen und Straßen nach ihm benannt, so in Aachen, Berlin, Bonn, Freiburg im Breisgau und Hildesheim. Bis auf wenige Ausnahmen sind diese Ehrungen inzwischen wieder zurückgenommen worden. Im Urteil seiner Zeitgenossen galt Max von Gallwitz als ein ehrgeiziger, gebildeter und fähiger General. Insbesondere seine Fachkenntnis der Artillerie wurde vielfach gelobt. Retrospektiv muss man jedoch sein, auch in aussichtslosen Situationen, dogma-

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tisches Festhalten an einer offensiven Militärstrategie kritisieren. Auch wenn sein Katholizismus und seine Herkunft aus dem unteren Bürgertum eine Besonderheit im preußischen Offizierskorps darstellten, war er mit seinen politischen Grundüberzeugungen, die sich in einem übersteigerten Nationalismus, Antisemitismus, in Kaisertreue und Ablehnung der republikanischen Demokratie manifestierten, durchaus stellvertretend für die Mehrheit der preußischen Armee. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10

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Tagebucheintrag vom 28.7.1914, BA-MA, N 710/25. Tagebucheintrag vom 1.8.1914, BA-MA, N 710/25. Tagebucheintrag vom 9.8.1914, BA-MA, N 710/26, S. 16. Möller-Witten, Geschichte der Ritter, Bd. 1, S. 356. Erich Ludendorff, zitiert in: Jung, Max von Gallwitz, S. 5. Tagebucheintrag vom 24.7.1915, BA-MA, N 710/28. Verhandlungen des Reichstages, Band 306, 8. Legislaturperiode, 14. Sitzung, 20.8. 1915, S. 235. Nationalbibliothek Leipzig, WK.1.3, Signatur: 1922 T 119 – 24. Tagebucheintrag vom 26.8.1915, BA-MA, N 710/29. Gemeint ist Ezéchiel de Mélac, Offizier in der Armee von König Louis XIV. Melac wird für übermäßige Zerstörungen und Brutalität der französischen Truppen während des Pfälzer Erbfolgekrieges (1688–1697) verantwortlich gemacht. Tagebucheintrag vom 16.10.1916, zitiert in: Jung, Max von Gallwitz, S. 76. Tagebucheintrag vom 28.10.1916, zitiert in: ebd., S. 77. Gallwitz an die Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, 3.1.1917, zitiert in: ebd. Tagebucheintrag vom 10.2.1912, zitiert in: ebd., S. 29. Gallwitz, Erleben im Westen, S. 202f. Ernst von Wrisberg gegenüber Kriegsminister Hermann von Stein, 30.9.1918, zitiert in: Jung, Max von Gallwitz, S. 98. Tagebucheintrag vom 8.11.1918, zitiert in: ebd., S. 111. Gallwitz, Erleben im Westen, S. 477. Tagebucheintrag vom 9. November 1923, BA-MA, N 710/39. Jung, Max von Gallwitz, S. 10. Tagebucheintrag vom März 1919, BA-MA, N 710/35. Gallwitz, Meine Führertätigkeit, S. 185. Gemeint ist der DNVP-Abgeordnete Wilhelm Laverrenz (1879–1955). Verhandlungen des Reichstages, Band 357, 1. Wahlperiode, 289. Sitzung, 17.1.1923, S. 9484. Schriftwechsel von Max von Gallwitz 1919–1936, BA-MA, N 710/65. Deutsche Kriegsverbrecher und ihre Auslieferung, 1919–1926, BA-MA, N 710/64. Tagebucheintrag vom 15.3.1933, zitiert in: Jung, Max von Gallwitz, S. 192. Tagebucheintrag vom 1.4.1933, zitiert in: ebd. Tagebucheintrag vom 28.6.1933, zitiert in: ebd., S. 193. Tagebucheintrag vom 18.7.1936, zitiert in: ebd., S. 195. Manuskript der Memoiren von Max von Gallwitz, BA-MA, N 710/45.

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Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Max von Gallwitz, N 710, 71 Auf bewahrungseinheiten. Enthält Gallwitz’ Tagebücher von 1898 bis 1937, den ersten Teil seiner unveröffentlichten Memoiren, Unterlagen aus seiner militärischen Dienstzeit sowie umfangreiche Korrespondenz aus der Nachkriegszeit. Nationalbibliothek Leipzig, WK.1.3 – Sammlung von Ehrendoktordiplomen aus dem Ersten Weltkrieg, Signatur: 1922 T 119 – 24, Urkunde zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Max von Gallwitz durch die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.

Gedruckte Quellen und Literatur Afflerbach, Holger: Art. Gallwitz, Max von, in: Gerd Krumeich / Gerhard Hirschfeld / Irina Renz (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. 2. Aufl., Paderborn 2014, S. 519. Gallwitz, Max von, Meine Führertätigkeit im Weltkriege 1914–1916: Belgien, Osten, Balkan, Berlin 1929. Gallwitz, Max von, Erleben im Westen 1916–1918, Berlin 1932. Grawe, Lukas, Feldherr an vielen Fronten. General der Artillerie Max von Gallwitz, in: Clausewitz – Das Magazin für Militärgeschichte, 7/6 (2016), S. 74–80. Jung, Jakob, Max von Gallwitz (1852–1937), General und Politiker, Osnabrück 1995 (= Soldatenschicksale des 20. Jahrhunderts als Geschichtsquelle 12).

Colmar Freiherr von der Goltz von Oliver Stein

C

olmar Freiherr von der Goltz schien für die höchsten militärischen und politischen Stellungen prädestiniert gewesen zu sein: Zweimal – 1905 und 1914 – galt er als Kandidat für den Posten des Chefs des Großen Generalstabs der preußischen Armee, und 1909 wurde er sogar als künftiger Reichskanzler gehandelt. Dass er letztlich nicht mit diesen Funk­ tionen betraut wurde, lag an seiner zu unkonventionellen und polari­ sierenden Persönlichkeit. Obschon er von seinen Zeitgenossen zu den bekanntesten und wohl auch bedeutendsten Generalen seiner Zeit gerechnet wurde, sah er sich nach Kriegsausbruch 1914 zunächst auf einen Verwaltungsposten abgeschoben. Schließlich vollendete er sein Leben im

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April 1916 als osmanischer Armeeführer auf einem Nebenkriegsschauplatz des Ersten Weltkrieges, dem ihm gut vertrauten Vorderen Orient. Sucht man Goltz als historische Persönlichkeit zu erfassen, so wird rasch deutlich, dass er sich jeder allzu schematisierenden Einordnung entzieht: Von hoher Bildung und kritischem Intellekt, stellte er herrschende Grundüberzeugungen seiner Zeit infrage und galt konservativen Militärs daher als Liberaler. Das Ausmaß und den Schrecken eines künftigen Weltkrieges antizipierte er vor 1914 weitsichtiger als andere, und dennoch sehnte er diesen Krieg inniglich herbei. Während er dezidierter Vertreter einer rücksichtslosen sozialdarwinistischen Weltsicht und zugleich ein früher Wegbereiter des Konzeptes vom „totalen Krieg“ war, zeigte er sich nicht nur im alltäglichen Umgang liebenswürdig und väterlich, sondern agierte auch als Gouverneur einer Besatzungsverwaltung rücksichtsvoll und mild. Obschon er die Deportation der Armenier aus den osmanisch-russischen Grenzgebieten explizit guthieß, setzte er sich bis zum Äußersten für die Rettung der armenischen Bevölkerung in Mossul ein. Colmar von der Goltz war eine derart außergewöhnliche und vielschichtige Persönlichkeit, dass die Urteile anderer über ihn vielfach in ein Extrem gingen und daher entweder einer Apologie oder einer Verdammung nahekamen. Dies gilt nicht nur für seine Zeitgenossen, sondern auch für die Nachwelt und ihre Historiker. Geboren wurde der spätere Generalfeldmarschall am 12. August 1843 als Sohn eines verarmten Rittergutsbesitzers im kleinen ostpreußischen Dorf Bielkenfeld, das ihm zu Ehren später in Goltzhausen umbenannt werden sollte. Nach dem frühen Ableben seines Vaters besuchte der fast mittellose Knabe das Kadettenkorps und wurde im April 1861 als Secondeleutnant im Infanterie-Regiment Nr. 41 in Königsberg aufgenommen. Hier fiel seine hohe intellektuelle Begabung auf, weshalb er 1864 zur Kriegsakademie nach Berlin kommandiert wurde. Jedoch hätte bereits sein erstes Gefecht – es war im Krieg gegen Österreich 1866 – seinem Leben beinahe ein frühes Ende gesetzt. Nachdem er von seiner schweren Verwundung genesen war und im Jahr darauf als Jahrgangsbester die Kriegsakademie abgeschlossen hatte, wurde er zum Großen Generalstab unter Helmuth von Moltke kommandiert. Am Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 nahm von der Goltz als Generalstabsoffizier beim Oberkommando der 2. Armee teil. Nach Kriegsende folgten verschiedene Verwendungen im Generalstab und in der Truppe, bis er im Juni 1883 den für seine weitere Laufbahn folgenreichsten Schritt tat und in die osmanische Armee wechselte. Mehr als zwölf Jahre lang diente er dort unter

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Colmar Freiherr von der Goltz (Porträtaufnahme um 1910)

anderem als Chef der deutschen Militärmission. Zwischenzeitlich zum türkischen Marschall befördert, trat er im Januar 1896 im Range eines Generalleutnants wieder in die preußische Armee ein und fungierte zunächst als Divisionskommandeur in Frankfurt / Oder. Nach zwei Jahren stieg er zum Chef des Ingenieur- und Pionierkorps und Generalinspekteur der Festungen auf, einer gerade angesichts des drohenden Zweifrontenkrieges besonders verantwortungsvollen Stellung. Von 1902 bis 1907 stand er als Kommandierender General an der Spitze des I. Armeekorps in Königsberg und war danach Generalinspekteur der 6. Armee-Inspektion in Berlin. Mit dieser Position war er für den Kriegsfall als Armeeführer vorgesehen. 1911 zum Generalfeldmarschall befördert, nahm er im Juli 1913 altersbedingt seinen Abschied aus der Armee. Die Auflistung der Stationen seiner militärischen Karriere, die vor dem Ersten Weltkrieg ihr vorläufiges Ende gefunden hatte, lässt den enormen Ehrgeiz und die außergewöhnliche intellektuelle Vielseitigkeit von der Goltz’ nur ansatzweise erahnen. Zu den höchsten Auszeichnungen, die ihm verliehen wurden, gehörte der Orden Pour le Mérite für Wissenschaften und Künste, den er 1911 für seine schriftstellerische Leistung als

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Kriegswissenschaftler und Historiker erhielt.1 Schon als Hauptmann verfasste von der Goltz politische Aufsätze und Novellen, die er unter Pseu­ donym in Zeitschriften veröffentlichte.2 Kurz nach dem Deutsch-Französischen Krieg erhielt er von der kriegsgeschichtlichen Abteilung des Großen Generalstabes den Auftrag zu einer wissenschaftlichen Studie über die Operationen der 2. Armee. Damit begann seine in der Öffentlichkeit viel beachtete Tätigkeit als Militärschriftsteller und Historiker, die er in allen seinen unterschiedlichen Dienststellungen fortführte. Schon früh bewies er dabei sein unabhängiges Denken und seine Bereitschaft, sich im Sinne der Sache gegen die herrschenden Ansichten zu stellen. 1877 erregte er mit seinem Buch Léon Gambetta und seine Armeen großes Aufsehen. In dieser Studie, mit der er sich auf das Feld der in Deutschland politisch höchst sensiblen Milizdiskussion begab, plädierte er für die Herabsetzung der Dienstzeit auf zwei Jahre, was ihm das schärfste Missfallen der Militärführung und die zeitweise Strafversetzung aus dem Generalstab in die Truppe einbrachte.3 Dem konservativeren Teil der Armee waren seine ­offene Kritik an den Verhältnissen im Heer und seine zum Teil als liberal angesehenen Auffassungen ein Ärgernis. Sechs Jahre nach Léon Gambetta veröffentlichte er sein bekanntestes Buch, Das Volk in Waffen, das in zahlreiche Sprachen übersetzt und international stark rezipiert wurde. Zu einer Zeit, da in Deutschland zahlreiche Wehrpflichtige nicht eingezogen wurden, plädierte von der Goltz mit Nachdruck für die vollständige Ausschöpfung des militärischen Potenzials und damit für eine starke personelle und materielle Aufrüstung. Seine dort veröffentlichten Grundideen wie auch das Schlagwort vom „Volk in Waffen“ spielten bei den bis 1914 wiederholt aufkommenden Kontroversen um die vollständige Durchführung der Wehrpflicht in Militär und Politik eine zentrale Rolle.4 Das Kriegsbild von der Goltz’ und seine politischen Anschauungen waren eng miteinander verwoben. Ein Krieg der europäischen Großmächte erschien ihm nicht nur unvermeidlich, sondern sogar wünschenswert. Seine vor allem auf Hegel gestützte geschichtsphilosophische Weltsicht verortete den Krieg als Katalysator der Erneuerung, den Frieden hingegen als Förderer der Dekadenz.5 Aus rückschauender Perspektive muss es irritierend wirken, dass diese nachdrückliche Befürwortung des Krieges mit einer außerordentlich scharfsinnigen Prognose über dessen künftiges Ausmaß einherging. Denn als die meisten Militärtheoretiker noch auf eine kurze Kriegsdauer hofften, war sich von der Goltz bereits bewusst, dass der nächste Waffengang der europäischen Mächte sich über Jahre hinziehen und äußerst zerstörerisch wirken werde. In diesem

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Sinne forderte er, schon im Frieden alles dafür zu tun, den Einsatz der eigenen Menschen- und Materialressourcen vorzubereiten und diese im kommenden Krieg auch rücksichtslos einzusetzen. Mit seinen Gedanken prägte von der Goltz nicht nur die bellizistischen und rüstungspolitischen Diskurse vor dem Ersten Weltkrieg, sondern auch die sich nach dem Krieg entwickelnden Konzepte vom „totalen Krieg“.6 Zu seinen bereits seit den späten 1870er-Jahren vorgeschlagenen Maßnahmen zur Kriegsertüchtigung zählte eine vormilitärische Jugendausbildung, die vor allem körperliche Abhärtung wie auch eine patriotische und gegen die sozialdemokratischen Ideen gerichtete Erziehung vorsah. 1911 gelang es von der Goltz, mit dem „Jungdeutschlandbund“ einen staats- und militärnahen Dachverband für Jugendorganisationen zu gründen. Als der große Krieg, auf den sich Colmar von der Goltz sein ganzes Berufsleben lang vorbereitet hatte, schließlich ausbrach, befand er sich bereits seit einem Jahr im Ruhestand. Zu seiner großen Enttäuschung war für ihn keine Verwendung im Feldheer vorgesehen. Erst auf Vorschlag des Generalstabschefs Helmuth von Moltke ernannte ihn das Militärkabinett am 23. August 1914 stattdessen zum Generalgouverneur von Belgien. Über diesen Verwaltungsposten wenig erfreut, drängte es ihn von Brüssel aus unter dem Vorwand von Inspektionsfahrten immerzu an die vorderste Frontlinie, wo der Generalfeldmarschall zwischen September und November 1914 ohne weitere Notwendigkeit immer wieder an Gefechten, darunter auch an gefährlichen Straßenkämpfen, teilnahm und schließlich sogar von einem Streifschuss leicht verwundet wurde.7 Dieses fast schon obsessive Verhalten ist bezeichnend für von der Goltz’ hingebungsvolle und zugleich rücksichtslos kriegslüsterne Lebenseinstellung. Seinem Sohn Friedrich schrieb er, wie sehr er den Krieg genieße und dass er sich „nirgends so wohl als auf dem Schlachtfeld“ fühle.8 Die Gefechte in Belgien bestätigten ganz das Bild, das von der Goltz bereits 1883 in seinem Volk in Waffen wie auch in seinen zahlreichen weiteren Studien von der Eigenart des modernen Krieges entworfen hatte. In seinen Eindrücken von der Front zeigte er sich von der Leistungsfähigkeit der deutschen Soldaten und nicht zuletzt der Landsturmmänner begeistert, während er die Abwesenheit der Kommandierenden Generale von der kämpfenden Truppe tadelte. Vor allem aber beklagte er sich über die „herrschende Clique im Hauptquartier und im Militärkabinett“, die er als gänzlich mittelmäßig bewertete.9 Als Generalgouverneur der von den Deutschen besetzten Gebiete in Belgien wirkte von der Goltz drei Monate lang bis Ende November 1914. Zu seinen Aufgaben zählte die Bestimmung und Eintreibung von Kontri-

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butionen. Goltz legte im Einklang mit dem ihm unterstehenden Chef der Zivilverwaltung Wert darauf, dass diese Kontributionen nicht mehr als das Doppelte des jährlichen Steueraufkommens in Belgien betragen dürften. Auch kam er den belgischen Repräsentanten in Verhandlungen wiederholt deutlich entgegen. Um die Nahrungsmittelnot der Bevölkerung zu beheben, ließ er aus den Vereinigten Staaten Brotgetreide nach Belgien schaffen.10 Während die deutsche Armee im Verlauf ihres Vormarsches durch Belgien im Kontext von angeblichen oder tatsächlichen Franktireur-Überfällen massive Repressionen gegen die belgische Zivilbevölkerung ausgeübt hatte, setzte sich von der Goltz demgegenüber das Ziel, so weit wie nur möglich rücksichtsvoll aufzutreten, um keinen unnötigen Widerstand zu provozieren. Durch seine betont schonende Behandlung der belgischen Bevölkerung machte er sich sowohl in der rechtsorientierten Presse als auch in der Obersten Heeresleitung viele Gegner. Über diese „Männer von der eisernen Faust“ schrieb Goltz später einem Freund, dass sie „ihre innere Angst mit dem Ruf nach blutiger Energie, Erschießen und Niederbrennen“ zu ersticken suchten und nur nach Gewaltakten verlangten, „ohne zu fragen, ob irgendein Anlass dazu vorläge“.11 Von ihnen grenzte sich von der Goltz entschieden ab. Die daraus folgende scharfe Auseinandersetzung mit der Obersten Heeresleitung war ihm zuwider. Der Hauptvorwurf gegenüber seiner Besatzungspolitik lautete, dass er zu wenig aus den besetzten Gebieten heraushole und damit die Armee schädige. Mit welchem Eifer die Oberste Heeresleitung gegen von der Goltz vorging, zeigt der Umstand, dass der Generalquartiermeister Generalmajor Werner von Voigts-Rhetz sogar versuchte, ihn in finanzieller Hinsicht persönlich regresspflichtig zu machen, was jedoch rechtlich nicht möglich war.12 Unterdessen bahnte sich seit Anfang November 1914 die Entsendung des Generalfeldmarschalls in das gerade in den Krieg eingetretene Osmanische Reich an. Die militärischen Verhältnisse im Osmanischen Reich waren Colmar Freiherr von der Goltz aus seiner langjährigen Tätigkeit als Militärinstrukteur bestens vertraut. Schon 1883 war er in osmanische Dienste getreten. Ein Jahr zuvor hatte das Militärkabinett auf Bitten von Sultan Abdülhamid II. vier preußische Offiziere unter Oberst Otto Kaehler entsandt. Über ihn kam von der Goltz, der zu dieser Zeit in der preußischen Armee zahlreiche Anfeindungen erlebte, als Vizedirektor des osmanischen Militärbildungswesens an den Bosporus. Der ursprünglich nur für drei Jahre geplante Aufenthalt entwickelte sich zu einer lebenslangen Verbundenheit mit der Türkei. In den zwölf Jahren, die von der Goltz bis 1895 in Konstantinopel verbrachte, verfolgte er in unterschiedlichen

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Funktionen mit Nachdruck die Reformierung der schwachen osmanischen Armee. Auch wenn seine Maßnahmen immer wieder durch den Sultan und die ortsspezifischen Verhältnisse gehemmt wurden, konnte er zumindest auf dem Gebiet des Militärbildungswesens und der Neustrukturierung des Heeres große Fortschritte erreichen.13 Daneben vermittelte von der Goltz der deutschen Rüstungsindustrie in großem Umfang Waffengeschäfte.14 Auch nach dem Ende seiner offiziellen Instrukteurstätigkeit pflegte er seine Kontakte und reiste nach der jungtürkischen Revolution von 1908 wiederholt zu kurzen Besuchen in die Türkei, um die neue Armeeführung, die zum größten Teil aus seinen ehemaligen Schülern bestand, bei ihren Reformen zu beraten. Unter den Türken genoss er eine starke – teils bis heute andauernde – Bewunderung, die nicht zuletzt seiner hohen interkulturellen Kompetenz geschuldet war. Von der Goltz erlernte nicht nur die türkische Sprache, sondern er fühlte sich auch in starkem Maße in die hiesige Mentalität ein, weswegen er vielen deutschen Offizieren als „vertürkt“ galt. Seine Handreichungen für deutsche Militärinstrukteure geben Zeugnis von dieser kulturellen Einfühlsamkeit.15 War mit Blick auf den kommenden Krieg für von der Goltz bis zum Ende der 1890er-Jahre ein Bündnis mit dem Osmanischen Reich noch nicht besonders erstrebenswert, so änderte sich seine Haltung mit der zunehmenden deutsch-britischen Rivalität. Dementsprechend begann er damit, ein künftiges Kriegsbündnis vorzubereiten und eine vom osmanischen Staatsgebiet ausgehende globale Bekämpfung des britischen Empires am Suezkanal und in Indien zu erwägen.16 Kurz nach dem Eintritt des Osmanischen Reiches in den Ersten Weltkrieg kündigte das Militärkabinett dem Generalfeldmarschall seine bevorstehende Entsendung in den Orient an. Da allerdings die Position des Chefs der deutschen Militärmission bereits mit General Otto Liman von Sanders besetzt war, wurde von der Goltz am 27. November 1914 zum Generaladjutanten des Sultans ernannt. In dieser Stellung konnte er sich zwar gut über die osmanische Kriegführung orientieren, jedoch war er dort gleichsam abgeschoben und ohne Verantwortung. Die Situation änderte sich im Februar 1915, als von der Goltz „erster Berater“ des osmanischen Kriegsministers Enver Pascha wurde und in dieser Funktion regelmäßig im Kriegsministerium präsent sein konnte. Schon im Monat darauf begann der britisch-französische Flottenvorstoß gegen die Dardanellen. In dieser bedrohlichen Situation reiste von der Goltz ins deutsche Große Hauptquartier an die Westfront, um die Oberste Heeresleitung von einer baldigen Offensive gegen Serbien zu überzeugen. Ziel war es, Bulgarien

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und Rumänien auf die deutsche Seite zu ziehen und den dringend benötigten Landweg ins Osmanische Reich zu öffnen. Diese Mission, die von der Goltz ebenso auch nach Wien, Bukarest und Sofia führte, war zu weiten Teilen erfolgreich: Im Oktober 1915 begann die Offensive gegen Serbien, der sich Bulgarien anschloss. In der Folge war es seit Januar 1916 möglich, das Osmanische Reich sowohl mit Waffen und Munition als auch mit deutschen und österreichisch-ungarischen Truppen zu unterstützen. Daran hatte von der Goltz maßgeblichen Anteil.17 Bald nach seiner Rückkehr nach Konstantinopel übertrug ihm Enver Pascha den Oberbefehl über die 1. osmanische Armee. Zehn Tage darauf landeten die Entente-Truppen auf Gallipoli, sodass von der Goltz in dieser neuen Funktion bis zu seiner Abberufung im Oktober 1915 für die östliche Verteidigung der Meerengen an den Dardanellen zuständig war. Am 5. Oktober 1915 erhielt von der Goltz eine neue, höchst anspruchsvolle Aufgabe: Als Oberbefehlshaber der neu geschaffenen 6. osmanischen Armee sollte er die Kämpfe in Mesopotamien gegen die Briten leiten und zudem das deutsch-osmanische Vorgehen in Persien koordinieren. Anfang Dezember 1915 traf er in Bagdad ein. Von hier aus unternahm der 72-Jährige eine Reihe beschwerlicher Erkundungsreisen, um sich einen Überblick über die Situation zu verschaffen. Die Lage war ausgesprochen schwierig, zumal Deutsche und Türken in Persien unterschiedliche Ziele verfolgten. Schon seit Anfang 1915 hatte Deutschland verschiedene militärische Expeditionen nach Persien entsandt und über die Konsuln Stützpunkte ausgebaut. Während das Land im Norden von den Russen und im Süden von den Briten kontrolliert wurde, hofften die Deutschen auf einen persischen Aufstand gegen die Entente. Goltz hatte schon Monate zuvor mit Enver Pascha den Plan eines Vorstoßes durch Nordpersien gegen die Russen entworfen. Anschließend, so seine Hoffnung, würde er sein altes Vorhaben eines Feldzuges gegen Indien mit osmanischen Truppen umsetzen können, um damit einen antibritischen Aufstand in Indien auszulösen und das britische Empire zum Einsturz zu bringen. Die nationalen Bewegungen in den Kolonien der Entente suchte er – ähnlich wie auch Max von Oppenheim mit seinem Djihad-Konzept – für die eigenen Ziele zu nutzen.18 In diesem Kontext sah er bereits eine allgemeine Dekolonialisierung als die prägende „Signatur des 20. Jahrhunderts“ voraus.19 Bei all seinen weitausgreifenden und fantasiereichen Plänen war von der Goltz letztlich doch noch Realist genug, um schon bald nach seiner Ankunft vor Ort festzustellen, dass man noch weit von der Ausführung eines solchen Unternehmens entfernt war.

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Während von der Goltz im Osmanischen Reich in hohen militärischen Funktionen stand, führte die jungtürkische Führung unter Enver Pascha und Talat Pascha seit April 1915 einen Völkermord an den Armeniern und assyrischen Christen durch. Die Einstellung des Generalfeldmarschalls gegenüber der Armenierfrage zeigt geradezu exemplarisch die ambivalente Haltung hoher deutscher Offiziere zu diesem Thema. Einerseits war es gerade von der Goltz, der schon früh die antiarmenische Grundhaltung seiner türkischen Umgebung übernommen hatte. In der Überzeugung, dass die Armenier während des Krieges eine innere Bedrohung für das Osmanische Reich darstellten, stimmte er Enver Pascha zu, dass armenische Bevölkerungsteile vorübergehend aus den Grenzgebieten zu Russland deportiert werden sollten.20 Als von der Goltz feststellte, dass diese Umsiedlung als gezielte Vernichtungsmaßnahme umgesetzt wurde, zeigte er sich vom Leiden der Armenier betroffen, unterließ es ­a llerdings, darüber nach Berlin zu berichten. Trotzdem griff er – ähnlich wie auch Liman von Sanders – unmittelbar zum Schutz von Armeniern ein. In einer mehrwöchigen Auseinandersetzung mit türkischen Behörden, bei der er sogar mit seinem Rücktritt drohte, gelang es ihm, den Deportationsbefehl für die Armenier in Mossul rückgängig zu machen und ihnen damit das Leben zu retten.21 Als Oberbefehlshaber der 6. Armee konzentrierte sich von der Goltz vor allem auf die Kämpfe in Mesopotamien, wo britische Truppen im Vormarsch auf Bagdad waren. Nach der Schlacht bei Ktesiphon hatten sich die Briten unter General Charles Townshend in Kut-el-Amara am Tigris in Verteidigungsstellung gebracht. Goltz übernahm nun die Belagerung der rund 11 000 Briten und Inder und wehrte dabei sowohl Ausbruchsals auch Entsatzversuche ab. Die Kapitulation der gegnerischen Streitmacht, die der Generalfeldmarschall durch seine Maßnahmen vorbereitet hatte, sollte er jedoch nicht mehr erleben. In den letzten Märztagen 1916 war von der Goltz auf einem Schiff mit Typhuskranken von Kut-elAmara nach Bagdad gefahren und hatte sich angesteckt. Am 19. April 1916 starb er in Bagdad. Anmerkungen 1 2 3 4 5

Ess, Ein Jubiläum zum Jahre 2011, S. 239–241. Krethlow, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz, S. 64f. Stein, „Ein ganzes Volk in Waffen ist nicht zu unterschätzen“, S. 72–79. Stein, Die deutsche Heeresrüstungspolitik, S. 147–156. Krethlow, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz, S. 390–401.

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Lemke, Globaler Krieg, S. 44. Krethlow, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz, S. 433–436. Goltz, Denkwürdigkeiten, S. 363f. Zitat nach Krethlow, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz, S. 438, Anm. 167. Ebd., S. 429f. Zitat nach ebd., S. 439, Anm. 182. Ebd., S. 440. Hartmann, Reichweite des Staates, S. 241–243. Yorulmaz, Arming the Sultan, S. 82–96. Winke für die in den türkischen Dienst als Instrukteure übertretenden Offiziere, August 1909, BA-MA, N 155/3, Bl. 57–62. Yasamee, Colmar Freiherr von der Goltz, S. 96; Lemke, Globaler Krieg, S. 47–50. Krethlow, Generalfeldmarschall Colmar Freiherr von der Goltz, S. 460–469, 543. Lemke, Globaler Krieg, S. 48–50. Goltz an Geheimrat Hueck, 6.10.1915, in: Goltz, Denkwürdigkeiten, S. 421f. Krethlow, Deutsche Militärs und die Armenier, S. 160. Hull, Deutsche Militärs und der Völkermord an den Armeniern, S. 208f.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA), Nachlass Colmar von der Goltz, N 737, 42 Auf bewahrungseinheiten, vor allem Korrespondenz, Unterlagen zur Kriegsgeschichte und Berichte über Türkei-Aufenthalte. Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA), RH 61/1002–1004, Materialsammlung Colmar von der Goltz. Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg (BA-MA), Pers 1/105749, Personalakte Colmar von der Goltz. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA-PK), NL Colmar von der Goltz, Familiennachlass der Familie von der Goltz. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA-PK), NL Waldersee, B I 21 Bd. 1–3, Briefe von Colmar von der Goltz an Waldersee, 1883–1902. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin (PA-AA), Konstantinopel 134 und Konstantinopel 135, Mission Goltz, 1915 und 1916–1918.

Gedruckte Quellen und Literatur Ess, Josef van, Ein Jubiläum zum Jahre 2011. Colmar Freiherr von der Goltz, http://www. orden-pourlemerite.de/sites/default/files/reden/vaness-vortrag.pdf [Stand: 17.08. 2019]. Goltz, Colmar von der, Léon Gambetta und seine Armeen, Berlin 1877. Goltz, Colmar von der, Das Volk in Waffen, Berlin 1883. Goltz, Colmar von der, Denkwürdigkeiten. Bearb. und hrsg. von Friedrich von der Goltz und Wolfgang Foerster, Berlin 1929. Hartmann, Elke, Die Reichweite des Staates. Wehrpflicht und moderne Staatlichkeit im Osmanischen Reich 1869–1910, Paderborn 2016. (= Krieg in der Geschichte 89). Hull, Isabel V., Deutsche Militärs und der Völkermord an den Armeniern, in: Hosfeld, Rolf / Pschichholz, Christin (Hrsg.), Das Deutsche Reich und der Völkermord an den Armeniern, Göttingen 2017, S. 182–214.

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Generalleutnant Wilhelm Groener von Johannes Hürter

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m Ende des Ersten Weltkriegs und der Monarchie übernahm ein württembergischer Offizier aus kleinbürgerlichen Verhältnissen die Verantwortung, dem Kaiser und seiner Umgebung reinen Wein über die wirkliche Lage einzuschenken. Als Wilhelm II. mit seiner Entourage am 9. November 1918 in der Abgeschiedenheit des Großen Hauptquartiers in Spa von einer Rückkehr als König von Preußen an der Spitze „seines“

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Heeres nach Berlin fabulierte, platzte dem Generalleutnant Wilhelm Groener „bei so viel Wirklichkeitsfremdheit“ angesichts der Auflösungsprozesse in der Armee und der Revolution in der Heimat der Kragen: „Das Heer wird unter seinen Führern und Kommandierenden Generalen in Ruhe und Ordnung in die Heimat zurückmarschieren, aber nicht unter dem Befehl Eurer Majestät, denn es steht nicht mehr hinter Eurer Majestät.“1 Groener wunderte sich noch knapp 20 Jahre später, dass er in ­d iesem Moment nicht von einem der Anwesenden „über den Haufen geschossen“ wurde, „denn diese Worte waren eine Ungeheuerlichkeit“. Als nicht weniger ungeheuerlich galt seine Äußerung am selben Tag, „man dürfe sich nicht wundern, wenn in Zeiten revolutionärer Gärung die Begriffe Fahneneid und Oberster Kriegsherr wirkungslos und zur Fiktion würden“. Wer war dieser Mann, der erst vor Kurzem die Nachfolge Erich Ludendorffs als Erster Generalquartiermeister angetreten hatte und nun entscheidend zur Abdankung des Kaisers beitrug? Dass er bewusst die Rolle des schwarzen Schafs auf sich nahm und seither in monarchistischen Kreisen als Verräter galt, war seiner Biografie nicht eingeschrieben. Sehr wohl aber verkörperte Groener einen neuen Offizierstyp, der sich vom traditionellen Bild des Offiziers unterschied. Ein Kamerad aus Stuttgarter Vorkriegsjahren erinnerte sich: „Er war Spezialist des Eisenbahnwesens, hatte ausgezeichnete Nerven und war für nichts zu haben, was in Zeit und Zahlen umgesetzt der Realität nicht standhielt. […] Gröner [sic!] war etwas, das konnte niemand bestreiten, und er war in der Maske alles andere als schimmernd. Wenn er auf dem Cannstatter Wasen sein Bataillon exerzierte, die Zigarre im Mund, ein starker, rotbäckiger Mann, auf einem ebenso starken häßlichen Gefechtsbullen sitzend, so war das ein Soldatenspielen, das von dem üblichen stark abwich und insbesondere die Kavalleristen in Staunen versetzte.“2 Während Groener hier als Musterbeispiel eines modernen militärischen Professionals herausgestellt wurde, erinnerte er selbst sich später vor allem daran, als Homo Novus in seiner Karriere benachteiligt worden zu sein. „Sein Vater, der nur Zahlmeister gewesen sei, sei dabei das ausschlaggebende Moment gewesen. Eigentlich sei er immer als Einsamer durch seine militärische Laufbahn gewandelt.“3 Diese Deutung des eigenen Lebens relativiert sich, wenn man die militärische Laufbahn Groeners in den weiteren Kontext der soziokulturellen Entwicklungen innerhalb der Militärelite stellt. Das Offizierskorps der Kaiserzeit war weniger reaktionär, feudal und hermetisch, als das von

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Generalmajor Wilhelm von Groener (Foto von 1914)

einer auf den „preußischen Militarismus“ als Grundübel der deutschen Geschichte fixierten Geschichtsschreibung lange behauptet wurde. Gerade das Beispiel Groeners belegt die Möglichkeiten, die sich einem ehrgeizigen und begabten jungen Mann selbst bei geringer Herkunft im Militärwesen boten. Die vielfältigen Modernisierungsschübe nach 1871 und insbesondere während der wilhelminischen Ära verstärkten in den Funktionseliten und auch im besonders standesbewussten, vom Adel geprägten Offizierskorps den Trend zur Verbürgerlichung, Professionalisierung und Spezialisierung. Dass Groener am 22. November 1867 als Sohn eines vermögenslosen Unteroffiziers in Ludwigsburg geboren wurde, waren nicht die besten Voraussetzungen für eine Offizierslaufbahn, doch schon der höhere Bildungsweg auf einem humanistischen Gymnasium bis zur Primareife und der Eintritt als Fahnenjunker in das 3. Württembergische Infanterie-Regiment Nr. 121 am 22. November 1884, seinem 17. Geburtstag, zeugen von einer gewissen sozialen Mobilität.

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Ein Bürgerlicher als Berufsoffizier war keine Ausnahme mehr. In Groeners ersten beiden Dienstjahren (1884–1886) bestand das Offizierskorps seines Regiments aus acht Adeligen und 21 Bürgerlichen. Neben Groener entstammten immerhin drei weitere Offiziere dem Kleinbürgertum, mit den Väterberufen Unteroffizier, Oberamtsdiener und Volksschullehrer.4 Geeignete Bewerber aus unteren bürgerlichen Schichten wurden akzeptiert, wenn sich ihre Väter im Staatsdienst bewährt hatten. Die meisten Offiziere kamen aber aus den „offiziersfähigen“, „erwünschten Kreisen“ des Adels, der höheren Beamten, Akademiker und Besitzbürger. Charakteristisch an der Offiziersliste des Regiments war auch, dass sich unter den Regiments- und Bataillonskommandeuren fünf adelige und nur zwei bürgerliche Offiziere fanden. Das Sozialprofil eines Regiments hing stark von seinem Ansehen und dem Prestige der Waffengattung ab. Das Regiment Groeners war recht angesehen, aber nicht vergleichbar mit den preußischen Garderegimentern der Infanterie und Kavallerie, in denen es noch kurz vor Kriegsbeginn fast nur adelige Offiziere gab.5 In vielen Artillerie-Regimentern, in Pionier-Bataillonen und erst recht in den neuen „technischen“ Truppen (Eisenbahn, Telegrafen etc.) dominierten dagegen die bürgerlichen Offiziere. Generell sank der Adelsanteil, war aber im preußischen Offizierskorps noch 1913 mit 30 Prozent etwa doppelt so hoch wie in den württembergischen, sächsischen und bayerischen Kontingenten. Bis zuletzt wurden die höheren und höchsten Ränge trotz aller sozialen Öffnung überproportional mit adeligen Offizieren besetzt. Der Generalstab bestand 1906 zu 60 Prozent und 1913 zu 50 Prozent aus Adeligen. Außerdem machte sich gerade in den elitären Rängen und Stellungen bemerkbar, dass das „Bürgertum“ sehr heterogen war. Der preußische Gutsbesitzersohn Ludendorff hatte ganz andere Startbedingungen als der württembergische Zahlmeistersohn Groener, obwohl beide bürgerlich waren. Trotz dieses sozialen Nachteils konnte Groener die Aufstiegschancen in einem Offizierskorps nutzen, das sich den Anforderungen des modernen technisch-industriellen Krieges anpassen musste. Wie in anderen Professionen auch kam es im Militärberufsstand zunehmend auf Fähigkeiten an, die dem bürgerlichen Habitus und seinen Werten entsprachen: höhere Bildung, akademisches Fachwissen, individuelle Leistung und rationales Denken. In dem Maße, wie der Beruf des Offiziers zur „normalen“ Profession wurde, verlor das Offizierskorps seinen „feudalen“ Charakter, und auch die Bindung zur Monarchie oder zu einem einzelnen Monarchen lockerte sich unmerklich. Tradition und Standesehre blieben,

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teilweise neu erfunden, ein wichtiger Kitt, doch mindestens ebenso wichtig wurde der Bezug zum Nationalstaat, dem alle Kontingente und ihre Offiziere unabhängig von ihrer regionalen Herkunft dienten. Wilhelm Groener steht wie kaum ein zweiter Offizier der Kaiserzeit für diese Entwicklung zu Professionalismus und nationaler Vergemeinschaftung. Der ehrgeizige Secondeleutnant (9. September 1886) bereitete sich zielstrebig auf die Aufnahmeprüfung zur Kriegsakademie in Berlin vor, die er im Frühjahr 1893 bestand. Das öffnete ihm die Tür, hinaus aus seinem württembergischen Regiment, hinein in die wissenschaftlich fundierte Arbeit einer modernen gesamtstaatlichen Militärelite. Das dreijährige Akademiestudium, das Groener im Oktober 1893 als Premierleutnant (14. September 1893) begann, war die Voraussetzung einer Laufbahn im Großen Generalstab, dem Gehirn des preußisch-deutschen Militärapparats. Da er die Kriegsakademie mit sehr guten Noten abschloss, gehörte er zum erlesenen Drittel der Absolventen, die im April 1897 zum Großen Generalstab kommandiert wurden. Dort kam Groener in die wichtige, aber wenig angesehene Topografische Abteilung, was wohl teils seiner geringen Herkunft, teils seiner technisch-wissenschaftlichen Begabung zuzuschreiben war. Er bewährte sich, sodass er am 25. März 1899 als Hauptmann in den Generalstab übernommen und einer anderen „technischen“ Abteilung zugeteilt wurde, die bis 1916 den Mittelpunkt seiner Karriere bildete: Die Eisenbahnabteilung hatte noch weniger Prestige, aber im Rahmen der deutschen Feldzugsplanungen eine noch größere Bedeutung als die Topografische Abteilung. Groener wurde in Berlin zum begeisterten Anhänger des Generalstabschefs Alfred Graf von Schlieffen, der den Gegnern im Westen durch eine schnelle und überraschende Zangenbewegung ein Super-Cannae bereiten wollte. Noch nach dem Krieg sah er als Militärschriftsteller im Schlieffen-Plan den Schlüssel zum Sieg und in seiner „Verwässerung“ den Urgrund der Niederlage.6 Sosehr Groener darauf brannte, in der Operationsabteilung eingesetzt zu werden, so blieb es doch die Eisenbahnabteilung, in der sich seine Begabung voll entfaltete. Unterbrochen von den üblichen Kommandos bei der Truppe und in höheren Stäben entwickelte sich Groener im Großen Generalstab zum besten Spezialisten für den militärischen Einsatz der Eisenbahnen. Seine Tätigkeit konfrontierte ihn mit den Problemen der technisch-industriellen Kriegführung, die im Eisenbahnwesen eine enge Kooperation militärischer und ziviler Stellen erforderte. Das machte ihn zu einem Offizier neuer, technokratischer Prägung, der erkannte, dass

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den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen des modernen Krieges eine immer größere Bedeutung zukam. Im Oktober 1912 wurde Groener als Oberstleutnant zum Chef der Eisenbahnabteilung ernannt. Er sammelte einen Kreis fähiger, ihm ergebener Mitarbeiter um sich, unter ihnen Kurt von Schleicher, und perfektionierte den Fahrplan für den deutschen Aufmarsch. Bei Kriegsbeginn zeigte sich, welche herausragende Vorarbeit die Abteilung unter Groener geleistet hatte. Der Transport von über drei Millionen Soldaten, 860 000 Pferden und zigtausend Tonnen Ausrüstung an die Westfront erfolgte mit erstaunlicher Geschwindigkeit und Präzision. Groener war als Chef des Feldeisenbahnwesens der unbestrittene Herr des gesamten Schienenverkehrs und mit einem Schlag ein bekannter Mann, innerhalb und außerhalb der Armee. Sein logistisches Können bewährte sich an allen Fronten, selbst unter den schwierigen Bedingungen im Osten. Seine Leistungen wurden durch Beförderungen und Auszeichnungen anerkannt. Seit September 1914 Oberst, wurde Groener nach den deutschen Erfolgen in Galizien, die dem reibungslosen Transport und Nachschub zu verdanken waren, am 26. Juni 1915 außer der Reihe zum Generalmajor ernannt und erhielt am 11. September 1915 mit dem Pour le Mérite den höchsten preußischen Orden. Die Verantwortung als Feldeisenbahnchef führte Groener immer mehr in den Problemkreis der gegenseitigen Abhängigkeit von Front und Heimat sowie in den Wirtschaftskrieg mit all seinen politischen und sozialen Folgen. Die Getreidelieferungen aus Rumänien, die Groener im Dezember 1915 logistisch betreute, verhinderten nicht, dass die Ernährungslage immer kritischer wurde. Die Errichtung des Kriegsernährungsamts am 26. Mai 1916 sollte für Abhilfe sorgen. Groener gehörte dem Vorstand an, in dem auf seinen Vorschlag auch ein Sozialdemokrat vertreten war. Dieser Pragmatismus kennzeichnete sein Verständnis, dass der moderne Krieg von der gesamten Bevölkerung getragen werden müsse und einen staatlich vermittelten sozialen Ausgleich notwendig mache, gewissermaßen eine „Revolution von oben“. Das Engagement im Kriegsernährungsamt, in dem er nach dem Präsidenten Adolf von Batocki den größten Einfluss besaß, verlagerte Groeners Aufgaben immer mehr in den politischen Bereich. Als das Kriegsernährungsamt und andere Stellen die massiven kriegswirtschaftlichen Probleme des Deutschen Reichs nicht bewältigen konnten, wurde auf Veranlassung der neuen Obersten Heeresleitung Hindenburg / Ludendorff das Kriegsamt geschaffen. Diese Zentralbehörde sollte

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das „Hindenburg-Programm“ umsetzen, das so voluntaristisch wie realitätsfremd darauf abzielte, alle verfügbaren Arbeitskräfte zu mobilisieren und die Rüstungsproduktion gewaltig zu steigern. Da sich Groener als Organisator in den zivil-militärischen Übergangszonen bewährt hatte, traute ihm Ludendorff zu, die Ressourcen und Reserven der Heimat „total“ auszuschöpfen. Nach seiner Ernennung zum Generalleutnant und Chef des Kriegsamts am 1. November 1916 machte sich Groener mit großer Energie an seine neue Aufgabe, stieß aber sofort auf riesige Hindernisse. Die industrielle Produktion stagnierte, der Kohlrübenwinter drückte die Moral der Bevölkerung, und das Hilfsdienstgesetz vom 5. Dezember 1916, das den Arbeitsdienst der nicht eingezogenen Männer von 17 bis 60 Jahren regeln sollte, war schwer durchzubringen und noch schwerer umzusetzen. Anders als die 3. Oberste Heeresleitung war Groener gegen diktatorische Maßnahmen, und setzte stattdessen auf einen sozialpolitischen Interessenausgleich durch staatliche Regulierung. „Im Innern Sozialdemokratie von Seiten der Regierung führen. Ohne Staatssozialismus kommen wir nicht durch“, hatte er bereits im August 1916 notiert.7 An der Spitze des Kriegsamts trat Groener als sozial aufgeschlossener konservativer Reformer auf, der im Interesse einer effizienten Kriegswirtschaft ein Bündnis zwischen Armee, Arbeiterschaft und Industrie anstrebte. Politische und soziale Zugeständnisse sollten außerdem die „demokratische Welle“ kanalisieren, in der er eine nicht mehr aufzuhaltende Begleiterscheinung des Weltkriegs sah.8 „Die Arbeitermassen können für eine starke Außenpolitik nur von der Regierung gewonnen und bei der Stange gehalten werden, die ihnen längst gehegte Wünsche erfüllt.“9 Die Aprilstreiks von 1917 bestärkten Groener in dieser Überzeugung, auch wenn er in einem Plakataufruf an die Rüstungsarbeiter sehr grob reagierte: „Ein Hundsfott, wer streikt, solange unsere Heere vor dem Feinde stehen!“10 Dass er in Teilen der Arbeiterbewegung seither als „Hundsfott-General“ verrufen war, hinderte ihn nicht, weiterhin als Vermittler zwischen Arbeiterschaft und Unternehmer zu agieren und Sozialdemokraten als Verhandlungspartner zu respektieren. Die Gewerkschaften bekamen Mitsprache und erzielten Arbeitnehmerrechte, die in die Zukunft wiesen. Ein positiver Effekt auf den Arbeitsmarkt und die Rüstungsproduktion blieb jedoch weitgehend aus. Groener verlor den Rückhalt Ludendorffs, und als er im Juli 1917 versuchte, die Kriegsgewinne der Unternehmer zu beschränken und die Arbeitslöhne zu regulieren, wurde er von seinen immer zahlreicheren Gegnern in Industrie, Verwaltung und

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Militär gestürzt. Der preußische Kriegsminister begründete Groeners Enthebung mit dessen „Neigung zu weit links, was in Süddeutschland verständlich, in Preußen jedoch nicht möglich“ sei.11 Groener wurde am 16. August 1917 an die Westfront versetzt. Dort war er als Kommandeur der 33. Infanterie-Division und von Dezember 1917 bis Februar 1918 als Führer des XXV. Reservekorps in eher ruhigen Frontabschnitten mit dem Stellungskrieg und der Vorbereitung der Frühjahrsoffensive beschäftigt. Nebenher blieb genug Zeit für kritische Reflexionen über seine Berliner Erfahrungen und über die Kriegslage. Seine persönlichen Aufzeichnungen nahmen einen zunehmend pessimistischen Ton an. Bei Groener verstärkte sich die Einsicht, dass Armee und Heimat durch den technisch-industriellen Abnutzungskrieg überfordert waren: „Wir hatten ja für diesen Krieg uns viel zu wenig vor­ bereitet.“12 In Berlin hatte er „das Politische einschätzen“ gelernt und erkannt, „daß unsere Lage bitterernst war“.13 Groener war einer der wenigen Generale, die verstanden, dass es nicht mehr um einen „Siegfrieden“ ging, sondern um die bloße Existenz des Deutschen Reiches und seiner monarchischen Staatsform. Ende Februar 1918 wurde Groener mit der Führung des I. Armeekorps beauftragt, um mit diesem Verband nach dem vorläufigen Scheitern der Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk in die Ukraine vorzustoßen. Beim schnellen Vormarsch nutzten die deutschen Truppen die Eisenbahnen, sodass Groener bei diesem „Eisenbahnkrieg“ in seinem Element war. Nach der Besetzung der Ukraine war seine Kompetenz als kriegswirtschaftlicher Organisator gefordert. Das formal souveräne, tatsächlich aber völlig von den deutschen und österreichisch-ungarischen Besatzungstruppen abhängige Land sollte zur Kornkammer der Mittelmächte werden. Als Generalstabschef der Heeresgruppe Eichhorn in Kiew war Groener seit dem 28. März 1918 faktisch der mächtigste Mann in der besetzten Ukraine, konnte aber die durch den „Brotfrieden“ mit der ukrainischen Regierung genährten Hoffnungen nicht erfüllen. Das Land befand sich im Bürgerkrieg mit den Bolschewiki und war kaum mehr zu regieren. Groener zeigte als heimlicher Militärdiktator seine autoritäre Seite, die wenig mit dem gemäßigten Auftreten des Kriegsamtschefs in Berlin gemein hatte. Er suchte ständig „mit der Laterne regierungsfähige Persönlichkeiten“,14 sprich Marionetten der Deutschen, und tauschte Ende April 1918 die sozialistische Rada-Regierung gegen das autokratische Hetmanat des Fürsten Pavlo Skoropadskyj aus. All dies nutzte wenig. Nachdem Generalfeldmarschall Hermann von Eichhorn am 30. Juli 1918

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einem sozialrevolutionären Bombenanschlag zum Opfer gefallen war, nahm das deutsche Hauptquartier in Kiew den Charakter einer belagerten Festung an, von der aus die überspannte deutsche Ostpolitik des Jahres 1918 auch nicht mehr zu retten war. Von diesem Außenposten aus verfolgte Groener mit Entsetzen, wie die letzte deutsche Offensive im Westen scheiterte und die Niederlage unvermeidlich wurde. Seine Kommentare wurden immer bitterer. Die Verantwortung suchte er nicht in der kriegsmüden Heimat und ihren politischen Umbrüchen, sondern in der „verfehlte[n] Politik der obersten Heeresleitung seit Jahr und Tag“ und insbesondere bei Ludendorff.15 Wilhelm II. war aus seiner Sicht kaum mehr auf dem Thron zu halten, doch noch am 25. Oktober 1918 hoffte er, „daß die deutsche Monarchie aus dem Niedergang der preußischen gerettet wird“.16 Nur vier Tage später, am 29. Oktober, wurde Groener überraschend und ohne vorherige Rücksprache mit ihm als Nachfolger Ludendorffs zum Ersten Generalquartiermeister ernannt. Seine Berufung war Programm. Es ging nicht mehr um die Lenkung militärischer Operationen, sondern nur noch um die Abwicklung eines verlorenen Krieges. Für die Rückführung des deutschen Millionenheeres benötigte man den Eisenbahnexperten, für das politische Krisenmanagement einen Soldaten mit innenpolitischer Erfahrung, der das Vertrauen der neuen parlamentarischen Regierung und Ansehen bis in die Sozialdemokratie besaß. Groener erwies sich als die richtige Wahl, allerdings nicht für die Monarchie der Hohenzollern. Die Vorurteile in der Generalität, am Hof und auf der politischen Rechten, er sei „Nichtpreuße und Demokrat“, ja trage „die Ballonmütze im Koffer“,17 schienen sich zu bestätigen. Groener selbst sah sich hingegen als liberalen Konservativen mit emotionalen Bindungen an die Monarchie, die für ihn jedoch nie ausschlaggebend waren. Er beschwor fast gebetsmühlenartig den „Wirklichkeitssinn“ und bekannte sich zur „Kunst des Erreichbaren“.18 Als Kopf der Obersten Heeresleitung folgte er funktionalistischen und etatistischen Denk- und Handlungsmustern, wie sie für moderne staatliche Akteure charakteristisch sind. Für Groener waren Armee, Staat und Verwaltung eine untrennbare Funktionseinheit, die intakt bleiben musste und ein höheres Gut war als etwa die Krone oder das Parlament. Der Erste Generalquartiermeister orientierte sich konsequent an den Zielen, unabhängig von der Frage der Verfassung den Gesamtstaat zu bewahren und den Generalstab als Keimzelle der künftigen Armee in die neue Zeit zu retten. Die Einheit des Reiches und die Effizienz der Armee waren und blieben die

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eigentlichen Leitbilder seines Wirkens als Soldat und Politiker. Dafür war er bereit, den Kaiser zu opfern und sich mit der Republik zu arrangieren. Als Wilhelm II. auf seine etwas krude Idee, den Heldentod an der Front zu suchen, nicht einging, entzog Groener ihm am 9. November 1918 mit seinem kaltblütigen Hinweis auf die wirkliche Lage die Unterstützung der Armee und beschleunigte dadurch das Ende der Hohen­ zollernmonarchie. Am Morgen des 10. November 1918 floh der Kaiser in die Niederlande, und bereits am Abend desselben Tages vereinbarte Groener telefonisch mit Friedrich Ebert, dem SPD-Vorsitzenden und neuen Reichskanzler, dass die Armee seine Regierung unterstütze, insbesondere in der „Bekämpfung des Bolschewismus“.19 Als Gegenleistung sicherte Ebert ihm zu, nicht an der Befehlsgewalt des Offizierskorps über die Truppe zu rühren. Das „Ebert-Groener-Bündnis“ rettete in der Revolution von 1918/19 sowohl die Regierungsmacht der Mehrheitssozialdemokraten als auch die Kommandogewalt der Militärelite. Die Oberste Heeresleitung hatte von Kassel aus zwei Aufgaben zu meistern: Gemäß den Bedingungen des Waffenstillstands waren etwa sechs Millionen Soldaten hinter den Rhein zurückzuführen; und zugleich galt es, aus den Resten eines sich auflösenden Massenheeres und aus Freiwilligen eine halbwegs zuverlässige Verfügungstruppe zu bilden, die eine deutsche Räterepublik nach sowjetischem Vorbild verhinderte. Beides gelang, nicht zuletzt wegen der Entschlusskraft und organisatorischen Begabung Groeners, der in diesen Monaten faktisch der Oberbefehlshaber der deutschen Streitkräfte war. Der eigentliche Generalstabschef, Paul von Hindenburg, ließ ihn uneingeschränkt gewähren und belastete sich bewusst nicht mit den schwierigen Entscheidungen, die zu treffen waren. So war es Groener, der eng und loyal mit der SPD-geführten Regierung kooperierte, militärische Allein­gänge im Baltikum sowie gegen Polen blockierte und Ebert im Juni 1919 zur Unterzeichnung des Versailler Vertrags riet. Die Autorität Hindenburgs deckte ihn, die Mitarbeit seines engsten Beraters Kurt von Schleicher unterstützte ihn, doch letztlich war es immer Groener, der die Verantwortung übernahm und seinen Kopf hinhielt. Sein Antrieb war ein konservatives, auf den Nationalstaat und die Armee bezogenes Ordnungsdenken. Die von ihm gesteuerte Intervention von regulären Truppen und Paramilitärs in der Innenpolitik sowie seine Mitwirkung an außen- und sicherheitspolitischen Weichenstellungen stärkten die junge Republik und belasteten sie zugleich mit Hypotheken. Die Reichseinheit konnte bewahrt, ein Abdriften der Revolution in eine

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linke oder rechte Diktatur verhindert werden. Doch erstens trug der oft brutale militärische Einsatz gegen Linkssozialisten und Kommunisten erheblich zur Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung bei. Gewalt und Militanz waren seither, mal mehr, mal weniger, die ständigen Begleiter der Weimarer Republik. Zweitens begünstigten die personelle Kontinuität und der unangetastete Führungsanspruch der traditionellen Militärelite – beides verteidigte Groener in strikter Abwehr einer demokratischen Militärreform – das distanzierte Verhältnis der Reichswehr zur Republik. Sein Bemühen, die Offiziere auf einen abstrakten Staatsbegriff und auf unbedingte Loyalität gegenüber der verfassungsmäßigen Regierung einzuschwören, konnte das klare Bekenntnis zur Republik und eine entsprechende Personalauswahl nicht ersetzen. Wie man die Alternativen auch immer bewerten mag: Die Polarisierung durch Gewalt und die Sonderrolle der Reichswehr waren zwei folgenreiche Erblasten des von Groener mitgestalteten Übergangs vom Kaiserreich zur Republik. Groener selbst stellte sich auch nach seinem Abschied aus der Armee am 30. September 1919 in den Dienst der Republik. Von Juni 1920 bis August 1923 leitete der Eisenbahnspezialist als parteiloser Fachminister das Reichsverkehrsministerium in den „bürgerlichen“ Kabinetten Fehrenbach, Wirth und Cuno. Während der pensionierte General auf diesem Posten effizient, aber unauffällig agierte, brachte ihn die Übernahme des Reichswehrministeriums im Januar 1928 zurück in das öffentliche Rampenlicht und in eine politische Schlüsselposition. In diesem Amt konnte er sich erneut, wie 1918/19, auf das Vertrauen Hindenburgs, jetzt Reichspräsident, und die Hilfe Schleichers stützen. Der enorme Einfluss, den Groener als Reichswehrminister und ab Oktober 1931 zugleich als Reichs­ innenminister bis Mai 1932 auf die Militärpolitik und schließlich auch Innenpolitik der Weimarer Republik hatte, kann hier nicht näher beschrieben werden.20 In der Mitte-Rechts-Regierung unter Wilhelm Marx (Zentrum), der Großen Koalition unter Hermann Müller (SPD) sowie den Präsidialkabinetten unter Heinrich Brüning (Zentrum) implementierte Groener eine Militärpolitik, die das Ziel hatte, die militärische Schwäche der Weimarer Republik statt in Distanz (wie in der Ära Seeckt) in enger Kooperation mit der demokratischen Regierung und den maßgeblichen zivilen Institutionen zu überwinden. Diese kontrollierte Militarisierung sollte innerhalb der Republik, nicht gegen sie, vollzogen werden und der Staatsführung so ein wirkungsvolles wie berechenbares militärisches Machtmittel in die Hand geben.

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Während diese auf militärische Rüstung und politische Integration setzende Militärpolitik mit der republikanischen Staatsform kompatibel war, trug Groener durch seine Eingriffe in die Innenpolitik zum schleichenden Systemwechsel bei. Als sich 1929/30 eine schwere ökonomische und politische Krise bemerkbar machte, hielt die Reichswehrführung die Große Koalition nicht mehr für handlungsfähig und setzte auf das Krisenmanagement einer weitgehend vom Reichstag und von den Parteien unabhängigen Regierung ohne Beteiligung der SPD. Groener nutzte seinen Einfluss bei Hindenburg, um im März 1930 das Präsidialkabinett Brüning zu installieren. Wie 1918 mit Ebert schloss er mit dem neuen Kanzler einen Pakt: Groener wurde zu einer Säule des Präsidialsystems, und Brüning unterstützte trotz der angespannten Haushaltslage seine Rüstungspolitik. Aber der Wechsel von der parlamentarischen Demokratie zum Notverordnungsregime stärkte den Staat nicht, sondern verengte die Macht auf eine labile Konstellation personeller Abhängigkeiten. Auf der Suche nach einer Massenbasis, in die auch die NSDAP einbezogen werden sollte, lavierte Groener als Wehr- und Innenminister zwischen den Verteidigern und Feinden der Republik. Als er erkannte, wie verfehlt und ergebnislos eine Annäherung an Hitler war, setzte er im April 1932 mit dem SA-Verbot ein klares Zeichen, das den republikanischen Kräften neue Hoffnung gab. Doch nun wurde er zum Opfer eines Systems, das er mitgeschaffen hatte. Schleicher und Teile der Generalität, vor allem aber das reaktionäre Staatsoberhaupt Hindenburg entzogen ihm das Vertrauen und zwangen ihn zum Rücktritt, dem kurz darauf das Ende der Regierung Brüning folgte. Nach dem Ende seiner zweiten, der politischen Laufbahn wurde es still um Groener. Die letzten Monate der Republik verfolgte er mit gespannter Anteilnahme, doch in der Diktatur zog er sich ganz auf seine militärwissenschaftlichen Studien und die Niederschrift seiner Memoiren zurück. Die neuen Machthaber ließen den gesundheitlich angeschlagenen Generalleutnant und Reichsminister a. D. in Ruhe. Während sie Schleicher ermorden ließen, hatten sie von Groener nichts zu befürchten, auch wenn er aus seiner Abneigung gegen das NS-Regime kein Geheimnis machte. Bezeichnend war etwa seine Antwort auf die Aufforderung, dem Reichsluftschutzbund beizutreten. Mit Bezug auf den Ausschluss der jüdischen Mitbürger lehnte er ab, da es seinen „grundsätzlichen Auffassungen über die Landesverteidigung“ widerstrebe, „den Luftschutz im Kriege mit Rasse und Religion zu verknüpfen“.21 Glaubt man den Erinnerungen von Zeitzeugen, dann sah er den Krieg und den Untergang des

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Reiches voraus. Groener starb, bevor es dazu kam, am 3. Mai 1939 in Bornstedt bei Potsdam. Wilhelm Groener nahm in mancher Hinsicht die äußerste Linie ein, die ein General im Kaiserreich in Richtung einer professionellen Anpassung an die dynamischen Modernisierungsprozesse erreichen konnte. Selbst ein sozialer Aufsteiger, zeigte er sich ebenso offen für politische und gesellschaftliche wie für militärfachliche Veränderungen. Er orientierte sich nicht an Personen, Parteien und Weltanschauungen, sondern an dem Ideal eines stabilen Nationalstaats, in dem Landesverteidigung als gesamtgesellschaftlicher, zivil-militärischer Komplex organisiert wurde. Während Groener den modernen Krieg als das „totale“ Phänomen erfasste, zu dem er sich entwickelt hatte, blieb sein Verständnis für die komplizierten Mechanismen und Aushandlungsprozesse in einer indus­ triellen Massengesellschaft und in einem parlamentarischen System limitiert. Die Verbindung aus militärischem Utilitarismus und politischem Pragmatismus in seinem Agieren genügte, den Übergang vom Kaiserreich zur Republik zu begleiten, nicht jedoch, den verhängnisvollen Weg von der Republik in die Diktatur zu verhindern. Groener reichte in seiner professionellen Entwicklung deutlich über die Begrenzungen der Hohenzollernmonarchie hinaus, ohne aber in der Republik voll und ganz anzukommen. So progressiv er als militärischer Akteur des ausgehenden Kaiserreichs auch war, sosehr blieb er der Exponent eines schwer zu fassenden Dazwischen. Anmerkungen 1 Groener, Lebenserinnerungen, S. 460. Die folgenden Zitate ebd. und S. 461. Die Äußerungen Groeners in Spa sind durch zeitgenössische Dokumente sinngemäß belegt. 2 Faber du Faur, Macht und Ohnmacht, S. 75f. 3 So der glaubhafte Bericht über ein Gespräch mit Groener im April 1932 in Brüning, Memoiren, S. 548. 4 Vgl. die Tabelle in Stoneman, Wilhelm Groener, S. 285 f. 5 Vgl. als guten Überblick mit exemplarischen Bezug auf Groener: Stoneman, Bürgerliche und adelige Krieger. 6 Vgl. Groener, Das Testament; ders., Feldherr. 7 Groener, Lebenserinnerungen, S. 551 (Tagebuch, 9.8.1916). 8 Ebd., S. 562 (Brief an seine Frau, 11.11.1917). 9 Ebd., S. 558 (Tagebuch, 30.9.1917). 10 Aufruf vom 27.4.1917; zur Politik Groeners im Kriegsamt vgl. Feldman, Armee (Zitat S. 276). 11 Groener, Lebenserinnerungen, S. 557 (Tagebuch, 18.8.1917). 12 Ebd., S. 562 (Brief an seine Frau, 5.11.1917).

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Ebd., S. 364. Baumgart (Hrsg.), Brest-Litovsk, S. 343 (Brief an seine Frau, 13.4.1918). Ebd., S. 449 (Brief an seine Frau, 22./23.10.1918). Ebd., S. 450 (Brief an seine Frau, 25.10.1918). Briefe der Generale Adolf Wild von Hohenborn, 30.10.1918, und Karl von Einem, 28.10.1918, in: Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, S. 1346. Brief an Fritz Vosberg, 7.9.1919, zit. nach Hürter, Wilhelm Groener, S. 14. Vgl. Groener, Lebenserinnerungen, S. 467f. Zu seinem Wirken als Erster Generalquartiermeister vgl. Rakenius, Wilhelm Groener. Vgl. dazu Hürter, Wilhelm Groener. Groener an Müller (Reichsluftschutzbund), 27.2.1934, BA-MA, N 46/42, Bl. 28.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Wilhelm Groener, N 46, 193 Auf bewahrungseinheiten, darunter Lebenserinnerungen; persönliches Kriegstagebuch; Materialsammlungen überwiegend kriegsgeschichtlicher und kriegswirtschaftlicher Art; politische Unterlagen als Reichsverkehrsminister, als Reichswehrminister und als amtierender Reichsminister des Inneren.

Gedruckte Quellen und Literatur Baumgart, Winfried (Hrsg.), Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution. Aus den Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen von Alfons Paquet, Wilhelm Groener und Albert Hopman. März bis November 1918, Göttingen 1971. Brüning, Heinrich, Memoiren 1918–1934, Stuttgart 1970. Deist, Wilhelm (Hrsg.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914–1918, 2 Bde., Düsseldorf 1970. Faber du Faur, Moriz von, Macht und Ohnmacht. Erinnerungen eines alten Offiziers, Stuttgart 1953. Feldman, Gerald D., Armee, Industrie und Arbeiterschaft in Deutschland 1914 bis 1918, Berlin / Bonn 1985. Groener, Wilhelm, Das Testament des Grafen Schlieffen, Berlin 1927. Groener, Wilhelm, Der Feldherr wider Willen. Operative Studien über den Weltkrieg, Berlin 1930. Groener, Wilhelm, Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg. Hrsg. v. Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen, Göttingen 1957. Hürter, Johannes, Wilhelm Groener. Reichswehrminister am Ende der Weimarer Republik (1928–1932), München 1993. Rakenius, Gerhard W., Wilhelm Groener als Erster Generalquartiermeister. Die Politik der Obersten Heeresleitung 1918/19, Boppard am Rhein 1977. Stoneman, Mark R., Bürgerliche und adelige Krieger: Zum Verhältnis von sozialer Herkunft und Berufskultur im wilhelminischen Armee-Offizierkorps, in: Heinz Reif (Hrsg.), Adel und Bürgertum in Deutschland, Bd. 2: Entwicklungslinien und Wendepunkte im 20. Jahrhundert, Berlin 2001, S. 25–63. Stoneman, Mark R., Wilhelm Groener, Officering, and the Schlieffen Plan, Ph. D., Washington, D. C. 2006.

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Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg von Michael Jonas

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aul von Beneckendorff und von Hindenburg (1847–1934) lässt sich in doppelter Hinsicht als die zentrale Gestalt des Ersten Weltkriegs aufseiten des deutschen Kaiserreichs bezeichnen. Sein militärisches und gleichermaßen politisches Wirken durchzog den Krieg von dessen ersten Wochen an bis in die Agonie der Obersten Heeresleitung (OHL) im Herbst 1918. Ebenso, ja mit ungleich größerer Intensität prägte das militärischpolitische Spannungsgefüge auch jenes gesellschafts- und identitätspolitische Gewebe, auf dessen Grundlage der Hindenburg-Mythos erwachsen konnte – ein Mythos, der nicht nur den Krieg überdauerte, sondern dem greisen Generalfeldmarschall eine unerwartete Wiedergeburt als nationale Erlöser- und Integrationsfigur in der Krisenzeit der Republik von Weimar ermöglichte. Der Historiker Erich Marcks greift diese Stimmung auf, wenn er 1932 vor dem Hintergrund der Reichspräsidentenwahlen die Heroisierung Hindenburgs zu sakraler Größe steigert: „Wer so, durch sich selber, ins Allgemeine hinaufwächst, der trägt die Unsterblichkeit in sich.“1 Der Ursprung der Apotheose Hindenburgs ist dabei in erster Linie in dessen symbolpolitischer Funktion als „charismatischer Kriegsfürst“ für die deutsche Gesellschaft in Krieg und Krise zu verstehen, als Projektionsfläche und Integrationsfigur kollektiver Bedürfnisse einer mobilisierten und zugleich verstörten Allgemeinheit.2 Hindenburgs konkrete Rolle und sein Wirken als militärischer Führer, als Feldherr und nicht zuletzt als Politiker erscheinen angesichts dessen häufig von sekundärer Bedeutung. Hindenburgs Sozialisation und Berufsbiografie vor 1914 erscheinen nachgerade repräsentativ und zugleich erstaunlich unspektakulär. Bemerkenswert ist dabei vor allem, dass wir es vor Kriegsausbruch bereits mit der gelebten Biografie eines hochrangigen Militärs zu tun haben, dem freilich jene letzte Spitzenverwendung – zumal im Großen Generalstab unter Schlieffen – verwehrt geblieben war. Als Spross einer vergleichsweise typischen ostpreußischen Militäradelsfamilie durchlief der 1847 in Posen geborene Hindenburg von seinem elften Lebensjahr an die preußische Kadettenausbildung erst im Schlesischen, dann ab Ostern

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Paul von Hindenburg auf einer Porträtaufnahme um 1914

1863 in Berlin. Den Krieg von 1866 erlebte er als Leutnant des 3. GardeRegiments zu Fuß, dem er im Frühjahr zugeteilt worden war. Die Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli bildete seine erste intensivere Kampf­ erfahrung, aus der er mit einem Streifschuss am Kopf verletzt hervorging.3 Auch im Krieg gegen Frankreich 1870 wurde Hindenburg eingesetzt; ja, er durfte als Vertreter seines Regiments der Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles beiwohnen. Unabhängig vom begrenzten Erkenntniswert der Hindenburg’schen Stilisierungen in den Memoiren klingen in seiner Sprache die überragenden Gefühle nationaler Begeisterung und die nicht minder großen Erwartungen an eine glanzvolle Zukunft des Reiches nach.4 Sein konkretes Empfinden wie sein aristokratisches Lebensgefühl insgesamt sahen sich dabei den zeittypischen Topoi von Kaiser und Reich, von (preußischem) Thron und (protestantischem) Altar, Familie und Nation fortwährend verpflichtet. Von den Zeitläuften und existenziellen Zäsuren der kommenden Jahre gleichsam unberührt, findet sich diese Quintessenz an Überzeugungen in den Memoiren und selbst noch, wenn auch relativiert, im politischen Testament,

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das der 87-jährige Reichspräsident hinterlassen hat. Unter dem Eindruck des nahezu lautlosen Abhandenkommens der preußisch-deutschen Mo­ narchie und der krisenhaften Frühphase der Republik schreibt er 1919, dass, wenn sich die Flut verlaufen habe, „aus dem ewig bewegten Meere völkischen Lebens jener Felsen wieder auftauchen [wird], an den sich einst die Hoffnung unserer Väter geklammert hat, und auf dem vor fast einem halben Jahrhundert durch unsere Kraft des Vaterlandes Zukunft vertrauensvoll begründet wurde: Das deutsche Kaisertum!“ Eben diese visionäre Erwartung möchte Hindenburg im Sommer 1934 zum Bestandteil seines politischen Testaments erheben.5 Mit der Reichseinigung nahm die berufliche Laufbahn Hindenburgs als preußisch-deutscher Offizier ihren Anfang. Auf den dreijährigen Besuch der Kriegsakademie in Berlin um die Mitte des Jahrzehnts folgte 1877 die Versetzung in den Großen Generalstab unter Moltke d. Ä., ein Jahr darauf die Beförderung zum Hauptmann. Pyta weist zu Recht darauf hin, dass wir es bei Hindenburg nicht mit einer „reinen Soldatennatur“ zu tun haben, sondern mit einem „kriegswissenschaftlich ausgebildeten Militär, der die Schlachten gewissermaßen lesen konnte“ und der sich angesichts dieser Befähigung bewusst von den ausschließlich militärfachlich operierenden Berufskollegen seiner Zunft absetzte.6 Seine Neigung zum Politischen wurde früh deutlich. Militärbelange und Kriegführung waren für ihn über die rein taktisch-operativen und militärfachlichen Fragen hinaus auch genuin politische Angelegenheiten, was ihn später insbesondere vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs zu einem Vertreter „einer ganz besonderen Spezies politischer Generale“ machte.7 An seiner Qualifikation zum Generalstäbler bestand ohnehin kein Zweifel, wie der von Schlieffen entworfene, ausnehmend positive Qualifikationsbericht deutlich macht; der kommende Generalstabschef Alfred von Waldersee ergänzte den Bericht um die sanft ironische Formulierung: „Major von Hindenburg ist ein hervorragend tüchtiger GeneralstabsOffizier und eignet sich schon jetzt zum Chef des Generalstabes.“8 1881 wurde Hindenburg, nun im Generalstab der 1. Division in Königsberg tätig, zum Major befördert, 1890 als Oberstleutnant mit der Leitung der II. Abteilung des preußischen Kriegsministeriums betraut. Von da an schlossen sich eine Vielzahl unterschiedlicher Verwendungen und damit einhergehender Beförderungen an. Im Jahr 1903 avancierte er schließlich zum Kommandierenden General des IV. Armeekorps in Magdeburg, ehe er zwei Jahre später zum General der Infanterie befördert wurde. 1911 schließt sich der Kreis dieser durchaus „mehr als respektablen“

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preußisch-deutschen Offizierskarriere.9 Hindenburg zog sich daraufhin nach Hannover zurück. Hier privatisierte er, bereits Mitte 60, zumeist im Kreise seiner Familie, wenn auch „nicht ohne Heimweh nach dem verlassenen Wirkungskreise, nicht ohne Sehnsucht nach den Reihen der Armee.“10 Gänzlich substanzlos war der Hindenburg-Mythos gerade im Militärischen nicht, und auch hier Ergebnis von äußerer Projektion und vergleichsweise geschickter Selbstinszenierung des vermeintlich „genialen Feldherrn“.11 Im Zentrum des Mythos steht dabei zweifellos die siegreiche Schlacht bei Tannenberg, eine Namensgebung, die er mit einigem dramaturgischen Gespür für die geschichtspolitischen und propagandistisch nutzbaren Tiefenschichten des Ortes selbst durch Intervention beim Kaiser veranlasste. „Bei Tannenberg, das zwischen Gilgenburg und Hohenstein liegt, wurde 1410 das Ordensheer von den Polen und Litauern vernichtet. Jetzt, nach 504 Jahren, kam die Revanche …“, schreibt er seiner Frau bei Abschluss der Operationen.12 Dabei kam die Reaktivierung Hindenburgs für den Fronteinsatz vergleichsweise zäh zustande. Im Grunde war er, wie er selbst im kleinen Kreis konzedierte, vom damaligen Generalquartiermeister Hermann von Stein gewissermaßen ausgehoben und unter zeitlich gerafften Bedingungen an die gefährdete Ostfront expediert worden. Motiviert hatte die Wiederindienststellung des Pensionärs eine eher negative Erwägung aufseiten des Großen Generalstabs. Der seit Mitte August erfolgende russische Einbruch nach Ostpreußen barg nicht nur die Gefahr einer militärischen Katastrophe, sondern war angesichts der zeittypisch übersteigerten „asiatischen Gefahr“ gleichermaßen dazu angetan, eklatant auf den kollektivpsychologischen Zustand der deutschen Kriegsgesellschaft zu wirken. Vor diesem Hintergrund entschied sich der Generalstab zur Entsendung des hochdekorierten Erich Ludendorff als Generalstabschef der 8. Armee. Ludendorff galt zu Recht als tatkräftiger, durchsetzungsfähiger, ja brillanter Militärstratege und hatte seine Qualitäten in der taktisch-operativen Improvisation gerade erst bei der Einnahme Lüttichs bewiesen. Dem neuen Generalstabschef sollte ein charakterlich eher phlegmatischer, militärisch unambitionierter Dienstvorgesetzter als Oberbefehlshaber an die Seite gestellt werden, von dem keine Initiative zu erwarten war und der Ludendorff und seinem Stab den nötigen planerischen Spielraum bereitwillig gewähren würde. Auch den zeitgenössischen Beobachtern erschloss sich die gewollt passive Funktion des neuen Oberbefehlshabers, jenes „lebenden Leichnams“ und „ausgegrabenen Pensionärs“, wie es Untergebene erfassten.13 Die hier bereits

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angedeutete funktionale Teilung von Verantwortlichkeiten, die – positiv gewendet – Hindenburg die repräsentative Außenwirkung überließ, Ludendorff aber die gestalterische Ägide im Militärischen, zieht sich als Konstante durch das Verhältnis beider wie durch die deutsche Kriegführung im Ersten Weltkrieg insgesamt. Die Schlacht bei Tannenberg, wie sie sich unter Hindenburgs Oberbefehl, aber ohne sonderlich viel Zutun seinerseits, zwischen dem 26. und dem 30. August entwickelte, war zweifelsohne ein in militärischer Hinsicht beeindruckender Umfassungs- und Vernichtungssieg über die russische 2. Armee – eine Art modernes Cannae, das die russische Seite etwa 30 000 Gefallene kostete und der deutschen – bei vergleichsweise geringen eigenen Verlusten – mehr als 90 000 Kriegsgefangene bescherte. Im deutschen Militärdiskurs vor 1914 ging die Renaissance des Cannae-­ Ideals vor allem auf Schlieffen zurück, sodass der an diesem geschulte Hindenburg begeistert von einem „Cannae à la Schlieffen“ sprechen konnte.14 Der Anteil des Oberbefehlshabers der 8. Armee am beschriebenen Triumph war freilich minimal. Ludendorff und vor allem der aus dem alten Stab verbliebene Oberstleutnant und Chef der Operationsabteilung Max Hoffmann lassen sich als die eigentlich Verantwortlichen nicht nur für Tannenberg, sondern auch für die Folgeschlachten an den Masurischen Seen um die Septembermitte 1914 und die zähe Winterschlacht in Masuren im Februar 1915 benennen; diese Teilerfolge verbesserten zwar die strategische Ausgangslage des Deutschen Reiches, den erhofften Zusammenbruch der russischen Front aber zogen sie nicht nach sich. Nicht ohne Neid beobachteten Ludendorff und Hoffmann in den Wochen nach Tannenberg, wie sich die öffentliche Aufmerksamkeit auf Hindenburg als nationaler Vaterfigur konzentrierte. Dieser Entwicklung trug auch die Berliner Führung Rechnung, indem sie Hindenburg am 1. November als Oberbefehlshaber Ost (OberOst) einsetzte und wenige Wochen später zum Generalfeldmarschall beförderte. Der um ihn seit Tannenberg aufwachsende Mythos als „Befreier Ostpreußens“, ja als „kernfeste“, eichengleiche „Verkörperung des Kriegsgottes“ hatte sich zu diesem Zeitpunkt bereits verselbstständigt.15 Darüber hinaus, dies hat Pyta im Detail veranschaulicht, handelte es sich bei Hindenburg um einen begnadeten Selbstdarsteller, der sich von Kriegsbeginn an zielgerichtet medial inszenieren ließ und solcherart das öffentliche Bedürfnis nach Identifikation und Projektion bediente.16 Die Zusammenarbeit mit Ludendorff wurde in der öffentlichen Wahrnehmung zwar als kongeniale Verbindung gewürdigt; tatsächlich blieb die Beziehung zwischen dem Generalfeldmarschall

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und seinem Stabschef bestenfalls eine symbiotische Zweckehe, von der beide – bei aller Reserve im Persönlichen – bis in die letzten Wochen des Krieges hinein profitierten. Die Popularität der Feldherrn-Dioskuren hing dabei nicht nur mit der faktisch ja gegebenen Abwehr einer russischen Invasion zusammen, sondern auch mit dem Umstand, dass die militärischen Erfolge an der Ostfront in ein gesellschaftspolitisches Vakuum stießen. Das eigentlich moderne Cannae hatte Schlieffens (und die von Moltke d. J. angepasste) Kriegsplanung stets für die Westfront vorgesehen. Hier freilich stockte die Offensive und kam nach der Marne-Schlacht völlig zum Erliegen, sodass dem ursprünglich nachrangigen und in der gesamtstrategischen Planung sträflich vernachlässigten Kriegsschauplatz im Osten schlagartig zentrale Bedeutung für die propagandistische Inszenierung der deutschen Kriegsanstrengungen zukam. Einen ersten Ausgriff in die praktische Politik unternahmen Hindenburg und Ludendorff bereits um den Jahreswechsel 1914/15, als sie im Verbund mit Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg an der Ablösung des Chefs des Generalstabes Erich von Falkenhayn arbeiteten. Das Zustandekommen dieser unorthodoxen Koalition ging auf eine grundsätzliche strategische Frage zurück, in der Hindenburg und sein Stab sich fundamental von Falkenhayn absetzten. Unter Ludendorffs Federführung war angesichts der vermeintlichen militärischen Schwäche des Zarenreiches der ambitionierte operative Plan entstanden, die Entscheidung im Osten möglichst zeitnah zu suchen und das gewaltige, aber schlecht geführte und erschöpfte russische Heer von Norden und Süden – hier im Verbund mit der k. u. k. Armee – zu umfassen und einzukesseln. Dies freilich hätte eine substanzielle Schwerpunktverlegung von Ressourcen von der West- zur Ostfront erfordert und damit das gesamtstrategische Ungleichgewicht der Fronten nachgerade in sein Gegenteil verkehrt. Ein solches Cannae noch nie dagewesener Proportionen kollidierte offensichtlich mit Falkenhayns eigener Operationsplanung, die zu einer realistischeren Einschätzung des russischen Potenzials tendierte und weiterhin auf den strategischen Durchbruch an der Westfront orientiert war. Über solch rationale strategische Erwägungen hinaus ging es Falkenhayn freilich auch um die Neutralisierung des Hindenburg’schen Einflusses. Hier traf sich Falkenhayn mit Wilhelm II., dem – laut Reichsverfassung – Inhaber der obersten Kommandogewalt. Auch der Kaiser beobachtete die Ambitionen Ludendorffs und nicht zuletzt die öffentliche Wirkung Hindenburgs als Kriegs- und Nationalheld mit einigem Argwohn und registrierte „mit wachem Gespür, welche Gefahr seiner Position

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durch die beiden Feldherren im Osten drohte.“17 Hindenburgs eigenes konfrontatives, „übereiltes und ungeschicktes“ Vorgehen tat sein Übriges, um ihm den Kaiser zu entfremden. Mit den „Allüren eines Wallensteins“, so vermerkte Wilhelm II. in jener ersten militärpolitischen Krise vom Januar 1915, suche Hindenburg, von seiner schier grenzenlosen Popularität zehrend, die Machtprobe – und dies nicht mit Falkenhayn, sondern mit seinem Kaiser. Dabei stellte er Wilhelm II. vor die Wahl, entweder Falkenhayn von seinen Aufgaben zu entbinden oder ihn – Hindenburg – selbst gehen zu lassen. Der altvordere Militär begab sich damit erstmals auf genuin politisches Terrain und betrieb mit der Bloßstellung Falkenhayns auch die militärpolitische Entmachtung, ja die effektive „Abdankung“ des Kaisers zu seinen Gunsten.18 Wilhelm II. blieb keine andere Wahl, als Hindenburgs (und Ludendorffs) Ambitionen zu ersticken und Falkenhayn – in Rücksichtnahme auf Bethmann – zwar als Kriegsminister zu entfernen, aber zugleich als Chef des Generalstabes des Feldheeres im Amt zu belassen. Bis zur endgültigen Ablösung Falkenhayns vor dem Hintergrund des rumänischen Kriegseintritts im Spätsommer 1916 vergingen anderthalb weitere Jahre, in denen Hindenburg ein ums andere Mal über die Unzulänglichkeiten der Heeresleitung und ihrer Kriegführung lamentierte, so beispielsweise im Februar 1916, als er seiner Frau anvertraute, „dass keiner es mehr wagt, den Ring zu durchbrechen, der um die Allerhöchste Person von lauter Mittelmäßigkeit geschlossen ist.“19 Der sogenannte Große Rückzug der kaiserlich russischen Truppen nach der Schlacht von Gorlice-Tarnów im Sommer 1915 hatte die westliche Peripherie des Zarenreiches – vom Nordosten Polens über Litauen bis nach Kurland – unter die Kontrolle des deutschen Oberbefehlshabers Ost gebracht. Hindenburg und Ludendorff sowie Hoffmann als eigentlicher Stichwortgeber bemühten sich, in den eroberten Gebieten ein MusterOkkupationsregime zu errichten. Dieses Regime – kurz als Land Ober Ost bezeichnet – war den radikaleren Konzeptionen einer Randstaatenpolitik verpflichtet und sollte die geregelte Besatzung des Territoriums, die systematische Ausbeutung der vorhandenen kriegswirtschaftlichen und personalen Ressourcen und schließlich die wie auch immer geartete Übernahme und Neubesiedlung des Gebiets sicherstellen. Längerfristig sollte hier ein germanisierter Imperialpuffer entstehen, dessen Genese Ludendorff ohne Zweifel vehementer betrieb als der in dieser Hinsicht eher antriebslose Hindenburg. Hindenburgs vermeintliche Zurückhaltung hing dabei nicht mit einem etwaigen Mangel an politischer Befähigung oder mit fehlendem politischen Instinkt zusammen, sondern sollte als Ausweis

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seiner Arbeitsweise gewertet werden, einen Großteil der Alltagsorganisation an Untergebene – und hier mit besonderer Vorliebe Ludendorff – zu delegieren. Mit der Ablösung Falkenhayns und seiner (und Ludendorffs) Berufung an die Spitze des Generalstabs des Feldheeres im August 1916 schlug Hindenburgs Resignation im Blick auf die allgemeine Kriegführung ins Gegenteil um. Schließlich bot sich nun jener strategische und nicht zuletzt politische Gestaltungsspielraum, den er im Nachgang zu Tannenberg gesucht und wiederholt eingefordert hatte. Mit Ludendorff als Generalquartiermeister und operativem Impulsgeber an seiner Seite war erstmals die gesamte deutsche und zunehmend auch die österreichisch-ungarische Militärgewalt zentral in Form der 3. OHL gebündelt. Auf dieser Grundlage intervenierte Hindenburg in den folgenden zwei Jahren in wachsendem Maße in die Reichspolitik und beschnitt dabei nicht nur die verbliebene Gestaltungsmacht von Reichsregierung und Reichstag, sondern auch die konstitutionell verankerten Prärogative des Kaisers. Was auf zeitgenössische Beobachter und die frühe Historiografie wie eine Militärdiktatur wirkte, entpuppt sich bei genauerer Draufsicht nicht als eine Diktatur im engeren Sinne, sondern gleicht weit mehr einer plebiszitären Ausprägung von „charismatischer Herrschaft“, folgt man Pyta und der einschlägigen Begriffsbildung Max Webers.20 Obgleich Hindenburgs plebiszitär inszenierte Machtstellung weit in den politischen Kosmos des späten Kaiserreichs hineinreichte, fanden sich zivile Gewalten innerhalb der Reichsleitung und nicht zuletzt die zwar gebrochene, aber weiterhin wirkmächtige Autorität des Kaisers, die einer auf das Duumvirat Hindenburg / Ludendorff zulaufenden diktatorischen Machtkonzentration Einhalt geboten. Hindenburg war folglich zum Politisieren, zum Operieren im politischen System gezwungen und erwies sich in diesem Feld als meisterlich. Dies mag umso mehr erstaunen, als Politik seinem Selbstbekenntnis nach weder zu seinen Stärken noch zu seinen Leidenschaften gehörte. Zum hartnäckigsten politischen Projekt des obersten Militärs wurde ab dem späten Jahr 1916 der Versuch, sein ziviles Pendant Reichskanzler Bethmann aus dem Amt zu drängen. Seit 1915 freilich hatte Hindenburg mit dem Reichskanzler eine vergleichsweise effektive Koalition gegen den vom Kaiser lange gestützten Falkenhayn gebildet. Dessen Ablösung und die Inthronisierung des Generalfeldmarschalls als Oberbefehlshaber der aktiven Truppenteile des Reiches ging im Kern auf Bethmanns Betreiben zurück. Für den Reichskanzler wurde Hindenburg zur Schlüsselfigur in dem Bemühen, Wege aus einem aussichtslos gewordenen Krieg zu

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­f inden. Etwaige Initiativen zu einem Verständigungsfrieden mit der Entente freilich bargen angesichts der Millionen Kriegsopfer der ersten zwei Kriegsjahre die naheliegende Gefahr, das konstitutionell-monarchische System in Deutschland zu untergraben. Bethmann war sich bewusst, dass sich im Reich um den Jahreswechsel 1915/16 nur eine Gestalt mit der erforderlichen Autorität und „plebiszitären Legitimation“ fand, um die von ihm erwogenen Friedensfühler gesellschaftspolitisch vermittelbar zu machen: Hindenburg.21 Aus diesem Grund bemühte der Reichskanzler sich, Hindenburg für eine politische Friedensoffensive den Westmächten gegenüber zu gewinnen. Wie so häufig, blieb Hindenburg in dieser Frage evasiv, ließ sich aber schließlich dazu überreden, die Friedensinitiativen von Reichsregierung und Reichstag über einen Katalog militärischer Minimalforderungen zu sekundieren, der als Grundlage von künftigen Sondierungen dienen konnte. Im Grunde aber war sein Einlassen Bethmann gegenüber rein taktischer Natur. Hindenburgs Ansicht nach hatte das gesamte Bündel von Friedensmaßnahmen, das der Reichskanzler in den Jahren 1916 und 1917 schnürte, hauptsächlich die Funktion, die Entente vor der deutschen Gesellschaft als eigentliche Partei der Kriegstreiberei bloßzustellen und somit im Hinblick auf die eigenen Kriegsanstrengungen stabilisierend zu wirken. Mit Übernahme der OHL am 29. August 1916 schwenkte der oberste Militär daher auch auf einen kompromiss­ losen Kurs ein, in dessen Zentrum auch die öffentliche Bekundung eines Siegfriedens stand. In der sensiblen Frage des kriegsvölkerrechtswidrigen uneingeschränkten U-Boot-Kriegs lavierte Hindenburg, anfangs ganz im Bethmann’schen Interesse. Mit dem Jahreswechsel 1916/7 indessen trat er zielbewusst der Anti-Bethmann-Koalition unter den Militärs bei und setzte die Wiederaufnahme der uneingeschränkten U-Boot-Kriegführung gegen die Reichsleitung durch. Die Übersetzung seines „symbolischen Kapitals in politische Macht“ ermöglichte Hindenburg punktuell erfolgreiche, häufig auch weitreichende Interventionen in die Politik.22 Zur Ablösung des von ihm inzwischen verachteten Bethmann kam es freilich erst, als dessen Position innenpolitisch erodiert und der Reichskanzler erschöpft schien. Und selbst dann – Mitte Juli 1917 – sahen sich Ludendorff und in dessen Fahrwasser auch Hindenburg gezwungen, aufeinander abgestimmte Rücktrittserklärungen beim Kaiser zu hinterlegen. Dass es sich bei dem Anlass zu diesem Schritt, der Bethmann um sein Amt brachte, um die preußische Wahlrechtsreform handelte, verdeutlicht die massive Präsenz der 3. OHL im politischen Raum des späten Kaiserreichs.

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Die auf Bethmann folgenden Reichskanzler Georg Michaelis und Georg von Hertling hatten das Gestaltungsmandat ihres Amtes bereits ab ovo an die OHL eingebüßt. Hindenburg und der mit Übernahme der OHL zum Ersten Generalquartiermeister aufgestiegene Ludendorff nutzten ihre neu gefundene Machstellung und ihre vielfältigen direkten wie indirekten Wirkungsmöglich­ keiten auch in anderen Bereichen, vor allem im Hinblick auf die Reorganisation der deutschen Kriegswirtschaft. Diese bekam unter dem Duumvirat Hindenburg / Ludendorff zunehmend die Züge einer Kommandowirtschaft. Die Notwendigkeit einer planwirtschaftlichen Koordination schien sich durch die eklatanten rüstungsindustriellen Produktionskrisen, gerade im Munitionsbereich und in der Geräteherstellung, gleichsam aufzudrängen. Die zentralen kriegswirtschaftlichen Ressourcen, darunter auch die Mobilisierung von Arbeitskräften, und die Rüstungsindustrie des Reiches wurden angesichts dessen ab Herbst 1916 von einem neu eingerichteten Kriegsamt zentral koordiniert. Die Gesamtheit dieses planwirtschaftlichen Maßnahmenbündels, ergänzt um ein zeitnah verabschiedetes „Vaterländisches Hilfsdienst-Gesetz“, firmierte in der deutschen Kriegspropaganda symbolträchtig als „Hindenburg-Programm“. Hindenburg war sich, obgleich weder mit der konkreten Planung noch mit der Verwaltung des Programms befasst, durchaus der vornehmlichen Bedeutung der Kriegswirtschaft für die Fortsetzung des Krieges bewusst. „Alle anderen Industriezweige müssen gegen die Kriegswirtschaft zurücktreten“, heißt es in einer ersten wirtschaftspolitischen Denkschrift nach Übernahme der OHL an den Kriegsminister vom 31. August 1916.23 In der Öffentlichkeit wurde der Mythos vom „Feldherrn-Genie“ nun sukzessive ergänzt um die Qualitäten eines omnipotenten Staatslenkers „mit klarem Blick und sicherer Hand“ für sämtliche Belange von Staat und Gemeinwesen.24 Auch der recht bald absehbare Misserfolg der kriegsplanwirtschaftlichen Maßnahmen der 3. OHL konnte dem nahezu apotheotischen Hindenburg-Bild nichts anhaben. Neben eklatanten Problemen bei der Koordination ging das eigentliche Scheitern des „Hindenburg-Programms“ in erster Linie auf den strukturell bedingten Ressourcen- und Arbeitskräftemangel zurück. Der Zusammenbruch des russischen Imperiums eröffnete dem Kaiserreich ungeahnte Möglichkeiten und trug zugleich zur Überwindung jener Erschöpfungserscheinungen bei, die Front und Heimatfront gleicher­ maßen im Verlauf des Jahres 1917 ergriffen hatten. Das Abhandenkommen des östlichen Kriegsgegners gab Hindenburg und der OHL zwei lang

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ersehnte Vorteile an die Hand: Auf der einen Seite erlaubte die neue Kriegslage nun die Konzentration der künftigen Operationsplanung auf die Westfront, auf der anderen Seite kam das Reich effektiv in den Besitz Ostmitteleuropas mit seinen in vielfacher Hinsicht beträchtlichen Ressourcen. Der solcherart geweitete Möglichkeitshorizont der deutschen Kriegführung ließ auch Hindenburg nicht unberührt. Besonders deutlich spiegelt sich die Radikalisierung seiner Kriegszielvorstellungen dabei vor dem Hintergrund des Friedensprozesses von Brest-Litowsk. Von der ursprünglichen Distanz, mit der er in den ersten Kriegsjahren noch auf den verschärften Annexionismus der Alldeutschen reagiert hatte, war Ende 1917 wenig geblieben. Im Rahmen der sich über Monate ziehenden Verhandlungen von Brest-Litowsk machte er sich – nur von Ludendorff überboten – zum Wortführer deutscher Hegemonialpolitik und zum kompromisslosen Befürworter eines Siegfriedens. Die territorialpolitischen Ordnungsvorstellungen des Duumvirats sahen – neben der Verdrängung Russlands aus dem Baltikum – die Schaffung eines umfangreichen „polnischen Grenzstreifens“ zum Zwecke der Grenzbegradigung vor. Hindenburgs und Ludendorffs Siegfriedensvorstellungen standen um den Jahreswechsel 1917/18 die Anhänger eines Verständigungsfriedens gegenüber, deren prominentester Vertreter der Staatssekretär des Auswärtigen, Richard von Kühlmann, war. Für Kühlmann und das Auswärtige Amt bedeutete Brest-Litowsk in erster Linie die Chance, eine Art deutsch vermittelten Modellfrieden mit Verständigungscharakter zu schaffen, der seinerseits exemplarisch auf den als unausweichlich empfundenen Friedensprozess im Westen wirken sollte. Im Frühjahr 1918 setzte sich schließlich die von Hindenburg propagandistisch inszenierte Festlegung auf einen kompromisslosen Siegfrieden, auf einen „Hindenburg-Frieden“, wie es in der Debatte hieß, durch. Letzterer kam indessen erst durch den vorübergehenden Abbruch der Verhandlungen und den sich anschließenden Vorstoß deutscher Truppen bis weit in die Ukraine hinein zum Tragen – dann freilich mit einer Gewalt, die Brest-Litowsk überhaupt erst zu jenem „nahezu idealtypischen Diktatfrieden“ werden ließ, „der die Asymmetrie der Machtverhältnisse und der militärischen Konstellation widerspiegelte.“25 Der von Hindenburg propagierte Siegfrieden, wie er in Brest-Litowsk realisiert wurde, und das umfassende Scheitern der 3. OHL lagen im erneut dynamisierten Kriegsjahr 1918 nur wenige Monate auseinander. Nach dem Misserfolg der Frühjahrsoffensiven 1918 und der Serie an Rückschlägen im Spätsommer sahen sich Hindenburg und Ludendorff

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Ende September endgültig gezwungen, die drohende Niederlage an der Westfront der Reichsleitung gegenüber einzugestehen und den schnellstmöglichen Abschluss eines Waffenstillstands einzufordern. Dieser Offenbarungseid, der in vielerlei Hinsicht mit den Lagebeschreibungen der militärischen Führung der vorausgegangenen Wochen und Monate kollidierte, führte zur effektiven Entmachtung der 3. OHL. Die nach­ holende Transformation des Kaiserreichs in eine parlamentarisch-konstitutionelle Monarchie, der die Etablierung eines Krisenkabinetts unter dem neuen Reichskanzler Max von Baden vorausgegangen war, stellte den Primat der Politik über das Militärische wieder her. In ungewöhnlicher Dichte ist dies in der Entlassung Ludendorffs am 26. Oktober abgebildet, die für den Kaiser zugleich die Rückgewinnung jenes Spielraums bedeutete, den er im August 1916 an Hindenburg und Ludendorff abgetreten hatte. Hindenburg freilich, der ebenfalls mit seiner Entlassung gerechnet hatte, beließ Wilhelm II. in seinem Amt, auch weil er und sein Beraterkreis um die unentbehrliche stabilisierende Funktion des Generalfeldmarschalls in der Kriegsniederlage wussten. Da der Kaiser ihn ausdrücklich in die Pflicht nahm, nahm Hindenburg seine weitere Verwendung in Kauf und entfremdete sich Ludendorff damit nachdrücklich. Hindenburgs vermeintliche Skrupellosigkeit freilich ging weiter, als sich kurzerhand von seinem „treuen, durch niemand zu ersetzenden Gehilfen und Freund“ zu trennen; auch den Kaiser, mit dem er sich noch Anfang November 1918 gegen das Kabinett solidarisiert hatte, stieß er beizeiten ab, ohne dabei seine grundsätzliche Präferenz für die monarchische Staats- und Herrschaftsform zu verlieren.26 Hindenburgs Zeugnisse aus der Zeit deuten an, dass es sich bei seinem Vorgehen nicht ausschließlich um rein situative Auswüchse von Opportunismus handelte. Im Kern zielte sein Handeln – im Grunde seit Tannenberg – auf den Erhalt und die Kultivierung des um ihn entstandenen Mythos ab. Seine gleichsam sakralisierte Autorität als „Nationalheros des deutschen Volkes“ war durch die Kriegsniederlage zwar beschädigt worden, erschien aber – nicht nur in Hindenburgs übersteigerter Selbstwahrnehmung – ungebrochen als Garant für den Zusammenhalt, ja die Existenz der Nation insgesamt.27 Ausdruck dieser Nation blieb für ihn auch vor dem Hintergrund der Niederlage das deutsche Heer, das er intakt durch die dem Staat zweifelsohne bevorstehenden Verwerfungen bringen wollte. Vor diesem Hintergrund erwiesen sich Ludendorff und selbst der Kaiser als prinzipiell entbehrlich.

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Während sich Ludendorff verbittert zurückzog und zwischenzeitlich sogar nach Schweden absetzte, musste Hindenburg dem Kaiser den Gang ins monarchische Exil in die Niederlande am 9. November 1918 erst mit einiger Vehemenz nahelegen. Die damit verbundene Distanzierung von Wilhelm II. und ein Einlassen auf die neuen Umstände erschienen ihm unumgänglich, um mögliche Unruhen im Heer zu unterbinden und damit den halbwegs geordneten Fortbestand von Staatlichkeit zu gewährleisten. Angesichts dessen fand sich die OHL bereit, mit der neuen republikanischen Regierung zusammenzuarbeiten. Zugleich erkannten moderate Sozialdemokraten wie Ebert, Scheidemann und Noske die Bedeutung eines im Amt verbliebenen Hindenburg, schlug der Generalfeldmarschall doch „die symbolische Brücke zwischen dem nunmehr in die Brüche gegangenen Kaiserreich und der jungen Republik, deren genaue Ausformung noch unklar war.“28 Erst vor dem Hintergrund der Unterzeichnung des Versailler Vertrages im Sommer 1919 zog sich Hindenburg aus der zunehmend funktionslosen OHL zurück, freilich nicht, ohne auch diesen Abschied symbolpolitisch geschickt zu inszenieren. Trug Hindenburgs Verhalten in der revolutionären Krise des Jahreswechsels 1918/19 ohne Zweifel auch zur Stabilisierung der Republik bei, versah er Weimar zugleich mit einer seiner schwersten Hypotheken, der sogenannten Dolchstoßlegende. Das narrative Muster dieser Legende ging dabei seinen Ursprüngen nach auf Hindenburg und dessen Wirken in der Schlussphase des Ersten Weltkriegs zurück. Mit zunehmender Erkenntnis in die Niederlage bemühte er sich ab Herbst 1918 darum, das absehbare militärische Scheitern geschichtspolitisch umzudeuten und einer vermeintlich dysfunktionalen, die eigentlichen Kriegsanstrengungen des Heeres hintertreibenden Heimatfront anzulasten. Als er gut ein Jahr darauf am 18. November 1919 vor dem eigens von der Weimarer Nationalversammlung eingesetzten „Untersuchungsausschuss für die Schuldfragen des Weltkrieges“ aussagte, kleidete er die Legende in eine wirkmächtige, gleichsam toxische Metapher. Unter wohl fälschlichem Rückgriff auf einen britischen General – Frederick Maurice – bemerkte Hindenburg mit der Autorität des vormaligen obersten Militärs: „‚Die deutsche Armee ist von hinten erdolcht worden.‘ Den guten Kern des Heeres trifft keine Schuld. […] Wo die Schuld liegt, ist klar erwiesen.“ Letztere könne nur bei der Reichsleitung und nicht zuletzt bei den Parteien liegen, setzte er fort. Er habe bei seinen Bemühungen, „alle nationalen Kräfte zur schnellen und günstigen Kriegsentscheidung zusammenzufassen“, stets auf „kraftvolle und freudige Mitarbeit [gesetzt], und bekam Versagen und Schwäche“,

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vor allem seitens der zivilen Entscheidungsebene.29 Die 3. OHL und hier in erster Linie der in der Kritik stehende Ludendorff erschienen in dieser Sicht gänzlich exkulpiert. Hindenburgs öffentlichkeitswirksame Zeugenaussage wurde so zum Ausgangspunkt der Dolchstoßlegende. Damit delegitimierte Hindenburg eben jene Republik, deren Toten­ gräber er keine 15 Jahre später werden sollte. Ganz wie in der Schlussphase des Weltkriegs, herrschte er auch als Reichspräsident in der Agonie Weimars mit nur schwach eingehegter plebiszitärer Autorität. Mit dem „Kabinett der nationalen Konzentration“ vom 30. Januar 1933 hoffte Hindenburg, die Genese jenes autoritären „Volkstaats“ zu befördern, in dem er seine Ideale nationaler Vergemeinschaftung am ehesten aufgehoben sah, vorzugsweise im Verbund mit einer Wiederherstellung der Monarchie. Pyta spricht in diesem Zusammenhang von einem bewussten „Charismatransfer von Hindenburg auf Hitler“, der mit dem willentlich in Kauf genommenen Verfall seiner „legalen Herrschaftsrechte als Reichspräsident“ einherging.30 In diesem Prozess bildet sich die Funktion Hindenburgs und nicht zuletzt des Hindenburg-Mythos in der jüngeren deutschen Geschichte noch einmal deutlich ab: Mensch und Mythos fungieren als Scharnier zwischen den Herrschaftsordnungen von spätem Kaiserreich und nationalsozialistischem Führerstaat. Anmerkungen 1 Marks / Eisenhart-Rothe, Paul von Hindenburg, S. 75. 2 „Charismatischer Kriegsfürst“ auf Grundlage der Weber’schen Typen-Bildung überzeugend auf Hindenburg übertragen von Pyta, Paul von Hindenburg als charismatischer Führer, hier S. 111–112. Vgl. auch Pyta, Hindenburg, u. a. S. 69–153, S. 285–293. 3 Hindenburg, Aus meinem Leben, S. 22–26 (Zit. S. 25f.). 4 Ebd., S. 41f. Vgl. zum frühen Hindenburg die Biografie seines ältesten Sohnes Bernhard von Hindenburg, Paul von Hindenburg, hier S. 54–63. 5 Hindenburg, Aus meinem Leben, S. 405; zum politischen Testament vgl. Mühleisen, Das Testament Hindenburgs; und die wohl definitive Darstellung bei Pyta, Hindenburg, S. 855–871. 6 Pyta, Hindenburg, S. 14. 7 Ebd., S. 28. 8 Qualifikations-Bericht zum 1. Januar 1887, in: Hubatsch (Hrsg.), Hindenburg und der Staat, S. 151 (Nr. 1). 9 Pyta, Hindenburg, S. 14–39, betitelt so das einschlägige Kapitel seiner Biografie, an dem sich die biografische Skizze orientiert. 10 Hindenburg, Aus meinem Leben, S. 64.

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11 Von Hoegen, Der Held von Tannenberg, S. 99–112, mit einer Reihe zeitgenössischer Beispiele dieser Stilisierung. 12 Hindenburg an seine Frau (30.8.1914), in: Hubatsch (Hrsg.), Hindenburg und der Staat, S. 152 (Nr. 2). 13 Zit. nach Pyta, Hindenburg, S. 47. 14 Brief Hindenburgs an Friedrich von Bernhardi (3.9.1914), in: Bernhardi, Denkwürdigkeiten, S. 397; Münkler, Die Antike im Krieg, hier S. 58–62. 15 Von Hoegen, Der Held von Tannenberg, S. 115f. 16 Pyta, Hindenburg, S. 115–153. 17 Ebd., S. 157; von Hoegen, Der Held von Tannenberg, S. 177–192. 18 Janßen, Der Wechsel in der Obersten Heeresleitung, hier S. 341 (Anm. 12). 19 Hindenburg an seine Frau (11.2.1916), zit. in: Hubatsch (Hrsg.), Hindenburg und der Staat, S. 15. 20 Pyta, Hindenburg, S. 243–283; vgl. auch Pyta, Paul von Hindenburg als charismatischer Führer, S. 109–147. 21 Pyta, Hindenburg, S. 227–238. 22 Ebd., S. 242. 23 Chef des Generalstabes des Heeres an Kriegsminister (31.8.1916), in: Ludendorff (Hrsg.): Urkunden der Obersten Heeresleitung, S. 63–65 (Zit. S. 64). 24 Der Tag Nr. 437 (29.8.1917), zit. nach von Hoegen, Der Held von Tannenberg, S. 204, mit einer Reihe an ähnlichen Zitaten aus der Tagespresse. 25 Leonhard, Die Büchse der Pandora, S. 816. 26 Zit. nach Nebelin, Ludendorff, S. 180f. 27 Ansprache Wilhelms II. auf Hindenburg vom 2.6.1916, zit. in: von Hoegen, Der Held von Tannenberg, S. 184. 28 Pyta, Hindenburg, S. 383. 29 Verhandlungen des 15. Untersuchungsausschusses, Bd. 2, S. 700f. 30 Pyta, Hindenburg, S. 870f.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Paul von Hindenburg, N 429, 39 Auf bewahrungseinheiten, überwiegend Korrespondenz. Siehe zudem das umfangreiche Quellenverzeichnis bei Pyta, Hindenburg, S. 1062–1065.

Gedruckte Quellen und Literatur Bernhardi, Friedrich von, Denkwürdigkeiten aus meinem Leben. Nach gleichzeitigen Aufzeichnungen und im Lichte der Erinnerung, Berlin 1927. Hindenburg, Bernhard von, Paul von Hindenburg. Ein Lebensbild, Berlin 1915. Hindenburg, Paul von, Aus meinem Leben, Leipzig 1920. Hoegen, Jesko von, Der Held von Tannenberg. Genese und Funktion des HindenburgMythos, Köln / Weimar / Wien 2007. Hubatsch, Walther (Hrsg.), Hindenburg und der Staat. Aus den Papieren des Generalfeldmarschalls und Reichspräsidenten von 1878 bis 1934, Göttingen 1966. Ludendorff, Erich (Hrsg.), Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18, 2. Aufl., Berlin 1921.

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Marks, Erich / Eisenhart-Rothe, Ernst von, Paul von Hindenburg als Mensch, Staatsmann, Feldherr, hrsg. im Namen der Hindenburgspende von Oskar Karstedt, Berlin 1932. Mühleisen, Horst, Das Testament Hindenburgs vom 11. Mai 1934, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), S. 355–371. Münkler, Herfried, Die Antike im Krieg, in: Zeitschrift für Ideengeschichte VIII (2014), S. 55–70. Pyta, Wolfram, Paul von Hindenburg als charismatischer Führer der deutschen Nation, in: Möller, Frank (Hrsg.), Charismatische Führer der deutschen Nation, München 2004, S. 109–147. Pyta, Wolfram, Hindenburg. Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, 3. Aufl., München 2009. Stenographische Berichte über die öffentlichen Verhandlungen des 15. Untersuchungsausschusses der Verfassungsgebenden Nationalversammlung nebst Beilagen, Bd. 2, Berlin 1920.

Admiral Franz Ritter von Hipper von Nicolas Wolz

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enn, nach einem berühmten Diktum Winston Churchills, der britische Flottenchef Admiral Sir John Jellicoe der einzige Mann auf beiden Seiten der Nordsee war, der den Ersten Weltkrieg an einem Nachmittag verlieren konnte, dann war Admiral Franz von Hipper einer der wenigen, die imstande waren, ihn an einem Nachmittag zu gewinnen. Denn falls Jellicoe wirklich mit seinen Schiffen jemals in eine Situation geraten wäre, in der die Überlegenheit der britischen gegenüber der deutschen Flotte und damit im von Churchill angedeuteten ungünstigsten Fall die britische Seeherrschaft zur Disposition gestanden hätten, dann wäre ein solches Szenario kaum denkbar gewesen ohne die Beteiligung Hippers. Als Befehlshaber der Aufklärungsstreitkräfte, die aus den Schlachtkreuzern, Kleinen Kreuzern und Torpedobooten der Kaiserlichen Marine bestanden, war Hipper nicht nur für die Sicherung der Deutschen Bucht verantwortlich, sondern auch an allen nennenswerten Unternehmungen der deutschen Flotte im Ersten Weltkrieg beteiligt. Und zumindest einmal, am 16. Dezember 1914, als Hippers Kreuzer die Städte Hartlepool, Whitby und Scarborough an der englischen Ostküste

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beschossen, bestand dabei für die deutsche Seite tatsächlich eine einigermaßen realistische Chance, der Royal Navy erheblichen Schaden zuzufügen. Die Gelegenheit verstrich jedoch ungenutzt, da Admiral Friedrich von Ingenohl, der Chef der Hochseeflotte, keine Schlacht riskieren wollte und seine Linienschiffe, die eigentlich Hippers Rückzug decken sollten, vorzeitig nach Hause schickte. Hipper selbst entging nur knapp der möglichen Vernichtung seines Verbands. „Der liebe Herrgott hat geholfen“, schrieb er hinterher in sein Tagebuch.1 Der Verlauf des Unternehmens schien die Befürchtungen Hippers zu bestätigen, dem jedes Mal, wenn er mit seinen Schiffen die heimischen Gewässer verließ, die Gefahr durch Minen und U-Boote ebenso viel Sorge bereitete wie die Aussicht, dass ihm feindliche Kräfte den Rückweg abschneiden könnten. Viel lieber wäre es ihm gewesen, wenn die Briten ihrerseits die deutsche Küste angegriffen hätten. So war es im strategischen Szenario der Kaiserlichen Marine für den Krieg in der Nordsee auch vorgesehen gewesen. Doch stattdessen begnügte sich die von den geografischen Gegebenheiten begünstigte Grand Fleet damit, die beiden Nordseeausgänge im Ärmelkanal sowie zwischen Schottland und Norwegen zu blockieren. Die deutsche Flotte, von ihrem Schöpfer Großadmiral Alfred von Tirpitz technisch und strategisch ganz auf eine Entscheidungsschlacht zwischen Helgoland und der Themse ausgerichtet, war dagegen weitgehend machtlos. Der Operationsbefehl für die Kriegführung in der Nordsee vom 30. Juli 1914 sah vor, dass die gegnerischen Kräfte erst einmal „durch offensive Vorstöße […] sowie durch eine bis an die britische Küste getragene, rücksichtslose Minen- und wenn möglich U-Bootsoffensive“ so weit dezimiert werden sollten, bis eine Seeschlacht unter dann „günstigen Umständen“ Aussicht auf Erfolg besaß.2 Mit dieser zurückhaltenden Vorgehensweise, die die Vorstellungen und Erwartungen der meisten Seeoffiziere vom Krieg als der lang ersehnten „Bewährungsprobe“ der Marine bitter enttäuschte, war Hipper zähneknirschend einverstanden. „Würden wir jetzt […] die Schlacht riskieren“, schrieb er im August 1914, „so würden wir nicht nur gar keinen Erfolg haben, sondern die Hochseeflotte wäre mit einem Schlage von der Bildfläche verschwunden, das Beste, was England haben könnte. Also müssen wir schon wohl oder übel Geduld haben.“3 Ihm war jedoch vollauf bewusst, dass „das tatenlose Herumliegen“ der Flotte auf Dauer negative Folgen zeitigen musste. Es machte zum einen „den Unternehmungsgeist schlapp und nimmt den Leuten die Kriegsbegeisterung, die zweifellos in hohem Grade vorhanden ist“.4 Noch schwerer aber wog, wie Hipper im

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weiteren Kriegsverlauf immer deutlicher erkannte, dass es auch den Fortbestand einer Flotte infrage stellte, die ihre kostspielige Existenz nicht durch entsprechende Leistungen zu rechtfertigen vermochte. „Ich fürchte nur, es wird beim Friedensschluss alles auf der Marine sitzen bleiben, und kein Mensch wird an ihr mehr ein gutes Haar lassen, und das wird um so schlimmer werden, wenn die Flotte, die Großkampfschiffe, nicht zur Aktion gekommen sein sollten. Aus diesem Grunde allein wünschte ich schon, dass wir recht bald zum Schlagen kommen.“5 Auf der Suche nach einer strategischen Alternative zum „Kleinkrieg“ des Operationsbefehls schlug Hipper, die Idee eines seiner Kommandanten aufgreifend, im Herbst 1914 vor, die Schlachtkreuzer zum Handelskrieg in den Westatlantik zu entsenden, drang aber mit dieser „kühne[n] und weitschauende[n] Planung“ (Friedrich Ruge) nicht durch. Die polykratische und zerstrittene Marineführung vermochte sich nicht vom Tirpitz’schen Dogma der Entscheidungsschlacht zu lösen und hielt an einem „System der Halbheiten“ fest.

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Das Resultat waren Vorstöße wie ebenjener vom Dezember 1914, die zwar den Tatendrang von Offizieren und Mannschaften befriedigen mochten, aus Hippers Sicht aber einen entscheidenden Makel aufwiesen: Das Ergebnis rechtfertigte nicht das Risiko. Zwar werde, so schrieb er einige Tage vor dem Angriff auf Hartlepool, die erfolgreiche Ausführung des Unternehmens „wieder ein großes Geschrei in England ergeben“, doch stand ein solcher „Erfolg“ seines Erachtens „nicht im Einklang mit dem Einsatz“.6 Wenn schon wertvolle Schiffe riskiert werden sollten, dann doch besser im Kampf gegen schwimmende Streitkräfte. Auf keinen Fall sollte sich wiederholen, was Anfang November geschehen war, als Hippers Einheiten die ostenglische Stadt Great Yarmouth beschossen hatten und dabei der Kreuzer „Yorck“ auf eine Mine gelaufen und gesunken war. Mindestens so bitter wie der Verlust des Schiffes erschien dem Admiral die Art und Weise seines Untergangs. Es graute ihn geradezu davor, ihm könne etwas Ähnliches widerfahren. „So kampf- und ruhmlos untergehen, wäre ein trauriger Abschluss meiner Laufbahn.“7 Viel lieber wäre es ihm gewesen, wenn „[ich] an der Spitze meiner Kreuzer im Gefecht falle“.8 Dass ihm für die Beschießung von Yarmouth das Eiserne Kreuz verliehen wurde, erschien Hipper so ungerechtfertigt, dass er sich zunächst weigerte, den Orden anzulegen. Eine solche Einstellung war nachgerade typisch für einen Angehörigen des kaiserlichen Seeoffizierkorps. Besonderes Kennzeichen dieses exklusiven Kreises war ein archaisch anmutender Ehrbegriff, in dessen Zen­ trum Begriffe standen wie Treue, Pflichterfüllung und Kampfesmut bis hin zur Bereitschaft, sein Leben für König und Vaterland zu opfern. Nur denjenigen jungen Männern aus den besonders bevorzugten gesellschaftlichen Kreisen des Adels und Bürgertums, denen zugetraut wurde, diesem hohen Anspruch zu genügen, gewährte man Zugang zum „Elitekorps des Kaisers“ (Holger Herwig). Franz Hipper, geboren am 13. September 1863 im oberbayerischen Weilheim als Sohn eines Kaufmanns, zählte dazu. Als er nach dem Besuch des Gymnasiums in München, das er nach der Obersekunda verlassen hatte, um zunächst einjährig-freiwilligen Militärdienst zu leisten, am 12. April 1881 in die Kaiserliche Marine eintrat, galt diese noch nicht, wie später unter Wilhelm II., als der Armee ebenbürtig, versprach nicht unbedingt eine glänzende Karriere. Entsprechend gering war die Zahl der Bewerber. Hippers „Crew“ bestand aus 34 Kadetten, von denen fünf im Ersten Weltkrieg noch im Dienst waren, unter ihnen Admiral Wilhelm Souchon, der Chef der Mittelmeerdivision. So ungewöhnlich wie Hippers süddeutsche Herkunft und seine katholische Konfession innerhalb des stark protestantisch und norddeutsch gepräg-

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ten Seeoffizierkorps waren, so ungewöhnlich war auch sein Werdegang in der Marine. Denn im Unterschied zu den meisten anderen in hohe Stellungen aufgestiegenen Offizieren, bei denen sich Bord- und Stabsverwendungen in etwa die Waage hielten, konnte Hipper später stolz darauf verweisen, „weder eine Schreibstube noch eine höhere Landbehörde durchlaufen zu haben“.9 Auch die Marineakademie hat er nie besucht. Im Laufe seiner zahlreichen Verwendungen – unter anderem als Navigationsoffizier der Kaiser­ yacht „Hohenzollern“, als Kommandant von Torpedobootsverbänden, Kleinen und Großen Kreuzern – erwarb Hipper dafür umfangreiche seemännische, taktische und waffentechnische Fachkenntnisse im Artillerie-, Torpedound Mineneinsatz. Ausweislich der jährlichen Beurteilungen durch seine Vorgesetzten war Hipper ein „hervorragend tüchtiger Offizier von hoher Befähigung, energisch, lebhaft, von schnellem Entschluss und klarem Blick“, eindeutig ein Mann der Praxis, „für schriftliche Arbeiten weniger geeignet“.10 Den vorläufigen Höhepunkt seiner „absolut untypische(n) Laufbahn“ (Wulf Diercks) erreichte er 1913, als er das Kommando über die Aufklärungsstreitkräfte der Hochseeflotte übernahm. Im Jahr zuvor war er zum Konteradmiral befördert worden, im Juni 1915 folgte die Promotion zum Vizeadmiral, im August 1918 zum Admiral. Bei Kriegsausbruch hatte Hipper von 33 Dienstjahren nicht weniger als 25 an Bord verbracht. Da er keine Stationen im Reichsmarineamt oder im Admiralstab absolviert hatte, besaß er nicht wie andere, politisch aktive Offiziere ein Netzwerk mit Verbindungen in diese Schaltzentralen der maritimen Macht. Sein Verhältnis zu Tirpitz, dem „Übervater“ der Marine, war distanziert; Tirpitz warf Hipper (ohne dass dieser davon erfuhr) wiederholt Inkompetenz vor und forderte seine Ablösung. So bereits kurz nach Beginn des Krieges, als britische Schlachtkreuzer die deutsche Vorpostenlinie in der Helgoländer Bucht angriffen und drei Kleine Kreuzer und ein Torpedoboot vernichteten, während Hipper wegen Niedrigwassers mit seinen Schlachtkreuzern nicht rechtzeitig auslaufen und in das Geschehen eingreifen konnte. Mit Wilhelm II. traf Hipper im Laufe des Krieges mehrfach immer dann zusammen, wenn der Kaiser der Flotte einen Besuch abstattete. Eine Immediatstellung mit direktem Zugang zum Monarchen, wie etwa der Flottenchef oder der Chef des Admiralstabs, besaß er jedoch nicht. Von gelegentlichen Unmutsäußerungen gegenüber vermeintlichen „Flaumachern“ in Marine, Armee und Politik abgesehen, beteiligte Hipper sich auch nicht an den Auseinandersetzungen, Intrigen und Versuchen politischer Einflussnahme, die in Teilen des Seeoffizierkorps an der Tagesordnung waren.

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Stattdessen wurde er selbst zum Ziel solcher Ränke. Unzufrieden mit dem Verlauf des Seekriegs, stellten einige jüngere Offiziere den Führungsqualitäten ihrer vermeintlich zu zaghaften Flotten- und Geschwaderchefs ein vernichtendes Zeugnis aus. Über Hipper urteilten dessen Kreuzerkommandanten, „dass er seiner Stellung gar nicht gewachsen sei“, da er „an seine Aufgaben wohl mit Zuversicht herangehe, aber im entscheidenden Moment die Nerven verliere“.11 Magnus von Levetzow, der Kommandant des Schlachtkreuzers „Moltke“, betrieb wiederholt Hippers Abberufung, da der Admiral sowohl physisch wie psychisch seiner Aufgabe nicht gewachsen sei. Im Frühjahr 1916 machte auch der gerade zum Flottenchef ernannte Admiral Reinhard Scheer einen Vorstoß in dieser Richtung. Später schrieb Scheer in einer dienstlichen Beurteilung über Hipper, dieser gewähre seinem Stab zu große Freiheiten. Scheers Fazit: „Im Kriege ein guter Führer, im Frieden besser nicht Flottenchef.“12 Wenngleich letztlich alle Versuche, Hipper aus seiner Stellung zu entfernen, scheiterten, war zumindest der Vorwurf einer angeschlagenen Gesundheit nicht aus der Luft gegriffen. Hipper hatte im Winter 1914 von sich selbst gesagt, seine Nerven seien „entsetzlich herunter“, und sich darüber gewundert, „dass ich, der ich doch am meisten bisher zu leisten hatte, immer noch aushalte“.13 Weil er oft schlecht schlief und ihn „jede schlagende Flaggleine, jeder Schritt an Deck über der Kajüte“ störte, suchte Hipper Erholung in regelmäßigen Kurzurlauben, die er als Junggeselle vor allem bei der Jagd verbrachte.14 Da er außerdem stark unter Ischias und Gicht litt, fuhr er mindestens einmal im Jahr für mehrere Wochen zur Kur, etwa nach Bad Kissingen oder in den Harz. Auch nach Ansicht seines eigenen Stabschefs, Korvettenkapitän Erich Raeder, des späteren Oberbefehlshabers der Kriegsmarine, war Hipper zumindest bei Kriegsbeginn „nicht auf der Höhe“, sondern sei „nervös und zag“ gewesen. Dieser Zustand habe sich dann aber gebessert, und insbesondere in der Schlacht auf der Doggerbank habe Hipper sich „recht brav gehalten“. Trotzdem konstatierte Raeder: „Aber ein Führer ist er nicht; die Führung macht sein Stab.“15 Am 24. Januar 1915 war Hipper auf der Doggerbank in ein Gefecht mit der Royal Navy geraten. Ohne Unterstützung durch die Flotte war er gegen die überlegenen britischen Kräfte chancenlos und rettete sich durch Flucht, wobei der ältere Panzerkreuzer „Blücher“ verloren ging. In der Folge musste Flottenchef Ingenohl seinen Posten räumen und wurde durch Hugo von Pohl, den bisherigen Chef des Admiralstabs ersetzt. Hipper, dessen „kühle und überlegene Art der Führung“ ihm trotz des Misserfolgs Anerkennung brachte, blieb.16 Er hatte,

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wie er sich selbst nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Geschehenen versicherte, „nach bestem Können und Wissen gehandelt und aus der üblen Lage, in die ich durch die Schuld der Flotte geraten bin, das Menschenmöglichste gemacht“. Von allen Seiten sei ihm zudem bestätigt worden, seine Führung in der Schlacht sei „nicht nur einwandfrei, sondern […] glänzend gewesen“.17 In seinem offiziellen Gefechtsbericht empfahl Hipper, die bisherige Kleinkriegsstrategie so lange fortzusetzen, bis eine Seeschlacht auch aus politischen Erwägungen opportun erscheine. Wenn sie stattfinde, dann möglichst unter den für die deutsche Flotte günstigsten Bedingungen. Dass es zu dieser Schlacht erst anderthalb Jahre später und überdies zu nicht besonders günstigen Bedingungen kommen sollte, konnte der Admiral zu diesem Zeitpunkt ebenso wenig ahnen wie die Tatsache, dass ihn der Ausgang dieses einzigen Aufeinandertreffens von britischer Grand Fleet und kaiserlicher Hochseeflotte während des gesamten Krieges in den Augen nicht weniger Zeitgenossen zu einem Helden machen würde. Denn trotz der geringen strategischen Auswirkungen des Gefechts sorgten die höheren britischen Verluste dafür, dass das Ansehen der Flotte und ihrer Führer sich zumindest vorübergehend deutlich verbesserte. Hipper hatte mit seinen Schlachtkreuzern erheblich dazu beigetragen, dass die Briten mehr Schiffe und Männer verloren hatten als die Deutschen und ihnen der erwartete Triumph über den ehemaligen „Juniorpartner“ verwehrt geblieben war. Nun musste er zwei Offiziere seines Stabes abstellen, um der Flut der von überallher eintreffenden Briefe, Telegramme und Glückwunschkarten Herr zu werden.18 Kaiser Wilhelm II. verlieh ihm den Orden Pour le Mérite, der König von Bayern erhob ihn als Ritter von Hipper in den Adelsstand. Nun durfte die Marine sich endlich auch einmal der Armee ebenbürtig fühlen, deren Leistungen Hipper so beeindruckten, dass er es als „hohe Ehre“ empfand, als Wilhelm II. den neuesten Schlachtkreuzer der Marine „Hindenburg“ taufen ließ.19 Ungeachtet der Freude darüber, nun doch endlich einmal „zum Schlagen“ gekommen zu sein, brachte die Skagerrakschlacht der deutschen Marineführung allerdings die bittere Erkenntnis, dass man auf diese Weise Großbritannien nicht zum Frieden zwingen konnte. Dazu seien, wie es nun hieß, nur die U-Boote in der Lage. Wie viele andere Seeoffiziere befürwortete Hipper den im Februar 1915 begonnenen unbeschränkten U-Boot-Krieg nicht nur, sondern neigte auch dazu, dessen militärische Wirkung zu überund seine politischen Implikationen zu unterschätzen. Auswirkungen auf die künftige Gestalt der Flotte angesichts der wachsenden Bedeutung der

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U-Boote fürchtete Hipper nicht, denn „ohne Flotte bzw. Großkampfschiffe wird nun und nimmermehr das Deutsche Reich auskommen können“.20 Mit Interesse und Begeisterung verfolgte Hipper, zu welchen Leistungen die U-Boote imstande waren – etwa der Versenkung des britischen Passagierdampfers „Lusitania“, bei der beinahe 1200 Menschen ums Leben kamen. Als in der Folge der U-Boot-Krieg nur noch mit Einschränkungen weitergeführt werden durfte, ehe er vorübergehend ganz eingestellt wurde, empörte Hipper dies umso mehr, als er inzwischen davon überzeugt war, dass nur auf diese Weise der Krieg zu Deutschlands Gunsten entschieden werden könne. Der diesen Optimismus nicht teilenden politischen Leitung um Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg warf er die „Hintergehung des Deutschen Volkes“ vor und prophezeite: „Wir werden auf diese Weise den Krieg noch verlieren, wenn nicht dieser Reichskanzler bald beseitigt wird.“21 Im Falle einer Niederlage würde, da gab es im Kreis der Seeoffiziere wenig Zweifel, Deutschland unweigerlich in die zweite Reihe der Großmächte zurückfallen. Damit wären zugleich der Fortbestand der Marine und die privilegierte Stellung ihrer Offiziere gefährdet. Deshalb kam es aus deren Sicht darauf an, den Krieg mit allen Mitteln und so lange fortzuführen, bis ein zufriedenstellender Abschluss möglich sein würde. Auch Hipper wollte auf keinen Fall einen „faulen Frieden“, also einen „Verzicht“-Frieden ohne Annexionen und Reparationen. „Keinerlei Gebietserweiterung, keine Kriegsentschädigung und dergl. mehr. […] Das wäre ein geradezu furchtbarer Schlag und würde das Ende Deutschlands bedeuten.“22 Im unbeschränkten U-Boot-Krieg sah der Admiral das geeignete Mittel zum Erreichen dieses Ziels, und so verwundert es nicht, dass er dessen Wiederaufnahme im Februar 1917 begeistert begrüßte: „Endlich ist der so heißersehnte Erlass zur rücksichtslosen U-Bootsführung [sic!] gekommen. Hurrah.“23 Nachdem damit nach Hippers Auffassung militärisch die einzig richtige Entscheidung getroffen worden war – den dadurch provozierten Kriegseintritt der Vereinigten Staaten tat die Marineführung mit einem Achselzucken ab –, geriet der erhoffte „Siegfrieden“ schon bald aus einer ganz anderen Richtung in Gefahr. Anfang August 1917 gingen in Wilhelmshaven mehrere Hundert Heizer und Matrosen der Hochseeflotte ohne Erlaubnis von Bord, um auf diese Weise ihren Unmut über die schlechte Verpflegung, gekürzten Urlaub und die als ungerecht empfundene Behandlung durch ihre Vorgesetzten zum Ausdruck zu bringen. Eine daraufhin von der Marineführung angeordnete kriegsgerichtliche

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Untersuchung endete mit der Verhängung zahlreicher Zuchthausstrafen und der Verkündung von fünf Todesurteilen, von denen zwei vollstreckt wurden. Hipper billigte dieses harte Vorgehen ausdrücklich – „im Interesse der Disziplin“.24 Obwohl er über die Missstände in der Flotte nicht im Unklaren war und in seinem Bereich sogar einige Gegenmaßnahmen ergriffen hatte, machte er nicht jene, sondern zunächst eine „anarchistische Bewegung“ für die Gehorsamsverweigerungen verantwortlich. An dieser galt es ein Exempel zu statuieren. „Ich glaube, dass wir der ganzen Bewegung noch Herr werden können, wenn wir eine Anzahl rücksichtslos an die Wand stellen. Tun wir das nicht, dann geht es schief.“25 Als dann im Zuge der nach Hippers Auffassung „sehr geschickt geleitete[n] Untersuchung“ eine Verbindung einzelner Seeleute zur USPD festgestellt wurde – für die Marineführung ein willkommener Anlass zum Vorgehen gegen diese den Seeoffizieren verhasste Partei –, bestand auch für Hipper kein Zweifel am politischen Ursprung der Meuterei, und er forderte, dass den Anführern „auf das Schärfste der Prozess gemacht“ werde.26 Gleichwohl regte er an, dass Offiziere und Unteroffiziere sich künftig um ein engeres Verhältnis zu ihren Mannschaften bemühen sollten. Die Flottenleitung um Admiral Scheer lehnte dieses Ansinnen ab. Dort war man davon überzeugt, dass die Exekutionen die erhoffte „heilsame Wirkung“ gezeigt hätten und die Besatzungen nun wieder fest in der Hand ihrer Vorgesetzten seien. In Wahrheit aber bestanden die Probleme weiter und verschärften sich sogar noch, wie sich in aller Deutlichkeit am Ende des Krieges zeigte. Im September 1918 setzte Ludendorff die politische Leitung davon in Kenntnis, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei. „Somit wären wir am Ende; ich kann’s nicht glauben, dass die Dinge so schlecht stehen“, notierte der gerade aus dem Urlaub zurückgekehrte Hipper dazu am 3. Oktober. Erst wenige Wochen zuvor war er als Nachfolger Scheers zum Flottenchef ernannt worden; Scheer wiederum war zum Chef der neu gebildeten Seekriegsleitung (SKL) avanciert. Am Tag darauf erfuhr Hipper, dass Ludendorff geäußert habe, die Flotte müsse möglicherweise an Großbritannien ausgeliefert werden, wie „überhaupt die Marine wohl in der Hauptsache die Zeche bezahlen müsste. Recht erfreuliche Aussichten.“27 Um diesem Schicksal zu entgehen, wollte die SKL, die darauf beharrte, dass die Marine keinen Waffenstillstand nötig habe, die Hochseeflotte zu einer letzten Fahrt auslaufen lassen und die Royal Navy damit schließlich doch noch zu der so lange ersehnten Entscheidungsschlacht zwingen. Man war sich darin einig, lieber „auch auf das Risiko des vollen Einsatzes

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hin” kämpfen zu wollen, als die Flotte einem „schmachvollen Ende“ entgegengehen zu lassen. Denn nur „aus einem ehrenvollen Kampf der Flotte, auch wenn er ein Todeskampf wird in diesem Kriege, wird – wenn unser Volk nicht überhaupt national versagt – eine neue deutsche Zukunfts-Flotte hervorwachsen“.28 Hipper war zwar nicht der Urheber dieser „Überlegungen in ernster Stunde“ – sie stammten aus der Feder seines Stabschefs Konteradmiral Adolf von Trotha –, aber er billigte sie. Und als Mitte Oktober in der zweiten Wilson-Note faktisch die bedingungslose Kapitulation des Deutschen Reiches gefordert wurde, schrieb er selbst: „Dann schon lieber in Ehren untergehen.“29 Doch die um ihre und die Zukunft der Marine fürchtenden Offiziere hatten die Rechnung ohne die kriegsmüden Mannschaften gemacht, die für einen „Heroismus der letzten Stunde“ (Wilhelm Deist) nicht zu gewinnen waren. Nachdem es auf mehreren Linienschiffen des III. Geschwaders zu Ausschreitungen gekommen war, entschloss sich Hipper, das für den 30. Oktober 1918 angesetzte Unternehmen aufzugeben. In einem von ihm unterzeichneten Aufruf an die Besatzungen zur Wiederherstellung der Disziplin hieß es, der geplante Vorstoß habe nur der Verteidigung der deutschen Küsten dienen sollen, die Offiziere sehnten sich ebenso nach Frieden wie die Mannschaften. Offenbar unterschätzte Hipper das Ausmaß des Widerstands und nahm an, es handele sich lediglich um vorübergehende Unruhen. Selbst als sich zeigte, dass sein zweifelhafter Appell nicht die erhoffte Wirkung hatte und mehrere Hundert weiterhin den Gehorsam verweigernde Heizer und Matrosen verhaftet wurden, glaubte er noch, dass alles ähnlich ablaufen werde wie im Jahr zuvor: „Davon werden natürlich eine Menge wieder entlassen werden müssen, eine Anzahl sog. Mitläufer mit geringen Strafen davon kommen. Die Hauptsache wäre, dass wir die Rädelsführer herausbekommen.“30 Diesmal jedoch war alles anders. Nachdem das III. Geschwader einige Tage später in seinen Heimathafen Kiel zurückgekehrt war, kam es dort zum bewaffneten Aufstand, als eine Militärpatrouille auf gemeinsam demonstrierende Matrosen und Arbeiter feuerte und acht Menschen tötete. Die Revolte übertrug sich von Kiel aus auf die anderen Küstenstädte und erfasste schließlich ganz Deutschland. Hipper war in diesen chaotischen Stunden und Tagen immerhin so einsichtig zu erkennen, dass man, was durchaus erwogen wurde, mit Gewalt nichts erreichen, sondern die Situation nur verschlimmern würde. Als eine Kommission von Seeleuten verschiedene Zusicherungen von ihm verlangte, etwa dass die Flotte nur im Falle eines britischen Angriffs zur Verteidigung eingesetzt werden solle,

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zeigte er sich kooperativ: „Da ihre Forderungen verhältnismäßig milde, ein Widerstand doch zwecklos, bloß ungeheures Blutbad angerichtet hätte, ging ich auf die Wünsche ein, auch schon deshalb, um die Revolution in gewissen Grenzen zu halten und um die sog. Scheidemänner, die noch in der Überzahl sind, nicht ganz in das Lager der U.S.P.[D.] zu treiben. Ein sog. Soldatenrat ließ sich dabei nicht vermeiden.“31 Für die Seeoffiziere, die mitansehen mussten, wie auf ihren Schiffen rote Fahnen gehisst wurden, brach eine Welt zusammen. Bitter enttäuscht nahm Hipper überdies zur Kenntnis, dass Wilhelm II., dem alle Seeoffiziere durch einen persönlichen Treueeid verbunden waren, „sich in’s Hauptquartier verkrochen hat. Wenn er wenigstens noch an die Front ginge, wo die Kugeln pfeifen, aber so macht es einen ganz schlechten Eindruck und schadet bloß ungemein.“32 Als er die Nachricht von der Abdankung des Kaisers und der Ernennung Friedrich Eberts zum Reichskanzler erhielt, drohte ihn die Verzweiflung zu übermannen: „Tiefer hinab geht’s kaum noch.“33 Doch der härteste Schlag kam, als nach dem Waffenstillstand die vermeintlich unbesiegten Schiffe der Hochseeflotte an die Briten ausgeliefert werden mussten. „Mir zerreisst’s das Herz“, schrieb Hipper beim Anblick der in die Internierung auslaufenden Schiffe. „Damit hat meine Tätigkeit als Flottenchef ein ruhmloses Ende gefunden. Der Rest ist Demobilisations- und Abrüstungsfragen und Unterhandlungen mit dem Soldatenrat. Das kann der Chef des Stabes allein machen, ich habe nicht mehr die Kraft dazu. Ich bleibe noch eine kurze Spanne pro forma an der Spitze, im übrigen bin ich sterbensmüde.“34 Kurz darauf übergab Hipper die Geschäfte an Konteradmiral Hugo Meurer. „Ich habe mich gestern von den Herren meines Stabes verabschiedet, und damit hat meine Laufbahn ihr Ende gefunden, ein Ende, wie es trauriger nicht gut sein kann.“35 Mit Wirkung vom 13. Dezember 1918 schied Hipper aus dem aktiven Dienst der Marine aus. Einem seiner vormaligen Untergebenen vertraute er an, welch düstere Gedanken ihn in diesen Tagen beschäftigten: „Mit dem Admiral Hipper war ich letzthin 2x auf Jagd zusammen. Er erzählte einiges Interessante: ‚Er könne keine Kulis [Matrosen – N.W.] mehr sehen.‘ ‚Er hat kein Vaterland mehr.‘ ‚Was er in 37 Dienstjahren geleistet hat, sei umsonst gewesen, man müsse das vergessen.‘ ‚Was er in der letzten Zeit durchgemacht habe, sei schlimm gewesen.‘ Stimmt auch.“36 1919 ließ Hipper sich in Othmarschen bei Hamburg nieder. Die erste Zeit seines Ruhestands wurde von der Sorge überschattet, dass die Siegermächte, die im Versailler Vertrag die Auslieferung von vermeintlichen

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Kriegsverbrechern von Deutschland verlangten, auch seinen Kopf fordern könnten. Als feststand, dass er nichts zu befürchten hatte, bedeutete das für Hipper die „Befreiung von einer Zentnerlast […]. Nun kann ich mich wirklich erst mal wieder des Lebens und meines Heims erfreuen.“37 Anders als viele andere hohe Seeoffiziere nutzte Hipper seinen Ruhestand nicht dazu, seine Memoiren zu schreiben oder sich an dem Versuch zu beteiligen, die gescheiterte Tipitz’sche Flottenpolitik nachträglich zu legitimieren. Er starb am 25. Mai 1932 im Alter von 69 Jahren. Die Reden bei der Trauerfeier auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg hielten sein ehemaliger Stabschef Erich Raeder, inzwischen Chef der Marineleitung, und Admiral a. D. Wilhelm Souchon, mit dem zusammen Hipper 51 Jahre zuvor seine Laufbahn in der Kaiserlichen Marine begonnen hatte. Obwohl Hipper sicher keine charismatische Führerfigur war wie etwa auf britischer Seite Admiral Sir David Beatty, wird man ihn doch mit einigem Recht einen „äußerst wagemutigen, entschlussfreudigen, ja kaltblütigen Frontbefehlshaber mit hervorstechenden Fähigkeiten als Seemann, Navigator und Verbandsführer“ nennen können.38 Inwieweit er auch über herausragende operative Begabungen verfügte, gar „Germany’s greatest naval commander in any of its wars“ (Tobias Philbin) war, lässt sich nicht abschließend beurteilen. Fest steht, dass Hipper, dem politische Ambitionen fremd waren und der das Gewicht seiner Verantwortung mitunter deutlich spürte, sich auf der Kommandobrücke seines Schiffes stets wohler fühlte als am Schreibtisch. In vielem, seinem Weltbild, seinen politischen Ansichten, seinem Umgang mit den zahlreichen Problemen, vor denen der Verlauf des Krieges und insbesondere sein Ende die Marine stellten, war er, soweit sich das erkennen lässt, ein mehr oder weniger typischer Vertreter seines Standes. Für die Marine blieb er weit über seinen Tod hinaus eine wichtige Identifikationsfigur. Im Zweiten Weltkrieg trug ein Schwerer Kreuzer der nach ihm benannten Admiral-HipperKlasse seinen Namen, und auch die Bundesmarine hatte in den 1960erJahren ein Schulschiff „Hipper“ im Einsatz. Hippers Heimatstadt Weilheim hatte schon nach der Seeschlacht auf der Doggerbank eine Straße nach ihm benannt; sie existiert bis heute. Anmerkungen 1 2 3 4

Tagebuch Hipper, 16.12.1914, in: BA-MA, N 162/2. Der Krieg zur See, Nordsee, Bd. 1, S. 54. Tagebuch Hipper, 6.8.1914, BA-MA, N 162/1. Tagebuch Hipper, 13.8.1914, ebd.

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Tagebuch Hipper, 27.5.1916, BA-MA, N 162/5. Tagebuch Hipper, 25.11.1914, BA-MA, N 162/1. Tagebuch Hipper, 29.11.1914, BA-MA, N 162/2. Tagebuch Hipper, 29.3. bis 4.5.1916, BA-MA, N 162/5. Diercks, Der Einfluß der Personalsteuerung, S. 240. Auszüge aus Qualifikationsberichten über Flaggoffiziere bzw. Kapitäne zur See, ­BA-MA, RM 2/832, 833, 834, zitiert nach: Diercks, Der Einfluß der Personalsteuerung, S. 259. 11 Hopman an Tirpitz, 30.12.1914, Nachlass Tirpitz, BA-MA, N 253/431, zitiert nach: Hopman, Das ereignisreiche Leben, S. 531–534, hier S. 533. 12 Auszüge aus Qualifikationsberichten, zitiert nach: Diercks, Der Einfluß der Personalsteuerung, S. 259. 13 Tagebuch Hipper, 10.12.1914 und 15.2.1915, BA-MA, N 162/2. 14 Waldeyer-Hartz, Admiral Hipper, S. 182. 15 So Raeder im Gespräch mit Bachmann, Tagebuch Bachmann, 14.2.1915, BA-MA, MSg 1/764, zitiert nach: Hopman, Das ereignisreiche Leben, S. 557, Anm. 94. Viele Jahre später sollte Raeder dann die „recht erfreulich[e]“ Zusammenarbeit des „gut eingearbeitet[en]“ Stabes mit Hipper loben sowie die „sehr liebenswürdige Form“ und „kameradschaftliche Art“ des Admirals, dessen „gutes Herz“, „unbestrittene[n] Autorität“ und „ausgeprägte Entschlussfähigkeit“. Raeder, Mein Leben, Bd. 1, S. 74ff. 16 Ruge, Hipper, S. 298. 17 Tagebuch Hipper, 24.1.1915, BA-MA, N 162/2. 18 Tagebuch Hipper, 31.5.1916, BA-MA, N 162/5. 19 Tagebuch Hipper, 1.8.1915, BA-MA, N 162/3. 20 Tagebuch Hipper, 27.12.1915, BA-MA, N 162/4. 21 Tagebuch Hipper, 19.2.1916, ebd. 22 Tagebuch Hipper, 24.6.1915, BA-MA, N 162/3. 23 Tagebuch Hipper, 1.2.1917, BA-MA, N 162/6. 24 Tagebuch Hipper, 28.8.1917, BA-MA, N 162/7. 25 Tagebuch Hipper, 7.8.1917, ebd. 26 Tagebuch Hipper, 13.8.1917, ebd. 27 Tagebuch Hipper, 3.10.1918 bzw. 4.10.1918, BA-MA, N 162/8. 28 „Überlegungen in ernster Stunde“, Original in: Nachlass Magnus von Levetzow, ­BA-MA, N 239, zitiert nach: Deist, Die Politik der Seekriegsleitung, S. 196. 29 Tagebuch Hipper, 17.10.1918, BA-MA, N 162/9. 30 Tagebuch Hipper, 31.10.1918, ebd. 31 Tagebuch Hipper, 6.11.1918, ebd. 32 Tagebuch Hipper, 2.11.1918, ebd. 33 Tagebuch Hipper, 9.11.1918, ebd. 34 Tagebuch Hipper, 19.11.1918, ebd. 35 Tagebuch Hipper, 29.11.1918, ebd. 36 Tagebuch Zaeschmar, 17.12.1918. 37 Tagebuch Hipper, 16.2.1920. 38 Diercks, Der Einfluß der Personalsteuerung, S. 257.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 162, Nachlass Franz Ritter von Hipper, acht Auf bewahrungseinheiten, umfasst einzig sein Kriegstagebuch.

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Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Kaiserliches Marinekabinett, RM 2, 832, 833, 834, Auszüge aus Qualifikationsberichten über Flaggoffiziere bzw. Kapitäne zur See. Archiv der Marineschule Mürwik, 10983/84/85, Tagebuch Walter Zaeschmar.

Gedruckte Quellen und Literatur Deist, Wilhelm, Die Politik der Seekriegsleitung und die Rebellion der Flotte Ende Oktober 1918, in: ders. (Hrsg.), Militär, Staat und Gesellschaft. Studien zur preußischdeutschen Militärgeschichte, München 1991, S. 185–210. Diercks, Wulff, Der Einfluß der Personalsteuerung auf die deutsche Seekriegführung 1914 bis 1918, in: Rahn, Werner (Hrsg.), Deutsche Marinen im Wandel. Vom Symbol nationaler Einheit zum Instrument internationaler Sicherheit, München 2005, S. 235–267. Hildebrand, Hans H. / Henriot, Ernest, Deutschlands Admirale 1849–1945. Die militärischen Werdegänge der See-. Ingenieur-, Sanitäts-, Waffen- und Verwaltungsoffiziere im Admiralsrang, Bd. 1, Osnabrück 1988, S. 106–108. Hopman, Albert, Das ereignisreiche Leben eines „Wilhelminers“. Tagebücher, Briefe und Aufzeichnungen 1901–1920, hrsg. und bearb. von Michael Epkenhans, München 2004. Hubatsch, Walther, Franz Ritter von Hipper, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 9, Berlin 1972, S. 203f. Philbin, Tobias R., Admiral von Hipper. The Inconvenient Hero, Amsterdam 1982. Raeder, Erich, Mein Leben, Bd. 1: Bis zum Flottenabkommen mit England 1935, Tübingen 1956. Rahn, Werner, Strategische Probleme der deutschen Seekriegführung 1914–1918, in: Michalka, Wolfgang (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg. Wirkung, Wahrnehmung, Analyse, Weyarn 1997, S. 341–365. Ruge, Friedrich, Hipper, in: Europäische Wehrkunde 28 (1979), S. 296–299 Waldeyer-Hartz, Hugo von, Admiral Hipper, Leipzig 1933.

General der Kavallerie Ernst von Hoeppner von Niklas Lenhard-Schramm

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achdem sich im Laufe des Ersten Weltkriegs die große militärische Bedeutung des Flugzeugs immer deutlicher herausgestellt hatte, wurde am 8. Oktober 1916 die Stelle eines Kommandierenden Generals der Luftstreitkräfte (Kogenluft) geschaffen. Übertragen wurde dieses Amt dem Kavalleriegeneral Ernst Wilhelm Arnold von Hoeppner, der

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Ernst von Hoeppner (Foto um 1910)

zuvor in leitender Generalstabstätigkeit und als Divisionskommandeur an den Schlachten des Weltkriegs beteiligt gewesen war. Auch wenn ­Hoeppner gegenüber anderen hohen Militärs als eher unbekannt gelten mag, rechtfertigt seine Stellung an der Spitze einer zunehmend an Eigenständigkeit gewinnenden Waffengattung doch ein eingehendes Porträt. Neben einer Skizze des biografischen Werdegangs wird sich daher das Augenmerk auch auf die Verflechtung zwischen individuellem Wirken einerseits und der sich wandelnden Wahrnehmung von Krieg und Luftfahrt andererseits richten, aber auch auf die Bedeutung Hoeppners für die konkrete Ausgestaltung und weitere Entwicklung der Luftkriegsführung insgesamt. Geboren wurde Hoeppner am 14. Januar 1860 in Tonnin, einem kleinen Dorf auf der Insel Wollin vor dem Stettiner Haff.1 Seine durch und durch pommerschen Vorfahren standen seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert in preußischen Militärdiensten. Obschon aus bürgerlichem Milieu stammend, orientierte sich die aufstrebende Familie in Habitus und Lebensführung am alten preußischen Landadel und bewohnte seit den 1840erJahren den alten Herrensitz Tonnin. Als dritter Sohn des ehemaligen preußischen Majors und Gutsbesitzers Ernst Ferdinand Hoeppner und

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seiner Frau Wilhelmine Minna geb. Kropf war ihm eine militärische Laufbahn in die Wiege gelegt, fiel die Übernahme des väterlichen Gutes doch seinem älteren Bruder Gerhard zu. Nach dem Besuch der Dorf­ schulen in Labes und Wollin trat Hoeppner am 6. August 1872 in die Kadettenanstalt Potsdam ein, bevor er ab dem 1. Mai 1876 in die preußische Hauptkadettenanstalt wechselte, die sich damals noch in der Neuen Friedrichstraße in Berlin unweit des Alexanderplatzes befand. Aus der Selekta wurde Hoeppner am 12. April 1879 als Seconde-Leutnant in das Magdeburgische Dragoner-Regiment Nr. 6 überwiesen, das in Stendal und Tangermünde stationiert war. Mit dem Umzug des Regiments ging auch er Anfang Oktober 1884 nach Diedenhofen, bevor er vom 1. Oktober 1885 bis zum 30. September 1887 nach Hannover zum Königlich Preußischen Militär-Reit-Institut kommandiert wurde. In dem 1866 eingerichteten Institut erhielt Hoeppner, wie für die Offiziere und Unteroffiziere der Kavallerie-Regimenter üblich, eine gründliche und systematische Reitausbildung, die die Absolventen zu eigenem Reitunterricht befähigen sollte. Die Bewertungen seiner Vorgesetzten waren durchweg positiv. So hielt sein Regiments-Kommandeur Oberst Wilhelm Alexander Franz von Zastrow zu Jahresbeginn 1888 fest: „Seconde-Lieutenant ­Hoeppner ist ein wohl erzogener Offizier von bescheiden zurückhaltendem, einnehmendem Wesen, soliden Eigenschaften und ein gut beanlagter, rücksichtslos dreister Terrainreiter.“ Auch der Chef des Hannoveraner Institutes, General Gebhard von Krosigk, hatte sich „sehr günstig über seine Leistungen geäußert. In der Ausbildung von Reitabteilungen hat er schon früher Eifer und Geschick bewiesen, und berechtigt er nunmehr zu besonders hoch an ihn zu stellenden Anforderungen. Die Gabe des Unterrichtenkönnens wohnt ihm auch bei allen anderen Ausbildungszweigen inne. Von angenehmen Umgangsformen und vorteilhaftem Äußeren ist Lieutenant Hoeppner ein beliebter Offizier.“2 Die ersten Erfolge im Militärdienst gingen mit einem wechselvollen privaten Lebensweg einher. Der jähe Tod des Vaters 1881 traf Hoeppner tief und machte dem unbeschwerten Leutnantsdasein ein Ende, trieb ihn aber auch dazu an, die weitere Lebensplanung sowohl im Beruflichen wie im Privaten mit größerem Ernst anzugehen. Ein wichtiger Schritt war dabei die Familiengründung mit der aus altem westfälischem Adel stammenden, aber in Magdeburg geborenen Valentine von Pöppinghausen, die er am 14. Juli 1885 in Stendal heiratete. Doch das Familienglück wurde schon bald getrübt, als der erstgeborene Sohn Busso im Mai 1887 nur wenige Wochen alt verstarb. Erst die Geburt der

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Tochter Margot im Dezember 1888 in Stendal linderte den Schmerz über den Verlust des Vorjahres. Das militärische Avancement machte nun immer deutlichere Fortschritte. Schon bald nach seiner Rückkehr aus Hannover wurde Hoeppner am 14. Februar 1888 zum „Premier-Lieutenant“ ernannt (mit Patent vom 16. Mai 1888). Bereits im Jahr darauf folgte die Versetzung nach Berlin, wo er von Oktober 1889 bis Juli 1892 die Kriegsakademie besuchte. Dank seines sehr guten Abgangszeugnisses erhielt der junge Offizier eine Empfehlung für den Dienst im Generalstab. Dementsprechend wurde er am 5. April 1893 zum Großen Generalstab kommandiert, dessen Leitung Alfred Graf von Schlieffen zwei Jahre zuvor übernommen hatte. Dort arbeitete Hoeppner in der Eisenbahnabteilung, die sich 1871 endgültig als eigenständige Abteilung etabliert hatte. Doch der Dienst in der „Großen Bude“ blieb – vorerst – nur ein Zwischenspiel. Bereits am 14. September 1893 folgte die Ernennung zum Rittmeister und zum Eskadronchef im Kurmärkischen Dragoner-Regiment Nr. 14, das nach dem Sieg über Frankreich 1870/71 Colmar als neuen Standort bezog. Hoeppner blieb auch in der Folgezeit im Reichsland Elsass-Lothringen. Am 1. Oktober 1897 wurde er mit der Führung des „Detachements Jäger zu Pferde des XIV. Armeekorps“ betraut, das zunächst in Hagenau, seit 1898 dann in Colmar lag. Am 31. Januar 1899 begann dann die eigentliche Generalstabskarriere Hoeppners, als er zum Stab der 29. Division in Freiburg im Breisgau kommandiert wurde, von wo er bereits zwei Monate später in den Generalstab der neu aufgestellten 39. Division in Colmar versetzt wurde. Dort wurde er am 13. September 1899 zum Major befördert. Die positiven Bewertungen brachen nicht ab. Laut Urteil seines Divisionskommandeurs, Generalleutnant Maximilian von Sommer, war Hoeppner ein „sehr begabter Offizier, mit guten Kenntnissen, fleißig, zuverlässig, sehr leistungsfähig und ausdauernd, taktvoll und gewandt im Verkehr, von vorteilhaftem Äußeren, durchaus geeignet zur Verwendung im Generalstabe.“ Ähnlich äußerte sich der Kommandierende General Adolf von Bülow: „Sehr gediegener, im Truppendienst vortrefflich bewährter und gewandter Offizier, der bei seiner guten natürlichen Begabung und militärischen Vorbildung zu einem tüchtigen Generalstabsoffizier heranreift.“3 Nach einigen Jahren im Truppengeneralstab kehrte Hoeppner am 22. April 1902 in den Großen Generalstab zurück. Dort wirkte er in der zwei Jahre zuvor gebildeten 9. Abteilung, die die Heeresangelegenheiten vor allem Österreichs, aber auch der Schweiz und Italiens zu bearbeiten

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hatte. Nachdem Hoeppner am 27. Januar 1904 als Erster Generalstabsoffizier zum IX. Armeekorps nach Altona gewechselt war, kam er Anfang Oktober 1905 noch einmal in den Großen Generalstab zurück. Dort war er seit dem 27. Januar 1906 mit der Wahrnehmung der Geschäfte des Chefs der 8. Abteilung betraut, die die Angelegenheiten der Kriegsakademie und des Generalstabsdienstes bearbeitete. Bereits am 10. April 1906 wurde er aus dieser Stellung abgelöst und unter Ernennung zum Oberstleutnant mit der Führung des 1. Kurhessischen Husaren-Regiments „König Humbert von Italien“ Nr. 13 betraut, das seit 1905 in Diedenhofen stationiert war und dessen Kommandeur Hoeppner am 27. April 1906 auch offiziell wurde. Nach rund zweieinhalbjährigem Dienst bei der Truppe kehrte Hoeppner am 31. Juli 1908 abermals in den Generalstabsdienst zurück. Diesmal führte es ihn als Ersten Generalstabsoffizier zum VII. Armeekorps in Münster, wo er zunächst unter General Friedrich von Bernhardi, ab August 1909 unter General Karl von Einem seinen Dienst versah und am 24. März 1909 zum Oberst befördert wurde. Nach seiner Beförderung zum Generalmajor am 4. Juni 1912 wurde Hoeppner am 1. Oktober 1912 zum Kommandeur der 4. Kavallerie-Brigade in Bromberg ernannt, wo er bis zum Kriegsausbruch seinen Dienst versah. Anlässlich des 25-jährigen Thronjubiläums Wilhelms II. am 16. Juni 1913 wurde Hoeppner in den erblichen Adelsstand erhoben.4 Während der Mobilmachung 1914 wurde Hoeppner zum Chef des Generalstabs der 3. Armee ernannt, die zunächst unter dem Kommando des sächsischen Generalobersten Max von Hausen stand. Hoeppner fand sich damit in einer Stelle wieder, die seinen beruflichen Wünschen vollauf entsprach. Auch das Verhältnis zu Hausen war gut, mit dem er bereits in der Vorkriegszeit persönlich bekannt war. Doch mit dem Scheitern der Westoffensive im September 1914 mehrte sich heftige Kritik an der Führung der 3. Armee, die nach Hilferufen der Nachbararmeen mehrfach die Vormarschrichtung geändert und den eigenen Truppen Ruhepausen gewährt hatte. Der ursprüngliche Kriegsplan schien damit verwässert, die Planungen der Obersten Heeresleitung durchkreuzt. Hausen und Hoeppner haftete nunmehr das Odium an, zum Scheitern der Westoffensive beigetragen zu haben. Ihnen fehlte, wie es in der Nachkriegsliteratur nicht ohne Vorwurf hieß, „der harte, unbeirrbare, in sich selbst ruhende Wille großer Führer.“5 In der entscheidenden Phase der Marneschlacht fiel Hausen aus, schwer erkrankt und zu einem entschiedenen Handeln nicht mehr fähig. Die Verantwortung lastete damit auf Hoeppner, der die Lage am 8. September

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durch einen Angriff auf die Armee Foch noch einmal zu wenden versuchte. Doch die tags darauf eingeleitete Rückzugsbewegung der 2. Armee machte diese Hoffnungen schnell zunichte. Während sein Chef Hausen einige Tage später abgelöst wurde und im weiteren Kriegsverlauf keine aktive Verwendung mehr fand, blieb Hoeppner in seiner Stellung. Den Oberbefehl über die 3. Armee übernahm nun General von Einem, zu dem Hoeppner seit seiner Münsteraner Zeit ein gutes Verhältnis hatte. Doch Spannungen zwischen von Einem auf der einen und der Obersten Heeresleitung unter Falkenhayn auf der anderen Seite wurden auf Hoeppners Rücken ausgetragen. Vor diesem Hintergrund wurde Hoeppner von seinen Aufgaben entbunden und am 14. Februar 1915 zum Kommandeur der 17. Reserve-­ Division ernannt. Die Abberufung aus der geschätzten Generalstabsposition kam einem Schock gleich. Wie Hans Arndt in einem Nachruf schrieb, gehe man „sicher nicht fehl, wenn man die ihm ungerecht und unfaßlich erscheinende Enthebung als einen Schlag betrachtet, der das Innerste ­Hoeppners auch gesundheitlich traf. Der bisher so elastische, fast jugendlich frisch erscheinende General beginnt von nun an zu kränkeln. Eine stark depressive Gemütsverfassung ist aus seinen Tagebüchern der damaligen Zeit erkenntlich.“6 Erst allmählich versöhnte sich Hoeppner mit dem Kommando über die Division, die zwischen Roye und Noyon in Stellungskämpfe verwickelt war und die er zu bescheidenen Erfolgen in mehreren Patrouillenunternehmungen führen konnte. Im Sommer 1915 schien sich für Hoeppner die Lage wieder aufzuhellen. Nachdem er zum 100. Jahrestag der Schlacht bei Waterloo am 18. Juni 1915 zum Generalleutnant befördert worden war, erhielt er zwölf Tage später wieder die begehrte Generalstabsstellung. Als Chef des Generalstabs der 2. Armee war er nun General Fritz von Below unterstellt. Auch wenn Hoeppner seine neue Stelle mit neuem Elan antrat, machte sich bald Ernüchterung breit. Wie sich rasch herausgestellt hatte, kamen Below und Hoeppner weder beruflich noch menschlich miteinander klar. Ein erster Antrag Belows, seinen missliebigen Generalstabschef zu versetzen, wurde Ende des Jahres 1915 noch von Falkenhayn abgelehnt, ein zweiter vom Frühjahr 1916 war dagegen erfolgreich: Hoeppner wurde am 12. April 1916 das Kommando über die 75. Reserve-Division übertragen. Die abermalige Versetzung nahm Hoeppner mit einer Mischung aus Resignation und Enttäuschung auf, zumal ihn das neue Kommando nun an die Ostfront führte. Auch wenn sich Hoeppner im Umfeld des Ober­

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befehlshabers Ost, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, besser aufgehoben fühlte als in seiner vormaligen Position im Westen, sah er sich mit neuen Widrigkeiten konfrontiert. Die 75. Reserve-Division lag im Gebiet des Naratsch-Sees, wo eine größere Offensive der Zarenarmee erst kurz zuvor zurückgewiesen werden konnte. Doch Hoeppners Division war in einem desolaten Zustand und hatte wiederholt Bataillone abzugeben, um an anderen Frontabschnitten auszuhelfen. „Es ist schlimm, Divisionskommandeur zu sein, ohne eine Division zu haben“, notierte der konsternierte Generalleutnant am 2. Mai 1916 in sein Tagebuch.7 Erst als die Division im Spätsommer 1916 in südlichere Frontabschnitte in der Westukraine verlegt wurde, besserte sich die Lage. Unterdessen war 1916 die große militärische Bedeutung der Luftfahrt immer deutlicher zutage getreten. Da die Fliegerabteilungen des Heeres zunächst den verschiedenen General- und Armeekommandos unterstanden (Ähnliches galt für die Marine), zirkulierten seit dem Frühjahr 1916 verstärkt Ideen, das gesamte militärische Luftfahrtwesen als eigene Teilstreitkraft aufzustellen und einem eigenen Reichsamt zu unterstellen. Der im März 1915 zum Feldflugchef ernannte Major Hermann von der Lieth-Thomsen erwies sich dabei als treibende Kraft. In einer Denkschrift vom 10. März 1916 hatte er darauf gedrungen, sämtliche für die Luftfahrt wesentlichen Zuständigkeiten und Befugnisse in einer zentralen Dienststelle zu bündeln.8 Doch auch wenn allen beteiligten Stellen die zunehmende Bedeutung der Luftfahrt klar war, scheiterte das Projekt ihrer stärkeren Verselbstständigung an den Partikularinteressen von Heer, Marine und Einzelstaaten, die allesamt einen Einflussverlust fürchteten.9 Vor diesem Hintergrund kam es am 8. Oktober 1916 zu einer Kompromisslösung, als eine Allerhöchste Kabinettsorder anordnete, „die gesamten Luftkampf- und Luftabwehrkräfte des Heeres, im Felde und in der Heimat, in einer Dienststelle zu vereinigen.“ Dazu wurden „der einheitliche Ausbau, die Bereitstellung und der Einsatz dieser Kriegsmittel“ einem „Kommandierenden General der Luftstreitkräfte“ übertragen, der dem Chef des Generalstabes unmittelbar unterstand.10 Hinter dieser Regelung stand unverkennbar Thomsen. Seine Stelle als Chef des Feldflugwesens ging nun in der Stelle eines Stabschefs beim Kogenluft auf. Insoweit hatte er „sehr bewußt seine beherrschende Stellung als Gründer“ wahren können, wie Thomsens Adjutant später schrieb.11 Obschon Thomsen die Fäden nicht aus der Hand zu geben gedachte und als willensstarker Strippenzieher die Organisation auch fortan „regierte“,12

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kam er aufgrund seines Alters und Dienstranges als Kogenluft nicht infrage. Gesucht wurde daher ein General, der neben einer Generalstabs­ ausbildung vor allem eines mitbringen sollte: Anpassungsvermögen. Angesichts des dominanten Stabschefs war ein Kogenluft gefragt, der sich nicht durch eigene Vorstellungen zu profilieren suchte, sondern den Luftfahrtspezialisten gewähren ließ. Vor diesem Hintergrund sah sich Thomsen nach einer geeigneten Person für dieses Amt um. Zunächst hatte er General Hermann von Stein vorgesehen, der nach Rücksprache mit Ludendorff zusagte. Als Stein dann aber wegen seiner Ernennung zum preußischen Kriegsminister ausfiel, wurde Thomsen „vor Enttäuschung kreidebleich.“13 Nachdem General Ewald von Lochow als nächster Kandidat abgesprungen war, zerschlug sich auch eine Ernennung des Generals Eberhard Graf von Schmettow. Da die Stelle noch immer unbesetzt war, begann die Zeit zu drängen. Bei der Wahl Hoeppners mag auch der Zufall eine Rolle gespielt haben, denn sonderlich prädestiniert war der Generalleutnant nicht. Im Gegenteil: Sowohl die Luftwaffe als auch die Fliegerei waren ihm bisher völlig fremd gewesen. Als Hoeppner am Mittag des 12. November 1916 ein Ernennungs-Telegramm Wilhelms II. erhielt, war er jedenfalls mehr als überrascht, witterte gar einen Versuch, ihn endgültig kaltzustellen. „Als Seine Majestät mich in das Reich der Wolken berief, fiel ich zunächst einmal gründlich aus den Wolken“, vertraute er an diesem Tage seinem Tagebuch an.14 Doch Hoeppner ging seine neue Aufgabe energisch an und arbeitete sich rasch in das umfangreiche Aufgabengebiet ein. Auch wenn die Kommandogewalt über die Flieger- und Ballonabteilungen bei den Stäben der Heeresverbände verblieb, unterstanden ihm diese mit Blick auf Ersatz von Personal und Material (ein Kommando hatte der Kogenluft über diejenigen Einheiten, deren Verwendung sich die Oberste Heeresleitung vorbehalten hatte). Vor allem aber gebot er auch über die Fliegertruppen in der Heimat, wozu die Inspektion der Flieger, die Ersatzabteilungen und die Flieger- und Beobachterschulen zählten. Hinzu kamen die Luftschiffertruppen mit ihren ähnlichen Einrichtungen, aber auch die Flugabwehr, der Luftschutz und der Wetterdienst an der Front und in der Heimat. Dabei erstreckten sich die organisatorischen Verästelungen des Flugmeldedienstes und der Wetterwarten auf das gesamte deutsche Gebiet, was auch den Stab beim Kogenluft immer weiter anwachsen ließ. Bei Kriegsende umfasste er 58 Offiziere und obere Beamte sowie 275 Unteroffiziere, untere Beamte und Mannschaften.15 Doch die völlige Vereinigung der

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deutschen Luftstreitkräfte gelang nicht. Die Marineflieger unterstanden weiter der Seekriegsleitung und auch die bayerischen, württembergischen, badischen und sächsischen Fliegerformationen blieben unabhängig und wurden in ihre landsmannschaftlichen Verbände eingegliedert. Eine prägende Wirkung auf die Entwicklung von Luftfahrt und Luftwaffe hatte Hoeppner gewiss nicht. Es waren vielmehr seine sachkundigen Stabsoffiziere, die hier einen größeren und nachhaltigeren Einfluss hatten: neben Thomsen besonders Major Wilhelm Siegert, der als Inspekteur der Fliegertruppe wiederholt wichtige und schöpferische Impulse zu geben vermochte. Hoeppners Bedeutung für die Entwicklung der Luftstreitkräfte war vor diesem Hintergrund ambivalent. Sicherlich war bereits die Schaffung seines Amtes ein richtungsweisendes Signal, das der wachsenden Relevanz der Militärluftfahrt Rechnung trug. Dieses Amt füllte Hoeppner insoweit gut aus, als er der sich zunehmend emanzipierenden Waffengattung ein populäres Gesicht verlieh, das integrierend wirkte und die Flieger als einheitliches Korps erscheinen ließ. Hoeppners bescheidene und zurückhaltende, gleichwohl weltgewandte und verbindliche Art, erleichterten diese Rolle enorm. Dennoch ist Hoeppners Rolle durchaus kritisch zu sehen. Auch wenn er bei den Offizieren insgesamt beliebt war, weil er sich Kritik nicht verschloss und ein offenes Ohr für die Belange seiner Untergebenen hatte, fehlte es ihm bisweilen an Autorität und Durchsetzungsvermögen. So wurde er als phlegmatischer und „weicher“ Charakter wahrgenommen, der die mit seinem Rang unweigerlich einhergehenden Ränkespiele und persönlichen Anfeindungen nicht recht verwinden konnte. In dieses Bild fügten sich schwermütig-schwächelnde Verstimmungen ebenso nahtlos ein wie seine angeschlagene Gesundheit, die ihn wiederholt ausfallen ließ. Vor diesem Hintergrund ist Hoeppner als der im Grunde „falsche Mann“ für sein Amt bezeichnet worden, weil er weder den souveränen Schneid noch die hinlängliche Spannkraft für den Aufbau einer argwöhnisch beäugten Waffengattung mitbrachte, die sich noch in ihrer Bewährungsphase befand und nicht selten mit Geringschätzung zu kämpfen hatte.16 Bezeichnenderweise erkannten auch die lobgesättigten Nachrufe und biografischen Skizzen das wesentliche Verdienst Hoeppners darin, dass er „die Grenzen seiner eigenen Fähigkeiten und Leistungen klug erkannte“ und „seine verantwortlichen Berater und Mitarbeiter frei und selbständig schaffen ließ, sie nicht hemmte oder Besseres und mehr wissen oder befehlen wollte, als man ihm vorschlug und vortrug.“17

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Auch blieb die deutsche Luftwaffenführung von inneren Problemen geprägt, die Hoeppner nicht zu überwinden vermochte. Neben sich mehrenden Reibereien mit dem Inspekteur der Flieger waren es vor allem organisatorische und taktische Fragen, an denen sich Hoeppner vergeblich abmühte. Das an Bedeutung gewinnende Flugfunkwesen etwa entglitt der Zuständigkeit des Kogenluft, als sich der Chef des Feldtelegrafen­ wesens ab Ende 1917 der entsprechenden Befugnisse bemächtigte. Zudem unterblieb auch ein konzentrischer Einsatz der lange vernachlässigten Bomberflotte, vor allem im operativen Maßstab. Ebenso misslang Hoeppners Versuch, den Wunsch der Heeresgruppen umzusetzen, die Luftaufklärung zumindest auf operativer Ebene nach einheitlichen Grundsätzen durch- und die Ergebnisse planmäßig zusammenzuführen. Insofern kam es im weiteren Kriegsverlauf eher zu einer teilweisen Zerfaserung als zu einer strafferen Organisierung der Fliegertruppen. Eine größere Bedeutung kam Hoeppner allerdings im Rahmen des sogenannten Amerikaprogramms zu. Dabei handelte es sich um ein Rüstungsprogramm für die deutschen Luftstreitkräfte, das infolge des US-amerikanischen Eintritts in den Weltkrieg seit Juni 1917 umgesetzt wurde. Während größere Teile der Heereselite das militärische Potenzial der USA als gering bewerteten, hatte Hoeppner die riesigen industriellen Kapazitäten der USA und deren Bedeutung für den Luftkrieg erkannt, konnte die Entente doch nunmehr bei Weitem mehr Flugzeuge und Motoren bauen als das Deutsche Reich. Um einer weiteren Verschiebung des Kräfteverhältnisses zuungunsten des Deutschen Reiches zu begegnen, hatte Hoeppner der Obersten Heeresleitung Mitte 1917 eine Denkschrift vorgelegt, die eine massive Vergrößerung der Luftstreitkräfte vorsah. Die Zahl der Jagdstaffeln sollte von 40 auf 80 erhöht, die monatliche Produktion der Flugzeuge auf 2000 und der Motoren auf 2500 verdoppelt werden. Daneben sollten auch der Personalstock und die Ersatz- und Ausbildungseinrichtungen erheblich ausgebaut und die Entwicklung neuer Flugzeuge gefördert werden. Auch wenn einige Teile des Programms nicht voll verwirklicht werden konnten – die Motoren- und Flugbenzinproduktion verfehlten ihre Zielvorgaben und viele Jagdstaffeln erreichten ihre vorgesehene Stärke nicht –, war das Programm insoweit ein Erfolg, als die Luftstreitkräfte massiv verstärkt wurden und die deutsche Luftkriegsführung nicht vollends zusammenbrach. Dies hing nicht zuletzt mit einer deutlichen Fürsprache Hoeppners zusammen, der die Relevanz der Luftrüstung inzwischen voll erkannt hatte und dies auch deutlich zum Ausdruck brachte. Doch trotz alledem gelang es nicht, die alliierte Luftüberlegenheit zu

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brechen. Nicht nur blieben die Produktionszahlen der Entente-Mächte unerreicht, sondern auch die technische Qualität der Flugzeuge aus britischer, französischer und US-amerikanischer Produktion. Die vorgesetzten Dienststellen nahmen Hoeppners Wirken insgesamt als positiv wahr. Eine besondere Ehre wurde ihm am 8. April 1917 zuteil, als er gemeinsam mit seinem Stabschef den höchsten preußischen Militärorden erhielt. „In Anerkennung der herrlichen Erfolge unserer Fliegertruppen verleihe ich Ihnen und Ihrem Stabschef, dem Oberstlt. Thomsen, den Orden ‚Pour le Mérite‘ und beglückwünsche Sie beide zu dieser Auszeichnung“, lautete der Verleihungsspruch.18 In ihm spiegelt sich auch die zunehmend wichtigere propagandistische Bedeutung der Luftstreitkräfte, die auch Hoeppner erkannte und zu nutzen suchte. Besonders die zu „Rittern der Lüfte“ stilisierten Jagdflieger wie Oswald Boelcke und Manfred von Richthofen eigneten sich als Projektionsfiguren, mit denen sich der Heldenmythos auch im Zeitalter der Massen- und Materialschlachten in kriegspsychologische Wirksamkeit umsetzen ließ. Aufgrund einer mit Komplikationen verbundenen Operation war ­Hoeppner von Anfang Oktober 1917 bis Januar 1918 an der Ausübung seiner Amtsgeschäfte weitgehend gehindert. Nach seiner Wiederkehr fand er ein deutlich verändertes Kräfteverhältnis vor. Während die Alliierten immer mehr technisch überlegene Flugzeuge mit gut ausgebildeten Piloten in die Lüfte schicken konnten, hielt die katastrophale Wirtschafts- und Materiallage des Deutschen Reiches Hoeppners Flugzeuge immer öfter am Boden. Hinzu kamen schwere Verluste an erfahrenen Piloten, die durch kurz ausgebildete Flugrekruten nicht mehr wettgemacht werden konnten und sich (etwa im Falle des „roten Barons“ Richthofen) geradezu schockartig auswirkten. Auch wenn das Kriegsende im Osten Anfang März 1918 noch einmal einige Kräfte freisetzte, waren die deutschen Luftstreitkräfte nach dem Scheitern der Frühjahrsoffensive im Westen völlig ermattet. Nur der Waffenstillstand am 11. November 1918 verhinderte ihren Kollaps. Der militärische Zusammenbruch traf Hoeppner, wie so viele andere, hart. Die bei seiner Rückkehr nach Berlin gehegte Hoffnung, im Ende 1918 neu geschaffenen Reichsluftamt unterzukommen, zerschellte rasch. Stattdessen wurde seine Dienststelle am 16. Januar aufgelöst und Hoeppner am 27. Januar 1919 zu den Offizieren der Armee versetzt, zumal man ihm eine weitere Verwendung in Aussicht stellte, offenbar als Generalinspekteur der Verkehrstruppen. Doch es kam anders. Nach einer kurzen, von den Spartakusaufständen und tiefer seelischer Niedergeschlagenheit

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überschatteten Phase des Wartens erhielt Hoeppner am 10. April 1919 das Kommando über das XVIII. Armeekorps. Doch die Übernahme desselben stürzte Hoeppner nur noch tiefer in die Depression. Zu schweren Herzbeschwerden kamen politische Unruhen im Frankfurter Raum, während ihm Teile seiner Truppen zu entgleiten drohten. Nachdem ihm in den Versailler Friedensverhandlungen eine völkerrechtswidrige Luftkriegsführung vorgeworfen worden war, erschien Hoeppners Name bald auf einer Auslieferungsliste. Wie er nun erfuhr, kam eine weitere Verwendung im künftigen Reichsheer nicht mehr infrage. Mit der Auflösung des Armeekorps am 30. September 1919 wurde der einige Tage zuvor erbetene Abschied Hoeppners wirksam, der mit dem Charakter eines Generals der Kavallerie und der Uniform des Husaren-Regiments Nr. 13 zur Disposition gestellt wurde. „Seelisch zermürbt, vereinsamt, von Todesahnungen belastet, fließen ihm die Monate und Jahre quälend dahin“ – so beschreibt der mit Hoeppner bekannte Biograf Arndt das Nachkriegsdasein des ehemaligen Kogenluft.19 Dem Ausscheiden aus dem Dienst folgte nicht nur der gesundheitliche Verfall, sondern auch der wirtschaftliche Abstieg. Die Entwertung der Mark stürzte Hoeppner in den Bankrott, lastete auf ihm doch eine Schuld von 10 000 Schweizer Franken, die er für einen Genesungsaufenthalt seines lungenkranken Sohns in den Alpen aufgenommen hatte. Um die Schuld zu tilgen, verfasste Hoeppner seine Memoiren, die 1921 unter dem Titel Deutschlands Krieg in der Luft erschienen. Auch aus diesem Buch sprach eine gewisse Resignation, die sich mit Selbstverklärung und Revanchegedanken mischte. „In den Wirrnissen der Gegenwart“, so schrieb Hoeppner in der Widmung, „ist der Sinn für deutsches Heldentum geschwunden; unser starkes Schwert, auf das sich gutes Recht stützen muß, ist zerbrochen. Des Feindes Wille, Rachsucht und Furcht hat unsere Rüstung zu Lande und zu Wasser in enge Fesseln geschlagen – unsere Wehr zur Luft aber, vor der unsere Gegner zitterten und bebten, gänzlich vernichtet. Doch mag der Baum gefällt sein, die starke Wurzel lebt, und kommen wird der Tag, an dem aus ihr neue Zweige sprießen und Blüten und Früchte tragen werden. Dann wird auch die deutsche Luftmacht wiedererstehen zur Ehre und zum Schutze des ganzen großen deutschen Volkes.“20 Hoeppner trug damit zur Schaffung eines Luftwaffen-Mythos bei, den die Nationalsozialisten später propagandistisch wirkungsvoll aufgreifen konnten. Die positive Aufnahme des Buches durch die Zeitgenossen und mehrere Ehrenbekundungen aus Fliegerkreisen – so wurde ihm der Vorsitz

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des 1920 gegründeten Vereins „Ring der Flieger“ angetragen – mochten ein Trost sein, doch aus der wirtschaftlichen Not half dies nicht. So war Hoeppner gezwungen, sich seit Anfang 1922 als kleiner Angestellter bei der Darmstädter Bank zu verdingen und auch den Arbeitsweg zu Fuß zurückzulegen, um noch zu sparen. Doch im Sommer 1922 folgte der erneute Zusammenbruch. Um sich zu erholen, ging Hoeppner zurück in seine alte Heimat. Auf dem Gut seiner Schwester in Mokratz, unweit seines Heimatorts Tonnin, starb er am 25. September 1922. Anmerkungen 1 Die folgenden biografischen Angaben stützen sich auf das Manuskript von Kurt v. Priesdorff (GStA PK, VIII. HA, Slg. Kurt von Priesdorff, Nr. 454); BA-MA, MSG 109/7686; Arndt, Hoeppner, 1929; Arndt, Hoeppner, 1934; ferner: Elze, Hoeppner; Pöhlmann, Hoeppner. 2 Dienstliche Bewertung Hoeppners, 1.1.1888, GStA PK, VIII. HA, Slg. Kurt von Priesdorff, Nr. 454, S. 369. 3 Dienstliche Bewertung Hoeppners, 1.1.1900, GStA PK, VIII. HA, Slg. Kurt von Priesdorff, Nr. 454, S. 370. 4 Militär-Wochenblatt Nr. 81, 19.6.1913, Sp. 1864. 5 Arndt, Hoeppner, 1929, S. 110. 6 Arndt, Hoeppner, 1934, S. 424. 7 Zitiert nach: Arndt, Hoeppner, 1929, S. 113. 8 Denkschrift über die zukünftige Organisation der Luftstreitkräfte, 10.3.1916, ­BA-MA, RL 2-IV/307. 9 Napp, Luftstreitkräfte, S. 199–209. 10 Allerhöchste Cabinetts-Ordre, 8.10.1916, BA-MA, PH 1/20. 11 Elze, Hoeppner, S. 560. 12 Elze, Thomsen, S. 561. 13 Elze, Hoeppner, S. 560. Siehe auch: Arndt, Hoeppner, 1929, S. 113f. 14 Zitiert nach: Arndt, Hoeppner, 1929, S. 114. 15 Neumann, Luftstreitkräfte, S. 4–7. 16 Napp, Luftstreitkräfte, S. 213f. 17 Arndt, Hoeppner, 1934, S. 427; Arndt, Hoeppner, 1929, S. 116. 18 Zitiert nach: Hildebrand / Zweng, Die Ritter des Ordens, S. 107; Möller-Witten, Geschichte der Ritter, S. 497. 19 Arndt, Hoeppner, 1929, S. 119. 20 Hoeppner, Deutschlands Krieg in der Luft, S. V.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), MSG 109/7686, Krug, Ottomar, Biographische Sammlung zu deutschen Generalen und Admiralen, General der Kavallerie Ernst von Hoeppner.

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Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), PH 1/20, Königliches Militärkabinett, Schaffung der Dienststelle „Kommandierender General der Luftstreitkräfte“, Kabinettsordre (Abdruck). Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), RL 2-IV/307, Generalstab der Luftwaffe, Kriegswissenschaftliche Abteilung, Der Ausbau des Heeresflugwesens unter dem Feldflugchef, Materialsammlung. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA-PK), VIII. HA, Slg. Kurt von Priesdorff, Nr. 454, Ernst Wilhelm Arnold von Hoeppner.

Gedruckte Quellen und Literatur Arndt, Hans, Hoeppner, Ernst Wilhelm Arnold v., in: Deutsches Biographisches Jahrbuch. Bd. 4, Das Jahr 1922, Stuttgart / Berlin / Leipzig 1929, S. 108–122. Arndt, Hans, Ernst von Hoeppner (1860–1922), in: Hofmeister, Adolf / Randt, Erich / Wehrmann Martin (Hrsg.), Pommern des 19. und 20. Jahrhunderts, Stettin 1934, S. 422–429 (= Pommersche Lebensbilder, 1). Elze, Walter, General v. Hoeppner. Seine Stellung und seine Persönlichkeit, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 16 (1966), S. 560–561. Elze, Walter, Thomsen: Der Gründer der Luftstreitkräfte (Persönliche Erinnerungen), in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 16 (1966), S. 561–562. Hoeppner, Ernst von, Deutschlands Krieg in der Luft. Ein Rückblick auf die Entwicklung und die Leistungen unserer Heeres-Luftstreitkräfte im Weltkriege, Leipzig 1921. Napp, Niklas, Die deutschen Luftstreitkräfte im Ersten Weltkrieg, Paderborn 2017. Neumann, Georg Paul, Die deutschen Luftstreitkräfte im Weltkriege, Berlin 1920. Pöhlmann, Markus, Hoeppner, Ernst von, in: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd / Renz, Irina (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, 2. Auflage, Paderborn 2014, S. 561.

Generalmajor Max Hoffmann von John Zimmermann

„HSchädel und einen so preußisch kurzen Haarschnitt, daß er wie ein

offmann war […], groß und kräftig, hatte einen mächtigen runden

Kahlkopf wirkte. Seine Miene verriet Humor, aber auch Unbeugsamkeit. Er trug eine schwarz geränderte Brille und war eifrig bedacht, seine schwarzen Augenbrauen an den Augenwinkeln in einer schneidigen Kurve nach oben zu bürsten. Mit demselben Stolz pflegte er seine kleinen zarten Hände und seine untadeligen Bügelfalten. Trotz seiner Trägheit war er findig; und obwohl er ein schlechter Reiter und ein noch schlechterer

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Fechter, dazu ein starker Esser und Trinker war, zeigte er sich doch schnell im Denken und rasch im Urteil. Er war ein liebenswürdiger, glücklicher und schlauer Mensch, der vor niemandem Achtung hatte. Vor dem Krieg saß er, wenn er keinen Dienst im Regiment hatte, die ganze Nacht bis sieben Uhr morgens bei Wein und Würstchen im Kasino, führte dann seine Kompanie zur Parade, um nach seiner Rückkehr vor dem eigentlichen Frühstück nochmals Würstchen und zwei Viertel Mosel zu sich zu nehmen.“1 Diese Collage Barbara Tuchmans aus den überlieferten Zuschreibungen prägt das Bild von Carl Adolf Maximilian Hoffmann, der am 25. Januar 1869 im Hessen-Nassauischen Homburg/Efze – dessen Ehrenbürger er bis heute ist – als Sohn eines Kreisgerichtsrates geboren wurde und nach dem Abitur in Nordhausen im Frühjahr 1887 als Dreijährig-Freiwilliger in das 4. Thüringische Infanterieregiment 72 in Torgau eintrat.2 Im August des Dreikaiserjahres schloss er die Kriegsschule in Neiße mit der Beförderung zum Secondeleutnant ab und diente anschließend im Infanterieregiment 45 im ostpreußischen Lyck als Bataillonsadjutant. Dass diese Region an der Peripherie des Deutschen Reiches später zum Sprungbrett für eine nicht unbedeutende Karriere werden würde, ahnte er seinerzeit wohl nicht. 1895 als Premierleutnant zur Kriegsakademie nach Berlin geschickt, erwarb er sich dort ein russisches Dolmetscherexamen, mit dessen Hilfe er nach der Abschlussprüfung für ein halbes Jahr im Militärattachédienst am russischen Zarenhof reüssierte und 1899 seine Folgeverwendung in der „Russischen Abteilung“ des Großen Generalstabes fand. 1901 zum Hauptmann ernannt, kehrte er nach Ostpreußen zurück: Zunächst als Generalstabsoffizier im I. Armeekorps in Posen, ab 1903 als Kompaniechef im Füsilierregiment 33 in Gumbinnen. Weiterhin als versierter Russland-Experte dem Großen Generalstab aggregiert, nahm er am Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 als Militärbeobachter teil, um anschließend zum Ersten Generalstabsoffizier (Ia) im Generalstab der 1. Division in Königsberg und 1907 zum Major befördert zu ­werden. 1909 wieder im Großen Generalstab, lehrte er ab 1911 an der Berliner Kriegsakademie und wurde im März 1913 Oberstleutnant und Abteilungschef der Ministerialabteilung im preußischen Kriegsministerium. Im Sommer 1914 noch zum stellvertretenden Kommandeur des Infanterieregiments „Prinz Wilhelm“ (4. Badisches) Nr. 112 in Rastatt ernannt, avancierte er mit der Mobilmachung zum Ia im Generalstab der 8. Armee, die Ostpreußen gegen die zarischen Armeen verteidigen sollte – eine Verwendung, für die er bereits 1912 designiert worden war.3

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Max Hoffmann am Kartentisch vor den Friedensverhandlungen von BrestLitowsk

Wesentlich an der Planung der siegreichen Schlachten von Tannenberg und an den Masurischen Seen beteiligt, blieb Hoffmann auch nach der Übernahme der 8. Armee durch Hindenburg und Ludendorff, den er aus Posen und Berlin gut kannte, wo sie im selben Haus gewohnt hatten, auf seinem Dienstposten. Er folgte den beiden auch in deren neue Verwendungen in den Generalstab des im November 1915 aufgestellten Oberbefehlshaber Ost (Oberost), wo er im August 1916 zum Oberst befördert wurde. Nach der Berufung des Duos an die Spitze der 3. Obersten Heeresleitung (OHL) rückte Hoffmann auf Ludendorffs Posten als Chef des Generalstabes Oberost auf und blieb dort auch unter dem neuen Oberbefehlshaber, dem Prinzen Leopold von Bayern, bis zum Kriegsende. Dadurch war er, im Oktober 1917 zum Generalmajor befördert, praktisch an allen Operationen an der Ostfront ebenso maßgeblich beteiligt wie am Friedensdiktat von Brest-Litowsk. Im Januar 1920 übernahm er noch das Kommando über die 10. Infanteriebrigade (Grenzschutz Posen), wurde aber Ende des Jahres

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aus dem Dienst verabschiedet. Mit erst 58 Jahren verstarb er am 8. Juli 1927 in Bad Reichenhall und wurde auf dem Invalidenfriedhof in Berlin beigesetzt. Sein Grab schmückt seit 1929 die Bronzeskulptur eines männlichen Aktes, den sein Freund Arnold Rechberg entwarf. Mit ihm verband ihn ein tief verinnerlichter Anti-Bolschewismus. Sein vergleichsweise früher Tod mag seinem Lebensstil geschuldet gewesen sein, den er auch nach seinem Militärdienst pflegte. Seinerzeit unterhielt er in Berlin einen Salon, in dem sich illustre internationale Gäste trafen. Derweil arbeitete er „die“ Themen seines Lebens publizistisch ab: Verlauf und Folgen des Weltkrieges,4 Schlacht von Tannenberg5 und Vernichtung des Bolschewismus6. Die wesentlichen Beiträge wurden nach dem Tode Hoffmanns von Karl Friedrich Nowak, einem österreichischen Journalisten, der im Ersten Weltkrieg als Kriegsberichterstatter im k. u. k. Kriegspressequartier gedient und danach einen eigenen Verlag in Berlin gegründet hatte, zusammen mit den Feldpostbriefen Hoffmanns an seine Ehefrau 1929 veröffentlicht. In einem Abgleich mit dem Nachlass Max Hoffmanns im Bundesarchiv-Militärarchiv erweist sich allerdings, dass Nowak einige Passagen ausgelassen hat.7 Unerwähnt ließ er etliche Stellen, in denen Hoffmann sich über die Führungsqualitäten Hindenburgs echauffierte, die Innenpolitik kommentierte, vor allem aber jene über den österreichisch-ungarischen Bundesgenossen und die gemeinsame Kriegführung an der Ostfront. Hier fand Hoffmann von Anfang an drastische Worte: Schon im Oktober 1914 hatte er vor „ihrem Nicht-Können mehr Angst als vor den Russen. […] Dabei können wir sie nicht loslassen, denn auch politisch traue ich ihnen nicht.“8 Seitenweise schimpfte er in den Briefen an seine Frau über das Versagen der Österreicher, die „gottverfluchte Bande von Österreichern“, die „ausgerissen [sind] wie Schafleder“,9 über die „Schweinebande“10, „Lumpen“11 oder das „Gesindel“12. All das überlieferte der Österreicher Nowak nicht. Dass in dessen Heimat „Schlamperei“ geherrscht habe, akzeptierte er noch, „Schweinerei“13 mochte er aber ebenso wenig drucken wie die Aussage, Thronfolger Karl sei „dämlich“14. Auch ohnedies blieb Hoffmann mehr als deutlich: „Sollte nach dem Kriege mir mal einer mit Nibelungentreue und Schulter-an-Schulter-Kämpfen kommen, dann schlage ich ihn tot.“15 Die Kaiserin Zita war für ihn eine „gemeingefährliche Person“16 und die einzige Ausnahme beim Verbündeten Conrad von Hötzendorf. Ihn hielt er für einen „geniale[n] Mann“;17 seine operativen Ideen seien im Gegensatz zu denen der eigenen OHL alle gut gewesen, allerdings hätten seine Truppen versagt.18

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In gleichem Maße drastisch äußerte sich Hoffmann nur hinsichtlich seines langjährigen Vorgesetzten Hindenburg, der zum Zeitpunkt von Nowaks Veröffentlichung nicht nur längst zum Helden, sondern auch zum Reichspräsidenten avanciert war. So überging Nowak den Hinweis, dass man „meist ‚v. Hindenburg‘ unter die Befehle [schreibe], ohne dass sie ihm überhaupt gezeigt werden“ und der „genialste Feldherr aller Zeiten […] nicht das geringste militärische Interesse mehr [habe] und Ludendorff […] alles allein [macht]“19. Es war 1929 schlicht nicht opportun, den dann schon greisen Feldmarschall und seine Verehrer lesen zu lassen: „Mit so wenig eigener geistiger und körperlicher Anstrengung ist noch nie ein Mann berühmt geworden;“20 und auch nicht, dass der neue Oberost, Leopold von Bayern, „viel klüger als Hindenburg“ war.21 Zumal Hoffmann nicht verschwieg, wie wenig er auch von jenem als militärischem Führer hielt. Es sagt viel über sein Selbstverständnis als Generalstabschef aus, wenn er jenen „3 Tage zu Besuch zur 2. österreichischen Armee [schickte]. Inzwischen haben wir dann ein kleines Schloß eine gute Weile von hier für ihn, da kann er dann wohnen und kommt abends zum Essen hierher.“22 Max Hoffmann hielt sich zweifelsfrei für den alleinigen Macher im Osten, der für die Erfolge zuständig war und auf den man bei Misserfolgen seitens der OHL oder des Oberbefehlshabers nicht gehört hatte oder den die Verbündeten im Stich ließen. Von eigenen Fehlern ist kein Wort zu lesen, nicht einmal von einer kritischen Selbstreflexion. Den Schlieffen-Plan hatte er aus Überzeugung mitgetragen, für dessen Scheitern schwerwiegende Fehler der militärischen Führung im Westen vermutet, daraus aber jedenfalls abgeleitet, nun die Entscheidung im Osten zu suchen. Über das Kriegsende hinaus blieb es ihm unverständlich, weswegen dies nicht geschehen sei. Zwar nahm er sich mit dem Frieden von BrestLitowsk durchaus als Gewinner im Osten wahr, doch sein eigentliches Ziel, einen strategischen Sieg über das Zarenreich zu erringen, hatte er nicht erreicht. So erklärt sich sein lebenslanges Werben für eine Zerschlagung der Sowjetunion. Er wollte nicht den Staat an sich vernichten, ihn wohl aber als eigenständigen Machtfaktor ausschalten und über eine wirtschaftliche in eine, allerdings diffuse, politische Abhängigkeit vom Deutschen Reich manövrieren. Daher war die russische Februarrevolution für ihn zunächst „ein großer Glückszufall“.23 Im Spätsommer 1917, als sich die inneren Unruhen dort zuspitzten, hielt er einen Vorstoß bis zur Einnahme St. Petersburgs für möglich, wurde aber von der OHL enttäuscht, die ihm einmal mehr

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Truppen zugunsten anderer Fronten wegnahm. Unter diesen Voraussetzungen befürwortete er die Waffenstillstandsambitionen der Bolschewiki nach der Oktoberrevolution ausdrücklich, verband damit aber bald das Ziel, jene zu stürzen:24 „Das ganze Rußland ist weiter nichts, als ein großer Haufen Maden – alles faul, alles wimmelt ordnungslos durcheinander.“25 Zwar verschaffte ihm der Friedenschluss „eine gewisse Erleichterung“, da das „Gewicht des russischen Kolosses […] seit mehr als 100 Jahren politisch zu schwer auf Deutschland gelastet [hatte]“.26 Wegen des Wütens der Bolschewiki, deren Sturz aus dem Inneren heraus er für unwahrscheinlich hielt, forderte er im Frühjahr 1918, den Frieden aufzukündigen, nach Moskau zu marschieren, eine andere Regierung einzusetzen und mit dieser gleich ein Bündnis zu schließen. Noch nach dem Krieg sah er darin die Lösung: Man hätte spätestens im Juni 1918, als die Frühjahrsoffensive im Westen nicht zum Durchbruch der Front geführt hatte, zusammen mit einem dann verbündeten Russischen Reich den Westmächten ein Friedensangebot unterbreiten müssen. Solche Überlegungen offenbaren immerhin das strategische Denken Hoffmanns, der sich nicht wie so viele höhere und höchste deutsche Offiziere im Operativen erschöpfte. Dabei zeichnete ihn einerseits eine fast schon begeisterte Nüchternheit in der Bewertung militärischer Entwicklungen aus, andererseits seine Fokussierung auf seine militärischen Aufgaben. Das Militärische war sein absoluter Lebensinhalt, von dem aus er die Dinge um sich herum bewertete. Vom Kriegsbeginn weder begeistert noch schockiert, reizte ihn die ihm übertragene Stellung als Ia der 8. Armee in Ostpreußen. Seine beinahe schon zur Schau getragene Zuversichtlichkeit charakterisiert Hoffmann den gesamten Krieg über, der für ihn daraus bestand, am Kartentisch Tag für Tag operative Lösungen für die sich entwickelnden Lagen zu ersinnen. Ob ihm dabei bewusst gewesen ist, dass auf seine Anordnungen hin Menschen verletzt oder getötet wurden, entzieht sich der Forschung. Mit sich selbst scheint er jedenfalls im Reinen gewesen zu sein und die Kriegsschuld wies er noch ex post von Deutschland: Nicht der Kaiser oder das deutsche Volk hätten den Krieg gewollt, wohl aber Frankreich und Russland. Paris sei es um Revanche für den Krieg 1870/71 gegangen und die Rückeroberung von Elsass-Lothringen, St. Petersburg um die Neubelebung der „Zarenidee“ mittels eines siegreichen Krieges. Verantwortung in Deutschland trügen einzig dessen unfähige Diplomaten, die vor allem Großbritannien, aber auch Italien nicht von der Seite der Gegner abgehalten hätten.

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Als Soldat war es freilich sein Ziel, den Krieg zu gewinnen. Doch er zeigte sich von Anfang an einem Kompromissfrieden gegenüber aufgeschlossen: Man sei zwar nicht zu besiegen, aber auch nicht in der Lage, die Friedensbedingungen einfach zu diktieren. Seiner Ansicht nach ging es darum, so lange zu kämpfen, bis Frankreich oder Großbritannien schließlich kriegsmüde und verhandlungsbereit würden. Im Frühjahr 1915 verband er damit Erwerbungen in Afrika und Anfang 1917 erhebliche Kontributionen von Frankreich und Belgien. Gebietsforderungen im Westen lehnte er dagegen grundsätzlich ab, im Falle Belgiens „besonders wegen des unangenehmen Zuwachses an Zentrum und Socialdemokraten [sic!]“,27 und weil sich London ein deutsches Belgien nicht gefallen lassen könnte. Auch im Osten wies er territoriale Gewinne bis auf wenige Grenzstreifen zurück, weil er keine weiteren Polen im Reich haben mochte. Erst zum Jahresbeginn 1917 wollte er hauptsächlich aus sicherheitspolitischen Erwägungen heraus Litauen und Kurland behalten. Dass er weder den Polen noch den Litauern eigenständige Staatlichkeit zutraute, spricht Bände hinsichtlich seiner Überheblichkeit gegenüber dem Osten Europas. Schon Zeitgenossen galt er gegenüber dem zarischen Gegner als „Überoptimist“, weil er über „eine souveräne Verachtung für die Russen“ verfügte.28 Die Gründung des Königreiches Polen 1916 goutierte er alleine wegen der potenziellen Verstärkung durch polnische Truppen. Als man dort im Zuge der russischen Oktoberrevolution eigene Ambitionen entwickelte, sah er sich bestätigt. Die Polen seien „verrückt geworden“: „Sie haben für ihr Königreich keinen Finger gerührt und wollen wie die Kinder alles haben.“29 Gegen die Idee, die Krimtataren mit deutschen Einwanderern zusammenzuschließen und aus der Krim eine deutsche Kolonie zu machen, hatte er im Frühjahr 1918 nichts einzuwenden, auch die Unabhängigkeitsbestrebungen in der Ukraine unterstützte er, den Donkosaken mochte er hingegen nicht mehr helfen: „[E]inmal schließlich muß unsere Ostbewegung aufhören.“30 Die deutsche politische Führung, die all das nicht verstand, kritisierte er von Anfang an: Bethmann Hollweg hielt er zwar für einen klugen, aber entschlussschlappen Mann, den Kaiser für über die Lage schlecht informiert und die Regierung insgesamt für unfähig, insbesondere das Auswärtige Amt. Den Reichskanzler zu stürzen und den Staatssekretär des Äußeren zu entlassen, war für ihn nur deswegen keine Option, weil man eigentlich das gesamte System ändern müsste, was er wiederum nicht wollte – eine Einschätzung, die Nowak noch

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überlieferte, im Gegensatz zur direkt folgenden vielsagenden Begründung: „Es würde dann nicht mehr der Adel in den Auslandsstellen vorherrschen, sondern die Juden.“31 So blieb Hoffmann in politischen Angelegenheiten der interessierte, aber passive Beobachter der Entwicklung.32 Innenpolitische Themen kümmerten ihn nur, insofern sie Konsequenzen für die Außenpolitik zeitigen, die für ihn wiederum den Rahmen für das Handeln der Streitkräfte schuf. Sobald er militärisch operieren konnte, fokussierte er sich darauf und „die Politik“ wurde ihm „wurst“.33 Wie sich insbesondere bei den Verhandlungen in Brest-Litowsk zeigte, akzeptierte er dabei die Rollenverteilung zwischen politischer und militärischer Führung; er empfand sich als militärischer Ratgeber der politischen Entscheidungsträger.34 Ebenso sachlich, beinahe emotionslos, beurteilte er die Entwicklungen in der deutschen Kriegführung wie den U-Boot- und Gaskrieg. Sofern genügend U-Boote vorhanden wären, hielt er deren Einsatz für sinnvoll und zur Bekämpfung der völkerrechtswidrigen britischen Fernblockade auch für legitim. Als er 1916 erfuhr, dass davon nicht die Rede sein konnte, verurteilte er das Verhalten von Tirpitz als „hochverräterisch“35 und die Regierung für „[u]nglaublich töricht […], den ganzen Klimbim mit dem Vernichtungs-U-Boot-Krieg anzufangen“36. Gas wiederum war für ihn schlicht eine neue Waffe, die er ohne irgendwelche Skrupel einsetzte und dabei bedauerte, diesen Technologievorteil nicht schon von Anfang ausgenutzt zu haben. Das wiederum war nur einer seiner vielen Vorwürfe an die OHL, der er nie vertraute, zumal nicht unter Falkenhayn, mit dessen „unseligem Verdunabenteuer“ er immens haderte.37 Im Großen und Ganzen hielt er sich mit Urteilen über die Kriegsgeschehnisse an den anderen Fronten jedoch zurück und konzentrierte sich auf die eigene. Wann in Hoffmann die Einsicht reifte, dass der Krieg verloren sei, ist schwer zu sagen. Im August 1918 beklagte er den Fehler der deutschen Führung, in der Bevölkerung nach den ersten Siegen im Frühjahr den Anschein erweckt zu haben, der Krieg sei in wenigen Wochen gewonnen. Im September glaubte er noch an eine Pechsträhne und erst Anfang Oktober begriff er den Ernst der Lage. Er glaubte, die Verantwortlichen hätten schlicht die Nerven verloren, und machte Ludendorff und dessen Offensiven für den Zusammenbruch verantwortlich. Von da an ging es ihm dann nur noch darum, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Dafür kooperierte er sogar mit den Soldatenräten, die sich „die ehrlichste

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Mühe geben“ würden,38 und empfahl Ende November 1918 die Wahl eines Anhängers von Ebert oder eines bürgerlichen Demokraten. Ende des Jahres enden seine Kriegsaufzeichnungen mit dem ernüchterten Eintrag, dass die „Truppen […] nicht mehr kämpfen [wollen]“.39 In der Restrospektive war in Hoffmann dazu die Erklärung gereift, Kommunisten und Sozialisten hätten zwar mit allen Mitteln die Moral der Truppe untergraben, aber erst die schweren Kämpfe im Sommer 1918 „zum Zusammenbruch des stolzesten Heeres [ge]führt, das die Weltgeschichte gekannt“.40 Nach dem Ausscheiden aus dem Militärdienst arbeitete Hoffmann das Weltkriegsgeschehen und seine Folgen in den größeren Zusammenhängen aus seiner Sicht auf. Weiterhin beurteilte er die Politik dabei alleine aus der Perspektive des zwischenstaatlichen Handelns. Dabei warf er den Siegermächten vor, sie hätten die unterlegenen Staaten nur destruktiv behandelt, sie damit gelähmt und „der europäischen Wirtschafts­ leistung Schäden zugefügt, die weit über das Maß der durch den Krieg ­a ngerichteten hinausreichen“.41 Seine Ausführungen gegenüber der Sowjetunion drifteten außerdem bald regelmäßig ins Abstruse ab: Die Machthaber im Kreml würden sich beispielsweise alleine auf „ihre Chinesenbataillone“ stützen.42 Alle „großen europäischen Mächte“, für ihn also Großbritannien, Frankreich und Deutschland, sollten gemeinsam militärisch intervenieren und die Regierung im Kreml stürzen. Wünschenswert seien dabei eine wirtschaftliche und finanzielle Kooperation mit den USA sowie eine Überwindung der so von ihm antizipierten seelischen Depression durch eine Neubelebung des christlichen Glaubens. Dann würde der „Tag der Erkenntnis“ kommen, an dem „die großen Völker Europas […] sich die Hand reichen […], um furchtlos und entschlossen den Weg zur Rettung zu beschreiten“.43 Jener führte nach Russland, „sobald sich Europa aufrafft, die Hochburg der asiatischen Herrscher, Moskau, zu nehmen.“44 Viele Freunde machte sich Hoffmann damit in den militärischen und politisch entscheidenden Kreisen der Weimarer Republik nicht. Dass er außerdem gerne interessierte Zeitgenossen über das Tannenberger Schlachtfeld führte und dabei niemals vergaß, ihnen die Plätze zu zeigen, wo sein Oberbefehlshaber Hindenburg während der Kämpfe überall geschlafen habe, bezeugt einen deutschen General, der militärisch vor allem operativ über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügte, seine Ansichten selbstbewusst und offen bis zur Frechheit vertrat, sich um die Meinungen anderer über ihn nicht scherte, allerdings auch zur Über-

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heblichkeit, gelegentlich zur Selbstverliebtheit neigte. Man vermag sich nur schwer des Eindrucks zu entziehen, dass Max Hoffmann das Leben liebte, das er lebte. Anmerkungen 1 Tuchman, August 1914, S. 90f. 2 Zu den Lebensdaten folgt der Aufsatz im Wesentlichen den Angaben in Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. XXXVf. sowie Vogelsang, Hoffmann, Max, S. 401f. 3 Hoffmann, Russisch-Japanische Reflexe, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 9–17, hier S. 11. 4 Hoffmann, Der Krieg der versäumten Gelegenheiten. 5 Hoffmann, Tannenberg. 6 Hoffmann, An allen Enden Moskau. 7 Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, sowie Nachlass Hoffmann; BA-MA, N 37/2. 8 Hoffmann an seine Frau, 18.10.1914, BA-MA, N 37/2, Bl. 269f. 9 Hoffmann an seine Frau, 1.11.1914, BA-MA, N 37/2, Bl. 272. 10 Hoffmann an seine Frau, 1.4.1915, BA-MA, N 37/2, Bl. 276f., hier Bl. 277. 11 Hoffmann an seine Frau, 17.7.1917, BA-MA, N 37/2, Bl. 396. 12 Hoffmann an seine Frau, 13.9.1915, BA-MA, N 37/2, Bl. 299f., hier Bl. 299. 13 Hoffmann an seine Frau, 3.1.1916, BA-MA, N 37/2, Bl. 315. 14 Hoffmann an seine Frau, 18.9.1915, BA-MA, N 37/2, Bl. 302. 15 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 10.8.1916, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 134. 16 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 16.9.1918, in: ebd., S. 211f., hier S. 211. 17 Hoffmann, Die zweite Chance, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 73–85, hier S. 77. 18 Hoffmann, Gorlice, in: ebd., S. 101–122, hier S. 106. 19 Hoffmann an seine Frau, 1.9.1915, BA-MA, N 37/2, Bl. 296f. 20 Hoffmann an seine Frau, 2.7.1916, BA-MA, N 37/2, Bl. 342. 21 Hoffmann an seine Frau, 22.8. und 12.10.1916; BA-MA, N 37/2, Bl. 353f. und 363f., hier Bl. 364. 22 Hoffmann an seine Frau, 6.9.1916, BA-MA, N 37/2, Bl. 357. 23 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 4.3.1917, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 159. 24 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Einträge vom 17. und 18.2.1918, in: ebd., S. 185f. 25 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 17.2.1918, in: ebd., S. 185f., hier S. 186. 26 Hoffmann, 1918, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 219–228, hier S. 223. 27 Hoffmann an seine Frau, 9.1.1917, MA-MA, N 37/2, Bl. 371f. 28 Graf A[lfred zu] Dohna[-Schlobitten], Der Feldzug in Ostpreußen 1914, undatiert (1920), S. 5, BA-MA, RH 61/735. 29 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 18.2.1918, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 186. 30 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 2.5.1918, in: ebd., S. 195.

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31 Hoffmann an seine Frau, 12.10.1916, BA-MA, N 37/2, Bl. 363f., hier Bl. 364. 32 Siehe z. B. Hoffmann an seine Frau, 7.6. und 12.7.1917, BA-MA, N 37/2, Bl. 389 und 395, sowie Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Einträge vom 15.1., 18. und 30.10.1917, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 154f., 181f. und 183. 33 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 23.7.1917, in: ebd., S. 172f., hier S. 173. 34 Hoffmann, Der Frieden von Brest-Litowsk, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 195–218. 35 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 19.3.1916, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 113f., hier S. 114, und ähnlich im Eintrag vom 20.3.1916, S. 114f. 36 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 23.3.1916, in: ebd., S. 115f., hier S. 115. 37 Hoffmann, Neue Befehlsverhältnisse, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 153–164, hier S. 157. 38 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 18.11.1918, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 1, S. 219. 39 Kriegsaufzeichnungen Hoffmann, Eintrag vom 31.12.1918, in: ebd., S. 224. 40 Hoffmann, 1918, in: Nowak (Hrsg.), Aufzeichnungen, Bd. 2, S. 219–228, hier S. 225. 41 Hoffmann, An allen Enden Moskau, in: ebd., S. 333–377, hier S. 342f. 42 Ebd., S. 352. 43 Ebd., S. 370f. 44 Ebd., S. 377.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Max Hoffmann, N 37, drei Auf bewahrungseinheiten, vor allem privater und dienstlicher Schriftwechsel.

Gedruckte Quellen und Literatur Hoffmann, Max, Der Krieg der versäumten Gelegenheiten, München 1923. Hoffmann, Max, An allen Enden Moskau. Das Problem des Bolschewismus in seinen jüngsten Auswirkungen, Berlin 1925. Hoffmann, Max, Tannenberg wie es wirklich war, Berlin 1926. Nowak, Karl Friedrich (Hrsg.), Die Aufzeichnungen des Generalmajors Max Hoffmann, 2 Bde., Berlin 1929. Trumpener, Ulrich, Carl Adolf Maximilian Hoffmann, in: Zabecki, David T. (Hrsg.), Chief of Staff. The Principal Officers Behind History’s Great Commanders, Bd. 1, Annapolis 2008, S. 123–135. Tuchman, Barbara, August 1914. Frankfurt am Main 1990. Vogelsang, Thilo, Hoffmann, Max, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Bd. 9, Berlin 1972, S. 401f. Wollschläger, Thomas, General Max Hoffmann. Frontbeobachter, Frontführer und Frontbefürworter im Osten, Norderstedt 2013.

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ermann von Kuhl ist einer der wichtigsten Militärs der wilhelminischen Zeit. Und vielleicht derjenige, den man am wenigsten kennt. Sowohl die biografischen als auch die autobiografischen Veröffentlichungen umfassen nur sehr wenige Seiten, die hier zunächst einmal zusammengefasst werden sollen, bevor in weiteren Schritten sein militärischer Werdegang und seine Publizistik vor allem in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus behandelt werden. Wichtigste und so ziemlich einzige Quelle für Kuhls Vita sind die kargen Angaben in der zu seinem 100. Geburtstag verfassten schmalen „Festschrift“-Broschüre,1 sowie ein Zeitschriftenaufsatzes mit einem Verzeichnis ­seiner Schriften.2 Kuhl gehört wohl auch zu der Handvoll Menschen, die aktiv am eigenen 100. Geburtstag teilnehmen können, 1856 geboren, starb er 1958, im Alter von 102 Jahren. Kuhl ist einer der ganz wenigen hohen preußischen Militärs, der ein komplettes Studium mit Abschluss zum Dr. phil. aufzuweisen hat. Akademische Bildung gehörte ja nicht unbedingt zum Status-Denken dieser Berufsgruppe bzw. hervorragenden Schicht des preußisch-deutschen Militarismus. In Koblenz geboren, verbrachte er seine Kindheit und Jugend in Jülich, wo sein Vater Direktor des städtischen Progymnasiums war. Seine Studienfächer waren Klassische Philologie, Deutsch und Vergleichende Sprachwissenschaft. Seine Tübinger Dissertation De Saliorum Carminibus (Über die Lieder der Salier) schloss er 1878 ab. Anschließend begann er eine militärische Karriere. Nichts in der Familie hatte ihn darauf vorbereitet, seine rheinische Umgebung war eher erstaunt bzw. entsetzt, dass dieser begabte Wissenschaftler nichts anderes wollte als „zu den Preußen gehen“, wie man im Rheinland, trotz offizieller Zugehörigkeit zum preußischen Staat damals (und noch viel später) distanzierend sagte. Er hatte einfach eine innere Begeisterung für das Militärische, welche ihm wohl auch sein Leben lang geblieben ist. Kuhl hat sich wirklich zeit seines aktiven Lebens gänzlich dem Militär gewidmet, eine Familie hatte er nicht und Freizeit, bzw. sogar Urlaub, war ihm offensichtlich zuwider.

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Hermann von Kuhl (Foto um 1914/15)

Es versteht sich, dass dieser nicht-adelige „Parvenü“ ständig beobachtet und auch wegen seiner so herausragenden akademischen Bildung bei den Militärs oft „scheel angesehen“ wurde. Aber bald wurde auch bemerkt, dass er mit „Feuer und Flamme“ am Militär hing und Beachtliches zu leisten imstande war. 1897 gelangte er als Premierleutnant in die kriegsgeschichtliche Abteilung des Großen Generalstabs in Berlin, lehrte auch an der dortigen Kriegsakademie. 1902 erschien seine erste größere Publikation, nämlich eine Studie zu Bonapartes erstem Feldzug von 1796, für ihn „der Ausgangspunkt moderner Kriegführung“. Für Kuhl war dieser Feldzug der Übergang zwischen dem traditionellen „Manöverkrieg“ hin zum modernen „Vernichtungskrieg“ der Massenarmeen. Hierfür konnte er auch auf die bis dahin überhaupt nicht ausgewerteten Akten des Wiener Kriegsarchivs zurückgreifen. Wichtig und sicherlich seine ­eigenen späteren Entscheidungen vorwegnehmend war ihm, was Napoleon bei den Friedensverhandlungen von Leoben nach diesem Feldzug von 1796 erklärt hatte: „Es gibt in Europa viele Generale; aber sie sehen zu viel auf einmal. Ich sehe nur eins, das sind die

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Massen. Ich suche sie zu vernichten, weil ich sicher bin, dass alles andere damit zugleich fällt.“3 Das Buch erregte Aufsehen und galt bald als kriegsgeschichtlicher Klassiker. Generalstabschef Schlieffen wurde dadurch auf den jungen Offizier aufmerksam und zog ihn schon bald für operative Studien und auch zu Generalstabsreisen hinzu. Die größte Auszeichnung für Kuhl war, dass er im Winter 1902/3 in einem operativen Kriegsspiel den Gegenpart zu Kaiser Wilhelm II. spielen durfte. Er musste natürlich den Obersten Kriegsherrn gewinnen lassen, machte ihm aber „die Aufgabe doch recht schwer“, wie Wilhelm II. anschließend respektvoll eingeräumt haben soll.4 So wurde Kuhl zu einem der wichtigsten und nächsten Mitarbeiter des Generalstabschefs, zunächst Graf Schlieffen und ab 1906 des jüngeren Moltke. Er war eng mit der Erarbeitung des sogenannten „Schlieffen-Plans“, des deutschen Aufmarschplans für den Feldzug gegen Frankreich aus dem Jahre 1905, befasst, eine Variante des Planes hatte sogar den Namen „Kuhl II“.5 Kuhl, der sich seit seiner Schrift von 1902 über Bonaparte zum Experten für französisches militärisches Denken und operative Praxis entwickelt hatte, wurde konsequenterweise ab 1906 Leiter der 3. Abteilung des Generalstabs, der sogenannten „französischen Abteilung“. Diese hatte die Aufgabe, alle möglichen Informationen zur französischen Armee zu sammeln und auszuwerten. So entwickelte Kuhl sich zielstrebig zum besten Kenner der französischen Armee im deutschen Generalstab.6 Eine Kennerschaft, die bestimmte Vorurteile diese betreffend natürlich nicht ausräumte. Wenn schon Schlieffen davon überzeugt war, dass bei allem militärischen Fanfarentum die französische Armee doch eigentlich nur sekundär sein könnte, weil eben der französische Soldat an sich als moralisch schwach und wenig trainiert einzuschätzen sei, so erkennt man diesen Grundtopos auch in Kuhls Analysen und schließlich in seinem Verhalten während des Marnefeldzugs. Schon Moltke d. J. hatte 1911 in seinem Kommentar zum sogenannten Schlieffen-Plan nebenbei erklärt, dass die Umflankung von Paris in etwa 40 Tagen möglich sei, weil ein irgendwie erheblicher Widerstand der Belgier während des Aufmarsches nicht zu erwarten sei.7 In seiner großen Schrift von 1919 über die Organisation und Kriegsplanungen vor 1914 ist Kuhl mehrfach auf diese Vorurteile und Fehleinschätzungen zurückgekommen, ohne diese allerdings sich selbst zuzuschreiben. So schreibt er etwa resümierend: „Das Bild, das wir uns Ende August und Anfang September [1914] vom Feinde machten, traf nicht zu.“ Man habe zwar bei der 1. Armee „leichte Zweifel“

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gehabt, ob die „Auffassung vom ‚zurückflutenden‘ Feind zutreffend sei“, sich aber nicht entsprechend operativ eingestellt.8 Eine unverzichtbare, aber nur rudimentäre militärische Praxis gewann Kuhl zunächst als Kompanieführer im Grenadier-Regiment Nr. 3 in Königsberg, dann 1913 als Brigadechef im Range eines Generalmajors. Mit der Mobilmachung wurde Kuhl, der ja eigentlich trotz einiger weniger „Praktika“ in erster Linie ein Organisator und Stratege weit entfernt von jeder Kriegsfront gewesen war, zum Chef des Generalstabes der 1. Armee (von Kluck) ernannt. Die Rolle, die Kuhl bei der Planung und Entwicklung der Marneschlacht spielte, ist in der Forschung bis heute umstritten. Wie schon bemerkt, zählte Kuhl zur engsten Umgebung des Grafen Schlieffen und hatte vor dessen Rücktritt mehrere „Generalstabsreisen West“ durchgeführt. In dem Kriegsspiel von 1905 wurde unter anderem auch der Fall „Freytag II“ ausprobiert, in welchen die zurückweichenden französischen Truppen über die Marne hinweg verfolgt werden sollten. Es wurde in diesem Zusammenhang auch die Variante „Kuhl II“ des Westaufmarsches ausprobiert – so bedeutend war Kuhl damals schon, dass ein Manöver nach ihm benannt wurde. „Kuhl II“ sah eine „großzügige“ Umfassung von Paris auch vom Süden her vor. Allerdings wurde damals auch schon die Variante in Aussicht genommen, die dann 1914 von der 1. Armee unter Kuhl versucht werden sollte, gegen alle Widerstände seitens der Nachbararmee Bülow und auch gegen ausdrückliche Anweisungen der Obersten Heeresleitung, nämlich des Abdrängens der französischen Truppen von Paris in südöstlicher Richtung.9 „Kuhl II“ war also eine Variante des Schlieffen-Plans, die ohne eine gesamte Umfassung von Paris vom Westen her auskam und deshalb erhebliche Truppenkontingente einsparen konnte, über die Schlieffen 1905 ohnehin nicht verfügte – und die auch 1914 noch nicht in hinreichender Zahl aufgestellt werden konnten. War letztlich also Kuhl, der Generalstabschef der Kluck-Armee, dafür verantwortlich, dass die Verbindung zwischen den Armeen Kluck und Bülow unterbrochen wurde, weil er trotz mehrfacher Aufforderungen sowohl seitens der OHL als auch von Bülows nicht davon ablassen wollte, einen direkten Stoß gegen die Festung Paris zu riskieren, wohingegen Bülow und die 2. Armee sich Richtung Südosten auf die „Verfolgung“ des angeblich zurückflutenden französisches Heeres begaben? Noch heute wird ihm von kompetenter militärhistorischer Seite der Vorwurf gemacht, blind gewesen zu sein gegen die auf der rechten Flanke der von ihm geleiteten 1. Armee gebildete 6. französische Armee unter General ­

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­ aunoury. Er habe sich zu sehr auf den Gedanken versteift, die 5. franM zösische Armee geradezu vor sich hertreiben zu können und diese auf dem siegreichen Weg nach Paris zu vernichten.10 Kuhl hat in der Nachkriegszeit sein Verhalten immer wieder verteidigt und insbesondere eine eigene Schrift über den Marnefeldzug publiziert, in welcher er seine exakt am ursprünglichen Schlieffen-Plan orientierte Strategie energisch verteidigte.11 Das war auch insofern notwendig, als unter seinen Kritikern nicht zuletzt aus dem Reichsarchiv Stimmen laut wurden, die Kuhl anklagten, hauptsächlich schuld zu sein an der Niederlage von 1914 und deshalb im Grunde auch eine schwere Verantwortung zu tragen am unglücklichen Ausgang des gesamten Krieges.12 Das hochoffizielle, vom Reichsarchiv betreute und insgesamt 14-bändige Werk Der Weltkrieg sprach in diesem Zusammenhang von einem an der Marne „bereits errungenen Sieg“, der unter anderem durch Kuhls Eigensinn in eine Niederlage gewendet worden sei.13 Vielleicht wegen dieser „Niederlage“ wurde Kuhl 1915 für kurze Zeit an die Ostfront versetzt. Allerdings scheint die Empörung über sein Verhalten in der Marneschlacht nicht sehr nachhaltig gewesen zu sein, denn bereits Ende 1915 kehrte er im Range eines Generalleutnants wieder an die Westfront zurück, und zwar diesmal als Generalstabschef der 6. Armee unter dem Oberbefehl des Kronprinzen Rupprecht von Bayern. Es wurde damals kolportiert, dass die OHL diese Versetzung angeordnet hatte, um dem bayrischen Kronprinzen eine Art „preußischen Aufpasser“ zu geben.14 Er blieb bei Rupprecht bis ans Ende des Krieges, ab dem August 1916 als Generalstabschef der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht. In dieser Funktion hatte er die Leitung der Hauptarmeen in der Sommeschlacht von 1916, bei der „Rückführung“ der Truppen im Frühjahr 1917 und der sogenannten „Alberich“-Aktion, später dann bei der Durchführung der Frühjahrsoffensive von 1918 und schließlich bei den Rückzugskämpfen des Herbst 1918. Mit der Demobilmachung verließ Kuhl im Januar 1919 das Heer im Range eines Generals der Infanterie. An Auszeichnungen hatte er während des Krieges vor allem den Orden „Pour le Mérite mit Eichenlaub“ und den „Preußischen Kronorden Erster Klasse mit Schwertern“ erhalten.15 Es dürfte keinen zweiten Generalstabsoffizier geben, der auf ähnlich komplette Weise während des gesamten Krieges „an vorderster Befehlsfront“ eingesetzt war, als verantwortlicher Organisator nahezu aller militärischen Großunternehmen an der Westfront, mit Ausnahme der Schlacht von Verdun, bei der Kuhl keine Rolle spielte. Von daher ist es höchst erstaunlich, dass es über diesen so prominenten Offizier keine

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­ esentlichen biografischen Arbeiten gibt. Das dürfte allerdings nicht w ­zuletzt an der Tatsache liegen, dass der umfängliche Nachlass des Generals, den er dem Reichsarchiv übergeben hatte, im April 1945 bei der Zerstörung des Reichsarchivs verloren gegangen ist. Es hat den Anschein, dass von diesem Nachlass allein das „Inhaltsverzeichnis“ übriggeblieben ist, das von dem mit der Archivierung befassten Mitarbeiter an anderer Stelle verwahrt wurde. Heute liegt dieses Verzeichnis im Bundesarchiv– Militärarchiv in Freiburg. Es vermittelt einen guten Eindruck von der Vielfalt der publizistischen und Vortrags-Tätigkeit Kuhls vor allem in den 1920er- und 1930er-Jahren. Nach seiner Entlassung verlegte sich Kuhl sofort auf das Verfassen von Zeitungsartikeln, Broschüren und schließlich auch einer großen Gesamtdarstellung des Weltkrieges, die 1929 erschien und ungemein stark verbreitet wurde. Ähnlich wie Ludendorff, aber inhaltlich weitaus gehalt­ voller und sehr viel nachdenklicher, empfand er es als seine Hauptaufgabe, sein eigenes Verhalten im Krieg, die Politik und militärischen Aktionen der Obersten Heeresleitung und überhaupt die kaiserliche Armee im Weltkrieg zu verteidigen.16 Kuhl wurde 1924 auch überaus aktives Mitglied der Historischen Kommission des Reichsarchivs,17 war von 1924–1938 ein äußerst aktiver Schriftleiter des „Deutschen Offiziersblatts“ und wurde schon 1924 für die vaterländischen Verdienste in der Beschreibung und Legitimierung des Krieges mit der „Friedensklasse“ des Ordens „Pour le Mérite für Wissenschaft und Künste“ ausgezeichnet. Das hatte allerdings nicht allein mit der spezifischen literarischen Leistung von Kuhl zu tun. Denn in dieser Stiftung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. war traditionell die Kriegsgeschichte immer durch einen General vertreten gewesen. Kuhl folgte auf von der Goltz und Freytag-Loringhoven, seinem unmittelbaren Vorgänger.18 Kuhl konnte sowohl kurze polemische Traktate als auch umfassende Gesamtdarstellungen verfassen. Darstellungen, denen man auch heute noch anmerkt, dass sie aus der Feder eines ungewöhnlich gebildeten Mannes stammen, der gleichzeitig aber auch ein erstklassiger Spezialist in militärischen Angelegenheiten war. Herausragend unter den vielen polemischen Schriften der Nachkriegszeit war die Auseinandersetzung mit Adolf Köster, dem hochrangigem SPD-Parlamentarier und Außenminister im Jahre 1920, in welcher es um die nach dem Krieg alles andere beherrschende Frage ging, wer denn letztlich für die Niederlage verantwortlich gewesen war: das Offizierskorps und die Heeresführung wegen mangelnder Weitsicht und zu engstirnigem

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Festhalten am „Siegfrieden“, oder aber die „Heimat“, bzw. die linksradikale Agitation, die das Heer geradezu vergiftet habe, bis es schließlich kampfunfähig wurde.19 Köster hatte eine Aufsehen erregende Broschüre mit dem Titel Fort mit der Dolchstoßlegende! verfasst, in welcher er jegliche (Mit-)Verantwortung der zivilen Seite für die Niederlage ablehnte und nachzuweisen versuchte, dass allein die übermäßigen Ambitionen und mangelnde Einsicht der Obersten Heeresleitung an der so unerwarteten Niederlage schuld waren.20 Kuhls Antwort – ebenfalls weit verbreitet – war kategorisch: Ohne das Zerbröckeln der Moral in der Heimat und ohne die Unterminierung des Heeres durch linksradikale Elemente hätte die Armee in gesicherter Stellung noch mindestens den Winter über weiterkämpfen und auf diese Weise einen stärker auf Kompromisse orientierten Waffenstillstand und Frieden erhalten können.21 Auch im Untersuchungsausschuss des Reichstags argumentierte Kuhl oft scharf und polemisch, aber seinen Gutachten und Diskussionsbeiträgen zum Thema der Gründe für die Niederlage von 1918 merkt man doch immer wieder das Bemühen um Differenzierung und Kooperation mit den anderen Ausschussmitgliedern an.22 Im Unterschied zu vielen anderen Militärs – exemplarisch Ludendorff! – ging es Kuhl hierbei nicht um eine Anklage der Republik insgesamt. Er hatte deutlich die Tendenz, die Mehrheits-Sozialdemokraten um Ebert und Scheidemann von den Vorwürfen auszunehmen, dass sie das Heer nicht hinreichend unterstützt oder gar sabotiert hätten. Für Kuhl lag die Schuld am endgültigen Zusammenbruch ganz überwiegend in den Aktivitäten der äußersten Linken, Spartakus und betriebliche „Obleute“, denen es zuzuschreiben sei, dass die seit dem Sommer 1918 an die Front gerufenen Soldaten immer widerspenstiger und defätistischer wurden. Wichtig war aber insbesondere, dass Kuhl niemals von einem möglichen Sieg sprach, der durch die Untergrund-Aktivitäten der Linken verhindert worden sei. Im Unterschied zur extremen Rechten betonte er nur, „dass die von der Heimat ausgehende revolutionäre Unterwühlung des Heeres zu unserem Zusammenbruch beigetragen“ habe. Und die Revolution habe schließlich dann dem Heer „den letzten Rest von Widerstandskraft geraubt“.23 Sicherlich sei kein Sieg im Westen mehr möglich gewesen, nachdem die amerikanischen Truppen sich in einem von der OHL so nicht erwarteten Maße bereits ab dem Sommer 1918 als kampffähig erwiesen hätten. Aber ohne die revolutionären Umtriebe und schließlich die Revolution hätte man den Winter über noch aushalten und wahrscheinlich einen echten Verhandlungsfrieden erhalten können.

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Auch im Untersuchungsausschuss gab es über diese Frage eine andauernde und heftig geführte Debatte. So wies Delbrück, der wichtigste militärkritische Spezialist der damaligen Zeit, Kuhls Differenzierung zurück.24 Entscheidend sei überhaupt nicht die Unterwühlung der Armee durch linksradikale Elemente gewesen, sondern die Verbitterung der Soldaten wegen des nicht nachlassenden Annexionsgeredes der rechten Parteien, der Wirtschaftsverbände und der OHL. Denn diese Agitation habe den Soldaten gezeigt, dass der Krieg keineswegs mehr zur Verteidigung des Vaterlandes geführt werde, sondern ein reiner Eroberungskrieg geworden sei. Und für einen solchen Krieg wollten die Soldaten nicht mehr leiden und sterben.25 Für die nach zweijähriger Diskussion erfolgte Resolution des Untersuchungsausschusses über die „allgemeinen Ursachen und Hergänge des inneren Zusammenbruchs“ war zweifellos sehr wichtig, dass insbesondere Kuhl als der wichtigste Vertreter der militärischen Seite sich trotz einiger Wortgefechte insbesondere mit Delbrück doch auf eine „mittlere“ Position mit der linken Mehrheit im Ausschuss einigen konnte. In dieser wurde betont, dass „Kriegsgewinnlertum“ und schwere Mängel in der Versorgung der Soldaten zu einer allgemeinen Missstimmung unter diesen geführt hätten, weshalb sich die Meinung verbreiten konnte, „dass der Krieg ohne Not für die Interessen der Besitzenden verlängert wird …“26 Und wichtiger vielleicht noch im Zusammenhang mit den damaligen innenpolitischen Diskussionen war die Feststellung des Untersuchungsausschusses, dass der Zusammenbruch schließlich ausgelöst worden sei durch die Waffenstillstandsforderung der OHL. Dies habe die Stimmung der Soldaten noch einmal dramatisch verschlechtert und auch zur Gehorsamsverweigerung der Matrosen der Hochseeflotte am 30. Oktober 1918 geführt. Wenn hier also der OHL die Hauptverantwortung für die Auflösung der Kampfmoral der Soldaten zugeteilt wurde, so wurde im weiteren Verlauf der Resolution besonders wegen mehrerer Interventionen von Kuhl festgehalten, dass das deutsche Heer sicherlich einige wenige Monate länger hätte durchalten können, wenn die Revolution nicht gekommen wäre. Das war sicherlich eine Kompromissformel, aber mehr war in der ­damaligen politischen Situation und der schroffen Trennung zwischen Republikanern und antirepublikanischen Monarchisten und anderen Radikalen sicherlich nicht zu erreichen. Dieser Kompromiss hatte im Übrigen auch insofern Bestand, als die Sachlage dermaßen komplex und verzwickt war, dass sich die wissenschaftliche Historiografie bis heute

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in dieser Frage immer noch uneins ist – so uneins, dass allein die Erörterung der Frage nach den „Ursachen des deutschen Zusammenbruchs“ stets scharfe und auch wissenschaftsferne Polemiken hervorzurufen geeignet ist. Irgendwie geht es heute – 100 Jahre später – immer noch um die doch in Wirklichkeit ziemlich abstrakte Frage, ob die OHL und die Alldeutschen oder ob die antimilitaristische Linke am Zusammenbruch „schuld“ gewesen waren. Wie bereits erwähnt, war Kuhl in der Zwischenkriegszeit auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden durch seine dauernden Repliken, Einmischungen, Stellungnahmen zu allen möglichen Problemen der Strategie und Taktik im Krieg. Seine diversen Broschüren sowie Zeitschriften- und Zeitungsartikel bildeten dann die Grundlage für ein großes, zweibändiges Werk über den Weltkrieg insgesamt. Dieses 1929 zuerst publizierte Buch war und ist bis heute eine Art Standardwerk zur militärischen Seite des Krieges geblieben. Tatsächlich beschränkte sich Kuhl nahezu gänzlich auf eine Geschichte der Aufmärsche und Schlachten, das Verhältnis von Politik und Krieg hingegen und Kritik an der Vorkriegs- und Kriegspolitik finden sich hier nur vereinzelt, meist in Nebenbemerkungen ohne große Tragweite. Der „Politik“, also der Regierung und dem Parlament, wirft er nur massiv vor – wie schon in seiner Schrift über den Deutschen Generalstab in Vorbereitung und Durchführung des Krieges, dass man vor 1914 die Rekrutierung der gesamten wehrfähigen männlichen Bevölkerung nicht hinreichend betrieben habe. Im Unterschied etwa zu den Franzosen seien in Deutschland nicht einmal die Hälfte der wehrfähigen jungen Männer tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen worden. Auch eine militärische Fortbildung der sogenannten Ersatzreserve sei unterblieben. Und diese Vernachlässigung der Aufrüstung sei der Hauptgrund für das Debakel von 1914 gewesen. Denn wenn man genügend Soldaten gehabt hätte, sei es ohne Weiteres möglich gewesen, den „großen Bogen“ der Schlieffen’schen Strategie auch erfolgreich durchzuführen und den Krieg schon 1914 zu gewinnen. Aber im Übrigen ist diese große und im Detail heute noch ungemein zuverlässige Gesamtdarstellung der Schlachten politisch äußerst neutral gehalten. Auseinandersetzungen gibt es zumeist nur mit anderen Generalen, etwa Ludendorff, der eine Art Hauptgegner Kuhls gewesen zu sein scheint. Bedrückend an dieser in mancher Hinsicht echt militaristischen Schrift ist, dass das Kriegserlebnis der Soldaten nahezu keine Rolle spielt. Soldaten erscheinen in diesem Werk eines Generalstäblers nahezu nur als mehr oder weniger verfügbare Verschiebungsmasse.

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­ inige wenige Nebenbemerkungen über die Schwere ihres Loses, beiE spielsweise im Verdun-Kapitel, können diesen Eindruck nicht mildern. Politisch wird die Arbeit erst in ihrem letzten Kapitel, nämlich über das Kriegsende und Versailles. Das Verhalten der OHL in der Waffenstillstandsforderung versucht Kuhl zu entschuldigen. Aber die Niederlage ist für ihn eine eindeutig militärische. So schreibt er sehr viel kategorischer als andere militärische Autoren jener Zeit, dass mit dem französischen Gegenangriff vom 18. Juli 1918 der Krieg im Grunde verloren gewesen sei, weil auch der entscheidende Einbruch der Kampfmoral der Soldaten jetzt und erst jetzt stattgefunden habe. Auch das Eingreifen der Amerikaner wird als mitentscheidend charakterisiert.27 „Wir müssen dabei bleiben: Nach dem 8. August28 half nur ein schneller und ganzer Entschluss: Zurückführung des Heeres in verkürzte Stellungen, durch die alle durch einen feindlichen Angriff am meisten gefährdeten Abschnitte dem Zugriff des Feindes entzogen wurden. Aussparen von Reserven, Aufruf der Heimat zu entschlossenem Widerstand unter Hinweis auf den Ernst der Lage. Dann ein Friedensangebot, das nicht mehr zu umgehen war, aber kein Waffenstillstandsgesuch. Von einer ‚Verständigung‘ durfte man nicht mehr träumen. Der Friede wurde hart.“29 Auf Kuhls Erwägungen betreffend den Waffenstillstand und die Verantwortung für die Niederlage ist an dieser Stelle nicht mehr einzugehen, er wiederholt hier die Argumente, die er vor der Untersuchungskommission des Reichstags ausgeführt hatte. Aber eine grundlegende Überzeugung, die das Buch zwar nicht strukturiert, die aber immer wieder zum Vorschein kommt, sei noch zitiert. „Ein dauernder Mißstand auf deutscher Seite blieb es im ganzen Kriege, daß es nicht gelang, Politik und militärische Kriegführung in das richtige Verhältnis zueinander zu bringen. Die militärische Kriegführung ist nur ein Mittel der Politik. Aber die Politik erwies sich als unfähig, die ihr zustehende übergeordnete Stellung auszufüllen. Sie war schwächlich nach außen wie nach innen. So kam es zum Übergriff der Heeresleitung in die Politik, der an sich nicht erwünscht, im vorliegendem Falle durch die Umstände unvermeidlich war.“30 Das ist eine interessante Wendung des „Militarismus“Problems, das man heute noch mit Gewinn diskutieren könnte … Im Vorwort der 2. Auflage seines Buches, die 1933, kurz nach der „Machtergreifung“ erschien, äußerte sich Kuhl sehr eindeutig dem Zeitgeist entsprechend: „Eine neue, kraftvolle Zeit ist angebrochen. Die mächtige nationalsozialistische Bewegung hat die Spukgestalten der internationalen Marxisten, der demütigen Erfüllungspolitiker, der wehr-

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feindlichen Pazifisten hinweggefegt. Stolz blickt der Deutsche im neuen nationalsozialistischen Reich auf die Großtaten des Weltkriegs, vertrauensvoll schaut er in die Zukunft.“31 Es hat indessen nicht den Anschein, dass Kuhl sich unter dem Nationalsozialismus systemkonform profiliert hätte. Es gibt von ihm in der Zeit von 1930 bis 1939 noch etwa 20 kleine Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, die aber alle die schon in den 1920erJahren behandelten Stoffe weiter explizieren, insbesondere das Problem der Niederlage an der Marne, wo Kuhl doch offensichtlich immer wieder Erklärungsbedarf verspürte. Dazu kommen noch einige Porträts von Feldherren wie Hindenburg. Ab 1939 hat er offensichtlich jegliche schriftstellerische Tätigkeit eingestellt.32 Hermann von Kuhl ist einer der historisch am wenigsten erforschten Heerführer des Wilhelminischen Reiches und des Ersten Weltkrieges. Er war eine außergewöhnliche Persönlichkeit, ein profilierter Germanist bürgerlicher Herkunft, der aus Interesse und Gesinnung sich ganz dem Militärischen widmete. Der dort auch ohne familiäre Tradition und Adelsprädikat eine verblüffend steile Karriere machte, in die höchsten Ämter des preußischen Generalstabs gelangte, einer der engsten Mitarbeiter des Generalstabschefs Schlieffen wurde und später dann ein trotziger Verfechter der „Schlieffen-Schule“ war. Im Krieg war er nahezu ununterbrochen in höchster Position an der Westfront tätig, mitverantwortlich für das Marne-Debakel, aber auch für den erfolgreichen Stellungskampf an der Somme und den gelungenen Rückzug. Nach dem Krieg zeigte er sich dann als ein ebenso reflektierter wie vehementer Verteidiger des deutschen „Militarismus“ in Vorkriegs- und Kriegszeit. Aber doch auch als kompetenter Diskussions- und Gesprächspartner der bürgerlich-demokratischen Seite, wie seine Aktivität im Untersuchungsausschuss des Reichstags zeigt. Kuhls Geschichte des Krieges hat wie wohl kein anderes Überblickswerk die deutsche Erinnerung an den Krieg geprägt, was nicht unbedingt ein historischer Fortschritt war. Denn die Rechtfertigung des guten Alten im Militärischen und der nationalen Kontinuität über die Brüche der Niederlage und Revolution hinaus wurden von ihm nahezu kritiklos in gekonnter Diktion verbreitet. Auch Kuhl gehörte 1933 zu den vielen, die glaubten, dass Hitler in erster Linie ein Kämpfer für Deutschlands alte „Macht und Herrlichkeit“ sein werde. Zu dieser schrecklichen Illusion hat er sich dann zeit seines Lebens nicht mehr öffentlich geäußert. Zu wahrer historischer Größe hätte das aber gehört, weshalb Kuhl heute nur noch ein zwar exzellenter, aber typischer „Wilhelminer“ und damit weitgehend vergessen ist.

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Anmerkungen 1 2 3 4

Möller-Witten, Festschrift. Meier-Welcker, General der Infanterie. So Meier-Welcker, General der Infanterie, S. 599; Napoleon Zitat, ebd., S. 600. Erinnerungen des Generals v. Tschischwitz, zitiert nach Möller-Witten, Festschrift, S. 10. 5 Vgl. zur Bedeutung von Kuhls Expertise für den Schlieffenplan auch: Grawe, Deutsche Feinaufklärung, S. 204f. 6 Das zeigen seinen umfänglichen Analysen der Vorkriegs-Verfassung der französischen Armee in seinem Buch „Der Deutsche Generalstab in Vorbereitung und Durchführung des Weltkrieges“, S. 9ff., 36ff., 70ff. Vgl. auch Grawe, Deutsche Feindaufklärung, S. 40 mit Anm. 97 zu den zeitgenössischen Beurteilungen dieser Tätigkeit; ebd. S. 183 zur Beurteilung der französischen Infanterietaktik; ebd. S. 216, Anm. 527 über Kuhls Kritik der geläufigen Frankreich-Topoi im Offizierskorps. 7 Vgl. Ritter, Der Schlieffenplan, S. 179. 8 Kuhl, Der deutsche Generalstab, S. 23; vgl. ebd., S. 31: „Die Disziplin galt allerdings auch bei uns im Generalstab nicht als die stärkste Seite der französischen Armee“. 9 Hierzu im Einzelnen: Ehlert / Epkenhans / Groß (Hrsg.), Der Schlieffenplan, S. 138– 140; vgl. auch Herwig, Marne 1914, S. 151; ebd., S. 213ff. über die Planung eines „Abdrängens“ der Franzosen vor Paris – im Unterscheid zur Schlieffen’schen „Umfassung“. 10 Detailliert hierzu: Herwig, Marne 1914, S. 211–216; 239–242; 274f. 11 Kuhl, Der Marnefeldzug. Zum Streit um den Marnefeldzug nach 1918 und die Rolle Kuhls vgl. auch Pöhlmann, Kriegsgeschichte, S. 295ff. 12 Vgl. hierzu im Einzelnen: Lange, Marneschlacht und deutsche Öffentlichkeit, bes. S. 131; vgl. auch Pöhlmann, Kriegsgeschichte, S. 318f. 13 Zitiert nach: Lange, Marneschlacht und deutsche Öffentlichkeit, S. 20. 14 So Pöhlmann, Kriegsgeschichte, S. 251. 15 Dies nach Meier-Welcker, General der Infanterie, S. 598. 16 Vgl. auch den Ausstellungskatalog der Heimatstadt Kuhls, Jülich: Opladener Geschichtsverein (Hrsg.), Kriegsenden, S. 75: „sein Tonfall war weniger revanchistisch als der einiger seiner Zeitgenossen, die auch politisch stark engagiert waren, wie z. B. Erich Ludendorff.“ 17 Hierzu näher Pöhlmann, Kriegsgeschichte, S. 192: Arbeitskollegen ironisierten ihn als „schreibselig“. 18 Möller-Witten, Festschrift, S. 46. 19 Hierzu jetzt zusammenfassend mit der älteren Literatur: Krumeich, Die unbewältigte Niederlage. 20 Adolf Köster, Fort mit der Dolchstoßlegende!, Berlin 1920. 21 Kuhl, Die Kriegslage im Herbst 1918. 22 Vgl. für das Folgende: Das Werk des Untersuchungsausschusses, 4. Reihe, Bd. 3, S. 192–215. 23 Vgl. Krumeich, Die unbewältigte Niederlage, S. 94; vgl. auch Pöhlmann, Kriegsgeschichte, S. 273 f. der sehr zutreffend bemerkt, dass Kuhls Differenzierung zwischen „Dolchstoß“ und „Vergiftung“ des Heeres zur Diskreditierung des rechten Kampf begriffes vom Dolchstoß in den Rücken der Front beigetragen habe. 24 Das Werk des Untersuchungsausschusses, 4. Reihe, Bd. 3, S. 272f. 25 Ebd. S. 95.

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26 Krumeich, Die unbewältigte Niederlage, S. 195. 27 Kuhl, Der Weltkrieg, Bd. 2, S. 336–350 und 381. 28 Das ist der von Ludendorff sogenannte „Schwarze Tag des deutschen Heeres“, als die Briten bei Amiens mit einem großen Panzerangriff einen echten Durchbruch erzielten. 29 Kuhl, Der Weltkrieg, Bd. 2, S. 375. 30 Ebd., S. 488. 31 Kuhl, Der Weltkrieg, Bd. 1, Vorwort (ohne Seitenangabe). 32 Vgl. die Publikationsliste Kuhls bei Meier-Welcker, General der Infanterie, S. 604–610.

Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Kriegstagebuch Hermann von Kuhl, RH 61/970. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Inhaltsverzeichnis des Nachlasses, RH 18/834.

Gedruckte Quellen und Literatur Das Werk des Untersuchungsausschusses der Deutschen Verfassungsgebenden Nationalversammlung und des Deutschen Reichstages 1919–1926. Verhandlungen, Gutachten, Urkunden. Vierte Reihe: Die Ursachen des Deutschen Zusammenbruchs im Jahre 1918, Bd. 3, Berlin 1927. Foley, Robert T., Hermann von Kuhl, in: Zabecki, David T. (Hrsg.), Chief of Staff. The Principal Officers Behind History’s Great Commanders, Bd. 1, Annapolis 2008, S. 149–162. Grawe, Lukas, Deutsche Feindaufklärung vor dem Ersten Weltkrieg. Informationen und Einschätzungen des deutschen Generalstabs zu den Armeen Frankreichs und Russlands, 1904 bis 1914, Paderborn 2017. Herwig, Holger H., Marne 1914. Eine Schlacht, die die Welt veränderte?, Paderborn 2016. Köster, Adolf, Fort mit der Dolchstoßlegende! Warum wir 1918 nicht weiterkämpfen konnten, Berlin 1920. Krumeich, Gerd, Die unbewältigte Niederlage. Das Trauma des Ersten Weltkriegs und die Weimarer Republik, Freiburg 2018. Kuhl, Hermann von, Der Deutsche Generalstab in Vorbereitung und Durchführung des Weltkrieges, Berlin 1919 (2. Aufl. 1920). Kuhl, Hermann von, Die Kriegslage im Herbst 1918. Warum konnten wir weiterkämpfen?, Berlin 1920. Kuhl, Hermann von, Der Marnefeldzug 1914, Berlin 1921. Kuhl, Hermann von, Der Weltkrieg 1914–1918. Dem deutschen Volke dargestellt. 2 Bände, Berlin 1929. Kupka, Andreas, General der Infanterie Dr. phil. Hermann Joseph von Kuhl (1856–1958), in: von Büren, Guido / Gutbier, Michael D. / Hasberg, Wolfgang (Hrsg.), Kriegsenden in europäischen Heimaten. Bracknell, Haubourdin, Jülich, Leverkusen, Ljubljana, Racibórz, Schwedt, Villeneuve d’Ascq, Neustadt an der Aisch 2019, S. 185–198. Lange, Carl, Marneschlacht und deutsche Öffentlichkeit 1914–1939. Eine verdrängte Niederlage und ihre Folgen, Düsseldorf 1974.

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Meier-Welcker, Hans, General der Infanterie a. D. Dr. Hermann von Kuhl. Zum 100. Geburtstag am 2. November 1956, in: Wehrwissenschaftliche Rundschau 6 (1956) S. 597–610. Möller-Witten, Hanns, Festschrift zum 100. Geburtstag der Generals der Infanterie a. D. Dr. phil. Hermann von Kuhl, Berlin 1956. Opladener Geschichtsverein (Hrsg.), Kriegsenden in europäischen Heimaten. Leverkusen, Bracknell, Jülich, Ljubljana, Racibórz, Schwedt und Villeneuve d’Ascq. Begleitkatalog zur Ausstellung, 8. September 2018 bis 10. Februar 2019, Jülich 2018. Pöhlmann, Markus, Kriegsgeschichte und Geschichtspolitik: Der Erste Weltkrieg. Die amtliche deutsche Militärgeschichtsschreibung 1914–1956, Paderborn 2002.

General der Infanterie Paul von Lettow-Vorbeck von Eckard Michels

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aul von Lettow-Vorbeck, am 20. März 1870 in Saarlouis geboren und am 9. März 1964 in Hamburg gestorben, kommandierte von Januar 1914 bis November 1918 zunächst als Oberstleutnant, zuletzt als Generalmajor die „Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika“. Obwohl Lettow-Vorbeck selbst auf dem Höhepunkt der militärischen Mobilisierung Deutsch-Ostafrikas nur Truppen im Umfang etwa einer Division unterstanden, die zudem auf einem für den Gesamtkonflikt strategisch unbedeutenden Kriegsschauplatz kämpften, ist er bis heute einer der bekanntesten, hierzulande mittlerweile auch umstrittensten deutschen Heerführer des Ersten Weltkriegs. Seine militärische Leistung bestand darin, dass es ihm gelang, die isolierte Schutztruppe über vier Jahre vor der Vernichtung durch überlegene britische, indische, südafrikanische, belgische und portugiesische Truppen zu bewahren. Lettow-Vorbeck kapitulierte erst am 25. November 1918 in Abercorn im britischen Nord-Rhodesien (dem heutigen Sambia), nachdem er vom Kriegsende in Europa erfahren hatte. Seine Gefolgschaft bestand zu diesem Zeitpunkt noch aus 155 Europäern, 1168 schwarzen „Askari“-Söldnern sowie etwa 2000 afrikanischen Lastenträgern, „Boys“ (persönlichen Dienern der Soldaten) und Familienangehörigen der Askaris. Insbesondere im angelsächsischen Sprachraum, in dem das Interesse an Militärgeschichte wesentlich verbreiteter ist als hierzulande, genießt der

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Kommandeur der Schutztruppe nach wie vor den Ruf, ein brillanter, nimmermüder, innovativer Taktiker des Kleinkrieges und ein ritterlicher Gegner gewesen zu sein. Auch in (West-)Deutschland erfreute sich LettowVorbeck lange Zeit eines weitgehend positiven Renommees als „im Felde unbesiegter“, auch bei seinen Feinden hoch angesehener Kommandeur. An ihm konnte sich das nationale Selbstbewusstsein nach zwei verlorenen Weltkriegen aufrichten, schien er doch vermeintlich positive preußischdeutsche militärische wie koloniale Traditionen zu verkörpern. Dabei wurde die „Treue“ der Askaris zu ihm beziehungsweise der Schutztruppe als angeblicher Beweis für die insgesamt positiven Erfahrungen der Afrikaner mit der deutschen Kolonialherrschaft ausgelegt.1 Von Lettow-Vorbecks Vorbildfunktion zeugten unter anderem seit Mitte der 1930er-Jahre nach ihm benannte Straßen in drei Dutzend deutschen Städten, von denen zu Beginn des 21. Jahrhunderts immer noch ein Drittel existierte, sowie vier „Lettow-Vorbeck“-Kasernen zunächst der Wehrmacht, später der Bundeswehr in Leer, Bremen, Hamburg und Bad Segeberg. Allerdings beruhte sein Fortleben als Namenspatron seit den 1960er-Jahren in der Bundesrepublik eher auf einer sich ausbreitenden Unkenntnis seiner Person und Taten unter den nachgeborenen Generationen, als dass Lettow-Vorbeck noch unbedingt die Funktion einer gesellschaftlichen Selbstversicherung über bestimmte Werte und Ziele erfüllen musste. Seit zwei Jahrzehnten hat sich im Zuge eines erneuten Interesses an der deutschen Kolonialgeschichte, und hierbei insbesondere ihrer bis dahin weitgehend unerforschten militärischen Dimension, das Bild Lettow-Vorbecks deutlich gewandelt.2 Die jüngere Forschung sieht ihn vorrangig als sturen, mäßig begabten, zutiefst rassistischen und undemo­ kratischen Nur-Militär. Er wird nunmehr sogar als „Kriegsverbrecher“ bezeichnet, der in Afrika ebenso rücksichtslos vorgegangen sei wie in den nach-revolutionären beziehungsweise anti-republikanischen Aufständen in der frühen Weimarer Republik 1919/20, als er als Kommandeur einer Reichswehrbrigade zunächst im Auftrag der Reichsregierung Hamburg besetzte und sich kurz darauf dem Kapp-Lüttwitz-Putsch anschloss.3 Jedenfalls war er in hohem Maße verantwortlich dafür, dass sich der Erste Weltkrieg in Ostafrika über mehr als vier Jahre hinzog und Gebiete von der Größe Westeuropas erfasste. Sein Feldzug gefährdete die Lebensgrundlage von Hunderttausenden von Afrikanern und er führte abgesehen von den eher geringen Gefechtsfeldverlusten zum unmittel­ baren Tod von Zehntausenden für die Schutztruppe zwangsrekrutierten Lastenträgern durch Hunger, Krankheit oder Erschöpfung.

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Paul von Lettow-Vorbeck (Foto nach November 1916)

Wenden wir uns Lettow-Vorbecks militärischer Karriere im Kaiserreich und seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg zu. Als er im Januar 1914 in Deutsch-Ostafrika eintraf, um das Kommando über die Schutztruppe zu übernehmen, lag bereits eine sehr erfolgreiche militärische Laufbahn hinter ihm. Er war bei seiner Beförderung zum Oberstleutnant am 1. Oktober 1913 einer der jüngsten Offiziere dieses Ranges im preußischen Heer. Nun vertraute man ihm die größte der insgesamt drei Schutztruppen des Reiches an, die es außerdem in Kamerun und Deutsch-Südwestafrika gab. Lettow-Vorbecks vergleichsweise rascher Aufstieg erklärt sich zum einen aus einer Mischung von kriegshandwerklichem Können, großem Ehrgeiz und bedingungslosem Einsatzwillen seinerseits. Ebenso wichtig waren die guten, über Generationen geknüpften Verbindungen der Lettow-Vorbecks, einer geradezu archetypischen Familie der adeligen ostelbischen „Offiziersclans“, innerhalb der preußischen Militärmonarchie.4 Sie sorgten bereits für seinen günstigen Karrierestart durch Eintritt ins Kadettenkorps 1881, Dienst als Leibpage am Hof der Hohenzollern 1887/88 und schließlich 1888 für die Aufnahme als Leutnant in eines der

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Berliner Garde-Infanterieregimenter. Die Karriere Lettow-Vorbecks bis 1914 vollzog sich also im Spannungsfeld zwischen seiner individuellen Leistung und einer systematischen monarchischen Protektion für die Sprösslinge des ostelbischen Militäradels. Für das neue Kommando in Übersee im engeren Sinne qualifizierte ihn unter anderem die vorherige Teilnahme als Leutnant im „Ostasiatischen Expeditionskorps“ des Deutschen Reiches am „Boxerkrieg“ 1900/01 in China, das allerdings dort zu spät eintraf, um ernsthafte Kämpfe zu erleben. Für diesen letztlich eher enttäuschenden Einsatz hatte Lettow-Vorbeck seine Abordnung auf Probe in den Generalstab aufgegeben. Der spontane Entschluss hätte sich als potenzieller Karrierenachteil in einer Friedensarmee erweisen können, galt doch die Generalstabstätigkeit inzwischen als Königsweg für eine erfolgreiche Laufbahn. Die Fehlentscheidung konnte er durch einen weiteren Überseeeinsatz zu einem gewissen Grad kompensieren. Er machte von 1904 bis 1906 als Hauptmann der Schutztruppe den Herero- und Namakrieg in Deutsch-Südwestafrika (heute Namibia) mit. Dort sammelte er sowohl Erfahrungen im Stab des Kommandeurs Generalleutnant Lothar von Trotha, unter dem er schon in China gedient hatte, wie auch als Kompanieführer. Dabei wurde er im Januar 1906 während eines von ihm erfolgreich geführten Gefechts gegen die gewandten und zähen Nama am Auge schwer verwundet. Man verlieh ihm daraufhin einen hohen Orden, datierte sein Hauptmannspatent zurück und beförderte ihn relativ jung 1907 zum Major. Von 1909 bis 1913 befehligte er das 2. Seebataillon in Wilhelmshaven. Wie die anderen beiden Seebataillone diente die Formation auch als Eingreifreserve für koloniale Einsätze. Lettow-Vorbeck erhielt aufgrund seiner Erfahrungen in Deutsch-Südwestafrika den expliziten Auftrag, seine neue Einheit besser für zukünftige überseeische Einsätze vorzubereiten. Der China-Einsatz, der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika von 1905 bis 1907 und der Feldzug in Deutsch-Südwestafrika hatten die Unzulänglichkeiten aus Deutschland entsandter Truppen für diese militärischen Aufgaben gezeigt.5 Die 1891 entstandene „Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika“ zählte bei Kriegsausbruch 1914 etwa 2500 Mann. Die Mannschaften und ein Großteil der Unteroffizierskorps bestanden aus schwarzen „Askari“-Söldnern, weil diese besser an die Lebensbedingungen in der Kolonie angepasst waren und wesentlich weniger kosteten als europäische Soldaten. Die Schutztruppe war vornehmlich zur Unterdrückung der auf 7,5 Millionen Köpfe geschätzten afrikanischen Bevölkerung der

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Kolonie (welche die heutigen Staaten Tansania, Ruanda und Burundi umfasste) gedacht, nicht zum Krieg gegen einen europäischen Gegner. Sie verfügte entsprechend nur über eine leichte Bewaffnung und teilweise über veraltete Gewehre – Einzellader, die noch keine rauchfreie Munition verschossen. Als Kommandeur einer der drei Schutztruppen des Reiches verfügte man einerseits über außergewöhnliche militärische Handlungsfreiheit. Andererseits bestand die Gefahr, zum Außenseiter im preußisch-deutschen Militärestablishment zu werden. Für Letzteres zählte der Dienst in Übersee in den kleinen, nur für den vermeintlich primitiven „Buschkrieg“ gegen Afrikaner gedachten Schutztruppen kaum. Das Renommee der Schutztruppen innerhalb der Armee litt zudem daran, dass sie dem zivilen Reichskolonialamt unterstanden, beziehungsweise in jeder Kolonie sich der dortige Kommandeur dem zivilen Gouverneur unterordnen musste. Im Falle Deutsch-Ostafrikas handelte es sich 1914 um den vergleichsweise liberalen und humanen Kolonialbeamten Heinrich Schnee. Für einen preußischen, vornehmlich im Heimatheer sozialisierten Offizier wie Lettow-Vorbeck erschien diese Regelung wie eine Zumutung. Schnee, ein Großteil der knapp 5400 europäischen Siedler in DeutschOstafrika und selbst die Mehrheit der Schutztruppenoffiziere hofften für den Fall eines europäischen Krieges, die Kolonie aus dem Konflikt heraushalten zu können. Man befürchtete andernfalls Aufstände der Afrikaner und die Überlegenheit der Briten, welche die Seeherrschaft ausübten und die deutsche Besitzung durch Heranschaffen von Verstärkungen scheinbar leicht erobern könnten. Außerdem fehlte das Vertrauen in die leicht bewaffneten Askari, einem europäischen Gegner zu widerstehen. Lettow-Vorbeck hingegen wollte gegebenenfalls das benachbarte Britisch-Ostafrika angreifen in der Hoffnung, dadurch Truppen zu binden, die andernfalls in Europa zum Einsatz kommen könnten. Zudem wäre es seiner weiteren, zwar bislang erfolgreichen, aber zugleich merkwürdig verlaufenen Karriere abträglich gewesen, hätte er in einem solchen von den ambitionierten Offizieren herbeigesehnten Großkonflikt gleichsam Gewehr bei Fuß gestanden. Das Reichskolonialamt als vorgesetzte Stelle des Gouverneurs und des Kommandeurs befürwortete eher eine Neutralisierung der Besitzungen für den Kriegsfall. Im Generalstab hingegen gab es seit der Jahrhundertwende Gedankenspiele, die Kolonien aufzurüsten, um Ablenkungsangriffe auf die Entente-Kolonien zu führen. Weder Lettow-Vorbeck noch Schnee schienen sich im Sommer 1914 auf eindeutige Anweisungen berufen zu können.6

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Als der Krieg ausbrach, nahm Lettow-Vorbeck das Heft in die Hand, indem er eigenmächtig Vorstöße gegen die britischen, belgischen und portugiesischen Nachbarkolonien (obwohl Portugal erst im März 1916 in den Krieg eintrat) sowie eine Verteidigung der Küste gegen feindliche Landungen befahl. Schnee hingegen wollte Provokationen der Nachbarn vermeiden. Er befürwortete einen Rückzug der Schutztruppe ins Landesinnere, um dort das Ende des vermeintlich kurzen Krieges in Europa abzuwarten. Lettow-Vorbecks Position setzte sich durch, weil er in der Schlacht von Tanga am 4. November 1914 einen überraschenden Sieg errang. Entgegen den Anweisungen Schnees, der die Küsten nicht vertei­ digen lassen wollte, hatte er mehrere Kompanien in die Küstenstadt im ­Norden der Kolonie transportieren lassen, um mit 1100 Mann die dort gelandeten, schlecht geführten und unzureichend auf das Unternehmen vorbereiteten 8000 britisch-indischen Soldaten anzugreifen. Es gelang den Verteidigern bei geringen eigenen Verlusten, die Angreifer wieder ins Meer zu werfen und eine große Anzahl moderner Waffen inklusive Munition zu erbeuten. Lettow-Vorbeck konnte seinen Führungsanspruch durch einen zweiten, allerdings im Verhältnis zu Tanga wesentlich verlustreicheren Sieg im Januar 1915 untermauern. Bei Jassin an der Grenze zu Kenia zwang er drei britisch-indische Kompanien zur Kapitulation, die sich auf deutsches Territorium gewagt hatten. Die Kolonie erlebte aufgrund dieser unerwarteten militärischen Erfolge eine Art nachgeholtes „Augusterlebnis“. Nunmehr waren die Europäer in der Kolonie bereit, sich Lettow-Vorbeck zu fügen, der bereits seit Kriegsausbruch gegen Schnee intrigiert hatte. Die wirtschaftlichen wie personellen Ressourcen der vom Reich abgeschnittenen Kolonie wurden umfassend für den Krieg mobilisiert. Die Kolonialverwaltung spannte Afrikaner durch die Einführung einer Dienstpflicht als Träger zehntausendfach ein, um Fronten und rückwärtige Depots beziehungsweise Produktionszentren zu verbinden, ohne aber eine ausreichende Verpflegung, medizinische Versorgung oder Bekleidung für die Zwangsarbeiter garantieren zu können. Alle Betriebe mussten für den Bedarf der Schutztruppe produzieren, seien es Lebensmittel, Chinin zur Eindämmung der Malaria, Uniformen oder Stiefel. Der Erfindungsreichtum kannte kaum Grenzen, um Ersatz für fehlende Importprodukte aus Europa zu schaffen. Weil die Schutztruppe zunächst unbesiegbar schien und das Dasein als Askari ohnehin als privilegiert galt, fanden sich (im Vergleich zum Dienst als Träger) unter der schwarzen Bevölkerung mehr Freiwillige zum Kriegsdienst, als man ausrüsten, bewaffnen und

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wegen der wenigen militärisch erfahrenen Europäer in der Kolonie glaubte führen zu können.7 Dank der bei Tanga und Jassin erbeuteten Waffen, der Mobilisierung fast sämtlicher Siedler und der Seeleute der in den Häfen festliegenden deutschen Schiffe sowie dem Eintreffen von zwei Blockadebrechern im April 1915 und März 1916 in der Kolonie mit Waffen, Munition, Medikamenten, Uniformen und anderen Ausrüstungsgegenständen erreichte die Schutztruppe im März 1916 einen personellen Höchststand von 12 000 Askari und 3000 Europäern. Die anfängliche Unterteilung der Schutztruppe in nach Kriegsausbruch aufgestellte Schützenkompanien aus europäischen Reservisten und schwarze Askari-Kompanien aus professionellen Söldnern gab Lettow-Vorbeck alsbald auf. Erstere erwiesen sich als zu schwerfällig. Sie benötigten einen wesentlich größeren Tross an Trägern, weil man davon ausging, dass Europäer im Busch einen höheren Komfort benötigten, um einsatzbereit zu bleiben. Außerdem sollten sie sich auch in der Wildnis gegenüber den Schwarzen zivilisatorisch herausheben, um einer andernfalls befürchteten „Verkafferung“ vorzubeugen. Lettow-Vorbeck als spartanisch veranlagtem Mann, dem auch die größten physischen Herausforderungen nichts auszumachen schienen und dem es vor allem um militärische Effizienz ging, hielt nichts von unnötigem Luxus für die Europäer in der Schutztruppe, der nur ihre Manövrierfähigkeit behinderte. Im Verlauf des Konfliktes ließ er den Tross für die Europäer schrittweise verringern. Gleichwohl ist die in der angelsächsischen Literatur zu findende Behauptung unzutreffend, er habe die erste „racially integrated modern army“ geschaffen.8 Zum einen hatten die Niederländer in ihren Kolonialstreitkräften in Indonesien schon seit der Jahrhundertwende Europäer und Asiaten aus Gründen der militärischen Effizienz zusammen in den gleichen Kompanien dienen lassen. Zum anderen blieb auch Lettow-Vorbeck von der Notwendigkeit überzeugt, dass eine eindeutige diskriminierende Hierarchie zwischen Weiß und Schwarz aufrechterhalten werden müsse. Selbst der erfahrenste altgediente Askari-Feldwebel (schwarze Offiziere gab es ohnehin seit der Jahrhundertwende nicht mehr in der Schutztruppe) konnte einem weißen Militärneuling nichts befehlen, sondern musste sich im Zweifelsfalle dessen Anweisungen beugen. Ferner standen den Weißen weiterhin bis zum Ende des Krieges mehr Träger, „Boys“, bessere Verpflegung und modernere Gewehre zur Verfügung als den schwarzen Soldaten.9 Im März 1916 begann der im Vorhinein abgesprochene große Angriff der Entente auf Deutsch-Ostafrika. Aus Kenia im Norden rückten britische

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und südafrikanische Truppen vor, aus dem Kongo im Westen belgische Einheiten, aus dem Südwesten britisch-rhodesische Verbände und aus dem Süden portugiesische. Lettow-Vorbeck befehligte das Gros der Schutztruppe an der Grenze zu Kenia, von wo der Hauptangriff des Gegners erwartet und geführt wurde. Die anderen, Lettow-Vorbeck untergeordneten lokalen Befehlshaber der Schutztruppe im Westen, Südwesten und Süden besaßen einen gewissen Freiraum in ihren Entscheidungen. Dieser resultierte eher aus der großen Entfernung zum Hauptquartier und den schlechten Nachrichtenverbindungen als aus einem profunden Vertrauen des Kommandeurs in sein Offizierskorps. Denn Lettow-Vorbeck hielt einen Großteil seiner Untergebenen, die zu lange in Afrika gedient hätten, für militärisch nicht kompetent. Er griff immer wieder in ihre Entscheidungen ein und verlor sich oft in Details anstatt Verantwortung zu delegieren. Angesichts der feindlichen Übermacht musste die Schutztruppe an fast allen Fronten zurückweichen. Wegen der höheren Mobilität der an den ostafrikanischen Kriegsschauplatz angepassten Askari-Kompanien und ihrer eingespielten Trägerkolonnen im Vergleich zum Gegner und des Rückzugs entlang der inneren Linie entkamen die einzelnen Schutztruppenkontingente aber immer wieder dem Feind. Einzig die Offensive der Portugiesen konnte zurückgeschlagen werden, sodass sich diese wieder auf ihr Territorium zurückzogen. Die Reste der Schutztruppe sammelten sich im Herbst 1916 im Südosten der Kolonie, dem letzten verbliebenen Refugium. Die Regenzeit, die überdehnten Versorgungslinien der Entente-Einheiten und der Krankenstand unter ihnen verschafften Lettow-Vorbecks Streitmacht Ende 1916 eine dringend benötigte Atempause. Der Kommandeur, inzwischen zum Oberst befördert, erhielt im November 1916 den „Pour le Mérite“ verliehen, die höchste militärische Auszeichnung des Kaiserreichs. Ein gegnerischer Parlamentär informierte ihn darüber. Im Juli 1917 nahmen die Entente-Truppen wieder die Offensive auf. Es kam im Oktober 1917 bei Mahiwa zur größten Schlacht des ostafrikanischen Kriegsschauplatzes. Dort gelang es Lettow-Vorbeck einmal mehr, seine Truppen rechtzeitig zurückzuziehen, bevor die gegnerische Übermacht sie vernichtete oder einkreiste. Ende Oktober 1917 wurde er zum Generalmajor befördert, was er wiederum vom Feind erfuhr. Gleichwohl schien im November 1917 die Lage der Schutztruppe verzweifelt. Zusammengedrängt auf einen kleinen südöstlichen, unterentwickelten, täglich schrumpfenden Teil der Kolonie, fehlte es ihr an Lebensmitteln,

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Munition, Medikamenten, personellem Ersatz und Trägern. Außerdem hatten die eineinhalb Jahre der ununterbrochenen Märsche, Kämpfe und Entbehrungen die meisten Europäer und Askari zermürbt. Man rechnete daher auf allen Seiten mit der baldigen Kapitulation Lettow-Vorbecks. Dieser entschied sich jedoch entgegen starker Bedenken seitens Schnees, eines Teils seiner Offiziere und anderer Europäer, Ende November 1917 mit einem Kern von 2000 noch einsatzfähigen Soldaten und einem Mehrfachen an Trägern, Boys und Familienangehörigen der Askari den Grenzfluss Rovuma zu überschreiten und in Portugiesisch-Ostafrika einzufallen. Alle Verwundeten, Kranken und Erschöpften ließ LettowVorbeck in der Hoffnung zurück, die nachdrängenden britischen und südafrikanischen Truppen nähmen sich ihrer an, was sie zugleich vor erhebliche logistische Probleme stellen und Lettow-Vorbecks Verfolgung verzögern würde. Es ging Lettow-Vorbeck nicht mehr um die Verteidigung DeutschOstafrikas, die ihm ohnehin seit 1914 stets nebensächlich erschienen war, sondern darum, den Krieg in die Länge zu ziehen. Seine mobile Kolonne entsprach einem marodierenden Haufen, der rücksichtlos aus dem gegnerischen Land lebte und eine Schneise der Verwüstung hinter sich ließ. Diese erhöhte die logistischen Probleme der Verfolger in Landstrichen, die schon in Friedenszeiten kaum die dort ansässige Bevölkerung ernähren konnten, geschweige denn vieltausendköpfige Streitkräfte und deren Gefolge. Die Schutztruppe durchquerte zwischen November 1917 und September 1918, beständig vom Gegner verfolgt, aber nie gestellt, in einem 2600 Kilometer langen Marsch Portugiesisch-Ostafrika. Ende September 1918 streifte Lettow-Vorbecks Streitmacht die südwestliche Ecke Deutsch-Ostafrikas. Zur Überraschung des Gegners blieb LettowVorbeck nicht in der eigenen Kolonie, sondern fiel am 1. November 1918 in das westlich gelegene Nord-Rhodesien ein. Als die Schutztruppe vom Waffenstillstand erfuhr, stand sie bereits 250 Kilometer tief im gegnerischen Territorium. Bis zuletzt wusste die Schutztruppe nicht, wie sich die Kriegslage in Europa entwickelt hatte. Mehr als vereinzelte, in Abhängigkeit von Wetterlage und Standort aufgefangene Funksprüche aus Deutschland, erbeutete gegnerische Zeitungen und Post oder Aussagen von Gefangenen standen ihr als Informationsquellen seit dem Kriegseintritt Portugals im März 1916 und dem Beginn der großen Entente-Offensive nicht mehr zur Verfügung. Lettow-Vorbeck wollte im letzten Kriegsjahr durch seine unberechenbaren Manöver beim Gegner Verwirrung und Verwüstung anrichten und

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damit ein Maximum gegnerischer Ressourcen auf sich ziehen, die, so hoffte er, der Entente in Europa fehlen würden. Allerdings bekämpfte die Entente ihn nur mit Truppen, die sie als ungeeignet für den Einsatz in Europa ansah oder die eigens zu seiner Bekämpfung angeworben worden waren. Insofern folgte Lettow-Vorbeck hinsichtlich der strategischen Wirkung seines anhaltenden Widerstandes einer Chimäre. Als zutiefst konservativer, von der Berechtigung europäischer Kolonialherrschaft und der Minderwertigkeit der Afrikaner durchdrungener Offizier machte er keine Anstalten, die Bewohner der Entente-Kolonien gegen ihre weißen Herren aufzustacheln. Er blieb ein auf die rein militärischen Aspekte des Krieges fokussierter, detailversessener und improvisationsfreudiger Führer. Das ihm gelegentlich in der angelsächsischen Literatur verliehene Attribut, er sei einer der großen Guerilla-Führer des 20. Jahrhunderts, trifft den Kern seiner Kriegführung nicht.10 Zum einen blieb die Schutztruppe eine reguläre, an Uniformen erkenntliche Formation mit einer tradierten hierarchischen inneren Ordnung. Zum zweiten bewegte sie sich selbst in Deutsch-Ostafrika nicht wie ein Fisch im Wasser einer mit ihrer Sache sympathisierenden Bevölkerung. Sie stellte vielmehr überall durch Lebensmittelrequisitionen und die Zwangsrekrutierung von Trägern eine Bedrohung der afrikanischen Zivilisten dar, die häufig mit Massenfluchten in den Busch oder mit bewaffnetem Widerstand auf das Erscheinen der Schutztruppe reagierten. Lettow-Vorbeck unterlag nicht Befehlen aus Berlin, das keine eindeutigen militärischen Vorgaben für die Kolonien für den Fall eines Konfliktes zwischen den europäischen Großmächten gemacht und sie mit Kriegsausbruch als verloren abgeschrieben hatte. Außerdem war die Schutztruppe seit August 1914 von der Kommunikation mit dem Reich weitgehend abgeschnitten. Lettow-Vorbeck konnte daher, nachdem er Schnee im Herbst 1914 faktisch entmachtet hatte, weitgehend selbstherrlich agieren. Die militärischen Operationen entsprangen seinen eigenen strategischen Vorstellungen. Umsetzen konnte er sie unter anderem durch seinen eisernen Durchhaltewillen, seine Führung durch persönliches Vorbild, sei es im Gefecht, das er oft aus der vordersten Linie dirigierte, oder im Ertragen physischer Anstrengungen sowie der Entsagung hinsichtlich Komfort und Nahrung. Angesichts des relativ geringen Umfangs der Schutztruppe wirkte Lettow-Vorbecks Auftreten für die Soldaten wesentlich verbindlicher als jenes der Feldherren, welche die Millionenheere in Europa dirigierten. Nicht nur der Umstand, dass er ungeschlagen bis Kriegsende in Ostafrika aushielt, erklärt seine Popularität nach 1918 in Deutschland

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und bei seinen vormaligen Gegnern. Zu dieser verhalf ihm ferner der Umstand, dass er zwar als Oberbefehlshaber eines ganzen Kriegsschauplatzes agierte, dabei jedoch wie ein Frontoffizier seine Soldaten führte und sich selbst nicht schonte, anstatt aus der Sicherheit und Bequemlichkeit eines rückwärtigen Hauptquartiers Operationen zu leiten. Dass Lettow-Vorbeck letztlich „im Felde unbesiegt“ blieb, lag weniger an seiner operativen oder strategischen Brillanz, selbst wenn er im Verlauf des Krieges ein gewisses Geschick für erfolgreiche Rückzüge, Ausweichmanöver und die Taktik der verbrannten Erde entwickelte. Als entscheidender erwies es sich, dass der Krieg in Ostafrika selten aus verlustreichen Gefechten, sondern vornehmlich aus endlosen Fußmärschen durch zumeist unerschlossene Gebiete bestand. Das stellte alle Seiten vor große logistische Probleme, insbesondere aber die Gegner der Schutztruppe, die bei ihrer Verfolgung von Lettow-Vorbecks Streitmacht in Gebiete vordrangen, die bereits zuvor von den Deutschen ausgeplündert worden waren. Außerdem machten Briten wie Südafrikaner bis zur Jahreswende 1916/17 den Fehler, nicht etwa schwarzafrikanische Soldaten mit Trägerkolonnen einzusetzen. Vielmehr setzten sie anfangs vornehmlich auf vergleichsweise gesundheitlich labile und schwerfällige weiße oder indische Einheiten. Diese waren weder an die klimatischen und sanitären Verhältnisse in Ostafrika gewöhnt, noch an Operationen mit Trägerkolonnen in einer Landschaft, für welche sich Kraftfahrzeuge sowie Zug- oder Reittiere zum Transport von Mensch und Material nicht eigneten. Während Lettow-Vorbeck auf deutscher Seite die einzige wirkliche Entscheidungsinstanz war, litten seine britischen, südafrikanischen, belgischen und portugiesischen Gegner an den für einen Koalitionskrieg üblichen Koordinationsschwierigkeiten im Vorgehen gegen ihn. Divergierende politische Ziele unter ihnen hinsichtlich der Nachkriegsordnung in Ostafrika sowie die letztlich untergeordnete Bedeutung dieses Kriegsschauplatzes im Rahmen der britischen Globalstrategie taten ein Übriges, um der Schutztruppe immer wieder Atempausen zu verschaffen oder Lettow-Vorbeck Ausweichmöglichkeiten wie die Flucht im November 1917 nach Portugiesisch-Ostafrika zu eröffnen. Der Erzpreuße und überzeugte Monarchist kehrte nach mehr als fünfjähriger Abwesenheit Anfang März 1919 aus Ostafrika als gefeierter Kriegsheld und „lebende Dolchstoßlegende“ (Schulte-Varendorff) nach Deutschland zurück. Ausgereist war er aus dem prosperierenden, geordneten und machtvollen Kaiserreich. Im Gegensatz zu anderen hohen

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­ ffizieren hatte er die Delegitimierung und Überforderung des alten SysO tems in den vier Jahren des Weltkrieges nicht aus erster Hand miterleben können und ihm war wegen der Abgeschnittenheit der Schutztruppe auch nicht ansatzweise darüber berichtet worden. Als sei er plötzlich auf einem anderen Planeten gelandet, fand er eine geschlagene, verarmte, von inneren Unruhen zerrissene, nunmehr von Sozialdemokraten geführte Republik vor. Lettow-Vorbeck war bis 1918 politisch wenig interessiert und versiert gewesen, intellektuell kaum zur Differenzierung fähig und ohnehin bereits zu alt, um noch gegenüber Neuerungen offen zu sein. Er nahm daher im März 1920 ohne zu zögern als Kommandeur der Reichswehreinheiten in Mecklenburg am anti-republikanischen Kapp-Lüttwitz-Putsch teil. Dessen Scheitern beendete auch Lettow-Vorbecks militärische Karriere. Doch er hatte noch Glück: Anstatt ihn wegen Hochverrat vor Gericht zu stellen und abzuurteilen, verabschiedete die Reichsregierung ihn sogar als Generalleutnant in den Vorruhestand. Naturgemäß begrüßte der Antidemokrat die Machtübernahme der Nationalsozialisten, wenn auch aus der für viele konservative Militärs der wilhelminischen Generation nicht unüblichen anfänglichen Illusion heraus, diese werde nur der Auftakt für die Restauration der Monarchie bilden. Bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs beförderte das NS-Regime ihn noch zum General der Infanterie, ohne dass Lettow-Vorbeck jemals in den aktiven Dienst zurückkehrte.11 Anmerkungen 1 Michels, Der Askari, S. 294–308. 2 Zu diesem Wandel siehe vor allem Schulte-Varendorff, Kolonialheld; Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“; Kuss, Deutsches Militär, sowie Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe. 3 Bley, Gutachten, S. 169–188. 4 Funck, The Meaning of Dying, S. 26–63. 5 Michels, Eine deutsche Kolonialarme?, S. 199–212. Zur Karriere Lettow-Vorbecks bis 1914 im Spannungsfeld von Leistung und Protektion Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“, S. 25–116. 6 Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“, S. 133–142, sowie Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 359–387. 7 Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“, S. 144-165, sowie Bührer, Die Kaiserliche Schutztruppe, S. 473–477. Den besten Überblick über die wirtschaftliche Mobilisierung der Kolonie bietet Schnee, Deutsch-Ostafrika im Weltkrieg. 8 Farwell, The Great War, S. 192. 9 Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“, S. 240–242.

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10 Vgl. unter den neueren Publikationen Weir, Guerrilla Warfare, S. 46–58. Zur Kritik siehe Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“, S. 240–242. 11 Michels, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“, S. 245–330; Schulte-Varendorff, Kolonialheld, S. 68–124.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv, Berlin (BArch), Bestand R1001 Reichskolonialamt, darunter Akten zum Krieg in Deutsch-Ostafrika. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Paul von Lettow-Vorbeck, N 103, 121 Auf bewahrungseinheiten, unter anderem persönliche Papiere, Unterlagen über militärische und öffentliche Ehrungen, Korrespondenz, Tagebuchnotizen und Lebenserinnerungen. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Bestand RW 51, Kaiserliche Schutztruppen, darunter zahlreiche Akten aus Deutsch-Ostafrika während des Ersten Welt­ krieges. Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Berlin (GStA-PK), I. HA., Rep. 92 Nachlass Heinrich Schnee, unter anderem Unterlagen über den Konflikt zwischen LettowVorbeck und Schnee. Imperial War Museum London, Translation of General von Lettow-Vorbeck’s Diary 1914– 1918 (Kriegstagebuch der Schutztruppe – das deutsche Original ging 1945 verloren).

Gedruckte Quellen und Literatur Anderson, Ross, The Forgotten Front. The East African campaign 1914–1918, Stroud 2004. Bley, Helmut, Gutachten über Paul von Lettow-Vorbeck, in: Hannoversche Geschichtsblätter 62 (2008), S. 169–188. Bührer, Tanja, Die Kaiserliche Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika. Koloniale Sicherheitspolitik und transkulturelle Kriegführung 1885–1918, München 2011. Farwell, Byron, The Great War in Africa 1914–1918, Hammondworth 1987. Funck, Marcus, The Meaning of Dying. East Elbian Noble Families as ,Warrior-Tribes‘ in the 19th and 20 th Century, in: Eghigian, Greg (Hrsg.), Sacrifice and National Belonging in 20 th Century Germany, Arlington 2002, S. 26–63. Kuss, Susanne, Deutsches Militär auf kolonialen Kriegsschauplätzen. Eskalation von Gewalt zu Beginn des 20. Jahrhunderts, 3. Aufl., Berlin 2012. Lettow-Vorbeck, Paul von, Meine Erinnerungen aus Ostafrika, Leipzig 1920. Lettow-Vorbeck, Paul von, Mein Leben, hrsg. v. Ursula von Lettow-Vorbeck, Biberach 1957. Michels, Eckard, „Der Held von Deutsch-Ostafrika“. Paul von Lettow-Vorbeck – ein preußischer Kolonialoffizier, Paderborn 2008. Michels, Eckard, Eine deutsche Kolonialarme? Reformansätze zur Stärkung der militärischen Schlagkraft in Übersee, in: Lutz, Karl Heinz u. a. (Hrsg.), Reform – Reorganisation – Transformation. Zum Wandel in deutschen Streitkräften von den preußischen Heeresreformen bis zur Transformation der Bundeswehr, München 2010, S. 199–212. Michels, Eckard, Paul von Lettow-Vorbeck, in: Zimmerer, Jürgen (Hrsg.), Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt am Main 2013, S. 373–386.

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Michels, Stefanie, Der Askari, in: Zimmerer, Jürgen (Hrsg.), Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte, Frankfurt am Main 2013, S. 294–308. Paice, Edward, Tip & Run. The Untold Tragedy of the First World War in Africa, London 2007. Pesek, Michael, Das Ende eines Kolonialreiches. Ostafrika im Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main 2010. Schnee, Heinrich, Deutsch-Ostafrika im Weltkrieg. Wie wir lebten und wie wir kämpften, Leipzig 1919. Schulte-Varendorff, Uwe, Kolonialheld für Kaiser und Führer. General Lettow-Vorbeck. Mythos und Wirklichkeit, Berlin 2006. Weir, William, Guerrilla Warfare. Irregular Warfare in the 20 th Century, Mechanicsburg 2008.

General der Kavallerie Otto Liman von Sanders von Eckhard Lisec

O

tto Viktor Karl Liman wurde 1855 im preußischen Stolp in Pommern im heutigen Polen geboren. Sein Vater war dort Kaufmann, Geheimer Kommissionsrat und Rittergutsbesitzer und ermöglichte seinem Sohn eine solide Schulausbildung mit Abschluss an einem Berliner Gymnasium.1 Im Alter von 19 Jahren trat Liman als Fahnenjunker in das Großherzoglich-Hessische Infanterieregiment 115 ein, womit seine verheißungsvolle Karriere als Berufssoldat begann. Dieses Leibgarderegiment war in Darmstadt stationiert und vertragsgemäß Teil der preußischen Armee. Schon ein Jahr später wurde er Leutnant und wechselte 1878 für drei Jahre zur preußischen Kriegsakademie in Berlin. Dort erfolgte die Ausbildung zum Stabsoffizier. Nach einer Verwendung im Dragonerregiment 23 in Darmstadt wurde er 1885 Oberleutnant, 1889 Hauptmann. Im Jahre 1900 wurde ihm als Major die Führung des zur preußischen Armee gehörigen Husarenregiments 6 in Leobschütz in Schlesien anvertraut. 1904 wurde er Oberst, 1908 Generalmajor. 1911 wurde Liman als Generalleutnant Kommandeur der 22. Division in Kassel. Mit 56 Jahren hatte er somit eine beachtliche militärische Karriere durchlaufen. Allerdings

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Generalleutnant Otto Liman von Sanders (Foto um 1915)

wurde er in Deutschland nicht weiter gefördert, möglicherweise, weil er als evangelischer Christ jüdische Vorfahren in der väterlichen Linie hatte. Bereits 1877 hatte Liman in Darmstadt Amelie von Sanders geheiratet. Von ihr übernahm er bei Erhebung in den Adelsstand 1913 den Adelstitel und nannte sich dann Liman von Sanders. Seit der Entsendung von Offizieren um den berühmt gewordenen Helmuth von Moltke d. Ä. 1836 bis 1839 und dem erfolgreichen Wirken von Colmar von der Goltz 1883 bis 1895 genossen deutsche Offiziere einen guten Ruf im Osmanischen Reich. 1913 äußerte der Sultan Mehmet V. gegenüber Deutschland den Wunsch nach einer erneuten beratenden Militärmission.2 Nach den osmanischen Niederlagen in den Balkankriegen 1912/13, in denen man weitgehend auf die Unterstützung durch deutsche Militärs verzichtet hatte, hatten die Jungtürken unter Führung des

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deutschfreundlichen Enver Pascha die Macht übernommen und bereits Reformen in der osmanischen Armee eingeleitet. So erhielt Liman von Sanders im Juni 1913 den Auftrag zur Zusammenstellung einer Militärmission, die am 9. Dezember 1913 in Potsdam von Wilhelm II. verabschiedet wurde. Der Kaiser hatte Liman von Sanders schon kurz zuvor ermahnt: „Sie haben nur mit der Armee zu tun. Bringen Sie die Politik aus dem türkischen Offizierkorps heraus.“3 Dies galt in besonderem Maße für die Armenierfrage, die auch später im Krieg von türkischen Soldaten mit den Deutschen nicht erörtert werden durfte.4 Dieser beiderseitige Maulkorberlass wurde mitverantwortlich dafür, dass – auch aufgrund beidseitiger Zensur und Propaganda im Krieg – zunächst den deutschen Soldaten vor Ort und den Deutschen in der Heimat keine oder irreführende Informationen vermittelt wurden. Die ersten zehn Soldaten der Mission trafen am 14. Dezember 1913 in Konstantinopel ein, darunter der spätere Chef des Stabes, Oberst Bron­ sart von Schellendorff.5 Bis zum Kriegsende 1918 wuchs der deutsche Armeeanteil, mit Masse Heer, auf etwa 30 000 deutsche Soldaten, von denen ein Drittel unter deutschem Einsatzkommando verblieb, also unter alleiniger Führung von Liman. Die anderen zwei Drittel wurden nicht „mit Haut und Haaren“ in die osmanische Armee überstellt, sondern dienten in einer Koalitionsarmee unter einem gemeinsamen Generalstab.6 Dieser Armee gehörten auch einige Tausend österreich-ungarische Heeressoldaten und später die bulgarische Marine an. Auch für die überstellten deutschen Heeressoldaten behielt Liman von Sanders die Verantwortung in Fragen der Personalführung einschließlich der Militärgerichtsbarkeit, was bei diesen Soldaten zu einer doppelten Unterstellung führte.7 Somit kam der Militärmission im Krieg eine zentrale Bedeutung zu, auch in der Bereinigung strittiger Kompetenzen mit dem Kriegsminister Enver Pascha und dessen Anspruch als unumschränkter alleiniger Oberbefehlshaber. Zunächst aber stand das Osmanische Reich noch nicht im Krieg, der im Westen Anfang August 1914 begann, im Nahen Osten aber erst Ende Oktober 1914. Schon gleich nach dem Eintreffen in Konstantinopel übernahm Liman von Sanders vertragsgemäß zusätzlich zu seinem nationalen Erstauftrag das Kommando über das wichtige I. osmanische Korps, welches mit dem Hauptquartier in Konstantinopel stationiert war und als Musterkorps für die weiteren Reformen dienen sollte.8 In dieser Funktion und in nachfolgenden Truppenkommandos unterstand Liman jedoch Enver Pascha, was seine Position insgesamt schwächte. Er wurde bei

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­ eibehaltung des deutschen Dienstgrades vertragsgemäß höhergestuft B als osmanischer General (Birinci Ferik). Gegen diese deutsche Einflussnahme am internationalen Brennpunkt der türkischen Meerengen protestierte die Triple-Entente Russland, Großbritannien und Frankreich, was im Winter 1913/14 die sogenannte „Liman-von-Sanders-Krise“ auslöste. Deutschland reagierte mit der Beförderung von Liman zum General der Kavallerie, was dann gleichgesetzt wurde mit dem Rang eines osmanischen Marschalls (Müşir). Mit diesem nunmehr zu hohen Rang musste er das Kommando über das I. Korps am 14. Januar 1914 wieder abgeben. Stattdessen wurde er Generalinspekteur der osmanischen Armee – gemeint war nur das Heer, nunmehr unter Ausgliederung der noch französisch geführten Jandarma und ohne die noch britisch geführte Marine – und konnte mit diesem noch wichtigeren Amt die Reformen im Heer erfolgreich vorantreiben. Eine verbesserte Ausbildung konnte jedoch den großen finanziellen und materiellen Ressourcenmangel der Armee nicht überdecken. Auch war Liman bei seinen Entscheidungen letztlich stets angewiesen auf die Zustimmung von Enver Pascha, dem viel jüngeren und militärisch unerfahrenen Kriegsminister. So war Liman froh, dass er nach dem Kriegseintritt des Osmanischen Reiches im November 1914 das Kommando über die im August 1914 neu aufgestellte und in Konstantinopel stationierte 1. Armee übernehmen konnte. Sie umfasste damals mehr als vier Korps in einem Stationierungsbereich von Ost-Thrakien bis Aleppo. Da Liman fortan bis Kriegsende durchgehend einen Großverband führte, konnte er seine ursprüngliche Primäraufgabe der Führung der Militärmission aus seinem Büro im Kriegsministerium nicht gleichzeitig umfassend wahrnehmen, war somit bei Abwesenheit auf einen Stellvertreter angewiesen. Mit dem Immediat­ recht für Meldungen nach Deutschland hätte Liman bei Beschränkung auf diese Funktion mehr militärpolitischen Einfluss ausüben und seine jeweilige Sicht mit den deutschen Botschaftern, Enver Pascha und seinem jeweiligen Chef des Stabes, Bronsart von Schellendorff bzw. später von Seeckt, enger abstimmen können. Doch Liman besaß kein diplomatisches Talent, war schwierig im zwischenmenschlichen Umgang und verzichtete weitgehend auf Ausnutzung dieser Möglichkeiten. Bis zur Bestellung als Befehlshaber der neu aufzustellenden 5. Armee für das Operationsgebiet an den Dardanellen am 25. März 1915 blieben Liman nur etwa vier Monate als Befehlshaber der 1. Armee, die nach ihm von der Goltz übernahm. Auch dieser trug nun den Dienstgrad eines türkischen Marschalls, erhielt ebenso ein Büro im Kriegsministerium und

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kam zwischenmenschlich mit Liman nicht zurecht. Liman verbrachte zudem viel Zeit mit der Abwehr von Intrigen, ersuchte wiederholt um seine Ablösung, die letztlich immer abschlägig beschieden wurde. Eine Ursache der Querelen war, dass Liman die deutsche Absicht der Angriffe auf den Kaukasus und den Suezkanal ablehnte, ebenso wie eine Berufung zum Befehlshaber der 3. Armee. Mit dieser Ablehnung lag Liman jedenfalls völlig richtig, denn Enver Pascha als ihr temporärer Befehlshaber erlitt mit dieser Armee im Winterfeldzug 1914/1915 schwere Niederlagen, außerdem fanden in ihrem Stationierungsbereich ostwärts Erzurum viele Gräueltaten gegen die Armenier statt. Liman fand allerdings noch Zeit, in weiser Voraussicht auf die Ereignisse an den Dardanellen ab Anfang November 1914, am Nordausgang des Marmarameers zum Schutz Konstantinopels gegen durchgebrochene Schiffe Artilleriestellungen einzurichten. Außerdem intervenierte er bei Enver im Februar 1915 nach einer Inspektionsreise an die Ägäisküste zwischen den Dardanellen und Izmir gegen die dortigen komplizierten operativen Planungen, was zunächst zu keiner Reaktion führte. Erst ­später, vielleicht auf Intervention aus Deutschland, stimmte Enver dem neuen operativen Ansatz von Liman zu, sicherlich eine Voraussetzung für den späteren Sieg. Liman wurde auch nach eigenen Aussagen schon früh Opfer von Verleumdungen, unter anderem ausgehend von griechisch-stämmigen Osmanen, den sogenannten „Rum“. Diese waren entweder schon vor dem Krieg nach Griechenland geflüchtet, in ihren Wohnorten verblieben oder von der Ägäisküste ins Landesinnere deportiert worden. Die Rum wurden etwas schonender behandelt als die Armenier, weil man bei einem Kriegseintritt und Angriff der Griechen eine Verbrüderung bzw. Kollaboration mit diesen fürchtete. Umsiedlungen in Form von Evakuierungen oder Deportationen oblagen in ihrer Durchführung grundsätzlich den zivilen Behörden unter der Führung der Provinzgouverneure („Vali“) und Federführung des Innenministeriums. Vor Ort erfolgte bei regulärem Ablauf die Durchführung in Ortschaften durch die Polizei, auf dem Lande durch noch verfügbare Jandarma, sofern sie nicht an der Front kämpfte. Die umfangreichen unmenschlichen Deportationen der Armenier aus dem Nordosten erfolgten darüber hinaus auch durch die Sonderorganisation Teşkilatı Mahsusa. So war König Konstantin von Griechenland zugetragen worden, Liman habe dem Bürgermeister von Edremit gesagt, dass die „Griechen“ (gemeint sind die Rum) es verdient hätten, ins Meer geworfen zu werden.

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Liman stritt derartige Vorwürfe beharrlich ab. Besonders Christoph Dinkel hat ähnliche Vorwürfe gegen Liman – auch Armenier betreffend – ausführlich recherchiert und widerlegt.9 Ähnliche Verleumdungen gegen Deutsche (Soldaten, Diplomaten oder andere Zivilpersonen) gab es häufig; sie fanden zum Teil auch ungeprüft Eingang in das offizielle britische „Blaubuch“ des Viscount Bryce, ein Propagandainstrument. Die erste Schlacht an den Dardanellen, überwiegend eine Seeschlacht, endete am 18. März 1915 mit einer Niederlage der Ententetruppen. Die Hauptursache war ein von den Deutschen und Türken verlegter Minenriegel parallel zur anatolischen Küste, in dem die Schiffe der Entente beim Wiedereindrehen nach Südwesten kollidierten und teilweise sanken. Auch konnten die angreifenden Schiffe die türkischen Artillerieforts mit dem Flachfeuer ihrer Kanonen nicht ausschalten, darüber hinaus zwangen die mobilen deutsch-türkischen Artillerieeinheiten auf beiden Ufern die verletzlichen kleinen Minenräumer zur Umkehr. Schon vor der Schlacht war gegen die Meinung des Marineministers Churchill bei den Briten und Franzosen die Überzeugung gewachsen, dass ein Vormarsch durch die Dardanellen auf Konstantinopel wohl nur unter Beteiligung von Heereskräften möglich sei, was zur ersten großen triphibischen Operation in der Geschichte führte, d. h. von Heer, Luftwaffe und Marine auf beiden Seiten. Bis zum Beginn der zweiten Schlacht am 25. April 1915 blieben Liman wiederum nur fünf Wochen Zeit, um seine Truppen auf den erwarteten Angriff vorzubereiten. Er schlug sein Hauptquartier unter Mitnahme eines Teils seines Stabes aus der 1. Armee in Gallipoli auf, während zuvor aus Çanakkale geführt worden war. Seinen Stab besetzte er erneut überwiegend mit türkischen Offizieren, um die Umsetzung und Akzeptanz seiner Befehle an den unterstellten Bereich sicherzustellen. Liman erkundete selbst gründlich das Gelände und entwickelte einen Operationsplan, der bewegliche operative Reserven vorsah, um rasch Schwerpunkte bilden zu können. Der Nachteil war hierbei, dass die Frontlinien an den Küsten beiderseits der Wasserstraße dünner besetzt waren und eine gegnerische Anlandung nicht schon im Keim erstickt werden konnte. Doch bei der geringen Zahl eigener Truppen von zunächst nur sechs Divisionen mit etwa 60 000 Mann mussten Risiken in Kauf genommen werden. Liman bestand auch darauf, dass ein Flugfeld auf der Halbinsel gebaut wurde und ihm im Juni 1915 Heeresflieger unterstellt wurden, die bis dahin von Çanakkale am Ostufer operierten. Absprachen erfolgten mit Admiral Usedom über den Einsatz der von ihm eingesetzten Kräfte an

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Land und zur See. Die Flotte unter dem Kommando von Admiral Souchon mit den beiden an das Osmanische Reich überstellten Dickschiffen „Goeben“ / „Sultan Yavuz“ und „Breslau“ / „Midilli“ sollte vor allem die Schwarzmeerküste gegen die russische Marine sichern. Der Einsatz dieser Schiffe an den Dardanellen war wegen der geringen Breite des Fahrwassers kaum möglich, am Ausgang der Dardanellen wegen gegnerischer Verminung höchst riskant. Der zweite Angriff der Entente am 25. April 1915, die Landung von 30 000 vorwiegend neuseeländischen und australischen Soldaten, war gekennzeichnet von erheblichen Mängeln auf allen militärischen Ebenen. Auf der strategischen Ebene mangelte es an einer zentralen Führung aller Kräfte auf diesem Nebenkriegsschauplatz, während der Ansatz der Kräfte bei anfänglichen kräftezehrenden Täuschungsoperationen zu gering war. Hinzu kamen die Unterschätzung der Geländeschwierigkeiten auf der Halbinsel und eine Fehleinschätzung der Situation bei gelungenem Durchbruch nach Konstantinopel, wo der Entente noch erhebliche Truppenmassen gegenübergestanden hätten. Auch wurde die Leistungsfähigkeit Russlands überschätzt; es kam zu keinem militärischen Zusammenschluss auf diesem Kriegsschauplatz. Auf der operativen Ebene waren diese Mängel der unzureichende und ungünstige Kräfteansatz, der mangelnde Ausbildungsstand von Truppen aus den Kolonien, die operative Vernachlässigung des anatolischen Ostufers und der schleppende Zulauf von Verstärkungen, vor allem aus Ägypten. Zahlreiche taktische und organisatorische Mängel traten hinzu, vor allem in der Logistik, der Wasser- und Sanitätsversorgung, aber auch durch wiederholte Fehlanlandungen von Truppen und Desorientierung im Gelände, basierend auf schlechtem Kartenmaterial und mangelnder Geländekenntnis. Liman betrieb in der Vorbereitungszeit mit Hochdruck die Ausbildung seiner Truppen, ließ sie den Gewässerübergang in Vorbereitung auf etwaige Verschiebungen von Truppen üben und Geländebefestigungen und verminte Sperren an neuralgischen Punkten errichten, soweit geeignetes Material verfügbar war. Arbeiterbataillone verbesserten das Wegenetz. Die Spezialtruppen wie die der Artillerie übten drillmäßig, dabei auch den raschen Wechsel einer Feuerstellung. Wegen der Unterbrechung der Eisenbahnverbindung nach Deutschland bis November 1915 konnte keine großkalibrige Munition zugeführt, in Konstantinopel selbst konnten nur kleinere Kaliber gefertigt werden. Der Schwerpunkt musste somit auf dem infanteristischen Feuerkampf aus Verteidigungsstellungen heraus

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liegen, was bei überlegener Artillerie des Gegners zu hohen Verlusten führte. Am Ende der Schlacht waren nach einem erheblichen Aufwuchs eigener Kräfte etwa 60 000 Gefallene zu beklagen, ähnlich viele wie aufseiten des Angreifers. Der Ausbildungsstand der türkischen Armee, der bisher weitgehend auf Befehlstaktik beruhte, erlaubte noch nicht das bewegliche Gefecht im Angriff oder in der Verzögerung. Liman musste dies schmerzhaft erfahren. Ein Glücksfall für Liman war Oberstleutnant Mustafa Kemal, Kommandeur einer Reservedivision. Bei der Anlandung der australisch-neuseeländischen Truppen rettete er die Situation durch Sammlung aller verfügbaren Kräfte und stoppte das feindliche Vorgehen. Obwohl dieses Handeln streng genommen seinem ursprünglichen Auftrag als Armeereserve widersprach, erhielt Mustafa Kemal doch hohes Lob von Liman, weil er im übergeordneten Sinne richtig gehandelt hatte. Trotzdem blieb ein Spannungsverhältnis zwischen beiden Offizieren, da Mustafa Kemal die deutsche Führung schlecht ertragen konnte und er sogar an Liman vorbei dessen Ablösung betrieb. Ausgerechnet der glücklose Enver sollte nach Kemals Vorstellung die Führung der 5. Armee übernehmen. Ein ähnlicher Vorgang illoyalen Handelns von Kemal sollte sich noch einmal 1918 wiederholen. Die strategischen Vorteile für Liman waren die zentrale Führung durch Enver bei anfänglicher Konzentration der Kräfte an den Dardanellen und die gegen Ende 1915 verstärkte materielle Unterstützung aus Deutschland nach dem Kriegseintritt Bulgariens. Hinzu kamen die Vorteile des Gefechtes auf der „Inneren Linie“ und die Verstärkung durch österreichische Mörser und Artillerie ab November 1915. Deutsche Soldaten kämpften mit zeitweise bis zu 1500 Mann an Land, weniger als zusammenhängende Truppe, sondern vielmehr als personelle Korsettstangen in Stäben und Einheiten. Der Kampfeswille der bedürfnisarmen türkischen Soldaten, die gestützt auf ihren Glauben und aufkeimenden Nationalismus ihre Heimat verteidigten, erstaunte die Welt. Die unterschiedlichen kulturellen Prägungen der gegnerischen Soldaten und ihre jeweilige Einstellung zum Kampf wurden vor allem gegen Ende der Kämpfe in der Suvla Bucht mitentscheidend und sichtbar. Für seine Leistungen bei Gallipoli erhielt Liman am 10. Januar 1916 den „Pour le Mérite“. Nach dem Abzug der Ententetruppen im Winter 1915/1916 war Konstantinopel bis Kriegsende nie mehr ernsthaft gefährdet, zumal auch mit Zulauf moderner deutscher Jäger des Typs Fokker Anfang 1916 die

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Luftüberlegenheit auf die osmanische Seite überging. Liman behielt die Führung der 5. Armee bis März 1918, nunmehr stationiert in Bandırma am Marmarameer. In diesen zwei Jahren verstand es Liman, mit einer stark reduzierten 5. Armee den Küstenschutz von der bulgarischen Grenze bis Antalya zu gewährleisten, unter erfolgreicher Bekämpfung von Banden und Truppen der Entente. Darunter fällt beispielsweise die Eroberung der von den Briten besetzten Ortschaft Köste (Kösedere) auf der Halbinsel Karaburun im Mai 1916 westlich von Izmir. Liman musste hier zur Absicherung der Operation auch Gebrauch machen von Umsiedlungen kollaborierender „Rum“, beispielsweise aus Urla ins Landesinnere, später auch aus Aydın im März 1917. Diese wurden in Abstimmung mit den zivilen Behörden unter Einsatz der Jandarma durchgeführt, wozu ihm der Deportationserlass vom 1. Juni 1915 zusätzliche Legitimation verschaffte. Fallweise ordnete er auch Rückführungen an, wenn die Lage es erlaubte. Andererseits versorgte Liman die Bevölkerung im Raum Izmir und Aydın sanitätsdienstlich, zum Beispiel durch Einsatz von Militärärzten und durch Unterstützung bei der Errichtung einer ­Poliklinik.10 Besonders hohe Anerkennung muss Liman gezollt werden für seinen erfolgreichen Einsatz gegen die Deportation von etwa 300 Armeniern aus Izmir im November 1916, aber auch gegen die Verhaftung von zehn „Rum“ aus Urla.11 Hier hat Liman unter Androhung von militärischer Gewalt der Humanität Geltung verschafft, was noch heute unter den Armeniern hohe Anerkennung findet. Später hat er sich nicht nur aus militärischen Gründen gegen die Herauslösung der Armenier aus dem Eisenbahnbetrieb und -bau verwandt, um diese vor der Deportation zu bewahren.12 Im Gegensatz zu Limans Triumph in Gallipoli und einer relativ ruhigen Folgezeit mit der 5. Armee erwartete ihn mit Übernahme des Kommandos über die Heeresgruppe „F“ (türkische Bezeichnung „Yıldırım” – „der Blitz“) in Nazareth von dem glücklosen Marschall Erich von Falkenhayn am 1. März 1918 eine recht hoffnungslose militärische Situation. Falkenhayn hatte die neu aufgestellte Heeresgruppe mit vier Armeen am 30. September 1917 übernommen; nun unterstanden nur noch zwei Armeen (7., 8.) der Heeresgruppe direkt, eine weitere nur eingeschränkt (4.), eine vierte operierte ohne Unterstellung unterstützend in der Etappe (2.). Die Front befand sich Anfang März 1918 nördlich von Jerusalem, welches am 9. Dezember 1917 geräumt worden war. Die eigene Truppe litt im Winter 1917/1918 wegen unzureichender Ausrüstung unter Regen und Kälte, blieb im Morast stecken, während unterspülte oder

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z­ erstörte Eisenbahnteilstrecken die Logistik erschwerten. Es fehlte Kohle und auch Holz für den Betrieb der Eisenbahn. Wassermangel schwächte Truppen und Tiere. Der britische General Edmund Allenby griff weiterhin mit überlegenen Kräften nach Norden an, seit Mitte 1916 unterstützt von aufständischen Arabern. Die Operationen konzentrierten sich auf Sabotageakte entlang der Hedschas-Eisenbahnlinie, auch auf Fernmeldeleitungen und Brücken. Allenby verfügte über zahlenmäßig überlegene Kavallerie, die in schwierigem Gelände noch gut operieren konnte. Die Kalifenstadt Bagdad war bereits im März 1917 gefallen. Auch in Mesopotamien waren die britischindischen Truppen im Vormarsch. Seit dem gescheiterten Angriff auf den Suezkanal im Januar 1915 befanden sich die deutsch-osmanischen Truppen an der Palästinafront in der Gefechtsart Verzögerung, um so unter Kampf und Preisgabe von Raum Zeit zu gewinnen. Dies sollte sich auch bis Kriegsende grundsätzlich nicht mehr ändern, obwohl Liman bis Mitte September 1918 noch taktische Teilerfolge erzielen konnte, vor allem in den sogenannten Jordanschlachten. Die gegnerische Übermacht war erdrückend, die eigene Ressourcenlage beklagenswert. Hinzu kam, dass Enver Pascha Truppen und türkische Offiziere aus der Heeresgruppe abgezogen hatte, um an der Kaukasusfront Erfolge zu erzielen. Primär ging es dort um die Ölquellen in Baku, wohl auch um die Verfolgung pan-türkischer Ziele, vielleicht auch um die Eroberung eines Faustpfandes für die bereits absehbaren Friedensverhandlungen. Besser ausgestattete osmanische Divisionen operierten zudem als Unterstützung des Deutschen Reichs und Österreich-Ungarns außerhalb der Heimat, während die Divisionen im Inland unter Desertionen litten. Auch Deutschland schwächte die Palästinafront durch Abzug und Umdirigieren von Truppen. Neben der Unterlegenheit eigener Bodentruppen ging auch im Oktober 1917 die Luftüberlegenheit endgültig zur gegnerischen Seite über; eigenes Personal der Luftstreitkräfte musste wegen großer Materialverluste weitgehend zum infanteristischen Kampf übergehen. Ein Aufsteigen mit dem Flugzeug wurde wegen zahlreicher britischer Jäger nahezu zu einem Todeskommando. Den Operationen der britischen Marine hatte die deutsche Marine trotz Errichtung einer Operationsbasis in Beirut und einiger weiterer Teilerfolge nichts Vergleichbares mehr entgegenzusetzen. Nach erheblichen Verlusten war Liman in der Spätphase der Kämpfe gezwungen, Truppenkörper zusammenzulegen, die dann sehr professionell durch Mustafa Kemal Pascha geführt wurden. Eine weitere Schwächung

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der Position Limans bestand darin, dass der bisherige mächtige Gouverneur („Vali“) in diesem Raum, zugleich Befehlshaber der 4. Armee, Cemal Pascha, unter der neuen Konstellation der Heeresgruppe nicht dienen wollte, sich im Dezember 1917 nach Konstantinopel zurückzog und sich wieder seinem Amt als Marineminister widmete. Liman wäre es als preußischer General auch nicht möglich gewesen, bei schlecht funktionierender, teils korrupter osmanischer Verwaltung, die zivilen Ressourcen des Landes so wie Cemal mit harter Hand auszuschöpfen. Liman lehnte daher das Angebot von Enver auf Übernahme der zivilen Vali-Funktion ab. Mit Übernahme der militärischen Kommandogewalt hatte Liman den Stab der Heeresgruppe wieder personell nach seinen Vorstellungen besetzt, wobei er seinen vertrauten Chef des Stabes, Oberst Kazım Bey, beibehielt. Sein Hauptquartier verlegte er sofort von Damaskus nach Nazareth, dichter an die Front. Nach Erkundung durch Abreiten der Front änderte er den Operationsplan, indem er einige Truppen in Nachtmärschen vom Ostufer des Jordan auf das Westufer zog. Weiteren Eingriffen von Enver, Juden in den Kaukasus zu verlegen, widersetzte sich Liman weitgehend erfolgreich.13 Zunächst liefen ab Februar 1918 mit der Verstärkung zu „Pascha II“ noch weitere deutsche Truppen mit etwa 5000 Mann zu, nach vorangegangenem Zulauf von etwa 2000 Mann 1916 im Rahmen von „Pascha I“ und 15 000 Mann 1917 im Rahmen von „Pascha II“, auch Asienkorps genannt. Die Österreicher verstärkten wiederum die Heeresgruppe durch Mörser und Artillerie, offensichtlich von den Dardanellen abgezogen. In den Jordankämpfen im März / April 1918 konnte Liman vorübergehend Gebiet ostwärts des Jordan zurückerobern und das weitere Vorgehen von Allenby noch einmal aufhalten. Liman versuchte mit allen Mitteln der Kriegskunst wie Frontverkürzungen und taktischen Gegenangriffen die drohende strategische Niederlage abzuwenden, musste sich dann jedoch auf weniger verlustreiche defensive Operationen beschränken. Er versuchte den Gegner zu täuschen unter Einsatz von Truppen und Funkmitteln im Rahmen eines bedeutender werdenden elektronischen Kampfes; die passive Funkaufklärung einschließlich Entschlüsselung verschaffte ihm ohnehin wichtige Informationen über den Gegner. Allerdings wurde ihm von Enver nicht gestattet, seinen linken Flügel ostwärts des Jordan zurückzunehmen und damit die Bahnverbindung nach Medina zu kappen. Liman erwirkte eine Generalamnestie für Deserteure und ließ diese und Versprengte in erheblicher Zahl wieder aufspüren und „einsam-

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meln“. Mit Übernahme der 7. Armee durch Kemal Pascha im August 1918 verfügte Liman wieder über einen fähigen Führer, der am 31. Oktober 1918 im Raum Adana in einer letzten bescheidenen Zeremonie das Kommando über den Rest der Heeresgruppe übernahm. Die Operationen ab Mitte September waren gekennzeichnet durch eine herbe Niederlage der deutsch-osmanischen Truppen bei Megiddo südlich von Nazareth und einem raschen Vordringen von Allenby gegen Damaskus und Aleppo, während Bulgarien am 30. September 1918 in einen Waffenstillstand eintrat. Am 12. Oktober 1918 trat das Kabinett Talât Pascha zurück, ehe die Deutschen am 27. Oktober 1918 offiziell entlassen wurden; sie traten hauptsächlich mit der Eisenbahn den Rückweg nach Konstantinopel an. Am 30. Oktober 1918 wurde der Waffenstillstand in Mudros unterzeichnet und Liman vom neuen Großwesir Izzet Pascha von seinem Kommando entbunden. Liman wurde nach seinem Eintreffen in Konstantinopel am 19. Dezember 1918 beauftragt, die geordnete Rückführung aller deutschen Truppen über das Schwarze Meer und über das Mittelmeer zu organisieren. Dies zog sich noch einige Monate hin, da entlegene Truppenteile Fußmärsche zurücklegen mussten. Liman selbst verließ danach Konstantinopel per Schiff und wurde bei einem Zwischenstopp in Malta zu seiner Überraschung am 25. Februar 1919 verhaftet und bis zum 21. August 1919 britischer Kriegsgefangener, bevor er nach München weiterreisen durfte. In Malta schrieb er sein Buch Fünf Jahre Türkei, welches in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Offensichtlich wollten die Briten ihn als einzig verbliebenen der drei deutschen Marschälle zur Rechenschaft ziehen, obwohl er sich nachweislich für Armenier und osmanische Griechen (Rum) eingesetzt und keinerlei Kriegsverbrechen schuldig gemacht hatte.14 Gleichzeitig verzichteten die Briten auf Prozesse gegen Türken mangels griffiger Rechtsgrundlagen, überließen den osmanisch / türkischen Nachkriegsregierungen die Aburteilungen. Zeitgenossen wie der ehemalige Kriegsgegner General Hamilton und der Österreicher Pomiankowski, Historiker wie Christoph Dinkel und Muriel Mirak-Weissbach und Institutionen wie das Lepsius-Zentrum in Potsdam bescheinigten Liman, sich keiner Verbrechen schuldig gemacht zu haben. Liman beschreibt in seinem Buch nicht nur den äußeren Kampf gegen den Kriegsgegner, sondern beklagt auch die internen Auseinandersetzungen gegen Enver Pascha und deutsche Dienststellen sowie Personen: „Niemand kann auf die Dauer nach vorn gegen den Feind kämpfen und zugleich Angriffe gegen seinen Rücken abwehren.“15 Alle seine Rück-

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trittsgesuche wurden abgelehnt; als gehorsamer preußischer General erfüllte er seine Pflicht und war in militärischer Hinsicht der erfolgreichste deutsche Marschall im Ersten Weltkrieg auf osmanischem Boden. Liman war zwar nach übereinstimmendem Urteil kein diplomatischer Soldat, aber ein strategisch und operativ denkender Kopf. Sein scharfer Verstand und sein Weitblick sprechen zum Beispiel aus dem Schlusskapitel seines Buches. Die letzten Zeilen sollen daher auch hier ihm überlassen bleiben: „Auf militärischem Gebiete waren die deutschen Erwartungen der türkischen Betätigung weit überspannte und daher unmögliche! Die Türkei sollte nicht nur die Meerengen verteidigen, ihre eigenen Grenzen auf ungeheuren Entfernungen schützen, sondern sie sollte Ägypten erobern, Persien unabhängig machen, in Transkaukasien die Schaffung selbständiger Staaten vorbereiten, womöglich in der Folge durch Afghanistan Indien bedrohen, und schließlich auch noch auf europäischen Kriegsschauplätzen aktive Hilfe leisten! […] Es scheint, dass die Gedanken an die Märchen von Tausendundeiner Nacht oder an die Luftspiegelungen der arabischen Wüste das scharf abwägende Urteil in der Heimat getrübt haben.“16 Anmerkungen 1 Daten nach Hessischer Biografie: https://www.lagis-hessen.de/de/subjects/gsrec/ current/1/sn/bio?q=otto+liman+von+sanders [Stand: 21.8.2019]. 2 Wallach, Anatomie einer Militärhilfe, S. 126. 3 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 11f. 4 Schraudenbach, Muharebe, S. 147. 5 Lisec, Der Völkermord an den Armeniern, S. 46. 6 Liman spricht nur von Personalien von über 800 deutschen Offizieren und Beamten, die durch die Hände der Militärmission gingen; er lässt die Frage nach den Unteroffizieren und Mannschaften offen. Ebd., S. 32. 7 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 142. 8 Pomiankowski, Der Zusammenbruch, S. 36. 9 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 70; Dinkel, German Officers, S. 86–93. 10 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 187; Lisec, Der Völkermord an den Armeniern, S. 56 und 81. 11 Berichte von Liman und von Botschafter Kühlmann, 17.11.1916, http://www.armenocide.net/armenocide/armgende.nsf/$$AllDocs/1916-11-17-DE-001 [Stand: 21.8. 2019]. Stangeland, Die Rolle Deutschlands, S. 235. 12 Lisec, Der Völkermord an den Armeniern, S. 58 und 61. 13 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 264. 14 Lisec, Der Völkermord an den Armeniern, S. 61. 15 Liman von Sanders, Fünf Jahre Türkei, S. 276. 16 Ebd., S. 407f.

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Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Otto Liman von Sanders, N 907, drei Auf bewahrungseinheiten, darin: Bericht Limans „Die Gründe des militärischen Zusammenbruchs der Türkei“. Bundesarchiv Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), RH 61/1626, Der Dardanellen-Feldzug 1915, darin Erlebnisberichte von General Liman von Sanders. Bundesarchiv Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Bündnis mit dem Osmanischen Reich. Korrespondenz der Deutschen Militär-Mission 1914–1915. Politisches Archiv des Auswärtigen Amts, Berlin (PA-AA), Berichte von Liman von Sanders, die über die deutsche Botschaft in Konstantinopel an das Auswärtige Amt geschickt wurden.

Gedruckte Quellen und Literatur Bardakçı, Murat, Talât Paşa’nın Evrak-ı Metrûkesi, Istanbul 2009. Dinkel, Christoph, German Officers and the Armenian Genocide, in: Armenian Review 44 (1991), S. 77–133. Gottschlich, Jürgen, Beihilfe zum Völkermord. Deutschlands Rolle bei der Vernichtung der Armenier, Berlin 2015. Gust, Wolfgang (Hrsg.), Der Völkermord an den Armeniern 1915/16. Dokumente aus dem Politischen Archiv des Deutschen Auswärtigen Amts, Springe 2005. Kannengießer, Hans, Gallipoli – Bedeutung und Verlauf der Kämpfe 1915, Berlin 1927. Kurter, Ajun, Türk Hava Kuvvetleri Tarihi 1910–1918, Ankara 2006. Liman von Sanders, Otto, Fünf Jahre Türkei, Neudruck, London 2015. Lisec, Eckhard, Der Unabhängigkeitskrieg und die Gründung der Türkei 1919–1923, Berlin 2016. Lisec, Eckhard, Der Völkermord an den Armeniern im 1. Weltkrieg – Deutsche Offiziere beteiligt?, Berlin 2017. Mühlmann, Carl, Das deutsch-türkische Waffenbündnis im Weltkriege, Leipzig 1940. Pomiankowski, Joseph, Der Zusammenbruch des Osmanischen Reiches, Wien 1928. Schraudenbach, Ludwig, Muharebe. Der erlebte Roman eines deutschen Führers im osmanischen Heere 1916/17, Berlin 1925. Stangeland, Sigurd, Die Rolle Deutschlands im Völkermord an den Armeniern, Trondheim 2013. Steuber, Werner, Jildirim – Deutsche Streiter auf heiligem Boden, Oldenburg 1926. Trumpener, Ulrich, Liman von Sanders and the German-Ottoman Alliance, in: Journal of Contemporary History 1 (1966), S. 179–192. Wallach, Jehuda, Anatomie einer Militärhilfe, Düsseldorf 1976. Wolf, Klaus, Gallipoli 1915, Sulzbach 2008. Yalman, Ahmet Emin, Turkey in the World War, New Haven 1930.

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General der Infanterie Erich Ludendorff von Frank Jacob

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s ist unmöglich, die Geschichte des Ersten Weltkrieges und des Endes des Deutschen Kaiserreiches ohne gleichzeitige Betrachtung der militärischen Karriere Erich Ludendorffs zu schreiben.1 Als „Feldherr“ im Zuge der „Urkatastrophe“ des 20. Jahrhunderts zu fast uneingeschränkter „diktatorischer“ Macht emporgestiegen, fand er sich nach der deutschen Niederlage in der militärischen und politischen Bedeutungslosigkeit wieder. Kein anderer Militär sollte mehr Einfluss auf den Verlauf des Ersten Weltkrieges nehmen als der Erste Generalquartiermeister, selbst wenn dieser eher als graue Eminenz im Schatten Paul von Hindenburgs fungierte, der offiziell den Generalstab des Heeres leitete.2 Und doch ist der Forschungsstand zu Ludendorff recht überschaubar, woran das gesteigerte Forschungsinteresse im Zuge des 100-jährigen Gedenkens an den Ersten Weltkrieg nicht viel geändert hat.3 Aufstieg und Fall Ludendorffs innerhalb der militärischen Elite des Deutschen Kaiserreiches sind folglich eng mit den Ereignissen zwischen 1914 und 1918 verknüpft, auf denen im Folgenden, nach einem kurzen Abriss von Ludendorffs militärischer Karriere, das Hauptaugenmerk liegen wird. Die militärische Laufbahn4 des 1865 in Kruszewnia, Posen, geborenen Ludendorff war von seinen Eltern, besonders dem Vater, Wilhelm Ludendorff, der sich eine solche ebenfalls von den beiden Brüdern Richard und Hans erwartete, durchaus forciert worden.5 Der spätere Erste Generalquartiermeister schreibt dazu 1933 selbst, wenn auch etwas übertrieben: „Daß ich in das Kadettenkorps kommen und Offizier werden sollte, wurde mir beinahe in die Wiege gelegt. Nur in meinen jüngsten Jahren erschien mir, Konditor zu werden oder Kutscher zu sein, noch anziehender.“6 Seit 1879 besuchte Ludendorff schließlich die Hauptkadettenanstalt in Berlin-Lichterfelde, „wo die Kadetten neben dem Schulunterricht auch eine vormilitärische Ausbildung erhielten.“7 Der junge Ludendorff war dazu in der Lage, seine Lehrer zu beeindrucken, und schloss 1881 die Prima ab, stieg bereits relativ jung in die Selekta auf und erhielt damit die Gelegenheit, das Offizierspatent zu erwerben. Sollte man Ludendorff in dieser Zeit charakterisieren, würde man vermutlich von einem zielstrebigen Einzelgänger sprechen, der sich vor allem durch

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Erich Ludendorff auf einer Porträtaufnahme von 1915

Fleiß und Leistung auszuweisen vermochte.8 Die Trennung von seiner Familie, die der Kadett in den Ferien zu besuchen pflegte, war für Ludendorff zu Beginn nicht einfach und es „kullerten nachts recht viel Tränen in das Bettzeug“. Gewiss war ihm gleichfalls klar, dass es „unter der Würde eines Kadetten und der Soldatenuniform gewesen“9 wäre, wenn er am Tage solche Gefühle, wie eben sein Heimweh, gezeigt hätte. Schon früh hatte sich der spätere General also den Aufgaben und dem damit verbundenen emotionalen Verzicht, der von ihm verlangt wurde, verschrieben und ging voll in seiner Rolle auf. Zudem träumte er von einer großen Karriere und von Leistungen, die denen eines Generalfeldmarschalls Helmuth Graf von Moltke in nichts nachstünden. Am 30. März 1882 erhielt Ludendorff schließlich sein Offizierspatent und wurde zwei Wochen später zum Leutnant ernannt. Damit hatte er

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den ersten Schritt getan, seine Träume tatsächlich zu verwirklichen, und setzte seine weiteren Bemühungen, Anerkennung und Beförderungen zu erhalten, mit der gleichen Hingabe und Leistungsbereitschaft fort. Bedenkt man, dass Ludendorff nicht aus adeligem Hause stammt, muss darauf hingewiesen werden, dass die Offizierslaufbahn für den späteren Ersten Generalquartiermeister gleichzeitig eine Gelegenheit darstellte, einen sozialen Aufstieg zu erreichen. Zunächst fand der junge Leutnant Verwendung beim 8. Westfälischen Infanterieregiment Nr. 57 und musste deshalb seinen Dienst in Wesel am Niederrhein antreten. Mit seinen Eltern stand Ludendorff jedoch weiterhin in regem Kontakt und schilderte ihnen in unzähligen Briefen sein Leben als Soldat, aber ebenso die damit einhergehenden Entwicklungen sowie mögliche Probleme.10 An politischen Fragen zeigte der junge Offizier während seiner Zeit in Wesel kaum Interesse, verehrte dessen ungeachtet, wie viele andere preußische Offiziere der 1880er-Jahre, Otto von Bismarck. Im März 1887 folgte schließlich die Versetzung nach Berlin, von wo er schon kurze Zeit später vom Kommando bei der Militärturnanstalt abberufen und als Ergebnis eigener Anstrengungen zum Seebataillon der Marine versetzt wurde, ein Karriereschritt, der, so Manfred Nebelin, „gleichermaßen als Auszeichnung wie als Herausforderung aufgefasst werden“11 konnte. Nach einigen Erfahrungen auf Auslandsreisen während seiner Zeit beim Seebataillon nahm Ludendorff zu Beginn des Jahres 1890 an den Prüfungen zur Aufnahme an der preußischen Kriegsakademie teil, denn er selbst sah seine Zukunft im Generalstab. Nach seinen beiden „als schwierig angesehenen Leutnantsverwendungen“12 stand Ludendorff der Sinn nach akademischer Ausbildung. Zudem war inzwischen aus dem jungen Kadetten ein echter militärischer Karrierist geworden, für den es nur einen Weg zu geben schien: stetig nach oben in der preußischen Militärhierarchie. Im Juli 1890 wurde Ludendorff nach bestandener Prüfung, und Beförderung zum Oberleutnant im März, zur Kriegsakademie einberufen, wo er in den nächsten drei Jahren in erster Linie theoretisch ausgebildet werden sollte. Kriegsgeschichte und Taktik dominierten nun Ludendorffs Alltag und er zeichnete sich bei seinen Lehrern, unter anderem Jacob Meckel, der geholfen hatte, die japanische Armee nach der Öffnung des Landes zu reformieren und das dortige Offizierskorps ebenfalls unterrichten durfte, als „klarer Kopf und schneller Arbeiter“13 aus. Aufgrund seiner sehr guten Russischkenntnisse wurde dem jungen Ludendorff zudem eine Reise nach Russland gewährt, im Zuge derer er nicht nur

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St. Petersburg und Moskau, sondern unter anderem auch Sewastopol besuchte. Im Generalstab erhielt er die Aufgabe, sich mit den nicht-russischen Staaten Osteuropas und Asien zu befassen. Von diesem Kommando eher unbefriedigt, konnte sich Ludendorff bald, aufgrund des Sino-Japanischen Krieges (1894/95) profilieren, indem er den Sieg Japans voraussagte. Im März 1895 erhielt er deshalb schließlich eine Beförderung zum Hauptmann und wurde fest in den Großen Generalstab versetzt, denn dort hatten die Verantwortlichen das Potenzial Ludendorffs bereits erkannt. Mit 29 Jahren hatte es der spätere General und Erste Generalquartiermeister geschafft.14 Er war am Ziel, dem „Gehirn“ des preußischen Heeres, angelangt. Aufgrund des notwendigen Wechsels zwischen dem Stabsdienst und der für Offiziere ebenfalls vorgesehenen praktischen Erfahrung des Truppendienstes, wurde Ludendorff 1896 schließlich zum IV. Armeekorps in Magdeburg versetzt. Dort war er unter anderem für die Vorbereitung und Durchführung der großen Manöver zuständig, wobei die zwei Jahre, die er in dieser Position verbrachte, weitestgehend ruhig verlaufen zu sein scheinen. 1898 folgte die Versetzung ins westpreußische Thorn, wo Ludendorff als Kompaniechef für das Infanterieregiment von der Marwitz 8. Pommersches Nr. 61 diente. Die Wahl dieses in der Nähe zur russischen Grenze gelegenen Dienstortes kränkte Ludendorff, der das Kommando dem eigenen Mangel an einflussreichen Verwandten zuschrieb. Seinen Fähigkeiten und dem damit verbundenen militärischen Potenzial hat die Stelle wohl der eigenen Ansicht nach nicht entsprochen.15 Seine Bitte, ihn im Stab von General Alfred Graf von Waldersee zu verwenden, der die deutsche Expedition nach China zur Niederschlagung des Boxeraufstandes anführen sollte, wurde von Generalstabschef Alfred Graf von Schlieffen abgelehnt. Stattdessen folgte im Herbst 1900 die Abordnung als Erster Generalstabsoffizier zur 9. Division des V. Armeekorps in Niederschlesien (Glogau). Im Zuge dieser Stellung war er erneut für die Manöver zuständig, eine Erfahrung, die Ludendorff später in einem erfolgreichen Lehrbuch verarbeiten würde.16 Nach der Beförderung zum Major 1901 erhielt er 1902 das Kommando als Erster Generalstabsoffizier beim V. Armeekorps in Posen. Ludendorff empfand dieses allerdings als karrieretechnischen Rückschritt, denn, wie Manfred Nebelin es beschreibt, war zwar „das Aufgabenfeld […] ungleich größer und vielseitiger als zuvor, doch in der Hierarchie des Armeekorps unterstand er nun nicht mehr unmittelbar dem Kommandierenden General, sondern dem Chef des Generalstabes“.17 Durch

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Ludendorffs Karriere zieht sich wie ein roter Faden der Glaube, seinen eigenen Wert durch einen militärischen Rang zu unterstreichen. Erfolg drückte sich für Ludendorff demnach nur in zweierlei Hinsicht aus, nämlich erstens durch ein Aufsteigen innerhalb der Militärelite des Kaiserreiches und zweitens durch einen Sieg, der auf dem Schlachtfeld errungen wurde. Ludendorff betrachtete sich deshalb selbst oft als über­ legen und war weder um soziale Kontakte noch um eine schmeichlerische Etikette gegenüber Vorgesetzten bemüht. Andere Militärs, wie später etwa Erich von Falkenhayn, oder der deutsche Kaiser Wilhelm II. empfanden dieses Gebaren als Besserwisserei und mochten die forsche Art Ludendorffs nicht. Diejenigen, die ihn förderten und bereit waren, seinen Arbeitsstil zu akzeptieren, profitierten jedoch von seinen Leistungen und seinem militärischen Genie. Zu den wichtigsten Förderern Ludendorffs im Generalstab bis 1913 zählte der Generalquartiermeister und spätere Chef des Generalstabes (1906–1914) Helmuth von Moltke (der Jüngere). 1906 trat Ludendorff jedoch zunächst eine Stelle an der Kriegsakademie in Berlin an, wo er als Dozent Taktik und Kriegsgeschichte lehrte.18 Danach wurde er 1908 nicht nur zum Oberstleutnant befördert, sondern ebenfalls zum Chef der 2. Abteilung des Großen Generalstabes ernannt, wodurch er im Kriegsfalle den deutschen Aufmarsch leiten müsste. In dieser Rolle unterstützte er Moltkes Weiterentwicklung des Schlieffen-Plans und lenkte, laut eigenen späteren Aussagen, besonderes Augenmerk auf die Notwendigkeit, Lüttich im Falle der Durchführung des Planes schnellstmöglich einzunehmen.19 Im Zuge seiner Stellung versuchte Ludendorff in enger Zusammenarbeit mit Moltke, Argumente für eine Verstärkung der deutschen Streitkräfte sowie eine Verbesserung von deren Ausrüstung zu liefern. Im Dezember 1912 wurde in einer von beiden konzipierten Denkschrift für Reichskanzler und Kriegsminister erstmals klar kommuniziert, dass der SchlieffenPlan Grundlage für die deutschen Operationen im Kriegsfall sei, und damit verbunden eine Vermehrung des Heeres um 300 000 Mann gefordert, um über die notwendigen Truppenkapazitäten zu verfügen. Die Forderungen bewegten sich in einer „gigantischen Dimension“, und obwohl sich aus der Ludendorff-Moltke’schen Schrift „kaum ein erkennbarer Wille zum Krieg herauslesen“ lässt,20 wurde sie nach 1918 oft als Beleg für die deutsche Kriegsschuld und den offensichtlichen Willen zum Krieg der militärischen Elite des Deutschen Kaiserreiches angeführt. Ludendorffs zunehmend einflussreiche Stellung beim Generalstab wurde zu Beginn des Jahres 1913 gleichwohl durch eine Versetzung in

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den Truppendienst erodiert. Ihm wurde das Kommando des Niederrheinischen Füsilierregiments Nr. 39 in Düsseldorf übertragen, was Ludendorff in weite Ferne der Operationsplanungen für den Kriegsfall brachte. Kurz vor Kriegsbeginn wurde er immerhin im April 1914 noch zum Generalmajor befördert und nach Straßburg versetzt, wo er die 85. Infanteriebrigade kommandieren sollte. Am 1. August 1914 war Ludendorff also in Straßburg, wo sein kometenhafter Aufstieg im Zuge des Ersten Weltkrieges seinen Anfang nahm. Bruno Thoß merkt an, dass Ludendorff „zweifellos zu den operativ begabtesten Heerführern des 1. Weltkriegs“ gehörte, aber „freilich mehr taktisch-flexibler Operateur denn vorausschauender Stratege“21 war. Diese Aussage mag jedoch nur für seine militärischen Leistungen gelten. Um durch eben diese seine Karriere fortzusetzen und seinen militärischen sowie schließlich ebenso politischen Einfluss stetig auszubauen, intrigierte Ludendorff zielstrebig gegen Falkenhayn, der seinem eigenen Aufstieg im Wege stand. Seinen ersten großen Erfolg im Zuge des Krieges erlebte Ludendorff an der Westfront, als Lüttich unter seiner Führung im Handstreich genommen werden konnte. Schon fast trocken bemerkte er dazu direkt zu Beginn seiner Kriegserinnerungen: „Der Handstreich auf Lüttich eröffnete die Reihe deutscher Siege. Es war ein kühner Sieg und verwegen die Ausführung.“22 Tatsächlich hatte Ludendorff von Fehleinschätzungen und falschen Informationen auf der Gegenseite profitiert und so ein Unternehmen gemeistert, das ebenso schnell hätte scheitern können. Trotzdem machte ihn der Erfolg zum „Helden von Lüttich“, und aufgrund seiner Leistung und der Notwendigkeit, im Osten über einen strategisch versierten Planer zu verfügen, veranlasste Moltke seine Versetzung an die Ostfront, wo er als Chef des Stabes der 8. Armee zusammen mit Hindenburg, dem der Oberbefehl zugesprochen wurde, die Rettung der deutschen Truppen sichern und den Kampf mit der russischen Armee führen sollte. Ludendorff meisterte diese Aufgabe ebenfalls und mit dem Sieg bei Tannenberg wurde der Mythos um das erfolgreiche Duo HindenburgLudendorff geboren.23 Ludendorff selbst widmete sich der Schlacht von Tannenberg ausführlich und veröffentlichte später die Geschichtliche Wahrheit über die Schlacht.24 Darin heißt es zur Bedeutung des Ludendorff’schen Erfolges, natürlich keineswegs bescheiden: „Nicht jede Schlacht ist ein Markstein im Kriege und wahrhaft geschichtsgestaltend. Die Schlacht von Tannenberg ist es indes.“25 Gleichzeitig betont Ludendorff hier, dass er nicht nur den Osten gerettet, sondern ebenfalls den Vormarsch im Westen erst

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e­ rmöglicht hatte, weist also retrospektiv auf die nur ihm innewohnende Erfolgsgarantie hin, die, ohne Fehler anderer und das Versagen der Verbündeten, vielleicht sogar in der Lage gewesen wäre, das Kriegsglück für Deutschland zu erhalten: „Ich schlug die Schlacht in Gedanken, Ostpreußen zu retten. Damals glaubte ich noch an einen nachhaltigen Widerstand der uns verbündeten österreichisch-ungarischen Armee in Galizien und hielt die erfolgreiche Weiterführung des Vormarsches im Westen für gesichert. Ihm hatte ich durch die Einnahme von Lüttich freie Bahn gegeben.“26 Das Stocken der deutschen Offensive im Westen bei gleichzeitigem Ausbleiben von Nachschüben für Ludendorff führte, neben persönlichen Animositäten, schließlich dazu, dass sich Ludendorff an einer zunächst noch von Moltke selbst initiierten Intrige gegen Falkenhayn beteiligte.27 Dass dieser den deutschen Sieg verspiele, brachte Ludendorff in Briefen an Helmuth von Moltke wiederholt zum Ausdruck: „Der Herr v. Falkenhayn ist ein Unglück für uns, er ist ein Spieler sein lebenlang [sic!] gewesen u[nd] kennt nur seinen Ehrgeiz, nicht das Vaterland. […] Der Reichskanzler weiß das alles und er tut nichts. Wer soll denn handeln, wenn es nicht der verantwortliche Mann macht. Ich höre so viele Stimmen aus der Armee, keiner hat Vertrauen zu diesem Mann, der uns nach Ypern geführt hat. Excellenz kennen mein Empfinden, ich kann hassen u[nd] diesen Mann hasse ich.“28 Gleichzeitig machte Ludendorff deutlich, dass die Neuformierung des deutschen Heeres und die Neuausrichtung der militärischen Planungen in Ostpreußen, also wo Ludendorff waltete, beginnen mussten.29 Nach dem Sturz Falkenhayns im Sommer 1916 musste aber auch Ludendorff seine Strategie ändern, da er im Westen kaum andere Möglichkeiten nutzen konnte als sein Widersacher vor ihm. Tatsächlich schien Ludendorff lediglich im Osten, wo der Krieg oft noch ein Bewegungskrieg blieb, erfolgreich zu sein. Die Intrige gegen Falkenhayn unterstützte Ludendorff folglich aus mehreren Gründen, die in der Realität nur wenig mit den militärischen Leistungen Falkenhayns – der an der Westfront, und das sollte auch der „Held von Lüttich“ später feststellen, kaum Optionen zum Handeln besaß – zu tun hatten: Zum einen zeigte sich Ludendorff loyal gegenüber Moltke, der ihn stets gefördert hatte, zum anderen erhoffte er sich durch den Fall Falkenhayns gewissermaßen eine geostrategische Umkehrung des Schlieffen-Plans und damit verbunden eine militärische Stärkung der Ostfront, also seiner eigenen Person. Außerdem war ihm Falkenhayn extrem verhasst, ein Sentiment, welches jedoch durchaus auf Gegenseitigkeit beruht haben dürfte.

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Die Absetzung Falkenhayns war insgesamt betrachtet die Konsequenz einer langen Intrige, an der nicht nur Ludendorff, sondern ebenso die ­Monarchen Bayerns und Württembergs sowie in letzter Instanz ebenso der Reichskanzler Bethmann Hollweg beteiligt waren. Jener würde selbst bald darauf der neuen 3. Obersten Heeresleitung unter Generalfeldmarschall Hindenburg und dem ab diesem Zeitpunkt als Erstem Generalquartiermeister titulierten Ludendorff zum Opfer fallen. Zwischen 1917 und 1918 baute die neue Oberste Heeresleitung ihre Kontrolle über das deutsche Kaiserreich zunehmend aus, sodass selbst der Kaiser nur noch als Marionette galt. Hindenburg und Ludendorff errichteten faktisch eine Militärdiktatur, die zwingend Erfolge liefern musste, um die Unterstützung der Bevölkerung und des Heeres nicht zu verlieren.30 Im Osten gelang es den beiden tatsächlich nicht nur, die russischen Armeen am Vormarsch zu hindern, sondern es waren, schon vor dem Sturz Falkenhayns, weitreichende Eroberungen möglich gewesen, die schwerwiegende und dauerhafte territoriale Gewinne des Deutschen Reiches versprachen. Selbst der Kriegseintritt Rumäniens stellte für das Duo Hindenburg-Ludendorff auf Dauer kein militärisches Problem dar. Durch die Russischen Revolutionen 1917 und den anschließenden Frieden von Brest-Litowsk im März 1918 konnten die deutschen Eroberungen zudem gesichert werden. Dadurch erhielt die Diskussion um die Kriegsziele neuen Schwung, denn anstatt nur den Bestand von 1914 zu verteidigen, waren nun Annexionen im großen Stil angedacht. Das erschwerte allerdings die Möglichkeit für einen Ausgleich mit den Ententemächten, da die Illusion von einem Verteidigungskrieg des Deutschen Kaiserreiches nicht mehr aufrechterhalten werden konnte – besonders auch nach innen nicht mehr. Das revolutionäre Potenzial und damit ebenfalls die Kritik an einer aggressiven Fortsetzung des Krieges hatten sich zudem im Januar 1918 gezeigt, als Arbeiterinnen und Arbeiter in vielen Städten des Reiches gegen weitreichende Annexionen demonstriert hatten. Der ersehnte Erfolg an der Westfront blieb schließlich aus. Inzwischen hatte aber die Fortsetzung des uneingeschränkten U-Boot-Krieges zum Kriegseintritt der USA geführt, die in letzter Konsequenz die Übergabe der politischen Macht in Deutschland an eine parlamentarische Regierung fordern würden, um über einen Frieden zu verhandeln – eine Forderung also, die den Sturz Ludendorffs am Ende des Ersten Weltkrieges bedingte. Entgegen seiner früheren Auffassung, dass eine Entscheidung des Krieges nur im Osten gesucht werden konnte, hatte Ludendorff nach

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der Übernahme der Macht erkannt, dass die deutsche Lage im Westen tatsächlich schwierig war. Besonders traumatisierend waren die Erkenntnisse nach der Schlacht von Amiens vom 8. bis 11. August 1918. Zunächst einmal waren die deutschen Truppen vom Angriff der Entente überrascht worden, zumal die OHL zuvor hatte mitteilen lassen, dass im betreffenden Frontabschnitt „auf absehbare Zeit […] nicht mit größeren Angriffen zu rechnen“31 sei. Ludendorff konnte überrascht werden? Hatte das „Feldherren-Genie“ diese Schlacht nicht vorausgesehen? Nicht nur der Angriff selbst, sondern die Tatsache, dass die eigenen Kräfte denen der Angreifer weit unterlegen waren. Zu wenige Geschütze, eine zu geringe Mannstärke und die Nicht-Existenz von Panzerfahrzeugen, deren Entwicklung das Militär unter Ludendorffs Führung keine Aufmerksamkeit geschenkt hatte, führten zwangsläufig zu einer Niederlage und die deutschen Truppen wurden „vielerorts ohne größere Gegenwehr geradezu überrannt“.32 Die Niederlage machte deutlich, dass das deutsche Heer am Ende war und die immer wieder gebetsmühlenartig überall zu lesenden und zu hörenden Parolen vom finalen Sieg, der nur durch die Einheit und Einigkeit der Bevölkerung zu gewährleisten sei, Lügen waren. Nun konnte selbst Ludendorff nicht mehr bestreiten, dass auch er nicht unfehlbar war. Er selbst sprach von einem „schwarzen Tag in Deutschlands Geschichte“,33 schob die Schuld dafür aber in erster Linie auf das Versagen der an der Front kommandierenden Offiziere.34 Der eigene Fall konnte jedoch durch derlei Schuldzuweisungen nicht mehr aufgehalten werden, und am 26. Oktober, nachdem sich angedeutet hatte, dass ein Frieden mit der Entente mit Ludendorff kaum zu erreichen gewesen wäre, wurde der Erste Generalquartiermeister schließlich entlassen. Der „Feldherr“ floh nach Schweden,35 bevor er nach der Revolution 1919 wieder nach Deutschland zurückkehrte. Ihn hat die Niederlage langfristig betrachtet wesentlich mehr getroffen, als beispielsweise Hindenburg, der in Würde das Kriegsende erlebte und dessen Bild in der Öffentlichkeit insgesamt betrachtet weniger Schaden erlitt. Aus Ludendorff wurde durch das Kriegsende ein Agitator und Publizist, der damit beschäftigt war, seine eigene Rolle für Deutschlands Ruhm und Größe zu schützen und dabei mit vielen alten Weggefährten aneinandergeriet. Er trug zudem aktiv zur Etablierung der Dolchstoßlegende36 bei, indem er selbst immer wieder die Unschuld der militärischen Leitung an der deutschen Niederlage betonte und die Schuld auf die Revolutionärinnen und Revolutionäre des November 1918 abwälzte: „Am 9. November sank Deutschland, bar jeder festen Hand und bar jeden Willens, seiner Fürsten beraubt, wie ein Kartenhaus zusammen.

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Wofür wir gelebt und jetzt wiederum vier schwere Jahre lang geblutet hatten, verschwand. Wir hatten kein Vaterland mehr, auf das wir stolz sein konnten. Die staatliche und gesellschaftliche Ordnung wurde vernichtet. Jede Autorität hörte auf. Chaos, Bolschewismus und Terror, undeutsch ihrem Wort und Wesen nach, hielten ihren Einzug in das deutsche Vaterland.“37 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges versuchte Ludendorff, die neue Weimarer Republik aus ihrer Verankerung zu heben und politisch an seine militärischen Erfolge der Vergangenheit anzuknüpfen, scheiterte damit aber. Bedenkt man die Selbstwahrnehmung Hindenburgs, der in vielen Prozessen gegen Darstellungen vorging, die seine Rolle in wichtigen Schlachten des Weltkrieges relativiert hätten, dürfte es ihn besonders gegrämt haben, dass Hindenburg, gerade da dieser in der Vergangenheit so von Ludendorffs Leistungen profitiert hatte, eine erneute, diesmal politische Karriere als Reichspräsident vergönnt war. Natürlich war Ludendorff nach eigener Ansicht nie für eine wie auch immer geartete Niederlage seinerseits verantwortlich, und in seinen letzten Jahren entspann er ein Netz aus Verschwörungen gegen seine Person, die ihn vielmehr als geplagten und von einem Minderwertigkeitskomplex und damit einhergehenden Selbstzweifeln zerfressenen Wahnsinnigen denn als den „genialen Feldherren“ erscheinen lassen. Trotzdem blieb gerade der letztgenannte Aspekt seiner Karriere ein Momentum, das nach seinem Tod nicht vergessen wurde und teilweise noch bis heute ein wesentlicher Bestandteil des Ludendorff-Bildes geblieben ist. So erinnerte beispielsweise die Westfälische Landeszeitung in einem Gedenkwort am 9. April 1940, anlässlich des 75. Geburtstages, an die militärischen Erfolge des Ersten Generalquartiermeisters: „Je mehr wir Abstand gewinnen von dieser ­ größten Tragödie unseres Volkes, desto größer wird die Zahl derjenigen Deutschen werden, die die ganze Größe des Soldaten und den unsterb­ lichen Wert des Menschen Ludendorff gleichermaßen zu erfassen vermögen, der schon im Frieden als Unbekannter mit hellseherischem Weitblick sich um die Gewinnung höchster Wehrkraft seines Volkes mühte, um dann im Krieg fast von der ersten Stunde an Kopf und Herz der ringenden deutschen Front zu werden!“38 Anmerkungen 1 Eine Betrachtung der militärischen Rolle Ludendorffs im Ersten Weltkrieg liefern Venohr, Ludendorff, und Nebelin, Ludendorff.

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2 Mit der militärischen Zusammenarbeit Hindenburg-Ludendorff befassen sich ausführlich Asprey, The German High Command, vor allem S. 255–390, und Lee, The Warlords. 3 Nebelin, Ludendorff, S. 14–21. Eine Studie des Autors, die sich mit der Verzahnung von Militär und Politik im Leben und Wirken Erich Ludendorffs auseinandersetzt, ist in Vorbereitung: Jacob, Erich Ludendorff. Während umfangreiche historische Studien zu Leben und Wirken des Ersten Generalquartiermeisters immer noch nicht wirklich zahlreich sind, erfreuen sich apologetische und teilweise historisch verklärende Arbeiten scheinbar großer Beliebtheit. Ein Beispiel hierfür wäre die mittlerweile dritte Auflage von Uhle-Wettler, Erich Ludendorff, welche beim Ares Verlag in Graz erschienen ist. Für eine weitere, allerdings kurze biografische Einführung empfiehlt sich Fesser, Erich Ludendorff. 4 Ausführlich schildert Ludendorff diese in Ludendorff, Mein militärischer Werdegang. 5 Nebelin, Ludendorff, S. 31–35. 6 Ludendorff, Mein militärischer Werdegang, S. 4. 7 Nebelin, Ludendorff, S. 37. 8 Ludendorff, Mein militärischer Werdegang, S. 6. 9 Ebd. 10 Diese sind im Nachlass Ludendorff im BA-MA überliefert. Problematisch für die Beschäftigung mit dem Leben und Wirken des Ersten Generalquartiermeisters ist allerdings, dass sich der Hauptnachlass in Privathand befindet und bisher nicht wissenschaftlich ausgewertet werden konnte. 11 Nebelin, Ludendorff, S. 47. 12 Thoß, Ludendorff. 13 Brief Ludendorffs an die Eltern, Oktober 1893, BArch MArch N 77/17. 14 Ludendorff, Mein militärischer Werdegang, S. 33. 15 Nebelin, Ludendorff, S. 58. 16 Ludendorff, Brigade- und Divisionsmanöver. Das Buch erschien 1908 bei Mittler in Berlin und erreichte 1912 eine zweite Auflage. 17 Nebelin, Ludendorff, S. 61. 18 Im Zuge dieser zweijährigen Tätigkeit entstand auch das bereits erwähnte Buch zu Brigade- und Divisionsmanövern. Zur Zeit an der Kriegsakademie siehe: Ludendorff, Mein militärischer Werdegang, S. 105–109. 19 Nebelin, Ludendorff, S. 75. 20 Ebenda, S. 91. 21 Thoß, Ludendorff. 22 Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen, S. 1. Eine ausführliche Darstellung der Einnahme der belgischen Festung Lüttich findet sich ebd., S. 19–31, sowie in: Reichsarchiv (Hrsg.), Der Weltkrieg, Bd. 1, S. 108f. 23 Zur Schlacht von Tannenberg, auf die hier aus Platzgründen nicht im Detail eingegangen werden kann, siehe Nebelin, Ludendorff, S. 123–145, Pöhlmann, Tod in Masuren, und Showalter, Tannenberg. 24 Ludendorff, Tannenberg. 25 Ebd., S. 1. 26 Ebd. Den österreichisch-ungarischen Oberbefehlshaber Franz Conrad von Hötzendorf hatte Ludendorff in einem Brief an Moltke vom 2.1.1915 als „gelehrte[n] Offizier“ bezeichnet, der jedoch „kein großer Mann“ sei. Ludendorff an Moltke, 2.1.1915,

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BA-MA, N 77/2. Zur Einschätzung der verbündeten Truppen an der Ostfront siehe Ludendorff an Moltke, 27.1.1915, ebd. 27 Ausführlich und auf Basis aller verfügbaren Quellen behandelt wird diese Auseinandersetzung, die hier nicht en detail dargestellt werden kann, in Nebelin, Ludendorff, S. 173–216. 28 Ludendorff an Moltke, 2.1.1915, BA-MA, N 77/2. 29 Ludendorff an Moltke, 9.1.1915, BA-MA, N 77/2. 30 In einem Lagebericht vom 5.10.1918 betont Ludendorff noch einmal die Notwendigkeit, Streitigkeiten im Inneren zurückzustellen, um einen für Deutschland günstigen Frieden zu erreichen: „Deutschland wird in Kurzem [sic!] allein gegen die Welt in Waffen stehen. […] Das deutsche Volk hat das Anrecht auf ehrenvolle Bedingungen [für einen Frieden]. Es wird sie erreichen, je geschlossener es ist.“ Chef des Generalstabes des Feldheeres, Auffassung der Lage XIII, 6.10.1918, BA-MA, PH 3/1027. 31 Groß, Das Ende des Ersten Weltkriegs, S. 91. 32 Ebd., S. 93. 33 Ebd., S. 104. 34 Ebd., S. 108. 35 Die Zeit Ludendorffs in Schweden behandelt Cavallie, Ludendorff, S. 15–90. 36 Barth, Dolchstoßlegenden. 37 Ludendorff, Meine Kriegserinnerungen, S. 618. 38 „Erich Ludendorff, der Feldherr des Weltkrieges“, in: Westfälische Landeszeitung, 9.4.1940, in: BArch, NS 5-VI/17463.

Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv, Berlin-Lichterfelde (BArch), NS 5-VI/17463; Sammlung der Deutschen Arbeitsfront zu Personen des öffentlichen Lebens. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 77, Teilnachlass Erich Ludendorff, 40 Auf bewahrungseinheiten, hauptsächlich Korrespondenz und Fotos sowie handschriftliche Kriegserinnerungen. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Bestand RH 61 („Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt“): Zahlreiche Studien, die sich mit Ludendorff und seiner Operationsführung beschäftigen.

Veröffentlichte Quellen und Literatur Asprey, Robert B., The German High Command at War. Hindenburg and Ludendorff Conduct World War I, New York 1991. Barth, Boris, Dolchstoßlegenden und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933, Düsseldorf 2003.  Cavallie, James, Ludendorff und Kapp in Schweden: aus dem Leben zweier Verlierer, Frankfurt am Main 1995. Fesser, Gerd, Erich Ludendorff (1865–1937), in: Fröhlich, Michael (Hrsg.), Das Kaiserreich. Portrait einer Epoche in Biographien, Darmstadt 2001, S. 341–352. Groß, Gerhard P., Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Dolchstoßlegende, Ditzingen 2018. Jacob, Frank, Erich Ludendorff. Militär, Putschist, Sektierer, Stuttgart 2019. Lee, John, The Warlords. Hindenburg and Ludendorff, London 2005.

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GENERALFELDMARSCHALL AUGUST VON MACKENSEN

Ludendorff, Erich, Meine Kriegserinnerungen, 1914–1918, Berlin 1919. Ludendorff, Erich, Mein militärischer Werdegang. Blätter der Erinnerung an unser stolzes Heer, München 1933. Ludendorff, Erich, Tannenberg. Geschichtliche Wahrheit über die Schlacht, Berlin 1939. Nebelin, Manfred, Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München 2010. Pöhlmann, Markus, Tod in Masuren. Tannenberg, 23. bis 31. August 1914, in: Förster, Stig / Pöhlmann, Markus / Walter, Dierk (Hrsg.), Schlachten der Weltgeschichte. Von Salamis bis Sinai, 3. Aufl., München 2002, S. 279–293. Showalter, Dennis E., Tannenberg. Clash of Empires, 1914, Washington 2004. Thoß, Bruno, Ludendorff, Erich, in: Neue Deutsche Biographie 15 (1987), S. 285–290. Uhle-Wettler, Erich Ludendorff. Soldat – Feldherr – Revolutionär, 3. vollst. überarb. Auflage, Graz 2013. Venohr, Wolfgang, Ludendorff. Legende und Wirklichkeit, Frankfurt am Main 1993.

Generalfeldmarschall August von Mackensen von Theo Schwarzmüller

S

eit dem Ersten Weltkrieg kannte jedes Kind in Deutschland diese Feldherrnlegende in seiner Husarenuniform mit Pelzmütze und Totenkopfemblem: August von Mackensen. Schon zuvor hatte er eine außerordentliche und dennoch zeittypische Karriere im Kaiserreich gemacht. 1849 ohne Adelstitel als Sohn eines Gutsverwalters in der preußischen Provinz Sachsen geboren, besuchte er das Gymnasium in Torgau und die Franckeschen Stiftungen in Halle, ehe der Einjährig-Freiwillige 1869 beim 2. Leibhusarenregiment in Posen einrückte. Im Krieg gegen Frankreich erlebte er 1870 in der Schlacht von Wörth (Elsass) seine Feuertaufe und bejubelte am 18. Januar 1871 vor Versailles die Reichsgründung. Sein Vater schickte ihn an die Universität Halle, um Landwirtschaft zu studieren, doch der junge Reserveleutnant sattelte 1873 auf den Prestigeberuf der Epoche um: Offizier. Gesellschaftlich stieg Mackensen 1879 durch seine Heirat in der Königsberger Schlosskirche, Krönungsstätte der ­Hohenzollern, mit Doris von Horn, der Tochter des Oberpräsidenten von Ostpreußen, deutlich auf. 1880 gelangte er in den Generalstab unter dem alten Moltke und avancierte 1891 zu Schlieffens Adjutant. Politisch

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THEO SCHWARZMÜLLER

August von ­Mackensen auf einer Porträtaufnahme um 1914/15

linientreu, brillant im Aussehen und elegant im Benehmen, gewann er die allerhöchste Gunst. Wilhelm II. berief 1895 den Chronisten und Regimentschef der Danziger Husaren als ersten Bürgerlichen zu seinem Flügeladjutanten. Seiner Majestät Schatten begleitete den Imperator unter anderem nach Palästina und Norwegen. 1899 nobilitiert, hing dem Emporkömmling der Ruf an, ein „Hofmann“ und eine „Kreatur des Kaisers“ zu sein.1 Die Nähe zur Dynastie behielt der Reiterführer auch als Kommandierender General in Danzig und militärischer Ziehvater des Kronprinzen bei. Obwohl Mackensen die demokratischen Bestrebungen im Innern als bedrohlich empfand und in Reden nach außen mit dem Säbel rasselte, gelüstete ihn nicht nach einem Waffengang. Im 65. Lebensjahr plante er seinen Ruhestand. Den Kriegsaus­ bruch 1914 wünschte er erst in den

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l­etzten Stunden herbei. Am 31. Juli, dem letzten Friedenstag, schrieb er nach Potsdam an seinen Sohn Hans-Georg, den engsten Freund des Prinzen August-Wilhelm: „Was werden die nächsten Stunden bringen?! Das Gewitter, das über Europa liegt, muss sich entladen. Die seit einigen Tagen herrschende politische Schwüle ist nicht mehr zu ertragen. Eine befreiende Tat muss geschehen.“2 Als wäre ein Krieg so unvermeidlich wie ein Naturereignis und würde die Atmosphäre reinigen! Hass mache blind, schrieb der General der Kavallerie am Vorabend der Katastrophe, aber gemeint war nur die Blindheit der anderen. Den „Hass gegen Deutschland“ sah er im „Schlepptau des Panslawismus“. Die enthusiastische Stimmung der Volksmengen sei erhebend: „Ein Bismarck würde sie auszunutzen verstehen“, meinte er, obwohl man das Vermächtnis des Eisernen Kanzlers aufs Spiel setzte. Mackensen stellte die preußisch-deutsche Nation über alles, wollte ihre Zukunft waffenstarrend durch Stärke statt Ausgleich mit den Nachbarn garantieren. Dass staatsmännische Kunst hauptsächlich darin besteht, Interessen auszuloten und mühsam nach Kompromissen zu suchen, blieb ihm zeitlebens fremd. Der Heerführer, der bereits am Sieg bei Tannenberg beteiligt war, verfolgte zunächst keine expansiven Kriegsziele. Bis Anfang 1915 konnte von Annexionslust keine Rede sein. Sein Hauptmotiv dabei waren antisemitische und antipolnische Ressentiments. Das gerade eroberte Lodz wünschte der Generaloberst nicht zu behalten, „wie ich überhaupt gegen Landerwerb in Europa beim Friedensschluss bin. Hier und da mag man kleine Verbesserungen der Grenze vornehmen, aber sonst sich auf den Erwerb des Kongostaates beschränken.“ Er fürchtete, dass die Minderheitenprobleme im Reich sich verschärfen: „Ich meine, dass Deutschland schon Polen und Juden genug hat und sich nicht noch mehr, namentlich von den letzteren, hier besonders übler Sorte, aufladen sollte.“ Ende Februar hatte er bereits weniger Hemmungen, was den Westen und Kolonien anging: „Lüttich und Antwerpen können wir meinetwegen behalten und den Congostaat von Belgien dazu, aber nur nicht mehr Wallonen.“3 Am 2. Mai 1915 brach östlich von Krakau bei Gorlice ein Großangriff der Heeresgruppe Mackensen los. Erstmals in diesem Krieg gelang der frontale Durchbruch. Die Sommeroffensive der Mittelmächte verdrängte die russische Armee aus Mitteleuropa und erschütterte das Zarenreich in seinen Grundfesten. Am 23. Juni eroberte Mackensen die galizische Hauptstadt Lemberg zurück: „Es regnete Blumen wie nie in meinem Leben. Die Russenwirtschaft soll eine heilsame Lehre für die ganze Bevölkerung, namentlich für die jüdische, gewesen sein.“4 Der Preuße verachtete den

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Herrschaftsstil Habsburgs, der das Vielvölkerreich immerhin lange zusammenhielt. Die Regierung lasse eine starke Verwaltung nicht aufkommen: „Glücklicherweise denken die österreichischen Generale etwas anders: sie ließen sofort drei Lemberger Spione hängen.“ Die jüngeren Offiziere seien durch das oberflächliche Wiener Leben ebenso angekränkelt wie „weite Kreise des gebildet sein wollenden Österreichertums“, legte er in seiner Privatkorrespondenz allen Charme ab. Die Befreier wurden begeistert empfangen: „Namentlich die Juden haben sich und die Polen im Hurrarufen etc. überboten!“5 Seine Heeresgruppe stieß dahin vor, wo die meisten Juden lebten, in ihr dichtestes Siedlungsgebiet weltweit. Deren Sympathie erwiderte der neu gekürte Generalfeldmarschall nicht. Mit tiefer Abneigung begegnete er dem Bevölkerungsteil, der ein Vierteljahrhundert später dem nationalsozialistischen Rassenwahn zum Opfer fallen sollte. Antisemitisch gefärbte Zitate erschienen in seinen Briefen und Aufzeichnungen im Pogromjahr 1938.6 Ende August 1915, nach 500 Kilometern, erreichte der Vormarsch mit der Einnahme von Brest-Litowsk seinen Abschluss. „Hoffentlich kann ich dem Kaiser heute noch annähernd richtige und hohe Beutezahlen melden. Er will natürlich Zahlen sehen, ebenso wie das Volk“, so der Oberkommandierende am 26. beflissen. Tags drauf stellte er fest, dass die russische Armee die stark ausgebaute Festung geräumt und „fast ohne ernsten Kampf“ preisgegeben hatte.7 Sein Siegeslauf konnte den Tannenbergmythos nicht einholen, obwohl die Folgen weitreichender waren. Gorlice markierte den Anfang vom Ende des Zarenreichs. Die Agonie der Autokratie setzte ein. Anderthalb Jahre danach stürzte der Thron der Romanows; in Brest-Litowsk nahm die Sowjetregierung das deutsche Friedensdiktat an und legte die Grundlage für ihre Rolle im 20. Jahrhundert. Insofern trug dieser Heerführer zu weltgeschichtlichen Veränderungen bei. Er ahnte nicht, dass die Stunde der Wahrheit für das russische Kaiserreich nur einen historischen Augenblick früher schlug als für das deutsche. „Die Regierenden lassen die Wahrheit nicht an die Oberfläche kommen. Der Zusammenbruch wird einmal über Nacht sich ereignen“, unkte er Mitte 1915 – nur bezogen auf die Feindstaaten – noch äußerst selbstgewiss.8 Mackensen entwickelte sich zu einem relativ modernen Troupier.9 Anpassungsfähig reüssierte er mit sehr heterogenen Einheiten auf weiteren Schauplätzen, eroberte 1915 Belgrad und Serbien, 1916 den Großteil Rumäniens. Seine Heeresgruppe, der auch österreichisch-ungarische, bulgarische sowie türkische Soldaten unterstellt waren, öffnete

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den Landweg zum Osmanischen Reich und dehnte die deutsche Machtsphäre über den Balkan ans Schwarze Meer und zuletzt bis zur Krim aus. Professionalität, verbindliches Auf­treten und sein Nim­bus halfen über manche Probleme des Koalitionskrieges hinweg. Konträre territoriale Ziele sorgten für massive Spannungen. Mackensen wäre die Bulgaren am liebsten losgeworden. In seinen Privatbriefen bezichtigte er sie der Habgier, Hinterlist, Unbildung und Unkultur. Drastisch drückte der öffentlich gefeierte Bundesfeldherr seine Antipathie aus: „Ein Radikalmittel, wie eine Entlausungsanstalt gegen ein gewisses Ungeziefer, gibt es den ,treuen Verbündeten‘ gegenüber leider nicht.“10 Nach Moltkes Grundsätzen praktizierte er einen Führungsstil, der den Untergebenen ihren Freiraum ließ. Der Oberbefehlshaber arbeitete mit seinem jeweiligen Stabschef vertrauensvoll zusammen, vor allem mit einem fähigen Kopf wie Hans von Seeckt. Der Erfolg dieses Gespanns übertraf denjenigen der Rivalen Hindenburg-Ludendorff, die ihren Ruhm propagandistisch und politisch aber ungeniert ausschlachteten. Mackensen agierte hier eindeutig zurückhaltender, war vorrangig ein zupackender Truppenführer mit Jagdinstinkt, ein Feldherr mit Fortune – und nicht ohne Gewissen. Das Grauen und Leiden erreichte eine nie gekannte Dimension und schrie nach Sinngebung. Von „Massenmord“ schrieb Mackensen wiederholt an seine Frau und meinte angesichts der Todesraten, „man könnte von Menschenschlächterei sprechen“.11 Auch wenn die Mittelmächte schon aus Kalkül ihre Kräfte schonen mussten, weil sie nicht an die gegnerischen heranreichten, ging man von Anfang an über ungeheuer viele Leichen: „Die Verluste belasten mein Gemüt und jeder Infanterist, der kampfunfähig wird, bedeutet für uns eine ganz andere Gefechtseinbuße als bei den Russen.“12 Der Feldmarschall erlebte das Kriegsgeschehen aus der Perspektive der Generalstäbe, der massenhaften Verleihung von Orden, von Paraden und als Frontbesuche ausgegebenen Kaiservisiten. Jeden Tag blieb Zeit für Ausritte, Spaziergänge, Ausfahrten und jährlich etwa 1250 Privatbriefe. Trotzdem setzte ihm das alle Erfahrungen sprengende Sterben zu. Schuldkomplexe kompensierte er durch Aggressionen gegen die Politiker der Entente: „In die Schützenlinie mit den Kriegshetzern. Der Friede wird dann über Nacht kommen.“13 Mit der Einnahme von Bukarest am 6. Dezember 1916 – Mackensen fuhr dabei an seinem Geburtstag demonstrativ voraus – klang seine Laufbahn als Schlachtenlenker aus. Fast zwei Jahre lang herrschte der Besatzungschef in Rumänien fortan wie ein ungekrönter König, von seinen Soldaten vergöttert: „Heut’ hab ich Mackensen gesehen. Er ging mit

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ein paar hohen Offizieren etwa einen Schritt von mir vorbei. Er sieht ausgezeichnet aus, von Gesundheit strotzend, der weißbärtige Alte“, schrieb Rudolf Heß, der nachmalige Stellvertreter Hitlers.14 Aus dem Südosten rollten bald neben Nahrungsmitteln täglich bis zu 100 Waggons aller Arten Petroleum, insgesamt 1,2 Millionen Tonnen, nach Deutschland, das von den Ölquellen aus dem Karpatenvorland abhängig war. Als 1917 die Reichsleitung den uneingeschränkten U-Boot-Einsatz ­erklärte, begrüßte der Husarenmarschall diesen „rücksichtslosen“ Seekrieg: „Die Armee ist damit sehr einverstanden und die Mehrheit des Volkes wird es auch sein. Nur Leute ohne Wirklichkeitssinn und grundsätzliche Gegner der bestehenden Ordnung werden dagegen sein.“15 Der verhängnisvolle Schritt zog zwangsläufig die USA in den Globalkonflikt. „Militärisch kann Nordamerika uns nichts anhaben“, unterschätzte Mackensen krass das Potenzial der neuen Weltmacht. Bedingungslos vertraute er der Sprache der Gewalt: „Nur Macht und Kraft imponiert den Engländern und Amerikanern.“16 Ehrsucht und Aktionsdrang ertrugen es nicht, dem Stellungskrieg untätig und im Grunde hilflos zuzusehen. Der Preuße, zur Offensive erzogen, sei zur Defensive verurteilt: „Nur die ­Unterseeboote haben noch ein Feld für ihre Unternehmungslust.“17 Die russische Februarrevolution beobachtete Mackensen schadenfroh: „Wir können ruhig Zuschauer bleiben.“18 Nichts war übrig von der alten monarchischen Solidarität zwischen Preußen und Russland. Der Sturz des Zaren könne „der Anfang vom Ende des Krieges werden“. Mackensen spekulierte auf Hunger, Unordnung und den Zerfall des riesigen Imperiums: „Die Finnen, die Ukrainer, die Balten, die Kaukasier haben solche Gedanken.“ Die Wirrnisse versprachen ein Ende des Zweifrontenkriegs und die Vorherrschaft in ganz Osteuropa. Der Panslawismus werde weder Deutschland noch den Balkan weiter bedrohen können. Polen und die Ukraine könnten „brauchbare Puffer“ bilden.19 Die Wilhelmstraße jedoch sei matt und zu rücksichtsvoll, kritisierte Mackensen: „Die Diplomaten werden uns um die Früchte unserer Waffenerfolge bringen.“ Nach seiner Vorstellung waren die Staaten der gegnerischen Allianz einzeln auszuschalten: „Der Himmel bewahre uns vor einem Kongress. Sonderfrieden mit Russland. Das Verhältnis mit Rumänien regelt sich dann von selbst. Italien und Frankreich werden folgen.“ Amerika werde für Großbritannien nicht bluten, das allein den Kriegszustand nicht aufrechterhalten könne. „Bei geschickter und willenstarker Ausnutzung der Lage kann der Frieden in diesem Sommer erwirkt werden. Aber wo ist der Staatsmann, der den gordischen Knoten löst, unserer Opfer und Erfolge würdig!?“20

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Ein starker Mann sollte den Reichstag disziplinieren und jedwede Ver­ ständigungs­suche beschneiden. Der Durchhaltewille speiste sich auch aus der Erwartung, dass nur ein Siegfrieden das überkommene Herrschaftssystem bestätigen konnte. In der irrigen Ansicht, dass ihnen im Ersten Weltkrieg bloß ein Diktator gefehlt habe, liegt eine Ursache dafür, dass die kaiserlichen Eliten später Hitler in die Arme liefen. Die Führungsschwäche des wilhelminischen Reiches hing aber vielmehr damit zusammen, dass die Regierung noch immer nicht aus der Mitte des Parlaments kam und dass die Militärs den Primat der Politik missachteten. Auch Mackensen nahm aus dem Hintergrund durchaus Einfluss, etwa auf die Friedensverhandlungen in Bukarest 1918. Dass kurz vorher der Vertrag von Brest-Litowsk den Verzicht auf Annexionen verkündete und kleine Nationen ihre Eigenständigkeit bekommen sollten, begriff Mackensen lediglich als Instrument, um eine borussische Hegemonie zu trapieren: „Das proklamierte Selbstbestimmungsrecht der Völker bietet die Brücke dazu. Kurland, Südlivland und Litauen geben wir nicht wieder heraus. Vielleicht kommen Estland und das übrige Livland sogar noch dazu. Die Hauptsache ist, dass wir Riga behalten und das gesamte von Russland aufgegebene Land an der Ostsee zu einem Staat unter deutscher Oberherrschaft vereinigt wird.“21 Mit dem Verlierer sollte man knallhart verfahren: „Russland muss und will Frieden schließen. Wir sind die ­Sieger. Wenn seine Wortführer das nicht anerkennen wollen, dann soll man unserseits nur einfach ,Vorwärts! Marsch!‘ kommandieren. Zu einem ernsten Widerstand ist das zerrüttete Land nicht mehr fähig.“22 Wie Preußen-Deutschland mit eiserner Faust den Frieden im Osten aufzwang, diktierten die wahren Sieger ein Jahr später den Vertrag von Versailles. Die Gesamtlage verkannte Mackensen, weil er von der OHL und Berlin nach rückschauender Erkenntnis „so formalistisch“ mit Nachrichten versorgt worden sei, „dass mein Wissen von den inneren Vorgängen an der Westfront ein sehr unvollkommenes blieb“.23 Im Herbst 1918 fielen die Mittelmächte wie Dominosteine. EntenteVerbände durchbrachen bei Saloniki jene Stellungen, an denen der Serbienfeldzug Mackensens zum Halten gekommen war. Nun waren die Bulgaren dort auf sich gestellt. „Ihr Größenwahn hat einen tüchtigen Dämpfer bekommen“, meinte er selbstgefällig. Ohne Deutsche seien sie ohnmächtig. „Ein erheblicher Teil meiner Errungenschaften ist verloren.“ Ende des Monats streckte Sofia die Waffen, der bulgarische König Ferdinand dankte ab: „Der furchtsame Mann war mit seinen Nerven wohl fertig.“24 Während der Balkanexperte Mackensen noch nicht einmal

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­Makedonien für verloren hielt, forderte Ludendorff am 29. September überstürzt den sofortigen Waffenstillstand. Max von Baden bildete mit der Reichstagsmehrheit eine Regierung, für den Generalfeldmarschall „die Kapitulation des alten Preußen vor den Sozialdemokraten, den Heros­t raten unserer Größe“. Über Patrioten, die ein bankrottes Unternehmen retten wollten, behauptete er voller Vorurteile, sie hätten „kein vaterländisches Ziel, sondern nur Partei-Interessen und solche ihres persönlichen Ehrgeizes“.25 Er akzeptierte die Oktoberreformen nicht, mit denen die Kommandogewalt des Kaisers fiel: „Der Parlamentarisierung der Regierung folgt nun auch die Politisierung der Armee. Alles, was Deutschland groß gemacht hat, wird vernichtet. Dem Reichstag den Eid der Treue zu schwören, würde ich niemals übers Herz bringen können“, erklärte Mackensen hochmütig: „Dass die siegreiche Armee sich so etwas gefallen lassen muss! … Und diese Leute regieren jetzt Deutschland und bessern an dem Staat und Werk Bismarcks herum.“26 Das Ersuchen der neuen Regierung um Waffenruhe an Präsident Wilson, das der Marschall als „Antrag auf Kapitulation“ auffasste, überraschte ihn.27 Stets hatte man sich auf der Siegesstraße gewähnt, jetzt riss ein Abgrund auf. Hindenburgs OHL war militärisch und politisch gescheitert, verstand es allerdings generalstabsmäßig, sich aus der Verantwortung zu stehlen und den „Novemberverbrechern“ alle Schuld zuzuschieben. Die Unfähigkeit, der Selbstzerstörung Europas ein Ende zu machen, der Wahn von der eigenen Unbesiegbarkeit und Auserwähltheit hatten zum Kollaps geführt. Die Niederlage traf Mackensen unvorbereitet, weil er ihre Möglichkeit verdrängt hatte. Dem Obrigkeitsstaat innig zugetan, fühlte er sich heimatlos. Der Ab­sturz aus hochfliegenden Träumen fiel mit dem Verlust Danzigs zusammen. Eine Phase des Fatalismus folgte. Nie konnte und wollte er verstehen, warum die Autokratien den parlamentarisch regier­ ten Staaten unterlegen waren. Die Träger des Kaiserreichs zeigten sich unfähig zum Umdenken. Verbittert betrauerte der Marschall am 11. November, dem Tag des Waffenstillstands, das Ende der Monarchie: „Ich habe keinen König und Kaiser mehr, auch kein Vaterland, dem mein Stolz und Herz gehört, und selbst die Armee, der Fels unseres bisherigen Staates, die Säule meines unbedingten Vertrauens, scheint dem Untergang geweiht.“ Deutschland werde wieder zu einem geografischen Begriff herabsinken, meinte er resigniert. Von Anfang an stellte er die Weimarer Republik unter Vorbehalt und gab ihr nur eine mittlere Frist, womit er annähernd richtigliegen sollte. „Die Französische Revolution lief sich ja auch nach etwa zehn Jahren tot und

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die Gegenwart lebt schneller“, schrieb er seinem Sohn. Der lautlose, fast unbemerkte Abgang der uralten Dynastien irritierte den Monarchisten. Nicht ein Fürst habe sich ermannt, „dem Terror einer Handvoll von politischen Phantasten Trotz zu bieten“, monierte er. „Alle Herren haben nichts Besseres zu tun gehabt als beim ersten Sturmwehen ihren Thron aufzugeben.“28 Von dieser Kritik nahm er lediglich Wilhelm II. aus. Darin liegt ein Unterschied zu anderen Offizieren, die dem Obersten Kriegsherrn vorwarfen, die Armee verlassen und sich wie ein Fahnenflüchtiger ins Ausland abgesetzt zu haben. Mackensen beklagte den Kaisersturz als das „bedeutendste Opfer“.29 Vorwürfe gegen die Revolution verdeckten, dass die Armee de facto Wilhelm geopfert hatte. Hindenburg und dessen neuer Erster Generalquartiermeister Groener hatten den Kaiser genötigt, ins Exil zu gehen. Man erhoffte sich bessere Friedensbedingungen und den Erhalt der eigenen Macht. Während Mackensen sich später sehr vorsichtig von Hindenburgs „Zurückhaltung“ distanzierte, schimpfte er umso ungehaltener über die „Schändung des Generalsrocks“ durch Groener. Der Nachfolger Ludendorffs hatte dem letzten Kaiser eröffnet, dass das Heer nach Aussage der Frontkommandeure nicht mehr hinter ihm stehe, und organisierte das Abkommen der OHL mit der Regierung Friedrich Eberts. Groener stammte aus Württemberg, und der SPD-Vorsitzende aus Heidelberg erschien Mackensen ohnehin suspekt: „In Preußen und Deutschland nahmen süddeutsche Demokraten und noch schlimmere Leute das Wort“, schaute er stets zurück im Zorn.30 Auf dem Rückzug aus Rumänien empfand er es als „bittere Pille“, mit Soldatenräten verhandeln zu müssen. Zähneknirschend kooperierte er mit Berlin, weil er mit der Möglichkeit rechnete, dass Ebert von den Kommunisten (der „radikalen Richtung Liebknecht“) abgelöst werden würde. „Das macht es mir zum Gebot der Stunde und zur Pflicht, die derzeitige Regierung zu stützen und alle Gedanken und Handlungen dieser Pflicht unterzuordnen.“31 Er müsse mit sich ringen, dass „das Unglück mich nicht schwermütig und lebensüberdrüssig macht“. Der Kaiser und der Kronprinz nach Holland, Ludendorff nach Schweden geflüchtet – auch Mackensen dachte an Emigration: „Aber welches Ausland soll ich wählen?“32 Er wurde in Ungarn, anschließend von den Franzosen in Saloniki interniert. Erst am 1. Dezember 1919 kehrte der prominenteste Kriegs­ gefangene heim ins Reich. Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Dienst spielte der nationale Heros eine bedeutsame Rolle. Offen bekämpft hat Mackensen die Weimarer Republik zunächst nicht. Von Aktionismus hielt er sich fern. In einem

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altpreußischen Geist wusste er den Drang zu zügeln, an die Spitze des Staates zu treten, wie es Admiral von Horthy in Ungarn, Pilsudski in Polen oder Hindenburg in Deutschland taten. Als Wilhelm II. aus dem Doorner Exil im August 1920 einen Umsturz anzetteln wollte, spielte sein designierter „Diktator“ Mackensen nicht mit.33 Abenteuer wie der kurz zuvor gescheiterte Kapp-Putsch oder der Hitler-Ludendorff-Coup 1923 erschienen ihm unzeitig. Den ehemaligen Monarchen bat er um Geduld. Es müsse „mit Deutschland und in Deutschland vielleicht erst noch schlimmer verfahren werden“.34 Dieser Attentismus entsprach der Haltung der Reichswehr unter Seeckt. Mackensen schwebte durchaus eine Diktatur unter dem Dach des Hauses Hohenzollern vor, ähnlich wie in Italien. Wichtiger als eine Restauration erschien selbst ihm die Zukunft von Reich und Armee. Er spürte, dass die wilhelminische Führungsklasse viel Kredit eingebüßt hatte und die Stunde für einen Volksführer schlagen würde: „Wir Alten sind von vornherein der verhetzten Masse verdächtig!“35 Der Feldmarschall dachte eher an August Winnig, Oberpräsident von Ostpreußen, der wie Mussolini vom linken ins rechte Lager gewechselt war. Nach dem Wahlsieg Hindenburgs 1925 gehörte sein Rangkollege zur Kamarilla um den Reichspräsidenten. Zögernd brachte Mackensen, bedrängt von den Antirepublikanern, deren massive Forderungen vor. Hindenburg litt unter der Gegnerschaft seiner alten Kameraden. Sie bear­ beiteten ihn hartnäckig, „nach rechts“ zu regieren. Ab 1930 gab der Ersatzkaiser dem Drängen zunehmend nach. Intrigen und Attacken aus dem von Mackensen geleiteten Generalstabsverein unterhöhlten auch die Position von Reichswehr- und Innenminister Groener, der als Inbegriff für den Kompromiss zwischen Bürgertum und SPD galt. Während die Rechte immer fanatischer gegen Weimar vorging, ließ sich Mackensen als Zugpferd einspannen. Landauf, landab trat dieser „Militärstar“ (Kurt Tucholsky)36 bei Kriegerfesten, Fahnenweihen oder Aufmärschen in Erscheinung und wurde zur Integrationsgestalt der rechten Fundamentalopposition, die zusammen mit der extremen Linken die politische Mitte aufrieb. Er stand keineswegs über den Parteien, wie er gerne behauptete, sondern unterstützte Hugenbergs Deutschnationale und Franz von Papen. Als Galionsfigur der „Kampffront Schwarz-Weiß-Rot“ wurde Mackensen 1933 zum Repräsentanten der Steigbügelhalter Hitlers. Der populäre Haudegen verkörperte die Kontinuität der alten Eliten und trug deren Bündnis mit der braunen Bewegung mit. Dabei war er sich noch 1932 der Gefährlichkeit der Nationalsozialisten klar bewusst: „Eine unreife, aufgeblasene,

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taktlose Gesellschaft unter verantwortungslosen Führern.“37 Am Tag von Potsdam bejahte er aber die „Vernunftehe“.38 Dem Preußischen Staatsrat sowie den Provinzialräten von Pommern und Brandenburg gehörte er mit SA- und SS-Schergen an. Nach dem Tod des Reichspräsidenten 1934 diente er bereitwillig als eine Art „Ersatz-Hindenburg“. An Heldengedenktagen schritt er neben dem Weltkriegsgefreiten Hitler symbolträchtig her. Als Aushängeschild gefragt, lieh er der Terrorherrschaft einen Tarnmantel von Tradition und Respektabilität. Er sei der „Edel-Preuße“ des „Dritten Reichs“ gewesen, so Otto von Habsburg.39 Von den Gewaltherrschern nahm er – zur Enttäuschung seines früheren Kaisers – höchste Ehrungen entgegen, so 1935 von Göring die Domäne Brüssow in der Uckermark. Sein Ältester, Hans-Georg, Schwiegersohn von Außenminister Neurath, war ein begeisterter Botschafter des Nationalsozialismus, erst in Ungarn und zuletzt beim Achsenpartner in Rom. Sein Jüngster, Eberhard, trat als Wehrmachtsgeneral in die Fußstapfen des Vaters. Dessen Verhältnis zur NSDAP und ihrem totalitären Anspruch war keineswegs spannungsfrei. Der Protestant wirkte 1937/38 verdrossen über den Kirchenkampf. Doch 1939 folgte dieser letzte königlich-preußische Feldmarschall, der die Niederlage im Ersten Weltkrieg nie akzeptiert hat, ergeben und revanchelustig dem Führer in den Zweiten. Intern wandte sich Mackensen 1940 gegen NS-Gräuel in Polen. Ein vom christlichen Ethos geprägtes Erbe bewahrte ihm einen Rest Würde, aber an Hitler und den Endsieg glaubte er bis zur bitteren Neige. Stauffenbergs Attentat 1944 verurteilte er, obwohl er mit Verschwörern wie General Beck oder Heinrich Graf Dohna befreundet war. Hochbetagt und tief deprimiert musste der treue Husar noch den Untergang seiner Welt erleiden und 1945 vor der Roten Armee fliehen. Er starb heimat- und mittellos am 8. November bei Celle. Seine Biografie kann als Signatur für Aufstieg und Fall des preußisch-deutschen Nationalstaats gelten. In der Weltsicht und Denkweise jener Schicht, für die August von Mackensen stand, hatte das Scheitern des Bismarckreiches von 1871 seine Wurzeln. Anmerkungen 1 „Der alte Herr“, Teil XVI, von einem Stabsoffizier, Die Weltbühne 16/1 (1920), S. 237. Die Anmerkungen konzentrieren sich auf Zitate; ausführliche Angaben siehe Schwarzmüller, Zwischen Kaiser und „Führer“. 2 Die insgesamt rund 4000 Briefe zwischen Vater und Sohn hat der Autor in Wuppertal entdeckt, erstmals für seine Doktorarbeit ausgewertet und an das BA-MA Freiburg abgegeben.

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3 Briefe an Hans-Georg von Mackensen vom 10.1., 3.4. und 25.2.1915. 4 Brief an seine (zweite) Frau Leonie (geb. von der Osten) vom 6.7.1915. Privatbesitz, vgl. auch Mackensen, Briefe und Aufzeichnungen. 5 Brief an Hans-Georg von Mackensen vom 25.6.1915. 6 Mackensen, Briefe und Aufzeichnungen. 7 Briefe an seine Frau vom 26. und 27.8.1915. 8 Brief an seine Frau vom 10.7.1915. 9 Vgl. das Kapitel „Der Pyrrhus der Mittelmächte“ in: Schwarzmüller, Zwischen Kaiser und „Führer“, S. 119–143. 10 Brief an Hans-Georg von Mackensen vom 2.7.1917. 11 Briefe an seine Frau vom 10.1. und 23.3.1915. 12 Briefe an seine Frau vom 12.3.1915 und 26.10.1914. 13 Brief an seine Frau vom 18.8.1917. 14 Hess an Klara und Fritz Heß, 15.12.1916, zitiert nach Heß, Rudolf, Briefe 1908–1933, hrsg. von Wolf Rüdiger Heß, München / Wien 1987, S. 189. 15 Brief vom 2.2.1917 an seine Frau. 16 Brief vom 27.2.1917 an Hans-Georg von Mackensen. 17 Brief vom 16.3.1915 an seine Frau. 18 Brief vom 18.3.1917 an Hans-Georg von Mackensen. 19 Briefe vom 20.3. und 25.6.1917 an seine Frau. 20 Brief vom 3.5.1917 an seine Frau. 21 Brief vom 5.1.1918 an seine Frau. 22 Brief vom 6.1.1918 an seine Frau. 23 Brief vom 18.3.1922 an den ehemaligen Kronprinzen Wilhelm, BA-MA, N 39/42. 24 Briefe vom 19. und 24.9.1918 an Hans-Georg von Mackensen sowie vom 5.10.1918 an seine Frau. 25 Briefe vom 7. und 8.10.1918 an seine Frau. 26 Briefe vom 26. und 31.10.1918 an seine Frau. 27 Brief vom 7.10.1918 an seine Frau. 28 Briefe vom 19.11.1918 an seine Frau und vom 19.11.1918 sowie 4.4.1919 an den Sohn. 29 Brief vom 27.1.1919 an Hans-Georg von Mackensen. 30 Brief vom 18.1.1918 an den ehemaligen Kronprinzen, BA-MA, N 39/42. 31 Brief vom 28.11.1918 an seine Frau. 32 Brief vom 15.11.1918 an seine Frau. 33 Vgl. Schwarzmüller, Zwischen Kaiser und „Führer“, S. 188f. 34 Brief vom 21.8.1920 an Wilhelm II., BA-MA, N 39/39. 35 Brief vom 19.8.1920 an Hans-Georg von Mackensen. 36 Tucholsky, Kurt, Gesammelte Werke, Bd. 5, Reinbek 1975, S. 172. 37 Brief vom 1.10.1932 an Hans-Georg von Mackensen. 38 Brief vom 9.3.1933 an Hans-Georg von Mackensen. 39 Mündliche Auskunft Otto von Habsburgs vom 20.1.1995 an den Verfasser.

Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass August von Mackensen, N 39, 719 Auf bewahrungseinheiten, darunter Korrespondenz mit seinem Sohn Hans-Georg 1893–1945, N 39/520 bis 532, sowie Korrespondenz mit seiner zweiten Frau, N 39/484, N 39/497 und N 39/534, Unterlagen zur Militärlauf bahn und zur Familiengeschichte sowie 76 Tagebuchbände von 1865–1942.

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GENERALOBERST HELMUTH VON MOLTKE (DER JÜNGERE)

Veröffentliche Quellen und Literatur (Vgl. das umfangreiche Literatur- und Quellenverzeichnis in Schwarzmüller, Mackensen.) Borodziej, Wolodzimierz / Górny, Maciej, Der vergessene Weltkrieg, Europas Osten 1912– 1923, Darmstadt 2018. DiNardo, Richard, Modern Soldier in a Busby. August von Mackensen 1914–1916, in: Neiberg, Michael S. (Hrsg.), Arms and the Man. Military History Essays in Honor of Dennis Showalter, Leiden 2011, S. 131–168. DiNardo, Richard, Breakthrough: The Gorlice-Tarnow Campaign 1915, Santa Barbara 2010. DiNardo, Richard, Invasion: The Conquest of Serbia 1915, Santa Barbara 2015. Lüdicke, Lars, Constantin von Neurath. Eine politische Biographie, Paderborn 2014. Machtan, Lothar, Der Kaisersohn bei Hitler, Hamburg 2006. Mackensen, August von, Briefe und Aufzeichnungen des Generalfeldmarschalls aus Krieg und Frieden. Bearbeitet und mit geschichtlichem Begleittext versehen von Wolfgang Foerster, Leipzig 1938. Schwarzmüller, Theo, Zwischen Kaiser und „Führer“. Generalfeldmarschall August von Mackensen, durchgesehene Taschenbuch-Ausgabe, München 2001.

Generaloberst Helmuth von Moltke (der Jüngere) von Annika Mombauer

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elmuth von Moltke (der Jüngere) war seit über acht Jahren Generalstabschef des preußischen Generalstabs, als im Sommer 1914 der Krieg ausbrach. Unter seiner Leitung war der Kriegsplan entwickelt worden, der 1914 zum Einsatz kam; unter seiner Führung vollzog sich Anfang August der deutsche Aufmarschplan. Nicht zuletzt aufgrund seiner Versicherung, dass Deutschland einen Konflikt werde gewinnen können, ließ sich die deutsche Reichsleitung auf einen europäischen Krieg ein. Trotz dieser Schlüsselposition ist Moltke in der Historiografie lange Zeit übersehen worden. Wenn der Name Moltke fällt, ist fast immer sein bekannterer (und erfolgreicherer) Onkel Helmuth von Moltke gemeint. Moltke stand allerdings nicht nur im Schatten seines Onkels. Andere berühmte Kollegen und Zeitgenossen, wie beispielsweise Erich von Falkenhayn, Wilhelm Groener, Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg,

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sind weitaus geläufigere Charaktere – nicht zuletzt, weil sie, anders als Moltke, den Krieg überlebten und danach ihre Memoiren veröffentlichten. Oft geschah dies auch auf Moltkes Kosten, denn die ehemaligen militärischen Führer wollten Deutschlands Niederlage von sich auf andere schieben. Helmuth Johannes Ludwig von Moltke1 wurde am 25. Mai 1848 in Gersdorf in Mecklenburg-Schwerin geboren. Seine Armeekarriere begann am 1. April 1869 mit dem Eintritt in das Füsilier-Regiment 86 und danach in das Grenadier-Regiment König Wilhelm I. (2. Westpreußisches) Nr. 7. Im Alter von 22 Jahren kämpfte er im Deutsch-Französischen Krieg, unter anderem in den Schlachten von Weißenburg, Wörth und Sedan, und nahm an der Belagerung von Paris teil.2 Im September 1870 wurde er zum Leutnant befördert. 1872 trat er in das Erste Garderegiment zu Fuß ein und wurde 1877 zum Oberleutnant befördert. Zwischen 1875 und 1878 wurde er an der Kriegsakademie in Berlin aus­ gebildet, 1880 in den preußischen Generalstab aufgenommen und avancierte 1881 zum Hauptmann. Bis zu diesem Punkt war dies keine ungewöhnliche militärische Karriere für einen Mann seiner Herkunft. 1882 wurde er dann aber zu einer Position à la Suite als zweiter Adjutant seines Onkels in den Generalstab berufen und wurde somit Adjutant des Generalstabschefs. 1888 wurde er erster Adjutant und kurz darauf zum Major befördert. Nach dem Tod des älteren Moltke wurde er 1891 diensttuender Flügeladjutant des Kaisers und war in dieser Rolle in fast täglichem Kontakt mit Wilhelm II. Dadurch entwickelte sich eine engere Beziehung zwischen Moltke und dem Kaiser. 1893, inzwischen zum Oberstleutnant befördert, wurde Moltke Kommandeur der Schlossgarde-Kompanie und 1896, jetzt als Oberst, kommandierte er das Kaiser Alexander Garde Grenadier Regiment Nr. 1 in Berlin. Gleichzeitig wurde er Generaladjutant des Kaisers. Als man 1904/05 daran dachte, den alternden Generalstabschef Alfred von Schlieffen zu ersetzen, war diesem niemand als sein Nachfolger recht, auch nicht Helmuth von Moltke, den der Kaiser überraschend zum neuen Generalstabschef ernannt hatte. Als langjähriger Adjutant hatte Moltke keine normale Generalstabskarriere hinter sich gebracht; er war nie Stabschef eines Armeekorps gewesen. Trotzdem hatte er 1902 den Rang eines Generalleutnants und 1904 den Rang eines Generalquartiermeisters erreicht. Von vielen Zeitgenossen und in der Presse wurde die Wahl kritisiert, woran man sich später oft erinnern würde, um zu „beweisen“, dass Moltke

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Helmuth von Moltke (der Jüngere) auf einer Porträtaufnahme um 1907

der falsche Kandidat gewesen war. Moltke selbst hatte Zweifel, ob des Kaisers Wahl aus gutem Grund auf ihn gefallen war, und fürchtete, dass sein berühmter Name ihm zu dieser Beförderung verholfen hatte. So fragte er den Kaiser sogar, ob dieser hoffte, in derselben Lotterie zweimal gewinnen zu können – eine Anspielung auf die Tatsache, dass der ältere Moltke die „Einigungskriege“ für das Deutsche Reich gewonnen hatte.3 Tatsächlich war Moltke als Generalstabschef, im Januar 1906 ernannt, einflussreicher und effektiver, als man es ihm später zugestehen wollte. So bestand er zum Beispiel darauf, dass der Kaiser in den sogenannten Kaisermanövern nicht mehr zwangsläufig gewinnen musste, wie es bisher der Fall gewesen war, und auch die sinnlosen Kavallerie-Attacken des Monarchen sollten ein Ende haben. Diese Tradition hatte die Manöver als Training nutzlos gemacht, jetzt sollten aber beide Seiten eine faire Chance haben, ein Manöver zu gewinnen, ob mit oder gegen den Kaiser. Moltke drohte sogar, sein Amt niederzulegen, wenn diese Änderungen nicht durchgeführt wurden.4 Dies war eine bedeutende Verbesserung im

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Vergleich zu den Manövern unter Schlieffen, wie auch ausländische Beobachter bemerkten. Aber die wichtigste Veränderung unter Moltkes Leitung betraf den deutschen Kriegsplan. Schlieffen hatte noch kurz vor seiner Verabschiedung einen Aufmarschplan (später dann Schlieffen-Plan genannt) zu Papier gebracht und seinem Nachfolger vererbt, der diesen auch lange Zeit unverändert beibehielt. Aber ab 1908/09 passte Moltke den Plan den sich ändernden äußeren Umständen an, sodass der Aufmarschplan, mit dem Deutschland dann 1914 tatsächlich in den Krieg zog, wohl besser als „Moltke-Plan“ tituliert werden sollte. Im Gegensatz zu Schlieffen, der seinen Plan unter ganz anderen Umständen entwickelte (so war zum Beispiel 1905 Russland nach seiner Niederlage gegen Japan als potenzieller Gegner weggefallen), musste Moltke zunehmend mit der drohenden Übermacht der Verbündeten Frankreich und Russland rechnen und realistisch mit den Kräften planen, die Deutschland tatsächlich im Ernstfall zur Verfügung standen. Auch war er nicht davon überzeugt, dass Frankreich im kommenden Krieg defensiv bleiben würde, und plante deshalb die Verteidigung des oberen Elsass am Rhein mit bis zu acht Armeekorps. Diese Verlagerung des Aufmarschschwerpunktes von Schlieffens rechtem zum linken Flügel wurde Moltke später schwer angelastet; tatsächlich passte er aber den Plan nur den sich ändernden Umständen an. Moltke wollte keine Feinde auf deutschem Boden dulden, und änderte deshalb den Aufmarsch im Westen und im Osten. Außerdem wollte er für den Fall eines langen Krieges die Neutralität der Niederlande bewahren, um diese als „Luftröhre“ für Deutschland benutzen zu können. Für ihn war die Verletzung der neutralen Niederlande keine militärische Notwendigkeit, und er wollte unter allen Umständen vermeiden, dass deutsche Truppen niederländisches Gebiet betraten. So änderte er den deutschen Aufmarschplan entschieden, und 1914 mussten die deutschen Armeen durch einen schmalen Korridor nach Belgien vorrücken; die Neutralität der Niederlande wurde tatsächlich bewahrt, der schnelle Einfall nach Belgien auf dem Weg nach Frankreich wurde allerdings durch diese Maßnahme erschwert.5 Ab 1913 wurde unter Moltkes Führung kein Alternativplan für einen Ostaufmarsch mehr vorbereitet; Moltke war sich sicher, dass ein solcher Plan unter den gegebenen außenpolitischen Konstellationen nicht mehr durchführbar war. So gab es dann im Sommer 1914 nur den einen Aufmarschplan – den Moltke-Plan. In den Jahren vor dem Kriegsausbruch war Moltke also bemüht, die deutschen Armeen effektiv auf einen bevorstehenden Krieg vorzuberei-

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ten. Er war sich nicht sicher, ob Deutschland gegen die ihm zahlenmäßig überlegenen Nachbarn einen Krieg siegreich würde führen können, wusste aber, dass die russischen Heeresvermehrungen langzeitlich einen deutschen Sieg unmöglich machen würden. Deshalb sprach er sich mehrfach für einen Krieg „je eher, desto besser“ aus.6 Der Krieg, den Moltke den Zivilisten durchaus schmackhaft gemacht hatte, indem er einen deutschen Sieg prophezeite, wurde im Sommer 1914 Realität. Trotz seiner einflussreichen Stellung waren Moltke aber letztendlich die Hände gebunden; der Kaiser war als Oberster Kriegsherr in der Lage, sich in alle Entscheidungsprozesse einzumischen – was er auch gerne und oft tat, mit verheerenden Konsequenzen für Moltke. Der erste, entscheidende Eingriff Wilhelms II. erfolgte am 1. August. An diesem Tag wurde Moltke zum Kaiser ins Schloss befohlen. Dort ereignete sich eine Szene zwischen Generalstabschef und Kaiser, die auf Moltke eine langwierige Wirkung haben sollte. Durch eine Fehlmeldung aus London (Großbritannien wolle angeblich neutral bleiben, wenn Deutschland Frankreich nicht angriff) beschloss der Kaiser, „seine Truppen“ nur im Osten gegen Russland aufmarschieren zu lassen. Für dieses Szenario gab es aber keinen Aufmarschplan mehr, und Moltke erklärte, dass es unmöglich wäre, diese Truppenverschiebung vorzunehmen. Die daraufhin entstandenen hitzigen Streitigkeiten belasteten Moltke zutiefst. Nach der Auseinandersetzung mit dem Kaiser „war Moltke ein anderer Mensch“ und „bis ins Mark getroffen“, betonte seine Frau in der Rückschau.7 Tatsächlich war der Kriegsausbruch für Moltke ein Desaster. Nicht etwa, weil nun ein europäischer Krieg begann – diesen hatte Moltke wiederholt herbeigewünscht –, sondern weil der Kaiser und die Zivilisten in der letzten Stunde die sorgfältig gemachten Pläne über den Haufen werfen wollten. Moltkes Schilderung der Vorgänge im Schloss gibt sicherlich nicht in vollem Umfang den Schock wieder, den er an jenem 1. August erlitten hatte. „Es ist unmöglich, die Stimmung zu schildern, in der ich zu Hause ankam. Ich war wie gebrochen und vergoß Tränen der Verzweiflung.“ Seine Stimmung während der Konfrontation mit dem Kaiser war ebenso verzweifelt: „Mir war zumut, als ob mir das Herz brechen sollte.“8 Laut Wilhelm von Dommes, der Moltke an diesem Abend sah, war Moltke auf’s Höchste aufgeregt und „dunkelrot im Gesicht“.9 Dies war kein vielversprechender Auftakt zum Krieg, und es sollte noch schlimmer kommen. Nach anfänglichen Erfolgen an der Westfront erforderte die Marneschlacht im September 1914 schwierige Entscheidungen

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vom Generalstabschef. Moltke hatte Truppen von West nach Ost verschoben, als bei Tannenberg eine Niederlage drohte. Diese Truppen kamen letztendlich zu spät im Osten an, um dort noch erfolgreich eingreifen zu können, wurden aber dann während der Marneschlacht im Westen ­vermisst. Der Feind drohte durchzubrechen, und um das Schlimmste zu vermeiden, ordnete der Generalstabschef den ersten Rückzug an der Westfront an. Dies stellte man später als den Anfang vom Ende des sogenannten Schlieffen-Plans dar. Sicherlich war es der Anfang des sich nun entwickelnden Stellungskriegs. Die Entscheidung, die 4. und 5. Armee im Westen zurückzunehmen, beschrieb Moltke als den „schwerste[n] Entschluß meines Lebens, der mich mein Herzblut gekostet hat“. Am 13. September erklärte er dem Kaiser den Grund für den Rückzug, und er schrieb später: „Ich muß zugeben, daß meine Nerven durch alles, was ich erlebt hatte, sehr herunter waren und daß ich wohl den Eindruck eines kranken Mannes gemacht habe.“10 Am 14. September wurde er abgesetzt und durch Erich von Falkenhayn ersetzt. Er blieb aber pro forma noch im Amt, ein Zustand, den Moltke als „Martyrium“ beschrieb. Nach Moltkes Absetzung notierte Moriz von Lyncker in seinem Tagebuch, dass Moltkes „Nerven der Situation nicht gewachsen waren“.11 Ein anderer Augenzeuge berichtete von dem „niederschmetternden Eindruck“, den Moltke auf ihn gemacht hatte. Seine Nerven seien völlig zerrüttet und er sei unfähig gewesen, mit seinen stark zitternden Fingern auf der Karte Positionen zeigen zu können.12 Aus diesen und anderen Augenzeugenberichten geht klar hervor, dass Moltke einen Schock erlitten hatte. Solch nervliche Belastungen hatten auch körperliche Folgen. Ende Oktober erkrankte Moltke ernsthaft an einer Gallen- und Leberentzündung und war bettlägerig. „Die seelische Aufregung der letzten Wochen, meine verzweifelte Stimmung und Lage hatten auf den physischen Organismus krankheitsbildend eingewirkt“, meinte er später.13 In der ihm verbleibenden Zeit zwischen seiner Absetzung im September 1914 und seinem Tod im Juni 1916 fungierte er als Chef des stellvertretenden Generalstabs in Berlin. Er warnte wiederholt vor zukünftigen Ernährungsschwierigkeiten für das deutsche Volk und sagte „eine wirtschaftliche Katastrophe“ voraus14 – Kassandra-Rufe, die von der Obersten Heeresleitung und vom Reichskanzler nicht beachtet wurden. Die meisten seiner Kritiker waren sich einig: Moltkes Unfähigkeit, dem Druck des Krieges standzuhalten, hatte zu Deutschlands Niederlage geführt. Die Marneschlacht wird in dieser Interpretation zum Anfang vom

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Ende der deutschen Siegeschancen und Moltke zum Initiator der Niederlage vom September 1914. In der Nachkriegszeit stand der jüngere Helmuth von Moltke symbolhaft für das Scheitern des Schlieffen-Plans während der Marneschlacht. Seine Entscheidung, Truppen vom rechten Flügel der im Westen angreifenden Armeen nach Osten zu schicken, wo die deutschen Truppen mit einem drohenden russischen Durchbruch konfrontiert waren, habe das sichere Siegesrezept Schlieffens verspielt. Ein weiterer Stein des Anstoßes waren seine Änderungen am Aufmarschplan. Mit seinen Entscheidungen habe Moltke Deutschlands Chance auf einen schnellen Sieg im Westen verspielt, und damit auf einen Gesamtsieg gegen die das Land „einkreisenden“ Feinde Frankreich, Großbritannien und Russland, so das Urteil seiner Kritiker nach dem verlorenen Krieg.15 Moltkes zeitgenössische Kritiker hatten mehrere Motive. Sie wollten die unfassbare Niederlage erklärbar machen; gleichzeitig wollten sie sich selbst von Verantwortung für die Niederlage befreien. So war die Nachkriegsliteratur auch „Bewältigungsliteratur“.16 Dabei ist allerdings wichtig zu bemerken, dass gerade die strengsten Kritiker der Moltke’schen Kriegsplanung (wie zum Beispiel Wilhelm Groener) vor dem Krieg selbst mit an diesen Plänen gearbeitet und während ihrer Zeit im Generalstab diesen Planungen nicht kritisch gegenübergestanden hatten.17 Als es nach dem verlorenen Krieg darum ging, sich mit der Niederlage zu arrangieren, einigte man sich schnell, dass der Krieg unter Schlieffens Leitung besser ausgegangen wäre. In der Nachkriegszeit war es fast unmöglich, am angeblichen Siegesrezept des Grafen Schlieffen zu zweifeln, wie beispielsweise Moltkes ehemaliger Adjutant Friedrich von Mantey herausfand. Er beschwerte sich, dass es ihm unmöglich sei, einen Verleger für sein Manuskript über „Moltke, Schlieffenplan und Eisenbahnfrage“ zu finden, weil man „nichts gegen den Schlieffen Plan“ sagen dürfe.18 Die zeitgenössische kritische Literatur zu Moltke entstand aber auch vor dem Hintergrund der Kriegsschuldfrage und der Ablehnung des Versailler Vertrages – zu diesem Zweck war es nützlich, die pessimistische und sensible Seite des Generalstabschefs zu betonen, denn ein Mann, der den Krieg fürchtete, konnte ihn doch unmöglich absichtlich vom Zaun gebrochen haben. So wurde zum Beispiel behauptet, dass Moltke im Juli 1914 zögerte, die Mobilisierung zu verkünden, weil er den Krieg nicht wollte.19 Man leistete so neben der Glorifizierung Schlieffens zugleich einen Beitrag zur Propagandakampagne gegen den Versailler Kriegsschuldparagrafen.20

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Auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es in der Literatur Stimmen, die den Schlieffenmythos der Zwischenkriegszeit unreflektiert übernahmen. Laut Rolf-Joseph Eibicht hätte Schlieffen einen der größten militärischen Siege Deutschlands im Ersten Weltkrieg erreichen können.21 Allerdings wurde das angebliche Siegesrezept Schlieffens beizeiten auch von Historikern wie Gerhard Ritter und Jehuda Wallach kritisch hinterfragt.22 Eine positivere Bewertung der Rolle Moltkes in der Vorkriegsplanung (aber auch gleichzeitige Kritik seiner Verantwortung für den Krieg) findet sich bei Annika Mombauer, deren Studie auch zwischen Schlieffen- und Moltke-Plan unterscheidet.23 In letzter Zeit ist dann sogar das andere Extrem dieser Interpretationen von dem amerikanischen Historiker Terence Zuber vertreten worden, der behauptet, dass es den Schlieffen-Plan eigentlich gar nicht gegeben habe. Moltkes Rolle wird in dieser Interpretation apologetisch interpretiert und der deutsche Aufmarschplan als defensiv dargestellt.24 Moltke selbst konnte das Urteil der Geschichte kaum beeinflussen. 1916 verstarb er an den Folgen eines Herzschlags. Verbittert und von den neuen Entscheidungsträgern ausgeschlossen, war es ihm nicht möglich gewesen, seine eigene Entscheidungen öffentlich zu rechtfertigen und seine Verdienste hervorzuheben, wie viele seiner Kollegen dies nach 1918 in ihren Memoiren taten. Allerdings hatte er kurz nach seiner Entlassung im November 1914 seine Version der Vorkommnisse im August und September notiert, wobei er jedoch vermerkte, diese Aufzeichnungen seien „nur für meine Frau bestimmt […] und dürfen niemals an die Öffentlichkeit“.25 In dieser kurzen Schrift wird deutlich, dass er den Krieg keineswegs abgelehnt hatte. So war seiner Meinung nach der „Ausbruch des europäischen Krieges […] durch Jahre hindurch hinausgeschoben worden durch die Furcht der Menschen. […] Die höchste Kunst der Diplomatie besteht meiner Ansicht nach nicht darin, den Frieden unter allen Umständen zu erhalten, sondern darin, die politische Lage des Staates dauernd so zu gestalten, daß er in der Lage ist, unter günstigen Voraussetzungen in einen Krieg eintreten zu können.“ Auch Moltkes sozialdarwinistische Einstellung kommt in diesen Aufzeichnungen klar zum Vorschein: „Dieser Krieg, den wir jetzt führen, war eine Notwendigkeit, die in der Weltentwicklung begründet ist. Unter ihrem Gesetz stehen die Völker wie die einzelnen Menschen. […] Eine geistige Weiterentwicklung der Menschheit ist nur durch Deutschland möglich.“26 In dieser wichtigen Quelle erklärte Moltke auch viele der Feinheiten des deutschen Aufmarschplanes und verglich seinen eigenen Plan mit dem seines Vorgängers. Moltke wäre sicherlich überrascht gewesen von

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der These, dass es einen Schlieffen-Plan nie gegeben habe. Die Schrift enthält Details zu Moltkes militärischem und politischem Denken in der Vorkriegszeit, die keineswegs die Meinung der Kritiker bestätigen, dass Moltke friedensliebend war oder dass es ihm an Selbstvertrauen mangelte. So erläutert er zum Beispiel, warum ein Defensivkrieg für Deutschland nicht infrage kam, warum man durch Belgien marschieren musste, dass Schlieffen sogar die Neutralität Hollands hatte verletzen wollen („Ich habe dies abgeändert, um nicht auch noch die Niederlande auf die Seite unserer Feinde zu zwingen“), wie der Handstreich auf Lüttich beschlossen wurde und wie wichtig die luxemburgischen Eisenbahnen für den deutschen Aufmarsch waren. All diese Entscheidungen waren unter seiner Leitung getroffen worden. Außerdem rechtfertigte sich der soeben entlassene Generalstabschef für seine Kriegsführung an der Marne. Diese Quelle wurde nach dem Krieg die Grundlage der Verteidigung Moltkes durch seine Frau Eliza und seinen Sohn Adam. Auch der Anthroposoph Rudolf Steiner, ein Vertrauter der Moltkes in der Vorkriegszeit, der Eliza von Moltke bei der Veröffentlichung der 1922 herausgegebenen Erinnerungen unterstützte, argumentierte entschieden gegen die weitverbreitete Sicht, dass Moltkes Versagen die Ursache für Deutschlands Niederlage gewesen sei.27 Diesen Fürsprechern ging es aber auch – ebenso wie den Kritikern – um die Ablehnung der Kriegsschuldthese der Alliierten.28 Was Moltke noch im November 1914 und Steiner nach Deutschlands Niederlage zum Kriegsausbruch zu sagen hatten, kam der deutschen Regierung und den Militärs äußerst ungelegen. Die Vorgänge im kaiserlichen Schloss am 1. August 1914, die Moltke hier beschrieb,29 sollten ebenso wenig der Öffentlichkeit bekannt werden wie Moltkes Ausführungen zum Angriff auf Belgien und insbesondere die Details über den deutschen Aufmarschplan sowie eine mögliche Verletzung der holländischen Neutralität, die Wilhelm von Dommes als „sachliche Irrtümer“ bezeichnete.30 Dass Moltke die vermeintliche „Unfähigkeit und Hilflosigkeit“ der deutschen Regierung von 1914 öffentlich anprangerte, war der neuen deutschen Regierung verständlicherweise gar nicht recht. Schon sehr früh begann sie daher, Veröffentlichungen zur Kriegsschuldfrage zu zensieren, und Moltkes Schrift war eine der ersten Publikationen, deren Veröffentlichung man zu unterbinden suchte. Nach dem verlorenen Krieg machte man Moltke für den verschenkten Sieg verantwortlich. Moltke hatte seine Nerven verloren, und Deutschland – so urteilten seine vielen Kritiker – verlor als Konsequenz den Krieg. So bewahrheitete sich quasi, was viele vor dem Krieg vorausgesagt

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hatten: den Krieg gewann, wer die besseren Nerven hatte. Man würde es eben später, mit einem unverfälschten Plan und mit einem nervenstärkeren Feldherrn, noch einmal versuchen müssen, denn mit der Niederlage konnten sich die deutschen Offiziere nicht abfinden. Dass tatsächlich vielen – nicht nur Moltke – im Krieg die Nerven versagt hatten, wurde aus der offiziellen Geschichtsschreibung herausediert. Erst in der neueren Geschichtsschreibung stellte man die Frage, ob dieses Moltke-Bild revidiert werden sollte. Hierbei wurde vor allem die Frage der Verantwortlichkeit für den Ausbruch des Krieges hervorgehoben. Seit 1914 argumentierten sowohl Moltkes Kritiker als auch seine Verteidiger apologetisch im Hinblick auf die Kriegsschuldfrage. Aber gerade an diesem Punkt kann man heute mithilfe neuer Quellen 31 ansetzen und zeigen, dass Moltke weder durch Unfähigkeit für die Niederlage verantwortlich war, wie es die „Schlieffenschule“ behauptete, noch dass er der am Kriegsausbruch unschuldige, charakterlich aufrechte Mann der anthroposophischen Historiografie war. Helmuth von Moltke war einer der wichtigsten militärischen Entscheidungsträger des Wilhelminischen Deutschlands, dessen Entscheidungen und Handlungen direkt zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beitrugen. Diese Interpretation ist verständlicherweise weder bei apologetischen Kritikern noch bei Verteidigern populär. Eine solche Revision des MoltkeBildes ist jedoch heute – vor allem im Hinblick auf die neuesten historio­ grafischen Entwicklungen, die Deutschlands Verantwortung am Kriegsausbruch relativieren – unerlässlich. Anmerkungen 1 Der jüngere Moltke wird oft in der Literatur fälschlich als Graf betitelt, aber sein Zweig der Moltke-Familie trug diesen Titel nicht. Sein Onkel, der Bruder seines Vaters, war hingegen Graf Helmuth von Moltke. 2 Zur frühen militärischen Karriere Moltkes siehe Bucholz, Moltke, Schlieffen and Prussian War Planning, S. 216f. und Mombauer, Helmuth von Moltke. 3 So Moltke in einer Besprechung mit seinem Kollegen Franz Conrad von Hötzendorf. Conrad von Hötzendorf, Aus meiner Dienstzeit, Bd. 1, S. 69. Eine detaillierte Schilderung der Ernennung Moltkes findet sich in Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 42–72. 4 Zu diesen Änderungen im Detail Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 54–72; 88f. 5 Siehe hierzu Förster, Der deutsche Generalstab. 6 So Moltke im sogenannten Kriegsrat vom 8.12.1912, zitiert in: Röhl, An der Schwelle zum Weltkrieg, Dok. 4, S. 100. 7 Moltke (Hrsg.), Erinnerungen, Briefe, Dokumente, S. XI. 8 Ebd., S. 22.

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Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 222. Moltke (Hrsg.), Erinnerungen, Briefe, Dokumente, S. 24f. Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 257. Herrmann von Santen, zitiert in: Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 265. Moltke (Hrsg.), Erinnerungen, Briefe, Dokumente, S. 27. Moltke an Plessen, 2.5.1915, BA-MA, N 78/6, S. 13. Einer der einflussreichsten Kritiker Moltkes war Wilhelm Groener, der im Generalstab unter Schlieffen und Moltke gedient hatte, und dessen Publikationen entscheidend zum Schlieffenmythos und zu der negativen Besetzung Moltkes als „Feldherr wider Willen“ beigetragen haben. In privaten Aufzeichnungen und in Veröffentlichungen hat er besonders die unter Moltke durchgeführten Veränderungen am Schlieffen-Plan kritisiert. Siehe z. B. Groener, Das Testament des Grafen Schlieffen; Groener, Der Feldherr wider Willen; Groener, Lebenserinnerungen. Andere einflussreiche „Schlieffenfreunde“ waren Hermann von Kuhl, Erich Ludendorff und Wolfgang Foerster vom Reichsarchiv sowie Wilhelm von Hahnke, Schlieffens Schwiegersohn und früherer Adjutant. 16 Zander, Der Generalstabschef, S. 424. 17 Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 97f. 18 Mantey an Tappen, 9.3.1933, BA-MA, N 56/5, S. 221. Manteys Manuskript „Moltke, Schlieffenplan und Eisenbahnfrage“ war von Verlegern trotz positiver Kommentare von „mehreren hochrangigen Offizieren“ abgelehnt worden. 19 Schäfer, Wollte Generaloberst von Moltke den Präventivkrieg? S. 552. 20 Zur Kampagne gegen Versailles siehe Krumeich, Die unbewältigte Niederlage. 21 Eibicht, Schlieffen, S. 17, 34, 40. 22 Ritter, Der Schlieffenplan, und Wallach, Das Dogma der Vernichtungsschlacht. 23 Mombauer, Helmuth von Moltke. 24 Die Debatte wurde fast ausschließlich in der Zeitschrift War in History ausgetragen und begann mit einem Beitrag von Zuber, The Schlieffen Plan Reconsidered. Eine deutsche Zusammenfassung findet sich in Ehlert et al. (Hrsg.), Der Schlieffenplan. 25 Helmuth von Moltke, Die „Schuld am Kriege“. Betrachtungen und Erinnerungen des Generalstabschefs H. v. Molkte über die Vorgänge vom Juli 1914 bis November 1914, herausgegeben vom „Bund für Dreigliederung des sozialen Organismus“ und eingeleitet in Übereinstimmung mit Frau Eliza v. Moltke durch Dr. Rudolf Steiner, Greiner & Pfeiffer, Stuttgart 1919. Zitat S. 21 (die folgenden Zitate auf S. 6, 7, 8, 11, 15, 18). Eliza von Moltke hat die Schrift später in ihrer Edition von Moltkes Erinnerungen und Briefen veröffentlicht: Moltke (Hrsg.), Erinnerungen, Briefe, Dokumente, und sie findet sich auch in Meyer (Hrsg.) Helmuth von Moltke, Bd. 1. 26 Helmut von Moltke, „Betrachtungen und Erinnerungen“, in: Moltke (Hrsg.), Erinnerungen, Briefe, Dokumente, S. 8. 27 Neben Steiners Schriften z. B. Grone, Wie es zur Marneschacht kam, und Meyer (Hrsg.) Helmuth von Moltke. Nicht alle Historiker haben Moltkes vermeintlichen Hang zur Anthroposophie als entscheidend für sein militärisches Wirken gesehen, wie z. B. Mombauer, Helmuth von Moltke; Zander, Der Generalstabschef. 28 Zur Diskussion der Kriegsschuldfrage allgemein siehe Mombauer, The Origins of the First World War. 29 Zu diesen Ereignissen Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 216–226. 30 Dommes-Tagebuch, Mai und Juni 1919, BA-MA, N 512/4. Siehe auch die veröffentlichten Ausschnitte des Tagebuchs in Meyer (Hrsg.), Helmuth von Moltke, Bd. 1, S. 410–413. 31 Zu den Quellen siehe Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 1–13.

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Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 78, Nachlass Helmuth von Moltke, 47 Auf bewahrungseinheiten, darunter umfangreiche Korrespondenz, Unterlagen aus seiner Militärdienstzeit und aus dem Großen Generalstab. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Bestand RH 61 („Kriegsgeschichtliche Forschungsanstalt“): Zahlreiche Studien, die sich mit Moltke und seiner Operationsführung beschäftigen.

Veröffentlichte Quellen und Literatur Bucholz, Arden, Moltke, Schlieffen and Prussian War Planning, New York 1991. Conrad von Hötzendorf, Franz, Aus meiner Dienstzeit 1906–1918, 5 Bde., Wien / Leipzig / München 1921–1925. Eibicht, Rolf-Joseph, Schlieffen. Strategie und Politik. Aus der Unterlegenheit zum Sieg, Lünen 1991. Förster, Stig, Der deutsche Generalstab und die Illusion des kurzen Krieges, 1871–1914. Metakritik eines Mythos, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 54/1 (1995), S. 61–95. Groener, Wilhelm, Das Testament des Grafen Schlieffen. Operative Studien über den Weltkrieg, Berlin 1927. Groener, Wilhelm, Der Feldherr wider Willen, Berlin 1930. Groener, Wilhelm, Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg, Göttingen 1957. Grone, Jürgen von, Wie es zur Marneschacht kam, Stuttgart 1971. Meyer, Thomas (Hrsg.), Helmuth von Moltke 1848–1916. Dokumente zu seinem Leben und Wirken, 2 Bde., Basel 1993. Moltke, Eliza von (Hrsg.), Erinnerungen, Briefe, Dokumente 1877–1916. Ein Bild vom Kriegsausbruch, erster Kriegsführung und Persönlichkeit des ersten militärischen Führers des Krieges, Stuttgart 1922. Mombauer, Annika, Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, Cambridge, 2001. Mombauer, Annika, The Origins of the First World War. Controversies and Consensus, London 2002. Ritter, Gerhard, Der Schlieffenplan. Kritik eines Mythos, München 1956. Röhl, John C. G., An der Schwelle zum Weltkrieg: Eine Dokumentation über den „Kriegsrat“ vom 8. Dezember 1912, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 21/1 (1977), S. 77–134. Schäfer, Theobald von, Wollte Generaloberst von Moltke den Präventivkrieg?, in: Berliner Monatshefte 5/1 (1927), S. 543–560. Wallach, Jehuda, Das Dogma der Vernichtungsschlacht. Die Lehren von Clausewitz und Schlieffen und ihre Wirkungen in zwei Weltkriegen, Frankfurt am Main 1967. Zander, Helmut, Der Generalstabschef Helmuth von Moltke und das theosophische Milieu um Rudolf Steiner, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 62 (2003), S. 423–458. Zuber, Terence, The Schlieffen Plan Reconsidered, in: War in History 3 (1999), S. 262– 305.

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Oberst Walter Nicolai von Markus Pöhlmann Wollte man die vom Philosophen Ernst Bloch eingeführte Denkfigur der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ am Militär des deutschen Kaiserreiches erproben, dann wäre Walter Immanuel Nicolai (1873–1947) dafür ein ideales Studienobjekt. Als Offizier des preußischen Heeres war er ein Paladin der Hohenzollernmonarchie, als Generalstabsoffizier aber Vertreter einer meritokratischen Elite innerhalb eben dieses Offizierkorps. Nicolai war maßgeblich am Aufbau des militärischen Führungsgrundgebietes beteiligt, das wir heute als Nachrichtendienst bezeichnen. Gleichzeitig würde ihn aufgrund seines Mangels an Charisma kaum jemand als „Schöpfer“ oder „Vater“ desselben verherrlichen. Im Ersten Weltkrieg sticht – wie bei allen „Halbgöttern“ des Generalstabes – der Gegensatz zwischen dem verhältnismäßig niedrigen Dienstgrad und dem enormen Verantwortungsbereich heraus. Obwohl es Teil seines professionellen Ethos war, hat Walter Nicolai zwischen 1914 und 1918 nie ein Truppenkommando innegehabt. Gleichzeitig wies sein Arbeitsbereich eine extreme Vielfalt auf. Nicolai war ein fleißiger Schreibtischoffizier; unerfahren und deshalb schroff im Umgang mit der liberalen, zivilen Welt des Kaiserreiches, mit der er als Leiter der militärischen Pressearbeit täglich zu tun hatte. Nach dem Weltkrieg galt er als Vertreter der Elite, die den Krieg verloren hatte, als „Wilhelminer“, wodurch ihm dann ab 1933 wiederum der Anschluss an die neue, autoritäre Zeit verbaut blieb. Am Ende seines Lebens hat ihn seine Vergangenheit doch noch eingeholt. Ein letztes Mal gingen dabei in seinem Leben Schein und Sein scharf auseinander. Walter Nicolai war der zweite Sohn von Hermann und Luise Nicolai und wurde am 1. August 1873 in Braunschweig geboren. Sein Vater war Hauptmann im Infanterie-Regiment Nr. 67. Er verstarb, als Walter drei Jahre alt war, wohl an den Folgen einer Verwundung aus dem Krieg gegen Frankreich. Der zwei Jahre ältere Bruder Hans sollte später ebenfalls Offizier werden. Der Tod des Familienoberhaupts hatte die Nicolais in eine finanziell schwierige Situation gebracht, sodass die Mutter mit beiden Söhnen in die Wohnung ihrer Mutter nach Halberstadt zog. Dort besuchte Walter zunächst das Domgymnasium. 1887 meldete ihn die

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Walter Nicolai (Zeichnung von 1916)

Mutter in der Kadettenvoranstalt Schloss Oranienstein bei Dietz an der Lahn an. Zwei Jahre später wechselte Nicolai zur Hauptkadettenanstalt nach Berlin Groß-Lichterfelde. Die Kadettenanstalten waren militärisch geführte Internate, die vor allem für bürgerliche oder weniger begüterte Zöglinge das Sprungbrett zu einer Karriere als Offizier waren. Die Vergrößerung des Heeres hatte ab den 1890er-Jahren eine soziale Öffnung der Offizierkorps erzwungen und Nicolai konnte von dieser Entwicklung profitieren. Der Alltag der Jungen war straff organisiert und karg. Allgemeinbildung stand hinter der vormilitärischen Ausbildung an. Nach dem Abschluss der Kadettenanstalt und der Kriegsschule trat er am 22. März 1893 als Leutnant in das Infanterie-Regiment Nr. 82 in Göttingen ein. 1900 heiratete Nicolai Marie Kohlhoff, eine in zweierlei Hinsicht vorteilhafte Partie: Erstens brachte sie das dringend nötige Vermögen mit in die Ehe, zweitens war ihr Vater Nicolais Regimentskommandeur. Dieser sollte sich später wiederholt für seinen Schwiegersohn einsetzen. Soweit die späteren Kriegsbriefe des Paars den Schluss erlauben, ist die Ehe

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glücklich gewesen. Marie tritt in der Korrespondenz als eine aktive und politisch aufmerksame Persönlichkeit hervor. Aus der Ehe gingen drei Töchter hervor, ein Sohn verstarb nach der Geburt. Im selben Jahr qualifizierte sich Walter Nicolai für die Aufnahme an die Kriegsakademie, die er drei Jahre später als 16. von 150 Offizieren abschloss. Da Oberleutnant Nicolai über gute Russischkenntnisse verfügte, wurde er anschließend zum Großen Generalstab kommandiert und der 1. Abteilung zugeteilt, die für die Beobachtung der russischen, skandinavischen, chinesischen und japanischen Heere zuständig war. Nachdem sich eine geplante Beobachtermission zum Russisch-Japanischen Krieg aufgrund des Friedensschlusses zerschlagen hatte, wurde Nicolai der Sektion IIIb zugeteilt. Diese war 1889 gegründet worden, betrieb den geheimen Nachrichtendienst gegen Frankreich und Russland und fristete innerhalb des Generalstabes zunächst ein Schattendasein. 1906, mit dem Dienstantritt von Helmuth von Moltke d. J. als Chef des Großen Generalstabes, nahm die Arbeit von IIIb allerdings Fahrt auf. So begann die Sektion, in strategisch wichtigen Grenzgarnisonen eigene Nachrichtenoffiziere zu etatisieren, und Hauptmann Nicolai war einer der beiden ersten.1 Über vier Jahre baute er seinen Posten in Königsberg zielstrebig auf, um dann ab März 1910 für zwei Jahre in Erfurt beim Infanterie-Regiment Nr. 71 als Kompaniechef Dienst zu tun. Im Juli 1912 wurde Nicolai, inzwischen zum Major befördert, in den Großen Generalstab versetzt und dort zunächst mit der Führung von IIIb beauftragt – die Übernahme der Sektion erfolgte Anfang 1913. Nachdem es ihm also nach der Kriegsakademie im ersten Anlauf nicht gelungen war, dauerhaft in den Generalstab versetzt zu werden, konnte er dieses Ziel jetzt auf dem Weg über den neu im Entstehen begriffenen Laufbahnzweig Nachrichtendienst doch noch erreichen. An dessen institutioneller Ausbildung hat er selbst durchaus Anteil gehabt. Diese Fähigkeit, sich durch Fleiß und ein selbst geschaffenes Arbeitsgebiet unentbehrlich zu machen, sollte ihm im Ersten Weltkrieg noch zupasskommen. Bei Kriegsbeginn bestand die Aufgabe von IIIb zunächst in der geheimen Beschaffung von Nachrichten von neutraler oder feindlicher Seite und in der Spionageabwehr. Schon in den ersten Tagen wurde Nicolai aber die Pressearbeit der Obersten Heeresleitung übertragen. Diese fatale Entscheidung ergab sich nicht aus einer besonderen Qualifikation Nicolais, sondern sie war aus der Not der Stunde geboren. Nachdem man bei der Mobilmachung erkannt hatte, dass beim Generalstab für die militärische Pressearbeit schlicht keine Voraussetzungen geschaffen worden

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waren, baute man nun nicht etwa ein entsprechendes Fachressort auf, sondern man übertrug die Aufgabe einfach IIIb.2 Die aus der Friedenszeit übernommene Grundstruktur von IIIb sah eine klare Trennung von nachrichtendienstlicher Beschaffung und Auswertung vor: Erstere betrieb IIIb, Letztere die Nachrichtenabteilung. Der Admiralstab betrieb sein eigenes Nachrichtenwesen, und zwar mit Schwerpunkt gegen Großbritannien. Bis zum Ende des Krieges blieben die Dienste von Heer und Marine bestenfalls in loser Verbindung – ein Umstand, welcher der Ausbildung eines im eigentlichen Sinne strategischen Nachrichtendienstes abträglich sein sollte. Die größte Herausforderung war allerdings der umstürzende Wandel des Krieges, der Ende 1914 vom Bewegungskrieg in den Stellungskrieg überging. Die schwindenden Möglichkeiten, die Front nachrichtendienstlich zu durchdringen, der ortsfeste und zunehmend industrialisierte Charakter des Kampfes sowie die schiere Dauer des Konfliktes zeitigten Folgen für die Organisation und für die Methoden von IIIb. Bei der Personalentwicklung von IIIb lässt sich das gut aufzeigen: So arbeiteten dort bei Kriegsbeginn 20 Offiziere. Im Herbst 1915 waren es 77 Offiziere, im Sommer 1918 schließlich 188.3 Doch wuchs auch die Zahl der Aufgabenfelder – von der Spionage und ihrer Abwehr über den Frontnachrichtendienst, die Überwachung in den Besatzungsgebieten und in der Heimat, bis hin zur Pressearbeit und zur Propaganda. Bei der klassischen Spionage bildeten die Absperrung der Grenzen und die Überwachung im Innern die größten Probleme. Das von Nicolais Nachrichtenoffizieren im Frieden aufgebaute Netzwerk aus Agenten und Vertrauensleuten brach in den ersten Monaten des Krieges zusammen. Wo noch Männer und Frauen dafür zur Verfügung standen, wurde es zunehmend schwieriger, diese einzuschleusen und auch so schnell wieder zurückzubringen, dass deren Informationen überhaupt noch Erkenntniswert besaßen. Nicolai reagierte darauf, indem er den bei den einzelnen Armeen angesiedelten Nachrichtenoffizieren ab 1915 die Führung von Agenten weitgehend entzog und sie an ortsfeste Residenturen, die Kriegsnachrichtenstellen, überwies. Weil der direkte Weg durch die Front immer riskanter wurde, wuchsen die neutralen Nachbarn Schweiz und Niederlande sowie die Nordischen Staaten zu Hotspots für die Spionage auf. Einen wirklichen Top-Spion hat Walter Nicolai – wie auch übrigens seine Gegenspieler in den anderen Armeen – nie aufbauen können. Das bekannteste Beispiel, die tragische Tänzerin Mata Hari, taugt eher dafür,

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die exotischen Randerscheinungen und gleichzeitig die Grenzen von Spio­nage im Ersten Weltkrieg aufzuzeigen. Am Ende bestand hier das Handwerk aus der Fähigkeit, die Vielzahl kleiner, für sich genommen unbedeutender Meldungen zu einem größeren Bild zu fügen. Von seinem Wesen und seiner militärischen Sozialisation her ist Nicolai im Feld der Spionage immer eher ein Verwalter als ein Exzentrischer geblieben. Aber auch hier hilft der Blick auf seine Gegenüber in Frankreich, Großbritannien und Russland, die in dieser Hinsicht nicht grundsätzlich verschiedene Charaktere waren. Zum eigentlichen Kerngeschäft von Nicolai zählte ferner der Frontnachrichtendienst. Darunter versteht man die Gewinnung von Nachrichten durch die eigene Truppe. Dies geschah im Ersten Weltkrieg vor allem durch die Befragung von Kriegsgefangenen, durch die Auswertung erbeuteter Dokumente oder durch technische Mittel wie Luftbilder, Abhöreinrichtungen oder schlicht planmäßige Beobachtung. Nun bildeten die bereits genannten Nachrichtenoffiziere von IIIb eine Besonderheit: Sie waren zwar in die Generalstäbe der Armeen und (ab 1916) der Heeresgruppen integriert, unterstanden aber der Obersten Heeresleitung. Diese Zwitterstellung führte mitunter zu Reibungen, wenn die Nachrichtenoffiziere in den Truppenstäben als „Spione“ der OHL wahrgenommen wurden.4 Besonders schlecht gestalteten sich die Verhältnisse 1915/16 zwischen dem Chef des Generalstabes, Erich von Falkenhayn, und dem Oberbefehlshaber Ost, Paul von Hindenburg. Dabei ging es vordergründig um die operativen Schwerpunkte, letztlich aber um die Frage, wo und wie der Krieg überhaupt weiter zu führen sei. Nicolai, der als Mitarbeiter Falkenhayns die Belange der OHL vertreten musste, überließ seinem Nachrichtenoffizier beim Oberbefehlshaber Ost die Alltagsgeschäfte weitgehend. In den offenen Konflikt mit Hindenburg – und dessen Chef des Stabes Erich Ludendorff – ließ er sich nicht hineinziehen. Auch die Quellen des Frontnachrichtendienstes waren 1914–18 einem Wandel unterworfen. Im Kern ging es dabei immer um die Stärke und Gliederung der gegenüberliegenden Truppen einschließlich ihrer Reserven sowie die daraus zu erschließenden gegnerischen Absichten. Hierfür blieben die Befragung von Kriegsgefangenen und die Auswertung von Beutedokumenten über die gesamte Dauer des Krieges extrem wichtig und wurden durch Nicolai systematisiert. Doch nahm ab 1916 der Anteil der technischen Mittel der Aufklärung deutlich zu. Das war nicht verwunderlich, weil der Stellungskrieg hier neue Ansatzpunkte bot. Technische Kommunikationsmittel wie Telegrafie, Telefonie oder Funk konnten

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abgehört und die Nachrichten mussten gegebenenfalls entschlüsselt werden; Licht- und Schallmessverfahren dienten der Aufklärung der gegnerischen Artillerie; Luftbilder boten einen neuen Blick auf die Stellungssysteme. Die dafür erforderliche Hardware und die Verfahren wurden in den jeweiligen Waffengattungen entwickelt, die deshalb auch immer stärker die Zuständigkeit für die Sammlung und Auswertung der Ergebnisse für sich reklamierten. Diese Forderung kollidierte freilich mit Nicolais Anspruch, alle Quellen, die in das nachrichtendienstliche Gesamtbild eingingen, zu kontrollieren. Beim Umbau der bisherigen Telegrafentruppe in eine Nachrichtentruppe im Frühjahr 1917 musste IIIb Zuständigkeiten abgeben, was wohl auch ein Indiz dafür ist, dass er selbst bis dahin für die brandneue, technische Seite seines Aufgabenbereichs kein ausgeprägtes Bewusstsein hatte entwickeln können.5 Dies mag auch damit zusammengehangen haben, dass Walter Nicolai seinen Fokus in derselben Kriegsphase immer mehr auf den kommunikationspolitischen Raum legte, also auf Pressearbeit, Zensur und Propaganda. Der Einfluss von IIIb war in allen drei Feldern früh, wenngleich nur mittelbar gewesen.6 Die seit Oktober 1914 bei der Heimatstaffel von IIIb angesiedelte Oberzensurstelle war weniger eine zentrale Zensurbehörde im Orwell’schen Sinne, sondern ihre Arbeit zielte auf die Abstimmung der im Deutschen Reich recht unterschiedlich gehandhabten Praxen ab. Bei der Gründung des Kriegspresseamtes ein Jahr später war Nicolai zwar ebenfalls maßgeblich beteiligt gewesen. Es unterstand aber nicht IIIb, und der Leiter der Behörde, Eduard Deutelmoser, entwickelte durchaus eigene Vorstellungen von seinen Aufgaben. Dasselbe galt für die im Juli 1917 eingerichtete Militärische Stelle des Auswärtigen Amtes und ihren Leiter Hans von Haeften, der die militärische Propaganda im Ausland verstärken sollte. Überhaupt verfügten die mächtigen, regionalen Militärbefehlshaber im Reich über kommunikationspolitischen Eigensinn. Nicolais Aufgabe bestand also bis 1916 zunächst darin, innerhalb des Militärs selbst den Primat von IIIb durchzusetzen. Die im Sommer 1916 ins Amt gesetzte 3. Oberste Heeresleitung (Hindenburg und Ludendorff) stieß umgehend eine Phase der Remobilisierung der Soldaten und der gesamten Gesellschaft an, und Nicolai hatte sich den neuen Herren als der Mann empfohlen, der dieses Projekt für die OHL umsetzen würde. Der von Nicolai erarbeitete Erlass über den Vaterländischen Unterricht in den Streitkräften vom 29. Juli 1917 war der Ausdruck dieser Remobilisierungsstrategie.7 Die Maßnahme blieb allerdings deutlich hinter den Erwartungen zurück. Von nun an wurde Nicolai in dem

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sich verschärfenden innenpolitischen Kampf um Kriegsziele und Parlamentarisierung immer mehr als der Trommler für die alternativlose „Siegfrieden“-Politik der OHL wahrgenommen. Er hatte sich also kurzfristig in der militärischen Kommunikationspolitik ein neues und weites Handlungsfeld erschlossen. Dieses war genuin politisch und blieb damit an den Gesamterfolg der Heeresleitung geknüpft. Ein weiteres Arbeitsfeld von IIIb nahm ab 1914 ebenfalls rasanten Aufschwung, die Spionageabwehr. Dies ergab sich aus dem Umstand, dass der militärische Vormarsch 1914/15 das Deutsche Reich im Westen, im Osten und auf dem Balkan in den Besitz von riesigen Besatzungsgebieten gebracht hatte. Die dortige Bevölkerung war nach Regionen und Phasen unterschiedlich stark gegen die deutschen Truppen und die zivile Besatzungsverwaltung eingestellt. Auch bemühten sich die Kriegsgegner, die deutschen Truppen hinter der Front auszuspähen, deren militärische Mittel zu sabotieren und die Bevölkerung aufzuwiegeln. IIIb war für die Abwehr dieser Maßnahmen nicht gut vorbereitet. Was die Spionage­ abwehr und die politische Polizei angeht, war das Deutsche Reich bis Kriegsbeginn nämlich ein Nachtwächterstaat gewesen. Die Versuche von Nicolai, hierfür in den Jahren vor 1914 eine Art politische Reichspolizei einzurichten, waren am Fiskus und am Widerstand der süddeutschen Staaten gescheitert, die – nicht zu Unrecht – mit einer solchen Einrichtung ein schleichendes Übergreifen Preußens in ihre verfassungsmäßigen Rechte fürchteten. Im Krieg fehlten nun entsprechende Institutionen und es fehlte geschultes Personal. Auch konnte das Militär in diesem Bereich nicht uneingeschränkt operieren. IIIb etwa hatte keine exekutiven Rechte. Nicolais Offiziere konnten keine Verhaftungen vornehmen, sondern sie waren auf die Zusammenarbeit mit der Geheimen Feldpolizei und den zivilen Besatzungsbehörden angewiesen. Auch hier eröffnete sich also ein Arbeitsgebiet, das mit einer rein militärischen „Brille“ nicht zu überblicken war. Die Vielfalt der Aufgaben ließ IIIb zu einer organisatorischen Krake innerhalb der Obersten Heeresleitung aufwachsen. So wenig geschmeidig Walter Nicolai im Umgang mit seinen zivilen Gegenübern war, so versiert war er doch als militärischer Organisator innerhalb seines eigenen Bereiches. Mitarbeitern, die sich bewährt hatten, übertrug er weitreichende Verantwortung. Zumindest in allen militärischen Feldern lernte IIIb verhältnismäßig schnell, und daran hat Nicolai sicher seinen Anteil gehabt. Als Major (ab 27. Januar 1918: Oberstleutnant) hatte er sich zu kontroversen, ja mitunter delikaten Themen mit Persönlichkeiten

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auseinanderzusetzen, die in der militärischen Hierarchie deutlich über ihm standen. Vor dem Zorn der hohen Generale schützte ihn dann nur die Protektion des jeweiligen Chefs des Generalstabes. Neben Max Bauer ist Walter Nicolai der einzige Abteilungsleiter in der OHL geblieben, der unter Moltke, Falkenhayn und Hindenburg / Ludendorff gedient hatte. Besonders Ludendorff hat ab 1917 die für die 3. OHL immer wichtiger werdenden Bereiche Presse und Propaganda auf Nicolai abgeschichtet. Dieser begriff dies als Chance, sich innerhalb der militärischen Führung zu profilieren. Mit seinem eigentlichen Arbeitsgebiet hatte dies nicht mehr viel zu tun, und als Ludendorff Ende Oktober 1918 gehen musste, waren auch Nicolais Tage gezählt, zumal IIIb auch auf die Revolution keinerlei Einfluss gewann. Ende Juni 1919 wurde Walter Nicolai als charakterisierter Oberst verabschiedet. Mit 45 Jahren stand er damit beruflich vor dem Aus, auch wenn seine wirtschaftliche Lage wohl durchaus gesichert war.8 In die Reichswehr wurde er nicht übernommen. Und so tat er, was viele der Weltkriegsveteranen nach 1918 taten: Er publizierte. Mit Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg (1920) und Geheime Mächte (1923) veröffentlichte er zwei Bücher, die deutlich der Drang nach persönlicher Rechtfertigung durchzieht, die aber bis heute durchaus zu Klassikern in ihrem Genre zählen. Nun wurden auch alte Rechnungen beglichen, wenn etwa frühere Gegner (und Opfer) gegen Nicolai publizistisch zu Felde zogen.9 Besonders pikant war der Vorwurf, der konservative Stockpreuße Nicolai habe den Aufstieg des Bolschewismus in Europa befördert. Hintergrund dieses Vorwurfs war der Transport Lenins aus seinem Schweizer Exil nach Russland im April 1917. Das Auswärtige Amt und die Heeresleitung hatten sich mit dieser Geheimoperation eine Destabilisierung des Kriegsgegners im Osten erhofft. IIIb war allerdings nur für die technische Durchführung der Zugfahrt verantwortlich gewesen. Trotzdem blieb etwas von dem Vorwurf hängen. Nicolais Versuche, in den Jahren der Republik auf der politischen Rechten Fuß zu fassen, blieben nicht wirklich erfolgreich. Die Gerüchte, er sei an Putschüberlegungen beteiligt gewesen, sind bis heute nicht belegt. Sein Verhältnis zu Ludendorff, einer der Schlüsselfiguren der republikfeindlichen Rechten, verschlechterte sich, da dieser mit fast allen Weggefährten aus der Kriegszeit brach. Eine politische Heimat fand ­Nicolai in der Deutschnationalen Volkspartei und ab Anfang der 1930erJahre in dem Wehrverband „Der Stahlhelm“, für den Nicolai einen ­Pressedienst aufbaute. Seine nachrichtendienstliche Expertise war 1927

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noch einmal gefragt, als Nicolai als Berater der türkischen Armee ein Konzept für den Aufbau eines Militärgeheimdienstes entwickelte. Seine Hoffnungen, 1933 mit den Nationalsozialisten ins Geschäft zu kommen, zerschlugen sich schnell. Weder Himmler noch Goebbels oder Canaris versprachen sich etwas davon, beim Aufbau der politischen und militärischen Geheimdienste auf einen Repräsentanten des Wilhelminischen Systems zu setzen, das in ihren Augen 1918 abgewirtschaftet hatte. Was blieb, war eine Anstellung am Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands. Dort konnte Walter Nicolai seine Kriegsaufzeichnungen bearbeiten. Aufgrund der Luftkriegslage hatte Walter Nicolai seinen Lebensmittelpunkt ab 1943 von Berlin nach Nordhausen verlegt, wo er seine persönlichen Aufzeichnungen bis Kriegsende weitgehend abschloss. Im September 1945 nahmen Offiziere des sowjetischen Geheimdienstes NKWD den 72-jährigen Nicolai in seinem Haus fest.10 Sie verhörten ihn zunächst in Berlin, anschließend verbrachte man ihn nach Moskau. Es stellte sich heraus, dass der sowjetische Geheimdienst die gegen Nicolai gerichtete Publizistik über die Jahre mitverfolgt hatte und nun davon ausging, mit Walter Nicolai eine Graue Eminenz des NS-Geheimdienstes vor sich zu haben. Auch ließ die vernehmenden Offiziere die Lenin-Operation von 1917 aufhorchen, bei der ja auch aus sowjetischer Perspektive Zeugen nicht unbedingt erwünscht waren. Vor allem aber war es in der Vorstellungswelt eines stalinistischen Geheimdienstoffiziers schlicht nicht vorstellbar, dass ein hochrangiger Ehemaliger einfach unbehelligt und ohne im Hintergrund die Fäden zu ziehen auf seinem Altenteil saß. Nach drei Jahren Haft verstarb Walter Nicolai am 4. Mai 1947 im Gefängniskrankenhaus Butyrskaja. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6 7 8 9

Grawe, Deutsche Feindaufklärung, S. 81. Siehe Schmidt, Belehrung, S. 34. Zahlen nach Pöhlmann, German Intelligence, S. 40. So Nicolai am 17.1.1915, in: Epkenhans et al., Geheimdienst und Propaganda, S. 154. Brückner, Heeres-Fernmeldeaufklärung, S. 231. Weiterführend Altenhöner, Kommunikation und Kontrolle. Zum Vaterländischen Unterricht siehe Lipp, Meinungslenkung im Krieg, S. 62–89. Einen auf den Moskauer Nachlass gestützten Einblick in Nicolais Leben nach 1918 bietet Epkenhans et al., Geheimdienst und Propaganda, S. 51–59. Darunter die Offiziere Arnold Rechberg, Hans Georg von Beerfelde und Max Hofmann.

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10 Im Jahr 2000 klärten zwei russische Publizisten auf der Basis der Häftlingsakte des NKWD die Geschichte der letzten Jahre Nicolais in Moskau. Siehe Taratuta / Zdanovič, Tainstvennyj šef.

Ungedruckte Quellen Russisches Staatliches Militärarchiv, Moskau, Bestand 1414, Nachlass Walter Nicolai. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Bestand RW 5, Studie Friedrich Gempp, Geheimer Nachrichtendienst und Spionageabwehr des Heeres: Umfangreiche Geschichte zum deutschen Nachrichtendienst während des Ersten Weltkrieges.

Gedruckte Quellen und Literatur Altenhöner, Florian, Kommunikation und Kontrolle. Gerüchte und städtische Öffentlichkeit in Berlin und London 1914/1918, München 2008. Brückner, Hilmar-Detlef, Die deutsche Heeres-Fernmeldeaufklärung im Ersten Weltkrieg an der Westfront, in: Schmidt, Jürgen W. (Hrsg.), Geheimdienste, Militär und Politik in Deutschland, Ludwigsfelde 2008, S. 199–246. Epkenhans, Michael / Groß, Gerhard P. / Pöhlmann, Markus / Stachelbeck, Christian (Hrsg.), Geheimdienst und Propaganda im Ersten Weltkrieg. Die Aufzeichnungen von Oberst Walter Nicolai 1914 bis 1918, Berlin / Boston 2019. Frey, Klaus-Walter, Oberst Walter Nicolai, Chef des deutschen militärischen Nachrichtendienstes III B im Großen Generalstab (1913–1918). Mythos und Wirklichkeit – biographische Beiträge, in: Jürgen W. Schmidt (Hrsg.), Geheimdienste, Militär und Politik in Deutschland, Ludwigsfelde 2008, S. 135–198. Grawe, Lukas, Deutsche Feindaufklärung vor dem Ersten Weltkrieg. Informationen und Einschätzungen des deutschen Generalstabs zu den Armeen Frankreichs und Russlands 1904 bis 1914, Paderborn 2017. Lipp, Anne, Meinungslenkung im Krieg. Kriegserfahrungen deutscher Soldaten und ihre Deutung 1914–1918, Göttingen 2003. Nicolai, Walter, Nachrichtendienst, Presse und Volksstimmung im Weltkrieg, Berlin 1920. Nicolai, Walter, Geheime Mächte. Die internationale Spionage und ihre Bekämpfung im Weltkrieg und heute, Leipzig 1923. Pöhlmann, Markus, German Intelligence at War, 1914–1918, in: Journal of Intelligence History 5/2 (2005), S. 33–62. Schmidt, Anne, Belehrung – Propaganda – Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationsarbeit in Deutschland 1914–1918, Essen 2006. Schmidt, Jürgen W., Gegen Russland und Frankreich. Der deutsche militärische Geheimdienst 1890–1914, Ludwigsfelde 2007. Taratuta, Žan und Zdanovič, Aleksandr, Tainstvennyj šef Mata Chari, Moskau 2001.

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Admiral Reinhard Scheer von Michael Epkenhans

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ls Reinhard Scheer am 30. September 1863 als Sohn des Rektors der dortigen Bürgerschule und Hilfspfarrers in der evangelischen Gemeinde in Obernkirchen im Weserbergland geboren wurde, ahnte niemand, dass er eines Tages als „Sieger vom Skagerrak“ in die Geschichte eingehen würde. Wer aber war Reinhard Scheer? Über Scheers Kindheit ist wenig bekannt. Bereits im Alter von 15 Jahren trat er 1879 in die Marine ein. Neugier und Abenteuerlust, genährt durch Erzählungen von Veteranen des Deutsch-Französischen Krieges über das Leben eines Seemanns, waren Scheers späterer Schilderung zufolge die wesentlichen Motive für den Eintritt in die Marine. In der kleinen Marine durchlief Scheer, der zeitlebens ein begeisterter Seemann war, die üblichen Ausbildungsstationen und machte schnell Karriere. Bereits als junger Leutnant nahm er an den Expeditionen zur Errichtung und Sicherung des neuen Kolonialreichs in Kamerun und Ostafrika, dann in der Südsee teil. Aber auch wichtige Landkommandos, die ihn mit dem bürokratischen Alltag der Marine in Berührung brachten, fehlten nicht. Nachdem Scheer 1907 Kommandant des Linienschiffs „Elsass“ gewesen war und zwischen 1909 und 1911 praktische Erfahrungen als Stabschef der Hochseeflotte gesammelt hatte, wurde er 1913 Chef des II. Geschwaders. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 mussten die Kaiserliche Marine und deren Führung beweisen, dass sie erfolgreich Krieg führen konnten. Zu diesen Führern gehörte auch Scheer als Chef eines Geschwaders. An den Unternehmungen der Hochseeflotte gegen die englische Ostküste im November 1914 bzw. gegen die Doggerbank im Januar 1915 nahm Scheer nicht teil. Die ihm unterstellten Geschwader lagen entweder in der Werft oder befanden sich zu Übungen in der Ostsee. Beim Vorstoß am 15. Dezember 1914 war sein II. Geschwader zwar dabei; zu Gefechten mit britischen Einheiten war es dabei jedoch nicht gekommen. Nach der Sichtung britischer Zerstörer hatte der Flottenchef, Admiral Friedrich von Ingenohl, zur Enttäuschung vieler Offiziere den Rückmarsch befohlen. Obwohl Scheer somit über keine Gefechtserfahrungen verfügte, galt er bereits zu diesem Zeitpunkt als möglicher Nachfolger für den Posten des Flottenchefs. Als Ingenohl nach dem Verlust der

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„Blücher“ im Januar 1915 seinen Posten räumen musste, wurde allerdings nicht Scheer, sondern der bisherige Chef des Admiralstabs, Admiral Hugo von Pohl, dessen Nachfolger. Den verfügbaren Quellen zufolge war Scheer froh, dass das Los nicht auf ihn gefallen war. Im Grunde war er mit der Führung der Flotte durch Ingenohl durchaus zufrieden gewesen. „Wir haben“, so schrieb er einem Freund in diesen Tagen, „keine Veranlassung, den Engländern eine Schlacht unter günstigen Umständen anzubieten, sondern sie sollen zu uns kommen. Wenn eine an Zahl und Kampfkraft der eigenen Schiffe unterlegene Flotte eine entgegengesetzte Taktik verfolgt, so ist mit größter Wahrscheinlichkeit auf einen Mißerfolg zu rechnen.“ Scheer hielt es regelrecht für wahnsinnig, „den Engländern die Schlacht an ihrer Küste anzubieten.“1 Dies waren deutliche Spitzen gegen den Staatssekretär des Reichsmarineamtes, Großadmiral Alfred von Tirpitz, der immer wieder eine Schlacht forderte, ohne sagen zu können, welches Ziel er damit erreichen wollte und was passieren würde, wenn die Flotte dabei eine katastrophale Niederlage erleiden würde. Im Gegensatz zu vielen anderen führenden Offizieren drängte Scheer im Laufe des Jahres 1915 nicht auf eine Schlacht im Tirpitz’schen Sinne, noch beteiligte er sich wie Tirpitz und seine Anhänger an den Intrigen gegen den neuen Flottenchef, den viele für zu zögerlich hielten. Nach dem krankheitsbedingten Ausscheiden Pohls war Scheer, der seit Januar 1915 den Rang eines Vizeadmirals innehatte, der einzige Kandidat, der infrage kam. Als Vertreter des Flottenchefs übernahm er dessen Aufgaben zunächst kommissarisch, nach dessen Tod im Februar 1916 dann endgültig. Was bedeutete dieser Wechsel für die Seekriegführung? Die neue Flottenführung hatte keineswegs die Absicht, nunmehr die Entscheidungsschlacht zu suchen oder sich diese von der Grand Fleet aufdrängen zu lassen. Im Gegensatz zu Pohl wollte Scheer aber durch offensive Vorstöße diese aus der Reserve locken. Konsequent forderte er zugleich den rücksichtslosen U-Boot-Krieg. Diese Strategie, die sich im Grunde weiterhin im Rahmen des ursprünglichen Operationsplans bewegte und mit ihren nunmehr regelmäßigeren Vorstößen an Ingenohls Vorgehen anknüpfen wollte, fand am 23. Februar 1916 auch die Zustimmung des Kaisers. Bereits im Frühjahr 1916 unternahm die Hochseeflotte erste offensive Vorstöße, musste diese aber wegen schlechter Wetterverhältnisse mehrfach abbrechen. Am 24. April 1916 beschossen ihre Schlachtkreuzer Lowestoft und Great Yarmouth, und für den 29. Mai plante sie die Beschießung von

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Reinhard Scheer auf einer Porträtaufnahme um 1916

Sunderland. Als dieses Unternehmen aufgrund der Wetterverhältnisse aufgegeben werden musste, entschloss Scheer sich, in den Skagerrak vorzustoßen. Aus diesem Vorstoß entwickelte sich die „Skagerrak-Schlacht“, die Scheers Ruhm begründen sollte. Durch Abhören des deutschen Funkverkehrs war die Grand Fleet rechtzeitig alarmiert worden, und am 31. Mai 1916 stießen zunächst die Schlachtkreuzer beider Flotten, dann auch die jeweiligen Gros in der größten Seeschlacht der Geschichte in der nördlichen Nordsee aufeinander. Über den Verlauf der Schlacht im Skagerrak, das Verhalten der jeweiligen Flottenchefs – Scheer und Jellicoe – und die Führer der jeweiligen Schlachtkreuzergeschwader – Hipper und Beatty – ist „unendlich“ viel geschrieben worden. Festzuhalten bleibt, dass Scheer dieses Aufeinandertreffen nicht geplant hatte; ein Zusammenstoß mit der britischen Hauptmacht widersprach seinen im Frühjahr entwickelten Prinzipien der Seekriegführung. Zufälle, Glück und Wetter haben zudem das Geschehen auf dem Schlachtfeld erheblich beeinflusst. So haben die Schlachtkreuzer unter Hipper im Gefecht mit den von Beatty geführten Schlachtkreuzern zwar erhebliche Erfolge ohne eigene Verluste erzielt. Diese Erfolge hätten

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aber auch leicht in einem Desaster enden können, wenn Scheer entsprechend dem Vorschlag seines Operationschefs, Kapitän zur See Magnus von Levetzow, der Vorhut im Abstand von 100 Seemeilen und nicht nur 30 Seemeilen gefolgt wäre und die Schlachtkreuzer daher ohne Rückendeckung durch das Gros auf die Hauptmacht der Grand Fleet gestoßen wären. Am Nachmittag des 31. Mai stießen nach dem anfänglichen Gefecht der Schlachtkreuzer daher beide Flotten endgültig aufeinander. Begünstigt durch Sonnenstand und Windrichtung konnte die Grand Fleet dabei ihre zahlenmäßige Überlegenheit schnell entfalten. Jellicoe gelang es zweimal, Scheer durch „crossing-the-T“ in erhebliche Bedrängnis zu bringen, eine Lage, der sich der Flottenchef allerdings durch seine „berühmten“ Gefechtskehrtwendungen dann doch wieder erfolgreich entziehen konnte. Am Ende blieb ihm aber angesichts der britischen Überlegenheit nichts anderes übrig, als die Schlacht abzubrechen und so schnell wie möglich in die Heimathäfen zurückzulaufen. Über Scheers Verhalten in der Schlacht ist viel gerätselt worden. Er selbst äußerte unmittelbar nach der Schlacht „scherzhaft […], man werde sich wohl später in allen Akademien u.s.w. den Kopf darüber zerbrechen, was er sich gedacht habe. Er habe sich tatsächlich nichts gedacht. Die unendliche Arbeit, die wir in die gefechtstaktische Ausbildung unserer Linie und die Torpedobootstaktik gesteckt haben, hat herrliche Früchte getragen.“2 Die Tatsache, dass die lange herbeigesehnte Schlacht stattgefunden und die Flotte angesichts ihrer geringeren Verluste im Vergleich zur Grand Fleet offenbar einen Sieg errungen hatte, reichte, um Scheer zum Helden zu machen. Broschüren, Zeitungsartikel und Berichte schilderten sein Verhalten in der Schlacht und seine kühne Strategie, Gedichte und Lieder wurden ihm gewidmet: „Eine Morgensonne stieg über das Meer: England geschlagen! Heil Hipper und Scheer! Dank unsrer Flotte und Dank ihrer Taten! Ehre den Toten, Führern und Maaten!“, hieß es beispielsweise in dem Gedicht Die Hochseeschlacht vor dem Skagerrak.3 Am ersten Jahrestag der Schlacht, am 31. Mai 1917, verlieh ihm die Universität Marburg den Ehrendoktor für diese Leistung. Scheer genoss diese Popularität, nutzte sie aber auch sofort, um „Politik“ zu machen – wo immer möglich, drängte er nun auf die Wiederaufnahme des verschärften U-Boot-Krieges, der nach der erneuten Versenkung eines Dampfers mit amerikanischen Opfern nur noch nach Prisenordnung geführt wurde. Dies war aus Scheers Sicht zu wenig, um Großbritannien besiegen zu können. Die Hochseeflotte war dazu nicht in der Lage, wie er in einem geheimen Bericht für den Kaiser am 4. Juli 1916

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offen eingestand: „Die Nachteile unserer militärgeographischen Lage gegenüber der des Inselreiches und die große materielle Übermacht des Feindes werden durch die Flotte nicht in dem Maße ausgeglichen werden können, dass wir der gegen uns gerichteten Blockade oder des Insel­ reiches selber Herr werden.“4 Zwar sollte Scheer im Sommer doch noch einmal auslaufen, um Teile der Grand Fleet herauszulocken; diesen Vorstoß brach er jedoch ab, als größere Verbände gemeldet wurden. Auch spätere ähnliche Unternehmungen blieben erfolglos oder wurden von Wilhelm II. aus Sorge um den Erhalt der Schiffe nur mit erheblichen Einschränkungen genehmigt, sodass Scheer auf sie verzichtete. Ohnehin hatte die Hochseeflotte seit den Sommer- und Herbstmonaten des Jahres 1916 nur noch geringe Chancen, Teile der Grand Fleet zu stellen. Diese beschränkte sich darauf, die Nordseeausgänge zu sperren und die Deutsche Bucht mit Minen zu verseuchen, die die Bewegungsfreiheit der Hochseeflotte sowie der U-Boote zunehmend einschränkten. Vorstöße mit der ganzen Flotte hatten für Scheer ohnehin keine Priorität mehr. Sein Augenmerk galt nun allein dem U-Boot-Krieg. Dieser war inzwischen zu dem Mittel zur Ereichung eines Siegfriedens schlechthin stilisiert worden. Eine nüchterne Abwägung der damit verbundenen politischen Risiken – allen voran der nunmehr kaum noch zu vermeidende Eintritt der USA in den Krieg an der Seite der Alliierten – wie auch der rein militärischen Vorteile dieser Form des U-Boot-Krieges im Vergleich mit dem durchaus erfolgreichen U-Boot-Krieg nach Prisenordnung fand daher auch gar nicht statt. In seinem Tagesbefehl zur Eröffnung des U-Boot-Krieges am 1. Februar 1917 wiederholte Scheer alle Argumente, die einst zur Rechtfertigung des Flottenbaus gedient hatten: „Deutschland als Kontinentalstaat ohne starke Kampfflotte bleibt noch so mächtig gerüstet, eine Schachfigur im Spiel der Interessen der Mächte, die die See beherrschen, im Weltgetriebe letzten Endes doch ein dienendes Volk. […] Der Friede, wie wir ihn uns durch die Unterseeboote erzwingen wollen, muß der zweite Geburtstag der deutschen Hochseeflotte werden.“5 Es kam daher, wie es kommen musste: Am 2. Februar 1917 brachen die USA die diplomatischen Beziehungen ab, am 6. April erklärten sie schließlich dem Deutschen Reich den Krieg. Für die Hochseeflotte bedeutete diese eindeutige Schwerpunktverlagerung – der Admiralstab hatte versprochen, Großbritannien innerhalb von sechs Monaten zum Frieden zu zwingen – den endgültigen Übergang zu „eintönigem“ Routinedienst. Dieser

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bestand darin, den U-Booten Rückendeckung zu geben, deren Aus- und Einlaufwege von Minen zu räumen und deren Basen zu schützen. Die einzige Unterbrechung dieser Routine war die Eroberung der Baltischen Inseln im Herbst 1917, an der ein eigens gebildeter Sonderverband teilnahm. Die Eroberung der Baltischen Inseln sollte nicht nur den Zusammenbruch Russlands beschleunigen sowie dem an allen Fronten ausblutenden Heer gegenüber die Leistungsfähigkeit und Opferbereitschaft der Marine unterstreichen; sie diente auch dazu, die eigenen Mannschaften zu „beschäftigen“. Anlass dafür waren erste Meutereien, die im Sommer 1917 die Hochseeflotte erschüttert hatten. Ursachen dafür waren die zunehmende Empörung über ungerechte Behandlung durch die Offiziere, schlechte und ungleiche Verpflegung, mangelnde Freizeit, aber auch die Sehnsucht nach Frieden und Demokratie. Damit einher ging eine wachsende Politisierung von Teilen der Mannschaften, die erste Kontakte zu USPD-Abgeordneten im Reichstag geknüpft hatten. Scheer hatte keinerlei Verständnis für die alltäglichen Sorgen und Nöte der Matrosen. Da er zudem alle revolutionären Einflüsse im Keim ersticken wollte, griff er hart durch: Fast 80 Matrosen und Heizer wurden zu langjährigen Zuchthaus- oder Gefängnisstrafen, fünf zum Tode verurteilt. Mit ausdrücklicher Zustimmung Scheers wurden zwei der Meuterer – Albin Köbis und Max Reichpietsch – am 5. September 1917 hingerichtet. Diese Urteile sollten Scheer später immer wieder – und angesichts zahlreicher Verfahrensfehler und sonstiger Ungereimtheiten im Verhalten der Marineführung zu Recht – als „Justizmord“ vorgehalten werden. Selbst einige von der Marine beauftragte Justiziare hatten ihm angesichts der juristisch umstrittenen Auslegung der einschlägigen recht­ lichen Bestimmungen geraten, die Todesurteile in Haftstrafen umzuwandeln. Doch bereits am 25. August 1917 hatte der Staatssekretär des Reichsmarineamts, Capelle, den Führern der Mehrheitsparteien mitgeteilt, dass es der Flottenchef „mit seinem militärischen Gewissen nicht vereinbaren könne, Milde walten zu lassen.“6 Die allgemeine Enttäuschung über die geringen Erfolge im See-, vor allem aber im U-Boot-Krieg und wachsende interne Spannungen in der Marineführung führten im August 1918 schließlich zur Errichtung einer Seekriegsleitung. An deren Spitze stand Scheer. Ziel war es, den gesamten Seekrieg in eine Hand zu legen und damit dessen Erfolge zu erhöhen. Scheer genoss die neue Stellung, die ihn und damit die Marine auf Augenhöhe mit dem Chef der Obersten Heeresleitung, dem legendären Sieger von Tannenberg, Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, stellte.

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Doch sosehr Scheer sich in diesen letzten Wochen des Kaiserreichs auch bemühen mochte, bewirken konnte er angesichts der sich täglich verschlechternden Situation an den Fronten wenig. Das Eingeständnis der Niederlage zu Lande durch die OHL Ende September machte alle hochfliegenden Pläne von einem Ausbau der U-BootWaffe und der Verschärfung des U-Boot-Krieges zunichte. Aus Scheers Sicht drohte nicht nur die sofortige Einstellung des bei den Alliierten verhassten U-Boot-Krieges, sondern auch die Zukunft der Marine insgesamt stand auf dem Spiel. Ganz abgesehen von einer möglichen Auslieferung an die Alliierten bei einem Waffenstillstand, würde diese ohne Erfolge nach dem Krieg keine Unterstützung in der Politik und in der Bevölkerung finden. Scheer war auf diese Entwicklung vorbereitet. Als die Marine den U-Boot-Krieg als Vorbedingung für einen Waffenstillstand Mitte Oktober nach der erneuten Versenkung eines Passagierdampfers mit vielen zivilen Opfern einstellen musste, stimmte er der Ausführung jenes Plans zu, der als „Operationsplan Nr. 19“ in die Geschichte eingegangen ist. Seit Anfang Oktober hatte ein kleiner Kreis von Seeoffizieren mit Scheers Einverständnis Pläne für einen „Endkampf“ ausgearbeitet. „Aus moralischen Gesichtspunkten“ und weil es eine „Ehren- und Existenzfrage der Marine“ war, „im letzten Kampf ihr Äußerstes getan zu haben“, sollte diese noch einmal auslaufen. Wie sehr es um die „Ehre“ und „Zukunft“ der Marine ging, zeigt Scheers gleichzeitiges Eingeständnis, von diesem Vorstoß sei „nicht zu erwarten […], daß hierdurch der Lauf der Dinge eine entscheidende Wendung erfährt.“7 Kühl berechnend ließ Scheer den Kaiser wie auch den Kanzler – in seinen Unterredungen während seines Aufenthalts in Berlin ganz im Gegensatz zu seiner späteren Darstellung – im Dunkeln. Allein Ludendorff unterrichtete er über das geplante Unternehmen. Die Mahnung des Kaisers, „die militärischen Stellen [sollten] sich nicht mit Politik befassen“, verhallte ungehört. Der für den 30. Oktober 1918 geplante Flottenvorstoß fand jedoch nicht statt. Als am Abend des 29. Oktober gerüchteweise bekannt wurde, die Hochseeflotte solle zu einem Endkampf auslaufen, begannen die Mannschaften zu meutern. Der Chef der Hochseeflotte, Hipper, brach diesen daher ab. Der Versuch, die Meuterer durch Verlegung des III. Geschwaders nach Kiel zu isolieren, erweckte Erinnerungen an das harte Durchgreifen der Marineführung im Sommer 1917. Nicht zuletzt die Sorge, es könnten erneut Todesurteile gegen inhaftierte Rädelsführer verhängt werden, war mit dafür verantwortlich, dass aus einer Meuterei eine Revolution wurde, die die ohnehin überlebte alte Ordnung binnen weniger Tage hinwegfegte.

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Scheer konnte die Entwicklungen in Wilhelmshaven und dann in Kiel nur aus der Ferne verfolgen, manche Ereignisse erfuhr er erst mit teilweise erheblicher Verspätung. Alle Überlegungen, das Rad noch einmal zurückzudrehen, wurden von der Dynamik der Entwicklung überholt. Am 8. November erreichte die revolutionäre Welle auch das Große Hauptquartier in Spa. Die Nachrichten über den Siegeszug der roten Matrosen, die unmittelbar bevorstehenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand und die gleichzeitige Diskussion über eine Abdankung des Kaisers und damit das Ende der Monarchie hatten auch im idyllischen Spa eine bald unerträgliche Spannung zur Folge. An den Entscheidungen, die zur Abreise des Kaisers führten, vor allem an der berühmt-berüchtigten Offiziersbesprechung am Morgen des 9. November, war der Chef der Seekriegsleitung allerdings nur am Rande beteiligt. Die Frage, wie die Ordnung wiederhergestellt werden könnte – ob das Feldheer mit oder ohne den Kaiser in die Heimat marschierte –, konnte nach Lage der Dinge wie auch nach dem Selbstverständnis aller Beteiligten allenfalls die Führung der Armee beantworten. Hinzu kam, dass die Verantwortung für diese Entwicklung von vielen Beteiligten ohnehin der Marine in die Schuhe geschoben wurde. Bereits am 5./6. November hatte Korvettenkapitän Ernst von Weizsäcker, zeitweilig Scheers Flaggleutnant, in seinem Tagebuch festgehalten, was viele dachten: „Diese Marine! Entsprungen dem Weltmachtdünkel, verdirbt unsere Ausw[ärtige] Politik 20 Jahre lang, hält ihre Versprechungen im Kriege nicht und entfacht nun den Umsturz!“8 Letzteres ließ auch Wilhelm II. voller Verachtung auf sein einstiges „Lieblingskind“ schauen. Als Scheer ihm am Nachmittag des 9. November – d. h. nach der bereits erfolgten Abdankungserklärung des Reichskanzlers – im Rahmen der zunehmend absurder werdenden Diskussionen darüber, ob es nicht möglich sei, wenn nicht die Kaiser-, so doch wenigstens die Königswürde für Wilhelm II. zu retten, diesem zu bedenken gab, der „Verzicht auf die Kaiserwürde mache die Marine führerlos“, entgegnete dieser: „Ich habe keine Marine mehr!“ „Tiefe Enttäuschung klang aus diesen Worten, den letzten, die ich von Seiner Majestät vernommen habe“, erinnerte sich Scheer später verbittert.9 Innerhalb weniger Tage verließ Scheer Spa; Mitte Dezember 1918 schied er im Alter von 55 Jahren aus der Marine aus. Seine großen Ressentiments gegen die „Novembermänner“,10 wie er sie später nannte, dürften dazu freilich ebenso beigetragen haben wie die immer wieder vorkommenden Angriffe auf Offiziere, die auf der Straße beschimpft und denen die Achselstücke abgerissen wurden; höhere Offiziere wurden bald

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als Kriegsverbrecher beschuldigt, denen öffentlich der Prozess gemacht werden müsse. Auch Scheer wurde in diesen Tagen das Ziel öffentlicher Kritik, vielleicht sogar direkter Drohungen, seine Vergangenheit begann ihn wie viele andere führende Persönlichkeiten des Kaiserreichs nun einzuholen. Seit 1917 wurde Scheer öffentlich beschuldigt, in großem Umfang Lebensmittel aus den Proviantämtern für seine Familie entnommen zu haben. Angesichts seiner bekannten Fürsorge für seine Familie, traf dieser Vorwurf möglicherweise sogar zu. Dieser Vorwurf, nicht die Verantwortung für den U-Boot-Krieg, seine angeblich alldeutschen Tendenzen oder die Todesurteile für die Meuterer des Sommers 1917 drohten ihm nun zum Verhängnis zu werden. Im revolutionären Berlin fühlte Scheer sich jedenfalls nach wenigen Tagen nicht mehr sicher und floh nach Wilhelmshöhe unter den Schutz der Obersten Heeresleitung, die dorthin umgezogen war. Um die Jahreswende 1918/19 siedelte Scheer zusammen mit seiner Familie in das eher beschauliche und von den revolutionären Wirren weitgehend verschonte Weimar über. In Zeitungsartikeln und mit seinen bald erschienenen Erinnerungsbänden versuchte er, die Kaiserliche Marine, aber auch sein Lebenswerk zu rechtfertigen. Überlegungen, nach dem Kapp-Lüttwitz-Putsch Chef der Admiralität zu werden, scheiterten am Widerstand des Reichspräsidenten, Friedrich Ebert. Auch wenn Scheer in diesen Jahren wieder öffentliche Anerkennung erfuhr, sogar wieder „gefragt“ wurde, privat war das Jahr 1920 für ihn eine Katastrophe. Am 9. Oktober 1920 ermordete ein Einbrecher seine Ehefrau. Auch seine jüngste Tochter und sein Hausmädchen wurden schwer verletzt; Letzteres überlebte seine Verletzungen nicht. Dieser Verlust war vermutlich dafür verantwortlich, dass Scheers Leben unruhiger wurde. Offenbar unter dem Einfluss von Katharina von Oheimb, einer engagierten Frauenrechtlerin, Berliner Salonière und Politikerin der Deutschen Volkspartei, trat Scheer dieser 1921 bei. Zum Entsetzen vieler Repräsentanten des alten Regimes stand er innerhalb der DVP auf deren linkem Flügel, plädierte für eine Zusammenarbeit mit der SPD und traf sich sogar mit einem Verzichtspolitiker wie Walther Rathenau. Zugleich distanzierte er sich öffentlich von Ludendorff und lehnte auch die republikanische Staatsform nicht allein schon aus prinzipiellen Gründen ab. Selbst für das Amt des Reichspräsidenten, dessen Wahl für 1922 vorgesehen war, brachte er sich ins Gespräch. Scheers Ausflug in die Parteipolitik blieb letztlich eine Episode – ebenso wie seine öffentlich diskutierte „Liaison“ mit Katharina von

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Oheimb. Viele seiner alten Vertrauten hatten Scheer wegen seines Verhaltens, das mit tradierten politischen und moralischen Wertvorstellungen nur schwer in Einklang zu bringen war, in diesen Monaten massiv kritisiert. „Ich kann nicht verstehen“, schrieb sein langjähriger Stabschef, Vizeadmiral Adolf von Trotha, im März 1922, „wie er sich freiwillig mit Leuten wie Rathenau, Wirth, Müller usw. an einen Tisch setzen kann. Ich hatte mir sehr gewünscht, daß unser Flottenchef sich freigehalten hätte von der Kritik, die an dem Innenpolitiker Scheer schließlich jeder Leutnant das Recht hat auszuüben. Ich glaube, seine Person als nationales Vorbild […] hätte für unser Volk mehr ausrichten können.“11 Was damit gemeint war, machte Scheers ehemaliger Chef der Operationsabteilung, Kapitän zur See Magnus von Levetzow, zur gleichen Zeit deutlich: „Gott bewahre mich, was gibt es für Männer in Deutschland – und wie leicht hatte es Scheer; er brauchte ja nur auf dem für ihn hergerichteten Skagerraksockel hübsch still sitzenzubleiben, seine ihm um die Stirn gewundenen Lorbeeren wären, seinem Vaterlande zum Ruhme und kommenden Geschlechtern zur Nacheiferung, immer goldener geworden. Stattdessen springt er vom Sockel herab und dekouvriert sich vor aller Welt als die stümperhafte Mittelmäßigkeit und – was noch schlimmer ist – als ein undeutscher Mann, ein schwaches Rohr im Winde.“12 Die Urteile Trothas und Levetzows über Scheer waren zweifellos harsch, sie zeigten aber – unabhängig von tiefer persönlicher Enttäuschung –, wie sehr beide – und das galt für die nationale Rechte insgesamt – eine Symbolfigur suchten, die im Kampf gegen die neue Ordnung Erfolg versprach. Die Sorgen der „alten Kameraden“ erwiesen sich schließlich jedoch als unbegründet. In den wenigen ihm noch verbleibenden Lebensjahren beschränkte Scheer sich ganz auf die Marine. 1925 erschien sein zweiter Memoirenband – Vom Segelschiff zum U-Boot. Im Gegensatz zu dem ersten Band, der sich allein mit der Zeit des Weltkrieges beschäftigt hatte, schilderte er darin sein ganzes Leben. Zugleich wollte er damit die alte Marine verteidigen und für eine neue maritime Zukunft werben. Ganz auf dieser Linie lag auch sein Engagement für die Errichtung eines Ehrenmals für die Gefallenen der Marine in Laboe. Am 8. August 1928 legte er den Grundstein. Die Widmung des Grundsteins hatte programmatische Bedeutung: „Für deutsche Seemannsehr, für Deutschlands schwimmend’ Wehr, für beider Wiederkehr“13, lautete diese. Gleiches gilt für Scheers Rede. In dieser forderte er alle auf mitzuhelfen, „unseren Willen zu betätigen uns auch wieder den Platz unter den Völkern in der Welt

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zu sichern, der uns nach unserer Leistungsfähigkeit, unserer Tüchtigkeit und vor allen Dingen unserer Ehrlichkeit zukommt.“14 In einer Zeit, in der die Marineleitung wieder davon träumte, heimlich und langsam wieder aufzurüsten, waren diese Worte sicherlich ein wichtiges öffentliches Signal, auch wenn ein unmittelbarer Zusammenhang mit den „Panzerschiffplänen“ nicht nachweisbar ist. Soweit ersichtlich, bewegte Scheer sich in diesen letzten Monaten seines Lebens auch wieder in den „richtigen“, d. h. konservativen politischen Kreisen. Bei einer Veranstaltung im November 1928 traf er sogar – wenn auch eher zufällig – Adolf Hitler. Treibende Kraft bei den Bemühungen, Scheer vor den Karren der Konservativen zu spannen, war der ehemalige Chef der Operationsabteilung der Hochseeflotte, Levetzow. Dieser wollte ihn offenbar gezielt als Kandidat für das Amt des Reichspräsidenten „aufbauen“. Levetzow und die hinter ihm stehenden Kräfte waren freilich nicht die Einzigen, die sich Scheer als zukünftigen Reichspräsident vorstellen konnten. Hindenburg selbst soll – Levetzow zufolge – Scheer Mitte November 1928 zu sich gerufen haben, um ihm sein Testament zu zeigen. Darin empfahl er dem „deutschen Volke“, Admiral Scheer zum Nachfolger zu wählen. Dies war ein ungewöhnliches Verfahren, das von einem merkwürdigen Verständnis Hindenburgs von den Spielregeln einer demokratischen Repu­ blik zeugte. Gleichwohl deutete Hindenburg damit an, welchen Kurs diese nach dem Ende seiner Amtszeit oder seinem Tode nehmen sollte. Für welches Programm Scheer gestanden hätte, ist freilich eine nicht zu beantwortende Frage. Alle Hoffnungen, die Hindenburg, Levetzow und andere mit einem „Reichspräsidenten Scheer“ verbunden haben mögen, erwiesen sich innerhalb weniger Tage als verfrüht: Am 26. November 1928 starb Scheer, der an den Folgen einer Lungenentzündung litt, an einem Schlaganfall in Marktredwitz. Die Beerdigung erfolgte in Weimar in Anwesenheit der Marine und zahlreicher Vertreter nationaler Verbände – einschließlich der NSDAP. Scheer erhielt aber kein Staatsbegräbnis, nicht einmal eine Lafette hatte die Reichsregierung für die Überführung des Sarges zur Verfügung gestellt. Für eine Regierung mit einem sozialdemokratischen Reichskanzler an der Spitze war eine derartige Ehre für jenen Mann, der die Todesurteile von 1917 und die Meuterei von 1918 zu verantworten hatte, offenbar undenkbar. Der Mythos des „Siegers“ – zumal über die erste Seemacht der Welt – ließ Scheer dennoch weiterleben. Nach Straßen und Plätzen wurde auch eines der ersten neuen Panzerschiffe nach ihm benannt – „Admiral

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Scheer“. In Anwesenheit des Chefs der Marineleitung, Admiral Erich Raeder, taufte Scheers älteste Tochter Marianne das zweite Panzerschiff der Reichsmarine am 1. April 1933 auf den Namen ihres Vaters. Am 31. Mai 1937, dem Skagerrak-Tag, griff das im November 1934 in Dienst gestellte neue Panzerschiff in den spanischen Bürgerkrieg ein und beschoss das „rote“ Almeria. Seit Ende 1940 führte die „Admiral Scheer“ Handelskrieg im Atlantik, später beschoss sie Stellungen an der Ostfront. Anfang April 1945, nach britischen Bombentreffern, versank der Panzerkreuzer im Hafen von Kiel. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass über dem Wrack der „Admiral Scheer“ später der Pkw-Parkplatz des heutigen Marinearsenals angelegt wurde. Anmerkungen 1 2 3 4 5 6

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Scheer an Bachmann, 24.2.1915, BA-MA, RM 8/1647. Hopman an Souchon, 11.6.1916, in: Hopman, Das ereignisreiche Leben, S. 827. Josef Buchhorn, in: Gedichte zur Seeschlacht, S. 10. Scheer an Wilhelm II., 4.7.1916, in: Die deutsche Seekriegsleitung, Bd. 2, Nr. 192, mit weiteren Verweisen. Scheers Tagesbefehl vom 31.1.1917, in: Tirpitz, Politische Dokumente, Bd. 2, S. 594f. „Niederschrift über die Besprechung des Reichskanzlers mit führenden Abgeordneten der Reichstagsparteien über die Flottenunruhen und mögliche Maßnahmen gegen Abgeordnete der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei“ vom 25.8.1917, in: Deist (Hrsg.), Militär und Innenpolitik, Bd. 2, S. 1036. Aufzeichnung im K.T.B. der S.K.L. vom 25.10.1918 über die „Reise des Chefs des Admiralstabs nach Berlin vom 15.–25.10.1918“, in: Die deutsche Seekriegsleitung, Bd. 4, Nr. 688 (auch für das folgende Zitat). Tagebucheintragung Weizsäckers vom 5./6.11.1918, in: Weizsäcker, Weizsäcker-­ Papiere, Bd. 1, S. 314. Scheer, Deutschlands Hochseeflotte, S. 370. Scheer, Vom Segelschiff zum U-Boot, S. 358. Trotha an Levetzow, 15.3.1922, zitiert nach: nach Dülffer, Weimar, Hitler und die Marine, S. 55. Levetzow an Trotha, 6.11.1921, zitiert nach Granier, Magnus von Levetzow, S. 118. Zitiert nach: Deutscher Marinebund (Hrsg.), Das Marine-Ehrenmal, S. 24. Vgl. Prange, Marine-Ehrenmal, S. 65.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Reinhard Scheer, N 982, fünf Auf bewahrungseinheiten, Korrespondenz und stenographische Notizen Scheers über die Skagerrakschlacht. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), RM 5/6358, Kriegstagebuch der Seekriegsleitung 1918.

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Gedruckte Quellen und Literatur Deutscher Marinebund (Hrsg.), Das Marine-Ehrenmal in Laboe. „Für die Ewigkeit, zeitlos, klar …“, Hamburg 2004. Dülffer, Jost, Weimar, Hitler und die Marine. Reichspolitik und Flottenbau 1920 bis 1939, Düsseldorf 1973. [Anonym], Gedichte zur Seeschlacht vor dem Skagerrak am 31. Mai 1916, Berlin 1916. Granier, Gerhard, Magnus von Levetzow: Seeoffizier, Monarchist und Wegbe­reiter Hitlers. Lebensweg und ausgewählte Dokumente, Boppard 1982. Hopman, Albert, Das ereignisreiche Leben eines „Wilhelminers“. Tagebücher, Briefe und Aufzeichnungen 1901–1920, hrsg. und bearb. von Michael Epkenhans, München 2004. Prange, Thorsten, Das Marine-Ehrenmal in Laboe. Geschichte eines deutschen Nationalsymbols, Wilhelmshaven (o. J.). Scheer, Reinhard, Vom Segelschiff zum U-Boot, Leipzig 1925. Scheer, Reinhard / Stöwer, Willy, Die deutsche Flotte in großer Zeit, Braunschweig 1926. Scheer, Reinhard, Deutschlands Hochseeflotte im Weltkrieg, 2. Aufl., Berlin 1937. Scheer, Reinhard, „Mein lieber Schatz!“ – Briefe von Admiral Reinhard Scheer an seine Ehefrau, August–November 1918, hrsg. und bearb. von Michael Epkenhans, Bochum 2006. Tirpitz, Alfred von, Politische Dokumente. Bd. 2: Deutsche Ohnmachtspolitik im Weltkriege, Hamburg / Berlin 1926. Weizsäcker, Ernst von, Die Weizsäcker-Papiere, Bd. 1: 1900–1932, hrsg. von Leonidas E. Hill, Berlin 1982.

General der Kavallerie Friedrich Graf von der Schulenburg von Lukas Grawe

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ür den Militärschriftsteller Hans Frentz war Friedrich Graf von der Schulenburg ein „treuer Paladin des Obersten Kriegsherrn“, der „durch sein mannhaftes und zielbewußtes Auftreten am 9. November 1918“ die Ehre der preußisch-deutschen Armee gerettet habe.1 Wie für viele seiner Standeskollegen auch bedeutete jener geschichtsträchtige Tag eine tiefe Zäsur im Leben des Generalstabsoffiziers. Hatte er, aus altem märkischen Adel stammend, zuvor zur elitären Herrschaftsschicht gezählt, verlor Schulenburg nach der Abdankung Wilhelms II. den politischen und ideologischen Halt. Seine spätere Hinwendung zum National-

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sozialismus entsprang dem Wunsch nach einem starken „Ersatzkaiser“, der die Geschicke Deutschlands wieder zu ordnen vermochte. Friedrich Bernhard Karl Gustav Ulrich Erich Graf von der Schulenburg wurde am 21. November 1865 als zweiter Sohn des Fideikommissherrn Werner von der Schulenburg im mecklenburgischen Bobitz geboren. Als Teil des ostelbischen Junkertums wuchs er in monarchisch-konservativer Umgebung auf, in der häufig friderizianische Traditionen beschworen wurden. Preußen war das Ideal, Mecklenburg galt Schulenburg hingegen nur als Geburtsort. Obwohl der Gutsbesitz nach dem Tod des älteren Bruders an ihn überging, entschied sich Schulenburg gegen die Bewirtschaftung der Ländereien und verpachtete sie. Um aus der geistigen Enge seiner Heimat zu entfliehen, trat er nach dem Abitur und einigen Semestern Jurastudium in Heidelberg am 1. April 1888 als Einjährig-Freiwilliger in das 2. Garde-Ulanen-Regiment in Berlin ein. Ein Jahr später erhielt er sein Leutnantspatent, ehe er am 3. Juni 1890 in das exklusive Regiment Garde du Corps wechselte. Hier fand Schulenburg adlige Gönner und knüpfte erste Kontakte zur kaiserlichen Familie. Obwohl er in privaten Briefen oftmals von „Diensthölle“ oder „Gefängnis“ schrieb,2 setzte er fortan alles auf einen Aufstieg im preußischen Militär. Am 8. Mai 1897 wurde Schulenburg aus Berlin abberufen und zum Flügeladjutanten des Großherzog-Regenten von Mecklenburg-Schwerin, Johann Albrecht, ernannt. Der junge Offizier konnte hier erste Schritte auf militärpolitischem Parkett machen und auch die Meinung des Großherzogs maßvoll beeinflussen. Nach zweijährigem Dienst in Schwerin erfolgte am 25. März 1899 mit der Versetzung in das 2. Garde-Dragoner-Regiment und dem Kommando zum preußischen Generalstab der nächste Karriereschritt. Nur wenigen Offizieren gelang der Einstieg in die elitäre Militärbehörde, ohne zuvor die Militärakademie besucht zu haben. Schulenburg war einer von ihnen. Der Generalstab wurde rasch zu einer militärischen Heimat des jungen Offiziers, der 1900 zum Rittmeister ernannt wurde. Schulenburg galt als außerordentlich fähiger Generalstabsoffizier und wurde daher am 13. Februar 1902 als Militärattaché zur deutschen Botschaft nach London kommandiert. Hier oblag ihm nicht nur die Beobachtung der britischen Armee, sondern auch die Pflege der deutsch-britischen Beziehungen. Der politisch begabte und mit diplomatischem Takt ausgestattete Schulenburg eroberte sich rasch eine Stellung, „wie sie wohl nur selten ein deutscher Militärattaché auf einem auswärtigen Posten gehabt hat“.3 Dem wilhelminischen Zeitgeist folgend, forderte auch Schulenburg eine Großmachtstellung für Deutschland, kritisierte dabei aber das deutsche

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Friedrich von der Schulenburg (Foto um 1917/18)

Flottenrüsten und die „Schaukelpolitik“4 der Reichsregierung. Da sich die deutsch-britischen Beziehungen nach der Jahrhundertwende merklich verschlechterten, rückten Schulenburgs Berichte zunehmend in den Fokus der Reichsleitung und des Kaisers. In einer grundlegenden Denkschrift betonte der Rittmeister die Unwahrscheinlichkeit eines britischen Angriffs auf das Deutsche Reich, hob aber zugleich den „tiefen Haß“ Großbritanniens auf das aufstrebende Kaiserreich hervor. Aus dieser verworrenen Situation gebe es nur einen Ausweg: „ein Schutz- und Trutzbündnis mit Rußland gegen England.“5 Ausdrücklich widersprach Schulenburg damit den Einschätzungen des deutschen Botschafters vor Ort, Paul von Metternich. Eilends nach Berlin bestellt, vertrat der Generalstabsoffizier seinen Standpunkt auch gegenüber Reichskanzler Bülow und Wilhelm II. Beide schätzten die Berichte Schulenburgs jedoch als übertrieben pessimistisch ein. „Ich bin so verärgert, dass ich mich wiederholt mit dem Gedanken trage, meinen Abschied zunehmen [sic!], denn man kann doch nichts ändern und helfen – und außerdem passe ich nicht in das Korps der Schuster und Höflinge, die sich immer mehr und weiter ausbreiten“,6 schrieb ein enttäuschter Schulenburg seinem Freund Dietlof Graf von Arnim-Boitzenburg.

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Nach seiner Rückkehr aus London fungierte der Rittmeister kurze Zeit als Eskadronchef im 1. Garde-Dragoner-Regiment, ehe er 1907 zum Major befördert und erneut in den Großen Generalstab versetzt wurde. Bis 1912 wechselte Schulenburg nun von der Berliner Zentralstelle in verschiedene Truppengeneralstäbe. Zunächst trat er 1909 den Dienst als 1. Generalstabsoffizier (Ia) der 13. Division in Münster an, ehe er 1911, nach kurzem Zwischenspiel in Berlin, zum Ia im Generalstab des Gardekorps avancierte. Im Dezember 1912 wurde Schulenburg schließlich Kommandeur des prestigeträchtigen Regiments Garde du Corps und stieg ein halbes Jahr später zum Flügeladjutanten des Kaisers auf. In dieser Position wurde er zum Oberstleutnant befördert. Die Jahre des militärischen Aufstiegs gingen einher mit einem stetig wachsenden innenpolitischen Interesse Schulenburgs. Als konservativer Offizier beschäftigte er sich vor dem Ersten Weltkrieg umfangreich mit der größten Herausforderung für die Monarchie: der Sozialdemokratie. Anders als viele seiner Standesgenossen vertrat er dabei die Ansicht, dass der Staat der SPD entgegenkommen müsse. „Ich kann in ihnen nicht das schwarze Blutgespenst sehen. Die Millionen ihrer Wähler wollen weder Umsturz noch sengen und morden – es sind Unzufriedene oder Unaufgeklärte. Bei richtiger Behandlung könnte man sie (natürlich die dollsten Schreier wie Bebel, Singer pp. ausgenommen) umwandeln.“7 Erst im Vorfeld des Ersten Weltkriegs, als die Konflikte zwischen den europäischen Mächten beständig zunahmen, schwenkte Schulenburg auf die harte Linie seiner Standesgenossen ein. Fortan hoffte er, die verfahrene innenpolitische Situation mithilfe eines siegreichen Krieges nach außen zu bereinigen. Einen solchen hielt er angesichts der europäischen Spannungen für unvermeidlich. Als der Krieg im August 1914 tatsächlich eintrat, wurde Schulenburg zum Chef des Generalstabs des Gardekorps unter Karl von Plettenberg ernannt. Mit seinem Verband nahm der Oberstleutnant als Teil der 2. Armee am Vormarsch im Westen teil. Große Risikobereitschaft zeichnete den Generalstabschef in den ersten Monaten des Krieges aus. Die Schlacht an der Marne und die Kämpfe in Flandern im November 1914 beendeten jedoch die Hoffnungen auf einen raschen Sieg. Das Gardekorps musste sich an den Stellungskrieg anpassen. Erst im April 1915 nahm es wieder am Bewegungskrieg teil, dieses Mal jedoch an der Ostfront. Bei Gorlice-Tarnów gelang den Truppen der Mittelmächte ihr größter Sieg während des Weltkriegs, an dem auch Schulenburgs Gardekorps Anteil hatte. Als Anerkennung seiner Leistungen wurde der Generalstabsoffi-

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zier nach dem Erfolg zum Oberst befördert. Nach dem Krieg beklagte er in seinen Memoiren, dass der Sieg nicht politisch ausgenutzt worden war. Nach Schulenburgs Ansicht hätte zu diesem Zeitpunkt ein maßvoller Sonderfrieden mit dem Zarenreich große Aussichten auf Erfolg gehabt.8 Im September 1915 wurde das Gardekorps zurück an die Westfront verlegt. Nach zweijähriger Tätigkeit als Generalstabschef der Einheit avancierte Schulenburg am 21. April 1916 zum Ia der 5. Armee, die unter dem Befehl des preußischen und deutschen Kronprinzen Wilhelm an den schweren Kämpfen vor Verdun maßgeblich beteiligt war. Obwohl Schulenburg anfangs den Angriffsplan auf die Festungsstadt aufgrund seiner Kühnheit durchaus befürwortete, setzte er sich angesichts der horrenden Verluste seit dem Sommer für einen Abbruch der Offensive ein. Er konnte es kaum fassen, „welche Unzahl von Divisionen“ seit Beginn der Angriffe „physisch und moralisch zerschlagen“ worden waren. „Und jetzt fehlen uns kampfkräftige Truppen an allen Ecken u[nd] Enden.“ Ausdrücklich kritisierte er den Generalstabschef der 5. Armee, Konstantin Schmidt von Knobelsdorf, der in Verdun „verrannt“ sei. „Verdun kann uns den Feldzug kosten!“9 Auch übte er scharfe Kritik an Generalstabschef Falkenhayn. Hatte er diesem zunächst aufgeschlossen gegenübergestanden und sogar für einen möglichen Nachfolger Bethmann Hollwegs als Reichskanzler gehalten, begrüßte er im August 1916 seine Ablösung durch Hindenburg und Ludendorff. Besonderes Vertrauen genoss Schulenburg beim preußischen Kronprinzen. Nachdem der Oberst am 28. August 1916 zum Generalstabschef der 6. Armee unter Ludwig von Falkenhausen ernannt worden war, setzte sich Wilhelm für die Rückkehr Schulenburgs unter sein Kommando ein. Als im November 1916 mehrere Armeen des Mittelabschnitts der Westfront zur neu gegründeten „Heeresgruppe Deutscher Kronprinz“ zusammengefasst wurden, avancierte Schulenburg daher zum Generalstabschef des Großverbands. Kronprinz Wilhelm schätzte seinen Chef als „hochbegabte[n], kluge[n], vielseitig gebildete[n] Offizier der altpreußischen Schule, ein untadeliger Charakter und Edelmann in des Wortes schönster Bedeutung, vorurteilslos und modern denkend, von eisernem Fleiß und nie ermüdender Schaffenskraft, unbeirrbar in seiner strengen Sachlichkeit.“10 Selbst ein militärischer Laie, war der Kronprinz nur aufgrund seines fürstlichen Standes zu einem hohen Kommando gelangt und daher von militärisch fähigen Beratern abhängig. Während Wilhelm die Befehle gegenzeichnete, war Schulenburg fortan der faktische Oberkommandierende der Heeresgruppe.

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Angespornt durch den Vertrauensvorschuss seines Vorgesetzten stürzte sich Schulenburg in seine neue Aufgabe. Täglich war er mit dem Kraftwagen unterwegs, um einzelne Armee- oder Divisionsstäbe in Frontnähe aufzusuchen und die Lage einzuschätzen. Als Generalstabschef des Kronprinzen musste er jedoch nicht nur Militär, sondern auch Politiker und Diplomat sein. Ausdrücklich begrüßte er daher Besuche von zivilen Persönlichkeiten im Hauptquartier der Heeresgruppe, die dem Kronprinzen den politischen und militärischen Ernst der Lage ungeschminkt schilderten. Indes bestimmten die Auswirkungen der Schlacht von Verdun auch in seiner neuen Position Schulenburgs militärische Möglichkeiten. Schließlich musste seine Heeresgruppe sich Ende 1916 gegen französische Gegenoffensiven erwehren. Die Gegner Deutschlands „erreichen allmählich eine physische u[nd] moralische Zermürbung“, schrieb Schulenburg einem Generalstabskollegen. „Verdun hat die Nerven unseres Westheeres zerschlagen und man sieht der Wahrheit nicht in die Augen, wenn man verneint, daß unsere Truppen in ihrem Gefechtswert und ihrer Widerstandskraft abgenommen haben, und daß dies weiter zurückgehen wird. […] Mich ergreift hierbei ein tiefer Grimm gegen Knobelsdorf, der Hekatomben von Menschen und Munition für einen uferlosen Zweck geopfert, und vor Verdun in eine heillose Lage gebracht hat.“11 Nach den Misserfolgen vor Verdun sah sich das deutsche Westheer im Jahr 1917 wieder in die Defensive gedrängt. Schulenburgs Heeresgruppe musste sich auf schwere Abwehrkämpfe vorbereiten. Unermüdlich fuhren Kronprinz Wilhelm und sein Stabschef die einzelnen Verbände ihres Befehlsbereichs ab, um die Kommandeure von einem neuen, tiefen Verteidigungsverfahren zu überzeugen. Um die Wirkung der gegnerischen Artillerie wirkungslos werden zu lassen, sollten die ersten Gräben nur schwach besetzt, die Defensivanlagen aber insgesamt tiefer gestaffelt werden. Auf diese Weise gelang es den deutschen Truppen im Frühjahr 1917, die Offensive des neuen französischen Oberbefehlshabers Nivelle bereits im Keim zu ersticken. Innerhalb der französischen Armeen kam es angesichts der horrenden Verluste zu Meutereien und ernsthaften Auflösungserscheinungen. Schulenburg, der für die Leitung der erfolgreichen Abwehr am 24. April 1917 den Orden Pour le Mérite erhielt, setzte sich für eine Ausnutzung des Erfolgs und für eine Gegenoffensive ein, drang bei der OHL mit seinen Vorstellungen jedoch nicht durch. Trotz der Abwehrerfolge wuchs bei Schulenburg mit zunehmender Kriegsdauer der Pessimismus. Seine Briefe an Familie und Freunde, von Anfang an in ernstem Ton gehalten, nahmen mehr und mehr einen

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­esillusionierten Ton an. „Wieviel Jugendkraft und Intelligenz wird d immer weiter zerschlagen – u[nd] das Wort Familie u[nd] Heimat giebt es für uns ja überhaupt nicht mehr“, klagte er in einem Brief an Graf Arnim.12 Bereits im März 1916 hatte er gefordert, den Krieg bis zum Sommer zu beenden. „Die Politik ist eine Berechnung des Möglichen. Stelle ich unsere errungenen Vorteile neben die Thatsache, daß unsere Feinde nicht mehr niederzuringen sind u[nd] daß sich noch andere Neutrale auf ihre Seite stellen können, so kann der Friede nur ein weiser Kompromiß sein. Selbst an unseren maßgebenden Stellen herrscht vielfach noch die törichte Verblendung, daß wir unseren Feinden die Bedingungen vorschreiben werden u[nd] daß neben der Knechtung Englands die Ausschaltung Rußlands in Europa unser leicht zu erreichendes Kriegsziel bleiben muß.“ Mit Blick auf die altpreußische Geschichte fügte Schulenburg hinzu: „Das Kriegsziel des großen Königs war die Erhaltung des Staates.“13 Die Materialschlachten von Verdun und an der Somme verstärkten diese Eindrücke noch. Sie hatten dem Oberst gezeigt, dass die Entente nach wie vor über unbegrenzte Mengen an Menschen und Material zu verfügen schien. Fortan machte sich Schulenburg für einen moderaten Frieden mit Russland stark. Um dieses aus der feindlichen Koalition herauszubrechen, müsse man auf weitreichende Eroberungen im Osten verzichten und dem Zarenreich stattdessen die freie Durchfahrt durch die Dardanellen garantieren. Auf diese Weise bekomme man Kräfte für die Westfront frei. Um Großbritannien in die Knie zu zwingen, befürwortete er auch den uneingeschränkten U-Boot-Krieg, warnte aber vor einem Bruch mit den Vereinigten Staaten von Amerika, den es zu vermeiden gelte. Seine Forderungen nach einem maßvollen Frieden mit dem Zarenreich äußerte Schulenburg indes nicht nur im privaten Umfeld. Auch gegenüber hochrangigen politischen und militärischen Entscheidungsträgern setzte er sich für ein Ende des Krieges ein. Georg Alexander von Müller, der Chef des kaiserlichen Marinekabinetts, vermerkte am 29. Juni 1917 in seinem Tagebuch: „Ganz interessante Unterhaltung mit dem auch hier [in Kreuznach] anwesenden Stabschef des Kronprinzen, Oberst Graf Schulenburg, der sehr für einen Frieden vor dem Winter war und sagte, die Armee habe genug getan.“14 Ähnliche Forderungen brachte der Oberst auch bei einem Besuch einer Reichstagsdelegation im Hauptquartier der Heeresgruppe vor. Gegenüber dem Zentrumspolitiker Karl Trimborn und dem Reichstagspräsidenten Johannes Kaempf legte er noch einmal seine Vorstellungen hinsichtlich maßvoller Friedensbedingungen gegenüber Russland dar. Auch mit Reichskanzler Bethmann Hollweg besprach Schulen-

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burg einen Sonderfrieden. Letztlich scheiterten seine Initiativen jedoch stets am Widerstand der OHL unter Hindenburg und Ludendorff, die einen „Gewaltfrieden“ im Osten mit großzügigem Landerwerb forderte. Nach dem Ausscheiden Russlands Ende 1917 / Anfang 1918 und dem von Schulenburg hart kritisierten Frieden von Brest-Litowsk boten sich für das Deutsche Reich neue Möglichkeiten. Anstatt im Bewusstsein der Stärke Friedensfühler auszustrecken, setzte die OHL nun alles auf eine Karte: Eine Offensive im Westen sollte den Krieg zu deutschen Gunsten entscheiden, ehe die amerikanischen Truppen in Europa eintrafen. Fraglich blieb, an welcher Stelle der Westfront die Angriffe geführt werden sollten. Während die Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht für eine Offensive in Flandern gegen die Briten warb, machte sich Schulenburg für einen Angriff beiderseits Verdun stark. Auf diese Weise sollten die Franzosen aus dem Krieg gedrängt werden. Ludendorff entschied sich jedoch gegen beide Vorschläge und setzte seine eigenen Ideen durch: Die deutsche Frühjahrsoffensive sollte nun an der Nahtstelle zwischen Franzosen und Briten einsetzen. Anders als die beiden abgelehnten Vorschläge der Heeresgruppenführungen fehlte dem Vorhaben aber ein klares strategisches Ziel, was auch Schulenburg erkannte. Zwar hielt er einen Durchbruch für möglich, doch glaubte er nicht an dessen schlachtentscheidende Wirkung. Seinem Untergebenen Ludwig Beck vertraute er am Vorabend der Offensive an: „Wir werden in der morgen früh beginnenden Schlacht einen großen Erfolg erringen, vielleicht 100 000 Gefangene machen und 12 000 Geschütze erbeuten. Aber schließlich wird unsere Lage ungünstiger sein als vorher und die Aussicht auf das Gewinnen des Krieges weiter sinken.“ Alles, was man erreichen könne, sei „eine sehr tiefe Frontausdehnung nach vorn“, die „uns, ungerechnet der Verluste, weit mehr Truppen kosten wird, als die bisherige Front […] Eine Kriegsentscheidung wird der Angriff also nicht bringen, dazu reichen die Kräfte nicht aus. Das Ganze ist eben ein Ausfall aus einer belagerten Festung; diese hat aber nicht auf Entsatz zu rechnen, sondern inzwischen werden die Amerikaner kommen.“15 Mit seinen Voraussagen sollte Schulenburg recht behalten. Zwar erzielte das „Unternehmen Michael“ große Geländegewinne, doch blieb eine strategische Entscheidung aus. Weitere Offensiven folgten – die Resultate blieben gleich. Großen Geländegewinnen standen horrende Verluste an Menschen und Material entgegen. Zudem mussten die deutschen Armeen eine immer längere Frontlinie halten, die sich ungünstiger verteidigen ließ. Für Mitte Juli 1918 plante Ludendorff eine weitere Offensive im Abschnitt der Heeresgruppe Deutscher

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Kronprinz. Vehement sprach sich Schulenburg, der am 12. Juli 1918 zum Generalmajor befördert worden war, gegen einen weiteren Angriff aus, schließlich wusste er um die geringen Kräfte seines Großverbands. Außerdem wies er Ludendorff auf die hohen Ausfälle infolge einer Grippewelle hin. Doch der Erste Generalquartiermeister hielt unbeirrbar an seinem Entschluss fest. Ihm sei bisher noch jeder Angriff geglückt. „Meinen Hinweis auf die Grippe und die schwachen Gefechtsstärken fertigte Ludendorff unwillig mit den Worten ab: Mit schwachen Gefechtsstärken muß sich die Truppe abfinden und Grippe kenne ich nicht.“16 Am 7. Juli 1918 versuchten Schulenburg und der Kronprinz ein letztes Mal vergeblich, die Offensive zu stoppen. Desillusioniert kehrten sie in das Hauptquartier der Heeresgruppe zurück. „Mit dem gestrigen Tag haben wir den Krieg endgültig verloren und wahrscheinlich auch nicht nur den Kaiser, sondern auch die Monarchie“, äußerte sich der Generalstabschef einen Tag später gegenüber Beck.17 Wie von Schulenburg vorausgesehen, reichten die deutschen Truppenstärken längst nicht mehr aus, um bei der am 15. Juli beginnenden Offensive Erfolge erzielen zu können. Bereits nach wenigen Tagen begannen die Franzosen ihre Gegenoffensive, sodass die deutschen Angriffe abgebrochen werden mussten. Fortan befand sich das Deutsche Reich in der Defensive, die Entscheidung zugunsten der Entente war gefallen. Noch stärker als bisher setzte sich Schulenburg nun für einen Friedensschluss ein, da er eine deutsche Niederlage fortan für unvermeidbar hielt. Auch der Kronprinz machte sich wiederholt für eine Beendigung des Krieges stark. „Ludendorff wollte die Waffenentscheidung, wollte mit 67 Millionen gegen 1200 Millionen Sturm laufen u[nd] wollte selbst dann noch den Gewaltfrieden, als unsere Frühjahrsangriffe eine Entscheidung nicht gebracht hatten“, schrieb Schulenburg an Arnim. „Der Kronprinz hat seit Jahresbeginn L[udendorff] immer wieder beschworen, sich zu verständigen. Er bekam die Antwort‚ ‚den Verständigungsfrieden kann ich jeden Tag haben, den will ich nicht, ich will den Gewaltfrieden.‘“18 Der Generalmajor gab sich keinen Illusionen hin, dass das Deutsche Reich auch harte Waffenstillstandsforderungen annehmen musste, „wenn sie nicht schimpflich sind. Ist Letzteres der Fall, müssen wir weiter kämpfen u[nd] hoffen, daß sich bei den feindlichen Völkern ein Sturm gegen ihre Regierungen erhebt, die den nahen Frieden durch zu scharfe Bedingungen verhindert haben. Dies kann nur eine schwache Hoffnung [sein], aber es ist eine. Ich brauche dir die Empfindungen des Heeres und des Offizierkorps nicht zu sagen, daß nach beispiellosen Leistungen, Siegen, Kämpfen, Leiden + Entbehrungen dies das Ende ist.“19

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Ludendorff lenkte indes erst nach einer Reihe weiterer militärischer Rückschläge ein und forderte die Regierung schließlich zu einem überhasteten Waffenstillstandsgesuch auf. Nach seiner militärischen Bankrotterklärung verlor der Erste Generalquartiermeister das Vertrauen des Kaisers und musste zurücktreten. Als sein Nachfolger wurde auch der Name Schulenburgs ins Spiel gebracht, doch lehnte der Generalmajor ab: Er werde bei seiner Heeresgruppe gebraucht. Während sich innerhalb des Deutschen Reichs die Ereignisse überschlugen, wurde schließlich Wilhelm Groener zu Ludendorffs Nachfolger erkoren. Mit Argwohn betrachtete Schulenburg derweil die beginnende Parlamentarisierung des Reichs. Er hielt es für einen schweren Fehler, eine innenpolitische Umgestaltung im Augenblick der größten außenpolitischen und militärischen Krise Deutschlands durchzuführen. Wie vom Generalmajor befürchtet, ebbten auch die Angriffe gegen die Monarchie und gegen Wilhelm II. nicht mehr ab. Als es in der Heimat bereits zu ersten Aufständen gekommen war, wurde Schulenburg am 9. November 1918 in das Hauptquartier der OHL ins belgische Spa einbestellt. Dort traf er zunächst auf den Chef des kaiserlichen Hauptquartiers, Hans von Plessen, und den Chef des Militärkabinetts, Ulrich von Marschall, die dem Generalmajor von dem bevorstehenden Versuch Groeners und Hindenburgs berichteten, den Kaiser zum Thronverzicht zu bewegen. „Ihr seid hier wohl alle verrückt geworden. Das Heer steht zum Kaiser“,20 entgegnete Schulenburg, und wurde von den beiden kurzerhand mit zur Besprechung bei Wilhelm II. genommen. In den folgenden Stunden, die über die Zukunft der deutschen Monarchie entschieden, setzte sich Schulenburg in energischer Weise für ein Verharren des Kaisers auf dem Thron und für eine militärische Niederschlagung der Revolution ein. Schulenburg zeigte sich hier durch und durch als Monarchist, „für den Waffengewalt gegen das eigene Volk als Mittel der politischen Auseinandersetzung, als Mittel zur Machterhaltung der alten Ordnung, legitim war. Die Zeichen der Zeit hatte er nicht begriffen, und es bleibt ein glücklicher Umstand der deutschen Geschichte, daß sich besonnenere Militärs durchsetzen konnten.“21 Als ihm Groener und Hindenburg die Aussichtslosigkeit eines solchen Unternehmens klarmachten, sprach sich Schulenburg dafür aus, dass Wilhelm II. zwar als deutscher Kaiser, nicht aber als König von Preußen abdanke. Groener war entsetzt über eine solche „kindliche Auffassung über die staatsrechtliche Stellung des Königs von Preußen im Reich“, die „in dem fraglichen Augenblick überhaupt nicht mehr diskutierbar“22 war und das Potenzial barg, den Bestand des Deutschen Reichs als Ganzes zu gefährden. Trotz weiterer

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Versuche, den Kaiser von seinen Ansichten zu überzeugen, dankte Wilhelm II. schließlich ab und floh ins niederländische Exil. Vergeblich hatte Schulenburg dem Monarchen angeboten, im Hauptquartier des Kronprinzen für seine Sicherheit zu sorgen. Zwei Tage später unterzeichnete das Deutsche Reich das Waffenstillstandsabkommen, das mit harten Bedingungen einherging. Schulenburg, zurückgekehrt zu seiner Heeresgruppe, war entsetzt. Er hätte lieber den Krieg fortgeführt, als den Vertrag zu unterzeichnen. Nachdem Kronprinz Wilhelm seinem Vater ins Exil gefolgt war, übernahm der rang­ älteste Armeeführer der Heeresgruppe, Karl von Einem, das Oberkommando. Gemeinsam mit Schulenburg führte er die Verbände geordnet auf deutsches Gebiet zurück. Im Januar 1919 noch zum Chef der 1. Garde-Kavallerie-Brigade ernannt, schied Schulenburg schließlich am 26. Mai 1919 freiwillig aus der preußischen Armee aus und zog sich zunächst ins Privatleben zurück. Für den Monarchisten Schulenburg war mit der Abdankung Wilhelms II. und dem Ende des Kaiserreichs eine Welt zusammengebrochen. In öffentlichen Auseinandersetzungen erhob er schwere Vorwürfe gegen Hindenburg und Groener und stilisierte sich publikumswirksam als letzten verbliebenen Verteidiger des monarchischen Gedankens. Den Versailler Vertrag empfand er als Schmach und machte sich für eine Ablehnung der Unterzeichnung stark. Letztlich trug Schulenburg auch zur Festigung der Dolchstoßlegende bei, indem er vor dem Untersuchungsausschuss des Reichstags über die Ursachen der deutschen Niederlage die Schuld bei den Revolutionären suchte. Politisch fand er im Anschluss eine Heimat bei der Deutschnationalen Volkspartei, die er von 1924 bis 1928 als Abgeordneter im Reichstag vertrat. Machte er sich zunächst für eine Restauration der Monarchie stark, brach er schließlich alle Kontakte zum Kronprinzen ab, dem er zunehmend kritisch gegenüberstand. Neben den zahlreichen amourösen Affären Wilhelms war es vor allem dessen politische Naivität, die Schulenburgs wachsende Distanz befeuerte. Ende der 1920er-Jahre wandte sich Schulenburg dem Nationalsozialismus zu, von dem er eine Rettung Deutschlands vor dem Bolschewismus erhoffte. Am 1. Dezember 1931, und damit weitaus früher als andere Adlige Mecklenburgs, trat er in die NSDAP, im August 1933 in die SA ein, von der er später in die SS wechselte und dort bis in den Rang eines Obergruppenführers aufstieg. Als Mann mit weitreichenden Kontakten und als Vertrauter Heinrich Himmlers vermittelte Schulenburg fortan zwischen Armeeführung und Partei, haderte jedoch zunehmend mit der

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­ olitischen Unprofessionalität der NSDAP. Als er am 19. Mai 1939 in p Sankt Blasien an den Folgen einer Tuberkulose-Erkrankung starb, war der ehrenhalber zum General der Kavallerie beförderte Schulenburg bereits vollkommen desillusioniert. Als konservativer Traditionalist, Großgrundbesitzer und Generalstabsoffizier war er zeit seines Lebens eine wesentliche Stütze der Monarchie gewesen und hatte sowohl politisch als auch militärisch für den Erhalt des „alten Preußen“ gekämpft. Dass es Schulenburg am 9. November 1918 auch persönlich nicht vergönnt war, den Sturz der Hohenzollern-Dynastie aufzuhalten, verfolgte ihn bis zum Schluss und verkörperte letztlich das Scheitern seines Lebenswerks. Anmerkungen 1 2 3 4

Frentz, Hindenburg und Ludendorff, Bildunterschrift, nach S. 44. Zitiert nach: Kasten, Herren und Knechte, S. 40. Eckardstein, Lebenserinnerungen, Bd. 2, S. 390. Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 11.10.1903, BLHA, Rep. 37 Boitzenburg, Nr. 4480/1. 5 Aufzeichnung Schulenburgs für Bülow, 13.12.1904, Große Politik der europäischen Kabinette 19/2, Nr. 6154, S. 360–365. 6 Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 19.8.1905, BLHA, Rep. 37 Boitzenburg, Nr. 4480/1. 7 Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 11.10.1903, ebd. 8 Schulenburg, „Erlebnisse“, BArch, N 58/1, S. 101–103. 9 Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 11.8.1916, BLHA, Rep. 37 Boitzenburg, Nr. 4480/1. 10 Kronprinz Wilhelm, Meine Erinnerungen, S. 261. 11 Schulenburg an Tieschowitz, 29.11.1916, BArch, MSG 2/12856. 12 Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 23.10.1916, BLHA, Rep. 37 Boitzenburg, Nr. 4480/1. 13 Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 12.3.1916, ebd. 14 Tagebucheintragung Müllers, 29.6.1917, abgedruckt in: Müller, Regierte der Kaiser? S. 298. 15 Schulenburg gegenüber Beck, zitiert nach: Beck, Studien, S. 217. 16 Schulenburg an das Reichsarchiv, Juli 1930, zitiert nach: Der Weltkrieg 1914–1918, Bd. 14, S. 445, Anm. 1. 17 Schulenburg gegenüber Beck, zitiert nach: Beck, Studien, S. 218. 18 Schulenburg an Graf Arnim-Boitzenburg, 30.10.1918, BLHA, Rep. 37 Boitzenburg, Nr. 4480/1. 19 Ebd. 20 Denkschrift Schulenburgs, 7.12.1918, abgedruckt in: Niemann, Revolution von oben, S. 321–327, hier S. 321. 21 Niemann, „Das glühende Interesse für Politik“, S. 278. 22 Bericht Groeners über die Denkschrift Schulenburgs, abgedruckt in: Westarp, Das Ende der Monarchie, S. 202–206, hier S. 205.

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Ungedruckte Quellen Bundesarchiv, Berlin (BArch), R 9361-III/555316 und R 9361-II/906081, SS-Personal­ akten, Friedrich Graf von der Schulenburg. Bundesarchiv, Berlin (BArch), N 2198/1 bis N 2198/3, Korrespondenz von Louis Müldner von Mülnheim mit Schulenburg. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 58/1, Erinnerungen Friedrich Graf von der Schulenburg (1920). Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), MSG 2/12856, Korrespondenz von Hans Tieschowitz von Tieschowa mit Schulenburg. Brandenburgisches Landeshauptarchiv, Potsdam (BLHA), Rep. 37 Boitzenburg, Nr. 4480 und 4480/1 bis 4480/3, Korrespondenz von Friedrich Graf von der Schulenburg mit Graf Arnim-Boitzenburg (1892–1933).

Gedruckte Quellen und Literatur Beck, Ludwig, Studien, Stuttgart 1955. Eckardstein, Hermann von, Lebenserinnerungen und politische Denkwürdigkeiten, Bd. 2, Leipzig 1920. Frentz, Hans, Hindenburg und Ludendorff und ihr Weg durch das deutsche Schicksal. Ein Beitrag zur Deutung ihrer geschichtlichen Persönlichkeit, Berlin 1937. Kasten, Bernd, Herren und Knechte. Gesellschaftlicher und politischer Wandel in Mecklenburg-Schwerin 1867–1945, Bremen 2011. Kasten, Bernd, Schulenburg, Friedrich Bernhard Karl Gustav Ulrich Erich Graf von der, in: Röpcke, Andreas (Hrsg.), Biographisches Lexikon für Mecklenburg, Bd. 7, Rostock 2013, S. 273–276. Liebchen, Norbert, Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg und sein Weg zum 20. Juli 1944. Über Erbe und Schuld zu nationalsozialistisch motiviertem Widerstand, Univ. Diss., Rostock 1993. Naumann, Victor, Profile. 30 Porträt-Skizzen aus den Jahren des Weltkrieges nach persönlichen Begegnungen, München / Leipzig 1925, S. 293–303. Niemann, Alfred, Revolution von oben – Umsturz von unten. Entwicklung und Verlauf der Staatsumwälzung in Deutschland 1914–1918, Berlin 1927. Niemann, Mario, „Das glühende Interesse für Politik“, Die Grafen von der SchulenburgTressow zwischen Kaiserreich und Nationalsozialismus (1900–1945), in: Mecklenburgische Jahrbücher 118 (2003), S. 271–311. von der Schulenburg, Dietrich Werner Graf / Wätjen, Hans, Geschichte des Geschlechts von Schulenburg 1237–1983, Wolfsburg 1984. von der Schulenburg, Tisa, Ich hab’s gewagt. Bildhauerin und Ordensfrau – ein unkonventionelles Leben, Freiburg 1981. Westarp, Kuno Graf von, Das Ende der Monarchie am 9. November 1918. Abschließender Bericht nach den Aussagen der Beteiligten, Berlin 1952. Wilhelm von Preußen, Kronprinz, Meine Erinnerungen aus Deutschlands Heldenkampf, Berlin 1923.

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Generaloberst Johannes Friedrich Leopold „Hans“ von Seeckt von Deniza Petrova

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ans von Seeckt (1866–1936) gilt als einer der Begabtesten unter den – nicht nur deutschen – Stabschefs des Ersten Weltkriegs. Militärischer Planer und Stratege ersten Formats, erwies er sich auch als kühl denkender Kopf in Krisenzeiten; er war maßgeblich für die militärischen Erfolge bei Soissons, Lemberg, Gorlice-Tarnów und gegen Serbien verantwortlich, sein diplomatisches Geschick stellte er in der Koalitionskriegführung im Osten, auf dem Balkan und im Osmanischen Reich unter Beweis. Nach Kriegsende machte er sich als Erneuerer der Reichswehr einen Namen.1 Hans von Seeckt war (k)ein typischer preußischer Offizier. Der Sohn eines Generalmajors schloss ein humanistisches Gymnasium und nicht die Kadettenschule ab. Nach seinem Abitur 1885 trat er in die Königlich Preußische Armee ein und diente zunächst im Kaiser Alexander GardeGrenadier-Regiment Nr. 1, das als „Schule altpreußischer Pflichtauf­ fassung“ galt. Er heiratete eine Nachfahrin von Ernst Moritz Arndt, Dorothee Jacobson. Die nationalsozialistische Presse sollte am Vorabend des Hitler-Putsches 1923 die jüdische Herkunft seiner Frau in der Hetze gegen ihn instrumentalisieren. 1896 schloss er die Kriegsakademie ab und begann seinen Dienst in der Aufmarsch-Abteilung des Generalstabs. Bereits 1899 wurde er als 2. Generalstabsoffizier in den Generalstab des XVII. Armeekorps nach Danzig versetzt, wo er seinen späteren Oberbefehlshaber, August von Mackensen, kennenlernte.2 Als junger Offizier unternahm er ausgedehnte Reisen durch Europa, den Mittleren Osten, Nordafrika, Ägypten und Indien. Wie sein „Vorbild“ Helmut von Moltke d. Ä. sah er in diesen Reisen eine Form der Welterkenntnis. Für den Kontakt mit fremden Kulturen erschienen ihm schon früh Verständnis für Diversität, Fähigkeit zur Selbstreflektion und Lernwille als unverzichtbar: „Der wahre Wert des Erkennens solcher Unterschiede zwischen dem eigenen und dem fremden Land liegt nicht in der Befriedigung des Selbstgefühls, sondern in der zunehmenden Erkenntnis von dem wirklich Wertvollen. […] Eine solche Voraussetzung, besonders wenn noch ein Auge hinzukommt, das für alles menschlich Interessie-

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Oberst Hans von Seeckt (Postkarte um 1915)

rende ebenso empfänglich ist wie für die Schönheiten der Natur und wenn das Urteil untermischt wird mit dem verstehenden Humor eines großen Herzens, macht eine Reise ebenso zum Gewinn wie zum Genuß.“3 Diese ausgesprochene Weltoffenheit Seeckts gepaart mit der dazugewonnenen Souveränität im Umgang mit fremden (Militär-)Kulturen sollte sich später positiv auswirken, sowohl auf seine Tätigkeit im Weltkrieg als auch bei den Verhandlungen am Vorabend des Versailler Friedenvertrags und ebenso auch in seinem militärischen und politischen Engagement in der Nachkriegszeit. Zu Beginn des Ersten Weltkriegs diente er als Chef des Generalstabes des III. Armeekorps und nahm am Kriegsgeschehen in Frankreich teil. Mit der Planung der deutschen Gegenoffensiven bei Vailly im Oktober 1914 und bei Soissons im Januar 1915 bewies Seeckt sein operatives Können. Nach Soissons vermerkte er zur entscheidenden Schwerpunktbildung mit

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geringeren Kräften: „Der Durchstoß […] muss, um nicht zu große Kräfte zu verlangen, auf schmaler Front durchgeführt werden, aber mit so starken Kräften, daß nicht nur der erste Erfolg gesichert ist, sondern dieser auch vorwärtsgetrieben, auf die Seite übertragen und verbreitet werden kann.“4 Um diese Erfahrung an neu entstandenen Brennpunkten zu nutzen, wurde Seeckt als Stabschef der 11. Armee unter August von Mackensen an die Ostfront versetzt. Der Chef der Obersten Heeresleitung (OHL), Erich von Falkenhayn, erhoffte sich dadurch eine Wende im Kampfgeschehen im Osten, wo Österreich-Ungarn stark auf deutsche Unterstützung angewiesen war.5 Anfang Mai 1915 gelang Seeckt bei Gorlice-Tarnów ein operativer Durchbruch, der nicht zuletzt durch eine optimale Zusammenwirkung aller Waffen herbeigeführt wurde.6 Obwohl die Operation aufgrund von Entscheidungen der OHL zugunsten der westlichen Front nicht zu dem entscheidenden Erfolg ausgebaut wurde, konnte Seeckt wichtige Rückschlüsse für eine effiziente Kriegführung gewinnen. Aus seinen Erfahrungen im Westen und an der Ostfront sowie im Bewegungskrieg auf dem Balkan resultierte später die Seeckt’sche Schrift zum Gefecht der verbundenen Waffen, die maßgebend für den konzeptionellen Wiederaufbau der Reichswehr nach Kriegsende wurde.7 Nachdem Seeckt und Mackensen als effizientes Pendant zu den nach Tannenberg (August 1914) zum Erfolgsduo im Osten stilisierten Hindenburg und Ludendorff bei Przemyśl, Lemberg und anschließend Brest-Litowsk die Entscheidung an der Ostfront herbeizuführen versuchten, endeten die Operationen jedoch ohne ein endgültiges Ergebnis. Knapp ein Jahr später sollte Seeckt erneut für Österreich-Ungarn ins Geschehen eingreifen, als die russische BrussilowOffensive (Juni–September 1916) die Truppen der Donaumonarchie in Bedrängnis brachte. Erneut unter Mackensen und wiederholt zur Unterstützung des österreichisch-ungarischen Bündnispartners war Seeckt maßgeblich an der Planung der militärischen Operationen auf dem Balkan beteiligt. Nur innerhalb von vier Wochen gelang es den vereinten Kräften der Deutschen, Österreicher und Bulgaren im Herbst 1915 den serbischen Widerstand zu brechen. Da die deutsche OHL unter Falkenhayn auf eine Entscheidung im Westen setzte, verzichtete sie im Anschluss an den Serbien-Feldzug auf eine Offensive gegen die um Saloniki im noch neutralen Griechenland stationierten Entente-Truppen. Damit wurde eine Gelegenheit verspielt, den entscheidenden Durchbruch der Alliierten 1918, der die Niederlage der Mittelmächte einläutete, zu verhindern oder zumindest zu erschweren.8

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Seeckt wie Mackensen sahen sich auf dem Balkan mit den Herausforderungen des Koalitionskrieges konfrontiert. Ende Oktober 1915 thematisierte Seeckt die Zukunft der existierenden militärischen Partnerschaften und die deutschen machtpolitischen wie wirtschaftlichen Interessen so: „[W]ir müssen ein Herrschaftsgebiet haben vom Atlant. Ozean bis Persien, aber bitte kein ‚Deutsches‘ Reich in diesen Grenzen, sondern den Zusammenschluß an gegenseitigem Gedeihen interessierter Staaten, die in der Lage sind, sich wechselseitig alles Notwendige zu liefern, genug Menschen haben, um zu kämpfen, und sich in diesem Bund wohlfühlen.“9 Dabei stellten gerade diese Bündnisse eine enorme Anstrengung für die militärische und ökonomische Stärke Deutschlands dar. Die Erfahrung aus dem Zusammenagieren mit den österreichisch-ungarischen Militärs in Galizien wurde für Seeckt noch um eine nicht unwesentliche „diplomatische“ Komponente erweitert. Der Balkan mit seinen heterogenen Militärkulturen öffnete neue Perspektiven für die deutschen Militärs und steigerte zugleich die Anforderungen an kulturelle Kompetenz und diplomatisches Geschick im Umgang mit den Verbündeten. Nicht ohne Humor schilderte Seeckt die internationale Zusammensetzung seines Stabes im Serbienfeldzug und den aus ihr resultierenden, nicht nur sprachlichen Herausforderungen: „Wie bunt oft meine Tätigkeit ist, kannst Du daraus ersehen, daß in meinem engeren Stabe sich außer meinen drei deutschen noch ein österreichischer, ein bulgarischer und ein türkischer Generalstabsoffizier befinden … Unsere Befehle an die bulgarische Armee müssen natürlich erst übersetzt werden. Die Österreicher haben sich nun schon an mein Deutsch gewöhnt!“10 Das Fehlen militärischer Haltung und Disziplin war in den Augen von Seeckt und Mackensen, aber auch von anderen deutschen Kriegsteilnehmern, die in Berührung mit Freischärlern auf dem Balkan kamen, besonders verstörend.11 Seeckt wurde auf die fließenden Grenzen zwischen Kombatanten und Nicht-Kombatanten in der ethnisch stark zerklüfteten Region aufmerksam und bedauerte dabei auch den Umgang der eigenen Soldaten mit der in den Kampf eingreifenden Zivilbevölkerung: „Freundliche Aufnahme, wo rumänische oder makedonische Leute sind; Kämpfe und Flucht, wo Serben. Freundlich gehen ja auch unsere Leute nicht mit ihnen um, wenn sich die Einwohner am Kampf beteiligen. Schön ist diese Art von Volkskrieg nicht …“12 Signifikant ist die Beobachtung Seeckts zur negativen Auswirkung politischer Involvierung von Soldaten und Offizieren am Beispiel der Bulgaren, wobei für ihn der Einfluss politischer Machtspiele auf die

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­ nmittelbare Kriegführung besonders destruktiv ist: „Die bulgarische u Armee ist im ganzen und ihr Offizierskorps im besonderen stark mit den politischen Parteiungen des Landes verwachsen. Politische Einflüsse üben auf die Haltung der Masse einen großen Einfluß, und dadurch müssen auch politische Erwägungen die Führung beeinflussen. Ob Defensive oder Offensive, hängt mit von solchen Überlegungen ab …“13 Es liegt nicht fern, dass Seeckt in seiner Zeit als Chef der Heeresleitung nicht zuletzt aufgrund solcher Erfahrungen politische Einflüsse in der Reichswehr ablehnte.14 Mit der Brussilow-Offensive und dem Kriegseintritt des neuen Gegners Rumänien trennten sich die Wege von Mackensen und Seeckt, obwohl Seeckt auch während seiner Zeit als Generalstabschef der k. u. k. 7., später der k. u. k. 12 Armee (Heeresgruppe Erzherzog Karl) das Geschehen auf dem Balkan im Blick behielt. „Zerschlagene Trümmer, geführt von Menschen, die keine Hoffnung mehr hatten“, musste Seeckt im Sommer 1916 zum Halten bringen. Während Rumänien in knapp drei Monaten von den Mittelmächten niedergeworfen, die Hauptstadt eingenommen und zwei Drittel des Landes besetzt wurden, sah sich Seeckt an der russischen Front mit demoralisierten österreichisch-ungarischen Truppen, starken gegnerischen Angriffen und sachlichen Differenzen mit der k. u. k. Armeeführung konfrontiert.15 Zu diesem Zeitpunkt war nahezu die gesamte Befehlsführung an der Ostfront von den Deutschen entweder direkt übernommen oder beeinflusst worden, allerdings konnte sich eine Stabilisierung nur langsam entwickeln, da Deutschland an der Somme und Österreich-Ungarn am Isonzo in Bedrängnis gerieten.16 Letztendlich erstarrte die Front im Stellungskrieg; ohne zusätzliche Truppen war es Seeckt unmöglich, mehr als ein vorläufiges Aufhalten des österreichischungarischen Zusammenbruchs zu erreichen. Erst die Russische Revolution brachte die entscheidende Wende im Osten, und mit dem russischen Friedensangebot (November 1917) bot sich für Seeckt als krisenerprobter Stratege im Osmanischen Reich ab Dezember 1917 eine neue Aufgabe. Seine guten Kontakte zur türkischen politischen und militärischen Führung ermöglichten ihm eine bedeutende Einflussnahme auf die Kriegsplanung, allerdings war eine Stabilisierung der osmanischen Front gegen die Briten in Palästina kaum mehr möglich. Nach dem militärischen Zusammenbruch der Türkei (Waffenstillstand von Moudros, 30. Oktober 1918) resümierte Seeckt ernüchtert, dass es zwar den Osmanen nur dank der deutschen Unterstützung möglich gewesen sei, den Krieg vier Jahre lang zu führen, mit den eingesetzten Kräften

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hätte Deutschland aber mehr erreichen können. Wenig effiziente Strukturen, unglückliche Personalwahl und gegensätzliches Agieren deutscher militärischer und diplomatischer Stellen trugen aus seiner Sicht die Verantwortung für die ungünstige Bilanz, auch wenn man beim Verbündeten mehr bewegen konnte, als noch bei Kriegsausbruch 1914 denkbar gewesen war.17 Der Einsatz als Chef des osmanischen Generalstabs ersparte Seeckt das Debakel im Westen. Dies ermöglichte ihm in den späteren Krisenzeiten eine unangetastete Autorität, die mit der deutschen Niederlage nicht in Verbindung gebracht wurde. Im Winter 1919 befand sich Seeckt in Ostpreußen als Stabschef des Armeeoberkommandos Nord, ein Teil des Grenzschutz Ost, der dazu dienen sollte, ostpreußische Gebiete an der Reichsgrenze zu sichern. Im April 1919 wurde er als Leiter der militärischen Abteilung Teil der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Versailles. Er verfasste ein Memorandum an die deutsche Regierung, in dem er die harschen Konditionen des Friedensvertrags hinsichtlich der bewaffneten Kräfte anprangerte.18 Am 1. Oktober 1919 wurde Seeckt zum Chef des Truppenamtes ernannt, das den durch den Versailler Vertrag aufgelösten Generalstab ersetzte. Während des Kapp-Putsches im März 1920 verweigerte Seeckt den Einsatz der Reichswehr gegen die Aufständischen, da für ihn eine dadurch hervorgerufene Spaltung der Loyalität der Truppe nicht tragbar war. Als neu ernannter Chef der Heeresleitung übernahm er im Sommer 1920 die im Friedensvertrag festgelegte Reduzierung der Reichswehr auf 100 000 Soldaten. Seine Zeit als Reichswehrchef war von den zahlreichen Krisensituationen geprägt, die die Weimarer Republik erschütterten. Ende September 1923 verhängte Reichspräsident Ebert den Ausnahmezustand, nachdem der passive Widerstand gegen die Ruhrbesetzung aufgegeben wurde. Seeckt erhielt somit die Kontrolle über die Staatsgewalt. Nach Unruhen in Sachsen und Thüringen Ende Oktober ließ er die Reichswehr in Sachsen gegen die sächsische Regierung eingreifen, die daraufhin zurücktrat. Wenige Tage später nutzte Seeckt die ihm von Ebert übertragene „vollziehende Gewalt“, um den Staat nach dem Putsch von Adolf Hitler zu stabilisieren, und ließ die NSDAP und die KPD verbieten. Zur selben Zeit wurde Seeckt von Vertretern des rechten Flügels der DVP kontaktiert, die ihn baten, die Kanzlerschaft zu übernehmen.19 Stimmen nach einem „Militärkanzler“ wurden laut, wie sein damaliger Adjutant von Selchow Ende September notierte: „Es gärt überall, die Stimme nach einem Diktator wird immer lauter! Seeckts Name wird immer öfters

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­ enannt. […] Seeckt wird stark getrieben, er behält aber seinen kühlen g Kopf. – Was geschieht, wenn die Rechtsorganisationen in Bayern jetzt losschlagen? Kampf der Reichswehr gegen die Rechtskreise? Unmöglich. Soll, wie es immer wieder von vielen Kreisen gefordert wird, soll Seeckt sich an die Spitze des Staates setzen, um dem vorzubeugen?“20 Davon, dass sich Seeckt zumindest zeitweise mit dem Gedanken trug, politische Verantwortung zu übernehmen, zeugen die Auszüge aus seinem Entwurf eines Regierungsprogramms.21 Außenpolitisch vertrat ­Seeckt eine gemäßigte Position: „Abstandnehmen von einer offenen, auf Angriff gerichteten Militärpolitik, dagegen Festhalten an dem Recht ­m ilitärischer Selbstverteidigung und ihrer Vorbereitung innerhalb der Grenzen des Vers. Vertrages ohne Anerkenntnis willkürlicher Auslegungen desselben.“ Innenpolitisch hingegen war jede Bedrohung für die ­Stabilität des Staates aufs Schärfste zu bekämpfen: „Niederwerfung aller gegen den Bestand des Reiches und gegen die ordnungsmäßige Reichsund Staatsautorität gerichteten Bestrebungen durch Anwendung der Machtmittel des Reiches. Dazu nötigenfalls Verhängung des milit. Ausnahmezustandes.“ Dem Verhältnis Seeckts zur Politik ist eine gewisse Verachtung gegenüber politischen Akteuren und politischen Kalküls zu entnehmen, denkt man an seine wohlbekannten Aussagen zur Reichswehr-Loyalität,22 in denen er demonstrativ die Unmöglichkeit durchblicken ließ, die von ihm aufgebaute Reichswehr politisch zu instrumentalisieren. Seeckt begriff sich und die Reichwehr als einen ruhenden Pol des Staatswesens, die sich nicht an unwürdigen politischen Spektakeln beteiligen würden: „Wenns eine Komödie wird, komme ich überhaupt nicht, wird’s ein Drama, komme ich im 3. Akt.“23 Andererseits sah er sie durchaus in der Rolle der Stütze des Staates, die zu seinem Schutz eingreifen sollte. So appellierte er im September 1923 an die Truppen: „Wir stehen vor der größten Krise, die das Reich bisher durchgemacht hat. Nur durch die unbedingte und rücksichtlose Aufrechterhaltung der Staatsautorität wird diese Krise überwunden werden können. Die Abneigung der Soldaten, in den inneren Kampf einzugreifen und Polizeidienste zu verrichten, ist begründet. Sie darf aber nicht dazu führen, daß durch übermäßige Zurückhaltung der Truppe die Staatsautorität aufs Spiel gesetzt wird. Sonst wird die Reichswehr schließlich auch die Sympathie derjenigen staatsbejahenden Kreise verlieren, die von ihr mit Recht den verfassungsmäßigen Schutz gegen ungesetzlichen Terror erwarten.“24 Auch wenn Seeckt nicht mit der Weimarer Republik sympathisierte, so verpflichtete ihn seine Stellung und

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seine Loyalität zum Staat, sich gegen jede „rechtsrevolutionäre“ Bewegung zu stellen, die den Bestand des Staates und den inneren Zusammenhalt der Reichswehr – was für ihn deckungsgleich war – gefährdete. Nicht zufällig planten völkische Kreise 1924 ein Attentat auf Seeckt.25 Nach seiner Entlassung 1926 engagierte er sich politisch und wurde 1930 für die Deutsche Volkspartei Mitglied des Reichstags. Seeckt betätigte sich auch als Schriftsteller und veröffentlichte mehrere Bücher, die seine Ansichten über die Zukunft Deutschlands, der Reichswehr, der modernen Heere und der zukünftigen Kriegführung, der Beziehungen zur Sowjetunion sowie über Persönlichkeiten, Symbole und Werte des deutschen Militärs aus der Vor- und Nachkriegszeit enthielten, darunter Gedanken eines Soldaten und Die Zukunft des Reiches (beide 1929), Moltke. Ein Vorbild (1931), Wege deutscher Außenpolitik (1931), Deutschland zwischen West und Ost (1933). Hans von Seeckt war außerdem politisch und im kulturellen Bereich aktiv. Er war Mitglied der Deutschen Gesellschaft 1914 und gründete 1922 den sogenannten „SeSiSo-Club“ zusammen mit Walter Simons und Wilhelm Solf. Beide Austauschkreise führten Politiker, Intellektuelle, Diplomaten und Unternehmer im Geist der Aufklärung und des Humanismus zusammen. Während des Zweiten Weltkriegs gehörten viele Angehörige dieser Kreise regimekritischer Bewegungen oder Widerstandsgruppen an.26 Zwischen 1933 und 1935 hielt sich Seeckt mehrmals in China als Militärberater von Chiang Kai Schek auf, möglicherweise suchte er neben einem neuen Tätigkeitsfeld auch eine Distanz zu der befremdlichen Realität in der Heimat. Für die nationalsozialistischen Machthaber und ihr Vorgehen hegte er keine Sympathien. Seeckts Abneigung gegen politische Kämpfe wandelte sich in eine tief sitzende Resignation, die aus seinen Tagebuchnotizen herausklingt: „Es ist das Heimatgefühl, aber ich weiß nicht einmal, ob es sich vertiefen will oder im Abklang ist. Die zurückbleibende politische Lage bestimmte mich zur Einflußlosigkeit“, schrieb er enttäuscht nieder. „Unheimlich fast ist mir meine Gleichgültigkeit gegen Nachrichten aus der Heimat. […] Freue ich mich auf die Rückkehr? Es wartet Unerfreuliches neben vielem Schönen.“27 Seeckt starb am 27. Dezember 1936 in Berlin und wurde auf dem Invalidenfriedhof beigesetzt. Seeckt gilt aufgrund seiner operativen Leistungen im Weltkrieg und des anschließenden Wiederaufbaus der Reichswehr als „einer der bedeutendsten militärischen Denker des 20. Jahrhunderts“.28 Seine Auffassung von einem „Führerheer“, in dem sogar die niedrigsten Dienstgrade fähig

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sein sollten, die Position eines Offiziers adäquat einzunehmen, sobald die Versailler Einschränkungen der Reichswehrzahlenstärke nicht mehr gelten würden, sicherte ein hohes Kompetenzniveau unter allen Dienstgradgruppen. Als der Erbauer eines zahlenmäßig kleinen, mobilen, gut ausgebildeten und hoch technisierten Operationsheeres hat er maßgeblich die Weiterentwicklung des Konzepts vom Gefecht der verbundenen Waffen als Erfolgsschlüssel in einer manöverbasierten Bewegungskriegführung betrieben. In seiner Zeit als Chef der Heeresleitung erwies sich Seeckt auch als konservativer und zugleich umsichtiger Staatsmann, der sich – trotz seiner Abneigung gegenüber dem politischen Geschäft – seiner Verantwortung für den Fortbestand und die Stabilität des Staates bewusst war. Diese verband er stets mit der inneren Einheit der Reichswehr, die er als Stütze und Schutz des Staatsgebildes verstand. Sein Vorgehen während der inneren Unruhen im Herbst 1923 und seine Weigerung, eine Militärdiktatur einzurichten, ersparten Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände, wie sie sich in anderen Ländern Europas zur selben Zeit ereigneten. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten und dem „Führereid“ der Reichswehr (1934) spielten Seeckts Vorstellungen in Deutschland keine Rolle mehr. Anmerkungen 1 Vgl. Corum, The Roots of Blitzkrieg, S. 13; Citino, The Path to Blitzkrieg, S. 7; Barrett, Prelude to Blitzkrieg, S. 12–14. 2 Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 22f., 31–35, 38, 44. Zu Dorothee von Seeckt siehe auch Heinemann, Rechtsgeschichte der Reichswehr, S. 233. 3 Seeckt, Moltke, S. 45; zu den Reisen siehe Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 33. 4 Seeckts Aufzeichnungen vom 23.1.1915, in: Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 90. 5 Foley, German Strategy, S. 136 und 157–163. 6 Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 120; Stachelbeck, „Was an Eisen eingesetzt wurde“, S. 118. 7 Dazu ausführlich Schäfer, Die Militärstrategie Seeckts, S. 37–39. 8 Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 337–339. 9 Ebd., S. 259. 10 Ebd., S. 256. 11 Vgl. Henning auf Schönhoff, Kriegserinnerungen, BA-MA, N 440/3, Bl. 41. 12 Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 254f. 13 Ebd., S. 375. 14 1923, im Jahr des Hitler-Ludendorff-Putsches, hatten die bulgarischen Militärs einen Staatstreich gegen die Landesregierung geführt und diese abgesetzt. 15 Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 1, S. 382, 390, 392–394. 16 Lein, Ein Bündnis auf dem Prüfstand, S. 92.

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Stein, Nachrichtendienstoffizier im Osmanischen Reich, S. 78. Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 2, S. 178f. Vgl. Gasteiger, Kuno von Westarp, S. 220f. Aufzeichnungen des damaligen Adjutanten von Seeckts, des Oberleutnants von Selchow, Eintragung vom 26.9.1923, BA-MA, N 64/11, Bl. 13. Seeckt, „Ein Regierungsprogramm“, 1923, BA-MA, N 247/139, Bl. 6–8. Meier-Welcker, Seeckt, S. 261. Materialsammlung des Generalleutnants z. V. Lieber über die Beziehungen der Heeresleitung zum Kabinett Stresemann und ihre Einstellung zur deutschen Innenpolitik vom September bis November 1923, Eintragung vom 27.9.1923, BA-MA, N 64/40. BA-MA, N 64/40, Bl. 43. Heinemann, Rechtsgeschichte der Reichswehr, S. 98. Postert, Klubs gegen Parteien, S. 170. Tagebuchnotizen vom 12.4. und 26.7.1933, Seeckt, Aus meinem Leben, Bd. 2, S. 683f. und 689. Vgl. Corum, The Roots of Blitzkrieg, S. 13.

Unveröffentlichte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Hans von Seeckt, N 247, 263 Auf bewahrungseinheiten, vor allem Unterlagen aus der militärischen Dienstzeit während des Ersten Weltkrieges und aus seiner Tätigkeit in der Heeresleitung 1920– 1926 sowie als Chef der Deutschen Beraterschaft in China 1934–1935; Korrespondenz mit seiner Ehefrau. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), Nachlass Friedrich von Rabenau, N 64, umfangreiches Material über Seeckt, das ursprünglich zu einer Biografie verarbeitet werden sollte.

Veröffentliche Quellen und Literatur Barrett, Michael B., Prelude to Blitzkrieg. The 1916 Austro-German Campaign in Romania, Bloomington 2013. Citino, Robert Michael, The Path to Blitzkrieg: Doctrine and Training in the German Army, 1920–1939, Boulder 1998. Corum, James S., The Roots of Blitzkrieg. Hans von Seeckt and German Military Reform, Lawrence 1992. Foley, Robert T., German Strategy and the Path to Verdun. Erich von Falkenhayn and the Development of Attrition, 1870–1916, Cambridge 2008. Gasteiger, Daniela, Kuno von Westarp (1864–1945). Parlamentarismus, Monarchismus und Herrschaftsutopien im deutschen Konservatismus, Oldenburg 2018. Hauck, Friedrich Wilhelm, Generaloberst Hans von Seeckt, in: Bradley, Dermot / Marwedel, Ulrich (Hrsg.), Militärgeschichte, Militärwissenschaft und Konfliktforschung. Eine Festschrift für Werner Hahlweg, Professor für Militärgeschichte und Wehrwissenschaft an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zur Vollendung seines 65. Lebensjahres am 29. April 1977, Osnabrück 1977, S. 133–175. Heinemann, Patrick Oliver, Rechtsgeschichte der Reichswehr 1918–1933, Paderborn 2018. Hürten, Heinz, Die Anfänge der Ära Seeckt. Militär und Innenpolitik 1920–1922, Düsseldorf 1979.

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Keller, Peter, „Die Wehrmacht der Deutschen Republik ist die Reichswehr“. Die deutsche Armee 1918–1921, Paderborn 2014. Lein, Richard, Ein Bündnis auf dem Prüfstand. Conrad, Falkenhayn und die BrusilowOffensive, in: Stachelbeck, Christian (Hrsg.), Materialschlachten 1916: Ereignis, Bedeutung, Erinnerung, Paderborn 2017, S. 75–96. Meier-Welcker, Hans, Seeckt, Frankfurt am Main 1967. Petrova, Deniza, „Not a Central European Theatre of War“: The Balkans as a Cultural and Travel Experience in the Notes and Letters of August von Mackensen and Hans von Seeckt 1915–1918 (2015); https://www.mwme.eu/essays/index.html [Stand: 30.08. 2019]. Postert, André, Klubs gegen Parteien. Geschichte eines politischen Modells in der Zwischenkriegszeit, in: Kuhlemann Frank-Michael/Schäfer, Michael (Hrsg.), KreiseBünde-Intellektuellen-Netzwerke. Formen bürgerlicher Vergesellschaftung und politischer Kommunikation 1890–1960, Bielefeld 2017, S. 169–188. Schäfer, Karen, Die Militärstrategie Seeckts, Berlin 2016. Seeckt, Hans von, Moltke. Ein Vorbild, Berlin 1931. Seeckt, Hans von, Aus meinem Leben. Unter Verwendung des schriftlichen Nachlasses hrsg. von Friedrich von Rabenau, 2 Bde., Leipzig 1938/40. Stachelbeck, Christian, „Was an Eisen eingesetzt wurde, konnte an Blut gespart werden“: Taktisches Lernen im deutschen Heer im Kontext der Materialschlachtendes Jahres 1916, in: ders. (Hrsg.), Materialschlachten 1916: Ereignis, Bedeutung, Erinnerung, Paderborn 2017, S. 111–124. Stein, Oliver, Nachrichtendienstoffizier im Osmanischen Reich. Ernst Adolf Muellers Kriegseinsatz und Gefangenschaft im Vorderen Orient 1915–1919. Mit einer kritischen Edition seiner Erinnerungen, Baden-Baden 2018.

General der Artillerie Gerhard Tappen von Daniel R. Bonenkamp

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erhard Tappen stand während des Ersten Weltkriegs lange Zeit im Zentrum des kriegerischen Geschehens. Als Leiter der Operationsabteilung in der Obersten Heeresleitung (OHL) war er bis Ende August 1916 maßgeblich an allen militärischen Entscheidungen des Kaiserreichs beteiligt. Erstaunlicherweise ist Tappen heute ein eher unbekannter Militär, was auch damit zusammenhängen mag, dass er sich in der zweiten Kriegshälfte unter anderem als Kommandeur einer Ersatzdivision wiederfand. Dennoch wirkte Tappen nicht nur auf die Ereignisse ein, sondern veränderte sich auch selbst durch den Krieg und seinen anschließenden militärischen Abstieg. Der als „gefährlicher Optimist“1 verschriene Offi-

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zier hatte es nämlich zunehmend verlernt, „auf Menschenwort und Menschenurteil irgend etwas zu geben“.2 Dietrich Gerhard Emil Theodor Tappen kam am 3. Juli 1866 in Esens in Ostfriesland zur Welt. Als erstgeborener Sohn des ehemaligen Bürgermeisters von Hannover wuchs er in einem bürgerlichen und für damalige Verhältnisse überdurchschnittlich gebildeten Umfeld auf. Im Alter von 18 Jahren trat er als Fahnenjunker in das Feldartillerie Regiment Nr. 15 und damit in die preußische Armee ein. Zunächst zum Artillerieoffizier ausgebildet, wurde Tappen im Jahr 1896 als Premierleutnant zur Kriegsakademie abkommandiert. An dieser höchsten militärischen Lehreinrichtung zum Generalstabsoffizier geschult, folgte wenig später die Verwendung im Großen Generalstab, dem militärischen „Gehirn“ des Kaiserreichs. Die Angehörigen dieser unter Militärs legendären Institution in ihren karmesinrot gestreiften Uniformhosen bildeten die militärische Elite Deutschlands. Als Hauptmann diente er anschließend beim XVI. ArmeeKorps in Metz / Lothringen und kehrte nach einer weiteren Verwendung als Batteriechef im Feldartillerie Regiment Nr. 8 im Jahr 1903 in die Planungszentrale des deutschen Heeres nach Berlin zurück. Im Stab der 16. Division in Trier erstmals als Erster Generalstabsoffizier verwendet, wurde er von 1906 bis 1909 zusätzlich damit beauftragt, selbst an der Kriegsakademie zu lehren. Nach seiner Verwendung beim XVII. Korps in Danzig kehrte er ein Jahr später wieder zum Großen Generalstab zurück und wurde dort in der 2. Abteilung eingesetzt.3 Die im Generalstabjargon als „Aufmarschabteilung“ bezeichnete Abteilung verantwortete die gesamte deutsche Kriegsplanung und war dementsprechend mit sämtlichen Mobilmachungsangelegenheiten und ­ Aufmarschanweisungen betraut. Obwohl in Friedenszeiten auch die Ausbildung, die Ausrüstung und die Organisation des Heeres formal zu ihrem Aufgabengebiet zählten, konnte sie darauf jedoch keinen direkten Einfluss ausüben. Dies sollte sich vor allem bei Dissonanzen über gewünschte Heeresverstärkungen mit dem dafür zuständigen preußischen Kriegsministerium bemerkbar machen. Der deutsche Aufmarsch wurde jedes Jahr neu berechnet und ausgeplant. Während im Sommer eines jeden „Mobilmachungsjahres“ Kriegsspiele und Generalstabsreisen auf der Tagesordnung standen, wurde der Herbst dazu genutzt, neu gewonnene Erkenntnisse in die Operationsplanung einzuarbeiten. Bei der Ausführung dieser Arbeiten scheint sich Tappen bewährt zu haben, schließlich nahm ihn der amtierende Chef der Abteilung, Erich Ludendorff, als seinen direkten Nachfolger in den Blick. Von zahlreichen Mitgliedern im

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Generalstab jedoch nur als „durchschnittlich intelligent“ eingeschätzt, erschien er nicht als nahestehende Lösung.4 Vielmehr kursierte das Gerücht, Tappen halte Ludendorffs Platz lediglich „warm“.5 Möglicherweise fiel die Wahl Ludendorffs gerade deswegen auf den Ostfriesen, schien er doch nach Ludendorffs Frontkommando ohne großen Widerstand wieder von der Abteilungsspitze entfernbar zu sein. Die Geschäfte der Aufmarschabteilung übernahm Tappen am 27. Januar 1913.6 Da die Modifikationen an den bisherigen Blaupausen von diesem Zeitpunkt an aus seiner Feder stammten, war Tappen in der Position, die Entscheidungen des Generalstabschefs Helmuth von Moltke d. J. maßvoll zu beeinflussen. Der 1912 zum Oberstleutnant beförderte Beamtensohn besaß dadurch eine Schlüsselposition: Neben dem Oberquartiermeister Georg Graf von Waldersee gehörte Tappen zu den wichtigsten Beratern des Chefs des Generalstabs. Obgleich er die vorhandenen Aufmarschpläne modifizieren konnte, nahm er diese Möglichkeit kaum wahr.7 Dennoch sollte Tappen für ein anderes Ereignis eine tragende Rolle spielen: Zusammen mit Waldersee und dem Chef der Eisenbahnabteilung Wilhelm Groener überzeugte er seinen Chef davon, den Plan eines deutschen Ostaufmarschs fallen zu lassen.8 Dieser war für den Fall eines Krieges zwischen Deutschland und Russland allein konzipiert worden. Der entscheidungsschwache Moltke ließ sich von den Argumenten überzeugen, zwei Aufmärsche nicht mehr zeitgleich bewerkstelligen zu können. Wirkliche Alternativen zum Schlieffen-Plan hätten den Entscheidungsträgern in Berlin in der Julikrise 1914 zusätzliche Handlungsmöglichkeiten geboten und somit möglicherweise die spätere Entwicklung verhindert. Nach dieser verhängnisvollen Entscheidung konzentrierten sich die militärischen Planer voll und ganz auf den Westen. Dem zurückhaltenden Tappen kam dabei die wichtige Rolle zu, Moltke bei der Ausführung eines äußerst komplexen und riskanten Operationsplanes zu assistieren. Dafür war eine enge Koordination zwischen ihm und der für die Logistik zuständigen Eisenbahnabteilung unabdingbar. Diese hatte die Aufgabe, Korrekturen am Aufmarsch auf deren Durchführbarkeit zu überprüfen. Zusätzlich musste der Chef der 2. Abteilung die Fähigkeit besitzen, etwaige Schwächen des Generalstabchefs auszugleichen. Über beide Eigenschaften verfügte Tappen jedoch nur bedingt. Obwohl er durchaus darum bemüht war, konnte der eher führungsschwache Oberstleutnant die Nervosität und das fehlende Urteilsvermögen seines höheren Vorgesetzten nicht aufwiegen.9

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Gerhard Tappen (Foto um 1910)

Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs avancierte Tappen automatisch zum Chef der Operationsabteilung. Damit zeichnete er sich für die Ausführung des Schlieffen-Plans verantwortlich, der einen gigantischen Schwenk durch Belgien vor die Tore von Paris vorsah. Die nach der Vernichtung des französischen Heeres frei werdenden Kräfte sollten ­ ­a nschließend im Osten gegen einen erwarteten Angriff der Armee des Zarenreichs eingesetzt werden. Dem Plan folgend drangen deutsche Heeresverbände in den ersten Augusttagen 1914 auf belgisches Hoheitsgebiet vor. Tappen erachtete den dadurch erfolgten Bruch der Neutralität nicht nur als notwendig, sondern sprach sich später auch dafür aus, Belgien auf Dauer als „Kriegsbeute“ zu behalten.10 Es folgten die Eroberung der Festungsstadt Lüttich und die siegreichen Grenzschlachten in den Vogesen. Mit den eintreffenden Siegesmeldungen und dem stetig wachsenden Erfolg steigerte sich auch die Euphorie im Generalstab. Daraufhin bemerkten zahlreiche Offiziere beim Chefplaner der deutschen Operationen die ersten Züge eines „Grössenwahns“.11 Neben einer ohnehin schon vorhandenen Geringschätzung für die restlichen Abteilungen begann Tappen

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jetzt damit, vor den eigenen Mitarbeitern Truppenverschiebungen zu verheimlichen.12 Anfang September 1914 standen deutsche Truppen unmittelbar vor Paris. Moltke sah daher den Zeitpunkt gekommen, erhebliche Kräfte in den Osten abzuziehen. Tappen glaubte zu diesem Zeitpunkt, das französische Heer bereits besiegt zu haben. Der „bis an die Grenzen der Frivolität“ vorhandene Optimismus hatte bei Tappen dazu geführt, dass er die aktuelle Lage wiederholt falsch einschätzte.13 Zusätzlich neigte der Chef der Operationsabteilung dazu, die Kampfkraft der deutschen Soldaten erheblich zu über- und gleichzeitig die Moral des Gegners zu unterschätzen.14 Gegenüber dem Generaladjutanten des Kaisers, Hans von Plessen, ging Tappen sogar von einem Kriegsende innerhalb der nächsten sechs Wochen aus. Dank enormer Marschleistungen, „wie man sie im Frieden niemals für möglich gehalten“ habe, stünde Frankreich kurz vor der Niederlage.15 Obwohl er nach dem Krieg die Verlegung von zwei Armeekorps nach Ostpreußen für falsch hielt, spricht dennoch viel dafür, dass auch er diese Maßnahme zum damaligen Zeitpunkt befürwortete.16 Die Einschätzung der Obersten Heeresleitung sollte sich als verhängnisvoller Trugschluss erweisen. Bei der eigentlichen Schwenkbewegung nach Süden auf Paris war der rechte Flügel zu schnell vorgestoßen. Dadurch bestand für den Gegner die Möglichkeit, einen Keil zwischen die deutschen Armeen zu treiben und diese voneinander abzuschneiden. Der kurze Zeit später eintretende deutsche Rückzug ist unter anderem auf den zwischenzeitlichen Abbruch der Verbindungen zurückzuführen – einerseits zwischen den Truppen im Felde untereinander und andererseits zur Obersten Heeresleitung selbst. Hierfür war auch Tappen mitverantwortlich, da es durch seinen Drang zur Geheimhaltung regelmäßig zu Kommunikationsproblemen gekommen war.17 Der Ostfriese teilte Informa­ tionen erst im äußersten Notfall mit anderen Generalstabsoffizieren, weshalb die Mitarbeiter der Eisenbahnabteilung über weitere Operationen oftmals im Unklaren geblieben waren. Beispielsweise hatte Tappen anstehende Truppenverschiebungen bereits angewiesen, noch bevor die dafür zuständigen Personen davon erfuhren.18 Der als „unermüdliche Arbeitskraft“ eingeschätzte Tappen genoss im Generalstab dementsprechend wenig Beliebtheit. Genau wie sein Vorgänger Ludendorff galt er als eine herrschsüchtige Persönlichkeit, die ihren Untergebenen kaum Spielraum zur selbstständigen Arbeit ließ.19 Für den angesehenen Artilleriefachmann Max Bauer vereinte der Chefplaner des deutschen Heeres „Egoismus, Arroganz, Unaufrichtigkeit und Dummheit

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auf höchstem Level“.20 Sein Hang zum Optimismus führte wiederholt dazu, dass eintreffende Meldungen selten sachlich abgewogen werden konnten und sich dadurch „jeder gesunde Gedanke in Unsinn verwandelt“.21 Die von Konflikten und Eifersüchteleien geprägte Zusammenarbeit innerhalb des Generalstabs hatte daher entscheidend zur deutschen Niederlage beigetragen. Damit war der seit 1913 alternativlos gewordene Schlieffen-Plan bereits nach wenigen Wochen gescheitert. Obwohl das Versagen an der Marne auch Tappens Verschulden war, verlor nur Moltke sein Amt. Die Ernennung des preußischen Kriegsministers Erich von Falkenhayn zum Chef des Generalstabs des Feldheeres kam für Tappen zunächst überraschend. Vielmehr hatte er mit der Einsetzung des damaligen Oberquartiermeisters Hermann von Stein gerechnet.22 Nunmehr führten die Dissonanzen aus der Vorkriegszeit hinsichtlich der Heeresverstärkungen dazu, dass Tappen seinem neuen Vorgesetzten vorerst skeptisch gegenüberstand. Auch Falkenhayn war vom Chef seiner Operationsabteilung wenig überzeugt und versuchte, ihn zu ersetzen. Der zwischenzeitliche Vertreter Fritz von Loßberg erwies sich jedoch durch einen „klaren und festen Willen“ als unbequem, weshalb Falkenhayn dann doch für den gefügigen Ostfriesen optierte.23 Der „vortreffliche Registrator“24 Tappen sollte der Operationsabteilung weiterhin vorstehen. Seine Rolle änderte sich jedoch grundlegend. Anders als sein Vorgänger war Falkenhayn nicht dazu bereit, seine Kompetenzen zu delegieren und dadurch Macht abzugeben. Die unter Moltke als Entscheidungsträger nahezu selbstständig gewordenen Stabsoffiziere sollten sich wieder auf ihre ursprüngliche Aufgabe beschränken: die Rolle des Beraters. Zusätzlich war der neue Chef des Generalstabs eine sehr reservierte Persönlichkeit, die sich kaum in die Karten schauen ließ. Der „einsame Feldherr“ nutzte zwar durchaus eine kleine Gruppe an Ratgebern, zog diese jedoch nie gänzlich ins Vertrauen.25 Bereits die erste Operation unter Falkenhayn sollte sich als folgenschwer erweisen. Beim sogenannten „Wettlauf zum Meer“ versuchten deutsche Truppen erneut, den Gegner zu überflügeln. Bereits Mitte November 1914 waren diese Offensivanstrengungen gescheitert, woraufhin sich die Westfront in einen Stellungskrieg verwandelte. Für Tappen erforderte der „festungsartige Ausbau“ der Frontlinie fortan eine „ganz neue Art der Kriegführung“.26 Seit der Haager Landkriegsordnung aus dem Jahr 1907 war die Anwendung chemischer Waffen untersagt. Um den Krieg wieder in Bewegung zu setzen, beschäftigte sich der deutsche Generalstab dennoch mit dem Thema. Als die ersten Versuche ergebnislos blieben, brachte Tappen

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seinen Bruder Hans ins Spiel. Dieser hatte Chemie studiert und über ­f lüssige Augenreizstoffe promoviert.27 Für die später nach ihm benannten „T-Geschosse“ weilte er ab November 1914 häufiger im Großen Hauptquartier in Mézières.28 Unklar bleibt, wie Gerhard Tappen zu der Verwendung von Giftgas stand. Da er aber oftmals das „Günstige als Gegeben“ hinnahm und zudem selbst seinen Bruder als Fachmann installierte, ist davon auszugehen, dass er diesen Schritt befürwortete.29 Erst nach seiner Versetzung aus der OHL sollte Tappen mit dieser Waffe und ihren Auswirkungen selbst in Berührung kommen.30 Da im Westen die Situation festgefahren war, entschloss sich das deutsche Oberkommando zunächst für eine Schwerpunktsetzung im Osten. Der Erfolg in der anschließenden Durchbruchsschlacht von Gorlice-Tarnów beendete vorläufig die offensiven Bemühungen des Zarenreichs. Tappen wurde für die Planung dieser Operation mit dem Pour le Mérite ausgezeichnet, obwohl der Chef des Generalstabs der 11. Armee, Hans von Seeckt, der eigentliche Architekt des Sieges gewesen war. Als im Herbst 1915 auch die französischen und britischen Offensivbemühungen in der Champagne scheiterten, entschied sich Falkenhayn für eine Gegenoffensive. Genau wie Tappen unterschätzte aber auch er die französische Bereitschaft, den Krieg mit allen Mitteln fortzuführen.31 Mit der Schlacht um Verdun wollte der deutsche Generalstabschef den Krieg entscheiden.32 Durch die Einnahme der von der französischen Generalität als besonders wichtig erachteten Festung sollte diese zu unüberlegten Gegenmaßnahmen gezwungen und somit in eine Falle gelockt werden. Die OHL erhoffte sich auf diese Weise, die ­ohnehin als gering eingeschätzte französische Reserve anschließend durch die überlegene deutsche Artillerie ausschalten zu können. Laut Tappen war dies Teil einer ausgeklügelten operativen Idee, bei der im nächsten Schritt die Kaiserliche Armee mit der eigenen Heeresreserve durch die feindlichen Linien brechen wollte.33 Dabei befürwortete Tappen einen Angriff auf beiden Ufern der Maas, konnte sich damit jedoch nicht gegen seinen Vorgesetzten durchsetzen. Dieser hatte seinem Operationsleiter in Anspielung auf die Verhältnisse beim deutschen Oberkommando an der Ostfront vorgeworfen, er wolle „keinen zweiten Chef neben sich haben“.34 Bei der anschließenden verbalen Auseinandersetzung bot Tappen seinen Rücktritt an, den Falkenhayn jedoch ablehnte. Die Operationen rund um Verdun führten dazu, dass sich die Stimmung innerhalb der OHL wandelte. Immer mehr Stabsoffiziere waren dort der Ansicht, dass Falkenhayn und Tappen von den im Feld stehenden Truppen zu viel erwarteten und die eigentliche Lage verkannten. Da der

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ursprüngliche operative Gedanke des Durchbruchs auch hier gescheitert war, hatten sich die Kampfhandlungen um Verdun in wenigen Wochen in eine „Blutpumpe“ verwandelt. Falkenhayn und Tappen standen daher zunehmend isoliert da.35 Als auch Rumänien aufseiten der Entente in den Krieg eintrat und Falkenhayn dies nicht vorausgesehen hatte, überzeugte Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg Kaiser Wilhelm II. davon, den amtierenden Generalstabschef abzusetzen. Der durch die Erfolge im Osten zum Volkshelden gewordene Paul von Hindenburg übernahm nun das Kommando über die kaiserlichen Streitkräfte. Der „Sieger von Tannenberg“ sollte retten, was noch zu retten war. Dieses Mal sollte der Wechsel in der Obersten Heeresleitung auch für Tappen Konsequenzen haben. Zusammen mit Falkenhayn schied auch der Chef der Operationsabteilung Ende August 1916 aus seinem Amt aus. Die Gründe für seine Versetzung aus der Operationsabteilung finden sich zum einen im angespannten Verhältnis zwischen ihm und der neuen OHL. Hindenburg als vormaliger Oberbefehlshaber Ost (OberOst) und seine rechte Hand Ludendorff hatten sich wegen etwaiger Truppendispositionen oftmals direkt an den Kaiser gewandt. Obwohl der Generalstab die gesamten deutschen Operationen plante, musste letztendlich Wilhelm II. als Oberbefehlshaber die endgültige Entscheidung treffen. Da Hindenburg aufgrund der Operationsplanung der OHL durchgängig beim Kaiser vorsprach, interpretierte Tappen dies als eine Umgehung seiner Person und seiner Stellung innerhalb des Generalstabs. Dementsprechend konterkarierte er regelmäßig die Absichten und Planungen aus OberOst.36 Zum anderen hatte sich das Verhältnis zwischen Tappen und seinem Amtsvorgänger im Laufe des Krieges drastisch verschlechtert. Nach der Entstehung der 3. OHL war es jetzt Ludendorff, der Tappen aus dem Zentrum der Macht entfernte und zunächst auf den Balkan und später an die Ostfront abschob.37 Als Chef des Generalstabs der Heeresgruppe Mackensen nahm Tappen letztmalig als einflussreicher Planer an einem wichtigen Feldzug teil. Bereits während der Offensive gegen Rumänien, aber vor allem auch anschließend als Divisionskommandeur vor Dünaburg, lässt sich bei ihm eine Wesensveränderung konstatieren. Der zuvor durchgängig optimistische Tappen wirkte frustriert und durch seine persönliche Situation zutiefst deprimiert. Immer öfter verweilte der pflichtbewusste Generalmajor bis tief in die Nacht im Offizierskasino.38 Nach der Niederwerfung Rumäniens Ende 1916 wurde Tappen zum Kommandeur der 5. Ersatzdivision im Osten und neun Monate später zum Kommandeur der 15. Division an der Westfront ernannt. Beide Male übergab ihm die OHL Verbände, die sich bis zu

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diesem Zeitpunkt wenig ausgezeichnet und in den meisten Fällen sogar „mehr oder weniger“ versagt hatten.39 Obwohl er als Frontkommandeur bei seinen Männern sehr beliebt war und engagiert zu Werke ging, fühlte er sich durch das Oberkommando „kalt gestellt“.40 Die „Firma HindenburgLudendorff müsse ihn glühend hassen, um ihm nur noch solche Aufgaben anzuvertrauen“,41 notierte Tappen in seinen Kriegserinnerungen. Nach dem Waffenstillstand im November 1918 führte Tappen seine 15. Division zurück in die Heimat. Zunächst als Kommandeur des Auflösungsstabes 29 verwendet, schied er mit Charakter eines Generalleutnants am 27. Oktober 1919 aus der preußischen Armee aus. In den Jahren nach dem Weltkrieg war er vor allem für das Reichsarchiv ein gefragter Zeitzeuge. Wie die meisten Veröffentlichungen zum Thema schien er dabei jedoch weniger darauf bedacht, die Ereignisse objektiv darzustellen. Vielmehr war er darum bemüht, jegliche Verantwortung für das militärische Scheitern von sich zu weisen.42 Zusammen mit Falkenhayn wehrte er sich gegen den Vorwurf, den Krieg bereits 1916 mit Verdun verloren zu haben.43 Neben seinen eigenen Veröffentlichungen fertigte Tappen auch zahlreiche Schriften für den „Stahlhelm“ an. Hier engagierte er sich zunächst im Landesverband Groß-Berlin und danach als Chef auf Bundesebene.44 Im Übrigen zog er sich völlig aus der Öffentlichkeit zurück. Seine Korrespondenzen aus den 1930er-Jahren geben keine weiteren Aufschlüsse darüber, wie er zu den neuen Machthabern im „Dritten Reich“ stand oder ob er antisemitisches Gedankengut teilte.45 Der anlässlich des Tannenbergtages 1939 mit dem Charakter eines Generals der Artillerie geehrte ehemalige Chef der Operationsabteilung des deutschen Feldheeres starb am 28. Mai 1953 in Goslar. Anmerkungen 1 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 56. 2 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 261. 3 Zur Dienstlauf bahn siehe Hildebrand / Zweng, Die Ritter des Ordens, S. 391f., und Rokahr, Gerhard Tappen. 4 Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 150. 5 Herwig, Marne, S. 209. 6 Möller-Witten, Geschichte der Ritter des Ordens, S. 399. 7 Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 150. 8 Waldersee, „Meine Erlebnisse zu Beginn des Krieges, September 1914“, BA-MA, RH 61/735, Bl. 1f. 9 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 56 sowie 69.

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10 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 46. 11 Mewes an das Reichsarchiv,18.1.1921, BA-MA, RH 61/768, Bl. 30. 12 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 56. 13 Mewes an das Reichsarchiv,18.1.1921, BA-MA, RH 61/768, Bl. 29. 14 Tappen an das Reicharchiv, 15.5.1931, BA-MA, N 56/5, Bl. 6. 15 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 16; sowie Tappen, Bis zur Marne, S. 18. 16 Siehe hierzu Tappens Kriegserinnerungen sowie seinen Tagebucheintrag vom 24.8. 1914, BA-MA, RH 61/986, Bl. 15 und 308f.; sowie Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 249. 17 Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 235. 18 Ebd. 19 Mewes an das Reichsarchiv,18.1.1921, BA-MA, RH 61/768, Bl. 29f.; sowie Mombauer, Helmuth von Moltke, S. 150. 20 Max Bauer in einem Brief an seine Frau, zitiert nach: Foley, German Strategy, S. 94. 21 Mewes an das Reichsarchiv,18.1.1921, BA-MA, RH 61/768, Bl. 29. 22 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 23. 23 Mewes an das Reichsarchiv, 18.1.1921, BA-MA, RH 61/768, Bl. 31. 24 Afflerbach, Falkenhayn, S. 233. 25 Foley, German Strategy, S. 93. 26 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 34. 27 Szöllösi-Janze, Fritz Haber, S. 322f. 28 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA RH 61/986, Bl. 327 und 332; sowie Baumann, Giftgas und Salpeter, S. 272f. 29 Afflerbach, Auf Messers Schneide, S. 56. 30 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 243. 31 Foley, German Strategy, S. 100. 32 Jessen, Verdun, S. 28; siehe zusätzlich die abgedruckte „Tappen-Befragung“, S. 389– 406. 33 Afflerbach, Falkenhayn, S. 361–363. 34 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 87. 35 Afflerbach, Falkenhayn, S. 405. 36 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 64f. sowie 71f. 37 Ebd., Bl. 107. 38 So beispielsweise am 6.10.1918 in seinem Kriegstagebuch, BA-MA, RH 61/986, Bl. 532. 39 Tappen, Kriegserinnerungen, BA-MA, RH 61/986, Bl. 162. 40 Ebd., Bl. 162 und 192. 41 Ebd., Bl. 162. 42 Tappen, Bis zur Marne. Siehe zusätzlich Tappens umfangreiche Korrespondenz mit dem Reichsarchiv, BA-MA, N 56/5. 43 Afflerbach, Falkenhayn, S. 427. 44 Tappen an das Reichsarchiv, 29.7.1932, BA-MA, N 56/5, Bl. 153–155. 45 Siehe dazu Tappens Korrespondenz mit dem Reichsarchiv, BA-MA, N 56/5.

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), RH 61/986, Kriegserinnerungen und Kriegstagebuch von Generalleutnant Tappen.

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Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), RH 61/768, Schriftwechsel des Reichsarchivs mit Friedrich Mewes. Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg (BA-MA), N 56, Nachlass Gerhard Tappen, sieben Auf bewahrungseinheiten, darunter sein Kriegstagebuch, Fotos und umfangreiche Nachkriegskorrespondenz, vor allem mit dem Reichsarchiv.

Gedruckte Quellen und Literatur Afflerbach, Holger, Falkenhayn. Politisches Denken und Handeln im Kaiserreich, 2. Auflage, München 1996. Baumann, Timo, Giftgas und Salpeter. Chemische Industrie, Naturwissenschaft und Militär von 1906 bis zum ersten Munitionsprogramm 1914/15. Inaugural-Dissertation, Philosophische Fakultät der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, vorgelegt im März 2008. Foley, Robert T., German Strategy and the Path to Verdun. Erich von Falkenhayn and the Development of Attrition, 1870–1916, Cambridge 2005. Görlitz, Walter, Der Deutsche Generalstab. Geschichte und Gestalt 1657–1945, Frankfurt am Main 1950. Herwig, Holger H., Marne 1914. Eine Schlacht, die die Welt veränderte? Paderborn 2016. Jessen, Olaf, Verdun 1916. Urschlacht des Jahrhunderts, München 2014. Mombauer, Annika, Helmuth von Moltke and the Origins of the First World War, Cambridge 2001. Rokahr, Gerd, Gerhard Tappen (1866–1953), in: Biographisches Lexikon für Ostfriesland, Bd. 2, Aurich 1997, S. 362–364. Szöllösi-Janze, Margit, Fritz Haber 1868–1934. Eine Biographie, München 1998. Tappen, Gerhard, Bis zur Marne 1914. Beiträge zur Beurteilung der Kriegführung bis zum Abschluß der Marne-Schlacht, Berlin 1920.

Generalfeldmarschall Herzog Albrecht von Württemberg von Harald Schukraft

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chlägt man Veröffentlichungen über den Ersten Weltkrieg auf und sucht im Register nach Nennungen von Herzog Albrecht von Württemberg, so wird einem schnell bewusst, dass dieser Heerführer von der wissenschaftlichen Forschung bisher nur wenig beachtet wurde. Obwohl er als Oberbefehlshaber und Generalfeldmarschall zur herausragenden militärischen Elite des frühen 20. Jahrhunderts gehört hat, könnte seine

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mangelnde Präsenz im einschlägigen Schrifttum spontan auf eine untergeordnete Bedeutung schließen lassen. Die noch weitgehend unbearbeitete Überlieferung zu Herzog Albrecht hat auch den Autor dieser Abhandlung zu immer weitreichenderer Quellenforschung1 veranlasst und ganz allmählich gaben die neu gewonnen Erkenntnisse den Blick auf eine Persönlichkeit frei, deren Schicksal in mehrfacher Hinsicht tragisch genannt werden muss. Herzog Albrecht wurde am 23. Dezember 1865 zusammen mit einer Zwillingsschwester in Wien geboren. Seine Eltern waren Herzog Philipp von Württemberg und Erzherzogin Marie Thérèse von Österreich. Ursprünglich aus einem protestantischen Fürstenhaus stammend, war Albrechts Vater katholisch getauft und am Hof König Louis Philippes in Paris erzogen worden. Während der Vater und der Großvater, die Herzöge Philipp und Alexander von Württemberg, zeitlebens ganz und gar unmilitärisch auftraten, gehörte die Familie der Mutter zur militärischen Elite des Habsburgerreiches. Sein österreichischer Großvater, Erzherzog Albrecht, war Feldmarschall der österreich-ungarischen Armee und der hochverehrte Sieger von Custozza, sein Urgroßvater, Erzherzog Karl, der Sieger von Aspern. Seine Kindheit und Jugend verbrachte Herzog Albrecht in Wien und am Traunsee, wo der Vater einen Landsitz hatte errichten lassen. Von Privatlehrern unterrichtet, legte er 1884 die Abiturprüfung ab. Sein Lebensmittelpunkt war bis dahin Österreich gewesen, auch seine familiären Beziehungen waren ganz und gar auf die Habsburgermonarchie gerichtet. Die dynastischen Anforderungen an ihn änderten sich in jenen Jahren jedoch grundlegend. Nachdem 1875 und 1880 die Söhne der protestantischen Thronanwärter im Säuglingsalter plötzlich verstorben waren und die zweite, 1886 geschlossene Ehe des späteren Königs Wilhelm II. kinderlos blieb, rückte Herzog Albrecht in der württembergischen Thronfolge immer weiter nach vorne. Im Juli 1880 war es zu einer ersten Begegnung mit dem württembergischen Königspaar in Friedrichshafen gekommen und vier Jahre später unternahm König Karl einen ersten Schritt, Herzog Albrecht näher an Württemberg heranzuführen, indem er empfahl, dass dieser an der Landesuniversität Tübingen ein Studium beginnen solle. Nach zwei Semestern Rechts- und Staatswissenschaften drängte es Herzog Albrecht jedoch weg von der Wissenschaft und hin zur militärischen Laufbahn. Obwohl der protestantische Teil der Familie angesichts von Albrechts Aussicht, dereinst König von Württemberg zu werden, eine Eheschlie-

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Albrecht von Württemberg auf einer ­Porträtaufnahme um 1915

ßung mit einer protestantischen Braut nach Kräften beförderte, ehelichte er am 24. Januar 1893 Erzherzogin Margarete Sophie, die Schwester des österreichischen Thronfolgers Franz Ferdinand. Aus der Ehe gingen sieben Kinder – drei Söhne und vier Töchter – hervor. Margarete Sophie starb jedoch schon am 24. August 1902 nach noch nicht einmal zehnjähriger Ehe. Herzog Albrecht hat den Verlust nie verwunden und nicht mehr geheiratet. Vonseiten der protestantischen Bevölkerung in Württemberg schlugen Herzog Albrecht von Anfang an große Vorbehalte entgegen. In zahlreichen Artikeln machte sich der Unmut der Bevölkerung darüber Luft, dass nach dem Tod König Wilhelms II. Herzog Albrecht sein Nachfolger auf dem Thron werden würde. Die Ängste weiter Kreise vor einem katholischen König Albrecht waren groß – und das wusste der Thronfolger auch, weshalb er äußerst zurückgezogen lebte und nur bei jenen offiziellen Anlässen nicht fehlte, „wo er nach der Etikette nicht fehlen sollte“.2 Die dynastische und die konfessionelle Stellung Herzog Albrechts in Württemberg war demnach schwierig und es könnte durchaus möglich sein, dass

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er sich durch Erfolge auf militärischem Gebiet Anerkennung verschaffen und so seine Position als Thronfolger stärken wollte. Schon König Karl hatte Herzog Albrecht immer wieder als Vertreter der Krone an fremde Höfe entsandt, so beispielsweise 1887 zu Kaiser Wilhelm I. nach Berlin. Es war dann König Wilhelm II. von Württemberg, der Herzog Albrecht sehr behutsam an seine Rolle als Thronfolger herangeführt und ihn mit offiziellen Reisen betraut hat. So nahm er 1896 in Moskau an der Krönungsfeier von Nikolaus II. und 1911 an der Krönung König Georgs V. in London teil. Allmählich wurde ihm auch der Inhalt wichtiger Akten zur Kenntnis gegeben und seit Jahresende 1910 bekam er im Auftrag des Königs die Abschriften vertraulicher politischer Berichte des Bundesratsausschusses für auswärtige Angelegenheiten zur Einsichtnahme vorgelegt. Herzog Albrecht wurde also systematisch auf seine künftige Rolle als König von Württemberg vorbereitet. Noch nicht 18-jährig trat Herzog Albrecht am 28. August 1883 als Leutnant à la suite des Ulanenregiments „König Karl“ (1. Württ.) Nr. 19 in das württembergische Heer ein und wechselte nach seinem Studium in Tübingen im Herbst 1885 in den aktiven Militärdienst. Er erklomm nicht nur wegen seiner Abstammung, sondern auch wegen seiner hervorragenden militärischen Fähigkeiten alle Stufen der Offizierslaufbahn. In Stuttgart war er seit 1890 Kompaniechef der 11. Kompanie der Olgagrenadiere, drei Jahre später wurde er Major beim Stab des Dragonerregiments Nr. 26, 1896 Oberst. Zwei Jahre später wurde er zum Generalmajor ernannt und ihm wurde als Kommandeur in Potsdam die 4. Gardekavalleriebrigade anvertraut. In einem Brief an Major Hermann Rampacher äußerte er am 22. Dezember 1898, er müsse sich erst daran gewöhnen, „als Brigade-Commandeur wenig zu sagen zu haben“.3 Tatsächlich fühlte er sich in Preußen nicht wohl und kehrte nach Stuttgart zurück, wo er schließlich zum Kommandeur der 26. Division ernannt wurde, die er fünf Jahre geführt hat. Nach der mit Preußen vereinbarten Militärkonvention vom 21. November 1870 stand es dem König von Württemberg zu, nach vorheriger Zustimmung durch den König von Preußen, den Höchstkommandierenden des württembergischen Armeekorps zu ernennen. König Wilhelm II. von Württemberg äußerte im Frühjahr 1903 gegenüber dem Generalfeldmarschall Graf Waldersee, bei nächster Gelegenheit Herzog Albrecht mit diesem Kommando betrauen zu wollen. Bei einer persönlichen Unterredung zwischen Kaiser Wilhelm II. und Herzog Albrecht in Döberitz am 29. Mai 1903 lehnte der Kaiser es brüsk ab, zur Ernennung Herzog Albrechts

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seine Zustimmung zu erteilen. Das XIII. Armeekorps würde im Ernstfall sofort an der Grenze aufgestellt und ein dem Thron nahestehender Prinz dürfe nicht einer solchen Gefahr ausgesetzt werden. Herzog Albrecht und der württembergische König hielten die Begründung für nicht stichhaltig. Beiläufig hatte der Kaiser auch von „politischen“ Gründen gesprochen, diese aber nicht ausgeführt. In Württemberg war klar, dass die Ablehnung in der Angst des Kaisers vor jeder Form des Partikularismus begründet lag. Der König, aber auch Herzog Albrecht, waren tief gekränkt und es begann eine diplomatische Auseinandersetzung, die mit großer Härte weitergeführt wurde. Man befürchtete, das Bekanntwerden würde „in Presse und Volksvertretung einen vereinigten Sturm der partikularistischen und ultramontanen Elemente hervorrufen“.4 Die Ablehnung und die folgenden Verhandlungen verletzten Herzog Albrecht so tief, dass er sich mit dem Gedanken trug, aus dem aktiven Dienst auszuscheiden und sich auf die österreichischen Besitzungen seiner Familie zurückzuziehen. Schließlich einigte man sich darauf, dass Herzog Albrecht zunächst das vom Kaiser angebotene preußische XI. Armeekorps in Kassel kommandiere. Am 24. September 1906 ernannte ihn der Kaiser zum Kommandierenden General und übertrug ihm damit eine der höchsten Kommandostellen in der preußischen Armee. In Kassel blieb er nur anderthalb Jahre, weil der Kaiser dann endlich dem Wunsch des württembergischen Königs entsprach und die frei gewordene Stelle des Kommandierenden Generals des XIII. (Kgl. Württ.) Armeekorps in Stuttgart an Herzog Albrecht übertrug. Fünf Jahre blieb er auf diesem Posten, der die höchste Kommandostelle Württembergs im Frieden war. Er organisierte Kriegsspiele und Manöver, unternahm Generalstabsreisen und lernte seine württembergischen Truppen kennen. In Militärkreisen wurde anerkannt, dass er alle Einzelheiten des Dienstes, auch technisches Funktionswissen, bestens beherrschte. Auch sei er von peinlicher Gerechtigkeit und vorbildlicher Sachlichkeit und Kürze beseelt gewesen. Generalmajor Klotz sagte in einem Rundfunkbeitrag 1933, Herzog Albrecht sei ein Feind aller Pose und allen Scheins gewesen, er habe in der Öffentlichkeit immer eine gewisse Zurückhaltung geübt und es vermieden, besonders hervorzutreten.5 Am 1. April 1913 wurde Herzog Albrecht vom Kaiser schließlich zum Generalinspekteur der 6. Armee-Inspektion mit Standort in Stuttgart ernannt. Er hatte nun keine bestimmte Aufgabe mehr, sondern sollte sich bei den Kommandostellen und der Truppe selbst über Zustand und Leistungs­ fähigkeit informieren.

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Das Attentat auf seinen Schwager, den österreichischen Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand und dessen Gemahlin am 28. Juni 1914 in ­Sarajewo, nannte Herzog Albrecht „ein entsetzliches Unglück“. Er reiste nach Wien und nahm an den Trauerfeierlichkeiten teil. Mit Ausbruch des Ersten Weltkriegs wurde Herzog Albrecht statt des ursprünglich vorgesehenen, aber erkrankten Generals Hermann von Eichhorn zum Oberbefehlshaber der 4. Armee ernannt, die in den ersten Augusttagen in Berlin zusammengestellt wurde. Zwischen der 3. und der 5. Armee stehend, war es zunächst seine Aufgabe, deren Operationen und Vorstöße abzusichern. Als der deutsche Kronprinz Wilhelm als Oberbefehlshaber der 5. Armee Herzog Albrecht zu Hilfe rief, weil fünf französische Divisionen nach Norden marschiert waren, handelte dieser taktisch klug und blitzschnell, was zum sogenannten Sieg von Neufchâteau führte.6 In seinem Telegramm an die Oberste Heeresleitung schrieb er „tausende Gefangene, darunter auch Generäle“ gemacht zu haben, aber auch „Verluste sind vielfach sehr groß“. Am 22. August 1915, dem Jahrestag des Sieges von Neufchâteau, hat ihm der Kaiser dafür den Orden Pour le Mérite verliehen. Am 25. August 1914 dankte er dem württembergischen Ministerpräsidenten von Weizsäcker aus Bouillon für dessen Glückwünsche zum Erfolg von Neufchâteau, bemerkte aber: „den Sieg haben meine braven Truppen erfochten, ich habe das Wenigste dazu gethan“, und ergänzte: „Während ich schreibe sind Theile meiner Armee in Sedan eingedrungen, hoffe daß größter Theil derselben morgen die Maas überschreitet.“7 Herzog Albrechts 4. Armee stand an der Marne, als die Oberste Heeresleitung den Befehl zum Rückzug hinter die Argonnen gab, den dieser nur schweren Herzens befolgt hat. König Wilhelm II. von Württemberg drückte in zahlreichen Briefen an Herzog Albrecht sein Unverständnis über diesen Rückzug aus. Unter anderem schrieb er am 30. September 1914: „Immerhin ist es schwer verständlich, wozu längst in unserem Besitze befindliche Stellungen u[nd] Städte geräumt, um jetzt wieder mit grossen Opfern genommen zu werden. So scheint der Rückzug unseres Corps durch den Argonnenwald geradezu entsetzlich gewesen zu sein u[nd] die Durchführung gelang nur durch die unglaubliche Unachtsamkeit der Franzosen. Jetzt sollen sie wieder denselben Argonnenwald nehmen, nachdem er vom Feinde grossartig mit Feldbefestigungen versehen ist!“8 Mit König Wilhelm II. von Württemberg stand Herzog Albrecht während des ganzen Kriegs in engem brieflichem Austausch. Durchschnittlich schrieb er drei- bis fünfmal pro Monat an den König. So wissen wir beispielsweise, dass er dem König bereits am 14. September 1914 die

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Gründe für den Rückzug der deutschen Truppen erläutert hat. Während alle Briefe des Königs an Herzog Albrecht erhalten geblieben sind, gelten sämtliche Briefe Herzog Albrechts an König Wilhelm II. als verschollen, ja es ist zu befürchten, dass der König nach seinem Thronverzicht alle an ihn gerichteten Briefe persönlich vernichtet hat.9 Zur Frage des Rückzugs äußerte sich Herzog Albrecht am 27. November 1922 in einem Brief an Kronprinz Wilhelm.10 Darin konkretisierte er, dass er einen weit weniger umfangreichen Rückzug ins Auge gefasst hatte, aber sich dem Befehl von Konstantin Schmidt von Knobelsdorf fügen musste. Er hatte zusammen mit seinem Chef des Generalstabs, General Walther von Lüttwitz, „die von uns in Aussicht genommenen Stellungen für meine Armee abgefahren u[nd] sie für viel besser gefunden als die später von uns besetzten“. Herzog Albrechts Vorschläge wurden von Schmidt von Knobelsdorf brüsk zurückgewiesen und er erinnerte sich in dem Brief „an den Ärger den es bei Lüttwitz auslöste“. Da auch Kronprinz Wilhelm den Rückzug für zu weit gehend hielt, schrieb Herzog Albrecht an den Hohenzollern: „Schade, dieß kann man jetzt wohl sagen, daß Dein u[nd] mein Gedanke nicht zur Ausführung kam. Man hätte die richtige Bahnlinie St. Menehould – Verdun in Händen, und die Argonnen im R ­ ücken gehabt.“11 Da wegen der hohen Verluste die Schlagkraft der 4. Armee stark eingeschränkt war, wurden Herzog Albrecht fünf übereilt zusammengestellte Reservekorps sowie das durch die Kapitulation Antwerpens freigewordene III. Reservekorps sowie die 4. Ersatzdivision zugeteilt. Er erkannte die Problematik, mit kriegsfreiwilligen Gymnasiasten und Studenten Vorstöße zu unternehmen. Trotzdem erhielt Herzog Albrecht am 10. Oktober 1914 im Großen Hauptquartier Mézières-Charleville von General von Falkenhayn den mündlichen Befehl, die 4. Armee „hat ohne irgendwelche Rücksichtnahme auf Verluste vorzugehen“. Mit dem rechten Flügel sollte Herzog Albrecht der Küste entlang marschieren, Dünkirchen und Calais einschließen und dann nach Süden schwenken. Nach eigenen Angaben wurde Herzog Albrecht über den Zweck dieser und späterer Befehle nicht unterrichtet.12 In einem Armeebefehl vom 15. Oktober 1914 schwor Herzog Albrecht seine „neue“ 4. Armee zwar auf unbedingte Treue und Opferbereitschaft ein, stellte jedoch ebenfalls fest, dass die Verluste der vergangenen Wochen „in manchen Fällen unnötig“ gewesen seien. Er versuchte, trotz des Befehls Falkenhayns, seine nur unzureichend ausgebildeten Reservistentruppen durch umfangreiche strategische Maßnahmen13 zu schützen, was aber letztlich ohne Erfolg blieb. In

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der Schlacht um den Ypern-Bogen im November waren die Verluste erschreckend hoch bei gleichzeitig unerheblichem Geländegewinn. Das Unternehmen war ein großer Misserfolg und der Beginn des Stellungs­ krieges. Die Opferbereitschaft der Soldaten wurde durch den „Mythos von Langemarck“ propagandistisch überhöht und die Verluste für die deutsche Öffentlichkeit so erträglicher gemacht. In der Korrespondenz mit seinem Vetter, Herzog Wilhelm (II.) von Urach,14 äußerte sich Herzog Albrecht immer wieder zu politischen und militärischen Sachverhalten. Am Jahresende 1914 berichtete er vom „Festungskrieg“ und gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass es nach Erfolgen an der Ostfront auch im Westen „wieder vorwärts gehen“ werde. Mittlerweile war aber die Stoßkraft der Armee durch die erheblichen Verluste erschöpft und der Vormarsch im Stellungskrieg erstarrt. Im Januar 1915 fiel daher die Entscheidung, im Verantwortungsbereich der 4. Armee unter Herzog Albrecht am Ypernbogen in Flandern das von dem Chemiker Fritz Haber entwickelte Kampfgas erstmals zum Einsatz zu bringen. Nach mehrmaliger wetterbedingter Verzögerung wurde am 22. April 1915 zum ersten Mal in der Militärgeschichte im sogenannten Blasverfahren Gas als Kampfmittel eingesetzt. In seinem Kriegstagebuch vermerkte Herzog Albrecht: „Um 6 Uhr Abends wurden beim XXIII. und XXVI. R[eserve] K[orps] die Flaschen geöffnet.“15 Unter dem Eindruck der erfolgreichen Anwendung von Gas als Kampfmittel sandte Herzog Albrecht noch am selben Abend ein Telegramm an Fritz Haber, dessen Inhalt nicht bekannt ist. Fritz Haber schrieb aber in einem Brief an Herzog Albrecht vom 24. April 1916, also ein Jahr später, er habe ihm durch das Telegramm eine große Ehre und Freude bereitet und seiner mit Worten gedacht, „auf die ich mein Lebtag stolz sein werde“.16 Nur wenige Tage danach, am 30. April 1916, vermerkte Herzog Albrecht in seinem Tagebuch, „bei 45. R. D. wurden heute Nacht Flaschen abgeblasen, es ging alles sehr gut ab, Erfolg ist zu hoffen.“17 Vom 20. Oktober 1914 bis zum 28. Februar 1917 hatte Herzog Albrecht sein Hauptquartier in der belgischen Stadt Thielt. Da die Frontlinie mehr oder weniger erstarrt war, erschöpfte sich seine Tätigkeit im Wesent­ lichen in Inspektionsfahrten und in der Kontaktpflege mit Offizieren und Soldaten. Während der fast zweieinhalb Jahre in Thielt ist er nur dreimal – jeweils für eine knappe Woche – nach Stuttgart gereist, die übrige Zeit blieb er in Flandern. Herzog Albrecht wurde von seinen Zeitgenossen als mit einer „hervorragenden militärischen Begabung“ ausgestattet beschrieben, auch habe er ein „außerordentlich gewinnendes

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Wesen“ gehabt.18 Nur eine Woche nach der Ernennung König Wilhelms II. von Württemberg zum preußischen Generalfeldmarschall wurde Herzog Albrecht am 1. August 1916 zusammen mit Kronprinz Rupprecht von Bayern und Prinz Leopold von Bayern dieselbe Ehre zuteil. König Wilhelm II. verlieh ihm zudem die Würde eines königlich württembergischen Feldmarschalls. Mit diesen Titeln hatte Herzog Albrecht den höchsten militärischen Rang inne, der für ihn erreichbar war. An seinen Studienfreund Georg von Doertenbach schrieb Herzog Albrecht am 22. Dezember 1916: „Daß unser Friedensangebot nicht angenommen wurde, war leider vorauszusehen. Es erfolgte im denkbar günstigsten Augenblick als eine vornehme Geste. Nun aber können wir frei von allen Rücksichten auf Neutrale etc. mit den schärfsten Mitteln aller Art dem Feinde zu Leibe gehen. Das Angebot wird seine Früchte schon tragen. Unsere Gegner erhalten jetzt den Frieden unter ganz anderen Bedingungen als wenn sie die dargebotene Hand ergriffen hätten.“19 Nur wenige Wochen später begann der uneingeschränkte U-Boot-Krieg. Am 28. Februar 1917 verlegte Herzog Albrecht sein Hauptquartier nach Straßburg im Elsass, wo er fortan die neu gebildete „Heeresgruppe Herzog Albrecht“ – mit den Armeeabteilungen A, B und wenig später auch C – befehligte. Sie war Teil der nun in drei Abschnitte aufgeteilten Westfront und sicherte die Frontlinie zwischen Verdun und der Schweizer Grenze im Sundgau. Da das Elsass nicht nur militärisch, sondern auch politisch unter Kontrolle zu halten war, bot Herzog Albrecht wegen seines umsichtigen Verhaltens und seiner süddeutschen Herkunft am besten die Gewähr, das in vielfacher Hinsicht schwierige Reichsland abzusichern. Obwohl Herzog Albrecht immer wieder mit Angriffen und Durchbruchsversuchen des Gegners rechnete, fanden im Elsass und in Lothringen keine größeren Kampfhandlungen mehr statt. Als im Frühjahr 1918 in Berlin „Planspiele“ zur Besetzung eines neu zu schaffenden polnischen Königsthrons bekannt geworden waren und für diese Aufgabe der Name Herzog Albrechts in die Überlegungen kam, lehnte dieser ein solches Ansinnen brüsk ab. Auch für seine Söhne schloss er eine Kandidatur aus, da ihm wohl bewusst war, dass dieser Thron nur noch für kurze Zeit im deutschen Einflussbereich liegen würde. Ebenso waren die Überlegungen zu einer Aufteilung des Reichslandes unter den süddeutschen Bundesstaaten, an denen er sich nicht aktiv beteiligt hat, wenig realistisch. Auch die Reorganisation des Westheeres im Zusammenhang mit einer ins Auge gefassten deutschen Offensive während des Jahres 1918 brachte

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nur wenige Veränderungen. Die Vergrößerung der Heeresgruppe von 22 auf 35 Divisionen im Spätsommer zeigt deutlich, wie angespannt die Lage war. Nur die Waffenstillstandsverhandlungen haben wohl eine Katastrophe am Oberrhein und in Lothringen abgewendet. Am 6. Oktober 1918 schrieb Herzog Albrecht an Herzog Wilhelm (II.) von Urach, dass „die jetzigen ernsten Zeiten“ ihn im Hauptquartier binden und es ihm unmöglich machen, zum Todestag seines Vaters nach Ludwigsburg zu reisen. Er war sich über die Dramatik der aktuellen Kriegslage also durchaus im Klaren. Als am 11. November 1918 vormittags um 11.55 Uhr der Waffenstillstand in Kraft trat, wurde im Stab der Heeresgruppe ein Arbeiter- und Soldatenrat gebildet und dies für alle Truppenteile befohlen. Die Oberste Heeresleitung hatte schon zwei Tage zuvor verfügt, mit sich bildenden Arbeiter- und Soldatenräten sei auf gütlichem Wege Einvernehmen zu erzielen. Am 12. November fand eine Konferenz der Chefs mit dem Arbeiter- und Soldatenrat statt – „mit annehmbarem Ergebnis“ wie Herzog Albrecht in seinem Kriegstagebuch vermerkt hat. Allerdings schrieb er weiter: „Alles gleitet weiter bergab. Nachricht, daß auch bei Franzosen A[rbeiter] u[nd] S[oldaten] Räthe sich bilden. Wir treiben dem allgemeinen europäischen Bolschewismus zu.“20 Als Vorsichtsmaßnahme und „wegen möglicher Unsicherheit“ ließ Herzog Albrecht schließlich am 14. November 1918 sein Hauptquartier aus Straßburg in den Schwarzwald nach Freudenstadt verlegen. Am folgenden Tag fand auf seine Veranlassung hin in Senones eine Zusammenkunft von Vertretern seiner Heeresgruppe mit Vertretern der Heeresgruppe Castelnau statt, welche die geordnete und die Sicherheit der Bevölkerung lückenlos garantierende Übergabe der elsässischen Städte zum Ziel hatte.21 In Freudenstadt wurde er am 26. November von Constantin Freiherr von Neurath, dem Kabinettschef König Wilhelms II. und späteren Reichs­ außenminister unter Hitler, über den bevorstehenden Thronverzicht des Königs unterrichtet. Für Herzog Albrecht war völlig klar, dass er diesen Schritt „nicht mitmachen werde“.22 Drei Tage später kam im Auftrag der provisorischen Regierung Justizminister Johann Baptist von Kiene zu Herzog Albrecht, um ihn ebenfalls zum Thronverzicht zu veranlassen. Herzog Albrecht vermerkte dazu in einem Tagebuch: „Ich erklärte ihm, dass ich mich der Macht beugen müßte, aber keinerlei Verzicht ausspreche. Hat ja auch keinen Werth, denn absetzen werden sie uns doch. So weichen wir der Gewalt, ohne einen Rechtstitel aufzugeben.“23 Am selben Tag entließ Herzog Albrecht einen Teil seiner Truppen in die Heimat.

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Am 1. Dezember 1918 wurde der am Vortag unterzeichnete Thronverzicht des Königs veröffentlicht und gleichzeitig durch die provisorische Regierung erklärt, dass die Thronfolge nach Paragraf sieben der Verfassung infolge der Umwälzung vom 9. November ausgeschlossen sei. Damit löste sich die Lebensperspektive, auf die Herzog Albrecht seit den 80er-Jahren des 19. Jahrhunderts gezielt vorbereitet worden war, in nichts auf. Herzog Albrecht blieb in seinem Hauptquartier in Freudenstadt und sah seine Hauptaufgabe darin, den geordneten Rückzug seiner Truppenverbände hinter den Rhein zu organisieren. Am 22. Dezember 1918, am Vorabend seines 53. Geburtstags, notierte er in sein Tagebuch: „Mit Ende des heutigen Tages scheide ich aus dem Militärdienst, nach 35 Jahren, die ich Officier bin, nach 33 Jahren activen Frontdienstes nach beinahe 53 Kriegsmonaten. Heute löst sich mein Stab und die Heeresgruppe auf. Gott hat die meinen und mich beschützt durch alle Kriegsgefahren. Er wird uns weiter schützen. Deo gratias!“24 Damit hatte für ihn der Erste Weltkrieg – nach eigener Zählung – 1604 Tage gedauert. An Herzog Wilhelm (II.) von Urach schrieb er an jenem Tag: „für mich gibt es keinen Platz mehr, den ich im Heeresdienst ausfüllen möchte und könnte“.25 Ein halbes Jahr später, am 18. Juli 1919, offenbarte er demselben Adressaten: „Es ist ein ernster und wehmüthiger Moment, wenn man den Beruf, dem man über ein Menschenalter seine ganze Kraft geschenkt, aufgibt. Aber für uns alte Soldaten gibt es keinen Platz mehr unter den jetzigen Verhältnißen.“26 Da Herzog Albrecht mit dem Ende der Monarchie seine Stellung als Thronfolger verloren hatte, konnte er im Januar 1919 nicht mehr ins Kronprinzenpalais in Stuttgart zurückkehren. Der nun sich „Herzog zu Württemberg“ nennende ehemalige König Wilhelm II. bot deshalb Herzog Albrecht und seiner Familie das Schloss Altshausen in Oberschwaben als Wohnsitz an. Herzog Albrecht nahm das Angebot dankbar an. Dieser Umzug in ein abgelegenes Landschloss, das erst wohnlich hergerichtet und mit Elektrizität ausgestattet werden musste, kam einer ganz persönlichen Abkehr von der Welt gleich. Seinem Freund Georg von Doertenbach schrieb er am 22. Dezember 1918, er ziehe nach Altshausen, „um in diesem stillen Winkel einfach und zurückgezogen zu leben“.27 Wie tief er den Bruch mit seinem bisherigen Leben empfand, drückte er gegenüber der Frau Doertenbachs mit den Worten aus: „Alles ist uns genommen was wir lieben und verehren.“28 Als die Frage der Auslieferung politischer und militärischer „Kriegsverbrecher“ an die Alliierten diskutiert wurde, traf Herzog Albrecht eine

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klare Entscheidung. Während der abgedankte König Wilhelm II. von Württemberg beabsichtigte, sich bei Gefahr ins Ausland abzusetzen, erklärte Herzog Albrecht am 18. Juli 1919 in einem Brief an Herzog Wilhelm (II.) von Urach, er rechne schon lange damit, dass seine Auslieferung verlangt werde. Wörtlich schrieb er: „Ich werde mich bestimmt nicht in Sicherheit bringen sondern mich ausliefern laßen, mögen die Feinde mit mir anfangen was sie wollen. Beßer in Ehren untergehen als in Unehre weiterleben!“29 In der offiziellen Auslieferungsliste, die auf den Artikeln 228 bis 230 des Versailler Vertrags und des Schlussprotokolls vom 28. Juni 1919 gründete und am 7. Februar 1920 offiziell der deutschen Regierung übergeben wurde, war Herzog Albrecht in seiner Funktion als „Commandant de la IVe armée“ von Belgien wegen „Déportations dans les étapes de la IVe armée“ angeklagt und zur Auslieferung verlangt.30 Die verfassunggebende Deutsche Nationalversammlung hatte am 18. Dezember 1919 ein Gesetz zur Verfolgung deutscher Kriegsverbrechen beschlossen, worauf einige Staaten von ihren Forderungen nach Auslieferung abrückten und die übrigen Listen erheblich zusammengestrichen wurden. Am 16. Februar 1920 verzichteten die Alliierten sogar generell auf eine Auslieferung, wenn Anklagen innerhalb Deutschlands stattfinden würden. Herzog Albrecht konnte deshalb in seinem Brief an Herzog Wilhelm (II.) von Urach vom 1. März 1920 etwas entspannter in die Zukunft sehen, da für das „Auslieferungsgespenst […] nun wirklich die Hauptgefahr vorübergegangen zu sein“ schien.31 Wie er zur damaligen Regierung stand, drückt der anschließende Satz deutlich aus: „Die Festigkeit der sogenannten Regierung in dieser Angelegenheit (nicht aus Anstand, sondern aus Selbsterhaltungstrieb) ist auch der einzige Lichtblick in dieser Zeit. Alles andere ist schwarz und beschämend.“32 Als Adolf Hitler am 9. November 1923 mit dem Marsch auf die Feldherrnhalle in München der Weimarer Republik das Fürchten lehren wollte, stand Herzog Albrecht einer solchen Tat ablehnend gegenüber. Er schrieb am 26. Dezember 1923 an Doertenbach, es gebe Ansätze zum Besseren, aber es sei wie ein Verhängnis: „ist ein kleiner Schritt vorwärts gegangen worden, so kommt irgendein Unsinn wie die Münchner Sache und wirft alles um mehrere Schritte zurück.“33 Herzog Albrecht und seine Familie haben eine große Distanz zur Weimarer Republik empfunden und – im Gegensatz zum abgedankten König – auch nie von dem ihnen zustehenden allgemeinen Wahlrecht Gebrauch gemacht. Sie blieben zeitlebens Anhänger der monarchischen Staatsform und standen deshalb dem demokratischen Staat innerlich ablehnend gegenüber.

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In der Öffentlichkeit trat Herzog Albrecht nur noch bei Gedenkfeiern für die Soldaten des Ersten Weltkriegs auf. Bei den insgesamt 26 Einweihungsfeiern für Denkmäler verschiedener Truppenteile am Ehrenmal auf dem Stuttgarter Waldfriedhof war Herzog Albrecht elfmal anwesend, nahm Vorbeimärsche ab und hielt Gedenkreden zu Ehren der Gefallenen.34 In ganz Württemberg war er häufig Gast bei Offiziersvereinigungen und Regimentstreffen – über geselliges Beisammensein und ehrendes Gedenken gingen die Zusammenkünfte jedoch nicht hinaus, eine politische Absicht verfolgten Herzog Albrecht und die übrigen Teilnehmer wohl nicht. Adolf Hitlers Aufstieg wurde von Herzog Albrecht kritisch gesehen, da dieser der katholisch-monarchistischen Einstellung des Württembergers kaum entsprechen konnte.35 Dennoch erhoffte er sich – wie viele andere Adlige auch – anfangs eine Unterstützung des monarchischen Gedankens durch Hitler. Im Gegenzug wurde Herzog Albrecht von den neuen Machthabern als Generalfeldmarschall des Ersten Weltkriegs zu Kundgebungen und Manövern eingeladen. In Nellingen bei Ulm traf er am 5. September 1933 bei einem Reichswehr-Manöver mit Hermann Göring und wohl auch mit Hitler zusammen. Wenig später, am 30. Oktober, lud Herzog Albrecht aus Anlass des 50. Jahrestags seines Eintritts in das württembergische Heer zu einem großen Fest in Stuttgart ein. Unter den gut 500 Gästen sollen auch führende Nationalsozialisten gewesen sein. Der Wind hatte sich da aber schon gedreht, denn das Parteiorgan „NS-Kurier“ widmete Herzog Albrecht bei dieser Gelegenheit keine Zeile und auch später – bis zu seinem Lebensende – wurde er weitgehend mit Stillschweigen missachtet. Als bei der Reichstagswahl am 12. November 1933 sein ältester Sohn erheblichen Repressalien ausgesetzt war und kurzzeitig in die Stuttgarter Gestapozentrale zum Verhör abgeführt wurde,36 wandte sich Herzog Albrecht endgültig von den neuen Machthabern ab.37 Herzog Albrecht starb am 29. Oktober 1939 in seinem Schloss Altshausen an Kehlkopfkrebs. Anlässlich der Beisetzung in der Familiengruft übersandte Adolf Hitler zu Ehren des verstorbenen Generalfeldmarschalls einen Kranz, jedoch keinen offiziellen Vertreter.38 Zurück bleibt das Bild eines Heerführers, der durch seine gründliche militärische Ausbildung tief geprägt war. Einer seiner wesentlichsten Charakterzüge war seine kompromisslose Selbstdisziplin, die er auch von seinen Untergebenen konsequent einforderte. Für die ihm unterstellten Truppen empfand er ein hohes Verantwortungsgefühl, das über das gewohnte weit hinausging. Vernunft und Augenmaß bestimmten sein militärisches Taktieren. Von

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Zeitzeugen wurde er oft als Mann von bescheidenem, ja fast zurückhaltendem Wesen beschrieben. Auffallend war, dass er sich nie ins Rampenlicht drängte, denn aller falsche Schein und auftrumpfendes Gebaren waren ihm zutiefst zuwider. Sein hervorragendes Gedächtnis war gepaart mit einer unbestechlichen Menschenkenntnis, was die Menschen, die mit ihm in persönlichen Kontakt gekommen sind, tief beeindruckt hat. Trotz seiner streng-katholischen Haltung, die oft Misstrauen hervorrief, und einem auffallend ernsten Wesen, war er – nach eigenem Bekunden – im Grunde seines Herzens von jener friderizianischen Toleranz beseelt, die Jeden nach seiner Façon selig werden lässt. Herzog Albrecht war ein strenggläubiger Christ, der mindestens einmal wöchentlich die Hl. Messe besucht und die Kommunion empfangen hat. Vor diesem Hintergrund erscheint es aus heutiger Sicht durchaus befremdlich, wie bedenkenlos er bereit war, die hohen Verluste im Kampf um Ypern und beim Einsatz von Giftgas in Kauf zu nehmen. Anmerkungen 1 Der Verfasser dankt Herrn Dr. Eberhard Fritz vom Archiv des Hauses Württemberg in Altshausen sowie den Herren Dr. Albrecht Ernst und Eberhard Merk vom Hauptstaatsarchiv in Stuttgart für wertvolle Hinweise und unbürokratische Hilfe bei der Recherche. 2 Hetinger, Die württembergische Thronfolge, insbesondere S. 187. 3 Albrecht an Rampacher, 22.12.1898, HStA Stgt, Q 2/39 Bü 59. 4 HStA Stgt, E 51 Bü 196. 5 AHW, G 331 Bü 705. 6 AHW, G 331 Bü 772. 7 Albrecht an Weizsäcker, 25.8.1914, HStA Stgt, Q 1/18 Bü 142. 8 Wilhelm II. (Württemberg) an Albrecht, 30.9.1914, AHW, G 331 Bü 343. 9 Mündliche Auskunft von Dr. Albrecht Ernst, Hauptstaatsarchiv Stuttgart. 10 Albrecht an Wilhelm von Preußen, 27.11.1922, AHW, G 331 Bü 771. 11 Ebd. 12 AHW, G 331 Bü 772. 13 Armeebefehl vom 15. Oktober 1914 mit Instruktionen an die Infanterie und die ­A rtillerie, HStA Stgt, M 743/1, Bü 2. 14 Albrecht an Wilhelm (II.) von Urach, HStA Stgt, GU 117 Bü 1043. 15 Kriegstagebuch Albrechts, AHW, G 331 Bü 743, Heft I, S. 35. 16 Haber an Albrecht, 24.2.1916, AHW, G 331 Bü 960. 17 Kriegstagebuch Albrechts, AHW, G 331 Bü 743, Heft II, S. 4. 18 Groener, Lebenserinnerungen, S. 118. 19 Albrecht an Doertenbach, 22.12.1916, HStA Stgt, P 13 Doertenbach Bü 193. 20 Kriegstagebuch Albrechts, AHW, G 331 Bü 743, Heft III, S. 74. 21 HStA Stgt, M 30/1 Bü 129. 22 Kriegstagebuch Albrechts, AHW, G 331 Bü 743, Heft III, S. 76.

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23 Ebd. 24 Ebd., S. 81. 25 Albrecht an Wilhelm (II.) von Urach, 22.12.1918, HStA Stgt, GU 117 Nr. 1043. 26 Albrecht an Wilhelm (II.) von Urach, 18.7.1919, HStA Stgt, GU 117 Nr. 1043. 27 Albrecht an Doertenbach, 22.12.1918, HStA Stgt, P 13 Doertenbach Bü 193. 28 Albrecht an Frau v. Doertenbach, 22.12.1918, HStA Stgt, P 13 Doertenbach Bü 193. 29 Albrecht an Wilhelm (II.) von Urach, 18.7.1919, HStA Stgt, GU 117 Nr. 1043. 30 HStA Stgt, E 130 b Bü 2580. 31 Albrecht an Wilhelm (II.) von Urach, 1.3.1920, HStA Stgt, GU 117 Nr. 1043. 32 Ebd. 33 Albrecht an Doertenbach, 26. 12.1923, HStA Stgt, P 13 Doertenbach Bü 193. 34 HStA Stgt, M 660/038 Bü 88. 35 Fritz, Claus Schenk Graf von Stauffenberg, S. 237f. 36 Fritz, Das Haus Württemberg, S. 145–162. 37 Fritz, Das Haus Württemberg, S. 139–141. 38 Briefliche Auskunft von Dr. Alexander Herzog von Württemberg, München, vom 13.5.2019 an den Autor. Die Beisetzung betreffende Unterlagen sind im AHW nicht vorhanden.

Unveröffentlichte Quellen Archiv des Hauses Württemberg Altshausen (AHW), G 331 Nachlass Herzog Albrecht. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stgt), GU 117 Nr. 1043, Wilhelm (II.) Herzog von Urach Graf von Württemberg (1864–1928), Korrespondenz mit Herzog Albrecht. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stgt), M 30/1 und M 30/2, Heeresgruppe Herzog Albrecht. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stgt), M 660/038, Militärischer Nachlass Franz Ludwig Freiherr von Soden (1856–1945). Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stgt), M 660/261, Militärischer Nachlass Herzog Albrecht. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stgt), P 13, Familienarchiv Doertenbach, Schreiben von Herzog Albrecht. Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart (HStA Stgt), Q 1/18, Nachlass Karl Freiherr von Weizsäcker, Ministerpräsident (1853–1926).

Veröffentlichte Quellen und Literatur Fritz, Eberhard, Das Haus Württemberg und der Nationalsozialismus. Motive des Widerstands gegen Hitler und seine Bewegung, in: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hrsg.), Adel und Nationalsozialismus im deutschen Südwesten, LeinfeldenEchterdingen 2007, S. 132–162. Fritz, Eberhard, Claus Schenk Graf von Stauffenberg und die Herzöge von Württemberg. Überlegungen zu den Motiven des Attentats vom 20. Juli 1944, in: Zeitschrift für Hohenzollerische Geschichte 47/48 (2012), S. 225–261. Hetinger, Heinrich, Die württembergische Thronfolge, in: März – Halbmonatsschrift für deutsche Kultur 4 (1910), S. 185–188.

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Kress, Wolfgang, Albrecht, Herzog von Württemberg, in: Hirschfeld, Gerhard / Krumeich, Gerd / Renz, Irina (Hrsg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg, Paderborn 2014, S. 328f. Mährle, Wolfgang, Albrecht, Duke of Württemberg, in: 1914-1918-online. International Encyclopedia of the First World War, ed. by Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, Heather Jones, Jennifer Keene, Alan Kramer, and Bill Nasson, issued by Freie Universität Berlin, Berlin 2017-06-02. DOI: 10.15463/ie1418.11097. Pfizer, Theodor, Albrecht Herzog von Württemberg, in: Uhland, Robert (Hrsg.), 900 Jahre Haus Württemberg. Leben und Leistung für Land und Volk, Stuttgart 1984, S. 363– 378. Pfizer, Theodor, Albrecht Herzog von Württemberg, in: Uhland, Robert (Hrsg.), Lebensbilder aus Schwaben und Franken, Bd. 16, Stuttgart 1986, S. 338–362. Pöhlmann, Markus, Albrecht, Duke of Württemberg (1865–1939), in: Tucker, Spencer C. (Hrsg.), World War I Encyclopedia, Bd. 1, Santa Barbara 2005, S. 82. Sauer, Paul, Albrecht, in: Lorenz, Sönke / Mertens, Dieter / Press, Volker (Hrsg.), Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, Stuttgart 1997, S. 417f.

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Auswahlbibliografie Quellen Afflerbach, Holger (Hrsg.), Kaiser Wilhelm II. als Oberster Kriegsherr im Ersten Weltkrieg. Quellen aus der militärischen Umgebung des Kaisers 1914–1918, München 2005. Alter, Junius (Hrsg.), Ein Armeeführer erlebt den Weltkrieg. Persönliche Aufzeichnungen des Generalobersten v. Einem, Leipzig 1938. Bauer, Max, Der Große Krieg in Feld und Heimat. Erinnerungen und Betrachtungen, Tübingen 1921. Baumgart, Winfried (Hrsg.), Von Brest-Litovsk zur deutschen Novemberrevolution. Aus den Tagebüchern, Briefen und Aufzeichnungen von Alfons Paquet, Wilhelm Groener und Albert Hopman März–Nov. 1918, Göttingen 1971. Bayern, Rupprecht von, Mein Kriegstagebuch. Hrsg. von Eugen von Frauenholz, 3 Bde., München 1929. Berghahn, Volker R. / Deist, Wilhelm (Hrsg.), Rüstung im Zeichen Wilhelminischer Weltpolitik. Grundlegende Dokumente 1890–1914, Düsseldorf 1988. Bihl, Wolfdieter (Hrsg.), Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges, Darmstadt 1991. Deist, Wilhelm (Hrsg.), Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914–1918. 2 Bde., Düsseldorf 1970. Die deutsche Seekriegsleitung im Ersten Weltkrieg. Dokumentation, 4 Bde., bearbeitet von Gerhard Granier, Koblenz 1999–2004. (= Materialien aus dem Bundesarchiv 9). Die Deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch. Vollständige Sammlung der von Karl Kautsky zusammengetragenen amtlichen Aktenstücke mit einigen Ergänzungen. Im Auftrage des Auswärtigen Amtes nach gemeinsamer Durchsicht mit Karl Kautsky herausgegeben von Graf Max Montgelas und Walter Schücking, 5 Bde., Berlin 1919. Falkenhayn, Erich von, Die Oberste Heeresleitung 1914–1916 in ihren wichtigsten Entschließungen, Berlin 1920. Freytag-Loringhoven, Hugo von, Menschen und Dinge, wie ich sie in meinem Leben sah, Berlin 1923. Geiss, Imanuel (Hrsg.), Julikrise und Kriegsausbruch 1914. 2 Bde., Hannover 1963–1964. Groener, Wilhelm, Das Testament des Grafen Schlieffen. Operative Studien über den Weltkrieg, Berlin 1927. Groener, Wilhelm, Feldherr wider Willen. Operative Studien über den Weltkrieg, Berlin 1930. Groener, Wilhelm, Lebenserinnerungen. Jugend, Generalstab, Weltkrieg. Herausgegeben von Friedrich Frhr. Hiller von Gaertringen, Göttingen 1957. Loßberg, Fritz, Meine Tätigkeit im Weltkriege 1914–1918, Berin 1939. Ludendorff, Erich, Urkunden der Obersten Heeresleitung über ihre Tätigkeit 1916/18, 2. Aufl., Berlin 1921. Marine-Archiv (Hrsg.), Der Krieg zur See 1914–1918. Teil 1: Der Krieg in der Nordsee, 7 Bde., Berlin 1920–1965. Marine-Archiv (Hrsg.), Der Krieg zur See 1914–1918. Teil 2: Der Krieg in der Ostsee, 3 Bde., Berlin 1921–1964. Marine-Archiv (Hrsg.), Der Krieg zur See 1914–1918. Teil 3: Der Handelskrieg mit UBooten, 3 Bde., Berlin 1932–1966.

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Autorenverzeichnis Prof. Dr. Holger Afflerbach ist Professor of Modern European History an der University of Leeds, Großbritannien. Daniel Rugerio Bonenkamp ist Geschichtsstudent an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und freier Autor. Dr. Nikolas Dörr ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Post-Doc) am SOCIUM-­ Forschungszentrum der Universität Bremen. Prof. Dr. Michael Epkenhans ist Geschäftsführender Beamter und Stellvertreter des Kommandeurs sowie Leitender Wissenschaftler im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam und außerplanmäßiger Professor an der Universität Hamburg. Dr. Lukas Grawe ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter (Post-Doc) am SOCIUM-­ Forschungszentrum der Universität Bremen. Prof. Dr. Johannes Hürter ist Leiter der Forschungsabteilung München des Instituts für Zeitgeschichte und außerplanmäßiger Professor für Neueste Geschichte an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Prof. Dr. Frank Jacob ist Professor für die Globalgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts an der Nord Universitet, Norwegen. PD Dr. Michael Jonas lehrt und forscht an der Helmut-Schmidt-Universität, Hamburg, und am German Institute for Defence and Strategic Studies (GIDS). Univ. Prof. i. R. Dr. Gerd Krumeich war bis 2010 Lehrstuhlinhaber für Neuere Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Dr. Niklas Lenhard-Schramm ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Eckhard Lisec ist freier Autor und Brigadegeneral a. D. Dr. Eckard Michels ist Reader in German History am Department of Cultures and Languages des Birkbeck College der University of London, Großbritannien.

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AUTORENVERZEICHNIS

Prof. Dr. Annika Mombauer ist Professor of Modern European History an der Open University in Milton Keynes, Großbritannien. PD Dr. Christian Th. Müller ist Privatdozent an der Universität Potsdam und freier Historiker in Berlin. Deniza Petrova, M. A., ist Doktorandin am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin. Dr. habil. Markus Pöhlmann ist Wissenschaftlicher Direktor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam. Harald Schukraft ist freier Historiker mit dem Themenschwerpunkt Südwestdeutschland und korrespondierendes Mitglied der Kommission für geschichtliche Landeskunde Baden-Württemberg. Dr. Theo Schwarzmüller arbeitete unter anderem als Institutsdirektor in Kaiserslautern und Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim. Carsten Siegel, M. A., ist freiberuflicher Historiker in Potsdam. Dr. Oliver Stein ist Kurator am Bayerischen Armeemuseum Ingolstadt. Heiko Suhr, M. A., hat 2019 über Admiral Wilhelm Canaris promoviert und leitet kommissarisch das Stadtarchiv in Wesel. Prof. Dr. Dieter J. Weiß ist Professor für Bayerische Geschichte und Vergleichende Landesgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dr. Nicolas Wolz arbeitet in der Kommunikationsabteilung der Deutschen Bundesbank in Frankfurt am Main. PD Dr. John Zimmermann ist Leiter des Forschungsbereichs „Deutsche Militärgeschichte bis 1945“ der Abteilung Forschung im Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam.

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