Die mackabäische Erhebung: Vortrag auf der Rose zu Jena [Reprint 2021 ed.] 9783112394526, 9783112394519


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Vorwort
Die mackabäische Erhebung
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Die mackabäische Erhebung: Vortrag auf der Rose zu Jena [Reprint 2021 ed.]
 9783112394526, 9783112394519

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Vie maekabäifthe Erhebung.

mackabäische Erhebung Vortrag aus der Rvse zu Jena gehalten von

Dr. Wilhelm Roßmanrr.

Leipzig Verlag von Veit & Comp. 1860.

Meinem Vater, Pastor zu St. Ulrich in Braunschweig, gewidmet.

Vorwort. Das „auserwählte" Volk hat auch in der Litteratur eine aus­ erwählte Stellung eingenommen.

Seine Geschichte ist fast aus­

schließlich von Theologen und zumeist unter supranaturalistischen

Gesichtspunkten behandelt worden.

Es hat sich so in Ansehung

der gleichzeitigen Entwickelungen der Gegensatz von heiliger und

profaner Geschichte, in Ansehung der christlichen Periode das Ver­ hältniß zwischen Weissagung und Erfüllung, zwischen Vorbild und Wirklichkeit ergeben. Die historische Wissenschaft ihrerseits hat noch keinen ent­

scheidenden Schritt gethan, jenen Gegensatz zu überwinden, dieß Verhältniß geistiger und tiefer zu fassen, als die Orthodoxie es vermocht hat. Indem sie das, was auf supranaturalistischem Standpunkte als die Auszeichnung der jüdischen Geschichte festge­ halten wurde, mit ehrerbietiger Scheu zu umgehen oder gelegent­ lich rationalistisch zu erläutern suchte, verlegte sie sich von vorn­ herein den Weg, die Wahrheit des Zusammenhanges zu erkennen,

in welchem die Geschichte des Volkes Israel mit der der Mensch­ heit im Ganzen steht und dessen Schein die Kirche richtig genug bezeichnet. Denn in jedem Falle ist das Wunderbare der jüdischen Geschichte und die Form, in welcher es auftritt, als etwas That­

sächliches anzuerkennen, und es beseitigen zu wollen ist Willkür; es handelt sich nur darum, es zu begreifen. Die kindliche, poetische Anschauung faßt es als etwas rein Objectives auf und kann nicht anders; die wissenschaftliche Anschauung nimmt es als die That­ sache des sich entwickelnden Geistes und begreift eS, indem sie seine Nothwendigkeit erkennt. Geht man aber von der Voraussetzung aus, das Wunderbare und Providentielle sei zu eliminiren, so ist

jeder weitere Schritt überflüssig: es ist eine arme, dürftige Ge­ schichte, die man findet, neben dem lebendigen Reichthum der Gegenwart nicht werth behandelt zu werden. Thut man es den­ noch, so ist dieß nichts als die Schwäche der Gewohnheit oder die

VIII Neigung, das Fremdartige und Geheimnißvolle an den eigenen Ueberzeugungen zu Schanden werden zu lassen.

Die supranaturalische Anschauungsweise zu verewigen ist we­

der möglich noch Wünschenswerth.

Sie ist bereits überwunden.

Ueberwunden ist selbst die Gefahr des Rationalismus, dadurch, daß er begriffen ist.

Jetzt wird es darauf ankommen, aus den

Werkstücken des zertrümmerten Gebäudes der Orthodoxie einen neuen, in sich zusammenhängenden und geschlossenen Bau aufzu­ führen.

leistet ist.

Es soll hier nicht erörtert werden, wie Vieles bereits ge­ Stellt man, in Betreff der jüdischen Geschichte, die

Frage nach dem weltgeschichtlichen Orte des Volkes Israel, so

darf man sagen, daß sie wissenschaftlich zu lösen noch nicht versucht worden ist, so staünenswürdige Vorarbeiten auch vorliegen, und

man kann sich nicht verhehlen, daß die jüdische Geschichte unter

den Elementen unserer Bildung ihr volles Recht noch nicht wieder­ gewonnen hat.

Man wird auf diesen wenigen Blättern die Lösung dieser Aufgabe nicht erwarten.

Sie bieten nichts als eine leichte, flüch­

tige, vorläufige Skizze.

In dem Ereignisse des mackabäischen

Kampfes, in welchem der Gegensatz zwischen Judenthum und Heidenthum bewußter Weise sich ausspricht, zeigte sich mir der

Punkt, von dem aus die Entwickelung beider Eulturshsteme in

ihrem Gegensatz wie in ihrer Gemeinsamkeit, von der schärfsten Spitze principiellen Ausdrucks bis zurück zur breitesten Fülle naiven Lebens, mit einem Blicke deutlich zu übersehen ist.

sicht habe ich leicht ausgezeichnet.

Diese Aus­

Sie umspannt die Haupt­

momente, in welchen sich die Geschichte der Begründung inensch-

licher Individualität vollzieht. Ursprünglich war dieser Vortrag nicht für eine selbstständige

Veröffentlichung bestimmt. Es entging mir nicht, daß seine Fassung

für die Fragen, die er behandelt, vielleicht allzu knapp sei.

Indem

ich aber nach einigen Blättern der Erinnerung für die akademischen

Freunde suchte, aus deren Kreise ich für jetzt scheide, fand ich gerade ihn geeignet, ihnen manche Stunde gemeinsamer Arbeit,

gemeinsamer Erhebung ins Gedächtniß zu rufen.

Und so mag er,

einiger Theilnahme gewiß, auf alle Gefahr hinausgehen.

Indem ich über jenen Jüdischen Befreiungskampf zu sprechen unternehme, dessen hervorragendste Gestalten die Mackabäer sind, ist es natürlich nicht meine Absicht, eine neue Darstellung seines äußeren Verlaufs zu geben.

Ich will vielmehr versuchen, die Ge­

danken, in deren Energie man kämpfte, die Principien, für die man

stritt, ich will versuchen, die welthistorische Bedeutung der mackabäischen Erhebung darzulegen.

Ich spreche von Principien und Gedanken, nicht von Inter­ essen; denn in der That ist.es.mehr als per gelegentliche Wider­ streit verschiedener Interessen, es ist die leidenschaftlich ergriffene

und auf's Aeußerste gespannte Gegenstellung zweier Bildungen, was diesen Kampf hervorruft.

Er tritt ein, nachdem der Gegen­

satz zwischen Judenthum und Heidenthum auf beiden Seiten in's Bewußtsein getreten und in abstractester Weise aufgefaßt ist, und

er wird von beiden Seiten mit der Absicht oder der Erwartung vollkommener Vertilgung des Gegners geführt. Auf der einen Seite steht eine universalistische, jede Eigenartigkeit überwältigende Bil­

dung, verbündet mit gewaltiger matdrieller Macht, auf der anderen ein kleines Volk, der staatlichen Selbstständigkeit lange entwöhnt,

in der militärisch ungünstigsten Stellung, mit geringen Mitteln, und dennoch in der unerschütterlichen Gewißheit, in kürzester Frist

zur Herrschaft der Erde berufen zu werden; auf der einen Seite der selbstgewisse Stolz einer imposanten Majorität, im Bewußt­

sein großer Siege, mit dem principiellen Anspruch auf allgemeine

Herrschaft, auf der anderen nichts als die Zuversicht auf ein vor Jahrhunderten gesprochenes göttliches Wort.

Und eben, weil

dieser Kampf wesentlich ein Principienkampf ist, erträgt, ja for­

dert er eine unmittelbar welthistorische Betrachtung.

Es ist ein

Kampf ähnlich jenem, den Deutschland gegen die Katholicität der mittelalterlichen Bildung führte und durch den es die Welt aus

10 der Erstarrung scholastischer Abstraction, aus der Schlaffheit epi­ kuräischer Bildung, aus den Träumen des Mysticismus errettete

und neue Lebenswärme entzündete; ähnlich jenem, in welchem wiederum unsere Nation die Menschheit von der Gefahr befreite,

durch die Katholicität der Aufklärung geistig ertötetet zu werden. Denn immer in großen Zwischenräumen wiederholt sich der gleiche Proceß, daß, nachdem eine Bildung alle ihr innewohnenden

Möglichkeiten dargestellt und erschöpft hat, der Mensch sich den

geschaffenen Formen entzieht, in und mit denen er vertrauend und befriedigt lebte, sich in die Abstraction des Gedankens begiebt und

die traditionellen Ordnungen zerstört, in denen er groß geworden. Er behält nichts übrig, als sich und den Gedanken, verarmt steht er, von allen guten und schützenden Geistern verlassen, jeder

sittlichen Bindung ledig, inmitten der trümmerbedeckten Oede. Statt des Wohlgefallens an der gestalteten und farbigen Mannig­

faltigkeit individuellen Lebens beherrscht ihn der Fanatismus der

Formel und er hat nur noch Sinn für die Ungeheuerlichkeit der Dimension. Wehrlos verfällt er dem Cäsarismus. Endlich greift

er mörderisch seine eigene Existenz an, und er würde im Communismus, in thierischem Stumpfsinn enden, wenn ihm nicht Rettung

würde.

So endet die Herrschaft des Hellenismus, des Katholi­

cismus, des Rationalismus.

So bezeichnet sich die Art der Mo­

narchie, die mit Alexander begann, so die Karls V., Napoleons.

Hier ist das Leben der Doctrin erlegen, der Mensch lebt nur noch

in die Weite.

Aus der Tiefe unmittelbaren Geisteslebens erfolgt

die Gegenbewegung.

Auch sie ist zunächst nicht minder abstrakter

Natur, und erst wenn beide Richtungen nach dem ersten Kampfe sich wieder verbinden, wenn Schwärmers Ernst mit Weltmanns

Blick sich paart, dann entsteht das leibhafte greifbare Leben, und

der Mensch kehrt aus der krankhaften Spannung des Gedankens

oder der Ekstase zur Anerkennung des Thatsächlichen, zu freudigem Thun und zur Freude am Gethanen zurück.

11 Das ist der Rhythmus der geschichtlichen Bewegung.

Er

umspannt ein immer reicher fließendes, immer erfüllteres Leben.

Aus dem einfachen Thema entwickelt es sich zur gewaltigen Fuge,

deren lebensvollen und bewegten Reichthum nur noch ein geübtes Ohr zusammenhört, und nichts kehrt wieder, wie es gewesen.

Immer doch tönt die Grundform durch, und sie in ihrer einfachen Ausprägung kennen zu lernen, ist vor Allem wiinschenswerth. Dieß Thema aller Weltgeschichte — gestatten Sie mir den Aus­

druck — will ich auszusprechen versuchen.

Das erste Buch der Mackabäer beginnt die Erzählung des Befreiungskrieges in gutem Verständniß mit einem Rückblick auf

die Thaten Alexanders: „Alexander, der Sohn Philippi, König in Makedonien, ist, nachdem er zuerst über Griechenland geherrscht*), ausgezogen aus dem Lande Chittim und hat große Kriege geführet,

die festen Städte erobert und den Perser-König Darius geschlagen, hernach andere Könige in allen Landen unter sich gebracht.

Und

ist immer fortgezogen und hat alle Länder und Königreiche ein­ genommen.

Und hat sich niemand wider ihn setzen dürfen, und

hatte ein gewaltiges, gutes Kriegsvolk."

Aber es war doch mehr

der Gedanke, durch den er siegte; es war eine längst gereifte Saat, die er schnitt. Denn die naturbestimmten orientalischen Bildungen hatten sich erschöpft und ausgelebt, und waren nur noch vorhanden als todte zur Ceremonie verhärtete Formen.

Die griechische Bil­

dung, die den Spuren Alexanders folgte, war bestimmt und geeig­

net, an den überwundenen Völkern das Werk der geistigen Be­ freiung zu vollziehen.

Sie war es, die in einer eigenthümlichen

Phase ihrer Entwickelung auch das Judenthnm, wesentlich von ihr *) Vgl. C L. W. Grimm: Das erste Buch der Mackabäer

12 wie von den übrigen orientalischen Formen unterschieden, zum

Kampf auf Leben und Tod herausforderte.

Eben dieselbe Beweglichkeit, welche die Griechen befähigt hatte,

aus der Mannigfaltigkeit ihrer Stämme die hellenische Natio-

nalität zu bilden, machte sie jetzt geschickt, noch größere Formen des Daseins zu schaffen und sich in sie einzuleben.

Griechenland hat

vor den massenhaft und einförmig angelegten Landschaften Asiens und Afrika's eine reiche geographische Gliederung im Innern und

die größte Ausbildung seiner Küsten voraus.

Der Mannigfaltig­

keit der geographischen Bildungen entsprach die Fülle der indivi­ duell ausgebildeten Stämme mit ihren localen durch die Art

ihres Stromes, ihres Landes, ihrer Wälder bedingten religiösen

Anschauungen und Culten.

Als diese Stämme allgemach sich

zusammenschlossen und zu einer auch religiösen Gemeinschaft zu­ sammenwuchsen, der sie in den großen Festen einen Ausdruck gaben, als man die einzelnen Göttersagen verband und auf das Gemein­

same hin ansah und ausbildete, veredelte und befreite sich zugleich das religiöse Bewußtsein. Denn eben dieses Allgemeine, über das

Locale und blos Natürliche Hinausgehende, sofern es die enge Ver­

schlingung mit der Natur, in welcher die Stämme bis dahin gelebt, in etwas lockerte, war von sittlicher Bedeutung.

Unter dieser

Wandlung gewannen die Göttergestalten, zu Anfang unklare Re­

flexe natürlicher Verhältnisse, plastische erkennbare Formen und dieselbe Freiheit der Bewegung, welche die Menschen zu haben

empfanden.

Sie überkamen, fortan mit Attributen von ethischer

Bedeutung ausgestattet, die Sicherung der natürlichen und sitt­

lichen Welt, zwischen denen noch keine Trennung irgend welcher Art bestand.

Zeus war der Äther, Apollo die Sonne, aber zwischen

dieser Bestimmtheit ihres Wesens und ihren sonst bezeichneten Eigen­

schaften gab es keine weitere Vermittelung, als die, welche ein noch ganz unmittelbares und unerläutertes Gefühl herstellte. Denn das

charakterisirt nun das hellenische Leben

der

13 Blüthezeit *), daß jenes Allgemeine und Menschliche das Natür­ liche nicht ausschließt, sondern daß es den Menschen nur im voll­

kommenen Gleichgewicht gegen dasselbe erhält; es rettet ihn nur aus der Knechtschaft, in welcher die Furcht vor dem Schicksal und

den Schrecknissen der Natur die meisten der Asiaten und die Aeghpter hält. Die natürlichen Berhältnisse sind nicht aufgehoben, nur sittlich modificirt: die Familie, der Staat, die Freundschaft,

Handel und Wandel, der Verkehr mit Fremden, jede Macht, die sich als durchdauernd und einflußreich offenbart, hat ihre göttliche

Sicherung, ist selbst Gott, und jedes Verhältniß findet an dem

andern seine Beschränkung.

Vollkommen frei, ohne jede Spur

von Resignation, giebt sich der Mensch dem Leben hin, und für

jede seiner Kräfte findet er vollen Raum zur Bethätigung, aber für jede auch das Maß in den Dingen selbst.

Die einzelnen

Functionen des Lebens haben sich noch nicht bis zur Möglichkeit

des Conflictes ausgebildet: in jedem Augenblick stellt der Grieche den ganzen Inhalt griechischen Lebens dar.

Die einzige Sünde,

welche die Griechen kennen, ist der gottvergessene Hochmuth, der den ewigen Ordnungen menschlichen Lebens sich lernend nicht

beugen will.

Aber das Griechenthum, nachdem es so die schöne Humanität

herausgebildet hatte, stand in seiner Entwickelung nicht still.

In­

dem jene verschiedenen Göttersagen zusammengetragen wurden, machte sich der Mensch, wie er sich sittlich von den Banden der

Natur befreite, zugleich geistig von denen der Tradition frei, und an der Verschiedenheit der Ueberlieferungen entfesselte sich die

Kritik.

Er hatte einen Punkt gewonnen außerhalb seines an­

gestammten Glaubens, von welchem aus er den Mythus bald voll­

kommen zerstörte.

Die Feier jener Mysterien, die durch den

*) E. Zeller: Die Philosophie der Griechen. Hegel: Gesch. der Philosophie. Schleiermacher: Gesch. der Pbilosophie. Frie8: Gesch. der Philosophie; u. A.

14 Namen des Orpheus geheiligt, neben dem öffentlichen Götter­ dienst bestanden, erregten des Menschen allerpersönlichste Thätig­

keit, Ahnung und Phantasie, aus der bald das philosophische Den­ Mit der ersten Frage aber nach dem Sein der

ken hervorging.

Dinge und nach der Ursache des Seins fielen Götter und Welt auseinander, denn diese war durch jene nicht erklärt, die selbst hatten geboren werden müssen. Man suchte eine natürliche Grund­

ursache der Natur, und fand jenseits der Anfänge des Götterstamm­ baums, jenseits des Okeanos und der Theths, das noch nicht

charakterisirte Chaos, das Wasser oder den Äther, man erkannte die Welt als ein Product von Atomen, man erkannte sie als ein ewiges Fließen und Werden.

Ja, Parmenides, der Eleat, leug­

nete die Welt der Erscheinung und erkannte nur die Wirklichkeit des reinen, einfachen Seins an.

So ward, indem an die Stelle

der mythologischen Weltbetrachtung die physische trat, die Götter­

welt beseitigt, und sie bedeutete bald auch der sittlichen Anschauung

nichts mehr.

Wie der Mensch die Ursache des Natürlichen in

dessen eigenem Bereiche gefunden hatte, so fand er das Sittengesetz in sich selbst.

Die innere Stimme, das Dämonische, von dem

Sokrates sprach, war dem Menschen fortan anstatt der objectiven

Sitte, an die er naiv geglaubt und die ihn getragen hatte.

Prü­

fend stand er den Forderungen des öffentlichen Lebens, die ihm erst

jetzt Forderungen schienen, gegenüber, maß Pflichten und Rechte gegen einander ab und schuf sich gegenüber den objectiven Zustän­ den die subjective Epistenz des Gedankens.

zehrte das Leben.

Dieser Gedanke ver­

Und wie sehr Sokrates empfohlen hatte, den

Gesetzen des Staates sich unbedingt zu beugen und an ihnen keine Kritik zu üben, und ob er dieser Mäßigung selbst zum Opfer ge­

fallen war: die hinter ihm standen, schritten über ihn hinweg und

zerstörten auch das letzte Bollwerk.

An die Stelle des natur­

wüchsigen Staats trat der Staat des Begriffs, an die Stelle der althergebrachten, geschichtlich ausgebildeten Genossenschaften, der

15 überlieferten Berechtigungen trat die Summe der Einzelwillen, die

ungegliederte atomisirte Majorität. Der Staat, früher das natür­

liche Produkt aller Lebensthätigkeit, Wurde begriffsmäßig als ein Mechanismus gegenseitiger Rechte und Pflichten erkannt, und der Begriff, einmal erfaßt, konnte jederzeit künstlich dargestellt wer­

den.

Die Macht, die Rechtspflege, die Verwaltung, Dinge, für

die früher selbstverständlich der Bürger mit seinem Leib und Gut aufkam, wurden bewegliche Factoren, die man verschieden benennen

konnte.

Es ließ sich das Regiment an Beamte, der Krieg an

Söldner übertragen: in ihnen repräsentirte sich der künstliche Staat. Es waren nicht mehr die Sachen, der Mensch war im Rechte,

und er freute sich seiner Klugheit.

„Ich allerdings," läßt Aristo-

phanes den Euripides sagen, „hab Jenen rings dergleichen Weis­

heit eingeimpft, Jedem Gedanke» und Begriff der Kunst ich lieh; so daß denn hier jetzt Jedermann philosophirt und Haus und Feld

und Hof und Vieh so klug bestellt, lute früher nie, stets forscht und sinnt: wie ist denn dies, wo find ich das?"*)

Der denkende

Mensch, die undenkende Natur: so hatte sich die Welt polarisirt. Jenes schöne Gleichgewicht, jener gegebene natürlich-sittliche Orga­ nismus war zerstört. Man spürt es an der Herbigkeit der Aeschhleischen und Sophokleischen Tragödie.

Indessen verwirrte sich unter jenen Doktrinen das Leben mehr und mehr, wurde immer widerwärtiger, immer unerträglicher;

der schwer zerrüttete Staat vermochte nicht mehr den Anforderun­ gen, die doch an ihn erhoben wurden, gerecht zu werden, den feind­

lichen Mächten zu widerstehen.

Eine neue Welt aber als eigene

freie Schöpfung hinzustellen, vermochte der Mensch noch nicht.

Denn die Philosophie, in die man sich aus dem Leben zurückgezogen, war nicht schöpferisch, vielmehr eben nur der Ausdruck des Wider-

*) Nach I. G. DroysenS Uebersetzung.

16 willens gegen die Wirklichkeiten und der Resignation. Wie immer man sich dasjenige vorstellte, was jenseits der Erscheinung liegen

sollte, ob als ein Urlicht, ob'als ein Unbewegliches, zu dem empor­ strebend die Materie sich in Bewegung setze, ob als eine rein intelli-

gible Welt der Ideale, deren Abdruck nur die wirkliche sei und an der man vor diesem irdischen Leben Antheil gehabt: so lag in diesen Vor­

stellungen nichts wahrhaft Ergreifendes und Begeisterndes, das den Menschen in Bewegung gesetzt hätte, und sie waren nicht dazu

angethan, ihn in der Weise des Glaubens zu beherrschen.

WaS

der Verstand immer sagen mochte: im Gemüthe haftete nur die

Empfindung von der Werthlosigkeit der irdischen Dinge, und so weit war man gekommen, daß ein Griechischer Mann sagen konnte,

„aus hoher Würde und der Fülle der Seligkeit herabgesunken,

habe er, zuerst das fremde ungewohnte Gebiet erblickend, geweint

und geschluchzt, und treibe sich nun unter den Sterblichen umher

in dem freudenlosen Lande, wo Mord und Neid und Schaaren anderer Unholde, wo schmutzige Krankheiten und Fäulniß und

vergängliche Werke walten."

Das ist die Sprache eines Welt­

schmerzes, der darauf verzichtet, am Leben wirklich Theil zu neh­ men und der sich brütend in sich selbst versenkt.

Die Philosophie,

indem sie sich mit dem sittlichen Problem beschäftigt, kommt weder dazu, den Menschen von Neuem an die Tradition zu ketten, noch ihm die Initiative zur Neugründung einer sittlichen Welt zu über­

weisen.

Nur Plato wagt es, nach bewußtem Plan ein Gebäude

hinzustellen, das die zerstörten naturwüchsigen Hervorbringungen

ersetzen soll.

Aber man sieht seinem Staate an, was Alles jenem

Geschlechte verloren gegangen ist.

Plato's Staat vernichtet die

Persönlichkeit vollkommen. Indem er der Wissenschaft, der Kunst, der Religion die Freiheit selbstständiger Bewegung schlechthin weigert, die Familie auslöst und selbst den Ammen ihre Märchen

vorschreibt, schafft er einen Zustand vollkommener Bewegungs­ losigkeit.

Dieser platonische Staat war in der That das früh

17 angedeutete Ziel, zu dem die geschichtliche Entwickelung, wie sie

einmal begonnen, führen mußte, der erste in Aussicht gestellte

Versuch, die gänzlich entfesselte Person wieder durch ein Allgemei­ nes zu binden.

Aber für jetzt ging diese noch andere Bahnen.

Es waren nur unwesentlich verschiedene Antworten auf dieselbe Frage, welche die Schulen der Stoiker, Epikuräer und Skeptiker

gaben, auf die Frage nämlich, wie der Mensch, in den nothwen­ digen oder zufälligen Lauf der natürlichen Dinge gestellt und von einer Fülle volksthümlicher Ueberlieferungen umgeben, die un­

erschütterte Ruhe des Gemüths gewinnen und bewahren könne. Der Mensch begehrte nur eine private Existenz.

Aber solcher

Apathie hingegeben, verfiel er endlich hilflos einem Staate, der mit dem Plato's Alles gemein hatte, nur nicht die idealen Menschen.

Aber ein Moment lag in dem Doctrinalismus, das aus die­

ser Resignation wieder hinausführte. Der frühere Staat war ohne

Zweck gewesen und hatte wie eine Pflanze den Inhalt seines Kei­ mes entwickelt.

Jetzt fand sich die Zweckvorstellung ein, und der

Staat gewann den Zweck, den einzigen, der Macht.

In diesem

Bedürfniß der Macht wird der Doctrinalismus erst recht eigent­

lich lebendig, und in der Befriedigung sich steigernd opfert er immer rücksichtsloser und in immer weiteren Kreisen das blos vegetative

Leben. Er wird liberal-komospolitisch. Alexander ein.

Mit dieser Wendung trat

Es entsprach nur der allgemeinen Denkart, wenn

Zeno wollte, man müsse nicht mehr nach Städten und Gauen ge­ trennt, jeder durch eigene Gerechtsame gesondert wohnen, sondern alle Menschen für seine Gaugenossen und Mitbürger halten, es

müsse ein Leben und eine Ordnung sein wie in einer vereint wei­ denden, auf allgemeinsamer Trift sich nährenden Heerde.

Es war

die praktische Consequenz dieser Anschauung, wenn Alexander die Schranken zwischen Hellenen und Barbaren zertrümmerte und sie

in einer Herrschaft zusammenschloß. In kürzester Frist war die so geeinte Welt überall mit griechischen Elementen durchsetzt; an den

18 verschiedensten Punkten siedelten sich kühne unternehmende Grie­ chen an, die ihr kosmopolitischer Drang über die Grenzen der

Heimat hinauStrieb, und die überallhin jene zersetzende, gleich­

machende Bildung trugen.*)

Und als mit Alexanders Tode die

universelle Macht, die er geschaffen, zerfiel, blieben doch die ver­ schiedenen Theile noch umspannt durch die Universalität der helle­

nistischen Bildung.

Auch war die Theilung keineswegs durch das

natürliche Princip der Nationalität bestimmt, sondern der Trieb nach Macht schuf, da nicht mehr eine einzelne übermächtige Per­

sönlichkeit Alles bestimmte, zufällige Formen; die Atome schossen regellos zusammen.

Und während sich unter wilden Kämpfen daS

Reich der Lagiden, der Seleuciden, das Makedonische und eine Anzahl kleinerer Staaten bildete, war es doch dieselbe Art der

Aufklärung, die zu Athen, Alexandrien, Antiochien, Seleucien,

Tarsus, PergamuS, Rhodus herrschte. Vor Allem Alexandria vollzog die Verschmelzung hellenischer

und orientalisch-eghptischer Bildung, und dort läßt sich dieser Vor­

gang einigermaßen deutlich erkennen.

Diese Stadt, die damals

wohl 300,000 freie Einwohner zählte, zog, indem die Straßen von dem östlichen Zweige des rothen Meeres und von Babylon über

Damaskus an die phönizische Küste unter den Kämpfen der Nach­ folger Alexanders unsicher wurden, den Welthandel an sich.

Sie

vertrieb die Waaren, die sie aus Indien, Arabien und dem eigenen Hinterlande über KoptoS empfing, aus vier Häfen auf Kleinasien

und die Südküste Europa'-. Mit den Egyptern, Griechen, Make­ doniern trafen hier Perser, Babylonier, Juden in geschäftlichem

Verkehr zusammen.

Mit den Waaren tauschte man zugleich die

Götter und Mythen aus. Wie man die Waaren auf den abstrakten

Ausdruck des Geldes brachte, brachte man die Leibhaftigkeit der Symbole auf den allgemeinen Ausdruck des Begriffs. Man mußte, *) Vgl. für diese Darstellung des Hellenismus DroyfenS Geschichte des Hellenismus, Döllingers Heidenthum und Judenthum

19 um einander verstehen zu können, die ethnischen Formen des Glau­ bens gleichsam aufweichen.

Die alexandrinischen Juden gingen in

diesem merkwürdigen Processe voran; sie gaben in der allegorischen

Erklärung das Mittel, statt körperlicher Mythen moralische Ge­ setze, statt wirklicher Geschichte psychologische Beispiele und somit

allgemeine Vorstellungen zu gewinnen.

So ist Adam der niedere,

sinnliche Mensch, Kain die Selbstsucht, Abel die Gottergebenheit, Enos das Bild der Hoffnung, Henoch der Buße, Noah der Ge­

rechtigkeit.

Abraham ist die Seele, die durch Lehre zur Tugend

kommt, Isaak die von Natur, Jakob die durch Askese.

Egypten

bedeutet den Leib, Kanaan die Frömmigkeit; die Ringeltaube die

göttliche Weisheit, die Haustaube die menschliche. Und man wußte

sehr wohl, daß, wenn die Schrift von der Hand Jahve's rede, dieß seine Macht bedeute, und wenn sie von ihm den Ausdruck gebrauche,

er stehe, dieß von dem festen Bestände aller Dinge gemeint sei. Gott wurde zu einem unnahbaren, rein geistigen Wesen, und die Verfasser der sogen. Siebziger-Uebersetzung, die im dritten und zweiten Jahrhundert unter dem Einflüsse Alexandrinischer Bildung

entstand, verstanden es, die persönlichen Erscheinungen Gottes aus

dem Texte hinauszudeuten,

Nicht minder waren die egyptischen

Priester beflissen, ihren Mythus durch allegorische Deutung den Fremden verständlich zu machen, aber freilich waren ihre Versuche

unbehütflich genug. Das egyptische Wesen entbehrte jener griechi­ schen über das Gegebene hinausstrebcnden Beweglichkeit vollstän­

dig. Die Natur des Landes, welche gebieterisch die Anwohner des

Stromes zur Einheit zusammenzwang, hatte nicht vermocht aus der Menge localer Culte ein wahrhaft gemeinsames und sittlich höheres Religionswesen hervorzurufen und mehr als eine lose Ver­

bindung der verschiedenen Götterkreise zu veranlassen.

der griechische und jüdische Geist im Uebergewicht. die Verbindung mit den Parsischen Vorstellungen.

So blieb

Leichter war

Auch im Par­

sismus war allmählich die Welt der persönlichen Götter zurück2*

20 getreten vor dem anfangslosen in der Höhe leuchtenden Urlichte,

dem unpersönlichen Zervan, der den älteren Theilen des Zenda­ vesta fremd ist; und man war hier so zu einer der griechischen

ähnlichen Vorstellung gekommen. Da das allgemeine Streben dahin ging, das allen nationalen Anschauungen Gemeinsame herauszufinden und hervorzuheben, suchte man auch die Geschichte der verschiedenen Völker in Ver­

bindung zu bringen und die mancherlei religiösen und staatlichen

Gründungen auf einen Urheber zurückzuführen.

Der Jude Arta-

panus sagte in seinem Werke „über die Juden", Abraham sei mit seinem ganzen Hause nach Egypten zum Könige Phareton gekom­

men und habe ihn die chaldäische Astrologie gelehrt. Joseph dann

habe eine Tochter Merris gehabt, die er dem Chenephres, dem

Könige der Gegend über Memphis, zum Weibe gegeben.

Merris

aber, selbst kinderlos, habe ein jüdisches Kind angenommen und

MoysoS genannt, wofür die Griechen Musaeos sagten. sei der Lehrer des Orpheus gewesen.

Dieser

Er habe Wasserfahrzeuge,

Maschinen zum Steinsetzen, die egyptischen Waffen, Werkzeuge zum Wasserschöpfen erfunden; er habe den Staat in 36 Bezirke

getheilt, die Verehrung Gottes vorgeschrieben, die Philosophie

erfunden.

Deswegen nun werde Moysos vom Volke geliebt und

von den Priestern göttlicher Ehre gewürdigt als Hermes, wie er

genannt werde wegen der Deutung (e^ujm'a) der heiligen Schrif­ ten.

Eupolemos erklärte den Enoch für den Erfinder der Astro­

logie; es sei derselbe, der von den Griechen Atlas genannt werde.

Und so sehr fanden die alexandrinischen Juden ihre eigenen Vor­ stellungen in denen der griechischen Philosophen und Dichter wie­

der, die sie eifrig studirten, daß sie erklärten, Homer und Hesiod,

Sokrates, Plato, Pythagoras hätten aus ihren heiligen Schriften geschöpft. Da man solcher Weise allen geschichtlichen Sinn verlor und sich durch die eigene Vergangenheit weder gebunden noch getragen

21 fühlte, kam man endlich zu jener Trivialität der Aufklärung, welche statt des lebendigen, unmittelbar gewissen Inhalts der religiösen

Vorstellungen und sittlichen Forderungen ihre noch unerfüllte Form, ihre Peripherie gelten läßt. Die allgemeine Glaubens- und

Sittenlehre jener Zeit, bei der man sich befriedigte, faßte der Jude Aristobul so zusammen: „Alle Philosophen sind darüber einig, daß

man heilige Begriffe von Gott haben müsse, besonders dringt

hierauf unsere Religion.

Denn das ganze Gesetz Mosis gebietet

Frömmigkeit, Gerechtigkeit, Mäßigung und die übrigen wahrhaften Tugenden."

Nimmt man dazu die Forderung der allgemeinen

Menschenliebe, die fort und fort erhoben wird, so ist Alles gesagt.

Aber dies rationalistische Tugendbewußtsein ersetzt dem Men­ schen die innere Spannung und fröhliche Zuversicht nicht, welche

der unmittelbaren und bedingungslosen Theilnahme an gegebenen

und durch sich bestehenden Verhältnissen verbunden ist und in welcher das wahre Leben besteht.

Wie verschieden zwar kann sich

dieß Theilnehmen und Mitleben im Gegebenen und Vorhandenen

gestalten!

Von dem süßen Frieden der Verschwisterung mit der

Natur, welchem kein Bruch noch voraufging, bis zur Fülle welt­

historischen Bewußtseins, welche die Erscheinung trägt, indem sie

sie versteht, von da herab bis zum beschränkten Festhalten am historischen Recht mit allen seinen Zufälligkeiten: welch eine reiche Folge sittlicher Grade.!

Der hellenistische Mensch bewegte sich in

keiner dieser Formen mehr, er hatte nichts als den Gedanken. Aber konnte ihm der Gedanke nicht die Welt ersetzen, von der er sich los­ gerissen, die er preisgegeben hatte?

Ein hochgeistiges Leben und Treiben in der That, das zu Alexandria herrschte.*)

Von den Ptolemäern.selbst ward es ange­

regt und genährt. Schon Ptolemäus Lagi rief von allen Gegenden her eine Fülle von Gelehrten und Künstlern an seinen Hof, für

*) Vgl. Herzfelds Geschichte des Volks Iisrael.

22 deren Gebrauch er unter dem Beistände des Demetrius PhalereuS

eine Bibliothek in bedeutendem Umfange zu sammeln anfing. Die Gelehrten traten zur Akademie des Museums zusammen, die ihren Sitz im königlichen Schlosse hatte. Dort lebten, arbeiteten, diöputirten sie, jeden Augenblick der gelehrten Aufträge und Fragen des Königs gewärtig.

ES wurde Bedeutendes da geleistet, vor Allem

in den Naturwissenschaften, die vor den anderen die Eigenschaft

haben, die Völker zu verbinden.

Sie traten mit der Ueber­

windung der poetischen Weltanschauung von selbst in den Vorder­

grund.

Schon unter PtolemäuS Lagi blühte Euklid, begannen

AristylloS und TimochareS Fixsternörter zu bestimmen. Zu PHYS-

kons Zeit entdeckte Hipparch das Vorriicken der Nachtgleichen, construirte KtesibioS ein hydraulisches Uhrwerk. EratostheneS begrün­

dete die Geographie, ErasistratoS und HerophiloS bearbeiteten die Medicin und Anatomie.

So in den Naturwissenschaften.

Eine nicht geringere Thätigkeit herrscht im Bereiche der

Jdealwissenschaften.

Aber sie ist durchaus anderer Art.

Wäh­

rend dort das neugewonnene noch in wilder Wurzel stehende Feld ernst und besonnen bearbeitet wird, ist eS hier ein schwelge­

risches, epikuräisches Genießen, der Fanatismus des Vielwissens, die encyklopädische Tendenz, welche die Gelehrten beherrscht.

Die

Gelehrten! Es ist das Charakteristische des Hellenismus, daß er

Gelehrte hervorbringt.

So lange die Nationalitäten noch ge­

schlossen bestanden, gab es keine Gelehrsamkeit, wohl aber Bildung. Denn diese hat ihre beständige und unmittelbare Beziehung auf das wirkliche Leben und ist nichts Anderes als die sittlichfreie Be­

herrschung aller Lebenssphären. Die Gelehrsamkeit hat nur todte Objecte, die sie sammelt, sichtet, ordnet, und eben in dieser Thätig­

keit liegt ihr Reiz.

Solche Objecte waren denn damals die ent­

seelten Schemen der Nationen.

Man bemächtigte sich der histo­

rischen Hinterlassenschaft der Völker, noch ohne irgend ein wahr­

haftes Interesse.

Eine Thätigkeit, die nach der Befähigung der

23 Einzelnen zu einem wechselvollen Genuß an der Mannigfaltig­

keit der Formen oder zum pedantischen Formalismus wurde, der

schnell einen äußerst engen Canon des Schönen und Zulässigen

verkündete.

Zenodotos (um 280) glaubte die Ilias im Geschmack

seiner Zeit umarbeiten zu dürfen. Es kamen jene geistlosen, nüch­ ternen Dichtungen auf, die man nur fertigte, um das Uebermaß

philologischer Gelehrsamkeit drin abzulagern.

Dazu kam ein

phantastisches Philosophiren, das immer mehr die Empfindung des Wirklichen verlor, wie es in Philo sich gipfelte.

Es war zu

Alexandria ein Leben und Treiben wie an den italiänischen Höfen

des fünfzehnten Jahrhunderts.

Hier wie dort die vollkommene

Einseitigkeit der intellectuellen Richtung, hier wie dort die Wissen­ schaft vom Boden der Sittlichen losgelöst und ohne Bewußtsein einer Verantwortlichkeit zum Spielwerk eitler Fürsten herabgewür­

digt.

Das politische und soeiale Leben, zur äußersten Ideenlosig­

keit verkümmert, ist solcher Bildung kein Gegenstand lebendigen Interesses, und umgekehrt, wer in dem genialen Treiben der lite­ rarischen Welt seine Stelle nicht findet, lebt überhaupt ein stummes,

freudenloses Dasein: die sittliche Füllung des Lebens fehlt. Aber die Masse des Volks, das eben an dieser gelehrten

Thätigkeit keinen Antheil hatte?

Der Liebe zum Vaterlande ver­

lustig gegangen, irre geworden an dem heimischen Glauben, über

den eS die Wissenden sich hinwegsetzen sah, ergab es sich zügellos dem allernächsten Interesse, der gewinnbringenden Spekulation,

unbekümmert um die Bewahrung der idealen Güter.

WaS küm­

merte eS den Kaufmann, den Söldner, ob der Staat so oder so regiert werde, ob er ihn auf den geringsten Raum zurückdrängte:

er hatte zu leben und gut zu leben, und ihm gehörte die Welt.

Und die idealen Güter? bewahrte sie nicht überdieß der Staat? ge­

hörte man nicht einer großen, civilisatorischen Nation an? Aber das religiöse Bedürfniß verläßt den Menschen nicht. Aus der Sicher­

heit des Volksglaubens aufgestört, wendet er sich dem Fremden,

24 Dünkel«, Geheimnißvollen zu.

Es tritt die bunteste Götter­

mischung, ein förmlicher Austausch der Götter ein, und die Nei­ gung zur Astrologie, zu Zauberwesen und Wahrsagerei verräth die

vollkommenste sittliche Unfreiheit.

Der Aberglaube ist zu allen

Zeiten dem Materialismus verbunden.

Bon beiden Mächten ab­

wechselnd bestimmt, zerrüttet sich das geistige Leben vollkommen.

Wilde orgiastische Culte, in denen die Bestialität unter göttlicher Sanction auftritt, das Geißler- und Tänzerwesen, wie eS im vier­

zehnten und fünfzehnten Jahrhundert sich wiederholt, deuten an,

daß der letzte Rest sittlicher Kraft verzehrt ist.

Die Völker sind

reif, in den Hades der Nationen hinabzusteigen, die Römische Mo­

narchie. Was denn war dem Menschen verloren gegangen? Mit dem Mythus die innere Ergriffenheit und die unvermittelte Bethei­ ligung an den Dingen des Lebens.

Was die poetische, naive

Weltanschauung zusammengehalten hatte, das Moralische, das Po­ litische, daS allgemein Menschliche, das Religiöse, lag nun, durch

den Verstand gesondert, neben einander.

Die ganze Naturseite

des menschlichen Lebens ward in häßlicher Trennung von allen geistigen Bezügen gehalten, das Geistige, als Gelehrsamkeit, ward

bald zu schwerfällig und unbeholfen, um das verlorene Geschwister wieder aufzusuchen.

Das kostbare farbige Spielwerk au^ der

Jugendzeit, wohl war es noch da, aber der Duft war abgegriffen,

der Mechanismus erkannt, es erregte Ekel und Langeweile.

Sprach ich von der Begründung einer subjecttven Existenz

gegenüber der Herrschaft des Objectiven, so ist jetzt zu erinnern, daß dieser Gewinn darum auf die Dauer nicht beglücken konnte,

weil er seine Sicherung in irgend einem Allgemeinen noch nicht

fand.

Das Selbstbewußtsein hatte sich doch nur in Beziehung

auf den einzelnen gegebenen Gegenstand und wußte sich noch nicht im Zusammenhänge einer in sich bestehenden geistigen Welt. Da­ her, als der Mensch den Gedanken, den er für den Mythus ein-

25 getauscht, wieder auf das Leben übertragen und dieses mechanisirt hatte, war er selbst, nach den kurzen Schauern der Befreiung, ganz arm und leer von echter empfindungsvoller Leidenschaft.

Er, der

einzelne bedeutungsvolle Punkt, war ohne alles Gegengewicht gegen das Leben, das sich nach eigener Gravitation bewegte, ihn ge­

brauchte, ohne ihn zu erfreuen, ihn vernichtete, ohne ihm die Hoff­ nung einer höhern Welt zu lassen.

Was da war, war außerhalb

seiner, und was an unmittelbaren Geisteskräften seine Seele barg,

schlummerte, weil es von Außen nicht angesprochen wurde. Dieses mechanische Getriebe erfaßte das jüdische Wesen und

drohte eS zu zermalmen.

Palästina, welches die Brücke bildet zwischen Asien und Afrika und dessen Besitz deshalb für Syrien wie für Aegypten von der

höchsten Wichtigkeit ist, war ein Gegenstand wildesten Kampfes

zwischen den Diadochen gewesen.

Mit dem Jahre 301 kam es

unter egyptische Herrschaft und blieb unter derselben bis zum

Jahre 203, wo es durch die Schlacht bei PaneaS sammt Cölesyrien und Phönicien in den Besitz des Seleucidischen Königs An-

tiochuS III. von Syrien überging.

Es sollte zwar durch des

Anti.ochuS Tochter Kleopatra, die dem Ptolemäus V. Epiphanes

verlobt wurde, an Egypten zurückgebracht werden, aber es kam

dieß nicht zur Ausführung.

Die Juden aber, die in der entschei­

denden Schlacht die Partei des Antiochuö ergriffen hatten, erhielten von diesem die Unantastbarkeit ihrer väterlichen Gesetze und eine

pecuniäre Unterstützung ihres Cultus zugesichert.

Auf Antiochus III. folgte 187 sein Sohn SeleucuS Philo­ pator, der 175 ermordet ward; auf ihn Antiochus Epiphanes. Er

nun war eS, der den Kampf des aufgeklärten Liberalismus gegen die Besonderheit jüdischer Anschauung führte.

Eine nicht unbe­

deutende Partei in Jerusalem selbst kam ihm entgegen.

Es gab

26 dort Biele, denen die leichtere und sinnlichere Art griechischen

LebenS, griechischer Bildung und Kunst mehr zusagte als die strenge,

entsagungsreiche Sitte der Väter, die eben jetzt in überwuchernder Fülle Satzung auf Satzung Hervortrieb.

Selbst in das Aller­

heiligste suchten diese Abtrünnigen einzudringen.

Das hohe-

priesterliche Amt war, seit das der staatlichen Selbstständigkeit be­

raubte Volk in ihm seinen eigentlichen Stützpunkt fand, seit die über Borderasien und Egypten verbreiteten Juden, die noch immer

zur Tempelgemeinde gehörten, bedeutende 'Tempelsteuern nach Jerusalem sandten: es war ein Gegenstand höchster Begierde,

eifriger Umtriebe geworden, und die hellenistisch gesinnte Partei

scheute sich nicht, die Unterstützung des syrischen Königs für ihre Zwecke zu erkaufen. Des Hohenpriesters Bruder Josua, der seinen Namen in den griechischen Jason umbildete, wie denn auch das Land sich mit griechischen Namen zu bedecken anfing*), verschrieb

dem König 590 Talente für die Zusage des Hohenpriesterthums

und die Erlaubniß, Gymnasien nach griechischer Sitte in Jeru­ salem anlegen zu dürfen. „Da solches der König willigte," erzählt das zweite Buch der Mackabäer, „und Jason das Priesterthum

bekam, gewöhnte er alsobald seine Leute auf der Heiden Sitten.

---------Unter der Burg bauete er ein Gymnasium und verordnete,

daß sich die stärksten jungen Gesellen darin üben mußten, und das heidnische Wesen nahm also überhand, daß die Priester des Opfers noch des Tempels nicht mehr achteten, sondern liefen in das Gym­

nasium und sahen, wie man den Ball schlug und andere Spiele

trieb, und ließen also ihrer Väter Sitte fahren und hielten die heidnischen für köstlich." Ja, als man in Tyrus das sünftjährliche

große Kampfspiel hielt, schickte Jason einige antiochenische Juden

dorthin, um dem Herakles ein Opfer zu bringen. In derselben Weise aber, in der Jason seinen Bruder ver-

*) Ewald, Geschichte des Volks Israel his Christus. III, 2,266.

drängt hatte, ward er durch den Menelaos beseitigt, der des AntiochuS Geldverlegenheit glücklich benutzte.

Da er indessen die

dreihundert versprochenen Talente zu zahlen zögerte, wurde er noch Antiochien gerufen, um dort dem König Rede zu stehen. Während dieser Zeit verwaltete sein Bruder LhsimachuS für ihn

das hohepriesterliche Amt; er setzte in erhöhtem Maße die schänd­ liche Plünderung fort, welcher der Tempelschatz in der letzten Zeit

ausgesetzt gewesen war.

Endlich empörte sich das schwergereizte

Volk, Lysimachus kam im Aufstand um.

Unterdessen hatte sich

Menelaos vollkommen in die Gunst des Königs gesetzt.

Kurz

nach dem Tode des LhsimachuS vermochte er den König, drei jüdische Abgeordnete, die gegen ihn Klage geführt hatten, hinrichten

zu lassen.

Diese Gewaltthat erregte in Jerusalem die tiefste Er­

bitterung.

Man begann drohende Zeichen am Himmel zu sehen:

Reiter in goldenen Harnischen mit langen Spießen im Kampfe gegen einander:

„da betete Jedermann, daß es ja nichts Böses

bedeuten wolle."

In diese immer heißer erregte Stimmung kam

die Nachricht, Antiochus, der inzwischen eben um den Besitz Pa-

lästina's und Cöleshriens ein Heer gegen Egypten geführt hatte, sei dort gestorben.

Sofort eilte Jason, der sich bei den Ammonitern aufgehalten hatte, herbei, bemächtigte sich der Stadt und warf den Menelaos

auf die Burg zurück.

Aber jene Nachricht war falsch gewesen.

Antiochus erschien plötzlich und drang mit Hülfe des Menelaos in

die Stadt ein.

Es erfolgte ein grauenvolles Blutbad.

Dann,

nachdem er die Geräthe und das Geld des Tempels genommen,

ging der König nach Antiochien und ließ in Judäa den grausamen Philippus zurück.

Es kam darauf an, das widerspenstige Volk

niederzubrechen und im Fall eines Krieges mit Egypten sich den Rücken zu sichern.

In dieser Gefahr fand die Hauptstadt, welche bestimmend auf daS Land wirkte, den rechten Punkt der Gegenstellung nicht.

28

Gereizt durch die Greuel des Siegers bildete sich eine Partei, die von Egypten Hilfe und Rettung erwartete.

Partei aus der Stadt.

Sie warf die syrische

Aber diese kehrte, unterstützt durch den

Strategen AppolloniuS, den mit 22,000 Mann AntiochuS gesandt

hatte, zurück, nahm die Stadt und richtete abermals ein furcht­

bares Blutbad an. AppolloniuS befestigte die nördliche (Davids-) Stadt mit Mauern und Thürmen, legte syrische Truppen hinein,

und nachdem er durch daS ganze Land hin syrische Besatzungen verstreut hatte, kehrte er heim. Jetzt erst begann eine systematische Tyrannei.

Der Tempel­

dienst war bereits factisch eingestellt, die Synagogen waren nieder­ gebrannt, als der Befehl des AntiochuS eintraf, die jüdische Re­

ligion vollkommen zu vertilgen. ihn zu vollziehen.

Ein besonderer Gesandter hatte

Wer irgend einem jüdischen Gebrauche ferner­

hin anhängen würde, sollte todtgeschlagen, es sollte im Tempel

dem olympischen ZeuS geopfert werden.

So wurden denn die

äußeren Umfassungsmauern des Tempels, die gegen die Heiden

errichtet waren, niedergerissen; aus dem großen Brandopferaltar

wurde ein kleiner errichtet und mit Fahnen und heidnischen Sym­ bolen verziert.

Man zwang die Juden, auf allen Straßen un­

reine Thiere zu opfern, beim Dionysosfeste mit Epheu bekränzt

im Aufzuge zu erscheinen. durch die Stadt verbreitet.

Eine Menge von Aufsehern waren

Auch durch Versprechungen suchte

man zu wirken, und es erlagen Manche. Viele aber erlitten den

Märtyrertod oder entflohen in die Wälder und Höhlen.

die Felsenhöhlen verfolgte sie Philippus.

Auch in

Er ließ sie am Sabbat,

da sie sich nicht wehrten, niedermachen oder durch vorgelegtes Feuer ersticken.

Zu Jerusalem kam es zu keinem gemeinsamen

Widerstände; das Judenthum schien verloren.

Da erhob sich in Modiim, einem Bergstädtchen an der Straße von Jerusalem nach Joppe, aus dem Priestergeschlechte Jojarib,

aus der Familie der Chaschmonäer, ein Mann mit Namen Ma-

29 tathias.

An ihn als einen angesehenen Mann hatten sich die

Boten des Königs mit großen Berheißungen gewandt. „Da sprach Wenn schon alle Länder Antiocho gehor­

Matathias frei heraus:

sam wären, und Jedermann abfiele von seiner Väter Gesetz, und willigten in des Königs Gebote: so wollen doch ich und meine

Söhne und Brüder nicht vom Gesetze unserer Väter abfallen."

Und als vor Aller Augen ein Jude hinging den Götzen zu opfern, sprang der greife Matathias hinzu, erschlug ihn und des Königs Hauptmann und zertrümmerte mit eigener Hand den Altar. Dann

rief er durch die Straßen:

„Wer um das Gesetz eifert und den

Bund halten will, der ziehe mit mir aus der Stadt!" Er zog sich mit den Seinigen in eine Höhle zurück.

Nachdem ihnen Philippus

an einem Sabbat eine Niederlage beigebracht, beschlossen sie,

fortan auch am Sabbat sich zu wehren.

Und nun durchzog Ma­

tathias das Land, zerstörte die heidnischen Altäre und strafte die

Abfälligen.

Bald erlag er seinen Mühen.

Nachdem er feine

Söhne an den Beruf des priesterlichen Stammes, an den all­ mächtigen und wahrhaftigen Gott der Väter erinnert und ihnen

den ältesten, Simon, zum Vater, den zweiten, Juda, zum Haupt­ mann gesetzt, starb er, im I. 166.

Juda, der sich den Beinamen Mackabi, der Hammer erwarb, führte den Kampf fort. In kurzen Zwischenräumen besiegte er den Appollonius, den Seron.

Dann schickte Antiochus ein Heer von

40000 Mann Fußvolk und 7000 Reitern unter dem Befehl des

Ptolemäus nach Judäa mit dem Auftrage, Jerusalem vollkommen zu zerstören.

Es theilte sich in zwei Tressen. Das Vordertreffen,

das sich durch die in den ersten Kämpfen versprengten Truppen zu 20000 Mann verstärkte, nahm seine Stellung bei Emmaus in der

philistäischen Niederung, eine Menge beutegieriger Sklavenhänd­

ler in seinem Gefolge.

Gegenüber Juda mit nur 6000 Mann;

es hatten ihn Manche verlassen.

Aber diese „vereinigten sich, sie

wollten ihr Volk retten und für die Heiligen streiten."

„Uns ist

30 leidlicher," sagte Juda, „daß wir im Streite umkommen, denn daß

wir solchen Jammer an unserm Volke und Hetligthume sehen. Aber was Gott im Himmel will, daS geschehe." Juda siegte voll­

kommen, und daS Syrische Hauptheer erschien gar nicht.

Aber

bald folgte eine neue, stärkere Armee, und von allen Seiten beun­ ruhigten die alten Erbfeinde der Judm das unglückliche Volk.

Dennoch feierte Juda nach einer Zeit schwerster Kämpfe und ruhm­

vollster Siege, am 25. KiSlev d. I. 164 wieder das erste gesetz­ mäßige Opfer im Tempel zu Jerusalem. WaS vertheidigten diese Männer?

In welchem Glauben

konnten sie gegen so ungeheure Uebermacht siegen?

Wo ist daS

geistige Supplement so armseliger Kräfte?

Auch daS Judenthum hatte seit den Tagen Davids eine tiefe Wandlung erfahren. Das Judenthum hatte es wie das Griechenthum damals zu einem sichern Gleichgewichte zwischen dem Menschen

und den natürlichen Dingen gebracht; aber von einem ganz ent­ gegengesetzten Anfänge her. Der Grieche hatte und sah das Gött­

liche und Ewige in der Natur selbst, die ihm als schöne Natur ent­ gegentrat. Der Jude glaubte an einen außerweltlichen Gott, dem die Natur unterworfen sei nnd der sie dem Menschen leihe, darin zu le­ ben, daran sich zu freuen. DaS Volk ergab sich ihm dafür zu treuem

Dienst. Die Vorstellung war, der Mensch sei Höriger und Lehns­ mann Gottes, sein Leib wie sein Gut sei Gott eigen und dreimal

im Jahre mußte sich jeder Mann seinem Lehnsherrn persönlich

darstellen.

DaS Gut durfte nicht veräußert werden, und der je­

weilige Besitzer mußte in Anerkennung des wahren EigenthumS-

verhältnisfes je im siebenten Jahre und im siebenmal siebenten Jahre daS Feld unbebaut, mußte die Ackerecken und die Nachlese den

Schützlingen Gottes, den Armen lassen.

Und am je siebenten

Tage durfte er weder seines eigenen Leibes, noch seines Gesindes,

31 noch seines Viehes Kraft gebrauchen. Auch dieß war eine Wirkung jener Vorstellung, daß der Hebräer, ein Leibeigener Gottes, keines Menschen Sclave werden konnte.

Wenn nun aber das Volk dem

Jahve treu diente, auf seinen Engel hörte und fremde Götter nicht an­

betete, so hatte er versprochen, seiner Feinde Feind zu sein, sein Brot und Wasser zu segnen, Krankheit von ihm zu wenden, das Land fruchtbar, die Menschen alt werden zu lassen.

von Anfang an dieß Versprechen gehalten!

Und wie hatte Jahve Das National-Epos,

das von Geschlecht zu Geschlecht forterbte, erzählte, wie die Stamm­

väter des Volks, Abraham, Isaak und Jakob zwar schwer von

Gott auf ihre Treue geprüft, aber dann um ihres Glaubens willen reich gesegnet und zu Freunden Gottes erhoben seien. Und m dem

kräftigen Behagen, das diese Erzählung erregte, in seinem Ver­ trauen auf den Segen Gottes auf Erden, lebte das Volk ein muthi-

ges, sicheres Leben, richtete es sich wohnlich ein in dem Lande, das ihm der Herr, sein Gott, gegeben, trat es mächtig gegen die an­

gesessenen Völker auf und errang unter ihnen eine überragende

Stellung.

So unter David.

Das Jüdische Volk war ein Ackerbau treibendes, es bestand

fast ausschließlich aus Bauern und bäuerlichem Adel.

Mit der

ruhigen Gleichmäßigkeit bäuerlicher Beschäftigung, mit der Stä­ tigkeit der Verhältnisse, welche sie hervorruft, hängt der Charakter der Mosaischen Religion auf's Innigste zusammen.

Das Gleich­

gewicht zwischen dem Verhalten und dem Geschicke der Menschen

war in der That nicht blos in ihrer Vorstellung vorhanden. Jene erbgesessenen Bauern auf reichlicher Hufe, umgeben von uralten

Traditionen, durchaus noch in geschlechtermäßiger Bindung lebend,

worin anders konnten sie ihr Glück haben als in der ungestörten Folge der Naturereignisse, von denen der Erfolg ihrer Arbeit mit

bedingt war, in dem ruhigen Erbgange des Besitzes?

Es gab

noch keine Individuen, nur erst geschlechterliche Massen, von noch

roher Andeutung künftiger Form, fast ganz verwachsen mit der

32 Natur, eben erst sich ablösend zu selbstständigem Sein: die Mög­ lichkeiten also der Freude und des Schmerzes in wie engem Kreise

beschlossen, Glück und Unglück wie äußerlich, unmittelbar bestimmt zugleich durch das menschliche Verhalten!

Beseitigen wir aus

unserer Vorstellung, was dem reich entwickelten Gemüths- und

Geistesleben unserer Stufe angehört, so werden wir leicht erken­ nen, wie jene Stämme in ihrer eigenen sittlichen Führung die aus­

reichende Erklärung für die Vorgänge des göttlichen NaturhauShalts und in diesen die ausreichende Würdigung für jene finden

konnten.

Aber indem sie die überkommene Grundlage des Lebens

verließen, schwand ihnen auch die alte Sicherheit und die Unmit­

telbarkeit der Ueberzeugung. Eine Wandlung, die sich seit Salomo

vollzog. Salomo und seine Nachfolger ttieben den bis dahin noth­ wendigen Krieg als freiwilliges Geschäft, eröffneten die Häfen des

ailanitischen Meerbusens und führten die Waaren Indiens, Ara­ biens und Egyptens nach Norden weiter.

mit Städten.

Das Land bedeckte sich

Israel ward die vorherrschende Macht in Border­

asien, Jerusalem der Sammelplatz für Kaufleute aller Zungen, für Weise und Dichter, für Sänger und Künstler, die Metropole der Bildung, die Stadt des guten Geschmacks. Ein neuer Militär-

und Geld-Adel drängte sich an den verweichlichten Hof.

Große

militärische Macht, ungeheure Geldmittel standen dem Könige zu Gebote; er wurde darüber zum Despoten.

Die Gerechtigkeit

schwand, aller Besitz wurde beweglich, unsicher, die alten Gesetze stimmten nicht mehr zu den neuen Verhältnissen, die Tradition

ward dem Volke unverständlich und sie erstarb ihm im Munde. Es drohete die Gefahr, daß das Volk seinen geschichtlichen Zusam­

menhang gänzlich verlor und einem gedankenlosen Materialismus

anheimfiel. Hier treten die Propheten, jene herrlichen theokratifchen

Staatsmänner, ein.

Sie folgen dem Volke in seine neue Wen­

dung, immer auf die alten Gedanken zurückweisend, die sie leise

33 umformen.

Es vollzieht sich unter chrer Hand eine bedeutsame

Aenderung in der Geistesrichtung des Volkes und es lernt den

veränderten Verhältnissen mit veränderten Anschauungen gerecht werden.

Auf die Zeit des Glanzes und größester Macht war

schnell die der Ohnmacht, Zerrissenheit und schimpflicher Nieder­

lagen gefolgt. Von äußeren Feinden bedroht und geknechtet, gespal­ ten in Arm und Reich ward das Volk irre an den Verheißungen

Jahves.

Das Unglück hatte mehr Raum, als die alten göttlichen

Verheißungen, als das eigene Verhalten ihnen zu gestatten schien. Man mußte entweder an Jahve oder an der menschlichen Gegen­

wart verzweifeln. In solcher Lage erheben die Propheten, während

die Massen nach allen Seiten dem'Götzendienst anheimfallen, den edleren Theil des Volks zu einem neuen kraftvollen Glauben. DaS

gestörte Gleichgewicht wird in Zukunft hergestellt werden.

Am

Tage des Herrn wird das erwählte Volk vor den Heiden gerecht­

fertigt werden im Thäte Josaphat, und der Gerechte, wie er jetzt leiden muß, wird dann zufrieden und glücklich im Schatten seines

OelbaumS sitzen.

Ein unermeßlicher Fortschritt in der Geschichte

der Befreiung des Geistes,- den diese prophetische Thätigkeit ein­ leitet. Denn man lernt jetzt überhaupt vom Nächsten, Gegenwär­

tigen absehen und sich befreien; über die Erwartung einer in dem

kurzen Zeitraume eines Jahres, eines Menschenlebens aus den Mitteln der Natur sich vollziehenden Strafe oder Belohnung erwei­ tert sich der Blick und schärft sich für größere Zusammenhänge.

Die Vorstellung der göttlichen Vorsehung gewinnt an Tiefe und

Größe: nicht mehr so im Leben des Hauses wie in dem des Vol­ kes offenbart sie sich.

DaS Haus erhebt sich in die Sphäre natio­

nalen Lebens und entläßt seine Glieder aus der starren Fesselung.

Daher, wie das Epos von den Patriarchen, in deren großen Ge­ stalten man die eigenen familienhaften Anfänge verdichtet anschaut,

allmählich zur Ruhe kommt, erhebt sich die nationale Geschicht­ schreibung.

34 In dem Glauben an den Tag de- Herrn wächst erst die Na­ tion eigentlich zusammen.

Nichts für den Einzelnen, nichts für

die Lebenden liegt in diesem Glauben, nur für das Volk, wie es

den großen Tag erleben wird, erwartet er die Fülle des Segens. Aber erleben ihn nicht dennoch Diejenigen mit, die diesen Glauben

hegen?

Ist nicht solch ein Glauben Erleben? — In Wahrheit,

eine gewaltige That ist gethan. Nichts Geringeres hat der Mensch der naturbestimmten Armuth seines Daseins zugelegt als die

Unendlichkeit.

Hier ist der Anfang des Glaubens an Unsterblich­

keit, eine Unsterblichkeit noch nicht des Einzelnen, sondern des

Volks, noch nicht im Jenseits, sondern in den Verhältnissen ünd unter den Bedingungen der laufenden Zeit, eines Glaubens aber

voll erhebender Momente. ES ist das erste Erwachen aus einem dämmernden Traum­ leben, in welchem das erhabene Bild des Jahve Zebaoth, ein Bild

von düsterer Pracht, von überwättigender Größe, noch ganz und gar den phantastischen Sinn gefesselt hielt, und das menschliche Wesen in der regungslosen Hingebung an die übergroße Erschei­

nung, noch ganz außer sich, noch ganz besinnungslos, alle Mannig­

faltigkeit einstiger Bethätigung, alle Verschiedenheit des Aus­ drucks keimhaft in sich beschloß. Nur eine gewaltige Lyrik, dadurch ausgezeichnet, daß es die Nation war, in deren Empfindung der Sänger betete und sang, hatte bekundet, daß eS bereits in der

menschlichen Seele dem Chore mittöne, in welchem die Himmel die Ehre Gottes erzählen und die Veste seiner Hände Werk verkün­

digt.

Aber jetzt beginnt die sittliche Fähigkeit sich zu entfalten,

beginnt das Wesen Gottes tiefer in den Menschen hineinzutreten, ihn mächtiger zu bestimmen.

Die dem Jahve wirklich Stand

hielten, mußten sie sich nicht sagen, daß die gegenwärtigen Leiden nicht ohne Grund verhängt seien?

Sie begannen seiner Füh­

rung sich zu fügen, seiner Strenge ihre Zustimmung zu leihe«. Nicht das sündige Volk der Gegenwart sollte einst die Heiden

35 zertreten, es hatte zuvor selbst eine Reinigung und Sichtung zu

erfahren.

Die Vorstellung von der Gerechtigkeit Gottes, bisher

nur als treues Festhalten an dem "dem Volke Israel gegebenen

Versprechen aufgefaßt, erweitert und verändert sich wesentlich, indem sie anfängt sich auf Gott zurückzubeziehen.

Es giebt noch

andere Verhältnisse, die Jahve einging, als das zum Volke Israel,

und indem dieß in die Anschauung ausgenommen wird, verbindet sich mit der Vorstellung der Gerechtigkeit Gottes die seiner Frei­ heit: Gott ist frei in seinen Zwecken und Mitteln, die Gerechtig­

keit ist sein Wesen, das menschliche Recht, früher gleich gut als das göttliche, erscheint nun tausendfach bedingt. Zion — man gewöhnt sich es zu denken — soll wie ein Feld zerpflügt und Jerusalem zum

Steinhaufen und der Berg des Tempels zu einer wilden Höhe werden.

„Siehe," spricht der Prophet, „die Augen des Herrn

Herrn sehm auf ein sündiges Königreich, daß ich es vom Erdboden ganz verttlge, wiewohl ich das Haus Jakobs vom Erdboden nicht

gar vertilgen will, spricht der Herr.

Aber doch siehe, ich will

befehlen und das Haus Israel unter allen Heiden sichten lassen, gleichwie man mit einem Siebe sichtet und die Körnlein sollen nicht auf die Erde fallen."

Auch ist nicht der bloße Sieg über die

Heiden, die Vergeltung des Bösen, das sie an Israel gethan, der

letzte Sinn jener Entscheidung, welche der Tag des Herrn bringen wird. Vielmehr nach der Zertrümmerung des heidnischen Wesens werden doch die Uebrigen unter den Heiden jährlich herauflommen,

anzubeten den König, den Herrn Zebaoth, und zu halten das Laub­ hüttenfest. Sie werden gehen und sagen: „Kommt, laßt uns hinauf zum Berge des Herrn gehen und zum Hause des Gottes Jakobs,

daß er uns lehre seine Wege und wir auf seiner Straße wandeln." Die Verherrlichung JahveS ist eS, welche der Tag des Herrn bringen wird.

Darum heißt er auch der Tag des Herrn, nicht

der Tag Israels.

Bon dem Tage an wird Jerusalem heilig sein,

der Geist Gottes wird ausgegossen werden über alles Fleisch. So 3*

36 wird hier zum ersten Male das geistige Leben aus der allzunahen Verbindung mit dem Genuß der natürlichen Dinge heraus­

gehoben und sein selbstständiger Werth behauptet.

DaS Volk

wird in Wahrheit Werkzeug GotteS. Inmitten dieser geistigen Entwickelung geschah es, daß die im

Osten angesessene assyrische Macht, die bis dahin ihre Richtung auf Kleinasien genommen hatte, sich übex Palästina hinwälzte und nach einander die beiden jüdischen Reiche Hinwegriß.

wohner wurden zum besten Theil hinweggeführt.

Die Ein­

DaS Exil war

dazu angethan, jenen Glauben weiter auszubilden und lebendig werden zu lassen; es formte ihn auch in bedeutsamer Weise um. Dieser Glaube hatte, indem er die Geschlechter zur Nation

zusammenschmolz, der Person die Möglichkeit der Freiheit gegeben. Wir werden sie nun bald selbst in deutlicher Gestaltung hervor­

treten, ihr eigenes Denken, Fühlen und Sein gewinnen sehen,

während zugleich von der Allgemeinheit prophetischer Vorstellung ihr ideales Gegenbild allmählich sich abhebt und immer deutlicher als Messias herauStritt.

Als die Familie von dem heimischen Boden abgelöst, zerrissen

und mitten unter andersgläubige Feinde geschleudert war, erwachte,

von so viel Elend gereizt, daS Bewußtsein persönlicher Ver­ antwortlichkeit in dem Einzelnen.

Nachdenkend über das Geschick

seines Volkes sand Jeder die Schuld in sich selbst und damit grün­

dete er seine Individualität.

Zu derselben Zeit, als in Griechen­

land an die Stelle der Dichter und Rhapsoden die Sophisten

traten, unter deren Leitung sich jeder Einzelne frei bewegen lernte,

wurden hier die Propheten von den Schriftgelehrten abgelöst. In

Babylon wurde der Anfang des Synagogenwesens gemacht. Man versammelte sich an Sabbaten und Festen und tröstete ein­

ander durch Vorlesung und Auslegung.

Freilich machen die

Soferim mit ihrer ängstlichen Gesetzauslegung, die das Unbedeu­ tendste zu würdigen sucht, nicht den Eindruck erhabener Größe wie

37 die Propheten, die das Gesetz selbstständiger und kühner behan­ deln; aber doch ist eS unrichtig, wenn man sagt, daß das Ver­

schwinden der Prophetie ein Zeichen der geschwundenen religiösen

Produktivität sei.

Im Gegentheil.

Der Prophet wendet sich

immer nur an daS Volk im Ganzen oder an den, der eS vertritt; der Schristgelehrte legt die ganze Last des Gesetzes auf die Schul­

tern des Einzelnen.

Dieß ist mehr als Jenes.

Hier wie auf

heidnischer Seite ist dem Menschen eine neue Sphäre des Seins

erschlossen; es bildet sich ihm gleichsam ein neues Organ, es

wachsen ihm die Schwingen des Geistes.

Aber es ist begreiflich,

daß die ersten Versuche selbstständiger Bewegung ängstlich, unbehülflich und auf nahe Ziele berechnet sind.

Auch der jüdische Mensch zieht sich aus den Wirklichkeiten in sein eigenes Bewußtsein zurück und baut die neuentdeckte Welt an. Aber während der Grieche sich auS dem Gottesbewußtsein hinauS-

philosophirt, glaubt sich der Jude immer tiefer in seinen Gott ein. Unter der beständigen Gefahr freilich, daS Vertrauen zu diesem Gott zu verlieren, wie er die Freude an den irdischen Dingen ver­

loren hatte, und in trostlosen Skepticismus zu versinken.

Das

Buch Koheleth, gegen das Ende der persischen oder im Anfänge der makedonischen Periode geschrieben, kommt nicht darüber hinaus. „Alle Wasser laufen ins Meer , noch wird daS Meer nicht voller;

an den Ort, da sie Herfließen, fließen sie wieder hin."

Und so

ohne dauernden Erfolg ist das Thun und Treiben der Menschen

auch.

Gegenüber dem Bedürfniß, mitzuleben in dem Fortgänge

einer vernünftig bestimmten sittlichen Welt, die Qual eines ge­

schichtslosen, nur naturmäßigen Daseins, das ist der grenzenlose

Schmerz, den dieses Buch zur Darstellung bringt.

Aber schon

der Verfasser des Buches Hiob, der gegen daS Ende des Reiches Juda schrieb, hatte diesen zerrüttenden Widerspruch überwunden.

Er beantwortet die Frage, wie es geschehen könne, daß der Ge­

rechte so schwer auf Erden zu leiden habe, mit einem Hinweis auf

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die Unerforschlichkeit Gotte-, und fordert, daß wie man ihn in seiner Schöpfung nicht errathen und übersehen könne, so auch sich bescheiden solle, den Haushalt der sittlichen Welt nicht zu verstehen und doch zu glauben. Was die Propheten in Bezug auf das ganze Volk dachten und glauben lehrten, wendet der Dichter des Hiob auf das einzelne Menschenleben an und er verheißt auch diesem seine erlösende Theophanie. So drängte sich der Mensch selbst zu tieferen Lösungen. Jener nationale Glaube an den Tag des Herrn genügte nicht mehr. Denn er selbst, der sittlich verant­ wortliche Mensch, suchte für sich eine Lösung der Widersprüche, die sein Leben belasteten. In jenem Glauben aber kam nur die Na­ tion zum Rechte. Die einmal in den Todtenkammern des Scheol gebettet lagen, wurden nicht mit zum Siege und Ruhme des Volkes, zum Tage Jahves gerufen. Ewig führten sie ein traum­ hafte-, unerfreuliches Dasein ohne Hoffnung, wie Hiob sagt:*) „Wenn ich hoffen muß auf das Todtenreich als mein Haus, in die Finsterniß breite mein Bette, der Gruft zurufe: mein Barer bist du! meine Mutter und meine Schwester! zum Gewürm; wo ist denn da meine Hoffnung? und meine Hoffnung wer schaut die?"

Und weiter beschreibt er die Existenz des Menschen nach dem Tode: „Sind geehrt seine Kinder, so weiß er'S nicht, sind sie geringgeschätzt, er gewahrt sie nicht; nur sein Fleisch an ihm schmerzt, und seine Seele trauert um ihn."

39 Nach Völkern getheilt, um ihre Könige geschaart ruhen da die Menschen, das streitsüchtige Assur am äußersten Ende, Israel

am Eingänge in der Nähe des LichtS. über die stille Schaar.

Aber nun kommt Leben

„Deine Todten werden aufleben," spricht

ein exilischer Prophet,*) „deine Gefallenen auferstehen, erwachet und singet, ihr Schläfer im Staube, denn ein Thau auf Gräser

ist euer Thau, und die Erde giebt die Schatten wieder zurück." Aber es genügte nicht.

Die mündige Seele verlangte ein Gericht.

Und das Buch Daniel, unter Antiochus Epiphanes geschrieben, deutet es an: „Viele von den Schläfern im Erdenstaube werden erwachen, die Einen zu ewigem Leben, die Andern zu Schmach und

zum ewigen Abscheu."

Wie langsam doch wagt der Mensch zu

sein, was zu werden er bestimmt ist!

Noch immer ist nur von

Gruppen, Massen die Rede, von den auffallendsten Bildungen: die Fülle der Mittleren und Gewöhnlichen scheint das Gericht noch

zu übergehen.

Immer mehr aber lebt sich die Seele vom Irdischen hinweg; immer mehr hört die Vorstellung vom messianischen Reiche auf da- Gegenbild eines irdischen zu sein, und der Zustand, den man

erwartet, wird auf übernatürliche Weise vermittelt.

Bor Allem:

der Inhalt dieses Glaubens ist nicht mehr blos der Sieg des Volkes, nicht mehr blos der Sieg Jahves unter den Völkern, son­ dern in der Seele des Einzelnen.

Und wie beginnt es jetzt auf

ihrem Grunde zu arbeiten, sich zu regen!

Schaffend erweitert,

vertieft sie ihr Leben, zerbricht sie Fessel um Fessel.

Indem da-

Auge sich unverwandt emporrichtet, fängt ihm der Himmel an sich zu beleben, und die monotone Größe verwandelt sich in indivi­ duellen Reichthum. Wagen.

Der unbewegliche Thron Gottes wird zum

Aus den Myriaden von Heiligen treten deutlich erkenn­

bare Engelgestalten hervor, die sieben Erzengel, Gabriel, Michael,

') Jes. 26,19 — eine Stelle, die ohne Zweifel exilischen Ursprungs ist.

40 Rafael und die Andern, sieben Strafengel, die brennenden Männer, Schmiede deS Verderbens. An die Spitze des himmlischen Heere­

tritt ein Fürst, jede- Volk hat seinen überirdischen Fürsten, ja

auch Einzelne haben ihre Schutzengel.

Der Mensch schafft sich

eine jenseitige Welt, in der es ihm Wähler ist al- in der wirklichm.

Wie der Heide, dem Heimischen entfremdet, in die weite Welt hinausschweift, zieht sich der Jude in da- tiefste Innere, in den

Glauben, zurück.

Wie dort an' die Stelle der poetisch-objectiven

Weltanschauung die doktrinäre encyklopädische Gelehrsamkeit tritt,

so verwandelt sich hier die religiöse Betrachtung deS Leben- in eine Theologie, die da- Leben nicht mehr versteht.

So war denn auch da- jüdische Gemeinwesen, da- Esra und Nehemia wieder herstellten, kein Staat mehr, sondern eine Ge­ meinde.

Denn abgesehen davon, daß die höchste Gewalt bei den

Persern, dann bei Alexander und seinen Nachfolgern lag: das

Volk hatte nicht mehr da- Interesse des staatlichen Leben-, die

Spannkraft des weltlichen Princips war erlahmt, und es begehrte nur Sicherheit für seinen Cultus und seine Gebräuche.

Es te6te

in der energischen Einseitigkeit des geistlichen Princips.

Sein

rechter Mittelpunkt war das hohepriesterliche Amt.

Jene gewalttge Vorstellung Gottes, wie sie einst, durchaus in's Irdische verschlungen und demselben vermittelt, in das Bewußt­

sein dieses Volkes getreten, ist jetzt, durch die mühereiche Folge geschichtlicher Entwickelung hindurchgegangen, frei, Gott ist des

Menschen, der Mensch ist Gottes geworden.

Der Geist hat jetzt

den irdischen Boden ganz verlassen, von jedem neuen Versuch, sich darauf niederzulassen, wieder und wieder aufgescheucht.

Jede neue

Grundlage staatlichen Baues ist von irgend einer Völkerfluth hin­ weggeschwemmt worden.

Hoch über den Trümmern der Werke,

die er selbst geschaffen, in denen er gewohnt, schwebt nun der Geist.

Jn.demselben Maaße, beachten wir dieß, hat sich die GotteSvorstellung erweitert, in welchem sich das geschichtliche Subject

41 formal verengert hat. Jede aufgegebene Bestimmtheit der mensch­

lichen Existenz tritt als Erweiterung der Gottesvorstellung auf,

und indem das geschichtliche' Leben jetzt auf der Person ruht, hat es die Möglichkeit einer reicheren Entwickelung; denn eben der

zwischen dem nicht mehr samilienhaften, nicht mehr stammeSmäßi«

gen, nicht mehr nationalen Gott und der Person entwickelte Ab­ stand ist der Raum für ihre Bewegung.

Aber nur dieser Raum

ist erst geschaffen, und der Jude ist noch weit davon, die Univer­ salität Gottes wahrhaft zu ergreifen.

Denn das irdische Leben

mit der Fülle seiner Beziehungen, in denen die Gottesvorstellung

alle ihre Momente darstellen könnte, ist ihm verloren gegangen. Der Jude ist gläubig, nichts als gläubig, aber sein Glaube hat sich

noch nicht zur Blüthe entfaltet. Das Ende der jüdischen Entwickelung ist der naturlose und darum starre Geist, daS Ende der heidnischen die geistlose und darum starre Natur.

Ein solcher Gegensatz drängte zum entschei­

denden Kampfe. Dennoch, sahen wir, fand man in den alexandrinischen Krei­ sen die Möglichkeit, die jüdische und die hellenistische Anschauung

zu verbinden.

Außer jener durch eine rationalistische Wissenschaft

vollzogenen Verbindung ward eine andere versucht, die sich auf andere als die intellectuellen Kräfte gründete.

Aus diesem Ver­

suche nahm eine besondere Lebensweise und eine besondere Littera­ tur ihren Ursprung: das therapeutische Einsiedlerleben, die Orakel der hebräischen Sibylle. DaS Charakteristische der jüdischen Thera­

peuten in Egypten, jener Begründer des MönchsthumS, ist der

vollkommenste Verzicht auf die Theilnahme am wirklichen Leben, daS Aufgeben dessen, was den Menschen mit der äußeren Welt

verbindet, des Besitzes, die reine Contemplation. „Nun aber leben

sie gauz für sich, als wären sie in einer Wüste, oder körperlose

Seelen; sie wissen nichts von der Stadt, von dem Dorfe, nichts von ihrem Hause, nichts von dem Verkehre mit andern Menschen,

42 und wollen alle Ansichten der Menge überflügeln und die nackte

Wahrheit erhaschen."*) samkeit hinaus.

Das treibt sie denn wirklich in die Ein­

Ein Zweig dieser Therapeuten sind die Efläer in

Palästina, seit etwa 220. ES ist hier dieselbe mystische Verzückung

wie dort, dasselbe Suchen nach einer neuen Welt. Der Mensch giebt die bisherige traditionelle Bestimmtheit

der Anschauung und des Handelns auf und suchte in der Unmittel­ barkeit des Gefühls den schöpferischen Grund aller Dinge zu

gewinnen. Solche Mystik ist die Vorbedingung aller Neuschöpfung, aller Regeneration.

Aber sie entwickelt sich auch zum Zustande,

zum System, und dann wird sie geistige Krankheit.

Dann ist sie

blos elementares Gefühlsleben, blos lyrisch-musikalische Empfin­ dung, in welcher alle Besonderung geistiger Fähigkeiten und Bechätigungen ohne Spur vergeht, vor welcher alle Unterschiede in

einander fließen.

Wie eine Symphonie in uns nur Empfindung

hervorruft, kein Wollen, kein Denken, wie aber doch jener Gefühls­ zustand die Vergangenheit oder die Zukunft von Beidem in sich hat, so befindet sich auch der Mystiker in einem noch indifferenten, aber

äußerst lebendigen Gefühlszustande.

Er gleicht nicht dem bloßen

Empfindungsleben des Kindes, denn die Phantasie ist angefüllt mit einer Fülle früher ergriffener Bilder, aber das Einzelne verschwin­ det wieder inS Ganze oder wird in seinem letzten tiefverborgenen Zu­

sammenhänge mit Anderem in phantastischer oder poetischer Weise

zu schauen versucht.

Der Mystiker scheut es, sein Gefühl sich

fortbilden zu lassen im Erkennen und Wollen, das künstlich gepreßte

Auge ganz zu öffnen und den erschlafften Muskel anzuspannen, und da er das Einzelne nicht unterscheidet, so kann es ihm auch nicht Gegenstand des Handelns werden; er genießt, erlebt, empfindet es blos.

Dieser der Plastik des Lebens entfremdete Sinn, wenn er der *) PhiloS Worte. — Dgl. GfrörerS Geschichte desUrchristenthumS. Hilgenfeld« Jüdische Apokalyptik und die dort verzeichnete Litteratur.

43 historischen Betrachtung sich zuwendet, wird er, gegenüber dem Wechsel individueller Formen, das Allgemeine und Dauernde her­ vorsuchen.

Und in dieser Richtung bewegen sich die Orakel der

hebräischen Sybille, die etwa um das Jahr 140 vor Christo ver­ faßt sind.

Ueber den Kampf der Anschauungen hinaus weisen sie

auf ihre weltgeschichtliche Versöhnung, aber auf eine Versöhnung, die nur auf das werthlose Allgemeine gegründet ist. Leben ist darin untergegangen.

Das echte

Und so ist denn diese Verbindung

jüdischen und alexandrinischen Geistes selbst noch nicht der Anfang wahrer Versöhnung und kann die Grundlage einer neuen Gestal­ tung des Lebens nicht werden.

Denn auf einen Frieden kommt

es an, in welchen alle Kräfte des entwickelten Menschen ein­ geschlossen sind.

Er kann nur jenseits eines Kampfes liegen, in

welchem das Echte und Lebendige beider Bildungen sich bewährt, und diesen Kampf kann der vermittelnde Mysticismus nicht leisten. Ganz andere Stimmungen und Erwartungen nehmen wir in dem

mackabäischen

Kreise

wahr.

Statt der philosophischen

Gleichgültigkeit, mit der sich die Essäer über die äußern Formen

des Judenthums hinwegsetzten, herrschte hier ein glühender Eifer für den ganzen reich ausgebildeten Ritus, und in dem unbedingten Festhalten an der Ueberlieferung der Väter fand man allein seine

Rechtfertigung und den Grund zu unbedingter Hoffnung auf die

Hilfe Jahve'S.

Und eben diese altehrwürdigen Gebräuche und

Symbole, die Bilder für das, was man hoffte, waren nun aufs

Schwerste verletzt, von den cynischen Angriffen einer Macht be­

droht, der man nicht zum zehnten Theile gewachsen war.

Nach

menschlicher Berechnung ging das jüdische Wesen gewissem Unter­

gänge entgegen. Aber nicht minder fest stand die andere Thatsache.

Jahve,

der Wahrhaftige, konnte nicht gelogen haben. Er mußte das Volk

zum Siege führen, denn es stand nicht ein Kampf bevor, wie ihn

früher die Juden mit ihren Nachbarn gelegentlich geführt hatten,

44 sondern es handelte sich um ihre Existenz.

Aus dieser zweifachen

Ueberzeugung, im Augenblick der höchsten Noth, entstand das merk­ würdige Buch Daniel.

Indem der Verfasser die Lage der Dinge

unter der zweifachen Beleuchtung göttlicher Offenbarung und menschlicher Ueberlegung betrachtete, schaute er plötzlich in klarer Zeichnung und Farbe daS apokalyptische Bild.

War die Noth so

unüberwindlich groß, so war's ein Zeichen, daß Gott nun dm gegenwärtigen Lauf der Dinge beendm und mit eigener Hand da­

neue geistige Reich, ein anderes Zeitalter gründen wolle, daß da-

Gericht hereinbreche.

„Solches sahe ich, bi- daß Stühle gesetzt

wurdm: und der Alte der Tage setzte sich; deß Kleid war schnee­

weiß, und das Haar auf seinem Haupte rein wie Wolle; sein Stuhl war eitel Feuerflammen, und desselbigen Räder brannten mit Feuer. Und von demselbigen ging aus ein langer feuriger Strahl. Tausend mal tausend dienten ihm, und zehntausend mal zehntausend

standen vor ihm. aufgethan." erfüllen.

Das Gericht setzte sich, und die Bücher wurden

In wenigen Wochen sollte sich des Feindes Geschick

„Und von der Zeit an, wenn das tägliche Opfer ab­

gethan und ein Gräuel der Verwüstung dargesetzt wird, sind tau­ send zweihundert und neunzig Tage.

Wohl dem, der da erwartet

und erreichet tausend dreihundert und fünf und dreißig Tage." Es war dieß dem Seher keine Willkür.

Wenn er die bis jetzt

abgewandelten Geschicke der Völker mit einem Blicke überschaute, so drängte die wahrgenommene Folge unausweichlich jetzt zur end­

lichen Entscheidung des Kampfes zwischen Juden und Heiden. Jene 70 Jahre, in denen, wie Jeremias gesagt hatte, Jerusalem wüst liegen sollte, um dann zu desto höheren Ehren emporzusteigen,

waren nicht einfache Jahre, sondern Jahrsiebente, die ausgefüllt waren durch die Bedrückung des babylonischen, des medo-per­ sischen, des Reiches Alexanders und dessen seiner Nachfolger und

deren letztes man bald zurückgelegt hatte.

Ein göttliches Wort

also bestimmte dem Seher Maaß und Ende dieser Leiden.

Die

45 ganze geschichtliche Entwickelung war vorher bestimmt, sie verlief

nur nach dem ihr bestimmten Gesetze.

Unbedenklich legt der Ver­

fasser ihre Voraussagung jenem Daniel in den Mund, der am

persischen Hofe eine so bedeutende Stellung eingenommen hatte und den das Volk als einen Nationalhelden ehrte, einem Manne

überdieß, der an jenem üppigen Hofe in strenger Enthaltsamkeit sich von Wurzeln ernährte, um sich nicht zu verunreinigen, und

der für seinen Gott in der Löwengrube einstand.

Er mochte wohl

in gegenwärtigen Zeitläuften dem streitenden Volke als Führer zugleich und als Prophet dienen.

Dieß Buch Daniel ist der erste Versuch einer Philosophie oder vielmehr einer Theologie der Geschichte, der erste Versuch, die sittliche Welt als einen einigen Organismus zu begreifen. Auf heidnischer Seite entspricht ihm der andere, die Gesetzmäßigkeit

der natürlichen Welt zu erfassen. Das Buch Daniel bezeichnet den Borstellungskreis der Inden beim Beginn der mackabäischen Erhebung. Volk befand sich in apokalyptischer Ekstase.

Das ganze streitende Es wußte den Tag,

an dem die Herrlichkeit des messianischen Reiches sich offenbaren sollte; er stand nahe bevor. Schon sah es bedeutungsvolle Zeichen

am Himmel und eS fühlte, wie die jenseitige Welt sich herabsentte mitten unter die Menschen. kämpften und siegten sie.

In dieser Fühlung deS Unsichtbaren Und, zu anderer Zeit freilich anders

empftmden, war es doch eben diese absolute Gewißheit über die

nnsichtbare Welt, in welcher auch die Helden in dem großen Kampfe des sechszehnten Jahrhunderts, in dem des neunzehnten, der ganzen sichtbaren Trotz boten und sie überwanden.

Wir sahen, wie Mackabi siegte und den Gottesdienst wieder­

herstellte.

Und als die syrische Macht durch die unablässigen

Kämpfe der Thronprätendenten gelähmt wurde, gelang es dem

46 Simon, dem Nachfolger Judas, unter glücklicher Benutzung der Parteiverhältnisse auch die staatliche Frecheit seinem Volke wieder

zu gewinnen.

Mit dem Jahre 138 begann es eine neue Aera, die

der Freiheit Israels, wie sie auf den Münzen bezeichnet wurde. Die Familie der Mackabäer übernahm die Fürstenwürde.

Aber

war jene ekstatische Stimmung, die gänzliche Abstraction von aller

Wirklichkeit die Grundlage, auf der sich ein Staat erbauen ließ? Erträglich waren die Zustände, so lange priesterliche und fürstliche

Gewalt getrennt war.

Aber Jochanan Hyrkanus vereinigte sie in

seiner Hand, und es trat nun das ein, was nach dem Despotismus

dem Staate das Verderblichste ist und ihn unfehlbar zerrüttet.

Es geschah, daß bei der Vermischung des Geistlichen und Welt­

lichen im Regiment auch die politischen Parteien zugleich religiöse

wurden und umgekehrt.

Die Aristokratie war sadducäisch, das

Bürgerthum pharisäisch.

Bon beiden Parteien umworben, von

beiden benutzt, zwischen beiden schwankend verzehrte sich die höchste

Gewalt.

Sie erlag dem schnödesten Spiel der Intrigue.

Der Gedanke, durch den die Mackabäer gesiegt hatten, ließ sich in die enge Form eines jüdischen Staates nicht fassen.

bedurfte einer größern Welt sich darin zu gestalten.

Er

In Jesus,

dessen Leben schnell in den, in der Anschauung vorhandenen Typus Christi hineingezogen wurde, in JesuS Christus gewann dieser Ge­

danke persönliche Gestalt und damit die Kraft, in der gesammten Menschheit ein neues Leben zu erregen, mit neuem Anfang, neuen

Zielen, den Formalismus verhärteter Gegensätze durch neue Le­ benswärme zu überwinden und die Verzweiflung der heidnischen Welt zu stillen.

So ging doch, während der jüdische Staat den

Römern erlag, aus ihm ihr Ueberwinder hervor. Das versprengte Volk blieb den Anschauungen der Macka-

bäerzeit treu. Aber todt und schwer lasten sie auf ihm und nachdem

die Fristen, die es seinem Gott berechnet, alle verstrichen sind, hat es das Beste des Mackabäischen Glaubens verloren. ES hat wahr-

47 lich noch immer drangsalvolle Zeit und wenig Ursache freudig der

Gegenwart zu leben, aber im tiefsten Innern kann eS den Glauben

nicht mehr finden an seinen welthistorischen Beruf, an seinen Sieg und an die Wunder Jahves.

Indem es seinen Gott nicht frei

lassen wollte, ist eS selbst nicht frei geworden. Auf der andern Seite lebte auch der Hellenismus fort über

fein rechtes Product hinaus, den römischen Staat mit seinem Rechte.

Als Bildung lebte er weiter, um noch einmal eine Gestalt, seine geistloseste, zu gewinnen im Muhamedanismus.

Aber weder auf

dieser noch auf jener Seite war wahres reiches Leben.

Die Energie des geschichtlichen Lebens war übergeleitet in1 die christliche Bewegung.

Christus beschloß die Wahrheit jüdi­

schen und heidnischen Glaubens zu einem Neuen in seiner Person.

Aus jenem stammt das Wort: „Mein Reich ist nicht von dieser

Welt;" aus diesem das andere: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder? — Wer Gottes Willen thut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter."

Leipzig Druck von Giesecke & Devrient.