Die leidige Seuche: Pest-Fälle in der Frühen Neuzeit 9783412321109, 3412094021, 9783412094027


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Die leidige Seuche: Pest-Fälle in der Frühen Neuzeit
 9783412321109, 3412094021, 9783412094027

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Die leidige Seuche

Otto Ulbricht (Hg.)

Die leidige Seuche Pest-Fálle in der Frühen Neuzeit

§ 2004 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN

Gedruckt mit Unterstützung der Nordelbischen evangelisch-lutherischen Kirche, Kiel.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Pestarzt in Schutzkleidung (18.Jh.)

© 2004 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Ursulaplatz 1, D-50668 Köln Tel. (0221) 91390-0, Fax (0221) 91390-11 [email protected] Alle Rechte vorbehalten Satz: Satzpunkt Bayreuth, Bayreuth Druck und Bindung: Druckhaus Kothen GmbH, Kothen Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in Germany ISBN 3-412-09402-1

Vorwort

„Das langsame Fortschreiten der Wissenschaften ist ein Zeichen der Weisheit und Vorsicht Gottes" - so oder ganz ähnlich las ich es in einem Journal der Aufklärungszeit. Gott lässt man heute in den meisten Wissenschaften aus dem Spiel, aber ein bisschen weniger Hektik und Produktionsdruck wäre auch in unserer Zeit nicht von Schaden. Bei dem vorliegenden Band hat sich der Verlag ein wenig an der Weisheit des 18. Jahrhunderts orientiert und den Beiträgern wie dem Herausgeber einige ungewohnte Geduld abverlangt. Allerdings kamen sie auch in den Genuß großzügiger Förderung durch ihn, so dass sie nicht wie Autoren jener Zeit für die Veröffentlichung auf vorangehende Subskriptionen angewiesen waren. Allerdings konnten sie neue Forschungsergebnisse nach Abschluß der Manuskripte nur noch punktuell einarbeiten. Letztlich ist all das dem Hauptziel des Unternehmens, nämlich die Pest als Gegenstand geschichtswissenschafilicher Forschung allgemein zu etablieren, nicht abträglich. Otto Ulbricht, Weihnachten 2003

Inhalt

Otto Ulbricht Einleitung. Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft

1

Esther Härtel Frauen und Männer in den Pestwellen der Frühen Neuzeit. Demographische Auswirkungen der Seuche auf die Geschlechter

64

Otto Ulbricht Pesthospitäler in deutschsprachigen Gebieten in der Frühen Neuzeit. Gründung, Wirkung und Wahrnehmung

96

Matthias Lang „Der Vrsprung aber der Pestilentz ist nicht natürlich, sondern übernatürlich..." Medizinische und theologische Erklärung der Seuche im Spiegel protestantischer Pestschriften 1527-1650

133

Boris Steinegger „Es ist keynne süsse arbeitt... inn solcher geschwinden ferlichen grossen gießt." Ein Prozeß gegen einen Totengräber in Sachsen im Jahre 1600

181

Axinia Schluchtmann Akademische Medizin und Pest. Das Beispiel Johannes Bacmeister 1623/24

217

Volker Gaul Kommunikation zur Zeit der Pest. Das Herzogtum Holstein-Gottorf in den Jahren 1709-1713

258

Inhalt Kathrin Boyens Die Krise in der Krise. Die Maßnahmen Hamburgs während der letzten Pest 1712-1714

295

Otto Ulbricht Die Pest - medizinisch/medizinhistorisch

326

Sachregister

333

Ortsregister

337

Personenregister

341

Nachweis der Abbildungen

345

Otto Ulbricht

Einleitung Die Allgegenwärtigkeit der Pest in der Frühen Neuzeit und ihre Vernachlässigung in der Geschichtswissenschaft 1. Erinnerte Vergangenheit, bedrohliche Zukunft und erlebte Gegenwart Die Pest war in der Frühen Neuzeit allgegenwärtig: als erinnerte Vergangenheit, als bedrohliche Zukunft, und - im schlimmsten Falle - als im Augenblick herrschende und alles beherrschende Seuche. In der Geschichtsschreibung über diese Epoche fuhrt sie dagegen ein Kümmerdasein.* Nichts zeigt die Wirkungsmacht eines Phänomens deutlicher, als wenn die Zeitgenossen selbst es als erinnernswert einstufen. Und das taten sie mit der Pest. Als erinnerte Vergangenheit war sie in Kirchen und Kapellen, auf Friedhöfen und öffentlichen Plätzen und an Friedhofsmauern gegenwärtig. In der Colmarer Kirche ganz im Südwesten des Reiches rief eine Gedenktafel aus dem 16. Jahrhundert eine schwere Pestepidemie ins Gedächtnis des Betrachters. Dort konnten die gebildeteren unter den Kirchgängern eine in Stein gehauene Notiz lesen, die an 3500 Einwohner erinnerte, die 1541 in der Stadt der Pest zum Opfer gefallen waren. „AN. M.D.XLI. HOMINVM CIRCITER ΠΙ E T D COLMARIAE PESTILENTIA PERIERE: IMP: CAES. CAROL. V. P. F: AUG. P. P."1 Die Botschaft war lapidar im doppelten Sinne - die Zahl der Kurznachricht genügte, um die Schwere der Epidemie zu signalisieren. Wohl um zu gewährleisten, daß auch Fremde und Menschen in ferner Zukunft diese Nachricht noch erreichte, war sie außer in Latein auch noch in Hebräisch und Griechisch abgefaßt. Aber nicht nur in großen Städten, sondern auch auf dem Dorf war die Erinnerung an vergangene Seuchenzüge in den Kirchen präsent. Wenn die Gläubigen in Großrückerswalde im Erzgebirge nach 1630 in ihre Dorfkirche traten, erblickten sie eine allegorische Darstellung der Pest, die 1583 in ihrem Ort geherrscht hatte. Schwarzbeflügelte Engel breiteten mit Schwertern, auch * 1

Dr. Vera Jung danke ich für die Lektüre einer früheren Fassung dieser Einleitung. Zitat nach Henri Fleurent, Geschichte der Pest und ihrer Bekämpfung im alten Colmar, in: Zeitschrift fur die Geschichte des Oberrheins 65 (1911), 128. Dort auch die Erläuterung zur Lesart der Zahl als 3.500.

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mit Pfeil und B o g e n wie auf spätmittelalterlichen Darstellungen, das Unheil gezielt aus und zeigten so auch die betroffenen Häuser an. D a s Bild gedachte gleichzeitig der Verstorbenen dieser Pestwelle, indem es sie namentlich nannte; es hatte also den Charakter eines Epitaphs. 2 Aber nicht nur in Kirchen wurden die vergangenen „Sterbensläufte" - so ein zeitgenössischer Ausdruck - in die Gegenwart zurückgeholt, auch Friedhöfe, Pestkapellen und Pestkreuze erinnerten an überstandene Heimsuchungen durch die Seuche. W e r in Schmalkalden nach der Pest von 1611 durch das große T o r des Friedhofs ging, sah auf der rechten Seite eine Darstellung dieser Epidemie. 3 W i e sie gestaltet war, ist nicht überliefert. Ein T o t e n k o p f auf einem Denkmal, das auf das Massengrab der Opfer der Seuche von 1713/14 hinwies, war es, der die Bewohner von Regensburg an die „Flüchtig= und Nichtigkeit menschlichen Lebens" überhaupt und in Pestzeiten insbesondere gemahnte: „Dieser Stein", so die Inschrift, „zeiget auf die hineben gesetzte Sechs Marck=Steine und denjenigen Orth/ wohin bey der in Mittel des Monaths Julii Anno 1713. Durch GOttes Verhängnus Um unserer schweren Sünden willen entstandenen/ und biss zur Heißte Des Monaths Februarii Ao 1714. Wiederum durch die Hertzliche Barmhertzigkeit des Allerhöchsten Geendeten Contagion Diejenige an dieser Kranckheit Verstorbene Personen begraben worden. - Hier deckt die kühle Erd bey Etlich Tausend Leichen/ Die GOttes schwere Hand durch Pest hat hingerafft. Mein Leser/ denck daran/ Laß dich zur Büß erweichen/ Wo nicht, so wirst auch du/ wie die/ von GOtt gestrafft."4 Pestkreuze und Pestsäulen begegneten den Menschen auf ihren Wegen, in der Stadt und auf dem L a n d e - eine andere F o r m der Erinnerung an vergangene

2 Sigrid und Wolfgang Jacobeit, Illustrierte Alltagsgeschichte des deutschen Volkes 1550-1810, Köln 1988, 83 (und Schutzumschlag meiner Ausgabe). 3 Otto Gerland, Zur Geschichte der Pest, in: Zeitschrift des Vereins für Hennebergische Geschichte und Landeskunde zu Schmalkalden 14 (1901), 13. 4 Erasmus Sigmund Alkofer, Kurtzer Historischer Bericht von der allhier grassirten Pest, in: Regenspurgisches Pest= und Buß= Denkmahl Wegen Der im Jahre Christi 1713. allhier grassirten Seuche der Pestilentz, Regenspurg 1714; Text in der Rechtschreibung etwas anders bei Schöppler, Die Geschichte der Pest in Regensburg, München 1914, 121. - Ein weiteres Beispiel fur eine Gedenktafel bei Annemarie Kinzelbach, Gesundbleiben, Krankwerden, Armsein in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Gesunde und Kranke in den Reichsstädten Überlingen und Ulm, 1500-1700, Stuttgart 1995, 138. Tafeln, die an den Bau eines Pesthospitals erinnerten, riefen oft zugleich eine Pestwelle ins Gedächtnis zurück Vgl. den Beitrag von Otto Ulbricht in diesem Band, S. 113.

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Einleitung

Gedenkstein an die Regensburger Pest 1713/14

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Heimsuchungen durch die Seuche. Nach der großen Pest von 1679/80 drückten die Wiener ihre Dankbarkeit in einer hölzernen „Ehren- und Gelübdesäule" aus, die nach mehr als einem Jahrzehnt durch eine steinerne Dreifaltigkeits-Säule im Zeitgeschmack ersetzt wurde. Sie zeigte, wie ein Engel das alte scheußliche Weib Pest in den Abgrund stürzte. Für Momente wurden so die schlimmen Jahre zurückgerufen, aber auch die Überwindung der Seuche.5 Die Wiener verhielten sich mit der Errichtung ihrer Säule nicht anders als die Bewohner vieler Teile Österreichs; nach dieser Pest begegneten Pestkreuze und -säulen den Bewohnern der Steiermark auf Schritt und Tritt.6 Verließen die Menschen ihre Stadt, so entgingen sie doch der Konfrontation mit der Pest nicht. Wählten sie beim Auszug aus einer großen Stadt wie Augsburg oder Nürnberg ein bestimmtes Tor, so kamen sie an Pesthospitälern vorbei. Hier wie auch vor kleineren Städten und Dörfern rief der Anblick von kleinen Hügeln, Massengräbern aus Pestzeiten, Gedanken an die menschenunwürdige Bestattung in Pestzeiten hervor, auch an die Entfernung der Toten aus dem engeren Umkreis der Lebenden. Und auf dem Weg von einem Ort zum anderen sahen sie, oft schon aus weiter Ferne auf Hügeln, Rochus- oder Sebastianskapellen, die von ihren Vorvätern meist nach einer Pestwelle errichtet und ihnen selbst vielleicht vertraut waren durch die Teilnahme an Pestprozessionen, wie sie z. B. in der Nähe von Aachen stattfanden, wo in Zweifall 1521 eine Kapelle entstanden war.7 Je weiter die Zeit voranschritt, desto häufiger wurden sie.8 Etwa ein Jahrzehnt nach dem Pestzug von 1665/66, der viele katholische Gemeinden dazu gebracht hatte, die Errichtung einer Kapelle zu geloben, war der Anblick eines solchen Gebäudes etwas so Gewöhnliches geworden, daß der Mainzer Erzbischof 1666, als die Bürger seiner Residenzstadt mit dem Wunsch nach dem Bau einer solchen (genau: einer neuen) Kapelle an ihn herantraten, meinte, daß man bereits genug an Kirchen und Kapellen für den heiligen Seba-

5 Vgl. Hilde Schmölzer, Die Pest in Wien. „Deß wütenden Todts Ein umbständig Beschreibung ...", Wien 1985,168-172. 6 Vgl. Richard Peinlich, Die Pest in der Steiermark, Bd. 2, Graz 1878, 533-535. 7 Vgl. Egon Schmitz-Cliever, Pest und pestilenzische Krankheiten in der Geschichte der Reichsstadt Aachen, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 66/67 (1954/ 55), 167. 8 Vgl. Heinrich Dormeier, „Ein geysdiche ertzeney für die grausam erschrecklich pestilentz". Schutzpatrone und frommer Abwehrzauber gegen die Pest, in: Das große Sterben. Seuchen machen Geschichte, hrsg. von Hans Wilderotter unter Mitarbeit von Michael Dorrmann, Berlin 1995, 89.

Einleitung

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stian habe. Doch ab ca. 1675 erblickten auch die Mainzer die Verwirklichung ihres Gelöbnisses in Stein vor sich.9 Eine Erinnerungsstätte errichten heißt, sich der Bedeutung eines Ereignisses bewußt sein und es gezielt zum Teil der eigenen Geschichte machen zu wollen, und zwar so, daß es auf Dauer bewahrt wird. Also als Teil des kulturellen Gedächtnisses, das über das Wissen der Vor- und Nachfahren hinausgeht.10 Durch die lebendige Erinnerung ragten die vergangenen Pestwellen in die jeweilige Gegenwart hinein. Was die Zeitgenossen bewahrten, kann der Historiker nicht vernachlässigen, will er sie, soweit möglich, aus ihrem eigenen Horizont heraus verstehen. Auch auf andere, weniger direkte und doch nicht weniger intensive Art und Weise war die Pest eingewoben in den Alltag der Menschen. Verweise auf die Seuche begegneten den Zeitgenossen immer wieder. In den Kirchen konnten sie der Vergegenwärtigung der Epidemie kaum entgehen, auch wenn sie die steinerne Erinnerung an die Vergangenheit ignorierten. Ihre Augen fielen in vielen Gotteshäusern auf Pestaltäre, auf Standbilder von Pestheiligen und auf Votivbilder. So sahen sie ζ. B. in Rostock nach 1530 die wichtigsten Pestheiligen vereint auf dem Altar vor sich. Der Rochusaltar brachte diesen Schutzpatron mit dem anderen berühmten Pestheiligen, mit Sebastian, zusammen, und außerdem mit den Schutzpatronen der Medizin, Kosmas und Damian, und mit dem riesigen Träger des kleinen Jesuskindes, mit Christopherus, der vor dem plötzlichen Tod, dem ohne Sterbesakramente, schützen sollte, sowie auch mit dem Eremiten Antonius, der nicht nur bei der nach ihm benannten Krankheit, dem Antoniusfeuer, Hilfe gewährte. Der Glaube an die Hilfe der Heiligen (und der Gottesmutter) mochte die Gefahr zukünftiger Pestwellen geringer erscheinen lassen - um den Preis ihres flüchtigen Eindringens in die Gegenwart allerdings. Solch ein Altar war keine Seltenheit. In den Städten des katholischen Reichsteiles blickten die versammelten Gläubigen an vielen Orten auf Altäre, die ihre Gedanken auf die Pest lenken konnten, gleichviel, ob im Westen oder Süden des Reiches. Ζ. B. in der Nürnberger St. Lorenz-Kirche, wo das reiche Patriziergeschlecht der ImhofFvor 1493 einen Altar gestiftet hatte, auf dem Rochus in seiner typischen Haltung zu sehen war, nämlich mit einer Hand auf die

9 Vgl. Gunter Mann, Pestgelöbnisse und Pestdenkmäler im alten Erzbistum Mainz, in: Hessisches Ärzteblatt 22 (1961), 521. 10 Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume, München 1999, 13.

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Pestbeule auf seinem Oberschenkel zeigend.11 Im Westen, in der Aachener St. Adalbert-Kirche, schauten die Gläubigen auf einen Altar mit Sebastian, der meist an einen Baum gefesselt und von Pfeilen durchbohrt dargestellt wurde. Ursprünglich waren es die Pfeile der Garde des römischen Kaisers, die ihm den Tod brachten; später symbolisierten sie die Pest (wie auf dem Bild in der Dorfkirche); auch Sebastian hatte sich erst spät vom Märtyrer zu einem Pestheiligen gewandelt. So sahen viele Kirchgänger bei jedem Gottesdienst Pestheilige, und wenn sie die Kirche verließen, konnten sie auf dem Friedhof manchmal Grabplatten sehen, die an Pesttote erinnerten. Der augenfreudigen Lebensfulle katholischer Frömmigkeit steht die wortkonzentrierte des Protestantismus gegenüber. Die Allgegenwart der Pest in protestantischen Gebieten ist daher auf visuellem Gebiet nicht so stark, doch gab es auch dort Bilder und Gedenktafeln, wie die Erwähnung Schmalkaldens und Colmars zeigt. Ebenso natürlich Pesthospitäler und Pestfriedhöfe. Aber die Pestheiligen verschwanden nach der Reformation, so z. B. in Biberach die überlebensgroßen Christophorus-Figuren,12 oder wurden zumindest in den Hintergrund gedrängt, wie z. B. der Rochus-Altar in der Nürnberger Lorenz-Kirche.13 Der Unterschied wurde vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung eher noch prononcierter, so wenn im katholischen Bereich mit dem Mailänder Bischof Karl Borromäus, der sich in der Pestepidemie von 1585 ausgezeichnet hatte, gezielt ein neuer Pestheiliger etabliert wurde. Doch die Menschen lebten nicht nur mit der Erinnerung an vergangene Pestzüge, sondern auch in der Furcht vor zukünftigen. Selbst wenn die Pest am Wohn- oder Aufenthaltsort nicht ausgebrochen war, bewegte sie die Köpfe und Herzen. Das war die Wirkung von Nachrichten aus der näheren oder ferneren Umgebung: die Pest als bedrohliche Zukunft. Die sicheren Nachrichten und die unsicheren Gerüchte beeinflußten die Atmosphäre, zwangen Reisende zu Umwegen, Privatpersonen zu Änderungen ihrer Pläne, Kaufleute zu risikoreichem Verhalten und Obrigkeiten zum Nachdenken über Vorsichtsmaßnahmen. Ende September 1577 notierte der reiche Nürnberger Patriziersproß Sebald Welser,

11 Vgl. Heinrich Donneier, St. Rochus, die Pest und die Imhoffs in Nürnberg vor und während der Reformation, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmusums 1985, 9, 11,12,17, 24,25, 48 u. ö. 12 Neithard Bulst, Heiligenverehrung in Pestzeiten. Soziale und religiöse Reaktionen auf die spätmittelalterlichen Pestepidemien, in: Andrea Löther u. a. (Hrsg.), Mundus in imagine. Bildsprache und Lebenswelten im Mittelalter. Festgabe für Klaus Schreiner, München 1996, 86, auch 76. 13 Vgl. Dormeier, St. Rochus, 55 f.

Einleitung

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der in Löwen Jura studierte, in seinem Tagebuch: „Wir erfuhren, daß ein deutscher Edelmann beim Jorden" an der Pest erkrankte, er ist abends gestorben und begraben worden."14 Doch Welser führte sein normales Leben weiter, studierte, verfolgte den Freiheitskampf der Niederländer und machte Ausflüge, bis ihn gegen Mitte November Briefe aus der Heimat erreichten, die ihm rieten, die Stadt zu verlassen, sich nach Antwerpen zu begeben und unter Vermeidung von infizierten Ortschaften heimzureisen. Offensichtlich wußte man in Nürnberg mehr und schätzte die Lage richtig ein, denn im nächsten Jahr sollte die Pest tatsächlich in Löwen ausbrechen. Als Welser dann noch bedrohliche Kriegsnachrichten erreichten, packte er endgültig seine Sachen, schrieb aber noch in Drucklettern - wohlgemerkt - in sein Tagebuch, daß er einen Kometen beobachtet habe.15 Diese Himmelserscheinungen wurden von den Zeitgenossen oft als Vorboten einer Pest oder von Krieg - aber der herrschte ja bereits - gedeutet. Welsers Angst vor der zukünftigen Entwicklung kommt nicht nur in den Druckbuchstaben zum Ausdruck, sondern auch in seiner nächsten Notiz: „Deus misereatur nostri et benedicat nobis."16 Die Pest war also oft eine Bedrohung ganz in der Nähe. Stets war die Gefahr gegeben, daß sie auch vor Ort in vollem Ausmaß ausbrechen konnte. Leicht, zu leicht konnte aus der Besorgnis Wirklichkeit werden. Das änderte sich auch im nächsten Jahrhundert nicht grundsätzlich, auch wenn einige Zeitgenossen, als das 17. Jahrhundert sich dem Ende zuneigte, spürten, daß die Abstände zwischen den Pestwellen länger wurden. Die Furcht, die eigene Stadt könnte auch befallen werden, steht hinter den Notizen, die der Hofmusikus und Romanschriftsteller Johann Beer in seiner „Autobiographie" für das Jahr 1680 machte. Er hatte sich im Sommer im Vogtland aufgehalten und begab sich nun auf die Rückreise. „In dieser Zeit starbe es sehr in und um Dreßden, fienge auch allgemach in Leibzig an, deßwegen alle Pässe hin und wider mit Wachen besezt wurden." Die Posten waren eine personifizierte Warnung; sie zeigten an, wie ernst die Lage war. „Den 7ten Augusti bin Ich über Zeitz und Weissenfelß wieder in Halle angelangt. Dazumahl nahm die Contagion [=die Pest] in Leibzig sehr überhand, und wüchse die Furcht in denen herum liegenden Stätten von Tag zu Tag ie mehr und mehr."17 Die Pest stand

14 Ursula Koenigs-Erffa, Das Tagebuch des Sebald Welser aus dem Jahre 1577, in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg 46 (1955), 359. 15 Ebd., 367, 368. 16 Ebd., 368. 17 Johann Beer, Sein Leben, von ihm selbst erzählt, hrsg. von Adolf Schmiedecke, Göttingen 1965, 24.

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vor der Tür, und mit der Zahl ihrer Opfer stieg auch die Angst. In der Doppelung der Steigerung („von Tag zu Tag" und „ie mehr und mehr") dringt sie auch in diese spröden Notizen ein. Man lebte also immer wieder mit dem Bewußtsein dieser Seuche im Hinterkopf. Als potentielles zukünftiges Übel drohte die Pest, anders als man aus unserer Perspektive oft meint, nicht nur im 16. und 17., sondern auch noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein. Für die Zeitgenossen blieb die Bedrohung auch nach dem Ausbruch der Seuche in Marseille 1720, der für uns den letzten größeren im westlichen und mittleren Europa darstellt, stets präsent. Allerdings: die Erinnerung an eine erlebte Pest schwand langsam in der Bevölkerung, und so wird auch die Bedrohung nicht mehr mit derselben Intensität gefühlt worden sein. Doch auch inmitten der hellen Zeit der Aufklärung war die Gefahr keinesfalls verschwunden. Sie drohte nun aber meist aus größerer Entfernung, aus Rußland im Osten oder Afrika im Süden. Als 1752 in Algier die Pest herrschte, fühlte sich Friedrich V., König von Dänemark und Herzog von Holstein, verpflichtet, „allen und jeden Einwohnern hiesiger Districte längst der Elbe und der Westsee [Nordsee] auf das ernstlichste und bey schwerer Leibesstrafe" zu befehlen, „daß, wann ein aus Algier und den Gegenden kommendes Schiff, es gehöre wem es wolle, durch Sturm gezwungen, oder sonst, dem Lande sich nähern solte, niemand auf solches an Boord steigen, noch daraus einen Menschen an Land treten, oder einige Waaren und Güter zu Landen bringen lassen solle, es seyn dann die Certificate davon zuvorderst bey hiesiger Unserer Regierungs=Cantzeley eingebracht."

So rief die Obrigkeit den Untertanen die Bedrohung ins Gedächtnis zurück.18 Die gebildeten Bürger taten's ihr nach: 1753 wurde in den „Schleswig-Holsteinischen Anzeigen" schon einmal prophylaktisch das Rezept eines „ohnfehlbare(n) Mittel(s) gegen die Pest" veröffentlicht.19 Nicht immer drohte die Pest von einem anderen Erdteil, manchmal war sie schon im benachbarten Land: z. B. 1756 in Polen.20 Und schließlich waren viele Menschen unmittelbar mit der Seuche konfrontiert, durchlebten eine Pestwelle oder auch mehrere an ihrem Heimatort, erfuhren sie aus nächster Nähe, am Schicksal der Nachbarn, ihrer Familienmitglieder, am eigenen Leib: die Pest als die jeweilige Gegenwart beherrschende, als akute Seuche. Uber sie brauchen eigentlich am wenigsten Worte verloren zu werden, 18 Schleswig=Holsteinische Anzeigen 1752, 513. 19 SHA 1753, 563 £ 20 Vgl. Das geheime Tagebuch des Kurprinzen Friedrich Christian von 1751 bis 1757, bearb. und eingel. v. Horst Schlechte, Weimar 1992, 251.

Einleitung

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zumal hier noch ein kleiner Abschnitt über die Pest folgt. Tagebücher und Autobiographien liefern die intensivsten Zeugnisse über diese Situation. Sie lassen ζ. B. die Gefühle aufscheinen, so wenn in einem Tagebuch plötzlich die Sprache gewechselt und der Blick ganz auf Gott gerichtet wird. Uber die privaten Aufzeichnungen wurde die Pest auch Teil des Familiengedächtnisses. Der Schweizer Kaufmann Andreas RyfFhat ζ. B. festgehalten, wie er die Seuche erlebte. Er fiel bald in ein tiefes Koma und erlangte sein Bewußtsein nur halbwegs wieder, als ein Chirurg einen Eingriff vornahm. Die Schilderungen von zwei Träumen, die er in dieser Zeit hatte, gehören zu den faszinierendsten Passagen seiner Autobiographie.21 Zu denen, welche die Pest am eigenen Leib erfuhren, gehört der Schweizer Reformator Bullinger, der Nachfolger Calvins. Wie bei anderen Zeitgenossen dringt seine Schilderang nicht unter die Hautoberfläche, er läßt keinen Blick auf seine Gefühle während dieser schweren Zeit zu, sondern faßt das Erleben hauptsächlich präzis in Maß und Zahl und exakten Zeitangaben. Selbst die schweren Schmerzen deutet er nur kurz an. „den 15. September [1564], was Frytags zu abend nach dem nachtmal, stiess mich stark an und an dreyen Orten die pestilentz (dann se rychsnet domalen Zürich) uff dem lingen schänkel vor an der dicke fast in mitten vnd am rächten Schänkel under dem knüw ussen am schänkel; das war ein anthrax vnd gar böß, und oben am selben schänkel bi der schäm was bubo ingens. Darzu schlug gross unsäglich haubt- und sitenwee, dass ich wenig schlieff tag und nacht. Die doctores d. Gessnerus, d. Cellarius und d. Wolphius sambt dem wundarzt M. loan. Muralten giengend flißig zu mir, vnd brant Muraltus mir den prästen under dem knüw. Gott aber macht gsund. ... Der prästens lag ich krank und zu bett bis um Martini, 16. Novembris tat ich erst das bett uß der stuben. Den 4. Decembris ließ ich erst Bubonen uffschniden. Der heilet nit vor 6 wuchen gar. Als ich nun 13 wuchen gelägen, vnd mich im huß enthalten hab, gieng ich den 15. Decembris was Frytag zum ersten widerumb etc22

21 Selbstbiographie des Andreas Ryff (bis 1574), in: Beiträge zur Vaterländischen Geschichte 9 (1868), 58. Vgl. auch Otto Ulbricht, Pesterfahrung: „Das Sterben" und der Schmerz in der Frühen Neuzeit, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 15 (1996), erschienen 1998, 25. Dort auch das Beispiel von Sebastian Fischer. Ein erzählerisch aufbereitetes Erleben der Pest auf der Basis eines Tagebuchs bei Peter Englund, Die Verwüstung Deutschlands. Eine Geschichte des Dreißigjährigen Krieges, Stuttgart 1998, 46-53. 22 Heinrich Bullingers Diarium (annales vitae) der Jahre 1504-1574, hrsg. von Emil Egil, Basel 1904, 76 f ; 77.

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Die am eigenen Körper erlebte Pest war nicht alles: Während seiner Erkrankung verlor Bullinger seine Frau, seine Tochter, seinen neugeborenen Enkel und seinen Schwager und dessen Kinder. Ob als bewußt überlieferte öffentliche Erinnerung, ob Gedenkstein, Pestkreuz, Kapelle, ob als Trost und Hoffnung versprechende Heilige der Kirche oder als Gebete und Lieder, ob als Seuche, die aus der Nähe oder Ferne drohte, oder als Krankheit, die täglich in der engsten Umgebung ihre Opfer forderte, die den eigenen Leib angriff- die Pest gehörte zur frühen Neuzeit wie das Amen in der Kirche.

2. Erinnerung an die Pest heute Im heutigen kollektiven Gedächtnis hat diese Seuche einen beachdichen Stellenwert. Die Erinnerung an die großen Pestwellen reicht bis in das letzte Jahrhundert, ja bis in dieses, besonders in Erinnerung gerufen durch die Möglichkeit biologischer Kriegführung und des Einsatzes von solchen Waffen durch Sekten und Terroristen. 1962 wurde die hessische Landbevölkerung nach der größten Katastrophe in der Geschichte gefragt. An erster Stelle wurde angeführt: der Dreißigjährige Krieg und die zweite große Pest, d. h. die während dieses Krieges.23 Dieses auf den ersten Blick überraschende Ergebnis - eigentlich würde man den Schwarzen Tod von 1347-1352 erwarten - ist vielleicht darauf zurückzufuhren, daß die hessischen Gebiete von Krieg und Pest in jener Zeit besonders hart betroffen waren. Zur Erinnerung beigetragen haben wahrscheinlich auch die Forschungen von Landeshistorikern, die z. B. für Friedberg in der Wetterau oder für Südhessen im Dreißigjährigen Krieg Chroniken und Selbstzeugnisse sammelten und in den Druck brachten.24 Immer wieder wird z. B. will man die Greuel des Krieges schildern - die Chronik des Pfarrers Minck herangezogen, der auch für die Pest erschütternde Passagen liefert.25 Wer einmal gelesen hat, wie eine in Verwesung übergegangene Pestleiche, deren Bestattung 23 Vgl. Benigna von Krusenstjern/Hans Medick, Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, 34. 24 Vgl. Die Chroniken von Friedberg in der Wetterau, hrsg. von Christian Waas, Friedberg (Hessen) 1937; Südhessische Chroniken aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, bearb. von Rudolf Kunz und Willy Lizalek, Heppenheim 1983; außerdem: Aus tiefer Not. Hessische Briefe und Berichte aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, gesammelt und erläutert von Fritz Hermann, Friedberg 1914. 25 Zuletzt Ronald G. Asch, The Thirty Years War. The Holy Roman Empire and Europe, 1618-1648, Basingstroke - London 1997, 179 f.

Einleitung

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der Pfarrer angemahnt hatte, ihm vor die Tür gelegt wurde, so daß er sie selbst begraben mußte, wird diese Szene so leicht nicht vergessen. Aber die Erinnerung an die Pestwellen der frühen Neuzeit hat sich in einzelnen Gebieten auch auf ganz andere Weise bis in das letzte Jahrhundert gehalten. Durch den katholischen Glauben zieht sich eine Traditionslinie bis in das 20. Jahrhundert und darüber hinaus. Ein schönes Beispiel dafür sind die Prozessionen. Sie machen klar, daß die Pest zum kulturellen Gedächtnis gehört, oder, wie man heute sagt, ein „Erinnerungsort" ist. Daß sich ihre Bedeutung, ihr Charakter und ihre Qualität im Laufe der Zeit verändert haben, versteht sich von selbst. Die Reproduktion von Kultur ist nun einmal kein Weiterreichen des immer Gleichen. In Bingen konnten sich die Einwohner ab 1677 alljährlich der Prozession zur Rochuskapelle anschließen oder auch nur den Straßenrand säumen.26 Als die Kapelle nach ihrer Zerstörung 1814 neu eingeweiht wurde, mischte sich ein prominenter Deutscher unter die heranziehenden Gläubigen, gleichsam in teilnehmender Beobachtung: „Als man die heiteren weißen Namenszüge des Heiligen überall so wohltätig beschäftigt sah, mußte man sich fast schämen, die Geschichte desselben nicht genau zu wissen, ob man gleich sich recht gut erinnerte, daß er, auf alles irdische Gut völlig verzichtend, bei Wartung von Pestkranken auch sein Leben nicht in Anschlag gebracht habe. Nun erzählte die Gesellschaft, dem Wunsche gefällig, jene anmutige Legende, und zwar um die Wette, Kinder und Eltern sich einander einhelfend."27

Neben die Visualisierung trat hier das lebendige kollektive Gedächtnis, vielleicht nur bruchstückhaft vorhanden („einander einhelfend"), denn der „Feldforscher" sah sich nicht in der Lage, das Erfahrene festzuhalten: „Ein Versuch, die Geschichte, wie ich sie gehört, gesprächsweise aufzuzeichen, wollte mir nicht gelingen."28 In Bingen war die Pest um diese Zeit eine historische Erscheinung; in der Pfalz waren um 1814 ca. 150 Jahre seit dem letzten Seuchenzug vergangen. Die Prozessionen wurden aber auch im folgenden Jahrhundert weitergeführt. In einem Aufsatz aus dem Jahre 1961 heißt es:

26 Vgl. Mann, 521. 27 Goethes Werke, Bd. 11, kommentiert von Waltraut Loos und Erich Trunz, 7. neubearb. Aufl. München 1981, 417. 28 Ebd., 418.

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Otto Ulbricht „In weiten Teilen des einstigen Erzbistums Mainz, einem Gebiet gleichgebliebener religiöser Erziehung und Führung, wird bis in unsere Tage die Erinnerung an die letzten großen Züge der Pest im 17. Jahrhundert lebendig gehalten. Pestprozessionen, Pestwallfahrten, von den Vorfahren in schwerer Seuchennot gelobt, fuhren Jahr für Jahr immer noch Tausende von Menschen zusammen. Pestkreuze, Bilder und Statuen der Pestheiligen St. Sebastian und Rochus ..., Pestkapellen sind meist Stationen und Ziel ihrer Gelöbnis- und Bittgänge."29

Über Westfalen und Lippe wissen wir aufgrund einer neueren Studie mehr. Bewußt wurden in einzelnen katholischen Orten bis in die 1950er Jahre Prozessionen abgehalten. Bis ungefähr 1956 wurde in Lüdinghausen ein Pestsegen gesprochen. Mindestens bis 1977 gab es eine solche Pestprozession in Attendorn. Im Pfarrbrief dieses Ortes vom 21. August jenes Jahres heißt es: „Heute ist die von unseren Vorvätern gelobte Pestprozession im Anschluß an die Eucharistiefeier."30 Neben diesen nur lokal oder regional bekannten religiösen Bräuchen steht die weltberühmteste Gedenkfeier, das Oberammergauer Passionsspiel, das seit 1634 in Erinnerung an die Pest von 1633 alle zehn Jahre von Laienschauspielern aufgeführt wird - mit Zwischenspielen zur Vorbereitung.31 Allerdings: nicht immer hat, was nach allgemeiner Meinung auf die Pest zurückzuführen ist, tatsächlich seinen Ursprung in dieser Seuche. Überlebt hat auch eine andere Erscheinung der Pestjahre des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit: die (Begräbnis)Bruderschaften. Für sie mag beispielhaft eine aus der Schweiz stehen. Im schweizerischen Rheinfelden gelobten 1541 die zwölf Männer der Sebastiani-Bruderschaft, spätmittelalterlichen Vorbildern folgend: Ich schwöre, „keinen meiner Brüder in Noth und Tod zu verlassen und nach Kräften Allen denjenigen beizustehen, die von der Pest - wovon uns Gott, und unsere heiligen Patronen 29 Mann, 516. 30 Zitat nach Ute Weyand, Neue Untersuchungen über Lepra-und Pesthäuser in Westfalen und Lippe, Versuch eines Katasters, Diss. med. Bochum 1983, 87. 31 Vgl. James Shapiro, Oberammergau: The Troubling Story of the World's most Famous Passion Play, London 2000; Dietz-Rüdiger Moser, Ein Kreuz, das schreit..., in: Literatur in Bayern 53 (1998), 58 f. über das Stück „Pest 1633", aufgeführt 1998. Zum Jahr 1633 und der Pest vgl. Erwin Naimer, „... und haben die Passios-Tragedie alle 10 Jahre zu halten verlobet...". Die Oberammmergauer „Pestmatrikel" und das Passionsspiel, in: Beiträge zur altbayerischen Kirchengeschichte 44 (1999), 42, 59. Aufgrund der Quellenlage scheint es mir schwer zu entscheiden, ob, wie Naimer meint, es 1633 gar keine Pest gegeben habe oder doch; sicher ist aufjeden Fall, daß sich die Pest als GriindungsmyiÄos gut eignet.

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Das Spie! v o m ObornnWK'rgauêKl'assion^gelôlînis

PEST 1633

Plakat für das „Pestspiel" zur Vorbereitung der Oberammergauer Passionsaufiuhrung 2000

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Otto Ulbricht verschonen mögen - befallen werden sollten. Ich gelobe gleich meinen Brüdern, wann es Noth thun sollte, die Leute von den Gassen und Strassen wegzuschaffen, und die selben zu beerdigen helfen. Doch wolle uns Gott, Maria, die Mutter Jesu, und unser Fürbitter, St. Sebastian, vor allem Übel gnädigst bewahren." 32

Die Hauptaufgabe der Bruderschaft, die sich noch heute jedes Jahr am Sebastians-Tag zum feierlichen Gottesdienst um den Sebastians-Altar der Stadtkirche versammelt, besteht in der Gegenwart zwar im Brunnensingen zur Weihnachtsund Neujahrszeit; doch hält sie - inzwischen selbst zum Ausstellungsgegenstand geworden - einen Rest Erinnerung an die Seuche in ihren Liedern wach: „Wir wünschen Euch zum neuen Jahr den Heiligen Sebastian. Dass er in Krieges-, Pest-, und Todsgefahr mit seiner Fürbitt uns wolle beistehn."33 Doch haben die beiden Pestheiligen Sebastian und Rochus, so ein führender Vertreter der Historischen Demographie, keine Existenzgrundlage mehr - danach wäre davon auszugehen, daß die lebendige Erinnerung an sie bald ganz verschwindet.34 Aber die Erinnerung an die Pest hat sich auch tief in den Sprachgebrauch eingeschrieben. Ohne weiter nachzudenken gebrauchen wir heute noch viele Ausdrücke, die auf die Pestzüge zurückzuführen sind. Man spricht von verpesteter Luft, was an die Miasma-Theorie erinnert, oder man sagt, es stinkt wie die Pest, was entweder an Pestkranke erinnert, über die es manchmal dergleichen Aussagen gibt,35 oder - eine Verschiebung - wiederum an die schlechte Luft, den Gestank, der von den Menschen der frühen Neuzeit als gefahrlich - weil die gesunde Luft verpestend - angesehen wurde. Allerdings gibt es auch schon früh Beispiele für den gezielten metaphorischen Einsatz des Wortes „Pest". Die Pest „als Metapher für das Verderben schlechthin"36 konnte als Charakterisierung der unterschiedlichsten Erscheinungen dienen. So wurde z. B. die Hexenverfolgung

32 Klaus Heilmann, Zwölf ehrbare Männer ..., in: Pest und Sebastiansbruderschaft, in: Rheinfelder Neujahrsblätter 53 (1997), 35; Heinz Weber, „Verlässlichkeit, die an Bedeutung gewinnt", in: ebd., 49-51, bes. 50. 33 Heilmann, 39. 34 Vgl. Arthur E. Imhof Die Lebenszeit, München 1988, 190-193, 346 f. 35 Genau: über deren Stuhlgang, vgl. Andreas Christian Diderich, Historia Pestis, Das ist: Umständlige Beschreibung Wie die Pest und das Flekk=Fieber sich aufffiihren (so), Hamburg o. J., 69 £ 36 Werner Welzig, „Weheklagen in Wien". Abraham a Sancta Claras Beschreibung der Pest von 1679, in: Tätigkeitsberichte der Osterreichischen Akademie der Wissenschaften 2 (1978/79), 28.

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von einem kritischen Zeitgenossen 1613 mit der Pest verglichen.37 Oder die angeblich alles gefährdende Verderblichkeit eines Gegners wurde auf diese Weise ebenso plastisch wie drastisch zum Ausdruck gebracht. So sprach man nach der Luther-Pest von der Pietisten-Pest, während die entschiedenen Pietisten selbst meinten, sich in einem Pesthause zu befinden.38 Und natürlich wurden Juden und Pest zusammengebunden. Den Wegelagerer und Spitzbuben Martin Krumm läßt Lessing sagen: „Ach mein lieber Herr, wenn Sie wollen Glück und Segen in der Welt haben, so hüten Sie sich vor den Juden ärger als vor der Pest."39 Im Dritten Reich verzichtete man auf den Vergleich und und setzte beides in eins. Juda ist die Weltpest,"40 also die apokalyptische Katastrophe globalen Ausmaßes, so begründeten die Nationalsozialisten die Judenverfolgung und -Vernichtung. Doch ging der Bezug auf reale Infektionskrankheiten im Krieg nicht verloren: Mit dem Hinweis auf (angebliche) Seuchengefahr wurden ganze Judenviertel im Osten liquidiert.41 Diese Hinweise auf das Hineinragen der Pest in die Gegenwart sind keineswegs vollständig - man denke nur an die Bezeichnungen von Örtlichkeiten42 - sie genügen aber, um diesen Punkt zu verdeudichen.

3. Bedeutung der Pest Zurück zu den Zeitgenossen. Eines ist klar: Mochten sie auch durch steinerne Zeugen an vergangene Pestzüge erinnert werden, mochten sie sich auch vor 37 Vgl. H. C. Erik Midelfort, Witch-hunting in Southwestern Germany 1562-1684, Stanford 1972,104. 38 „Seht ihr noch nicht, daß ihr gar nichts ausricht / ihr die ihr so gerne wolltet heilen? Wollt ihr in dem Pesthause noch verweilen? Seht, daß euch der Patiente nicht noch den Hals bricht!" Gottfried Arnold, Babels Grablied, „lyrischer Höhepunkt radikalpietistischer Kirchenkritik", zitiert nach Johannes Wallmann, Der Pietismus, Göttingen 1990, O 91. 39 Gotthold Ephraim Lessing, Die Juden, in: ders., Werke 1743-1750, hrsg. von Jürgen Stenzel, Frankfort am Main 1989, 453. 40 Eberhard Jäckel, Hitlers Weltanschauung. Entwurf einer Herrschaft, erw. u. Überarb. Aufl. Stuttgart 1981, 68. Auch als „Pestilenz" bezeichnet Hitler die Juden. Vgl. ebd., 70. 41 Vgl. Raul Hilberg, Die Vernichtung der europäischen Juden, Bd. 2, Frankfurt am Main 1990, 345; Dieter Pohl, Die Holocaust-Forschung und Goldhagens Thesen, in: Vierteljahresschrift fur Zeitgeschichte 1997, 28. 42 So trägt noch heute ein Haus in Xanten die Bezeichnung Pesthäuschen, vgl. den Beitrag von Otto Ulbricht in diesem Band, S. 101, Anm. 17; in Annaberg gibt es einen Pestturm und ein Pesttor auf dem St. Trinitatisfriedhof, vgl. Hans Burckhardt, Wolfgang Uhle, Pestpfarrer von Annaberg, o. O., o. J. (1995), 48 f.

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neuen noch so sehr furchten: völlig beherrschend war die Pest jedoch, wenn sie sich in einem Ort ausgebreitet hatte. Es gibt keinen Zweifel darüber, daß sie allein von der Zahl der Toten erschüttert waren. Doch mit dem Blutzoll und mit dessen häufiger Wiederkehr war eine Vielzahl von Problemen unterschiedlichster Art verbunden, die sich beileibe nicht nur auf die Demographie beschränkten. Was die Pest fur die Menschen bedeutete, kann man nicht beantworten, wenn man nur nach der Zahl der Pesttoten fragt. Für die Menschen erschöpfte sich das Erlebnis der Seuche nicht in rudimentärer Statistik,43 waren massive Bevölkerungsverluste nicht nur nüchterne Zahlen, die Toten nicht nur Zähleinheiten, beschränkte sich überhaupt das Erlebnis der Pest nicht auf den Tod von Menschen. Sie sahen in Pestzeiten oft wirtschaftlicher Not in die Augen, ersannen ungewöhnliche Handlungen der Selbsthilfe, bestanden hartnäckig auf der Aufrechterhaltung von religiös-zünftischen Riten, sorgten sich um ihr Seelenheil, wurden zu Selbsterkenntnis gezwungen, durchliefen psychische Krisen und vieles andere mehr. Genau aus diesen Gründen - und weiteren, noch zu nennenden, die nicht vorrangig in der subjektiven Perspektive liegen - ist es auch notwendig, die Pest in eine Alltags- und Kulturgeschichte der Zeit zu integrieren und sie nicht als medizinhistorisches oder bevölkerungsgeschichtliches Phänomen beiseite zu schieben. Aber zuerst einmal zur Einordnung der Pest und den Zahlen. Die Pest war die schwerste, die alles beherrschende Seuche der Frühen Neuzeit. Sicher gab es zwischen dem beginnenden 16. und dem 18. Jahrhundert - zwischen 1502/ 05 und 1709-13 im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation - auch andere schwere Epidemien, mit denen sich die Menschen immer wieder konfrontiert sahen. Das Fleckfieber, das gewisse Überschneidungen in der Symptomatik mit der Pest aufwies (von gleichzeitigem Auftreten gar nicht zu reden)44, die rote Ruhr, die dann und wann zeitgleich mit der Pest auftrat wie in Schweinfurt 1597 oder ihr unmittelbar folgte wie in Ülzen 1599; die Syphilis, die Malaria, und immer wieder die Pocken, die ganze Generationen verunstalteten. Zu diesem so ganz anderem Ensemble - im Vergleich zu heute - traten noch Seuchen, die nur ein oder wenige Male ihren tödlichen Umzug hielten, wie z. B. der englische Schweiß 1529 oder die ungarische Hauptkrankheit.

43 Schon relativ früh ließen die Magistrate der Städte auch in Deutschland Totenlisten anfertigen. 44 Bernhard Schretter, Die Pest in Tirol 1611-1612, Innsbruck 1982, diagnostiziert die behandelte Pest als Fleckfieber. Vgl. auch den Beitrag von Kathrin Boyens in diesem Band, S. 304, Anm. 24.

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Die Pest jedoch war die „Seuche schlechthin"45 - und so ist es nur allzu verständlich, daß „Pest" oder „Pestilentz" auch die Bezeichnungen fiir jede Art von Epidemie waren - zum Leidwesen vieler Historiker heutzutage. Weil keine Seuche soviele Opfer forderte wie sie, war sie es, die im Vordergrund des Bewußtseins der Zeitgenossen stand, war sie es, die sie besonders fürchteten. Kein Wunder, daß die Autoren sie durch entsprechende Adjektive charakterisierten: - „erschröcklich" wurde sie genannt, „grausam"46 oder auch „abscheulich".47 Oder, um einen Autor des 17. Jahrhunderts zu Wort kommen zu lassen, der Metaphorik schätzte: „Die Pest ist eine sonderliche Rute vnd flagellum Gottes ... deßwegen sie auch vnter allen kranckheiten die grawsamste vnd erschrecklichste ist/ welche als ein grimmiges wütendes Thier ... die Menschen anfallet ... und erbärmlicher weise auffreibet."48 Die Zahl der Toten war in der Tat „erschrecklich". Forschungen fur mitteldeutsche Städte und Dörfer haben für den Zeitraum von 1597 bis 1682 eine große Schwankungsbreite in der errechneten Mortalität ergeben - sie lag zwischen 14% und 53%.49 Schon der Tod von 14% der Bevölkerung innerhalb von knapp zwei Jahren - meist lebt die Seuche nach dem Zurückgehen im Winter des nächsten Jahres wieder auf - bedeutet einen tiefen Einschnitt, um so mehr gilt dies, wenn die Hälfte der Bevölkerung starb. Das ist so einschneidend, daß man es in der Tat „erschröcklich" nennen kann, auch wenn man schon lange mit der Pest lebte. Für einzelne Städte liegen ziemlich genaue Berechnungen vor, die vielleicht Zahlen aus dem mittleren Bereich darstellen: Ca. 33% der 45 Erich Woehlkens, Pest und Ruhr im 16. und 17. Jahrhundert. Grundlagen einer statistisch-topographischen Beschreibung der großen Seuchen, insbesondere in der STADT UELZEN, Uelzen 1954,18. 46 Vgl. ζ. B. Adam Schilling, Wie man sich inn der grausamen unnd erschröcklichen Plage der Pestilentz bewaren, auch so jemand damit behafitet, mit Göttlicher Verleihung und gnaden demselben soll gerathen werden, Nürnberg 1575; zahlreiche Beispiele für die Verwendung dieser Adjektive könnten angeführt werden. 47 Abscheulich: dieses Wort findet sich ζ. B. in einer Verordnung des Augsburger Rats von 1627; Vgl. Karl Fries, Die Pest in Augsburg im dreissigjährigen Krieg, Augsburg 1887, 17. 48 Arnold Kerner, ΛΟΙΜΟΑΓΓΑ'. Das ist: Kurtzer/ doch gründlicher Diseurs, Von der gifitspeyenden Seuche der Pestilentz, Leipzig 1626, 9. 49 Georg v. Knorre, Susanne Paasch, Die Pest in Mitteldeutschland im 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für die gesamte innere Medizin 36 (1981), 529. Ein wesentliches Problem liegt bekanntlich darin, daß die Einwohnerzahlen nicht bekannt sind und durch Multiplikation mit einem bestimmten Faktor geschätzt werden. Hinzu kommt, was des öfteren nicht in Betracht gezogen wird, daß bei einer Pestwelle einer alten Anweisung gemäß eine ganze Reihe von Einwohnern flohen.

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Bevölkerung betrug die Zahl der Toten (wörtlich zu nehmen, also nicht nur Pesttote) während der Pest von 1597 in Ülzen, 5 0 31% in Basel 1611, 51 ca. 25% fur die drei Städte Königsbergs 1709-10 5 2 und etwa 18% in Stade 1712/13. 5 3 D o c h auch solche Durchschnittszahlen täuschen insofern, als oft bestimmte Stadtviertel, nämlich die der Armen, ganz besonders hart betroffen waren. Ein besonderes Problem war die geschlechtsspezifische Verteilung der Toten, über die schon Zeitgenossen unterschiedliche Angaben machten. Ihm wendet sich Esther Härtel in ihrem Beitrag über Frauen und Männer in den Pestwellen der Frühen Neuzeit zu, wobei sie über die einfache biologische Einteilung der Demographen hinausgeht, indem sie die sozio-kulturellen Aspekte der Kategorie „Geschlecht" einbezieht (ohne die medizinhistorischen zu vernachlässigen). Die unterschiedlichen Angaben über die Gesamtverluste weisen auch auf einen wichtigen Punkt hin, der die Einstellungen der Menschen jener Zeit mitprägte: für sie war eben nicht j e d e Pest gleich. Eine herannahende Pestwelle konnte glimpflich vorübergehen, nur relativ wenige T o t e fordern, oder auch zu den gefurchteten Massengräbern fuhren. E s war eben anders, als es sich heutige Autoren trotz der Ergebnisse der Pestforschung immer wieder vorstellen, für die Pest und Panik unmittelbar zusammenhängen und die Bevölkerung bei jeder Pest sofort in Angst und Schrecken die Flucht ergriff 5 4 Z u einem gewissen Maß an Gewöhnung 5 5 gesellte sich im Laufe der Zeit bei vielen eine genaue Beobachtung und damit ein gewisses Abwarten. Natürlich schätzte man die L a g e nicht immer richtig ein: „Ich habe wohl tausendmahl beklaget, daß ich dieser herrlichen Anhänge [Amulette] nicht viel gehabt, denn niemand meynte bey uns, daß wir würden die Contagion so plötzlich bekommen, wie geschehen." 5 6 Aber man bildete sich eine Meinung von d e m Fortgang und der Schwere des Seuchenzuges.

50 Woehlkens, 138. 51 Valentin Lötscher (Hrsg.), Felix Platter. Beschreibung der Stadt Basel 1610 und Pestbericht 1610/11, Basel - Stuttgart 1987, 38, 507. 52 Wilhelm Sahm, Geschichte der Pest in Ostpreußen, Leipzig 1905, 72. 53 Vgl. die umsichtige Studie von Stefan Kroll, Die Pest in Stade 1712 und ihre Opfer, in: Stader Jahrbuch 80 (1990), 47-67. 54 Z. B.: „Sobald sich die Seuche ankündigt, brechen die Reichen Hals über Kopf nach ihren Landgütern auf; jeder denkt nur noch an sich." Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. 1, Der Alltag, München 1985, 83. 55 Sie klingt an, wenn im 17. Jahrhundert, vor allem in der zweiten Hälfte, immer häufiger die Rede von der „leidigen Seuche der Pest" ist. Vgl. dazu unten, S. 54, Anm. 189. 56 Matthäus Gottfried Purmann, Der Aufrichtige und erfahrne Pest=Barbierer, Breslau 1738, 75.

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Das weitgehende Desinteresse der Allgemeinhistoriker wie auch breiter Kreise der Sozialhistoriker für die Pest in der Frühen Neuzeit wäre noch verständlich, wenn es sich um eine einmalige Erscheinung gehandelt hätte. Aber gerade das war nicht der Fall. Sie kam mit einer gewissen Regelmäßigkeit immer wieder, sie gehörte zum Leben eines jeden Zeitgenossen. So im 16. Jahrhundert, dann gehäuft während des 30jährigen Krieges, während sie erst im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in einigen Regionen zurücktrat. Mitteldeutschland jedoch (und bekanntlich Wien) und, am Anfang des 18. Jahrhunderts, Nordostund Norddeutschland sahen noch weitere schwere Pestzüge. Ein Blick auf das 16. Jahrhundert läßt die Häufigkeit des Auftretens besser erkennen. In dieser Zeit suchten schwere Pestwellen im Rhythmus von ca. 10 bis 20 Jahren weite Teile Deutschlands heim. 1502 bekam Friedrich der Weise, frommer sächsischer Kurfürst, den Pestheiligen Sebastian geschenkt: es war das Jahr einer beginnenden größeren Pestwelle.57 1519/20 schrieb der Freiburger Humanist Zasius, daß er im Gottvertrauen noch scherzen könnte: er korrespondierte inmitten der Pest von 1519/20, die ihm seine Frau nahm und fast auch seine Töchter.58 Von Hermann von Weinsberg wissen wir, daß er in der Pestwelle von 1541-43 sich oft die Ader schlagen ließ und dadurch das Geblüt erfrischte. Er gebrauchte außerdem „viel Weihrauch, Knoblauch, Essig, Pestilenzpillen, Theriak und dergleichen Mittel, räucherte auch ständig die Gemächer mit Wacholder und anderem guten Räucherwerk und unser Herrgott hat sich meiner erbarmt, daß ich bin gesund geblieben."59 „Der grosse Sterbendt" nannte der Basler Arzt und Pestbeobachter Felix Platter die schwere Pestwelle der sechziger Jahre nach der in der Bevölkerung üblichen Bezeichung.60 In der ersten Hälfte der siebziger Jahre, bald nach der großen Hungerkrise von 1570-71, war

57 Ich verzichte hier auf präzise Zahlenangaben, da die jeweilige Welle unterschiedliche Orte zu unterschiedlichen Zeiten erreichte. Chronologien bei Woehlkens, 150 f.; JeanNoel Biraben, Les hommes et la peste en France et dans les pays européens et méditerranéens, t. 1, Paris - La Haye 1972, 410-415 fur die Frühe Neuzeit; Erich Keyser, Die Ausbreitung der Pest in deutschen Städten, in: Ergebnisse und Probleme moderner geographischer Forschung. Hans Martensen zum 60. Geburtstag, Bremen-Horn 1954, 207-215; Bernhard Maximilian Lersch, Geschichte der Volksseuchen, Berlin 1896. 58 Vgl. Joachim Wollasch, Hoffnungen der Menschen in Zeiten der Pest, in: Historisches Jahrbuch 110 (1990), 48-50. 59 Das Buch Weinsberg. Aus dem Leben eines Kölner Ratsherrn, hrsg. von Johann Jakob Hässlin, 4. Aufl. 1990,121. 60 Siben regirende Pestilentzen, in: Rose Hunziker, Felix Platter als Arzt und Stadtarzt in Basel, Zürich 1938, 48.

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es dann schon wieder soweit: Der Nürnberger Rat veröffentlichte eine neue Sterbeordnung: Zeichen einer (schwächeren) Pest. Die Pest der 1580er Jahre (1585) offenbarte in der Reichsstadt zahlreiche Mißstände bei deren Bekämpfung. Das letzte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, sowieso in besonderem Maße krisengeschüttelt, brachte eine schwere Pestwelle um das Jahr 1597 herum: Die zahlreichen theologischen und medizinischen Pesttraktate dieses Jahres spiegeln die Stärke des Ausbruchs wider. In den folgenden vierzig Jahren des nächsten Jahrhunderts blieb der Abstand zwischen den einzelnen Ausbrüchen durch den Krieg kurz. Viele Menschen erlebten also mehr als eine Pestwelle, und wem ein langes Leben geschenkt wurde, der wußte von einer ganzen Reihe von Erfahrungen mit der Seuche zu erzählen. So z. B. der bereits erwähnte Hermann von Weinsberg. Der Kölner Autobiograph hatte zwar von dem Tod seines Großvaters Gottschalk in der Pest von 1502 nur von seinen Eltern gehört, aber ihm selbst sollte die Erfahrung mehrerer Pestwellen nicht erspart bleiben. Die Epidemie von 1541/42 führte bei ihm zu der Selbsterkenntnis, daß er nicht den Mut zur Solidarität in Notzeiten und Todesgefahr hatte: Während nämlich andere bei seinem an der Pest erkrankten Onkel blieben, beschränkte er sich auf einen tröstenden Brief Bei diesem Pestzug mußte er auch noch den Tod seiner Schwester Agnes hinnehmen. 1553 erkrankten sein Schwager Johann und seine Schwester Katharina an dieser Seuche, die beide überlebten; Weinsberg verlor aber seine Schwägerin. Gut zehn Jahre später, 1564, starb sein einziges Kind, eine uneheliche Tochter, an der Epidemie. Eindringlich schildert er das Leiden und Sterben seines Bruders Christian an dieser Seuche. Diese Beispiele genügen, um die Bedeutung der Pest im Leben des einzelnen zu demonstrieren.61 Häufigkeit und Opfer aus der Perspektive einer Person können ergänzt werden durch Momentaufnahmen, welche die Bedeutung der Pest für die einzelnen Familien unterstreichen: Der Ulzener Kleinschmied Tonies Bruns, in zweiter Ehe verheiratet, und seine Frau verloren in der Pestepidemie von 1597 sieben Kinder, Anfang Juli, am 5., 6., 8. und 9., wurden zwei Söhne und zwei Töchter begraben, zwischen dem 12. und dem 23. mußten noch einmal drei Kinder zum Friedhof getragen werden.62 Unbekannt ist, wieviele Kinder die Familie hatte aber sieben tote Kinder bedeuten mehr als ein plötzlich stilles, leeres, der Lebendigkeit beraubtes Haus. Der Tod der Kinder wirft nicht nur die Frage nach der altersspezifischen Sterblichkeit während Pestwellen auf sondern er wirft vor allem die Frage auf wie ein derartiger Verlust psychisch bewältigt wurde, wel61 Das Buch Weinsberg, 16 f, 121 f, 234-239, 313, 316-318. 62 Vgl. Woehlkens, 58.

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che Auswirkungen er auf die Religiosität und das Lebensgefuhl hatte. Sie ist um so wichtiger, als die alte Antwort auf die Frage nach der Bewältigung der hohen Kindersterblichkeit in der Frühen Neuzeit, nämlich daß die Eltern mit Gleichgültigkeit reagiert hätten, allgemein nicht mehr akzeptiert wird. Die aus demographisch ausgerichteten Studien gewonnenen Angaben wie die über das Leid von Tonies Bruns und seiner Frau können durch autobiographische Zeugnisse ergänzt werden. Bartholomäus Sastrows Bericht über den Tod seiner Mutter ist zwar nicht der eines Augenzeugen, auch sind die wörtlichen Reden natürlich nicht authentisch, aber doch wohl dem Sinn nach wahr. Sie übermitteln weit mehr von der Atmosphäre als alle demographischen Angaben. „Diese meine Schwester ist midt meiner seligen Mutter vnnd meinen noch zwo Schwestern, Magdalenen vnnd Catharinen, Anno 49, daßmal die Pestilentz heftig zum Sundte vnnd darumb her grassierte seliglich entschlafen; meine Mutter Lunae III. Julij im Mittag puncto 2; als meine Schwestern bitterlich geweinet, denselben sie gesagt: „Was weinet ihr? Betet viel lieber, daß Gott mihr meine Peine gnediglich wolle kurtzen," vorscheidete. Gerdrut, meine jüngste Schwester, entschlieff seliglich vorth den 16. Julij Solis, des Morgens frue umb 2; vnnd meine altiste vnausgesteuerte Schwester Magdalena hatte es auch all, daß es jr thun wurde; stunt gleichwoll aus dem Bette, schlus auf, vnnd thete nicht allein Gerdruten Toedt=Hembde vnnd Laken aus, sondern auch das man jr vmb vnnd ahn thun sollte, vnnd befahll, wen Gerdrut begraben, nur das Grab offen zu lassen, mit Erde etwas zu bedecken, vnnd sie neben Gerdruten setzen lassen solte; legt sich wieder zu Bette, bis den andern Tag, nachdem Gerdrut begraben. Martis XVIII. Julij hora 10 auf den Abendt starb meine Schwester Magdalena.... Dis schrieb mihr meine Schwester Catharin zween Tage vor jrem Toedt, den 9. Septembris, als sie den 11. verschidete, vnnd das es mit jr auch dahin gewant, wer' all auf dem Wege, der Mutter vnnd den Schwestern zu folgen; sie were es nur beging, vormante mich, das ich mich nicht gremen solte."63 Diese Blickwendung auf den Tod und das Begräbnis, eine gewisse Aufgehobenheit in dem Befolgen ritueller Vorschriften, findet sich auch anderswo. Deutlich wird auch, daß manches Geschlecht sich durch die Pest in seiner Existenz gefährdet fühlen konnte und entsprechend - durch Wiederverheiratung - reagierte.64

63 Bartholomäi Sastrowen Herkommen, Geburt und Lauff seines gantzen Lebens, hrsg. und erläutert von Gotti. Christ. Friedr. Mohnike, Th. 1, Greifswald 1923,26 £ Die Namen der Schwestern sind im Original gesperrt gedruckt. 64 Vgl. Monika Höhl, Die Pest im Spiegel Alt-Hildesheimer Chroniken, in: Alt-Hildesheim 61 (1990), 348 fur die Familie Brandis.

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Sicher - die Konzentration auf das Leid ist gerechtfertigt, es hatte eindeutig das Ubergewicht. Es wäre aber eine Perspektivenverengung, ausschließlich darauf zu sehen. Die Situation war weit komplexer; war der Anlaß vielfaltiger Erfahrungen. Z. B. die Erfahrung, daß es immer wieder Menschen gab, die sich eine solche Situation zu Nutze machten, Pest-Gewinnler sozusagen. Ich möchte jetzt gar nicht auf die gern erörterte Frage, ob sich nach einer Pestwelle fur viele die Möglichkeit bot, das begehrte Bürgerrecht einer Stadt zu erwerben (oder ein Erbe zu übernehmen) eingehen. Auch nicht ausführen, daß die Pest fur manche zum unverhofften Glücksfall wurde: Endlich konnten sie eine freigewordene Stelle übernehmen, auf die sie sonst noch lange Jahre hätten warten müssen. Abraham Winkler z. B. hatte sein Theologiestudium längst beendet, aber eine Stelle fand sich erst, als ein Pastor der Pest zum Opfer fiel.65 Vielmehr soll hier kurz auf Gruppen verwiesen werden, die sich die Situation (auch ihre Position) zunutze machten. Von den Totengräbern, die ihre gefahrliche Aufgabe ausnutzen konnten und welche die gefurchteste Gruppe in Pestzeiten darstellten, ist in dem Beitrag von Boris Steinegger, „Es ist keynne süsse arbeit... inn solchergeschwinden ferlichen gießt" m diesem Band die Rede. In seiner Analyse eines Prozesses gegen einen Totengräber zeigt er die Macht des Vorurteils, des Gerüchts und die teils hilflosen, teils illegalen Versuche des Totengräbers, sich dagegen zu wehren. Ganz ähnliches gilt für die Totenträger. Aber auch im medizinischen Bereich gab es besondere Möglichkeiten. Immer wieder tauchen in Pestzeiten Heilkundige auf, die Hilfe anbieten, so z. B. in Bayreuth 1602 ein Bauer, der durch „Anhenken und Segnen" Schutz gegen die Seuche versprach.66 In Köln wurde eine Reihe von Menschen, die behaupteten, ausgezeichnete Kenntnisse in der Bekämpfung der Pest oder ein besonderes Mittel gegen sie zu besitzen und die den Mut hatten, sich der Überprüfung durch die medizinische Fakultät zu stellen, prompt zurückgewiesen.67 Die Flugschriftenmacher sahen die Möglichkeit zum großen Geschäft: Sie übertrieben die erschütternden Nachrichten noch, reicherten sie mit Gruselgeschichten an, so daß die Räte der Peststädte - immer darauf 65 Merkwürdige Lebensgeschichte Abraham Winklers, in: Blätter aus der sächsischen Schweiz, 1805, 52. 66 Zwanziger [kein Vorn, genannt], Bericht des Spitalpredigers Justus Zimmermann über die Pest des Jahres 1602 zu Bayreuth, in: Archiv für Geschichte und Altertumskunde von Oberfranken 24 (1909), 141. Vgl. auch Charlotte Bühl, Die Pestepidemien des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit in Nürnberg (1483/84 bis 1533/34), in: Rudolf Endres (Hrsg.), Nürnberg und Bern. Zwei Reichsstädte und ihre Geschichte, Erlangen 1990, 143. 67 Vgl. Rudolf Creutz, Pest und Pestabwehr im alten Köln, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 14 (1932), 108.

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bedacht, schnell wieder als pestfrei angesehen zu werden - gegen sie vorzugehen versuchten.68 Eine weitere Erfahrung waren die Kriminellen, die in verlassene Häuser gingen und sich aneigneten, was zurückgelassen worden war.69 Zur vorgestellten (oder tatsächlichen) Ausnutzung der spezifischen Situation der Pest, wie Boris Steinegger sie schildert, gehört auch, daß die Seuche immer wieder als Waffe imaginiert worden ist; daß Pestverbreiter immer wieder in der Vorstellung auftauchen, die mal im zwischenmenschlichen Bereich den Tod brachten, mal ganze Gemeinden bedrohten - quasi als Vorläufer biologischer Kriegführung im zivilen Bereich, während als Beispiel fiir den tatsächlichen Einsatz der Pest im Krieg immer wieder ihr Einsatz zur Eroberung Jaffas als Teil der Vorgeschichte des Schwarzen Todes von 1347-1352 erwähnt wird. Diese Vorstellung von der gezielten Verbreitung der Pest im sozialen Bereich reicht lange zurück: Luther ging von Menschen aus, die bewußt die Pest verbreiten; teils um dadurch selbst von Seuche befreit zu werden, teils weil sie „so verzweifelt boshaftig sind, daß sie mit der Pest allein deshalb unter die Menschen oder in die Häuser laufen, daß es ihnen leid ist, daß die Pestilenz nicht auch da ist, und wollen sie dahin bringen..."70 Doch auch wer mit seiner Infektion leichtfertig unter die Menschen gehe, schreibt ein berühmter Arzt später, sei „ein Mörder am seinem Nechsten".71 Derartige Beispiele finden sich dann tatsächlich auch in Chroniken. In einer Mindener wird berichtet, daß eine Frau die Umarmung eines Mannes zurückgewiesen habe, der einen Kranken bis zu seinem Tod gepflegt hatte. Darauf hätte er ihr mit Gewalt seinen Mantel umgeworfen; kurz darauf sei sie gestorben.72 Andere Dimensionen erreichte die Vorstellung von der Pest als Waffe, wenn sich ganze Gemeinden bedroht sahen, so Genf 1571/2,

68 Vgl. Samuel Schelwig, Denckmahl Der Pestilentz/ Womit der gerechte GOTT Nach seinem heiligen Raht und Willen/ Die Stadt Dantzig/ Im Jahr 1709. heimgesucht hat, Dantzig o. J., o. Pag., Beylage zur Vorrede, Lit Β; Samuel Friedrich Lauterbach, Kleine Fraustädtische Pest=Chronica, Leipzig 1710, 23-25. 69 Christian Lehmann, Historische Schauplatz derer natürlichen Merckwürdigkeiten in den Meißnischen Ober=Ertzgebirge, Leipzig 1699, 991 u. ö. Manchmal handelte es sich aber einfach um jugendlichen Leichtsinn, vgl. Meister Johann Dietz des Großen Kurfürsten Feldscher, Mein Lebenslauf, München o.J., 20. 70 Martin Luther, Ob man vor dem Sterben fliehen möge, in: Luther Deutsch, hrsg. von Kurt Aland, Bd. 6, 2. erw. u. neubearb. Aufl. Stuttgart - Göttingen 1966, 243. 71 Crato von Craftheim, zitiert nach: Andreas Starck, Von der Pestilenz Kurtzer vnd einfeltiger Bericht, o. 0.1597, unpag. (S. 12 des Textes; eig. Zählung). 72 Vgl. Kay Peter Jankrift, Das „Große Sterben" an der Weser. Seuchenabwehr und Medizinalwesen in Minden vom 11. bis zum 16. Jahrhundert, in: Mitteilungen des Mindener Geschichtsvereins 71 (1999), 126.

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als Hexen als Verbreiter der Pest beschuldigt wurden, und innerhalb eines Jahres fast hundert Frauen ausgewiesen bzw. hingerichtet wurden.73 Die Vorstellung von Salbenschmierern und Peststreuern gelangte auch nach Deutschland. Dort kam es zur Verfolgung von Totengräbern, die dieser Taten verdächtigt wurden und denen man nur allzu leicht ein Motiv anhängen konnte. Karen Lambrecht hat sie zuerst für Schlesien untersucht;74 doch gibt es Hinweise, daß sie auch in angrenzenden Territorien häufiger zu finden sind, als sie angenommen hat. Auch in der Aufklärungszeit wurde noch an die gezielte Pestverbreitung geglaubt, auch wenn man sich nun vorsichtiger ausdrückte. „Ob gottlose Leute durch böse Künste die Lufft anstecken können, ist eine Sache, welche so gar unmöglich nicht scheinet, und wovon man in der Historie einige Exempel anführet" heißt es 1741.75 Auch die andere Seite sollte man nicht vergessen: Das Ausmaß der privaten Wohltätigkeit - und zwar während der Pest ebenso wie bei ihrem Ende - verdient Beachtung. Wie ist die Bereitschaft der Reicheren innerhalb der Stadt, in der Notsituation zu geben, einzuschätzen? Und wie die Bereitschaft von Geflohenen, ihrer Stadt von Außen zu helfen? Und was kann man über die Hilfe von Städten untereinander in Erfahrung bringen?76 Wieviel an christlich-städtischer Gemeinsamkeit (im Vergleich zu staatlichen Hilfen) bedeuteten die 1600 Taler, die Hamburg und die 683, die Bremen 1681 dem schwer unter der Pest leidenden Magdeburg schickten?77 Und wie könnte man die Gaben an die Kirche nach Beendigung der Pest78 interpretieren, besonders wenn es gelänge, sie über eine längere Zeit zu verfolgen? Private Initiative ist auch auf einem ganz anderen Gebiet wichtig: der Peststatistik. Die ersten Informationen über die Zahl der Toten in Augsburg im 16. Jahrhundert gelangten aus privaten Händen in die

73 Vgl. E. William Monter, Witchcraft in France and Switzerland, Ithaca, N.Y. 1976,44 £ 47 f, 115-128. 74 Vgl. Karen Lambrecht; Jagdhunde des Todes". Die Verfolgung von Totengräbern im Gefolge fnihneuzeitlicher Pestwellen, in: Mit den Waffen der Justiz, hrsg. von Andreas Blauert und Gerd Schwerhofi Frankfurt am Main 1993,137-157. 75 Johann Heinrich Zedier, Grosses vollständiges Universal=Lexikon, Bd. 27, Leipzig und Halle 1741, 762. 76 Vgl. Lauterbach, 85-87. 77 Vgl. Ingelore Buchholz, Maren Ballerstedt, Eine Stadt wehrt sich! Der Beitrag der Stadtverwaltung zur Überwindung von Seuchen in Magdeburg, (Magedeburg) o. J., 25. 78 Vgl. Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, Göttingen, Bd. 2, Göttingen 1989, 652, 724.

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Aufzeichnungen eines Chronisten,79 und der Basler Stadtarzt Felix Platter führte auf eigene Initiative eine erste topographisch-statistische Untersuchung der demographischen Auswirkungen der Pest von 1611 in Basel durch.80 Diese Aspekte zu untersuchen ist angesichts der häufig anzutreffenden Staatsfixiertheit von Historikern um so wichtiger: So kann die staatlich-obrigkeitliche Rolle besser eingeschätzt werden.

4. Forschungslage in Deutschland In den Werken der Historiker verschwindet die Pest der Frühen Neuzeit oft ganz hinter dem Schwarzen Tod des Spätmittelalters.81 Die Pest: das ist die große Pandemie 1347-52, diese „apokalyptische Katastrophe",82 die fast ganz Europa heimsuchte, und über deren Wirkung die Historiker gern nachdenken.83 Der Rest ist Schweigen.84 Allenfalls als Illustration des Elends des Dreißigjährigen Krieges hat die Pest noch einen Kurzauftritt. Dieser Reduktion von Geschichte auf die Einmaligkeit von Mega-Katastrophen haftet ein Hauch von Sensationslust an, der durch außerwissenschaftliche Interessen kräftig gefördert wird. Wochenzeitungen und Büchergesellschaften glauben durch den Appell an

79 Die Chroniken der schwäbischen Städte. Augsburg, Bd. 7, Paul Hektor Mairs 1. Chronik von 1547-1565, Leipzig 1917, 389, Anm. 4. 80 Valentin Lötscher (Hrsg.), Felix Platter. Beschreibung der Stadt Basel 1610 und Pestbericht 1610/11, Basel - Stuttgart 1987. 81 Vgl. Volker Zimmermann, Krankheit und Gesellschaft: Die Pest, in: Sudhoffs Archiv 72 (1988), 1-13; die Rede ist nur vom Schwarzen Tod. Ebenso Gudrun Beckmann, Europa und die Große Pest von 1348-1720, in: Eine Zeit großer Traurigkeit. Die Pest und ihre Auswirkungen, hrsg. von Gudrun Beckmann, Irene Ewinkel, Christiane Keim und Joachim Möller, Marburg 1987, 11-71. Beckmann faßt zwar die ganze Zeit als eine Pestwelle zusammen, spricht aber letztlich nur von der Pest von 1348. 82 Friedrich Lütge, Das 14./15. Jahrhundert in der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, in: Jahrbücher fur Nationalökonomie und Statistik 162 (1950), 213. 83 Vgl. z. B. David Herlihy, Der Schwarze Tod und die Verwandlung Europas, Berlin 1998; Karl Georg Zinn, Kanonen und Pest: über die Ursprünge der Neuzeit im 14. und 15. Jahrhundert, Opladen 1989. 84 Werden die ständigen Pestwellen des ausgehenden Mittelalters und der Zeit zwischen 1500 und 1720 gestreift, so nennt man sie oft ebenfalls „der Schwarze Tod" und suggeriert so leicht eine gefahrliche Gleichheit von Erscheinungen, die nicht gleich waren.

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niedrige Instinkte ihre Leser fesseln zu können.85 Dieser Haltung entspricht ein Desinteresse an den Bedingungen, unter denen die Menschen in den sich ständig wiederholenden Zeiten der Pest im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit leben mußten. Was es für den einzelnen Menschen bedeutete, der Pest gegenüberzustehen, selbst angesteckt zu werden, oder auch nur seinen Beruf zeitweise nicht oder nur unter veränderten Bedingungen ausüben zu können, wie er oder sie mit der Erkrankung oder dem Verlust von Kindern und Ehefrau oder Ehemann fertig wurde, wie Hoönungen zerplatzten und Enttäuschungen ihre Stelle einnahmen, erscheint irrelevant. Soweit die hoch generalisierende Sicht, für die man von einer Nicht-Präsenz der frühneuzeitlichen Pest sprechen kann. Will sich die Geschichtswissenschaft aber tatsächlich weiterentwickeln, so muß sie „das Verhalten der großen Mehrheit der Menschen in Not und Krisenzeiten, die lokal und sozial sehr unterschiedlich erfahren wurden"86, in ihren Gegenstandskatalog integrieren, muß den Irrtum abschütteln, es handle sich bei der Pest um eine Sache der Medizingeschichte oder der Historischen Demographie. Geht man in Uberblicksdarstellungen doch auf die Pest in der Frühen Neuzeit ein, so verkommt sie in der Regel zu Demonstrationsmaterial für demographische Charakteristika jener Zeit.87 Die Pest - das war ein drastischer Bevölkerungsrückgang, Schluß und Ende. Die besser Informierten weisen noch auf den schnellen Anstieg der Eheschließungen und Geburtenzahlen unmittelbar danach hin. Diese Epidemien zeigen, so diese Werke, die reduzierten (Über)Lebenschancen in der Zeit zwischen 1500 und 1800. Die Botschaft ist: die Menschen wurden zu jener Zeit leicht zu Opfern von verheerenden Seuchen, anders als wir in Europa heute.88 Das ist ohne Zweifel richtig, aber es ist die Reduktion

85 Vgl. Klaus Schulte-van Pol, D-Day 1347: Die Invasion des Schwarzen Todes, in: DIE ZEIT, Nr. 50, vom 5.12. 97,17-20. 86 Rudolf Vierhaus, Wege zu einer neuen Kulturgeschichte. Mit Beiträgen von Rudolf Vierhaus und Roger Chartier, hrsg. von Hartmut Lehmann, Göttingen 1995, 12. 87 Vielseitiger ist Paul Münch, Lebensformen in der Frühen Neuzeit 1500 bis 1800, Frankfiirt/M - Berlin 1996, 53 £, 459-462, doch drängt sich auch bei ihm der Schwarze Tod von 1347-1352 sehr in den Vordergrund. 88 Heinz Schilling, Aufbruch und Krise. Deutschland 1517-1648, Berlin 1988, 376; vgl. auch Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit, Bd. 1, Das Haus und seine Menschen, München 1990, 34-36, Winfried Schulze, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1987, 27. Weitet sich der Raum, geht die Pest ganz verloren: vgl. Heinrich Lutz, Reformation und Gegenreformation, München 1991; Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715, München 1991, 32, 247, 269, der immerhin auch den Komplex Pest und Krieg kurz behandelt. - Auffällig ist, daß man die Opfer der Hexenverfolgung immer wieder zusammengezählt (und

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eines komplexen, vielschichtigen Phänomens auf eine einzige Dimension. Nach der Betrachtung der Pest als ein rein medizingeschichtliches Problem und damit den Allgemein- und Sozialhistoriker überhaupt nicht interessierend ist es die zweitschlechteste Sichtweise: nur von außen und nur quantitativ. Uberblickswerke zur Seuchengeschichte zeigen unterschiedliche Tendenzen: Während bei Stefan Winkle die Diskussion der Probleme gegenüber der Freude an dramatischer Darstellung ins Hintertreffen gerät, liefert Manfred Vasold eine gut informierte Gesamtschau.89 Und bei der Spezialliteratur, die es ja letztlich praktisch für jeden Gegenstand gibt, wie sieht es dort aus? Einer der wenigen deutschen Forscher zur Geschichte der Pest, Martin Dinges, hat einmal festgestellt, daß eine reichhaltige Literatur dazu existiert. Typischerweise verweist er dazu auf einen bibliographischen Essay in einem englischsprachigen Buch über die Pest in Florenz im Spätmittelalter. Wenn man sich dann die Werke ansieht, die er in den Fußnoten anfuhrt, so finden sich darunter nur wenige deutsche Titel.90 Die Feststellung gilt also nicht für Deutschland. Aber auch diese genauere Aussage ist noch nicht präzis genug. Sie ist nur zutreffend für Forschungen, die sich in den Rahmen der allgemeinen Geschichte zu stellen versuchen, nicht fur die Lokal- und Regionalforschung. Auf dieser Ebene gibt es in der Tat eine große Menge von Beiträgen, die vereinzelt schon am Ende des 18. Jahrhunderts einsetzen. Diese Lokalstudien sind gewöhnlich nach dem Muster „Die Pest in ..." gestrickt und untersuchen entweder das gesamte Pestgeschehen in einer Stadt, seltener in einer Region, oder eine ganz bestimmte Pestwelle. Es geht im ersten Fall zuerst einmal darum, eine Chronologie der Pestzüge zu erarbeiten. Dann behandeln beide Arten von Untersuchungen die Zahl der Opfer, und meist auch noch die obrigkeitlichen Maßnahmen. Gelegentlich werden auch Pestregimente und -traktate von Ärzten oder Medizinischen Fakultäten kurz vorgestellt. Damit wird unverzichtbare Grundlagenarbeit geleistet, auf die hier oft zurückgegriffen wurde. Allerdings schwankt ihre Qualität stark; gründliche, umfassende Quel-

die Zahl immer wieder nach unten korrigiert hat), während mir keine Gesamtzahl einer größeren Pestwelle bekannt ist. 89 Vgl. Stefan Winkle, Geissein der Menschheit: Kulturgeschichte der Seuchen, 2. verb, u. erw. Aufl. Düsseldorf 1997; Manfred Vasold, Pest, Not und schwere Plagen. Seuchen und Epidemien vom Mittelalter bis heute, München 1991. 90 Vornehmlich solche, die hier anschließend aufgeführt werden. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Gemeint sind Titel, die sich auf das Heilige Römische Reich deutscher Nation beziehen; nicht Titel von deutschen Autoren über andere Länder, z. B. Italien.

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lenkenntnis verbunden mit umsichtiger Behandlung und sachkundigem Urteil91 gibt es ebenso wie anspruchslose Arbeiten. Aktuelle Fragen, welche die Geschichtswissenschaft jeweils bewegen, werden meist nicht berührt. Die aktuelle akademische Erforschung der frühneuzeitlichen Pest92 beschränkt sich in Deutschland auf wenige Personen. Neithard Bulst, Heinrich Dormeier und Martin Dinges wären zu nennen, zählt man in erster Linie diejenigen dazu, die sich mehrere Male mit diesem Phänomen befaßt haben. In gewisser Weise gehört auch Walter G. Rödel dazu. Vor dem Hintergrund des Aufschwungs der Historischen Demographie hat sich Rödel der Pest in Mainz im 17. Jahrhundert zugewandt.93 Später dann hat er eine Übersicht über die obrigkeitlichen Maßnahmen geliefert.94 Mit diesem Schritt vollzog er, was auch die anderen drei Forscher verbindet: Sie versuchen mit ihren Beiträgen, neuen, auch allgemeingeschichtlich relevanten Dimensionen der Pesterforschung nachzugehen. Neithart Bulst betonte zuerst die gesellschaftliche Dimension der Seuche. In einem vielbeachteten Aufsatz zum Schwarzen Tod zeigte er,95 das damalige Wissen zusammenfassend, die vielen Facetten auf, welche die Pest für den Historiker interessant machen - von den wirtschaftlichen und sozialen bis zu den mentalitätsgeschichtlichen - und die zum Teil auch für die Seuche in der Frühen Neuzeit gelten. In der Folgezeit wandte er sich dann diesem Zeitraum zu. In einem ebenso umsichtigen wie kenntnisreichen Beitrag aus dem Jahre 1985 gibt er einen Uberblick über die Pestzüge in 32 niedersächsischen Städten im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit, der teilweise auf Quellen91 Karl Henrich, Die Pest von 1666/67 in der Pfalz und den angrenzenden Gebieten, in: Mitteilung des Historischen Vereins der Pfalz 65 (1967); 163-191; Karl Hofius, Die Pest am Niederrhein, besonders in Duisburg, in: Duisburger Forschungen 15 (1971), 173-221; ders., Die Pest am Niederrhein, insbesondere in Duisburg: Nachträge, in: Duisburger Forschungen 45 (1999), 67-76; Elke Schlenkrich, „Die weyll in diesem Jahr das Sterben der pestilenzie bey vns regiert". Zwickauer Pestgänge im 16. Jahrhundert, in: Sächsische Heimatblätter 46 (2000), 210-223. 92 Zum Stand der Forschung Ende der fünfziger Jahre vgl. Erich Keyser, Neue deutsche Forschungen über die Geschichte der Pest, in: VSWG 44 (1957), 243-253. 93 Walter G. Rödel, Die Pest in Mainz im 17. Jahrhundert, in: Scripta Mercaturae 15 (1981), 85-103. 94 Ders., Die Obrigkeiten und die Pest. Abwehrmaßnahmen in der Frühen Neuzeit dargestellt an Beispielen aus dem süddeutschen Raum und der Schweiz, in: Maladies et Société (Xll-XVIIIe siecles), hrsg. von Neithard Bulst/Robert Delort, Paris 1989, 187-205. 95 Neithard Bulst, Der Schwarze Tod. Demographische, wirtschafts- und kulturgeschichtliche Aspekte der Pestkatastrophe von 1347-1352. Bilanz der neueren Forschung, in: Saeculum 30 (1979), 45-67.

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Studien beruht. Neben den demographischen Auswirkungen stehen die obrigkeitlichen Maßnahmen, die von der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an seiner Meinung nach systematischer wurden, und die nicht erforschten wirtschaftlichen Auswirkungen im Vordergrund der Studie.96 Mit der Konferenz über Medizin und Gesellschaft unterstrich er gezielt diese Forschungsrichtung. Im theoretischen Teil seines Beitrages zu dieser Tagung schlägt er neue Perspektiven für die Forschung (das Konzept der Pathozönose - die Einbettung in das Ensemble der vorherrschenden Krankheiten) und den Vergleich von Raum, Zeit und Krankheit vor. Er plädiert für eine Totalerfassung einer Region und legt erste Ergebnisse für eine Fallstudie zur Pest im heutigen Westfalen und dem Niederrhein vor.97 Obwohl die Wichtigkeit der Gesellschaft in den methodischen Ausführungen betont wird, ist die Perspektive in dem auf die Pest konzentrierten Teil vorrangig auf die Obrigkeit und deren Handeln gerichtet, also etatistisch im traditionellen Sinn. Wenn die Unterschiedlichkeit im Zeitpunkt und in der Art der Maßnahmen in Städten betont wird, so muß man sich fragen, ob bei 257 (und damit naturgemäß ganz unterschiedlichen) Städten etwas anderes zu erwarten war. Probleme der Frömmigkeitsgeschichte stehen im Vordergrund der Forschungen von Heinrich Dormeier zur Pest. Vom Spätmittelalter her kommend, aber über die traditionellen Epochengrenzen ζ. T. weit hinausgreifend, hat er die Problematik der Pest und ihrer Auswirkungen bearbeitet. Neben der Untersuchung des spätmittelalterlichen Diskurses über die Frage, ob die Flucht vor der Pest erlaubt sei oder nicht,98 steht vor allem die katholische Frömmigkeit im Vordergrund. Zwei Aspekte seiner Arbeiten erscheinen besonders heraushebenswert. Zum einen die thematische Konzentration auf den Wandel in der Heiligenverehrung unter dem Einfluß der Pest im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit. Dadurch bekommen seine Arbeiten zur Verbreitung des Rochus-Kultes große Tiefenschärfe. Der Verehrung dieses Pestheiligen, die erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts aufkam und neben die traditionelle Anrufung des heiligen Sebastian trat, widmete er zuerst eine Tiefenstudie, bei der er die Rolle des Nürnberger

96 Neithard Bulst, Vier Jahrhunderte Pest in niedersächsischen Städten. Vom Schwarzen Tod (1349-1351) bis in die erste Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Stadt im Wandel, Bd. 4, hrsg. von Cord Meckseper, Stuttgart-Bad Cannstadt 1985, 251-270. 97 Neithard Bulst, Krankheit und Gesellschaft in der Vormoderne. Das Beispiel der Pest, in: Maladies et Société (Xll-XVIIIe siècles), hrsg. von Neithard Bulst/Robert Delort, Paris 1989,17-47. 98 Heinrich Dormeier, Die Flucht vor der Pest als religiöses Problem, in: Klaus Schreiner (Hrsg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter, München 1992, 331-397.

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Kaufmannsgeschlechts der Imhofis, das auch in Italien vertreten war und somit früh mit dem Neuverehrten in Kontakt kam, für die Verbreitung akribisch herausarbeiten konnte." Dann beleuchtete er diesen Vorgang sozial differenzierend, ging von der Fürstenebene herunter bis zu den Unterschichten100 und schließlich, Betrachtungsraum und -zeit weitend, bezog er auch südeuropäische Länder und die Frühe Neuzeit in seine Betrachtung ein.101 Zum anderen bestechen die Aufsätze durch ihre exzellente Kenntnis der unterschiedlichsten Quellenarten, darunter auch solche, die fast nie herangezogen werden wie Rechnungen und Gebetbüchlein, oder die wenig genutzt werden wie Einblattdrucke und Bildquellen. Auch die materielle Kultur findet durch die Einbeziehung von Amuletten, Medaillen, Plaketten und Gedenkmünzen breite Berücksichtigung. Sind die Forschungen von Heinrich Dormeier fest auf intensiven Quellenstudien gegründet, so zeichnen sich die Arbeiten von Martin Dinges durch die Konstruktion theoretischer Annahmen auf der Basis der Literatur aus. Mit neuen Fragestellungen und einer anderen Herangehensweise versucht er, die frühneuzeitliche Pestforschung auf neue Wege zu lenken. So thematisiert er als ein vollkommen vernachlässigtes Gebiet die Beziehung von Staat und Pest.102 Er stellt zuerst, in traditioneller Weise institutionengeschichtlich vorgehend, einen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Entwicklung des Staates und der Pest her. Dabei spannt er z. B. den Bogen von den Stadtärzten des Spätmittelalters 99 Heinrich Dormeier, St. Rochus, die Imhoffs und die Pest, in: Anzeiger des Germanischen Nationalmuseums 1985, 7-72. Vgl. auch ders., Nuovi culti di santi intorno al 1500 nella citta della Germania meridionale. Circostanze religiose, sociali e materiali della loro introduzione e affermazione, in: Paolo Prodi/Peter Johanek (Hrsg.), Strutture ecclesiastiche in Italia e Germania prima della Riforma, Bologna 1984,317-352. Dazu auch Bulst, Heiligenverehrung. 100 Heinrich Dormeier, Laienfrömmigkeit in den Pestzeiten des 15./16. Jahrhunderts, in: Maladies et Société (Xll-XVIIIe siecles), hrsg. von Neithard Bulst/Robert Delort, Paris 1989, 269-306. 101 Heinrich Dormeier, „Ein geystliche ertzeney für die grausam erschrecklich pestilentz". Schutzpatrone und frommer Abwehrzauber gegen die Pest, in: Das große Sterben. Seuchen machen Geschichte, hrsg. von Hans Wilderotter unter Mitarbeit von Michael Dorrmann, Berlin 1995, 54-93. Nicht mehr berücksichtigt werden konnte Heinrich Dormeier, Pestepidemien und Frömmigkeitsformen in Italien und Deutschland (14.-16. Jahrhundert), in: Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, hrsg. von Manfred Jakubowski-Tiessen und Hartmut Lehmann, Göttingen 2003. 102 Martin Dinges, Staat und Pest. Von der Institutionengeschichte zur sozialen Konstruktion? in: Neue Wege der Seuchengeschichte, hrsg. von Martin Dinges und Thomas Schlich, Stuttgart 1995, 71-103.

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und ad-hoc-Pestbehörden zur Gesundheitsadministration des 19. Jahrhunderts, von den Pestspitälern zu den Arbeitshäusern und erkennt in den Maßnahmen gegen die Pest die Etablierung der modernen Vorstellung von Gleichheit. Die Pest versteht er dabei jeweils als Katalysator. In einem zweiten Teil stellt er die These auf daß der Staat einen partiellen Lernprozeß durchlaufen habe. Eine gewisse spekulative Tendenz und methodisch anfechtbare Vorgehensweisen des ersten Teils dieser Sekundäranalyse sind nicht zu verkennen. So ist ζ. B. die Deutung der Korrelation der Anstellung von Stadtärzten im Spätmittelalter und der Pest spekulativ, denn sobald eine gute Quellenlage herrscht, ist zu erkennen, daß die dauerhaft angestellten Stadtärzte relativ wenig mit der Pest zu tun haben (außer Verfassen von Ratschlägen und manchmal Kontrollfunktion); in erster Linie waren dafür die für den jeweiligen Pestgang (oft auf Hundert-Gulden-Basis) angestellten Pestärzte zuständig, die sich eine feste Anstellung erhofften. Die Praxis übernahmen dem damaligen medizinischen System gemäß bekanntlich die Chirurgen und Bader.103 Diskussionswürdig ist die provokative These von der durch die Pest etablierten Vorstellung von der Gleichheit, die in Ansätzen in die soziale Wirklichkeit umgesetzt worden sei. Die Logik ist zwingend - bei einer Seuche kann man keine Unterschiede machen, sonst hebt man die Wirkung der Maßnahmen auf; doch zwingender Logik ist in der Geschichte nicht unbedingt zu trauen, zu komplex ist das Faktorenbündel der sozialen Realität, zu unterschiedlich sind die Denk- und Handlungsweisen anderer Zeiten. Ihre Logik ist eine andere. Diese Gleichheit scheint in so krassem Widerspruch zu den Grundlagen der ständischen Gesellschaft zu stehen, daß man glauben könnte, sie sei eine Kopfgeburt par excellence. Dagegen sprechen aber nicht nur die gleichmachenden Massengräber, sondern es gibt in der Tat auch Anordnungen mit der Wendung „gleichgültig wes Standes er sei", besonders bei Beerdigungen. Aber andererseits ist nicht nur der zu erwartende Widerstand zu verzeichnen, sondern es gelang ζ. B. Adligen, trotz scharfer Kontrollen durch die abgesperrten Gebiete zu reisen, ζ. T. mit ausdrücklicher Erlaubnis.104 Und wenn einzelne Adlige in

103 Nur reiche Städte konnten sich dazu auch die dauernde Anstellung eines Pestarztes leisten, der dann Aufstiegsmöglichkeiten hatte. Vgl. Elsbeth Maitz, Gesundheitswesen und Arzte in Augsburg im 16. Jahrhundert, Diss. med. München 1950, 33 ff Vgl. auch Bulst, Krankheit und Gesellschaft, 33. 104 Zu den Absperrungen in der Wachau 1679/80 zitiert Winter eine zeitgenössische Quelle: „Es sind solche scharfe Wächter an allen orthen und Dörffern, daß schon etlich 100 Persohnen im freien Feld, diemalen man niemanden einlassedt. auch in vielen Orthen trotz Bezahlung reisent Leuthen nichts reicht, verdorben,..." Für die „ge-

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einem Massengrab beerdigt wurden, so bestand nichtsdestotrotz die Möglichkeit, ihnen ein standesgemäßes Grabmal zu errichten, was im Falle des Grafen Johannes von Rantzau in Heidelberg, dessen Alabastergrabmal auf dem Friedhof der Peterskirche zu finden ist, auch geschehen ist.105 Vor einem Massengrab, das man zu vermeiden versuchte, kam die Trennung nach Bestattung in der Stadt und außerhalb der Stadt auf den neuen Friedhöfen, und die geschah auf der Basis der Ungleichheit: Knechte, Mägde, Soldaten „oder dergleichen gemeine Leute" sollten in Münster 1666/67 außerhalb der Stadt beerdigt werden.106 Auch die Pesthospitäler liefern kein Beispiel für die Auffassung von der Pest als indirekter Förderin einer Gesellschaft der Gleichen.107 Gleichheitsdenken gab es sicher unterschwellig in der Bevölkerung; wenn aber, wie hier, die Obrigkeit Gleichheit wollte, dann nur als kurzfristigen Ausnahmezustand. Und selbst dann konnte sie sich, wie gezeigt, nicht von Ungleichheitsdenken trennen. Im letzten als konstruktivistisch bezeichneten Teil referiert Dinges im wesentlichen Studien zu Pestzügen in Italien und Spanien und deren Interpretationen. Dabei kommen das Handeln der unterschiedlichen Beteiligten und deren jeweils andere Logik in den Blick, die, so Dinges, „die Politik bestimmen" - Pestpolitik scheint der bessere Ausdruck, denn als Kampf um die Macht kann man diese Prozesse nicht bezeichnen.108 Daß Pestbekämpfung und (große) Po-

meine Leuthe" war das Reisen schwer, Adlige kamen durch, auch wenn man erst bei Bürgermeistern und Stadtrichtern eine Erlaubnis erwirken mußte. Otto Friedrich Winter, Pestabwehr im Bereich der Wachau 1679/80, in:Jahrbuch fiir Landeskunde von Niederösterreich 57/58 (1991/92), 254. Für Laibach 1599 wurden alle Orte fur Menschen ohne Gesundheitspaß gesperrt. „Nur Prälaten und Ritter reisten ohne Fedi auf Ehrenwort und adelige Treue." Georg Sticker, Abhandlungen aus der Seuchengeschichte und Seuchenlehre, Bd. 1, Gießen 1908, 121. Ähnliches Beispiel bei Thomas Platter, Lebensbeschreibung, hrsg. von Alfred Hartmann, 2. Aufl. Basel 1999,100: Der pestkranke Epiphanius wird nicht eingelassen, da, läßt er dem Bischof sagen, er wäre daa und kann passieren. 105 Rosemarie Jansen/Hans Helmut Jansen, Die Pest in Heidelberg, in: Semper Apertus. Sechshundert Jahre Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg 1386-1986, Bd. 1, Berlin Heidelberg - New York - Tokyo 1985,391. Vgl. auch Höhl, 36: Tod eines Familienmitgliedes an der Pest in Italien, standesgemäße Bestattung und Jahresmesse in Hildesheim. 106 Otto Hellinghaus, Die letze Pestepidemie in Münster (1666-1667) und ihre Bekämpfung durch Bischof Christoph Bernard von Galen, in: Sechsundvierzigster Jahresbericht über das Realgymnasium zu Münster i. W., Münster 1898, 10. Zitat aus der Münsteraner Pestordnung von 1666. 107 Vgl. Bulst, Heiligenverehrung, 88. Vgl. auch meinen Beitrag in diesem Band. 108 Auffällig ist, daß das, was Dinges fiir italienische Verhältnisse feststellt, dann in den Fußnoten, die sich auf deutsche Verhältnisse beziehen, modifiziert wird, vgl. Anm. 89, 92.

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litik sich auch auf ganz direkte Weise verschränken können, zeigt Kathrin Boyens in ihrem Beitrag Die Krise in der Krise: Die Maßnahmen Hamburgs während der letzten Pest 1712-1714. Dort geht es einmal um die Auswirkung der Pest auf die innenpolitische wie auch auf die außenpolitische Situation der Hansestadt vor dem Hintergrund des Nordischen Krieges. In einem anderen Aufsatz unternimmt Martin Dinges den gewagten Versuch - so er selbst - eines internationalen Vergleichs, arbeitet eine Stufenfolge der Pestbekämpfung heraus und entwickelt Indikatoren für den Vergleich von italienischen Stadtstaaten, Deutschland und England.109 Vergleiche sind gut, wenn sie wohlüberlegt sind; keineswegs sind sie per se das vielbeschworene erkenntnisfördernde Säurebad. Problematisch ist nicht nur die unterschiedliche und nicht immer eindeutige Forschungslage, die Dinges selbst anspricht, problematisch ist vor allem bei der Anwendung der vergleichenden Methode die nicht vorhandende Homogenität der zu vergleichenden Objekte.110 Wenn man für das 15. und 16. Jahrhundert die in weitgespannte Handelsbeziehungen, besonders zum gefahrlichen Orient, eingespannten italienischen Stadtstaaten mit dem Flächenstaat England mit seinem geringen Handel und der damit einhergehenden weit geringeren Gefahrdung vergleicht und dann feststellt, daß England in der Seuchenprävention hinterherhinkte, beweist man dann nicht nur, was zu Anfang des ungleichen Vergleichs bereits offensichtlich ist? Schließlich habe ich versucht, durch die Untersuchung des Erlebens des (physischen wie auch psychischen) Schmerzes durch die Pesterkrankten und des Glaubens, wie er in der schweren Zeit der Pest tatsächlich gelebt wurde, eine andere Beobachtungsebene einzuziehen, welche die subjektiven Dimensionen der Wahrnehmung und Erfahrung, die ja immer auch sozial geprägt sind, in den Vordergrund stellt. Dabei konnte ich ζ. B. auf der Basis von autobiographischem Material die genaue Erfassung der Krankheit in Maß und Zahl feststellen (die mir inzwischen auch als psychischer Bewältigungsmechanismus erscheint). Der gelebte Glaube zeigte sich in der aufopfernden Pflichterfüllung der (protestantischen) Pastoren, die auch den Tod in Kauf nahmen, und im massenhaften Besuch der Gottesdienste wie auch in der Vermehrung des Angebotes

109 Martin Dinges, Siid-Nordgefalle in der Pestbekämpfüng. Italien, Deutschland und England im Vergleich, in: Das europäische Gesundheitssystem, hrsg. von Wolfgang U. Eckart und Robert Jütte, Stuttgart 1994, 19-51. 110 Vgl. Kap. 5, The Comparative Method, in: Miroslav Hroch, Social Preconditions of National Revival in Europe, Cambridge 1985, 18.

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der Kirche (entgegen dem gern hervorgehobenen Fliehen von Pastoren und der Behauptung der Schließung von Kirchen 111 ). 112 Herausgehoben werden müssen schließlich noch einige umfassende Studien zur Pest in einzelnen Städten. Die Reihe beginnt nach dem zweiten Weltkrieg mit Woehlkens wegweisender, akribischer statistisch-topographischer Untersuchung zu dieser Seuche (und der Ruhr) in Ulzen zwischen 1560 und 1610. Neben den demographischen Aspekten behandelt er auch die Rolle der Natur die Übertragung durch Flöhe und Ratten (und konsequenterweise auch deren Lebensweise) wie auch das Klima und den Mond. 113 Frank Hatje hat, im Vergleich zu Woehlkens überblickshaft, die verschiedenen Aspekte der Pestproblematik, vom theologischen Diskurs bis zur Frage der demographischen, sozialen und wirtschaftlichen Folgen fur Basel untersucht.114 Eine populärwissenschaftliche, aber trotzdem anspruchsvolle Darstellung der Pest in Wien 1679, untrennbar verbunden mit den Predigten Abraham a Santa Claras, hat Hilde Schmölzer präsentiert.115 Fritz Kraemer dagegen hat die Pestbekämpfung in Freiburg im Breisgau während der Frühen Neuzeit in allen Einzelheiten untersucht.116 Innerhalb ihrer auf ausgesprochen gründlichem Quellenstudium aufgebauten Dissertation in Ulm und Uberlingen hat Annemarie Kinzelbach sich sehr stark auf die ihrer Meinung nach unmögliche Identifikation der Seuche konzentriert117,

111 Hans-Friedrich Angel, Der religiöse Mensch in Katastrophenzeiten. Frankfurt 1996,383. 112 Otto Ulbricht, Pesterfahrung: „Das Sterben" und der Schmerz in der Frühen Neuzeit, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 15 (1996), erschienen 1998,9-35; ders., Ge113 lebter Glaube in Pestwellen 1580-1720, in: Im Zeichen der Krise. Religiosität im Europa des 17. Jahrhunderts, hrsg. von Hartmut Lehmann und Anne-Charlott Trepp, Göttingen 1999,159-188. 113 Erich Woehlkens, Pest und Ruhr im 16. und 17. Jahrhundert. Grundlagen einer statistisch-topographischen Beschreibung der großen Seuchen, insbesondere in der STADT UELZEN, Uelzen 1954. 114 Frank Hatje, Leben und Sterben im Zeitalter der Pest, Basel - Frankfurt am Main 1992. 115 Hilde Schmölzer, Die Pest in Wien. „Deß wütenden Todts Ein umbständig Beschreibung ...", Wien 1985. 116 Fritz Kraemer, Pestbekämpfung und -abwehr in Freiburg im Breisgau von 1550 bis 1750, Diss. med. Freiburg 1987. 117 Annemarie Kinzelbach, Gesundbleiben, Krankwerden, Armsein in der frühneuzeitlichen Gesellschaft. Gesunde und Kranke in den Reichsstädten Uberlingen und Ulm, 1500-1700, Stuttgart 1995. So ist z. B. mißlich, daß sie bei der Bedeutung der Bezeichnungen nicht die Tatsache diskutiert, daß man die Pest möglichst nicht beim Namen nennen sollte (vgl. z. B. Creutz, 93) oder daß sie gegen die Beulen als eindeutiges Zeichen der Pest argumentiert, wo doch einmal die Zeitgenossen wußten, daß

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eine Ansicht, der ich aus vielen Gründen - die hier nicht alle dargelegt werden können - nicht folgen kann. Es sei nur angeführt, daß die Zeitgenossen durchaus in der Lage waren, die Pest zu diagnostizieren; es gab nicht nur einen recht festen Symptomkatalog, sondern sie wußten auch schon von Varianten.118 Die vorerst letzte Stadtstudie ist die von Klaus Schwarz fiir die Pest in Bremen von 1350 bis 1713.119 Der erste Teil, den er der Pest von 1712/13 widmet, ist weitgehend eine politische Geschichte der Pest unter Berücksichtigung der Handelsproblematik - die Verhandlungen stehen im Vordergrund - und erinnert so an Wohlwills Arbeit über die Pest in Hamburg von Ende des vorletzten Jahrhunderts.120 Dann folgt eine Chronologie der Pestwellen und schließlich eine Analyse der Folgen. Ausgesprochen selten sind, dies sei als letztes noch angefügt, Analysen von einzelnen Pestschriften der Frühen Neuzeit, ganz im Gegensatz zu den Pestschriften des Spätmittelalters beginnend mit dem Pariser Pestgutachten von 1350.121 Die relativ neue Arbeit von Werfring macht die Beschäftigung der Gelehrten mit den Ursachen der Pest zu ihrem Gegenstand.122 Eine der wenigen Ausnahmen stellt die Arbeit von Teuber über Martin Pansa dar123 - die erwähnten Passagen in lokalhistorischen Arbeiten beschränken sich meist auf eine Inhaltsangabe. Weit darüber hinaus geht Axinia Schluchtmann mit ihrem Beitrag Akademische Medizin und Pest: Das Beispiel Johannes Bacmeister 1623/24. Sie liefert eine gründliche Analyse des 1623 entstandenen Pesttraktates des Rostocker Professors Bacmeister wie auch eines für die Stadt geschriebenen Bedenckens. sie bei kurzem Verlauf nicht auftraten und zum anderen die Symptome im Zusammenhang gesehen werden müssen. 118 Vgl. z. B.Jansen/Jansen.Jede Lektüre von drei Traktaten zur Pest wird das bestätigen. 119 Klaus Schwarz, Die Pest in Bremen. Epidemien und freier Handel in einer deutschen Hafenstadt 1350-1713, Bremen 1996; vgl. auch ders., Der Verfasser einer in Basel 1582 anonym erschienenen Pestschrift, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 94 (1994), 103-107. 120 AdolfWohlwill, Hamburg während der Pestjahre 1712-1714, in: Jahrbuch der Hamburgischen Wissenschaftlichen Anstalten X (1893/11), 290-406. 121 Vgl. auch Christoph Weißer, Die Pestschrift des Hofer Stadtarztes Lazarus Mayenschein aus dem Jahr 1599 - Text und Kommentar, in: Bericht des Nordoberfränkischen Vereins fiir Geschichts- und Landeskunde 41 (1999), 15. 122 Johann Werfring, Der Ursprung der Pestilenz. Zur Ätiologie der Pest im loimographischen Diskurs der frühen Neuzeit ( = Medizin, Kultur und Gesellschaft, Bd. 2), Wien 1998. 123 Christian Teuber, „Medicus Silesiacus" Martin Pansa (1580-1626). Sozialmediziner und Volksaufklärer Ostdeutschlands ( = Würzburger medizinhistorische Forschungen, Bd. 50), Pattensen/Han. o.J.

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Matthias Lang dagegen untersucht die Schriften von Pastoren und Theologen vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung. Sein Titelzitat „Der Vrsprung aber der Pestilente ist nicht natürlich / sondern übernatürlich... " bringt die unterschiedliche Erklärung der Ursache der Seuche bei Medizinern und Theologen zum Ausdruck und deutet auch die Möglichkeit eines Spannungsverhältnisses zwischen den beiden Erklärungen an.

5. Einige Forschungsvorschläge Da die Pest zum Leben in der Frühen Neuzeit gehörte wie die Nacht zum Tag, kann sie auch zum Verständnis dieser Zeit wesentlich (und auf unterschiedliche Weise) beitragen. Als ein zeitübergreifendes Großereignis verstanden ermöglicht sie weiterfuhrende Langzeituntersuchungen unterschiedlichster Art, denn wie der Dreißigjährige Krieg sich bekanntlich aus einer Reihe von Kriegen zusammensetzte, so kann man auch die Pestwellen nach 1352 als eine große zusammengehörige Einheit betrachten. Dabei müßte allerdings auf den Astronauten-Blick der Struktur-Historiker verzichtet werden, denen aus ihrer großen Höhe immer alles gleich erscheint, die nur feststellen, daß in allen Pesttraktaten und -regimenten der Frühen Neuzeit dasselbe steht. Die Pest kann aber auch in kurzfristiger Perspektive betrachtet werden, z. B. auf der Ebene des subjektiven Erlebens eines einzelnen Menschen, wodurch dann ihre Bedeutung im Alltagsleben in den Blick kommt. Mit großen Ereignissen bzw. Epochen wie der Reformation oder dem Absolutismus kann die Pest ebenso in Beziehung gesetzt werden wie mit Forschungsparadigmen wie Rationalisierung oder Sozialdisziplinierung. Es ist möglich, sie aus der Perspektive der Pest zu betrachten und so neue Aufschlüsse zu gewinnen, ebenso wie es umgekehrt möglich ist, die Haltung zur Pest aus deren Perspektive zu sehen. Großereignisse und -prozesse können also durch eine Untersuchung von Diskursen und Handlungen während einer Pestwelle besser verstanden werden, wie auch sie andererseits das Denken über und das Handeln während der Pestzeit mitbestimmen. Die Auffassung, daß die Pest als Schlüssel zum besseren Verständnis oder auch zur Infragestellung solcher Makroprozesse dienen kann, ist bereits in ähnlicher Weise vertreten worden, so z. B. wenn Neithard Bulst von der Pest als sozialem Indikator spricht und die Rationalisierung als Beispiel nennt; auch hat Frank Hatje in seiner abschließenden Betrachtung die Sozialdisziplinierung angesprochen.124 Schließlich kann die Pest auch, weit mehr als andere Gegenstän124 Bulst, Krankheit und Gesellschaft, 26 f; Hatje, 156.

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de, noch zum Nachdenken über die Art und Weise historischen Arbeitens und über die Darstellungsformen der Ergebnisse anregen. Bleibt eingangs dieses Abschnitts noch zu erwähnen, was sowieso bekannt ist: nämlich daß die Pest ein idealer Gegenstand interdisziplinärer Forschung sein könnte. Sie stellt eben nicht nur einen Gegenstand der Medizin- und Bevölkerungsgeschichte bzw. Historischen Demographie dar, sondern weist auch sozialgeschichtliche (im engeren Sinne), wirtschaftliche, „mentalitätsgeschichtliche", kirchen- und frömmigkeitsgeschichtliche, kunstgeschichtliche wie auch volkskundliche und schließlich auch literaturgeschichtliche Dimensionen auf125 und bedarf der Hilfe der Biologie - die Pest ist als Untersuchungsgegenstand von einer Vielschichtigkeit und Komplexität wie kaum ein anderer. Einige dieser Forschungsfelder seien hier exemplarisch angesprochen. Während der Reformation wurde die alte, bereits im Spätmittelalter diskutierte Frage erneut gestellt: Kann man die Flucht rechtfertigen? Es war niemand anders als Luther, der sie behandelte und hoffte, daß der Glaube über die existentielle Bedrohung siegen würde, und der über das Verhalten seiner Glaubensgenossen enttäuscht war.126 Oslander nahm sie kurz darauf auf auch Brenz ging ihr nach.127 Dann aber scheint diese Problematik in den Hintergrund zu treten. Zwei Untersuchungsbereiche bieten sich an: einmal die Untersuchung des Diskurses, nach unterschiedlichen Akzentuierungen bei den verschiedenen Konfessionen128 - wobei auch die Konkurrenzsituation zu beachten wäre - zum anderen die Frage, ob die Aufforderung an die Amtsinhaber zu bleiben, im Laufe der Zeit auch durchgesetzt wurde. Sieht man sich das Verhalten der protestantischen Pfarrer ein Jahrhundert später an, so kann man feststellen - jedenfalls ist das mein Eindruck - daß sie ihrer Pflicht nachkamen und bereit waren zu

125 Einige dieser Gebiete nennt auch Hatje, 138 f! Man könnte auch noch musikgeschichtliche Dimensionen hinzufügen, denn schließlich ist nicht uninteressant, nach welchen Melodien die Pestlieder gesungen werden sollten. 126 Martin Luther, Ob man vor dem Sterben fliehen möge, in: Luther Deutsch. Die Werke Martin Luthers, hrsg. von Kurt Aland, Bd. 6, 2. erw. u. neubearb. Aufl. Stuttgart Göttingen 1966, 228-246. 127 Andreas Oslander, Wie vnd wo hin ein Christ die grausamen plag der pestilentz fliehen soll, Nuremberg 1533; Johannes Brenz: Wie man sich in sterbenden Läufften/ zur zeit der Pestilentz/ Christlich halten solle, Nüremberg 1533. Alle diese Schriften wurden im gleichen Jahrhundert wieder gedruckt. 128 Beispiel fur eine (späte) Diskussion der Frage aus katholischer Sicht: Jacob Hornstein, Sterbensflucht: Das ist/ Catholischer Bericht/ von Sterbensläuff der Pest: Sampt angehengter frag vnd antwort/ob man derselbigen Zeit fliechen soll oder nicht, Ingolstatt 1597.

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sterben.129 Aber wie sah es mit der Aufnahme und Verbreitung pestbezogener theologischer Grund- und Lehrsätze in anderen Gruppen, insbesondere bei den Vertretern der Obrigkeit auf den verschiedenen Ebenen aus? Hier müßte die Untersuchung allerdings einen Schritt weiter gehen und auch nach obrigkeitlichen Ge- und Verboten für ihre Amtsinhaber fragen, die vielleicht wichtiger waren.130 Interessant wäre es auch, der Frage nachzugehen, wie die Protestanten in dieser Situation der Lebensbedrohung mit dem Verschwinden der Mittler umgingen, mit dem Verlust der großen Schar von Heiligen. Gab es vielleicht einen relativ langen Ubergangszeitraum? Waren sie vielleicht gar nicht so schnell und vielleicht nicht ganz verschwunden? Oder wurde nach einiger Zeit genau dieser Unterschied zwischen den Konfessionen zur Profilierung und Absetzung genutzt? 1581 schrieb z. B. der sächsische Pastor Christopherus Reichelt ein Gedicht betitelt: „Ein bewehrte Artzney wieder der Seelen Kranckheit/ die man nicht bekömpt von S. Sebastiano oder Rocho/ sondern von HErrn Christo/ dem rechten Israels Artzte selbsten".131 Vorgebracht worden ist auch die Idee, daß die Medaillen und Münzen etc. Sinnlichkeit im Kleinstmaßstab wieder zuließen.132 Bekamen vielleicht gewisse Bibelpassagen und -metaphern einen geradezu beschwörenden Charakter? Die Protestanten zogen nämlich in Pestzügen immer wieder ganz bestimmte Bibelstellen heran. Von zentraler Bedeutung war der 91. Psalm. Er wurde in Predigten und Büchern immer wieder als Grundlage genutzt. Mit seiner Pest-Bildlichkeit - den Pfeilen, die bei Tage fliegen, der Pest, die im Finstern schleichet - , seinem Versprechen der Sicherheit unter dem Schirm, unter den Fittichen Gottes, und seinem kräftigen, auf den einzelnen gerichteten Versprechen: „Ob tausend fallen zu deiner Seiten und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es dich doch nicht treffen" galt dieser Psalm „von seinem ersten Ursprung her/ in der Kirchen Gottes/ als ein sonderlich Edles Kleinot".133 Schon Oslander hatte seine Predigt über die Fluchtproblematik zu Anfang der dreißiger Jahre darauf aufgebaut. Bald drehte sich fast alles um diesen Psalm. Seine Worte eigneten sich nicht nur zur extensiven Auslegung -

129 Vgl. Ulbricht, Gelebter Glaube, 162-170. 130 Gebote fur Nürnberg 1520 bei Bühl, 130 f. 131 (Christopherus Reichelt), Von der schrecklichen Seuche der Pestilentz/ein kurtzer Bericht/ Reinweis vefasset, Leiptzig 1581, n. pag. (9). 132 Vgl. Dormeier, „Ein geystliche ertzeney", 76-78 133 Andreas Perlitius, Latibulum Piorum contra pestem. Sichere Gewarsam vnd Heilstette der Gleubigen wider Pestilentz, Magdeburgk 1598, Vorrede. Der Text des Werkes ist „Aus dem 91. Psalm entworffen vnd gezeigt." Ebd., 1.

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Christoph Vischer ließ 21 Predigten über den Psalm drucken134 -, sondern auch zum Buchtitel („Schirm= und Schutz=Flügel/ des allmächtigen Gottes/ unter welchen man sich zu ieden= also besonderlich zur Pestilentz=Zeit zu verbergen"135). Und diese Verse wurden immer wieder aufs neue interpretiert. Das führte 1682 charakteristischerweise zu einem Werk betitelt „Die Achtmahlige unterschiedene Ubersetzung und heilsame Betrachtung des 91. Psalms".136 Sicher, hierin zeigt sich die Rückwendung auf die Bibel als Grundtext - aber in welcher Weise prägte eine derartige Konzentration die Sicht der Pest und wie konturierte sie das Glaubensverständnis in solchen Notzeiten? Auffällig ist weiterhin die Konzentration auf die Geschichte der Pestwellen, wobei mir noch nicht klar ist, ob das tatsächlich eine Besonderheit der Protestanten war. Immer wieder konfrontierten protestantische Autoren ihre Leser mit Pestchronologien, mit langen Aufstellungen von Pestzügen über die Jahrhunderte. Als der sächsische Pastor Christian Lehmann seine Chronik des Erzgebirges schrieb und auf die Pest zu sprechen kam, präsentierte er als erstes ein Kapitel betitelt „Wann und wie oflt die Pest von Anno 1000. biß Anno 1693. in diesem Gebirge grassiret hat."137 Als die Pest zu Anfang des 18. Jahrhunderts in Hamburg herrschte, konnten die Bewohner der Hansestadt wiederum die lange Geschichte der Pest nachlesen. 1712 erschien eine solche Liste, und nur zwei Jahre später wurde erneut eine „Beschreibung wie vielmahl seiher Anno 1370. biß Anno 1714. die Pest allhie zu Hamburg gewesen..." gedruckt.138 In Augsburg erschien 1629 ein Flugblatt betitelt „Christliche Erinnerung", das „ein kleines Chroniklein" der Seuchen enthielt, welche die Stadt seit Jahrhunderten heimgesucht hatten.139 Schöpften die Protestanten aus dem geschichtlichen Rück-

134 Christoph Vischer, Christliche Erklerung des 91. Psalmen in 21 Predigten ... deren man sich in Sterbens leufiten oder auch sonst... bey Begrebnissen gebrauchen mag, Schmalkalden 1572. 135 Von Johannes Schlemmius,Jena 1681. 136 Anonym, Hamburg 1682. 137 Christian Lehmann, Historischer Schauplatz derer Merckwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober=Ertzgebirge, Leipzig 1699, 953. Lehmann legte hier den weiten Begriff von Pest als Seuche gleich welcher Art zugrunde. 138 [Dietrich Matthias Campell], Kurtze Verzeichnis Deijenigen Pestilentzen und Ansteckenden Seuchen/ womit Die Stadt Hamburg, in vorigen Zeiten von der Starcken Hand GOttes heimgesucht worden, Hamburg 1712. Frdl. Hinweis von Matthias Lang. Und: Beschreibung wie vielmahl seiher Anno 1370. biß Anno 1714. die Pest allhie zu Hamburg gewesen, o. O., o. J. 139 Christliche Erinnerung/ neben kurtzer Historische Verzaichnus/ Wie oflt Gott der herr/ von Anno 1042 biß dahero/ wegen vbermachter Sünde/ mit Pest/ neben an

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blick, aus der Tatsache, daß ihre Stadt so viele Pestwellen durch Gottes Hilfe überlebt hatte, Hoffnung? Oder steckten dahinter in erster Linie historische Neugier und der Versuch, Zweifeln (gab es sie?) an der Sinnhaftigkeit der Geschichte vorzubeugen, wie vorgeschlagen worden ist?140 Waren diese Blätter eventuell identitätsstiftend, indem sie an die gemeinsame schwere Vergangenheit erinnerten? Die Sozialdisziplinierung sucht die Geschichte der Frühen Neuzeit seit geraumer Zeit heim. Diszipliniert werden sollten bekanndich nicht nur einzelne Schichten, die schlecht zu kontrollieren waren, sondern jeder einzelne Untertan. Jeder Mensch war danach einer unentrinnbaren Einwirkung von oben (durch den fördernden oder unabhängig lenkenden monarchischen Absolutismus) ausgesetzt, an dessen Ende ein neu strukturierter Mensch stand. Die etatistische Einseitigkeit dieses Konzepts und seine teleologische Tendenz sind oft kritisiert worden; in der Tat ist es nicht haltbar, diesen Fundamentalprozess nur als eine Einwirkung von oben nach unten zu konzipieren, die ein bestimmtes Ziel hatte, sondern er muß vielmehr grundsätzlich erst einmal wechselseitig gedacht werden, gleichgültig, wie die Kräfte jeweils tatsächlich verteilt waren. Inzwischen sind auch von den Verfechtern dieses Konzepts in dieser Hinsicht gewisse Konzessionen gemacht worden. Je nach Interessenlage der verschiedenen beteiligten Gruppen konnte es zu ganz unterschiedlichen Reaktionen und Ergebnissen kommen. Das Konzept der Sozialdisziplinierung ist bekanntlich mit dem der Kirchenzucht vereinigt worden und bereits auf unterschiedlichen Gebieten getestet worden, so z. B. fur so zentrale Bereiche wie den des Armenwesens. Während inzwischen vorgeschlagen wird, den thematischen Bereich wie auch den Raum zu weiten,141 und damit die Gefahr von Oberflächlichkeiten vor der Tür steht, bietet der Blick auf die Pest die Möglichkeit konkreter Untersuchungen vor Ort, und zwar über die Zeit. Das Verhalten von Untertanen und Obrigkeit - um der Kürze wegen diese grob simplifizierende Formel zu nutzen - in Pestwellen wäre ein gutes Gebiet für eine solche tiefgehende Untersuchung. Jede Pest machte obrigkeitliche bzw. deren Plagen/ dise Statt Augspurg habe heimgesucht, von C(aspar) A(ugustin), in: Deutsche Illustrierte Flugblätter des 16. und 17. Jahrhunderts, hrsg. von Wolfgang Harms, Bd. 1, Tübingen 1985, 487. Ich vermute einen katholischen Verfasser. 140 Ebd., 486. 141 Vgl. Heinz Schilling, Profil und Perspektiven einer interdisziplinären und komparatistischen Disziplinierungsforschung jenseits einer Dichotomie von Gesellschaftsund Kulturgeschichte, in: Institutionen, Instrumente und Akteure sozialer Kontrolle und Disziplinierung im frühneuzeidichen Europa, hrsg. von Heinz Schilling unter red. Mitarbeit von Lars Behrich, Franfurt am Main 1999,1-36

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staatliche Tätigkeit notwendig; die Obrigkeit mußte prophylaktisch ebenso tätig werden wie Anweisungen erteilen, wenn die Pest ausgebrochen war, die verschiedenen Verwaltungsorgane mußten sie weitergeben oder umsetzen und konnten dabei ihre Willigkeit oder verdeckte Unwilligkeit, ihre begrenzte Fähigkeit oder Unfähigkeit dazu oder auch die Problemlosigkeit oder Unmöglichkeit der Umsetzung zeigen. Die unterschiedlichen Gruppen von Untertanen reagierten mit williger Befolgung, mit striktem Gehorsam, mit Desinteresse, mit Umgehen der Gebote, mit der Weigerung, ihnen nachzukommen, je nach Verordnung und Situation. Natürlich ist dieses Konzept auch bei der Untersuchung der Pest schon in den Blick gekommen,142 auch gesehen worden, daß man die Pest, die Gunst der Stunde nutzend, zum Anlaß nahm, wieder einmal gegen ungeliebte Erscheinungen wie Tanz und Luxus vorzugehen143, aber eine systematische Untersuchung gibt es nicht. Hier ergäbe sich aber einmal die Möglichkeit eines Tests am Beispiel einer Extremsituation, die sich über einen längeren Zeitraum immer wieder wiederholte. Eine ganze Reihe von Untersuchungsfeldern bieten sich fur eine systematische Langzeituntersuchung an. Eines von ihnen wäre ζ. B. die immer wieder geforderte Reinlichkeit der Häuser und ihrer Straßenfront, denn auch den privaten Bereich des Menschen soll die Sozialdisziplinierung bekanntlich erfaßt haben. Die Sauberkeit der Häuser und Straßen würde sich übrigens zugleich - ohne daß das intendiert worden wäre - als Rattenbekämpfung auswirken und somit Auswirkungen auf die Verbreitung der Pest haben. Die entweder durch die Obrigkeit veranlaßten144 oder in ihrem Sinne verfaßten Ratschläge wiederholen sich über die Jahrhunderte, wenn auch nicht ohne Akzentverschiebungen. Der Arzt Widmann zielt im Jahre 1519 mehr auf die Vermeidung der Wirkung von Unreinlichkeit und Gestank als auf das Sauberhalten, wenn er sagt, „notturfltig ist/ dz man fliehen sol allen übelschmackenden vnd stinckenden luflt/deshalb man die heüser suber halten vnd nit by wincklen oder heimlichen gemachen/ bey metzeln oder anderßwo da man vnflat hien thut/ wonen soll".145 Thomas Erast, der als einer 142 Vgl. Hatje, 156. Trotz des Titels nicht bei Britta Sigrid Oberthaler, „...bißweilen muß Gott an den bösen Leuth Räch nehmen..." Die sozialdisziplinierenden Auswirkungen der Pest als „Strafe Gottes", Diplomarbeit, Wien 1991. 143 Vgl. ζ Β. Fritz Kraemer, Pestbekämpfüng und -abwehr in Freiburg im Breisgau von 1550-1750, Diss. med. Freiburg i.Br. 1987,138-145. 144 Vgl. dazu ζ. B. Franz Xaver Seitz, Beiträge zur Geschichte der Hygieine [so] und Medicinal-Polizei des Kantons Zürich, Zürich 1883, 31 und den Beitrag von Axinia Schluchtmann in diesem Band. 145 (Johann Widmann), Regimen durch den hochgelerten vnd übertrefflichen der artzney Doctor Johan. Wydman genant Moichinger gesetzt/ wie man sich in pestilentzischem luflt halten soll, Straßburg 1519, o. Pag. (S. 2 des Textes).

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der besten Arzte Deutschlands galt, aber vielleicht durch seine Rolle bei der Einfuhrung der reformierten Lehre in der Pfalz bekannter ist, gab 1563 dagegen eine genaue Handlungsanweisung für den gemeinen Mann in diesem Territorium: Man solle sich „zum höchsten befleissen, daß der Lufft in seinem hauß vnd wonung rein vnd gsund bleibe / vnd derwegen alle vnsauberkeit teglich lassen außfegen/ vnd ab dem wege thun."146 Die Vorschriften der Medizinischen Fakultät der Universität Marburg, etwa 30 Jahre später, heben das Reinigen der Toiletten und des Straßenabschnitts vor dem Haus hervor und betonen besonders den Gestank: „Damit aber auch der luffi vor faule vnnd gestanck desto sicherer sey/ so sol man die heimliche gemächer vnd winckel wol verdeckt halten/ offt reinigen/ auch die gassen vnd die heuser selbsten vom gestanck vnd faulen geruch faulens fleisches vannd sterbender thieren / Item dero Ställe /kofen vannd stinckender wasserpfutzen/ so viel müglich reyn halten."147 Was geschah nun mit solchen Anweisungen, an deren Seite manchmal regelrechte Pestordnungen gestellt wurden, wie Axinia Schluchtmann fur Rostock zeigt? Man sollte meinen, derartige Maßnahmen lägen ganz im Interesse der Untertanen und würden von diesen sowieso schon ergriffen. Denn eigentlich müßte man entsprechendes Wissen voraussetzen, schließlich lebte man ja zu Beginn der Frühen Neuzeit bereits anderthalb Jahrhunderte mit der Pest. Selbst wenn das nicht der Fall war, dürften die Schriften viele erreicht haben - in Nürnberg wurden 6000 gedruckt und auf die Haushalte verteilt.148 Aber es stellt sich die Frage, ob die materiellen Bedingungen, unter denen die Menschen lebten, es überhaupt gestatteten, dem Gebot der Reinlichkeit in der engsten Umgebung nachzukommen. Hatte die Forderung nach Reinlichkeit und Beseitigung des Gestankes nicht auch einen utopischen (aus der Perspektive der Zeitgenossen - oder zumindest, aus unserer, einen in die ferne Zukunft weisenden) Zug, wenn man mit Schweinen und Rindern in der Stadt lebte und den Misthaufen vor der Tür hatte? Wenn man gewohnt war, den Unrat darauf zu werfen, oder, wenn man keinen hatte, auf die Straße oder in den Fluß? Welches Bewußtsein bestand bei den verschiedenen Gruppen der Gesellschaft fur die unterschiedlichen Bedeutungsaspekte von Reinlichkeit, von dem medizi-

146 Thomas Erastus, Kurtzer Bericht fiir den gemeinen Mann/ wie er sich in disen sterbenden leuffen/ ohne sondern kosten mit Preseruatiuen vnnd Remedien verwaren vnd halten soll, Heidelberg 1563, o. Pag. (S. 2). 147 Von der Pestilente/ vnd deren Curation/ wie sich hiebey gesunde vnd krancke zu verhalten, von den Professoribus Medicae Facultatis der Vniversitet zu Marpurgk, Marburg 1597, 6. Vgl. auch Rödel, Die Obrigkeit und die Pest, 194, der zwar das Fegen der Gassen, aber nicht die Reinigung der Häuser anspricht. 148 Vgl. Bühl, 134.

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nischen, dem prestigebezogenen bis zu dem ästhetischen? Und vor allem: Nahm die Obrigkeit bzw. der Staat Kontrollen vor und wurden Strafen ausgesprochen, wenn die Straßen nicht gereinigt wurden? Manche Städte entschieden sich für eine andere Lösung, die impliziert, daß die Untertanen dem Gebot der Straßenreinigung nicht Folge leisteten: Sie etablierten eine städtische Straßenreinigung, so ζ. B. Breslau 1542, wofür die Hausbesitzer nach Breite des Grundstückes zahlen mußten,149 oder auch Münster ganz am Ende des gleichen Jahrhunderts.150 Auch Straßenpflasterung ist als Sauberkeits- und damit Pestbekämpfungsmaßnahme bezeichnet worden, allerdings ohne den notwendigen Nachweis, daß dies vornehmlich in den Bezirken der Armen geschah.151 Wenn Haus und Straße tatsächlich reingehalten wurden, wurde dies auch fortgesetzt, wenn die Pest vorüber war? Oder blieb im wesentlichen die Erinnerung an einen vorgeschriebenen, im Prinzip erstrebenswerten, aber nicht realisierbaren Zustand haften? Auch die Frage nach der Reinlichkeit der Häuser könnte unter Einbeziehung der Forderung, daß sie auch gut riechen sollten, näher untersucht werden. Mit der Sozialdisziplinierung steht die Frage nach der Durchsetzung, der Funktion und Bedeutung von Gesetzen und Verordnungen in der Frühen Neuzeit in engem Zusammenhang. Vor und während einer Pest erließen die Obrigkeiten zahlreiche Verordnungen, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts ganze Pestordnungen: eine ausgezeichnete Möglichkeit, die Durchsetzung oder Implementierung, die im Augenblick intensiv diskutiert wird, an einem konkreten Fall zu untersuchen.152 (Gleichzeitig besteht die Möglichkeit, das Funktio149 Die Goldschmiede-Chronik. Die Erlebnisse der ehrbaren Goldschmiede-Altesten Martin und Wolfgang auch Mag. Peters Vincentz, hrsg. von Curt Rudolf Vincentz, Hannover o. J., 117. 150 Vgl. Viktor Huyskens, Zeiten der Pest in Münster während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Beilage zum Jahresberichte des Realgymnasiums zu Münster i. W., Münster i.W. 1901,13. Nicht erfaßt bei Jutta Nowosadtko, die den Beginn derartiger Mandate auf das Ende des 17. Jahrhunderts datiert. Vgl. dies., Die policierte Fauna in Theorie und Praxis. Frühneuzeidiche Tierhaltung, Seuchen- und Schädlingsbekämpfung im Spiegel der Policeyvorschriften, in: Policey und frühneuzeitliche Gesellschaft, hrsg. von Karl Härter, 304 f Anm. 32. Vgl. Bulst, Vier Jahrhunderte, 262 für das Spätmittelalter. 151 Roeck, 630-632. 152 Jürgen Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des frühneuzeitlichen Staates, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), 647-663; Ulinka Rublack, Frühneuzeitliche Staadichkeit und lokale Herrschaftspraxis in Württemberg, in: Zeitschrift fiir historische Forschung 24 (1997), 347-376; Achim Landwehr, „Normdurchsetzung" in der Frühen Neuzeit? Kritik eines Begriffs, in: Zeitschrift fur Geschichtswissenschaft 48 (2000), 146-162.

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nieren der Verwaltung genau unter die Lupe zu nehmen). Dabei ist die besondere Situation der Pest von Vorteil, da sie die Probleme und Konflikte schärfer hervortreten läßt. Zwei Problemkreise schieben sich in den Vordergrund: zum einen das Verhältnis der Untertanen zu den obrigkeitlichen Anordnungen, da man die Bevölkerung nicht von vornherein auf eine willfährige Marionettentruppe reduzieren kann,153 die sich nur bewegen konnte, wenn ein Impuls von oben kam,154 zum anderen die Tätigkeit der Verwaltung vor Ort. Man könnte meinen, daß im Angesicht der Pest eine Interessengleichheit vorherrsche und damit kein Durchsetzungsproblem155 bestünde, da die Obrigkeit bzw. der Staat Leben retten wollte und die Untertanen genau dasselbe mit ihrem eigenen Leben im Sinn hatten. Aber der Schein täuscht, denn die Motivationen dahinter waren jeweils andere. Der Obrigkeit oder Regierung ging es um den Schutz eines Territoriums als Ganzes (oder des noch nicht betroffenen Teiles), seiner Wirtschaft, insbesondere des Handels; den Untertanen um die Lage vor Ort, um ihre ganz persönliche Situation oder die ihrer Stadt.156 Wurde eine Stadt gesperrt, um die Ausbreitung der Pest im ganzen Territorium zu verhindern, so konnte sich in ihr die Lage erheblich verschlechtern, ja katastrophal werden. In dieser Situation waren die (getroffenen oder nicht getroffenen) obrigkeitlichen Vorsorgemaßnahmen sehr wahrscheinlich ein wichtiger Faktor, der die Beachtung oder Nicht-Beachtung der Sperre beeinflußte. Wurden sie nicht ergriffen oder waren sie unzulänglich, was aufgrund der Kosten, die man scheute, anzunehmen ist, dann war Selbsthilfe und damit oft die Mißachtung von Verordnungen ein Ausweg. Aber auch aus ihrer eigenen Uberlebens-Logik heraus, in deren Wertesystem oft das Uberleben heute vor der Sicherung des Lebens fur morgen kam, schoben die Menschen die Verordnungen und Gebote ebenso beiseite wie die Angst vor der Pest.157 So lange die ökonomischen Ver153 Vgl. Alf Lüdtke, Einleitung. Was ist und wer treibt Alltagsgeschichte? In: Alltagsgeschichte, Frankfurt - New York 1989,13; vgl. Rublack für Untertanen, die als Akteure die Staatlichkeit mitbestimmen. 154 Gegen eine Verallgemeinerung der Bemerkung von Sundin, die Martin Dinges, Pest und Staat, 84, Anm. 71 zitiert. 155 Durchsetzung kann in historischer Perspektive nie vollständige Durchsetzung heißen, sondern nur weitestgehende, mit den üblichen Abstrichen aufgrund von Fehlern und Schwächen der Beteiligten verbundene Durchsetzung. 156 Vgl. Dinges, Pest und Staat, 88. 157 Vgl. Giulia Calvis Bemerkung über „Kleine Leute": „... the most surprising theme is how little fear contagion caused." Giulia Calvi, Histories of a Plague Year, Berkeley - Los Angeles - Oxford 1989,141.

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hältnisse schlecht waren, solange keine Organisationen vorhanden waren, die im Notfall helfen konnten, war das auch der einzige Weg. Eine der sinnvollen befohlenen Maßnahmen war ζ. B. die Vernichtung des Bettzeugs der Pesttoten. Die verwitwete Mutter von Anna Vetterin versuchte während des Dreißigjährigen Krieges verzweifelt, sich mit ihren drei Kindern durchzuschlagen. Da „riß ... eine Pest an unterschiedlichen orten ein, daher sich mein mutter mit uns kümmerlich behalff; sie fing endlich wieder etwas an, daß sie geld gewinnen möchte, uns zu erhalten. Sie kaufte den leuten die betten ab, auf welchen jemand gestorben war, welche die leute um ein geringes weggaben, ja gar über die Stadtmauer wurffen, diese betten trug sie meilen hinweg und verkaufte sie."158 Wie sollte in einem solchen Fall vorgegangen werden? Mit exemplarischer Bestrafung etwa? In der Tat, meinte Leibniz: Gegen die ebenso unverschämte wie gefahrliche Meinung des Volkes, das die Vorsichtsmaßnahmen aufs höchste mißbilligte, und gegen anderes wie etwa falsche Nächstenliebe, könne nicht mit zuviel Schärfe vorgegangen werden.159 Aber wurde so gehandelt? Konnte so gehandelt werden von Obrigkeiten, die auch den Konsens nicht aus dem Blick verlieren durften? Die Frage fuhrt uns zu den lokalen Behörden. Ganz richtig bemerkt Martin Dinges zur Bedeutung der unteren Instanzen: „Gerade bei der Seuchenbekämpfung kommt alles auf schnelles und wirksames lokales Handeln an, was zu einer weitgehenden Abhängigkeit der Staatsspitze von der unteren und mittleren Verwaltungsebene fuhrt."160 Aber konnten diese die Verordnungen mit Schärfe durchsetzen? Glaubt man Oestreichs Diktum: „In Wirklichkeit hatte die monarchische Gewalt auf den zwei unteren Bezirken, in der später so genannten Provinzebene und in der Lokalverwaltung kaum etwas oder sogar nichts zu bestellen"161, so stellt sich die Frage, was mit den Edikten von oben vor Ort geschah, um so 158 Gottfried Arnold, Unpartheyische Kirchen=Kirchen und Ketzergeschichte, Bd. 2, Schafihausen 1741, 585. 159 Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Sämtliche Schriften und Briefe, Erste Reihe, Bd. 3, Leipzig 1938,133. 160 Dinges, Pest und Staat, 84. Nachdem er die Unzulänglichkeit der Viertelsärzte und des ihnen unterstellten Personals konstatiert hat, schreibt Winter, 250 für Osterreich: „Daraus ergibt sich, daß die Hauptlast der örtlichen Pestabwehr und Pestbekämpfiing den Herrschaften und Gemeinden auferlegt war." 161 Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: VSWG 55 (1969), 335. Diese Auffassung wird auch heute noch vertreten, vgl. Reinhard Blänkner, „Absolutismus" und „frühmoderner Staat". Probleme und Perspektiven der Forschung, in: Frühe Neuzeit - Frühe Moderne?, hrsg. von Rudolf Vierhaus, Göttingen 1992, 64 f. (Der preußische Staat hörte beim Landrat auf).

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eindringlicher. Einige Quellen machen klar, daß sie manchmal Papier blieben. Der Magistrat der Stadt Halle schrieb während der Pest 1682/83 an die kurfürstliche Regierung in Berlin: „Wir bekennen hierunter auch gern unser Unvermögen welches uns die Hände bindet, das was unsere Hochgeehrte Herren anordnen zu einem effect zu bringen, gestalten unsere Bürger und Einwohner bey diesen Zeiten nicht zu bändigen seyn."162 Diese Bemerkung, in ihrem offenen Bekenntnis eigener Machtlosigkeit - jedenfalls was die Anweisungen von oben anging, gegen die man möglicherweise selbst eingestellt war - macht klar, daß es unbedingt notwendig ist, die Organisation und das Funktionieren von Verwaltung vor Ort im Wechselspiel mit den Reaktionen der Untertanen genau zu untersuchen. Die Pestbekämpfung bietet dazu eine hervorragende Möglichkeit. Die Dokumentation für die Reichsstädte ist recht gut und später triât gleiches für die fürstlichen Territorien zu, insbesondere für die Pestwellen der 1660er Jahre, von 1681/82 wie von 1709-13. Mit diesen Bemerkungen ist die Problematik aber lediglich kurz und provokativ angerissen; der Magistrat Halles kann untypisch sein, die Haltung der Untertanen variieren; obrigkeitliche Verfügungen konnten den Interessen der Bürger entsprechen, z. B. die oft zu beobachtende vorsorgliche Anweisung an die Apotheken, genügend Mittel bereit zu halten; außerdem gibt es immer einen gewissen Grad von Mißachtung der Gesetze - es wäre also ein über das Übliche hinausgehender Widerstand festzustellen. Auch handelten Obrigkeiten ganz unterschiedlich, und das hing auch mit der Größe der Territorien zusammen. So lassen sich z. B. patriarchalisch-fürsorglich-vorsorgliche Haltungen für Zwergstaaten feststellen163 ebenso wie es Fehlentscheidungen in den Zentralen größerer Staaten gibt. Die Problematik ist also insgesamt weit komplexer. Auch den (immer noch existierenden) Absolutismus, der hier nicht als durch die Sozialdisziplinierung ersetzt betrachtet werden soll, kann man mittels der Pest genauer erforschen. In dem Beitrag von Volker Gaul, Kommunikation zurZeit der Pest: Das Herzogtum Holstein-Gottorf in den Jahren 1709-1713, geht es vor einem kommunikationstheoretischen Hintergrund zu einem großen Teil um die Verbreitung der staatlichen Informationen und deren Wirkung während der absolutistischen Zeit. Den absolutistischen Maßnahmen wird des öfteren ein beträchtlicher Anteil am Sieg über die Pest zugemessen. So heißt es: „Tatsächlich haben die absolutistischen Staaten des 17. und 18. Jahrhunderts - die Habsburger 162 Zitat nach: Ueber die letzte Pest in Halle im Jahre 1682, in: Magdeburg=Halberstädtische Blätter, Febr. 1801,109. 163 Hermann Suhle, Die Pestjahre 1680-1683 in Bernburg und in den Harzämtern Ballenstedt und Hoym, in: Zeitschrift des Harz=Vereins 43 (1910), 261-273.

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noch im 19. Jahrhundert - allerhand getan, um durch Absperrungen, Quarantäne und andere Maßnahmen die Ausbreitung der Pest zu behindern. Möglicherweise wurden diese Maßnahmen im Laufe der Zeit auch wirkungsvoller."164 Oder: „Zweifellos kommt den geschilderten Maßnahmen, darunter besonders dem zuletzt auch eingeführten Militärkordon, eine wichtige Rolle beim Verschwinden der Pest im 18. Jahrhundert zu."165 Dabei wird besonders gern auf den bereits erwähnten österreichischen cordon sanitaire, der die Habsburger-Monarchie gegen Osten abschirmte, hingewiesen,166 der „mit dazu beigetragen (hat), daß die Pest seit dem 18. Jahrhundert ... nicht mehr in das Abendland eingeschleppt wurde."167 Es stellt sich damit die Frage nach dem Gebrauch des neuen Machtinstruments des Absolutismus, des Heeres, in den Pestwellen der zweiten Hälfte des 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Durch das Militär bestand die Möglichkeit, die Weiterverbreitung der Seuche mit aller Konsequenz - und das heißt auch unter Nicht-Berücksichtigung aller anderen Interessen - zu bekämpfen. Mit dieser Möglichkeit, der Seuche Einhalt zu gebieten, konnten also totalisierende Tendenzen einhergehen. Mit dem konsequenten, systematischen Einsatz des Heeres, das ironischerweise in den vorangehenden Jahrhunderten und auch in absolutistischer Zeit die Verbreitung immer gefördert hatte, stellten sich prinzipielle Fragen. Die Problematik findet ihren Ausdruck besonders bei der Absperrung von Städten. Sie kommt an die Oberfläche in dem Widerstand, auf den der Einsatz des Heeres stieß, sobald man die sich bietende Möglichkeit voll und ganz auszuschöpfen versuchte. Zuerst prallten die Meinungen im entscheidenden Organ, der Gesundheitskommission der Stadt, heftig aufeinander.168 Dann setzten sie sich auf der Straße fort, wo es zu Zusammenstößen der Bürger mit den Soldaten kam, so ζ. B. in Rendsburg 1712. Der zuständige Amtmann kritisierte, daß die Gilde im Neuenwerke (Stadtteil Rendsburgs) 164 Vasold, 176. 165 Bulst, Vier Jahrhunderte, 263. 166 Ebd. Interessanter- und enthiillenderweise urteilt die Expertin fur diese Frage, Erna Lesky, Die österreichische Pestfront an der k.k Militärgrenze, in: Saeculum 8 (1957), 105 vorsichtiger: Die Pest sei zwar in einer Rückzugsbewegung gewesen, es handele sich aber trotzdem nicht um eine „überflüssige Maßnahme"! Schilderung des Systems am Ende der 1770er Jahre (mit Hinweisen auf Manipulationsmöglichkeiten) bei Johann Kaspar Steube, Von Amsterdam nach Temiswar. Wanderungen und Schicksale, Berlin o.J., 112-116. 167 Winkle, 495. Johann Werfring, Der Ursprung der Pestilenz, Wien 1998, 25, enthält sich der Stellungnahme. 168 Claus Wulf Die Pest in Stadt und Amt Rendsburg, in: Heimatkundliches Jahrbuch fur den Kreis Rendsburg 1960, 81.

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Otto Ulbricht „nicht allein mit 30 biß 40 pahr Männer den Cörper auß dem Sterbehause geholet, und zu Grabe gefolget, sondern auch die von dem Königl. Brigadier und Commandanten Hrn. von Schnitter, auf ansuchen des Magistrats zu Verhütung aller disordres bey der Kirchhoffs-Pforte Commendierte Wache ja gar den Capitain von der Hauptwache alß derselbe den von den Bürgerschaft erregten tumult steuern und allem unheyl zu wehren, mit seine Mannschaft herzugeeilet, mit großem Ungestüm angefallen, und also mit gewaltsamer Handt verhindert, daß dieser so heylsamen als nöthigen Verfugung nicht nachgelebet werden können.169

Noch mehr spitzten sich die Zustände in Duderstadt 1682 zu. Am 11. Juni war die Stadt abgeriegelt worden. Knapp 14 Tage später wird berichtet, daß Bürger der Stadt „Trouppen weiß mit röhren undt prügeln gegen sie [die Soldaten OU] aufgezogen kommen, auch ferner sich verlauten lassen, nechsten Sontag mit hundert und mehr röhren nacher Ween in die Kirche zu gehen, um zu sehen, wer ihnen solches verwehren wolte."170 Konsequente militärische Pestbekämpfung verletzte die Rechte und Freiheiten der Untertanen, verstieß gegen Werte, die sie auch im Angesicht der Pest nicht aufgeben wollten, gegen fundamentale Interessen, die sie für unverzichtbar hielten. Aus dem abgeriegelten Duderstadt konnten die Handwerker ihre Produkte nicht mehr verkaufen (versuchten es aber), die Bürger nicht mehr in ihre Gärten vor der Stadt kommen, in denen sie anbauten, was für sie lebenswichtig war. Sie gingen trotzdem hin. Als die Soldaten schössen, zeigte einer der Bürger mit einer traditionellen Geste der Volkskultur, was er von dem ganzen Vorgehen hielt: er zeigte den Soldaten sein nacktes Hinterteil.171 Derartige totalisierende Tendenzen, die auch von gewissen Medizinern wegen ihrer absoluten Effektivität befürwortet werden, führen zu der Frage, wohin man in der historischen Situation zu gehen bereit war. Man konnte theoretisch mit dem Heer172 die perfekte Pestkontrolle durchfüh-

169 Landesarchiv Schleswig, Abt. 104, Nr. 374, Verfügung des Amtmanns Andreas Fuchs, Jevenstedt, d. 30. Sept. 1712. Vgl. auch Wulf, 81. Hier zeigt sich, daß die Kosten, auf die Bulst, Vier Jahrhunderte, 259, 261 f. hinweist, keineswegs das einzige oder wesentlichste Hindernis darstellten, auf das die Durchsetzung der Maßnahmen zur Pestbekämpfüng traf. Kultur ist der Ökonomie an die Seite zu stellen. 170 Stadtarchiv Duderstadt, Dud I, Nr. 3023, (Befehl), Duderstadt, den 25. Juni 1682, Schultheiß, Bürgermeister undt Rahdt daselbst. 171 Ebd., Verhörprotokoll, 4. Aug. 1682. Natürlich stritt der Vernommene ab, daß er „die posteriora sollte der wachte gezeigt haben", er hätte nur seinen Rock „etwas aufgehebet", um schneller laufen zu können. 172 Übrigens keine Organisation von perfekter Disziplin, wie sie von Lipsius und Oestreich imaginiert wurde: Gerade die Repressalien der Soldaten, die ständige Gelderpressung, waren ein häufiger Klagegrund in Duderstadt.

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ren.173 Dann mußte man aber mit Widerstand rechnen, insbesondere wenn keine vorausschauenden Maßnahmen zur Versorgung der abgeriegelten Stadt getroffen worden waren (und also keine Bereitschaft zu entsprechenden Ausgaben vorhanden war), aber auch weil die Absperrung als Einsperrung verstanden wurde; oder man mußte bei der Pestbekämpfung die Bevölkerung noch mehr berücksichtigen und den Einsatz des Heeres vorsichtig handhaben und umsichtige Vorsorgepolitik treiben oder gar ganz auf den Einsatz von Soldaten verzichten. Um die Problematik noch einmal zu unterstreichen noch zwei Beispiele: Für die Versorgung von Königsberg hatte man 1709 völlig unzureichende Maßnahmen getroffen, als man die drei Städte durch einen Doppelkordon abriegeln ließ. Es trat ein so starker Mangel an Nahrungsmitteln und sonstigen lebenswichtigen Gütern ein, „daß man öffentlich behauptete, die Menschen stürben nicht sowohl an der Pest, als vielmehr an den beliebten Maßregeln gegen dieselbe und ein Prediger ohne Scheu von der Kanzel sagte, man sollte nicht die an den Galgen knüpfen, welche die Sperre zu übertreten suchten, sondern die Behörden, welche nicht ihre Pflicht thäten."174 In Oschatz, zwischen Leipzig und Dresden gelegen, sollen 1681 „die Noth und der Hunger so groß (geworden sein), daß sie eine schwarze Todten=Fahne zum Thurm ausgestecket/ und die benachbarten um Hülffe ersuchet/ denn es um und um mit Soldaten versperret war."175 Das hieß nichts anderes als: mit den Nachbarn gegen den Staat. Nicht nur die lokale geisdiche Obrigkeit (oder ein Mitglied davon) konnte gegen eine solche Verwendung des Heeres auftreten. Derartige Kontroversen gab es auch auf höchster Ebene. Als die Regierungen von Eisenach, Weimar und Gotha 1682 die völlige Absperrung der Stadt Erfurt beschlossen, wandte sich der Mainzer Erzbischof zu dessen Gebiet die Stadt gehörte, strikt gegen diese Maßnahme. Raub und Hungersnot wären die Folgen, argumentierte er.176 Hier liegen prinzipiell unterschiedliche Konzepte von Pestpolitik mittels des Heeres vor, in deren Hintergrund ganz massive Belastungen durch die Ausgaben stehen. Beson173 Aber nur theoretisch: In völliger Verkehrung der ihnen zugedachten Rolle waren es 1712/13 in Bremen die Soldaten des Absperrungsrings um ein Dorf, welche die Pest in die Stadt einschleppten. Vgl. Klaus Schwarz, Ein ärztlicher Bericht über die Pest in Bremen 1713, in: Bremisches Jahrbuch 62 (1984), 23 f., Anm. 4. 174 Hagen [kein Vorn, angegeb.], Die Pest in Preußen in den Jahren 1709 bis 1711, in: Beiträge zur Kunde Preußens, Königsberg 1817, 37 f.; Sahm, 64. 175 Christian Lehmann, Historischer Schauplatz derer Merkwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober=Ertzgebirge, Leipzig 1699, 978. 176 Loth [kein Vorn, angegeb.], Die Pest in Erfurt während der Jahre 1682-1684, in: Correspondenz-Blätter des allgemeinen ärztlichen Vereins von Thüringen 20 (1891), 185.

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ders bei den (kostspieligen) Absperrungen war die Versorgung der Eingeschlossenen offensichtlich immer wieder völlig unzureichend; man beschränkte sich auf die Organisation von Märkten unter Bedingungen der Pest. Welche Rolle das Heer bei der Bekämpfung haben sollte und tatsächlich hatte, ob ihm Wirksamkeit nachweislich zuzuschreiben ist, welche Unterschiede von Territorium zu Territorium bestanden, welche Bedeutung der Bewachung der Landesgrenzen zuzumessen ist und schließlich welche grundsätzlichen Positionen sich daraus ableiten lassen, all das wäre noch genau zu erforschen. Es gibt aber noch eine ganze Reihe von weiteren Forschungsfeldern. Da ist z. B. das Denken und Handeln des „gemeinen Mannes", der Masse der Bevölkerung in der und in bezug auf die Pest. Wenn von ihrer Reaktion die Rede ist, wird des öfteren eine rein demographische Antwort gegeben: die Verwitweten heirateten nach dem Ende der Pest oft erneut, und es kamen viele Kinder auf die Welt. Daß eine solche Antwort völlig ungenügend ist, braucht nicht erst gesagt zu werden. Die Beschäftigung mit dem gemeinen Mann, mit der gemeinen Frau, muß notwendigerweise die Erforschung und Interpretation des geistigen Rüstzeugs, mit dem man der Pest begegnete, des sozialen Wissens, auch der Glaubenspraxis und des „Aberglaubens", der magischen Praktiken mit ihren prophylaktischen und therapeutischen Maßnahmen nach sich ziehen. Der „Aberglaube" bietet sich besonders an: Da zu Anfang der Frühen Neuzeit noch viele magische Praktiken Allgemeingut waren, der Niedergang der magischen Welt aber diese Epoche kennzeichnet, sich die kulturellen Welten der verschiedenen Teile der Bevölkerung aber unterschiedlich entwickelten, bietet die Pest die Möglichkeit, diesen Prozeß genauer unter die Lupe zu nehmen. Als 1639 in Schleswig-Holstein ein Hof von der Pest bedroht wurde, ließ der Besitzer, ein Schafhalter, von einem nackten Brautkind, d. h. einem Erstgeborenen, nachts mit einem Erbkesselhaken, der wie ein Pflug gebraucht wurde, einen Kreis um das Haus ziehen. Einige Nachbarn konnten zu demselben Vorgehen überredet werden.177 Dieser Bericht fuhrt in eine ganz andere Welt als die ständig und häufig allein vorgebrachte christliche Erklärung der Pest als Geißel Gottes fur die Sünden des Menschen und Buße als einziges Mittel dagegen. Die magischen Praktiken der Bevölkerung in ihrer ganzen Fremdheit gilt es nicht mit rationaler Arroganz als abergläubisch zu verurteilen, sondern es gilt, ihre Bedeutung fur die Menschen herauszufinden, ihrer eigenen Logik nachzuspüren, sie als Teil ihrer Weltsicht zu verstehen. Interessant ist an dem 177 Karl-Sigismund Kramer, Volksleben in Holstein (1550-1800), 2. verb. Aufl. Kiel 1990,281. Weitere Beispiele vgl. Art. Pest, in: Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Bd. 6, Berlin - Leipzig (1934/1935), 1514.

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Beispiel erstmal, daß der Schafhalter selbst tätig wurde, also aktiv etwas unternahm, um sich zu schützen. Der Kreis mit seinen vielfachen Bedeutungen hat hier eindeutig eine Abwehr- und Schutzfunktion - das Haus wird für die Pest geschlossen -, die Nacktheit ist kultisch. Dies fuhrt nun keineswegs zu einer Konfrontation von Magie und Vernunft, wie man glauben könnte, sondern von Magie mit christlichem Glauben. „Gott habe ihnen aber gezeigt", sagt der Pastor, „daß der Kesselhake uns von der Seuche und dem Dote nicht erretten könnte, sondern sein Schutz und Schirm [Psalm 91! OU] müßte das Beste tun."178 Dies ist keineswegs ein einsames Beispiel von magischen Bräuchen. Ein anderes Phänomen sind die schmatzenden Toten oder Nachzehrer. Was uns heute als abergläubisch erscheint, war lange Zeit gut christlich (wie ja überhaupt von einer Gemengelage zwischen Magie und christlicher Religion auszugehen ist; die meisten Autoren befürworteten z. B. Amulette). Grub man sie aus und stach ihnen den Kopf ab, so hörte die Pest auf glaubte man. Diese Uberzeugung bedeutet, daß der Mensch zumindest in bestimmten Fällen Macht über die Seuche hatte, er konnte sie durch sein Handeln beenden.179 Und wenn dann die Pest tatsächlich zurücktrat, fand er sich in dieser Ansicht bestätigt. Der sich ständig wiederholende Hinweis, man wäre, weil man das entsprechende Bakterium nicht gekannt habe, völlig hilflos gewesen, trifft also subjektiv nicht zu; das Zurückweichen wurde eben nicht als zufallige zeitliche Ubereinstimmung gesehen, sondern als Wirkung der ergriffenen Maßnahme. Ebenso wäre es übrigens unsinnig, zu behaupten, daß alle prophylaktischen Maßnahmen nichts geholfen hätten, weil man die Wege der Übermittlung nicht kannte. Die einsichtigeren unter den Autoren räumen die Wirksamkeit der auf Empirie begründeten Maßnahmen auch ein.180 Damit stellt sich also die Frage, ob die These von der absoluten Hilflosigkeit aus der Perspektive der Zeitgenossen gehalten werden kann. Der Glaube, die Pest festnageln zu können, wie er des öfteren berichtet wird, ist eine andere Methode, der Pest ein Ende zu setzen. „Der L i n d e r Feldhüter befand sich eben beim oberen Thore des Dorfes, wo das alte Pestkreuz stand,

178 Landesarchiv Schleswig AR 111, 1639/40, zitiert nach Kramer, 281. 179 Vgl. Ulbricht, Gelebter Glaube, 184-187. 180 Man könnte sogar weiter gehen und daraufhinweisen, daß man gegen Ratten vorging (nachweisbar für Heidelbergjansen und Jansen, 385, und nicht ganz zufallig, da man „Haustiere" fur Überträger hielt), und daß das Räuchern sich negativ auf die Mobilität der Ratten auswirkte (Woehlkens, 27).

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da sah er ein kleines Wölkchen heranziehen, das er für die Pest hielt. Rasch gefaßt, bohrte er ein Loch in die Thorsäule, trieb die Pest hinein und verschlug das Loch mit einem Keile. Der Feldhüter starb freilich an der Pest, aber sonst niemand."181 Dieses Verständnis scheint ein Reflex der Miasma-Theorie der gelehrten Welt zu sein. Wenn die Pest durch vergiftete Luft entstand, dann mußte man etwas gegen diese unternehmen. Während die Obrigkeit das Räuchern das Verbrennen von wohlriechenden Hölzern und Sträuchern etc. - empfahl und durchführen ließ, also einen dauernden Kampf scheint das Kennzeichen dieser Maßnahme zu sein, daß die Pestluft konkret sichtbar und die Pest mit einem Schlag „gebannt" ist. Allerdings: durch eine unglückliche Aktion konnte man sie auch wieder freisetzen.182 Statt von Religion und dem Niedergang der Magie könnte man von der Pest und dem Überleben (den Überlebenschancen) der Magie durch sie reden - zumindest in bestimmten Schichten. Auch die von gelehrten Ärzten geschriebenen (und in großer Zahl überlieferten) Ratschläge könnten weiterhelfen bei der Erforschung der Haltung des gemeinen Mannes. Ihren Ratschlägen liegt nämlich oft eine Zweiteilung zugrunde: Es werden Maßnahmen und Mittel für die Reichen und für den gemeinen Mann aufgeführt. So heißt es ζ. Β in einem Augsburger Regimen aus dem 16. Jahrhundert: „Auch sol man ain wohlriechenden Ammerknopf bej im tragen also gemacht. [Es folgt die Angabe der Bestandteile auf Lateinisch] Oder für die Armen: „Nimm gelbs Wachs VI. Loth ...[Angaben auf Deutsch]" 183 . Nun mag dies vielleicht auch dazu dienen, die Vorstellungen von gelehrten Ärzten über die Möglichkeiten der Armen zu eruieren, aber ganz verwerfen kann man diese Ratschläge als Einstieg für die Beantwortung der Frage, was die Unterschichten machten, wenn eine Pest drohte oder wenn sie von ihr betroffen waren, nicht. Aber die Armen hatten auch ihre eigenen Mittel, deren Verbreitung, Bedeutung und Verschwinden näher zu untersuchen wäre. Die Existenz von solchen Mitteln unterstreicht noch einmal, daß sie sich nicht für so hilflos hielten, wie sie heute immer wieder dargestellt werden.

181 Richard Peinlich, Die Pest in der Steiermark, Bd. 2, Graz 1878,102, vgl. 115 £ 182 Vgl. Walter Schott, Der Dreißigjährige Krieg und die Pestkreuze in Castorp und Herne, in: Pest im Ruhrgebiet, Emschertal-Museum 1998, 42. 183 Was die Pestilentz an ir selbs sey Augsburg 1572, o. Pag. Wenn Petra Feuerstein von gegenläufigen Tendenzen spricht - einerseits Ratgeber fiir den gemeinen Mann auf Deutsch, Angabe der Rezepte im Apotheker-Latein - so trifft das in diesem Fall offensichtlich nicht zu. Vgl. Petra Feuerstein, Der schwarze Tod, Wolfenbüttel 1992, 39 £

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„Von einer besonderen Pest=Kugel ward viel rühmens gemacht," schreibt ein Autor, „die ein alter Totengräber Anno 1634. kurz für seinem Tode geoffenbahret, und damit er nicht allein sich selbsten in 9. Pesten gesund erhalten, sondern wodurch auch dessen Gross=Vater, von dem er eben dieses Kunst=Stück bekommen, 15. Pesten, ohne den geringsten Anstoß überstanden. Die Ingredientien dazu waren ... Ich fand, bald zum Anfang der Plage, dieses remedium, in einem gewissen Hause, als ich darinn eine Patientin besuchte, die mir es in einem grossen Glase, schon praepariret, zeigete, die species aber dazu, als was besonders, nur in geheim vertrauete."184 Nicht alle Behandlungsmethoden standen der etablierten Medizin so fern. So wurde z. B. die Kröte, die in der Volksmedizin zur Entgiftung verwandt wurde,185 von Paracelsus und anderen als Mittel gegen die Pest empfohlen; man sollte sie in Amulettform um den Hals tragen186 oder sich auf die Beule legen. Eine kleine Geschichte, die von dem oben erwähnten Johann Beer gesammelt und sprachlich ausgestaltet wurde, zeigt, wie Wissensbestände unterschiedlicher sozialer Herkunft sich verflechten können. Ohngefähr um das Jahr 1645. grassirte in Oberösterreich eine grausame pest, in solcher Zeit kam ein Schlösser, so meines Vater Nachbar war vor unser Hauß und dem Vater vors Fenster. Diesen fragte mein Vater, wie es ihm gienge? Wie soll mirs gehen, spräche jener, Ich habe die Pest unterm Arme. Last sehen, spräche der Vater, wie siht die Beule aus? Der Schlösser öflnet seinen Rock, zeucht den Ermel aus und weiset den locum affectuosum. Bald kriegte mein Vater ein Gabel, damit man isset, stösset durch eine ausgebrochene Scheibe den Schlösser in die Beule, daß Er auf die Erde hinsinket, und männiglich meinte, der Schlösser wäre todt. Als aber durch diesen Stich die Materia Lufft gewonnen, und herauß getrungen, ist der Schlösser wieder zu sich selbst gekommen, gesund und ein alter Mann worden."187 Deutlich wird zuerst die Fähigkeit einfacher Leute, Mittel und Wege zu finden, sich zu helfen,188 aber ebenso die Kenntnis angeeigneter Teile der Humoralpa184 Samuel Friedrich Lauterbach, Kleine Fraustädtische Pest=Chronica, Leipzig 1710, 60 f 185 Vgl. Peinlich, Bd. 2,112 f. Anm. Eva Labouvie, Zauberei und Hexenwerk. Ländlicher Aberglaube in der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1991, 226. Den problematischen Begriff „Volksmedizin" gebrauche ich hier der Einfachheit halber. 186 Vgl. Purmann, 74-76. Vgl. Martha R. Baldwin, Toads and Plague. Amulet Therapy in Seventeenth-Century Medicine, in: Bulletin for the Histoiy of Medicine 67 (1993), 227-247. 187 Beer, 115. 188 Vgl. Norbert Schindler, Jenseits des Zwangs? Zur Ökonomie des Kulturellen innerund außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft, in: ders., Widerspenstige Leute, Studien zur Volkskultur der frühen Neuzeit, Frankfurt am Main 1992, 42-45.

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thologie - auch die Chirurgen pflegten die Beulen, allerdings meist mittels eines Pflasters, zu öffiien, damit die schlechte Flüssigkeit aus dem Körper heraustreten konnte. Beers Vater war jedoch keiner von ihnen, sondern ein Gastwirt. Auch ein gezieltes Schutzverhalten vor der Ansteckung (Stich durch die Fensterscheibe) ist zu beobachten. Hier zeichnet sich die Möglichkeit zur Untersuchung von Wissenbeständen und zur Vermischung von akademischer mit „Volksmedizin" ab. Ein weiterer Zugriff auf das kollektive Verständnis der Pest könnte auch über Bezeichnungen und Sprichwörter versucht werden. Was bedeutete es zum Beispiel, daß die Pest in der zweiten Häfte des 17. Jahrhunderts immer wieder die „leidige Seuche" genannt wird, was vorher nicht der Fall war?189 Es klingt nach einem gewissen Sich-damit-Abfinden, ironischerweise gerade zu einer Zeit, da die Seuche zurückzutreten begann. Auch über Sprichwörter könnte ein Zugang zum kollektiven Wissen wie auch zur Einstellung versucht werden - es wäre allerdings auf jeden Fall ein schwieriger. „Iß Kranebit und Biberneil, - dann stirbst du nicht so schnell"190, oder: „Die Pest kommt auf dem Pferd geritten, aber geht zu Fuß" verweisen auf Wissensbestände, das Sprichwort „Im Kriege, und für dem Feinde zu sterben, ist löblich und ehrlich, aber in der Pest kläglich und schmehlich."191 scheint eher auf eine gewisse Wehrlosigkeit gegenüber der Pest hinzuweisen. Die Ergebnisse solcher Forschungen müßten in die Diskussion um die Sozialdisziplinierung und die Wirkung absolutistischer Maßnahmen einbezogen werden; erst dann kann man genauer bestimmen, wie der Disziplinierungsprozeß aussah und welche Wirkungen absolutistische Maßnahmen haben konnten. Daß dabei die Einstellungen der Obrigkeiten nicht zu vernachlässigen sind, versteht sich; man denke nur an den (erzählerisch gestalteten) Zusammenprall von (vereinfacht) Kirche und Gesundheitsbehörde in Italien.192 Zwei wichtige Fragen anderer Art bleiben. Einmal die nach der Art des Erlebens der Pest und dann die nach der psychischen Verarbeitung genau dieses Erlebens. Klar ist, daß die Menschen im Angesicht der Seuche durchaus nicht von heute auf morgen zu rein instinktmäßig handelnden irrationalen Wesen wurden, wie uns einige Historiker gerne glauben machen wollen. Dagegen sprachen schon die Warnungen der Arzte gegen heftige Gemütsbewegungen in die-

189 Vgl. Hatje, 69 (1635); Hellinghaus, 7 (1664); Stadtarchiv Duderstadt, Dud 1,3023, Beschwerde der Stadt über das Militär (Entwurf), 6. Sept. 1682; Lauterbach, 14. 190 Bernhard Schretter, Die Pest in Tirol 1611-1612, Innsbruck 1982, 9. 191 Lauterbach, 10. 192 Carlo M. Cipolla, Faith, Reason and the Plague in Seventeenth-Century Tuscany, Brighton - Ithaca, NY 1979.

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ser Zeit,193 welche die Menschen nach der langen Herrschaft der Humoralpathologie seit der Antike erreicht haben dürften. Vielmehr ist auf den ersten Blick das Faszinierende eine Mischung aus rationalem Handeln und (Todes) Angst, wenn man denn bei der dichotomischen Sichtweise bleiben und die kognitive Dimension von (bestimmten) Gefühlen ignorieren will. Am 31. August 1607 notiert der Domdechant und Protonotarius Matthias von Oppen in sein Geschäftstagebuch: „Zeitungk eingebracht, das alhie in zwe Heußer die Pest sei." Oppen ist sichtlich schockiert; seine Bitten an Gott in deutscher und lateinischer Sprache - die er nur zu ganz spezifischen Anlässen gebraucht - zeigen es an: „Der Fromme Gott behiit uns gnediglich. ... Misericordiae domini, quod non consumpti sumus." Nach diesem Eintrag, der eigentlich nicht in ein solches Tagebuch gehört, geht das Tagesgeschäft weiter. Erst am 10. September sorgt er dafür, daß die Apotheke auf die Pest vorbereitet ist; am 22. wird ein „Orth zum Friedhof' besehen, am 1. Oktober lehnt er einen Beitrag zur Bezahlung des städtischen Barbiers ab, am 6. Oktober zieht das Domkapitel nach Heuseborg, am 8. läßt er etliche Kirchtüren schließen, usw.194 Während der ganzen Zeit gehen die üblichen Geschäfte weiter, so erfolgt z. B. der Abschluß eines Vertrages über eine schon länger geplante Papiermühle in dieser Zeit. Es ist also eine eigenartige Mischung aus Rationalität und Emotionalität (letztere kann in einem Diensttagebuch verständlicherweise wenig Raum finden) festzustellen, die sicher auch schichtspezifisch unterschiedlich ausgeprägt war. Vielleicht könnte hier die aufkommende Emotionsforschung, wie sie auf historischer Seite vor allem von Peter Stearns initiert worden ist, weiterhelfen.195 Gerade die Verhaltensnormen, auf die Stearns bei seiner emotionology in erster Linie abzielt, sind im Falle der Pest sehr klar. So wird z. B. immer wieder gesagt, welche Gefühle man meiden soll, aber auch, welche Stimmungen man befördern soll. Der Versuch, die Praxis der Gefühle aufgrund von archivalischem Material nachzuzeichnen, wäre der nächste Schritt. Zwar stand die Schriftlichkeit der Äußerung von 193 Vgl. Werfring, 174-187. 194 Das Tagebuch des Domdechanten und Protonotarius des Hochstifts Halberstadt Matthias von Oppen, bearb. u. hrsg. von George Adalbert von Mülverstedt, Magdeburg 1894, 378, 380, 382, 388, 390. 195 Peter N. Stearns with Carol Ζ. Stearns, Emotionology: Clarifying the History of Emotions and Emotional Standards, in: AHR 90 (1985), 813-836; ders. u. Carol Z. Stearns, Anger. The struggle for emotional control in America's history, Chicago etc. 1986; The Emotions. Social, Cultural and Biological Dimensions, ed. by Rom Harré and W. Gerrod Parrott, repr. London - Thousand Oaks - New Delhi 2000. Zur theoretischen Grundlegung William M. Reddy, The Navigation of Feeling. A Framework for the History of Emotions, Cambridge 2001.

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Gefühlen in großer Zahl wie in der Tiefe entgegen,196 doch bietet die Annahme eines Wandels in dieser Hinsicht reizvolle Einsichten in die Verschriftlichung von Gefühlen. Dabei wäre die Erkenntnis einzubeziehen, daß Emotionen auch „overlearned cognitive habits" sein können, die unter jahrelanger Einflußnahme geformt worden sind197 - was auch und gerade bei der emotionalen Reaktion auf die Pest der Fall sein könnte. Die zweite Frage lautet etwas anders formuliert: Welche langfristigen Folgen hatte die Pest auf die Einstellungen der Menschen? Oder ist die Frage schon falsch gestellt; hatte sie etwa keine wesentlichen Folgen? Von seiten der Historischen Demographie ist in Zusammenhang mit stark unterschiedlicher Geburtlichkeit und Kindersterblichkeit, unterschiedlichem Wiederverheiratungsverhalten etc. eine Traumatisierung bestimmter Bevölkerungen durch den Dreißigjährigen Krieg, genauer durch Pest, Krieg und Hunger, aufgebracht worden.198 Während andere Erklärungen der höheren Kinderzahlen trotz niedrigerer Geburtlichkeit (und umgekehrt) vorgetragen worden sind,199 müßte im Fall der Pest noch einmal nachgefragt werden. Diskutiert man das Problem auf einer allgemeinen Ebene, so spricht zumindest die direkte Reaktion nicht unbedingt für eine Traumatisierung, denn der Heiratsboom nach Pestwellen und die darauf folgende erhöhte Geburtlichkeit sind wohl kaum als Anzeichen einer einsetzenden Traumatisierung zu werten. Es bliebe also der Nachweis bzw. die Widerlegung der Traumatisierungsthese durch den Vergleich einzelner Populationen mit unterschiedlichem demographischen Verhalten. Neben der Schwierigkeit, einen Faktor zu segregieren, dürfte ein Problem dabei jedoch sein, über die seriell-quantitativen Quellen der Historischen Demographie hinaus qualitative zu finden, die Anhaltspunkte liefern, um die problematischen Schlußfolgerungen von den demographischen Daten auf die kollektiven Einstellungen zu untermauern. Der neuerdings wiederum fälschlicherweise heruntergewürdigte Weg der Selbstzeugnisse200 dürfte einer der wenigen gangbaren sein; doch auch in

196 Vgl. Benigna von Krusenstjern, Die Tränen des jungen über ein vertrunkenes Pferd. Ausdrucksformen von Emotionalität in Selbstzeugnissen des späten 16. und 17. Jahrhunderts, in: Von der dargestellten Person zum erinnerten Ich, hrsg. von Kaspar von Greyerz, Hans Medick und Patrice Veit, Köln - Wien - Weimar 2001, 158. 197 Vgl. Reddy, 16, 32. 198 Vgl. Arthur E. Imhof, Die Verlorenen Welten. Alltagsbewältigung durch unsere Vorfahren - und weshalb wir uns heute so schwer damit tun, München 1984, 100 f. 199 Vgl. Roeck, 781 f. 200 Vgl. Andreas Pecar, Innovation des Strukturbegriffs. Ein soziologischer Modellversuch aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive, in: GG 27 (2001), 361 f.

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Gerichtsprotokollen (als Ego-Dokumente) bringen manchmal Menschen als Zeitangaben Ereignisse vor, die sie tief beeindruckt haben. Die Beiträge dieses Bandes zeigen schließlich, daß mit den hier skizzierten Themen noch lange nicht alle angesprochen sind. Der Aufsatz von Esther Härtel behandelt wie gesagt die Frage der geschlechtsspezifischen Sterblichkeit durch die Pest: damit ist auch die Frage nach eventuell unterschiedlichem Erleben der Pest durch die Geschlechter gestellt; Boris Steinegger untersucht die Gefahrdung und Diskriminierung der Totengräber: damit erhebt sich auch die Frage nach der Rolle anderer „Randgruppen" wie der Pestfrauen oder etablierter Berufe wie dem der Chirurgen; auch die Bekämpfung einer Seuche, die in erster Linie die Armen betraf, durch die Armen, ζ. B. durch die dazu gezwungenen Almosenempfänger, verdiente Aufmerksamkeit. Volker Gaul stellt die Frage nach der Art der Kommunikation in dieser spezifischen Situation: hier wäre die internationale Dimension, wie sie vor allem bei den Schweizer Städten mit ihren italienischen Verbindungen aufscheint, einmal auf ihre Wirkungen hin zu untersuchen. Kathrin Boyens zeigt die Problematik der Handelsstädte auf: doch wie gingen anders strukturierte Städte damit um? Und wie ging man auf dem Lande mit der Seuche um, in den Dörfern? Boris Stemeggers Perspektive erlaubt hier nur einen kleinen Einblick. Axinia Schluchtmann analysiert das Werk eines einzelnen Professors der Medizin: welche Entwicklungen lassen sich im Verständnis der Pest und der notwendigen Maßnahmen auf der Diskursebene im Längsschnitt feststellen? Matthias Lang verfolgt die Debatte um die göttliche und natürliche Verursachung der Pest vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung. Wie ging die Debatte vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Revolution weiter? Ich habe die Errichtung und Wirkung der Pesthospitäler untersucht: Die Arbeit der Gesundheitskommissionen (Sanitätskollegien) könnte ebenfalls unter die Lupe genommen werden, vor allem um widerstreitende Konzepte zu enthüllen, oder auch um vielleicht überraschende Entdeckungen zu machen: Das Hamburger Collegiums Sanitatis schuf 1714 eine innovative Armenordnung, die ihrer Zeit weit voraus war.201 Doch auch damit ist die Zahl möglicher Themen keineswegs abgedeckt. Es gibt nicht nur viel zu tun - es locken auch neue Einsichten ... Wie sollte eine erneuerte Pestforschung methodisch vorgehen? Natürlich gibt es da mehrere mögliche Strategien. Bulst hat den Weg einer Regionalstudie eingeschlagen. Das hat seine Vorteile, wenn man allgemeine Richtwerte erlangen will, aber auch seine ganz offensichtlichen Nachteile. Die Quellenlage fur die kleinen Städte und Dörfer ist häufig sehr schlecht, so daß es schwierig ist, diesen 201 Vgl. Mary Lindemann, Patriots and Paupers, Oxford 1990, 28-32, und den Beitrag von Kathrin Boyens in diesem Band.

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Verzerrungsfaktor auszuschalten. Letztlich ist, wie Schweizer Studien zeigen, eine Pest auf Dorf- bzw. Kirchspielebene oft nur durch demographisches Arbeiten nachweisbar.202 Das zweite Problem könnte die ganz unterschiedliche Strukturierung einer Region sein. Die allgemeinen Richtwerte, die man in diesem Fall erarbeitet, haben dann begrenzte Aussagekraft, sie gelten konkret weder für die Dörfer noch für die Städte. Diese Lage legt eine Mikrostudie nahe, legt also nahe, die großen Fragen auf kleiner Ebene zu stellen,203 so wie es Guilia Calvi für Florenz getan hat,204 oder eine traditionelle Fallstudie205, wie sie Cipolla für mehrere Orte durchgeführt hat.206 Die Archive der Reichsstädte, dann für die späten Pestwellen des ausgehenden 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts die der landesherrlichen Städte und die landesherrlichen Behörden stellen reichlich Material zur Verfügung, wenn auch nicht so reiches, wie es für Florenz vorliegt.

6. Stereotypisierung, „Fiktionalisierung" und Rhetorik In einer Zeit, in der die Geschichte der Historiographie immer mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht207, weil einerseits der ganzen Geschichtswissenschaft fiktionale Grundformen unterstellt werden, andererseits bestimmten innovativen Richtungen Dichtung vorgeworfen wird (ungerechtfertigt, zumindest aber ohne Verständnis der Problematik), offenbart der Blick auf die ganz traditionelle Pestgeschichtsschreibung zwei Extreme: Stereotypisierung und Fiktionalisierung.208 Pestforscher greifen entweder auf Topoi zurück oder sie versuchen sich in dramatischer Darstellung. Damit stellt sich die Frage, was eigentlich schlimmer ist: Ein bewußtes, für jeden und jede erkenntliches Ex-

202 Vgl. Paul Müller, Pestepidemien des 17. Jahrhunderts im Stande Solothurn, in: Jahrbuch für Solothurner Geschichte 57 (1984), z. B. 105,118,123. 203 Zur Mikrogeschichte vgl. u. a. Hans Medick, Mikro-Historie, in: Sozialgeschichte, Alltagsgeschichte, Mikro-Historie, hrsg. von Winfried Schulze, Göttingen 1994, 4053; Otto Ulbricht, Mikrogeschichte - Versuch einer Vorstellung, in: GWU 45 (1994), 347-367. 204 Vgl. Giulia Calvi, Histories of a Plague Year, Berkeley - Los Angeles - Oxford 1989. 205 Zum Unterschied zwischen Fallstudie und Mikrogeschichte vgl. Gert Dressel, Historische Anthropologie, Wien - Köln - Weimar 1998, 188 f. 206 Carlo M. Cipolla, Faith, Reason and the Plague (Monte Lupo); ders., Fighting the Plague in Seventeenth-Century Italy, Madison, Wis. 1981 (Pistoia). 207 Peter Burke, Geschichtsfakten und Geschichtsfiktionen, in: Freibeuter 62 (1994), 62. 208 Kinzelbach, 136 f. hat schon den Einfluß literarischer Schilderungen auf die Forschung kritisiert.

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perimentieren mit der Darstellungsweise einerseits oder das unreflektierte Wiederholen von Topoi vom Schwarzen Tod bis heute und immerdar oder die allgemein nicht wahrgenommene Fiktionalisierung andererseits. Daraus ergeben sich zwei Notwendigkeiten: konsequente und systematische Kritik der vorliegenden Literatur in dieser Beziehung und Reflexion über die Art, Geschichte zu schreiben. Konfrontiert mit der Pest und ihren Folgen, greifen die Historiker gern auf Topoi zurück, und zwar zur Beschreibung der Wirklichkeit. „Der Freund flieht vor dem Freund, der Vater vor dem Sohn, die Mutter läuft dem Kind davon," das ist einer dieser Topoi. Andere sind die panikhafte Flucht vom Ort der Pest oder die exzessiven Orgien als Reaktion. Die Auflösung der innersten Bande der Gesellschaft, der Zusammenbruch der Familie, taucht mit leichten Varianten immer wieder auf Letztlich ist dieser Topos zurückzuführen auf Schilderungen aus der Zeit des Schwarzen Todes: Ein Chronist aus Siena schrieb: „Der Vater mied deshalb den Anblick des Sohnes und ein Bruder den anderen. Die Ehefrau verließ ihren Mann " 209 Ganz ähnlich stellte der Papstarzt Guy de Chauliac die Situation dar: „Pater non visitabat filium, nec filius patrem, Charitas erat mortua, spes prostrata" - Der Vater besuchte den Sohn nicht, und der Sohn den Vater nicht, die Nächstenliebe war gestorben, (alle) Hoffnung vergebens.210 In beispielhaft unkritischem Verhalten gegenüber den Quellen wird, was unter dem plötzlichen Einbruch der Pest 1347 bzw. 1348 zutreffend gewesen sein mag, auch für die Frühe Neuzeit immer wieder als Schilderung der Wirklichkeit vorgebracht. So von protestantischen Geistlichen zu Beginn des 17. Jahrhunderts,211 bevor diese Aussage z. B. wieder in einer Geschichte Preußens über die Seuche von 1709 wieder auftaucht: Die Seuche löste „das ganze Band der menschlichen und bürgerlichen Gesellschaft auf... .Jeder dachte nur auf sich und seine Erhaltung; von den verpesteten Kindern zogen sich die Eltern zurück, und die Kinder ließen, aus Liebe zum Leben, die kranken Eltern hülflos."212 In den 1980er Jahren hört es sich nicht anders an: „Die zweite schreckliche Folge der Angst war die Weigerung, Pestkranke zu betreuen. Hier waren oft selbst die Bande enger Famili-

209 Klaus Bergdolt (Hrsg.), Die Pest 1348 in Italien. Fünfzig zeitgenössische Quellen, Heidelberg 1989, 83. 210 Zitat nach Bulst, Der Schwarze Tod, 57. 211 Vgl. Sabine Holtz, Die Unsicherheit des Lebens. Zum Verständnis von Krankheit und Tod in Predigten der lutherischen Orthodoxie, in: Im Zeichen der Krise, hrsg. von Hartmut Lehmann und Anne-Charlott Trepp, Göttingen 1999, 141 für Johann Georg Sigwarts „Drey Predigten" von 1611. 212 Ludwig von Baczko, Geschichte Preußens, Bd. 6, Königsberg 1800, 333.

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enzugehörigkeit auch zwischen den Gatten nicht stark genug, die Furcht zu besiegen: ,Der Freund flieht vor dem Freund, der Vatter vor dem Sohn, die frömmste Mutter läuflt dem liebsten Kind davon'".213 Erstaunlicherweise meint auch ein versierter Pesthistoriker der letzten Jahrzehnte, die Aussage sei zwar ein Topos, aber auch Realität und weist als Beleg für diese Ansicht - ausgerechnet - auf eine normative Quelle hin.214 Und in einer Uberblicksdarstellung über die Frühe Neuzeit heißt es: „Wie labil die Beziehungen der Menschen zueinander waren, zeigt sich drastisch, wenn aus Angst vor Ansteckung die engsten familiären Beziehungen und gesellschaftlichen Bindungen in die Brüche gingen."215 Obwohl man weiß, daß weder der Sieneser Chronist noch andere Zeitgenossen Sozialhistoriker waren, wird diese Aussage also als realitätsbeschreibend wiederholt. Es ist aber nur ein Sprachbild fur die unglaubliche Furchtbarkeit der Seuche, die nicht anders beschrieben werden kann, als wenn man zum Ausdruck bringt, daß die Bande, die man für die festesten, die man für unzerbrechlich hielt, und die gleichzeitig als Grundlage der Gesellschaft gesehen werden, durch sie zerschnitten werden. Aber viele Historiker können sich nicht davon trennen, weil sie insgeheim einer Pestdramatik huldigen. Sie assoziieren die Pest mit Spektakulärem, machen es sich aber nicht bewußt und können daher die Folgen nicht kontrollieren. Wahrscheinlich ist das der Grund, daß noch keiner von ihnen relevante Quellengruppen auf diese Frage hin angesehen hat. Aus dem Bericht des Spitalspredigers Zimmermann kann man für Bayreuth im Seuchenjahr 1602 folgende Angaben entnehmen. „59. Georg Haaß Weißgerber, hat viel Kinder gehabt, sind alle gestorben. Lebet allein Er und sein Weib kranck im Hauß." Keine Rede von Eltern, die ihre Kinder verlassen. „60. Erhart KempffPeck, sind gleichsfall alle seine Kinder Vnd Gesind gestorben. Leben allein die zwey Eheleut. Sind aber bede todtkranck gewesen: Doch wiederum genesen." Wiederum ist der ganze Haushalt (also mit Mägden und Knechten, die nicht aus dem Hause gejagt wurden) zusammengeblieben. „61. Hanß Försters Schmid, der viel Kinder gehabt, sind alle Kinder, biß auffeins auch das Weib gestorben. 62. Egidius Rößners Schusters hauß, ist gar ausgestorben."216 Es sieht nicht danach aus, daß die

213 K. Kollmeier, Leben und Sterben in Pestzeiten, in: Die Medizinische Welt, 1 - 2 6 / 1983, 69. 214 Bulst, Vier Jahrhunderte, 256. 215 Münch, 461. Dagegen stellt eine italienische Studie, die den Blick auf die Welt der „kleinen Leute" und der Diebe richtet, fest, daß nur wenig Furcht vor der Pest zu registrieren ist und das Alltagsleben weitgehend seinen üblichen Lauf nahm. Vgl. Calvi, 141, 145. 216 Zwanziger, 149.

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meisten Ehen zerbrachen, Eltern die Kinder und Kinder die Eltern verließen, weil die Pest im Haus war. Wie hätten sonst ganze Familien aussterben können? In einer neuen amerikanischen Studie, in der u. a. das Verhalten einer Familie während der Nürnberger Pest von 1533/34 zur Sprache kommt, heißt es, daß weder der drohende Tod noch die Geschäfte den engen Zusammenhalt der (getrennten) Familie vermindern konnten.217 Der grundsätzliche methodische Fehler scheint mir in der Blickverengung auf einen Faktor zu liegen, so als ob es den christlichen Glauben, Solidarität, tiefe innere Verbundenheit, Liebe und Zuneigung ebenso wie Abneigung und Haß nicht gegeben habe.218 Sie bestimmten aber die Verhaltensweisen mit.219 Sorgsame historisch-statistische Analysen könnten diese Annahmen überprüfen. Sie müßten allerdings in der Lage sein, zwischen zeitweiliger gewollter Trennung und dem Zusammenbrechen des Familienzusammenhalts zu unterscheiden. Denn natürlich verließen die Kinder das Haus, ζ. B. wenn beide Eltern gestorben waren. Natürlich kam es zur Trennung von Eltern und Kindern, nämlich weil die Eltern ihre Kinder zu Verwandten und Bekannten an sichere Orte schickten.220 Oft ist aber auch zu beobachten, daß pestkranke Kinder im Haus lediglich separiert wurden.221 Richtig ist natürlich, daß auch Eheleute auseinanderliefen; es wäre unsinnig, zu behaupten, daß alle Eheleute beieinander blieben. Aber dann ist manchmal auf den ersten Blick erkennbar, daß die Pest wieder einmal nur Katalysator war: Es waren Ehen, die sowieso bereits nicht mehr funktionierten. So verließ ζ. B. der Arzt, dem Thomas Platter bis zu seinem Tod diente und der wohl alkoholkrank war, seine pest-

217 Vgl. Steven Ozment, Ancestors. T h e Loving Family in Old Europe, Cambridge / M a . - London 2001, 78. 218 Vgl. Calvi, 142, auch, indirekt, 134 f . 219 Vgl. auch die Aussage von Miquel Parets darüber, wer die Pflege von Pestkranken übernahm: „Es mußte schon jemand sehr nahes sein oder ein Verwandter, der es wagte, ihn zu pflegen, wie eine Ehefrau ihren Mann oder eine Mutter den Sohn, oder eine Schwester den Bruder." (Meine Übersetzung). A Journal of the Plague Year, translated and edited by James S. Amelang, New York - Oxford 1991, 18. Damit ist auch die Aussage Abrahams â Santa Clara, in Wien hätten während der Pest 1679/80 die meisten Eheleute treu zueinander gehalten, nicht leicht von der Hand zu weisen. Abraham â Santa Clara, Mercks Wienn, Wien 1680, 117 f. 220 Vgl. Matthias Beer, Eltern und Kinder des späten Mittelalters in ihren Briefen. Familienleben in der Stadt des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit mit besonderer Berücksichtigung Nürnbergs (1400-1550), Nürnberg 1990, 274. 221 Vgl. Felix Platter, Tagebuch (Lebensbeschreibung) 1535-1567, hrsg. von Valentin Lötscher, Basel 1976, 63; Dietz, 22 f .

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kranke Frau, die ihn dann auch weder besuchen konnte noch wollte, als er selbst sterbenskrank an der Pest daniederlag.222 Ein Beispiel für eine (sich gut verkaufende) Fiktionalisierung ist der Beitrag von Delumeau in seinem bekannten Buch über die Angst im Abendland. Er baut auf dem Roman von Daniel Defoe auf für ihn die beste Dokumentation einer Pestwelle. Diesem Beispiel von vorbildlicher Quellenkritik223 läßt er sogleich den Rückgriff auf zwei weitere für die Neuzeit relevante Quellen folgen, nämlich Boccaccio und Thukydides. Von Boccaccio geht er, wie es ja ohne Zweifel richtig ist, direkt zu Defoe, bekanntlich ein Zeitgenosse. Und da ja immer alles gleich ist - die Menschen sind bekanntlich lernunfahig, Zeitumstände immer gleich, Kontexte irrelevant, Kultur auch nicht auf die geringste Weise prägend224 bricht also bei jeder Pest mit schöner Regelmäßigkeit eine Panik aus225 und die Menschen ergehen sich, wie es für diese Art von Historiker schon sein muß, in Orgien. Natürlich zitiert er auch zustimmend die folgende Defoe-Stelle: „Alle Gebote der Nächstenliebe und der Natur sind inmitten des Grauens untergegangen und vergessen. Kinder sind plötzlich von den Eltern getrennt, Frauen von ihren Männern, Brüder und Freunde verlieren sich aus den Augen ... ,"226 Auch gibt es nicht viele Unterschiede zwischen den Menschen in einer solchen Mentalitätsgeschichte (deren gefahrliche Möglichkeiten hier offenbar werden), so daß man mit den Farben Schwarz und Weiß auskommt: „Man war entweder Held oder Feigling, dazwischen gab es nichts".227 Das ist die Sprache des historischen Dramas, das bei Revolutionen etwa eine ganz ähnliche Polarisierung kennt: Jetzt gab es nur noch zwei Parteien: Militär und Bürger." Die Lust an der markigen Formulierung, kombiniert mit makrohistorischem Zugriff, überspringt die Probleme.228 Ganz offensichtlich lag der Historiker, der sagte, daß

222 Thomas Platter, 99-102. 223 Slack zählt Defoes Schrift verständlicherweise zu den „accounts" ... „which were designed to be entertaining and morally instructive rather than accurate." Paul Slack, The Impact of the Plague in Tudor and Stuart England, repr. Oxford 1990, 242. 224 Die Angst vor dem eigenen Ich ist nach Delumeau, der Sartre folgt, die Grundbefindlichkeit des Menschen. Bei der Angst vor der Pest handelt es sich nur um eine der Varianten dieser Angst. 225 Einige Uberblicksdarstellungen folgen Delumeau, so z. B. Paul Münch: „Sie (die Pest) ... erzeugte wo immer sie auftrat, panikartige Reaktionen." „... sie (führte) zu schwersten Störungen des sozialen Lebens." Es folgt das oben angeführte Zitat. Ebd., 459,461. 226 Delumeau, 160. 227 Ebd., 176. 228 Vgl. Ernst Hanisch, Die linguistische Wende, in: Kulturgeschichte Heute, hrsg. von Wolfgang Hardtwig und Hans-Ulrich Wehler, Göttingen 1996, 227.

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es eine der vornehmsten Aufgaben der Ausübenden dieser Wissenschaft sein sollte, die vielen unterschiedlichen Schattierungen von Grau herauszuarbeiten, also genau hinzusehen, vollkommen falsch.229 Es ist bekanntlich, Hayden White vergröbernd, die These vertreten worden, daß Arbeiten von Historikern auch nur Fiktion wären. Darauf ist gekontert worden, daß sie an die Quellen gebunden sind, was einen grundsätzlichen Unterschied ausmache, und an die Kriterien der Wissenschaftlichkeit.230 Wenn aber die Quellenkritik der Lust am Sensationalismus und dem angeblich immer Gleichen (Genauso verhielt es sich bei der Cholera-Epidemie 1832) geopfert wird, wenn das Problem der Ubergeneralisierung nicht gesehen und die Rhetorik nicht kontrolliert wird, dann werden die Grenzen in der Tat fließend.

Abschließend eine Passage aus Camus' Roman „Die Pest": „... er wußte,... daß der Pestbazillus nie stirbt und nie verschwindet... daß vielleicht der Tag kommen würde, an dem die Pest zum Unglück und zur Belehrung der Menschen ihre Ratten wecken und zum Sterben in eine glückliche Stadt schicken würde."231

229 Thomas Nipperdey. 230 Roger Chartier, L'histoire culturelle entre „Linguistic Turn" et Retour au Sujet, in: Wege zu einer neuen Kulturgeschichte. Mit Beiträgen von Rudolf Vierhaus und Roger Chartier, hrsg. von Hartmut Lehmann, Göttingen 1995, 55. 231 Albert Camus, Die Pest, 68. Aufl. Reinbek b. Hamburg 2002, 350.

Esther Härtel

Frauen und Männer in den Pestwellen der Frühen Neuzeit Demographische Auswirkungen der Seuche auf die Geschlechter denn die rasende Pest verschonte niemanden und oft blieb kein Knecht oder Magd am Leben; es verderbte alles."1

So drastisch beschrieb der Goldschmied Martin Vincentz seine Eindrücke auf der Flucht aus dem pestverseuchten Breslau 1583. Gut 230 Jahre nachdem der „Schwarze Tod" in ganz Europa grassiert hatte, beeindruckte die Menschen der Frühen Neuzeit immer wieder die Totalität, mit der Pestepidemien Opfer in allen Altersgruppen, Schichten und bei beiden Geschlechtern forderten. Pocken oder Durchfallerkrankungen betrafen vor allem Säuglinge und Kinder, Hungerseuchen wie bestimmte Typhusformen suchten hauptsächlich ärmere Schichten heim. Doch vor der Pest, so schien es Vincentz und seinen Zeitgenossen, konnte sich niemand wirkungsvoll schützen, es sei denn, er floh rechtzeitig aus dem verseuchten Ort. Daneben ist jedoch in der Frühen Neuzeit die Tendenz erkennbar, in Chroniken und Pesttraktaten die Auswirkungen der Pest differenzierter darzustellen. Bestimmte Schichten, bestimmte Berufe und Altersgruppen waren offenbar der Gefahr in stärkerem Maße ausgesetzt als andere. Auch wenn die Verfasser mit ihren Schilderungen moralische Zwecke verfolgten und ihnen an der Darstellung der Pest als allgemeines Strafgericht für eine verderbte Gesellschaft gelegen war, ist zumindest in den Werken aus dem 17. und frühen 18. Jahrhundert zu erkennen, daß sie ihre Ausführungen auf empirische Beobachtungen stützen. Eigene Erfahrungen werden mit Material über andere Pestepidemien verglichen, Verallgemeinerungen angestellt. Ihr Ergebnis: Die Pest gefährdet nicht nur die Armen mehr als die Reichen, die jungen mehr als die alten Leute, sie bedroht auch die Frauen stärker als die Männer.2 1 Wolfgang Vincentz, Die Goldschmiede-Chronik. Die Erlebnisse der ehrbaren Goldschmiede-Ältesten Martin und Wolfgang, auch Mag. Peters Vincentz, hrsg. von Curt Rudolf Vincentz, Hannover 1918, 506. 2 Z. B. schreibt Abraham a Santa Clara, daß „mehrsten Theil dieses Uebel das weibliche Geschlecht verfolgt, aus Ursachen, weil selbiges der Furcht und übermäßigen Einbildung mehr unterworfen". Abraham a Santa Clara, „Merks Wien", hrsg. von Th. Ebner, Leipzig o. J., 62. Der Verfasser eines Verzeichnisses von Pestjahren in Hamburg

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Der Anfälligkeit des weiblichen Geschlechts wird manchmal ein ganzes Kapitel gewidmet, gefolgt von Rezepten und Verhaltensmaßnahmen. Die Frau als das labile, beschützenswerte Geschlecht, dem Mann körperlich wie geistig unterlegen - das war damals die Lehrmeinung. Wenn es auch schon zu Beginn des 16. Jahrhunderts Stimmen gab, welche die Ebenbürtigkeit der Geschlechter propagierten, so war doch die Tendenz zur Polarisierung der Geschlechter, die bis in die Antike zurückzuverfolgen ist, vorerst nicht zurückzudrängen. Aufgrund mutmaßlicher natürlicher Gegebenheiten galt der aktive, rationale Mann als für den öffentlichen Bereich zuständig, die passive, emotional orientierte Frau dagegen hatte nur im privaten Bereich zu wirken - eine für das wirtschaftlich aufstrebende Bürgertum zweckmäßige Arbeitsteilung, wie Brita Rang dargestellt hat.3 Heute haben Vorstellungen von Zusammenhängen zwischen physischen Eigenschaften der Geschlechter, Charakterzügen und gesellschaftlichen Aufgaben ihre Selbstverständlichkeit verloren. Die englischsprachige Forschung unterscheidet daher zwischen biologischem Geschlecht und soziokulturell bedingter

vermerkt über eine Epidemie, die sich 1709 von Danzig aus verbreitete, „... daß diese unsere Pest weit mehr Weibs als Manns-Persohnen/auch aus dem Männlichen Geschlechte mehr Kinder als erwachsene Leute weggerafft" habe. Ο. Α., Kurtze Verzeichnis deijenigen Pestilentzen und Ansteckenden Seuchen/ womit Die Stadt Hamburg, in vorigen Zeiten von der Starcken Hand Gottes heimgesuchet worden ..., Hamburg 1712 (unpag.). Ein ebenfalls in Hamburg tätiger Arzt bemerkt in seinem Traktat, daß „die wahre Pest" im Gegensatz zu anderen Seuchen, die als Pest bezeichnet würden, durchaus nicht alle Personengruppen im selben Maße angreife: „Nach dem Geschlecht stehet das Frauenzimmer in grösserer Gefahr/ als die Manns=Personen/..Λ Junge Frauen und Schwangere seien besonders gefährdet. Andreas Christian Diderich, Historia Pestis, Das ist: Umständlige Beschreibung Wie die Pest und Flekk=Fiber sich auffRihren. Hamburg, o. J., 46-47; im Zedier heißt es: „Und weil man nun in Beobachtung des Geschlechtes gar wohl weiß, daß die Weibspersonen weit empfindlicher und furchtsamer, als die Mannspersonen sind, so findet man auch in der That, daß zur Pestzeit eine größere Anzahl Frauen= als wohl Mannsvolck stirbet." Art. Pest, in: Johann Heinrich Zedier, Grosses vollständiges Universal=Lexicon, 27. Bd., Leipzig - Halle 1741, 760. 3 Vgl. Brita Rang, Zur Geschichte des dualistischen Denkens über Mann und Frau. Kritische Anmerkungen zu den Thesen von Karin Hausen zur Herausbildung der Geschlechtscharaktere im 18. und 19. Jahrhundert, in: Frauenmacht in der Geschichte. Beiträge des Historikerinnentreffens 1985 zur Frauengeschichtsforschung, hrsg. v. Jutta Dalhofl/Uschi Frey/Ingrid Schöll (= Geschichtsdidaktik. Studien - Materialien, 41) Düsseldorf 1986, 194-205.

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Geschlechterrolle - gekennzeichnet durch die Verwendung der Begriffe „sex" und „gender": Während „sex" für das Geschlecht im biologischen Sinne reserviert bleibt, bezeichnet „gender" „ein konstitutives Element sozialer Beziehungen, das auf den wahrgenommenen Unterschieden zwischen den Geschlechtern beruht". Was „gender" bedeutet, ist daher historisch bedingt und einem immerwährenden Wandel unterworfen; es muß ständig neu ausgehandelt werden.4 Pestforschung unter diesem neuen Aspekt der Geschlechtergeschichte, der biologischen und soziokulturellen Unterschiede zwischen Frauen und Männern, das bedeutete fur mich, folgenden Fragen nachzugehen: Welche biologischen Veranlagungen machten nach Meinung frühneuzeitlicher Arzte die Geschlechter in unterschiedlichem Maße anfällig fur die Pest? Werden ihre Annahmen durch die Verteilung der Pestmortalität auf die Geschlechter bestätigt? Sollte sich eine geschlechtsspezifische Verteilung der Mortalität zeigen - welche Gründe könnten dann nach aktuellen biologischen und soziokulturellen Erkenntnissen dafür verantwortlich sein? Und schließlich: Welche unterschiedlichen Auswirkungen konnte eine Pestepidemie auf die Lebensumstände von Männern und Frauen haben?

1. Der medizinische Diskurs Daß für die medizinische Forschung der Frühen Neuzeit, die sich auf die Humoralpathologie stützte, Mann und Frau Wesen von völlig gegensätzlichen Qualitäten waren, daran bestand lange Zeit kein Zweifel: Den „heißen", „trokkenen" Mann zeichneten nach diesen Lehren Mut, Standhaftigkeit und physische Stärke aus, während die „kalte", „feuchte" Frau zu Furchtsamkeit, Wankelmütigkeit und Schwäche neige.5 Auch die Verfasser von Pesttraktaten stützten sich auf diese Thesen, um die besondere Anfälligkeit der Frau für Seuchen zu begründen. Durch die Feuchtigkeit der Frau sei ihr Fleisch weich, ihre Haut

4 Vgl. Joan Wallach Scott, Gender: A Useful Category of Historical Analysis, in: American Historical Review 91 (1986), 1067 (meine Übersetzung, E.H.). Vgl. auch die Ubersetzung: Gender: eine nützliche Kategorie der historischen Analyse, in: Nancy Kaiser (Hrsg.), Selbst Bewusst. Frauen in den USA, Leipzig, 1994, 52 f. Auf die dekonstruktivistische Orientierung Scotts sei hier nur hingewiesen. 5 Vgl. Kaspar Hoffmann, De generatione hominis, Frankfürt 1629, 3-4, Zitat nach: Ian Maclean, The Renaissance Notion of Woman. A study in the fortunes of scholasticism and medical science in European intellectual life, repr. New York - New Rochelle - Melbourne - Sydney 1987, 32.

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zarter und durchlässiger als die des Mannes, weshalb, wie der Halberstädter Chirurg Purmann 1738 erläuterte, schädliche Stoffe leichter in den weiblichen Körper eindringen könnten.6 Auch die Psyche der Frau beeinträchtigte den Autoren der Pesttraktate zufolge ihre Gesundheit. Besonders im Körper junger Frauen verbreite sich aufgrund von deren „angebohrene(r) Furcht und Schrecken" das Pestgift besonders schnell, betonte ein Leipziger Arzt.7 Den Glauben, daß schreckliche Erlebnisse sich negativ auf das Seelenleben eines Menschen auswirkten und dadurch eine Ansteckung begünstigten, teilte auch der Basler Stadtarzt und Autobiograph Felix Platter. Er berichtet, daß seine Schwester Ursula vor der Flucht seiner Familie aus Basel während der Pestepidemie von 1551 dem bereits an der Pest erkrankten Niclaus, einem Kostgänger ihres Vaters, zu Essen bringen wollte. Doch sie fand ihn tot in seinem Bett liegend, ein Anblick, den sie nicht habe vergessen können und der deshalb nach Felix Platter „auch ein ursach irer krancheit gewesen". Ursula erkrankte kurz darauf selbst an der Pest und starb.8 Auf1 grand dieses Verständnisses befahl der Hildesheimer Rat 1597, daß bei Beerdigungen „die Frauenspersonen insgesambt zu Hause bleiben sollen/ damit solcher gestalt so wenig druch zustossende Veijagnis/ Schrecken und andere geschwinde Bewegungen dees Gemüths/ alsß durch anklebende Kranckheit das Unglück nicht erweitert werde."9 Die These von der psychischen Labilität der Frau ließ sich mit der Interpretation der Pest als göttlicher Strafe koppeln - galt doch das weibliche Ge6

Vgl. Matthäus Gottfried Purmann: Der aufrichtige und erfahrne Pest=Barbierer. Das ist ausfuhrliche und Grundrichtige Beschreibung Wie man nicht allein alle Arten der Geschwulsten, Pest=Beulen, Carbunckel, Drüsen, Pfeffer=Körner, etc. nach deren Ursachen recht erkennen und unterscheiden, sondern auch ohne Zufalle glücklich und geschwind curiren könne; nebst Beyfugung Einiger gründlichen Ursachen, was die Pest sey, wie sie anstecke, und wie solche in Halberstadt ihren Anfang, Fort= und Ausgang genommen, auch was dabey Notables passiret, Breslau 1738, 45 £ 7 Vgl. C. W. D., Leipziger Pest=Schade und Gottes Gnade/ das ist/ Nachricht Von dem Anfange/ Fortgange/ Abnehmen/ Cur und Beschaffenheit der bißher herumb gezogenen/ und zu Leipzig auch besonders in verflossenen 1680. Jahre außgestandenen Pestilentzischen Seuche. Worbey auch ein Abriß eines Schwitzkastens oder Stübgens/ dessen sich Preservation dieser Seuche/ und in andern Kranckheiten sehr nützlich zubedienen ist, Leipzig 1681, 72. 8 Vgl. Felix Platter, Tagebuch (Lebensbeschreibung) 1536-1567, hrsg. von Valentin Lötscher (= Basler Chroniken, 10), Basel 1976, 114-115. 9 Zitat nach Monika Höhl, Gesetzgebung und Administration in Hildesheim im Zeichen der frühneuzeitlichen Pestepidemien, in: Alt-Hildesheim 58 (1987), 35, die anschließend das Zitat völlig falsch interpretiert.

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schlecht im Vergleich zum männlichen als moralisch weniger gefestigt. Der Arzt Martin Pansa aus Annaberg gibt etwa als Ursache für die größere Anfälligkeit von Schwangeren und jungen Frauen an: „Erstlich/ weil sie furchtsam seyn: diese furchtsamkeit kömpt nicht allein daher daß sie ein kelter Geblüt haben/ als die Mannspersonen: sondern auch daher/ dieweil sie ehe gesündiget haben/ als die Männer/ daher sie sich vor der straff desto mehr fürchten."10 Als weiterer Risikofaktor galt vielen Ärzten die Menstruation. Ihr gelegentlich unregelmäßiger Verlauf oder ihr Ausbleiben könne dazu führen, daß „das verhaltene Geblüte gar leicht eine schädliche Natur gewinnet, und vom pestilentzischen Gifít inficiret werden kann."11 Der Coburger Alchemist Popp glaubte sogar, vor infizierten menstruierenden Frauen besonders warnen zu müssen, „da dan das Gifft am stärcksten bey ihnen ist/ daß ihre Augen auch vergifftet werden/ daß sie andere Leuthe auch darmit vergiflten können/... ,"12 Schließlich bedrohte die Pest in besonderem Maße schwangere Frauen, denn, so glaubte man, sie atmeten tiefer ein und nahmen so mehr eventuell vorhandenes Pestgift aus der Luft auf. Außerdem neigten sie mehr als zu gewöhnlichen Zeiten zu Verstimmungen, die das Wachsen der Leibesfrucht negativ beeinflußten.13 Nicht nur medizinische Traktate, auch Chroniken berichten davon, daß infizierte Schwangere Fehlgeburten hatten.14 Ihrer Behandlung widmete der Leipziger Arzt Christoph Meurer sogar ein eigenes Pesttraktat.15 Die herkömmlichen Pestmedikamente, Theriaks und Pestpillen, die zum 10 Vgl. Martin Pansa: Consilium Antipestiferum II. Das ist/Ein getrewer Rath in gefehrlichen und gifitigen sterbensleufiten/oder Pestilentzseuche. Darinnen angezeiget wird/ auff was weiße die geschwinde Seuche gemeiniglich ... fortgepflanzet werde/was vor andern bewerte Mittel darwieder zu erwehlen und zu gebrauchen:..., Leipzig 1614, 54. 11 Vgl. Purmann, 45 f. 12 Vgl. Johannes Popp, De Pestilitate: Das ist/ von dem ursprung der Pestilentz und derselben eygentlichen cur: darinnen viel heimliche recept, und arcana, auch probirte Pulver/ Schwitzträncklein/ neben andern medicamenten, so der Natur gemäß/ und in dieser seuch/ gantz dienstlich zugebrauchen/ gesunden werden ..., Frankfurt a. M. 1625, 63. 13 So z. B. Peter Forestus. Vgl. Ralph Burri, Die Delfter Pest von 1557 nach den Beobachtungen von Petrus Forestus (= Zürcher medizingeschichtliche Abhandlungen, NF 151), 28; auch Christian Lehmann, Historischer Schauplatz derer natuerlichen Merckwürdigkeiten in dem Meißnischen Ober-Ertzgebirge, 975; Purmann, 46 f. 14 Vgl. Purmann, 46 £, Lehmann, 974; C.W.D., 32.; Erich Woehlkens, Pest und Ruhr im 16. und 17. Jahrhundert, Uelzen 1954, 47-48, Francois Lebrun, Les Hommes et la Mort en Anjou aux 17e et 18e siècles. Essai de démographie et de psychologie historiques (= Civilisations et Sociétés, 25), Paris - La Haye 1971, 191. 15 Vgl. Abb. S. 70.

Frauen und Männer in den Pestwellen

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Schwitzen anregen und so das Pestgift aus dem Körper treiben sollten, hielt er für gefährlich - verstärkten sie doch sogar bei Einnahme das Risiko einer Fehlgeburt. Meurer empfahl Schwangeren, aber auch Frauen, die sich vor den bitteren Arzneien ekelten, süße Fruchtsäfte, -sirupe und -konfekt.16 Das Geschlecht eines Pestpatienten konnte also unter Umständen über die Art der Behandlung entscheiden. So galt auch der Aderlaß, der auch bei der Pest vorbeugend angewandt wurde, als eine Therapie, die nicht bei Schwangeren Verwendung finden sollte.17 Auch das Ausbrennen der Pestbeulen war für sie offenbar tabu - in Florenz mußten 1630 schwangere Pestpatientinnen Arzte bestechen, um auf diese Weise behandelt zu werden.18 Frauen entschieden sich aber bisweilen gegen eine solche Behandlung: Ein preußischer Arzt berichtet in einem Brief daß nur ein Barbier oder Chirurg sich auf das Öffnen der Pestbeulen verstünde. Frauen jedoch scheuten vor einem Besuch aus Gründen der Scham zurück.19 Im übrigen, riet ein Pestarzt den „zarten Weiberlein und subtilen Jungferien", täten sie besser daran, Kontakt mit der Außenwelt in Pestzeiten einzuschränken: „Drumb ihnen am besten/ daß sie zu solchen Zeiten nicht viel auskommen/ sondern daheim bleiben/ und ihre Betbüchlein auffsuchen."20 Ratschläge wie dieser galten häufig, aber durchaus nicht immer, nur einem Geschlecht.21 Die Lehren der Humoralpathologie erlaubten feinere Differenzierungen als nur zwischen „männlich" und „weiblich". Kinder und junge Men16 Vgl. Christoph Meurer, Pest Regiment. Dessen Schwangere Frawen/ wie dann auch andere Weibes-Personen/ Welchen starcke treibende Praeservativ nicht dienstlichen/ auch wegen ihres herben Geschmacks nicht gar so anmütig/ In/ und ausserhalb gefehrlichen Läuflten/ vermittelst göttlicher allmächtiger Hülffe sich ersprißlichen zu gebrauchen, o. O.; o. D. (1607), 1-4. 17 Vgl. ebd., 19. Martin Pansa allerdings hält den Aderlaß für besser als das Aufsetzen von Schröpfköpfen. Martin Pansa, Consilium Antipestiferum, 20 £ 18 Vgl. Giulia Calvi, The Florentine Plague of 1630-33: Social Behaviour and Symbolic Action, in: Maladie et société (Xlle-XVIII siècles). Actes du Colloque de Bielefeld, Paris 1989, 332 f. 19 Schreiben Herr D.J. G. Κ. pract. Dantisc. An Herrn D.C.H: Practicum Vratisl. d. d. 6. Jan. 1710. Von der in Danzig An. 1709. Grassirten Pest/ und hauptsächlich deren Cur, in: Einiger Medicorum Schreiben/ Von Der in Preussen An. 1708 in Danzig An. 1709. in Rosenberg An. 1709. Grassierten Pest: Wie auch von der wahren Beschaffenheit des Brechens/ des Schweisses/ und der Pest=Schwären/ sonderlich der Beulen: Und denn folglich vom rechten Gebrauch der Vomitoriorum und Sudoriserorum, Breslau 1711,13 f 20 Vgl. Pansa, Consilium Antipestiferum ΠΙ, 43-44. 21 Vgl. Hieronymus Fracastoro, Drei Bücher von den Kontagien, den kontagiösen Krankheiten und deren Behandlung (1546) (= Klassiker der Medizin, 5, hrsg. von Karl Sudhofl), Leipzig 1910,109.

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