Die Legitimität der §§ 284, 285 StGB [1 ed.] 9783428584321, 9783428184323

Seit der Einführung der §§ 284, 285 in das deutsche StGB ist die Frage, ob der Gesetzgeber die in den§§ 284, 285 StGB be

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Die Legitimität der §§ 284, 285 StGB [1 ed.]
 9783428584321, 9783428184323

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Schriften zum Strafrecht Band 385

Die Legitimität der §§ 284, 285 StGB

Von

Iryna Burd

Duncker & Humblot · Berlin

IRYNA BURD

Die Legitimität der §§ 284, 285 StGB

Schriften zum Strafrecht Band 385

Die Legitimität der §§ 284, 285 StGB

Von

Iryna Burd

Duncker & Humblot · Berlin

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-18432-3 (Print) ISBN 978-3-428-58432-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2021 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt allen, die mich auf meinem Weg begleitet haben. An erster Stelle möchte ich meinen Doktorvater, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. mult. Michael Pawlik LL.M., der meinen Werdegang stets wohlwollend begleitete und meine Arbeit durch seine wertvollen Anregungen und konstruktiven Einwände förderte, besonders hervorheben. Die schöne Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an seinem Lehrstuhl wird mir immer in bester Erinnerung bleiben. Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Walter Perron gebührt mein besonderer Dank für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Bedanken möchte ich mich ferner bei meinen ehemaligen Arbeitskollegen am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht, Abt. 1, für die zahlreichen Diskussionen, die die Arbeit im Laufe der Zeit bereicherten. Schließlich bedanke ich mich bei Frau Margot Nostadt für die tolle Zusammenarbeit und ständige Aufmunterung. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern, die mir meinen Weg ermöglicht, mich stets und in jeder Hinsicht unterstützt und an mich geglaubt haben. Freiburg im Breisgau, Juli 2021

Iryna Burd

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Teil Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB A. Rechtsgut des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Öffentliche Sittlichkeit und Moral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfolgung fiskalischer Interessen des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschöpfung von Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sicherung der Steuereinnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Schutz der Erfüllung von Verwaltungsformalität; Verwaltungsverfahren als Rechtsgut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche Einordnung der Voraussetzung „ohne behördliche Erlaubnis“ 2. Behördliche Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Muss die Erlaubnis materiell-rechtlich rechtmäßig sein oder genügt die formale Wirksamkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nichtige Erlaubnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eine durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erlangte Erlaubnis 4. Behördliche Duldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ausländische Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Genehmigungen aus EU-Mitgliedstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und Schutz vor Beschaffungs-, Begleit- und Folgekriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesundheitsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutz der Gesundheit jedes einzelnen Spielers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Jugendschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz der Volksgesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kritik an dem Begriff der „Volksgesundheit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich mit staatlichen Glücksspielen und Geldspielautomaten . . . c) Exkurs: Geldspielautomat – Glücksspiel oder ein Unterhaltungsspiel?

26 28 28 30 30 31 31 32 33 35 35 35 37 37 37 38 40 42 44 44 48 49 49 51 52

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Inhaltsverzeichnis d) Der Begriff der „Volksgesundheit“ im Betäubungsmittelrecht und Kritik daran . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Vermögensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Betroffenheit des Vermögens durch Glücksspiele im Allgemeinen . . . . . . a) Erfordernis eines Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriff und Form des Einsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nicht ganz unbedeutender Vermögenswert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Absolute Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Relative Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Differenzierende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vermittelnde Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Wertgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wessen Vermögen soll geschützt werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz des eigenen Vermögens des Spielers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schutz des Vermögens des Veranstalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz des Vermögens anderer Mitspieler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Verletzung der Willensentschließungs- und der Willensbetätigungsfreiheit durch die Verleitung zur Teilnahme an einem Glücksspiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Schutz vor Beeinträchtigung des Vermögens des Spielers durch Spielmanipulation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eingriff in den Spielablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wechsel des Spieltempos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zusammenfassende Feststellung denkbarer Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis der Rechtsgüter zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Rechtsgut des § 285 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 2. Teil Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen A. Allgemeine Kriterien zur Bestimmung und Begrenzung des Bereichs der strafbaren Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Aufgabe des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsrechtliche Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestimmtheitsgrundsatz und Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Strafbarkeitsbegrenzendes Potential des Bestimmtheitsgebots . . . . . . . b) Strafbarkeitsbegrenzendes Potential des Schuldprinzips . . . . . . . . . . . . 2. Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Bezugspunkt für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Strafgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geeignetheit und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Strafrechtsspezifische Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsgutslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Funktion des Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systemimmanente Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Systemkritische Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verbindlichkeitsanspruch der systemkritischen Rechtsgutslehre . . . . . 2. Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einwand gegen die Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kriterien für die Bestimmung der Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Selbstschutz des Opfers als ein die Strafbedürftigkeit ausschließendes Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gemeinsame Kriterien der Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft sowie das Verhältnis der verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Vorgaben zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

3. Teil Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien A. Bestimmtheit des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Erfüllung der Anforderungen des Bestimmtheitsgebots durch § 284 StGB . . 1. Bestimmtheit des Begriffs „Veranstalten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vermitteln als Veranstalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vollendungszeitpunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmtheit des Begriffs „Halten“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bestimmtheit des Begriffs „Bereitstellen von Einrichtungen“ . . . . . . . . . . a) Bestimmung des Begriffs „Einrichtungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis b) Bestimmung des Begriffs „Bereitstellen“: Strafbarkeit bei Unterlassen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bestimmtheit des Begriffs „Werbung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gründe für die Einführung des Abs. 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschaffung der Kriminalisierung der unerlaubten Glücksspielveranstaltung als milderes Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausschluss der Erforderlichkeit durch zivilrechtliche Regelungen . . . . . . a) Zivilrechtliche Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gleichwertige Geeignetheit des zivilrechtlichen Schutzes im Allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Schutz privater Rechte durch Polizei- und Ordnungsrecht . . . . . . . . . . 3. Erforderlichkeit im Hinblick auf die Strafbarkeit des Betrugs nach § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vermögensverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vermögensrelevanz der Gewinnchance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auswirkung des § 762 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vermögensschaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ordnungswidrigkeit als Alternative zur Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kurzer Überblick über die Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abgrenzung zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit . . aa) Formale Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterscheidung zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prozessuale Unterschiede bei der Verfolgung von Verstößen . . . . c) Ordnungswidrigkeiten in den Landesgesetzen; Entwurf zum Glücksspielstaatsvertrag 2021 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Rechtsgut des § 284 StGB aus verfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . a) Rangordnung der Grundrechte in der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausstrahlung der Grundrechte auf das Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erfolgsunwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis a) Deliktsnatur des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 284 StGB als ein Verletzungsdelikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verletzung der Verwaltungsformalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Verletzung des Vertrauens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 284 StGB als ein abstraktes Gefährdungsdelikt . . . . . . . . . . . . . b) Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Prüfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Legitimation aus dem Rechtsgüterschutzgedanken . . . . . . . . . . . . (1) Theorie der generellen Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Theorie der abstrakten Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Subjektivierung des Legitimationsansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Gefährdungsdelikte geringerer Angriffsintensität . . . . . . . . . . (2) Theorie der Risikoerhöhung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sorgfaltswidrigkeit als Legitimationsgrundlage der abstrakten Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Loslösung vom unmittelbaren Rechtsgutsbezug . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bindingscher Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Ansatz von Kindhäuser: Sicherheit als Normzweck . . . . (3) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis der bisherigen Diskussion um den Strafgrund abstrakter Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Ausdifferenzierung spezifischer Kriterien zur Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen abstrakten Gefährdungsdelikten statt einer einheitlichen Begründung der Legitimation . . . . (1) Maßstäbe zur Unterscheidung legitimer und illegitimer Gefährdungsdelikte nach Jakobs und Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ansicht von Jakobs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ansicht von Weber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Der Ansatz von Wohlers und Puschke: Ausdifferenzierung verschiedener Deliktstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Die Systematik von Wohlers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Die Systematik von Puschke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Stellung des § 284 StGB in dem System der verschiedenen Deliktstypen nach Wohlers und Puschke . . . . . . . . . . gg) Verwaltungsakzessorische abstrakte Gefährdungsdelikte . . . . . . . (1) Kriterien der Bestimmung der Legitimation . . . . . . . . . . . . . . (2) Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 155 155 155 155 156 156 157 158 158 158 159 160 163 163 164 165 168 171 171 173 174 176

176 177 177 180 182 182 186 187 189 189 193 196

14

Inhaltsverzeichnis c) Vergleich des § 284 StGB mit weiteren Delikten zum Vermögensschutz im Kernstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wirtschaftsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) §§ 264, 264a, 265b StGB: Sinn und Zweck der Einführung dieser Tatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Leitmotiv des Gesetzgebers bei der Einführung der §§ 264, 264a und 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) § 264 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 264a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Rechtsgut der §§ 264, 264a, 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) § 264 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 264a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Deliktsnatur der §§ 264, 264a und 265b StGB . . . . . . . . . . . . . (a) § 264 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) § 264a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Versicherungsmissbrauch, § 265 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsgut des § 265 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Deliktsnatur des § 265 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Wucher, § 291 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Sinn und Zweck der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsgut des § 291 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Deliktsnatur des § 291 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Vergleich des § 284 StGB mit weiteren verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikten am Beispiel des § 327 StGB . . . . . . . aa) Zweck der Verlagerung der §§ 324 ff. in das StGB . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsgut des § 327 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Deliktsnatur des § 327 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung und Auswertung zum Erfolgsunwert . . . . . . . . . . . . aa) Ergebnisse aus dem Vergleich mit den Wirtschaftsstraftaten, dem Versicherungsmissbrauch und dem Wucher . . . . . . . . . . . . . . . bb) Folgen der Verwaltungsakzessorietät für die Legitimität des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Handlungsunwert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tathandlung der Wirtschaftsstrafnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tathandlung des § 264 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tathandlung des § 264a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Tathandlung des § 265b StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

197 197 197 198 198 198 199 199 199 202 203 204 204 205 206 206 206 206 207 208 208 208 209 209 209 210 211 212 212 213 216 216 216 217 217

Inhaltsverzeichnis b) Tathandlung des § 265 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Tathandlung des § 291 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Tathandlung des § 327 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung und Auswertung zum Handlungsunwert . . . . . . . . 4. Gesamtbeurteilung der Angemessenheit des § 284 StGB . . . . . . . . . . . . .

15 217 218 218 219 222

C. Vorschlag zur Gesetzesänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

Einführung Glücksspiele haben eine lange Geschichte. Wann und wo die Glücksspiele im engeren Sinne des geltenden Strafrechts zum ersten Mal aufgetaucht sind, kann nicht mit Gewissheit gesagt werden.1 Es ist bekannt, dass bereits die Soldaten unter dem Kreuz Christi um Kleider gewürfelt haben, also ein Glücksspiel veranstalteten.2 Im Laufe der Jahrhunderte nahm das Glücksspiel verschiedenste Ausprägungen an. Dennoch blieb die Idee dahinter stets gleich; das Glücksspiel diente der Unterhaltung, brachte aber auch die Möglichkeit mit sich, mit wenig Aufwand Geld oder Gegenstände zu gewinnen. Auch die (strafrechtlichen) Reglementierungen des Glücksspiels sind bis zu ihrer heutigen Ausgestaltung in Form der §§ 284 bis 287 StGB einem stetigen Wandlungsprozess unterworfen gewesen.3 Im alten Rom galt das Glücksspiel, selbst wenn es um Geld gespielt wurde, keineswegs als unsittlich und verwerflich. Es wurde als ein speziell dem Greisenalter angemessener Zeitvertreib angesehen.4 Zur Zeit der Republik wurde jedoch die Gefahr der Überschreitung der Schranken des maßvollen Betriebes bzw. die Gefahr der Ausartung der Glücksspiele erkannt; daher wurde es gesetzlich verboten, um Geld oder ähnliche Werte zu spielen.5 Um 200 v. Chr. wurde das Glücksspiel aufgrund einer lex alearia als strafbare Handlung angesehen, wobei das öffentliche Glücksspiel als besonders strafwürdig galt.6 Ausnahmen gab es lediglich für Kampfspiele;7 ansonsten war das Spielen um einen Einsatz verboten. Eine durchgreifende Änderung erfuhr das römische Glücksspielstrafrecht zur Zeit Justinians. Das Verbot des Glücksspiels wurde zwar nicht aufgehoben, es waren jedoch keine strafrechtlichen Konsequenzen mehr zu befürchten. Justinian führte den Kampf gegen die Glücksspiele auf zivilrechtlichem Wege fort, indem er dem Verlierer einen Rückforderungsanspruch für die bereits geleistete Spielschuld für die Dauer von 50 Jahren einräumte; andererseits konnten Spielschulden nicht eingeklagt werden.8 1 2 3 4 5 6 7 8

Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 2. Astl/Rathleff, Das Glücksspiel, Vorwort. Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 19. Sabath, Das Glücksspiel. Seine strafrechtliche und wirtschaftliche Bedeutung, S. 1. Sabath, Das Glücksspiel. Seine strafrechtliche und wirtschaftliche Bedeutung, S. 1. Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 3. Sabath, Das Glücksspiel. Seine strafrechtliche und wirtschaftliche Bedeutung, S. 3. Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 4.

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Die älteste bisher bekannte Schilderung des Glücksspiels bei den Germanen stammt aus der „Germania“ von Tacitus (55–116 n. Chr.). Tacitus nennt als einziges Glücksspiel nur das Würfelspiel.9 Glücksspiel um Geld scheidet bis zum 8. Jahrhundert n. Chr. aus, weil geprägtes Geld bei den Germanen bis dahin unbekannt war.10 Ursprünglich waren Spiele jeder Art nach älterem deutschem Recht nicht verboten. In späteren Zeiten erkannte der Gesetzgeber die Notwendigkeit der Einschränkung des Glücksspiels. Nicht zuletzt hat die Verbreitung des Münzgeldes dazu beigetragen, dass aus der Spielleidenschaft sich eine Spielsucht entwickelte,11 die zur Verbreitung des bis dahin unbekannten Falschspiels führte.12 Anders als im alten Rom wurde das Glücksspiel zuerst nur auf zivilrechtlichem Wege bekämpft. Es scheint jedoch, dass die zivilrechtlichen Normen nicht geeignet waren, die Spielleidenschaft einzudämmen.13 Die Menschen spielten nicht mehr allein aus Freude am Wagnis, sondern auch und vor allem, um den notwendigen Lebensbedarf durch Spielgewinne zu sichern.14 Daher findet man vereinzelt schon im 13. Jahrhundert absolute Spielverbote,15 zum Teil allerdings noch ohne Strafandrohung.16 Die Strafen für das Falschspiel, die bereits im Augsburger Stadtbuch aus dem Jahr 1276 vorgesehen waren,17 sind zu dieser Zeit noch verhältnismäßig gering,18 da die Vorschriften zur Bekämpfung des Glücksspiels noch keinen strafrechtlichen, sondern nur polizeilichen Charakter haben.19 Der Zweck der Spielbeschränkungen bzw. -verbote bestand darin, das Spiel innerhalb seiner natürlichen Grenzen zu halten und ein dem Wohlstand und der Sittlichkeit gefährliches Spiel zu verhindern.20 Als gefährlich galten solche Spiele, die auf die Hervorrufung der Gewinnsucht der Menschen angelegt waren.21 9

Zink, Spielbanken in Deutschland, S. 3. Zink, Spielbanken in Deutschland, S. 4. 11 Zink, Spielbanken in Deutschland, S. 13. 12 Zink, Spielbanken in Deutschland, S. 14. 13 Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 5. 14 Niestegge, Zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Spielbankenrecht, S. 1. 15 Rebmann verweist auf das Straßburger Stadtrecht aus dem Jahr 1249. Dem folgten im Jahr 1278 Landshut und im Jahr 1286 Nürnberg. 16 Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 5. 17 Vgl. His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Zweiter Teil, S. 325. Das Augsburger Stadtrecht zeichnete sich durch seine Strenge aus. Hier war als Strafe für das Falschspiel der Handverlust vorgesehen. 18 His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Zweiter Teil, S. 325. 19 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 11. 20 Niestegge, Zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Spielbankenrecht, S. 3 m.w. N. 21 Niestegge, Zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Spielbankenrecht, S. 3 m.w. N. 10

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Seit dem 15. Jahrhundert werden die Strafen strenger. In ganz Deutschland findet sich als Strafe das Ausstechen der Augen, häufig wird auch die Todesstrafe angewandt.22 Die Strafandrohungen sollten jedoch nicht nur den Falschspieler selbst treffen, sondern auch den Gast- oder Hauswirt, der ein verbotenes Spiel duldete.23 Der Staat versuchte zunächst von der wachsenden Spielleidenschaft der Bevölkerung zu profitieren. So wurden im Jahr 1379 in Frankfurt am Main und im Jahr 1425 in Mainz öffentliche Spielhäuser eröffnet.24 Die modernen Spielbanken entstanden hingegen erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit der Erfindung des Roulettes in Frankreich. Dieses Spiel schloss nach damaliger Ansicht wegen der Eindeutigkeit des Zustandekommens der Ergebnisse eine betrügerische Beeinflussung des Spielverlaufes am ehesten aus, sodass die Einführung des Roulettes der letzte Ausweg aus den Auswüchsen des Glücksspiels zu sein schien.25 In Deutschland wurde im Jahr 1771 erstmals in Wiesbaden einem Bankhalter bei gleichzeitigem Verbot des zu dieser Zeit verbreiteten Roulettespiels in Gasthöfen die ausschließliche Spielkonzession erteilt.26 Im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebten die Spielbanken in deutschen Städten wie Baden-Baden und Bad Homburg zunächst einen Aufstieg. Das Verbot des Glücksspiels in England und Frankreich führte zur Verbreitung des Glücksspiels im übrigen Europa.27 Im Jahr 1832 erließ der französische Bürgerkönig Louis Philippe ein Gesetz, aufgrund dessen sämtliche Spielbanken in Frankreich bis zum Jahr 1837 geschlossen werden mussten.28 In Deutschland beschloss die Frankfurter Nationalversammlung erst im Jahr 1848 die Schließung der Spielbanken, weil „dadurch die Moralität des Volkes gefördert und ein Übelstand entfernt wird, welcher die Demoralisierung des einzelnen Individuum begünstigt“.29 Ebenso reagierte der Norddeutsche Bund mit einem Gesetzentwurf aus dem Jahr 1868, der die Schließung der Spielbanken bis spätestens 31.12. 1872 zum Gegenstand hatte.30 Erst aufgrund des durch die Reichsregierung erlassenen Gesetzes über die Zulassung öffentlicher Spielbanken wurde wieder eine Rechtsgrundlage zur Errichtung öffentlicher Spielbanken geschaffen. Man hatte die Erkenntnis gewonnen, dass das Glücksspiel durch ein Verbot nicht gänzlich unterdrückt werden konnte,31 außerdem sollte durch die Spielbetriebe eine neue Steuerquelle erschlossen werden.32 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31

Volk, Glücksspiel im Internet, S. 4. His, Das Strafrecht des deutschen Mittelalters, Zweiter Teil, S. 328. Zink, Spielbanken in Deutschland, S. 23. Lauer, Staat und Spielbanken, S. 9. Lauer, Staat und Spielbanken, S. 9. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 13. Volk, Glücksspiel im Internet, S. 5. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 13. Zink, Spielbanken in Deutschland, S. 35. Lauer, Staat und Spielbanken, S. 13.

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Das Zahlenlotto ist hingegen vermutlich auf eine ähnliche Einrichtung in Italien aus dem 16. Jahrhundert zurückzuführen. In der Folgezeit sind verschiedene Lotterien, die zumeist zur Auffüllung der Staatskassen durchgeführt wurden, in Erscheinung getreten.33 Dabei ging die Monopolisierung des Lotteriewesens durch den Staat mit dem Lotterieverbot für private Veranstalter einher.34 In Preußen wurden zum Beispiel durch Patent vom 1.2.1763 sämtliche Lotterien des Landes staatlich monopolisiert; durch ein Edikt vom 23.8.1782 wurde – unter Androhung der Konfiskation sämtlicher Gewinne – verfügt, dass jede Privatlotterie in Zukunft zu unterbleiben habe.35 Durch die Staatslotterie sollten die nach dem Siebenjährigen Krieg erschöpften Staatsfinanzen saniert werden.36 Das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, auf das die heutige Regelung im Kern zurückzuführen ist, verbot in § 248 ALR ungenehmigte öffentliche Lotterien, weil sie das Fiskalinteresse des Staates beeinträchtigten, und bestrafte in den §§ 1298 ff. ALR „das Hazardspiel aus Gewinnsucht“.37 Die lotterierechtlichen Bestimmungen in §§ 248 f. ALR stehen zusammen mit den §§ 244 ff. ALR unter der Überschrift „Eingriffe und Beeinträchtigung des Besteuerungsrechts“.38 § 249 ALR enthielt eine Strafnorm für den Lotteriespieler. Die Glücksspiele im engeren Sinn regelte das ALR im fünfzehnten Abschnitt des zwanzigsten Titels „Von Beschädigungen des Vermögens durch strafbaren Eigennutz und Betrug“ unter der Überschrift „Unerlaubte Spiele“ in den §§ 1298 ff. In § 1298 wurde bestimmt, dass Hazardspiele unerlaubt sind, sobald sie „aus Gewinnsucht gespielt werden“.39 Am 15.5.1871 wurde das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund als „Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich“ übernommen. § 284 RStGB a. F. bestimmte damals, dass derjenige, der „aus dem Glücksspiel ein Gewerbe macht“, mit Gefängnis bis zu zwei Jahren bestraft wird. Daneben konnte auch auf Geldstrafe erkannt werden. Aus den weiteren Normen wie §§ 285, 360 Nr. 14 RStGB a. F. ergab sich die Voraussetzung der Öffentlichkeit des Veranstaltungsortes. Das Glücksspiel in geschlossenen Gesellschaften blieb hingegen straffrei. Nach dem Ersten Weltkrieg genügten diese Regelungen jedoch nicht mehr, um der fortschreitenden Ausbreitung des Glücksspiels in privaten Spielklubs, die streng ge32 Niestegge, Zur Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern im Spielbankenrecht, S. 19. 33 Astl/Rathleff, Das Glücksspiel, Vorwort. 34 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 11. 35 Klenk, GA 76, S. 364. 36 Klenk, GA 76, S. 363. 37 Vgl. von Hippel, Lehrbuch des Strafrechts, S. 273 Fn. 3. 38 Vgl. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Textausgabe von 1970, S. 676. 39 Vgl. Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794, Textausgabe von 1970, S. 717.

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schlossene Gesellschaften waren, entgegenzuwirken.40 Die Wirtschaft war durch den verlorenen Krieg, die Finanzen waren durch die staatliche, einem Staatsbankrott gleichkommende Überschuldung (Kriegsanleihen) zerrüttet. Millionen von Menschen lebten in einem unvorstellbaren Elend und tiefster Unsicherheit über ihre Zukunft. Unter diesen Umständen war das Glücksspiel, wie es damals in den geschlossenen Klubs betrieben wurde, ein Privileg derjenigen, die gerade an diesem Massenelend verdienten. Der schreiende Widerspruch dieses Treibens mit der allgemeinen Not wurde als unerträglich empfunden.41 Die öffentliche Moral verlangte daher nach einer Ausweitung des Strafrechts in diesem Bereich.42 Mit dem Gesetz gegen das Glücksspiel vom 23.12.191943 erhielten §§ 284 und 285 StGB (damals § 284a StGB a. F.) im Wesentlichen ihre heute noch geltende Fassung. § 285 StGB i. d. F. von 1919, der das gewerbsmäßige Glücksspiel unter Strafe stellte und bei weitem die schwerste Strafe androhte (Gefängnisstrafe bis zu fünf Jahren), wurde mit Wirkung vom 24.4.197444 ersatzlos gestrichen. Durch das Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität vom 15.7.199245 wurde jedoch hierfür der Qualifikationstatbestand des § 284 Abs. 3 Nr. 1 StGB eingefügt. In § 284 Abs. 3 Nr. 2 StGB wurde außerdem die bandenmäßige Tatbegehung normiert. Durch das 6. StrRG vom 26.1.1998 wurden die Werbetatbestände der §§ 284 Abs. 4, 287 Abs. 2 StGB neu in das Strafgesetzbuch eingefügt.46 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass dem Glücksspiel schon früh in mehr oder weniger großem Umfang Grenzen gesetzt wurden. Die Hauptgründe hierfür waren durchgehend das Streben nach der Eindämmung der Spielsucht, die den Spieler in den finanziellen Ruin treiben und einen Ausgangspunkt für deliktische Handlungen aller Art bilden könnte, sowie die Vorstellung, das Glücksspiel fördere den sittlichen Verfall der Bevölkerung, insbesondere weil es den Spieler einer nutzbringenden Tätigkeit entziehe, die jedoch eine sittliche Grundlage der Gesellschaft bilde.47 Darüber hinaus war es im Interesse des Staates, in schweren Krisenzeiten durch die Monopolisierung der Spielbetriebe neue Steuerquellen zu schaffen. Spätestens ab dem 14. Jahrhundert war die Verfolgung fiskalischer Interessen einer der Leitgedanken beim Erlass von Spielverboten bzw. -einschränkungen. 40

Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 14. Lange, Das Glücksspielrecht – ein Stück steckengebliebener Strafrechtsreform, in: FS für Dreher, S. 574. 42 Lampe, JuS 94, 738. 43 RGBl. I 1919, S. 2145. 44 BGBl. I, S. 469. 45 BGBl. I, S. 1302 ff. 46 BT-Drs. 13/8787. 47 Vgl. Kummer, Das Recht der Glücksspiele und der Unterhaltungsaustomaten mit Gewinnmöglichkeit, S. 1. 41

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Einführung

Die Motive des Gesetzgebers mögen durchaus nachvollziehbar sein. Die eingeführten §§ 284 ff. StGB wurden dennoch zum Gegenstand eines zeitweise heftig geführten Diskurses über deren Legitimität.

A. Problemstellung Die Frage, die sich seit der Einführung der §§ 284 ff. StGB stellte und in dieser Arbeit nochmals aufgegriffen wird, ist folgende: Darf der Gesetzgeber die in den Tatbeständen der §§ 284 ff. StGB umschriebenen Verhaltensweisen strafrechtlich verfolgen? Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, wann und in welchen Grenzen Strafrecht überhaupt zum Einsatz kommen soll. Zum einen wird hierbei zu untersuchen sein, worin die Legitimation strafrechtlicher Normen zu sehen ist. Seit jeher ist es in der juristischen Literatur umstritten, ob die Verletzung eines Rechtsguts die Grundvoraussetzung der Legitimität einer strafrechtlichen Norm ist und welche Rechtsgüter als strafrechtlich geschützte Güter in Betracht kommen. Es ist kein Geheimnis, dass der Staat auch heute von den Einnahmen aus dem Glücksspielmarkt profitiert. Im Jahr 2019 hatte der deutsche Glücksspielmarkt, gemessen an den Bruttospielerträgen, ein Volumen von insgesamt 13.277 Mio. Euro. Daran hatte der regulierte Markt einen Anteil von 11.070 Mio. Euro bzw. 83 % und der nicht-regulierte Markt (Schwarzmarkt) einen Anteil von 2.207 Mio. Euro bzw. 17 %.48 Den größten Anteil im regulierten Markt haben die Geldspielgeräte in Spielhallen und Gaststätten mit 5.500 Mio. Euro bzw. 50 %. Die staatlichen Lotterien und Sportwetten des Deutschen Lotto-Toto-Blocks (DLTB) besitzen einen Marktanteil von 3.686 Mio. Euro bzw. 33 %, wobei davon der Hauptteil (ca. 98 %) von den Lotterien getragen wird.49 Hingegen verfügen die beiden Sportwetten des DLTB, Oddset und Fußball-TOTO mit einem Volumen von insgesamt 59 Mio. Euro nur über einen Marktanteil von 0,5 %. Der Anteil der Spielbanken am erlaubten Markt bemisst sich auf 860 Mio. Euro bzw. 8 %, wobei davon das Große Spiel 19 % und das Kleine Spiel 81 % ausmachen. Die Klassen-, Sozial- und Sparlotterien, die neben den Lotterien des DLTB existieren, kommen gemeinsam mit einem Volumen von 979 Mio. Euro auf einen Marktanteil von 9 %. Das Seg-

48 Jahresreport 2019 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in der Endfassung vom 26.11.2020, S. 4, online abrufbar unter: https://www.im.nrw/system/files/media/ document/file/gs_jahresreport2019.pdf. 49 Jahresreport 2019 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in der Endfassung vom 26.11.2020, S. 7, online abrufbar unter: https://www.im.nrw/system/files/media/ document/file/gs_jahresreport2019.pdf.

A. Problemstellung

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ment Pferdewetten hat dagegen mit rund 45 Mio. Euro lediglich einen Anteil von 0,4 % am erlaubten Markt.50 Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem Ergebnisbericht über Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland, dass sich im Jahr 2019 0,34 % der 16- bis 70-jährigen Bevölkerung als (wahrscheinlich) pathologisch Glücksspielende, 0,39 % als problematisch Glücksspielende (und damit insgesamt 0,73 % als mindestens problematisch Glücksspielende) und weitere 4,41 % als auffällig Glücksspielende einordnen lassen.51 Für 2017/2018 ermittelte die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (e. V.) für das sogenannte „problematische Spielverhalten“, eine Vorstufe zur Spielsucht, einen Anteil von 0,56 % der bundesdeutschen Bevölkerung. Dies entspricht ungefähr 326.000 Menschen. Von „pathologischem Spielverhalten“, einem ernstzunehmenden Krankheitsbild, das auch als Spielsucht bekannt ist, sind hingegen 0,31 % der Deutschen betroffen. Dies entspricht ca. 180.000 Menschen. Zum Vergleich: 1,77 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Alkoholsucht. Nach wie vor seien Tabak, Alkohol und Medikamente für den größten Teil der Suchtproblematik in Deutschland verantwortlich.52 Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen konnte einen leichten Anstieg bei der Inanspruchnahme von Beratungsangeboten zum Thema Glücksspielsucht feststellen. Bei den Personen, die 2017/2018 eine Beratungsstelle aufsuchten, handelte es sich bei 72,3 % um Personen, die an Spielautomaten spielten. Sie stellen damit nach wie vor die größte Gruppe dar. Polizeilich erfasst wurden dabei im Jahr 2015 nur 126 Fälle der unerlaubten Beteiligung am Glücksspiel sowie 372 Fälle der Veranstaltung von unerlaubten Glücksspielen und 4 Fälle der unerlaubten Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung (insgesamt 502 Fälle).53 Im Jahr 2017 waren es 504 Fälle (davon 5 Fälle der unerlaubten Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, 85 Fälle der unerlaubten Beteiligung am Glücksspiel und 414 Fälle der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels).54 In den Jahren 2018 und 2019 war ein Anstieg der Fälle zu 50 Jahresreport 2019 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder in der Endfassung vom 26.11.2020, S. 7, online abrufbar unter: https://www.im.nrw/system/files/media/ document/file/gs_jahresreport2019.pdf. 51 Forschungsbericht der BZgA: Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2019 und Trends, online abrufbar unter: https:// www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/BZgA-Forschungsbericht_Gluecks spielsurvey_2019.pdf. 52 Aus dem Jahrbuch Sucht 2018, Daten abrufbar unter: https://www.dhs.de/daten fakten/gluecksspiel.html. 53 Statistik des Bundeskriminalamts, online abrufbar unter: http://de.statista.com/sta tistik/daten/studie/236972/umfrage/anzahl-der-gluecksspiel-strafttaten-nach-art-des-ver brechens/. 54 Daten abrufbar unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/236972/um frage/anzahl-der-gluecksspiel-strafttaten-nach-art-des-verbrechens/.

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Einführung

beobachten: Im Jahr 2018 wurden 4 Fälle der unerlaubten Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, 392 Fälle der unerlaubten Beteiligung am Glücksspiel und 442 Fälle der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels, im Jahr 2019 2 Fälle der unerlaubten Veranstaltung einer Lotterie oder Ausspielung, 260 Fälle der unerlaubten Beteiligung am Glücksspiel und 685 Fälle der unerlaubten Veranstaltung eines Glücksspiels erfasst. Es wird zu untersuchen sein, ob in der heutigen Zeit nicht die fiskalischen Interessen des Staates den primären Grund für das Bestehenlassen von §§ 284 ff. StGB darstellen und inwieweit diese Interessen strafrechtlichen Schutz genießen können. Zum anderen stellt sich die Frage, inwiefern nur eine Gefährdung des Rechtsguts zu pönalisieren ist. Im Strafgesetzbuch finden sich zahlreiche abstrakte und konkrete Gefährdungsdelikte, die keinen Eintritt der Verletzung eines Rechtsguts voraussetzen, sowie Normen, die bloße Vorbereitungshandlungen unter Strafe stellen. Zu untersuchen ist freilich, wann und wo die Grenze der Vorverlagerung der Strafbarkeit zu ziehen ist und unter welchen Voraussetzungen die Abkehr von dem Grundsatz der Bestrafung von eingetretenen Verletzungen angezeigt ist.

B. Gang der Untersuchung Ausgehend von den oben genannten Überlegungen wird im ersten Teil der Arbeit zunächst die Diskussion um das durch die §§ 284 ff. StGB geschützte Rechtsgut dargestellt. Dabei wird insbesondere auch die Verwaltungsakzessorietät der Normen berücksichtigt und dementsprechend der Frage nachgegangen, ob die Normen nicht bloß dem Schutz der Verwaltungskotrolle dienen und welche Konsequenzen die Bejahung dieser Frage hätte. Schon im ersten Teil der Arbeit wird bezüglich des § 285 StGB vertreten, dass diese Norm nicht dem Schutz eines anerkannten Rechtsguts dient, sodass die weiteren Ausführungen sich nur noch auf § 284 StGB konzentrieren werden. Nach der Untersuchung des geschützten Rechtsguts und der Feststellung, dass zumindest § 284 StGB dem Schutz eines anerkannten Rechtsguts dient, widmet sich der zweite Teil der Arbeit der Frage, nach welchen Kriterien der Bereich strafbarer Handlungen grundsätzlich zu bestimmen ist. Hier wird insbesondere gezeigt, dass die Rechtsprechung und die Strafrechtswissenschaft sich bei der Überprüfung der Legitimität von Strafnormen unterschiedlicher Modelle bedienen. Nicht zu verkennen ist jedoch, dass seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes in erster Linie die verfassungsrechtlichen Vorgaben zu beachten sind. Dabei wird dem Gesetzgeber ein sehr weiter Entscheidungsspielraum zugestanden. Sodann wird untersucht, inwieweit sich aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben eine Begrenzung der Ausdehnung des mit der Kriminalstrafe pönalisierten Bereichs ergeben kann. Insbesondere der verfassungsrechtliche Verhältnismäßig-

B. Gang der Untersuchung

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keitsgrundsatz erfährt im Rahmen seiner Anwendung auf Strafnormen oft Kritik. In erster Linie wird hier kritisiert, dass dadurch der Ultima-ratio-Gedanke des Strafrechts nicht hinreichend beachtet wird. Die Legitimitätsanforderungen an Strafnormen unterscheiden sich infolgedessen kaum von den Anforderungen an sonstige staatliche Eingriffsmaßnahmen. Im Anschluss darauf wird dargestellt, welcher Kriterien sich die Strafrechtswissenschaft bei der Legitimitätsprüfung bedient. Schließlich wird gezeigt, dass bezüglich einiger Kriterien Einigkeit herrscht. Im Übrigen können die strafrechtswissenschaftlichen Kriterien jedoch durchaus eine Hilfestellung für die Entscheidung über die Legitimität einer Strafrechtsnorm bieten, indem durch sie die Ebenen der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung präzisiert und angereichert werden. Damit werden in diesem Teil der Arbeit Kriterien herausgearbeitet, die der Prüfung der Legitimität des § 284 StGB zugrunde gelegt werden. Im dritten Teil der Arbeit werden die aus den ersten beiden Teilen gewonnenen Erkenntnisse dazu genutzt, die Legitimität des § 284 StGB zu überprüfen. Die Prüfung erfolgt in erster Linie anhand der verfassungsrechtlichen Kriterien. Zunächst wird die Bestimmtheit des Tatbestandes des § 284 StGB festgestellt. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung liegt der Schwerpunkt der Prüfung auf den Ebenen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit. Die Angemessenheitsprüfung beruht auf der Darstellung und der Untersuchung des Erfolgs- und des Handlungsunwerts des § 284 StGB. Für die Bestimmung des Erfolgsunwerts wird die Relevanz der Deliktsnatur hervorgehoben. Es wird untersucht, ob es sich nach Maßgabe des im ersten Teil gefundenen Ergebnisses und des Tatbestandes des § 284 StGB um ein Verletzungs- oder ein (abstraktes) Gefährdungsdelikt handelt. Danach wird die Diskussion um den Legitimationsgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte dargestellt. Dabei wird deutlich, dass eine allseitig anerkannte Lösung noch nicht gefunden wurde. Aufgrund der unbestrittenen Bedeutung abstrakter Gefährdungsdelikte in bestimmten Bereichen wird deshalb versucht, konkrete Kriterien für die Einschränkung der unbegrenzten Ausweitung des Bereichs strafbarer Handlungen und die Beurteilung der Legitimität eines jeden abstrakten Gefährdungsdelikts aufzustellen. Zudem wird explizit auf die verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikte eingegangen. Sowohl bei der Untersuchung des Erfolgsunwerts als auch sodann bei der Untersuchung des Handlungsunwerts wird ein Vergleich mit anderen Delikten aus dem Strafgesetzbuch vorgenommen. Zum einen werden die abstrakten Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betrugs sowie der Wucher, zum anderen § 327 StGB aus dem Umweltstrafrecht näher untersucht und mit § 284 StGB verglichen. Dieser Vergleich wird es ermöglichen, die Stellung des § 284 StGB als Fremdkörper im Strafgesetzbuch herauszuarbeiten. Zum Schluss wird ein Vorschlag formuliert, wie § 284 StGB unter Berücksichtigung aller aufgezeigten Defizite aussehen könnte, ohne dass er als verfassungswidrig oder zumindest kriminalpolitisch höchst bedenklich erscheinen würde.

1. Teil

Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB Den Erwägungen des Gesetzgebers zufolge, die zur Schaffung der §§ 284 ff. StGB führten, sollten eine übermäßige Nachfrage nach Glücksspielen und die Ausnutzung des natürlichen Spieltriebs zu privaten oder gewerblichen Gewinnzwecken verhindern, ein ordnungsgemäßer Spielablauf durch staatliche Kontrolle gewährleisten und ein nicht unerheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen (mindestens 25 %) zur Finanzierung gemeinnütziger oder öffentlicher Zwecke herangezogen werden.1 Außerhalb des Strafrechts wird durch den Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland, der im Jahr 2012 in Kraft trat, der rechtliche Rahmen für das Glücksspiel bestimmt. Der Glücksspielstaatsvertrag definiert in § 1 Abs. 1 mehrere Ziele, die mit ihm verfolgt werden und die untereinander gleichrangig sind. Im Einzelnen wird bezweckt: – die Verhinderung der Entstehung von Glücksspielsucht und Wettsucht und die Schaffung der Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung, – die Lenkung des natürlichen Spieltriebs der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot sowie die Entgegenwirkung der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten, – die Gewährleistung des Jugend- und des Spielerschutzes, – die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Durchführung der Glücksspiele, des Schutzes der Spieler vor betrügerischen Machenschaften und die Abwehr der mit Glücksspielen verbundenen Folge- und Begleitkriminalität, – die Vorbeugung von Gefahren für die Integrität des sportlichen Wettbewerbs beim Veranstalten und Vermitteln von Sportwetten. Die vorgesehenen Maßnahmen richten sich nach der jeweiligen Art des Glücksspiels, um deren spezifischen Sucht-, Betrugs-, Manipulations- und Kriminalitätsgefährdungspotentialen Rechnung zu tragen (§ 1 Abs. 2).2 Einige dieser Ziele stimmen mit den Erwägungen des Gesetzgebers zu §§ 284 ff. StGB überein. Bei näherer Betrachtung fällt dennoch auf, dass die Mo1 2

BT-Drs. 13/8587, S. 67. Abrufbar unter: http://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/StVGlueStV-1.

1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

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tivation des Gesetzgebers bei der Schaffung der §§ 284 ff. StGB im Vergleich zum Glücksspielstaatsvertrag eine stärkere Tendenz zur Kontrolle und Lenkung der Glücksspiele und der Spieler sowie zur Partizipation an den Einnahmen aufweist. Die Ziele des Glücksspielstaatsvertrages rücken den Schutz des Individuums stärker in den Vordergrund, sei es der Schutz des Spielers selbst oder der Gesellschaft vor nachteiligen Folgen, die möglicherweise mit unkontrolliertem Glücksspielwesen einhergehen. Seit der Einführung der §§ 284 ff. StGB wird die Legitimität dieser strafrechtlichen Normen angezweifelt. Allein die Darlegung der Beweggründe des Gesetzgebers zum Zeitpunkt der Schaffung einer strafrechtlichen Norm kann die Legitimität einer Strafnorm noch nicht begründen. Die Zweckmäßigkeitserwägungen des Gesetzgebers sind nicht mit dem durch eine Strafnorm geschützten Gut gleichzustellen.3 Denn die Frage, ob durch das inkriminierte Verhalten das friedliche Zusammenleben der Menschen beeinträchtig wird und ein Schaden verursacht wird, bleibt damit unbeantwortet.4 Die mit dem Gesetz verfolgten Ziele können durchaus den Umgang mit der Norm erleichtern, insbesondere wenn es um auslegungsbedürftige Begriffe der Norm geht, denen mehrere Deutungen beigemessen werden können. Danach ist die Deutung zu wählen, die am ehesten dem Gesetzeszweck entspricht. Bei mehreren Zwecken wird nicht zwangsläufig jedem Zweck die gleiche Bedeutung zukommen. Vielmehr wird im Hinblick auf den jeweiligen Tatbestand zu erforschen sein, welchem Zweck der Tatbestand tatsächlich dienen soll.5 Allein das bekundete Interesse des Staates an der Kontrolle und Lenkung des Spieltriebs ist kein originäres strafrechtlich zu schützendes Gut. Dieses Interesse kann weder ein originär individuelles Interesse, aus dem man ein Allgemeininteresse ableiten könnte, noch ein originär bestehendes Allgemeininteresse darstellen.6 Das Kontrollinteresse bzw. das Kontrollbedürfnis bezüglich bestimmter Lebensbereiche entsteht aufgrund der von diesen Bereichen ausgehenden Gefahren für die Betroffenen, jedoch nicht um der Kontrolle als solcher willen. Das staatliche Interesse an der Kontrolle und Lenkung des Spieltriebs kann demnach ein Verbot dann rechtfertigen, wenn eine Gefährdung des originär schützenswerten Gutes nicht ausgeschlossen wäre.7 Mit anderen Worten: Die staatliche Kontrolle kann kein Selbstzweck sein, kann aber einem anderen schutzwürdigen Zweck dienen. Was der schutzwürdige Zweck im Rahmen der §§ 284 ff. StGB ist, wird kontrovers beurteilt.

3 Wohlers, Strafrecht als ultima ratio – tragender Grundsatz eines rechtsstaatlichen Strafrechts oder Prinzip ohne eigenen Aussagegehalt?, S. 61. 4 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 30; Chrobok, Zur Strafbarkeit nach dem Anti-Doping-Gesetz, S. 45. 5 Chrobok, Zur Strafbarkeit nach dem Anti-Doping-Gesetz, S. 43. 6 Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 33. 7 SK-Hoyer, § 284 Rn. 2.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

A. Rechtsgut des § 284 StGB Der Begriff „Rechtsgut“ wird in dieser Arbeit nicht ausschließlich im Sinne der strafrechtswissenschaftlichen Rechtsgutstheorie verwendet. Auch das Bundesverfassungsgericht, das die strafrechtswissenschaftliche Rechtsgutslehre explizit ablehnt,8 verwendet den Begriff „Rechtsgut“, wenn es um die Beschreibung des von der Strafnorm erstrebten Zwecks und des schützenswerten Gegenstands geht, der sich hinter der Strafnorm verbirgt.9 Zum anderen wird nicht nur die Diskussion in der Strafrechtswissenschaft dargestellt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs wird ebenfalls berücksichtigt. Denn sollten mehrere Deutungen möglich sein, so wäre es nicht zielführend, an einer Deutung festzuhalten, die sich später als verfassungs- oder unionsrechtswidrig herausstellen könnte.

I. Öffentliche Sittlichkeit und Moral Bis Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Glücksspiel noch per se als verwerflich angesehen. Der Grund dafür waren die schwierige wirtschaftliche Lage und das Elend der Bevölkerung nach dem Ersten Weltkrieg sowie die Vorstellung, dass der Erwerb von Vermögen ohne eine Gegenleistung in Form eines persönlichen Verdienstes moralisch verwerflich sei. Diese Vorstellung beruhte auf der These, dass in unserer Kulturordnung der Erwerb von Vermögenswerten grundsätzlich auf Arbeit beruhe, die eine der wichtigsten moralischen Grundlagen der Gesellschaft darstelle. Die Möglichkeit, durch ein Glücksspiel ohne Erbringung einer Arbeitsleistung Vermögenswerte zu erlangen, verführe die Bevölkerung zur Arbeitsscheu und vergifte die Arbeitsmoral; der Maßstab für den Wert des Geldes gehe verloren.10 Als volkswirtschaftlich nicht wertvolle Handlung treffe das Glücksspiel auch die Wirtschaftsmoral.11 Daher sei das Glücksspiel sittlich verwerflich.12 Es führe zu weitreichenden sozialschädlichen Folgen und Erscheinungen bis hin zu Kriminalität jeglicher Art. Daher sollen gerade die Sittlichkeit, die Arbeits- und Wirtschaftsmoral der Bevölkerung geschützt werden, um diese Folgen zu vermeiden und einzudämmen.13 Diese Ansicht wird heutzutage nicht mehr vertreten. Die grundsätzliche Verwerflichkeit von Glücksspielen jeglicher Art kann in der modernen Gesellschaft nicht mehr ohne weiteres angenommen werden. Zum einen wird in der modernen 8

Siehe zum Beispiel BVerfGE 120, 241. Zum Beispiel BVerfGE 120, 240. 10 Müller, Das Glücksspiel in kriminalsoziologischer Betrachtung, S. 48; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 20. 11 Seelig, Das Glücksspielstrafrecht, S. 86. 12 Wolf, Zur strafrechtlichen Problematik des Glücksspiels, S. 92 f. 13 Müller, Das Glücksspiel in kriminalsoziologischer Betrachtung, S. 48; Wolf, Zur strafrechtlichen Problematik des Glücksspiels, S. 92 f. 9

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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Gesellschaft der nahezu mühelose Vermögenserwerb nicht mehr als anrüchig und moralisch verwerflich angesehen. Dafür sprechen die Verbreitung von (staatlichen) Lotterien mit zum Teil sehr hohen Jackpots sowie die unzähligen QuizShows, die auch tagsüber ausgestrahlt werden. Betrachtet man die vom Staat angebotenen Glücksspiele, insbesondere Lotterien, kann nicht davon gesprochen werden, dass der Gewinn ohne Erbringung einer Arbeitsleistung vom Staat missbilligt wird und sich der Staat daher den Schutz der Bevölkerung vor solchen Gewinnen als eine staatliche Aufgabe aufbürdet. Denn die Möglichkeit der Erzielung eines sehr hohen Gewinns (Jackpot) animiert gerade die Bevölkerung verstärkt zur Teilnahme an den (staatlichen) Glücksspielen. Zudem ist die Veranstaltung von Glücksspielen mittlerweile nicht nur auf nationaler, sondern auch auf internationaler Ebene als Beruf anerkannt. Es existieren zahlreiche Gesetze, die gegen die Sittenwidrigkeit des Glücksspiels sprechen, wie zum Beispiel § 762 BGB oder die Existenz des Rennwett- und Lotteriegesetzes.14 Die Vertretung der Ansicht, Glücksspiele seien generell sittenwidrig, hätte zwingend den Vorwurf zur Folge, der Staat betreibe und schütze (sogar durch Art. 12 GG) eine sozialschädliche, sittenwidrige Tätigkeit. Zum anderen ist es nicht die Aufgabe des Staates, „einen moralischen Standard des erwachsenen Bürgers durchzusetzen“, sondern „die Sozialordnung der Gemeinschaft vor Störungen und groben Belästigungen zu schützen“.15 Allein durch die Veranstaltung des Spiels oder die Teilnahme an diesem wird die Allgemeinheit jedoch kaum tangiert, und schon gar nicht in dem für die Strafwürdigkeit erforderlichen Maß. Die Sittenwidrigkeit kann auch nicht auf die Befürchtung des Abrutschens des Spielers in das kriminelle Milieu zurückgeführt werden.16 Denn die Behauptung, dass jeder Spieler früher oder später Straftaten begehen wird, kann angesichts der unzähligen Ausgestaltungen und Formen der mittlerweile existenten Glücksspiele, der unterschiedlichsten Motive und Altersstufen der Spieler, die an Glücksspielen teilnehmen, in dieser Pauschalität nicht aufgestellt werden. Auch ein Zusammenhang zwischen dem Glücksspiel und dem Zerfall der gesellschaftlichen Moral ist empirisch nicht nachgewiesen.17 Diese Gründe erlauben bereits den Schluss, dass der Schutz der öffentlichen Sittlichkeit und Moral nicht als ein taugliches Rechtsgut der §§ 284 ff. StGB in Betracht kommt, ohne dass auf die Grundsatzfrage, ob die Tatbestände des StGB überhaupt dem Schutz von Moralvorstellungen dienen dürfen, eingegangen werden muss.18 14

Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 93. BGH NJW 69, 1818 f. 16 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 48. 17 Berg, GewArch 76, 250; Dahs/Dierlamm, GewArch 96, 275. 18 Ablehnend zum Beispiel Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 52; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 34. 15

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

II. Verfolgung fiskalischer Interessen des Staates Daneben wird vertreten, dass die §§ 284 ff. StGB dem Schutz fiskalischer Interessen des Staates dienen. 1. Abschöpfung von Mitteln Dieser Ansatz ist nicht fernliegend, wenn man die Monopolisierung des Glücksspielmarktes im Auge behält. In der Einleitung wurde bereits erwähnt, dass schon in der Geschichte der Glücksspiele solche Verbote der Verdrängung privater Veranstalter aus dem Glücksspielsektor und der damit einhergehenden Auffüllung der Staatskasse durch Veranstaltung von staatlichen Glücksspielen dienten. Schließlich gehörte die Absicht der Verwendung der aus dem Glücksspielmarkt fließenden Mittel für öffentliche Zwecke, die durch die staatliche Überwachung des Glücksspielmarkts gewährleistet werden sollte, zu den Erwägungen des Gesetzgebers beim Erlass der Norm. So hat auch das Bundesverfassungsgericht die Abschöpfung der Mittel als eine zulässige Erwägung angesehen.19 Diese Ansicht wäre bereits unabhängig von der Frage, ob die Strafrechtswissenschaft an die Rechtsgüter strengere Anforderungen stellt, in der Praxis aufgrund von europarechtlichen und verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht haltbar. Der Europäische Gerichtshof betonte in der „Gambelli“-Entscheidung, dass die Verfolgung fiskalischer Motive nur eine „erfreuliche Nebenfolge“, aber nicht der Strafzweck der nationalen strafrechtlichen Verbote sein kann.20 Auch nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kann eine Abschöpfung von Mitteln nur zum Beispiel als Weg zur Suchtbekämpfung gerechtfertigt sein, nicht dagegen als selbstständiges Ziel. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht es im Spielbankenbeschluss als ein legitimes Ziel angesehen, einen erheblichen Teil der Einnahmen von Spielbanken Gemeinwohlzwecken zuzuführen.21 Dies wurde aber mit den besonderen Gewinnmöglichkeiten begründet, die sich aus dem privaten Betreiben einer Spielbank ergeben. Insofern kann es zum Ausgleich besonders hoher Gewinnmöglichkeiten gerechtfertigt sein, Gewinne aus Glücksspieleinnahmen über die sonst üblichen Steuersätze hinaus abzuschöpfen. Auch in dieser Entscheidung wurde jedoch betont, dass das Ziel, aus fiskalischen Gründen die Einnahmen des Staates zu erhöhen, allein eine Beschränkung der Berufswahlfreiheit nicht rechtfertigen kann.22 Nicht außer Acht zu lassen wäre sonst die Gefahr, dass der Staat jeden geschäftlichen Zweig an sich reißen könnte, um die Konkur-

19 20 21 22

BVerfGE 28, 148; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 94. EuGH NJW 04, 139. BVerfGE 102, 216. BVerfGE 102, 216.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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renz auszuschalten und so die Staatskasse zu füllen.23 Schließlich wäre es auch mit dem Gedanken der strafrechtlichen Sicherung des friedlichen Zusammenlebens der Bürger unter Gewährleistung der verfassungsrechtlich garantierten Grundrechte nicht zu vereinbaren, wenn der Staat allein mit dem Zweck der staatlichen Gewinnabschöpfung die Berufsfreiheit einschränken würde. Eine solche Deutung der Norm würde zum Ergebnis führen, dass § 284 StGB verfassungs- und europarechtswidrig wäre. 2. Sicherung der Steuereinnahmen Ein weiterer Aspekt der Verfolgung fiskalischer Interessen könnte in der Sicherung der Steuereinnahmen, die für das Funktionieren des Staates in allen Bereichen unabdingbar sind, gesehen werden. Denn wenn der Staat von der Veranstaltung eines Glücksspiels Kenntnis erlangt und diese überwachen kann, kann er erzwingen, dass die Steuern gezahlt werden, oder die Steuerhinterziehung nach § 370 AO verfolgen.24 Dieser Ansatz stößt jedoch auf erhebliche Zweifel. Zum einen müssten die §§ 284 ff. StGB als Delikte im Vorfeld der Steuerhinterziehung verstanden werden, wofür jedoch weder der Wortlaut noch ihre systematische Stellung im StGB sprechen. Vielmehr würde eine solche Norm dann in die Abgabenordnung gehören. Die Verknüpfung zwischen der Gewährleistung der korrekten Steuerleistung und dem generellen Verbot von Glücksspielen (in Monopolbereichen ohne Möglichkeit der Einholung einer Erlaubnis) ist schwer erkennbar.25 Eine hinreichende Begründung, warum die Staatseinnahmen durch die private Glücksspielveranstaltung gefährdet sein sollten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass diese Gefahr den Glücksspielen per se anhafte.26 Sollte es allein um die In-Kenntnis-Setzung des Staates durch Beantragung der Erlaubnis gehen, wäre fraglich, warum dies allein im Bereich des Glücksspiels erforderlich sein soll und warum das Unterlassen dieser In-Kenntnis-Setzung gerade durch das Strafrecht geschützt werden soll. Die Frage nach dem Schutzzweck wäre damit nicht beantwortet.

III. Schutz der Erfüllung von Verwaltungsformalität; Verwaltungsverfahren als Rechtsgut? Ein weiterer Grund der §§ 284 ff. StGB könnte in der Bestrafung der Veranstaltung des Glücksspiels ohne verwaltungsrechtliche Erlaubnis und damit in der Absicherung der verwaltungsrechtlichen Kontrolle gesehen werden. 23 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 22; Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 43. 24 Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 77. 25 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 44. 26 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 94.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

§ 284 Abs. 1 StGB ist ein verwaltungsakzessorischer Tatbestand. Dieser ist nur erfüllt, wenn das Glücksspiel ohne behördliche Erlaubnis durchgeführt wird. Aus § 284 StGB geht nicht hervor, welche Anforderungen an die Genehmigung gestellt werden. Die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis werden durch die jeweiligen öffentlich-rechtlichen Normen festgelegt.27 1. Rechtliche Einordnung der Voraussetzung „ohne behördliche Erlaubnis“ Die rechtliche Einordnung dieser Voraussetzung ist umstritten. Das Vorliegen einer Erlaubnis könnte einerseits schon den Tatbestand ausschließen oder auch erst eine rechtfertigende Wirkung entfalten. Im Verwaltungsrecht wird zwischen einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, mit dem der Gesetzgeber nur eine Gefahrenkontrolle ausüben und nicht die Tätigkeit generell untersagen will, und dem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt unterschieden. Rengier differenziert zwischen Kontrollerlaubnis, die die durch Präventivkontrolle vorläufig eingeschränkte allgemeine Handlungsfreiheit wiederherstellt, und der Ausnahmebewilligung, die den Rechtskreis des Bürgers erweitert, indem ihm die an sich gesetzlich verbotene Tätigkeit ausnahmsweise erlaubt wird. Die Kontrollfunktion der Genehmigung soll zum einen die Durchführung eines behördlichen Verfahrens, in dem die präventive Gefahrenkontrolle durchgeführt wird, und zum anderen die Prüfung der materiell-rechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens gewährleisten.28 Im Strafrecht ist die Abgrenzung nach dem verwaltungsrechtlichen Verständnis zwar eine hilfreiche Ausgangsüberlegung, sie übersieht jedoch die Notwendigkeit strafrechtsspezifischer Kriterien.29 Der objektive Unrechtstatbestand hat die Aufgabe, das verbotene Handeln mit Hilfe unrechtsbegründender Merkmale so geschlossen zu umschreiben, dass der Tatbestand ein grundsätzlich strafwürdiges Verhalten erfasst. Die Genehmigung ist daher ein negatives Tatbestandsmerkmal, wenn der Tatbestand seinen Unwertgehalt zumindest auch aus dem Handeln ohne Genehmigung bezieht. Die Genehmigung ist hingegen ein Rechtfertigungsgrund, wenn der Tatbestand unabhängig vom Genehmigungsmerkmal einen ausreichenden Unrechtssachverhalt umschreibt.30 Folglich hängt die rechtliche Einordnung des Merkmals der behördlichen Erlaubnis im Rahmen des § 284 StGB davon ab, ob die Erlaubnis präventiven Zwecken dient und für den Staat lediglich einen Kontrollmechanismus darstellt 27 28 29 30

LK-Krehl, § 284 Rn. 22. Rengier, ZStW 101 (1989), 875. Rengier, ZStW 101 (1989), 878. Rengier, ZStW 101 (1989), 878 f.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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oder ob dem Glücksspiel ein sozialethischer Unwert anhaftet und dieses deshalb grundsätzlich verboten ist. Diejenigen, die das Fehlen der behördlichen Erlaubnis als einen Rechtfertigungsgrund einstufen, sehen den Strafgrund der Glücksspieldelikte in der Gefährlichkeit der Tathandlung als solcher, also in dem Verleiten zum Glücksspiel auf jedwede Art und Weise. Das generell verbotene Verhalten könne nur ausnahmsweise durch den Erhalt einer behördlichen Erlaubnis gerechtfertigt werden.31 Betrachtet man die Geschichte der Glücksspiele (siehe Einleitung), so zeigt sich, dass dem Glücksspiel nicht schon immer ein sozialethischer Unwert anhaftete. Als unmoralisch und verwerflich wurden Glücksspiele in schweren Krisenzeiten angesehen, in denen es in bestimmten Kreisen von Privilegierten zu einem epidemieartigen Ausufern von Glücksspielveranstaltungen32 kam, während die restliche Bevölkerung um ihre Existenz kämpfte (zum Beispiel nach dem Ersten Weltkrieg). Zwar werden die Glücksspiele von der Rechtsprechung nicht mehr als sozialschädlich angesehen, dennoch soll es sich um eine unerwünschte und insoweit schädliche Tätigkeit handeln.33 Würde man das Glücksspiel aber grundsätzlich als eine verwerfliche, an sich unerwünschte und daher verbotene Tätigkeit ansehen, so dürfte der Staat selbst ebenfalls keine Glücksspiele veranstalten. Außerdem wurde der Beruf des „Glücksspielveranstalters“ verfassungsrechtlich anerkannt und ist daher von Art. 12 GG geschützt.34 Da das Spielen um Geld an sich keinen ausreichenden Unrechtssachverhalt beschreibt, schöpft § 284 StGB seinen Unwertgehalt zusätzlich aus dem Handeln ohne behördliche Erlaubnis. Daher stellt das Merkmal der behördlichen Erlaubnis ein negatives Tatbestandsmerkmal dar. 2. Behördliche Erlaubnis Die behördliche Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB kann ein Gesetz oder ein Verwaltungsakt der örtlich und sachlich zuständigen Behörde sein.35 Wie bereits erörtert steht im Rahmen des § 284 StGB die Ermöglichung der staatlichen Kontrolle der Glücksspielveranstaltung im Vordergrund. Der Verwaltung muss die Möglichkeit eingeräumt werden, zu überprüfen, ob derjenige, der ein Glücksspiel veranstaltet, sich an die gesetzlichen Anforderungen an die Glücksspielveranstaltung hält. Existieren jedoch gar keine gesetzlichen Zulassungs- bzw. Verbotsregelungen, stellt sich die Frage, ob eine Strafbarkeit gemäß § 284 StGB in Betracht kommt. 31 Goldmann, Die behördliche Genehmigung als Rechtfertigungsgrund, S. 204; Schmidt, ZStW 41 (1920), 613; Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT I, § 44 Rn. 9; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, S. 368. 32 Berg, GewArch 76, 249. 33 BVerwG NJW 01, 2648. 34 BVerfG NJW 06, 1261 f. 35 LK-Krehl, § 284 Rn. 22.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

Denn das Fehlen öffentlich-rechtlicher Zulassungsvorschriften kann einerseits bedeuten, dass solche Glücksspiele grundsätzlich erlaubnisfrei sind, andererseits, dass die Veranstaltung solcher Glücksspiele ausnahmslos verboten ist. Die Behandlung dieser Fälle ist umstritten und hängt zum einen davon ab, ob das Fehlen der behördlichen Erlaubnis als ein negatives Tatbestandsmerkmal einzustufen ist oder ob durch das Vorliegen der entsprechenden Erlaubnis die Tat lediglich gerechtfertigt ist. Nach der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei dem Fehlen einer Erlaubnis um ein negatives Tatbestandsmerkmal. Fehlen öffentlich-rechtliche Zulassungs- oder Verbotsnormen, wäre das Veranstalten von Glücksspielen straflos. § 284 Abs. 1 StGB sei danach so zu lesen, dass der Täter sich nur im Falle des Fehlens einer erforderlichen behördlichen Erlaubnis strafbar macht. Daneben seien auch die Zielrichtung der Strafrechtsnorm und die Bedeutung der Verwaltungsakzessorietät zu berücksichtigen.36 Durch die Ausgestaltung der Norm als verwaltungsakzessorischer Tatbestand übertrage der Strafgesetzgeber die Regelung des Glücksspiels den jeweiligen Sachgesetzgebern, die die näheren Voraussetzungen des Glücksspiels bestimmen sollen. Dem Bundesgesetzgeber sei es bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen verwehrt, dem Landesgesetzgeber die Regelung einer bestimmten Materie vorzuschreiben. § 284 StGB solle die Missachtung der verwaltungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalte sanktionieren, nicht jedoch dem Landesgesetzgeber eine Handlungspflicht auferlegen.37 Ein solches Verständnis sprenge auch nicht die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung, denn die Ergänzung des Tatbestands um das ungeschriebene Merkmal der Erforderlichkeit verkehre nicht den Regelungsgehalt, sondern führt nur zu einer teleologischen Reduktion. Weder verbiete der Wortlaut der Norm eine solche Auslegung noch sei ein entgegenstehender gesetzgeberischer Wille erkennbar.38 Dagegen kann jedoch vorgebracht werden, dass der nach seiner Struktur vergleichbare § 327 StGB („Unerlaubtes Betreiben von Anlagen“) in seinen Absätzen 1 und 2 ausdrücklich von einer erforderlichen Genehmigung spricht. Fehle diese Voraussetzung in § 284 StGB, so solle dies bedeuten, dass es auf die Erforderlichkeit der Erlaubnis nicht ankomme. Ferner spricht gegen eine solche Auslegung, dass auch die anderen Normen, die das Glücksspiel regeln, keine solche Einschränkung erkennen lassen. Im Glücksspielstaatsvertrag wird im Rahmen von allgemeinen Bestimmungen nur von öffentlichen Glücksspielen gesprochen; für bestimmte Arten von Glücksspielen bestehen daneben besondere Bestimmungen. Die Ausführungsgesetze der Länder zum Glücksspielstaatsvertrag richten sich ebenfalls danach. Somit ist nicht erkennbar, dass ein Ausschluss bestimmter Glücksspiele von dem Erlaubniserfordernis beabsichtigt war. 36 37 38

Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 39. Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 39. Voßkuhle/Bumke, Rechtsfragen der Sportwette, S. 67 f.

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3. Muss die Erlaubnis materiell-rechtlich rechtmäßig sein oder genügt die formale Wirksamkeit? Nach der herrschenden Meinung ist nicht die materielle Rechtmäßigkeit, sondern allein die formale Wirksamkeit der Erlaubnis maßgeblich,39 da § 284 StGB die formell illegale Glücksspielveranstaltung, also die Nichtbeachtung des Genehmigungserfordernisses, unter Strafe stellt.40 a) Nichtige Erlaubnis Dementsprechend kann man nur dann von einer fehlenden Erlaubnis sprechen, wenn die Erlaubnis (der Verwaltungsakt) nicht nur unwirksam, sondern gemäß § 44 VwVfG nichtig ist. Frisch schränkt dies (im Hinblick auf die gleichartig konstruierten Normen des Umweltstrafrechts) ein. Zum einen können die Begrenzungen und Auflagen eines nichtigen Verwaltungsakts den Täter nicht von der Beachtung des materiellen Umweltverwaltungsrechts entbinden. Wäre das tatsächliche Verhalten des Täters nicht genehmigungsfähig gewesen und verstoße es daher gegen das Umweltverwaltungsrecht, liegt ein tatbestandsmäßiges Verhalten vor. Orientiert sich der Täter hingegen an der Genehmigung, wäre der Gedanke des Vertrauensschutzes nicht ausgeschlossen. Allerdings wird sich der Täter kaum darauf berufen können, wenn die Nichtigkeit auf einem besonders schwerwiegenden Fehler beruht und bei verständiger Würdigung aller Umstände offenkundig ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG). Anders sieht es aus bei formalisierten Nichtigkeitsgründen des § 44 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwVfG. Hier ist es zweifelhaft, ob von einem Laien stets die Kenntnis aller formellen Erfordernisse erwartet werden kann. Im Fahrlässigkeitsbereich würde man dann nicht von einem sorgfaltswidrigen Verhalten sprechen können. Was schon nicht die Fahrlässigkeit begründen kann, genügt logischerweise auch nicht für den Vorsatz.41 Einige Autoren schlagen daher vor, das Problem über den subjektiven Tatbestand zu lösen.42 b) Eine durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erlangte Erlaubnis Ferner stellt sich die Frage, ob es genügt, dass eine durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erlangte Erlaubnis vorliegt. Die Verneinung des Vorliegens einer Erlaubnis und damit die Bejahung der Strafbarkeit des Täters nach § 284 ff. StGB könnte sich mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung im Be39 LK-Krehl, § 284 Rn. 22; NK-Gaede, § 284 Rn. 21; SK-Hoyer, § 284 Rn. 27; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, S. 369. 40 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 66. 41 Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, S. 102 ff. 42 Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, S. 68.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

reich des strafbaren Glücksspiels aus dem Gedanken des Rechtsmissbrauchs und der Abkehr von der „strengen Verwaltungsaktakzessorietät“ zugunsten der „eingeschränkten Verwaltungsakzessorietät“ ergeben. Unabhängig von den Einzelheiten geht die herrschende Meinung jedoch davon aus, dass der Gedanke des Rechtsmissbrauchs im Rahmen einer tatbestandsausschließenden Erlaubnis nicht greifen kann, mit der Folge, dass das Vorliegen einer Erlaubnis in solchen Fällen der Strafbarkeit des Täters entgegenstehe. Der Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs könne nur zur Begrenzung der Rechtfertigungsgründe herangezogen werden. Es könne jedoch nicht entgegen dem Gesetzlichkeitsprinzip nach Art. 103 Abs. 2 GG dazu dienen, ein fehlendes Tatbestandsmerkmal – das Handeln ohne die erforderliche Erlaubnis – zu ersetzen oder dessen Vorliegen zu fingieren. Würde man oben (S. 19) von der Notwendigkeit einer „erforderlichen“ Erlaubnis ausgehen, so würde die Korrektur nach dem Rechtsmissbrauchsgedanken zur Überschreitung der Grenzen des Wortlauts führen. Eine den Gesetzeswortlaut sprengende teleologische Reduktion zulasten des Täters ist aber unzulässig.43 Frisch wendet hiergegen ein, dass für eine sachgerechte Lösung vorrangig auf die Ratio der entsprechenden Tatbestände abzustellen sei. Ein strafbewehrtes Verbot, eine Tätigkeit ohne die erforderliche Genehmigung auszuüben, bezwecke in erster Linie die Überprüfung der Unbedenklichkeit des Handelns im Hinblick auf die geschützten Rechtsgüter noch vor der Realisierung der möglichen Gefahren anstelle späteren repressiven Einschreitens. Danach sei nicht nur eine Tätigkeit unerwünscht, die nie von der Behörde überprüft werden konnte, sondern auch eine solche, die ohne die Täuschung, Drohung oder Bestechung nicht genehmigt worden wäre.44 Ob dieses Ergebnis noch vom Wortlaut gedeckt ist, hängt dann davon ab, wie man den Begriff „erforderlich“ versteht. Es spreche nichts dagegen, die „Erforderlichkeit“ so zu verstehen, dass die Genehmigung all das aufweisen müsse, was erforderlich sei, damit sie als die im jeweiligen Gesetz verlangte behördliche Bescheinigung der Unbedenklichkeit der entsprechenden Betätigung gelten könne. Eine durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erlangte Erlaubnis könne nicht als Bestätigung der Unbedenklichkeit gelten.45 Diese Lösung kann jedoch nach der vorhergehenden Verneinung der Erforderlichkeit der Genehmigung nicht auf § 284 StGB übertragen werden.

43 S/S-Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff. Rn. 63a; Lenckner, Behördliche Genehmigungen und der Gedanke des Rechtsmißbrauchs im Strafrecht, in: FS für Pfeiffer, S. 33; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, S. 369. 44 Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, S. 108 ff. 45 Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, S. 115.

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4. Behördliche Duldung Grundsätzlich kann eine bloße behördliche Duldung nicht den Tatbestand ausschließen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Behörde keine Kenntnis von den Vorgängen hat oder diese nur stillschweigend hinnimmt.46 Eine konkludente Erlaubnis könnte nur dann beachtlich sein, wenn die Behörde zu solch einem informellen Handeln ermächtigt wäre. Anderenfalls würde die Behörde über die Strafbarkeit frei disponieren können.47 In Fällen der objektiv nach außen erkennbaren „aktiven Duldung“, das heißt wenn die Behörde Kenntnis von der Durchführung von Glücksspielen hat, aber bewusst nicht einschreitet, kann jedoch entweder schon der Tatbestand ausgeschlossen sein oder zumindest ein unvermeidbarer Verbotsirrtum des Betroffenen vorliegen, was jedenfalls zur Straflosigkeit führt.48 5. Ausländische Genehmigungen Gerade im Hinblick auf grenzüberschreitende Glücksspielangebote stellt sich schließlich die Frage, ob § 284 StGB so verstanden werden muss, dass nur die Genehmigung einer deutschen Behörde die Strafbarkeit ausschließt oder bereits eine Genehmigung jedes anderen Staates zu diesem Ergebnis führen würde. Zu unterscheiden ist hier ferner zwischen Genehmigungen anderer EU-Mitgliedstaaten und Genehmigungen aus Drittstaaten. a) Allgemeines Der Wortlaut des § 284 Abs. 1 StGB erfordert das Vorliegen einer behördlichen Erlaubnis. Eine Legaldefinition des Begriffs „Behörde“ enthält das StGB nicht. In § 11 Abs. 1 Nr. 7 StGB wird lediglich normiert, dass unter Behörde auch ein Gericht zu verstehen ist. Der Tatbestand könnte somit dem Wortlaut nach so ausgelegt werden, dass die Erlaubnis einer inländischen, aber auch einer ausländischen Behörde, die für die Erteilung der Glücksspielgenehmigungen zuständig ist, genügen würde. Dies wird zum Teil auch so vertreten, soweit der andere Staat zumindest über vergleichbare Kontroll- und Sanktionsmechanismen im Glücksspielbereich verfüge.49 Die herrschende Meinung geht dennoch davon aus, dass lediglich die Erlaubnis einer deutschen Behörde zum Strafbarkeitsausschluss führen kann. So wie

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BGHSt 37, 28. S/S-Heine/Schittenhelm, Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 20. 48 Hofmann/Mosbacher, NStZ 06, 252; S/S-Heine/Schittenhelm, Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 20. 49 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 30; S/S/W-Rosenau, § 284 Rn. 20; Barton/Gercke/ Janssen, wistra 04, 326. 47

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

nicht allgemein gemeint sein kann, dass die Erlaubnis einer beliebigen Behörde ausreicht, sondern nur die Erlaubnis einer zuständigen Behörde genügt, so ist zu sehen, dass die Behörde nicht nur sachlich, sondern auch örtlich zuständig sein muss. Soweit es um grenzüberschreitende Glücksspiele geht, die auch in Deutschland zugänglich sind, bedarf es einer Erlaubnis einer deutschen Behörde.50 Soll durch die verwaltungsakzessorische Gestaltung der Norm die Kontrollbefugnis der Behörden im deutschen Glücksspielwesen gestärkt werden, würde die erweiternde Auslegung der Mindermeinung diesen Zweck gerade vereiteln. Denn heutzutage findet man die meisten Glücksspielangebote im Internet, sie sind also in der Regel grenzüberschreitend. Den Anbietern bliebe es unbenommen, die Genehmigung gerade in dem Staat einzuholen, in dem die geringsten Anforderungen an die Genehmigungserteilung gestellt werden. Die in Deutschland gesetzten Maßstäbe würden dann weitgehend leerlaufen. Es kann kaum unterstellt werden, dass der Gesetzgeber dies sehenden Auges in Kauf genommen hat. b) Genehmigungen aus EU-Mitgliedstaaten Bei den Genehmigungen aus den anderen EU-Mitgliedstaaten stellt sich die Frage, ob zumindest diese auch in Deutschland ihre Genehmigungswirkung entfalten und, sollte diese Frage verneint werden, ob dies einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt. Gestützt auf die vorherigen Ausführungen müsste das Ergebnis zunächst gleich ausfallen.51 Problematisch ist hier im Unterschied zu Genehmigungen aus Drittstaaten, dass die Ablehnung der Anerkennung solcher Genehmigungen zum Verstoß gegen die Grundfreiheiten führen könnte. In Betracht kommt die Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit und der Dienstleistungsfreiheit. Die Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der Union ist nach Art. 56 AEUV und die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nach Art. 49 AEUV verboten. Dienstleistungen sind Leistungen, die in der Regel gegen Entgelt erbracht werden, soweit sie nicht unter die Vorschriften des freien Kapital- und Zahlungsverkehrs oder der Personenfreizügigkeit fallen. Dienstleistungsfreiheit umfasst Leistungserbringung bei vorübergehendem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat. Es geht insbesondere um gewerbliche, kaufmännische, handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten (Art. 57 AEUV). Die Niederlassungsfreiheit umfasst die Aufnahme und Ausübung selbstständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen, insbesondere Gesellschaften im Sinne des Art. 54 Abs. 2 AEUV (Art. 49 AEUV). Die

50 BGH NJW 02, 2176; BGH NJW 04, 2160; VG Karlsruhe NVwZ 01, 833; Mosbacher, NJW 06, 3530; Heine, wistra 03, 446; MK-Hohmann, § 284 Rn. 21; S/S/WRosenau, § 284 Rn. 19; Fischer, StGB, § 284 Rn. 15. 51 Eine deutsche Erlaubnis fordernd BGHZ 158, 351; OLG Hamm JR 04, 479; MTWietz/Matt, § 284 Rn. 16.

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Niederlassung meint dabei die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in einer festen Einrichtung und auf unbestimmte Zeit. Das Veranstalten und Vermitteln von Glücksspielen stellt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sowohl eine Dienstleistung als auch eine gewerbliche Tätigkeit dar,52 sodass beide Grundfreiheiten tangiert sind. Nach einer Ansicht muss daher § 284 StGB, um dem Vorwurf des Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht zu entgehen, europarechtskonform ausgelegt werden mit dem Ergebnis, dass Genehmigungen anderer Mitgliedstaaten als strafbarkeitsausschließende behördliche Akte anzusehen sind.53 Nach der früheren Ansicht des Bundesgerichtshofs konnte es zwar nicht darum gehen, dass §§ 284 ff. StGB gegen das Unionsrecht verstoßen, denn diese stellen keine Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis und die Zulassung des Glücksspiels auf und sind durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt.54 Zu prüfen war nur die Gemeinschaftsrechtskonformität der landesrechtlichen Regelungen. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch deutlich gemacht, dass auch die an eine fehlende Erlaubnis anknüpfende Strafbarkeit gegen die Grundfreiheiten verstößt, wenn die Erlaubnis in Verletzung dieser Freiheiten versagt wurde.55 Danach hat auch der Bundesgerichtshof seine frühere Rechtsprechung bezüglich der Europarechtsneutralität der §§ 284 ff. StGB aufgegeben.56 Nach der überwiegenden Ansicht besteht keine Pflicht, Genehmigungen der anderen EU-Mitgliedstaaten anzuerkennen und daher die Strafbarkeit nach § 284 StGB allein bei Vorliegen einer ausländischen Erlaubnis zu verneinen. Die Mitgliedstaaten können grundsätzlich frei und unabhängig darüber entscheiden, in welchem Umfang sie das Glücksspielwesen einschränken. Es ist sowohl denkbar, dass die Staaten sich für das Totalverbot entscheiden, als auch, dass nur staatliche Kontrolle im gewissen Umfang gewährleistet werden muss. Die Eingriffe in die Grundfreiheiten können aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein. Nicht ausreichend ist lediglich, dass der Staat Einschränkungen des Glücksspielwesens allein aus eigennützigen finanziellen Interessen einführt.57 Damit besteht nach der Ansicht des Europäischen Gerichtshofs auch im Hinblick auf das Unionsrecht keine Verpflichtung zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten erteilten Erlaubnisse.58 Diese Pflicht wird auch nicht aus der

52 EuGH NJW 94, 2014 f.; EuGH NJW 04, 140 („Gambelli“); EuGH NJW 07, 1517 („Placanica“). 53 LG München NJW 04, 172; Beckemper, NStZ 04, 41; Janz, NJW 03, 1701; Wrage, JR 01, 406. 54 BGH NJW 04, 2160. 55 EuGH NJW 04, 140; EuGH NJW 07, 1515; ähnlich BVerfG NVwZ 05, 1304. 56 BGH NJW 08, 2047. 57 EuGH NJW 94, 2016; EuGH NJW 04, 140. 58 EuGH NJW 09, 3224.

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jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs abgeleitet. Zur Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten hat der Europäische Gerichtshof im Rahmen der Vorabentscheidung in der Rechtssache C-336/14 „Ince“ vom 4.2. 201659 festgestellt, dass die aktuelle deutsche Glücksspielregulierung unionsrechtswidrig war. Die deutsche Staatsanwaltschaft legte Frau Ince vor dem Amtsgericht Sonthofen (Deutschland) zur Last, sie habe über einen in einer „Sportsbar“ in Bayern aufgestellten Wettautomaten Sportwetten ohne die erforderliche behördliche Erlaubnis vermittelt. Die österreichische Gesellschaft, für die die Wetten angenommen wurden, besaß nur in Österreich eine Lizenz für die Veranstaltung für Sportwetten, nicht aber in Deutschland. Der Gerichtshof entschied, dass die Strafverfolgungsbehörden eines Mitgliedstaats, wenn die Erlaubnispflicht für die Veranstaltung oder die Vermittlung von Sportwetten im Rahmen eines von den nationalen Gerichten für unionsrechtswidrig befundenen staatlichen Monopols besteht, durch die Dienstleistungsfreiheit daran gehindert sind, die ohne Erlaubnis erfolgte Vermittlung von Sportwetten durch einen privaten Wirtschaftsteilnehmer an einen anderen privaten Wirtschaftsteilnehmer, der über keine Erlaubnis für die Veranstaltung von Sportwetten in diesem Mitgliedstaat verfügt, sondern nur Inhaber einer Lizenz in einem anderen Mitgliedstaat ist, zu ahnden. Die Konsequenz einer solchen Unionsrechtswidrigkeit ist also nach dem Europäischen Gerichtshof, dass ein Mitgliedstaat keine strafrechtlichen Sanktionen wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität verhängen darf, wenn er die Erfüllung dieser Formalität unter Verstoß gegen das Unionsrecht abgelehnt oder vereitelt hat. Daraus darf nicht der Schluss gezogen werden, dass die Erlaubnisse der EU-Mitgliedstaaten grundsätzlich eine behördliche Erlaubnis im Sinne der §§ 284 ff. StGB darstellen sollen. Es handelt sich um eine europarechtskonforme Auslegung für die Fälle der europarechtswidrigen Ausgestaltung der verwaltungsakzessorischen Strafvorschrift.60 Ein vermittelnder Ansatz will die Anerkennung der Erlaubnisse der Mitgliedstaaten bejahen, wenn sie den wesentlichen unionsrechtskonformen Kontrollstandards des Inlands entsprechen.61 Dann wäre zumindest der Einwand der Umgehungsgefahr ausgeräumt. 6. Fazit Der Gedanke, dass § 284 StGB seinen Zweck in der Bestrafung des reinen Verwaltungsungehorsams sieht, ist nicht fernliegend. Für diese Sichtweise spre-

59 Abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX% 3A62014CJ0336. 60 Feldmann, Die Strafbarkeit privater Sportwettenanbieter gemäß § 284 StGB, S. 222. 61 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 30; S/S/W-Rosenau, § 284 Rn. 20; Barton/Gercke/ Janssen, wistra 04, 326.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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chen nicht nur der Wortlaut des Gesetzes sowie die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung der §§ 284 ff. StGB, sondern auch die bereits erläuterte Ablehnung der Sittenwidrigkeit und Sozialschädlichkeit der Glücksspiele. Dass Glücksspiele in der modernen Gesellschaft nicht mehr per se als verwerflich angesehen werden, der Staat diesen Bereich aber weitgehend monopolisiert hat, deutet stark darauf hin, dass durch die strafrechtlichen Normen die Monopolstellung des Staates abgesichert werden soll. Zunächst werden die verwaltungsrechtlichen Vorschriften geschaffen, die die Zulassung Privater zur Veranstaltung von Glücksspielen stark einschränken oder ausschließen. Im nächsten Schritt wird die Nichtbefolgung dieser Vorschriften strafrechtlich verfolgt. Dafür, dass das Unrecht des Glücksspiels sich in dem Verstoß gegen die staatlichen Konzessionsvorschriften erschöpft, spricht ferner, dass nach der herrschenden Meinung auch eine durch Täuschung, Drohung oder Bestechung erlangte Erlaubnis der Strafbarkeit des Täters entgegenstehen soll. Die Genehmigungsfähigkeit, das heißt die Einhaltung der materiellen Voraussetzungen der Erlaubniserteilung ohne die Durchführung des formellen Verfahrens, steht der Strafbarkeit nicht entgegen, obwohl die von den Glücksspielen möglicherweise ausgehenden Gefahren, die durch die Kontrolle verhindert werden sollen, damit ausgeschlossen wären. Damit kommt es vorrangig nicht auf die verwaltungsrechtliche Bestätigung der Übereinstimmung der Erlaubnis mit den verwaltungsrechtlichen Normen an, sondern auf die Durchführung des verwaltungsrechtlichen Verfahrens als solchen. Nach diesem Verständnis ist ein anderer Grund, warum eine behördliche Genehmigung erforderlich und ihre Nichteinholung strafbewehrt sein soll, nicht ohne weiteres ersichtlich. Die nach der herrschenden Meinung vertretene Ablehnung der Anerkennung ausländischer Genehmigungen spricht ebenfalls dafür. Zwar könnte diese Ansicht auch implizieren, dass gerade nur die deutschen Behörden die Einhaltung deutscher verwaltungsrechtlicher Vorschriften überprüfen und damit die Befolgung der mit diesen Normen verfolgten Zwecke absichern können. Dies würde wiederum voraussetzen, dass eine Erlaubnis nur dann tatbestandsausschließende Wirkung entfalten könnte, wenn sie die Einhaltung aller Vorschriften und nicht nur die formelle Durchführung eines Verwaltungsverfahrens bestätigen würde. Dies wäre dann anzunehmen, wenn der Tatbestand um die Voraussetzung der Erforderlichkeit ergänzt werden würde, die als behördliche Unbedenklichkeitsbescheinigung der entsprechenden Tätigkeit gilt, was jedoch für den § 284 StGB abgelehnt wurde. Dennoch wird auch ohne eine solche Auslegung des Tatbestandes die Verpflichtung zur Anerkennung der EU-Erlaubnisse abgelehnt. Nach der herrschenden Meinung würde dies auch bei einer Gleichwertigkeit der ausländischen Genehmigung im Sinne der materiellen Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis gelten. Damit wird das formelle Verfahren in den Vordergrund gerückt. Die Einhaltung des Verwaltungsverfahrens kommt deshalb grundsätzlich als der geschützte Gegenstand im Rahmen des § 284 StGB in Betracht.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

IV. Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und Schutz vor Beschaffungs-, Begleit- und Folgekriminalität Der Glücksspielsektor wird oft mit Organisierter Kriminalität in Verbindung gebracht. So wurde vom Gesetzgeber bei der Einführung des § 284 Abs. 3 StGB auf diese Gefahr hingewiesen. Denkbar sind hier verschiedene Ausprägungen. Zum einen kann die Veranstaltung des Glücksspiels selbst organisiert erfolgen, was ein gewisses Maß an logistischem und organisatorischem Aufwand voraussetzt. Ferner werden Glücksspiele oft auch mit Geldwäsche in Verbindung gebracht. Schließlich ist es nicht ausgeschlossen, dass suchtbedingt weitere Straftaten begangen werden, um an die zum Spielen notwendigen Mittel zu kommen.62 Dadurch seien unter anderem die Individualrechtsgüter Dritter gefährdet, da hier vor allem Vermögens- und nicht selten damit verbundene Körperverletzungsdelikte in Betracht kommen. Zweifelhaft erscheint jedoch, ob die Bekämpfung dieser Gefahren als Rechtsgut der §§ 284 ff. StGB anzusehen ist. Dem ist entgegenzuhalten, dass nicht erklärbar wäre, warum die abstrakte Gefahr der Entstehung der suchtbedingten Beschaffungs-, Begleit- und Folgekriminalität bei staatlichen Glücksspielen nicht gleicherweise bestehe.63 Zudem würde man außer Acht lassen, dass die etwaige Beschaffungs- oder Folgekriminalität bereits durch eigenständige Straftatbestände abgedeckt ist. Systematisch gesehen wäre die Stellung der §§ 284 ff. StGB in dem Abschnitt „strafbarer Eigennutz“ völlig verfehlt, wenn es darum ginge, dem Veranstalter eines Glücksspiels die eventuell damit verbundenen Straftaten der Teilnehmer zuzurechnen und ihn dafür strafrechtlich zu verfolgen. Unter Eigennutz wird rücksichtsloses Bedachtsein auf den eigenen Nutzen64 verstanden. Damit müsste der Täter dafür bestraft werden, dass er durch sein Verhalten die Erlangung gewisser Vorteile bezweckt, was nach Einschätzung des Gesetzgebers zu missbilligen ist. Die vorsätzlichen Straftaten Dritter können jedoch nicht als Werk des Veranstalters des Glücksspiels angesehen werden. Eine solche Zurechnung würde dem Prinzip der Eigenverantwortung nicht gerecht werden.65 Betrachtet man den Fall der organisierten Durchführung des Glücksspiels als einen Fall der Organisierten Kriminalität, die es zu bekämpfen gilt, so entsteht ein Zirkelschluss. Denn ein Fall der Organisierten Kriminalität würde hier nur deswegen vorliegen, weil die Veranstaltung der Glücksspiele ohne eine Erlaubnis überhaupt unter Strafe gestellt und dadurch kriminalisiert wurde.66 Auch im Hin62

Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 105. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 105. 64 Abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Eigennutz. 65 NK-Gaede, § 284 Rn. 3; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 105; Feldmann, Die Strafbarkeit privater Sportwettanbieter gemäß § 284 StGB, S. 39. 66 Vgl. Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 198 zu den Betäubungsmitteldelikten. 63

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blick auf § 284 Abs. 2 StGB erscheint es wenig überzeugend, den Schutzzweck der Norm in der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zu sehen. Eine solche Gefahr ist kriminologisch nur belegbar, wenn der Rahmen, in dem das Glücksspiel stattfindet, Bezüge zur Organisierten Kriminalität aufweist.67 Deswegen kann diese Erwägung nur im Rahmen des strafverschärfenden § 284 Abs. 3 StGB, in dem die Gewerbsmäßigkeit oder die Begehung der Tat als Mitglied einer Bande vorausgesetzt sind, sinnvoll erscheinen. Diese Qualifikation wurde im Jahr 1992 zwecks wirksamer Bekämpfung der Organisierten Kriminalität eingeführt (Gesetz zur Bekämpfung des illegalen Rauschgifthandels und anderer Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität). Durch die Einfügung des § 286 StGB wurde dem Ziel der Abschöpfung der erzielten Einnahmengewinne und der Entziehung finanzieller Ressourcen für weitere Straftaten Rechnung getragen.68 Die Öffentlichkeitsfiktion in § 284 Abs. 2 StGB wurde hingegen nach dem Ersten Weltkrieg durch das Gesetz gegen das Glücksspiel vom 23.12.191969 in § 284 StGB aufgenommen. Es sollte verhindert werden, dass in Zeiten allgemeiner Not unter dem Anschein der Legalität hinter verschlossenen Türen in privaten Klubs Glücksspiele veranstaltet werden. Unter geschlossenen Gesellschaften versteht man nach außen abgeschlossene Kreise von Personen, die nach innen zu einem gemeinsamen Zweck miteinander verbunden sind, ohne dass sie begrifflich eine dauernde Einrichtung zu diesem Zweck fordern,70 sog. Privatzirkel.71 Für die Annahme der Gewohnheitsmäßigkeit reicht es aus, dass der relevante Personenkreis gewohnheitsmäßig zum Glücksspiel zusammenkommt; das gewohnheitsmäßige Mitspielen jedes einzelnen Mitspielers, „der Hang zum Glücksspiel“, ist nicht vorausgesetzt.72 Nicht erforderlich ist ferner, dass es sich bei der zum Glücksspiel zusammentretenden Personengruppe um einen gleichbleibenden Personenkreis handelt.73 Nur so kann verhindert werden, dass die Norm aufgrund erheblicher Beweisschwierigkeiten praktisch leerlaufen würde. Vorausgesetzt ist daher, dass innerhalb einer Personengruppe regelmäßig und nicht nur gelegentlich gespielt wird; die einzelnen Spieler innerhalb der geschlossenen Gesellschaft können aber gewechselt haben.74 Weiß ein Mitglied einer solchen Personengruppe, dass in der geschlossenen Gesellschaft regelmäßig gespielt wird, macht es sich strafbar, auch wenn es nur ein einziges Mal mit-

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SK-Hoyer, § 284 Rn. 5. BT-Drs. 12/989, S. 20, 29. 69 RGBl. I 1919, S. 2145. 70 Seinsche, Das strafbare Glücksspiel im engeren Sinne, S. 33 f. 71 Astl/Rathleff, Das Glücksspiel, S. 20. 72 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 13. 73 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 64 m.w. N.; a. A.: OLG Hamburg MDR 54, 312 f.; Kummer, Das Recht der Glücksspiele und der Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit, S. 15. 74 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 64. 68

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

gespielt hat.75 Betrachtet man diese Voraussetzungen, wird klar, dass auch regelmäßige Spielabende in Familien- oder Freundeskreisen oder sog. Stammtischrunden unter § 284 Abs. 2 StGB fallen,76 was nur schwerlich mit dem Gedanken der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität in Einklang zu bringen ist.

V. Gesundheitsschutz Zum Teil wird der Schutzzweck der §§ 284 ff. StGB im Schutz vor Entstehung der Glücksspielsucht und damit im Gesundheitsschutz gesehen. Unterschieden werden kann hier zwischen dem Schutz der Gesundheit jedes Individuums und dem Schutz der sog. Volksgesundheit als eines Universalrechtsguts. Zum Teil wird auch hier auf die möglichen Folgen des pathologischen Verhaltens zurückgegriffen, wie Beeinträchtigung des Vermögens (Spielschulden), Auswirkungen auf die familiären Beziehungen, Abrutschen in das kriminelle Milieu infolge der Beschaffungskriminalität oder Ähnliches. Wie bereits erläutert können diese Auswirkungen dem Täter des § 284 StGB nicht ohne weiteres zugerechnet werden. Vielmehr muss es sich um eigenständige schutzwürdige Belange handeln. 1. Schutz der Gesundheit jedes einzelnen Spielers Betrachtet man die Gesundheit jedes einzelnen Spielers als das zu schützende Gut, stellt sich die Frage, ob nicht ein Fall der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung vorliegt. Denn der Spieler setzt sich zumindest am Anfang bewusst und freiverantwortlich den Risiken des Glücksspiels aus. Es besteht kein Unterschied zu Verhaltensweisen, die ebenso zur Entwicklung einer Sucht sowie zu weitreichenden sozialen Folgen führen können, wie zum Beispiel Konsum von Tabak und Alkohol, Computerspielen etc., die dennoch nicht unter Strafe gestellt werden. Der Bestrafung solcher Verhaltensweisen stünde die Autonomie eines erwachsenen und mündigen Bürgers entgegen. Das Ziel des Strafrechts ist es, das friedliche Zusammenleben in der Gesellschaft zu gewährleisten. Es sollen keine Güter anderer Menschen gegen ihren Willen durch sozialschädliches Verhalten gefährdet und verletzt werden. Durch die eigenverantwortliche Selbstgefährdung eines mündigen Bürgers können grundsätzlich in der Gesellschaft aber keine derartigen Spannungsverhältnisse entstehen, die mittels Strafrechts zu bekämpfen wären. Es handelt sich nicht um ein sozialschädliches, sondern um ein selbstschädigendes Verhalten. Was aber „mit dem Willen des Geschädigten geschieht, ist keine Rechtsgutsverletzung, sondern Bestandteil seiner Selbstverwirklichung und geht den Staat nichts an“.77 75

RGSt 56, 256. S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 13; NK-Gaede, § 284 Rn. 16 m.w. N.; LK-Krehl, § 284 Rn. 16. 77 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 40. 76

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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Auch die verfassungsrechtliche Sicht geht grundsätzlich davon aus, dass der Schutz des Sich-Selbst-Gefährdenden vor sich selbst abzulehnen sei. Das Bundesverwaltungsgericht formulierte: „[D]as Selbstbestimmungsrecht schließt die Befugnis ein darüber zu entscheiden, welchen Gefahren sich der Einzelne aussetzen will. Es widerspricht im Kern dem umfassenden Persönlichkeitsrecht, das vom Grundgesetz durch die zentralen Grundrechtsnormen der Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet wird, staatlichen Behörden die Befugnis einzuräumen, dem Staatsbürger vorzuschreiben, was er im Interesse seines Eigenschutzes zu tun hat. Eine solche staatliche Bevormundung ist nicht verfassungsgemäß.“ 78 Diese Denkweise rückt das Individuum in den Vordergrund. Damit wird die Möglichkeit der freien Persönlichkeitsentfaltung gewährleistet. Andererseits wird auch nach dieser Ansicht der paternalistische Schutz nicht für illegitim erachtet, wenn das Individuum aufgrund von Willensmängeln oder aus anderen Gründen nicht dazu in der Lage ist, eigenverantwortliche und persönlichkeitsentfaltende Entscheidungen zu treffen. Eine grundsätzliche Befürwortung des staatlichen Paternalismus wäre nur denkbar, wenn man die Rechtsgüter des Einzelnen als vom Staat zugeteilt oder aus Staatsfunktionen abgeleitet betrachten würde. Denn was der Staat dem Bürger gewährt, kann der Staat zugunsten des Allgemeinwohls auch dem Bürger wieder entziehen, wenn dieser mit dem ihm zugeteilten Rechtsgut nicht sinnvoll umgeht.79 Diese Ansicht verdient jedoch keine Zustimmung. Die Bevormundung eines Bürgers im Hinblick auf seine selbstgefährdenden Entscheidungen bleibt immer noch denkbar, wenn die Selbstgefährdung nicht freiverantwortlich erfolgt. Die Zurechnung der Folgen einer Selbstgefährdung könnte damit begründet werden, dass die Ermöglichung der Teilnahme an den Glücksspielen zur Entwicklung einer Sucht führen könnte. Das Potential der Glücksspiele, Abhängigkeit zu erzeugen, könnte der Grund dafür sein, diese spezifische Form der Selbstgefährdung mittels Strafrechts zu unterbinden.80 Der Begriff „Sucht“ ist im Gesetz nicht legal definiert. Im juristischen Bereich wird auch nicht zwischen den Begriffen Sucht, Abhängigkeit und pathologisches Spielen unterschieden. Die Unterscheidung ist hauptsächlich für die Diagnostik maßgeblich. Für die Diagnose von Glücksspielsucht wurden unterschiedliche Klassifikationssysteme entwickelt.81 Die entscheidende Frage, die sich stellt, ist, ob die Annahme der Glücksspielsucht zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit führen kann. 78

BVerwGE 82, 48 f. Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 114. 80 So zu Betäubungsmitteln Rigopoulou, Grenzen des Paternalismus im Strafrecht, S. 134 f. 81 Genauer dazu Müller, Schuldfähigkeit und Sanktionierung bei Straftaten Glücksspielsüchtiger, S. 39 ff.; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 226 ff.; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 36 f. 79

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Klar ist, dass die erste Teilnahme an einem durch den Veranstalter angebotenen Glücksspiel eigenverantwortlich erfolgt. Im Hinblick auf die weiteren Teilnahmen könnte fraglich sein, ob es sich immer noch um eine Selbstgefährdung handelt oder schon um eine einverständliche Fremdgefährdung, die die Zurechnung nicht ausschließen würde.82 Die Abgrenzung zwischen Selbst- und Fremdgefährdung erfolgt üblicherweise nach dem Kriterium der Tatherrschaft über den Gefährdungsakt.83 Die Tatherrschaft liegt aber eindeutig bei dem Spieler selbst. Nur dieser entscheidet (zunächst unabhängig von seiner Motivation), ob, wie oft und an welchen Spielen er teilnimmt. Der Veranstalter eröffnet dem Spieler bloß die Möglichkeit der Teilnahme an dem Spiel unter Einhaltung bestimmter Bedingungen, beeinflusst aber nicht die Entscheidung des Spielers darüber, ob er den Einsatz leistet und damit an dem Spiel tatsächlich teilnimmt. Nach der nicht unumstrittenen herrschenden Meinung genügt nämlich für die Vollendung der Tathandlung des Veranstaltens, dass der Spielplan und das damit zusammenhängende Vertragsangebot aufgestellt und dem Publikum derart zugänglich gemacht werden, dass die Spielaufnahme möglich ist. Es werden weder die tatsächliche Durchführung des Spiels noch zumindest der Abschluss eines Spielvertrags vorausgesetzt (dazu S. 116).84 Davon zu unterscheidende Frage ist, ab wann dabei der Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit des Spielers anzunehmen ist. Nach einer Ansicht ist dafür ein Zustand des Spielers erforderlich, in dem nicht vom Fehlen von Willensmängeln oder der Einwilligungsfähigkeit gesprochen werden kann,85 das heißt seine Einwilligung müsste im Falle einer Fremdschädigung wirksam sein. Andererseits könnte der Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit nach den in §§ 3 JGG, 20, 35 StGB genannten Kriterien beurteilt werden,86 das heißt es wird geprüft, ob der sich selbst Schädigende unter Umständen handelt, die im Falle einer von ihm verursachten Fremdschädigung seine Schuld ausschließen würden. Für die letztgenannte Sicht spricht, dass damit klare Grenzen für die Beurteilung der Eigenverantwortlichkeit vorgegeben werden. Die strengeren Anforderungen der Einwilligungslösung sind in Fällen lebensgefährlicher Handlungen gerechtfertigt, denn auch im Rahmen der Selbstgefährdung dürfen aus Wertungsgesichtspunkten die Anforderungen an die Einwilligung oder an die Ernstlichkeit im Sinne

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Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 41. Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 95. 84 RGSt 61, 15; BayObLG 56, 76; LK-Krehl, § 284 Rn. 18; Lampe, JuS 94, 741; Fischer, StGB, § 284 Rn. 18; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 15; NK-Gaede, § 284 Rn. 18. 85 MK-Freund, Vor § 13, Rn. 421; Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 89. 86 MK-Schneider, Vor § 211 Rn. 54 ff.; Zaczyk, Strafrechtliches Unrecht und die Selbstverantwortung des Verletzten, S. 36, 43 f.; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 11 Rn. 27. 83

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des § 216 StGB nicht unterlaufen werden.87 Die Exkulpationslösung ist zumindest in dem Bereich, in dem die Schwelle zur Lebensgefährlichkeit nicht überschritten wurde, vorzugswürdig. Die Grenzen zwischen Selbst- und Fremdgefährdung werden sonst verwischt, wenn an die Selbstgefährdung die gleichen Anforderungen zu stellen sind wie an eine rechtfertigende Einwilligung.88 Damit wäre die Eigenverantwortlichkeit ausgeschlossen, wenn bei dem Spieler ein Zustand, der unter den hier einzig in Betracht kommenden § 20 StGB fallen würde, diagnostiziert werden würde. Die Rechtsprechung geht allerdings sehr restriktiv mit der Bejahung der Schuldunfähigkeit um.89 Der Bundesgerichtshof führte in einer Entscheidung im Jahr 1988 dazu aus, dass das anhand verschiedener Klassifikationssysteme diagnostizierte pathologische Spielen noch nicht zwingend eine krankhafte seelische Störung oder eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB darstelle. Maßgeblich sei, ob das gesamte Erscheinungsbild des Täters psychische Veränderungen der Persönlichkeit aufweise, die als eine andere seelische Abartigkeit in ihrem Schweregrad den krankhaften seelischen Störungen gleichwertig seien. Vergleichend mit der Frage einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei Drogenabhängigen, könne diese Folge nur dann angenommen werden, wenn die (Drogen-)Sucht zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen führe oder der Täter bei den Beschaffungstaten unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat.90 Diesen Ausführungen schloss sich der Bundesgerichtshof auch in seinen weiteren Entscheidungen zum Beispiel im Jahr 199391, 200492, 201293 an. Daher kann hier mittlerweile von der ständigen Rechtsprechung gesprochen werden, die nicht ohne weiteres in den Fällen des Vorliegens eines pathologischen Spielens von der Schuldunfähigkeit des Täters ausgeht. Es sind freilich Einzelfallentscheidungen denkbar, in denen die Kriterien von § 20 StGB oder zumindest § 21 StGB bejaht werden könnten; dies jedoch nur nach der sorgfältigen und an hohe Anforderungen gebundenen Prüfung der tatsächlichen Umstände der Tat. Die Eigenverantwortlichkeit des sich selbst Gefährdenden kann daher nicht grundsätzlich ausgeschlossen sein. Die Haftung des Veranstalters eines Glücksspiels, der nur als „agent provocateur“ die Teilnahme am Glücksspiel ermöglicht, 87 Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 88; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 45. 88 Ausführlicher dazu Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 184 ff. 89 Zur Problematik der Diagnose, Einordnung und der strafrechtlichen Behandlung der Glücksspielsucht siehe Müller, Schuldfähigkeit und Sanktionierung bei Straftaten Glücksspielsüchtiger. 90 Vgl. BGH NStZ 89, 133. 91 BGH StV 93, 241. 92 BGH NJW 05, 231 f. 93 BGH NJW 13, 1462.

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darf nicht weitergehend sein als die des Sich-Gefährdenden. Somit darf der Staat einen mündigen Bürger nicht durch Pönalisierung auf paternalistische Art und Weise zum gesundheitsgerechten Verhalten zwingen.94 Demzufolge wäre die Pönalisierung der Ermöglichung der Teilnahme an einem Glücksspiel im Hinblick auf den Gesundheitsschutz des Spielers nur dann denkbar, wenn der Spieler nicht mehr in der Lage wäre, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Die derzeitige Fassung des § 284 StGB sieht dies jedoch nicht vor. Eine solche Reduktion des Tatbestandes wäre zudem in der Praxis nur schwer umsetzbar. Angesichts der dargestellten Anforderungen an die Annahme des Ausschlusses der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Spielers und angesichts der Tatsache, dass die Beurteilung des Vorliegens eines krankhaft süchtigen Verhaltens für einen Laien nur schwer möglich ist, würde eine solche Norm kaum zur Anwendung kommen. Zum einen müsste man in den meisten Fällen die Schuldunfähigkeit des Spielers ablehnen. Sollte bereits die verminderte Schuldfähigkeit ausreichend sein, so würde sich die praktische Schwierigkeit der Beurteilung des Zustandes des Spielers durch den Veranstalter oder sein Personal stellen. Damit verbunden wären jedenfalls Probleme im Bereich der Beweisführung bezüglich der Kenntnis des Veranstalters bzw. seines Personals vom Zustand des Spielers. Solche Beweisschwierigkeiten können eine Pönalisierung nicht tragen95 und können dazu führen, dass nun auch eigenverantwortliche Verhaltensweisen (bzw. im Rahmen des § 284 StGB die Ermöglichung eines solchen Verhaltens) unter Strafe gestellt werden. 2. Jugendschutz Mit weniger Beweisproblemen behaftet wäre der Gedanke des Schutzes der Gesundheit von Kindern oder Jugendlichen. In der derzeitigen Fassung des § 284 StGB ist eine solche Einschränkung des Tatbestandes nicht anzunehmen. Der Gedanke des Jugendschutzes spielte jedoch bei der Kriminalisierung der Veranstaltung ungenehmigter Glücksspiele sowie bei den Bestimmungen des Glücksspielstaatsvertrages durchaus eine Rolle. § 4 Abs. 3 des GlüStV bestimmt explizit, dass das Veranstalten und Vermitteln von öffentlichen Glücksspielen nicht den Erfordernissen des Jugendschutzes zuwiderlaufen dürfen. Die Teilnahme von Minderjährigen ist unzulässig. Ein generelles Verbot der Veranstaltung von öffentlichen Glücksspielen ohne behördliche Erlaubnis könnte von dem Gedanken getragen sein, dass die Gefahr mangelnder oder unzureichender Kontrollen des Zugangs von Minderjährigen

94 Vgl. Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 230 zu den Betäubungsmitteln. 95 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 195.

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zum Glücksspiel bestehe.96 Hier sind zwei Konstellationen möglich. Zum einen könnte dies auf der Nachlässigkeit des Veranstalters bzw. seines Personals beruhen. Die bloße menschliche Nachlässigkeit ist jedoch nie vollkommen ausschließbar. Die Gefahr der ungenügenden Kontrolle, die auf bloßer Unaufmerksamkeit oder Ähnlichem (mithin auf menschlichem Versagen) oder sogar auf der List der Jugendlichen selbst beruht, wird nicht durch die Einholung der generellen Erlaubnis zur Veranstaltung des Glücksspiels beseitigt. Zum anderen könnte man das generelle Verbot mit einer Vermutung befürworten, dass mit dem Verstoß gegen das Erfordernis einer Erlaubnis gerade solche Machenschaften bezweckt werden. Eine Vermutung dahingehend, dass es dem Veranstalter gerade auf die Umgehung der Jugendschutzbestimmungen ankomme, kann jedoch kaum aufgestellt werden. Jugendliche sind nicht die Hauptadressaten des Glücksspielangebots. Jedenfalls kann der Gedanke des Jugendschutzes nicht zur Einschränkung der Freiheit aller führen. Denkbar wäre unter diesem Gesichtspunkt nur die Strafbarkeit wegen der Ermöglichung des Zugangs für Minderjährige zum Glücksspiel, und zwar unabhängig davon, ob zum erlaubten oder unerlaubten Glücksspiel.97 Denn will man die Jugendlichen vor Suchtgefahr schützen, die aufgrund des altersbedingt nicht verantwortlichen Umgangs mit Glücksspielen entsteht, muss der Zugang zu Glücksspielen für Jugendliche generell ausgeschlossen sein. 3. Schutz der Volksgesundheit Die „Volksgesundheit“ als ein Universalrechtsgut ist vor allem aus dem Bereich der Betäubungsmitteldelikte bekannt. Im Unterschied zu den vorherigen Ausführungen könnte die Legitimität des § 284 StGB nicht ohne weiteres mit dem Hinweis auf die eigenverantwortliche Selbstgefährdung des Einzelnen ausgeschlossen werden, denn hiermit soll vor Schäden geschützt werden, die über die Gesundheit des Spielers hinaus die gesundheitlichen Belange der Allgemeinheit betreffen. Bildlich gesprochen soll mithilfe der Pönalisierung eine epidemieartige Verbreitung des die Entstehung einer Sucht fördernden Glücksspiels verhindert werden. Nach diesem Verständnis des Schutzzwecks der §§ 284 ff. StGB wäre die Disposition des Einzelnen über das Rechtsgut ausgeschlossen. a) Kritik an dem Begriff der „Volksgesundheit“ Der Begriff der „Volksgesundheit“ ist jedoch stark umstritten. Schon auf den ersten Blick erscheint dieser Begriff sehr vage. Es lässt sich schwer erkennen, 96 Vgl. dazu im Bereich der Betäubungsmittel Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 224 f. 97 Vgl. Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 225.

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wie die Gesundheit der Allgemeinheit definiert werden soll und ab wann von einer Gefährdung der Gesundheit der Allgemeinheit gesprochen werden darf. Jedenfalls nicht außer Acht zu lassen ist die Erkenntnis, dass im Jahr 2015 0,37 % der 16- bis 70-jährigen Bevölkerung als (wahrscheinlich) pathologisch Glücksspielende, 0,42 % als problematisch Glücksspielende (und damit insgesamt 0,79 % als mindestens problematisch Glücksspielende) und weitere 4,41 % als auffällig Glücksspielende eingeordnet werden konnten. Im Jahr 2019 ließen sich 0,34 % der 16- bis 70-jährigen Bevölkerung als (wahrscheinlich) pathologisch Glücksspielende, 0,39 % als problematisch Glücksspielende (und damit insgesamt 0,73 % als mindestens problematisch Glücksspielende) und weitere 4,41 % als auffällig Glücksspielende einordnen lassen.98 Zum Vergleich: 1,77 Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Alkoholsucht. Im Vergleich dazu sind es im Jahr 2020 200.000 pathologische und 229.000 problematische Glücksspieler.99 Nach wie vor seien Tabak, Alkohol und Medikamente für den größten Teil der Suchtproblematik in Deutschland verantwortlich.100 Wären diese Zahlen ausreichend, um von einer Gefahr für die Gesundheit der Allgemeinheit zu sprechen? Diese Begründung allein könnte die Existenz der §§ 284 ff. StGB jedenfalls nicht rechtfertigen. Angesichts der Tatsache, dass andere Verhaltensweisen, die in der Gesellschaft noch deutlich verbreiteter sind, ebenso Suchtpotential aufweisen und auf die Gesundheit nicht weniger erhebliche Auswirkungen haben (wie zum Beispiel Alkohol- und Tabakkonsum), muss es ein anderes Kriterium geben, welches eine Unterscheidung von Glücksspielen und diesen Verhaltensweisen ermöglicht. Denkbar wäre das Abstellen auf die generelle Beherrschbarkeit des Risikos. Dies wäre jedoch nicht genügend, da es in allen Bereichen (auch Freizeitaktivitäten, Extremsport etc.) Risiken gibt, die nur schwer beherrschbar sind.101 Das generelle Verbot riskanten Verhaltens ist ein schwerer Eingriff in die Freiheit des Individuums, vor allem, wenn dabei nicht nach Häufigkeit des Eintritts und Größe des Risikos im Einzelfall unterschieden wird. Stellt man auf die spezifischere

98 Forschungsbericht der BZgA: Glücksspielverhalten und Glücksspielsucht in Deutschland. Ergebnisse des Surveys 2019 und Trends, online abrufbar unter: https:// www.bzga.de/fileadmin/user_upload/PDF/studien/BZgA-Forschungsbericht_Gluecks spielsurvey_2019.pdf. 99 Online abrufbar unter: https://www.hls-online.org/service/zahlen-fakten/gluecks spiel/#c1463. 100 Etwa 1,5 bis 1,9 Millionen Menschen in Deutschland sind medikamentenabhängig, der Missbrauch und die Abhängigkeit erhöht sich dabei weiter, online abrufbar unter: https://www.dhs.de/suechte/medikamente/zahlen-daten-fakten; eine alkoholbezogene Störung zeigten im Jahr 2018 3 Millionen Erwachsene zwischen 18 und 64 Jahren (Missbrauch: 1,4 Millionen; Abhängigkeit: 1,6 Millionen). Die Anzahl der Rauchenden ist in Deutschland zwar rückläufig. Im Jahr 2017 rauchten aber 26 % der Männer und 19 % der Frauen ab 15 Jahren, online abrufbar unter: https://bvpraevention.de/cms/in dex.asp?inst=newbv&snr=13019. 101 Vgl. Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 200.

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Beherrschbarkeit der Suchtentwicklung ab, so mangelt es zunächst an allgemeingültigen Daten über die Entstehung der Sucht bei Alkohol- oder Tabakkonsum einerseits, beim Glücksspiel andererseits. Sowohl in dem einen als auch in dem anderen Bereich gibt es eine hohe Zahl von Konsumenten, die im Laufe ihres Lebens gerade keine Sucht entwickeln. Dementsprechend handeln sie selbstbestimmt und eigenverantwortlich.102 Darüber hinaus wird an dem Begriff der „Volksgesundheit“ kritisiert, dass es auf ein Gebilde, nämlich „Volkskörper“, das so nicht existiert, ankommen soll. Das Volk sei die Summe „der Körper der einer Gesellschaft angehörigen jeweiligen Einzelindividuen“; dementsprechend kann die Volksgesundheit nur „die Summe der Gesundheit der einzelnen Gesellschaftsmitglieder“ sein.103 Ein als Ausweg fingiertes Universalrechtsgut, das sich von der Summe der Einzelrechtsgüter nicht unterscheidet, führt zur Umgehung der bereits erörterten Ablehnung des staatlichen Paternalismus sowie der Grundsätze der Straflosigkeit der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung und damit einhergehend auch der Straflosigkeit der Ermöglichung einer solchen Selbstgefährdung.104 Anderenfalls würde eine Verpflichtung entstehen, die eigene Gesundheit durch Unterlassung bestimmter von der eigenen Freiheit getragener Entscheidungen zum Vorteil der Allgemeinheit zu erhalten. Dies ist im Hinblick auf die grundsätzliche Disponibilität der Individualrechtsgüter (soweit es nicht um das Rechtsgut Leben geht) bedenklich. Ein zusätzlicher Bestrafungsgrund könne daher aus dem Schutz der „Volksgesundheit“ nicht hergeleitet werden.105 b) Vergleich mit staatlichen Glücksspielen und Geldspielautomaten Unabhängig von der mit dem Begriff der „Volksgesundheit“ verbundenen Problematik wäre zudem fraglich, warum der Staat selbst als Veranstalter von Glücksspielen auftreten darf. Die Gefahr der Entwicklung einer Sucht bleibt bei den dafür anfälligen Personen auch dann bestehen, wenn sie an staatlich angebotenen Glücksspielen teilnehmen. Reine Gesundheitsgefahren entstehen unabhängig vom Anbieter. Auffällig ist zudem, dass das Suchtpotential einzelner Arten von Glücksspielen in der Gesetzgebung gar nicht oder zumindest nicht in nachvollziehbarer Weise Beachtung findet. Besonders auffällig ist, dass die aufgrund ihres Suchtpotentials, ihrer Verbreitung und leichten Zugänglichkeit besonders 102 Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 30. 103 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 191. 104 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 94. 105 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 43.

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gefährlichen Geldspielautomaten106 nicht in den Anwendungsbereich der § 284 ff. StGB fallen, soweit sie von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen sind.107 c) Exkurs: Geldspielautomat – Glücksspiel oder ein Unterhaltungsspiel? Neben strafrechtlichen Regelungen, die Glücksspiele, Lotterien und Ausspielungen betreffen, sind die Normen der Gewerbeordnung zu beachten. Wichtig sind hier die §§ 33c bis 33h GewO. Diese Normen werden durch Vorschriften der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (SpielV) ergänzt. § 33c GewO regelt die Zulässigkeit von Spielgeräten mit Gewinnmöglichkeit. Das sind nach der Legaldefinition des § 33c Abs. 1 GewO Geräte, die mit einer den Spielausgang beeinflussenden technischen Vorrichtung ausgestattet sind und die Möglichkeit eines Gewinns bieten. Für die Aufstellung dieser Geräte ist eine Erlaubnis notwendig. Die Erlaubnis berechtigt zur Aufstellung von Spielgeräten, deren Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen ist. § 33d GewO regelt andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit. Auch hier bedarf es einer Erlaubnis. Diese darf nur erteilt werden, wenn der Antragsteller im Besitz einer vom Bundeskriminalamt erteilten Unbedenklichkeitsbescheinigung ist (Abs. 1 und 2). § 33h GewO beinhaltet Ausnahmen vom Anwendungsbereich der §§ 33c bis 33g GewO. Nach § 33h Nr. 3 GewO sind diese Normen insbesondere nicht auf andere Spiele im Sinne des § 33d GewO anwendbar, die Glücksspiele im Sinne des § 284 StGB sind. Daraus wird im Umkehrschluss geschlossen, dass andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit im Sinne des § 33d GewO regelmäßig Geschicklichkeitsspiele sind.108 Gemäß § 33e Abs. 1 GewO dürfen die Zulassung der Bauart eines Spielgerätes und die Unbedenklichkeitsbescheinigung nicht erteilt werden, wenn die Gefahr besteht, dass der Spieler unangemessen hohe Verluste in kurzer Zeit erleidet oder ein Spiel im Sinne des § 33d GewO durch Veränderung der Spielbedingungen

106 Fischer, Das Recht der Glücksspiele im Spannungsfeld zwischen staatlicher Gefahrenabwehr und privatwirtschaftlicher Betätigungsfreiheit, S. 33 (zum Gefährlichkeitspotential weiterer Glücksspiele S. 30 ff.). 107 Nach der Rechtsprechung ist eine solche Zulassung dennoch streng von der behördlichen Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB zu unterscheiden. Die PhysikalischTechnische Bundesanstalt ist für die Erteilung einer solchen Erlaubnis keine zuständige Stelle. §§ 284 ff. StGB seien aber deswegen nicht anzuwenden, weil schon kein Glücksspiel im Sinne dieser Normen vorliegt, siehe dazu OLG Karlsruhe NJW 53, 1642 und OLG Köln NJW 57, 721. 108 LK-Krehl, Vor § 284 Rn. 17.

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oder durch Veränderung der Spieleinrichtung mit einfachen Mitteln als Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB veranstaltet werden kann. Der Geldspielautomat wird als ein Unterhaltungsspiel eingestuft und fällt unter die Regelung des § 33c GewO. Da es sich hier jedoch um Geräte handelt, die mit einer Vorrichtung ausgestattet sind, die den Spielausgang beeinflusst, wäre nach der gängigen Definition des Glücksspiels das Vorliegen eines Glücksspiels zu bejahen, denn der Spielausgang entzieht sich dem Einfluss der Spieler und hängt damit vom Zufall ab. Dennoch wird davon ausgegangen, dass es sich um weniger gefährliche Spiele als die von §§ 284 ff. StGB erfassten Glücksspiele handelt, denn zum einen steht der Unterhaltungscharakter des Spiels deutlich im Vordergrund und zum anderen sind der Einsatz sowie der Höchstgewinn eingeschränkt und somit handelt es sich um keine beträchtlichen Vermögenswerte.109 Auffällig ist hierbei, dass die Unterscheidung nach dem Gefährlichkeitspotential der Glücksspiele nur hier in Erwägung gezogen wird. Die oben erwähnten Einschränkungen ergeben sich aus der Verordnung über Spielgeräte und andere Spiele mit Gewinnmöglichkeit (SpielV). Nach § 13 Nr. 4 der SpielV darf die Summe der Verluste (= Einsätze abzüglich Gewinne) im Verlauf einer Stunde 60 Euro nicht übersteigen. Nach § 13 Nr. 5 SpielV darf die Summe der Gewinne abzüglich der Einsätze im Verlauf einer Stunde 400 Euro nicht übersteigen. Dabei darf der maximale Einsatz 0,20 Euro nicht übersteigen und der Gewinn höchstens 2 Euro betragen (§ 13 Nr. 2 SpielV). Unter diesen Voraussetzungen wird davon ausgegangen, dass für den Spieler keine Gefahr besteht, dass er unangemessen hohe Verluste in kurzer Zeit erleidet (vgl. § 33e Abs. 1 GewO), sowie dass der hier erzielbare Höchstgewinn den Unterhaltungscharakter nicht beeinflussen kann und eher irrelevant ist.110 Diese Regelungen wirken sich zwar auf das finanzielle Interesse aus und schützen vor übermäßigem Verlust, schließen die Möglichkeit einer Suchtentstehung jedoch nicht aus. Zudem werden diese Einschränkungen vom Staat eingeführt, der auf diese Art und Weise regulieren kann, welches Spiel als Glücksspiel im Sinne des § 284 StGB gilt und welches nicht. Die Attraktivität der Zulassungserleichterung im Hinblick auf die Spielautomaten liegt in ihrer großen Verbreitung, zum Beispiel auch in Bars und Gaststätten. Dadurch, dass sie dem Gewerberecht unterliegen, werden sie entsprechend mit Umsatz- Gewerbe-, Vergnügungs- und Einkommensteuer besteuert, was dem Staat beträchtliche Einnahmen sichert. Relevant wird § 284 StGB in diesem Bereich erst dann, wenn solche Geldspielgeräte ohne die erforderliche Bauartzulassung aufgestellt bzw. abweichend von der zugelassenen Bauart betrieben werden. Es ist dann ohne Bedeutung, ob ein nicht in seiner Bauart zugelassenes Gerät materiell den Anforderungen der

109 110

RGSt 6, 74; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 63 m.w. N. RGSt 6, 74; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 63 m.w. N.

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Spielverordnung entspricht oder ob eine Erlaubnis hätte erteilt werden können.111 Die fehlende Aufstellerlaubnis zum Betrieb eines bauartzugelassenen Automaten führt hingegen nicht zur Anwendbarkeit des § 284 StGB, sondern erfüllt nur die Bußgeldtatbestände des § 144 Abs. 1 Nr. 1d), Abs. 2 Nr. 4 GewO.112 Verboten wurde allerdings die Aufstellung sogenannter „Fun Games“. Dabei handelt es sich um Geldspielautomaten, bei denen der eingeworfene Geldbetrag nicht nur in einem Punktespeicher, sondern auch auf einem separaten Hinterlegungsspeicher geladen wird. Die während des Spiels erreichten Gewinnpunkte werden auf diesem gespeichert. Ist der Punktespeicher verbraucht, kann der Spieler auf den Hinterlegungsspeicher zurückgreifen. Der Gewinn wird nicht in Geld ausgezahlt, sondern dem Spieler wird Spielzeitverlängerung gewährt oder es werden Spielmarken ausgezahlt.113 In der SpielV wurde daher § 6a eingeführt, wonach die Aufstellung solcher Spielgeräte verboten ist, wenn diese als Gewinn Berechtigungen zum Weiterspielen sowie sonstige Gewinnberechtigungen oder Chancenerhöhungen anbieten oder wenn auf der Grundlage ihrer Spielergebnisse Gewinne ausgegeben, ausgezahlt, auf Konten, Geldkarten oder ähnliche zur Geldauszahlung benutzbare Speichermedien aufgebucht werden. Ferner ist die Rückgewähr getätigter Einsätze unzulässig. Die Gewährung von Freispielen ist nur zulässig, wenn sie ausschließlich in unmittelbarem zeitlichem Anschluss an das entgeltliche Spiel abgespielt werden und nicht mehr als sechs Freispiele gewonnen werden können. Problematisch war vor allem die Frage, ob der Erhalt von Freispielen als Gewinn angesehen werden kann. Unabhängig von den zu verschiedenen Konstellationen und Spielgestaltungen vertretenen Ansichten114 war erkennbar, dass zumindest bestimmte Gestaltungen eine Gefahr in sich bergen. Jedenfalls dann, wenn die Spielmarken umgetauscht oder weiterverkauft werden konnten oder wenn es doch zur Gewinnauszahlung in Geld durch die Betreiber kam, trat die vermögenswerte Komponente in den Vordergrund. Zudem führte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg in einer Entscheidung zur Gewährung von Freispielen aus: „Im Übrigen dürften Spielgeräte des Typs Magic Games II mit dem Programmstand Highscore [. . .] aufgrund der erzielten und aufaddierten Punkte keine eigenständigen Freispiele im unmittelbaren zeitlichen Anschluss an das entgeltliche Spiel i. S. des § 6a Satz 3 SpielV gewähren [. . .]. Vielmehr werden diese offenbar noch während des laufenden – entgeltlichen – Spiels abgespielt und bieten dabei die Chance, weitere Punkte zu erzielen, sodass es sich um – nach § 6a Satz 1 Buchst. a) SpielV verbotene – Berechtigungen zum Wei-

111 112 113 114

BGH NStZ-RR 18, 214. LK-Krehl, Vor § 284 Rn. 16. LK-Krehl, § 284 Rn. 12b; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 65. Siehe dazu kurzen Überblick bei Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 66 m.w. N.

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terspielen handelt [. . .]. Eine solche Spielzeitverlängerung – mit der Chance, weitere Punkte zu erzielen – ist mit den nach § 6 Satz 3 SpielV zulässigen (nicht mehr als sechs) Freispielen nicht vergleichbar. So gehen die hier gewährten Freispiele gleichsam im entgeltlichen Spiel auf, sodass der Reiz des Spiels darin liegt, eine hohe Punktzahl zu erzielen, aufgrund derer die Spieldauer durch gewährte Freispiele immer weiter verlängert wird, wodurch letztlich – in Abhängigkeit von der Spielpower – ein noch höherer Punktestand abgespeichert werden kann. Insofern prägt nicht mehr das Spielvergnügen als solches, sondern die Aussicht auf den – unabhängig von einer späteren Geldauszahlung – jedenfalls erwarteten Gewinn in Form einer nahezu unbegrenzten Spielzeitverlängerung das Spielgeschehen (vgl. OVG NW, Beschl. v. 26.02.2007, a. a. O. u. Beschl. v. 09.03. 2007, a. a. O.). Ein solches ist indes in besonderem Maße geeignet, den mit der Spielverordnung gerade einzudämmenden (vgl. § 33f Abs. 1 GewO) Spieltrieb eines Spielers für einen langen Zeitraum zu wecken (vgl. VG Aachen, Beschl. v. 20.07.2006 – 3 L 295/06).“ 115 Lediglich diese Entscheidung kann dem Gedanken der Eindämmung des Spieltriebs und der Suchtprävention gerecht werden. Somit besteht gerade bei den besonders problematischen, weil suchtfördernden Geldspielautomaten die Möglichkeit des Erhalts einer Erlaubnis, während bei weniger suchtfördernden Glücksspielen diese Möglichkeit durch die staatliche Monopolisierung abgeschnitten ist. Statistisch belegt ist durch eine Studie, dass das Risiko von pathologischem Spielen bei Nutzern von Geldspielautomaten in Spielhallen und Gaststätten gegenüber anderen Glücksspielarten um das 6,3fache erhöht ist. Bei Poker liegt dieser Faktor bei 5,0, bei Sportwetten (außer Pferdewetten) bei 4,7 und bei Glücksspielautomaten in Spielbanken oder Kasinos bei 4,1 (jeweils im Vergleich zu anderen Glücksspielarten).116 Die suchtbegünstigenden Aspekte sind hier gerade die schnelle Abfolge von Spielen, sofortige (bzw. sehr schnelle) Auszahlung des Gewinns, Möglichkeit der Leistung eines kleinen Betrages als Einsatz (was dazu führt, dass der Überblick über die ausgegebenen Summen schnell verloren wird und die Verluste nicht als schlimm empfunden werden) sowie leichte Erreichbarkeit und Verfügbarkeit des Spiels. Diese Widersprüchlichkeit weckt erhebliche Zweifel an dem Schutz der Volksgesundheit als Zielsetzung der §§ 284 ff. StGB.117

115 VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11. Oktober 2007, AZ.: 6 S 773/07, Fundstelle: openJur 2012, 66636. 116 Pathologisches Glücksspielen und Epidemiologie (PAGE): Entstehung, Komorbidität, Remission und Behandlung (Endbericht 2011), online abrufbar diese Ergebnisse mit dem Verweis auf PAGE unter: https://www.automatisch-verloren.de/de/gluecks spiel/zahlen-und-fakten-zu-gluecksspiel.html. 117 Kinzig, Kriminologische und strafrechtliche Aspekte des Glücksspiels, in: FS für Wolfgang Frisch, S. 1016 und 1022.

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d) Der Begriff der „Volksgesundheit“ im Betäubungsmittelrecht und Kritik daran Im Betäubungsmittelrecht wird der Begriff der „Volksgesundheit“ aufgrund der oben dargestellten Kritik an diesem Begriff etwas anders verstanden. Der Gesetzgeber wolle mit der Pönalisierung nicht nur den Schutz der Gesundheit eines „Volkskörpers“ erreichen, sondern verfolge unterschiedliche Schutzinteressen. Es handelt sich daher um ein Bündel von verschiedenen Zielsetzungen. Es gehe darum, das Leben sowie die physische und psychische Integrität des Konsumenten zu schützen, der Desintegration der Gesellschaft durch abweichende Lebensstile entgegenzuwirken, den drogenbedingten Ausfall einzelner Gesellschaftsmitglieder und die zu deren Wiedereingliederung notwendigen Rehabilitationsmaßnahmen zu vermeiden sowie die mit dem Drogenkonsum verbundene Begleitkriminalität und im Allgemeinen die Organisierte Kriminalität zu bekämpfen.118 In der Cannabis-Entscheidung wird zudem das Interesse an der Lenkung des sozialen Zusammenlebens hervorgehoben. Das BtMG diene der „Gestaltung des sozialen Zusammenlebens in einer Weise, die es von sozialschädlichen Wirkungen des Umgangs mit Drogen freihält“.119 Somit soll das BtMG ein Kontrollund Lenkungsinstrument darstellen, das sich auch als disziplinierende Verhaltensforderung zum Schutz der Gesundheit verstehen lässt.120 Der Gedanke der Gewährleistung von Kontrolle existiert auch im Bereich der Glücksspiele, sodass durchaus Parallelen zum Betäubungsmittelrecht gezogen werden können. Vertreten wird, dass § 284 StGB der Eindämmung der Spielsucht im Sinne einer angebotsbegrenzten Kanalisierung der Spielsucht der Bevölkerung diene.121 Auch der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland spricht explizit von dem Zweck, den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken. Das Bundesverfassungsgericht geht in der Cannabis-Entscheidung ferner verstärkt auf die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität ein, welche „die rechtmäßige Wirtschaft untergräbt und die Stabilität, Sicherheit und Souveränität des Staates gefährdet“.122 Auch diese Erwägungen sind dem Glücksspielrecht, wie bereits erörtert, nicht fremd. Der Begriff der „Volksgesundheit“ ist daher als 118 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 191 m.w. N. 119 BVerfG NJW 94, 1579. 120 Wang, Drogenstraftaten und abstrakte Gefährdungsdelikte, S. 53. 121 BGHSt 11, 210; BVerfGE 28, 148; S/S/W-Rosenau, § 284 Rn. 2; Lampe, Jus 94, 740; Meurer/Bergmann, JuS 83, 671; Dahs/Dierlamm, GewArch 96, 275; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 23. 122 BVerfG NJW 94, 1579.

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Sammelbegriff für vielfältige Interessen der Allgemeinheit123 zu verstehen und ist erkennbar durch die politischen Zwecksetzungen geprägt. Dieses Verständnis des Rechtsguts „Volksgesundheit“ ist heftiger Kritik ausgesetzt.124 Der Begriff „Volksgesundheit“ ist ein sehr allgemeiner und unbestimmter Begriff, der einer Auslegung und Konkretisierung bedarf. Die Auffüllung des Begriffs der „Volksgesundheit“ mit Schutzzielen der staatlichen und politischen Sicherheit und Ordnung, Funktionsfähigkeit der Gesellschaft etc., die keinen Bezug mehr zum Individuum aufweisen, erscheine dennoch zu weitgehend. Damit wird nicht die generelle Existenz der Universalrechtsgüter in Frage gestellt; diese dürfen nur nicht ihre Funktion für einzelmenschliche Interessen verlieren und damit das Individuum zu Staatszwecken instrumentalisieren. Eine andere Behandlung und großzügige Anerkennung der Universalrechtsgüter erleichtert die Erreichung des Zwecks des Strafgesetzgebers, bestimmtes aus seiner Sicht strafwürdiges Verhalten unter Strafe zu stellen, führe jedoch zur Untermauerung des Ultima-ratio-Prinzips des Strafrechts. Das weite Verständnis der „Volksgesundheit“ ist mit diesem Prinzip nicht vereinbar. Außerdem seien gerade die Universalrechtsgüter besonders ideologieanfällig.125 Das gilt auch für die Berücksichtigung der Entstehung etwaiger Folgekosten zum Beispiel für die Krankenkassen. Zwar könnte erwogen werden, dass es im Interesse des Einzelnen liegt, nicht durch die Zahlung der Beiträge die Kosten der Suchtbehandlung zu decken. Es wurde aber bereits oben erörtert, dass eine Gesundheitserhaltungspflicht und eine allgemeine Verpflichtung gegenüber anderen zu einer Lebensführung, die die Sozial- und Krankenversicherungssysteme nicht belastet, nicht existieren. Außerdem gibt es zahlreiche gesundheitsgefährdende Lebensweisen, die zur Entstehung von Behandlungs- und Rehabilitationskosten führen und dennoch nicht unter Androhung von Strafe verboten sind. Zudem ist zunächst nur das staatliche Sozialsystem betroffen. Die Gemeinschaft wäre erst belastet, wenn durch die Kumulation selbstgefährdender Handlungen die Systeme sozialer Sicherheit überfordert wären und daher die leistungsfähigen Bürger mit einer Beitragserhöhung rechnen müssten.126 Es ist jedoch nicht nachweislich erkennbar, dass eine derartige Gefahr der Verbreitung der Spielsucht besteht, dass die Folgekosten durch das mit den entsprechenden Ressourcen ausgestattete Sozialsystem nicht aufgefangen werden könnten.127 Im Vergleich zum Glücksspiel entstehen für den Staat jährlich Gesamtkosten in Höhe von bis zu 120 Milliarden Euro für direkte und in123 Nestler, Grundlagen und Kritik des Betäubungsmittelstrafrechts, in: Handbuch des Betäubungsmittelstrafrechts, § 11 Rn. 30. 124 Wang, Drogenstraftaten und abstrakte Gefährdungsdelikte, S. 62 m.w. N. 125 Hassemer, Grundlinien einer personalen Rechtsgutslehre, in: FS für Arthur Kaufmann, S. 90 ff. 126 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung im Strafrecht, S. 54 Fn. 131. 127 Woitkewitsch, Strafrechtlicher Schutz des Täters vor sich selbst, S. 102.

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direkte Folgen von Tabak- und Alkoholkonsum.128 Diese Kosten übersteigen bei weitem die staatlichen Einnahmen aus den Steuern für Tabak- und Alkoholprodukte.129 Die Steuereinnahmen aus dem Glücksspielsektor übersteigen um ein Vielfaches die Einnahmen aus dem Alkoholkonsum, dennoch gibt es viel weniger von Glücksspielsucht Betroffene, für deren Behandlung und Resozialisierung Kosten entstehen. Letztlich verbleibt noch der Gedanke der Verhinderung der Verbreitung von Glücksspielen, die potentiell zu einer Suchtentstehung führen können, mittels Begrenzung des Angebots sowie Minimierung der gesundheitlichen Gefahren durch staatliche Lenkung und Kontrolle des Glücksspielmarkts. Dem widerspricht jedoch wiederum die Tatsache, dass die verbreitetsten und im Hinblick auf Suchtgefahr problematischsten Formen des Glücksspiels gerade nicht unter §§ 284 ff. StGB fallen und Glücksspiele mit vergleichsweise geringem Suchtpotential vom Staat monopolisiert werden. Der Präventionsgedanke könnte höchstens das Werbeverbot in § 284 Abs. 4 StGB erklären, wobei dann von einer erklärungsbedürftigen Ungleichbehandlung mit dem Werbeverbot für Tabakerzeugnisse zu sprechen wäre.

VI. Vermögensschutz Schließlich wird auch vertreten, dass die §§ 284 ff. StGB dem Schutz des Vermögens dienen. 1. Betroffenheit des Vermögens durch Glücksspiele im Allgemeinen Das Glücksspiel ist nur eine Unterart des Spiels. Daher muss es von den anderen Arten des Spiels abgegrenzt werden, unter anderem von den nicht tatbestandsmäßigen Unterhaltungsspielen. Sowohl bei Unterhaltungsspielen als auch bei Glücksspielen sind Gewinn und Verlust vom Zufall abhängig. Bei Unterhaltungsspielen wird jedoch das Entgelt nicht als Einsatz auf die Möglichkeit des Gewinns gezahlt, sondern für das Spielvergnügen als solches.130 Das Gewinnen als solches steht nicht im Vordergrund. Ein strafloses Unterhaltungsspiel liegt deswegen dann vor, wenn der mögliche Gewinn als unbeträchtlich einzustufen ist

128 Siehe zum Beispiel: AdWfP_Die_Kosten_des_Rauchens_in_Deutschland.pdf (dkfz.de); Alkoholkonsum – eine teure Angelegenheit – Alkohol? Kenn dein Limit. (kenn-dein-limit.de). 129 Siehe dazu: Steuereinnahmen aus alkoholbezogenen Steuern in Deutschland nach Steuerarten bis 2019 | Statista (im Jahr 2019 0,38 Milliarden Euro); Steuereinnahmen aus der Tabaksteuer in Deutschland bis 2019 | Statista (im Jahr 2019 ca. 14,3 Milliarden Euro). 130 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 54.

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oder nur ein ganz unbeträchtlicher Einsatz geleistet wird.131 Das wird vor allem dann der Fall sein, wenn der Spieler nur eine Verlängerung des Spiels erreichen oder Freispiele gewinnen kann.132 a) Erfordernis eines Einsatzes Das Erfordernis des Einsatzes bei Glücksspielen wurde zunächst vom Reichsgericht damit begründet, dass für die Sittlichkeit und wirtschaftliche Lage der Beteiligten nur dann schädliche Folgen des Glücksspiels eintreten, wenn der Gegenstand des Spiels einen Vermögenswert habe und der Spieler in die potentielle Gefahr des Verlustes dieses Wertes komme.133 Als Einsatz wird dabei nur der Vermögenswert anerkannt, der bewusst134 für die Beteiligung an den Gewinnaussichten geopfert wird. In einem anderen Urteil führte das Reichsgericht hingegen aus, dass die Gefahr des Vermögensverlustes nicht als unerlässliches Wesenserfordernis eines Glücksspiels anzusehen sei.135 Dem lag der Gedanke zugrunde, dass die Spielleidenschaft auch dann angereizt wird, wenn der Spieler im ungünstigen Fall des Spielverlaufs eine gleichwertige Gegenleistung erhält. Maßgeblich blieb danach nur die Abhängigkeit vom Zufall. Diese Rechtsprechung wurde jedoch vom Reichsgericht nicht weiterverfolgt. Der Bundesgerichtshof spricht sich ebenfalls für die Notwendigkeit der Leistung eines Einsatzes aus.136 Nach der allgemeinen Verkehrsanschauung sei es nicht vorstellbar, wie ein Glücksspiel im allgemein verstandenen Sinne anders durchgeführt werden solle, denn bei solchen Spielen gehe es gerade um die Erzielung eines Gewinns oder um den Verlust des Einsatzes. b) Begriff und Form des Einsatzes Der Einsatz ist grundsätzlich eine vermögenswerte Leistung, die im Falle des Spielverlustes dem Gegenspieler oder Veranstalter anheimfällt und die für den Spieler im Falle des Gewinns einen Anspruch auf Erhalt einer gleichen oder höherwertigen Leistung begründet.137 Ein Geldbetrag, der unabhängig vom Spielverlauf und von Zufälligkeiten auf jeden Fall nicht zurückerhalten werden kann, kommt daher nicht als Einsatz in Betracht.138 131 RGSt 40, 33; RGSt 55, 273; BGHSt 34, 176; MK-Hohmann, § 284 Rn. 11; S/S/W-Rosenau, § 284 Rn. 6. 132 LK-Krehl, § 284 Rn. 12b; NK-Gaede, § 284 Rn. 13. 133 RGSt 6, 74; RGSt 18, 343. 134 RGSt 65, 195. 135 RGSt 45, 425. 136 BGHSt 3, 103; BGHSt 34, 176. 137 BGHSt 34, 177. 138 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 70.

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Der Einsatz kann in versteckter Form, zum Beispiel durch Eintritts- oder Verzehrkarten, erbracht werden.139 In einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs140 musste derjenige, der Gratisroulette spielen wollte, eine Verzehrkarte für mindestens 20 DM kaufen, der zehn „Gratischips“ beigefügt wurden. Die Besucher erhielten auf die Verzehrkarten Getränke und Speisen zum Preis von 20 DM, es blieb jedoch offen, ob die Getränke und Speisen gleichwertige Gegenleistungen waren. Nach der Ansicht des Bundesgerichtshofs soll es genügen, wenn der Spieler eine gleichwertige Gegenleistung für Geld, das er hingibt, gerade deswegen erwirbt, weil er an den Gewinnaussichten teilhaben will, denn er hätte eine gleichwertige Gegenleistung ohne die zusätzliche Gewinnaussicht gar nicht erworben und im Übrigen das Vermögensopfer gar nicht erbracht. Bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit der Gegenleistung komme es dabei nicht auf den objektiven Wert der Gegenleistung an, da die Gegenleistung nicht nur in Waren, sondern auch in weiteren Bewirtschaftungsleistungen bestehe, deren objektiver Wert nicht feststellbar sei. Aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass ein potentieller Vermögensverlust nicht erforderlich ist.141 Andererseits genügt ein stets verlorener Spielberechtigungsbeitrag nicht. Dieser ermöglicht nur die Teilnahme am Spiel selbst, eröffnet aber noch keine Gewinnchance. Hier fehlt es an dem unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Erbringen des Beitrags und einer Gewinnaussicht.142 Ein solcher unmittelbarer Zusammenhang besteht bei Telefon- und Fernsehgewinnspielen, bei denen nicht die regulären Telefonkosten entstehen, sondern das Spiel über speziell eingerichtete Telefonleitungen abgewickelt wird, deren Benutzung teurer ist als die gewöhnliche Telefonverbindung. Bereits in der Herstellung der Telefonverbindung liegt die Spielteilnahme selbst. Aufgrund der Gestaltung der Voraussetzungen der Spielteilnahme wird der Spieler durch das Wählen der Nummer bereits zur Erbringung eines endgültigen Vermögensopfers gezwungen. Bei bloßen Eintrittsgebühren wird der Entschluss, am Spiel teilzunehmen, unabhängig von der Zahlung des Entgelts erst im Anschluss daran gefasst.143 Als eine solche Eintrittsgebühr können Kosten angesehen werden, die nicht dem Veranstalter anfallen, wie zum Beispiel Providerkosten oder Telefongebühren. Dadurch wird die Verbindung, die der Spielteilnahme vorangeht, überhaupt erst ermöglicht.144

139 140 141 142 143 144

BGHSt 11, 210. BGHSt 11, 209 ff. A.A.: RGSt 67, 397; OLG Köln NJW 57, 721; OLG Hamm JMBlNRW 57, 250. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 54. Volk, Glücksspiel im Internet, S. 39. Volk, Glücksspiel im Internet, S. 40.

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c) Nicht ganz unbedeutender Vermögenswert Bei dem Einsatz muss es sich um einen nicht ganz unbedeutenden Vermögenswert handeln.145 Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, wann der Vermögenswert als nicht ganz unbedeutend anzusehen ist und damit die Strafbarkeitsschwelle überschritten ist. aa) Absolute Theorien Zum einen wird auf eine Wertgrenze abgestellt, welche nach den allgemeinen gesellschaftlichen Anschauungen gebildet werden soll.146 Die Vermögensverhältnisse der beteiligten Spieler werden dabei komplett außer Acht gelassen. Der Ausgangspunkt ist der Gedanke, dass Strafrechtsnormen sich an alle richten, sodass ein für alle Fälle gleichermaßen anwendbarer Maßstab erforderlich ist, nicht hingegen Einzelfallanalysen. Zum Teil wird vorgeschlagen, auf „die Möglichkeit, mit den aufs Spiel gesetzten Vermögenswerten einzelne Lebensbedürfnisse zu befriedigen“,147 abzustellen. Die Ansicht Kriegsmanns fördert jedoch das Zustandekommen von Einzelentscheidungen. Außerdem ist damit nicht gesagt, welche Lebensbedürfnisse hierunter fallen und warum.148 bb) Relative Theorien Die Vertreter der relativen Theorien berücksichtigen hingegen auch die Vermögensverhältnisse der Spieler. Uneinigkeit besteht hier lediglich hinsichtlich der Frage, ob die Vermögensverhältnisse des Spielerkreises149 oder der Spieler150 bzw. des Durchschnitts der Spieler151 entscheidend sind. cc) Differenzierende Ansicht Steht die Teilnahme am Spiel – was bei öffentlichen Glücksspielen im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB die Regel sein wird – jedermann offen, kann hier von vornherein nur ein absoluter Maßstab gelten.152 Als Schwellenwert wird zum Teil darauf abgestellt, ob bei dem in Frage kommenden Spiel mehr zu verlieren

145 RGSt 64, 355; BGH wistra 17, 441; BVerwG NVwZ 02, 864; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 8; LK-Krehl, § 284 Rn. 12. 146 RGSt 6, 74; RGSt 18, 344; LK-Krehl, § 284 Rn. 12; SK-Hoyer, § 284 Rn. 11; S/S/W-Rosenau, § 284 Rn. 6. 147 Kriegsmann, Das Glücksspiel, S. 399. 148 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 72. 149 v. Olshausen, § 284 Anm. 2b. 150 S/S-Eser/Heine, 26. Auflage, § 284 Rn. 6. 151 BayObLG GA 56, 385. 152 NK-Gaede, § 284 Rn. 13; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 43.

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ist, als ein Arbeiter in der entsprechenden Zeit verdient.153 Andere stufen denjenigen Einsatz als noch unerheblich ein, der nicht über den Betrag hinausgeht, der aufgewendet werden müsste, um eine Unterhaltung anderer Art geboten zu bekommen.154 Ist der Kreis der Mitspieler begrenzt, dann sind deren konkrete finanzielle Verhältnisse maßgebend.155 Das Abstellen auf die konkreten finanziellen Vermögensverhältnisse des Kreises der Mitspieler würde jedoch zu Straflosigkeit führen, wenn Spieler Einsätze leisten, die zwar für den Durchschnittbürger beträchtlich wären, für sie jedoch angesichts ihrer Vermögensverhältnisse nicht so hoch sind, dass ihre Erlangung oder Hingabe als echter Gewinn oder Verlust erscheinen.156 dd) Vermittelnde Ansicht Nach einer weiteren Ansicht wird bei der Beurteilung der Beträchtlichkeit des Vermögenswertes des Einsatzes auf die Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der persönlichen Vermögensverhältnisse der durchschnittlich Beteiligten abgestellt.157 Damit kombiniert diese Ansicht die absolute und die relative Theorie. Es soll Berücksichtigung finden, dass die schädlichen Folgen des Glücksspiels je nach den Vermögensverhältnissen der am Spiel Beteiligten nicht gleich sind.158 Stellt das Gericht jedoch gerade auf den Durchschnitt ab, so verliert dieses Argument seine Stichhaltigkeit und wird sogar ad absurdum159 geführt. Damit wird auch die allgemeine gesellschaftliche Anschauung, die als absoluter Maßstab angesehen wurde, relativiert.160 ee) Kritik Sowohl absolute als auch relative Theorien zeigen ihre Schwäche in der Ermittlung der maßgeblichen Wertgrenze. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die relativen Theorien womöglich gerechtere Ergebnisse erzielen könnten. Die Vertreter dieser Theorien wenden gegen die absolute Betrachtungsweise ein, dass es eine solche allgemeine gesellschaftliche Anschauung gar nicht geben könne, da die Gesellschaftsklassen und Vermögen zu verschieden seien.161 153 154 155 156 157 158 159 160 161

OLG Köln NJW 57, 721. Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 77. NK-Gaede, § 284 Rn. 13; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 8. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 44. BayObLG GA 56, 386; VGH Baden-Württemberg GewArch 90, 151. BayObLG GA 56, 386. Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 75. Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 76. Seinsche, Das strafbare Glücksspiel im engeren Sinne, S. 18.

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Dennoch bieten auch sie keine praktikable Lösung für die Behandlung von Fällen, in denen die Spieler verschiedenen sozialen Verhältnissen entstammen oder verschiedene Ansichten darüber haben, ob innerhalb des Spielkreises bereits um einen bedeutenden Vermögenswert gespielt wird. Das Abstellen auf die Vermögensverhältnisse des jeweiligen Spielerkreises könnte schnell zu einem Klassenstrafrecht führen, was mit dem Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz nach Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren ist.162 Sind die Vermögensverhältnisse der Spieler im konkreten Spielerkreis nicht gleich oder den anderen Beteiligten unbekannt, entsteht erhebliche Rechtsunsicherheit. Zum einen wäre zu fragen, ob auf den wirtschaftlich stärksten oder schwächsten Spieler oder auf Verhältnisse der Mehrheit163 abzustellen ist, zum anderen müssten die Spieler vor Spielbeginn ihre Vermögensverhältnisse offenlegen.164 Um dem Missbrauch vorzubeugen, ist es einleuchtend, dass die Spieler nicht selbst über die Erheblichkeit des Einsatzes entscheiden können. So müsste die Beurteilung von der Ansicht und den Kriterien des jeweiligen Richters abhängig sein.165 Belz bemängelt, dass die absoluten Theorien zu unbeweglich und der Preisentwicklung nicht anpassbar seien, und sucht daher nach einem einer Dynamisierung zugänglichen Maßstab. Ein praktikables und nachvollziehbares Kriterium sieht er in der Orientierung an dem Betrag, der aufgewendet werden müsste, um eine Unterhaltung anderer Art geboten zu bekommen.166 Dies vermag die entstehende Rechtsunsicherheit jedoch nicht zu beseitigen. Belz sieht ebenfalls, dass es für solche Aufwendungen keinen einheitlichen Maßstab gibt. Der Preis einer Eintrittskarte fürs Kino liegt oft weit unter dem für eine Theaterkarte oder für ein Fußballticket aufzuwendenden Betrag. Konsequenterweise müssten dann auch die höchstmöglichen Vergleichssummen zugelassen werden,167 die es ständig zu ermitteln gälte. Die absoluten Theorien vermeiden die oben genannten Probleme, insbesondere was Fälle von gemischten Vermögensverhältnissen betrifft. Die Festsetzung eines bestimmten Betrags erscheint im Hinblick auf die Rechtssicherheit und Rechtsanwendbarkeit eine angemessene und praktikable Lösung.

162 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 73; vgl. Geiger, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht und nach den neuesten Strafgesetzentwürfen, S. 25; Seinsche, Das strafbare Glücksspiel im engeren Sinne, S. 21. 163 Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 17. 164 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 74. 165 Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 17. 166 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 76 f. 167 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 77.

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ff) Wertgrenze Damit wurde jedoch noch nicht die Frage beantwortet, wie die Wertgrenze konkret zu bemessen ist. Es wurde bereits ausgeführt, dass als Maßstab der Verdienst eines Arbeiters in der entsprechenden Zeit oder der Betrag, der für die Unterhaltung anderer Art für den gleichen Zeitraum aufgewendet werden müsste, in Betracht käme. Dies würde die grundsätzliche Starrheit eines objektiven Wertes vermeiden, da diese Größen dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen und sich ständig mitverändern. Allerdings wurde ebenfalls gezeigt, dass sowohl die Stundenlöhne als auch die Kosten für Unterhaltungen anderer Art sich so stark unterscheiden können, dass sie kaum einen einheitlichen Maßstab bilden können. Die Abgrenzungsentscheidung im Einzelfall dem Tatrichter zu überlassen, erscheint im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG bedenklich.168 Brandl schlägt vor, auf den Preis einer Kinokarte abzustellen, da es sich um eine Unterhaltung für alle Einkommens- und Bildungsschichten handele und keine erheblichen Preisunterschiede innerhalb dieser Kategorie bestehen.169 Damit würde die Grenze zurzeit bei ca. 10 Euro liegen. Als Orientierung wird ferner ein Rückgriff auf die Wertgrenzen des § 142 StGB170 (die zurzeit nach der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung bei ca. 25 Euro liegt171) oder des § 248a StGB172 (Rspr: zwischen 25 und 50 Euro173) vorgenommen, da der Gesetzgeber hier bereits eine Wertung getroffen hat. Als unbeachtlich werden jedenfalls die Aufwendungen für das übliche Brief-/ Postkartenporto sowie Telefongebühren in dieser Größenordnung angesehen. Anders gestaltet sich der Fall dann, wenn der Verbindungsablauf einseitig vom Veranstalter bestimmt wird und auf die Entstehung möglichst hoher Gesprächsentgelte gerichtet ist, für welche das Spiel nur als Lockmittel genutzt wird.174 2. Wessen Vermögen soll geschützt werden? Die nächste Frage, die sich stellt, ist, wessen Vermögen damit geschützt werden soll. Denkbar ist der Schutz des Vermögens des Spielers selbst, der Mitspieler, des Veranstalters oder der am Spiel unbeteiligten Dritten. 168

Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 46. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 46. 170 SK-Hoyer, § 284 Rn. 11. Der Bearbeiter setzt die Grenze i. R. d. § 142 StGB jedoch bei 50 Euro fest. 171 Fischer, StGB, § 142 Rn. 11. 172 Petropoulos, wistra 06, 335. 173 S/S-Bosch, § 248a Rn. 10 m.w. N. 174 Fischer, StGB, § 284 Rn. 5a; LK-Krehl, § 284 Rn. 12a. 169

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a) Schutz des eigenen Vermögens des Spielers Spricht man über die typischen Gefahren und Risiken des Glücksspiels, wird schnell an die Gefahr des Vermögensverlustes bis hin zur Existenzgefährdung gedacht. Die Spielsucht treibt einige Spieler in den Ruin, indem sie nicht nur ihr Einkommen verspielen, sondern sich auch zusätzlich verschulden.175 Daher sei eine Lenkung und Kontrolle der natürlichen Spielleidenschaft zur Verhinderung ihrer Ausbeutung notwendig.176 Diese Sichtweise ist jedoch, wie auch der Schutz der Gesundheit des Spielers vor einer Gefährdung durch ihn selbst, im Hinblick auf die Selbstverantwortlichkeit problematisch. Auch hier geht es um eine normalerweise vollverantwortliche Selbstgefährdung, die nicht sanktioniert werden soll. Ebenso wie oben kann hier darauf hingewiesen werden, dass nicht nur durch Glücksspiel das Vermögen des Einzelnen gefährdet werden kann. Unvernünftiges und verschwenderisches Umgehen mit dem eigenen Vermögen wird aber grundsätzlich nicht pönalisiert. Das gilt auch bei Vermögensgefährdungen, die durch andere Suchten (zum Beispiel Kaufsucht) entstehen. Bestätigt wird dies auch durch die Existenz des § 285 StGB. Damit würde der Gesetzgeber bloße Selbstgefährdung unter Strafe stellen und dem Spieler gleichzeitig die Rolle des geschützten „Opfers“ und des Täters zuweisen. Es ist wertungswidersprüchlich, wenn die Gefährdung (bzw. Verletzung) des eigenen Lebens unter der Prämisse des absoluten Lebensschutzes nicht strafbar ist, wohl aber die Gefährdung des eigenen Vermögens.177 Im Gesetzeswortlaut findet der Vermögensschutz keine explizite Erwähnung. Denkbar wäre, dass die Erforderlichkeit einer behördlichen Genehmigung dazu dient, nur die Glücksspiele zuzulassen, die die Gefahr eines hohen Verlustes vermeiden. Dafür würde auch sprechen, dass die Spielautomaten nicht von §§ 284 ff. StGB erfasst sind. Wie bereits gezeigt wurde, wird dies unter anderem mit dem geringen Einsatz und der Begrenzung des zulässigen Verlustes begründet. Fraglich wäre indes, wie die Gefahr des hohen Verlustes im Übrigen beurteilt werden soll. Denkbar ist, dass der Spieler durch eine einzige Teilnahme einen sehr hohen Betrag verliert, oder auch, dass es sich immer um kleine Summen handelt, der Spieler jedoch sehr oft spielt und dadurch letztendlich auch finanziellen Ruin erleiden kann. Schließlich bedeutet die Existenz der §§ 284 ff. StGB nicht, dass bestimmte Glücksspiele verboten werden und daher gar nicht existieren. Einige Spiele, für die private Veranstalter keine Genehmigung erhalten können, werden durch den Staat angeboten (staatliches Monopol), sodass die Gefahr des Verlustes weiterhin bestehen bleibt. Das Argument, die Genehmigungserforderlichkeit solle gewährleisten, dass nur solche Spiele genehmigt werden, bei denen keine Gefahr 175 Kindhäuser/Hilgendorf, Strafgesetzbuch, Vorbemerkung zu §§ 284–287 Rn. 4 m.w. N. 176 NK-Gaede, § 284 Rn. 5. 177 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 89.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

des hohen Verlustes für den Spieler bestehe,178 kann deswegen nicht überzeugen. Schließlich wird nicht definiert, ab wann ein hoher Verlust anzunehmen ist. Denn die Bestimmung dieser Grenze kann angesichts unterschiedlicher Einkommen und Vermögensmassen der Spieler sehr unterschiedlich ausfallen. Damit stellt sich schon auf der Ebene der Bestimmung des Schutzzwecks der Norm das gleiche Problem wie bei der Bestimmung der Erheblichkeit des Einsatzes. b) Schutz des Vermögens des Veranstalters Die Intention des Schutzes des Vermögens des Veranstalters, das durch die Verpflichtung zur Auszahlung der Gewinne an die Spielteilnehmer gefährdet sein könnte, ist ebenso wenig überzeugend. Auch hier greift der Gedanke der eigenverantwortlichen Selbstschädigung bzw. -gefährdung. Durch dieses Verhalten werden Rechte Dritter nicht tangiert, sodass die Kriminalisierung dieses Verhaltens nicht legitimiert ist.179 c) Schutz des Vermögens anderer Mitspieler Zum Teil wird die eigenverantwortliche Gefährdung eigenen Vermögens, die sich aus dem Verlustrisiko ergibt, in den Hintergrund gedrängt und der Schutz des Vermögens der Mitspieler auf den Verleitungsgedanken gestützt. Die Verleitung anderer zur Teilnahme am unerlaubten Glücksspiel kann sowohl zumindest mittelbar durch den Spielteilnehmer, da an den meisten Glücksspielen die Teilnahme mehrerer notwendig ist, als auch durch den Veranstalter erfolgen.180 Dadurch kommt es zur Gefährdung nicht nur des eigenen Vermögens, sondern auch des Vermögens Dritter, weil die Opfer vermögensgefährdende Handlungen vornehmen, die sie sonst möglicherweise nicht vorgenommen hätten, was die Notwendigkeit einer Bestrafung nicht mehr so fernliegend erscheinen lässt. Diese Sichtweise könnte auch zur Begründung der Legitimität des § 285 StGB herangezogen werden. Denkbar erscheint hier eine Parallele zu Tatbeständen, die allein das Verleiten zu einem bestimmten Verhalten pönalisieren, wie zum Beispiel § 357 StGB oder §§ 49, 26 Börsengesetz.181 Gerade bei den genannten Normen des Börsengesetzes geht es darum, unerfahrene Anleger vor einem Kapitalverlust zu bewahren, sodass es um den Schutz vor Vermögensgefährdung geht.182 Auch Börsenspekulationsgeschäfte sind dadurch gekennzeichnet, dass sie sowohl die Möglichkeit eines sehr hohen Gewinns als auch das Risiko des Totalverlustes in sich bergen. 178 179 180 181 182

Odenthal, GewArch 89, 222. Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 67. Lampe, JuS 94, 741; Meurer/Bergmann, JuS 83, 672. Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 69 ff. Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 70.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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Eine gewisse Ähnlichkeit zu § 284 StGB ist nicht von der Hand zu weisen.183 Allerdings kann im Hinblick auf die Vermögensgefährdung nicht überzeugend erklärt werden, warum die staatlichen Glücksspiele nicht strafbewehrt sind.184 Denn auch hier besteht stets das Risiko des Verlustes des Einsatzes, was in Fällen des rauschbedingten, seitens des Spielers nicht mehr hinreichend kontrollierten Spielens zum kompletten Vermögensverlust und zur Verschuldung führen kann. Im Hinblick auf die Verleitung selbst besteht kein Unterschied, ob es sich um behördlich erlaubte oder unerlaubte Glücksspiele handelt. Die Rechtfertigung der Veranstaltung der Glücksspiele durch den Staat bedarf immer noch weiterer Aspekte, sei es Eindämmung des Glücksspielangebots oder Kontrolle und Lenkung des Spieltriebs der Bevölkerung. Die Normen des Börsengesetzes kennen eine solche Unterscheidung nicht, da jegliches Verleiten unter Strafe gestellt wird.185 d) Exkurs: Verletzung der Willensentschließungs- und der Willensbetätigungsfreiheit durch die Verleitung zur Teilnahme an einem Glücksspiel Betrachtet man die Verleitung als Bestimmung Dritter, Handlungen vorzunehmen, die sie sonst nicht vorgenommen hätten, kommt eine Vergleichbarkeit mit der Nötigung gemäß § 240 StGB in Betracht. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass das dortige Rechtsgut der Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung auch im Glücksspielrecht geschützt wird.186 Belz zeigt in seiner Arbeit, dass der Verleitungsgedanke durchaus Eingang in die Tatbestände der §§ 284 ff. StGB gefunden hat. Sowohl die tatbestandmäßigen Handlungen des Veranstaltens, Haltens und des Bereitstellens der Einrichtungen als auch die vorausgesetzte Öffentlichkeit des Glücksspiels enthalten Elemente des Verleitens in Form der Ermöglichung sowie der Aufforderung zur Spielteilnahme. 187 Der Verleitungsgedanke ist dem Strafrecht ferner nicht fremd, sei es wenn es um die Anstiftung nach § 26 StGB geht oder bei einer Reihe von Delikten aus dem Besonderen Teil (§§ 120 Abs. 1, 160, 357 StGB).188 Dennoch ist es erforderlich, eine Trennlinie zwischen einer erlaubten und einer unerlaubten Einflussnahme zu ziehen. Auch an dieser Stelle ist der Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit nicht aus den Augen zu verlieren. Wie bereits erörtert wurde, führt auch die diagnostizierte Sucht nicht zwingend zum Ausschluss der Eigenverantwortlichkeit. Dennoch wird im Falle eines spielsüchtigen oder eines zumindest spielgeneigten 183

Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 69 f. m.w. N. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 90. 185 Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 71. 186 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 105 f. 187 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 108 ff., hier nur eine sehr stark verkürzte Darstellung. 188 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 112 ff. 184

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

Teilnehmers in Anlehnung an den Gedanken des „omnimodo facturus“ wohl von einem strafbewehrten Verleiten kaum die Rede sein können.189 Die Verleitung kann ferner durch List oder Täuschung erfolgen, insbesondere wenn es um die Gewinnchancen geht. Der Gesetzeswortlaut setzt jedoch bei den tatbestandsmäßigen Handlungen keinesfalls ein Täuschen des Spielteilnehmers voraus. Diese Fälle würden unter den Tatbestand des § 263 StGB fallen. Sind die Spielregeln bekannt, bleibt es jedem Spielteilnehmer möglich, die Gewinnchancen auszurechnen oder bloß auf das Glück zu hoffen, wobei man wohl nach der allgemeinen Lebenserfahrung davon ausgehen kann, dass das Risiko des Verlustes höher ist als die Gewinnchance. Jedenfalls ist in diesem Fall der äußere Einfluss nicht ausschlaggebend und die Willensentschließungs- und Willensbetätigungsfreiheit nicht verletzt.190 Nicht anders sieht es aus im Hinblick auf die vor dem Spielbeginn vorhandene Kenntnis, dass man dem Spielrausch verfallen kann. Stellt man auf den Zeitpunkt der Spielaufnahme ab, ist die Willensbildungsfähigkeit des Teilnehmers nicht beeinträchtigt. In diesem Fall zieht Belz eine „vorsichtige Parallele“ zur „actio libera in causa“.191 Damit kommt er zu dem überzeugenden Ergebnis, dass das Glücksspielstrafrecht nicht allein auf dem Gedanken des Verleitens zum Spielen beruhen kann; die Willensentschließungsfreiheit und die Willensbetätigungsfreiheit sind ebenfalls keine durch die §§ 284 ff. StGB geschützten Rechtsgüter.192 e) Schutz vor Beeinträchtigung des Vermögens des Spielers durch Spielmanipulation Nach der herrschenden Meinung wird durch § 284 StGB das Vermögen des Spielteilnehmers geschützt. Beabsichtigt ist jedoch nicht der Schutz des Spielers vor eigenverantwortlicher Verschwendung seines Vermögens, sondern der Schutz vor Manipulation des Spiels zum Schaden des Vermögens, sodass durch künstlich herbeigeführte Chancenverringerung Vermögensverluste erlitten werden, die bei ordnungsgemäßem Ablauf des Spiels ausgeblieben wären.193 Dem Spieler soll 189 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 119; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 72. 190 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 120 f. 191 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 121 f., S. 122 Fn. 114. 192 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 122. 193 BVerfGE 28, 148; BayObLG 93, 2821; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 5; NKGaede, § 284 Rn. 4; SK-Hoyer, § 284 Rn. 8; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 19; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 78; Feldmann, Die Strafbarkeit privater Sportwettanbieter gemäß § 284 StGB, S. 46; Fackler, Fernsehen und Glücksspiel, S. 33; Petropoulos, wistra 06, 335. Hohmann geht zwar auch auf die Manipulationsgefahr ein, formuliert das Schutzgut aber als „Vertrauen des Einzelnen in die Gewährleistung einer manipulationsfreien Chance“. Es handele sich dabei „um eine spezielle Voraussetzung und Bedingung der personalen Entfaltung des Individuums“ (MK-Hohmann, § 284 Rn. 1). Damit kann nach seiner Ansicht nicht einmal in dieser Ausprägung vom Vermögensschutz die Rede sein. Nicht so ganz explizit wird auf den

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eine manipulationsfreie Spielchance gewährleistet werden. Zum Teil wird dieser Schutzaspekt unter den Gedanken der Gewährleistung der staatlichen Kontrolle der Kommerzialisierung und Ausbeutung der Spielleidenschaft subsumiert.194 Dass die Kontrolle des Glücksspiels für sich allein keine Rechtfertigung darstellen kann, wurde bereits erörtert. Insofern wird durch die ebenfalls verwaltungsakzessorisch gestalteten §§ 324 ff. StGB nicht die administrative Kontrolle des Umweltschutzes, sondern der Gegenstand des Schutzes selbst (die Umwelt als Lebensgrundlage der Menschen)195 abgesichert.196 Umstritten ist dennoch, ob ein manipuliertes Spiel überhaupt noch unter §§ 284 ff. StGB fallen kann. Hierbei werden insbesondere zwei Konstellationen diskutiert: aa) Eingriff in den Spielablauf Die erste umstrittene Konstellation betrifft Fälle, in denen der Veranstalter oder einer der Mitspieler manipulativ in den Spielablauf eingreift und damit den Gewinn für die übrigen Teilnehmer rein tatsächlich unmöglich macht. In dieser Konstellation wird der Zufall, der als Kriterium zur Abgrenzung eines Glücksspiels vom Geschicklichkeitsspiel, bei dem nach den Spieleinrichtungen, den Spielregeln und dem gewöhnlichen Spielablauf gerade Aufmerksamkeit, Fähigkeiten und Kenntnisse der beteiligten Durchschnittsspieler197 und nicht der Zufall wesentlich über den Gewinn und Verlust entscheiden,198 ausgeschlossen. Nach einer Ansicht ändert ein solcher Eingriff nichts an der Einordnung des Spiels als Glücksspiel, wenn das Spiel ohne die Manipulation ein Glücksspiel darstellen würde und sich dies für die Teilnehmer aus den Vertragsbedingungen ergibt. Tateinheitlich macht sich der Veranstalter wegen Betrugs strafbar.199 Nach der Gegenansicht ist in diesem Fall nur Raum für die Strafbarkeit des Täters wegen Betrugs. Ist der Zufall komplett ausgeschaltet, so fehlt es an der Schutz des Vertrauens bei Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT I, § 44 Rn. 3 abgestellt. Maurach/Schroeder/Maiwald/Hoyer/Momsen, Strafrecht BT I, § 44 Rn. 3 sprechen zudem von einer Abhängigkeit des Gewinns und Verlustes von einer Sicherung des Glücks mit seiner „50:50“-Chance. Das kann als Hinweis auf den Vermögensschutz interpretiert werden. 194 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 24 f. 195 S/S-Heine/Schittenhelm, Vorbem. §§ 324 ff. Rn. 8 m.w. N. 196 Feldmann, Die Strafbarkeit privater Sportwettanbieter gemäß § 284 StGB, S. 41. 197 BVerwG GewArch 86, 60; Berberich, Das Internet-Glücksspiel, S. 35; Dickersbach, GewArch 98, 267: Hierfür reicht es aus, dass der Spieler die Spielregeln beherrscht und aufgrund gelegentlicher Spielteilnahme weder als Anfänger noch als Experte bezeichnet werden kann. Maßgebend sind die Eigenschaften eines im Mittelbereich aller spielberechtigten Personen liegenden Spielers; zustimmend Wrage, NStZ 01, 256. 198 RGSt 61, 15; BGHSt 2, 276. 199 RGSt 28, 284 f.; RGSt 61, 14 f.; BayObLG NJW 93, 2820; NK-Gaede, § 284 Rn. 11.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

entscheidenden Voraussetzung für die Einordnung des Spiels als Glücksspiel und damit für die Strafbarkeit gemäß § 284 StGB.200 Die letztgenannte Ansicht beachtet zum einen stärker die Definition des Glücksspiels, wonach ein Glücksspiel vorliegt, wenn der Zufall wesentlich den Ausgang des Spiels bestimmt. Zum anderen erscheint sie zunächst konsequenter im Hinblick auf die Strafbarkeit der übrigen Teilnehmer. Bejaht man trotz des hier angedachten Eingriffs in den Spielablauf das Vorliegen eines Glücksspiels, wäre der Weg für die Strafbarkeit der betrogenen Spieler nach § 285 StGB frei. Denn es würde immer noch ein Glücksspiel vorliegen, an dem sie sich beteiligten. Der manipulative Eingriff in den Spielablauf führt jedoch dazu, dass gerade das vom Zufall geprägte Glücksspiel tatsächlich nicht vorliegt. Die betrogenen Teilnehmer lassen zwar nach ihrer Vorstellung den Zufall entscheiden, wollen also an einem Glücksspiel teilnehmen, das rein tatsächlich jedoch nicht gegeben ist. Dies stellt eine typische Versuchskonstellation dar. Da der Versuch hier nicht strafbar ist, bleiben die Teilnehmer straffrei.201 Durch das Erfordernis der behördlichen Kontrolle im Rahmen der Erlaubniserteilung wird nicht nur offengelegt, welche Glücksspiele angeboten werden und wo diese stattfinden, sondern auch gewährleistet, dass die Gefahr der Spielmanipulation und der Chancenentwertung verringert bzw. vermieden wird. Es soll sichergestellt werden, dass das Spielergebnis weiterhin nur vom Zufall abhängig ist, was nur bei einem ordnungsgemäßen Spielablauf der Fall sein kann. So argumentiert auch das Bundesverfassungsgericht (in seiner Entscheidung zum Spielbankengesetz): „Die staatliche Kontrolle gewährleistet dem Spieler, dass Gewinn und Verlust nur von seinem Glück und nicht von Manipulationen des Unternehmers oder seiner Beschäftigten abhängen.“ 202 Diese Schutzrichtung erscheint angesichts vorheriger Ausführungen zunächst plausibel, da nicht davon ausgegangen werden darf, dass der Spieler, der das Risiko des Verlustes kennt bzw. ausrechnen kann, zwingend davon ausgehen muss und sogar darin einwilligt, dass seine Chancen durch Manipulationen verringert werden und damit die Glückskomponente ausgeschaltet wird, was für ihn eine nicht mehr beherrschbare Gefahr darstellt. Dem Gesetzgeber stehe es frei, soziale Erwartungen auf Vermögenszuwachs durch staatliche Kontrolle zu schützen.203 Dennoch ist § 284 StGB nach seinem Wortlaut und der Intention des Gesetzgebers nicht nur auf Falschspiele anwendbar,204 sondern umfasst alle nicht genehmigten Spiele. Die herrschende Meinung betrachtet daher § 284 StGB als ein abstraktes Gefähr200 RGSt 21, 108; Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 79; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 52 f.; Sack, NJW 92, 2541. 201 So auch Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 79. 202 BVerfGE 28, 148. 203 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 4. 204 NK-Gaede, § 284 Rn. 11.

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dungsdelikt im Vorfeld des Betrugs in Gestalt eines Tätigkeitsdelikts.205 Es bestehe die abstrakte Gefahr der Spielmanipulation bei unkontrollierten, ohne behördliche Erlaubnis durchgeführten Glücksspielen. Die Norm ist erst dann nicht anwendbar, wenn es dem Veranstalter nur darum geht, durch das Vortäuschen der geplanten Durchführung eines Glücksspiels an die Einsätze zu gelangen.206 bb) Wechsel des Spieltempos Die zweite umstrittene Konstellation besteht darin, dass der Veranstalter, um zur Teilnahme zu animieren, das Spiel zunächst langsam durchführt, sodass das Spiel den Anschein eines Geschicklichkeitsspiels erweckt. Sodann wird das Spieltempo derart erhöht, dass der Spielausgang sich immer mehr dem Einfluss der Spieler und ihrer Fähigkeiten entzieht und damit zum Glücksspiel wird. Ein häufiges Beispiel für derartige Manipulationen ist das „Hütchenspiel“. Nach einer Ansicht ist in dieser Konstellation die Manipulation des Veranstalters unbeachtlich. Entscheidend ist nur, ob der Spielausgang nach dem Vertragsangebot vom Zufall abhängen soll. Wird dies verneint, würde das dazu führen, dass das Spiel als Geschicklichkeitsspiel einzuordnen wäre und der Veranstalter sich nicht gemäß § 284 StGB strafbar machen würde. Möglich wäre die Bestrafung nach § 263 StGB.207 Der geheime Vorbehalt des Veranstalters sei unbeachtlich.208 Nach einer anderen Ansicht können Manipulationen zur Veränderung des Spielcharakters führen. Ist der Spielausgang irgendwann nur noch vom Zufall abhängig, liegt nach der Definition ein Glücksspiel vor. Maßgeblich sind damit immer die konkreten Verhältnisse, unter denen gespielt wird.209 Lässt man jedwede Veränderung des Spielablaufs unberücksichtigt, könnte dies dazu führen, dass durch die anfängliche Ausgestaltung des Spiels strafrechtliche Regelungen umgangen würden. In der Praxis entstehen zudem Beweisschwierigkeiten, denn es ist oft schwer nachweisbar, was die Parteien in den Vertragsbedingungen vereinbart haben.210 Anders als in der ersten Konstellation ist 205 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 5; NK-Gaede, § 284 Rn. 4; M/T-Wietz/Matt, § 284 Rn. 3; LK-Krehl, Vor § 284 Rn. 10; a. A.: MK-Hohmann, § 284 Rn. 2: Es handele sich um ein Verletzungsdelikt, welches als ein Erfolgsdelikt ausgestaltet ist. Der Verletzungserfolg ist in der Verletzung des immer wieder bestätigten Vertrauens des Einzelnen in die Gewährleistung einer manipulationsfreien Spielchance (was das Rechtsgut des § 284 StGB darstelle) zu sehen. 206 NK-Gaede, § 284 Rn. 11. 207 RGSt 28, 283; RGSt 61, 16; Astl/Rathleff, Das Glücksspiel, S. 15; v. Olshausen, § 285 Anm. 6. 208 RGSt 61, 15; RGSt 62, 165. 209 BayObLG NJW 93, 2820; NK-Gaede, § 284 Rn. 11; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 7; Lampe, JuS 94, 739; SK-Hoyer, § 284 Rn. 19. 210 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 51.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

es auch nicht ausgeschlossen, dass die Spieler die neuen Spielregeln annehmen und sich somit bewusst entscheiden, nun an einem Glücksspiel teilzunehmen. Eine solche konkludente Vertragsänderung würde zum Ausscheiden des Betrugs führen.211 Die dann in Betracht kommende Strafbarkeit nach § 285 StGB erscheint dann nicht mehr ungerechtfertigt. Gegen die dem zivilrechtlichen § 116 BGB entnommene Unbeachtlichkeit des geheimen Vorbehalts im Strafrecht wird zudem angeführt, dass sich gerade aus diesem der Betrugsvorsatz ergibt.212 f) Auseinandersetzung mit der herrschenden Meinung Der Schutz vor manipulativer Entwertung der Gewinnchance und damit zusammenhängender Vermögensgefährdung als Rechtsgut des § 284 StGB wird nicht allseitig anerkannt. Zum einen kann dagegen vorgebracht werden, dass der Wortlaut keinerlei Hinweise auf diese Deutung des Schutzzwecks enthält. Verdeutlicht wird dies zudem dadurch, dass § 284 StGB nicht lediglich das Falschspiel umfasst. Vielmehr wird die Veranstaltung von Glücksspielen allein deswegen bestraft, weil hypothetisch die Möglichkeit einer Spielmanipulation bestünde. Damit wird gleichzeitig unterstellt, dass allen nicht staatlich kontrollierten Glücksspielen eine Tendenz zum Falschspiel immanent ist. Dieser Einwand hängt jedoch mit der Frage der Deliktsnatur zusammen und wird in deren Rahmen genauer zu untersuchen sein. Ferner entstehen aus diesem Blickwinkel Bedenken im Hinblick auf die Existenz des § 285 StGB. Wenn es um den Schutz des Spielers vor der Entwertung seiner Gewinnchance durch Betrug und Falschspiel geht, kann das potentielle Opfer nicht zugleich Täter sein, der für die Gefährdung seines eigenen Vermögens durch Manipulation seitens des Veranstalters verantwortlich gemacht und bestraft wird. Laustetter will zwar im Rahmen des § 285 StGB auf den Schutz des Vermögens der Mitspieler bzw. des Veranstalters vor manipulativer Chancenentwertung abstellen. Zur Begründung führt er an, dass es bei Spielen wie zum Beispiel Poker, die nur gegen die anderen Mitspieler gespielt werden, zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten gibt. Es kann beispielsweise um heimliche Markierung der Spielkarten (zum Beispiel mit Infrarotfarbe) oder Verwendung von Karten mit eingebauten Mikrochips oder auch um den Einsatz von Kommunikationsmitteln (Zusammenwirken mit einem anderen Spielteilnehmer zum Nachteil anderer Teilnehmer per Handy, Einsatz von Mikrophonen und Kameras usw.) gehen.213 Geht es aber um die Gefahr der Manipulation der Spielkarten, so kann diese nur bestehen, wenn mit den manipulierten Karten gespielt werden soll. Werden diese von einem Spieler zur Verfügung gestellt, so dürfte diese Handlung 211 212 213

Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 51. Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 79 Fn. 239. Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 83.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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schon unter § 284 Abs. 1 StGB (Bereitstellen von Einrichtungen) fallen, da die eigentlichen Spielgegenstände unstreitig davon erfasst sind.214 Im Übrigen ist es nicht nachvollziehbar, wie der Gefahr der Spielmanipulation durch Einsatz von externen Kommunikationsmitteln seitens der Teilnehmer mittels behördlicher Erlaubnis begegnet werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Spielteilnehmer gegen die „Bank“ spielt und durch seine Manipulation im oben genannten Sinne die Gewinnchancen des Veranstalters oder der anderen Mitspieler, die ebenfalls gegen die „Bank“ spielen, verringert.215 Denn auch im Rahmen des § 285 StGB geht es um die Teilnahme an nicht genehmigten Glücksspielen im Sinne des § 284 StGB. Die behördlichen Voraussetzungen der Zulassung von Glücksspielen richten sich an die Veranstalter von Glücksspielen. Diese sollen dafür Gewähr bieten, dass der Ausgang des Spiels nicht manipuliert wird, die Vorschriften zum Jugend- und Spielerschutz eingehalten werden etc. Der Veranstalter kann aber nicht dafür einstehen, dass der Ausgang des Spiels nicht seitens der Spieler durch Einsatz externer technischer Mittel oder durch besondere Kenntnisse (zum Beispiel im Computerbereich, was ihnen erlaubt, auf die Software einzuwirken) und Fertigkeiten beeinflusst wird.216 Dies zeigen auch Beispiele aus der Praxis, die erkennen lassen, dass geschickte Hacker sogar in den neuesten und angeblich sichersten Computerprogrammen immer noch Schlupflöcher finden. Es gibt keinen Beweis dafür, dass staatlich zugelassene Glücksspiele vor Computerangriffen oder vor dem Einsatz externer Kommunikationsmittel besonders sicher sind. Wird die Erlaubnis erteilt, fehlt es an einem unerlaubten Spiel und damit scheidet auch die Strafbarkeit nach § 285 StGB aus. Meiner Ansicht nach berücksichtigt Laustetter diese Verknüpfung mit der Unerlaubtheit des Glücksspiels nicht in hinreichender Weise. Soweit es um das Beispiel der Manipulation von Geldspielautomaten durch Einwirkung auf das Computerprogramm geht, ist zu bedenken, dass Geldspielautomaten nicht unter § 284 StGB fallen und deren Betrieb ohne eine Zulassung als Ordnungswidrigkeit geahndet wird. Im Übrigen kann die Zulassung der Automaten durch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt eine nachträgliche Manipulation der Software nicht ausschließen. Schließlich setzt die Strafbarkeit gemäß § 285 StGB gerade nicht voraus, dass der Spieler auf den Spielablauf einwirkt, sondern bestraft lediglich die Teilnahme an einem veranstalteten ungenehmigten Glücksspiel. Diese Überlegungen sprechen aber nicht zwingend gegen die Legitimität des § 284 StGB. Sie führen in erster Linie zu Zweifeln im Hinblick auf die Rechtfertigung der Existenz des § 285 StGB. Des Weiteren werden gegen dieses Rechtsgut systematische Einwände erhoben. Die herrschende Meinung wird dafür kritisiert, dass sie übersieht, dass Betrug sowie Delikte im Vorfeld des Betrugs in §§ 263 ff. StGB (Abschnitt „Betrug 214 215 216

S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 20 m.w. N. Anders sieht es Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 83. Auch dagegen Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 83.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

und Untreue“) geregelt sind.217 Die Sonderdelikte zum Betrug (§ 352 StGB: Gebührenüberhebung, § 353 StGB: Abgabenüberhebung, Leistungskürzung) finden sich zwar auch nicht im Abschnitt „Betrug und Untreue“. Das lässt sich aber mit ihrer Sonderstellung und daher einer Regelung im Abschnitt „Straftaten im Amt“ rechtfertigen. In diesem Abschnitt sind alle Delikte im Amt geregelt, unabhängig von ihrem Schutzzweck. Sollte auch § 284 StGB ein Delikt im Vorfeld des Betrugs darstellen, so wäre diese Norm im Abschnitt „Strafbarer Eigennutz“ fehl am Platz.218 Dagegen lässt sich sagen, dass auch das Wucherverbot nach der herrschenden Meinung dem Vermögensschutz dient und ein abstraktes Gefährdungsdelikt ist. Trotz gewisser Ähnlichkeiten mit den Vermögensdelikten Betrug und Erpressung besteht jedoch der wesentliche Unterschied zu diesen Delikten darin, dass hier anders als bei Betrug nicht auf die (aktive) Täuschung oder bei der Erpressung auf Nötigung abgestellt wird, sondern auf die Ausnutzung der Zwangs- oder Schwächelage des Opfers. Das heißt, die unterlegene Position des Opfers wird nicht erst vom Täter aktiv herbeigeführt.219 Der Täter knüpft an bereits aufgrund der persönlichen Konstitution des Opfers bestehende oder aus der besonderen Lage sich ergebende Schwächesituationen an. Besteht eine Sucht (auch Spielsucht) mit Krankheitswert, sodass eine Verminderung der Widerstandfähigkeit vorliegt, die sich deutlich von der rationalen Steuerungsfähigkeit des Durchschnittsmenschen unterscheidet, und wird diese ausgenutzt, kann auch § 291 StGB einschlägig sein.220 Auch beim Glücksspiel fehlt es an einer solchen Täuschung, Drohung oder Gewalt und damit grundsätzlich an der Unfreiwilligkeit der Vermögenshingabe.221 Hier kann und muss – damit die Nähe zum Betrug begründet werden könnte – jedoch wiederum auf den Gedanken zurückgegriffen werden, dass die durch Manipulation entwertete Vermögensverfügung nicht freiwillig ist, da der Spieler diese nur im Vertrauen auf die Einräumung einer fairen Gewinnchance vornimmt. Insgesamt wird die gesetzliche Überschrift „Strafbarer Eigennutz“ dafür kritisiert, dass sie „nicht nur nichtssagend, sondern auch sachlich irreführend“222 ist. Der 25. Abschnitt des StGB enthält heterogene Straftatbestände, die verschiedenen vermögenswerte Rechte, aber auch andere Rechtsgüter schützen. Enthalten sind nicht nur eigennützige, sondern auch fremdnützige Taten. Die hier enthaltenen Delikte knüpfen vielmehr an spezielle Vorgegebenheiten beim Tatopfer an, die dem Täter den Rechtsgutsangriff erleichtern oder sogar ermöglichen (bei § 284 StGB zum Beispiel die Bereitschaft des Opfers zum Glücksspiel).223 Aus der Abschnittsüberschrift ergeben sich demnach 217 218 219 220 221 222 223

Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 99. Vgl. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 99. Mitsch, Strafrecht, Besonderer Teil 2, S. 923. NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 22; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 27. So auch Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 18. NK-Gaede, Vorbemerkungen zu §§ 284 ff. Rn. 1. SK-Hoyer, Vor § 284 Rn. 2.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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keine Anhaltspunkte für die Auslegung einzelner Straftatbestände. Untauglich ist sie auch für systematische Erwägungen.224 Eingewendet wird schließlich, dass auch der versuchte Betrug strafbar ist, sodass die Strafbarkeit nach § 284 StGB mit der Begründung des Schutzes vor Manipulation und Chancenentwertung nicht notwendig erscheint. Dabei wird jedoch verkannt, dass dies ein Einwand ist, der nicht die Bestimmung des Rechtsguts beeinflusst, sondern die Frage der Grenzen der Strafbarkeitsausdehnung und der Strafbedürftigkeit etc. aufwirft. 3. Ergebnis und Stellungnahme a) Zusammenfassende Feststellung denkbarer Rechtsgüter Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der pauschale Verweis auf die Suchtgefahr und damit die Begründung der Notwendigkeit der staatlichen Eindämmung des Spieltriebs jedenfalls keine Stütze in der geltenden Fassung der Norm findet. Weder kann überzeugend erklärt werden, warum staatliche Glücksspiele im Hinblick auf die Gefahr der Suchtentwicklung weniger gefährlich sein sollen, noch stellen die nur nach der Erlaubnis differenzierenden §§ 284 ff. StGB einen spezifischen Bezug zur Suchtprävention her.225 Dagegen spricht ferner, dass gerade die Spiele mit dem größten Suchtpotential vom Anwendungsbereich der §§ 284 ff. StGB ausgenommen sind. Die Vertreter der herrschenden Meinung und vor allem die Rechtsprechung helfen sich offenkundig damit, dass sie als Rechtsgut ein Bündel an verschiedensten Schutzzwecken ansehen, die für sich genommen nicht für die Legitimität einer Strafnorm ausreichend wären. Die Rechtsgüter der §§ 284 ff. StGB, die ernsthaft in Betracht kommen, sind lediglich die Verwaltung – die Gewährleistung einer verwaltungsrechtlichen Kontrolle – sowie das Vermögen. Die verwaltungsakzessorische Ausgestaltung der Norm sowie der Wortlaut des § 284 StGB deuten stark auf die Erzwingung der Durchführung des Verwaltungsverfahrens und somit auf die Bestrafung des Verwaltungsungehorsams hin. Nach der hier vertretenen Ansicht handelt es sich bei der Voraussetzung „ohne behördliche Erlaubnis“ um ein negatives Tatbestandsmerkmal. Ist die tatbestandliche Tätigkeit an sich nicht grundsätzlich verboten und nicht in der Gesellschaft missbilligt und verpönt (heute werden Glücksspiele nicht mehr grundsätzlich als moralisch und sittlich verwerflich angesehen), wäre es nicht fernliegend, dass sich die beabsichtigte Normwirkung auf die Durchsetzung der Einhaltung des verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens redu-

224 NK-Gaede, Vorbemerkungen zu §§ 284 ff. Rn. 1; LK-Krehl, Vorbemerkungen zu den §§ 284 ff., S. 1. 225 NK-Gaede, § 284 Rn. 5.

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

ziert. Das bestätigt auch die neueste Rechtsprechung, insofern sie daran festhält, dass sogar das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung einer Erlaubnis/ Bauartzulassung nichts an der Strafbarkeit nach § 284 StGB ändert, solange diese Erlaubnis nicht tatsächlich eingeholt wurde.226 Der Schutz des Vermögens vor Manipulation ist als Rechtsgut einigen Einwänden ausgesetzt. §§ 284 ff. StGB werden ersichtlich von vielen Autoren in der Literatur als ein Fremdkörper im StGB empfunden. Dennoch wurde gezeigt, dass nicht alle Kritikpunkte strikt das Problem der Bestimmung des Rechtsguts betreffen, sondern den Bereich der Straferforderlichkeit und Strafwürdigkeit und der Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes tangieren. Die Kritik an der Einordnung als ein betrugsnahes Vermögensgefährdungsdelikt erscheint zwar angesichts des Wortlauts und der Gesetzessystematik zunächst nicht ganz unerheblich. Danach wäre der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, der Vermögensschutz sei eine begrüßenswerte Nebenfolge, die mit dem primären Zweck der Kontrolle, Lenkung und der Durchsetzung des Verwaltungsgehorsams einhergeht. Damit und mit dem Gedanken des Vermögensschutzes durch Schutz vor Manipulation wird der Rahmen der staatlichen Kontrolle (die allein nicht geeignet ist, die Legitimität einer Strafnorm zu begründen) ausgefüllt, sodass ein grundsätzlich schutzwürdiges und zum Kernkreis der durch Strafrecht geschützten Rechtsgüter gehörendes Gut in den Vordergrund gestellt wird, ohne dass näher auf die Frage der Manipulationsgefahr und -anfälligkeit der (einzelnen) nicht staatlichen Glücksspiele und die Gefährlichkeit der einzelnen Ausgestaltungen eingegangen wird. Allerdings wurde gezeigt, dass die systematische Stellung des § 284 StGB nur mit Vorsicht zu verwerten ist. Außerdem ist nebst der Nähe zum Betrug auch eine gewisse Nähe zum Wucher erkennbar, dessen Strafbarkeit ebenfalls im 25. Abschnitt geregelt ist. Der Gedanke des Schutzes vor Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft weist bereits von der Wortwahl her eine Ähnlichkeit zum Wucher auf. Die Norm setzt jedoch nicht voraus, dass Unerfahrenheit, Leichtsinn oder Jugendlichkeit des Opfers ausgenutzt werden. Diese Fälle wären, wie oben schon gesagt, tatsächlich von § 291 StGB umfasst. Wenn Lange meint, dass solche Merkmale wie auch in § 291 StGB zu Tatbestandsmerkmalen erhoben werden müssen,227 so würde dies nur gelten, wenn es um den Schutz des Vermögens des Spielers im Rahmen der Selbstgefährdung ginge. Laustetter verweist darauf, dass die Glücksspielnormen im Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten Bestandteil des Abschnitts „Von Beschädigung des Vermögens durch strafbaren Eigennutz und Betrug“ waren. Von 1871 bis 1974 hieß der Abschnitt „Strafbarer Eigennutz und Verletzung fremder Geheimnisse“.228 Die Betrugsdelikte wurden abgetrennt, was die §§ 284 ff. StGB nicht betraf. Die Delikte des 25. Abschnitts erfassen jedoch Handlungsweisen, die weder von den §§ 263 ff. StGB noch von §§ 249 ff. 226 227 228

BGH NStZ-RR 18, 214. Lange, GA 53, 9. Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 66.

A. Rechtsgut des § 284 StGB

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StGB oder §§ 253 ff. StGB umfasst sind und daher nicht in den anderen Abschnitten untergebracht werden, aber dennoch dem Vermögensschutz dienen können. Deshalb ist dies kein tauglicher Einwand gegen den Vermögensschutz als Rechtsgut des § 284 StGB. b) Verhältnis der Rechtsgüter zueinander Da im Rahmen des § 284 StGB mehrere Rechtsgüter in Betracht kommen, stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis diese zueinanderstehen. Denkbar wäre, dass der Vermögensschutz, der sich aus dem Wortlaut des Gesetzes nicht eindeutig ergibt, nicht selbstständig und gleichrangig neben dem Schutz des verwaltungsrechtlichen Verfahrens steht, sondern nur mittelbar oder reflexartig erfolgt und deshalb nicht als Strafgrund herangezogen werden kann. Dies wäre damit zu erklären, dass die Pflicht zur Durchführung des Verwaltungsverfahrens bereits verletzt ist, diese Tatsache als das unrechtsbegründende Merkmal eine eigenständige Bedeutung aufweist und mit dem Vermögensschutz keine unmittelbare tatbestandliche Verbindung (zum Beispiel durch die Absicht, das Vermögen zu gefährden oder zu schädigen) besteht.229 Somit wäre bei weiterer Prüfung der Schwerpunkt auf den Verwaltungsschutz zu legen. Dieses Verständnis des Verhältnisses von Verwaltungsschutz und Vermögensschutz würde jedoch zu erheblichen Problemen führen. Der Europäische Gerichtshof führte dazu bereits aus, dass eine strafrechtliche Sanktion wegen einer nicht erfüllten Verwaltungsformalität nicht verhängt werden darf. Beschränkungen können nur aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums und der Einschränkung mittels Verhältnismäßigkeits- und Kohärenzprinzips erfolgen.230 Im Übrigen sprechen dagegen die Argumente, die schon gegen das allgemeine Kontrollinteresse des Staates angeführt wurden. Zudem wird der Verwaltungsungehorsam als Gegenstand des klassischen Ordnungsrechts, nicht als strafbares Fehlverhalten eingeordnet.231 Es könne insbesondere nicht der Zweck des Strafrechts sein, die Befolgung eines jeden verwaltungsrechtlichen Befehls durchzusetzen, da im Verwaltungsrecht auch rechtswidrige Verwaltungsakte wirksam und vollziehbar sind. Zwang zur Befolgung solcher Verwaltungsakte mittels Strafrechts wäre mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar.232 Wiederum kann es zu Strafbarkeitslücken kommen, da der bezweckte Güterschutz durch das Vorliegen einer formell wirksamen, materiell-rechtlich aber rechtswidrigen Erlaubnis nicht erreicht werden kann. Damit 229 Vgl. Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 96. 230 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 2 m.w. N. 231 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 156 f. 232 Haaf, Die Fernwirkungen gerichtlicher und behördlicher Entscheidungen, S. 263.

78

1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

wäre der reine (aber auch der vorrangige) Schutz des Verwaltungsgehorsams für eine strafrechtliche Pönalisierung nicht ausreichend. Es bedarf eines weiteren Zwecks, der gerade mit der Durchführung des Verwaltungsverfahrens geschützt wird. Die Erzwingung der Durchführung des Verwaltungsverfahrens kann in diesem Fall erst im Hinblick auf die bezweckte Überprüfung der Manipulationsanfälligkeit der Glücksspiele überhaupt diskutabel bleiben. Das bedeutet, dass gerade nicht die Verwaltung, sondern das Vermögen primäres Rechtsgut der Norm ist, dessen Schutz durch das verwaltungsrechtliche Verfahren gewährleistet werden soll.

B. Rechtsgut des § 285 StGB Die Bestimmung des Rechtsguts des § 285 StGB ist aufgrund der Pönalisierung des selbstgefährdenden Verhaltens noch schwieriger. Die meisten in § 284 StGB geprüften Rechtsgüter können auch im Rahmen des § 285 StGB mit denselben Argumenten abgelehnt werden. Zum einen soll keine Pönalisierung des Opfers erfolgen, insbesondere nicht im Rahmen einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung (im Hinblick auf die Gesundheit und das Vermögen). Für Laustetter ist auch hier auf den Schutz des Vermögens durch die manipulative Chancenentwertung abzustellen. Es kann sich hierbei sowohl um den Schutz des Vermögens des Veranstalters als auch des Vermögens der Mitspieler vor Manipulationen seitens eines Spielers handeln, da diese kein Risiko der Vermögensgefährdung durch potentielle Manipulationen wissentlich und willentlich eingehen.233 Gerade im Hinblick auf den Veranstalter könnte dies jedoch fraglich sein. § 285 StGB setzt immer noch voraus, dass ein ungenehmigtes öffentliches Glücksspiel vorliegt, an dem der Spieler lediglich teilnimmt. Wenn schon im Rahmen des § 284 StGB vertreten wird, dass einem ungenehmigten Spiel Manipulationsgefahr immanent ist, so stellt sich die Frage, ob der Veranstalter, der die Spielveranstaltung nicht genehmigen lässt und damit womöglich Spielmanipulationen ermöglicht, darauf vertrauen kann, dass das Spiel nicht seitens der Spieler manipuliert werden könnte. Im Rahmen des § 284 StGB ist die Nichteinholung einer Genehmigung und damit Umgehung der staatlichen Kontrolle ein Akt, der die Strafbarkeit gerade begründen soll. Gemäß § 285 StGB macht sich jedoch der Spieler strafbar, von dem die Einholung der Genehmigung gerade nicht abhängt. Haltbar wäre die oben genannte Idee dann nur, wenn man substantiiert behaupten könnte, ein Spieler beteilige sich gerade deshalb an einem unerlaubten Spiel, damit seine Manipulationschancen höher sind. Eine solche Behauptung entbehrt jedoch einer fundierten Begründung und Nachweisbarkeit. Schließlich wäre fraglich, ob eine dem Veranstalter erteilte Genehmigung die Manipulationsgefahr seitens des Spielers beseitigen könnte, das heißt ob der Veranstalter durch Ausgestaltung des Glücksspiels den Anforderungen für den Erhalt der Genehmi233

Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 83.

B. Rechtsgut des § 285 StGB

79

gung entsprechend gleichzeitig die Gewähr dafür übernehmen müsste, dass auch die Spieler keine Chance zur Manipulation des Spiels haben. Schließlich sollte dann noch begründet werden können, warum bei gleicher Schutzrichtung und gleicher Gefahr der Strafrahmen des § 285 StGB deutlich niedriger ist und die Qualifikationen wie zum Beispiel Gewerbsmäßigkeit oder Handeln als Mitglied einer Bande fehlen. Stellt man darauf ab, dass auch der Spieler zahlreiche Manipulationsmöglichkeiten hat (so Laustetter, S. 72 f. in dieser Arbeit) und daher von ihm ebenfalls eine Gefahr ausgeht, so wären auch solche Begehungsweisen nicht fernliegend und daher im Gleichlauf mit § 284 StGB zu regeln. Die Abhängigkeit von der Erfüllung des (objektiven) Tatbestandes des § 284 StGB und die Benennung einer einzigen Handlung „sich beteiligen“ sprechen eher dafür, dass es sich um eine „unterstützende“ Rolle des Täters des § 285 StGB handeln muss. So könnte man meinen, dass der Spieler durch seine Beteiligung andere Personen zum Mitspielen verleitet und damit den Veranstalter in seiner Tätigkeit unterstützt, oder auch dass er durch Inanspruchnahme der entsprechenden Angebote zu Etablierung, Stabilisierung und Wachstum des illegalen Glücksspielmarktes beiträgt.234 Die Erwägung der Verleitung anderer Personen zum Mitspielen benennt jedoch kein Rechtsgut, sondern setzt die Existenz eines solchen voraus.235 Außerdem wird derjenige, der nur zum Schein mitspielt, um andere Mitspieler anzulocken, gerade nicht nach § 285 StGB bestraft.236 Brandl sieht als Rechtsgut der §§ 284 ff. StGB ein unter staatlicher Begrenzung und Kontrolle stehendes Glücksspielwesen an. Aus diesem Blickwinkel wäre die Existenz von § 285 StGB plausibel. Denn neben dem Veranstalter und den ihm nahestehenden Personen unterstützen auch die Spieler durch ihr Verhalten den illegalen Glücksspielmarkt. Mitsch sieht hier eine Parallele zur Strafbarkeit des Rauschmittelbesitzes in § 29 BtMG. Der Rauschgiftkonsument trage dazu bei, dass Drogenhandel profitabel sei und sich deshalb der illegale Drogenmarkt bilde, ausdehne und verfestige.237 Lege man das Prinzip zugrunde, das die Nachfrage das Angebot bestimmt, so müsse man davon sprechen, dass Spieler nicht nur andere Spieler zum Mitmachen, sondern auch die Veranstalter zum Veranstalten der illegalen Glücksspiele verleiten. Das Problem der Selbstgefährdung und des Paternalismus würde sich damit nicht stellen. Auch in dieser Konstellation wäre der geringere Strafrahmen in § 285 StGB erklärungsbedürftig. Jedenfalls passt diese Vorstellung nicht zu den Zwecken, die mit der Schaffung der §§ 284 ff. StGB verfolgt wurden. Geht es um die Verhinderung der Suchtentstehung und -verbreitung oder um den Schutz des Vermögens des Spielers, soll die-

234

Mitsch, Besonderer Teil II, Band 2, 2001, S. 422. NK-Gaede, § 285 Rn. 1; MK-Hohmann, § 285 Rn. 1. 236 RGSt 63, 46; NK-Gaede, § 285 Rn. 3; LK-Krehl, § 285 Rn. 4a; S/S-Heine/ Hecker, § 285 Rn. 2. 237 Mitsch, Besonderer Teil II, Band 2, 2001, S. 422. 235

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1. Teil: Rechtsgüter der §§ 284 und 285 StGB

ser gerade als „Opfer“ geschützt werden. An der potentiellen Opferrolle ändert sich auch nichts, wenn man annimmt, dass der Spieler durch seine Teilnahme zur Etablierung und Stabilisierung des illegalen Glücksspielmarktes beiträgt.238 Eine gleichzeitige Pönalisierung des Opfers ist dem StGB fremd. Im Rahmen der Diskussion um eine mögliche teleologische Reduktion des Tatbestandes für den Fall, dass ein verdeckter Ermittler an einem illegalen Glücksspiel teilnimmt, wird deutlich, dass zum Teil hier als Rechtsgut das staatliche Kontrollinteresse angesehen wird. Zum einen wird hier eine teleologische Reduktion befürwortet mit dem Argument, dass in Fällen, in denen gerade zur Überführung der Täter oder zur Aufrechterhaltung der Tarnung mitgewirkt wird, keine Schutzzwecke der Norm beeinträchtigt werden können, da die Mitwirkung das staatliche Kontrollinteresse nicht beeinträchtige. 239 Es wurde jedoch bereits gezeigt, dass das staatliche Kontrollinteresse zwar ein Motiv für die Schaffung von §§ 284 ff. StGB sein konnte, jedoch kein Rechtsgut.240 Außerdem ist dieses Ergebnis vom Wortlaut der Norm nicht tragbar und durch die Auslegung nicht erzielbar.241 Somit ist es außerordentlich schwierig, im Rahmen des § 285 StGB ein Rechtsgut zu bestimmen. Hier könnte lediglich auf den Schutz der Verwaltung oder der staatlichen Kontrolle abgestellt werden, die durch die Unterstützung des Täters im Sinne des § 284 StGB ebenfalls tangiert werden. Dennoch wäre dies auch nach der weniger strengen Ansicht des Bundesverfassungsgerichts kein zulässiger Grund der Pönalisierung. Daher sollte die Norm gestrichen werden.242

238 LK-Krehl, § 285 Rn. 1; MK-Hohmann, § 285 Rn. 1; Mitsch, Strafrecht Besonderer Teil II, Band 2, 2001, S. 422. 239 S/S-Heine/Hecker, § 285 Rn. 3; S/S/W-Rosenau, § 285 Rn. 4; Hund, NStZ 93, 572. 240 NK-Gaede, § 285 Rn. 5. 241 LK-Krehl, § 285 Rn. 3. 242 So auch S/S-Heine/Hecker, § 285 Rn. 1; MK-Hohmann, § 285 Rn. 2; NK-Gaede, § 285 Rn. 1; LK-Krehl, § 285 Rn. 1; M/T-Wietz/Matt, § 285 Rn. 1.

2. Teil

Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen Die Frage nach der Legitimität einer Strafnorm erschöpft sich nicht in der Feststellung des Schutzes eines anerkannten Rechtsguts. Es bleibt weiterhin die Frage bestehen, ob die in einer Strafnorm enthaltenen freiheitsbegrenzenden Veroder Gebote bestimmten Verhaltens geeignet, erforderlich und angemessen erscheinen und ob eventuell bestehende vorstrafrechtliche Regelungen bezüglich der Verhaltensweisen so gewichtig sind, dass die Notwendigkeit einer strafrechtlichen Absicherung besteht, indem Verletzungen dieser Ver- oder Gebote mit Strafe geahndet werden. Zur Beantwortung dieser Fragen ist nicht zuletzt die Betrachtung der Deliktsstruktur einzubeziehen.1 Eine gewisse Leitfunktion für die Beurteilung der Legitimität der in Frage stehenden Delikte kann nach Frisch dem Kernbereich des bestehenden Strafrechts zukommen: „Es geht ja nicht darum, ein Strafrecht gewissermaßen von Grund auf neu zu entwerfen und sich zu diesem Zweck – weil sonst nichts vorhanden ist – des Leitkriteriums zu versichern. Die – auch unter methodischem Aspekt – zur Kenntnis zu nehmende Ausgangssituation ist eine andere: Sie ist dadurch gekennzeichnet, dass wir über ein ausgeformtes Strafrecht längst verfügen und es lediglich um dessen adäquate Weiterführung und um gewisse Änderungen geht. Weite Teile dieses Strafrechts, nämlich dessen Kernbereiche, sind dabei hinsichtlich ihrer Adäquität (also: des Einsatzes von Strafe als Reaktion auf gewisse Rechtsverletzungen) ganz unangefochten. [. . .] Dieser Ausgangsbefund ist – unter methodischem Aspekt – auch bei Reflexionen über neue Pönalisierungen und über gewisse schon vorhandene, möglicherweise problematische Pönalisierungen zu berücksichtigen [. . .].“ 2 In diesem Teil werden die allgemeinen Konzepte der Strafbarkeitsbestimmung und -begrenzung dargestellt. Dabei wird gezeigt, dass die Konzepte der Bestimmung des strafbaren Bereichs in der Rechtsprechung und in der Strafrechtswissenschaft sich teilweise stark unterscheiden. Ein besonderer Streitpunkt liegt in der Anerkennung der strafrechtswissenschaftlichen Rechtsgutslehre. Dennoch weisen diese Konzepte ebenso Gemeinsamkeiten auf, sodass sich dann die Frage 1 Frisch, Rechtsgut, Recht, mation staatlichen Strafens, S. 2 Frisch, Rechtsgut, Recht, mation staatlichen Strafens, S.

Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legiti223, S. 222 Fn. 34. Deliktsstruktur und Zurechnung im Rahmen der Legiti232 f.

82

2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

stellt, ob sie nicht miteinander harmonisiert werden können. Auf diese Frage wird am Ende dieses Teils der Arbeit eingegangen. Anschließend wird ein einheitliches Konzept für die Überprüfung der Legitimität des § 284 StGB herausgearbeitet.

A. Allgemeine Kriterien zur Bestimmung und Begrenzung des Bereichs der strafbaren Handlungen I. Aufgabe des Strafrechts Im Allgemeinen könnte man sagen, dass die Aufgabe des Strafrechts in der Verbrechenskontrolle liegt.3 Zum Zwecke eines friedlichen Zusammenlebens ist die Regelung menschlicher Beziehungen, die Ahndung sowie auch Verhütung von strafbaren Handlungen unverzichtbar. Im Einzelnen herrscht hingegen bis heute keine Einigkeit über die Zielbestimmung des Strafrechts. Zum einen wird die Aufgabe des Strafrechts, um nur einige Beispiele zu nennen, im Schutz von Rechtsgütern vor Verletzung oder Gefährdung4 gesehen, zum anderen wird sie als „Generalprävention durch Einübung in Normanerkennung“,5 als „Schutz der elementaren Gesinnungs- (Handlungs-)Werte und darin eingeschlossen der Schutz der einzelnen Rechtsgüter“ 6 oder auch als „Schutz der für den Bestand unserer staatlichen Gesellschaft erforderlichen sozialen Funktionen und Wirkungsmechanismen“7 beschrieben.8 In jedem Fall kann daraus jedoch noch nicht die Legitimität einzelner strafrechtlicher Normen abgeleitet werden. Da es zum Beispiel auch im Ordnungswidrigkeitenrecht um den Schutz von Rechtsgütern geht,9 müsste zunächst geklärt werden, ob das fragliche Rechtsgut einer strafrechtlichen Absicherung durch Androhung einer Kriminalstrafe bedarf, und bei Bejahung dieser Frage, wie dieser Schutz konkret auszugestalten ist. Auch kann die Normstabilisierungsfunktion allein nicht die Legitimität einzelner konkreter Strafnormen erklären, denn sie garantiert nur, dass die Erwartungen, die zum Funktionieren des sozialen Lebens unabdingbar sind, im Falle ihrer Enttäuschung nicht preisgegeben werden müssen. Die Normgeltung ist daher das auf die Insti3

MK-Joecks/Erb, Einl. Rn. 28. S/S-Eisele, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 8 spricht hier allgemeiner von einer Rechtsgutsbeeinträchtigung; MK- Joecks/Erb, Einl. Rn. 28; Kindhäuser/Hilgendorf, Strafgesetzbuch, Vor § 1 Rn. 13; Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 26; Wessels/ Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeiner Teil, S. 3; Baumann/Weber/Mitsch/Eisele, Strafrecht Allgemeiner Teil, Teil 1, § 2 Rn. 8. 5 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 1. Abschn. Rn. 15. 6 Welzel, Das deutsche Strafrecht, S. 4. 7 Rudolphi, Die verschiedenen Aspekte des Rechtsgutsbegriffs, in: FS für Honig, S. 164 f. 8 Noch mehr Beispiele finden sich zum Beispiel bei Stratenwerth, Zum Begriff des „Rechtsguts“, in: FS für Lenckner, S. 378 ff. 9 Zum Beispiel Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 34. 4

A. Allgemeine Kriterien

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tution des Strafrechts bezogene „Strafrechtsgut“. Davon zu unterscheiden ist das Rechtsgut als Schutzgegenstand einer konkreten strafrechtlichen Norm.10 Deshalb bleibt bei jedem Verständnis der Aufgabe des Strafrechts die Frage bestehen, wann und in welchem Umfang der strafrechtliche Schutz unentbehrlich ist. Bei der Beantwortung dieser Frage darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die Kriminalstrafe die schwerste Strafe darstellt. Deshalb darf der Umfang des strafrechtlichen Schutzes nicht beliebig ausgedehnt werden. Im Übrigen wird die Frage, anhand welcher Kriterien die Notwendigkeit und der Umfang des strafrechtlichen Schutzes zu bestimmen sind, in der Strafrechtswissenschaft und in der Praxis nicht immer einheitlich beantwortet.

II. Verfassungsrechtliche Anforderungen Seit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes muss die Gesetzgebung bei der Schaffung von Strafgesetzen in erster Linie die verfassungsrechtlichen Vorgaben beachten, die jedenfalls einen Mindeststandard für die Gesetze festlegen.11 Fraglich ist allerdings, inwiefern die Verfassung darüber hinaus eine taugliche Handlungsdirektive dem Gesetzgeber an die Hand geben kann. 1. Bestimmtheitsgrundsatz und Schuldprinzip Das Bestimmtheitsgebot und das Schuldprinzip stellen die ersten Schranken für die Gesetzgebung dar, die bei jedem Strafgesetz eingehalten werden müssen.12 Zu untersuchen ist jedoch, inwieweit sie eine strafbarkeitsbegrenzende Wirkung entfalten. a) Strafbarkeitsbegrenzendes Potential des Bestimmtheitsgebots Nach Art. 103 Abs. 2 GG kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit „gesetzlich bestimmt“ war, bevor die Tat begangen wurde. Der Einzelne soll von vornherein wissen können, was strafrechtlich verboten ist, damit er in der Lage ist, sein Verhalten danach auszurichten.13 Das in Art. 103 Abs. 2 GG festgehaltene Bestimmtheitsgebot enthält hiermit jedoch keine Aussage über die mögliche inhaltliche Reichweite von Strafgesetzen. Der Bestimmtheitsgrundsatz entfalte zwar Wirkung sowohl für den Tatbestand als auch für die Strafandrohung.14 Im Hinblick auf die Normen des Beson10

Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2. Abschn. Rn. 7. Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 253; Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 140. 12 Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 142, 145. 13 BVerfGE 48, 56. 14 BVerfGE 85, 73; BVerfGE 86, 311. 11

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

deren Teils des Strafgesetzbuchs diene der Bestimmtheitsgrundsatz der Sicherung des Erlasses nur solcher Strafnormen, die es dem Bürger ermöglichen, strafrechtlich relevantes Verhalten zu erkennen.15 Diese Anforderungen betreffen erkennbar nur das „Wie“ der Strafbarkeit, sagen jedoch nichts darüber aus, welches Verhalten überhaupt für strafbar erklärt werden darf.16 Des Weiteren wird durch diese Norm das Gebot der Gewaltenteilung bestärkt, indem dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber die Entscheidungsprärogative über die Strafbewehrung und den Rahmen der Strafandrohung überlassen wird. Dies führt jedoch zu einer starken Zurückhaltung des Bundesverfassungsgerichts bei der Überprüfung von Strafnormen, da das Gewaltenteilungsprinzip den Richtern weitgehend untersagt, die Entscheidungen des Gesetzgebers zu korrigieren.17 Das Gericht kann und muss allerdings die Begriffe des Gesetzes auslegen und deuten.18 Dieser Befugnis kann die Relevanz nicht abgesprochen werden, denn die Schwäche des Bestimmtheitsgrundsatzes liegt darin, dass eine sprachlich präzise Erfassung aller denkbaren Einzelfälle nur selten möglich ist. Der Gesetzgeber ist gezwungen, auf unbestimmte Rechtsbegriffe und abstrakte Formulierungen zurückzugreifen. Gewisse Verallgemeinerungen und Typisierungen sind unumgänglich19 und müssen auch vom Gericht hingenommen werden, solange die Norm noch einer Auslegung zugänglich ist.20 Dadurch wird nicht die Prüfung der generellen strafbewehrten Verhaltensnorm in den Vordergrund gerückt, sondern erst ihre konkrete Anwendung im Einzelfall. Geht es somit um die sprachliche Bestimmtheit einer Strafnorm, so kann „auch ein Strafgesetz, das völlig harmlose Verhaltensweisen unter Androhung harter Strafen verbietet, [. . .] vollkommen klar und bestimmt formuliert werden, dem Bürger damit in optimaler Weise Verhaltenssicherheit geben und auf diese Weise auch dem Bestimmtheitsgebot entsprechen“.21 Die Genauigkeit der Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens leidet ferner unter der praktischen Notwendigkeit, die Tatbestände so zu gestalten, dass diese für künftige Bedürfnisse offen bleiben und sich flexibel neuen Verhältnissen anpassen können.22 Das Bestimmtheitsgebot ist somit „materiell blind“23 und greift als verfassungsrechtliche Grenze erst ein, nachdem der Gesetzgeber sich für ein 15

MK-Schmitz, § 1 Rn. 6. BVerfG NJW 95, 248; Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 143; Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 369. 17 Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 144. 18 Appel, Verfassung und Strafe, S. 118. 19 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 368. 20 Vgl. BVerfGE 48, 56 f.; BVerfGE 78, 389. 21 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 369. 22 Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 214. 23 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 16. 16

A. Allgemeine Kriterien

85

strafrechtlich bewehrtes Verbot entschieden hat.24 Es wird nur in extremen Einzelfällen dazu kommen, dass das Gericht eine Strafnorm wegen mangelnder Bestimmtheit zurückweist. Bevor ein solches Verdikt ausgesprochen wird, wird der Tatbestand mithilfe verfassungskonformer Auslegung25 oder Förderung strafprozessualer Opportunität26 in den meisten Fällen doch noch „gerettet“.27 Da es dem Bundesverfassungsgericht genügt, dass die Strafgesetze bestimmbar sind und durch die Auslegungspraxis bestehende Unbestimmtheiten konkretisiert werden können,28 wird davon gesprochen, dass dem Gesetzgeber damit ein Freibrief erteilt werde.29 Fraglich ist nur, ob damit die Pflicht dem Bürger gegenüber, Strafgesetze so zu gestalten, dass er sein Verhalten danach ausrichten kann, erfüllt wird, denn die einzelfallbezogene Auslegungspraxis kann ihm durchaus auch verborgen bleiben.30 Schließlich könnte man sich angesichts dieser Praxis die Frage stellen, ob damit nicht dennoch das Prinzip der Gewaltenteilung verletzt wird, indem die Richter die Aufgabe der (zum Teil weitläufigen) Präzisierung der Tatbestandsmerkmale anstelle des Gesetzgebers übernehmen. b) Strafbarkeitsbegrenzendes Potential des Schuldprinzips Das Schuldprinzip „nulla poena sine culpa“ besagt, dass für sein Handeln nur bestraft werden kann, wem dieses vorwerfbar ist. Dieses Prinzip hat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Verfassungsrang und wird auf das Rechtsstaatsprinzip,31 die Menschenwürdegarantie und die Eigenverantwortlichkeit des Menschen (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG)32 gestützt. Dementsprechend ist der Gesetzgeber bei der Schaffung von Strafnormen sowohl im Hinblick auf die Voraussetzungen der materiellen Strafbarkeit als auch auf die Gestaltung des Strafrahmens daran gebunden.33 Zum einen darf eine strafrechtliche oder eine strafrechtsähnliche Ahndung nur bei Vorliegen von Schuld erfolgen (Strafbegründungsschuld)34 und zum anderen bedarf es einer sachgerechten Abstimmung von Tatbestand und Rechtsfolge, damit dem Gebot der schuldangemessenen Strafe im konkreten Fall Genüge getan werden kann (Strafzumessungsschuld).35 Die Strafbegründungsschuld sagt im Hinblick auf ihre die Ent24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Böse, Grundrechte und Strafrecht als „Zwangsrecht“, S. 91 Fn. 17. Zum Beispiel BVerfGE 92, 13 ff. BVerfGE 90, 145 ff. Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 221. Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 220 Fn. 96. Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 7; Noltenius, ZJS 09, 21. Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 220 Fn. 96. BVerfGE 20, 331. BVerfGE 45, 259 ff.; BVerfGE 90, 185. Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 145. BVerfGE 6, 439; BVerfGE 95, 140; Appel, Verfassung und Strafe, S. 110. BVerfGE 20, 331; BVerfGE 86, 313; Appel, Verfassung und Strafe, S. 111.

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

scheidungsfreiheit des Gesetzgebers begrenzende Funktion jedoch nur aus, dass ein Täter nur für das ihm persönlich vorwerfbare Verhalten bestraft werden darf. Anderenfalls liegt ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG vor, da die Vernachlässigung der Persönlichkeit des Einzelnen, insbesondere wenn dieser sich in einem defizitären, die freie Willensentscheidung ausschließenden Zustand befindet, zu einer „Verobjektivierung“ des Täters führt.36 Die Auswirkung dieses Grundsatzes ist in dem Verbot von Schuldvermutungen zu sehen; im Übrigen greift das Gericht bei der Prüfung des Inhalts der Strafnormen das Schuldprinzip nicht mehr explizit auf.37 Das Schuldprinzip weist keinen materiellen Gehalt auf, der über die Verantwortlichkeit für das kriminelle Verhalten trotz Möglichkeit des Andershandelns hinausgeht.38 Auf dieser Ebene wird das Schuldprinzip andererseits nicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ersetzt werden können. Denn fehlende Schuld bedeutet hier eine grundsätzliche Sperre für das staatliche Strafen,39 da die Strafbegründungsschuld hierfür eine „zwingende und einer Abwägung nicht zugängliche verfassungsrechtliche Voraussetzung“40 darstellt. In der Literatur gab es zwar Bemühungen, die Funktion des Schuldprinzips auch als das für den Gesetzgeber verbindliche Instrument zur Abgrenzung zwischen Kriminalunrecht und bloßem Verwaltungsungehorsam zu begründen.41 Das Bundesverfassungsgericht folgt diesem Vorschlag jedoch nicht. Der Bereich von interessenschädigenden Verhaltensweisen, die dem Ordnungswidrigkeiten- oder dem Verwaltungsrecht zugewiesen wird, wird nur anhand der Unrechtsbedeutung des Verhaltens bestimmt.42 2. Der verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Die andere Schranke für das staatliche Handeln ergibt sich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip. Dieses besagt, dass die Staatsgewalt nicht über Gebühr in die Grundrechte der Bürger eingreifen darf. Die Schranken für strafrechtliche Grundrechtseingriffe werden damit aus der Abwehrfunktion der Grundrechte unter Berücksichtigung allgemeiner rechtsstaatlicher Garantien bestimmt.43 Da in der Praxis sich die Prüfung von Strafgesetzen kaum von der Prüfung sonstiger Normen unterscheidet, kommt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz bei der Prüfung strafrechtlicher Ver- oder Gebote eine gesteigerte Bedeutung zu. 36 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 272. 37 BVerfGE 9, 169 f.; Appel, Verfassung und Strafe, S. 111; Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 145. 38 Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 253. 39 Frisch, NStZ 13, 250. 40 Appel, Verfassung und Strafe, S. 523. 41 Siehe Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 250 f. m.w. N. 42 BVerfGE 80, 255 f. 43 Swoboda, ZStW 122 (2010), 44 f.; Starck, JuS 81, 246.

A. Allgemeine Kriterien

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a) Bezugspunkt für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines Strafgesetzes Grundsätzlich unterscheidet das Bundesverfassungsgericht bei der Prüfung der Vereinbarkeit der Normen mit dem Grundgesetz zwischen Verhaltens- und Sanktionsnormen.44 Auch Strafgesetze können als Verhaltensnormen und als Sanktionsnormen interpretiert werden. Verhaltensnormen sind Verbotsnormen, die die Tatbestandsverwirklichung durch ein Tun untersagen, und Gebotsnormen, die ein Tun zur Verhinderung einer sonst eintretenden Tatbestandsverwirklichung vorschreiben. Sanktionsnormen bauen auf den Verhaltensnormen auf und nennen Voraussetzungen, unter denen jemand strafrechtlich verfolgt und bestraft werden kann.45 Der Adressat der Verhaltensnorm ist jedermann, wohingegen sich die Sanktionsnormen an die Staatsanwaltschaft und Gerichte richten.46 Zu entscheiden ist deshalb, ob auch bei Strafgesetzen keine Abkehr von der getrennten Prüfung der Verhaltens- und der Sanktionsnorm begrüßenswert erscheint oder ob ein Strafgesetz doch als Ganzes betrachtet werden muss. Von der Unterscheidung zwischen der Verhaltens- und der Sanktionsnorm im strafrechtlichen Zusammenhang sprach zunächst Binding, wenn auch in einem anderen systematischen Kontext.47 In der von Binding entwickelten Normentheorie, die das Herzstück seiner Strafrechtslehre darstellte, sprach Binding von Normen und Strafgesetzen. Dabei sei die Verhaltensnorm gegenüber dem Strafgesetz wesensmäßig selbstständig. Die Verhaltensnorm ist im ersten Teil des Strafgesetzes kontradiktorisch enthalten. Sie ist vom Bestehen des Strafgesetzes deshalb unabhängig, weil sie auch nach der Aufhebung oder Abänderung des Strafgesetzes weiterbestehen können würde.48 Der Täter könne einem Strafgesetz gar nicht zuwiderhandeln, denn er erfülle gerade den Tatbestand oder den ersten Teil eines Strafgesetzes. Das Ver- oder Gebot, das der Täter verletze, sei dem Strafgesetz jedoch vorgelagert und bildet einen eigenständigen Rechtssatz.49 Der Adressat der Verhaltensnorm ist demnach der Bürger, die Sanktionsnorm richtet sich jedoch an den Staat und ermächtigt ihn zur Verhängung einer strafrechtlichen Sanktion.50 Die Unterscheidung zwischen der Verhaltens- und der Sanktionsnorm erlaubt zum Beispiel Schlussfolgerungen darüber, was es bedeutet, strafrechtliche Verantwortlichkeit zuzurechnen und eine Person zu bestrafen.51 Folgt man dieser 44 45 46 47 48 49 50 51

Zum Beispiel BVerfGE 90, 145, 171. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 79. Kindhäuser/Hilgendorf, Strafgesetzbuch, Vor § 1 Rn. 10 ff. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1872, S. 3 ff. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1872, S. 15. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1872, S. 4 ff., 42 ff. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1872, S. 28 ff. Burghardt, Strafrechtliche Normentheorie goes Verfassungsrecht?, S. 60.

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

Unterscheidung, dann geht es bei Ersterem um die Feststellung einer individuell zurechenbaren Pflichtverletzung und bei Letzterem um die daran anknüpfende Bestrafung, die ein anderes Urteil zum Ausdruck bringen muss als andere staatliche Eingriffe in die geschützten Positionen.52 Auch wenn man die Unterscheidung zwischen Verhaltensnormen und Sanktionsnormen in der Strafrechtswissenschaft nicht besonders häufig findet53 und obwohl die Unterscheidung zwischen der Verhaltens- und der Sanktionsnorm durch Binding im strafrechtsdogmatischen Kontext stand, erachtet in der heutigen Zeit ein Teil des Schrifttums diese Unterscheidung auch im verfassungsrechtlichen Kontext als für die Strukturierung der verfassungsrechtlichen Überprüfung von Strafgesetzen hilfreich oder sogar geboten.54 Die Verhängung und die Vollstreckung einer Kriminalstrafe ist – zunächst unabhängig von ihrem Zweck – eine Reaktion auf die bereits begangene Tat. Die durch die Tat verursachte Verletzung von Leben, Körper, Eigentum o.Ä. kann damit nicht rückgängig gemacht werden. Auch die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche führt nicht ausschließlich zur Naturalrestitution. Oft erhält das Opfer nur eine Entschädigung und somit nur einen gewissen Ausgleich für den erlittenen Verlust. Damit der Staat jedoch seinem Schutzauftrag gegenüber den Bürgern umfassend nachkommen kann, soll nicht nur auf bereits eingetretene Verletzungen reagiert werden, vielmehr sollen diese vermieden werden. Die Strategie der Vermeidung ist in die Zukunft gerichtet, indem bestimmtes Verhalten verboten oder im Gegenteil nahegelegt wird, um Verletzungen zu vermeiden. Die Existenz von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten, Normen, die grundsätzlich straflose Vorbereitungshandlungen ausnahmsweise unter Strafe stellen, ist ebenfalls ein Beweis dafür. Der Schutzauftrag des Staates besteht natürlich nicht nur im Hinblick auf die potentiellen Opfer, sondern gilt auch gegenüber den potentiellen Tätern. Sofern das Aussprechen eines Verbots oder eines Gebots bereits zumindest die allgemeine Handlungsfreiheit tangiert, bedarf es schon auf dieser Ebene einer Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs.55 Was durch die Verhängung und die Vollstreckung einer Strafe als Reaktion auf einen Verstoß gegen ein Verbot bzw. Gebot erreicht werden soll, kann als eine davon zu trennende Frage (die Frage nach dem Zweck einer Kriminalstrafe) betrachtet werden, besonders, wenn nicht außer Acht gelassen wird, dass für das Opfer weder durch die Zahlung einer Geldstrafe durch den Täter noch durch die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe eine unmittelbare Wiedergutmachung erreicht wird. Hier steht das Opfer nicht mehr im Vor52

Burghardt, Strafrechtliche Normentheorie goes Verfassungsrecht?, S. 60. Siehe aber zum Beispiel Freund/Rostalski, Strafrecht AT, S. 18 ff.; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, S. 77 f. 54 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 89; MK-Freund, Vorbemerkung zu § 13 Rn. 28; LK-Walter, Vor § 13 Rn. 17 (spricht von Bestimmungs- und Bewertungsnormen); Appel, Verfassung und Strafe, S. 435. 55 Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 24. 53

A. Allgemeine Kriterien

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dergrund. Das Vorliegen eines Rechtsguts sagt jedoch noch nichts darüber aus, inwiefern es strafrechtlichen Schutz genießen dürfe. Appel hält diese Trennung zum Beispiel für „grundlegend“.56 Der Verhaltensnorm alleine könne man nicht entnehmen, ob und inwiefern der Bürger als Normadressat an sie gebunden sei und unter welchen Bedingungen und auf welche Art und Weise er für die Normverletzung verantwortlich gemacht werden könne. Daraus ergebe sich auch noch nicht, wie der Staat auf die Verletzung reagieren dürfe. Der Verhaltensnorm sei keine Ermächtigung zur Verhängung einer Sanktion zu entnehmen. Erst die Sanktionsnorm stelle eine solche Ermächtigungsgrundlage dar. Dementsprechend dürfen im Rahmen der Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit der Verhaltensnorm noch keine Erwägungen zum Strafeinsatz angestellt werden.57 Auf dieser Ebene gehe es erst um die Abgrenzung des Interesses des einen an der Vornahme einer Handlung gegen das Interesse der von dieser Handlung Betroffenen an deren Unterbleiben.58 Die Rechtfertigung der Verhaltensnorm könne isolierte erörterungsbedürftige verfassungsrechtliche Probleme aufwerfen. Insbesondere im Bereich der Fahrlässigkeits- und der Unterlassungsdelikte ist es für den Gesetzgeber nicht selten eine schwierige Aufgabe, den Bereich des zu missbilligenden Verhaltens einzugrenzen. Aber auch im Rahmen vorsätzlicher Delikte kann sich die Frage stellen. Ein Paradebeispiel sei § 240 StGB. Hier sah sich der Gesetzgeber gezwungen, den uferlosen Anwendungsbereich mithilfe des in § 240 Abs. 2 StGB normierten Kriteriums der Verwerflichkeit einzuschränken.59 Erst wenn die Verhaltensnorm verfassungsmäßig ist, kann sie eine taugliche Grundlage für die Strafbewehrung darstellen.60 Umgekehrt hat die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Verhaltensvorschrift zur Folge, dass sie in dieser Form auch nicht in das Polizei- oder Ordnungswidrigkeitenrecht integriert werden könnte.61 Erst nach der Aufstellung einer Verhaltensnorm entscheidet der Gesetzgeber über die Bewehrung dieser Verhaltensanforderung mit einer strafrechtlichen Sanktion. Wie Appel sagt: „[I]m demokratischen Verfassungsstaat gibt es keine geborenen, sondern nur durch den (verfassungsrechtlich gebundenen) Gesetzgeber gekorene Straftaten.“ 62 Dabei sei er nicht an einen vorpositiven Rechtsgutsbegriff oder außerrechtliche Wert- oder Sozialethik etc. gebunden. Dadurch 56

Appel, Verfassung und Strafe, S. 435. Appel, Verfassung und Strafe, S. 434 ff.; Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 82. 58 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 82. 59 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 83 f. 60 Appel, Verfassung und Strafe, S. 434. 61 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 90. 62 Appel, Verfassung und Strafe, S. 452. 57

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

wird schließlich die Rolle des demokratisch legitimierten Gesetzgebers als eine Instanz zur Schaffung der allgemein verbindlichen Rechtsordnung gewahrt.63 Ein großer Verfechter der Unterscheidung ist ferner Lagodny.64 Ab der Mitte der 1980er Jahre besteht diese Tendenz auch in der Rechtsprechung.65 Andere Autoren sehen zwar in dieser Trennung durchaus eine „höchst sinnvolle und analytisch wertvolle Unterscheidung“.66 Dennoch sei eine Strafnorm als eine Einheit zu betrachten. Die Verhaltensnorm an sich sei zunächst nur unspezifisch. Erst durch die Verknüpfung mit einer Strafbewehrung, einer strafrechtlichen Sanktion, entstehe eine Norm, die in den Bereich des Strafrechts fällt.67 Denn nur selten wird bereits die Legitimität des Verbots einer bestimmten Handlungsweise unabhängig von der daran angeknüpften Rechtsfolge zu verneinen sein (so wie zum Beispiel beim Verbot von homosexuellen Handlungen).68 Regelmäßig liege gerade in der Zusammenführung einer bestimmten Verhaltensnorm, die an sich noch nicht zwingend einen engen Bezug zum Strafrecht aufweist, mit einer spezifischen Sanktion, nämlich der der Kriminalstrafe, die Besonderheit des Strafrechts. Genau diese Kombination macht die Strafnormen besonders legitimierungsbedürftig. Die strafrechtliche Sanktion muss eine adäquate Reaktion auf ein bestimmtes Verhalten darstellen.69 Ist die strafrechtliche Sanktion ultima ratio, so könne sie ihre Aussagekraft nur behalten, wenn sie sich auf bestimmte besonders missbilligte Verhaltensweisen und besonders gravierende Verstöße bezieht;70 schließlich weise das Strafrecht fragmentarischen Charakter auf.71 Das verlange wiederum einen negativen Bezug des fraglichen Verhaltens auf die schützenswerten Güter.72 Dieser enge Zusammenhang zwischen dem veroder gebotenen Verhalten und der strafrechtlichen Sanktion als Reaktion auf die

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Appel, Verfassung und Strafe, S. 451. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 6 ff., 77 ff. 65 Burghardt, Strafrechtliche Normentheorie goes Verfassungsrecht?, S. 65. 66 Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 50. Auch Hefendehl spricht von der „analytischen Natur“ der Differenzierung sowie von einem möglichen „analytischen Gewinn“ in: Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 89 und 90. 67 Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 164. 68 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 158 ff. 69 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 85 ff. 70 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 86. 71 NK-Hassemer/Neumann, Vorbemerkungen zu § 1 Rn. 108; Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 6. Zur Kritik an der strafrechtsbegrenzenden Funktion dieses Prinzips Appel, Verfassung und Strafe, S. 409 ff. 72 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 86 f. 64

A. Allgemeine Kriterien

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Missachtung des Ver- oder Gebots wird noch deutlicher zum Beispiel im Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte oder Delikte, die das Handeln ohne die erforderliche Genehmigung unter Strafe stellen. Die Beurteilung der Adäquanz des Einsatzes der Strafe hänge hier noch stärker von der Bedeutung des geschützten Guts und dem Ausmaß von dessen Gefährdung durch das Fehlverhalten ab.73 Beharre man auf der strikten Trennung zwischen Verhaltens- und Sanktionsnorm, so würden spezifisch strafrechtliche Probleme aus dem Blick verloren,74 ohne dass dieses Prüfungsprogramm ein größeres kritisches Potential entfalte.75 Daher müssen die Verhaltens- und die Sanktionsnorm in der Diskussion über Beurteilung der Legitimität eines Strafgesetzes einheitlich betrachtet werden.76 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist danach zu fragen, ob eine Verhaltensanweisung ausgesprochen und ob diese durch die strafrechtliche Sanktion abgesichert werden darf.77 b) Legitimer Zweck Da das staatliche Handeln im Hinblick auf den verfolgten Zweck verhältnismäßig sein muss, ist zunächst das Vorliegen eines legitimen Zwecks festzustellen. Was schützenswerte Güter anbelangt, werden in der verfassungsgerichtlichen Praxis die Anhaltspunkte für den Kernbereich strafrechtlicher Unrechtstatbestände dem Grundgesetz entnommen. Nach der Ansicht des Bundesverfassungsgerichts setzt die Norm- und Werteordnung des Grundgesetzes den gesetzgeberischen Kompetenzen hinreichend Grenzen. Eine weitere, insbesondere strafrechtsspezifische Einschränkung des demokratisch legitimierten und an die Verfassung gebundenen Gesetzgebers bei seiner Entscheidungsfindung will das Bundesverfassungsgericht deshalb nicht anerkennen.78 Dadurch soll gewährleistet werden, dass das verfassungsrechtlich verankerte Demokratieprinzip und die damit einhergehende Freiheit des Gesetzgebers bei der Gesetzgebung nicht beschnitten werden und der Grundsatz des „Vorrangs der Verfassung“ im Bereich des Strafrechts nicht außer Kraft gesetzt wird.79 Die Entscheidung des Gesetzgebers könne daher nur beanstandet werden, wenn dieser eindeutig und zweifelsfrei ver73 Vgl. Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 91 ff., 96 f. 74 Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 50. 75 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 91; so auch Burghardt, Strafrechtliche Normentheorie goes Verfassungsrecht?, S. 74. 76 Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 91; Kudlich, JZ 03, 129; Böse, Grundrechte und Strafrecht als „Zwangsrecht“, S. 91; Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 158 ff. 77 Frisch, NStZ 16, 22. 78 Das wurde zum Beispiel in der berühmten „Inzest-Entscheidung“ sehr deutlich gemacht, BVerfGE 120, 241 f.; so auch Stuckenberg, GA 2011, 653 ff., der die Ablehnung weiterer (insbesondere der Rechtsgutslehre entstammender) Schranken durch das BVerfG als „heilsamen Schock“ (S. 655) bezeichnet. 79 Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 2 f.

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

fassungswidrige Ziele verfolge. Dazu gehören beispielsweise demokratiefeindliche, rassistische, die Menschenwürde verachtende Motive.80 Zu beachten sei ferner die Untergrenze der Strafwürdigkeit. Keiner strafrechtlichen Sanktion sollen bloße Bagatellen oder Verwaltungsungehorsam unterliegen.81 Damit wird die Zwecksetzungskompetenz des Gesetzgebers nur durch die negative Ausgrenzung bestimmter Zwecke, die nicht als „Gemeinwohlinteressen“ ausgewiesen werden dürfen, beschränkt. Eine vorgelagerte positive und verbindliche Bestimmung zulässiger Zwecke findet nicht statt,82 was nicht verwunderlich ist, da die verfassungsrechtliche Werteordnung keine klaren Aussagen darüber ermöglicht, welche Rechtsgüter mit den Mitteln des Strafrechts zu schützen sind.83 Dementsprechend unterstreicht das Bundesverfassungsgericht die Ablehnung der Integration der strafrechtswissenschaftlichen Rechtsgutslehre,84 auf die später noch eingegangen wird, in die Prüfung des legitimen Zwecks. c) Geeignetheit und Erforderlichkeit Nach der Feststellung eines legitimen Zwecks prüft das Bundesverfassungsgericht die Geeignetheit, die Erforderlichkeit und die Angemessenheit der Strafnorm, wobei die Grenzen der Einschätzungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Schaffung strafrechtlicher Normen auch bei der Prüfung der Geeignetheit und der Erforderlichkeit der Strafrechtsnormen nicht enger als bei der Festlegung des Zwecks bestimmt werden, womit sogar fehlende empirische Erkenntnisse überbrückt werden können.85 Da im Vorfeld der Einführung von Strafvorschriften die damit künftig erzielte Rechtstreue der Bürger nicht sicher vorhergesehen werden kann, kann darüber lediglich eine Prognose getroffen werden. Demnach kann nachträglich nur überprüft werden, ob der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, dass die Norm das erstrebte Ziel fördern würde. Eine Fehlprognose muss in einem solchen Fall der Unmöglichkeit der sicheren Einschätzung des Verlaufs in Kauf genommen werden.86 Das Bundesverfassungsgericht bejaht somit nur dann die Ungeeignetheit, wenn das eingesetzte Mittel „objektiv untauglich“,87 erwiese80

Vgl. BVerfGE 90, 175; Swoboda, ZStW 122 (2010), 45. BVerfGE 27, 29. 82 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 143 f. 83 Dazu ausführlicher Grützner, Die Sanktionierung von Submissionsabsprachen, S. 443 ff.; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 245 ff. 84 Kritik dazu Greco, ZIS 08, S. 238. In einem Aufsatz zur Inzest-Entscheidung spricht Greco davon, dass die Ausführungen des BVerfG mit Ausnahme von Teilaspekten des Schutzes der Ehe und Familie und des Rückgriffs auf die Moralvorstellungen keine andere Prüfung vollziehen als die nach der Rechtsgutslehre. 85 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 173. 86 BVerfGE 25, 12 f. 87 BVerfGE 16, 181. 81

A. Allgemeine Kriterien

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nermaßen „objektiv ungeeignet“ 88 oder „schlechthin ungeeignet“ 89 ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein gewähltes Mittel desto eher geeignet sein wird, je umfassender oder weiter die Formulierung der Zwecksetzung ausfällt. Die Frage nach der weiteren Aufrechterhaltung der Norm kann im Rahmen der nachträglichen Kontrolle untersucht werden, für die diverse Hilfsmittel, unter anderem die Kriminalstatistik als Datenzusammenstellung über die registrierte Kriminalität und als Ergänzung die Ergebnisse der Dunkelzifferforschung, zur Seite stehen. Durch die Verpflichtung des Gesetzgebers zur nachträglichen Verifizierung oder Falsifizierung seiner Prognose kann das eventuell fehlerhaft kriminalisierte Verhalten noch rehabilitiert werden.90 Da auch die Beurteilung der Erforderlichkeit aus den Erfahrungen des Gesetzgebers, sogar aus Plausibilitäts- und Praktikabilitätserwägungen erschlossen werden kann, wird die Verneinung der Erforderlichkeit im Fall der Auswahl des schärfsten Mittels durch den Gesetzgeber aufgrund seiner Einschätzungsprärogative nur in Ausnahmefällen die Verfassungswidrigkeit der Verhaltensnorm zur Folge haben.91 Ein solches scharfes Mittel ist beispielsweise auch die Schaffung von abstrakten Gefährdungsdelikten, die keinen Verletzungserfolg und keine konkrete Gefährdung der Rechtsgüter voraussetzen, sondern Verhaltensweisen verbieten, die typischerweise (nach Einschätzung des Gesetzgebers) zur Beeinträchtigung des Rechtsguts führen und daher allgemein missbilligt werden dürfen.92 Aus der Sicht des Gesetzgebers und aus der Opferperspektive erhöht die größere Menge verbotenen Verhaltens die Effektivität des Rechtsgüterschutzes. Dazu tragen auch Verbote von Vorbereitungshandlungen bei. Einen Sonderfall stellen ferner verwaltungsakzessorische Verbote dar. Unter dem Gesichtspunkt des Rechtsgüterschutzes wird man diesen Deliktstypen im Vergleich zu Verletzungsdelikten eine höhere Wirksamkeit zusprechen müssen.93 d) Angemessenheit Schließlich wird eine Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe vorgenommen, damit die Zumutbarkeit der Belastung für den Adressaten des Verbots festgestellt werden kann (Angemessenheit). Auch hier sieht das Bundesverfassungsgericht es als Aufgabe des Gesetzgebers, nicht nur den Bereich strafbaren Handelns festzulegen, sondern auch darüber zu entscheiden, ob der Schutz eines

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BVerfGE 17, 317. BVerfGE 19, 126. 90 Günther, JuS 78, 11. 91 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 180. 92 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 21. 93 Vgl. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 215. 89

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

ihm wesentlich erscheinenden Rechtsguts mittels Strafrechts zu gewährleisten ist (dies ist insbesondere eine Frage der Angemessenheit der Sanktionsvorschrift).94 Dem Gesetzgeber wird auf der Sanktionsebene ein weiter Entscheidungsspielraum bezüglich der Grenzziehung zwischen kriminellem Unrecht und bloßem Ordnungsunrecht, das heißt bei der Entscheidung, ob der Verstoß gegen eine Verbotsnorm als eine Straftat oder als eine Ordnungswidrigkeit anzusehen ist, zugesprochen. Das Bundesverfassungsgericht überprüfe nicht, ob der Gesetzgeber die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat.95 Demnach ist es nicht verwunderlich, dass die verfassungsrechtliche Überprüfung der Legitimität der Strafgesetze durch das Bundesverfassungsgericht erfahrungsgemäß selten zu Beanstandungen führt. Einprägsame Beispiele dazu liefern die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über die Strafbarkeit des Umgangs mit Cannabisprodukten aus dem Jahr 199496 und über die Strafbarkeit des Inzests nach § 173 Abs. 2 S. 2 StGB aus dem Jahr 2008.97 e) Kritik Im Zusammenhang mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in dieser Ausprägung wird bemängelt, dass dem Ultima-ratio-Prinzip keine eigenständige Bedeutung als Legitimitätsanforderung mehr zukommt. Fordert das Gericht die gleiche Wirksamkeit und eine geringere Belastung durch die Alternativmaßnahmen bzw. -folgen, so wird damit nichts anderes formuliert als die Anforderungen an die Erforderlichkeitsprüfung. Zum anderen wird dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative zugestanden, die sich auf die Verfügbarkeit und die Wirksamkeit anderweitiger Maßnahmen sowie die jeweilige Belastungsintensität bezieht. Somit ergeben sich im strafrechtlichen Bereich aus dem Ultima-ratio-Gedanken keine höheren Legitimationsanforderungen als bei anderen staatlichen Eingriffsmaßnahmen.98 Greco formuliert es scharf: „Das ultima-ratio-Prinzip, das mit der Erforderlichkeitskomponente des Verhältnismäßigkeitsprinzips bzw. mit dem Übermaßverbot identisch ist, ist wegen der dem Gesetzgeber zuerkannten Einschätzungsprärogative zahnlos geworden.“99 Kaspar sieht lediglich in der Bezeichnung „ultima ratio“ im Vergleich zu den einzelnen „wenig inhaltsreich klingenden“100 Komponenten der Verhältnismäßigkeit eine stärkere Akzentuierung der besonderen Legitimationsbedürftigkeit des staatlichen Strafens und plädiert 94

BVerfG NJW 08, 1138. BVerfGE 90, 173. 96 BVerfGE 90, 145 ff. 97 BVerfGE 120, 224 ff. 98 Appel, Verfassung und Strafe, S. 142 f. 99 Greco, Verfassungskonformes oder legitimes Strafrecht?, S. 23. 100 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 246. 95

A. Allgemeine Kriterien

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dafür, dass sie „als Postulat weiter aufrechterhalten“ 101 bleibt. Schließlich sagt das Bundesverfassungsgericht selbst, dass der Verhältnismäßigkeitsprüfung der strafrechtlichen Normen eine gesteigerte Bedeutung zukommt.102

III. Strafrechtsspezifische Konzepte In der Strafrechtslehre wird oft entweder bei der Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Verhalten bestraft werden soll, oder bei der Auslegung der Tatbestände des Besonderen Teils mit den Begriffen „Strafwürdigkeit“ und „Strafbedürftigkeit“ hantiert.103 Zudem wird der Rechtsgutslehre zum Teil strafbarkeitsbegrenzender Charakter beigemessen. Diese Kriterien wurden zwar noch in der vorkonstitutionellen Zeit entwickelt, müssen jedoch in der heutigen Zeit nicht schlechthin überholt sein. Insbesondere im Hinblick auf die Kritik bezüglich der Kriterien der Bestimmung der Legitimität von Strafgesetzen in der Praxis könnten diese an Bedeutung gewonnen haben und verdienen deshalb Beachtung. 1. Die Rechtsgutslehre a) Begriff des Rechtsguts Der Begriff des Rechtsguts bzw. das Verständnis des Verbrechens als Rechtsgutsverletzung wurde im Jahr 1834 durch Birnbaums Theorie des Schutzes rechtlicher Güter eingeführt.104 Damit hat Birnbaum die Grundlagen für die moderne Strafrechtsdogmatik geschaffen. Seine Theorie ermöglichte eine präzise Differenzierung zwischen Vollendung und Versuch, zwischen Objektsgefährdung und Objektsverletzung; sie lieferte dennoch keine präzise Beschreibung der strafrechtlich schutzwürdigen Objekte oder des strafwürdigen Verhaltens.105 Im Laufe der Zeit wurden vielfach Versuche unternommen, den Rechtsgutsbegriff zu konkretisieren. Die Spannbreite der vorgeschlagenen Definitionen ist enorm. So wird das Rechtsgut beispielsweise als ein „rechtlich geschütztes Interesse“,106 als „rechtlich geschützter abstrakter Wert der Sozialordnung“,107 als „alle Gegebenheiten oder Zwecksetzungen, die für die freie Entfaltung des Einzelnen, die Verwirklichung seiner Grundrechte und das Funktionieren eines auf dieser Zielvorstellung aufbauenden staatlichen Systems notwendig sind“,108 als „Eigen101 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 246. 102 Zum Beispiel BVerfG NJW 08, 1138. 103 Frisch, GA 17, 364. 104 Rönnau, JuS 09, 210. 105 Swoboda, ZStW 122 (2010), 27 f. 106 v. Liszt, ZStW 6 (1886), 672 f. 107 Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts, AT, S. 257. 108 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 26.

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

schaften von Personen, Sachen oder Institutionen, die der freien Entfaltung des Einzelnen in einer rechts- und sozialstaatlich verfassten demokratischen Gesellschaft dienen“109 beschrieben. Eine einheitliche Definition konnte bislang nicht formuliert werden. Anerkannt ist jedenfalls die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit klassischer Individualrechtsgüter wie Leben, körperliche Integrität und Gesundheit, Eigentum, Freiheit. Bereits aus den oben beispielhaft aufgeführten Definitionen des Rechtsgutsbegriffs ergibt sich zudem, dass neben den Rechtsgütern der Einzelpersonen noch Rechtsgüter der Allgemeinheit (des Staates, der Gesellschaft) bestehen. b) Funktion des Rechtsguts aa) Systemimmanente Funktion Weitgehend wird in der Strafrechtswissenschaft anerkannt, dass dem Rechtsgut die auslegungsanleitende Funktion zukomme. Das Rechtsgut sei Bezugspunkt für die objektiv-teleologische Auslegung. Ein solches Verständnis der Funktion des Rechtsguts ergibt sich insbesondere aus dem methodisch-teleologischen Rechtsgutsbegriff, dessen wichtigste Vertreter Honig und Schwinge waren. Das Rechtsgut war danach der „in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte Zweck in seiner kürzesten Formel“ (Honig)110 und „ratio der Einzelrechtssätze“ (Schwinge)111 und sollte vor allem der Auslegung der Tatbestände dienen.112 Auch nach Binding, bei dem der Begriff „Rechtsgut“ zum ersten Mal auftaucht, war die Gleichsetzung des Rechtsguts mit der ratio legis erkennbar, wenn er das Rechtsgut als „alles, was in den Augen des Gesetzgebers als Bedingung gesunden Lebens der Rechtsgemeinschaft für diese von Wert ist, an dessen unveränderter und ungestörter Erhaltung sie nach seiner Ansicht ein Interesse hat und das er deshalb durch seine Normen vor unerwünschter Verletzung oder Gefährdung zu sichern bestrebt ist“113 definierte. Das Rechtsgut ergab sich also aus den Vorschriften und deren Interpretation.114 Damit sollte sich die Funktion des Schutzobjekts im Bereich der Auslegung und der Systematik des Besonderen Teils erschöpfen.115 In der Zeit des Nationalsozialismus war die Beibehaltung eines methodisch-teleologischen 109

Kindhäuser/Zimmermann, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 2 Rn. 6. Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 94. 111 Worms, Die Bekenntnisbeschimpfung im Sinne des § 166 Abs. 1 StGB und die Lehre vom Rechtsgut, S. 24 Fn. 81 m.w. N. 112 Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S. 21, 32. 113 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Band 1, 1922 (1965), S. 353 ff. 114 Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 26. 115 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 25. 110

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Rechtsgutsbegriffs zumindest eine Alternative zur gänzlichen Eliminierung des Rechtsgutsbegriffs aus dem Strafrechtssystem.116 Jedenfalls verbirgt sich dahinter der Gedanke der Zuweisung uneingeschränkter Macht an den Strafgesetzgeber, um jedes nicht mit dem Regime konforme Verhalten jederzeit und ungehindert unter Strafe stellen zu können. Dieses Ziel konnte nach beiden Ansichten gleicherweise erreicht werden. Einigkeit bestand hinsichtlich der Definition des Verbrechens. Das Verbrechen wurde nicht als Verletzung vorpositiver Güter, sondern als Verletzung gesetzlicher Pflichten verstanden.117 Jedes andere Verständnis des Verbrechens und der Rechtsgutslehre wurde in dieser Zeit als zu liberal angesehen. bb) Systemkritische Funktion Im Hinblick auf die Frage nach der Begrenzung der Entscheidungsmacht des Gesetzgebers ist hingegen die sog. systemkritische Rechtsgutslehre interessanter. Dieses Verständnis der Rechtsgutstheorie hat sich in der Zeit nach 1945 entwickelt, zunächst in der Arbeit von Jäger118 über die Strafgesetzgebung und den Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten und in den 1970-er Jahren bei Hassemer als Ausgangspunkt für seine Konzeption der personalen Rechtsgutslehre.119 Die Vertreter des systemkritischen Rechtsgutsbegriffs versuchen mithilfe des Rechtsguts die strafschutzwürdigen von den strafschutzunwürdigen Interessen zu unterscheiden und somit den Gesetzgeber an ein Entscheidungskriterium zu binden. Dieser Rechtsgutsbegriff ist unabhängig vom positiven Recht, ist ihm vielmehr vorgelagert und richtet sich an den Gesetzgeber selbst. Dem systemkritischen Rechtsgutsbegriff wird materieller Gehalt zugewiesen.120 Er soll sachliche Kriterien für Aufstellung und Kritik von strafrechtlichen Normen liefern,121 das heißt dem Gesetzgeber normativ vorgeben, was er überhaupt bestrafen darf.122 Zugleich bleibt die Funktion des Rechtsguts als Anleitung für die Auslegung positiver Strafbestimmungen erhalten. c) Verbindlichkeitsanspruch der systemkritischen Rechtsgutslehre Nicht nur der Begriff des Rechtsguts sowie seine Funktion stellen bis jetzt heiß diskutierte Streitpunkte dar. Nicht abschließend geklärt ist innerhalb des systemkritischen Rechtsgutsverständnisses auch, ob die Beschränkung des Strafrechts 116 Zum Streit der „Kieler Schule“ und der „Marburger Schule“ siehe Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 31 f. 117 Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 32. 118 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsschutz bei Sittlichkeitsdelikten. 119 Wohlers, Karl Binding und die Rechtsgutstheorie, S. 155. 120 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 219. 121 Appel, Verfassung und Strafe, S. 342 f. 122 Dubber, American Journal of Comparative Law 53 (2005), 685.

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auf den Schutz von bestimmten Rechtsgütern nur kriminalpolitische Bedeutung hat oder dem Gesetzgeber gegenüber verbindliche Wirkung entfaltet. Die Bejahung der zweiten Variante würde dazu führen, dass eine Strafnorm, die ein nicht den Anforderungen der systemkritischen Rechtsgutslehre genügendes Gut schützt, für verfassungswidrig und deshalb nichtig zu erklären wäre. Für die Annahme einer Verbindlichkeit gegenüber dem Gesetzgeber, die eher dem strafbarkeitsbegrenzenden Denken entsprechen würde, müsste jedoch endlich über den Rechtsgutsbegriff und die Rangordnung der Rechtsgüter Klarheit herrschen. Mit dem heutzutage noch höchst umstrittenen Rechtsgutsbegriff kann weder der Gesetzgeber noch ein Gericht etwas anfangen. Rekurriert man auf die Werteordnung der Verfassung, was in einer konstitutionellen Rechtsordnung zwingend erforderlich ist, da die Staatsgewalt an die Verfassung (Art. 1 Abs. 3 GG) gebunden ist, stellt man schnell fest, dass die grundgesetzliche Werteordnung nach dem weiten Grundrechtsverständnis jedes Interesse schützt und damit keine Abgrenzung leistet, welches Interesse strafrechtlich zu schützen ist. Eine von der verfassungsrechtlichen Werteordnung abweichende strafrechtliche Werteordnung würde gegen die Grundrechtsbindung und den Grundsatz des Vorrangs der Verfassung (Art. 1 Abs. 3 GG, Art. 20 Abs. 3 GG) verstoßen.123 Eine weitergehende Bindung des Gesetzgebers ist in der Verfassung nicht verankert. Nur die in der Verfassung verankerten Schranken können das legislative Ermessen bei der Schaffung und Ausgestaltung von Strafnormen eingrenzen. Außerdem kann nur der demokratische Gesetzgeber das Recht an die sich permanent verändernden Bedürfnisse einer demokratisch gefassten Gesellschaft anpassen.124 Die Strafrechtsdogmatik und die Kriminologie können für den Gesetzgeber somit nur Leitpunkte für die zweckmäßigste Bestimmung des Bereichs des Strafbaren liefern; ihre Nichtbeachtung führt aber grundsätzlich nicht zur Verneinung der Rechtmäßigkeit eines Strafgesetzes.125 Daher kann ohne Rücksicht auf den Streit um die Anerkennung der Rechtsgutstheorie gesagt werden, dass diese in ihrer strafbarkeitsbegrenzenden Form jedenfalls keine Nichtigkeit einer Strafnorm begründen könnte. 2. Strafwürdigkeit a) Begriff Der Begriff „Strafwürdigkeit“ wird als ein Wertungselement angesehen.126 Auf dieser Ebene wird geprüft, ob ein Verhalten es „verdient“ oder es „wert“ ist, bestraft zu werden. Aufgrund des Eingriffs in die Rechte des Betroffenen und des 123

Deckert, ZIS 13, 270. BVerfGE 120, 240 ff.; Gärditz, JZ 16, 648. 125 Zipf, Kriminalpolitik, S. 97 f. 126 Frisch, GA 17, 366; Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungsund Strafaufhebungsgründe, S. 243 m.w. N.; ausführlich auch Achenbach, Strafrechtlicher Schutz des Wettbewerbs?, S. 44 ff. 124

A. Allgemeine Kriterien

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Tadelselements der Strafe wird das Verhalten dann als strafwürdig angesehen, wenn es den Eintritt des Übels „Strafe“ verdient, das heißt, wenn es im besonderen Maße unerwünscht und gravierend unwertig ist.127 Unterhalb dieser Schwelle ist die Auferlegung einer Kriminalstrafe ausgeschlossen. b) Einwand gegen die Strafwürdigkeit An diesem Begriff wird oft kritisiert, dass er vage und unbestimmt ist. Zum einen wird das strafwürdige Unrecht beispielsweise als „besonders schwere Erschütterung der sozialen Ordnung“, „eine empfindliche Störung des Rechtsfriedens“, „eine gravierende, besonders schwerwiegende Rechtsgutsverletzung“, „ein hinreichend massiver Unrechtgehalt des gemeinschaftsstörenden Verhaltens“ etc. umschrieben.128 Zum anderen geht es zwar, ganz grob gesprochen, um das Verhältnis der Tat zur Strafe, jedoch werden auch hier unterschiedliche Ansätze gewählt.129 Dadurch wird zum Beispiel von Appel diesem Kriterium durchaus gewisse kriminalpolitische Bedeutung beigemessen, ihm jedoch die Eigenschaft der Strafbarkeitsbegrenzung abgesprochen.130 c) Kriterien für die Bestimmung der Strafwürdigkeit Den Versuch, gewisse Kriterien für die Bestimmung der Strafwürdigkeit zu entwickeln, hat Otto unternommen. Zum einen lässt er durch seine Definition des strafwürdigen Verhaltens als „das Verhalten, das deshalb sozialethisch zu missbilligen ist, weil es geeignet ist, die sozialen Beziehungen innerhalb der Rechtsgesellschaft erheblich zu gefährden oder zu schädigen“131 „bloß lästige oder unerwünschte Verhaltensweisen“132 ausscheiden. Die Erreichung des erforderlichen Grads der Sozialgefährlichkeit oder Sozialschädlichkeit wird anhand der Auseinandersetzung mit den sozialethischen Grundentscheidungen der Gesellschaft und anhand kriminologisch-empirischer Untersuchungen über die realen Möglichkeiten der Realisierung dieser Entscheidungen in konkreten Konfliktsituationen ermittelt. Bei der Bewertung des zu schützenden Rechtsguts komme der Grundrechtsordnung des Grundgesetzes entscheidende Bedeutung zu. Je höher der Rang eines Rechtsguts in der Werteordnung der Verfassung ist, umso eher wird jede erhebliche Gefährdung oder Verletzung dieses Rechtsguts strafwürdig erscheinen. Je geringer dieser Rang ist, desto eher wird es angemes127 Frisch, GA 17, 366 f.; auch Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 255. 128 Dazu umfassend und m.w. N. Appel, Verfassung und Strafe, S. 396; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 237 m.w. N. 129 Appel, Verfassung und Strafe, S. 395 f., 397 ff. 130 Appel, Verfassung und Strafe, S. 400. 131 Otto, Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit, S. 54. 132 Otto, Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit, S. 54 f.

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sen sein, nur einzelne Beeinträchtigungen, die ein besonderes Maß an sozialem Unwert aufweisen (zum Beispiel Täuschung, Drohung, gewaltsamer Einbruch in fremde Rechtsgüter), als strafwürdig anzusehen. Insofern wird die Strafwürdigkeit einer Verhaltensweise durch Handlungs- und Erfolgsunwert bestimmt.133 Eine wichtige Rolle bei der Bestimmung der Strafwürdigkeit spielt auch die Deliktsstruktur mit den spezifischen Anforderungen an ihre Legitimation. Auch Frisch wendet sich gegen die Kritik und zeigt Kriterien auf, deren Erfüllung von einer Straftat sprechen lässt. Zunächst geht es um die Mindestvoraussetzungen einer jeden Straftat. Die erste Mindestvoraussetzung ist das Vorliegen eines von der rechtlichen Verhaltensordnung abweichenden, missbilligten Verhaltens und die Fähigkeit der von der Verhaltensordnung abweichenden Person, sich dieser Ordnung entsprechend zu verhalten.134 Des Weiteren muss angesichts des schweren Tadels der Strafe eine gewisse Schwelle des Strafwürdigen überschritten werden. Solche Schwellenvoraussetzungen können objektiv die Gefährlichkeit des Verhaltens für besonders hochrangige Rechtsgüter, bei anderen Rechtsgütern (auch) eine erhöhte Gefährlichkeit des Verhaltens, der Eintritt schwerer, auf das verbotene Verhalten zurückführbarer Folgen oder die Verletzung einer besonderen Pflichtenstellung sein.135 Subjektiv können die Vorsätzlichkeit der Verletzung (mit Ausnahme besonders wichtiger Rechtsgüter), bestimmte Absichten, die die besondere Gefährlichkeit der Tat kennzeichnen, sowie Einstellungen oder Gesinnungen, die die Tat als besonders verwerflich erscheinen lassen, berücksichtigt werden.136 Die nach diesen Grundsätzen positiv festgestellte Strafwürdigkeit kann sodann in Einzelfällen dennoch entfallen, wenn die Verletzung der rechtlichen Verhaltensordnung in ihrer materialen Unwertigkeit so geringfügig erscheint, dass es unangemessen wäre, mit dem gravierenden Rechtseingriff der Strafe darauf zu reagieren. Im positiven Recht finden sich deshalb häufig Strafausschlüsse, Reduktionen der Strafe oder es wird der prozessuale Weg, zum Beispiel durch die Einstellung, gewählt.137 Ferner arbeitet auch Puschke in seiner Habilitationsschrift klare Strafwürdigkeitskriterien heraus.138 Er unterscheidet zwischen rechtsgutsbezogenen und handlungsbezogenen Kriterien zur Konkretisierung des Unrechtsmaßstabes. 133 Zum Beispiel Otto, Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit, S. 55 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 239. Heute entspricht diese Aussage der herrschenden Meinung. Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit weiteren Ansichten und mit der Begründung der herrschenden Meinung siehe zum Beispiel Mylonopoulos, Über das Verhältnis von Handlungs- und Erfolgsunwert im Strafrecht. 134 Frisch, GA 17, 371. 135 Frisch, GA 17, 372 f. 136 Frisch, GA 17, 372. 137 Frisch, GA 17, 374 f. 138 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 246 ff.

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Im Rahmen der rechtsgutsbezogenen Kriterien kommt es insbesondere auf die Wertigkeit des Rechtsguts an, die anhand der Werteordnung des Grundgesetzes, normativer Vorgabe der allgemeinen Rechtsordnung und gewachsener gesellschaftlicher Institutionen zu bemessen ist.139 Zum anderen sind das Ausmaß des drohenden Schadens und die etwaige Irreparabilität dieses Schadens zu berücksichtigen.140 Schließlich ist auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit der Vornahme schadenshindernder Maßnahmen (auch von Maßnahmen, die noch nach Beginn des Versuchs der Haupttat möglich sind) zu beachten.141 Im Rahmen der handlungsbezogenen Kriterien wird gefordert, dass ein empirisch nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen inkriminierter Handlung und Rechtsgutsverletzung besteht; eine nur generelle Eignung der Handlung zu einer Rechtsgutsverletzung bzw. ihre Förderung oder Ermöglichung reicht noch nicht aus.142 Ferner muss die verbotene Handlung typischerweise die naheliegende Möglichkeit einer Gefahr begründen, das heißt die Handlung darf nicht nur in Ausnahmesituationen gefährlich sein oder nur eine vage, vom Zufall abhängige Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung begründen.143 Somit lässt sich der Begriff der Strafwürdigkeit durchaus präzisieren und kann dementsprechend konkrete Kriterien für die Überprüfung des Verhaltens auf seine Unwertigkeit liefern. Da es sich hierbei um eine Wertung, eine Abwägung handelt, sind die einzelnen Kriterien stets in ein Verhältnis zueinander zu bringen. So kann ein Kriterium zwar schwach ausgeprägt sein, jedoch durch ein intensiver ausgeprägtes Kriterium kompensiert werden. 3. Strafbedürftigkeit a) Begriff Neben der Feststellung der Strafwürdigkeit erfordert der Einsatz der Strafe auch die Strafbedürftigkeit des Verhaltens. Dieses Kriterium unterscheidet sich von dem wertbezogenen Begriff der Strafwürdigkeit, da es hier um eine Zweck-

139 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 246. 140 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 247. 141 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 247 f. 142 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 253. 143 Vgl. Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 253. Puschke untersucht die Legitimationskriterien für Vorbereitungsdelikte. Für abstrakte Gefährdungsdelikte so ausdrücklich Graßhof, abw. Meinung zu BVerfGE 90, 145 ff., 205.

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

Mittel-Relation geht.144 Die Strafe muss erforderlich sein, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Die Beurteilung richtet sich jedoch nicht nur nach dem Unwertgehalt der Tat.145 Strafrechtliche Mittel dürfen zum einen nur dann zum Einsatz kommen, wenn ein Unwert verwirklicht wurde, der Strafzweck nicht mit anderen Mitteln erreicht werden kann; sie sind ferner ausgeschlossen, wenn der Zweck auch durch eine Bestrafung nicht zu erreichen ist.146 Im Hinblick auf die anderen Mittel kommen zunächst zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Maßnahmen in Betracht (Schadensersatz, Geldbußen, Auflagen, präventive Genehmigungsvorbehalte oder Ähnliches). Die Erreichung des Strafzwecks kann jedoch auch ohne weitere Sanktionen durch die Rückkehr des Täters zur Legalität erreicht werden (zum Beispiel durch Rücktritt).147 Die Notwendigkeit oder das „Bedürfnis“ der Bestrafung kann auch dann entfallen, wenn andere mögliche bzw. bereits existierende alternative strafrechtliche Verbote in Betracht kommen, das heißt die Pönalisierung einer bestimmten Verhaltensweise ist dann nicht notwendig, wenn andere, weniger eingriffsintensive Strafnormen eine vergleichbare rechtsgüterschützende Wirkung erzielen.148 Demnach werden abstrakte Gefährdungsdelikte grundsätzlich einen intensiveren Eingriff in die Rechte des Beteiligten herbeiführen als konkrete Gefährdungsdelikte oder gar Verletzungsdelikte. Das bedeutet wiederum, dass ein abstraktes Gefährdungsdelikt dann legitimiert wäre, wenn das Verbot der konkreten Gefährdung oder Verletzung nicht ausreichend wäre. Regelmäßig wird davon auszugehen sein, dass solche Verbote genügend sind. Dennoch wird das Verbot einer nur gefährlichen Handlung dann nicht überflüssig sein, wenn die Motivation dieser Handlung sich von der Motivation, die die konkrete Gefährdung oder Verletzung eines Rechtsguts trägt, unterscheidet.149 An dem Verständnis der „Bedürftigkeit“ als Prüfung des möglichen Einsatzes milderer Mittel wird häufig kritisiert, dass dieses kaum die Begrenzbarkeit des

144 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 243. 145 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 243. 146 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 244 ff. 147 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 246; Frisch, GA 17, 374 f. 148 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 232. Puschke spricht zwar von der Unangemessenheit der Pönalisierung. Dies beruht aber darauf, dass er die „Strafbedürftigkeit“ als ein Element der „Strafwürdigkeit“ ansieht, S. 138. 149 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 234.

A. Allgemeine Kriterien

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Strafbaren gewährleisten kann.150 Dies hänge jedoch mit dem Verständnis der Strafe als „ein der Tat folgendes Übel oder ein [. . .] Rechtseingriff wegen der Tat mit dem Zweck der Normstabilisierung“151 zusammen. Denn die Verbindung der Tatbegehung mit einem ahndenden Übel werde im Verhältnis zum Verzicht auf derartige Normstabilisierung einen mehr oder weniger großen Personenkreis erreichen und diesen durch die Androhung eines solchen Übels zusätzlich zur Unterlassung motivieren.152 Eine höhere Effektivität könne jedoch durch die Loslösung von dem üblichen Verständnis des Bestrafungszwecks erreicht werden. Sieht man die in der Bestrafung wegen der begangenen Tat liegende Bestätigung der Normgeltung, die der Täter durch seine Tat in Frage gestellt hat und die durch die Bestrafung der Tat gegen die Gefahr einer Erosion geschützt wird, als Strafzweck an, so würde die „Bedürftigkeit“ das durch die Strafe zu befriedigende Bedürfnis der Bestätigung der Normgeltung auf Kosten des Täters durch Tadel und Rechtseingriff bedeuten.153 Die „Bedürftigkeit“ entfiele also dann, wenn man den Verlust von gewissen, bei ihrem Einsatz erzielbaren Vorteilen für Güter hinnehmen könnte oder angesichts des Gewichts der Rechtsfolge „Strafe“ auch hinnehmen müsste.154 Freilich führt dieses Verständnis des Strafbedürftigkeitsbegriffs zu einer Annäherung an den Begriff der Strafwürdigkeit, denn damit wird die Abwägungserforderlichkeit herbeigeführt und eine weitgehende Deckung mit dem Begriff der Strafwürdigkeit erreicht.155 Dem ist entgegenzuhalten, dass die Strafbedürftigkeit dabei ihre Zweckmäßigkeitskomponente nicht verliert. Unabhängig von dem Begriffsverständnis geht es hier vorrangig um eine Zweckerreichung, nämlich die Erreichung des Zwecks, der mit der Strafverhängung verfolgt wird.156 Strafbedürftigkeit kann auch ohne die Bejahung der Strafwürdigkeit bejaht werden, wenn es ausnahmsweise der Strafe zur Durchsetzung vielfach verletzter Normen bedarf, obwohl das Verhalten den in der Strafe liegenden gravierenden Rechtseingriff nicht verdient. Schließlich kann auch ein Ver-

150 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 77. 151 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 78. 152 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 78; Appel, Verfassung und Strafe, S. 400. 153 Frisch, GA 17, 367. Wie bereits angedeutet, wird für diese Begriffsbestimmung eine andere Definition der Straftat und des Strafzwecks notwendig sein. Zum ideellen Verständnis der Straftat Frisch, GA 15, 67 ff., zu Veränderungen im Bereich der Straftheorie und zugleich zur Kritik an „alten“ Theorien Frisch, GA 15, 69 ff. und zur Begründung der neuen Theorie Frisch, GA 15, 75 ff. 154 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 78; Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 194 f. 155 Appel, Verfassung und Strafe, S. 404. 156 Vgl. Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 245.

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halten strafwürdig sein, ohne strafbedürftig zu sein,157 wenn zum Beispiel der Zweck der Strafe auch mit ihrer Verhängung nicht erreicht werden kann oder bereits erreicht wurde oder mit milderen Mitteln erreicht werden kann.158 Zum Teil wird von der Strafbedürftigkeit gar nicht als einem eigenen Element gesprochen, sondern als von der Zweckmäßigkeitskomponente der Strafwürdigkeit (neben der normativen Komponente der Gerechtigkeit).159 Zum Teil wird zwischen diesen Begriffen gar nicht sauber unterschieden.160 Dies ändert jedoch nichts an der zu Beginn dargelegten Unterscheidung zwischen Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit als zwischen Unwertigkeit des Verhaltens und der Zweckmäßigkeit der Bestrafung. b) Selbstschutz des Opfers als ein die Strafbedürftigkeit ausschließendes Kriterium Eine umstrittene Frage ist, ob bei der Suche nach milderen Mitteln auch der Opferselbstschutz zu berücksichtigen ist. Der Gedanke der Anerkennung des Opferselbstschutzes ist eng mit der Suche nach der Begrenzungsmöglichkeit des Strafrechts verbunden. Denn die Vertreter dieses Ansatzes, der seine Legitimationsgrundlage in der Viktimologie findet, würden die Strafbedürftigkeit grundsätzlich verneinen können, wenn das Opfer für den Schutz eigener Güter selbst sorgen könnte und im Falle des Unterlassens des Selbstschutzes seine Schutzbedürftigkeit verliert.161 Zunächst würde sich dies auf der Ebene der Gesetzgebung auswirken. Die Befürworter des viktimodogmatischen Ansatzes sehen den Gesetzgeber verpflichtet, diesen Grundsatz zu beachten. Bestehen Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers, sollte ein Tatbestand nicht eingeführt bzw. ein bereits bestehender Tatbestand eliminiert werden.162 Freilich bezweifelt Hörnle, dass die Sinnhaftigkeit eines Straftatbestandes in der Praxis oft zu diskutieren sein wird. Da die Straftatbestände höchst abstrakt formuliert sind, werden wohl in den meisten Fällen auch diejenigen Verhaltensweisen erfasst sein, die das Opfer durch Selbstschutzmaßnahmen nicht abwehren kann. Dennoch ist es nicht ausgeschlos157 Vgl. Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 243. 158 Bloy, Die dogmatische Bedeutung der Strafausschließungs- und Strafaufhebungsgründe, S. 246. 159 Zum Beispiel NK-Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 53; Meyer, ZStW 115 (2003), 276. 160 Dazu genauer Alwart, Strafwürdiges Versuchen, S. 55. 161 Siehe zum Beispiel Amelung, GA 77, 6; Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 126. Der Unterschied zwischen den Konzeptionen von Amelung und Hassemer besteht vor allem darin, dass Hassemer bei der Beurteilung der Konkretheit der Zweifel des Opfers auf nicht auf die objektiven Anhaltspunkte, sondern auf die subjektiv-kognitive Situation des verfügenden Rechtsgutsträgers abstellt. Dazu auch Greupner, Der Schutz des Einfältigen durch den Betrugstatbestand, S. 113 f. 162 Hillenkamp, ZStW 129 (2017), 605.

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sen, dass in gewissen engen Lebensausschnitten das Opfer in sämtlichen denkbaren Konstellationen keines strafrechtlichen Schutzes bedarf.163 In den übrigen Fällen werden nur einige Fallkonstellationen betroffen sein. Ob die Opferselbstschutzmöglichkeiten zu berücksichtigen sind, hängt von der Frage ab, ob unter den im Vergleich zur Strafe milderen Mitteln nur staatliche Zwangsmittel zu verstehen sind oder nicht. Im Hinblick auf den (verfassungsrechtlichen) Grundsatz der Subsidiarität des Strafrechts wird dies abgelehnt, da dieses Prinzip sich nur auf das Verhältnis des Strafrechts zu sonstigen staatlichen Maßnahmen beziehe.164 Schünemann sieht in dem viktimodogmatischen Ansatz hingegen eine Auslegungsrichtlinie, nach der aus dem Tatbestand im Rahmen der zulässigen Tatbestandsauslegung diejenigen Verhaltensweisen auszuscheiden haben, gegenüber denen das Opfer eines Schutzes weder würdig noch bedürftig ist.165 Da es keinen historisch exakt definierten Anwendungsbereich des Ultimaratio-Prinzips gibt, ist ein solches Verständnis des Opferselbstschutzes eine praktische und vernünftige Konkretisierung desselben.166 Schünemann als Befürworter des Selbstschutzgedankens sieht in der Anerkennung des Opferselbstschutzes eine Steigerung des Rechtsgüterschutzes. Sowohl Strafrecht als auch Zivilrecht (zum Beispiel durch Schadensersatz) bieten erst eine Reaktion auf das bereits eingetretene Ereignis und kommen daher „zu spät“. Der vernünftige Selbstschutz ist hingegen dazu geeignet, sogar gänzliche Unversehrtheit der Rechtsgüter zu gewährleisten. Die Übertragung der Strafgewalt auf den Staat als teilweise Aufgabe der eigenen Freiheit erfolge nur in dem Maße, in dem es für die wechselseitige Freiheitssicherung unbedingt erforderlich ist (Idee des Gesellschaftsvertrags), da der Bürger seine Rechtsgüter nicht mehr aus eigener Kraft schützen kann. Deshalb könne man bei der Suche nach milderen Mitteln nicht nur auf staatliche Eingriffe, sondern müsse auch auf einen möglichen und zumutbaren Selbstschutz abstellen.167 Die Versagung des strafrechtlichen Schutzes im Falle der Vernachlässigung des Selbstschutzes habe zudem eine sinnvolle opfererziehende Abschreckungswirkung.168 Die Gegner der allgemeinen Anerkennung des Opferselbstschutzes verweisen zum einen darauf, dass die viktimodogmatischen Lösungen immer mehr zur Verschiebung der Verantwortlichkeit zulasten des Opfers und zur Entlastung des Tä163

Hörnle, Subsidiarität als Begrenzungsprinzip – Selbstschutz, S. 38. Hillenkamp, Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat, S. 14; Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug m.w. N., S. 50; Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, S. 143. 165 Schünemann, Die Zukunft der Viktimo-Dogmatik, in: FS für Hans Joachim Faller, S. 364. 166 Schünemann, Das System des strafrechtlichen Unrechts, S. 64 f.; auch Exner/ Remmers, ZIS 11, 17. 167 Schünemann, Das System des strafrechtlichen Unrechts, S. 64 ff. 168 Schünemann, Rechtsgüterschutz, ultima ratio und Viktimodogmatik, S. 32. 164

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ters führen.169 Zum anderen werde der Gedanke des Opfermitverschuldens als Strafzumessungsgrund (so Ansicht von Hillenkamp zur Bedeutung der Viktimodogmatik)170 zur Korrektur des Tatbestandes eingesetzt. Das für nicht strafwürdig und strafbedürftig gehaltene Täterverhalten wird nicht unter den Tatbestand subsumiert, obwohl es an sich tatbestandsmäßig wäre. Im Wege der teleologischen Reduktion ist solches Vorgehen grundsätzlich möglich, da der Täter dadurch nur begünstigt wird. Damit gehen jedoch die Erschaffung von Freiräumen für den vorsätzlich schädigenden Täter und die Verschlechterung der Opferposition sowohl im Hinblick auf das materielle Recht als auch auf das Prozessrecht einher. Gerade das (vermeintliche) Opfermitverschulden könnte sehr häufig im Bereich der Sexualdelikte, Tötungs- und Körperverletzungsdelikte bis hin zu Terrorismusstraftaten (und somit im Bereich der Schwerkriminalität) die Strafbarkeit des Täters ausschließen. Im Prozess könnte dies zudem dazu führen, dass die Verteidiger die Opferbeschuldigung („blame the victim“) zu einer regelrechten Praxis machen.171 Gerade die Schwachen, Leichtsinnigen, Vertrauensseligen, junge Menschen und solche in hohem Lebensalter sind häufig „prädisponierte Opfer“, die gerade besonders schutzbedürftig sind.172 Ihre „Schwäche“ würde ihnen dann jedoch zur Last gelegt. Außerdem zeigt der Eintritt des Rechtsgutsschadens, dass die Selbstschutzmöglichkeiten des Opfers nicht ausreichend sind.173 Ansonsten werde dabei die Subsidiarität der privaten Abwehr gegenüber der staatlichen Abwehr nicht berücksichtigt. Das Strafrecht soll dem Rechtsfrieden dienen. Der Staat übernimmt gewisse Schutzaufgaben, wozu er sich das Gewaltmonopol auferlegt und die Bürger von der Selbstjustiz abhält. Bei der Frage der Erforderlichkeit der Verhaltenskriminalisierung könne es nicht darum gehen, inwieweit der Staat seine Schutzaufgaben auf den Bürger überwälzen darf.174 Angezweifelt wird auch die Selbstverständlichkeit der Annahme von Schünemann, dass die Bürger im Rahmen des Gesellschaftsvertrags unbedingt eine Selbstschutzpflicht übernommen hätten. Denn diese bedeutet nicht notwendigerweise die Sicherung ihrer Freiheit, sondern kann auch erhebliche Einschränkungen der Verhaltensfreiheit herbeiführen. Bei Übernahme einer solchen Pflicht dürfte man sowohl im alltäglichen Leben als auch im Wirtschaftsverkehr keinerlei Vertrauen in das rechtmäßige Verhalten anderer haben. Dieses wechselseitige 169

Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, S. 362. Dazu umfassend die Monographie von Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten; auch Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 725. 171 Hillenkamp, Der Einfluß des Opferverhaltens auf die dogmatische Beurteilung der Tat, S. 12 ff. Der Autor stellt dabei mit den gleichen Argumenten auch die teleologische Reduktion und die Analogie zugunsten des Täters in Frage. 172 Günther, Das viktimodogmatische Prinzip aus anderer Perspektive, in: FS für Lenckner, S. 79. 173 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 194. 174 Günther, Das viktimodogmatische Prinzip aus anderer Perspektive, in: FS für Lenckner, S. 79. 170

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Misstrauen würde wohl kaum zu einem angenehmen gesellschaftlichen Klima beitragen.175 Außerdem wird es als eine der Grundaufgaben des modernen Staates angesehen, „den einzelnen von der steten Sorge um seine Güter zu entlasten, ihm durch die Gewährung entsprechenden Schutzes Freiheiten zu sichern und durch Vertrauen Dispositionsspielräume zu eröffnen“.176 Das Verständnis des viktimodogmatischen Ansatzes als eine gewisse Auslegungsrichtlinie stößt weniger auf Bedenken und Ablehnung. Sehen die Vertreter des viktimodogmatischen Ansatzes darin eine Auslegungsrichtlinie, die die teleologische Auslegung ergänzt und der Strafbarkeitsausdehnung Einhalt gebietet, so werden ihre Ergebnisse sich nicht besonders häufig oder nur geringfügig von den Ergebnissen der Auslegung und der teleologischen Reduktion der Tatbestände unterscheiden. Der viktimodogmatische Ansatz ist nur in seiner „Generalisierung und Verabsolutierung“ abzulehnen.177 Bis jetzt ist dieser Ansatz weder vom Gesetzgeber noch von der Rechtsprechung auf diese Art und Weise anerkannt worden.178 Gerade im Bereich des Betrugs, der am meisten von der Viktimodogmatik aufgegriffen wird, wurde im Zuge der Gesetzesänderungen nicht die Gelegenheit genutzt, den viktimodogmatischen Ansatz einzubeziehen. 179 Die generelle Anwendung des Ansatzes würde die von den Kritikern befürchteten Folgen auslösen und kann deshalb keine vernünftige Kriminalpolitik sein. Dementsprechend wird der viktimodogmatische Ansatz auch auf der Ebene der Gesetzgebung nicht als eine allgemeingültige und -verbindliche Maxime anzuerkennen sein, auch wenn die Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit des Opfers weiterhin zu beachten sind.180

IV. Gemeinsame Kriterien der Rechtsprechung und der Strafrechtswissenschaft sowie das Verhältnis der verfassungsrechtlichen und strafrechtlichen Vorgaben zueinander Die vorherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die Rechtsprechung und die Strafrechtswissenschaft sich bei der Prüfung der Legitimität von Strafnormen unterschiedlicher Modelle bedienen. Diese Modelle weisen dennoch einige Gemeinsamkeiten auf. Sowohl in der Strafrechtswissenschaft als auch in der verfassungsrechtlichen Praxis ist heute unbestritten, dass das Strafrecht nicht uneingeschränkt zum Ein175

Hörnle, Subsidiarität als Begrenzungsprinzip – Selbstschutz, S. 45 f. Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, S. 144 f. m.w. N. 177 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 724. 178 Beispiele dazu in Hillenkamp, ZStW 129 (2017), 612 ff. 179 Hillenkamp, ZStW 129 (2017), 618 Fn. 83. 180 Hillenkamp, ZStW 129 (2017), 622. 176

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

satz kommen soll, soweit ein lobenswertes Endziel formuliert werden kann.181 Auch das Bundesverfassungsgericht betont, dass das Strafrecht nur als „ultima ratio“ des Rechtsgüterschutzes eingesetzt wird, wenn ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich ist und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich ist, sodass seine Verhinderung besonders dringlich ist. Tatbestand und Rechtsfolge müssen aufeinander abgestimmt sein, die Schwere der Tat und das Verschulden des Täters müssen in einem gerechten Verhältnis zu der Strafe stehen.182 Dieser Grundsatz soll dazu anhalten, das Strafrecht nur dort zum Einsatz bringen, wo andere, weniger eingriffsintensive Mittel nicht greifen. Denn neben der Verletzung der Grundrechte durch Aufstellung von Verhaltensverboten bzw. -geboten erfolgt auf der Sanktionsebene ein Eingriff in Grundrechte bereits durch den staatlichen Vorwurf. Verdeutlicht wird dies am Beispiel des § 60 StGB, wonach von einer besonderen Sanktion abgesehen werden kann. Der Angeklagte wird zwar schuldig gesprochen, von einer Strafe wird jedoch abgesehen. Damit bleibt nur der kriminalstrafrechtliche Vorwurf bestehen; durch den Schuldspruch erfolgt „der Ausspruch einer öffentlichen Missbilligung für den Angeklagten“.183 Sieht der Gesetzgeber eine solche isolierte Sanktion vor, muss darin auch ein Eingriff in Grundrechte gesehen werden. Aufgrund der stigmatisierenden Wirkung eines staatlichen Vorwurfs wird dadurch in das allgemeine Persönlichkeitsrecht eingegriffen, da der soziale Ehr- und Achtungsanspruch des Einzelnen tangiert wird.184 Wird auf der Rechtsfolgenebene Freiheitsstrafe angedroht, so wird dadurch das Grundrecht der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG) tangiert. Durch den Vollzug der Freiheitsstrafe können auch weitere Freiheitsgrundrechte verletzt werden. Die Androhung, Verhängung und Vollziehung von Geldstrafen werden als Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit gewertet, da Art. 14 GG keinen Schutz des Vermögens vorsieht.185 In diesem Zusammenhang werden auch die Subsidiarität und der fragmentarische Charakter des Strafrechts hervorhoben. Das Strafrecht dürfe nur dann zur Anwendung kommen, wenn andere, weniger intensive Mittel, wie zivilrechtliche, polizeirechtliche oder gewerberechtliche Anordnungen, nichtstrafrechtliche Sanktionen etc. nicht in Betracht kommen.186 Zieht man sämtliche nichtstrafrechtliche

181

Schünemann, Rechtsgüterschutz, ultima ratio und Viktimodogmatik, S. 21. BVerfGE 90, 172 f.; BVerfGE 120, 238 ff. 183 Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 100. 184 Stächelin, Strafgesetzgebung im Verfassungsstaat, S. 112 f.; Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 127; Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 622. 185 BVerfGE 81, 122. 186 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 86; Pfaffinger, Rechtsgüter und Verhältnismäßigkeit im Strafrecht des geistigen Eigentums, S. 221; Hefendehl, JA 11, 401. 182

A. Allgemeine Kriterien

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Maßnahmen in Betracht, so ist auch der Frage nachzugehen, ob es nicht zumutbar ist, vom potentiellen Opfer gewisse Selbstschutzmaßnahmen zu verlangen.187 Schließlich solle das Strafrecht nicht dazu dienen, einen umfassenden Rechtsgüterschutz zu gewährleisten, sondern lediglich einzelne, besonders gravierende Angriffe pönalisieren.188 Das bedeutet dementsprechend auch, dass mittels Strafrechts nicht jeder Angriff auf ein schützenswertes Gut zu bestrafen bzw. abzuwehren ist. Insofern sind sich alle Konzepte bezüglich der Gedanken der Subsidiarität, der ultima ratio und des fragmentarischen Charakters des Strafrechts einig. So wie sich diese Grundsätze dem Prüfungspunkt der Erforderlichkeit im Rahmen des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zuordnen lassen, so korrespondiert damit auch der strafrechtliche Begriff der Strafbedürftigkeit in seiner ursprünglichen Deutung.189 Der neuere Strafbedürftigkeitsbegriff verlässt jedoch die Ebene der reinen Erforderlichkeit und bewegt sich gewissermaßen auch auf der Ebene der Angemessenheit. Die Strafwürdigkeit hingegen fügt sich als ein Wertungselement nach einhelliger Meinung in die Verhältnismäßigkeitsprüfung auf der Ebene der Angemessenheit ein. Denn es geht hier um die Abwägung zwischen Strafe und dem Unwert des Verhaltens.190 Im Hinblick darauf, dass die meisten Strafnormen neben einer Geldstrafe die Möglichkeit der Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsehen (die im Gesetz auf der Rechtsfolgenseite an erster Stelle aufgeführt wird), muss das tatbestandsmäßige Verhalten grundsätzlich auch diese Freiheitstrafe verdienen können. Ungeachtet der Höhe der angedrohten Freiheitsstrafe muss man sagen können, dass ein Verhalten des entsprechenden Typus bei entsprechender Ausprägung eine Freiheitsstrafe (Mindestmaß: 1 Monat) unter Einschluss aller damit verbundener Stigmatisierungen verdiene.191 Sowohl die Rechtsprechung als auch die Strafrechtswissenschaft sind sich darüber einig, dass ein bloß formaler (wenn auch vorsätzlicher) Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ohne die sozialethische Missbilligung und dringende Notwendigkeit der Unterbindung des fraglichen Verhaltens keine Strafe verdient und dass der Kernbereich des Strafrechts hierfür eine Richtlinie darstellt 187

Dazu oben S. 104 ff. Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 87; Pfaffinger, Rechtsgüter und Verhältnismäßigkeit im Strafrecht des geistigen Eigentums, S. 221. 189 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 256 f. Dies ist der Grund, warum Kaspar sich gegen die Anwendung dieses Begriffs wendet. Wenn schon das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip (konkret: Erforderlichkeit) eine solche Prüfung enthält, so „sollte man die Dinge auch beim Namen nennen, der Umweg über den schillernden und uneinheitlich verwendeten Begriff der „Strafbedürftigkeit“ ist dann nicht nötig, S. 258. Dasselbe vertritt er auch im Hinblick auf das Element der „Strafwürdigkeit“, das der Angemessenheit im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips entspricht, S. 259. 190 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, S. 194; Pfaffinger, Rechtsgüter und Verhältnismäßigkeit im Strafrecht des geistigen Eigentums, S. 222; Frisch, GA 17, 369. 191 Frisch, NStZ 16, 21. 188

110

2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

(jedenfalls müssen die Verhaltensweisen dem Kernstrafrecht deutlich näher stehen als dem Ordnungsrecht192).193 Einer der wichtigsten Streitpunkte zwischen dem Verfassungsrecht und der Strafrechtswissenschaft – die Frage nach dem legitimen Zweck im Sinne der systemkritischen Rechtsgutstheorie – ist in dieser Arbeit nicht zu entscheiden, denn mit dem Schutz des Vermögens liegt nach beiden Ansichten ein grundsätzlich zulässiger Schutzzweck vor. An dieser Stelle ist lediglich festzuhalten, dass seit dem Inkrafttreten der Verfassung die verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht ignoriert werden können, sodass die Strafgesetze an den Anforderungen des Grundgesetzes zu messen sind.194 Die Schranken für strafrechtliche Grundrechtseingriffe werden damit aus der Abwehrfunktion der Grundrechte unter Berücksichtigung allgemeiner rechtsstaatlichen Garantien heraus bestimmt.195 Die Verfassung bildet daher den Rahmen und die Grundlage für die Überprüfung von Strafgesetzen. Das verfassungsrechtlich verankerte Demokratieprinzip und die damit einhergehende Freiheit des Gesetzgebers werden bei der Gesetzgebung deshalb nicht weitgehend beschnitten werden können und der Grundsatz des „Vorrangs der Verfassung“ wird im Bereich des Strafrechts nicht außer Kraft gesetzt werden können.196 Dennoch lassen sich die herausgearbeiteten Prinzipien mühelos in die Verhältnismäßigkeitsprüfung integrieren. Dadurch können ihre einzelnen Ebenen mit dogmatischem Gehalt angereichert und kann der Spezifik und der gesteigerten Bedeutung der Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Überprüfung von Strafgesetzen197 Rechnung getragen werden. Gleichzeitig geht es nicht darum, die Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers zu beschneiden, sondern nur darum, Richtlinien aufzustellen, die den Gesetzgeber bei seiner Entscheidung leiten. Die auf vielen Ebenen der Verhältnismäßigkeitsprüfung dem Gesetzgeber zugestandenen Beurteilungsspiel192

Frisch, NStZ 16, 24. Siehe zum Beispiel BVerfGE 90, 202; Frisch, NStZ 16, 21. 194 Siehe zum Beispiel BVerfGE 90, 172 f., 182 ff.; BVerfGE 92, 325 ff.; BVerfG NJW 08, 1137 ff. 195 Swoboda, ZStW 122 (2010), 44 f. Hassemer vertritt in: Darf es Straftaten geben, die ein strafrechtliches Rechtsgut nicht in Mitleidenschaft ziehen?, S. 60 f., dass das strafrechtliche Rechtsgut sich auch zwanglos in das verfassungsrechtliche Übermaßverbot einordnet. Verstehe man den Rechtsgüterschutz als das an den Gesetzgeber gerichtete Verbot der Kriminalisierung, wenn sich kein Rechtsgut finden lässt, so fügt sich diese negative Variante des Rechtsgüterschutzes „fugenlos“ in das verfassungsrechtliche Übermaßverbot, in welchem die klassische Tradition der Grundrechte als Abwehrrechte gegen die staatlichen Eingriffe zur Geltung kommt. Hefendehl sieht im Rechtsgutsbegriff durchaus einen „Angelpunkt für die Mediating Principles wie den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz“, in: GA 07, 14. 196 Wilfert, Strafe und Strafgesetzgebung im demokratischen Verfassungsstaat, S. 2 f. 197 BVerfGE 90, 172; so auch Bunzel, Die Potenz des verfassungsmäßigen Verhältnismäßigkeitsprinzips als Grenze des Rechtsgüterschutzes in der Informationsgesellschaft, S. 114 ff. 193

B. Ergebnis

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räume sollten nicht als „Camouflage für Begründungsdefizite“198 dienen. Insbesondere können reine Plausibilitätserwägungen keine Verhältnismäßigkeit einer Strafnorm begründen. Auch wenn die strengeren strafrechtsdogmatischen Gesichtspunkte nicht ausreichend wären, um die Verfassungswidrigkeit eines Strafgesetzes zu begründen, so können sie doch eine kritische Auseinandersetzung mit den zu erlassenden oder bereits bestehenden Strafnormen bewirken und zur Einhaltung des Ultima-ratio-Grundsatzes verhelfen. Schließlich forderte auch das Bundesverwaltungsgericht eine Überprüfung der Einschätzung des Gesetzgebers hinsichtlich der Oddset-Wetten und des § 284 StGB.199 Das zeigt, dass die Verhältnismäßigkeit des Eingriffs in die Grundrechte durch strafbewehrte Ver- oder Gebote im Zeitablauf durchaus unterschiedlich beurteilt werden kann. Damit stellt die Verhältnismäßigkeit, angereichert mit den in der Strafrechtswissenschaft herausgearbeiteten Kriterien, nun den Hauptrahmen der Prüfung der Legitimität einer Strafnorm dar.

B. Ergebnis Der Rahmen für die Beurteilung der Legitimität von Strafnormen ergibt sich aus der Verfassung. Herausragende Bedeutung für die Überprüfung der Legitimität von Strafgesetzen hat das Verhältnismäßigkeitsprinzip. Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit erfolgt zunächst nach dem gleichen Schema und den gleichen Prinzipien wie auch bei außerstrafrechtlichen Normen. Zugleich muss die besondere Stellung des Strafrechts als „schärfstes Schwert“ berücksichtigt werden. Einen Ausgleich zwischen diesen zwei Polen zu finden ist nicht leicht. Weitgehend wird die Entscheidungskompetenz des Gesetzgebers über die strafrechtliche Pönalisierung von Verhaltensweisen angenommen. Dieser entscheidet über den mit der Strafnorm zu verfolgenden Zweck sowie über die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Einsatzes des Strafrechts zum Schutz des von ihm festgelegten Zwecks; insbesondere steht es ihm zu, zwischen der Kriminalstrafe und einer Buße im Rahmen des Ordnungswidrigkeitenrechts auszuwählen. Im Verfassungsrecht wird explizit keine Beschränkung auf einen Katalog der durch Strafrecht zu schützenden Rechtsgüter im Sinne der systemkritischen Rechtgutslehre befürwortet. Jedoch zeigt die Ausweitung des Bereichs der strafbaren Handlungen durch Einführung von Gefährdungs- und Vorbereitungsdelikten eindringlich die Notwendigkeit eingrenzender Kriterien. Ohne die Entscheidungsprärogative des Gesetzgebers bezüglich der geschützten Zwecke und der Mittel zur Erreichung des für notwendig erachteten Schutzniveaus bestreiten zu wollen, können die Erkenntnisse aus der Strafrechtswissenschaft berücksichtigt werden. Diese können

198 So Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 175, verweisend auf Zabel, JR 08, 456. 199 BVerwG NJW 01, 2650.

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2. Teil: Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen

durchaus eine Hilfestellung für den Gesetzgeber bieten.200 Die Ebenen der Erforderlichkeit und der Angemessenheit können zunächst grundsätzlich durch die strafrechtsdogmatischen Elemente der Strafwürdigkeit und der Strafbedürftigkeit präzisiert werden. Dementsprechend wird im Rahmen der Erforderlichkeit zu erörtern sein, ob das gesetzgeberische Ziel mit anderen Mitteln erreicht werden kann, die im Vergleich zu einer Kriminalstrafe als milder erscheinen. Auf der Ebene der Angemessenheit werden die im Rahmen der Strafwürdigkeit herausgearbeiteten Kriterien herangezogen. Unter Berücksichtigung der Bedeutung des geschützten Guts in der Verfassung sowie der Deliktsstruktur wird der Handlungs- und der Erfolgsunwert der tatbestandsmäßigen Verhaltensweise zu bestimmen sein. Zu berücksichtigen sind dabei die objektive Gefährlichkeit des Verhaltens, die sich nicht in einer bloßen Eignung zu einer Verletzung erschöpfen darf, die hinreichende Möglichkeit einer von der Verhaltensweise ausgehenden Gefahr, die nicht lediglich vom Zufall abhängen darf, die subjektiven Einstellungen und Gesinnungen des Täters sowie die Schwere der erdenklichen Folgen für das geschützte Gut.

200

Vgl. Kühl, Strafrecht und Moral in Bewegung, in: FS für Puppe, S. 667.

3. Teil

Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien Im zweiten Teil der Arbeit wurden Kriterien für die Bestimmung des Bereichs der strafbaren Handlungen dargestellt. In diesem Teil der Arbeit wird nun § 284 StGB anhand dieser Kriterien überprüft. Die Prüfung folgt dabei, wie im zweiten Teil bereits dargelegt, den nun unumgänglichen verfassungsrechtlichen Anforderungen, die jedoch mit den in der Strafrechtswissenschaft konkretisierten Vorgaben angereichert werden. Zunächst wird geprüft, ob die Tatbestandmerkmale des § 284 StGB dem Bestimmtheitsgebot standhalten (unter A.). Anschließend wird die verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen (B.). Die Ausführungen zum legitimen Zweck (B. I.) werden auf die Ergebnisse des ersten Teils der Arbeit zurückgreifen. Die Geeignetheit wird unter B. II. erörtert. Im Rahmen der Erforderlichkeitsprüfung (B. III.) werden mehrere denkbare mildere Mittel im Vergleich zu einer eigenständigen strafrechtlichen Norm dargestellt. Der Schwerpunkt liegt sodann aber auf der Beurteilung ihrer gleichen Geeignetheit zum Schutz des konkreten legitimen Zwecks. Bei der Prüfung der Angemessenheit (B. IV.) des § 284 StGB wird die Prüfung in drei Abschnitte aufgeteilt. Zunächst wird die Bedeutung des Vermögens als Rechtsgut aus verfassungsrechtlicher Sicht untersucht (B. IV. 1.). Sodann wird das Erfolgsunrecht zu erforschen sein (B. IV. 2.). In diesem Abschnitt wird der Schwerpunkt der Diskussion auf der Frage der Legitimität abstrakter Gefährdungsdelikte liegen. Im dritten Teil wird es um das Handlungsunrecht gehen (B. IV. 3.). In den letzten beiden Abschnitten wird eine vergleichende Analyse mit weiteren Delikten aus dem StGB vorgenommen. Insbesondere werden die Wirtschaftsstraftaten im Vordergrund stehen, da es sich hierbei um abstrakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betrugs handelt. Zum anderen wird dem § 327 StGB Aufmerksamkeit geschenkt. Zwar handelt es sich dabei um eine Norm aus dem Umweltstrafrecht. Die Struktur dieser Norm weist jedoch eine große Ähnlichkeit mit der des § 284 StGB auf, da beide Normen verwaltungsakzessorische abstrakte Gefährdungsdelikte sind.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

A. Bestimmtheit des § 284 StGB I. Erfüllung der Anforderungen des Bestimmtheitsgebots durch § 284 StGB Hinsichtlich des § 284 StGB herrscht keine Einigkeit über die Bestimmung der Bedeutung einzelner Tatbestandsmerkmale. Im Laufe der weiteren Ausführungen wird gezeigt, dass gewisse Deutungen auch zur Überschneidung der Anwendungsbereiche einzelner Merkmale führen können. Deshalb kann durchaus der Eindruck entstehen, dass die Norm nicht hinreichend bestimmt ist. Dennoch müsste man zu dem Ergebnis kommen, dass der Bestimmtheitsgrundsatz gewahrt ist, wenn diese Begriffe auslegungs- und abgrenzungsfähig sind und in der Praxis hinreichend konkretisiert werden können. 1. Bestimmtheit des Begriffs „Veranstalten“ a) Begriffsbestimmung Bereits bei der Bestimmung, wer als Veranstalter eines Glücksspiels anzusehen ist, besteht Uneinigkeit. Eine Auffassung geht davon aus, dass der Veranstalter derjenige ist, der in der Regel als wirtschaftlicher Unternehmer des Glücksspiels auftritt und im eigenen finanziellen Interesse handelt. Das bedeutet, dass er das Glücksspiel auf eigene Rechnung betreibt und die Gewinne ihm zukommen.1 Dafür wird angeführt, dass eine aus finanziellem Interesse handelnde Person mit größerer Wahrscheinlichkeit die Spieler in umfänglichem Maße zum Glücksspiel anreizen würde, da auf diese Weise die Gewinne maximiert werden können.2 Mit diesem Erfordernis können auch die Tathandlungsvarianten besser voneinander abgegrenzt werden. Der Wille des Gesetzgebers nach umfassendem Schutz fand seinen Ausdruck in der Schaffung weiterer Tathandlungen, wie zum Beispiel des Bereitstellens von Einrichtungen.3 Es besteht keine Notwendigkeit einer weiten Auslegung des Begriffs des Veranstalters. Die überwiegende (weite) Auffassung sieht hingegen jeden, der einen Spielplan aufstellt, ihn dem Publikum zugänglich macht und damit die Beteiligung am Spiel ermöglicht,4 als Veranstalter an. Es ist ausreichend, dass er organisatorisch und tatherrschaftlich-verantwortlich den äußeren Rahmen für die Abhaltung des Spiels schafft, zum Beispiel die Räume anmietet, die Ausstattung bereitstellt etc.5 1

BayObLGSt 79, 9; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 82 m.w. N. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 195. 3 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 195. 4 RGSt 61, 15; BayObLG NJW 93, 2821; BGH NStZ 03, 373 f.; LK-Krehl, § 284 Rn. 18; NK-Gaede, § 284 Rn. 17. 5 Lampe, JuS 94, 741. 2

A. Bestimmtheit des § 284 StGB

115

Begründet wird diese Ansicht in erster Linie mit dem Willen des Gesetzgebers, einen umfassenden Schutz zu bieten und daher die Handlungen zu pönalisieren, die das unerlaubte Glücksspiel fördern und ermöglichen. Die Einschränkung durch das Erfordernis der eigenen finanziellen Interessen widerspricht dem Willen des historischen Gesetzgebers.6 Die letztgenannte Auffassung kann heute nicht mehr überzeugen. Die Gefahr der Manipulation des Spiels ist nur dann zumindest denkbar, wenn der Veranstalter aus seiner Tätigkeit einen wirtschaftlichen Nutzen ziehen möchte. Andernfalls ist die Befürchtung der Manipulation des Spiels und der Herbeiführung manipulationsbedingter Verluste bei den Spielern nicht mehr erklärbar. b) Vermitteln als Veranstalten? Der zweite Problemkreis um den Begriff der Veranstaltung betrifft die Frage, ob die Vermittlung von Glücksspielen unter den Begriff der Veranstaltung subsumiert werden kann. Die Vermittlung von Glücksspielen ist jedenfalls im Tatbestand nicht ausdrücklich genannt. Das Bundesverwaltungsgericht ging in einer Entscheidung aus dem Jahr 2001 davon aus, dass auch die Vermittlung von Glücksspielen unter § 284 Abs. 1 StGB fällt.7 Dies erscheint unter Zugrundelegung der Normen des Glücksspielstaatsvertrags (Stand: 1.7.2012) auch naheliegend. Nach § 4 Abs. 1 GlüStV8 dürfen öffentliche Glücksspiele nur mit Erlaubnis der zuständigen Behörde veranstaltet und vermittelt werden. Ohne eine solche Erlaubnis sind die Veranstaltung und die Vermittlung von Glücksspielen verboten. Das deutet auf die Gleichbehandlung von Veranstaltung und Vermittlung von Glücksspielen hin. Die reine Vermittlungstätigkeit ist jedoch typischerweise durch die Unterstützung der Tätigkeit des Veranstalters im Vorfeld der Veranstaltung gekennzeichnet.9 Der Vermittler kann nicht in gleicher Weise auf die Organisation des Glücksspiels Einfluss nehmen und steht auch wirtschaftlich nicht hinter dem Veranstalter.10 Der Vermittler gibt regelmäßig Wetten an einen fremden Totalisator oder an einen anderen Buchmacher weiter oder führt die Wettaufträge im eigenen Namen, aber auf fremde Rechnung aus.11 Damit unterstützt er lediglich 6

Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 83. BVerwG NJW 01, 2648. 8 Staatsvertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (Glücksspielstaatsvertrag – GlüStV), online abrufbar unter: https://www.isa-guide.de/wp-content/uploads/2012/06/ 20120701_gluecksspielstaatsvertrag.pdf. 9 LK-Krehl, § 284 Rn. 18a. 10 Janz, NJW 03, 1696; Beckemper, NStZ 04, 40; Feldmann, Die Strafbarkeit privater Sportwettenanbieter gemäß § 284 StGB, S. 64. 11 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 102; LK-Krehl, § 284 Rn. 18a. 7

116

3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

einen fremden Gewerbebetrieb.12 Das wird missachtet, wenn unter Umständen des Einzelfalls die Strafbarkeit des Vermittlers nach § 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB für zulässig erachtet wird.13 Unabhängig von der Frage, ob die Veranstaltereigenschaft das Handeln im eigenen finanziellen Interesse voraussetzt oder nicht (S. 114), wird der Vermittler typischerweise nicht im gleichen Maße wie der Veranstalter organisatorisch tätig14 und ist nicht in der Lage, Spielteilnehmer jenen spezifischen Risiken auszusetzen, die der Anlass der Strafbewehrung der Veranstaltung sind.15 Es entstehen hierbei keine Strafbarkeitslücken, da die Vermittlungstätigkeit von § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB bzw. § 284 Abs. 4 StGB16 erfasst sein oder in besonders gelagerten Fällen nach allgemeinen Grundsätzen der Mittäterschaft, mittelbaren Täterschaft17 oder Beihilfe bestraft werden kann.18 Die Subsumtion des Vermittelns unter § 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB und somit die Ausdehnung des Begriffs des Veranstaltens über die Wortlautgrenze hinaus ist im Hinblick auf Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich bedenklich.19 c) Vollendungszeitpunkt Im Rahmen des Begriffs des „Veranstaltens“ ist schließlich die Frage nach dem Vollendungszeitpunkt stark umstritten und kann zu Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zu den anderen Tatbestandsmerkmalen führen. Ferner können mangels Strafbewehrung des Versuchs Strafbarkeitslücken entstehen. Nach der herrschenden Meinung genügt es, dass der Spielplan und das damit zusammenhängende Vertragsangebot aufgestellt und dem Publikum derart zugänglich gemacht werden, dass die Spielaufnahme möglich ist. Es wird weder die tatsächliche Durchführung des Spiels noch zumindest der Abschluss eines Spielvertrags vorausgesetzt.20 Damit stellt der Gesetzgeber bereits bloße Vorbereitungshandlungen unter Strafe.21 Sollte der zentrale Schutzgedanke des § 284 StGB in der Unterbindung des „Verleitens zum Glücksspiel“ bestehen, so wäre das Publikum bereits durch das Bestehen einer Möglichkeit der Beteiligung am 12

LK-Krehl, § 284 Rn. 18a. So aber BGH NStZ 03, 373; Mosbacher, NJW 06, 3530. 14 Wrage, JR 01, 406; LK-Krehl, § 284 Rn. 18a. 15 Horn, NJW 04, 2053. 16 BGH NStZ 03, 374; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 103; a. A.: Horn, NJW 04, 2053 (Unvereinbarkeit mit Art. 103 II GG). 17 Wohlers, JZ 03, 862; BGH NJW 02, 2175. 18 Horn, NJW 04, 2053; LK-Krehl, § 284 Rn. 18a. 19 Horn, NJW 04, 2053; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 102; Wrage, JR 01, 406; LK-Krehl, § 284 Rn. 18a. 20 RGSt 61, 15; BayObLG 56, 76; LK-Krehl, § 284 Rn. 18; Lampe, JuS 94, 741; Fischer, StGB, § 284 Rn. 18; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 15; NK-Gaede, § 284 Rn. 18. 21 OLG Düsseldorf JMBl NRW 91, 19; Seinsche, Das strafbare Glücksspiel im engeren Sinne, S. 28. 13

A. Bestimmtheit des § 284 StGB

117

Spiel zur Teilnahme verleitet.22 Damit wäre gleiche Auslegung des Begriffs des „Veranstaltens“ wie in § 287 StGB gewährleistet.23 Nach dem Gesetzeswortlaut des § 287 StGB genügt es bereits, dass der Abschluss von Spielverträgen für eine öffentliche Lotterie oder Ausspielung angeboten wird oder auf den Abschluss solcher Spielverträge gerichtete Angebote angenommen werden. Nach einer beachtlichen Mindermeinung ist das Veranstalten eines Glücksspiels erst dann vollendet, wenn das Spiel bereits tatsächlich begonnen hat.24 Die herrschende Meinung, die keine Aufnahme des Spiels voraussetzt, läuft Gefahr, die Abgrenzung zu weiteren Merkmalen zu verwischen und damit das Bestimmtheitsgebot zu verletzen. Die Mindermeinung entspricht zunächst mehr dem allgemeinen Verständnis des Wortes „Veranstalten“. Nach alltäglichem Sprachgebrauch erfordert dieser Begriff die Aufnahme des Spiels, sodass durch Erbringung zumindest eines Einsatzes ein Spielvertrag zustande kommen muss.25 Des Weiteren stellt § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB das Bereitstellen von Einrichtungen unter Strafe. Die Gesetzesbegründung zeigt, dass diese Alternative zum Zwecke der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten aufgenommen wurde und dann eingreifen soll, wenn die Abhaltung des Spiels nicht nachgewiesen werden kann, aber der Vorsatz zur Veranstaltung des Glücksspiels offensichtlich erkennbar ist.26 Die Indizien für die Annahme des Vorsatzes werden sich jedoch in diesen Fällen zwingend aus den getroffenen Vorbereitungen ergeben, die von § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB erfasst sind. Wird bei dem Begriff des „Veranstaltens“ auf das Erfordernis der Spielaufnahme verzichtet, wird der Unterschied zum Bereitstellen von Einrichtungen verwischt.27 Es besteht daher kein Bedürfnis für die weite Auslegung des Begriffs des „Veranstaltens“. Diese Ansicht entspricht deshalb eher den Anforderungen an das Bestimmtheitsgebot, da klare Abgrenzungslinien zwischen den einzelnen Alternativen des § 284 Abs. 1 StGB geschaffen werden. In systematischer Hinsicht kann der herrschenden Meinung entgegengesetzt werden, dass die §§ 284 und 287 StGB gerade nicht identisch ausgestaltet sind. In dem § 284 StGB nachfolgenden § 287 StGB legt der Gesetzgeber in einer dem Bestimmtheitsgebot genügenden Art und Weise und für jeden Laien erkennbar die Grenze des Beginns der strafbaren Handlung (Veranstaltung) fest. Da weitere Alternativen wie in § 284 Abs. 1 StGB fehlen und Abgrenzungsfragen sich hiermit nicht stellen, erscheint eine einheitliche Auslegung des Begriffes 22

Meurer/Bergmann, JuS 83, 671. Epple, Das strafbare Glücksspiel, S. 45. 24 Geiger, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht und nach den neuesten Strafgesetzentwürfen, S. 41; Schmidt, ZStW 41 (1920), 611; v. Olshausen, § 284 Anm. 9a; Roehler, Die strafbaren Handlungen betreffend das Glücksspiel, S. 60; Kummer, Das Recht der Glücksspiele und der Unterhaltungsautomaten mit Gewinnmöglichkeit, S. 16. 25 Pepperhoff, Glücksspiel und Lotterie in Rechtsprechung und Literatur, S. 37. 26 Lampe, JuS 94, 739. 27 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 197. 23

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

„Veranstalten“ in §§ 287 und 284 StGB nicht zwingend. Legt man dieses Verständnis zugrunde, ist auch für den juristischen Laien erkennbar, ab wann er die Schwelle zur Erfüllung dieses Merkmals überschreitet. 2. Bestimmtheit des Begriffs „Halten“ a) Begriffsbestimmung Uneinigkeit besteht auch hinsichtlich der Anforderungen an das Halten eines Glücksspiels. Nach der wohl herrschenden Meinung ist Halter des Glücksspiels, wer entweder als Unternehmer die Einrichtungen zum Spiel zur Verfügung stellt oder in die Rolle des Unternehmers eintretend das Spiel so fortsetzt, dass einer unbestimmten Anzahl von Personen die Beteiligung hieran ermöglicht wird.28 Die Unternehmereigenschaft ist ein zentrales Element des Tatbestandsmerkmals „Halten“ und wird wie im Zivilrecht (Tierhalter, Kraftfahrzeughalter) verstanden.29 Halten ist somit die Ausübung der tatsächlichen Herrschaft im eigenen Interesse.30 Denkbar wäre jedoch unter der Berufung auf den Sprachgebrauch und Orientierung am Begriff des Bankhalters auch, dass als Halter nur derjenige angesehen werden kann, der das Spiel selbst leitet, für den Spielverlauf verantwortlich ist, die Einsätze der Spieler verwaltet und sich je nach Art des betreffenden Spiels an diesem in qualifizierter Form beteiligt und so das Spiel erst ermöglicht.31 Der qualifizierte Fall des Mitspielens ist aber nur bei Spielen denkbar, bei denen auf der einen Seite der Halter des Spiels steht und auf der anderen Seite die Mitspieler, die zusammen oder nacheinander gegen den Halter spielen.32 Der Halter ist für den Spielunternehmer tätig und steht somit in seinem „Lager“.33 Dieses qualifizierte Mitspielen unterscheidet sich dadurch eben vom einfachen Mitspielen im Sinne des § 285 StGB.34 b) Ergebnis Der Begriff „Halten“ kann sowohl als „Abhalten“ im Sinne von „Veranstalten“ als auch im Sinne von „Bankhalten“ gedeutet werden. Allein aus dem Wortsinn 28 v. Olshausen, § 284 Anm. 9 b; Geiger, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht und nach den neuesten Strafgesetzentwürfen, S. 43; Schmidt, ZStW 41 (1920), 611; Janz, NJW 03, 1697. 29 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 86; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 198; Meurer/Bergmann, JuS 83, 669. 30 BayObLGSt 79, 8 f.; Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 198. 31 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 89. 32 Meurer/Bergmann, JuS 83, 669; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 86. 33 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 89. 34 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 89.

A. Bestimmtheit des § 284 StGB

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können hier daher keine neuen Erkenntnisse gewonnen werden.35 In der Literatur wird teilweise behauptet, dass eine präzise Unterscheidung zwischen Halten und Veranstalten nicht notwendig sei,36 da der Gesetzgeber das Ermöglichen und Fördern unerlaubter Glücksspiele umfassend pönalisieren und dies durch die Nennung verschiedener Tathandlungen, die sich auch überschneiden können, zum Ausdruck bringen wollte.37 Dem ist entgegenzuhalten, dass das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot die Erforderlichkeit einer klaren Abgrenzung nahelegt. § 284 StGB ist an Art. 103 Abs. 2 GG zu messen, sodass der Wortlaut der Norm als äußerste Grenze ihrer Anwendbarkeit zu beachten ist. Eine Bestrafung kommt nicht in Betracht, solange der diesbezügliche Wille des Gesetzgebers nicht zumindest andeutungsweise im Gesetz Ausdruck gefunden hat.38 Der Adressat der Norm muss in der Lage sein, die an ihn gestellten Anforderungen zu erkennen.39 Gegen die herrschende Ansicht spricht, dass sie die Tathandlungen des „Veranstaltens“ und des „Haltens“ weitgehend gleichsetzt. Das hätte die Funktionslosigkeit des Merkmals des „Veranstaltens“ zur Folge. Ein Begriff ist im Zweifel jedoch nicht so auszulegen, dass ein anderer überflüssig wird.40 Dass das Auslegungsergebnis der herrschenden Meinung nicht zu überzeugen vermag, zeigt auch der Vergleich mit § 287 StGB, der nur das Veranstalten einer Lotterie oder Ausspielung unter Strafe stellt, aber gerade nicht das „Halten“. Damit drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass das Halten eines Glücksspiels eine über das „Veranstalten“ hinausgehende Tätigkeit darstellt.41 Als normimmanent richtig erweist sich die aus der Spielersprache stammende Bedeutung des „Bankhalters“. Wird das „Halten“ als eine qualifizierte Form des Mitspielens definiert, erhält diese Variante eine selbstständige Funktion neben dem „Veranstalten“.42 Das Fehlen dieser Tathandlung in § 287 StGB erklärt sich damit, dass es bei Lotterien gerade einen solchen qualifizierten Mitspieler nicht gibt.43 Auch die historische Auslegung steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Der historische Gesetzgeber wollte mit der Novelle zum Glücksspielstrafrecht von 1919 35

Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 87. Schmidt, ZStW 41 (1920), 611; Lampe, JuS 94, 739 m.w. N.; Geiger, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht und nach den neuesten Strafgesetzentwürfen, S. 40 m.w. N. 37 LK-Krehl, § 284 Rn. 17; Lampe, JuS 94, 739. 38 Lampe, JuS 94, 739; Feldmann, Die Strafbarkeit privater Sportwettenanbieter gemäß § 284 StGB, S. 60; Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 86. 39 Belz, Das Glücksspiel im Strafrecht, S. 86. 40 Schmalz, Methodenlehre, Rn. 252. 41 Lampe, JuS 94, 740. 42 Lampe, JuS 94, 740; Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 88. 43 Lampe, JuS 94, 740. 36

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

nicht nur das Verhalten der Veranstalter des Glücksspiels, sondern auch das Verhalten derjenigen stärker pönalisieren, „die [. . .] das Glücksspiel irgendwie fördern“. Der Bankhalter als herausgehobener Gegenspieler der übrigen Mitspieler, ohne den bestimmte Glücksspiele überhaupt nicht stattfinden könnten, ist von diesem Personenkreis ebenfalls erfasst.44 Die klare Abgrenzung zwischen einem Veranstalter, der den äußeren Rahmen für die Veranstaltung des Spiels schafft, und dem Halter, der direkt an der konkreten Ausgestaltung beteiligt ist,45 entspricht den Anforderungen an die Bestimmtheit strafgesetzlicher Normen. 3. Bestimmtheit des Begriffs „Bereitstellen von Einrichtungen“ Mit der dritten Alternative des § 284 Abs. 1 StGB wurde eine selbstständige Vorbereitungshandlung unter Strafe gestellt.46 Begründet wurde die Notwendigkeit einer solchen Strafbarkeitsvorverlagerung mit der in zahlreichen Fällen auftretenden Schwierigkeit, nachzuweisen, dass das Glücksspiel tatsächlich stattgefunden hat.47 Daraus ergibt sich wiederum die Subsidiarität dieser Handlungsmodalität gegenüber den ersten beiden Alternativen. a) Bestimmung des Begriffs „Einrichtungen“ Nicht einheitlich wird die Frage beantwortet, welche Gegenstände konkret erfasst sind. Es kann sich einerseits um Gegenstände handeln, die ihrer Natur nach zum Glücksspiel bestimmt sind (eigentliche Spieleinrichtungen), oder auch um neutrale Gegenstände (uneigentliche Spieleinrichtungen), wie zum Beispiel Tische, Stühle, die nur im Einzelfall zur Verwendung bei Glücksspielen zur Verfügung gestellt wurden. Relevant ist dies zum Beispiel in Fällen, in denen ein Gastwirt seine Räumlichkeiten und sein Mobiliar zur Verfügung stellt. Nach der herrschenden Meinung macht sich auch derjenige strafbar, der völlig neutrale Gegenstände zur Verfügung stellt, wenn diese im konkreten Fall eine Bestimmung oder Eignung zum Glücksspiel aufweisen. Ist das der Fall, ist es unerheblich, dass diese Einrichtungen auch zu einem anderen Zweck eingesetzt werden könnten.48 Das gilt auch dann, wenn ein Gastwirt dem Veranstalter eines Glücksspiels seine Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, sofern ihm bewusst ist, dass der Veranstalter in diesen Räumlichkeiten ein Glücksspiel veranstalten 44

Lampe, JuS 94, 740. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 199. 46 BayObLG NJW 93, 2822; LK-Krehl, § 284 Rn. 20; NK-Gaede, § 284 Rn. 20; Fischer, StGB, § 284 Rn. 21; Lampe, JuS 94, 739. 47 S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 19; Heine, wistra 03, 447; Lampe, JuS 94, 739. 48 RGSt 56, 118; Janz, NJW 03, 1697; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 20; MK-Hohmann, § 284 Rn. 27; NK-Gaede, § 284 Rn. 20; LK-Krehl, § 284 Rn. 20. 45

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wird.49 Dafür spricht die Absicht des Gesetzgebers, alle Beteiligten zu erfassen, die das Glücksspiel fördern (S. 114). Da allerdings der Vorsatz bezüglich der Abhaltung des Glücksspiels mit Sicherheit erkennbar sein soll (S. 117), kann es nicht genügen, wenn der Beteiligte nur mit der Möglichkeit rechnet, dass die Einrichtungen zum Glücksspiel benutzt werden; vielmehr muss der Täter beim Bereitstellen der Einrichtungen in positiver Kenntnis der beabsichtigten Verwendung der Gegenstände handeln.50 Nach der anderen Auffassung51 fallen nur solche Einrichtungen unter diese Norm, die ihrer Natur nach dazu bestimmt sind, zum Glücksspiel genutzt zu werden. Den uneigentlichen Spieleinrichtungen fehle es an dem erforderlichen deliktischen Entfaltungsbezug.52 Zudem spreche schon die Systematik des Gesetzes gegen die weite Auffassung. § 286 Abs. 2 StGB ordnet unter Bezugnahme auf § 284 StGB die Einziehung der Spieleinrichtungen an. Stellt ein Gastwirt seine Räumlichkeiten für die Durchführung des Glücksspiels zur Verfügung, können diese nicht eingezogen werden. Das bedeutet, dass diese keine „Einrichtungen“ im Sinne des § 284 Abs. 1 3. Alt. StGB sind.53 Eine andere Einordnung des Mobiliars ist in diesem Fall ebenfalls nicht angezeigt, weil es eine andere Zweckbestimmung hat.54 b) Bestimmung des Begriffs „Bereitstellen“: Strafbarkeit bei Unterlassen? Eine weitere Frage ist, ob sich auch derjenige Gastwirt gemäß § 284 Abs. 1 StGB strafbar macht, der die Veranstaltung eines Glücksspiels in seinen Räumlichkeiten bemerkt und keine Vorkehrungen trifft, dieses zu unterbinden. Bejaht man die Strafbarkeit in diesem Fall, wird er damit dem Veranstalter und dem Halter gleichgestellt, ohne dass sich die Frage seiner Garantenstellung stellen würde. Nach der Ansicht Mintas’ entspräche dieses Ergebnis der Intention des Gesetzgebers, durch den § 284 Abs. 1 Alt. 3 StGB den Täterkreis zu erweitern.55 Dagegen spricht jedoch, dass der Gesetzgeber mit der Schaffung dieser Alternative Beweisschwierigkeiten vorbeugen und eine grundsätzlich straflose Vorbereitungshandlung unter Strafe stellen wollte (S. 120). Die Absicht, Unterlassungs-

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RGSt 56, 117 f. Meurer/Bergmann, JuS 83, 673; MK-Hohmann, § 284 Rn. 27; NK-Gaede, § 284 Rn. 20. 51 Lampe, JuS 94, 740; Heine, wistra 03, 447; Schmidt, ZStW 41 (1920), 612; Petropoulos, wistra 06, 335; Rebmann, Das Glücksspiel im geltenden Strafrecht, S. 31; Seinsche, Das strafbare Glücksspiel im engeren Sinne, S. 31. 52 Janz, NJW 03, 1697; Heine, wistra 03, 447. 53 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 90. 54 Grundlegend zu dieser Frage Schmidt, ZStW 41 (1920), 611 f. 55 Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 204. 50

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

handlungen ohne Rücksicht auf eine Pflicht zum Einschreiten dem aktiven Tun gleichzustellen, ist indes nicht erkennbar. Bereits der Begriff „Bereitstellen“ intendiert ein aktives Zugänglichmachen, nicht lediglich das passive Dulden der Nutzung der von den Spielenden selbst zum Spielen bestimmten Gegenstände oder Räumlichkeiten. Von einer strafwürdigen Förderung des illegalen Glücksspiels könnte im Falle einer bloßen Duldung nur dann die Rede sein, wenn den Gastwirt eine rechtliche Pflicht treffen würde, gegen das Spielen aktiv einzuschreiten (Garantenstellung). Stellt der Gastwirt die Einrichtungen durch zumindest schlüssiges Verhalten zur Verfügung (zum Beispiel wiederholtes Dulden eines – von einem in etwa unveränderten Personenkreis gewohnheitsmäßig veranstalteten – Glücksspiels in seinen Räumen)56 oder unterstützt er das Spiel aktiv durch sein weiteres Verhalten (wie zum Beispiel Servieren von Getränken),57 liegt kein bloßes Unterlassen vor, dennoch erscheint eine Gleichstellung dieser Verhaltensweisen, die typische Beihilfehandlungen darstellen, mit dem Veranstalten oder Halten des Glücksspiels nicht angezeigt. Eine Bestrafung wegen Beihilfe ist möglich. Im Falle der bloßen Duldung wird nach der herrschenden Meinung eine Beihilfe durch Unterlassen mit der Begründung abgelehnt, dass den Wirt keine Rechtspflicht zum Einschreiten im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB trifft. Der Gastwirt ist kein Überwachungsgarant für potentielle Straftäter innerhalb seiner Räume. Er ist keine Aufsichtsperson über seine Gäste. Es ist weder seine Aufgabe noch besteht überhaupt die Möglichkeit dazu, die Gäste permanent daraufhin zu überwachen, dass sie keine Straftaten begehen.58 Ebenso wenig ergibt sich die Pflicht des Gastwirtes aus dem Gaststättenrecht. Liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller die für den Gewerbebetrieb erforderliche Zuverlässigkeit nicht besitzt, insbesondere, weil er zum Beispiel dem verbotenen Glücksspiel Vorschub leisten wird, ist nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 GaststättenG die Erlaubniserteilung zu versagen. Aus demselben Grund kann die Erlaubnis nach § 15 Abs. 2 GaststättenG zurückgenommen werden. In diesen Vorschriften geht es jedoch nur um präventive Maßnahmen der zuständigen Behörde zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, nicht um die Begründung strafrechtlich relevanter Überwachungspflichten des Gastwirtes. Dieser hat nämlich mangels Bestehens eines Autoritätsverhältnisses keine strafrechtlich relevante Pflicht zur Überwachung seiner Gäste.59

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Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 106. LK-Krehl, § 284 Rn. 20; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 21. 58 Landscheidt, Zur Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumen, S. 109. 59 Landscheidt, Zur Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumen, S. 109 f. 57

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Der Wortlaut des Gesetzes enthält keine Spezifizierung, welche Gegenstände von der Norm erfasst sind. Für den Bürger ist deshalb eine weite Auslegung dieses Begriffes nicht überraschend oder unvorhersehbar. Die Beschränkung der Anwendbarkeit dieser Alternative nur auf Gegenstände, die schon nach ihrer naturgegebenen Bauart und Zwecksetzung zum Spielen eingesetzt werden, würde die Intention des Gesetzgebers, jeden zu erfassen, der das Glücksspiel fördert (S. 114), außer Acht lassen. Zur Vermeidung von Beweisschwierigkeiten wurde der Anwendungsbereich dieser Alternative bewusst weit gefasst (S. 114), sodass eine einschränkende Auslegung dieser strafbewehrten Handlung gerade nicht dem Sinn und Zweck der Norm entsprechen würde. Ebenso ist eine Gleichbehandlung von Räumlichkeiten und Mobiliar nicht zwingend. Das Oberlandesgericht Köln60 hat im Jahr 2005 entschieden, dass ein Grundstück, das zu unerlaubtem Glücksspiel genutzt wird, keine der Einziehung unterliegende Spieleinrichtung sei. Diese Vorschrift erfasse Gegenstände, die nach den Umständen des Einzelfalls zur Verwendung für Glücksspiele bestimmt und geeignet sind. Darunter fallen zwar auch „neutrale“ Gegenstände, soweit sie den erforderlichen Bezug zur Verwendung für Glücksspiele aufweisen. Für das gesamte Grundstück könne aber ein derartiger Bezug nicht angenommen werden. Das Grundstück könne auch nicht nach dem neben § 286 StGB anwendbaren § 74 StGB eingezogen werden, da es kein Tatmittel darstelle. Im Lichte einer sinnvollen und am Zweck der Vorschrift orientierten Einschränkung des Kreises der zur Begehung oder Vorbereitung von Straftaten bestimmten oder gebrauchten Gegenständen seien nur solche Gegenstände einziehbar, die nach der Absicht des Täters als „eigentliches Mittel“ zur Verwirklichung eines Straftatbestandes eingesetzt werden. Die bloße Tatsache, dass der illegale Spielbetrieb auf dem Grundstück des Angeklagten stattgefunden habe, mache das Grundstück nicht zum „Tatwerkzeug“ im Sinne des § 74 StGB. Der Verzicht auf das subjektive Element der herrschenden Meinung ist, anders als von Mintas behauptet, nicht angezeigt. Dass sich gemäß § 284 StGB nur derjenige strafbar machen kann, der vorsätzlich handelt, ist nicht zu bestreiten. Hierfür genügt jedoch bereits dolus eventualis; der Täter muss die Tatbestandsverwirklichung für möglich halten und billigend in Kauf nehmen.61 Werden die eigentlichen Spieleinrichtungen zur Verfügung gestellt, kann der Täter nur noch für möglich halten, dass das Spiel überhaupt durchgeführt wird; die Verwendung der Gegenstände für das Glücksspiel ist dann nicht mehr ungewiss. Bei den uneigentlichen Spieleinrichtungen ist ihre Verwendung zum Glücksspiel nicht zwingend. Die Gleichbehandlung beider Beiträge kann nur gerechtfertigt sein, wenn der Täter in beiden Fällen weiß, dass er tatsächlich die zum Glücksspiel zu verwendenden Einrichtungen bereitstellt. 60 61

OLG Köln NStZ 06, 225 f. BGHSt 7, 363; BGHSt 21, 283; BGHSt 36, 9.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

4. Bestimmtheit des Begriffs „Werbung“ § 284 Abs. 4 StGB wurde durch das 6. StrRG 1998 eingeführt und soll die Strafbarkeit auf die Vorbereitungshandlungen des § 284 Abs. 1 und Abs. 2 StGB ausdehnen. Damit wird die Strafbarkeit noch weiter ins Vorfeld verlagert.62 a) Gründe für die Einführung des Abs. 4 Diese Norm richtet sich gerade auch gegen die illegale Glücksspielwerbung ausländischer Anbieter gegenüber inländischem Publikum, die unter Zuhilfenahme der bestehenden Telekommunikationsmöglichkeiten unmittelbar vom inländischen Aufenthaltsort des Spielteilnehmers aus abgewickelt werden können und bei denen der ausländische Veranstalter die für seine Strafbarkeit in Deutschland erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt.63 Es sollen Strafbarkeitslücken geschlossen werden, die dadurch entstehen, dass die in Deutschland handelnden Gehilfen ausländischer Glücksspielunternehmer aufgrund der limitierten Akzessorietät nicht bestraft werden können. Denn es bedarf einer Haupttat, die oft nur schwer nachzuweisen ist oder aufgrund der Straflosigkeit des Glücksspiels am Aufenthaltsort des Anbieters gar nicht gegeben ist.64 b) Begriffsbestimmung Was unter den Begriff „Werbung“ fällt und wie diese von den Alternativen des § 284 Abs. 1 StGB einerseits und vom straflosen Bereich andererseits abzugrenzen ist, wird kontrovers diskutiert. Zum einen wird der Begriff „Werbung“ als das Anbieten, Ankündigen und Anpreisen definiert.65 Diese Begriffsbestimmung ergebe sich aus § 5 II GjS. Da jedoch das „normale“ Anbieten des Abschlusses von Spielverträgen schon unter § 284 Abs. 1 Alt. 1 StGB fällt und damit unter höhere Strafe gestellt ist (Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren statt bis zu einem Jahr wie in Abs. 4), solle diese Widersprüchlichkeit damit gelöst werden, dass das mildere Gesetz auf der Rechtsfolgenseite Sperrwirkung entfalte.66 Schmidt vertritt demgegenüber, dass das Anbieten gerade nicht mehr in den Anwendungsbereich des § 284 Abs. 4 StGB falle. Das Werben müsse dem Anbieten zeitlich vorgelagert sein, da mit dem Anbieten das Glücksspiel bereits „veranstaltet“ werde.67 62 63 64 65 66 67

SK-Hoyer, § 284 Rn. 37; LK-Krehl, § 284 Rn. 25. BT-Drs. 13/8587, S. 67 f.; 13/9064, S. 21; S/S-Heine/Hecker, § 284 Rn. 34. Mintas, Glücksspiele im Internet, S. 205. Wrage, ZRP 98, 429. Wrage, ZRP 98, 429. Schmidt, ZRP 99, 308.

A. Bestimmtheit des § 284 StGB

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Nach der Ansicht Schmidts soll ferner durch die Werbung das wohlwollende Interesse des Publikums am Gegenstand der Werbung geweckt oder gefördert werden. Insofern enthalte der Begriff „Werbung“ ein finales Element.68 Es gehe um eine positiv-wertende Einflussnahme auf das Publikum, was beim – auch wertfrei vorstellbaren – Anbieten nicht notwendig vorzuliegen braucht. Allein die Ausstellung des Produkts auf der Straße kann schon ein schlüssiges Angebot im zivilrechtlichen Sinne (§ 145 BGB) darstellen, wodurch jedoch die Passanten nicht beeinflusst werden.69 Werbung sei danach eine planmäßig angelegte, propagandistische, Gewinn versprechende Ankündigung oder Anpreisung des Glücksspiels in der Absicht, das wohlwollende Interesse des Publikums an einer Teilnahme zu erwecken oder zu fördern, wozu sie auch geeignet sein muss.70 Hoyer geht hingegen davon aus, dass bereits die wertungsfreie, bloß informative Ankündigung einer Gelegenheit zum Glücksspiel genüge,71 die Werbung beschränke sich dann jedoch auf die Unterbreitung einer invitatio ad offerendum, sodass sie dem Angebot ebenfalls zeitlich vorgelagert sei.72 Schließlich ist der Begriff des Werbens ebenfalls hinreichend konkretisierbar. Diejenigen Ansichten, die das Anbieten nicht als eine Handlungsmodalität des Werbens verstehen, sind im Hinblick auf die systematische Auslegung der Norm vorzugswürdig. Bei der Interpretation der Gesetze ist von einer vernünftigen Regelung auszugehen. Es soll also nicht diejenige Auslegung des Gesetzes gelten, die die Annahme eines nur per Kunstgriff behebbaren schweren Fehlers des Gesetzgebers voraussetzt, sondern diejenige, die die Annahme eines solchen Fehlers zwanglos und vertretbar vermeidet.73 Ferner bietet der Werbende den Spielinteressierten grundsätzlich nicht die unmittelbare Glücksspielteilnahme an, sondern bewirbt lediglich ein fremdes Angebot.74 Ein eigenständiger Anwendungsbereich für das Werben in § 284 Abs. 4 StGB ergibt sich, wenn man hier jede (ggf. auch konkludente) Form der Ankündigung und des Anpreisens genügen lässt.75 Anpreisen ist dabei eine lobende oder empfehlende Erwähnung des Glücksspiels, die Hervorhebung der Gewinnchance oder besonders günstiger Auszahlungsquoten. Ankündigen ist jede Kundgebung, durch die auf die Gelegenheit und die Modalitäten einer Spielbeteiligung, die Einzelheiten des Spielplans oder die Höhe des Einsatzes aufmerksam gemacht wird, die aber noch kein konkretes 68

Schmidt, ZRP 99, 308; siehe dazu auch BGH NJW 87, 451. Schmidt, ZRP 99, 308. 70 NK-Gaede, § 284 Rn. 25; Schmidt, ZRP 99, 308; Volk, Glücksspiel im Internet, S. 68. 71 SK-Hoyer, § 284 Rn. 38. 72 SK-Hoyer, § 284 Rn. 38; so auch Volk, Glücksspiel im Internet, S. 68. 73 Schmidt, ZRP 99, 308. 74 OLG Hamburg CR 03, 58. 75 NK-Gaede, § 284 Rn. 25. 69

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Spielvertragsangebot, sondern allenfalls eine invitatio ad offerendum darstellt.76 Der bloß informative Hinweis auf eine Gelegenheit zum illegalen Glücksspiel entspricht hingegen nicht dem allgemeinen Sprachverständnis und Sprachgebrauch des Begriffs „Werbung“. 5. Ergebnis Damit zeigt sich, dass sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen einer Auslegung zugänglich sind, die zu keiner Überscheidung der Anwendungsbereiche mit der Folge der Überflüssigkeit anderer Tatbestandsmerkmale führt. Damit entspricht die Norm den Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB Die wichtigste Frage, die sich im Hinblick auf die Legitimität des § 284 StGB stellt, ist die nach der Verhältnismäßigkeit dieser Norm.

I. Legitimer Zweck Bereits im ersten Teil dieser Arbeit wurde festgestellt, dass § 284 StGB vorrangig dem Schutz des Vermögens dient. Dieser Zweck wird durch das Erfordernis der Durchführung eines Verwaltungsverfahrens gestützt. Der in den §§ 284 ff. StGB bezweckte Schutz des Vermögens erfüllt sowohl die Anforderungen der Rechtsgutslehre im Hinblick auf die zu schützenden Güter als auch die der Praxis. Die Erzwingung der Einhaltung des verwaltungsrechtlichen Verfahrens wäre sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus strafrechtstheoretischer Sicht für die Androhung oder Verhängung einer Kriminalstrafe keine legitime Grundlage. Zwar legt das Verfassungsrecht bei der Auswahl legitimer Zwecke einen großzügigen Maßstab an. Dennoch wird aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs durch Androhung, Verhängung und Vollziehung einer Kriminalstrafe anerkannt, dass nicht bereits jede Bagatelle strafrechtlich geahndet werden darf und dass das Unrecht der Tat sich nicht in bloßem Verstoß gegen eine Norm, sozusagen im reinen Ungehorsam, erschöpfen kann (S. 78). Außerdem ist die Auswahl des Zwecks auch für die weiteren Prüfungsebenen entscheidend, da diese sich an diesem ersten Kriterium orientieren und zu diesem in Bezug gesetzt werden. Sowohl in der Strafrechtswissenschaft als auch in der Praxis wäre nach den vorstehenden Ausführungen die strafrechtliche Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams sowie die Verfolgung reiner Kontrollinteressen unzulässig. Im Übrigen reicht dem Bundesverfassungsgericht sogar ein Bündel von verschiedenen gesetzgeberischen Motiven, da diese keineswegs verfassungswidrig sind (vgl. S. 56). Da

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Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 118.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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jedoch mit dem Vermögen ein allseitig anerkanntes Rechtsgut vorliegt, ist die Zwecksetzung sowohl aus verfassungs- als auch aus strafrechtswissenschaftlicher Sicht legitim.

II. Geeignetheit Die Geeignetheit von § 284 StGB zum Schutz des Vermögens könnte zum einen durch Heranziehung der Statistik der polizeilich erfassten Fälle beurteilt werden. Im Vergleich zum Jahr 2017 mit 504 polizeilich erfassten Fällen von illegalem Glücksspiel (§§ 284, 285 und 287 StGB) wurden im darauffolgenden Jahr 838 Fälle und im Jahr 2019 947 Fälle erfasst,77 was einen deutlichen Anstieg bedeutet. Die Statistik zeigt jedoch auch immer wieder deutliche Rückgänge. Als Beispiel kann die Zahl der erfassten Fälle im Jahr 2001 (1.345 Fälle) angeführt werden, nachdem im Jahr 2000 über zweitausend Fälle erfasst wurden (2.282 Fälle). Ähnliches gilt für die Jahre 2007–2008 (von 1.758 Fällen auf 1.326 Fälle) oder 2011–2012 (von 1.596 Fällen auf 1.139 Fälle). Demnach ist keine stetige Entwicklung erkennbar, weder im positiven noch im negativen Sinne. Im Bereich des Glücksspiels gibt es mehrere Faktoren, die die Schwankung der Zahl der erfassten Fälle begünstigen können. Nicht die letzte Rolle wird dabei wohl die Strafbarkeit des Teilnehmers nach § 285 StGB spielen. Die Anzeige der Fälle unerlaubten Glücksspiels ist für die Teilnehmer (und dementsprechend „Opfer“), die den Tatbestand des § 285 StGB erfüllen, mit der Gefahr ihrer eigenen Verfolgung verbunden, sodass hier vermutlich bereits ein großes Feld an nicht bekannt gewordenen Fällen gegeben ist, das sog. Dunkelfeld. Ein weiterer Faktor ist die erschwerte Kenntniserlangung der Behörden, wenn es sich gerade nicht um leicht zu findende illegale Online-Glücksspiele – hier stellen sich freilich andere rechtliche Probleme im Hinblick auf die Verfolgung – oder klar erkennbare Wettbüros handelte, die zur Zeit des ausnahmslosen staatlichen Monopols eindeutig illegal waren. Der illegale Glücksspielmarkt ist, vergleichbar mit dem Betäubungsmittelmarkt, meistens im Untergrund aktiv. Die realen Zahlen sind deshalb nahezu unmöglich zu ermitteln. Die statistische Schwankung kann deshalb auch lediglich die mehr oder weniger erfolgreiche Kenntniserlangung von Straftaten im Bereich der Glücksspiele bedeuten. Auf der anderen Seite führte gerade die Verschärfung der Auflagen dazu, dass die Anbieter immer mehr zur Abwanderung in die Illegalität neigen. Ferner sind es auch häufig die Spieler selbst, die auf diese Art und Weise Verbraucherschutzmaßnahmen umgehen möchten, welche das Spiel „langweilig“ machen. Außerdem ermöglicht der technische Fortschritt einen schnelleren und bequemeren Zugang zu Glücksspielen, und dadurch kann noch eine breitere Masse erreicht werden (zum Beispiel Online-Spiele). 77 Statistische Daten unter: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/157625/um frage/polizeilich-erfasste-faelle-von-illegalem-gluecksspiel-seit-1995/.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Dennoch darf auch die Inkaufnahme der Illegalität durch einige Anbieter oder Spieler selbst nicht bedeuten, dass dadurch die fehlende Eignung der strafrechtlichen Norm erwiesen wird. Zwar sollte § 284 StGB zur Verhinderung der unerlaubten Veranstaltung von Glücksspielen sowie § 285 StGB zur Verhinderung der Teilnahme an solchen Spielen beitragen. Dieser Effekt ist bis jetzt nur unvollständig erreicht worden. Das Verlangen der vollständigen Verhinderung würde jedoch die an die Geeignetheit gestellten Anforderungen überstrapazieren. Sogar der Mordtatbestand mit der einzig möglichen Rechtsfolge in Form der lebenslangen Freiheitsstrafe kann die Menschheit nicht vor der Begehung solcher Taten schützen. Deshalb genügt es, wenn die Norm zur Erreichung des Zwecks beiträgt und diesen fördert; eine Garantie des Erfolgs ist nicht erforderlich. Die Norm darf lediglich nicht offensichtlich ungeeignet erscheinen (S. 92 f.). In Anbetracht der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers und der justiziellen Minimalisierung des Geeignetheitsmaßstabs muss der gesetzlichen Verhaltenskriminalisierung schon dann die Geeignetheit zum Rechtsgüterschutz zugesprochen werden, wenn auf der Opferseite ein Rechtsgut, das durch das fragliche Verhalten tangiert wird, vorhanden ist.78 Auch wenn der illegale Glücksspielmarkt boomt, kann nicht die Einschätzung des Gesetzgebers überwunden werden, dass eine Norm wie § 284 StGB mit ihrem sehr weiten Tatbestand, der Unter-Strafe-Stellung einer Beihilfehandlung und der weiten Vorverlegung bis in den Bereich der bloßen Werbung durchaus den ein oder anderen potentiellen Täter von der Tatbegehung abhalten könne. Es ist nicht auszuschließen, dass ohne die Existenz des § 284 StGB die Zahl der illegalen Angebote und somit der Gefährdungen des Rechtsguts höher wäre. Denn ein solches im Strafgesetzbuch enthaltenes Verbot könne durchaus das Bewusstsein in der Bevölkerung dafür schärfen, dass die ungenehmigte Veranstaltung von Glücksspielen sowie die Teilnahme daran eine Kriminalitätsform und Ausdruck eines allgemein sozial missbilligten Verhaltens sei.79

III. Erforderlichkeit Die strafrechtliche Norm müsste weiterhin auch erforderlich sein, das heißt es dürfte kein milderes Mittel vorliegen, welches zur Erreichung des Zwecks gleich geeignet wäre, jedoch die Grundrechte des Täters nicht oder zumindest weniger einschränken würde. Diese verfassungsrechtliche Voraussetzung der Legitimität einer Strafnorm korrespondiert mit dem strafrechtsdogmatischen Kriterium der Strafbedürftigkeit. Als das mildeste Mittel käme zunächst die vollständige Abschaffung der Pönalisierung der unerlaubten Glücksspielveranstaltung in Frage.

78 Sternberg-Lieben, Rechtsgut, Verhältnismäßigkeit und die Freiheit des Gesetzgebers, S. 77; Utsch, Strafrechtliche Probleme des Stalking, S. 198. 79 Vgl. BT-Drs. 13/5584, S. 15 zur Korruption im geschäftlichen Bereich.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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Andererseits könnte im StGB bereits eine Norm enthalten sein, die den bezweckten Schutz hinreichend gewährleistet. Hier käme insbesondere die Strafbarkeit des Betrugs nach § 263 StGB in Betracht. Als im Vergleich zum Strafrecht mildere Mittel, die die Strafbedürftigkeit oder die Erforderlichkeit des § 284 StGB entfallen lassen könnten, kommen ferner zivilrechtliche Regelungen und das Ordnungswidrigkeitsrecht in Betracht. 1. Abschaffung der Kriminalisierung der unerlaubten Glücksspielveranstaltung als milderes Mittel Über den Glücksspielmarkt wird immer als über einen finanziell sehr lukrativen Markt gesprochen. Die Realität zeigt, dass auch eine strafrechtliche Pönalisierung die Veranstalter nicht davon abhält, Glücksspiele ohne Einholung einer erforderlichen Genehmigung anzubieten. Der Gedanke der völligen Entkriminalisierung kann indes so pauschal nicht überzeugen. Auch die Androhung einer lebenslangen Freiheitsstrafe für den Mord hält die Täter nicht davon ab, diese Straftat zu begehen. Gleiches gilt auch in Bereichen der Straßenverkehrsdelikte oder beim Konsum von Betäubungsmitteln; auch wird im Bereich des Dopings oft moniert, dass dopingfreier Sport wohl nie existieren wird.80 Die Vorstellung, dass das rechtsgüterschützende Strafrecht nur dann zur Geltung kommen soll, wenn dadurch die Begehung von Straftaten vollständig ausgeschlossen werden kann, ist indessen utopisch. Nach diesem Kriterium müsste man mittlerweile nahezu alle Strafnormen abschaffen.81 Deshalb kann eine Entkriminalisierung nicht mit dem Argument gefordert werden, dass es immer noch zur Tatbegehung kommt und kommen wird. Insofern deckt sich dieses Ergebnis auch mit den Ausführungen zur Geeignetheit. 2. Ausschluss der Erforderlichkeit durch zivilrechtliche Regelungen Im Rahmen der zivilrechtlichen Regelungen wäre in erster Linie an Schadensersatz und bereicherungsrechtlichen Ausgleich als mildere Mittel zu denken. a) Zivilrechtliche Lage Nach § 762 BGB wird dem Spiel- und Wettvertrag zwar keine Sittenwidrigkeit, aber verminderte Wirksamkeit beigelegt.82 Nach § 762 Abs. 1 S. 1 BGB begründen Spiel und Wette keine Verbindlichkeit. Unter Spiel werden – anders als 80 Siehe zum Beispiel Momsen-Pflanz, Die sportethische und strafrechtliche Bedeutung des Dopings, S. 210. 81 Vgl. auch Momsen-Pflanz, Die sportethische und strafrechtliche Bedeutung des Dopings, S. 210; Ott, Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit des Selbstdopings im Leistungssport, S. 193. 82 BeckOK BGB-Janoschek, § 762 Rn. 1.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

in § 284 StGB – Glücks- und Geschicklichkeitsspiele verstanden.83 Obwohl keine Einigkeit darüber besteht, ob dadurch eine unvollkommene Verbindlichkeit begründet wird, die zwar erfüllt, aber nicht eingeklagt werden kann, oder lediglich ein vom Recht anerkannter Erwerbsgrund, der zum Behalten der Leistung berechtigt, ist klar, dass den Beteiligten ein Erfüllungsanspruch verwehrt wird.84 Wurde jedoch zur Erfüllung geleistet, ist die Rückforderung nach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen, auch – abweichend von § 814 BGB – wenn in Unkenntnis der Unverbindlichkeit der Spielschuld geleistet worden ist.85 Der Sinn des § 762 BGB besteht im Schutz des Vertragspartners vor den unkalkulierbaren und existenzbedrohenden Gefahren des aleatorischen Vertrags (= Verträge, deren Hauptgegenstand und Merkmal die beiderseitige Übernahme des Risikos und die Abhängigkeit des Pflichtenprogramms vom Zufall oder von subjektiver Ungewissheit ist). Zum anderen soll die allgemeine Spielleidenschaft eingedämmt werden und (in Verbindung mit § 763 BGB) auf das staatlich konzessionierte und nach § 763 BGB mit rechtlicher Verbindlichkeit ausgestattete Glücksspiel gelenkt werden (§ 763 BGB umfasst zudem auch andere staatliche Glücksspiele, die im Gesetz nicht ausdrücklich genannt sind).86 Damit würden zunächst die oben erwogenen Ansprüche grundsätzlich ausgeschlossen sein. Allerdings schließt § 762 BGB nicht aus, dass diese Verträge nach §§ 134, 138 BGB nichtig sein können. Ist der Vertrag nach diesen Vorschriften unwirksam, gilt § 762 Abs. 1 S. 2 BGB nicht und die Möglichkeit der Rückforderung nach §§ 812, 814, 817 bleibt bestehen.87 Nach § 134 BGB ist der Vertrag nichtig, wenn er gegen ein die Unterdrückung gerade dieser Betätigung bezweckendes Verbot verstößt. Ein solches Verbot enthalten §§ 284, 285 StGB.88 Hier wird die Rückforderung dennoch in der Regel an § 817 S. 2 BGB scheitern. Sittenwidrig ist der Vertrag nach § 138 BGB dann, wenn er unter Ausnutzung der Unerfahrenheit, des Leichtsinns oder einer Zwangslage eines Beteiligten zustande kam.89 Freilich kann in solchen Fällen § 291 StGB einschlägig sein, sodass auch § 134 BGB einschlägig wäre (§ 138 Abs. 2 BGB ist in diesem Fall jedoch spezieller90). Auch der Betrüger und Falschspieler kann sich nicht dem bereicherungsrechtlichen oder deliktsrechtlichen Anspruch auf Herausgabe des 83 84 85 86 87 88 89 90

BeckOK BGB-Janoschek, § 762 Rn. 3; MüKO-Habersack, § 762 Rn. 8. MüKO-Habersack, § 762 Rn. 3 m.w. N. BGH NJW 89, 2121. MüKO-Habersack, § 762 Rn. 1; BeckOK BGB-Janoschek, § 762 Rn. 1. Jauernig BGB-Stadler, § 762 Rn. 10. MüKO-Habersack, § 762 Rn. 14. MüKO-Habersack, § 762 Rn. 17. MüKO-Armbrüster, § 134 Rn. 4.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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Erlangten entziehen. Im Rahmen von § 134 BGB und § 823 Abs. 2 BGB spielt deshalb auch § 263 StGB eine Rolle. Es ist erkennbar, dass das Zivilrecht zwar die Glücksspiele nicht vollkommen in die Illegalität verdrängen will, jedoch die Position der Vertragsbeteiligten deutlich schwächt. Die befürchtete Manipulationsanfälligkeit unerlaubter Glücksspiele wird hier nur angedeutet, indem der Staat die Beteiligten durch die Schwächung ihrer Rechtsposition in die Bahn des staatlichen Glücksspiels lenken will. Zudem findet im Falle des Betrugs das Deliktsrecht uneingeschränkt Anwendung. Die Anwendung des § 817 S. 2 BGB auf das Deliktsrecht91 wird ganz überwiegend abgelehnt. Zwar wird vereinzelt vertreten, dass in Fällen, in denen eine Partei die andere im Rahmen eines verbotenen Geschäfts durch betrügerisches Vorspiegeln von Tatsachen deliktisch schädigt, § 817 S. 2 BGB anwendbar sein soll, wenn durch Betrug keine Vermögensverschiebung bewirkt wird, auf die sich nicht schon der Gesetzesverstoß erstreckt. So ein Fall wäre denkbar, wenn der Veranstalter den Spieler zur Einsatzleistung veranlasst, jedoch nicht beabsichtigt, das Glücksspiel ordnungsgemäß ablaufen zu lassen und dadurch eine gleichwertige Gewinnchance einzuräumen. Eine andere Ansicht kommt zum gleichen Ergebnis mit der Begründung, dass das Vertrauen auf die Redlichkeit der beim verbotenen Geschäft gemachten Zusagen keinen Schutz verdiene. Die ganz herrschende Meinung lehnt jedoch die Berücksichtigung der Wertung des § 817 S. 2 BGB im Rahmen des § 823 BGB oder eine analoge Anwendung dieser Norm im Deliktsrecht ab. Das Bereicherungs- und das Deliktsrecht weisen unterschiedliche Funktionen auf. Das Bereicherungsrecht ist auf die Wiederherstellung der objektiv richtigen Güterordnung ausgerichtet, während dem Deliktsrecht primär eine Ausgleichs-, Genugtuungsund Präventivfunktion zukommt.92 Im Deliktsrecht besteht ein eigener Unrechtsgehalt in Form eines eigenen Handlungsunrechts, auch wenn der Schaden auf das beschränkt ist, was sich bereits aus der Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit der Leistung ergibt. Die Partei, die sich auf ein verbotenes Geschäft einlässt, soll nicht gegenüber weiteren deliktischen Handlungen des Partners völlig schutzlos gestellt werden. Die Präventivfunktion des Deliktsrechts würde bei Anwendung des § 817 S. 2 BGB nur den Geschädigten treffen, nicht jedoch den Schädiger, womit sie ad absurdum geführt wird.93 Infolgedessen schützt die zivilrechtliche Regelung des Spiels die Parteien zwar vor der Pflicht, ihre „Verbindlichkeit“ aus dem Vertrag zu erfüllen, hindert jedoch beide Parteien (und damit auch das Opfer im Sinne des § 284 StGB) an der 91 Zu weiteren Ausführungen sehr ausführlich Sykora, Die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB, S. 87 ff. m.w. N. 92 BeckOK BGB-Förster, § 823 Rn. 7, 9, 12. 93 Sykora, Die Kondiktionssperre des § 817 Satz 2 BGB, S. 87 ff. m.w. N.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Erlangung des bereits Geleisteten. Die Existenz von § 284 StGB verstärkt den zivilrechtlichen Schutz sogar, indem § 762 BGB auf die unerlaubten Glücksspiele nicht anwendbar ist und deshalb die Rückforderung des Geleisteten nicht ausgeschlossen ist. Demnach könnte das Opfer des unerlaubten Glücksspiels einen Ausgleich erlangen. Dieses erfreuliche Ergebnis wird zwar dadurch relativiert, dass aufgrund von §§ 284 und 285 StGB der § 817 S. 2 BGB zur Anwendung kommt und in der Regel zum Ausschluss der bereicherungsrechtlichen Rückforderung führt. Dennoch bleibt der deliktische Anspruch bestehen. Da § 284 StGB nicht nur dem Schutz der Allgemeinheit dient, sondern in erster Linie den Schutz des individuellen Vermögens bezweckt, muss diese Norm als ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB betrachtet werden. Dies hat den Vorteil, dass noch nicht nachgewiesen werden muss, dass das Spiel tatsächlich manipuliert wurde. Ein anderes Ergebnis könnte mit der Streichung des § 285 StGB erzielt werden, denn dann würde der Spieler nicht ebenfalls gegen das Gesetz verstoßen; die Problematik des § 817 S. 2 BGB würde wegfallen. Die Legitimität des § 285 StGB wurde bereits ernsthaft in Zweifel gezogen und in dieser Arbeit sogar verneint. Hier wird eine weitere Schwäche sichtbar. Den Veranstalter trifft keine Leistungspflicht, eine Rückzahlung kann er ebenfalls verweigern. Dadurch wird der Veranstalter wohl kaum dazu angehalten, solche Geschäfte zu unterlassen. Bleibt es bei der gegenwärtigen Rechtslage, könnte und sollte man die Zulassung einer Korrektur dieses Ergebnisses nach § 242 BGB, wie im Falle der Schwarzarbeit,94 in Betracht ziehen. Denkt man § 284 StGB hinweg, würde die grundsätzliche Nichtigkeit von Glücksspielverträgen nach § 134 StGB entfallen. Dies würde zur Anwendbarkeit des § 762 BGB führen (außer im Falle des nachgewiesenen Betrugs nach § 263 StGB oder des Wuchers nach § 291 StGB oder in sonstigen Fällen der Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB) und somit zum Ausschluss von Rückforderungsansprüchen. Daher kann das geltende Zivilrecht allein – ohne die Verbindung mit § 284 StGB – keinen gleichwertigen, vom Nachweis der stattgefundenen Täuschung oder der Ausnutzung einer besonderen Lage des Opfers unabhängigen Schutz bieten. b) Gleichwertige Geeignetheit des zivilrechtlichen Schutzes im Allgemeinen Der Vorteil des Zivilrechts liegt nach der derzeitigen Rechtslage darin, dass der Spieler selbst entscheiden könnte, ob er gegen den Veranstalter vorgehen und damit riskieren möchte, seine eigene strafbare Beteiligung offenzulegen. Das

94

Vgl. Jauernig BGB-Stadler, § 817 Rn. 14 m.w. N.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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Strafverfahren wird nach dem Legalitätsprinzip geführt und kann deshalb auch gegen den Willen des Opfers eingeleitet werden, zumal es sich bei §§ 284 ff. StGB nicht um Antragsdelikte handelt. Das Zivilrecht ist primär jedoch auf den Ausgleich gerichtet, nicht auf die Pönalisierung. Zwar ist der Präventiv- und Bestrafungsgedanke dem Deliktsrecht nicht absolut fremd, dennoch liegt in der Kriminalstrafe zudem ein „sozialethischer Tadel“, der dem zivilrechtlichen Deliktsrecht nicht zugeschrieben werden kann. Das zivilrechtliche Deliktsrecht soll gerade keine Straffunktion haben.95 Sowohl im Hinblick auf die Abschreckungswirkung als auch im Hinblick auf die generalpräventive Stärkung der Rechtstreue der Bevölkerung sowie die Erhaltung und Stärkung des Vertrauens in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung96 haben strafrechtliche Normen einen viel größeren Einfluss auf die Bevölkerung als zivilrechtliche Normen. Schließlich steht im Strafverfahren der Staat mit seiner Autorität dem Bürger gegenüber. Im Vergleich dazu ist das Zivilverfahren durch eine gleichrangige Beziehung der Bürger untereinander geprägt. Insbesondere tragen im Zivilverfahren die Parteien die Beweislast für ihre Behauptungen. Ist der Kläger nicht dazu in der Lage, seine Behauptungen zu beweisen, wird die Klage abgewiesen. Die Tatsachen- und Beweisermittlung kann sich für den Kläger in solchen Fällen als äußerst schwierig darstellen. Dazu kommt, dass viele Glücksspielanbieter ihren Sitz gar nicht in Deutschland haben und dies dem Spieler die Durchsetzung seiner Rechte wesentlich erschwert. Bereits für die Rechtshängigkeit des Verfahrens bedarf es der Klagezustellung an den Beklagten. Im Falle der Vermögenslosigkeit des Veranstalters kann der Spieler zudem sogar einen bestehenden Schadensersatz- oder Bereicherungsanspruch kaum durchsetzen; die Verurteilung kann ins Leere gehen.97 Letztendlich ist nicht auszuschließen, dass zivilrechtliche Folgen von den Veranstaltern „einkalkuliert“ sein können, sodass sie diese in Kauf nehmen.98 Eine ähnliche Denkweise ist häufig bei Schwarzfahrern anzutreffen. Die Ersparnis, die durch den Verzicht auf den Kauf von Fahrkarten im Laufe gewisser Zeit zustande kommt, ist angesichts seltener Kontrollen sowie der Möglichkeiten, sich diesen zu entziehen, oft deutlich höher, auch wenn man hin und wieder ertappt wird und das erhöhte Beförderungsentgelt zahlen muss. Die Spekulation auf den nicht entdeckten Betrug oder auf die Scheu des Opfers vor einem Rechtsstreit sowie die ausgleichende Funktion des Zivilrechts lassen es auch im Fall des Glücksspiels denkbar erscheinen, dass solche rein finanziellen Folgen von vorn-

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BeckOK BGB-Förster, § 823 Rn. 11. Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 141. 97 Vgl. Käbisch, Markenschutz im Strafrecht, S. 368; Pfaffinger, Rechtsgüter und Verhältnismäßigkeit im Strafrecht des geistigen Eigentums, S. 230, 232 f. 98 Vgl. Käbisch, Markenschutz im Strafrecht, S. 368; Pfaffinger, Rechtsgüter und Verhältnismäßigkeit im Strafrecht des geistigen Eigentums, S. 231. 96

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

herein eingeplant werden. Im Zivilrecht soll der Verfügende nicht schlechter stehen als vor seiner Verfügung, dennoch soll er auch nicht bereichert werden. Die zivilrechtlichen Ansprüche dienen hier lediglich dem Ausgleich rechtsgrundlos vorgenommener Vermögensverschiebungen oder der Wiedergutmachung des erlittenen Schadens. Dementsprechend wird der Veranstalter schlimmstenfalls nur das erstatten müssen, was er vom Opfer erlangt hat; eine darüber hinausgehende Bestrafung wird nicht stattfinden. Bei besonders profitträchtigen und deshalb lukrativen Geschäften lässt sich die Gefahr von Rechtsverletzungen wohl mithilfe zivilrechtlicher Regelungen nicht ausschließen, da der Täter trotz der Schadensersatzleistungen oder bereicherungsrechtlicher Abwicklungen Gewinn machen kann.99 Damit steht fest, dass zivilrechtliche Regelungen zwar ein milderes, aber kein gleich geeignetes Mittel darstellen. c) Schutz privater Rechte durch Polizei- und Ordnungsrecht Ein gleich geeigneter Schutz kann auch nicht durch die Absicherung privater Rechte durch das Polizei- und Ordnungsrecht gewährleistet werden. Die Gefahrenabwehrbehörden sollen den Schutz der öffentlichen Sicherheit gewährleisten. Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unversehrtheit der Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des Einzelnen sowie den Bestand, die Einrichtungen und Veranstaltungen des Staates. Dennoch obliegt der staatliche Schutz privater Rechte des Einzelnen an sich den Zivilgerichten. Nach § 2 II PolG BW obliegt der Schutz privater Rechte der Polizei nur auf Antrag des Berechtigten und nur dann, wenn gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und wenn ohne polizeiliche Hilfe die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert wird (sog. Subsidiaritätsklausel). Private Rechte in diesem Sinne sind solche Rechte, die im Zivilrecht begründet sind, insbesondere privatrechtliche Ansprüche. Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die privaten Rechte gleichzeitig durch das Öffentliche Recht (Strafrecht, Verwaltungsrecht, Ordnungswidrigkeitenrecht) geschützt werden. Die Begründung dieser Trennung liegt zum einen in der Gewaltenteilung, zum anderen in der Schwierigkeit der Prüfung und Feststellung schuldrechtlicher Forderungen durch die Polizei- und Ordnungsbehörden. Daraus ergibt sich, dass der Schutz durch die Ordnungsbehörden bei bloßem Bestehen zivilrechtlicher Forderungen grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Erst die Absicherung des privaten Rechts durch öffentlich-rechtliche Normen ermöglicht das Einschreiten der Behörden.100 Zwar ist es im Zusammenhang mit Glücksspielen denkbar, dass eine Ausnahme von der Subsidiarität begründet wäre. Es wurde bereits erörtert, dass es 99 100

Käbisch, Markenschutz im Strafrecht, S. 367. Schoch, Jura 13, 470.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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dem Betroffenen oft nicht möglich ist, gegen den Veranstalter eine zivilrechtliche Klage zu erheben, da die Identität des Veranstalters oder seine Anschrift nicht bekannt sind. Das kann die Geltendmachung der Ansprüche wesentlich erschweren oder gar unmöglich machen. § 2 II PolG BW erfordert jedoch die kumulative Erfüllung aller Voraussetzungen. Für die Stellung des Antrags müsste der Betroffene zunächst erkennen, dass das Spiel womöglich manipuliert wurde und ihm deshalb ein Schaden entstanden ist. Des Weiteren sieht auch das Zivilprozessrecht die Möglichkeit des Eilrechtsschutzes vor. Das bedeutet, es müsste eine Lage gegeben sein, die das sofortige Einschreiten des Staates rechtfertigt. Dies wäre zum Beispiel denkbar, wenn die Gefahr bestünde, dass der Veranstalter sich mit dem illegal erworbenen Geld aus dem Glücksspiel binnen kürzester Zeit ins Ausland absetzen könnte etc. Solche Fälle sind jedoch eher im Bereich der Organisierten Kriminalität vorstellbar, weniger in den von § 284 Abs. 1 und Abs. 2 StGB vorgesehenen Fällen. Schließlich darf es sich bei den gefahrenabwehrrechtlichen Maßnahmen in diesem Bereich nur um vorläufige Maßnahmen handeln, die der Sicherung des privaten Rechts dienen, dieses aber nicht endgültig zusprechen oder durchsetzen.101 Zum Schutz des Vermögens wurde zwar die präventive Gewinnabschöpfung entwickelt. Danach kann die Polizei zum Beispiel Bargeld oder Gegenstände sicherstellen, die offensichtlich deliktischer Herkunft sind. Viele Fragen sind hier jedoch noch ungeklärt und dieses Vorgehen ist nicht unumstritten. Die Sicherstellung nach § 32 PolG BW dient dazu, den Eigentümer oder den rechtmäßigen Inhaber der tatsächlichen Gewalt vor Verlust oder Beschädigung der Sache zu schützen. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat sich im Jahr 2009 mit dem Begriff der präventiven Gewinnabschöpfung beschäftigt und klargestellt, dass dieser insofern missverständlich sei, als es um eine primär präventive Maßnahme geht, durch die verhindert werden soll, dass illegal erworbene Werte zur Vorbereitung und Durchführung von (weiteren) Straftaten eingesetzt werden,102 wobei sowohl die besondere zeitliche Nähe als auch ein besonders hoher Grad an Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erforderlich ist. Dies bedingt eine entsprechend abgesicherte Prognose, das heißt, es müssen hinreichend konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass das Geld unmittelbar oder in allernächster Zeit zur Vorbereitung oder Begehung von Straftaten verwendet werden wird. Ein bloßer Gefahrenverdacht oder bloße Vermutungen reichen dafür nicht aus; allerdings gilt ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.103 Es gehe aber nicht vorrangig darum, dass der Erlös aus diesen Sachen bzw. der betreffende Geldbetrag letztlich an den 101

Schoch, Jura 13, 477. OVG Lüneburg 11 LC 4/08, abrufbar unter: Niedersächsisches OVG, Urteil vom 02.07.2009 – 11 LC 4/08 – openJur. 103 VGH München, Urteil vom 22.5.2017 – 10 B 17.83, abrufbar unter: VGH München, Urteil v. 22.05.2017 – 10 B 17.83 – Bürgerservice (gesetze-bayern.de). 102

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Staat (Fiskus) fällt.104 Jedenfalls fehlt es hier an dem Sanktionscharakter der Gewinnabschöpfung. Sogar die strafrechtliche Einziehung nach §§ 73 ff. StGB wird nicht mehr als eine Strafe oder Maßregel betrachtet. Sie dient dazu, dem Täter die rechtswidrig erlangten Vorteile der Tat im Wege einer „quasi-kondiktionellen Ausgleichsmaßnahme“ zu entziehen.105 Schließlich sind die Maßnahmen der Gefahrenabwehr auf eine konkrete Situation beschränkt. Hier wird nicht über das gesamte Verhalten des Täters geurteilt. Es geht auch nicht um die Einwirkung auf den Täter, um langfristig seine Einsicht in das begangene Unrecht zu fördern und das Verhalten zu beeinflussen.106 Daher kann auch durch die Verbindung zivilrechtlicher Regelungen mit dem Polizei- und Ordnungsrecht kein gleichwertiger Schutz erreicht werden. 3. Erforderlichkeit im Hinblick auf die Strafbarkeit des Betrugs nach § 263 StGB Gegen die Legitimität des § 284 StGB wird außerdem zum Teil eingewendet, dass die Norm aufgrund der Strafbarkeit des (versuchten) Betrugs überflüssig sei (S. 75). Denn das konkrete Falschspiel seitens des Veranstalters würde zu seiner Strafbarkeit nach § 263 StGB führen. Die im Bereich der illegalen Glücksspiele gefürchtete Manipulation könnte dadurch bereits aufgefangen worden sein. Außerdem handelt es sich beim Betrug um ein Erfolgsdelikt, welches nicht das Vorfeld der tatsächlichen Manipulation betrifft, wie es im Falle eines konkreten oder eines abstrakten Gefährdungsdelikts der Fall wäre. Zunächst muss jedoch untersucht werden, ob § 263 StGB im Falle einer Manipulation einschlägig wäre. Einer ausführlicheren Prüfung bedürfen dabei insbesondere die Voraussetzungen der Erregung eines Irrtums sowie das Vorliegen einer Vermögensverfügung. a) Täuschung Im Falle eines Falschspiels wird der Veranstalter wohl ersichtlich die beabsichtigte Manipulation nicht offenbaren. Grundsätzlich wird der Veranstalter zumindest konkludent erklären, dass das Spiel ordnungsgemäß ablaufen wird und der Spielausgang lediglich vom Zufall (Glück) abhängt. b) Irrtum Fraglich könnte das Vorliegen eines Irrtums bei den Spielteilnehmern sein. Für die Bejahung eines Irrtums müsste das Opfer durch das Erklärungsverhalten des 104 OVG Lüneburg 11 LC 4/08, abrufbar unter: Niedersächsisches OVG, Urteil vom 02.07.2009 – 11 LC 4/08 – openJur. 105 MK-Joecks/Meißner, § 73 Rn. 4; S/S-Eser/Schuster, Vor § 73 Rn. 15. 106 Utsch, Strafrechtliche Probleme des Stalking, S. 204.

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Täters zur Verfügung veranlasst werden, weil es das Vorliegen der konkludent miterklärten, tatsächlich aber nicht bestehenden Tatsachen als selbstverständlich voraussetzt, ohne darüber zu reflektieren.107 Geht der Gesetzgeber von der generellen Manipulationsgefahr bei Glücksspielen aus, die auch in der Gesellschaft propagiert wird, so könnte eine solche Vorstellung idealisierend und realitätsfern sein. Fraglich ist auch, ob die Teilnehmer an einem unerlaubten Glücksspiel tatsächlich von der absoluten Transparenz und dem ordnungsgemäßen Ablauf des Spiels ausgehen.108 Zunächst wäre es lebensfremd, davon auszugehen, dass ein Spieler immer ernsthaft von der Manipulation des Spiels, an dem er teilnimmt, ausgeht. Besteht der Reiz der Glücksspiele in der Zufallsabhängigkeit des Glücks und der Möglichkeit eines Gewinns, so kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein vernünftiger Mensch in Kenntnis der Manipulation dennoch einen Spielvertrag schließt und in Kenntnis des sicheren Verlustes seines Einsatzes sowie des Ausschlusses der Gewinnmöglichkeit diesen trotzdem leistet. Stellt man auf eine generelle, zunächst abstrakt bestehende Manipulationsgefahr bei einem Glücksspiel ab, die eventuell in diesem Umfang auch den Teilnehmern bekannt und diesen bewusst ist, so wird die Frage nach dem noch zulässigen Intensitätsgrad der Zweifel des Opfers und ihrer Schutzwürdigkeit in solchen Fällen entscheidend sein. Nach der herrschenden Meinung genügt es, wenn das Opfer sich von einer Fehlvorstellung motivieren lässt.109 Bloße Zweifel des Opfers an der Richtigkeit seiner Vorstellung reichen nicht aus, um das Bestehen eines Irrtums abzulehnen.110 Auch im Hinblick auf den § 263 StGB wird die Anerkennung des viktimologischen Ansatzes in seiner Pauschalität abgelehnt. Zwar wurde in der älteren Literatur vertreten, dass es bei durchsichtigen Täuschungen mangels Adäquanz des Täterverhaltens an dem Kausalzusammenhang fehlt.111 Andere verneinten bei solchen Täuschungen den Zurechnungszusammenhang.112 Ein weiterer Ansatz bestand in der restriktiven Auslegung des Irrtumsmerkmals aus „interaktionistischer Perspektive“.113 Dem zweifelnden Opfer stehen schließlich Selbstschutzmöglichkeiten offen, wie etwa Überprüfung der Angaben, wobei die Anforderungen daran nicht unzumutbar hoch sein dürfen. Es soll nur um solche Zweifel gehen, die auf einem konkreten Ansatzpunkt beruhen. 107

S/S-Perron, § 263 Rn. 39. So auch Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 100. 109 Vgl. BGH NJW 03, 1199. 110 OVG Lüneburg 11 LC 4/08, abrufbar unter: Niedersächsisches OVG, Urteil vom 02.07.2009 – 11 LC 4/08 – openJur. 111 Naucke, Der Kausalzusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum beim Betrug, S. 109 ff. 112 Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, S. 169 ff. 113 Amelung, GA 77, 1 ff.; Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 131 ff. 108

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Dem Irrtumsmerkmal wurde die Funktion des Subsidiaritätsgrundsatzes zugeschrieben.114 Die Vertreter dieses Ansatzes wollten jedoch die Schutzbedürftigkeit des Opfers nicht aufgrund von „dessen Dummheit oder Profitsucht“115 verneinen, wenn das Opfer deswegen keine oder nur diffuse Zweifel hegte. In der Praxis der Glücksspiele würde es regelmäßig auch nach diesen Grundsätzen nicht zur Verneinung des Irrtums kommen. Die Opfer der Glücksspielbetrüger sind meistens nicht in der Lage, die Manipulationen zu erkennen. Sehr plumpe und leicht erkennbare Manipulationen würden in diesem Geschäft, das in der Gesellschaft trotz der grundsätzlichen Anerkennung und der Abkehr von der Sittenwidrigkeit nicht immer den besten Ruf genießt, kaum durchgehen. Auch typische Straßenglücksspiele, die mittlerweile als regelmäßig manipuliert bekannt sind, lassen den „naiven“ Spieler, der sie noch nicht kennt, die Manipulation nicht erkennen. Demnach wäre die einzige vollwirksame Schutzmöglichkeit des Opfers, sich nicht in relevante Handlungskontexte zu begeben. Dies kann heutzutage kaum gefordert werden. Denn der freiwillige Leistungsaustausch zwischen allen Gesellschaftsmitgliedern sei eine unverzichtbare Voraussetzung für das Funktionieren des Wirtschaftsprozesses und für den Bestand der Gesellschaft selbst.116 c) Vermögensverfügung Die Vermögensverfügung des Spielers könnte bereits in der Leistung der Spieleinsätze und der Eingehung der Verpflichtung zur Zahlung der Spielschulden zu sehen sein. Hier könnte bereits die Konstellation des Eingehungsbetrugs einschlägig sein. Durch den Abschluss des Vertrags und die Leistung des Einsatzes erhält der Spieler eine gewisse Gewinnchance, die im Falle der Manipulation zu seinem Nachteil verringert wird. aa) Vermögensrelevanz der Gewinnchance Problematisch ist allerdings die Vermögensrelevanz der Erwartungen aus der Glücksspielteilnahme. Wäre diese zu verneinen, wäre die Annahme der Notwendigkeit und der Eigenständigkeit des Schutzes des Vermögens für den Fall der vertragswidrigen Chancenverringerung durch § 284 StGB überzeugender. Unbestimmte Aussichten und Hoffnungen wie zum Beispiel spekulative Gewinnerwartungen stellen keinen Vermögenswert dar.117 Deswegen ist die bloße

114 Amelung, GA 77, 1 ff.; Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, S. 131 ff. 115 Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 314. 116 Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, S. 314. 117 BGH NStZ 96, 191.

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Vereitelung einer Vermögensmehrung kein Betrug.118 Anders sieht es bei konkretisierter Gewinnwahrscheinlichkeit aus. Hierbei wird vorausgesetzt, dass der Vermögenszuwachs mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und die Gewinnaussicht rechtlich realisierbar ist.119 Der Bundesgerichtshof unterstreicht, dass die Aussicht eine „solche Gewissheit“ erlangt haben muss, dass sie „nach der Verkehrsauffassung einen messbaren Vermögenswert hat“.120 Freilich ist es schwierig, im Bereich von Glücksspielen, deren Ausgang gerade vom Zufall abhängt, von einer derart wahrscheinlichen Gewinnaussicht zu sprechen. Glücksspielen ist es auch immanent, dass der Großteil der Spieler ihren Einsatz verliert, ohne einen Gewinn zu erzielen. Dennoch wird man bei ordnungsgemäßem Ablauf des Spiels von keinem strafrechtlich relevanten Vermögensschaden sprechen. Daher liegt die Annahme nahe, dass die Gegenleistung nicht in der Auszahlung des Gewinns und der Vermögenszuwachs nicht in dem Erhalt des Gewinns zu sehen ist, sondern in der Einräumung und dem Erhalt einer Gewinnchance. Der Teilnehmer leistet den Einsatz und erhält dafür eine bestimmte Gewinnchance, deren Höhe regelmäßig von seinem Einsatz abhängt.121 Der Gewinn selbst stellt nur eine erhoffte Vermögensmehrung dar.122 Das folgt auch aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1955. Indem der Angeklagte als Veranstalter einer Ausspielung eine Lossteuerung dadurch bewirkte, dass er das Gewinnlos für den Hauptgewinn vorerst zurückhielt und erst gegen Ende des Losverkaufs den zum Verkauf bestimmten Losen beimischte, hat er sich wegen Betrugs strafbar gemacht. Denn er spiegelte den Käufern vor, sie erwürben mit dem Kauf des Loses eine Gewinnaussicht; die Käufer erhielten jedoch eine geringere Gegenleistung als die, die ihnen vertraglich zustand.123 Unabhängig davon, ob Exspektanzen und Vermögensrechte, deren Substrat in der Einräumung einer bloßen Gewinnchance besteht, gleichgestellt werden oder nicht,124 wird der Chance, an einem Gewinn teilzuhaben – auch wenn sie statistisch gesehen gering ist – ein Vermögenswert beigemessen.125 Die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Vermögenszuwachses sagt nichts darüber aus, ob die Exspektanz bereits gegenwärtig einen Vermögenswert verkörpert. Die Einordnung

118

BGH NJW 04, 2604. RGSt 51, 209; BGHSt 2, 267; BGHSt 17, 148; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 135. 120 BGHSt 17, 148. 121 So auch S/S-Perron, § 263 Rn. 114; Schröder/Thiele, Jura 07, 819. 122 Schröder/Thiele, Jura 07, 819. 123 BGHSt 8, 289 ff. 124 Gleichstellung ablehnend zum Beispiel: S/S-Perron, § 263 Rn. 90 („zwar keine Anwartschaft iS des BGB, jedoch einen Vermögenswert stellt auch die [. . .] – Gewinnchance [. . .] dar“); Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen, S. 201 f.; für Gleichstellung siehe zum Beispiel Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, S. 46; Szebrowski, Kick-Back, S. 56. 125 Schröder/Thiele, Jura 07, 819 m.w. N. 119

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der Gewinnchance als Vermögensbestandteil ist daher nicht am Kriterium der Wahrscheinlichkeit des Erwerbseintritts zu messen.126 Für die Zuordnung einer Exspektanz zum Vermögen einer Person wird vorausgesetzt, dass der Inhaber einer vermögenswerten Exspektanz mit rechtlich anerkannten Möglichkeiten externe Störfaktoren127 bei der Entwicklung zum Vollwert unterbinden kann, derjenige, von dem das Exspektanzobjekt erlangt wird, sich von seiner Verpflichtung nicht mehr sanktionslos lösen kann und der potentielle Exspektanzinhaber sein Vorhaben in der Außenwelt zum Ausdruck gebracht hat.128 Jedenfalls wird die Erfüllung dieser Voraussetzungen in den Fällen bejaht, in denen die Gewinnchancen in Losen oder Berechtigungsscheinen (zum Beispiel Auslosungen, Lotto, Toto) konkretisiert und objektiviert und damit selbstständige Wirtschaftsobjekte sind.129 Zwar wird gemäß § 762 Abs. 1 BGB durch Spiel oder durch Wette eine

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Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 132. Ein solcher ist nicht in der Möglichkeit des Nichteintritts des Gewinns zu sehen, da diese Gefahr den Glücksspielen immanent ist; so auch Szebrowski, Kick-Back, S. 56; a. A.: Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen, S. 449. 128 Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen, S. 117; MK-Hefendehl, § 263 Rn. 435; Szebrowski, Kick-Back, S. 55. Diese Voraussetzungen werden von den Vertretern des sog. „integrierten Vermögensbegriffs“ entwickelt, siehe dazu Hefendehl, Vermögensgefährdung und Exspektanzen, S. 115 ff.; Szebrowski, Kick-Back, S. 50 ff. m.w. N.; MK-Hefendehl, § 263 Rn. 405 ff. m.w. N. Eine ausführliche Diskussion um den Vermögensbegriff würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, daher wird hier der zugrundegelegte Vermögensbegriff nur kurz skizziert. Der „integrierte“ Vermögensbegriff folgt größtenteils dem „juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff“, da die Vertreter eine strenge Trennung von Wirtschaft und Recht, wie sie durch den „juristischen“ und „rein wirtschaftlichen“ Vermögensbegriff vorgenommen wird, nicht befürworten: „Wirtschaft soll nicht als Gegenbegriff zu ,Recht‘ verstanden werden“, sondern „sie beeinflussen sich in der Weise gegenseitig, dass die Institutionen des Rechts zur sozialen Wirklichkeit der Wirtschaft gehören und die Institutionen der Wirtschaft für das Recht die Umwelt darstellen, auf die es durch systemeigene Programme reagiert“ (Nelles, Untreue zum Nachteil von Gesellschaften, S. 386 f.). Zivilrecht stelle die Grundlage für die Vermögensbildung dar. Dies soll aber nicht bedeuten, dass nur Rechte als Vermögensgegenstände aufzufassen seien, denn nach der Verkehrsanschauung gebe es durchaus (vor allem auch im Bereich der Exspektanzen) faktische Positionen ohne eine rechtliche Grundlage, die dennoch einer wirtschaftlichen Bewertung zugänglich seien (Szebrowski, Kick-Back, S. 52). Erst die Kombination beider Aspekte werde den tatsächlichen Gegebenheiten des wirtschaftlichen Systems gerecht. Anders als nach dem „juristisch-ökonomischen“ Vermögensbegriff sollen die zivilrechtlichen Grundsätze nicht nur in Ausnahmefällen angewendet werden, sondern schon dem Grunde nach (Szebrowski, Kick-Back, S. 52). Zur Kritik an diesem Vermögensbegriff siehe zum Beispiel Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, S. 257 Fn. 24. Dieser Ansatz versucht jedoch die Voraussetzungen einer aufgrund kasuistischer Entwicklung von Lösungen recht vagen Formel der Rechtsprechung zu den vermögenswerten Exspektanzen, mit der sich der Großteil der Literatur abgefunden hat, zu konkretisieren (Rönnau, „Kick-Backs“: Provisionsvereinbarungen als strafbare Untreue, in: FS für Kohlmann, S. 254), was im Rahmen dieser Arbeit in den Vordergrund tritt. 129 Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, S. 46; MK-Hefendehl, § 263 Rn. 422. 127

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

141

Verbindlichkeit nicht begründet. Zu berücksichtigen ist jedoch § 763 S. 1 BGB, nach dem ein Lotterievertrag oder ein Ausspielvertrag verbindlich ist, wenn die Lotterie oder die Ausspielung staatlich genehmigt ist. Der Zweck dieser Norm liegt in der staatlichen Kontrolle des geordneten Ablaufs des Spielbetriebs und dem Schutz des Vertrauens der Bevölkerung in die Wirksamkeit staatlicher Veranstaltungen.130 Die Verbindlichkeitsregelung findet sich auch in § 4 Abs. 2 S. 1 Rennwett- und Lotteriegesetz. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist § 763 BGB jedenfalls entsprechend auf weitere staatlich genehmigte Veranstaltungen, zum Beispiel Sportwetten, anzuwenden.131 Die vertragswidrigen abzuwehrenden Angriffe liegen dann in den Maßnahmen zur Reduktion der Gewinnwahrscheinlichkeit.132 Unproblematisch sind ferner die Fälle, in denen die Gewinnchance vollständig liquidiert wird, so wie in der oben genannten Bundesgerichtshof-Entscheidung für die Zeit, in der das Los mit dem Hauptgewinn sich nicht unter den zu verkaufenden Losen befand. Denn dann erhält der Spieler keinerlei Kompensation.133 Wurde die Chance nur verringert, könnte man einerseits vertreten, dass die Einräumung einer wenn auch verringerten Gewinnchance bereits ausreichend sei, da der Einsatz von Vermögensmitteln bei Risikogeschäften, zu denen auch Glücksspiele zählen, immer ungewiss sei. Es bedürfe nur der Einräumung einer realen Chance seitens des Veranstalters, auf den Teilnahmepreis (Einsatz) komme es nicht an, da auch unvernünftige Entscheidungen von der Vertragsfreiheit gedeckt sein können. Das wäre jedoch zu weitgehend. Auch der Vertragsfreiheit werden vom Gesetzgeber Grenzen gesetzt, indem zum Beispiel sittenwidrige, zwischen Leistung und Gegenleistung ein krasses Missverhältnis aufweisende Geschäfte für nichtig erklärt werden. Dem stimmt auch die Rechtsprechung zu.134 Zur Feststellung des Vermögensschadens muss sodann der wirtschaftliche Wert der tatsächlichen Chance ermittelt werden.135 bb) Auswirkung des § 762 BGB Nicht staatlich genehmigte Spiele fallen unter § 762 BGB. Es handelt sich somit um unvollkommene Verbindlichkeiten. Würde man die §§ 284 ff. StGB, die der Anwendbarkeit des § 762 BGB entgegenstehen, wegdenken, so könnte durch 130

Erman BGB-Müller, § 763 Rn. 1; jurisPK-BGB-Laukemann, § 763 Rn. 2. BGH NJW 99, 54; wohl auch für staatlich konzessionierte Spielbanken: BGH NJW 74, 1821. 132 MK-Hefendehl, § 263 Rn. 471. 133 Anderes Bespiel: Schröder/Thiele, Jura 07, 819 zur Gewinnchance bei TelefonGewinnspielen. 134 Siehe zum Beispiel OLG Hamm NJW 57, 1162. 135 Zur Berechnungsgrundlage und zur Grundlage der der konkreten Bewertung siehe Schröder/Thiele, Jura 07, 820 ff.; Oehme, JA 09, 41 f. 131

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

die Eingehung des Spiels keine wirksame Verpflichtung weder zur Leistung des Einsatzes noch zur Zahlung des Gewinns oder der Spielschuld entstehen. Es handelt sich um eine Naturalobligation, die nicht durchgesetzt werden kann und die lediglich bei freiwilliger Leistung den Erwerbsgrund bildet (S. 130). Somit stellt sich die Frage, ob auch Naturalobligationen den Schutz des § 263 StGB genießen. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon ab, welcher Vermögensbegriff bevorzugt wird. Während sich in der Rechtslehre der juristisch-ökonomische Vermögensbegriff etabliert hat, geht die Rechtsprechung grundsätzlich von dem wirtschaftlichen Vermögensbegriff unter Einbeziehung normativer Wertungen zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen Zivilrecht und Strafrecht aus.136 Danach fallen unter den Vermögensbegriff alle geldwerten Güter und Positionen einer Person, die nicht von der Rechtsordnung missbilligt werden.137 Nach einer Ansicht stellen dann auch Naturalobligationen einen Vermögensbestandteil dar, da diese erfüllbar sind und nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung stehen. Somit können sie auch einen wirtschaftlichen Wert haben.138 Dieser ist nur dann zu verneinen, wenn feststeht, dass der Schuldner nicht erfüllungsbereit ist,139 wie auch bei einer rechtlich vollwertigen Forderung, wenn auf diese mit Sicherheit nicht geleistet wird140 (zum Beispiel Insolvenz des Schuldners). Die andere Ansicht verneint die Vermögenszugehörigkeit der Naturalobligationen aufgrund der Abhängigkeit ihrer Realisierung allein vom Willen des Schuldners.141 Das überzeugt in dieser Pauschalität wenig, da der Schuldner immer noch erfüllen kann (der Gläubiger kann berechtigterweise mit einer Leistung rechnen; diese ist dann von der Rechtsordnung ebenfalls anerkannt) und in vielen Fällen tatsächlich erfüllen wird (ohne Berufung auf die fehlende rechtliche Verbindlichkeit). Spieleinsätze und Spielschulden werden von der Rechtsordnung auch insofern anerkannt, als der Gläubiger das Geleistete nicht nach § 812 BGB zurückverlangen kann. Eine absolute Missbilligung der Naturalobligation durch die Rechtsordnung ist deshalb nicht gegeben. Damit könnte auch nach dem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff von einer Vermögensgefährdung gesprochen werden. d) Vermögensschaden Der Schaden besteht dann in der Eingehung des Spiels trotz erhöhten Verlustrisikos. Da die Vermögensverfügung bereits jetzt mit überwiegender Wahrschein136

Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, Rn. 534. Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT 2, Rn. 535. 138 Vgl. BGHSt 2, 367; SK-Hoyer, § 263 Rn. 126; S/S-Perron, § 263 Rn. 91; Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, S. 54; Krey/Hellmann/Heinrich, Strafrecht BT 2, Rn. 617. 139 RGSt 36, 208; RGSt 40, 29; LK-Tiedemann, § 263 Rn. 149. 140 Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, S. 54. 141 NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 232; MK-Hefendehl, § 263 Rn. 458. 137

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lichkeit142 ohne Kompensation verloren ist, liegt zumindest eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vor.143 e) Ergebnis Ein tatsächlich manipuliertes Spiel kann nach § 263 StGB bestraft werden. § 263 Abs. 2 StGB sieht ferner die Strafbarkeit des Versuchs vor, sodass hier die Grenze für das strafbare Verhalten bereits vorverlagert wird. Eine Schwierigkeit besteht jedoch darin, dass Opfer des Glücksspielbetrügers oft die Manipulation des Spiels nicht erkennen und demnach sich weder im Laufe des Spiels noch später mithilfe der Staatsgewalt dagegen wehren (können). Dies könnte für die Notwendigkeit der Ausdehnung des Schutzes mittels Vorverlagerung und die damit einhergehende Beweiserleichterung sprechen. Allerdings kann dagegen vorgebracht werden, dass auch ein ursprünglich genehmigtes Spiel nachträglich manipuliert werden könnte, was zu den gleichen Problemen führt. Zwar handelt der Täter wieder ohne die behördliche Erlaubnis im Sinne des § 284 StGB, wenn er die erteilten Auflagen und Beschränkungen missachtet oder vom Spielplan abweicht.144 Genau dies (die Manipulation) muss aber wiederum nachgewiesen werden, was die oben erläuterte Problematik nicht löst. Dennoch wäre im Rahmen des § 263 StGB die Strafbarkeit des Bereitstellens von Einrichtungen schwerlich zu begründen. Diese Handlung könnte lediglich als eine Beihilfe zum (versuchten) Betrug mit der entsprechenden Strafmilderungsmöglichkeit verfolgt werden. Nicht mehr möglich wäre im Rahmen des § 263 StGB schließlich die Rechtfertigung der Strafbarkeit des Werbens für ungenehmigte Glücksspiele. Ausgehend von dem auf den umfassenden Schutz gerichteten Willen des Gesetzgebers ist allein § 263 StGB für die Erreichung dieses Ziels nicht ausreichend. 4. Ordnungswidrigkeit als Alternative zur Straftat Eine vergleichbare Effektivität wie eine Strafnorm und gleichzeitig eine mildere Eingriffsintensität könnte ein Ordnungswidrigkeitentatbestand aufweisen. Tatsächlich existieren bereits auf der Länderebene einzelne Ordnungswidrig-

142 Im Einzelnen umstritten, zum Beispiel „naheliegend“ (BGHSt 21, 113), „mit einem wirtschaftlichen Nachteil ernsthaft zu rechnen ist“ (BGHSt 34, 395). Jedenfalls genügen keine diffusen Verlustwahrscheinlichkeiten und es muss nach der wirtschaftlichen Betrachtung bereits jetzt eine Verschlechterung der gegenwärtigen Vermögenslage bejaht werden können, BVerfGE 130, 147; S/S-Perron, § 263 Rn. 143 mit zahlreichen Nachweisen. 143 Vgl. BGHSt 21, 113; BGHSt 34, 395; S/S-Perron, § 263 Rn. 143 f.; NK-Kindhäuser, § 263 Rn. 297 ff. 144 MK-Hohmann, § 284 Rn. 17.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

keitentatbestände, die auf die unerlaubte Veranstaltung von Glücksspielen Bezug nehmen.145 a) Kurzer Überblick über die Entwicklung des Ordnungswidrigkeitenrechts Dieser Gedanke findet zunächst Unterstützung in der Geschichte des Ordnungswidrigkeitenrechts. Das Reichsstrafgesetzbuch vom 15. Mai 1871 hatte im Binnenbereich des Strafrechts eine Deliktskategorie geschaffen, die neben Verbrechen und Vergehen rechtswidrige und schuldhafte Verhaltensweisen erfasste, deren Unrechtsgehalt gering war und deren Unrechtsqualität vor allem in der Zuwiderhandlung gegen behördliche Anordnungen bestand, die sog. „Übertretung“146.147 Die materiell-rechtliche Geringfügigkeit der Übertretungen spiegelte sich zum Beispiel in der Straflosigkeit des Versuchs (§ 43 RStGB) und der Beihilfe (§ 49 RStGB) zur Übertretung wider, prozessual war die vorgerichtliche Ahndung durch Verwaltungsbehörden möglich. Dagegen konnte der Betroffene mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vorgehen, sodass das Bestrafungsmonopol der Gerichte gewahrt blieb.148 Somit ging es hier nicht um die Ahndung von Verletzungen subjektiver Rechte Dritter, sondern um die Verfolgung von Verstößen gegen behördliche Anordnungen, sodass sich der Begriff „Verwaltungsstrafrecht“ einbürgerte.149 Die eigenständige Deliktsart „Ordnungswidrigkeit“ wurde erst im Jahr 1949 im „Gesetz zur Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts“ geschaffen;150 im Jahr 1952 wurde das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

145 Zum Beispiel: § 48 des LGlüG BW: (1) Ordnungswidrig handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig 1. ein öffentliches Glücksspiel veranstaltet, vermittelt oder durchführt oder eine Spielhalle betreibt, ohne eine nach diesem Gesetz erforderliche Erlaubnis zu besitzen, 2. [. . .] 3. für unerlaubte Glücksspiele wirbt. Weitere Beispiele: Art. 13 AGGlüStV Bayern; § 16 des LGlüG Rheinland-Pfalz. 146 Zum Beispiel: § 360 Abs. 1 Nr. 1: „ohne besondere Erlaubnis“, Nr. 2: „wider das Verbot der Behörde“, Nr. 3: „ohne Erlaubnis“, Nr. 9: „ohne Genehmigung der Staatsbehörde“. 147 KK-Mitsch, Einleitung Rn. 6. 148 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 23 f. 149 Wolf, Die Stellung der Verwaltungsdelikte im Strafrechtssystem, S. 545 m.w. N.; Goldschmidt, Das Verwaltungsstrafrecht, S. 70 ff., 529 ff. Eine strikte Unterscheidung zwischen Kriminalstrafrecht und Verwaltungsstrafrecht war das große Anliegen von Goldschmidt. Gegenübergestellt wurden das kriminelle Unrecht als Verletzung eines Rechtsguts und Verwaltungsunrecht als unterlassene Herbeiführung eines positiven Erfolgs. Das Verwaltungsstrafrecht diente danach dem Schutz des Rechtsguts „staatliche Verwaltungsinteressen“. Damit war klar, dass das „echte“ Strafrecht nach der Auffassung Goldschmids nicht zum Schutz beliebiger Rechtsgüter und insbesondere nicht zur Pönalisierung des Verwaltungsungehorsams eingesetzt werden sollte. 150 KK-Mitsch, Einleitung Rn. 33.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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erlassen.151 Das Ordnungswidrigkeitengesetz enthielt noch keine Tatbestände, diese wurden in den einzelnen Verwaltungsgesetzen aufgestellt.152 In § 6 Abs. 1 OWiG wurde erstmals zwischen einer Wirtschaftsstraftat und einer Ordnungswidrigkeit unterschieden. Die Vorschriften der §§ 6–21 OWiG konnten sowohl als Straftat wie auch als eine Ordnungswidrigkeit verfolgt werden, waren also sog. „Mischtatbestände“.153 Eine Wirtschaftsstraftat lag nach § 6 Abs. 2 OWiG vor, wenn eine Zuwiderhandlung das Staatsinteresse am Bestand und an der Erhaltung der Wirtschaftsordnung im Ganzen oder in einzelnen Bereichen verletzte. Die Zuwiderhandlung konnte ihrem Umfang oder ihrer Auswirkung nach geeignet sein, die Leistungsfähigkeit der staatlich geschützten Wirtschaftsordnung zu beeinträchtigen oder der Täter musste die Missachtung der staatlich geschützten Wirtschaftsordnung durch insbesondere gewerbsmäßiges, aus verwerflichem Eigennutz erfolgendes oder sonst verantwortungsloses Handeln oder durch hartnäckige Wiederholung der Zuwiderhandlung bekunden. Damit wollte der Staat leitend und gestaltend in die Wirtschaft eingreifen, um seine wirtschaftspolitischen Ziele zu erreichen und die in der Nachkriegszeit bestehenden Schwierigkeiten zu überwinden.154 Der Ausbau der Wirtschaftsverwaltung sollte der einheitlichen Lenkung dienen, die Ordnungsstrafe war ein Mittel, um die neue Ordnung des gesamten Wirtschaftslebens durchzusetzen. Die Wirtschaft sollte nicht mehr nur das Betätigungsfeld für die Gewinnerzielung Einzelner sein, sondern auch den Staats- und Gesamtinteressen dienen.155 Diese von den staatlichen Interessen gelenkte Entwicklung erinnert stark an die Geschichte der Entwicklung des Glücksspielrechts. In beiden Bereichen führten die schwierige wirtschaftliche Lage in der Nachkriegszeit, das Interesse des Staates an der Teilnahme an Geldflüssen in der Wirtschaft und im Glücksspielsektor sowie der Wille zur Lenkung der Wirtschaftspolitik und des Glücksspielmarkts in die seiner Vorstellung entsprechende Bahn zur Schaffung von pönalisierenden Normen. Erst im Jahr 1974 wurden einige der Tatbestände des StGB, die nicht in speziellen Gesetzen untergebracht wurden, in Ordnungswidrigkeiten umgewandelt. Einige der früheren „Übertretungen“ wurden zum Vergehen aufgewertet, einige wurden gestrichen.156

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KK-Mitsch, Einleitung Rn. 36. Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 25. 153 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 25. 154 Mattes, Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeitenrecht, Band 2/ 1, S. 167. 155 Mattes, Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeitenrecht, Band 2/ 1, S. 167 f. 156 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 27. 152

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

b) Abgrenzung zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit aa) Formale Abgrenzung Sowohl bei einer Straftat als auch bei einer Ordnungswidrigkeit wird ein normverletzendes menschliches Verhalten geahndet. In beiden Fällen wird die Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit und Schuld (der Begriff der Vorwerfbarkeit in § 1 OWiG entspricht der Schuld im Strafrecht im engeren Sinne) festgestellt.157 Die formale Unterscheidung ist demnach erst mit Blick auf die Rechtsfolgenseite möglich. Ordnungswidrigkeiten werden nach § 1 OWiG mit einer Geldbuße geahndet, die nicht mit einer Geldstrafe in § 40 ff. StGB gleichzusetzen ist.158 Oft wird eine Ordnungswidrigkeit auch explizit durch den Gesetzeswortlaut kenntlich gemacht („ordnungswidrig handelt, wer . . .“). Diese Unterscheidung ermöglicht dem Rechtsanwender eine schnelle und leichte Entscheidung über die anwendbaren Rechtsvorschriften, wenn ein Tatbestand erfüllt ist. bb) Unterscheidung zwischen einer Straftat und einer Ordnungswidrigkeit im Gesetzgebungsverfahren Die Abgrenzung nach der Rechtsfolge ist erst möglich, wenn die entsprechenden Normen bereits existent sind. Die Entscheidung des Gesetzgebers, ob ein bestimmtes Verhalten eine Ordnungswidrigkeit oder eine Straftat darstellen soll, kann demnach nicht vom positiven Recht abhängig sein, sondern erfordert Kriterien, die dem positiven Recht vorgelagert sind.159 Das geltende Recht kann lediglich eine Orientierung bieten, jedoch nicht die Notwendigkeit solcher abstrakten Kriterien vollkommen ausschließen. In der Anfangszeit des Ordnungswidrigkeitenrechts wurde vertreten, dass Ordnungswidrigkeit ein „aliud“ im Verhältnis zur Straftat darstelle, also eine eigenständige Deliktsgattung sui generis. In der Diskussion um die Abgrenzung wurden die Aspekte der „Geringfügigkeit“ und der „Andersartigkeit“ besonders hervorgehoben.160 Danach war die Straftat eine Rechtsgutsverletzung und die Ordnungswidrigkeit bloß Ungehorsam oder Verwaltungsunrecht. Die Ordnungswidrigkeit sei nicht sozialschädlich, sondern verwaltungsschädlich; ihr Unrecht liege in der Störung staatlicher Verwaltungstätigkeit.161

157

Zu Ordnungswidrigkeiten Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 25. Vgl. Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 149. 159 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 15; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 91. 160 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 16. 161 Goldschmidt, Das Verwaltungsstrafrecht, S. 552 f. Stark vertreten wurde diese Ansicht auch von Schmidt, JZ 51, 102. Seine Ansicht beruhte auf der Lehre Goldschmidts. 158

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Diese Ansicht ist jedoch mit den gegenwärtigen Gegebenheiten nicht zu vereinbaren. Die Ausdehnung des Ordnungswidrigkeitenrechts in die meisten Bereiche des Lebens und die Abkehr vom bloßen „Staat-Bürger-Verhältnis“ zugunsten einer Regelung der „Bürger-Bürger-Verhältnisse“ machen eine qualitative Abgrenzung unmöglich.162 Ordnungswidrigkeiten erfassen nun auch Konstellationen, in denen es nicht um den Schutz der Verwaltung geht, sondern sogar um individuelle Rechtsgüter (zum Beispiel § 117 OWiG). Die herrschende Meinung stellt deshalb auf den quantitativen Unterschied ab. Ordnungswidrigkeit wird als ein „minus“ zur Straftat angesehen.163 Der Unrechtsgehalt der Ordnungswidrigkeit sei geringer; der Handlung fehle es an einem derart hohen Grad der sozialen Verwerflichkeit, dass eine sozialethische Missbilligung, wie sie mit der Kriminalstrafe einhergeht, nicht angemessen erscheint.164 Oft ist der Rang der mittels Ordnungswidrigkeitenrechts geschützten Rechtgüter niedriger oder das Ausmaß der Beeinträchtigung auch strafrechtlich geschützter Rechtsgüter geringer. So sind typischerweise abstrakte Gefährdungssituationen oft ein Regelungsbereich des Ordnungswidrigkeitenrechts. Die Verhängung einer Geldbuße hat deshalb keine stigmatisierende, diskriminierende Wirkung. Es geht vielmehr um eine Ermahnung, die den Betroffenen zur erhöhten Aufmerksamkeit und Einhaltung der verletzten Pflichten bewegen soll.165 Diese Trennung ist jedoch ebenfalls nicht durchgängig geeignet. Im Strafrecht finden sich durchaus Delikte, die im Einzelfall nur ziemlich harmlose Folgen haben und bei denen dies prozessual mit Tendenz zur Entkriminalisierung berücksichtigt wird (zum Beispiel durch Strafantrag, Privatklage o. Ä.). Im Ordnungswidrigkeitenrecht finden sich andererseits teilweise sehr hohe Geldbußen, die zeigen, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht nicht durchgängig als Bagatellbereich verstanden werden darf,166 und die in ihrer Höhe durchaus als funktionales Äquivalent zur Geldstrafe angesehen werden können.167 Dementsprechend werden beide Ansichten vermischt und die Abgrenzung nach einem „gemischt quantitativ-qualitativen“ Ansatz vorgenommen. Die Grenzziehung zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat erweist sich im geltenden Rechtssystem als äußerst schwierig. Jedenfalls kann die Deliktsnatur der §§ 284 ff. StGB als ein Indiz für ihre Einstufung als Ordnungswidrigkeit betrachtet werden, denn Ordnungswidrigkeiten sind typischerweise als abstrakte Gefähr162

Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 92. BVerfG NJW 59, 619; BVerfG NJW 67, 1219; Bülte, Ordnungswidrigkeitenrecht, Rn. 41; Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 14 m.w. N. 164 S/S-Kinzig, Vorbemerkungen zu den §§ 38 ff. Rn. 37; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 18; Frister, Strafrecht Allgemeiner Teil, Rn. 13. 165 BVerfGE 27, 33; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 18. 166 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 18; Mattes, ZStW 82 (1970), 36. 167 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 421. 163

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

dungsdelikte ausgestaltet und können durchaus im Vorfeld Individualrechtsgüter schützen.168 Dem Gesetzgeber steht jedoch ein weiter Ermessensspielraum bei der Entscheidung zu, ob ein Verhalten als Ordnungswidrigkeit oder als Straftat zu verfolgen ist, der anhand des Übermaßverbotes zu überprüfen ist (vgl. S. 91 f.). Das Bundesverfassungsgericht darf dabei nicht prüfen, ob dies die vernünftigste und gerechteste Lösung war. Für die Entscheidung über die Einstufung sind zum einen die Bedeutung und die Bestimmung der Strafwürdigkeit als Leitfaden entscheidend.169 Zum anderen ist die Wahlfreiheit durch die Verpflichtung zum Schutz wichtiger, insbesondere grundrechtlich geschützter Rechtsgüter eingeschränkt. Zumindest der „harte Kernbereich“ des Strafrechts darf nicht zur Ordnungswidrigkeit degradiert werden.170 Eine pauschale Ersetzung der Androhung einer Kriminalstrafe durch Androhung einer Geldbuße kann nicht angenommen werden. Spätestens bei Hinzuziehung der Freiheitsstrafe wird an ein Verbot eine deutlich schwerere Folge sowie gesteigerte Missbilligung angeknüpft. Es wird angenommen, dass der positiv-generalpräventive Lerneffekt bei einer Norm des Ordnungswidrigkeitenrechts nicht in gleicher Weise eintreten kann wie bei echten Strafgesetzen, da ein Strafgesetz die Verbotenheit eines Handelns oder Unterlassens deutlich stärker unterstreicht als das „ethisch neutrale“ Ordnungswidrigkeitenrecht.171 cc) Prozessuale Unterschiede bei der Verfolgung von Verstößen Anders als im Strafrecht gilt im Ordnungswidrigkeitenrecht das Opportunitätsprinzip, die Verfolgung einer Ordnungswidrigkeit wird in das Ermessen der zuständigen Behörde gestellt.172 Das Klageerzwingungsverfahren, wie es in der StPO vorgesehen ist, findet im Ordnungswidrigkeitsverfahren nicht statt (§ 46 III 3 OWiG).173 Die Sanktionen des Ordnungswidrigkeitenrechts werden nicht durch gerichtliches Urteil, sondern durch einen von der zuständigen Verwaltungsbehörde erlassenen Bußgeldbescheid verhängt.174 Erst gegen diesen können dann – wie gegen alle Akte der öffentlichen Gewalt (Art. 19 IV GG) – die Gerichte angerufen werden.175 Für das behördliche Bußgeldverfahren ist charakteristisch, dass dieses nicht von einem unabhängigen Richter durchgeführt wird. Die Ver168 Günther, Die Ordnungswidrigkeit – Delikt ohne unmittelbar verletztes individuelles Opfer –, in: FS für Tiedemann, S. 168. 169 Mattes, Untersuchungen zur Lehre von den Ordnungswidrigkeiten, Band 2/2, S. 78. 170 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, S. 19 f.; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 94. 171 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 422. 172 KK-Mitsch, § 47 Rn. 2. 173 KK-Lampe, § 46 Rn. 55. 174 KK-Kurz, § 65 Rn. 1. 175 KK-Kurz, § 65 Rn. 4.

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waltung ist fremdbestimmt und selbstbeteiligt.176 Bußgelder gelten formell nicht als Strafen, das heißt sie werden nicht in das Strafregister eingetragen, sodass der von ihnen Betroffene nicht vorbestraft ist. Durch das Strafverfahren hingegen verwirklicht der Staat seinen Strafanspruch.177 Da die durch das Strafrecht geschützten Rechtsgüter oft einen hohen Rang haben, ist die Reichweite der möglichen Ermittlungsmaßnahmen im Strafprozess deutlich weiter. Insbesondere Eingriffe in die körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Privatsphäre bleiben dem Strafprozessrecht vorbehalten.178 Zwar gelten nach § 46 Abs. 1 OWiG für das Bußgeldverfahren, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der Strafprozessordnung, des Gerichtsverfassungsgesetzes und des Jugendgerichtsgesetzes. Die Verfolgungsbehörde hat, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, im Bußgeldverfahren auch dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten (§ 46 Abs. 2 OWiG). Die Anstaltsunterbringung, Verhaftung und vorläufige Festnahme, Beschlagnahme von Postsendungen und Telegrammen sowie Auskunftsersuchen über Umstände, die dem Post- und Fernmeldegeheimnis unterliegen, sind jedoch ausdrücklich in § 46 Abs. 3 OWiG für unzulässig erklärt. Das Bußgeldverfahren dient der Durchsetzung einer bestimmten Ordnung und zielt weniger auf den Schuldausgleich als auf die Einübung von Normanerkennung ab.179 Das Verfahren muss demnach weniger intensiv sein, um dem geringeren Unwert der Tat Rechnung zu tragen.180 Das ist stets bei der sinngemäßen Anwendung der Vorschriften der StPO zu beachten. Einige strafprozessuale Eingriffe sind auf die Verfolgung von Straftaten von besonderer Bedeutung und auf die in einem Katalog benannten Straftaten begrenzt. Ihre Anwendung im Bußgeldverfahren kommt nicht in Betracht. Längerfristige Observationen sind gemäß § 163f StPO auf Straftaten von erheblicher Bedeutung begrenzt und kommen im Ordnungswidrigkeitsverfahren damit nicht in Betracht. Zulässig sind lediglich kürzere und nicht planmäßige Beobachtungen. Nicht anwendbar im Bußgeldverfahren sind die Vorschriften über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a StPO) und über ein vorläufiges Berufsverbot (§ 132a StPO) sowie die Ausschreibung zur polizeilichen Beobachtung und die sog. Netzfahndung (§§ 163e, 163d StPO).181 Für das Opfer liegt ein Vorteil des Strafverfahrens in der Zulässigkeit des Adhäsionsverfahrens, welches dem Bußgeldverfahren nach dem Gedanken des § 46 Abs. 3 S. 4 OWiG wesensfremd ist. Damit bietet das Strafverfahren im Vergleich zum Bußgeldverfahren 176

Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. Vgl. Felters, Der staatliche Strafanspruch, keitenrecht, S. 215. 178 Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 179 Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 180 Klesczewski, Ordnungswidrigkeitenrecht, S. 181 KK-Lampe, § 46 Rn. 55. 177

215. S. 46; Klesczewski, Ordnungswidrig215. 216. 216.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

ein breiteres Spektrum an zulässigen Maßnahmen und ermöglicht auch durchaus schwerwiegende Grundrechtseingriffe, die bei nur geringem Unwert der Tat nicht mehr gerechtfertigt wären. c) Ordnungswidrigkeiten in den Landesgesetzen; Entwurf zum Glücksspielstaatsvertrag 2021 Wie bereits angesprochen, enthalten die Landesgesetze bereits Ordnungswidrigkeitentatbestände. Sollte man jedoch aufgrund einer fehlenden einheitlichen Handhabung Bedenken haben, so ist dies eine Problematik, die bereits erkannt wurde und an deren Lösung aktuell gearbeitet wird. Im Bereich des Glücksspielwesens wird bereits eine gemeinsame Regulierung auf der Länderebene vorbereitet. Der Glücksspielstaatsvertrag182, der dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dient, stellt einen gemeinsamen Rechtsrahmen für die Glücksspielregulierung in den Ländern dar. „Insbesondere für länderübergreifende Angebote sollen hierdurch Rechtssicherheit und einheitliche Schutzstandards für die Bevölkerung in ganz Deutschland geschaffen werden. Wesentliches Ziel der Glücksspielregulierung bleibt die Unterbindung unerlaubter Glücksspielangebote, welche für Spieler mit zusätzlichen und nicht übersehbaren Gefahren verbunden sind. Daher werden die Vollzugsmöglichkeiten mit diesem Staatsvertrag verbessert. Zugleich stimmen die Länder darin überein, dass die Unterbindung unerlaubter Angebote ein konsequentes, zügiges und nachhaltiges Vorgehen erfordert. Die Rechtsgrundlagen für ein solches Vorgehen waren bereits im bisherigen Glücksspielstaatsvertrag enthalten. Durch eine Ergänzung dieser Vorschriften durch zusätzliche Instrumente und Einrichtungen (Übertragung der Zuständigkeit für den Vollzug bei unerlaubten länderübergreifenden Angeboten im Internet auf eine zentrale Behörde, ,White-List‘ erlaubter Anbieter, verbesserte Rechtsgrundlage der bislang schon möglichen Zahlungsverkehrsunterbindung sowie – unter Beachtung strenger Vorgaben – Internetsperren, [. . .] erfolgen in diesem Bereich weitere Verbesserungen. Die effiziente Überwachung unerlaubter Angebote erfordert ein gemeinschaftliches Vorgehen aller Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder. Rechtswidrige Aktivitäten sind konsequent zu unterbinden, vorrangig indem auf unerlaubte Angebote umgehend nach ihrer Aufdeckung mit Maßnahmen, insbesondere mit dem Erlass von Untersagungsverfügungen und deren Vollstreckung reagiert wird. Hierzu teilen die Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder die bei ihnen jeweils vorliegenden Informationen den Glücksspielaufsichtsbehörden der anderen Länder mit. Die bestehenden und die mit diesem Staatsvertrag ergänzten Rechtsgrundlagen gilt es noch stärker als bisher mit Ent-

182 Aktuell in Form des Entwurfs zum Staatsvertrag zur Neuregulierung des Glücksspielwesens in Deutschland, Stand März 2020, beabsichtigtes Inkrafttreten am 1. Juli 2021, online abrufbar unter: Entwurf_Gluecksspielstaatsvertrag_Jan_2020.pdf (gluecks spielwesen.de).

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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schlossenheit, Effizienz und Beharrlichkeit einzusetzen und sämtliche Möglichkeiten der länderübergreifenden Kooperation engagiert zu nutzen. Hierzu gehört auch die konsequente Unterbindung unerlaubter Werbung für Glücksspiele.“ 183 Der Vorteil dieser Regulierung liegt darin, dass mit den Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags versucht wird, sämtlichen Gefahren vorzubeugen. „Mit dem Ziel der Kanalisierung soll zum einen die Nachfrage spielaffiner Personen in Richtung der legalen Angebote gelenkt werden und zum anderen innerhalb der erlaubten Angebote eine Lenkung in Richtung der insbesondere aus suchtpräventiven Gesichtspunkten weniger gefahrenträchtigen Spielformen erfolgen [. . .]. Insbesondere in seiner [sic!] erstgenannten Ausprägung kommt der Kanalisierung der Nachfrage auch eine unterstützende Funktion für die anderen Ziele dieses Staatsvertrags zu. Vorgaben zur Suchtprävention und -bekämpfung, zum Spielerund Jugendschutz, zur Kriminalitätsprävention und zur Vermeidung von Gefahren für die Integrität des Sports können nur in einem erlaubten und geordneten Markt, nicht jedoch in Schwarzmärkten sichergestellt und überwacht werden. Das erlaubte Angebot, in das die Kanalisierung erfolgen soll, ist dabei bislang sowohl in Bezug auf die erlaubten Spielformen als auch in Bezug auf die Spielinhalte begrenzt. Das Bestehen und die Wahrnehmung von nicht erlaubten Spielformen im Internet, die keinen inhaltlichen Begrenzungen oder Vorgaben zum Spielerschutz unterliegen, zeigen, dass eine Kanalisierung in Richtung erlaubter Spielformen bislang nur eingeschränkt funktioniert und es zur besseren Erreichung der Ziele des Staatsvertrages geboten ist, das erlaubte Angebot in seiner inhaltlichen Ausgestaltung maßvoll zu erweitern. Um die Ziele dieses Staatsvertrages künftig besser zu erreichen, sollen daher auch Erlaubnisse für die Veranstaltung von Online-Casinospielen, virtuellen Automatenspielen und OnlinePoker erteilt werden, welche ein inhaltlich begrenztes Angebot dieser Spielformen ermöglichen. Hierdurch soll spielwilligen Personen, deren Nachfrage sich nicht in weniger gefährliche Spielformen kanalisieren lässt, eine weniger gefährliche Alternative zum bisherigen Schwarzmarkt geboten werden, in der Schutzmaßnahmen gegen Spielsucht, gegen Manipulationen und andere betrügerische Aktivitäten vorgeschrieben sind und tatsächlich durchgeführt werden, sodass ein kontrolliertes Spiel in geordneten Bahnen ermöglicht wird.“184 Mit § 28a des Staatsvertrags werden erstmals Ordnungswidrigkeitstatbestände in einen Glücksspielstaatsvertrag selbst eingeführt. Bis jetzt waren die Ordnungswidrigkeitstatbestände nur in den einzelnen Landesglücksspielgesetzen enthalten.185 Dies ermöglicht die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch die Ge183 Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021, S. 5 f., online abrufbar unter: https://www.vdai.de/regelwerke/GlueStV/Erlaeuterungen %20GlueStV %202021.pdf. 184 Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021, S. 6 f., online abrufbar unter: https://www.vdai.de/regelwerke/GlueStV/Erlaeuterungen %20GlueStV %202021.pdf. 185 Zum Beispiel: § 48LGlüG; Art. 13 AGGlüStV Bayern; § 23 AGGlüStV NRW; § 16 LGlüG Rheinland-Pfalz; § 18 HmbGlüÄndStVAG; § 20 AGGlüStV Sachsen.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

meinsame Glücksspielbehörde der Länder auf Basis eines ländereinheitlichen Katalogs von Ordnungswidrigkeiten und dient daher zugleich einer einheitlichen Rechtsanwendung und der Rechtssicherheit. Aufgrund dieser Zielsetzung enthält § 28a aber nur solche Ordnungswidrigkeitstatbestände, welche im Rahmen der Ausübung der Aufsicht durch die Gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder Relevanz erlangen. Den Ländern ist es unbenommen, für ihren Hoheitsbereich weitere Ordnungswidrigkeitstatbestände, insbesondere für das stationäre Angebot, festzulegen.186 Letztendlich steht die Strafbarkeit des unerlaubten Glücksspiels den Ordnungswidrigkeitstatbeständen nicht entgegen, wenn eine mit einer Geldbuße bedrohte Handlung zugleich einen Straftatbestand (in diesem Fall §§ 284 ff. StGB) erfüllt. Hier ist § 21 OWiG anzuwenden. Nach all dem kann nicht ohne Weiteres von einer Subsidiarität der Kriminalstrafe im Verhältnis zum Ordnungswidrigkeitenrecht ausgegangen werden. Die (vollständige oder nur teilweise) Streichung des § 284 StGB wäre jedoch nicht nur möglich, sondern sogar geboten, wenn die Prüfung der Angemessenheit und die Beurteilung der Strafwürdigkeit der in § 284 StGB normierten Handlungen eine strafrechtliche Pönalisierung nicht rechtfertigen würde. Mit den landesrechtlichen Regelungen, nun auch auf der Basis einer einheitlichen Regulierung, steht ein ausdifferenziertes, die Gefährlichkeit und Manipulationsanfälligkeit einzelner Glücksspiele berücksichtigendes System zur Verfügung. Die zentrale Frage, die sich in dieser Arbeit stellt, ist letztendlich die nach der Angemessenheit des § 284 StGB. Sind die dort normierten Handlungen strafwürdig genug, um einen Straftatbestand in der jetzigen Form – neben den bereits bestehenden Regulierungen und der Ahndung der Verstöße als Ordnungswidrigkeiten – im StGB weiterhin bestehen zu lassen? Die Beantwortung dieser Frage wirft schließlich das Problem der Konsequenz auf. Der dem Gesetzgeber eingeräumte Beurteilungsspielraum ist in den meisten Fällen eine große Hürde für die Annahme der Verfassungswidrigkeit einer Norm. Oft sieht der Gesetzgeber für geringe Verstöße auch nur milde Strafen vor. So sieht § 284 Abs. 1 und Abs. 2 StGB eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren vor. In den allermeisten Fällen bleibt es deshalb dabei, dass die von der Strafrechtswissenschaft gelieferten Ergebnisse nur als kriminalpolitische Postulate angesehen werden, ohne dass daraus ein Handlungszwang für den Gesetzgeber erwächst. Dies soll jedoch das Ergebnis, zu dem diese Arbeit kommen wird, nicht beeinflussen.

IV. Angemessenheit Für die Beurteilung der Angemessenheit einer Strafnorm wird neben der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Rechtsguts der Norm (IV. 1.) 186 Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021, S. 192, online abrufbar unter: https://www.vdai.de/regelwerke/GlueStV/Erlaeuterungen %20GlueStV %202021.pdf.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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auch deren Erfolgs- (IV. 2.) und Handlungsunwert (IV. 3.) genauer zu untersuchen sein, um bewerten zu können, ob der schwere Eingriff durch die Androhung einer Kriminalstrafe verbunden mit der Möglichkeit ihrer Verhängung und Vollziehung gerechtfertigt sein kann. 1. Das Rechtsgut des § 284 StGB aus verfassungsrechtlicher Sicht Nach den herausgearbeiteten Kriterien ist zunächst die Bedeutung des geschützten Rechtsguts zu bewerten. a) Rangordnung der Grundrechte in der Verfassung § 284 StGB schützt das Vermögen, welches sowohl im Hinblick auf die Verfassung als auch auf die strafrechtswissenschaftliche Rechtsgutslehre ein anerkanntes und grundsätzlich schutzwürdiges Rechtsgut darstellt. Fraglich ist nur der Rang des Vermögens als Rechtsgut in der Grundrechtsordnung der Verfassung. Denn je höher der Rang des Rechtsguts, desto geringere Anforderungen werden an die das Rechtsgut verletzende Handlung zu stellen sein. Bei sonstigen Rechtsgütern werden hingegen nur besonders verwerfliche Beeinträchtigungen kriminalisiert werden können.187 Der Verfassung kann keine bestimmte Rangordnung der Grundrechte entnommen werden.188 Eine Ausnahme stellt nur die Menschenwürde dar, der in ihrer reinen Form der absolute Höchstwert beigemessen wird, die unantastbar und deshalb abwägungsresistent ist. Kaum kann auch die Aussage angezweifelt werden, dass das Leben ebenfalls in der „Hierarchie“ der Rechtsgüter und Grundrechte weit oben anzusiedeln ist.189 Im Strafrecht wird die Bedeutung des Rechtsguts Leben insbesondere durch § 216 StGB, die strengen Anforderungen an die Sterbehilfe und die Unmöglichkeit der Abwägung gegen das Leben in zum Beispiel § 34 StGB zum Ausdruck gebracht. Dennoch wird der Schutz des Lebens nicht als absolut geboten angesehen, sodass dieses vor jedem anderen Rechtsgut ausnahmslos Vorrang genieße.190 Eine solche Ordnung könnte sich möglicherweise aus der Einschränkungsmöglichkeit der Grundrechte ergeben.191 Grundrechte mit einfachem Gesetzesvorbe-

187 Vgl. Kaspar, Verhältnismäßigkeit recht, S. 232. 188 Kaspar, Verhältnismäßigkeit und S. 229. 189 Vgl. Kaspar, Verhältnismäßigkeit recht, S. 230. 190 BVerfGE 88, 253 f. 191 Vgl. Kaspar, Verhältnismäßigkeit recht, S. 230.

und Grundrechtsschutz im PräventionsstrafGrundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, und Grundrechtsschutz im Präventionsstraf-

und Grundrechtsschutz im Präventionsstraf-

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

halt können durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden; Grundrechte mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt können nur zu bestimmten Zwecken oder mit bestimmten Mitteln oder in bestimmten Situationen eingeschränkt werden; schließlich gibt es Grundrechte ohne Gesetzesvorbehalt, für die das Grundgesetz keine ausdrückliche Regelung für ihre Einschränkbarkeit enthält. Das Bundesverfassungsgericht betont zwar immer wieder in seinen Entscheidungen den hohen Wert der vorbehaltlosen Grundrechte,192 sodass durchaus der Eindruck entstehen könnte, dass aus der Einschränkungsmöglichkeit eine Aussage über den Rang des Grundrechts abgeleitet werden könnte.193 Das Vermögen wird von Art. 2 Abs. 1 GG geschützt (anders Eigentum: Art. 14 Abs. 1 GG). Dieses Grundrecht enthält einen einfachen Gesetzesvorbehalt. Nach den oben angedachten Grundsätzen würde dies dafür sprechen, dass das Vermögen einen niedrigeren Rang in der Rangordnung der Grundrechte genießt. Indessen wird das Bestehen einer konkreten Rangordnung sowohl in der Literatur als auch vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.194 b) Ausstrahlung der Grundrechte auf das Zivilrecht Die Grundrechte sind als objektive Wertentscheidung auch bei der Auslegung und Anwendung des Privatrechts zu beachten. Den objektiven Wertentscheidungen der Grundrechte muss auch mittels Privatrecht Geltung verschafft werden.195 Insbesondere erfolgt die Ausstrahlung der Grundrechte auf das Privatrecht über Generalklauseln wie §§ 138, 157, 242, 826 BGB. Im Zivilrecht wird das Vermögen außerhalb von vertraglichen Beziehungen nicht umfassend geschützt. Das Vermögen stellt unstreitig kein durch § 823 Abs. 1 BGB geschütztes Rechtsgut dar.196 Der Schutz des Vermögens wird lediglich durch Ausnahmevorschriften wie vor allem § 823 Abs. 2 BGB und § 826 BGB geregelt. Hierbei bedarf es im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB eines gesonderten Schutzgesetzes, das dem Vermögensschutz dient. § 826 BGB erfasst lediglich sittenwidriges, vom Schädigungsvorsatz getragenes Handeln, das zur Vermögensschädigung führt. Damit wird klar, dass es im Rahmen des Vermögensschutzes entscheidend auf die Verletzungshandlung bzw. Intention des Schä-

192 Zum Beispiel BVerfGE 28, 260 – Kriegsdienstverweigerung; BVerfGE 77, 250 – Kunstfreiheit. 193 Kaspar spricht hier sogar von einer eindeutigen Wertung, in: Verhältnismäßigkeit und Grundrechtsschutz im Präventionsstrafrecht, S. 230. 194 BVerfGE 35, 225; Tsai, Die Verfassungsrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, S. 91 f. Fn. 205; Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, S. 43; Rohloff, Grundrechtsschranken in Deutschland und den USA, S. 96. 195 BT-Drs. 16/10469, S. 6 f. 196 Siehe zum Beispiel Jauernig BGB-Teichmann, § 823 Rn. 19; BeckOK BGB-Hau/ Poseck, § 823 Rn. 3.

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digers ankommt, was bedeutet, dass dem Vermögen als Rechtsgut nicht grundsätzlich ein besonders hoher Rang beigemessen wird. 2. Erfolgsunwert Die nächste Stufe ist die Feststellung und Überprüfung der Intensität des Erfolgsunrechts. Die Erfolgskomponente des § 284 StGB ergibt sich aus der Bedeutung und Intensität der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts. Die Bedeutung des geschützten Rechtsguts wurde bereits unter Punkt IV. 1. dargelegt. Die Intensität der Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts hängt davon ab, ob dieses verletzt oder gefährdet wird. Deshalb besteht zunächst die Notwendigkeit der Bestimmung der Deliktsnatur des § 284 StGB. Denn an Gefährdungsdelikte werden aufgrund der fehlenden Anknüpfung der Strafbarkeit an die bereits eingetretene Rechtsgutsverletzung grundsätzlich höhere Anforderungen gestellt. a) Deliktsnatur des § 284 StGB Bereits aus dem Wortlaut des § 284 StGB kann abgeleitet werden, dass eine Vermögensschädigung nicht vorausgesetzt ist (anders zum Beispiel ausdrücklich in § 263 StGB). Die mögliche unterschiedliche Deutung der Deliktsnatur des § 284 StGB ergibt sich jedoch vor allem aus der Verwaltungsakzessorietät der Norm. aa) § 284 StGB als ein Verletzungsdelikt (1) Verletzung der Verwaltungsformalität Das Verständnis des § 284 StGB als ein Verletzungsdelikt in Gestalt eines Erfolgsdelikts ist zunächst im Hinblick auf das Rechtsgut der verwaltungsrechtlichen Kontrolle denkbar. Der Tatbestand ist erst erfüllt, wenn eine tatbestandliche Handlung vorgenommen wird, ohne dass zuvor eine Erlaubnis erteilt wurde. Damit wird unabhängig von dem weiteren Ablauf bereits der Zweck der verwaltungsrechtlichen Kontrolle vereitelt und die Pflicht zur Einhaltung des Verwaltungsverfahrens verletzt. (2) Verletzung des Vertrauens Zum anderen vertritt Hohmann die Ansicht, dass § 284 StGB ein Verletzungsdelikt ist, das als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist, da der durch die Tatbestandsverwirklichung herbeigeführte Verletzungserfolg in der Verletzung des immer wieder bestätigten Vertrauens des Einzelnen in die Gewährleistung einer manipulationsfreien Spielchance liegt.197 197

MK-Hohmann, § 284 Rn. 2.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

(3) Bewertung Die erste Ansicht lässt sich nicht mehr mit den Ausführungen zum Rechtsgut des § 284 StGB im ersten Teil der Arbeit und insbesondere mit den Ausführungen zum Verhältnis von Verwaltungs- und Vermögensschutz vereinbaren. Nicht überzeugend ist ebenfalls, mit der zweiten Ansicht von § 284 StGB als von einem Verletzungsdelikt zu sprechen. Denn das würde bedeuten, dass jedes ungenehmigte Spiel manipuliert ist. Ein ungenehmigtes, aber manipulationsfreies Spiel kann aber das Vertrauen der Teilnehmer in die Gewährung einer fairen Spielchance nicht verletzen. Schließlich ist nicht erkennbar, durch welchen Akt das Vertrauen des Opfers in der Außenwelt bestätigt wird. Sofern für die Erfüllung des Tatbestandes der Abschluss eines Vertrags nicht vorausgesetzt wird und bloße Hilfeleistung in Form der Zurverfügungstellung der Gegenstände für das Spiel ohne die Voraussetzung des Kontakts zum Opfer und sonstiger Einflussnahme auf das Spiel genügt, wird gerade nicht vorausgesetzt, dass das Opfer sich bereits auf das Spiel eingelassen hat und damit das Vertrauen in die Gewährleistung einer manipulationsfreien Chance gebildet und kundgetan hat. Noch weniger kann damit die Strafbarkeit der Werbung begründet werden. bb) § 284 StGB als ein abstraktes Gefährdungsdelikt Deshalb ist der herrschenden Meinung zu folgen, die unter Berücksichtigung des primären Vermögensschutzes den § 284 StGB als ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betrugs einordnet (S. 71). Der Eintritt einer Vermögensschädigung wird nicht gefordert, wie die Auslegung der Tatbestandsmerkmale gezeigt hat. Der Begriff des „Vorfelds“ wird entweder in eine räumliche Beziehung zur Rechtsgutsverletzung gesetzt, sodass es um Handlungen geht, die noch nicht einmal in die Nähe des geschützten Rechtsgutes kommen (typischerweise Vorbereitungsdelikte, deren Tathandlungen dem Versuch vorgelagert sind und somit regelmäßig auch räumlich noch weit vor der Handlung liegen, die letztlich das Rechtsgut verletzen könnte).198 Hefendehl betont hingegen die zeitliche Komponente und sieht vom Vorfeld diejenigen Verhaltensweisen erfasst, bei denen es keine Frage des Zufalls ist, dass das Rechtsgut zu keinem Schaden kommt, und diejenigen Konstellationen, die den Strafrechtsschutz früher als die üblichen abstrakten Gefährdungsdelikte einsetzen lassen.199 Die meisten Tathandlungsvarianten erfordern nicht nur keine Aufnahme des Spiels (Ausnahme: das „Halten“ eines Glücksspiels; hier wird der tatsächliche Beginn des Spiels vorausgesetzt200), sondern schon gar keinen Abschluss eines Spielvertrags (S. 116). 198 199 200

Moeller, Definition und Grenzen der Vorverlagerung von Strafbarkeit, S. 78 f. Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 36. MK-Hohmann, § 284 Rn. 26; NK-Gaede, § 284 Rn. 19.

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b) Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte Die vermehrte Einführung von (abstrakten und konkreten) Gefährdungsdelikten kann als ein bedeutender Schritt in der Entwicklung des Strafrechts in den letzten Jahrzehnten bezeichnet werden. Heutzutage findet man zahlreiche Gefährdungstatbestände im sog. „Kernstrafrecht“, das jedoch immer noch von Verletzungsdelikten dominiert wird und in welchem diese noch als der normative Grundtypus angesehen werden.201 Noch verbreiteter ist der Einsatz der Gefährdungsdelikte im Nebenstrafrecht. Die Spezifik der abstrakten Gefährdungsdelikte liegt darin, dass bei diesen Tatbeständen auf den Eintritt eines Erfolgs, sei es in Form einer Verletzung oder in Form einer konkreten Gefährdung eines Rechtsguts, verzichtet wird. Damit erübrigt sich auch die Kausalitätsprüfung.202 Erreicht werden damit die Vorverlagerung der Tatbestandserfüllung und folglich die Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes. Damit geht jedoch auch die Frage einher, inwiefern diese Delikte weitergehender Legitimation bedürfen und wo die Grenze zwischen strafbarem und nicht strafbarem Vorfeld, zwischen präventiver und strafrechtlicher Kontrolle zu ziehen ist. Bei der Beantwortung dieser Frage herrscht in der Strafrechtswissenschaft noch keine Einigkeit. Es wird auch gezeigt, dass die Rechtsprechung kaum nach Antworten auf diese Frage sucht (IV. 2. b) aa)). Die Diskussion ist vielmehr rein strafrechtswissenschaftlicher Natur. Dennoch wurde bereits im zweiten Teil der Arbeit gezeigt, dass die Strafrechtswissenschaft wertvolle Kriterien liefern kann, die sich durchaus auch in die verfassungsrechtliche Prüfung einfügen. Die nachfolgend aufgeführten Ansichten in der Strafrechtswissenschaft werden nicht in ihrer chronologischen Reihenfolge dargestellt, sondern nach ihren Anknüpfungspunkten gruppiert. Zum einen wird hier zwischen den Ansichten unterschieden, die an den Rechtsgüterschutzgedanken anknüpfen und dabei den Erfolg in Form der Gefährdung eines Rechtsguts stärker im Fokus haben (IV. 2. b) bb)), und denjenigen, die an das Handlungsunrecht anknüpfen, da der Erfolgseintritt gerade keine Voraussetzung des abstrakten Gefährdungsdelikts ist (IV. 2. b) cc)). Sodann werden die Ansichten dargestellt, die sich von dem unmittelbaren Rechtsgutsbezug zu lösen versuchen (IV. 2. b) dd)). Schließlich werden die Ansichten dargestellt, die einen Versuch, eine allgemeine Legitimationsgrundlage für alle abstrakten Gefährdungsdelikte zu finden, aufgeben und stattdessen die abstrakten Gefährdungsdelikte in unterschiedliche Gruppen aufteilen und für jede einzelne Gruppe Kriterien aufstellen, anhand deren die Legitimität einer konkreten Norm überprüft werden kann (IV. 2. b) ff)). Hier wird ferner gesondert auf die Problematik der verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikte eingegangen (IV. 2. b) gg)), die überwiegend im Rahmen des § 327 StGB aus dem Umweltstraf201 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 282. 202 Hassemer, ZRP 92, 381.

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recht diskutiert wurde, jedoch auf § 284 StGB übertragen werden kann. Die verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikte werden deshalb hervorgehoben und gesondert dargestellt, da hier die Gefahr der Bestrafung bloßen Verwaltungsungehorsams besonders groß ist. aa) Verfassungsrechtliche Prüfung Das Bundesverfassungsgericht lässt eine abstrakte Gefahr für die Erschaffung einer Strafnorm grundsätzlich genügen und zweifelt die grundsätzliche Legitimität von abstrakten Gefährdungsdelikten nicht an. Im Rahmen der Prüfung einer konkreten Norm bleibt es jedoch bei einer Verhältnismäßigkeitskontrolle nach den oben dargestellten Grundsätzen. Der Umfang der legitimen Zwecken wird auch in diesem Bereich nicht eingeschränkt und der Entscheidung des Gesetzgebers unterstellt. Die absolute, auch für den Gesetzgeber zwingende Untergrenze wird lediglich bei der Bestrafung reinen Ungehorsams gezogen203 (zum Beispiel Verstoß gegen Verwaltungsvorschriften), was in der Praxis jedoch nur selten angenommen wird. Im Übrigen wird zwischen dem Zuwachs an Rechtsgüterschutz und der von der Strafe ausgehenden Beeinträchtigung der Grundrechte des Täters abgewogen, um festzustellen, ob nicht der an sich geeignete und erforderliche Schutz des legitimen Zwecks doch zurückstehen muss. Die Strafe wird im Falle eines nur geringen Maßes der Gefährdung nicht mehr angemessen und deshalb verfassungswidrig sein.204 bb) Legitimation aus dem Rechtsgüterschutzgedanken Zum Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte werden in der Strafrechtswissenschaft vor allem zwei große Begründungsansätze vertreten, die auf dem Gedanken des unmittelbaren Güterschutzes beruhen.205 (1) Theorie der generellen Gefährlichkeit Die Vertreter dieser heute herrschenden Theorie sehen den Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte in der generellen Gefährlichkeit eines bestimmten Verhaltens/einer bestimmten Handlung für bestimmte Schutzgüter, welchem/welcher die Herbeiführung einer konkreten Gefahr eigen ist. Rechtsgutsgefährdung sei dabei das gesetzgeberische Motiv, jedoch kein Tatbestandsmerkmal.206 Bei 203

BVerfGE 90, 184. Siehe zum Beispiel BVerfGE 90, 185; Appel, Verfassung und Strafe, S. 203. 205 Hier wird nur ein kurzer Überblick angeboten. Zur umfassenden Darstellung und Diskussion siehe Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, S. 140 ff. 206 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 281 f. m.w. N. 204

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den abstrakten Gefährdungsdelikten gehe der Gesetzgeber davon aus, dass bestimmte Handlungen typischerweise/üblicherweise gefährlich sind und daher als solche schon verboten werden müssen.207 Unabhängig von der Formulierung der „Definition“ des abstrakten Gefährdungsdelikts ist es jedenfalls nicht erforderlich, dass die unter Strafe gestellte Handlung statistisch gesehen in mehr als 50 % der Fälle zu einer Rechtsgutsverletzung oder konkreten Gefährdung führt. Zudem muss auch die Handlung selbst nicht in überwiegender Anzahl der Fälle gefährlich sein. Es genügt, wenn sie „häufig“ oder „in vielen Fällen“ gefährlich ist. Ein genauer statistischer Nachweis ist nicht erforderlich.208 Gerade damit soll die Problematik des Nachweises eines konkreten Gefahrerfolgs und der Gefährlichkeit der Handlung überwunden werden. Grund der Bestrafung ist somit nicht die individuelle Verletzungsrelevanz der einzelnen Handlung, sondern die generelle Verletzungsrelevanz der Gruppe von Verhaltensweisen, die tatbestandlich umschrieben sind.209 Daneben können auch weitere Gründe für das Verbot sprechen, sei es Praktikabilität, Rechtssicherheit oder Ähnliches.210 Somit dienen die abstrakten Gefährdungsdelikte dem Ordnungsinteresse des Staates.211 Dass dabei nicht die Gegebenheiten eines jeden Einzelfalls berücksichtigt werden können, ist als notwendige Folge staatlichen Rechtssetzens und im Interesse der persönlichen Rechtssicherheit des einzelnen hinzunehmen.212 (2) Theorie der abstrakten Gefährlichkeit Die Theorie der abstrakten Gefährlichkeit (auch Präsumtionstheorie genannt) hält an dem Erfordernis einer Rechtsgutsgefährdung fest. Da jedoch kein Gefährdungserfolg vorauszusetzen ist, wird der Eintritt eines Gefahrenerfolgs vermutet, das heißt bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eines abstrakten Gefährdungsdelikts wird vermutet, dass es zu einer Rechtsgutsgefährdung gekommen ist.213 Die Vermutung des Eintritts einer konkreten Gefahr für das Rechtsgut kann widerleglich (praesumtio iuris) oder unwiderleglich (praesumtio 207 S/S-Heine/Bosch, Vorbemerkungen zu den §§ 306 ff. Rn. 4; MK-Radtke, Vorbemerkung zu § 306 Rn. 6; Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 21; Moeller, Definition und Grenzen der Vorverlagerung von Strafbarkeit, S. 86. 208 Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, S. 150. 209 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 23. 210 Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, S. 151. 211 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 24. 212 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 24. 213 Baroke, Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungsdelikte?, S. 262.

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iuris et de iure; wird heute kaum noch vertreten214) sein.215 Diese Auffassung geht davon aus, dass es bei den abstrakten Gefährdungsdelikten regelmäßig zu Rechtsgutsbeeinträchtigungen komme, die jedoch zumeist nur schwer nachzuweisen sind. Die gesetzliche Vermutung der Rechtsgutsbeeinträchtigung ersetze im Prozess das Erfordernis des Nachweises des tatsächlichen Eintritts der Gefährdung.216 (3) Kritik Speziell im Hinblick auf den abstrakten Vermögensschutz wird zum Teil behauptet, dass eine „lediglich abstrakte Vermögensgefährdung schwerlich geeignet ist, die Einordnung als Straftat zu legitimieren oder auch nur zu erklären“.217 Eine weitere Begründung dieser Erklärung folgt nicht. Denkbar ist, dass dies eine Fortführung derjenigen Ansicht ist, die für die Beschränkung des Strafrechts auf einen Kernbereich plädiert, wobei Verhaltensweisen, die keinen Gewahrsamsbruch voraussetzen (wie Betrug und Unterschlagung) generell keine strafwürdigen Privatverbrechen seien.218 Es gibt jedoch sowohl im StGB als auch im Nebenstrafrecht zahlreiche Normen, die die abstrakte Gefährdung von Vermögen unter Strafe stellen. Gewiss sind einige dieser Normen in ihrer Legitimität umstritten. In dieser Arbeit geht es jedoch nicht darum, das Strafrecht neu zu erfinden und alle abstrakten Vermögensgefährdungsdelikte in Frage zu stellen. Für die Beurteilung der Legitimität der §§ 284 ff. StGB genügt zunächst die Feststellung, dass diese nicht mit der bloßen Aussage, es solle gar keine abstrakten Gefährdungsdelikte zum Vermögensschutz im Strafrecht geben, verneint werden kann. Im Hinblick auf den allgemeinen Rechtsgüterschutz könnte der Deliktstyp des abstrakten Gefährdungsdelikts zur Schadensprävention als bestens geeignet erscheinen, da gerade keine Verletzung des Rechtsguts abgewartet wird, sondern deren Eintritt durch Verbot und Pönalisierung bestimmter Handlungen ausgeschlossen werden soll. Ferner könne dadurch das Zufallsmoment ausgeschlossen oder zumindest weitgehend beherrscht werden. Denn in vielen Fällen hänge es gerade vom Zufall ab, ob die Tat nur zu einer Gefährdung oder zu einem Schaden führt.219 Es kommt daher nicht auf die Einschätzung des Täters bezüglich 214 Zu den Problemen dieser Theorie siehe Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 35 ff. 215 Umfassend zu den zahlreichen Ansichten siehe Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, S. 157 ff. 216 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 32 f. 217 LK-Tiedemann, § 265 Rn. 4; auch ders. § 265b Rn. 13; vgl. auch S/S-Perron, § 265b Rn. 3. 218 Dazu Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 62 ff. 219 Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz, S. 55.

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der Folgen seines Handelns an, für die ihm in gewissen Bereichen auch die notwendige Kompetenz fehlen könnte.220 Das hohe Maß an Eindeutigkeit und Beweissicherheit der abstrakten Gefährdungsdelikte zum Zwecke der Gewährleistung des möglichst umfassenden Schutzes besonders wichtiger221 und anfälliger Schutzgüter legitimiert diesen Deliktstyp.222 Mit diesem Deliktstyp können durch den Verzicht auf den Erfolgseintritt und auf das subjektive Element bezüglich der Gefährdung zudem Lücken im Bereich der Versuchs- und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit geschlossen werden und Vorbereitungshandlungen strafrechtlich erfasst werden. Ein weiterer Vorteil aus der Sicht des Gesetzgebers liegt in der Vermeidung von Beweisschwierigkeiten.223 Die Absenkung der Strafbarkeitsschwelle stößt jedoch auch auf Bedenken. Genau dies wird zum Anlass für die Kritik an der Theorie der generellen Gefährlichkeit. Gegen die Theorie der generellen Gefährlichkeit wird eingewandt, dass eine solche Begründung nicht ausschließlich zur Legitimation des Kriminalstrafrechts herangezogen werden kann, sondern auch zur Legitimation von Polizeiverordnungen, die bestimmte Verhaltensweise nicht primär aus dem Grund des Rechtsgüterschutzes verbieten, sondern gerade aus dem Ordnungsinteresse.224 Ferner wird dieser Ansicht die Missachtung der individualisierenden, schuldbezogenen Betrachtungsweise des Strafrechts vorgeworfen. Streng genommen müsse nach dem Grundsatz in dubio pro reo davon ausgegangen werden, dass das Verhalten des konkreten Täters nicht zu einer Rechtsgutsverletzung geführt habe, da ein als typisch gefährlich eingestuftes Verhalten noch lange nicht verletzungsrelevant sein muss.225 Diese Ansicht führe dazu, dass der Rechtsgutsbezug gerade aufgelöst werde und erwecke zudem verfassungsrechtliche Bedenken. Die abstrakten Gefährdungsdelikte seien danach als bloße Ordnungsvorschriften zu verstehen.226 Gerade den Ansichten, die auch das tatsächlich ungefährliche Verhalten als tatbestandsmäßig anerkennen, wird vorgeworfen, dass sie in Widerspruch geraten, soweit vom Schutz der Rechtsgüter vor gefährlichen Handlungen gespro-

220

Berz, Formelle Tatbestandsverwirklichung und materialer Rechtsgüterschutz,

S. 58. 221 Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 376; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 282. 222 Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, S. 53; Dölling, JZ 85, 463. 223 Baroke, Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungsdelikte?, S. 263. 224 Binding, Normen, 1922, S. 397 ff.; Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 41 ff.; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 230. 225 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 31. 226 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 29.

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chen werde. Die bloße Beweiserleichterung dürfe kein Grund für die Schaffung der abstrakten Gefährdungsdelikte sein, denn es dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass dadurch die Verhängung einer Kriminalstrafe weder vom Eintritt und Nachweis eines Erfolges oder einer konkreten Gefahr noch von dem Beweis der Kausalität abhängig gemacht werde. Ein umfassender Schutz sei dennoch nicht gewährleistet, wenn es darum geht, Verhaltensweisen zu erfassen, die typischerweise zum Schaden führen. Die Rechtsgutsverletzung unter außergewöhnlichen Umständen bleibe außer Acht.227 Umgekehrt erscheine es auch bedenklich, dass die im Einzelfall ausgeschlossene Gefährlichkeit einer Handlung der Pönalisierung nicht entgegensteht. Damit würden die Grenzen der Verhängung einer Kriminalstrafe unvertretbar erweitert. In diesem Fall handele es sich nur um die Missachtung eines Normbefehls, also um einen reinen Gehorsamsverstoß, der zur Verhängung der Kriminalstrafe nicht ausreichend sei.228 Die Freiheitssphären der Bürger würden nach und nach abgetragen. Der Täter werde als eine Gefahrenquelle betrachtet, wobei der Beginn der Gefahr beliebig verschoben werden könnte. So könnte man nicht mehr das Verletzungsverhalten, sondern das Planungsverhalten zum Anknüpfungspunkt machen. Gehe die Vorverlagerung noch weiter, so müssten auch gefährliche Gedanken bestraft werden.229 Beklagt wird weiterhin die uferlose Erfindung neuer Rechtsgüter, die durch die abstrakten Gefährdungsdelikte geschützt werden sollen, die sog. „Inflation der Rechtsgüter“.230 Die Rechtsgüter werden zum gewünschten Tatbestand passend erfunden, wodurch sie sowohl ihre kritische Funktion, soweit man diese anerkennt, als auch ihre Bedeutung für die Interpretation des Tatbestands verlieren, mit anderen Worten „die Existenz eines irgendwie beschreibbaren Rechtsguts [wird] stillschweigend von einer notwendigen in eine hinreichende Bedingung für die Kreation von Straftatbeständen verwandelt“.231 Eine weitere Schwäche dieser Theorie liegt in der Abhängigkeit von der empirischen Grundlegung des normlegitimierenden Wahrscheinlichkeitsurteils. Beim Verbot von Handlungen, die mit gewisser Wahrscheinlichkeit zu einer Rechtsgüterbeeinträchtigung führen, wird selten konkret dargelegt, wie hoch die Wahrscheinlichkeit tatsächlich ist. Außerdem kann sich die Statistik im Laufe der Zeit auch verändern. Für eine materielle Legitimation von Kriminaldelikten sei diese Grundlage nicht ausreichend und führe wiederum zu den bereits erläuterten Problemen.232 Dieser Ansatz wäre so-

227

Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 380 ff. Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 383. 229 Jakobs, ZStW 97 (1985), 753 ff. 230 Baroke, Grenzenlose Vorverlagerung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungsdelikte?, S. 265. 231 Weigend, Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts, in: FS für Otto Triffterer, S. 709. Hervorhebung im Original. 232 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 30 f. 228

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mit nur vertretbar, wenn man auf den Gedanken der Legitimation von Strafnormen aus dem Zweck des Rechtsgüterschutzes verzichten würde.233 Gegen die Präsumtionstheorien wird eingewandt, dass sie von einem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal ausgehen, das im Gesetz keine Stütze finde. Auch hier wird die Unvereinbarkeit mit dem Schuldprinzip kritisiert, da die Strafbarkeit des Täters unabhängig davon, ob der fingierte Tatbestand erfüllt ist oder nicht, begründet wird.234 Möchte man den Gegenbeweis der Ungefährlichkeit235 zulassen, so führe dies zu einer dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz widersprechenden Beweislastumkehr. Verlange man einen ausnahmslosen Nachweis der Gefährlichkeit des Tuns des Täters, so missachte man damit die Motive des Gesetzgebers, da man dadurch die abstrakten in konkrete Gefährdungsdelikte umwandele.236 cc) Subjektivierung des Legitimationsansatzes Andere Ansätze in der Strafrechtswissenschaft sehen das Problem der Hauptbegründungstheorien in der starken Orientierung an dem zu missbilligenden Erfolg, der jedoch tatbestandlich gar nicht vorausgesetzt ist. Daher verlagern sie ihren Fokus vom Erfolgsunwert auf das Handlungsunrecht und den Inhalt der Norm auf die Zurechnungsebene. (1) Gefährdungsdelikte geringerer Angriffsintensität Cramer hält die Möglichkeit der strafrechtlichen Bewertung einer Handlung auch ohne Rücksicht auf ein konkretes Ereignis für möglich. Dies wird unter anderem durch die Existenz des strafbaren untauglichen Versuchs bestätigt, bei dem nie eine konkrete Gefahr für das Rechtsgut bestand. Hierbei wird nicht in erster Linie auf die Gefährlichkeit der Tat abzustellen sein, sondern auf die Gefährlichkeit des Täters, seine Rechtsfeindlichkeit. Der Bestand an rechtlichen Interessen ist auch im Falle eines Sich-Bemühens um die Verletzung bereits gefährdet. Die „Existenz eines potentiellen Angreifers“ begründe die Befürchtung, dass „ein Rechtsgut in Gefahr“ komme.237 Deshalb sei im untauglichen Versuch ebenfalls ein Angriff auf das Rechtsgut zu sehen.238 Seinen Gedanken des Stufenverhältnisses zwischen untauglichem Versuch, tauglichem Versuch und Vollendung als

233 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 31. 234 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 36. 235 Rabl, Der Gefährdungsvorsatz, S. 21. 236 Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 25 f.; Wang, Drogenstraftaten und abstrakte Gefährdungsdelikte, S. 152 f. m.w. N. 237 Cramer, Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 65. 238 Cramer, Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 61 ff.

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Verwirklichungsstufen eines Verbrechens mit unterschiedlichem Unwertgehalt versucht er auch auf das Verhältnis zwischen abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten zu übertragen. Das abstrakte Gefährdungsdelikt wird dabei als eine Vorstufe zum konkreten Gefährdungsdelikt angesehen, bei der die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts geringer ist. Für die Einstufung kommt es auf die Gefährlichkeit des Täterverhaltens an.239 Jedenfalls stellt die Verwirklichung eines abstrakten Gefährdungsdelikts ein strafwürdiges Unrecht dar, da sie die Erschütterung der Daseinsgewissheit eines Rechtsguts herbeiführt.240 Obwohl Cramer bei den abstrakten Gefährdungsdelikten eine geringere Angriffsintensität annimmt, so muss dennoch das Verhalten, das in sich den Keim einer Gefährlichkeit trägt, bestraft werden. Dementsprechend muss bei einem abstrakten Gefährdungsdelikt zumindest die Möglichkeit einer Rechtsgutsverletzung gegeben sein, damit strafwürdiges Unrecht begründet werden kann.241 Die Grenze der Ausdehnung des strafbaren Vorfelds wird im Vergleich zum abergläubischen Versuch gezogen. Die zur Verwirklichung des materiellen Unrechts geforderte Angriffsintensität soll in einer tatsächlich in Erscheinung getretenen abstrakten Gefährdung bestehen, die wiederum als Möglichkeit der konkreten Gefährdung verstanden werden soll.242 Dies zeigt sich dadurch, dass die Handlung geeignet sein muss, einen Gefährdungserfolg herbeizuführen. Enthält der Tatbestand das Merkmal der Eignung nicht, so ist er restriktiv auszulegen, sodass nur solche Handlungen erfasst sind, die zur Gefährdung geeignet sind.243 (2) Theorie der Risikoerhöhung Volz verabschiedet sich ebenfalls von der Orientierung am Erfolg als Legitimationskriterium der abstrakten Gefährdungsdelikte und greift auf dasjenige Zurechnungskriterium zurück, das üblicherweise im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte eine Rolle spielt, nämlich das Überschreiten des erlaubten Risikos.244 Er legitimiert die abstrakten Gefährdungsdelikte über das Handlungsunrecht. Den in diesen Delikten geregelten Handlungen hafte generell die Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung an. Der Handelnde ist jedoch nach der sozialen Ordnung verpflichtet, kein unnötiges Risiko gegenüber Rechtsgütern einzugehen und Handlungen zu unterlassen, die mit dem Eingehen des Risikos verbunden sind. Daran knüpft das Unwerturteil an. Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten wird dem Täter ein nicht mehr zulässiges, nicht mehr sozialadäquates und riskantes 239

Cramer, Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 65. Cramer, Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 85. 241 Cramer, Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 65; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 49. 242 Cramer, Vollrauschtatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt, S. 65 f., 74 f. 243 Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 78. 244 Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 143 ff., 103 f. 240

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Verhalten als pflichtwidrig vorgeworfen.245 Verwirklicht der Täter jedoch den Tatbestand eines abstrakten Gefährdungsdelikts, ohne dass für ein Rechtsgut irgendein Risiko bestand, so soll der Täter in Analogie zu anderen gesetzlich anerkannten Strafausschließungsgründen straflos bleiben.246 Hat der Täter dem Eintritt der Gefahr entgegengewirkt und dadurch nach seiner Vorstellung das Risiko für das Rechtsgut ausgeschlossen, muss nach dieser Theorie die Handlung nicht tatbestandsmäßig sein, auch wenn sich der Täter über die Gefahr lediglich irrt und die Gefährdung/Verletzung des Rechtsguts eintritt.247 (3) Sorgfaltswidrigkeit als Legitimationsgrundlage der abstrakten Gefährdungsdelikte Einige Autoren rücken das für die Fahrlässigkeitsdelikte entwickelte Kriterium der Sorgfaltswidrigkeit als Legitimationsgrundlage der abstrakten Gefährdungsdelikte in den Vordergrund. Rudolphi bezieht sich sehr stark auf die Ausführungen von Volz. Den abstrakten Gefährdungsdelikten schreibt er unter dem Gesichtspunkt der Risikoerhöhung einen materiellen Unrechtsgehalt in Form eines Handlungsunwertes zu, weil der Täter mit der Vornahme einer abstrakt gefährlichen Handlung zugleich das Risiko eingeht, das Rechtsgut zu gefährden oder zu verletzen, und dies pflichtwidrig dem Zufall überlässt.248 Horn sieht in den abstrakten Gefährdungsdelikten vertypte Sorgfaltswidrigkeiten. Die durch sie unter Strafe gestellten Handlungen tendieren dazu, Rechtsgüter zu verletzen. Deshalb stelle die Vornahme dieser Handlungen einen Verstoß gegen objektive Sorgfaltsanforderungen dar.249 Brehm versucht eine korrigierende Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte mit dem Ziel, durch die Auslegung das spezifische Unrecht des Straftatbestandes zu ermitteln, um dann feststellen zu können, wann das unter den Tatbestand fallende Geschehen dieses Unrecht erfüllt.250 Der Tatbestand ist zunächst auszulegen, um den Gesetzeszweck zu ermitteln, von dem aus auf die Definition der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale geschlossen werden kann. Durch diesen Zweck, und nicht durch den Tatbestand, wird der Unrechtsgehalt der Norm be245

Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 103 f., 143 ff., 146 f.,

148. 246

Volz, Unrecht und Schuld abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 162, 164. Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 58. 248 Rudolphi, Inhalt und Funktion des Handlungsunwertes im Rahmen der personalen Unrechtslehre, in: FS für Maurach, S. 60; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 59 f. 249 Horn, Konkrete Gefährdungsdelikte, S. 22 f., 94. 250 Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 108 f. 247

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stimmt. Schließt man vom Tatbestand auf den Zweck (nach Brehm die Norm) und vom Zweck zurück auf den Tatbestand, entstehe ein hermeneutischer Zirkel, der in sich die Frage nach dem Unrecht enthalte, weswegen von einer „vertypten Rechtswidrigkeit“ auszugehen sei.251 Die Erfüllung der Tatbestandsmerkmale ist die notwendige Bedingung für die Strafbarkeit, nicht zwingend die hinreichende.252 Die Pflichtwidrigkeit einer Handlung kann nach der Trennung von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit unabhängig von der Fassung des Tatbestandes beurteilt werden.253 Dem Täter muss die Pflichtwidrigkeit seines Handelns im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut vorwerfbar sein, das heißt es muss ihm vorgeworfen werden können, dass er eine Handlung vorgenommen hat, die aus der Ex-ante-Sicht geeignet war, das geschützte Rechtsgut zu verletzen. Erst die Verletzung der gebotenen Sorgfalt kann die Rechtswidrigkeit der Handlung begründen. Damit sagt Brehm auch, dass die Rechtswidrigkeit nicht allein aus der Verbotswidrigkeit abgeleitet werden darf.254 Die Eignung der Tathandlung zur Rechtsgutsverletzung liegt nicht vor, wenn der Täter Sonderkenntnisse bezüglich des Nichteintritts der Rechtsgutsbeeinträchtigung hat. Hat sich der Täter vergewissert, dass eine Rechtsgutsbeeinträchtigung nicht erfolgen kann, kann ihm die Verletzung der Verhaltenspflicht nicht vorgeworfen werden.255 Wie auch bei Volz ist die Vorstellung des Täters maßgeblich. Das führt dazu, dass sich an diesem Ergebnis nichts ändert, wenn eine Gefährdung trotz sorgfältiger Untersuchung der Umstände durch den Täter eingetreten ist.256 Schünemann versucht zunächst die abstrakten Gefährdungsdelikte in klarere Kategorien einzuteilen und sie weiter auszudifferenzieren. Er unterscheidet zwischen eigentlichen abstrakten Gefährdungsdelikten, abstrakten Gefährdungsdelikten mit einem vergeistigten Zwischenrechtsgut und Delikten, die sog. „Massenhandlungen“ betreffen.257 Das materielle strafwürdige Unrecht wird sodann entweder in der Verletzung des vergeistigten Zwischenrechtsguts gesehen, wobei Minimalverstöße gegen diese Normen im Wege der restriktiven Tatbestandsauslegung auszuscheiden haben. Bei Massenhandlungen will der Gesetzgeber starre Regeln schaffen, um diese zu „automatisieren“. Jeder Verstoß unterfällt deshalb dem Normzweck, was dazu führt, dass Strafbarkeitseinschränkungen nicht vorzusehen sind.258 Bei den eigentlichen abstrakten Gefährdungsdelikten stehen die Zurechnungskriterien der Sorgfaltswidrigkeit im Vordergrund. Die Zurechnung

251 252 253 254 255 256 257 258

Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 121. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 125. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 127. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 126. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 130. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 132 f. Schünemann, JA 75, 798. Schünemann, JA 75, 798.

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des Unrechts soll jedoch anders als nach den vorherigen Ansichten durch eine subjektive Sorgfaltswidrigkeit erfolgen. Entscheidend ist, ob der Täter aus seiner Sicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um die Gefahr auszuschließen.259 Die dogmatische Eingliederung dieses Ansatzes in das System der abstrakten Gefährdungsdelikte erfolgt über die Rechtsfigur des fahrlässigen Versuchs.260 Meyer betrachtet die Legitimationsfrage der abstrakten Gefährdungsdelikte in erster Linie aus verfassungsrechtlicher Sicht. Er wendet sich gegen die Erweiterung dieser Delikte um einen Erfolg zwecks Herstellung des objektiven Rechtsgutsbezugs. Dieser Bezug müsse sich vielmehr aus der Handlung ergeben. Daher seien die Elemente der Fahrlässigkeitsdogmatik in die abstrakten Gefährdungsdelikte einzufügen.261 Eine Gefährdung bejaht er nur bei den konkreten Gefährdungsdelikten, denn nur hier werde aus der Opfersicht die tatsächliche Gefährdung der Rechtsgüter tatbestandlich gefordert. Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten bedarf es einer Gefährlichkeit der Tathandlung aus der Sicht des Handlungssubjekts. Demnach seien abstrakte Gefährdungsdelikte lediglich Gefährlichkeitsdelikte, bei denen der Unwert der Tat in der Handlung liege und bei denen das Gefährlichkeitsurteil sich aus der Ex-ante-Sicht262 darstelle.263 Der Rechtsgutsbezug wird dadurch hergestellt, dass das gefährliche Handeln sich auf ein Rechtsgut bezieht. Den Gefährlichkeitsbegriff definiert er als das, was „über den aus der Natur des Miteinander in einer Gesellschaft hinausgehenden Grundtatbestand an Gefahren hinaus geht“.264 Es geht um die Möglichkeit/Wahrscheinlichkeit des Erfolgseintritts, die aus Erfahrungssätzen heraus als eine über das allgemeine Lebensrisiko hinausgehende Gefährlichkeit zu beurteilen sei.265 Die Gefährlichkeit wird als eine generelle, typische Gefährlichkeit verstanden, nicht als konkrete, auf das Schutzgut bezogene Gefährlichkeit. Meyer befürwortet die Erhebung dieses Merkmals zum objektiven Tatbestandsmerkmal, das dem Täter insbesondere zur Umgehung der Irrtumsproblematik (§ 16 Abs. 1 StGB) und aufgrund der Tatsache, dass sich dieses Merkmal nicht aus dem Wortlaut, sondern aus der verfassungskonformen Auslegung der abstrakten Gefährdungsdelikte ergebe, über die Kriterien der Fahrlässigkeitshaftung subjektiv zuzurechnen sei.266

259

Schünemann, JA 75, 798. Von Gefährdungsdelikten als einer Art von fahrlässigem Versuch spricht auch Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 137. 261 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 179. 262 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 191. 263 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 183 ff. 264 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 206. 265 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 206 f. 266 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 210 f. 260

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(4) Kritik Die Kritik an der Konzeption von Cramer beginnt bereits bei seinen Überlegungen zum untauglichen Versuch. Dieser setze nach dem Gesetz nicht nur ein „Bemühen“ des Täters voraus, sondern das unmittelbare Ansetzen zur Tatbestandsverwirklichung. Die Darstellung des Versuchstäters als potentiellen Wiederholungstäters, der durch seine Existenz eine Gefahr für Rechtsgüter darstelle, überzeugt nicht, wenn man bedenkt, dass der Versuch auch im unvermeidlichen Verbotsirrtum begangen worden sein könnte.267 Die Gefährlichkeit des Täters lasse sich auch nicht anhand der Tauglichkeit oder Untauglichkeit des Versuchs feststellen, denn die Tauglichkeit des Versuchs hänge von konkreten Umständen des Geschehens ab und gerade nicht von der subjektiven Einstellung des Täters der Tat gegenüber. Die Angriffsintensität ist im Fall eines untauglichen Versuchs keine geringere; es sind lediglich die objektiven Umstände, die zur Tatbestandsverwirklichung nicht geeignet sind.268 Cramer wird recht gegeben im Hinblick auf die Parallelität der Probleme des Versuchs und der abstrakten Gefährdungsdelikte, denn in beiden Fällen tritt am Rechtsgut kein Erfolg ein. Kritisiert wird jedoch die Ansicht, dass es bei der Versuchsstrafbarkeit auf die Gefährlichkeit des Täters ankomme. Zwar kann nicht gänzlich verneint werden, dass der Täterwille im Rahmen des Versuchs nicht unberücksichtigt bleibt, denn ohne die Berücksichtigung des Tätervorhabens kann das Vorliegen des Versuchs nicht beurteilt werden.269 Die Überbetonung der subjektiven Komponente ist jedoch heutzutage schwer mit der gesetzlichen Lage zu vereinbaren. Die sog. subjektive Theorie zum Strafgrund des Versuchs darf die Geeignetheit der Tat zur Verletzung oder zur Gefährdung nicht berücksichtigen. Die Gesinnung des Täters weicht im Fall des § 23 Abs. 3 StGB nicht von der eines nicht grob unverständigen untauglichen Versuchs ab.270 Dennoch sieht hier das Gesetz die Möglichkeit der Strafmilderung und sogar des Absehens von der Strafe vor. Die Übertragung dieser Gedanken auf die abstrakten Gefährdungsdelikte müsse auch daran scheitern, dass diese keinen auf eine Beeinträchtigung des geschützten Rechtsguts gerichteten Willen voraussetzen.271 Im Falle des § 284 StGB muss der Täter nur den Willen zur Veranstaltung eines nicht genehmigten öffentlichen Glücksspiels haben. Der Wille zur Manipulation des Spiels und der dadurch erzeugten Vermögensgefährdung wird nicht gefordert. An der Theorie der Risikoerhöhung von Volz wird bereits das Verständnis des Unrechtsgehalts der abstrakten Gefährdungsdelikte als „Überschreitung des er267

Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 248. Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 51. 269 S/S-Eser/Bosch, Vorbemerkungen zu §§ 22–24 Rn. 21. 270 S/S-Eser/Bosch, Vorbemerkungen zu §§ 22–24 Rn. 21. 271 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 109. 268

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laubten Risikos“ kritisiert. Die abstrakten Gefährdungsdelikte zeigen nämlich keine erlaubte Risikogrenze auf, denn diese Normen verbieten gerade die Schaffung eines Risikos überhaupt. In den als abstrakte Gefährdungsdelikte normierten Fällen ist nicht klar auszumachen, was dann erlaubtes Risiko wäre.272 Im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte erfolgt ferner die Zurechnung anhand der Frage, ob der Täter im Falle obliegenheitsgemäßer Handlungsfähigkeit die Tatbestandsverwirklichung vermeiden konnte. Diese Frage stellt sich im Rahmen der abstrakten Gefährdungsdelikte gerade nicht.273 Im Rahmen der Fahrlässigkeitsdelikte wird auf die Sorgfaltsnorm zwar Bezug genommen, diese dient jedoch nicht der Begründung des Verbots. Durch den Verstoß gegen die Sorgfaltsnorm wird noch kein strafrechtliches Unrecht begründet. Dieses Unrecht entsteht erst durch die Verwirklichung des vorausgesetzten Erfolgs. Umgekehrt entlastet die Befolgung der Sorgfaltsnorm den Täter bei der Zurechnung des tatbestandsverwirklichenden Verhaltens als Pflichtverletzung.274 Die Verwirklichung des Tatbestands des abstrakten Gefährdungsdelikts ist hingegen stets normwidrig und damit der Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs der Pflichtverletzung.275 Das Festhalten an der typischen Schadensträchtigkeit und der generellen Möglichkeit der Verletzung ist letztlich nichts anderes als der Rekurs auf die Theorie der generellen Gefährlichkeit ohne Ausräumung ihrer Schwächen.276 Die Verbindung der Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte mit der der Fahrlässigkeitsdelikte erscheint nicht überzeugend. Auch Rudolphi, der den Ansatz von Volz weiterentwickelt, lässt die Frage offen, wie Fahrlässigkeitsaspekte in die Dogmatik vorsätzlicher Gefährdungsdelikte sinnvollerweise eingebracht werden können.277 Diese Bedenken räumt der Ansatz von Horn ebenfalls nicht aus.278 Nichts anderes gilt auch für die Auffassung von Brehm, der die in der Missachtung einer Verhaltenspflicht liegende Pflichtwidrigkeit als strafwürdig ansieht. Die Sicht auf die abstrakten Gefährdungsdelikte als fahrlässige Versuchsdelikte verschiebe nur die Problematik, denn es müsste dargelegt werden, wann und aus welchen Gründen fahrlässige Versuchsdelikte strafwürdig seien.279 Den Auffassungen von Volz und Brehm wird ferner die Widersprüchlichkeit ihrer Ansichten vorgeworfen, 272 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 56; Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 251. 273 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 251 f. 274 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 252. 275 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 253. 276 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 57. 277 Meyer, Die Gefährlichkeitsdelikte, S. 173; Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 60. 278 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 60. 279 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 290.

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wenn sie die Nichtanwendung von abstrakten Gefährdungsdelikten für Fälle befürworten, in denen eine Beeinträchtigung des Rechtsguts sicher ausgeschlossen ist.280 Könnte Volz im Rahmen seiner Auffassung im Falle einer bewusster Gefahrvermeidung bereits das Eingehen eines Risikos verneinen, so ist dagegen einzuwenden, dass das mit der Handlung generell verbundene Risiko nicht im Einzelfall ausgeschlossen werden kann, sondern es kann nur die Verwirklichung des Risikos verhindert werden.281 Der von Brehm befürwortete Ausschluss der Strafbarkeit des Täters mangels Sorgfaltspflichtverletzung ist dann widersprüchlich, wenn er darauf beruht, dass der Täter sich zwar vergewisserte, dass die Gefährdung nicht eintreten kann, sich jedoch irrte. Dies könne allenfalls die subjektive Fahrlässigkeit des Täters ausschließen, jedoch nicht die objektive Herbeiführung eines Risikos.282 Die von Brehm und Schünemann entwickelte Sichtweise auf abstrakte Gefährdungsdelikte als fahrlässige Versuchsdelikte passt nicht in das System des Strafrechts.283 Bei Fahrlässigkeit handelt der Täter lediglich sorgfaltswidrig, fasst somit gerade nicht den Entschluss, eine Straftat zu begehen, wie dies beim Versuch der Fall ist. Ein solcher Tatentschluss ist auch nicht im Fall der bewussten Fahrlässigkeit zu bejahen, denn auch hier kann sich der Täter nur dazu entschließen, sich unsorgfältig und pflichtwidrig zu verhalten. Im Übrigen denkt der Täter über den Erfolg gar nicht nach oder hofft gerade darauf, dass der tatbestandliche Erfolg nicht eintreten wird.284 Die Erfolgsbezogenheit der Fahrlässigkeitsdelikte unterscheidet diese gerade von abstrakten Gefährdungsdelikten, die lediglich das riskante Verhalten ohne jeglichen Erfolgseintritt unter Strafe stellen.285 Meyer greift zum großen Teil die Überlegungen der Theorie der generellen Gefahr auf, wobei er diese zum Tatbestandsmerkmal erheben will.286 Ihm wird dabei vorgeworfen, dass ein solcher generalisierender Gefährlichkeitsbegriff als Tatbestandsmerkmal bezogen auf den konkreten Fall nicht handhabbar ist. Es sei nicht möglich, klar zu beurteilen, wann eine Tathandlung bezogen auf ein konkretes Rechtsgut gefährlich sein soll, wenn die Gefährlichkeit lediglich als typische Gefährlichkeit definiert wird, die nach allgemeinen Erfahrungswerten eine

280

Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 290. 281 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 286. 282 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 287. 283 Chou, Zur Legitimität von Vorbereitungsdelikten, S. 63. 284 S/S-Sternberg-Lieben/Schuster, § 15 Rn. 203. 285 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 68 f. m.w. N. 286 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 79.

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über das übliche Lebensrisiko hinausgehende Gefährlichkeit ist.287 Generelle Gefährlichkeit einer Handlung kann nicht dadurch generell ungefährlich werden, dass sie im konkreten Fall nicht gefährlich war.288 Der andere Angriffspunkt der Auffassung von Meyer ist die Zurechnung nach den Kriterien der Fahrlässigkeit. Nimmt man die Existenz eines weiteren ungeschriebenen und durch Auslegung ermittelten Tatbestandsmerkmals an, müsste sich der Vorsatz darauf beziehen. Nach Meyer erfolgt die Zurechnung jedoch nach Fahrlässigkeitskriterien, was die Vorsatz-/Fahrlässigkeitssystematik sprengt.289 Damit steht fest, dass diese Ansichten ebenfalls keine befriedigende Erklärung des Legitimationsgrundes abstrakter Gefährdungsdelikte liefern. Die Übertragung von Fahrlässigkeitsaspekten auf die abstrakten Gefährdungsdelikte scheitert an der grundlegenden Verschiedenheit dieser Delikte. Gewisse Vergleichbarkeit besteht hingegen mit der versuchten Begehung eines Delikts, denn auch hier tritt kein tatbestandsmäßiger Erfolg ein. Entgegen der Ansicht Cramers kann hierbei jedoch nicht allein auf die Gefährlichkeit des Täters abgestellt werden. dd) Loslösung vom unmittelbaren Rechtsgutsbezug Aufgrund der aufgezeigten Schwierigkeiten der Theorien, die am unmittelbaren Rechtsgutsbezug festhalten, wurden weitere Theorien entwickelt, die von dieser engen Bindung Abstand nehmen. (1) Bindingscher Ansatz Bereits Binding sah die Unzulänglichkeit der Hauptbegründungen des Strafgrunds der abstrakten Gefährdungsdelikte. Er verstand unter Gefährdung eine für das Rechtsgut nachteilhafte Veränderung der Sachlage, sodass die „fraglose Fähigkeit seines Weiterbestandes in Frage gezogen wird“.290 Damit war sein Gefahrenbegriff im Sinne einer konkreten Gefahr zu verstehen. Binding behauptete, dass in jedem gefährlichen Verhalten ein konkret gefährliches Verhalten liegt.291 Das folgte daraus, dass ein vom Gesetz als „abstrakt gefährlich“ eingestuftes Verhalten eine materielle Rechtsgutsbeeinträchtigung dahingehend bewirke, dass durch dieses Verhalten die ungestörte Existenz der geschützten Rechtsgüter beeinträchtigt werde. Da darin ein Angriff auf die Rechtsgüter vorliege, könne die

287 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 79. 288 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 79. 289 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 80. 290 Binding, Normen, 1922, S. 372. 291 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 274.

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Theorie der abstrakten Gefahr nicht überzeugend sein, da hiernach auch völlig ungefährliche Handlungen bestraft werden sollen.292 Daher müsse, wenn das Gesetz von Gefahr spricht, diese Gefahr konkret ausgelegt und dem Täter nachgewiesen werden.293 Er sieht aber auch ein, dass es Delikte gibt, für deren Verwirklichung eine Gefährdung tatbestandlich unwesentlich ist und die daher keinen tatbestandlichen Bezug zu ihrem Schutzgut aufweisen (Delikte des einfachen Ungehorsams). Binding ging folglich von einer Dreiteilung in Verletzungs-, Gefährdungs- und Ungehorsamsdelikte aus.294 Die nach heutigem Verständnis abstrakten Gefährdungsdelikte fanden sich nach Binding jedoch in den beiden letzten Gruppen.295 Bei den Delikten, die tatbestandlich keinen Gefährdungserfolg voraussetzen, unterscheidet Binding zwischen Delikten, deren Tatbestand eine Handlung verbietet, die zur konkreten Gefährdung geeignet ist (Eignungsdelikte)296, Delikten mit erweitertem Angriffsobjekt (zum Beispiel in Form des Schutzes der Sicherheit des Verkehrs anstatt des einzelnen Schiffs oder eines Bahnzugs)297 und Delikten „einfachen Ungehorsams“ (Missbilligung einer Gattung von Handlungen, die deshalb die Strafbarkeit legitimiert, weil die Tatbestandsverwirklichung Ungehorsam gegen die Norm bedeutet).298 Bei der letzten Gruppe von Delikten rekurriert Binding nicht mehr auf den Rechtsgüterschutz; der Strafgrund wird allein in der Zuwiderhandlung gegen das strafrechtliche Verbot gesehen. Er nimmt an, dass es Gruppen von Handlungen gibt, die zu missbilligen sind, auch wenn die einzelne Handlung die geforderte Unzuträglichkeit nicht erzeugen muss. Die Missbilligung der „Masse“ wirkt sich hierbei auf die gesamte Gattung aus, sodass es keiner Unterscheidung zwischen harmlosen und zu missbilligenden Handlungen mehr bedarf.299 Die Tatumstände können aber jedenfalls bei der Strafzumessung berücksichtigt werden.300 Hier versucht Binding auch eine Unterscheidung zwischen Kriminalstrafrecht und Ordnungswidrigkeiten vorzunehmen.301 Gerade bei der letzten Gruppe von Delikten wird ein Bezug auf ein Rechtsgut im Gegensatz zu den ersten zwei Gruppen nicht mehr gefordert. Hier geht es Binding nicht mehr um materielle Legitimation, sondern lediglich um

292

Vgl. Binding, Normen, 1922, S. 408. Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 81 f. 294 Binding, Normen, 1922, S. 390 ff. 295 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 82. 296 Binding, Normen, 1922, S. 390 f. 297 Binding, Normen, 1922, S. 393 f. 298 Binding, Normen, 1922, S. 399. 299 Binding, Normen, 1922, S. 399. 300 Binding, Normen, 1922, S. 408. 301 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 82 ff. 293

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formelles Unrecht.302 Jedenfalls wird hier im Gegensatz zur Theorie der generellen Gefahr auf das Handlungsunrecht abgestellt. (2) Der Ansatz von Kindhäuser: Sicherheit als Normzweck Die Idee von Binding bezüglich des erweiterten Angriffsobjekts, in der er für eine Gruppe von Gefährdungsdelikten einen vom eigentlichen Schutzgut abgehobenen Obergriff suchte und die Sicherheit dieses Oberbegriffs als eine Art erweitertes Schutzgut ansah, wurde von Kindhäuser weiterentwickelt. Zunächst erkennt er das Problem der Harmonisierung des Wortlauts abstrakter Gefährdungsdelikte mit dem Zweck, Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu vermeiden. Der Wortlaut der abstrakten Gefährdungsdelikte stelle einen solchen Bezug gerade nicht her. Daraus zieht er den Schluss, dass eine Änderung des Norminhalts eine Lösung für dieses Problem bieten könnte.303 Versteht man das Rechtsgut als Mittel der personalen Entfaltung, so ist die Erhaltung der Kontrolle des Rechtsgutsinhabers über die Unversehrtheit dieses Rechtsgut ein wertbildender Faktor des Rechtsguts, der seinen Schutz rechtfertigt. Der Entzug dieser Kontrolle ist ein rechtsgutsbezogener Freiheitskonflikt und kein bloßes Vorstadium einer Verletzung.304 Für Kindhäuser liegt somit der Zweck des abstrakten Gefährdungsdelikts in der Gewährleistung der Sicherheit bei der Verfügung über Güter. Sicherheit ist dabei die „Gewißheit künftiger Gefahrlosigkeit im Sinne einer für eine rationale Verfügung über Güter ausreichenden Überzeugung vom Ausbleiben gegebenenfalls nicht gezielt abschirmbarer schadenrelevanter Bedingungen und die auf dieser Gewißheit basierende Sorgelosigkeit [sic]“.305 Sicherheit setze die Kongruenz subjektiver und objektiver Komponenten voraus: die subjektbezogene Sorgelosigkeit und deren objektive Begründetheit.306 Die äußere Sicherheit, die vom Recht mit seinen Mitteln gewährleistet werden könne, sei dabei die Voraussetzung der inneren Sicherheit. Demnach sei es die Aufgabe der Sicherheitsnormen, „die Gewißheit der Zuverlässigkeit des jeweiligen Regelungsbereichs zu vermitteln, also zu garantieren, daß der relevante Interaktionsbereich – für ein rationales Subjekt – hinreichend gefahrlos ist, damit der einzelne das für eine optimale Verfügungsmöglichkeit über Güter erforderliche Maß an Sorgelosigkeit erlangen kann“.307

302 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 85. 303 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 255. 304 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 277. 305 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 282. 306 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 282. 307 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 282 f.

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Damit verschiebt sich die Perspektive von der Abwehr hin zum Schutz, vom Blickwinkel des Täters auf den Blickwinkel des Opfers.308 Dieses Konzept stellt keine vollständige Abkehr vom Rechtsgüterschutzgedanken dar, denn der unmittelbare Normzweck der Gewährung von Sicherheit dient mittelbar dem Rechtsgüterschutz im üblichen Sinne. Die Sicherheit betrachtet Kindhäuser nicht als eine abstrakte Sicherheit, sondern als eine konkrete objektbezogene Sicherheit, die die Möglichkeit der ungestörten Verfügung über das konkrete Rechtsgut gewährleistet.309 (3) Kritik Die Deliktseinteilung von Binding entspricht nicht der heute üblichen Einteilung in Verletzungs-, konkrete Gefährdungs- und abstrakte Gefährdungsdelikte. Nach der heutigen Dogmatik und Gesetzeslage müsste man diagnostizieren, dass Binding zum Teil Gesichtspunkte des Strafrechts mit denen des Ordnungswidrigkeitenrechts vermischt, was jedoch darauf zurückzuführen ist, dass zur Zeit der Entwicklung seiner Dogmatik die Unterscheidung zwischen Strafrecht und Ordnungswidrigkeitenrecht noch weitgehend unentwickelt war. Bei den Delikten des „einfachen Ungehorsams“ wendet sich Binding von einer auf den Rechtsgüterschutz abzielenden Legitimation ab, jedoch nähert er sich hier der Theorie der generellen Gefahr an, die er ablehnt, indem er auf die (generelle) Gefährlichkeit einer Gruppe von Handlungen abgestellt und in diesem Rahmen nicht mehr zwischen im Einzelfall gefährlichen und ungefährlichen Handlungen unterscheidet.310 Der Ansatz von Binding unterscheidet sich von der Theorie der generellen Gefahr nur insoweit, als er auf den Normverstoß, also auf das Handlungsunrecht abstellt.311 Die Erkenntnis der Problematik des unmittelbaren Bezugs auf ein Rechtsgut führt sowohl bei Binding als auch bei Kindhäuser zu einer Abkehr von den herkömmlichen Auffassungen, bewirkt jedoch die Erschaffung eines eigenen, höchst abstrakten Zwischenrechtsguts. Eine solche Methode kann kaum die Legitimität eines Gefährdungsdelikts erklären, denn auf diese Art und Weise kann zu jedem abstrakten Gefährdungsdelikt ein Zwischenrechtsgut formuliert werden, das den strafrechtlichen Schutz begründen würde. Diese Vorgehensweise birgt in sich die Gefahr, die Legitimität der strafrechtlichen Normen nicht kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen, sondern gerade den strafrechtlichen Schutz beliebig weit aus308

Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 23. Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 95. 310 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 85. 311 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 85. 309

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zudehnen312 und somit den Ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts weitgehend auszuhöhlen sowie durch Umformung der Rechtsgüter den Gehalt der Vorschriften zu verfremden.313 Außerdem sei es immer noch möglich, dass im Einzelfall auch die Verletzung eines solchen Zwischenrechtsguts ausgeschlossen ist. Das Problem der Bestrafung völlig ungefährlicher Handlungen sei damit nicht gelöst.314 Die Auffassung der abstrakten Gefährdung als spezifischer Schaden in Form der Beeinträchtigung der zur sorgelosen Verfügung über Güter notwendigen Sicherheitsbedingungen (Schaden sui generis)315 könne zu der Annahme führen, dass es sich bei abstrakten Gefährdungsdelikten um Verletzungsdelikte handele, was die Umgehung der Problematik der Legitimation der abstrakten Gefährdungsdelikte zur Folge hätte. Auch Jakobs sprach davon, dass das Abstraktionsniveau willkürlich wählbar ist. So könnte man nach Jakobs in Vermögendelikten nicht auf das Vermögen selbst als geschütztes Gut abstellen, sondern auf die im Vermögen verdinglichte Freiheit, wodurch die Vermögensdelikte als abstrakte Freiheitsgefährdungsdelikte aufzufassen wären.316 Durch die Wahl einer höheren oder einer niedrigeren Abstraktionsstufe wird man somit immer in der Lage sein, ein schützenswertes Gut für einen Deliktstyp zu finden oder die Delikte in eine andere Kategorie einzuordnen. Schmidt wendet sich ferner gegen das subjektiv verstandene Sicherheitsempfinden, ergänzt durch die objektive Begründetheit dieser Sorgelosigkeit, in der Konzeption Kindhäusers. Er bezweifelt, dass dieses Sicherheitsempfinden durch eine als abstrakt gefährlich eingestufte Tathandlung, die völlig abstrahiert von den konkreten Tatauswirkungen zu betrachten ist, überhaupt betroffen sein kann.317 Betrachtet man konkret § 284 StGB aus der Opferperspektive, so würde man die Beeinträchtigung des subjektiven Sicherheitsempfindens zumindest anzweifeln können, wenn das Opfer weiß, dass es sich um ein ungenehmigtes Glücksspiel handelt (das Opfer macht sich in diesem Fall sogar nach § 285 StGB selbst strafbar). Die Beeinträchtigung der Sicherheit wäre dann einzelfallbezogen zu beurteilen.318

312

Vgl. auch Kuhlen, GA 90, 480. So auch Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 371, 373; vgl. auch Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 34 f. zur Kritik an Schünemanns „vergeistigten Rechtsgütern“. 314 Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 372. 315 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 324. 316 Jakobs, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Abschn. Rn. 88. 317 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 98. 318 Schmidt, Untersuchung zur Dogmatik und zum Abstraktionsgrad abstrakter Gefährdungsdelikte, S. 99. 313

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

ee) Ergebnis der bisherigen Diskussion um den Strafgrund abstrakter Gefährdungsdelikte Im Ergebnis wird in der heutigen Strafrechtswissenschaft nur vereinzelt die Abschaffung der abstrakten Gefährdungsdelikte gefordert. Nichtsdestotrotz wird der Vorteil der Loslösung der Strafbarkeit bestimmter Handlungen von dem Einzelfall und der konkreten Wirkung der Handlung auch als eine Tatsache betrachtet, die auf Bedenken stößt. Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten handelt es sich um eine besonders weite Form der Strafbarkeitsvorverlagerung. Obwohl diese Deliktsform als durchaus zum effektiveren Rechtsgüterschutz geeignet angesehen wird, wird die fortschreitende präventive Ausrichtung des Strafrechts nicht in allen Bereichen gleichermaßen befürwortet. Die Versuche, den Legitimationsgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte zu erklären, aber auch einzuschränken, sind zahlreich, bieten jedoch, wie gezeigt, noch keine allseitig akzeptierte Lösung an. Hält man dennoch an der kriminalpolitischen Notwendigkeit der abstrakten Gefährdungsdelikte fest, so darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die an sich prinzipiell grenzenlose Gefahrenabwehr nicht mit dem Gedanken des Strafrechts als ultima ratio und seiner vorrangig repressiven Ausrichtung zu vereinbaren ist. Deshalb erscheint in der heutigen Diskussion weniger die Frage nach dem Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte als vorrangig, sondern die Suche nach Kriterien zur Einschränkung der uferlosen Ausweitung der Strafbarkeit. ff) Ausdifferenzierung spezifischer Kriterien zur Unterscheidung zwischen legitimen und illegitimen abstrakten Gefährdungsdelikten statt einer einheitlichen Begründung der Legitimation Ausgehend von dem vorherigen Ergebnis wurden einige Versuche unternommen, greifbare Kriterien für die Beurteilung der Existenzberechtigung einzelner abstrakter Gefährdungsdelikte zu entwickeln. Dies betraf unter anderem auch verwaltungsakzessorische abstrakte Gefährdungsdelikte, bei denen die Nichteinhaltung des Verwaltungsverfahrens zwar nicht den Schutzzweck der Norm bilden kann, jedoch zur Begründung des Unrechts der Tat gehört. Wie es sich zeigen wird, beschäftigte die Herausarbeitung dieser Kriterien eher die Strafrechtswissenschaft und nicht die Rechtsprechung. Die Grundidee dieser Ansätze ist die differenzierende Betrachtung der abstrakten Gefährdungsdelikte. Diese sollen in bestimmte Gruppen eingeteilt werden, für die dann gesondert die Anforderungen an ihre Legitimität herausgearbeitet werden. Die Einteilung erfolgt zum Beispiel nach dem Maß der Vorverlagerung oder der Steuerbarkeit des Geschehens etc. Die Diskussion um taugliche Kriterien für verwaltungsakzessorische abstrakte Gefährdungsdelikte wird gesondert dargestellt. Denn hier besteht die Besonderheit, dass die Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams vermieden werden

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muss, was einen Einfluss auf die Anforderungen an die Legitimität solcher Normen haben kann. (1) Maßstäbe zur Unterscheidung legitimer und illegitimer Gefährdungsdelikte nach Jakobs und Weber (a) Ansicht von Jakobs Bevor die Legitimation der Vorverlagerung beurteilt wird, teilt Jakobs die abstrakten Gefährdungsdelikte nach dem Maß der Vorverlagerung der Strafbarkeit ein. Die erste Gruppe beinhaltet Delikte, die ein eo ipso externes und störendes Verhalten pönalisieren, wie die Falschaussage, Meineid oder Brandstiftung von bewohnten Gebäuden. In die zweite Gruppe fallen Delikte, die ein bestimmt typisiertes Verhalten als per se extern störend definieren, weil es generell geeignet ist, extern störende Wirkungen hervorzubringen. Als Beispiel führt er hierzu die Trunkenheit im Verkehr oder Verwahrung von Kernbrennstoff in der Wohnung auf. Beiden Gruppen sei dabei gemeinsam, dass das gefährliche Verhalten bereits komplett vollzogen worden sei. Dem folge kein volldeliktisches Verhalten mehr nach; daher komme es auch nicht auf den Planungszusammenhang an, in dem das Verhalten des Täters steht. Bei diesen Delikten sei die Vorverlagerung nicht größer als beim beendeten Versuch, „also kleinstmöglich“319.320 Eine weitere Gruppe von Delikten geht jedoch über die allgemeinen Regeln der Vorverlagerung hinaus und ist weitaus problematischer. Jakobs nimmt als Beispiel dafür § 52a WaffG a. F. (1976) (Produktion von automatischen Selbstladewaffen ohne Erlaubnis) und führt aus: „So evident einerseits sein mag, daß mit dem Verhalten ein gefährlicher Verlauf beginnen kann, so evident ist auf der anderen Seite, daß die Realisierung der Gefahr erst von Taten droht, die vielleicht noch nicht einmal geplant und jedenfalls noch nicht nach den allgemeinen Regeln als externe Störung zu beurteilen sind.“321 Es soll nicht bestritten werden, dass für einige Bereiche die Existenz solcher Normen notwendig ist. Andernfalls müsste der Staat in diesem Beispiel dulden, dass „einzelne Bürger zu Hause Maschinengewehre horten“.322 Jakobs geht es dennoch um Respektierung des Freiraums des Individuums. Legitim könne eine Pönalisierung erst dann sein, wenn sich der Bürger anmaße, fremde Organisationskreise in einer ihm nicht zukommenden Art und Weise zu organisieren.323 Jakobs führt ohne Anspruch auf Vollständigkeit zwei Bereiche auf, in denen eine Haftung wegen der Gefahr künftigen Verhaltens begründbar wäre. Zum einen geht es um den Bereich sozialer Kon319 320 321 322 323

Jakobs, ZStW 97 (1985), 769. Jakobs, ZStW 97 (1985), 768 f. Jakobs, ZStW 97 (1985), 771. Jakobs, ZStW 97 (1985), 770. Jakobs, ZStW 97 (1985), 762.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

takte, auf die jedermann angewiesen sei, auf die sich aber ein verständiger Mensch nur einlassen würde, wenn keine Indizien gegen oder sogar Indizien für einen schadlosen Verlauf sprechen (zum Beispiel im Bereich der Lebensmittelverarbeitung oder im Straßenverkehr). Zum zweiten Bereich gehören Sachen, die man privat zu legalen Zwecken nicht oder nur in seltenen Fällen verwenden könne, sprich Prototypen von Deliktswerkzeugen. Hier gehe es vorrangig um die Unabsehbarkeit der Verwendung (Waffen, Falschgeld).324 Es komme letztendlich darauf an, ob der Täter nicht mehr in der Lage sei, „eine riskante Gestaltung seines Organisationskreises zu entschärfen“.325 Ist dies zu bejahen, so könne die Legitimität des abstrakten Gefährdungsdelikts nicht angezweifelt werden. Ein illegaler Eingriff in den internen Bereich des Bürgers liege hingegen dann vor, wenn die Interpretation der Verhaltensweise ohne Rückgriff auf den Planungszusammenhang des Täters überhaupt nicht möglich sei.326 Nach der Einteilung der abstrakten Gefährdungsdelikte nach dem Maß ihrer Vorverlagerung nach Jakobs könnte die Veranstaltung von Glücksspielen nach § 284 StGB zum einen in die Gruppe der typisierten Verhaltensweisen, bei denen sich das gefährliche Verhalten bereits vollkommen vollzogen hat, oder in die Gruppe der Taten, bei denen die Gefahrrealisierung erst vom weiteren Verlauf abhängig ist, eingeordnet werden. Bei der ersten Gruppe geht die Vorverlagerung nicht weiter als bei einem beendeten Versuch. Aus der ausführlichen Darstellung des Tatbestandes des § 284 StGB ergibt sich, dass die Gefahr der Manipulation/ des Betrugs sich nicht in allen Varianten bereits aus der tatbestandsmäßigen Handlung ergibt. Die Bandbreite aller erfassten Konstellationen zeigt, dass es durchaus denkbar ist, dass in bestimmten Spielerkreisen von einer solchen Gefahr kaum ausgegangen werden kann. Demnach wäre die unerlaubte Veranstaltung von Glücksspielen erst unter Beachtung weiterer Kriterien zu beurteilen. Diese Handlung kann eindeutig nicht in die von Jakobs vorgeschlagene Gruppe des Bereichs der sozialen Kontakte, auf die jedermann angewiesen ist, eingeordnet werden. Die als Zweites angeführte Gruppe umfasst Handlungen und Sachen, die kaum zu legalen Zwecken verwendet werden können (sog. Prototypen von Deliktswerkzeugen). Entscheidend ist hier die Unabsehbarkeit der Verwendung und die fehlende Beherrschbarkeit des weiteren Verlaufs und der damit einhergehenden Risiken durch den Täter. § 284 StGB könnte durchaus in diese letztgenannte Gruppe der abstrakten Gefährdungsdelikte eingeordnet werden. Das Veranstalten von Glücksspielen ohne die Einholung einer Erlaubnis wird als gefährlich angesehen, da eine Manipulationsgefahr angenommen wird. Daraus folgt, dass hierbei ein Verhalten kriminalisiert wird, welches ohne das darauffolgende und ebenfalls deliktische Verhalten (nämlich die tatsächliche Manipulation des 324 325 326

Jakobs, ZStW 97 (1985), 770. Jakobs, ZStW 97 (1985), 766. Jakobs, ZStW 97 (1985), 758 ff., 771 ff.

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Spiels und die dadurch erzeugte und auf die Vornahme einer Vermögensverfügung und die Entstehung eines Vermögensschadens bei dem Spieler abzielende Täuschung) möglicherweise gar nicht oder nur eingeschränkt gefährlich wäre. Auch hier kann jedoch, wie bereits oben gezeigt, nicht gesagt werden, dass jede unerlaubte Glücksspielveranstaltung nur dem Zweck des weiteren Betrugs dienen kann. Eine Risikoverdichtung erfolgt erst im Bereich der Organisierten Kriminalität, da der enorme organisatorische Aufwand, der in diesen Kreisen betrieben wird, erfahrungsgemäß dazu dient, mit der Tätigkeit und ihrem Umfeld möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Diese Nähebeziehung zur Organisierten Kriminalität fand ihren Ausdruck in der Strafbarkeit der gewerbsmäßigen und bandenmäßigen Veranstaltung von Glücksspielen, die nach § 284 Abs. 3 StGB Qualifikationsmerkmale darstellen. Als Mitglied einer Bande handelt derjenige, der sich mit mindestens zwei weiteren Personen zur fortgesetzten Begehung von Straftaten zusammenschließt.327 Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn der Täter sich eine Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang verschaffen will.328 Nach der gesetzgeberischen Einschätzung, unterstützt von realen Erfahrungen, ist die Manipulationsgefahr in diesem Bereich signifikant höher. Die Veranstaltung von Glücksspielen stellt in den Kreisen der Organisierten Kriminalität einen typischen Einnahmebereich und eine bedeutende Einnahmequelle dar.329 Die Planung der Begehung mehrerer Straftaten sowie das Streben nach der Schaffung einer dauerhaften und nicht unerheblichen Einnahmequelle kann durchaus zumindest den subjektiven Zusammenhang mit der denkbaren Begehung von Betrugstaten durch Manipulation von Glücksspielen herstellen. Die typischerweise bestehende Verbindung mit der kriminellen Szene des Nacht- und Rotlichtmilieus330 sowie mit der in diesem Bereich nicht selten vorkommenden Geldwäsche deutet auf kriminelle Energie der Täter hin. Eine Studie aus den 1990er Jahren zur Logistik der Organisierten Kriminalität331 zeigt, dass dem gewerbsoder bandenmäßigen Bereich der Glücksspiele aufgrund der enormen Gewinnmöglichkeiten, auf die es den Tätern in erster Linie ankommt, die Manipulationsgefahr immanent ist. Zum einen wird in vielen Fällen zunächst eine Genehmigung für ein legales Glücksspiel eingeholt. Erst dann werden die Regeln abgewandelt und mit deutlich höheren (im Vergleich zu genehmigten Spielmöglichkeiten) Gewinnmöglichkeiten verbundene illegale Glücksspiele veranstaltet. Für die Beantragung der Genehmigung werden oft „Strohmänner oder -frauen“ eingesetzt, die in der Lage sind, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung zur Vorle327

BGHSt 46, 321. NK-Gaede, § 284 Rn. 24. 329 BT-Drs. 12/989, S. 28; LK-Krehl, Vor § 284 Rn. 5; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 98. 330 LK-Krehl, Vor § 284 Rn. 5. 331 Oder „LOOK-Studie“, entwickelt von Ulrich Sieber und Marion Bögel im Jahr 1993. Ausführlicher zu dieser Studie siehe Sieber, JZ 95, 763 f. 328

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gung bei der zuständigen Behörde zu erhalten.332 Auch im Übrigen erfordert die gewerbsmäßige oder bandenmäßige Veranstaltung von illegalen Glücksspielen einen enormen Aufwand, sei es im Personal- oder Organisationsbereich. Häufig wird professionelles Personal eingesetzt. Da die Aufdeckungsgefahr höher ist als bei einer einmaligen Veranstaltung eines illegalen Spiels, erlangt im Bereich der organisierten illegalen Glücksspielveranstaltung das Logistikelement der systematischen Einflussnahme auf Bedienstete des Staates mittels Korruption große Bedeutung. Dies kann schon in der Phase der Konzessionserteilung oder auch später bei der Einflussnahme zur Verschonung vor Razzien, Umgehung von Auflagen oder Beeinflussung von Strafverfahren der Fall sein.333 Dieser Organisationsaufwand ist kostspielig und zusammen mit dem Gewinnstreben der Täter kann dies schnell zum Betrug der Spieler verleiten. Bei einer gut durchdachten und strukturierten Organisation, die Wert darauf legt, nach außen den Schein des ordnungsgemäßen Ablaufs zu wahren, ist es für den Durchschnittsspieler deutlich schwieriger, die Manipulation zu erkennen. Die Abschreckung mittels Bußgelds ist in diesem Bereich nicht mit der durch die Androhung der Freiheitsstrafe vergleichbar, da gerade finanzielle Nachteile meistens einkalkuliert sind. Dieses Risiko kann durchaus als intolerabel und nicht hinnehmbar angesehen werden. Kritisiert wird an der Ansicht von Jakobs jedoch, dass für eine Beurteilung, ab wann eine Gestaltung des eigenen Organisationskreises als unerlaubt riskant anzusehen sei, konkrete Kriterien noch fehlen und auszuarbeiten wären. Denn nahezu jedes Verhalten habe eine Auswirkung auf den sozialen Bereich des Handelnden, sei es der Nah- oder der Fernbereich. Auf die faktische Beherrschbarkeit könne es deswegen nicht ankommen, sondern es seien vielmehr normative Kriterien heranzuziehen, anhand deren beurteilt werden kann, welche Risiken nicht mehr als tolerabel erscheinen und daher nicht hinzunehmen seien.334 Nicht außer Acht zu lassen sei ferner das unterschiedliche Risikopotential der generell gefährlichen Verhaltensweisen.335 Mit der Unterscheidung zwischen dem gewerbsmäßigen und nichtgewerbsmäßigen Veranstalten von Glücksspielen könnte aber der Kritik an dem Ansatz von Jakobs, man müsse das unterschiedliche Risikopotential der generell gefährlichen Verhaltensweisen berücksichtigen, Rechnung getragen werden. (b) Ansicht von Weber Weber bejaht die Legitimität abstrakter Gefährdungsdelikte, wenn die Bestrafung aus dem Grund der Nichtnachweisbarkeit der Kausalität für einen tatsäch332

Sieber, JZ 95, 764. Sieber, JZ 95, 764. 334 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 305. 335 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 305. 333

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lich eingetretenen Verletzungserfolg erfolge. Als Beispiel nennt er die Beteiligung an einer Schlägerei bzw. weitere Delikte, die eine objektive Bedingung der Strafbarkeit enthalten.336 Ferner sieht er einen legitimen Grund in der schwierigen Feststellung eines Verletzungserfolges. Als Beispiel werden hier die Aussagedelikte, Landesverrat oder das sonstige Offenbaren von Staatsgeheimnissen, Umweltstrafrechtstatbestände (unvollständige Aufzählung) aufgeführt. Ob hierdurch tatsächlich ein schwerer Nachteil entsteht, ist in vielen Fällen aufgrund zahlreicher Umstände und Überlegungen, die das Verhalten anderer (Richter oder zum Beispiel andere Staatsführungen) oder die Umwelt beeinflussen, nicht feststellbar.337 Etwas schwieriger gestaltet sich die Lage im Hinblick auf den Vermögensschutz oder ähnliche wirtschaftliche Belange, wobei Weber die Legitimität mit dem Hinweis auf das Allgemeininteresse an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung und -lenkung bejaht.338 Schließlich dürfe es auch um die Ausschaltung eines Zufalls gehen.339 Hier gehe es insbesondere um die Straßenverkehrsdelikte und das Zusammenspiel von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten. Die abstrakten Gefährdungstatbestände (oft als Ordnungswidrigkeiten ausgestaltet mit Ausnahme des § 316 StGB) haben hier unter anderem eine Warnfunktion, durch Bußgeld dem Täter klarzumachen, dass sein Verhalten durch Zufall in kriminelles Gefährdungs- oder sogar Verletzungsunrecht umschlagen könne.340 Kein legitimer Grund liege hingegen in der Stärkung des präventiven Verwaltungszwangs.341 Dem wird entgegengehalten, dass vor allem der Gedanke der Beweiserleichterung keine Legitimationsgrundlage für abstrakte Gefährdungsdelikte darstellen könne. Dies sei mit den grundlegenden Prinzipien des Strafrechts unvereinbar.342 Werde nicht einmal die Feststellung der generellen Kausalität zur Voraussetzung 336 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 23. 337 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 24 f. 338 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 27. 339 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 27 f. 340 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 29. 341 Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 30. 342 Vgl. Hirsch, Systematik und Grenzen der Gefahrdelikte, in: FS für Tiedemann, S. 156.

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der Strafbarkeit erhoben, so knüpfe die Kriminalstrafe an reine Vermutungen an. Probleme der Beweisführung gehören in das Prozessrecht. Die Unterscheidung zwischen Prävention und Repression werde weitgehend übergangen. Dies widerspreche dem Ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts und nutze das Strafrecht für die Bewältigung von Aufgaben anderer Rechtsgebiete aus.343 Nach der Ansicht von Weber sind diejenigen abstrakten Gefährdungsdelikte, die die Nichtnachweisbarkeit der Kausalität mittels der Einführung der objektiven Bedingung der Strafbarkeit überwinden, ferner diejenigen, bei denen die Erfolgsfeststellung sich als schwierig erweist, und auch diejenigen, die den Zufall ausschalten sollen, legitim (S. 180 f.). Jedoch stellt er dabei entscheidend auch auf das geschützte Rechtsgut ab. Vermögensschutz wird zwar von der Verfassung im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG erfasst. Damit genießt dieses Rechtsgut Verfassungsrang. Dennoch zeigt die einfache Rechtsordnung an zahlreichen Stellen im Zivil- und im Strafrecht, dass das Vermögen keinen vollumfassenden Schutz genießt. Geht es um den Vermögensschutz, erlangt die vermögensbeeinträchtigende Handlung eine große Bedeutung. Nicht jeder Angriff auf das Vermögen soll strafrechtlich abgewehrt werden (fragmentarischer Charakter des Strafrechts). Als Beispiel wird der auch in dieser Arbeit später dargestellte Subventionsbetrug genannt, dessen Pönalisierung nach der Ansicht Webers allein aufgrund des Allgemeininteresses an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung und -lenkung legitimiert werden kann.344 Daraus kann gefolgert werden, dass allein der Vermögensschutz nach der Ansicht Webers solche Verzichte auf die Nachweisbarkeit nicht rechtfertigen dürfte. § 284 StGB enthält ferner gerade keine objektive Bedingung der Strafbarkeit. Die Ausschaltung des Zufalls betrifft den Bereich der konkreten Gefährdungsdelikte und ist somit für diese Arbeit nicht relevant. (2) Der Ansatz von Wohlers und Puschke: Ausdifferenzierung verschiedener Deliktstypen (a) Die Systematik von Wohlers Nach der Darstellung und näheren Betrachtung der verschiedenen Legitimationsbegründungen kommt Wohlers in seiner Habilitationsschrift zu dem Ergebnis, dass die abstrakten Gefährdungsdelikte nicht über das Fehlen einer realen Rechtsgutsbeeinträchtigung und/oder das Fehlen einer konkreten Gefahr für ein Rechtsgutsobjekt definiert werden können.345 Die Straftatbestände, die als abstrakte Gefährdungsdelikte verstanden werden, haben gemeinsam, dass die dort 343

Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 367 f., 385 f. Weber, Die Vorverlegung des Strafrechtsschutzes durch Gefährdungs- und Unternehmensdelikte, in: Beiheft zur Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft 87, S. 27. 345 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 305. 344

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normierten Verhaltensweisen „generell gefährlich“ sind. Seiner Ansicht nach sollte deshalb von „Gefährlichkeitsdelikten“ gesprochen werden, denn bei diesen Delikten geht es gerade nicht um die unmittelbare Gefährdung eines Rechtsguts, diese kann vielmehr sogar ausgeschlossen sein.346 Sein Anliegen ist es infolgedessen, die Straftatbestände der „abstrakten Gefährdungsdelikte“ zu strukturieren, verschiedene Deliktstypen voneinander abzugrenzen und dann zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen bei einzelnen Deliktstypen der Einsatz des Strafrechts gerechtfertigt ist.347 Wohlers unterscheidet hierbei drei Deliktstypen: Verhaltensweisen, deren Gefährlichkeit daraus resultiert, dass der Täter die geschaffene Situation nicht mehr steuern kann und es, wenn ein Rechtsgutsobjekt in den Einwirkungsbereich des Täters gelangt, ohne weiteres zu einer konkreten Gefährdung oder sogar Verletzung käme („konkretes Gefährlichkeitsdelikt“, zum Beispiel § 316 StGB, § 306a StGB); Verhaltensweisen, die erst im Zusammenwirken mit anderen, gleichgerichteten Verhaltensweisen zu einer relevanten Beeinträchtigung führen können (zum Beispiel §§ 324 ff. StGB, §§ 264 ff. StGB); Verhaltensweisen, bei denen der Handelnde selbst oder ein Dritter an das Ergebnis der in Frage stehenden Verhaltensweise zur Verwirklichung deliktischer Ziele anknüpfen kann (Vorbereitungsdelikte).348 Dieser Gedanke ist an sich nicht neu. Wie bereits oben dargelegt, versuchte Schünemann die Deliktsgruppen der abstrakten Delikte zu strukturieren. Seinem Ansatz folgten Roxin und Wolter. Hier wurde zwischen folgenden Gruppen unterschieden: „fahrlässiger Versuch“349 (auch „klassische abstrakte Gefährdungsdelikte“350 oder „uneigentliche abstrakte Gefährdungsdelikte“351) wie zum Beispiel § 306a StGB, „Massenhandlungen“352 oder „eigentliche abstrakte Gefährdungsdelikte“353 wie zum Beispiel § 316 StGB, Delikte mit vergeistigtem Zwischenrechtsgut (zum Beispiel §§ 153 ff. StGB)354 sowie Eignungsdelikte.355 346 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 305 f. 347 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 306. 348 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 309 f. 349 Schünemann, JA 75, 798. 350 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 531. 351 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 278. 352 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 534. 353 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 277. 354 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 534; Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 328. 355 Roxin/Greco, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, S. 534; Schünemann, JA 75, 798.

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Wohlers kritisiert die dargestellte Einteilung aufgrund ihrer Vermengung des Bedürfnisses nach Verhaltenssteuerung mit der Legitimation des Einsatzes strafrechtlichen Zwangs. Insbesondere die zweite und die dritte Gruppe beruhen auf pragmatischen Gründen und dem Opportunitätsgedanken, was jedoch mit einer Scheinbegründung untermauert wird.356 Wohlers sieht bei diesen Deliktsgruppen das Problem der fehlenden materiellen Begründung der Legitimation ihres Einsatzes; ihre Bedeutung erschöpfe sich in der bloßen Zusammenfassung der geltenden Straftatbestände in Kategorien.357 Für die von Wohlers herausgebildete Gruppe der „konkreten“ Gefährlichkeitsdelikte sieht er das strafrechtlich relevante Risiko als dann gegeben, wenn das der Verhaltensweise anhaftende Risiko durch den Handelnden nicht mehr hinreichend sicher beherrscht werden oder auch von einer anderen Person kompensiert werden kann. Strafwürdig ist die Etablierung einer unbeherrschbaren und daher vor dem Hintergrund der normativen Verständigung der Gesellschaft als intolerabel erscheinenden Gefahrenquelle.358 Das Risikopotential einer Verhaltensweise ist im Rahmen der Einzelnormprüfung zu ermitteln. Zu prüfen ist, ob eine Gefahrensituation unbeherrschbar ist. Bei Bejahung dieser Frage ist zu prüfen, ob auf die Gefahrensituation zu verzichten ist oder ob das Risiko von dem insoweit Betroffenen hinzunehmen ist. Ist die Gefahrensituation für eine andere Person als den Handelnden beherrschbar, ist der Frage nachzugehen, ob es dieser Person zumutbar ist, für die Kompensation des Risikos Sorge zu tragen.359 Bei der zweiten Gruppe, die Kuhlen als Kumulationsdelikte bezeichnet,360 liegt das Problem darin, dass jede einzelne Handlung für sich gesehen noch nicht zwingend die Schwelle zum strafrechtlichen Handlungsunwert überschreitet, die Kumulation solcher Handlungen jedoch durchaus zu gravierenden Folgen führen kann. Dabei betont Wohlers, dass auch hier nicht die Funktionalität mit der Legitimität verwechselt werden dürfe.361 Die Zielsetzung der Vermeidung eines größeren Schadens begründe noch nicht aus sich heraus die Legitimation der Sanktionierung einer einzelnen Handlung. Die Rechtfertigung der strafrechtlichen Sanktionierung sieht Wohlers jedoch in der Überschreitung eines für die pluralistische Gesellschaft verbindlichen Rahmens von Rechten durch Beeinträchtigung 356 Wohlers, Deliktstypen fährdungsdelikte, S. 301. 357 Wohlers, Deliktstypen fährdungsdelikte, S. 301. 358 Wohlers, Deliktstypen fährdungsdelikte, S. 314. 359 Wohlers, Deliktstypen fährdungsdelikte, S. 314. 360 Kuhlen, GA 86, 399. 361 Wohlers, Deliktstypen fährdungsdelikte, S. 318 f.

des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gedes Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gedes Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gedes Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Ge-

des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Ge-

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der konkreten personalen Interessen anderer Personen ohne deren Einverständnis.362 Die Rechtspflichten des einzelnen umfassen die Verpflichtung zur Mitwirkung an der Gewährleistung des Zustandes, in dem „jedem das Seine erhalten werden kann“. Daher besteht die Legitimation einer strafrechtlichen Sanktion in diesem Bereich in der Wiederherstellung des durch das Verhalten des Täters gestörten Rechtsgleichheitsverhältnisses.363 Des Weiteren erläutert Wohlers Maßstäbe, an denen gemessen werden kann, wann ein Kumulationsbeitrag hinreichend sozialschädlich ist.364 Die Problematik der dritten Gruppe liegt darin, dass hier unter anderem auch die Konstellation in Betracht kommt, dass die Strafbewehrung sich als eine Auferlegung der Verantwortlichkeit für die vorweggenommene Abwehr potentiellen deliktischen Verhaltens anderer Personen darstellt. Dies könnte dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit (Beschränkung der Verantwortlichkeit einer Person auf ihr eigenes Handeln) entgegenstehen.365 Zum anderen gilt es zu unterscheiden zwischen Vorbereitungshandlungen mit einem subjektiven Bezug auf den konkret einzutretenden Erfolg und Vorbereitungshandlungen ohne einen solchen subjektiven Bezug.366 Als Lösung plädiert hier Wohlers für das Abstellen auf die einer Verhaltensweise bestimmungsgemäß zukommende Funktion. Einer eigenständigen Pönalisierung entzogen sind deshalb Verhaltensweisen, die bei bestimmungsgemäßer Anknüpfung entweder gar keinen oder zumindest keinen eindeutigen deliktischen Sinnbezug aufweisen.367 Die Pönalisierung von deliktsermöglichendem oder -erleichterndem Verhalten ist dann inadäquat, wenn dessen Anknüpfungspunkt bloß das objektive Vorliegen von konkreten, erkennbaren Anhaltspunkten für deliktische Entschlüsse Dritter ist. Andernfalls wäre die Handlungsfreiheit unangemessen eingeschränkt, da die Möglichkeit einer deliktischen Anknüpfung nie auszuschließen ist.368 Anders ist die Beurteilung bei Verhaltensweisen, an die bestimmungsgemäß nur zu deliktischen Zwecken angeknüpft werden kann. In diesem Fall stellt sich die umgekehrte Frage, ob allein die Möglichkeit einer nicht-deliktischen Anknüpfungshandlung der Pönalisierung des Verhaltens entgegensteht. Wohlers gibt zu, dass die Beantwortung dieser Frage 362 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ fährdungsdelikte, S. 321. 363 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ fährdungsdelikte, S. 321. 364 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ fährdungsdelikte, S. 321 f., 322 ff. 365 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ fährdungsdelikte, S. 329. 366 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ fährdungsdelikte, S. 321 f., 329. 367 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ fährdungsdelikte, S. 335. 368 Frisch, Tatbestandsmäßiges Verhalten und Zurechnung des Erfolgs, S. 269.

GeGeGeGeGeGe-

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

schwierig sein kann. Deshalb erscheint es umso wichtiger, Strafbarkeitsvoraussetzungen auszugestalten, um den Fallkonstellationen, in denen es um sozial werthaftes Handeln geht, Rechnung zu tragen.369 So kann beispielsweise die Herstellung und Zugänglichmachung von Waffen auch dem Selbstschutz einer gefährdeten Person dienen. Jedenfalls ist die Pönalisierung der Bereitstellung von Gegenständen, die ihrer spezifischen Funktion nach in erster Linie als Deliktswerkzeuge in Betracht kommen, dann legitim, wenn die Ausgestaltung der Strafbarkeitsvoraussetzungen den doch sozial werthaften Gebrauchsformen (möglichen nicht-deliktischen Anknüpfungshandlungen) Rechnung trägt.370 (b) Die Systematik von Puschke Die Habilitationsschrift von Puschke aus dem Jahr 2017 beschäftigt sich in erster Linie mit den Vorbereitungsdelikten. In seiner Arbeit kommt Puschke jedoch zum Ergebnis, dass Vorbereitungsdelikte ihre Einordnung im Rahmen der abstrakten Gefährdungstatbestände finden und nicht eine eigenständige weitere Kategorie von Delikten bilden.371 Innerhalb der abstrakten Gefährdungsdelikte unterscheidet er zwischen Delikten, bei denen eine Rechtsgutsverletzung mangels Beherrschung der Handlungsfolgen eintreten kann (objektiv-abstrakte Gefährdungsdelikte), und solchen Delikten, bei denen ein bestimmtes Rechtsgut in Zukunft aufbauend auf der konkreten Tathandlung verletzt werden soll (subjektiv-objektiv abstrakte Gefährdungsdelikte oder Vorbereitungsdelikte).372 Unter die erste Kategorie fallen Delikte, die dem Rechtsgüterschutz durch Zufallsbeherrschung dienen.373 Hierbei soll eine bereits generell-objektiv als gefährlich beurteilte Handlung unterbunden werden, denn sie kann bereits zu einer Rechtsgutsverletzung führen, ohne dass es hierzu eines weiteren auf dieser Handlung aufbauenden deliktischen Zwischenschritts bedarf. Beispiele hierfür sind § 316 StGB und § 306 StGB.374 Ebenfalls als objektiv-abstrakt gefährlich können Kumulationsdelikte angesehen werden, bei denen es nicht um die Anknüpfung an die konkret zu beurteilende Handlung, sondern um Vornahme mehrerer auf der gleichen Stufe stehender Handlungen geht und jede einzelne Handlung 369 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 336. 370 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 336. 371 Dazu ausführlich Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 318 ff. 372 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 320. 373 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 320; Kratzsch, Verhaltenssteuerung und Organisation im Strafrecht, S. 119 f. 374 Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 321.

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einen Teilbeitrag zur Rechtsgutsbeeinträchtigung darstellt.375 Schließlich gehören zu dieser Kategorie die Eignungsdelikte, bei denen die Gefährlichkeit nicht nur an bestimmten Handlungsformen festgemacht wird, sondern zusätzlich dazu die Schädigungseignung im Einzelfall verlangt.376 Die zweite Kategorie (Vorbereitungsdelikte) sind hingegen durch die Subjektivierung des Gefährlichkeitszusammenhangs gekennzeichnet, mit der Besonderheit, dass eine weitere freiverantwortliche Handlung des Vorbereitungstäters oder eines Dritten einen notwendigen Zwischenschritt zu der unmittelbaren Rechtsgutsverletzung bildet.377 Das Gefährdungsunrecht ergibt sich somit aus der Beziehung zwischen der Vorbereitungshandlung und einer zukünftigen Beeinträchtigung, wobei die Herstellung dieser Beziehung sowohl objektive als auch subjektive Elemente aufweist.378 Diese Kategorisierung weist erkennbar eine deutliche Parallele zu der Ausdifferenzierung verschiedener Gruppen von abstrakten Gefährdungsdelikten durch Wohlers auf. Aufgrund der Fokussierung der Arbeit auf die Vorbereitungsdelikte geht Puschke im Rahmen der Frage nach der Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte im weiteren Verlauf seiner Arbeit nur auf diese Kategorie ein. Neben der Zugrundelegung der von ihm ausgearbeiteten Strafwürdigkeitskriterien wird nun die Notwendigkeit des subjektiven Bezugs auf eine unmittelbare Rechtsgutsverletzung als legitimierendes und limitierendes Merkmal hervorgehoben.379 (c) Stellung des § 284 StGB in dem System der verschiedenen Deliktstypen nach Wohlers und Puschke Nach der Terminologie von Wohlers könnte § 284 StGB zum einen ein konkretes Gefährlichkeitsdelikt darstellen, bei dem es um tatbestandlich vertypte Gefahrsetzungen ohne Rücksicht auf den subjektiven Bezug zur Schädigung oder konkrete Gefährdung des Rechtsguts geht. Dabei handelt es sich um Delikte, die vor unbeherrschbarer Gefahr schützen und bei denen es insbesondere um gewichtige Interessen geht. Paradebeispiele sind dafür § 316 und § 306 StGB. Als ein problematischeres Bespiel wird § 21 StVG angeführt (Fahren ohne Fahrerlaubnis). Wolff plädiert ohne weitere Begründung dafür, dass § 21 StVG, insbe-

375 Puschke, S. 321. 376 Puschke, S. 320 ff. 377 Puschke, S. 323. 378 Puschke, S. 323. 379 Puschke, S. 361 f.

Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen,

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

sondere Abs. 1 Ziffer 2, nur eine Ordnungswidrigkeit sein darf und als Kriminalstraftat verfassungswidrig ist.380 Da es hier primär um die Frage der Pönalisierung eines Verstoßes gegen die Einschätzungsprärogative der Verwaltung geht, wird darauf später im Rahmen der Verwaltungsakzessorietät eingegangen. Jedenfalls kann bei § 284 StGB nicht pauschal gesagt werden, dass eine konkrete Gefährdung oder Schädigung nur dann ausbleibt, wenn der Spieler nicht in den Einwirkungskreis des Täters gelangt. Ein Kumulationsdelikt (also eine Zuordnung zur zweiten Gruppe) könnte nur im Hinblick auf den Schutz der Verwaltung diskutabel sein. Denn die Beeinträchtigung des Vermögens durch die Manipulation tritt nicht erst bei Kumulation einzeln erbrachter Beiträge ein. Wie im ersten Teil bereits gezeigt wurde, geht es bei § 284 StGB nur um den Schutz der Einhaltung des Verwaltungsverfahrens, welcher ohne den Vermögensschutz die Pönalisierung nicht rechtfertigen würde. Insbesondere geht es aber auch nicht um den Schutz der Verwaltung als Institution, sondern um die Absicherung der Durchführung jedes einzelnen erforderlichen Verwaltungsverfahrens, sodass auch hier bereits ein einmaliger Verstoß zur Beeinträchtigung ausreichend ist. Überzeugender ist die Betrachtung des § 284 StGB als ein Vorbereitungsdelikt (dritte Gruppe). Denn allein die unerlaubte Veranstaltung eines Glücksspiels führt noch nicht unmittelbar zu der durch Manipulation erwirkten Schädigung des Vermögens. Es wird lediglich eine Situation geschaffen, an die zwecks deliktischer Vorhaben angeknüpft werden kann. Im Unterschied zu den von Wohlers und Puschke in diesem Bereich ausführlich diskutierten §§ 51, 52 WaffG wird jedoch im Kernstrafrecht nach § 89a Abs. 2 Nr. 2 StGB die Herstellung oder Zugänglichmachung von Waffen unter Strafe gestellt, wenn der Täter diese Handlung zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vornimmt. Das Gefährdungsunrecht wird hier unter Einbeziehung der künftigen Straftaten und deren Planungszusammenhangs begründet. Ein solcher Planungszusammenhang kommt in § 284 StGB gerade nicht zum Vorschein. Tatbestände ohne subjektiven Bezug zur Haupttat, wie zum Beispiel Umgang mit Waffen entgegen verwaltungsrechtlichen Vorschriften gemäß §§ 51, 52 WaffG, sind nach Puschke schon deshalb keine Vorbereitungsdelikte im Sinne des Unterfalls der abstrakten Gefährdungsdelikte. Die Legitimation muss sich vielmehr allein mit objektiver Gefährdung begründen lassen können.381 Damit würde man zu der ersten Kategorie von abstrakten Gefährdungsdelikten von Wohlers und Puschke zurückkehren. Die pauschale Einordnung des § 284 StGB in diese Kategorie erscheint jedoch nicht überzeugend, wie bereits erörtert wurde. 380

Wolff, Die Abgrenzung von Kriminalunrecht zu anderen Unrechtsformen, S. 220. Puschke, Legitimation, Grenzen und Dogmatik von Vorbereitungstatbeständen, S. 340. 381

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gg) Verwaltungsakzessorische abstrakte Gefährdungsdelikte Die Besonderheit des § 284 StGB besteht jedoch in seiner Verwaltungsakzessorietät. Angesichts dessen könnten möglicherweise die mit der bloßen Natur als ein abstraktes Gefährdungsdelikt verbundenen Schwierigkeiten überwunden werden. Auch speziell verwaltungsakzessorische abstrakte Gefährdungsdelikte gerieten in das Blickfeld der Strafrechtswissenschaft. Überwiegend ging es um § 327 StGB, eines der verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikte des Umweltstrafrechts. Diese Ausführungen sind jedoch verallgemeinerungsfähig und deshalb auch für § 284 StGB von Belang. In diesem Bereich ist entscheidend, dass der Schutz des Verwaltungsgehorsams nicht zum primären Zweck der Strafnorm wird, denn grundsätzlich genügt hier das Handeln ohne eine Genehmigung, auch wenn das Vorhaben sonst materiell-rechtlich unbedenklich wäre. Diese Besonderheit kann nicht gänzlich unberücksichtigt bleiben. (1) Kriterien der Bestimmung der Legitimation Dölling behauptete im Hinblick auf § 327 StGB,382 dass der Verstoß gegen das Genehmigungserfordernis pönalisiert werden könnte, wenn dieses dem Schutz eines Rechtsguts von hohem Rang diene und der Bestand des Schutzguts in erheblichem Maße von seiner Einhaltung abhänge. Es gehe um die effektive Durchsetzung des präventiven Verbots, die unter bestimmten Voraussetzungen auch dann gerechtfertigt sei, wenn die Verbindung zwischen der Norm und dem geschützten Rechtsgut sehr weitläufig erscheine und sogar als zu vage kritisiert werden könnte. Die Erfüllung der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen sei völlig außer Acht zu lassen, damit die Befugnis der Behörde, nach ihrem pflichtgemäßen Ermessen über die Genehmigung zu entscheiden, nicht unterlaufen werde.383 Bei einem solchen verwaltungsakzessorischen Delikt wird die behördliche Präventivkontrolle neben weiteren Rechtsgütern (im Einzelnen im Umweltstrafrecht umstritten) ebenfalls zum Schutzgut dieser Norm.384 Damit wird der unmittelbare Rechtsgutsbezug noch nicht aufgelöst, jedoch im Hinblick auf die weiteren umweltstrafrechtlichen Rechtsgüter stark ausgedünnt. Schon hier wird die staatliche Kontrolle zwar nicht als vorrangiges, aber als ein für die Begründung der Legitimation notwendiges Rechtsgut aufgenommen. Bedenken gegen die staatliche Kontrolle als Rechtsgut wurden bereits an mehreren Stellen erläutert. Diese können hier jedoch noch in den Hintergrund gedrängt werden, da die Verwaltungskontrolle keinesfalls das einzige oder vorrangige Schutzgut darstellen soll. Im Übrigen bleibt es bei der oben aufgeführten Kritik zum Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte. 382 383 384

Dölling, JZ 85, 462 ff. Dölling, JZ 85, 462 ff. NK-Ransiek, Vor §§ 324 ff. Rn. 10.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Kindhäuser hält § 327 StGB für besonders misslungen. Das liegt an den Konsequenzen, die sich aus einem solchen Verständnis der Norm ergeben. Eine (auch zu Unrecht) formell genehmigte Tätigkeit solle den bezweckten Rechtsgüterschutz gewährleisten können, währenddessen eine nicht genehmigte, aber alle verwaltungsrechtliche Vorgaben erfüllende Tätigkeit als unwiderleglich gefährlich eingestuft wird.385 Daraus folgert Kindhäuser, dass die Norm dann entweder illegitim sei oder eben nicht unmittelbar dem Zweck der Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen diene und daher anders zu begründen sei.386 An dieser Stelle entwickelt Kindhäuser eine Idee Bindings weiter, in der Binding für eine Gruppe von Gefährdungsdelikten einen vom eigentlichen Schutzgut abgehobenen Oberbegriff suchte und die Sicherheit dieses Oberbegriffs als eine Art erweitertes Schutzgut ansah. Das Verwaltungsverfahren stelle den Prozess der Erkenntnisgewinnung dar, ob die künftige Gefahrlosigkeit hinreichend gewiss sei, um unbesorgt über die Güter zu verfügen. Es gehe um die Entkräftung des abstrakten Misstrauens, wodurch die Sorgelosigkeit erst begründet werde.387 Dementsprechend könne es nicht darauf ankommen, ob das normwidrige Verhalten überhaupt eine Verletzungsrelevanz aufweise oder nicht;388 vielmehr sei der Zweck der verwaltungsakzessorischen Normen auch dann nicht verfehlt, wenn von vornherein kein Schutzbedürfnis bestehe.389 Davon zu unterscheiden sei die Frage, ob die Strafe im Allgemeinen als Mittel zur Sicherung der Geltung von Verhaltensnormen gerechtfertigt sei,390 und spezifischer, ob die Strafe eine Reaktion auf abstrakte Gefährdung darstellen könne, insbesondere weil die Grenze zwischen Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht durch den Bereich der Sicherheitsnormen verlaufe.391 Im Ergebnis plädiert Kindhäuser dafür, dass die Strafbewehrung einer Norm, die dem Niveau der zum Kernbereich des Strafrechts zählenden Verhaltensregeln nicht gerecht werde, das Strafrecht entwerte und dadurch den Präventionseffekt schmälere. Der niedrigere Strafrahmen könne dabei nicht als Argument angeführt werden, denn es gehe um den für die Kriminalstrafe wesentlichen rechtsethischen Tadel.392 In diesem Bereich sei es aber nicht undenkbar, zunächst auf die Abschreckung zu setzen und durch die Übelzufügung zu zeigen, dass der Normbruch „sich nicht auszahle“.393 Eine spürbare Geldbuße als Druckmittel könne durchaus den Vorzug vor Pönalisierung genießen, solange nicht

385 386 387 388 389 390 391 392 393

Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 321. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 322. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 324 f. Siehe auch Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 290 ff. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 337. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 153. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 340. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 344. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 345.

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feststehe, dass allein die Abschreckung die Einhaltung der Sicherheitsnormen nicht mehr garantieren könne.394 Auch Winkelbauer führte zu § 327 StGB aus, dass es bei dieser Norm auf die Bestrafung der Verletzung bestimmter Ordnungswerte um eines weit im Vorfeld einer Verletzung der Gefährdung angesiedelten mittelbaren Rechtsgüterschutzes willen ankomme.395 Daraus folgt wie auch nach Ansicht Kindhäusers, dass die Bestrafung unabhängig von der Möglichkeit der Gefährdung eines individualisierbaren Rechtsgutes erfolgen soll. Der Täter greife jedenfalls in das Entscheidungsmonopol der Behörde ein.396 Winkelbauer sieht in § 327 StGB eine Norm, die die Verletzung von Kontrollinteressen sanktioniert. Zwar führt er dazu aus, dass allein die Umgehung der Genehmigungsprüfung der Behörden, deren Einhaltung auch mit den Mitteln des Verwaltungszwangs erreicht werden könnte, nicht die Strafbarkeit begründen könne, denn die Einhaltung verwaltungsrechtlicher Pflichten könne, wie bereits oben mehrfach erörtert, nicht mittels Kriminalstrafrechts erzwungen werden.397 Eine Atomanlage verliere jedoch auch bei Einhaltung der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen nicht ihre abstrakte Gefährlichkeit, sodass ihre ständige Kontrolle notwendig bleibe.398 Von einem mittelbaren Rechtsgüterschutz durch abstrakte Gefährdungsdelikte, die zum Schutz bestimmter konkreter Rechtsgüter geschaffen wurden, spricht auch Brehm. Dadurch, dass bestimmte Verhaltensweisen erzwungen werden, solle eine Ordnung geschaffen werden, die zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen oder -gefährdungen beitrage.399 Diese Bestimmungen tragen zur Berechenbarkeit der Situation bei. Es gehe nicht um ein Verbot von generell gefährlichen Handlungen, sondern damit werde die Ordnung in den Vordergrund dieser Bestimmungen gestellt.400 Dieses Ordnungselement sei das abstrakte Interesse, welches durch Übertretung des Verbots verletzt wird.401 Brehm untersucht an dieser Stelle zwar die Bestimmungen der StVO. Diese Betrachtung deckt sich jedoch mit den Ausführungen Winkelbauers und Kindhäusers zu verwaltungsakzessorischen Normen. Auch Wolter sieht in den abstrakten Gefährdungsdelikten nicht den Schutz von konkreten Rechtsgütern als unmittelbaren Inhalt der Norm, sondern hierin zeige sich lediglich das Motiv des Gesetzgebers; im Vordergrund stehen jedoch Kon-

394 395 396 397 398 399 400 401

Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 345, 355. Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, Winkelbauer, Zur Verwaltungsakzessorietät des Umweltstrafrechts, Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 139. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 139. Brehm, Zur Dogmatik des abstrakten Gefährdungsdelikts, S. 139.

S. S. S. S.

61. 62. 61. 61.

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troll- und Überwachungsmöglichkeiten.402 Ausgehend von der Prämisse, Strafrecht diene vornehmlich dem unmittelbaren Rechtsgüterschutz, müssten die abstrakten Gefährdungsdelikte eindeutig einen kriminellen Gehalt aufweisen.403 Im Anschluss an Armin Kaufmann verlangt er eine „Aufwertung“ der abstrakten Gefährdungsdelikte, die entweder durch Beschränkung auf Verhaltensweisen mit mittelbarem Bezug zu ganz gravierenden Rechtsgütergefährdungen und -verletzungen (Leben, Leib, bedeutende Sachwerte) oder durch Schaffung von sog. „Prüfstellendelikten“, bei denen es auf die Freigabe des In-Verkehr-Bringens gefährlicher Stoffe und Mittel ankommt, erfolgen könne.404 Eine solche Prüfstelle könne demnach auch die Behörde sein, die eine Erlaubnis zu Veranstaltung von Glücksspielen erteilen soll. Das Handeln ohne erforderliche Zulassung oder entgegen den Auflagen der Prüfstelle begründe „den kriminellen Akzent, das Risiko für Leib und Leben anderer nicht zu scheuen“405.406 Beide vorgeschlagenen Wege haben mithin die Gemeinsamkeit, dass es auf eine erhebliche Rechtsgütergefährdung ankommen soll, sei es, weil es um die wichtigsten Güter eines Menschen (Leib und Leben) geht, sei es, weil es sich um bedeutende Sachwerte handelt. Heghmanns weist auf eine Besonderheit der Delikte gegen ungenehmigtes Verhalten im Vergleich zu den üblichen abstrakten Gefährdungsdelikten hin. Bei den gängigen abstrakten Gefährdungsdelikten (wie zum Beispiel § 316 StGB), deren Legitimität nicht ernsthaft angezweifelt wird, wird zur Begründung der Legitimität ein Zwischenrechtsgut herangezogen. Die Sicherheit des Straßenverkehrs diene der Sicherheit von Leib und Leben der Straßenverkehrsteilnehmer; sogar der nach § 370 Abgabenordnung geschützte Steueranspruch des Staates sei eine unabdingbare Voraussetzung staatlicher Daseinsvorsorge, da die Finanzkraft des Staates die Bürger vor Armut, Kriminalität und Gefahren schütze.407 Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten gehe es um generell gefährliche Handlungen, deren tatsächliche Schädlichkeit jedoch nicht vorab zuverlässig eingeschätzt werden könne. Gibt es nun ein Genehmigungsverfahren, dessen gebotene Einhaltung im Idealfall zur Verhinderung von Schädigungen und Gefährdungen führt, kann bei tatsächlicher Ungefährlichkeit der Handlung nicht behauptet werden, es sei ein

402 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr zung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 319 f. 403 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr zung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 320. 404 Kaufmann, JZ 71, 576; Wolter, Objektive und personale Zurechnung ten, Gefahr und Verletzung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 320. 405 Kaufmann, JZ 71, 576. 406 Wolter, Objektive und personale Zurechnung von Verhalten, Gefahr zung in einem funktionalen Straftatsystem, S. 320. 407 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 165 f.

und Verletund Verletvon Verhal-

und VerletSchutz von

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vorgelagertes unmittelbares gemeinschaftliches Sicherheitsinteresse tangiert.408 Daher müsse man, um in jedem Fall des ungenehmigten Handelns eine Rechtsgutsbeeinträchtigung sehen zu können, das Genehmigungsverfahren selbst als das zu schützende Rechtsgut verstehen.409 Dies erscheine auch naheliegend, wenn das Fehlen der Genehmigung ein Tatbestandsmerkmal sei.410 Jedenfalls bestehe die Gefahr der Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams dann nicht, wenn es sich um eine kriminalpolitisch notwendige, zur Gefahrenabwehr geeignete, den Grad und die Häufigkeit der Gefährdung im Falle unkontrollierter Handlungsvornahme berücksichtigende Vorfeldstrafbarkeit handele. Das Genehmigungsverfahren müsse tatsächlich zur Abwehr ernsthafter gesundheitlicher oder individueller materieller Schäden notwendig und geeignet erscheinen.411 Letztendlich werde jedoch nicht die Qualität der verwaltungsrechtlichen Entscheidung, sondern die Durchführung der Kontrolle als solche geschützt.412 (2) Kritik Den oben aufgeführten Ansichten ist gemeinsam, dass sie ihr Augenmerk von der herkömmlichen Rechtsgüterschutzidee abwenden und dafür (in kleinerem oder größerem Umfang) Ordnungs- und Sicherheitselemente in den Vordergrund stellen. Damit wird jedoch nichts anderes erreicht als die Erschaffung eines eigenen, höchst abstrakten Zwischenrechtsguts. Wird sodann auf die Verletzung dieses Zwischenrechtsguts abgestellt, so müsste man von einem Verletzungs- und nicht von einem Gefährdungsdelikt sprechen. Eine solche Methode kann kaum die Legitimität eines Gefährdungsdelikts erklären, denn auf diese Art und Weise kann zu jedem abstrakten Gefährdungsdelikt ein Zwischenrechtsgut formuliert werden, das den strafrechtlichen Schutz begründen würde. Diese Vorgehensweise birgt in sich die Gefahr, die Legitimität der strafrechtlichen Normen nicht kritisch zu hinterfragen und zu überprüfen, sondern gerade den strafrechtlichen Schutz beliebig weit auszudehnen413 und somit den Ultima-ratio-Gedanken des Strafrechts weitgehend auszuhöhlen sowie durch Umformung der Rechtsgüter

408 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 167. 409 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 168. 410 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 167 f. 411 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 169 f. 412 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 171; gung im Strafrecht, S. 138 f. 413 Vgl. auch Kuhlen, GA 90, 480.

Straftatbestände zum Schutz von Straftatbestände zum Schutz von Straftatbestände zum Schutz von Straftatbestände zum Schutz von Straftatbestände zum Schutz von Marx, Die behördliche Genehmi-

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

den Gehalt der Vorschriften zu verfremden.414 Außerdem sei es immer noch möglich, dass im Einzelfall auch die Verletzung eines solchen Zwischenrechtsguts ausgeschlossen ist. Das Problem der Bestrafung völlig ungefährlicher Handlungen sei damit nicht gelöst.415 In diesen Fällen bleibt es allein bei der Bestrafung des Verwaltungsungehorsams, was nach einhelliger Meinung nicht legitim ist. Betrachtet man mit Kindhäuser die abstrakten Gefährdungsdelikte als Sanktionsnormen für Selbstzwecknormen,416 so müsste er die Frage, ob man darauf mit der Kriminalstrafe reagieren darf, zwingend bejahen,417 was er jedoch nicht tut. Die Formulierung des Zwischenrechtsguts als „Funktionsfähigkeit der behördlichen Zugangskontrolle“418 nach Heghmanns erscheint konkreter. Dennoch sieht auch er ein, dass die Auswahl der dadurch mittelbar geschützten, im Gefährdungs- oder Schadensfall betroffenen Güter begrenzt sei.419 Mit dem Schutz eines abstrakten Interesses (Brehm), der Sicherheit (Kindhäuser) oder dem vorrangigen Schutz der Verwaltung (Wolter, Heghmanns) kann demnach die Legitimation abstrakter Gefährdungsdelikte nicht erklärt werden. Dennoch weisen die Ansichten eine weitere Gemeinsamkeit auf. Es werden bestimmte Anforderungen an die durch die Verwaltungskontrolle geschützten und abstrakt gefährdeten Rechtsgüter gestellt. So spricht Dölling von einem Rechtsgut von hohem Rang und der Abhängigkeit der Erhaltung des Schutzguts von der Einhaltung des Verwaltungsverfahrens. Wolter sowie Armin Kaufmann sprechen ebenfalls von ganz gravierenden Rechtsgütergefährdungen bzw. -verletzungen und beschränken die Rechtsgüter auf Leib, Leben und bedeutende Sachwerte. Heghmanns spricht sich für die Berücksichtigung des Grads und der Häufigkeit der Gefährdung im Falle der unkontrollierten Handlungsvornahme aus. Zudem soll es um Verhinderung ernsthafter gesundheitlicher oder individueller materieller Schäden gehen. Schließlich verlangt Kindhäuser eine Orientierung an den zum Kernbereich des Strafrechts zählenden Verhaltensregeln. Die Bestimmung des Kernbereichs des Strafrechts ist jedoch nicht immer leicht. Unstreitig gibt es gewisse Verbrechen, deren strafrechtliche Pönalisierung nie ernsthaft bezweifelt wurde. Dazu können Mord, Körperverletzung, Freiheitsberaubung gezählt werden (und damit 414 So auch Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 371, 373; vgl. auch Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 34 f. zur Kritik an Schünemanns „vergeistigten Rechtsgütern“. 415 Zieschang, Die Gefährdungsdelikte, S. 372. 416 Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, S. 338. 417 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 295. 418 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 167. 419 Heghmanns, Grundzüge einer Dogmatik der Straftatbestände zum Schutz von Verwaltungsrecht oder Verwaltungshandeln, S. 169.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit als Rechtsgüter). Die Einbeziehung der Taten, die heute grundsätzlich anerkannt werden (Diebstahl, Raub, Betrug, Unterschlagung etc.) ist jedoch nicht so unproblematisch und unbestritten, wie dies auf den ersten Blick erscheinen könnte. Denn auch der Kernbereich des Strafrechts kann weiter oder enger bestimmt werden. So wollte Naucke in Anlehnung an Kant, der für die Bestimmung der mit Strafe zu vergeltenden Verhaltensweisen zwischen crimen publicum (öffentlichem Verbrechen) und crimen privatum (Privatverbrechen) unterschieden hat, den Diebstahl nur dann bestrafen lassen, wenn dieser großangelegt ist.420 Verhaltensweisen, bei denen es an Gewahrsamsbruch fehlt, wie Betrug und Unterschlagung, seien dagegen generell nicht strafwürdige Privatverbrechen.421 Allerdings stieß diese Ansicht nicht auf Zustimmung und wurde nicht ernsthaft aufgegriffen. Denn meistens zählen Diebstahl und Betrug zum Kernbereich des kriminellen Verhaltens, genau wie Mord, Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung.422 Das Problem der Bestimmung des Kernbereichs des Strafrechts besteht darin, dass entschieden werden muss, ob dieser völlig unabhängig von jeglichen gesellschaftlichen Veränderungen sowie der Art und Weise der Beeinträchtigung zu bestimmen ist oder ob diese gerade im Gegenteil für die Bestimmung unumgänglich sind. Die genaue Betrachtung selbst allgemein anerkannter Delikte und Rechtsgüter zeigt, dass eine völlige Unabhängigkeit von Wertungen nicht möglich ist. Dies betrifft schon die Schutzgüter selbst. Die Notwendigkeit des Lebensschutzes wird zwar nicht in Abrede gestellt, doch muss zunächst festgelegt werden, wann ein Leben beginnt und endet. Die Vorstellungen diesbezüglich erfahren mit Veränderungen der gesellschaftlichen Wertvorstellungen sowie mit dem Fortschritt in der Wissenschaft einen Wandel.423 Bei den meisten Rechtsgütern stellt sich zudem die Frage, gegen welche Art von Beeinträchtigungen sie strafrechtlich geschützt werden sollen. So rekurriert auch Naucke bei der Bestimmung des strafwürdigen Verhaltens auf eine wertende Betrachtung, wenn nur großangelegter Diebstahl strafbar und der Betrug gerade wegen des fehlenden Gewahrsamsbruchs nicht strafwürdig sein soll.424 Auch die Entwicklung neuer Technologien, immer komplexer werdender Wirtschaftsabläufe etc. führen zu neuartigen Angriffsmöglichkeiten auf die Rechtsgüter, sodass diese Angriffe auf ihre Strafwürdigkeit bewertet werden müssen. Frisch betont, dass die Strafe als gewichtigste Sanktion des Staates nur ein adäquates Reaktionsmittel auf besonders gewichtige Verstöße sein kann. Das 420

Naucke, SchlHA 64, 208. Dazu Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 62 ff. 422 Androulakis, ZStW 108 (1996), 300; Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 87 Fn. 67. 423 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 67 f. 424 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 64. 421

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vorgeworfene Fehlverhalten müsse in besonderem Maße die Anforderungen des Gemeinschaftslebens verletzen und daher besonders missbilligenswert und missbilligungsbedürftig sein.425 Demnach kann die gesellschaftliche Wirklichkeit jedenfalls nicht vollständig außer Betracht bleiben. Naucke erkennt schließlich ebenfalls an, dass die Abgrenzung zwischen öffentlichem und privatem Verbrechen nicht immer zu überzeugenden Ergebnisses geführt hat und die Zuordnung der Verbrechen letztlich mehr oder weniger willkürlich erfolgte.426 Kant definierte nicht eindeutig, welcher Maßstab für die Einordnung als öffentliches Verbrechen anzulegen ist. Bei der Notwendigkeit der unmittelbaren Beeinträchtigung der staatlichen Gemeinschaft durch die Tat könnte man an der Einordnung des Mordes als öffentliches Verbrechen zweifeln; auch ein einzelner Diebstahl wäre zu einer solchen Beeinträchtigung meistens nicht in der Lage.427 Deshalb kann nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass Betrug oder Delikte im Vorfeld des Betrugs unberechtigterweise im StGB ihren Platz gefunden haben. Zumindest kann der Betrug nach § 263 StGB als ein nach heutiger Sicht fester und kaum noch bestrittener Bestandteil des StGB als eine Leitlinie gelten, sodass eine Orientierung an den zum Kernbereich des Strafrechts zählenden Verhaltensweisen durchaus als ein weiteres Kriterium betrachtet werden kann. hh) Zusammenfassung Der Strafgrund der hier zu untersuchenden abstrakten Gefährdungsdelikte konnte noch nicht zur allseitigen Zufriedenheit beschrieben werden. Die herrschende Meinung sieht den Grund des Ver- oder Gebots in der generellen Gefährlichkeit einer Handlung. Dabei werden diejenigen Einzelfälle, in denen der Eintritt der Verletzung des Rechtsguts ausgeschlossen war, nicht berücksichtigt; ihre Bestrafung wird vielmehr hingenommen. Außerdem gibt es keine festen Kriterien für die Beurteilung der Gefährlichkeit einer Handlung. Diese bleibt dem Belieben des Gesetzgebers überlassen. Auch andere Ansätze können nicht überzeugen. Damit soll jedoch nicht grundsätzlich die Notwendigkeit solcher Deliktstypen verneint werden (auch wenn dies ebenfalls durchaus vertreten wird). Es ist vielmehr begrüßenswert, dass die Strafrechtswissenschaftler sich mit der Herausarbeitung greifbarer Kriterien beschäftigen, anhand deren der Gesetzgeber entscheiden könnte, in welchen Bereichen der Einsatz von Gefährdungs- und Vorbereitungsdelikten legitimierbar ist. Diese spezifischen Kriterien für abstrakte verwaltungsakzessorische Gefährdungsdelikte definieren und präzisieren ihrerseits die Strafwürdigkeit und die Strafbedürftigkeit, die sich vollständig in die 425 Frisch, An den Grenzen des Strafrechts, in: FS für Walter Stree und Johannes Wessels, S. 86 f. 426 Naucke, SchlHA 64, 208. 427 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 63 f.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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verfassungsmäßige Verhältnismäßigkeitsprüfung integrieren lassen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Legitimität verwaltungsakzessorischer abstrakter Gefährdungsdelikte anhand der Bedeutung des Rechtsguts, des Maßes der Gefährdung und des drohenden Schadens unter Berücksichtigung der Verhaltensregeln im Kernstrafrecht428 zu beurteilen ist. c) Vergleich des § 284 StGB mit weiteren Delikten zum Vermögensschutz im Kernstrafrecht Nachdem unter IV. 1. festgestellt wurde, dass dem Rechtsgut des Vermögens kein besonders hoher Stellenwert beigemessen wird, der einen umfassenden Schutz unumgänglich macht, und unter IV. 2. a), dass es sich bei § 284 StGB um ein verwaltungsakzessorisches abstraktes Gefährdungsdelikt handelt, welches nach den meisten Ansichten nur dem Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter dienen kann, stellt sich die Frage, ob nicht bereits deswegen die Legitimität des § 284 StGB zu verneinen wäre. Andererseits wird der Vermögensschutz nicht vollständig aus dem StGB verbannt. Das gilt auch für den Vermögensschutz im Vorfeld einer tatsächlich eingetretenen Schädigung.429 Die zentrale Norm ist § 263 StGB. Im Hinblick darauf, dass § 284 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betrugs darstellt, ist für diese Arbeit die Untersuchung weiterer abstrakter Vermögensgefährdungsdelikte (im Vorfeld des Betrugs) als Orientierung für die Beurteilung der Legitimität des § 284 StGB von Interesse. aa) Wirtschaftsstraftaten Eine gewisse Vergleichbarkeit im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte und die Ausgestaltung der Normen besteht zunächst mit den Wirtschaftsstraftaten, §§ 264, 264a, 265b StGB. (1) §§ 264, 264a, 265b StGB: Sinn und Zweck der Einführung dieser Tatbestände Durch das 1. und das 2. Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität (WiKG)430 wurden die §§ 264, 264a und 265b StGB geschaffen. Bezweckt wurden damit die effektivere Bekämpfung wirtschaftskrimineller Verhaltensweisen, die Erhöhung der präventiven Wirkung bereits bestehender strafrechtlicher Normen und die Schließung von Strafbarkeitslücken. In praktischer Hinsicht sollten 428 Dass die abstrakten Gefährdungsdelikte im Unrechtsgehalt dem Niveau des Kernstrafrechts entsprechen müssen, unterstreicht Kindhäuser, Die Abhandlungen zum Vermögensstrafrecht, S. 407. 429 Gemeint sind hier Vermögensdelikte im engeren Sinn, das heißt Delikte gegen das Vermögen als Ganzes, nicht Eigentumsdelikte o. Ä. 430 Gesetze vom 29.7.1976, BGBl. I, S. 2034 und vom 15.5.1986, BGBl. I, S. 721.

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dadurch Nachweisschwierigkeiten vermieden werden, die im Rahmen des Betrugs nach § 263 StGB bestanden, indem auf die allein bei der Anwendung des § 263 StGB auf die in den neuen Paragraphen geregelten Sachverhalten problematischen Tatbestandmerkmale wie Irrtum, Vermögensschaden und im Rahmen des § 264 sogar auf den Vorsatz verzichtet wurde.431 Durch Verzicht auf die meisten für § 263 StGB relevanten Tatbestandsmerkmale und die bloße Bestrafung der Vornahme einer bestimmten Handlung (Täuschungshandlung) wurden diese Sondertatbestände als abstrakte Gefährdungsdelikte im Vorfeld des Betrugs ausgestaltet.432 Dabei wurde vom Gesetzgeber nicht verkannt, „daß allein praktische Schwierigkeiten bei der Anwendung des Betrugstatbestandes nicht die Einführung leichter handhabbarer Straftatbestände rechtfertigen. Derartige Reformen sind vielmehr aus rechtsstaatlichen Gründen nur dann vertretbar, wenn vor allem im Hinblick auf das geschützte Rechtsgut auch das durch Vorfeldtatbestände erfaßbare Verhalten als strafwürdiges Unrecht erscheint“.433 (2) Leitmotiv des Gesetzgebers bei der Einführung der §§ 264, 264a und 265b StGB (a) § 264 StGB Bei der Einführung des § 264 StGB ging der Gesetzgeber zunächst davon aus, dass die Erschleichung direkter Subventionen ein sozialschädliches Unrecht darstellt. Die missbräuchliche Inanspruchnahme öffentlicher Gelder könne zu Fehlleitung der Volkswirtschaft und damit zu erheblichen Schädigungen führen. Mit der unentgeltlichen Inanspruchnahme öffentlicher Gelder gehe für den Täter eine erhöhte Verantwortung der Allgemeinheit gegenüber einher, die den strafrechtlichen Schutz als rechtspolitisch geboten erscheinen lasse; zugleich begründe die strafrechtliche Pönalisierung der Verletzung der Wahrheitspflicht für den Täter keine unzumutbare Belastung.434 (b) § 264a StGB Mit der Einführung dieser Norm war die Verbesserung des Anlegerschutzes bezweckt. Nach der Ansicht des Gesetzgebers bestand die Notwendigkeit der Norm darin, dass die Anleger meistens unerfahren und daher besonders schutzwürdig seien, ihr Schutz werde jedoch durch die bestehenden Normen nicht effektiv genug gewährleistet.435 Damit sollte jedoch nicht nur das individuelle Ver431 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 154 ff. 432 Bezüglich § 264: BT-Drucks. 7/3441, S. 25; 7/5291, S. 5; bezüglich § 264a: BTDrucks. 10/318, S. 12; bezüglich § 265b: BT-Drucks. 7/5291, S. 14. 433 BT-Drucks. 7/3441, S. 18; 10/318, S. 22. 434 BT-Drucks. 7/3441, S. 17, 24; vgl. BT-Drucks. 7/5291, S. 8. 435 BT-Drucks. 10/318, S. 21 f.

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mögen der Anleger geschützt werden, sondern auch das Vertrauen in den Kapitalmarkt, das durch kumulatives Auftreten verbotener Verhaltensweisen erschüttert werde, die somit „das Funktionieren eines wesentlichen Bereichs der geltenden Wirtschaftsordnung“ gefährden.436 (c) § 265b StGB Bei der Schaffung von § 265b StGB wurde die Vergabe von Krediten an kreditunwürdige Personen als erhebliche Gefahr angesehen, da dies nicht nur zum Verlust der Kreditsumme des Kreditgebers, sondern zur Gefährdung weiterer Personen, mit denen geschäftliche und rechtliche Beziehungen gepflegt werden, führen könne.437 Dies könne solches Ausmaß annehmen, dass dadurch die gesamte Wirtschaftsordnung und die Volkswirtschaft erschüttert werden sowie das Vertrauen in ihr Funktionieren verloren gehen können. Daher sei dieses Verhalten als strafwürdiges Unrecht anzusehen, welches die Vorverlagerung der strafrechtlichen Pönalisierung rechtfertige.438 (3) Rechtsgut der §§ 264, 264a, 265b StGB (a) § 264 StGB Das Rechtsgut des § 264 StGB ist umstritten. Die Rechtsprechung geht zunächst von dem Schutz der Planungs- und Dispositionsfreiheit des Subventionsgebers bzw. dem Allgemeininteresse an einer wirksamen und zweckgerechten staatlichen Wirtschaftsförderung durch Subventionen aus.439 Aus der Entstehungsgeschichte dieser Norm geht hervor, dass der Unrechtskern des Subventionsbetrugs in der Fehlleitung der öffentlichen Mittel und der sich daraus ergebenden Verfehlung des mit der Subvention angestrebten wirtschaftspolitischen Zwecks bestehe.440 Gegen diese Formulierung wurde eingewandt, dass der Begriff „Freiheit“ im Zusammenhang mit dem öffentlichem Handeln nur eingeschränkt verwendet werden könne, denn die Verwaltung sei in ihren Entscheidungen oft normativ gebunden; die Planungs- und die Entscheidungstätigkeit im eigentlichen Sinne erfolge im Vorfeld im Rahmen der Erlasses von Subventionsgesetzen und -bestimmungen.441 Ferner schützt das Strafrecht weder im Rahmen 436

BT-Drucks. 10/318, S. 12. BT-Drucks. 7/3441, S. 17. 438 BT-Drucks. 7/3441, S. 18. 439 OLG Hamburg NStZ 84, 218; OLG Karlsruhe NJW 81, 1383; M/T-Gaede, § 264 Rn. 4. 440 BT-Drucks. 7/5291, S. 3; LK-Tiedemann, § 264 Rn. 23 m.w. N.; Kindhäuser, JZ 91, 495; Jung, JuS 76, 758. 441 LK-Tiedemann, § 264 Rn. 23; MK-Ceffinato, § 264 Rn. 1; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 247 f. 437

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des § 263 StGB noch im Rahmen des § 264 StGB die Dispositionsfreiheit privater Vermögensinhaber, obwohl diese sogar in Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich abgesichert ist. Nichts anderes könne deshalb im Hinblick auf öffentliche Subventionsentscheidungen, die nicht der Persönlichkeitsentfaltung der sie individuell treffenden Amtsträger dienen sollen, gelten.442 Der Gedanke des Schutzes des Subventionsverfahrens als Rechtsgut, der in Anlehnung an §§ 153 ff. StGB entwickelt wurde,443 wird mit der Begründung abgelehnt, von § 264 StGB würden nur die für den Subventionsnehmer vorteilhaften Angaben erfasst, von §§ 153 ff. StGB jedoch falsche Angaben jeglicher Art, da auch durch die für eine Prozesspartei nachteilhaften Angaben das Interesse der Rechtspflege an der Wahrheitsfindung gefährdet werde. Ginge es bei § 264 StGB um die ordnungsgemäße Durchführung des Vergabeverfahrens, so müsste diese Differenzierung unterlassen werden.444 Deshalb wird auch vertreten, das gesetzgeberische Motiv des § 264 StGB sei vielmehr die Sicherstellung der effektiven Umsetzung gesetzgeberischer Entscheidungen im Vergabeverfahren. Damit diene diese Norm als ein Instrument der staatlichen Wirtschaftslenkung und dem Schutz der mit dieser Lenkung verfolgten wirtschaftspolitischen Zwecke.445 Strafnormen dienen dem Schutz der für die menschliche Koexistenz notwendigen Grundvoraussetzungen. Grundlage der personalen Entfaltung des Einzelnen ist die Anerkennung einer individuellen Freiheitssphäre.446 Die Ausübung der eigenen Freiheit ist heutzutage jedoch kaum möglich, ohne dass die Freiheitssphäre eines anderen Individuums betroffen wäre. Daher sei es notwendig, nicht nur Freiheitsrechte anzuerkennen, sondern auch die Grundbedingungen zu schaffen, unter denen diese Freiheitsrechte (wenn auch nicht schrankenlos) ausgeübt werden könnten.447 Da die Wirtschaftsordnung sich zu einem immer komplexeren Konstrukt entwickle, bedürfe es auch hier eines Ordnungsrahmens, innerhalb dessen sich jeder frei wirtschaftlich betätigen könne.448 Daher bestehe ein Allgemeininteresse an der Funktionsfähigkeit der für das Subventionswesen (als Institution) relevanten Funktionszusammenhänge.449 Auch die Vertreter dieser Ansicht übersehen je-

442

SK-Hoyer, § 264 Rn. 7; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 375. LK-Tiedemann, § 264 Rn. 30. 444 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264 Rn. 10 (2. Auflage); SK-Hoyer, § 264 Rn. 8. 445 S/S-Perron, § 264 Rn. 4; LK-Tiedemann, § 264 Rn. 23; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 248. 446 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 165. 447 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 165. 448 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 166; Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 279; MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264 Rn. 8 (2. Auflage). 449 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264 Rn. 8 (2. Auflage). 443

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doch die Gefahr einer solchen Sichtweise nicht. Die Gründe der Einführung des § 264 StGB waren im Endeffekt rein pragmatischer Natur.450 Die Erschleichung von Subventionen wurde vom Gesetzgeber zweifelsohne als strafwürdiges Unrecht angesehen. Zur Legitimation des Vorfeldschutzes wurde nur kurz und beiläufig erwähnt, dass es sich bei der Beantragung von Subventionen um eine freiwillige Entscheidung handele und die strafrechtlich abgesicherte Einhaltung der Wahrheitspflicht für den Erhalt unentgeltlicher Leistung des Staates keine unzumutbare Belastung darstelle.451 Andererseits könnten solche pragmatischen Überlegungen grundsätzlich darauf hinauslaufen, dass jedes neu auftretende Interesse zur Entstehung eines überindividuellen Rechtsguts führt. Die schrankenlose Anerkennung von Gemeinwohlinteressen und Gemeinschaftswerten als überindividuelle Rechtsgüter bewirke sodann eine unangemessene Ausweitung des Strafrechts.452 Jedenfalls besteht innerhalb dieser Meinungen Einigkeit darüber, dass § 264 StGB dem Schutz eines überindividuellen Rechtguts dient. Dies würde auch erklären können, warum § 264 StGB denselben Strafrahmen wie § 263 StGB hat, obwohl es sich bei § 263 StGB um ein Erfolgs- und nicht um bloß ein Gefährdungsdelikt handelt. Eine Mindermeinung in der Literatur sieht hingegen allein das öffentliche Vermögen als das geschützte Rechtsgut an.453 Damit wäre § 264 StGB ein Sonderfall des Betrugs; die Angriffsrichtung wäre gleich, die Bedeutung des § 264 StGB läge nur in der Vorverlagerung des Schutzes und der Vermeidung gewisser Beweisschwierigkeiten bei der Anwendung des § 263 StGB. Diese Begründung kann in dieser Form kaum überzeugen, denn die Gesetzgebungsmaterialien beweisen, dass die Vermeidung von Beweisschwierigkeiten nicht den alleinigen Zweck darstellte und einen neuen Straftatbestand gerade nicht rechtfertigen konnte. Deshalb wird auch vertreten, dass das öffentliche Vermögen neben den oben genannten überindividuellen Interessen geschützt wird454 (wobei hier darüber gestritten wird, was der primäre Zweck ist455). Dafür spreche auch, dass § 264 StGB nach der herrschenden Meinung als lex specialis zu § 263 StGB an-

450

MK-Ceffinato, § 264 Rn. 5. BT-Drucks. 7/5291, S. 4; MK-Ceffinato, § 264 Rn. 5. 452 Herzog, Gesellschaftliche Unsicherheit und strafrechtliche Daseinsvorsorge, S. 118; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 166. 453 NK-Hellmann, § 264 Rn. 10 m.w. N.; Sannwald, Rechtsgut und Subventionsbegriff, S. 65; Ranft, JuS 86, 450; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 376 f. 454 S/S-Perron, § 264 Rn. 4; Sannwald, Rechtsgut und Subventionsbegriff, S. 65; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 17 Rn. 4. 455 Zum Beispiel für Vermögensschutz als vorrangiges Ziel S/S-Perron § 264 Rn. 4; ebenso Sannwald, Rechtsgut und Subventionsbegriff, S. 59 ff.; a. A.: Lackner/Kühl-Heger, § 264 Rn. 1 m.w. N. 451

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gesehen wird, selbst dann, wenn es zu einer Vermögensschädigung kommt.456 Diese ist dann nach § 264 StGB ebenfalls abgegolten. Sollte § 264 StGB nicht anwendbar sein, so ist § 263 StGB anzuwenden und der Täter je nachdem, ob die Subvention ausgezahlt wurde oder nicht, wegen eines Versuchs oder eines vollendeten Betrugs zu verurteilen. Dies wäre nicht anzunehmen, wenn § 264 StGB den Vermögensschutz komplett ausschließen würde.457 Ferner hat der Bundesgerichtshof die Frage, ob § 264 StGB ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist, bejaht.458 Dies entspreche vor allem der Absicht des Gesetzgebers, den Schutz der öffentlichen Hand zu verstärken. Die Ablehnung von § 823 Abs. 2 BGB würde jedoch zu einer (zwar zivilrechtlichen) Verschlechterung der Position führen. Dann aber müsse § 264 StGB auch dem Schutz des öffentlichen Vermögens dienen.459 Andererseits musste der Bundesgerichtshof dafür die Zweckverfehlungslehre auch im Rahmen des § 264 StGB für anwendbar erklären,460 was der Gesetzgeber jedoch gerade vermeiden wollte.461 (b) § 264a StGB Auch das von § 264a StGB geschützte Rechtsgut ist umstritten. Genau wie im Rahmen des § 264 StGB stellt sich die Frage, ob dadurch ein überindividuelles Rechtsgut geschützt wird (Vertrauen in die Redlichkeit/Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes oder Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes als Institution) oder ob hier der Vermögensschutz im Vordergrund steht. Vertreten wird ebenfalls, dass diese Norm eine doppelte Schutzrichtung aufweist.462 Die Vertreter des ausschließlichen Vermögensschutzes463 verweisen auch hier auf die Bezeichnung des Tatbestandes als „Kapitalanlagebetrug“ sowie die systematische Stellung der Norm im 22. Abschnitt des StGB. Der Schwund des Vertrauens sei eine Folge von erlittenen Vermögensschäden. Auch wenn die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes als Regelungsziel anerkannt wird, kann diese nur über den Umweg des Individualschutzes, das heißt mediatisiert, geschützt werden. Der Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes sei daher nur ein 456 BGHSt 32, 206; S/S-Perron, § 264 Rn. 87; LK-Tiedemann, § 264 Rn. 185; Ranft, JuS 86, 450. 457 Detzner, Rückkehr zum „klassischen Strafrecht“ und die Einführung einer Beweislastumkehr, S. 28. 458 BGH NJW 89, 974. 459 BGH JR 89, 239 ff. 460 BGH JR 89, 239 ff. 461 Detzner, Rückkehr zum „klassischen Strafrecht“ und die Einführung einer Beweislastumkehr, S. 20. 462 Lackner/Kühl-Heger, § 264a Rn. 1 m.w. N.; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 18 Rn. 5; Fischer, Die Legitimität des Sportwettbetrugs (§ 265c StGB), S. 120. 463 NK-Hellmann, § 264a Rn. 9; SK-Hoyer, § 264a Rn. 6 ff.; Worms, Anlegerschutz durch Strafrecht, S. 314.

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Schutzreflex.464 Im Übrigen sei fraglich, ob dem weitläufigen Begriff des Kapitalmarktes eine Funktion als Rechtsgut zugesprochen werden könne. Nach der herrschenden Meinung wird durch diese Norm (ausschließlich465 oder zumindest in erster Linie466) das Vertrauen der Allgemeinheit in den Kapitalmarkt geschützt. Zwar sei der Begriff des Kapitalmarktes ausfüllungsbedürftig, er ist aber auch ausfüllungsfähig. Zur Eingrenzung des „Kapitalmarktes“ im Sinne der Rechtsgutsbestimmung der Norm kann auf die Elemente, die in der amtlichen Begründung des Entwurfs genannt wurden, zurückgegriffen werden. In der Entwurfsbegründung wies der Gesetzgeber darauf hin, welche Teilbereiche der Wirtschaftsordnung geschützt werden sollen.467 Dafür spreche ferner, dass die Individualtäuschung aus dem Tatbestand ausgeklammert wurde,468 die Tathandlung muss sich auf eine größere Anzahl von potentiellen Anlegern richten.469 Dies werde von den Vertretern des Vermögensschutzes verkannt. Jedenfalls war es der ausdrückliche Wille des Gesetzgebers, der im Entwurf ausdrücklich geäußert wurde, dass der Schutz des Kapitalmarktes neben dem Individualschutz als Rechtsgut anzusehen ist.470 Der Wille des Gesetzgebers kann in einem solchen Fall nicht außer Acht gelassen werden, da ihm immer noch die Kompetenz zusteht, über die zu schützenden Rechtsgüter zu entscheiden. Schließlich spricht die systematische Stellung nicht zwingend dagegen. Auch im Rahmen des § 264a StGB ist deshalb anzunehmen, dass ein überindividuelles Rechtsgut neben dem Vermögen geschützt wird. (c) § 265b StGB Nach der herrschenden Meinung schützt § 265b StGB das Vermögen des Kreditgebers und die Kreditwirtschaft insgesamt.471 Zum Teil wird der Schutz der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft als vorrangig472 oder sogar als einziges 464 Worms, Anlegerschutz durch Strafrecht, S. 314; Achenbach/Ransiek/RönnauHüls, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, X 1 Rn. 10. 465 OLG Hamm, ZIP 90, 1333; MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264a Rn. 3 (2. Auflage); Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 212. 466 BT-Drucks. 10/318, S. 12, 45; BGH NJW 92, 243; OLG Köln NJW 00, 599; S/SPerron, § 264a Rn. 1; LK-Tiedemann/Vogel, § 264a Rn. 26; Hefendehl, Kollektive Rechtsgüter im Strafrecht, S. 271; Mutter, NStZ 91, 422. 467 Dazu ausführlicher Hagemann, „Grauer Kapitalmarkt“ und Strafrecht, S. 224. 468 BT-Drucks. 10/318, S. 22. 469 S/S-Perron, § 264a Rn. 33. 470 BT-Drucks. 10/318, S. 22; a. A.: nun MK-Ceffinato, § 264a Rn. 7, 10. 471 BT-Drs. 7/5291, S. 16; BGHSt 60, 15; OLG Celle wistra 91, 359 f.; LK-Tiedemann, § 265b Rn. 10; S/S-Perron, § 265b Rn. 3; M/T-Schröder/Bergmann, § 265b Rn. 1; Fischer, StGB, § 265b Rn. 3; Lackner/Kühl-Heger, § 265b Rn. 1; Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 19 Rn. 2; Fischer, Die Legitimität des Sportwettbetrugs (§ 265c StGB), S. 121. 472 OLG Celle wistra 91, 359; OLG Stuttgart NStZ 93, 545.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Rechtsgut473 des § 265b StGB angesehen. Wie auch bei den bereits erörterten Delikten wird hinsichtlich des § 265b StGB von der Gegenansicht ferner vertreten, dass allein das Vermögen des Kreditgebers das geschützte Rechtsgut darstelle und der Schutz des Kreditwesens ein bloßer Reflex sei.474 Begründet wird diese Ansicht damit, dass anderenfalls der Tatbestand einen Mindestkreditbetrag nennen müsste, da nur erschlichene Kredite in erheblicher Höhe die Kreditwirtschaft als solche gefährden können. Außerdem müsste der Tatbestand das Fehlverhalten der Mitarbeiter der Kreditinstitute erfassen, da sich daraus ähnliche Gefahren für die Kreditwirtschaft ergeben können wie aus dem betrügerischen Verhalten der Kreditnehmer.475 Diese Ansicht widerspricht jedoch dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers bei der Erschaffung der Norm.476 Ferner muss das Strafrecht aufgrund seines fragmentarischen Charakters bekanntlich keinen vollumfassenden Schutz gewähren. Der Gesetzgeber dürfe unter der Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes zwischen den einzelnen Gruppen (hier Kreditnehmer und Kreditgeber) unterscheiden und nur das gefährlichere Verhalten unter Strafe stellen.477 (4) Deliktsnatur der §§ 264, 264a und 265b StGB (a) § 264 StGB Die Einordnung in die Deliktsstrukturen des StGB hängt davon ab, welcher Ansicht man sich hinsichtlich der Frage des Rechtsgüterschutzes anschließt. Soweit das Vermögen als das einzige Rechtsgut oder zumindest als eins der geschützten Rechtsgüter angesehen wird, wird § 264 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betrugs angesehen.478 § 264 StGB kann ferner als ein abstraktes Gefährdungsdelikt angesehen werden, wenn im Rahmen des überindividuellen Rechtsgüterschutzes dem Schutz der Planungsentscheidung besondere Relevanz beigemessen wird. Einige Autoren in der Literatur betrachten die Norm als ein abstrakt-konkretes Vermögensgefährdungsdelikt479 (andere Autoren

473 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265b Rn. 1 (2. Auflage). Dagegen spricht jedoch die Aufnahme von individuell vermögensschadensbezogenen Elementen wie „Vorteilhaftigkeit“ für den Kreditnehmer und „Entscheidungserheblichkeit“. 474 NK-Hellmann, § 265b Rn. 9; MK-Kasiske, § 265b Rn. 1; SK-Hoyer, § 265b 7 f.; S/S/W-Saliger, § 265b Rn. 1; auch BGHSt 36, 131, wobei hier nur die Tendenz erkennbar ist, die Frage letztendlich jedoch offengelassen wird; den Schutz der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft und sonstiger Wirtschaftsinstitutionen ablehnend auch Krüger, Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff, S. 136, 141. 475 BGHSt 36, 131. 476 BT-Drs. 7/5291, S. 14. 477 S/S-Perron, § 265b Rn. 3; MK-Kasiske, § 265b Rn. 2. 478 BT-Drucks. 7/3441, S. 25; 7/5291, S. 5; BGHSt 34, 365; OLG München NStZ 06, 631; S/S-Perron, § 264 Rn. 5; MK-Ceffinato, § 264 Rn. 13; Jung, JuS 76, 758. 479 SK-Hoyer, § 264 Rn. 19; Ranft, JuS 86, 449.

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wählen die Bezeichnung „Eignungsdelikt“480). Begründet wird dies damit, dass mit dem Erfordernis der vorteilhaften Angaben klargestellt werde, dass es nicht um die Wahrheit im Bewilligungsverfahren als solche geht. Die Vorteilhaftigkeit erweise sich als eine besondere Charakterisierung der erforderlichen Gefahr.481 Stellt man allein auf den Schutz eines weiteren überindividuellen Rechtsguts unter vollständigem Ausschluss des Vermögensschutzes ab, könnte man denken, dass es sich um ein Erfolgsdelikt handelt. Die Vertreter dieser Ansicht weisen jedoch darauf hin, dass die relevante Beeinträchtigung eines solchen Rechtsguts allein durch die Kumulation einer Vielzahl von Einzeltaten möglich sei.482 Eine Ausnahme dazu könnte ein „Megaverstoß“ darstellen, der jedoch praktisch undenkbar sei. Daher handele es sich nicht um ein Erfolgsdelikt, sondern um ein Kumulationsdelikt, da die von der Norm erfassten Verhaltensweisen für sich gesehen das überindividuelle Rechtsgut gar nicht beeinträchtigen können; ihre Strafwürdigkeit ergebe sich jedoch aus der Erwägung, dass das Rechtsgut geschädigt werden könne, wenn viele oder alle Mitglieder einer Gesellschaft sich dementsprechend verhalten würden.483 Kumulationsdelikte bewirken insoweit eine noch weitere Vorverlagerung der Strafbarkeit.484 (b) § 264a StGB Überwiegend wird § 264a StGB als ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt im Vorfeld des Betrugs angesehen.485 Im Hinblick auf den Vermögensschutz ist dies nicht anzuzweifeln. Wird allein oder primär auf den Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes abgestellt, so wird vorgeschlagen, das Delikt als ein Kumulationsdelikt anzusehen, da erst bei mehr als vereinzeltem oder gar massenhaftem Auftreten von Kapitalanlagebetrügereien der Zusammenbruch des Markts herbeigeführt werden kann.486 Zum Teil wird im Hinblick auf das Universalgut ein Verletzungsdelikt angenommen, da jeder schwindelhafte Kapitalanlageprospekt die Informationseffizienz des betreffenden Kapitalmarkts als eine seiner wesentlichen Funktionsbedingungen beeinträchtigt und somit sein Funktionieren stört.487 480 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 297; M/T-Gaede, § 264 Rn. 5. 481 SK-Hoyer, § 264 Rn. 19. 482 So auch Benthin, Subventionspolitik und Subventionskriminalität, S. 261. 483 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264 Rn. 12 f. (2. Auflage); Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 177; Benthin, Subventionspolitik und Subventionskriminalität, S. 261 f. 484 Kuhlen, GA 86, 398. 485 BGHZ 116, 13; S/S-Perron, § 264a Rn. 1; MK-Ceffinato, § 264a Rn. 11 m.w. N.; NK-Hellmann § 264a Rn. 11 m.w. N. 486 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264a Rn. 10 (2. Auflage). 487 LK-Tiedemann/Vogel, § 264a Rn. 28 m.w. N.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

(c) § 265b StGB Der herrschenden Meinung zum Rechtsgut der Norm folgend, ist § 265b StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt im Vorfeld des Betrugs.488 Nicht anders als bei den bereits erläuterten Wirtschaftsstraftaten wird auch hier im Hinblick auf das überindividuelle Rechtsgut von einem Kumulationsdelikt gesprochen, da die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft als Institution nicht durch einzelne Kreditbetrügereien, sondern allenfalls durch deren massenhaftes Auftreten in relevanter Weise beeinträchtigt werden kann.489 bb) Versicherungsmissbrauch, § 265 StGB (1) Entstehungsgeschichte Der Straftatbestand war bereits im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 enthalten. Durch die Neufassung der Norm im Rahmen des Sechsten Gesetzes zur Reform des Strafrechts im Jahr 1998 wurde die ursprüngliche Überschrift „Versicherungsbetrug“ durch die neue Überschrift „Versicherungsmissbrauch“ ersetzt. Zudem wurde der Anwendungsbereich im Hinblick auf die Tatobjekte und die Tathandlungen deutlich erweitert, der Strafrahmen hingegen deutlich abgesenkt. Die Tathandlungen der alten Fassung wurden stattdessen in leicht abgeänderter Form zum Regelbeispiel nach § 263 Abs. 3 S. 2 Nr. 5 StGB.490 (2) Rechtsgut des § 265 StGB Aufgrund der in die Norm ausdrücklich aufgenommenen Subsidiaritätsregelung gegenüber dem Betrug ist zunächst nicht verwunderlich, dass zum Teil vertreten wird, dass die Norm in ihrer jetzigen Fassung allein das Vermögen schützen soll.491 Der Schutz eines weiteren Rechtsguts könnte lediglich einen Reflex darstellen. Wäre neben dem Vermögen noch ein weiteres Rechtsgut zu schützen, so wäre die formelle Subsidiarität der Vorschrift nicht mehr sinnvoll.492 Aus Klarstellungsgründen müsste Ideal- oder Realkonkurrenz zu § 263 StGB angenommen werden.493 Auch der herabgesenkte Strafrahmen spreche gegen den Schutz eines weiteren Rechtsguts. Dies könne nur die beabsichtigte Entlastung der Norm von weiteren Funktionen bedeuten.494 488 MK-Kasiske, § 265b Rn. 3; S/S-Perron, § 265b Rn. 4; Fischer, StGB, § 265b Rn. 2; NK-Hellmann, § 265b Rn. 10; Hellmann, Wirtschaftsstrafrecht, Rn. 196; a. A.: SK-Hoyer, § 265b Rn. 10: abstrakt-konkretes Gefährdungsdelikt. 489 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265b Rn. 3 (2. Auflage). 490 S/S-Perron, § 265 Rn. 1. 491 SK-Hoyer, § 265 Rn. 7; S/S/W-Saliger, § 265 Rn. 1; NK-Hellmann, § 265 Rn. 15; MK-Kasiske, § 265 Rn. 4; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil 1, S. 348. 492 Rengier, Strafrecht Besonderer Teil 1, S. 348. 493 SK-Hoyer, § 265 Rn. 6; das gibt auch S/S-Perron in § 265 Rn. 2 zu.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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Nach der herrschenden Meinung wird jedoch auch hier neben dem Vermögensschutz der Schutz der Leistungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft bezweckt,495 auch wenn diese Deutung aufgrund der oben aufgeführten Argumente nicht ganz ohne Widerspruch erfolgen kann.496 Die systematische Stellung der Norm neben §§ 264, 264a, 265b StGB spricht dafür, dass auch hier die Vorverlagerung der Strafbarkeit nur aufgrund eines weiteren Schutzzwecks legitimiert werden kann.497 Die Gesetzgebungsmaterialien nennen dieses weitere Rechtsgut zwar nicht ganz eindeutig. Der Wille des Gesetzgebers, den § 265 StGB vom Betrug zu lösen und als einen dem Betrug gegenüber selbstständigen Tatbestand zu entfalten, wurde im Gesetzgebungsverfahren jedoch deutlich dargelegt und fand seinen Ausdruck auch in der Änderung der Überschrift von „Versicherungsbetrug“ zu „Versicherungsmissbrauch“.498 Die Subsidiaritätsklausel sollte eine Klarstellung für die Fälle darstellen, in denen die Tat als Vorbereitung zum Betrug anzusehen ist.499 Außerdem sei es dem Gesetzgeber nicht verwehrt, einen Straftatbestand mit dem Schutz individueller und sozialer Interessen zurücktreten zu lassen, wenn es nach einem anderen Straftatbestand mit denselben individuellen Interessen zu einer massiveren Verletzung derselben kommt.500 (3) Deliktsnatur des § 265 StGB Da § 265 StGB keinen Eintritt des Vermögensschadens fordert, wird auch hier davon ausgegangen, dass es sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt handelt. Die Manipulation der versicherten Sache macht das Delikt nicht zu einem Verletzungsdelikt, da damit kein Eigentumsschutz bezweckt wird.501 Da dadurch noch keine Beeinflussung des Vorstellungsbildes des Versicherers vorgenommen wird, muss hinsichtlich des Vermögens eine unter Strafe gestellte Vorbereitungshandlung angenommen werden. Im Hinblick auf das überindividuelle Rechtsgut muss schließlich auch hier gesehen werden, dass erst eine Kumulation von Einzelfällen zu einer Gefährdung der Leistungsfähigkeit der gesamten Versicherungswirtschaft führen kann.502 494 SK-Hoyer, § 265 Rn. 6; Geppert, Jura 98, 383; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil 1, S. 348. 495 BGHSt 11, 398; BGHSt 35 262; S/S-Perron, § 265 Rn. 2; LK-Tiedemann, § 265 Rn. 4; MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265 Rn. 3 (2. Auflage); Geerds, Wirtschaftsstrafrecht und Vermögensschutz, S. 263 (allerdings noch zu § 265 StGB a. F.). 496 S/S-Perron, § 265 Rn. 2. 497 S/S-Perron, § 265 Rn. 2. 498 NK-Hellmann, § 265 Rn. 14. 499 Vgl. BT-Drs. 13/9064, S. 19 f. 500 LK-Tiedemann, § 265 Rn. 4; MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265 Rn. 3 (2. Auflage). 501 LK-Tiedemann, § 265 Rn. 7; NK-Hellmann, § 265 Rn. 16; MK-Kasiske, § 265 Rn. 5; M/T-Gaede, § 265 Rn. 1. 502 So auch MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265 Rn. 5 (2. Auflage).

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

cc) Wucher, § 291 StGB (1) Sinn und Zweck der Norm Die Norm bezweckt den Schutz vor krasser wirtschaftlicher Übervorteilung in Fällen einer aufgrund struktureller Unterlegenheit des anderen Teils gestörten Vertragsparität.503 (2) Rechtsgut des § 291 StGB Überwiegend wird angenommen, dass § 291 StGB allein dem Vermögensschutz dient.504 Dies wird damit begründet, dass die Vorschrift im Unterschied zum Sozialwucher nicht an eine allgemeine Not- oder Mangellage anknüpft, sondern die Ausbeutung einer individuellen Schwächesituation verhindern will.505 Der Vergleich mit der „klassischen“ Vermögensschutznorm zeigt jedoch, dass es im Rahmen des § 291 StGB nicht auf das Vermögen des Opfers ankommt und das Opfer weder generell vor Schaden bewahrt wird noch notwendig geschädigt werden muss.506 Andere vertreten hingegen, dass auch im Rahmen des § 291 StGB ein überindividuelles Rechtsgut geschützt wird, etwas das Vertrauen in das ordnungsgemäße Funktionieren der Wirtschaft507 oder die Vertragsfreiheit508 oder die Freiheit der Willensentschließung oder -betätigung.509 Dagegen wird eingewandt, dass der Täter die Zwangs- oder Schwächelage des Opfers gerade nicht herbeiführt, sondern lediglich ausnutzt. Bei der Ausbeutung der Zwangslage werde die Freiheit des Opfers nicht beschränkt, sondern sogar erweitert, da der Wucherer ihm eine Alternative biete, sodass das Opfer nun zwischen dem Angebot des Wucherers und dem Status quo (Zwangslage) wählen könne.510 Ein Kontrahierungszwang entstehe dabei für das Opfer nicht.511 Andererseits setze die Vorschrift auch der rechtsgeschäftlichen Betätigung des Bewucherten Grenzen, indem ihm der Ausweg aus einer Lage verwehrt wird, in der er das wucherische Geschäft als ein geringeres Übel ansieht.512 Das wäre mit dem reinen Vermögensschutz des Bewucherten nicht in Einklang zu bringen. Zumindest könnte 503

MK-Pananis, § 291 Rn. 1. S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 2; SK-Hoyer, § 291 Rn. 3; LK-Wolff, § 291 Rn. 3; S/S/W-Saliger, § 291 Rn. 2. 505 Vgl. S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 2. 506 MK-Pananis, § 291 Rn. 2; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 2 m.w. N. 507 BGHSt 11, 183; MK-Pananis, § 291 Rn. 2. 508 Kindhäuser/Hilgendorf, Strafgesetzbuch, § 291 Rn. 1; NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 2. 509 Scheffler, GA 92, 1 ff. 510 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 7. 511 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 7. 512 MK-Pananis, § 291 Rn. 2. 504

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man die individuelle Vertragsfreiheit des Bewucherten als einen paternalistisch mitgeschützten Solidaritätsreflex ansehen, da § 291 StGB verhindern soll, dass einerseits die Schwächelage jedes Einzelnen missbraucht wird, aber andererseits auch die Freiheit, seine Ziele auch mittels Kontrahierens zu wucherischen Konditionen zu erreichen, einschränkt.513 Daneben ist jedoch kein weiteres klar konturiertes Allgemeininteresse am Wucherverbot zu erkennen, sodass es nicht um den Schutz der gesamten Wirtschaft gehen kann.514 (3) Deliktsnatur des § 291 StGB Ausgehend von dem Vermögensschutz durch § 291 StGB handelt es sich hierbei nach der herrschenden Meinung um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt. Eine Schädigung des Opfers wird nicht vorausgesetzt. Die Tat ist vollendet, wenn der Täter sich die wucherischen Vermögensvorteile versprechen lässt.515 Ein Vermögensnachteil für das Opfer entsteht dadurch nicht notwendigerweise.516 Auch wird dadurch nicht zwingend eine Vermögensverfügung vorgenommen, durch die eine schadensgleiche Vermögensgefahr entstehen muss.517 Eine andere Ansicht518 sieht bereits in dem Versprechen eines auffällig unverhältnismäßigen Vermögensvorteils eine dem Schaden gleichgestellte Vermögensgefährdung und stuft § 291 StGB als ein Verletzungsdelikt ein. d) Vergleich des § 284 StGB mit weiteren verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikten am Beispiel des § 327 StGB Um der verwaltungsakzessorischen Ausgestaltung des § 284 StGB Rechnung zu tragen, wurde bei den allgemeinen Ausführungen zu den verwaltungsakzessorischen abstrakten Gefährdungsdelikten die Vergleichbarkeit des § 284 StGB mit § 327 StGB angesprochen. Für die abschließende Beurteilung der Auswirkung der Verwaltungsakzessorietät bedarf es zunächst eines genaueren Blicks auf § 327 StGB. aa) Zweck der Verlagerung der §§ 324 ff. in das StGB Die in §§ 324 ff. StGB enthaltenen Delikte waren bis zu ihrer Verlagerung in das StGB in zahlreichen Nebengesetzen enthalten. Die zunächst in den Nebenge513 S/S/W-Saliger, § 291 Rn. 2; NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 2 f.: Kindhäuser spricht jedoch von einem durch die Sicherung der Vertragsfreiheit vermittelten Vermögensschutz. 514 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 6. 515 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 9. 516 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 9; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 2. 517 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 9; S/S/W-Saliger, § 291 Rn. 2; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 2; LK-Wolff, § 291 Rn. 3; MK-Pananis, § 291 Rn. 3. 518 SK-Hoyer, § 291 Rn. 3.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

setzen verstreuten Tatbestände wurden im Jahr 1980 in das StGB überführt und in einem eigenen Abschnitt gebündelt. Der Gesetzgeber bezweckte damit die Harmonisierung der bestehenden strafrechtlichen Bestimmungen, die Schließung der bestehenden Ahndungslücken und die Schaffung von umfassenden Sanktionsmöglichkeiten, um schwerwiegenden Schädigungen und Gefährdungen der Umwelt wirksamer entgegentreten zu können. Die Überführung in das StGB zielte ferner darauf ab, den „sozialschädlichen Charakter solcher Taten verstärkt in das öffentliche Bewusstsein der Allgemeinheit zu bringen“ und die präventive Wirkung des Umweltstrafrechts zu erhöhen.519 Im Zuge der Überführung der Tatbestände in das StGB wurden Strafrahmen erhöht, Versuchsstrafbarkeiten erweitert sowie konkrete Gefährdungsdelikte in abstrakte Gefährdungsdelikte umgewandelt.520 Letzteres wurde mit der in der praktischen Anwendung erwiesenen Ineffektivität der Normen begründet. Bedenken gegen dieses Vorgehen wurden von der Mehrheit des Rechtsausschusses nicht geteilt. Unter Hinweis auf die Bedeutung des Rechtsguts und der Schwierigkeit des Nachweises des Eintritts eines Schadens oder einer Gefahr wurde eine weite Ausgestaltung der Tatbestände als einzig gerechtes Vorgehen begrüßt.521 bb) Rechtsgut des § 327 StGB In der Begründung des Entwurfs wurde hervorgehoben, dass der Lebensraum und die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen strafrechtlichen Schutz verdienen, so wie er durch das StGB gewährleistet ist. Der anerkannte Schutz menschlichen Lebens und menschlicher Gesundheit durch das Strafrecht müsse auch den Schutz elementarer Lebensgrundlagen wie Wasser, Luft und Boden als Bestandteile menschlichen Lebensraumes einbeziehen und deshalb die ökologischen Schutzgüter als Rechtsgüter anerkennen. Diese Schutzgüter hätten deshalb einen sehr hohen Stellenwert, weil sie für das menschliche Leben unabdingbar seien. Insofern seien sie eines gleichwertigen Schutzes wie Leib und Leben als klassische Individualrechtsgüter würdig.522 Dementsprechend wird zum Teil vertreten, dass das Rechtsgut des Umweltstrafrechts die Umwelt und ihre Bestandteile ist; der Schutz dieses Rechtsguts ist somit nicht davon abhängig, ob er den Lebensbedingungen des Menschen dienlich ist oder nicht (rein ökologische Sichtweise).523 Damit würde jedoch ein Bruch im bestehenden System des StGB einhergehen, das bis jetzt nicht Tiere, Pflanzen o.Ä. als Träger von Rechten an-

519

BT-Drs. 8/2382, S. 9 ff.; 8/3633, S. 19 ff. Dazu ausführlicher Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 114 f. 521 BT-Drs. 8/2382, S. 16 f.; 8/3633, S. 21 f. 522 BT-Drs. 8/2382, S. 9 f.; BT-Drs. 8/3633, S. 19. 523 Sehr ausführlich dazu und m.w. N. Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 74 ff. 520

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erkennt und schützt, sondern nur Menschen und die in gleicher Weise am Rechtsverkehr teilnehmenden juristischen Personen. Die Anerkennung der Umweltmedien als Rechtssubjekte wäre zwar denkbar, jedoch könnten diese nicht gleichzeitig als Adressaten der korrespondierenden Rechtspflichten in Anspruch genommen werden.524 Die Gegner der oben beschriebenen ökologischen Denkweise vertreten dagegen, dass allein die klassischen Individualrechtsgüter der Menschen wie Leben und Gesundheit Schutzgüter des Umweltstrafrechts sein können (sog. anthropozentrische Auffassung).525 Die Umweltmedien sind nur dann und nur in dem Maße als schutzwürdige Handlungsobjekte anzusehen, als diese dem Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit dienen.526 Insbesondere am Beispiel des Umweltstrafrechts wird jedenfalls deutlich, dass der Schutz des Verwaltungsgehorsams kein selbstständiger Schutzzweck sein kann und damit auch hier nicht als ein geschütztes Rechtsgut in Betracht kommt. Denn die Bewirtschaftung der Umweltressourcen durch die Verwaltung kann offensichtlich keinen Selbstzweck darstellen; diese dient vielmehr der Erhaltung dieser Ressourcen, sodass es letztendlich auf den Schutz von Umweltressourcen ankommt.527 Die im Strafrecht herrschende Meinung erkennt in Anlehnung an die Gesetzesmaterialien die Bestandteile der natürlichen Umwelt einerseits als eigenständige Rechtsgüter an. Andererseits sollen diese als Bestandteile menschlichen Lebensraumes und als Garant für den Fortbestand der elementaren Lebensgrundlagen des Menschen als Gattung dienen. Strafrechtswürdig sind somit die Umweltmedien, deren Weiterexistenz den Lebens- und Überlebensinteressen des Menschen entspricht (ökologisch-anthropologische Sicht).528 cc) Deliktsnatur des § 327 StGB Bei § 327 Abs. 1 und Abs. 2 S. 1 StGB handelt es sich um abstrakte Gefährdungsdelikte.529 Bei § 327 Abs. 2 S. 2 StGB ist hingegen ein potentielles Ge524

Hohmann, Das Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 91 f. und S. 180 Fn. 3. Alternativ-Entwurf eines Strafgesetzbuchs, Besonderer Teil, Straftaten gegen die Person, 2. Halbband, Vorbemerkungen zu §§ 151 ff., S. 49; Backes, JZ 73, 349 f.; Baumann, ZfW 73, 69 ff. 526 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 131. 527 Bloy, JuS 97, 578; Kuhlen, ZStW 105 (1993), 705; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 138. 528 S/S-Heine/Schittenhelm, Vorbemerkungen zu den §§ 324 Rn. 8 m.w. N.; LKMöhrenschlager, Vor § 324 Rn. 24; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 132; Bloy, JuS 97, 578 ff. 529 MK-Alt, § 327 Rn. 2; S/S-Heine/Schittenhelm, § 327 Rn. 1. 525

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

fährdungsdelikt anzunehmen.530 Nach der Einteilung von Wohlers kommt hierbei entweder ein konkretes Gefährlichkeitsdelikt in Betracht oder ein Kumulationsdelikt, je nachdem, ob man auf die Gewährleistung der körperlichen Integrität eines Individuums oder auf das kollektive Interesse an der Erhaltung der Umweltmedien abstellt. e) Zusammenfassung und Auswertung zum Erfolgsunwert aa) Ergebnisse aus dem Vergleich mit den Wirtschaftsstraftaten, dem Versicherungsmissbrauch und dem Wucher Alle oben aufgeführten Delikte weisen die Gemeinsamkeit auf, dass nach der herrschenden Meinung neben dem Vermögensschutz auch der Schutz eines weiteren (überindividuellen) Rechtsguts befürwortet wird. Der bloße Vermögensschutz, so wie er durch § 263 StGB gewährleistet wird, wird nicht als für die Begründung der Strafbarkeitsvorverlagerung ausreichend erachtet. Das vom Gesetzgeber erschaffene System darf zwar weiterentwickelt und fortgeführt werden, muss aber im Hinblick auf die Wertungen kohärent bleiben. Abweichungen von den das System prägenden Leitgesichtspunkten bedürfen einer besonderen, diese Abweichung legitimierenden Begründung. Die Begründung, warum ganz bestimmte Vermögensmassen eines besonderen Schutzes bedürfen, erfolgte nicht. Besonders auffällig ist dies, wenn man bedenkt, dass auch innerhalb dieser Strafnormen kein umfassender Schutz der Vermögensträger erfolgt, sondern nur zum Beispiel bestimmte Kreditgeber oder Kapitalanleger geschützt werden. Die Legitimierung der Existenz dieser Normen wird deshalb nur über den Schutz der Handlungsfähigkeit bestimmter Institutionen oder der Integrität bestimmter Funktionszusammenhänge erfolgen können. Diese dienen der Entfaltung der personalen Freiheit, da erst die Erschaffung eines Ordnungsrahmens im Rahmen der Wirtschaftsordnung es dem einzelnen ermöglicht, sich wirtschaftlich zu betätigen.531 Die Beeinträchtigung oder Störung dieser Ordnung stellt einen schweren Eingriff dar. Ein reiner Vermögensschutz im Wege einer solchen Vorverlegung der Strafbarkeit wird deshalb als systemwidrig angesehen,532 da hier nur eine Täuschungshandlung bzw. ein Äquivalent dazu ausreichend ist, während im Rahmen des § 263 StGB eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung, die im Vermögensschaden resultiert, hinzukommt. Noch deutlicher ist dies im Rahmen des § 265 StGB, denn hier wird auch auf die Täuschung selbst verzichtet. Vorausgesetzt wird lediglich, dass der Täter mit der Absicht handelt, später einen Betrug 530 MK-Alt, § 327 Rn. 2; S/S-Heine/Schittenhelm, § 327 Rn. 1; SK-Schall, § 327 Rn. 5. 531 Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 161, 165 f.; MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264 Rn. 8 (2. Auflage). 532 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265b Rn. 2 (2. Auflage); S/S-Perron, § 265b Rn. 3; a. A.: jetzt MK-Kasiske, § 265b Rn. 1.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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zu begehen. Dies würde die Systematik des reinen Vermögensschutzes regelrecht sprengen.533 Wie bereits im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt wurde, kann im Rahmen des § 284 StGB ein überindividuelles Rechtsgut in Form einer konkreten Institution oder konkreter Funktionszusammenhänge schon gar nicht bestimmt werden. Der Schutz des Verwaltungsgehorsams ist, wie im ersten Teil dieser Arbeit gezeigt, kein damit vergleichbares Rechtsgut, sondern dient nur der Gewährleistung des Vermögensschutzes. Damit fügt sich die Norm weder in das bestehende System der Wirtschaftsdelikte im Vorfeld des Betrugs ein noch kann sie mit dem im gleichen Abschnitt geregelten Wucher direkt verglichen werden. Etwas anderes könnte sich nur dann ergeben, wenn man sich der herrschenden Meinung zum Rechtsgut des § 291 StGB anschließt und das Vermögen als einziges Rechtsgut der Norm ansieht. Dann wird dem nachfolgend untersuchten Handlungsunrecht eine umso größere Bedeutung beizumessen sein. bb) Folgen der Verwaltungsakzessorietät für die Legitimität des § 284 StGB Wie bereits bei der Diskussion um das Rechtsgut des § 327 StGB deutlich geworden ist, wird bei den verwaltungsakzessorischen Delikten diese besondere Ausgestaltung immer zu bedenken sein. Denn das Unrecht der Tat wird ebenfalls aus dem Verstoß gegen das Genehmigungserfordernis geschöpft. Auch im Rahmen des § 327 StGB wird abseits der verwaltungsrechtlichen Ansichtsweise die behördliche Kontrolle als ein zumindest mitgeschütztes Gut betrachtet. Im Bereich des geschützten Guts ist jedoch auch der Unterschied zu § 284 StGB festzustellen. Wie auch bei den bereits erörterten Delikten aus dem Wirtschaftsstrafrecht gewährleistet die Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt nicht nur den Schutz von Individualinteressen. Es geht vielmehr um den Schutz eines kollektiven Interesses, welches der Erhaltung von hochrangigen Rechtsgütern wie Leib und Leben von Individuen dient. Nichtsdestotrotz wurde § 327 StGB vielfach kritisiert. Der Diskussion um die Legitimität des § 327 StGB lassen sich Kriterien entnehmen, wann ein solches verwaltungsakzessorische Delikt berechtigterweise seine Stelle im StGB einnehmen dürfte. Übertragen auf § 284 StGB müsste man feststellen, dass § 284 StGB das Verlangen Döllings nach einem Rechtsgut von einem besonders hohen Rang sowie die Abhängigkeit der Erhaltung dieses Rechtsguts von der Einhaltung des Verwaltungsverfahrens nicht befriedigen kann. Zum einen wurde gezeigt, dass das Vermögen strafrechtlich nur punktuell geschützt wird und ein umfassender Schutz vor jeglichen Gefahren nicht angestrebt wird. Zum anderen wurde gezeigt, dass es vielfach um Konstellationen gehen kann, die ohne die Einhaltung 533

MK-Wohlers/Mühlbauer, § 265 Rn. 3 (2. Auflage).

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

des Verwaltungsverfahrens dennoch keine Betrugsgefahr in sich bergen. Auf der anderen Seite wurde aufgezeigt, dass im Bereich der Organisierten Kriminalität, in dem nach den theoretischen und praktischen Erkenntnissen die Gefahr des Betrugs der Spieler naheliegend ist, vielfach das Verwaltungsverfahren unter Vorschiebung von Strohmännern und -frauen durchgeführt wird, wodurch jedoch die Gefährdung des geschützten Guts nicht gemindert wird. Dadurch, dass § 284 StGB weder eine Gefahr für überragend wichtige Rechtsgüter wie Leib und Leben noch die Gefahr des Verlustes von bedeutenden Sachwerten voraussetzt, sondern dem Vermögensverlust entgegenwirken soll, wobei für den tatbestandlich vorausgesetzten Einsatz (der im Falle der Manipulation jedenfalls verloren wäre) „nur“ ein nicht ganz unbedeutender Vermögenswert verlangt wird, wären die Voraussetzungen für eine „Aufwertung“ nach Wolter und Kaufmann ebenfalls nicht erfüllt. Schließlich wird im Rahmen des § 327 StGB nach den unterschiedlichen Gefahrgraden in Abs. 1 und Abs. 2 unterschieden. Die Legitimität der Sanktionierung in Abs. 1 begründet Winkelbauer mit der abstrakten Gefährlichkeit einer Atomanlage, die sogar bei Einhaltung der materiellen Genehmigungsvoraussetzungen ihre abstrakte Gefährlichkeit nicht verliert. Triffterer hält noch die Gefährlichkeit der kerntechnischen Anlagen nach § 327 Abs. 1 StGB für einleuchtend, bezüglich der sonstigen Anlagen in Abs. 2 äußert er jedoch bereits Bedenken.534 Eine solche Wertung fehlt im Rahmen von § 284 Abs. 1 und Abs. 2 StGB. Eine Unterscheidung kann dem § 284 StGB lediglich im Hinblick auf die Organisationsstruktur der Glücksspielveranstaltung entnommen werden. Bei einer bandenmäßigen Organisation oder einer Organisation, die die Glücksspielveranstaltung zu einer dauerhaften Einnahmequelle machen kann, wird der Strafrahmen angehoben. Die bereits monierte fehlende Differenzierung zwischen unterschiedlichen Gefährdungsgraden einzelner Glücksspiele und der Umstände ihrer ungenehmigten Veranstaltung spricht gegen die pauschale Annahme der besonderen Häufigkeit oder des besonderen Grades der Gefährdung im Sinne Heghmanns. Eine andere, nur am Rande aufgeführte Norm, die in ihrer Berechtigung umstritten ist, ist § 21 StVO. Lagodny als Befürworter der Ausgestaltung der Norm als Kriminalstraftat begründet dieses Ergebnis mit der Inanspruchnahme einer Gefahrenquelle, die für Leib und Leben (als besonders wichtige Rechtsgüter) von Verkehrsteilnehmern und Nichtverkehrsteilnehmern sehr erheblich ist.535 Dem Gemeinwohlinteresse der Verhaltensvorschrift ist deshalb ein solches Gewicht beizumessen, dass der strafrechtliche Vorwurf legitimiert werden kann.536 Diese Sichtweise deckt sich zunächst mit dem hier vertretenen Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die Verwaltungsvorschrift nicht ohne weiteres strafrechtlich geahndet 534 535 536

Triffterer, Umweltstrafrecht, S. 218. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 444. Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 444.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

215

werden kann. Zum anderen beruft sich Lagodny auf den Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter und sieht in dem Führen eines Kraftfahrzeugs eine hinreichend gefährliche Handlung.537 Dies erscheint selbstverständlich nicht abwegig, wenn man bedenkt, dass der Straßenverkehr immer mit Gefahren verbunden ist und jede durch den Fahrer überschätzte Eignung zum Führen des Kraftfahrzeugs diese Gefahren steigern kann. Es ist bereits zweifelhaft, ob diese Argumentation auf § 284 StGB übertragbar ist. Zudem ist jedoch auch zu bedenken, dass es sich bei den unter Genehmigungsvorbehalt gestellten Verhaltensweisen um grundrechtlich geschützte Verhaltensweisen und somit um die gewährleistete Freiheitssphäre handeln kann. Die Ahndung von Verstößen gegen Verwaltungsvorschriften mittels Kriminalstrafe muss in diesen Fällen besonders gerechtfertigt werden. Befürwortet wird dies im umgekehrten Fall, wenn die Verwaltung eine Handlungsweise, die eben der grundrechtlich geschützten Freiheitssphäre entzogen ist, gestattet (das sind dann Fälle des repressiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt). Um eine solche Handlung geht es im Rahmen des § 284 StGB nicht. Die Frage, ob das Vorliegen der Genehmigung den Tatbestand ausschließt oder erst als Rechtfertigung dient, wurde bereits im ersten Teil der Arbeit diskutiert. Im Übrigen wurde auch im ersten Teil der Arbeit erörtert, dass die Glücksspiele nicht mehr per se verpönt sind und der Beruf des Glücksspielveranstalters den Schutz des Art. 12 GG genießt. Auch wird der „natürliche Spieltrieb der Bevölkerung“ anerkannt. Selbst der Staat geht nicht davon aus, dass es diesen zu unterdrücken gilt, sondern sieht allein die Notwendigkeit der Lenkung und des Schutzes der Bürger vor möglichen damit einhergehenden Gefahren (in diesem Sinne kann auch die Suchtgefahr berücksichtigt werden). Daraus folgt, dass sowohl das Veranstalten von Glücksspielen als auch die Teilnahme daran in die grundrechtlich geschützte Freiheitssphäre fallen. Zur Verhinderung der strafrechtlichen Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams muss sich in diesem Fall die materielle Unwertigkeit aus der Veranstaltung der Glücksspiele an sich ergeben, das heißt diese Verhaltensweise müsste erst nach der vorhergehenden behördlichen Kontrolle überhaupt als eine tolerabel erscheinende Gefahrenquelle anerkannt werden.538 Die Erreichung anderer Zwecke durch die behördliche Kontrolle wäre nicht ausreichend. Da die Schaffung des § 284 StGB vorrangig dem Zweck dient, Nachweisschwierigkeiten zu vermeiden und die Lenkung der Nachfrage durch die Behörden zu erleichtern, ist eine solche materielle Unwertigkeit zu verneinen. Es bedarf nicht in jeder nach der jetzigen Fassung der Norm denkbaren Konstellation einer behördlichen Feststellung zum Beispiel der Zuverlässigkeit des Veranstalters, wie es jedoch im Falle der Eignung zum sicheren Führen des Kraftfahrzeugs und der Ermöglichung der Teilnahme am Straßenverkehr mit unzähligen 537

Siehe Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, S. 444. v. Hirsch/Wohlers, Rechtsgutstheorie und Deliktsstruktur – zu den Kriterien fairer Zurechnung, S. 214; Wohlers, Deliktstypen des Präventionsstrafrechts – zur Dogmatik „moderner“ Gefährdungsdelikte, S. 316 f. 538

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

anderen Straßenverkehrsteilnehmern der Fall ist. Es fehlt auch an der Gefahr der fehlerhaften Selbsteinschätzung seitens des Täters,539 denn es hängt von seiner Entscheidung ab, ob er das Spiel manipuliert und auf betrügerische Art und Weise das Vermögen des Spielteilnehmers mindert. Eine andere Beurteilung wäre lediglich im Hinblick auf § 284 Abs. 3 StGB tolerabel. Insbesondere wenn es um eine gewerbsmäßige Veranstaltung von Glücksspielen geht, wäre es durchaus sinnvoll, die Zuverlässigkeit des Veranstalters, die Einhaltung von Schutzvorschriften etc. überprüfen zu lassen. 3. Handlungsunwert Angesichts des nur eingeschränkten Vermögensschutzes im Strafrecht und im zivilrechtlichen Deliktsrecht kommt der Tathandlung besondere Bedeutung zu. Allgemein gilt, dass den Tathandlungen eines Delikts der Vorwurf der sozialethischen Missbilligung, der gesteigerten Verwerflichkeit und der Geeignetheit, die soziale Ordnung zu erschüttern, gemacht werden kann. Zu untersuchen ist zunächst, welche Tathandlungen in den übrigen dem Vermögensschutz dienenden Vorschriften als für die Pönalisierung ausreichend erachtet wurden. a) Tathandlung der Wirtschaftsstrafnormen aa) Tathandlung des § 264 StGB Nach § 264 Abs. 1 StGB werden die Abgabe unrichtiger oder unvollständiger Erklärungen gegenüber dem Subventionsgeber (Nr. 1), die zweckwidrige Verwendung von Subventionsleistungen oder -gegenständen (Nr. 2), das Unterlassen von Mitteilungen (Nr. 3) und der Gebrauch bestimmter Bescheinigungen (Nr. 4) bestraft. Die Handlungen oder Unterlassungen müssen dabei subventionserheblich sein.540 Geht es um die Abgabe von Erklärungen, so ist zumindest eine konkludente Gedankenerklärung erforderlich. Der Adressat dieser Erklärung ist der Subventionsgeber.541 Ferner muss es sich um für den Subventionsempfänger vorteilhafte Angaben handeln, das heißt diese Angaben müssen eine nicht nur unwesentliche Verbesserung der Chancen auf Erlangung der Subvention ergeben.542 Als ungeschriebene Voraussetzung wird im Rahmen der Nr. 1 die Notwendigkeit der Vorspiegelung der Richtigkeit und der Vollständigkeit der Angaben anerkannt.543 539 Vgl. Frisch, Verwaltungsakzessorietät und Tatbestandsverständnis im Umweltstrafrecht, S. 109 Fn. 319. 540 S/S-Perron, § 264 Rn. 27. 541 MK-Ceffinato, § 264 Rn. 54. 542 BGHSt 34, 270. 543 Fischer, StGB, § 264 Rn. 22; MK-Ceffinato, § 264 Rn. 77 m.w. N.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

217

Die Verwendungsbeschränkungen sowie die Verpflichtung des Subventionsnehmers zur Aufklärung des Subventionsgebers ergeben sich aus Rechtsvorschriften, vertraglichen Vereinbarungen und Verwaltungsakten (die letzteren zumindest im Rahmen der Nr. 2).544 Bei Nr. 2 wird unmittelbar die Verletzung der Verwendungsbeschränkung unter Strafe gestellt. bb) Tathandlung des § 264a StGB Die Tathandlung im Sinne des § 264a StGB besteht darin, dass der Täter über den Vermögensstand hinsichtlich der für die Entscheidung über den Erwerb oder die Erhöhung erheblichen Umstände entweder unrichtige vorteilhafte Angaben macht oder dass er nachteilige Tatsachen verschweigt. Unter letztere Alternative fällt auch der Sachverhalt, dass der Täter zwar keine unrichtigen Angaben macht, aber durch das Weglassen relevanter Tatsachenangaben ein im Ergebnis unrichtiges Gesamtbild erzeugt.545 Der Täter muss also Informationen verbreiten, die aufgrund ihres unrichtigen Inhalts geeignet sind, bei potentiellen Anlegern Fehlvorstellungen über die Risiken zu erzeugen. Vorteilhaft sind die sich auf die Werthaltigkeit der Anlage beziehenden Angaben dann, wenn sie die Aussichten für eine positive Anlageentscheidung konkret verbessern.546 Der Täter muss dabei mit seinem Verhalten darauf abzielen, auf einen größeren Kreis von Personen (potentielle Anleger) einzuwirken.547 cc) Tathandlung des § 265b StGB Nach § 265b Abs. 1 StGB wird bestraft, wer im Zusammenhang mit einem Antrag auf Gewährung, Belassung oder Veränderung der Bedingungen eines Kredits über wirtschaftliche Verhältnisse unrichtige oder unvollständige Unterlagen vorlegt oder schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben macht, die für den Kreditnehmer vorteilhaft sind und für die Entscheidung über einen solchen Antrag erheblich sind, oder Verschlechterungen der wirtschaftlichen Verhältnisse bei der Vorlage nicht mitteilt, die für die Entscheidung erheblich sind. b) Tathandlung des § 265 StGB Die Tathandlung des § 265 StGB besteht zunächst in der Beschädigung, Zerstörung, dem Beiseiteschaffen o.Ä. einer Sache. Die Eigentumsverhältnisse sind nicht maßgeblich, das Tatobjekt kann demnach eine fremde und eine eigene Sa544

MK-Ceffinato, § 264 Rn. 90. BT-Drucks. 10/318, S. 24. 546 MK-Wohlers/Mühlbauer, § 264a Rn. 63 m.w. N. (2. Auflage); M/T-Schröder/ Bergmann, § 264a Rn. 27. 547 MK-Ceffinato, § 264a Rn. 69; S/S-Perron, § 264a Rn. 33. 545

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

che des Täters sein. Die betroffene Sache muss versichert sein.548 Von einer betrügerischen Handlung ist zwar noch nicht die Rede, sodass die Strafbarkeit im Rahmen des § 265 StGB noch weiter vorverlagert wird und genau genommen eine Vorbereitungshandlung unter Strafe stellt. Die Verbindung mit dem Betrug wird jedoch durch den subjektiven Tatbestand hergestellt. Der Täter muss bei der Vornahme der oben genannten Handlung subjektiv bezwecken, durch die Meldung des Versicherungsfalls sich oder einem Dritten die Versicherungsleistung zu verschaffen. c) Tathandlung des § 291 StGB Der Täter muss die Zwangslage oder eine sonstige Schwächelage des Opfers ausnutzen. Dabei ist das bloße Streben nach einem Vermögensvorteil nicht ausreichend; erforderlich ist das bewusste missbräuchliche Nutzen der Schwächesituation des Opfers zur Erlangung übermäßiger Vorteile.549 Der Täter muss ferner sich oder einem Dritten Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lassen, die im auffälligen Missverhältnis zu der angebotenen oder erbrachten Leistung stehen. Das Sichversprechenlassen liegt vor, wenn der Täter die mit Rechtsbindungswillen erklärte Zusage des Opfers, eine Leistung zu erbringen, entgegennimmt.550 Die Zusage des Opfers kann bedingt sein. Damit tritt bereits die Vollendung der Tat ein.551 Das Sichgewährenlassen ist dann gegeben, wenn der Täter die mit dem Leistungswillen erbrachte Zuwendung des Opfers entgegennimmt.552 d) Tathandlung des § 327 StGB Nach § 327 StGB macht sich derjenige strafbar, der ohne die erforderliche Genehmigung oder entgegen einer vollziehbaren Untersagung eine kerntechnische Anlage betreibt, eine betriebsbereite oder stillgelegte kerntechnische Anlage innehat, sie ganz oder teilweise abbaut oder eine solche Anlage oder ihren Betrieb bzw. eine Betriebsstätte, in der Kernbrennstoffe verwendet werden, oder deren Lage wesentlich ändert (Abs. 1). Ferner wird der Betrieb einiger weiterer Anlagen, zum Beispiel Anlagen, deren Betrieb zum Schutz vor Gefahren untersagt worden ist, oder Anlagen zum Befördern wassergefährdender Stoffe, oder Anlagen, in denen gefährliche Stoffe oder Gemische gelagert oder verwendet oder gefährliche Tätigkeiten ausgeübt worden sind, die geeignet sind, außerhalb der Anlage Leib oder Leben eines anderen Menschen zu schädigen oder erhebliche Schäden an Tieren oder Pflanzen, Ge548 MK-Kasiske, § 265 Rn. 11 f.; NK-Hellmann, § 265 Rn. 18, 20; S/S-Perron, § 265 Rn. 4, 6. 549 BGHSt 11, 187; Fischer, StGB, § 291 Rn. 14. 550 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 25; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 19. 551 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 25; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 19. 552 NK-Kindhäuser, § 291 Rn. 26; S/S-Heine/Hecker, § 291 Rn. 19.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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wässern, der Luft oder dem Boden herbeizuführen, ohne die erforderliche Genehmigung untersagt (Abs. 2). e) Zusammenfassung und Auswertung zum Handlungsunwert Auch wenn im Rahmen der abstrakten Gefährdungsdelikte auf den Erfolgseintritt in Form einer Schädigung und bei den oben aufgeführten Delikten sogar auf weitere betrugsbegründende Voraussetzungen wie eine Vermögensverfügung und Irrtum verzichtet wird, so wird dennoch bei Delikten im Vorfeld des Betrugs an der Notwendigkeit einer Täuschungshandlung festgehalten. Eine gewisse Ausnahme dazu stellt § 265 StGB dar, da hier der Bezug zum Betrug nur durch ein subjektives Element hergestellt wird. § 291 StGB als ein weiteres abstraktes Gefährdungsdelikt zum Schutz des Vermögens (zumindest als eines der geschützten Rechtsgüter) beinhaltet keine Täuschung durch den Täter und stellt kein betrugsnahes Delikt dar. Die Zwangsoder Schwächelage des Opfers wird nicht durch den Täter herbeigeführt. Dieser knüpft lediglich an die „missliche“ Lage des Opfers an und nutzt diese aus, was durchaus unter Einbeziehung weiterer Voraussetzungen wie des auffälligen Missverhältnisses als sozialethisch verwerflich anzusehen ist. Im StGB gibt es durchaus Delikte, in denen die Strafbarkeit des Täters nicht auf der Herbeiführung einer bestimmten Lage des Opfers beruht. Oft wird hier sogar „bloßes“ Unterlassen unter Strafe gestellt. Zum Beispiel ist nach § 323c StGB Hilfe zu leisten, auch wenn der Unglücksfall oder gemeine Gefahr oder Not nicht vom Täter verursacht wurden. Ein anderes Beispiel ist § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Bei diesen Delikten geht es jedoch um den Schutz von Leib und Leben von Menschen, nicht um die Abwendung von Sach- oder Vermögensgefahren. Sowohl die Wirtschaftsstraftaten als auch der Wucher setzen jedoch eine gewisse Interaktion zwischen dem Täter und dem Opfer voraus, die bereits die Gefahr der Benachteiligung in sich birgt. Der Täter wirkt derart auf das Opfer ein, dass nach dem weiteren, für den Täter günstigen Verlauf des Geschehens die Gefährdung/Schädigung des Opfers ohne weiteres Tun seitens des Täters eintreten könnte, sei es durch positive Bewilligung einer Subvention, eines Kredits etc. oder durch Unterlassen von Maßnahmen gegen die zweckentfremdete Verwendung oder zur Anpassung an geänderte Bedingungen etc. Auch im Rahmen des Wuchers wird seitens des Opfers bereits ein Vorteil versprochen oder gewährt. Hierzu ist jedoch noch anzumerken, dass sogar bei Betrachtung des § 291 StGB als ein Verletzungsdelikt die mangelnde Verantwortung des Täters für die Lage des Opfers und somit eine gerade nichttäuschungsgleiche Handlung als ausgleichsbedürftig angesehen wird. Der Ausgleich erfolgt durch das Verlangen eines qualifizierten Schadens in Form eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung zulasten des Opfers.553 Dies legt nahe, dass das Un553

SK-Hoyer, § 291 Rn. 4.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

recht einer Handlung unterhalb der Schwelle von Drohung, Gewalt oder Täuschung als noch nicht für die strafrechtliche Pönalisierung ausreichend betrachtet wird. Die Tathandlungen des § 284 StGB und die oben beschriebenen Handlungen sind nicht äquivalent. Keine der tatbestandsmäßigen Handlungen setzt eine Täuschung des Spielers voraus. Ganz eindeutig ist dies bei solchen Tathandlungen wie dem Werben für unerlaubte Spiele und dem Bereitstellen von Einrichtungen, da diese weit im Vorfeld des eigentlichen Spiels und der Leistung der Einsätze erfolgen. Bei der Variante des Bereitstellens von Einrichtungen wird zudem regelmäßig noch gar kein Kontakt zum Opfer bestehen, der für die Einwirkung auf sein Vorstellungsbild notwendig wäre. Fordert man für die Tathandlung des Veranstaltens lediglich die Schaffung des äußeren Rahmens für die Abhaltung des Spiels, ohne dass bereits Einsätze geleistet werden und ein Spielvertrag zustande kommen müsste, so ist klar, dass auch in dieser Phase oft oder sogar meistens noch gar kein Kontakt zum Spieler bestehen wird. Bei der engeren Auslegung des Begriffs und somit dem Erfordernis der Spielaufnahme ist zwar ein solcher Kontakt zum Opfer und die Möglichkeit der Einwirkung regelmäßig gegeben. Im Rahmen des Spielvertragsabschlusses kann auch durchaus eine (konkludente) Erklärung, das Spiel sei nicht manipuliert und die Gewinnchance sei in voller Höhe realisierbar, angenommen werden. Eine Täuschung würde jedoch voraussetzen, dass dadurch eine nicht bestehende Tatsache vorgespiegelt wird, eine wahre Tatsache entstellt oder unterdrückt wird.554 Also müsste hier unterstellt werden, dass die (konkludente) Äußerung des Täters nicht zutrifft und er, einfach gesprochen, das Opfer belügt. Eine solche Unterstellung würde jedoch jeglichen Rahmen des Strafrechts und des Strafprozessrechts sprengen. Eine Täuschung wäre nur in Bezug auf die Genehmigung des Glücksspiels denkbar. Auf diese kommt es jedoch angesichts des Gesetzeswortlauts und der Existenz des § 285 StGB (Strafbarkeit des Spielers, der von der fehlenden Erlaubnis Kenntnis hat) nicht an. Dies gilt ebenso für den Halter des Glücksspiels, unabhängig von dem Verständnis dieses Begriffs. Als eine Straftat im Vorfeld des Betrugs weist § 284 StGB eher eine Ähnlichkeit zu § 265 StGB auf. Die Tathandlung an sich weist noch keine Merkmale des Betrugs auf; anders als bei den Wirtschaftsstraftaten wird hier auch auf die Täuschung verzichtet. Die Vorfeldtat kann jedoch als ein Anknüpfungspunkt für eine spätere Tat gelten, die dann regelmäßig den Tatbestand des § 263 StGB erfüllen wird. Da das Handlungsunrecht nicht nur aus der Perspektive der objektiven Umstände der Tat, sondern auch aus den subjektiven Zwecksetzungen des Täters zu beurteilen ist, lässt sich die Existenz des § 265 StGB dadurch begründen, dass die Einwirkung auf die versicherte Sache mit dem subjektiven Zweck des Erhalts der Versicherungsleistung verknüpft wird, der bereits zum Zeitpunkt der Einwir554

MK-Hefendehl, § 263 Rn. 61.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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kung auf die Sache vorliegen muss. Die Streichung der Notwendigkeit der betrügerischen Absicht führte lediglich zur Ausweitung des Tatbestandes, sodass nun auch Fälle erfasst sind, in denen die Einwirkung auf die Sache den Anspruch auf die Versicherungsleistung nicht entfallen lässt (zum Beispiel wenn der versicherungsfremde Dritte ohne Kenntnis des Versicherungsnehmers eine versicherte Sache manipuliert und dieser sodann berechtigterweise die Versicherungsleistung erhält).555 Jedenfalls bedarf es bezüglich der Verschaffung der Versicherungsleistung einer Absicht (dolus directus 1. Grades) des Täters; er muss diese als sein Zwischen- oder Endziel anstreben.556 Dadurch erhält § 265 StGB erst sein besonderes Gepräge. Denn es war gerade nicht beabsichtigt, jede vorsätzliche Herbeiführung eines Versicherungsfalls unter Strafe zu stellen, sondern lediglich die Vortäuschung eines Versicherungsfalls.557 Im Rahmen des § 284 StGB genügt bereits der Eventualvorsatz bezüglich der Erfüllung der objektiven Tatbestandsmerkmale. Da Glücksspiele nicht per se sittenwidrig und verboten sind, ist das zentrale „unrechtsbegründende“ Element gerade das Handeln ohne Genehmigung. Im Unterschied zu § 265 StGB werden hier keine weiteren Absichten gefordert, insbesondere nicht bezüglich des weiteren Vorgehens des Täters. Eine Verknüpfung mit der betrügerischen/missbräuchlichen oder diesen Verhaltensweisen äquivalenten Einwirkung auf das Opfer wird nicht hergestellt. Das Handlungsunrecht kann nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht mit dem Streben des Täters nach (rechtswidrigem) Gewinn begründet werden. Nach der derzeitigen Fassung des Gesetzes muss demnach davon ausgegangen werden, dass das Handeln ohne Genehmigung bereits das für die Pönalisierung ausreichende Handlungsunrecht darstellen muss. Im Übrigen wird auf eine potentielle Täuschungsmöglichkeit abgestellt, für die nach dem Gesetz weder objektiv noch subjektiv Anhaltspunkte bestehen. Zwar ist der Strafrahmen des § 284 StGB im Vergleich zu § 265 StGB (ohne den Fall der Subsidiarität) niedriger, was im Hinblick auf die schwächere Vorsatzform nachvollziehbar und angemessen wäre. Eine niedrigere Strafe kann jedoch nicht allein begründen, dass die Strafe überhaupt angemessen ist. Dass § 284 StGB in seiner jetzigen Fassung einen absoluten Fremdkörper im Rahmen der abstrakten Vermögensgefährdungsdelikte im Vorfeld des Betrugs darstellt, liegt damit auf der Hand. Ferner ergibt sich aus dem Vergleich mit § 327 StGB, dass diese Norm bereits eine Einschränkung des Tatbestandes dahingehend enthält, dass nur besonders gefährliche Anlagen aufgenommen wurden. Im Übrigen erfolgt hier eine weitere Differenzierung auch im Hinblick auf die Gefährlichkeit der aufgenommenen Anlagen, die sich auch im Strafrahmen widerspiegelt. Das Betreiben von kerntechnischen Anlagen ohne eine Genehmigung wird mit einer Freiheitsstrafe bis 555 556 557

S/S/W-Saliger, § 265 Rn. 13. MK-Kasiske, § 265 Rn. 23. S/S-Perron, § 265 Rn. 13; NK-Hellmann, § 265 Rn. 34.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

zu fünf Jahren bestraft. Bei den in Abs. 2 aufgelisteten Anlagen kann eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren verhängt werden. 4. Gesamtbeurteilung der Angemessenheit des § 284 StGB Es wurde bereits aufgezeigt, dass an die Rechtfertigung von abstrakten Gefährdungsdelikten erhöhte Anforderungen gestellt werden. Da eine allgemeingültige Grundlage für die Erklärung der Existenzberechtigung von abstrakten Gefährdungsdelikten nur schwer zu finden ist, empfiehlt es sich, die Legitimität einzelner abstrakter Gefährdungsdelikte anhand handhabbarer Strukturierungen und Kriterien zu überprüfen. Nach der Einteilung der abstrakten Gefährdungsdelikte in verschiedene Gruppen nach Wohlers und Puschke würde sich § 284 StGB am besten in die Kategorie der Vorbereitungsdelikte einfügen. Nach der Lösung von Wohlers gilt es hier zu entscheiden, ob die Veranstaltung von Glücksspielen eine Handlungsweise ist, an die bestimmungsgemäß nur zu deliktischen Zwecken angeknüpft werden kann, oder ob sie im Gegenteil keinen eindeutigen deliktischen Bezug aufweist. Solange der Gesetzgeber und die Rechtsprechung von einem natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung sprechen, den es auch nicht völlig zu unterbinden gilt, und die Glücksspiele nicht per se als sittenwidrig betrachtet werden, kann zumindest in den Anwendungsbereichen des § 284 Abs. 1 und Abs. 2 StGB wohl weder dem Veranstalter noch dem Teilnehmer eines Glücksspiels ein allgemeiner deliktischer Sinnbezug unterstellt werden. Etwas weniger problematisch ist dies im Hinblick auf § 284 Abs. 3 StGB. Die Bandenmäßigkeit betrifft einen Zusammenschluss zur Begehung mehrerer Straftaten. Zunächst würde sich dies auf die wiederholte Veranstaltung ungenehmigter Glücksspiele als Straftaten beziehen, um deren umstrittene Einordnung als Straftat es hier jedoch geht. Bei der Bandenmäßigkeit könnte sich der deliktische Sinnbezug wie auch bei der Gewerbsmäßigkeit nur daraus ergeben, dass nach allgemeiner Erfahrung solche gewerbsmäßige oder bandenmäßige Glücksspielveranstaltung sich in das kriminelle Milieu einfügt und die erhofften Gewinne sich nur mit betrügerischen Machenschaften erreichen lassen. Nach Puschke kann § 284 StGB aufgrund des fehlenden Planungszusammenhangs nicht als Vorbereitungsdelikt angesehen werden. Entscheidend wäre somit allein die objektive Gefährdung, die jedoch nicht in allen Konstellationen des § 284 StGB bejaht werden kann. Die Auswertung des Kernstrafrechts zeigte, dass § 284 StGB sich nicht in das bestehende System einfügt. Weder die Bedeutung des Rechtsguts „Vermögen“ noch die tatbestandlichen Handlungen vermögen von der Angemessenheit des § 284 StGB zu überzeugen. Im ersten Teil der Arbeit wurde gezeigt, dass die Rechtsprechung sowie viele Autoren, die die Strafbarkeit der illegalen Glücksspiele befürworten, sich zur Begründung des verfolgten Zwecks oder des ge-

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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schützten Rechtsguts einer Mischung verschiedenster Erwägungen bedienen, die für sich genommen nicht genügend wären, um die Strafbarkeit des in § 284 StGB normierten Verhaltens zu begründen, im Übrigen aber bereits durch existierende Normen des StGB abgedeckt sind. Dies führt ferner dazu, dass auf diese Art und Weise versucht wird, ein Universalgut zu definieren, welches ebenso wie bei den anderen abstrakten Vermögensgefährdungsdelikten die Strafbarkeit rechtfertigen soll. Dabei entstehen solche Konstrukte wie „Kontrolle und Lenkung der natürlichen Spielleidenschaft“, „Interesse am Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung der natürlichen Spielleidenschaft“ etc., denen es erkennbar an Präzision und Greifbarkeit mangelt. Würden „Kontrolle“ und „Lenkung“ als Rechtfertigung für die Erschaffung einer Strafnorm ausreichend sein, so könnte jegliches Verhalten als strafwürdig und strafbedürftig ansehen werden. Mit einer grundrechtlich gesicherten freien Entfaltung der Persönlichkeit ist dies nicht mehr in Einklang zu bringen. Ein weiteres Problem liegt darin, dass die Einbeziehung aller denkbaren und weitreichenden Folgen des Verhaltens, die zumeist nicht direkt auf der Handlung des Täters beruhen, früher oder später dazu führen kann, dass die Tangierung besonders wichtiger, durch das Grundgesetz besonders geschützter Güter bejaht werden kann. Dies geschieht etwa, wenn eine mögliche, durch einen spielsüchtigen Spieler herbeigeführte Vermögenslosigkeit als seine Familie gefährdend angesehen wird und deshalb bereits mit Art. 6 GG argumentiert werden kann. Die dabei entstehende Notwendigkeit des Staates, für die Existenzsicherung des Bürgers zu sorgen (Sozialstaatsprinzip), tangiert das öffentliche Interesse, eine unnötige Inanspruchnahme des Sozialhilfeträgers zu vermeiden.558 Spielt der Rang des geschützten Rechtsguts eine erhebliche Rolle (wenn auch nicht als einziges Kriterium) für die Einstufung des Verhaltens als eine Straftat, eine Ordnungswidrigkeit oder eben ein straffreies Verhalten, so kann nach dem oben skizzierten Vorgehen nahezu jedes Verhalten als ein ranghohes Rechtsgut gefährdendes Verhalten eingestuft werden. Die Idee des Strafrechts als „ultima ratio“ rückt damit in die Ferne. Vermögensschutz wird zwar von der Verfassung im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG erfasst. Somit genießt dieses Rechtsgut Verfassungsrang. Dennoch zeigt die einfache Rechtsordnung an zahlreichen Stellen im Zivil- und im Strafrecht, dass das Vermögen keinen vollumfassenden Schutz genießt. Geht es um Vermögensschutz, erlangt die vermögensbeeinträchtigende Handlung eine große Bedeutung. Nicht jeder Angriff auf das Vermögen soll strafrechtlich geschützt werden (fragmentarischer Charakter des Strafrechts). Die Norm wurde zwar bereits vor 100 Jahren eingeführt, jedoch zeigt die Entstehungsgeschichte dieser Norm (siehe Einleitung), dass zum damaligen Zeitpunkt die Glücksspiele per se als sittenwid-

558

Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 203.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

rig angesehen wurden. Außerdem wurde die Entstehung der Norm durch die damalige politische und wirtschaftliche Lage des Landes begünstigt. Obwohl einige der Delikte, mit denen § 284 StGB nun verglichen wurde, deutlich später in das Strafgesetzbuch eingeführt wurden, sind diese deutlich stärker an den Betrug angelehnt und entsprechen der modernen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung und ihren Bedürfnissen. Unabhängig von der Frage des Rechtsguts, welches vom Bundesverfassungsgericht nicht in der Gestalt und Bedeutung, die ihm von der Strafrechtswissenschaft beigemessen wird, anerkannt wird, wurde aufgezeigt, dass die strengen Anforderungen, die an die Schaffung von abstrakten Gefährdungsdelikten gestellt werden, ebenfalls von § 284 Abs. 1 StGB nicht erfüllt werden. Neben dem Rechtsgut stellt die Sozialschädlichkeit eines Verhaltens ein besonders wichtiges Kriterium dar. Es wurde gezeigt, dass das in § 284 Abs. 1 StGB normierte Verhalten sich deutlich von dem Verhalten in den anderen hinzugezogenen Delikten unterscheidet. Hier wird weder das nach dem StGB sonst als strafwürdig angesehene Verhalten verlangt noch werden besonders gefährdete Gruppen geschützt (wie zum Beispiel die Spielsüchtigen, die Leichtsinnigen, die Unerfahrenen etc.). Es wurde aufgezeigt, dass der Vermögensschutz dann strafrechtlich abgesichert werden muss, wenn auf das Vermögen durch Täuschung, Gewalt oder Drohung eingewirkt wird. Bleibt die Handlung unterhalb dieser Schwelle, muss dieses Defizit durch weitere Anforderungen ausgeglichen werden. Im Rahmen des § 284 StGB wird zwar aufgrund der Einsatzleistung der Vermögensschutz relevant. Eine Täuschungshandlung oder eine täuschungsähnliche Handlung gegenüber dem Opfer wird jedoch nicht vorausgesetzt. Eine Kompensation dieses Defizits kann auch nicht in der Umgehung des Verwaltungsverfahrens gesehen werden, denn zum einen ist der Geschädigte die Verwaltung selbst und nicht der Vermögen einsetzende Spieler. Zum anderen wird sowohl in der Strafrechtswissenschaft als auch in der Rechtsprechung der Schutz des Verwaltungsgehorsams mittels Strafrechts abgelehnt, da auch die die strenge Rechtsgutslehre ablehnende Rechtsprechung bei bloßem Verwaltungsungehorsam die Strafwürdigkeitsschwelle als noch nicht erreicht ansieht. Ferner ist angesichts der ausreichenden Höhe des Einsatzes nicht erkennbar, dass ein zu erwartender Schaden besonderen Ausmaßes erforderlich ist. Schließlich enthält auch der subjektive Bereich keine erhöhten Anforderungen wie Absichten, Einstellungen oder Gesinnungen des Täters, die die Tat als besonders verwerflich erscheinen lassen. Im Ergebnis wird nach der jetzigen Fassung des Gesetzes und der Bandbreite erfasster Konstellationen kein nachvollziehbarer Zusammenhang zwischen der inkriminierten Handlung und der Verletzung des Vermögens als geschützten Rechtsguts hergestellt, sondern auf eine ganz allgemeine mögliche Eignung der Handlung zur Rechtsgutsverletzung abgestellt. Es wurde ferner gezeigt, dass die Gefährdung von besonders schutzbedürftigen Gruppen von anderen Normen bereits erfasst wäre (zum Beispiel § 291 StGB).

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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Im Übrigen ist die präventive Wirkung des § 263 StGB als ausreichend anzusehen.559 Zu einer anderen Beurteilung kommen die dieses Ergebnis ablehnenden Autoren lediglich dann, wenn sie wiederum weiterreichende Folgen miteinbeziehen. Sehr beliebt ist in diesem Zusammenhang der Verweis auf das typischerweise bestehende enge Verhältnis zu anderen kriminellen Milieus. Soweit zum Beispiel Brandl diese Argumente für die Begründung der Strafwürdigkeit im Rahmen des § 284 Abs. 1 StGB anführt,560 kann dies jedoch nicht überzeugen, da § 284 Abs. 1 StGB gerade Fälle umfasst, die eben nicht die Zugehörigkeit zur Organisierten Kriminalität, die als gefahrbegründend angesehen wird, aufweisen. Nach § 284 Abs. 1 StGB ist vielmehr auch das erstmalige und das einmalige Veranstalten des Glücksspiels erfasst. Die Verbindung zu anderen kriminellen Szenen kann erst im Rahmen des § 284 Abs. 3 StGB überhaupt ernsthaft befürchtet werden. Erst im gewerbsmäßigen Bereich kann aufgrund des Gewinnstrebens seitens des Täters von einer Vermutung von Manipulationsgefahren ausgegangen werden, die vermieden werden sollen. Der Verweis auf die kriminogene Wirkung des Glücksspiels stößt zudem an die Grenzen der Zurechenbarkeit. Der Veranstalter eines Glücksspiels kann nicht für die Beschaffungs- bzw. Folgekriminalität seitens der Spieler verantwortlich gemacht werden. Im Übrigen sind diese Folgen auch bei staatlich kontrolliertem Glücksspiel nicht ausschließbar. Speziell im Hinblick auf die Tathandlung der Bereitstellung von Einrichtungen begründet Brandl die Strafwürdigkeit dieser Handlung mit der Überwindung der Beweisschwierigkeiten.561 Hierbei handelt es sich um eine unter selbstständige Strafe gestellte Beihilfehandlung. Damit soll die Gefahr überwunden werden, dass im Falle der Nichtermittelbarkeit des Veranstalters der Gehilfe dennoch bestraft werden kann, da für die Bestrafung nach §§ 284, 27 StGB sonst die Haupttat fehlen würde. Zwar fördert die Tathandlung die Veranstaltung des Glücksspiels, insbesondere bei Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten. Diese Handlung ist jedoch mit der Entleihung eines gefährlichen Werkzeugs zur Begehung einer Körperverletzung oder eines Tötungsdelikts vergleichbar. Diese Handlung wird nicht gesondert unter Strafe gestellt. Im Rahmen des § 284 Abs. 1 StGB wird der Beihilfeleistende jedoch als „Sündenbock“ in Anspruch genommen, dem auch die Strafmilderungsoption nach § 27 Abs. 2 S. 2 StGB verwehrt bleibt. Nach den im zweiten Teil der Arbeit dargestellten allgemeinen Kriterien der Strafwürdigkeit, die von Otto, Frisch und Puschke herausgearbeitet wurden (S. 99 ff.) und die der Präzisierung der verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne dienen, wäre die Angemessenheit des § 284 Abs. 1 StGB zu verneinen.

559 560 561

Dies gesteht auch Brandl, in: Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 205. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 206. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 207.

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

Nichts anderes kann im Hinblick auf das Werbungsverbot nach § 284 Abs. 4 StGB gelten. Die Bundesratsinitiative begründete die Einführung der eigenständigen Regelung mit der praktischen Schwierigkeit der Durchsetzung des § 284 Abs. 1 StGB gegenüber im Ausland ansässigen Anbietern und der sich daraus ergebenden Notwendigkeit, zumindest deren werbliche Aktivität in Deutschland (meistens dann durch Gehilfen) zu unterbinden.562 Das Werben für ein Glücksspiel kann auch nach §§ 284 Abs. 1, 27 StGB bestraft werden, wenn im Inland für ein hier veranstaltetes Glücksspiel geworben wird. § 284 Abs. 4 StGB ist in diesem Fall subsidiär.563 Die eigenständige Bedeutung des § 284 Abs. 4 StGB soll darin liegen, dass damit Strafbarkeitslücken geschlossen werden. Dies beruht auf der Problematik der Anwendbarkeit des deutschen Rechts, wenn der Anbieter des Glücksspiels aus dem Ausland handelt, was vor allem im Bereich der OnlineSpiele weit verbreitet ist. Die Bestrafung wegen Beihilfe durch die Werbung im Inland wäre in solchen Fällen ausgeschlossen, denn es liegt bereits keine teilnahmefähige Haupttat vor. Soll es aber im Rahmen des § 284 Abs. 4 StGB nicht darauf ankommen, ob das Glücksspiel durchgeführt wurde, wird damit eine noch weitere Vorverlagerung des strafbaren Verhaltens erzielt als bei Tathandlungen des § 284 Abs. 1 StGB. Die Pönalisierung einer vorbereitenden Handlung, die so weit im Vorfeld der eigentlichen Straftat liegt, kann nur dann angemessen sein, wenn ihr besondere Sozialschädlichkeit und Verwerflichkeit anhaftet, was im Hinblick auf die bloße Werbung nach bevorstehenden Ausführungen nicht behauptet werden kann. Brandl kann die Notwendigkeit der Pönalisierung der werbenden Tätigkeiten nur mit dem Verleitungsgedanken begründen,564 der in dieser Arbeit jedoch verworfen wurde. Wenn bereits die besondere Sozialschädlichkeit der Handlungen aus § 284 StGB Abs. 1 verneint wurde, drängt sich nun auf, dass die Existenz des § 284 Abs. 4 StGB kaum gerechtfertigt sein kann. Die Einbeziehung der Werbung kann nur im Bereich des § 284 Abs. 3 StGB565 denkbar bleiben, da auch die Rekrutierung neuer Spieler in diesem Bereich einen wichtigen Logistikbereich566 darstellt. In diesem Sinne bleibt zunächst die Beihilfe zum gewerbsmäßigen Veranstalten möglich. Für Fälle, in denen keine teilnahmefähige Haupttat vorliegt, soll die Strafbarkeit der Werbung nach dem Vorbild der jetzigen Fassung fortbestehen, allerdings unter der Bedingung der Ergänzung dieses Tatbestandes durch die Merkmale der gewerbsmäßigen oder bandenmäßigen Werbung. Im Übrigen soll

562 563 564 565 566

Vgl. BT-Drs. 13/8587, S. 68. Fischer, StGB, § 284 Rn. 24. Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 209. Zur Gefährlichkeit dieses Bereichs siehe S. 179 f. in dieser Arbeit. Sieber, JZ 95, 764.

B. Verhältnismäßigkeit des § 284 StGB

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§ 284 Abs. 4 StGB in seiner jetzigen Fassung zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Sollte jedoch nur das gewerbsmäßige Werben im StGB seinen Platz behalten dürfen, wäre gleichzeitig zu gewährleisten, dass alle anderen Fälle nur als Ordnungswidrigkeit erfasst werden, sonst bestünde die Gefahr, dass das nichtgewerbsmäßige Werben dennoch als Beihilfe zum gewerbsmäßigen Veranstalten bestraft werden könnte, wobei bei Fehlen einer teilnahmefähigen Tat in diesem Fall nur eine Ordnungswidrigkeit in Betracht käme.567 Trotz der in § 21 Abs. 1 OWiG angeordneten Subsidiarität einer Ordnungswidrigkeit gegenüber einer Straftat ist es anerkannt, dass in Einzelfällen die Ordnungswidrigkeit als lex specialis eine Straftat verdrängen kann.568 Nach den bevorstehenden Argumenten könnte schließlich auch § 284 Abs. 2 StGB nur unter der Voraussetzung des klaren Bezugs zur Organisierten Kriminalität aufrechterhalten bleiben, damit den gewerbs- oder bandenmäßig handelnden Tätern die Flucht in die geschlossenen Gesellschaften oder Vereine abgeschnitten wird. § 284 Abs. 2 StGB ruft jedoch noch weitere Bedenken hervor. Brandl rechtfertigt die Existenz dieses Absatzes auch in der neueren Zeit durch die eventuell entstehenden Beweisschwierigkeiten. Vereine oder geschlossene Gesellschaften könnten zum einen lediglich als Tarnung von Betreibern illegaler Glücksspiele genutzt werden, um sich gegen die polizeilichen Observierungsversuche zu schützen. Zum anderen sei die Behauptung der Nichtöffentlichkeit des Spiels in der Praxis kaum widerlegbar.569 Das erste Argument wird jedoch ersichtlich nur im Rahmen der Organisierten Kriminalität zu befürchten sein. Zum zweiten Argument wurde bereits ausgeführt, dass allein die Gefahr der Entstehung von Beweisschwierigkeiten nicht den Eingriff in grundrechtlich geschützte Positionen rechtfertigen kann. Insbesondere ist hier die Reichweite des Tatbestandes zu bedenken, der auch Glücksspiele in den Familien- und Freundeskreisen umfasst. Damit wird hier sogar der Kernbereich privater Lebensgestaltung tangiert. Dies versucht Brandl zu widerlegen, indem er darauf hinweist, dass gewohnheitsmäßige Spielabende mit echten wechselseitigen Vermögensverschiebungen im engsten Familienkreis unwahrscheinlich seien. Freundeskreise hingegen zählten gar nicht mehr zum unantastbaren Kernbereich. Für den ersten Fall befürwortet er eine teleologische Reduktion, für den zweiten Fall bestehe die Möglichkeit einer strafprozessualen Lösung wie der Einstellung nach § 153 StPO, wenn die Verluste nicht zu hoch sind.570 Bereits diese letzte Ergänzung

567 Dieser Wertungswiderspruch wird von Laustetter herausgearbeitet in: Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 108 ff. 568 KK-Mitsch, § 21 Rn. 7. 569 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 208. 570 Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 208 f. Belz befürwortet hingegen auch die Erfassung des Freundeskreises durch die teleologische Reduktion in: Das Glücks-

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3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

zeigt, dass diese Lösungen Potential haben, für weitere Unsicherheit zu sorgen. Die Einstellungsmöglichkeit nach § 153 StPO soll und kann jedoch nicht dazu dienen, die Missgeschicke des Gesetzgebers auszugleichen. Es obliegt dem Gesetzgeber, Strafnormen zu schaffen, deren Tatbestand klar bestimmt und umgrenzt ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung trägt. Das Vertrauen darauf, dass die Staatsanwaltschaft die nicht strafwürdigen Fälle herausfiltern wird, darf nicht zur Richtlinie für das Handeln des Gesetzgebers werden und kann die Nachlässigkeit bei der Formulierung der Strafnormtatbestände nicht ausgleichen. Die prozessuale Lösung kann im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung tragen.571 Sie soll jedoch eine Ausnahme darstellen und nicht den Regelungscharakter annehmen.572 Schließlich stellt bereits die Einleitung der Ermittlungsmaßnahmen eine erhebliche Belastung des Betroffenen dar. Das gilt auch für den Vorschlag der teleologischen Reduktion. So wie die Strafverfolgungsorgane nicht über die Weite des Tatbestandes entscheiden und diese anstelle des Gesetzgebers korrigieren sollen, kann es auch keine dauerhaft befriedigende Lösung sein, dass die Rechtsprechung diese Aufgabe übernimmt.573 Wie es schon keine Einigung bezüglich der Erfassung des Freundeskreises durch die teleologische Reduktion gibt, ist es durchaus denkbar, dass die Justiz dies ebenfalls unterschiedlich bewerten wird. Für den Betroffenen wäre es immer mit großer Ungewissheit verbunden, wie die Staatsanwaltschaft seinen Fall einstufen wird und ob das Verfahren nach der Einstellung nicht eventuell nach der erneuten Einschätzung des Sachverhalts wiederaufgenommen wird. Dies stellt eine erhebliche Gefahr für die Rechtsanwendungsgleichheit und Rechtssicherheit dar.574 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass § 284 StGB in der jetzt geltenden Fassung aufgrund der nicht genügenden Strafwürdigkeit der meisten tatbestandsmäßigen Handlungen nicht als eine legitime Strafnorm betrachtet werden kann und deshalb verfassungswidrig ist. Selbst wenn man dem nicht folgt, ist nicht zu verkennen, dass zumindest aus kriminalpolitischen Gründen eine Reform dieser Norm zwingend erscheint.

spiel im Strafrecht, S. 84. Diese Lösung würde zumindest helfen, die eventuell durch die Einstellungsoption entstehenden Unsicherheiten zu vermeiden. 571 So BVerfGE 120, 272. 572 Kasper, Die Erheblichkeitsschwelle im Bereich des Umweltstrafrechts, insbesondere bei § 324 StGB, S. 38. 573 Die Rechtsprechung würde auch an ihre Grenzen stoßen, wenn sie den eindeutigen und gewollten Gesetzesbefehl missachten würde, da dies schon keine Auslegung, sondern eine Negierung des Gesetzes wäre, siehe dazu und mehr zum Verhältnis zwischen dem Richter und dem Gesetzgeber: Hirsch, JZ 07, 857 ff. 574 Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 105; so auch Nelles/Velten, NStZ 94, 369.

C. Vorschlag zur Gesetzesänderung

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C. Vorschlag zur Gesetzesänderung Denkbar und möglich, insbesondere wegen des Verstoßes gegen die Genehmigungsvorschriften, wäre eine Ausgestaltung des § 284 Abs. 1 StGB als eine Ordnungswidrigkeit. Da jedoch bereits die Landesgesetze zum Glücksspiel Ordnungswidrigkeitsverfolgung vorsahen und nun auch Ordnungswidrigkeitstatbestände in den geänderten Glücksspielstaatsvertrag aufgenommen wurden, sodass auch eine bundeseinheitliche Grundlage geschaffen wäre, erscheint die Einführung eines neuen Ordnungswidrigkeitstatbestandes im OWiG nicht notwendig. Vom Glücksspielstaatsvertrag und den Landesgesetzen sind insbesondere die Handlungen „Veranstalten“, „Vermitteln“, „Werben“ erfasst. Damit wird klar, dass bis jetzt die Bereitstellung von Einrichtungen nicht in den Fokus des Ordnungswidrigkeitenrechts geraten war. Dies ist im Hinblick auf die Entstehung des § 284 StGB und der Ordnungswidrigkeitstatbestände nachvollziehbar. Die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung in der Zeit der Einführung des § 284 StGB machte in den Augen des Gesetzgebers aus jeglicher Förderung des Glücksspiels eine verfolgungs- und strafwürdige Handlung. Angesichts des Wandels des Images des Glücksspiels und der Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage sind Glücksspiele nur im Hinblick auf die Sucht- und Betrugsgefahr kontrollbedürftig. Somit muss die zu pönalisierende Tätigkeit eine Gefahr für die heute als schutzwürdig angesehenen Güter und Interessen des Spielers darstellen. Derjenige, der die Gegenstände, die im Rahmen des Spiels genutzt werden, zur Verfügung stellt, hat aber keinen Einfluss auf die korrekte und faire Ausgestaltung und die Durchführung des Spiels. § 284 Abs. 2 StGB kann in der jetzt geltenden Form nicht beibehalten werden. Hier käme auch schon grundsätzlich keine Herabstufung zur Ordnungswidrigkeit in Betracht. Der Gesetzgeber muss sich zuerst um einen hinreichend bestimmten und umgrenzten Tatbestand bemühen. § 284 StGB könnte dann folgendermaßen aussehen: Abs. 1: Wer gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, ohne behördliche Erlaubnis öffentlich ein Glücksspiel veranstaltet oder hält oder die Einrichtungen hierzu bereitstellt, wird mit . . . bestraft. Abs. 2: Wer für ein Glücksspiel im Sinne des Abs. 1 gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat, wirbt, wird mit . . . bestraft.

§ 285 StGB ist nach den Ergebnissen des ersten Teils der Arbeit aus dem StGB zu streichen (S. 80).575 Der Vorschlag, den Tatbestand um die Merkmale der Gewerbsmäßigkeit und des Handelns als Bandenmitglied zu ergänzen und in

575

So im Ergebnis auch Brandl, Spielleidenschaft und Strafrecht, S. 218.

230

3. Teil: Beurteilung des § 284 StGB anhand der allgemeinen Kriterien

dieser Form als einen StGB-Tatbestand zu erhalten,576 erscheint nicht überzeugend. Diese Ansicht beruht auf der Annahme, dass ein gewerbsmäßiger Spieler gefährlich sei, da bei ihm immer damit zu rechnen sei, dass er zum Falschspiel übergehe.577 In den übrigen Fällen genüge auch hier die präventive Wirkung des § 263 StGB. Auch der gewerbsmäßige Spieler kann zum Opfer der Manipulation seitens des unredlichen Veranstalters werden. Die im ersten Teil der Arbeit geäußerten Bedenken (vgl. S. 78 ff.) werden damit nicht ausgeräumt. Kommt es hier aber auf die „Gefährlichkeit“ des Spielers selbst an, ist die Anbindung an § 284 StGB nicht mehr nachvollziehbar. Die vermutete von einem gewerbsmäßigen Spieler ausgehende Gefahr kann genauso im Bereich der legalen Spiele bestehen. Daran ändert sich nichts, wenn der Veranstalter eine Genehmigung erhalten hat. Die Kriminalisierung des gewerbsmäßigen Spielens als solchen kommt schließlich angesichts des Art. 12 GG ebenfalls nicht in Betracht. Die Legitimität dieser Norm kann deshalb nicht begründet werden.

576

Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 114. Lange, Das Glücksspielrecht – ein Stück steckengebliebener Strafrechtsreform, in: FS für Dreher, S. 577; Laustetter, Grenzen des Glücksspielstrafrechts, S. 113. 577

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Stichwortverzeichnis Betrug, betrügerisch 19, 20, 25, 26, 69, 71, 72 ff., 107, 129, 131, 136 ff., 143, 151, 156, 178 ff., 195 ff., 201 ff., 212 ff., 218 ff.

Legitimität 25, 27, 49, 66, 73, 75 f., 81 f., 90 f., 94 f., 107, 111, 126, 128, 132, 136, 157, 160, 174, 176 ff., 192 f., 197, 213 f., 222

Eigennutz 20, 42, 74, 76, 145

Manipulation 68 ff., 78 f., 115, 136 ff., 143, 168, 178 ff., 188, 214 Manipulationsgefahr 76, 78, 137, 179, 225

Eigenverantwortlichkeit, eigenverantwortlich 44 ff., 51, 66 ff., 78, 85, 185 Erfolgsdelikt 136, 155, 205 Erfolgsunwert 25, 100, 112, 155, 163, 212 Erforderlichkeit 34, 36, 41, 65, 92 ff., 106, 109, 111 f., 119, 128, 136 Erlaubnis 31 ff., 41, 48 f., 52, 54, 73, 75 f., 115, 122, 143, 178 – ausländische 37 ff. Gefährdungsdelikt 193, 201 – abstraktes 74, 91, 102, 136, 156 ff., 164 ff., 171 ff., 173 ff., 182 f., 186, 188 f., 192, 193 f., 196 f., 204, 206 f., 213, 219, 222 – konkretes 102, 163, 210 Genehmigung 32, 34 ff., 39, 41, 78, 129, 179, 189, 191 ff., 213 ff., 218 ff. Gewinnchance 60, 68, 72 ff., 138 ff. Handlungsunrecht, Handlungsunwert 131, 163, 164, 165, 173, 174, 184, 213, 216, 219, 221 Kriminalität 93, 192 – organisierte 42 ff., 56, 135, 179, 214, 225, 227

Paternalismus 45, 51, 79 Rechtsgut 28, 31, 42, 45, 49, 51, 67, 72 f., 75 ff., 95 f., 127 f., 153 ff., 159, 162 ff., 165 ff., 171 ff., 182, 186, 189, 193 f., 197 ff., 210 f., 213, 223 f. – Rang des Rechtsguts 99, 147, 149, 153, 194, 213, 223 Rechtsgutslehre, Rechtsgutstheorie 28, 81, 92, 95, 97 f., 110, 126, 153, 224 Rechtsgutsverletzung 44, 95, 99, 101, 146, 155 f., 159, 161 f., 164, 166, 186 f., 190 f., 224 Rechtsmissbrauch 36 Sanktionsnorm 87 ff., 91, 194 Selbstgefährdung 44 ff., 49, 51, 65, 76, 78 f. Selbstverantwortlichkeit 65 Sittenwidrigkeit, sittenwidrig 29, 41, 129, 130, 131 f., 138, 222 Strafbedürftigkeit 75, 95, 101, 103 f., 109, 112, 128 f., 196 Strafwürdigkeit 29, 76, 92, 95, 98 ff., 103 f., 109, 112, 148, 152, 195 f., 205, 228 Sucht 18, 20 f., 23, 26, 44 f., 49 ff., 55 ff., 65, 67, 74 f., 79, 151, 229

Stichwortverzeichnis Verhaltensnorm 84, 87 ff., 90, 190 Verhältnismäßigkeit, verhältnismäßig 77, 87, 91, 94, 111, 126, 225 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 86, 94, 109, 228 Verhältnismäßigkeitsprüfung 91, 105, 109 f., 197 Verleiten 33, 66 ff., 79, 116, 180 Vermögen 28, 62, 64 f., 68, 75, 77 f., 127, 140, 153 ff., 160, 175, 182, 201, 203 f., 206, 208, 213, 216, 222 ff. – Randordnung in der Verfassung 153 f. – verdinglichte Freiheit 175 – zivilrechtlicher Schutz 154 Vermögensdelikte 74, 175

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Vermögensschutz 58, 65, 74, 76 f., 154, 156, 160, 181 f., 188, 197, 201 ff., 205, 208 f., 212 f., 216, 223 f. Vertrauen 68, 69, 71, 74, 106, 107, 131, 133, 141, 155 f., 199, 202, 203, 208 Verwaltungsakzessorietät 32, 34, 36, 38, 40 f., 55, 69, 75, 93, 158, 176, 188 ff., 196 f., 209, 213 Verwaltungsgehorsam 76, 78, 189, 211, 213, 224 Verwerflichkeit 17, 28 f., 33, 75, 89, 100, 145, 147, 153, 216, 219, 224, 226 Volksgesundheit 44, 49, 51, 55 ff. Vorverlagerung 76, 120, 157, 162, 176 ff., 199, 201, 205, 207, 212, 226