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German Pages 235 Year 2007
Schriften zum Strafrecht Heft 191
Die Krisenbegriffe der Insolvenzstraftatbestände (§§ 283 ff. StGB) Von
Sven Erdmann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
SVEN ERDMANN
Die Krisenbegriffe der Insolvenzstraftatbestände (§§ 283 ff. StGB)
Schriften zum Strafrecht Heft 191
Die Krisenbegriffe der Insolvenzstraftatbestände (§§ 283 ff. StGB)
Von
Sven Erdmann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn hat diese Arbeit im Jahre 2006 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D5 Alle Rechte vorbehalten # 2007 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-12497-8 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Meinen Eltern
Vorwort Die Arbeit wurde im Wintersemester 2006/2007 durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn als Dissertation angenommen. Zu herzlichem Dank bin ich an erster Stelle meinem Doktorvater Prof. Dr. Urs Kindhäuser verpflichtet; zunächst für die Anregung des Themas, aber auch für manches die Sache voranbringende und ermutigende Gespräch. Prof. Dr. Martin Böse danke ich für die zeitnahe Anfertigung des Zweitgutachtens. Wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen hat auch Frau Ass. jur. Jeannine Weiß, die die größte Last der Korrekturarbeit getragen und den ein oder anderen Satz erst verständlich gemacht hat. Mein spezieller Dank gilt Prof. Dr. Hans-Joachim Rudolphi, an dessen Lehrstuhl ich einige schöne und lehrreiche Jahre verbringen durfte. Gewidmet ist die Arbeit meinen Eltern, die meine gesamte Ausbildung großzügig – nicht nur finanziell, sondern auch durch fortwährenden Zuspruch – unterstützt haben. Köln, im Juni 2007
Sven Erdmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
19
1. Teil Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung A. Die Ziele des Insolvenzverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
21 21
Gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
1. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
a) Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
b) Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der InsO . . .
23
aa) Die Regelungen der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
bb) Die Entwicklung von der KO zur InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
2. Bestmögliche Befriedigung der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
II. Gelegenheit zur Restschuldbefreiung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
28
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
I.
Die verschiedenen Arten der Verwertung des Schuldnervermögens . . . . . .
29
1. Die Liquidation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
2. Die Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
3. Die sog. übertragende Sanierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
II. Die Stellung der Gläubiger im Insolvenzverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
1. Die Verwirklichung der Gläubigerselbstverwaltung in der InsO . . . . . .
34
a) Die insolvenzrechtlichen Organe der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
aa) Die Gläubigerversammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
bb) Der Gläubigerausschuss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
b) Der Insolvenzplan als Instrument der Gläubigerselbstverwaltung . .
39
aa) Grundzüge des Insolvenzplanverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
bb) Das Initiativrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
cc) Die Annahme des Insolvenzplans . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
dd) Die Wirkungen des rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans . .
42
2. Die Grenzen der Gläubigerselbstverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
10
Inhaltsverzeichnis 2. Teil Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände der §§ 283 ff. StGB
A. Die durch die §§ 283 ff. geschützten Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I.
46 46
Der strafrechtliche Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
46
1. Die Funktionen des Rechtsgutsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
47
2. Zur Wandelbarkeit von Rechtsgütern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
3. Die Ermittlung der einem Straftatbestand zugrunde liegenden Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
II. Zur Systematik der §§ 283 ff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
1. Bestandsbezogene Bankrotthandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
2. Informationsbezogene Bankrotthandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
III. Die geschützten Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
1. Die Bedeutung des Masse- und Informationsbestandes . . . . . . . . . . . . .
55
a) Die Funktionen der Insolvenzmasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55
aa) Die „passive“ Funktion der Masse im Fall der Liquidation . . .
55
bb) Die „aktive“ Funktion der Masse im Fall der Sanierung . . . . . .
56
b) Die Funktion einer korrekten Informationsgrundlage . . . . . . . . . . . .
56
2. Die geschützten Gläubigerinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
a) Das Befriedigungsinteresse der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
b) Das Gestaltungsinteresse der Gläubiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
61
aa) Die These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
bb) Die eigenständige Bedeutung des Gestaltungsinteresses . . . . . .
63
cc) Das Gestaltungsinteresse als Vermögensrechtsgut . . . . . . . . . . .
66
3. Der Kreis der Rechtsgutsträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
IV. Schutz überindividueller Rechtsgüter? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
1. Die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
a) Die These . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
b) Die bisherige Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
c) Die Problematik des Vermittlungszusammenhangs . . . . . . . . . . . . . .
78
d) Auslegungstauglichkeit des Begriffs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
e) Zusammenfassende Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
84
2. Die Funktionsfähigkeit der Gesamtwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
B. Die Grenzen des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
I.
Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
85
II. Strafbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
III. Typische bzw. generelle Gefährlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
Inhaltsverzeichnis
11
3. Teil Die Auslegung der Krisenmerkmale
89
A. Zum Verhältnis der strafrechtlichen Begriffsbildung zu der anderer Rechtsgebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Generelle Akzessorietät der strafrechtlichen Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . II. Eigenständigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die teleologische Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Bedeutungsgehalt des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung . . . 3. Das Strafrecht als Schutzrecht und die Normentheorie . . . . . . . . . . . . . .
89 90 91 92 92 95 97
B. Allgemeine Gesichtspunkte der Auslegung der Krisenbegriffe . . . . . . . . . . . . . . I. Der Wortlaut des Gesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Systematik der Bankrottdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Funktion der Krisenmerkmale im Tatbestand der Bankrottdelikte a) Versöhnung mit dem Schuldprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Sonderstellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . 2. Exkurs: Die Eröffnungstatbestände der §§ 17–19 InsO . . . . . . . . . . . . . . a) Die Funktion der Eröffnungstatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die widerstreitenden Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rechtzeitigkeit der Verfahrenseröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Sonderstellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit . . . . . . b) Vergleich der Interessenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
97 97 99 102 103 103 103 106 107 107 107 108 109 111 112
C. Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die zu berücksichtigenden Zahlungsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Außenfinanzierte Mittel, insbesondere Kreditmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Liquidierbares Anlage- und Umlaufvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die zu berücksichtigenden Zahlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sach- oder Dienstleistungsverpflichtungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die fälligen Verbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Notwendigkeit ernsthaften Einforderns? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Künftig fällig werdende Verbindlichkeiten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wesentlichkeit der Deckungslücke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
113 114 115 118 120 120 121 121 122 123 124 124 126 126
12
Inhaltsverzeichnis IV. Dauerhaftigkeit des Unvermögens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
129 131 132 134
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Das für das „Drohen“ maßgebliche Kriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anlehnung an § 288? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorliegen einer konkreten Gefahr? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wahrscheinlichkeit des nahen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit? . . . . . 4. Nahe liegende Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ausgestaltung der Zahlungsfähigkeitsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Prognosezeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die zu berücksichtigenden Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Noch nicht begründete Zahlungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Drohende Verluste? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Prognosewahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Prognosemethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die betriebswirtschaftliche Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die kriminalistische Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Tatbestandsbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
135 136 136 136 137 137 138 139 139 145 145 146 147 149 149 152 153
E. Überschuldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der statische Ansatz von Liquidationswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der herkömmliche zweistufige Überschuldungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der theoretische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Fortführungsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Prognosegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Fortführungswahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Prognosezeitraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bestimmung der Fortführungswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Substanzwertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wille des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Systematik der Bankrottdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der statische Ansatz von Liquidationswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Aussagegehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
157 157 158 158 159 160 161 161 162 162 166 169 171 171 172 173 173 173 175
Inhaltsverzeichnis
13
cc) Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Die Bedeutung der Erfolgsorientierung (§ 283 Abs. 6) . . . (2) Die Bedeutung der Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Die Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Rechtsfolgenlösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die zweistufigen Überschuldungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Prognoseelement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Der herkömmliche zweistufige Überschuldungsbegriff . . . . . . . (1) Der Fall der negativen Fortbestehensprognose . . . . . . . . . . . (2) Der Fall der positiven Fortbestehensprognose . . . . . . . . . . . . (a) Das Substanzwertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Aussagegehalt der rechnerischen Überschuldung nach Substanzwerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (cc) Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (dd) Exkurs: Die Interessenlage bei den Eröffnungstatbeständen der InsO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Das Ertragswertverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (aa) Der Aussagegehalt der rechnerischen Überschuldung nach Ertragswerten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (bb) Gläubigerschutz und Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . (cc) Wertungswiderspruch zwischen beiden Überschuldungssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff . . . . . . . . . (1) Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Strafwürdigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidung zugunsten des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Ausgestaltung der Fortführungsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Praktikabilität und Nachweisbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tatbestandsbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. De lege ferenda: zum Verhältnis von Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
176 177 178 180 183 184 184 186 186 187 188 188 189 190 191 194 194 195 196 197 197 198 198 198 199 201 205 208
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233
Abkürzungsverzeichnis a. A. Abs. AE a. E. a. F. AG AktG Alt. Anm. AO Art. AT Aufl. BayObLG BayVerfGH BB Bd. Begr. RegE. BFHE BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BR-DrS. BT BT-DrS. BuW BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE bzw. DB ders. d. h.
anderer Ansicht Absatz Alternativentwurf am Ende alter Fassung Aktiengesellschaft; Die Aktiengesellschaft Aktiengesetz Alternative Anmerkung Abgabenordnung Artikel Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landgericht Bayerischer Verfassungsgerichtshof Der Betriebs-Berater Band Begründung zum Regierungsentwurf Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesratsdrucksache Besonderer Teil Bundestagsdrucksache Betrieb und Wirtschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts beziehungsweise Der Betrieb derselbe das heißt
Abkürzungsverzeichnis dies. DJT DRiZ DStR DtZ DZWIR ebd. EGInsO Einl. EInsO e.V. f., ff. FK-InsO Fn. FS GA gem. GG GmbH GmbHG GmbHR GS GoB GVG HdWW HGB HK-InsO h. M. Hrsg. Hs. IDW InsO InsR i. S. d. i.V. m. InVo JA JR Jura JuS JW JZ
dieselbe(n) Deutscher Juristentag Deutsche Richterzeitung Deutsches Steuerrecht Deutsch-deutsche Rechtszeitschrift Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht ebenda Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Einleitung Insolvenzordnung (Entwurf) eingetragener Verein folgende(r) Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Festschrift Goltdammers Archiv für Strafrecht gemäß Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Gedächtnisschrift Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung Gerichtsverfassungsgesetz Handbuch der Wirtschaftswissenschaften Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung herrschende Meinung Herausgeber; herausgegeben Halbsatz Institut der Wirtschaftsprüfer Insolvenzordnung Insolvenzrecht im Sinne des/der in Verbindung mit Insolvenz & Vollstreckung Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung
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16 KG KO KTS LG LK MDR m.w. N. NJW NJR-RR NK Nr. NStZ NZG NZI OHG OLG RegE RGSt RGZ Rn. Rspr. Rz. S. SK s. o. sog. Sp. StGB StPO st. Rspr. StuW StV s. u. u. a. u. U. UStG vgl. VglO Vorbem. WiKG wistra WM
Abkürzungsverzeichnis Kommanditgesellschaft Konkursordnung Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Landgericht Leipziger Kommentar Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen Neue Juristische Wochenschrift NJW Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nomos Kommentar Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Regierungsentwurf Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Randnummer Rechtsprechung Randzeichen Satz; Seite; siehe Systematischer Kommentar siehe oben sogenannte (-r; -s; -n) Spalte Strafgesetzbuch Strafprozessordnung ständige Rechtsprechung Steuer und Wirtschaft Strafverteidiger siehe unten und andere unter Umständen Umsatzsteuergesetz vergleiche Vergleichsordnung Vorbemerkungen Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wertpapiermitteilungen
Abkürzungsverzeichnis WPg z. B. ZfB ZGR ZHR Ziff. ZInsO ZIP ZPO ZRP ZStW ZVG z. Z. ZZP
Die Wirtschaftsprüfung zum Beispiel Zeitschrift für Betriebswirtschaftslehre Zeitschrift Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Insolvenzrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zwangsversteigerungsgesetz zur Zeit Zeitschrift für den Zivilprozess
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Einleitung Zu den wesentlichen Tatbestandsmerkmalen der Insolvenzstraftatbestände der §§ 283 ff. StGB1 gehören die Begriffe Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit, die sog. Krisenbegriffe. Sie markieren als Umschreibung einer kritischen wirtschaftlichen bzw. finanziellen Situation den Zeitpunkt, von dem an bestimmte, in den §§ 283 ff. umschriebene Verhaltensweisen des Schuldners mit einem strafbewehrten Verbot belegt werden. Die Auslegung der Krisenbegriffe hat insofern wesentlichen Einfluss darauf, wie weit der Bereich des Strafbaren ausgedehnt wird. Die Begriffe Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit finden sich wortgleich auch in den §§ 17 bis 19 InsO, in denen sie als Insolvenzgründe fungieren. Sie umschreiben dort die wirtschaftliche bzw. finanzielle Situation der Insolvenzreife und damit den Zeitpunkt, von dem an über das Vermögen eines Schuldner(unternehmen)s ein Insolvenzverfahren eröffnet werden muss bzw. – im Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit normiert § 18 InsO lediglich ein Antragsrecht des Schuldners – werden kann. Die begriffliche Kongruenz der insolvenzstrafrechtlichen Krise und der zivilrechtlichen Insolvenzreife nach Inkrafttreten der InsO am 1.1.1999 führte zu einem gesteigerten Interesse auch des strafrechtlichen Schrifttums an der Inhaltsbestimmung der Begriffe Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Vor allem die neu eingefügten gesetzlichen Definitionen dieser Begriffe in die InsO ließen die Frage nach möglichen Auswirkungen auch auf die Interpretation der Krisenbegriffe der §§ 283 ff. aufkommen. Obgleich diese Frage bereits mehrfach auch im Rahmen umfangreicher Abhandlungen2 behandelt wurde, wird vielfach auch einige Jahre nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung diese Frage als noch nicht hinreichend geklärt angesehen.3 Mit 1 Paragraphenangaben ohne Zusatz einer Gesetzesbezeichnung beziehen sich auf das StGB. 2 s. etwa die Monographien von Moosmayer, Einfluss der Insolvenzordnung 1999 auf das Insolvenzstrafrecht, Pfaffenweiler 1997; Penzlin, Strafrechtliche Auswirkungen der Insolvenzordnung, Herbolzheim 2000; Plathner, Der Einfluss der Insolvenzordnung auf den Bankrottatbestand (§ 283 StGB): zugleich ein Beitrag zur Zivilrechtsakzessorietät des Strafrechts, Hamburg 2002; Röhm, Zur Abhängigkeit des Insolvenzstrafrechts von der Insolvenzordnung, Herbolzheim 2002. 3 Lackner/Kühl, § 283 Rn. 5; Rönnau, NStZ 2003, 525, Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 50a; Wegner, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, S. 495 f.; vgl. auch Degener, in: FS-Rudolphi, S. 405 ff.
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Einleitung
dieser Arbeit soll ein weiterer Beitrag zur Aufhellung dieser Problematik geleistet werden. Um den Inhalt der insolvenzstrafrechtlichen Krisenbegriffe zu bestimmen, soll – kurz umrissen – wie folgt vorgegangen werden: Den Anfang der Arbeit bildet eine Darstellung der Grundzüge der Insolvenzordnung, ihrer Regelungsintention und Gesetzessystematik, die für das richtige Verständnis der sie in bestimmten Aspekten unterstützenden Insolvenzstraftatbestände unerlässlich sind. Aus diesen Grundzügen der Insolvenzordnung sollen zunächst Aufschlüsse über die von den Insolvenzstraftatbeständen geschützten Rechtsgüter gewonnen werden, die es sodann zu bestimmen gilt. Sind die Zwecksetzungen sowohl der zivilrechtlichen als auch der strafrechtlichen Normenkomplexe, in die die Begriffe jeweils eingebettet sind, hinreichend präzise herausgearbeitet, wird im Anschluss zunächst die Frage zu klären sein, in welchem Verhältnis die strafrechtliche Begriffsbildung generell zu derjenigen anderer Rechtsgebiete steht. Die Auslegungsspielräume würden von vornherein erhebliche Einschränkungen erfahren, müsste man von einer Abhängigkeit der strafrechtlichen von der durch die Legaldefinitionen verengten insolvenzrechtlichen Begriffsbildung ausgehen. Sodann werden die einzelnen Krisenbegriffe einer insbesondere an den spezifisch strafrechtlichen Wertmaßstäben und den teleologischen Bezügen der Bankrottdelikte ausgerichteten Auslegung unterzogen. Hierbei werden auch die Unterschiede gegenüber der insolvenzrechtlichen Interessenlage aufgezeigt werden. Nicht zuletzt darauf, dass Unklarheit darüber herrscht, wo die Verschiebungen der bankrottstrafrechtlichen gegenüber der insolvenzrechtlichen Interessenlage liegen, dürfte die immer noch anzutreffende Rechtsunsicherheit beruhen.
1. Teil
Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung A. Die Ziele des Insolvenzverfahrens Im Unterschied zur Konkursordnung enthält die Insolvenzordnung in § 1 eine allen Vorschriften vorangestellte Zielbestimmung: Als Ziele des Insolvenzverfahrens werden dort zum einen die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger eines Schuldner (§ 1 S. 1 InsO) und zum anderen die Gelegenheit des Schuldners, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien (§ 1 S. 2 InsO), genannt. Die Erläuterung dieser Zielbestimmungen hat sich insbesondere an der Begründung des Regierungsentwurfs4 zur InsO vom 15.04.1992, mit dem das förmliche Gesetzgebungsverfahren eingeleitet wurde, und am Bericht über die Beratungen des Rechtsausschusses5 vom 19.04.1994, der den Regierungsentwurf einer wesentlichen Straffung unterzog, zu orientieren. Diese können als „Motive“ der endgültigen Gesetzesfassung der Insolvenzordnung angesehen werden, wurde doch von den Anrufungsgründen des Bundesrats vom Vermittlungsausschusses nur noch eine Verschiebung des Inkrafttretens auf den 01.01.1999 berücksichtigt, inhaltlich aber keine Veränderung des Gesetzes mehr bewirkt.6
I. Gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger Durch die Benennung der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger eines Schuldners als Verfahrensziel unterscheidet sich das Insolvenzverfahren als Gesamtvollstreckung von der Einzelzwangsvollstreckung, bei der einzelne Gläubiger nach dem Präventions- oder Prioritätsprinzip des § 804 Abs. 3 ZPO auf einzelne Vermögensgegenstände des Schuldners zugreifen. Verdeutlicht wird diese klare Grenzziehung zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung durch die Regelung des § 89 Abs. 1 InsO, der die Zwangsvollstreckung einzelner Gläubiger in das Schuldnervermögen für die Dauer des Insolvenzverfahrens für unzulässig erklärt. 4 5 6
BT-DrS. 12/2443 = BR Drs. 1/92. BT-DrS. 12/7302. Zur Geschichte der Insolvenzrechtsreform vgl. Hofmann, DRiZ 1994, 411 ff.
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
Das in der Einzelzwangsvollstreckung geltende Präventionsprinzip wird denn auch in der Gesamtvollstreckung durch den Grundsatz der gleichmäßigen Konkurrenz aller Gläubiger ersetzt, um den dem Rechtsfrieden abträglichen Kampf aller gegen alle zu verhindern und eine gleichmäßige Befriedigung der Forderungen aller Gläubiger zu erreichen.7 Zu letzterer nämlich wäre die Einzelzwangsvollstreckung in der Insolvenz gerade nicht geeignet, ist doch Wesensmerkmal der Insolvenz, dass das Schuldnervermögen nicht zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger ausreicht. So würden bei Zugrundelegung des Präventionsprinzips die Forderungen der schnellsten Gläubiger voll befriedigt, während die übrigen leer ausgingen.8 Daher wird in der Gesamtvollstreckung die Einzelinitiative der Gläubiger abgelöst durch die Gesamtinitiative (den Konkurs; lat. concurrere) der Gläubigergemeinschaft, namentlich die Gläubigerversammlung und den Gläubigerausschuss.9 1. Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung Reicht aber das Schuldnervermögen in der Insolvenz nicht zur vollständigen Befriedigung aller Gläubiger aus, so bedeutet eine gemeinschaftliche Befriedigung immer auch eine unvollständige, bloß anteilige Befriedigung der Gläubiger. Das Insolvenzrecht geht bei der Bestimmung des auf jeden Gläubiger entfallenden Anteils am verwertbaren Schuldnervermögen von dem das gesamte Insolvenzverfahren durchziehenden Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger aus, der „par condicio creditorum“10: Jeder Gläubiger soll den gleichen Prozentsatz seiner Forderungen erfüllt erhalten.11 a) Grundlagen des Gleichbehandlungsgrundsatzes Betrachtet man den Gleichbehandlungsgrundsatz in seiner geschichtlichen Entwicklung, so fällt es schwer, ihn als das den Konkurs seit jeher konstituierende Gerechtigkeitsprinzip zu bezeichnen. Vielmehr wurde er vielerorts durch eine Zunahme dinglicher Vorzugsrechte und konkursrechtlicher Vorrechte durchbrochen und konnte sich im deutschen Recht erst allmählich gegen das Prioritätsprinzip durchsetzen. Eine entschiedene Wendung gegen die Konkursvorrechte der späten gemeinrechtlichen und partikularrechtlichen Konkursver7
Baur/Stürner, Rz. 1.2. Bork, InsR, Rn. 1. 9 Baur/Stürner, Rz. 1.2. 10 Vollständig lautet die vielzitierte Digestenstelle L. 6 § 7 D. quae in fr. cred. (42, 8) Ulp.: „cum iam par condicio omnium creditorum facta esset“; sie bezog sich auf das Verbot, nach Einweisung der Gläubiger in das Gut des Schuldners zu Lasten der übrigen Gläubiger Einzelbefriedigung zu suchen. 11 Uhlenbruck, in: FS 100 Jahre KO, S. 8. 8
A. Die Ziele des Insolvenzverfahrens
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fahren findet sich erst in der Konkursordnung von 1877, in deren Motiven die Beseitigung aller Vorrechte als das Ziel der Gesetzgebung bezeichnet wird,12 die aber gleichwohl nicht ohne die Statuierung einer Vorrechtsordnung auskam. Dennoch wird der Grundsatz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung heute im Insolvenzrecht als tragendes und beherrschendes Prinzip angesehen.13 Zur Begründung der Gläubigergleichbehandlung wird gemeinhin auf den Zusammenschluss der Gläubiger zu einer Interessen- oder Verlustgemeinschaft14 abgestellt: Die förmlich festgestellte Insolvenz des Schuldners verbinde die Gläubiger unfreiwillig zu einer Gemeinschaft, deren divergierende Einzelinteressen nun durch das gemeinsame Interesse, das restliche Vermögen des Schuldners unter Ausschluss neuer Gläubiger gemeinschaftlich gerecht zu verteilen, überlagert würden.15 Da die Gläubiger im Konkurs rein zufällig zusammenträfen, scheitere die Annahme eines Gesellschaftsverhältnisses an der fehlenden Zweckvereinbarung der Gläubiger; das gemeinsame Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung werde vielmehr von außen an die Beteiligten, die communio incidens, herangetragen.16 Auch handele es sich mangels eines gemeinsamen Rechtes nicht um eine Rechtsgemeinschaft i. S. d. §§ 741 ff. BGB, da weder das Eigentum an der Masse auf die Gläubiger übergeht noch ein gemeinsames Pfandrecht der Gläubiger an ihr entsteht.17, 18 b) Verwirklichung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in der InsO Für die konkrete Rechtsdurchsetzung ist indes die viel entscheidendere Frage, in welcher Form dieses Grundprinzip des Insolvenzrechts im geltenden Recht 12
Hahn, Motive, S. 253. BGHZ 88, 147, 151; 41, 98, 101; Bork, InsR, Rn. 2; Kilger, ZRP 1976, 192; Kuhn/Uhlenbruck, § 3 Rn. 3; Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 239; zweifelnd etwa Flessner, ZIP 1981, 117 f.; Stürner, ZZP 94 (1981), 269 ff. 14 Berges, KTS 1957, 52; Gottwald, in: FS-Giger, S. 196; Hueck, S. 137 f.; Wüst, S. 45. 15 Gottwald, in: FS-Giger, S. 196; vgl. Wüst, S. 102. 16 Berges, KTS 1957, 50; Wiedemann, S. 13. 17 Berges, KTS 1957, 50; Uhlenbruck, InsR, Rn. 614. 18 Ein materialer Grund für die Gläubigergleichbehandlung und wechselseitige Verlustzuweisungen wird damit allerdings noch nicht geliefert. Nach Häsemeyer (KTS 1982, 507 ff. und InsR, Rz. 2.17 ff.; ihm folgend Smid, InsO, § 1 Rn. 34 und Grundzüge, Rn. 16) zwingt nicht erst die im Insolvenzverfahren zutage tretende Forderungskonkurrenz zur Gleichbehandlung, sondern bereits die mit der Begründung, Verfolgung und Durchsetzung jeder einzelnen Forderung notwendig verbundene Einflussnahme auf das Vermögen und die Geschäftspolitik des Schuldners und dessen Haftung. Die hieraus folgende wechselseitige Verantwortung der Insolvenzgläubiger für die nicht vollständige Tilgung aller Forderungen könne nur durch wechselseitiggleichmäßige Kürzungen ausgeglichen werden. 13
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
der Insolvenzordnung verwirklicht ist. Zu Beantwortung dieser Frage soll das Augenmerk zum einen auf die den Gleichbehandlungsgrundsatz ausformenden Regelungen der InsO gerichtet werden, zum anderen auf die Entwicklung von der Konkursordnung zur Insolvenzordnung. aa) Die Regelungen der InsO In der Insolvenzordnung finden sich an einigen Stellen Spuren des Gleichbehandlungsgrundsatzes, explizit erwähnt wird er hingegen nicht:19 Zunächst legt § 1 S. 1 InsO, wie früher bereits § 3 Abs. 1 KO, ausdrücklich die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger und damit eine wesentliche Voraussetzung der Gläubigergleichbehandlung fest. Ferner kann man aus den Normen, die das Verbot der Einzelzwangsvollstreckung beinhalten (§§ 89 Abs. 1, 294 InsO; früher § 14 KO), den Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung ableiten und schließlich ergibt sich die anteilige Befriedigung indirekt aus den §§ 38, 187, 188, 195, 196 InsO (früher etwa § 61 Abs. 2 S. 2, 149 ff., 159 KO).20 Demgegenüber darf allerdings nicht übersehen werden, dass auch die InsO eine deutliche rangmäßige Abstufung enthält, die von der Aussonderung (§ 47 InsO) über die Absonderung (§§ 49 ff. InsO) und die Masseverbindlichkeiten (§§ 53 ff. InsO) zu den normalen Insolvenzgläubigern (§ 38 InsO) und schließlich zu den nachrangigen Insolvenzgläubigern (§ 39 InsO) verläuft. Der Gleichbehandlungsgrundsatz, so wie die Insolvenzordnung ihn kennt, ist demgemäß nicht auf die strikte, sich in einer für alle Gläubiger einheitlichen, der Höhe ihrer Forderung entsprechenden Quote niederschlagenden, formale Gleichbehandlung aller Gläubiger ausgerichtet, sondern eher im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit zu verstehen. So wird denn auch in der Literatur auf den im Grundsatz gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung enthaltenen Gleichheitssatz21 verwiesen, der nicht nur die Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte verlange, sondern auch, dass Ungleiches ungleich behandelt wird; die Differenzierung sei also gerade Gebot des Gleichheitssatzes.22 Eine Privilegierung müsse allerdings durch besondere sachliche Gesichtspunkte gerechtfertigt sein und nicht – wie 19 So auch in der KO, vgl. die angegebenen Vorschriften; die VerglO hingegen erhob den Gleichbehandlungsgrundsatz ausdrücklich zum Maßstab der Zulässigkeit des Vergleichs (§ 8 VerglO) und damit zum grundlegenden Befriedigungsprinzip. 20 Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 239; vgl. Wüst, S. 60 Fn. 4. 21 Die Verbindung ergibt sich daraus, dass die Pflicht des Staates, dem Gläubiger zur Durchsetzung seiner Forderung zu verhelfen, in der Insolvenz des Schuldners gleichermaßen gegenüber allen Gläubigern besteht, so dass gemäß Art. 3 Abs. 1 GG das Insolvenzverfahren in einer Weise ausgestaltet sein muss, die die Gleichbehandlung aller Gläubiger im Hinblick auf die Haftungsverwirklichung gewährleistet; vgl. Basty, S. 27. 22 Prütting, in: Kölner Schrift, S. 240; Stürner, ZZP 94 (1981), 270.
A. Die Ziele des Insolvenzverfahrens
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beim Prioritätsprinzip der Einzelzwangsvollstreckung – dem Zufall zu verdanken sein.23 Auch die Begründung zum Regierungsentwurf weist ausdrücklich darauf hin, dass ein modernes, marktkonformes Insolvenzverfahren zwecks Vermeidung von ungerechtfertigten Vermögensverlagerungen keinen „klassenlosen Konkurs“ kenne.24 bb) Die Entwicklung von der KO zur InsO Da die gleichmäßige Gläubigerbefriedigung in der KO jedoch in vielerlei Hinsicht nur unvollkommen verwirklicht war und die Privilegierung verschiedener Gläubigergruppen nicht (mehr) durch hinreichende sachliche Gesichtspunkte gerechtfertigt war, zielten auch die Reformbestrebungen des Gesetzgebers auf deren Wiederherstellung:25 An erster Stelle ist hier die Abschaffung der Konkursvorrechte (außer der Sozialplanansprüche,26 die nunmehr zu Masseforderungen erhoben sind, § 123 Abs. 2 S. 1 InsO) des § 61 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 KO und anderer gesetzlicher Vorschriften27 zu nennen,28 die schon in den Motiven als „schlimmes Übel“ angesehen wurden29 und als Durchbrechung des Prinzips gleichmäßiger Befriedigung anerkanntermaßen eng auszulegen waren30. So ist auch bei der Schaffung der InsO erkannt worden, dass eine dem sozialen Schutzbedürfnis im Einzelfall gemäße Einordnung von Gläubigerklassen in einen Privilegienkatalog unmöglich und jede Vorrechtsordnung letztlich willkürlich erscheint, zumal die Entscheidung über Vor- oder Nachrang bei den heutigen Masseverhältnissen i. d. R. auf eine Entscheidung über „Alles oder Nichts“ hinausläuft.31 Eine weitere mehr Verteilungsgerechtigkeit versprechende Maßnahme stellt auch die Neuregelung des Anfechtungsrechts dar. Ein Zusammenhang liegt hier bereits insofern nahe, als dass man die Insolvenzanfechtung als Mittel zur Ver23 Baur/Stürner, Rz. 5.37; vgl. Häsemeyer, KTS 1982, 567, nach dessen Terminologie eine Differenzierung nur zulässig ist, wenn besondere Enthaftungsgründe vorliegen, die von der Ausgleichshaftung unter den Gläubigern dispensieren. 24 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 81. 25 So explizit Prütting, in: Kölner Schrift zur InsO, S. 240; vgl. Häsemeyer, InsR, Rz. 2.17. 26 Früher gemäß § 4 S. 1 SozPlG mit dem Rang des § 61 Abs. 1 Nr. 1 KO zu berichtigen. 27 Vgl. die vollständige Auflistung in Kuhn/Uhlenbruck, § 61 Rn. 8 ff. 28 Vgl. die allgemeine Begründung zum Referentenentwurf, in: Balz/Landfermann, S. 16. 29 Hahn, Motive, S. 253. 30 RGZ 62, 229, 231; 135, 305, 307; 150, 99, 102; BVerfGE 64, 182, 192; BGHZ 52, 155, 166; BAGE 17, 84, 89; 35, 98, 102; Jaeger/Lent, § 61 Rn. 14; Kuhn/Uhlenbruck, § 61 Rn. 1. 31 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 90.
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
wirklichung der Gläubigergleichbehandlung im Vorfeld des Insolvenzverfahrens begreifen kann.32 Die neuen Vorschriften der §§ 129 ff. InsO steigern die Wirksamkeit des Anfechtungsrechts etwa durch den partiellen Wegfall subjektiver Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. § 131 Abs. 1 Nr. 1, 2 InsO),33 die Erweiterung des Kreises nahestehender Personen (vgl. § 138 InsO), die z. T. vorgenommene Erweiterung des Zeitraumes vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, innerhalb dessen vorgenommene Rechtshandlungen der Anfechtung unterliegen und schließlich durch die Ersetzung der bislang geltenden Ausschlussfrist von einem Jahr seit Konkurseröffnung durch eine dreijährige Verjährungsfrist (§ 146 Abs. 1 InsO).34 Auch die Neuregelung der Rechtsstellung absonderungsberechtigter Gläubiger besitzloser Mobiliarsicherheiten in der Insolvenz, insbesondere deren im Konkurs-, Vergleichs- und Gesamtvollstreckungsrecht nicht vorgesehene Kostenbeitragspflicht, erweist sich als für den Gleichbehandlungsgrundsatz relevant. Gemäß § 171 InsO werden sie mit Feststellungskosten für die tatsächliche Ermittlung und Trennung des belasteten Gegenstandes sowie die Prüfung der Rechtsverhältnisse an ihm, die pauschal mit 4% bezogen auf den Verwertungserlös angesetzt werden, und mit 5% für die Verwertung des Sicherungsgutes belastet.35 Darüber hinaus umfassen die Verwertungskosten auch die bei der Durchführung der Verwertung von Sicherungsgut anfallende Umsatzsteuer, die dem Fiskus früher als Masseforderung zustand und nunmehr zusätzlich zur Verwertungskostenpauschale in der tatsächlich entstandenen Höhe veranschlagt wird. Mit dieser Neuverteilung der Kosten- und Umsatzsteuerlast36 verfolgte der Gesetzgeber das Ziel, die Insolvenzmasse von den oftmals erheblichen Bearbeitungskosten, die mit der Verwertung von Gegenständen i. S. d. § 166 InsO verbunden sind, zu entlasten.37 Der frühere Rechtszustand wurde schon in der Ver32
Baur, S. 107 f., 110 f.; Bork, InsR, Rn. 204; Häsemeyer, InsR, Rz. 2.15. Der Vorschlag des RegE (BT-DrS. 12/2443, S. 156), den Nachweis der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen durch die Gleichstellung der grob fahrlässigen Unkenntnis mit der Kenntnis der Krisentatsachen „Zahlungsunfähigkeit“ und „Eröffnungsantrag“ zu erleichtern, hat sich allerdings nicht durchgesetzt. Stattdessen ist nur die Kenntnis von Umständen, die auf das Vorliegen der Krisenmerkmale zwingend schließen lassen, der positiven Kenntnis gleichzuachten, da der unscharfe Begriff der groben Fahrlässigkeit vermieden werden sollte (s. Bericht über die Beratungen des Rechtsausschusses, BT-DrS. 12/7302, S. 173). 34 Vgl. zur Verschärfung der Anfechtungsvorschriften HK-InsO/Kreft, § 129 Rn. 2 und Gerhardt, in: FS-Brandner, S. 605 ff. 35 Letztere Pauschale ist als widerlegliche Vermutung ausgestaltet, die bei Nachweis einer erheblichen Abweichung durch die tatsächlich entstandenen Kosten ersetzt wird (§ 171 Abs. 2 S. 2 InsO). 36 Z. Z. – bei 19% Umsatzsteuer – immerhin 28% des Bruttoerlöses aus der Verwertung des Sicherungsgutes. 37 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 89. 33
A. Die Ziele des Insolvenzverfahrens
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gangenheit als unbillig angesehen, da er die Quote der ungesicherten Gläubiger minderte und ihnen die Kosten für die abgesonderte Befriedigung privilegierter Gläubiger aufbürdete.38 Insoweit erhöht auch diese Neuregelung die Verteilungsgerechtigkeit.39 In diesen Zusammenhang gehört schließlich die nunmehr auch faktisch beim Insolvenzverwalter liegende Verwertungsbefugnis,40 wenn dieser im Besitz des Sicherungsgutes oder Inhaber der Forderung ist, § 166 InsO: Auch diese Regelung dient neben dem Zweck, das Schuldnervermögen zur Verbesserung der Sanierungschancen zusammenzuhalten,41 als technisches Hilfsmittel zur Durchsetzung der Kostenbeteiligung der Sicherungsgläubiger.42 Nicht verschwiegen werden soll, dass die Neubestimmung der Rechtstellung der gesicherten Gläubiger nicht einseitig durch deren Belastung geprägt ist, sondern ihnen im Gegenzug auch Rechte zugebilligt werden43 und vor allem ihre grundsätzliche Vorrangstellung gegenüber ungesicherten Gläubigern völlig unangetastet bleibt. So betont die Begründung zum Regierungsentwurf, dass die Regelungen nicht der Verlagerung von Vermögenswerten gesicherter auf ungesicherte Gläubiger oder den Schuldner diene.44 Der Grundtendenz nach stellt ihre Einbeziehung in das Insolvenzverfahren jedoch eine Entmachtung der absonderungsberechtigten Gläubiger zugunsten einer wirtschaftlich sinnvollen Masseverwertung und mehr Verteilungsgerechtigkeit dar. Neben dieser – nicht abschließenden – Aufzählung solcher Maßnahmen, bei denen die Stärkung der Verteilungsgerechtigkeit offensichtlich Motivation des Gesetzgebers war, soll das Augenmerk noch auf einen weiteren Gesichtspunkt gelenkt werden, der die Gläubigergleichbehandlung gleichfalls, wenn auch nur mittelbar, berührt: So setzt das Prinzip der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung außerdem voraus, dass eine relevante Insolvenzmasse vorhanden ist, damit 38 Vgl. BGHZ 77, 139, 150; Stürner, ZZP 94 (1981), 273; so schließlich auch der RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 89. 39 Lwowski/Heyn, WM 1998, 480. 40 Die als Ausnahme formulierte Regelung des § 127 Abs. 2 KO, nach der die Verwertungsbefugnis auf den absonderungsberechtigten Gläubiger überging, falls zwischen ihm und dem Schuldner die Berechtigung zur außergerichtlichen Verwertung vereinbart worden ist, stellte in der Praxis die Regel dar, vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 127 Rn. 1, § 6 Rn. 52. 41 Rund vier Fünftel des bei insolventen Schuldnern vorgefundenen und betrieblich genutzten Vermögens sind mit Aus- oder Absonderungsrechten belastet, vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 86. 42 HK-InsO/Landfermann, § 166 Rn. 4 ff. 43 Insbesondere die auf Information des gesicherten Gläubigers gerichteten Ansprüche der §§ 167 f. InsO, die darin enthaltene Einflussmöglichkeit auf die Verwertung in Form des Gläubigerhinweises (§ 168 Abs. 1 S. 2 InsO) und der Zinsanspruch zur finanziellen Kompensation einer Verwertungsverzögerung durch den Verwalter (§ 169 InsO). 44 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 86.
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
es überhaupt zu einer sinnvollen Verteilung kommen kann.45 Gerade in der Massearmut vieler Konkursverfahren lag daher ein zentraler Vorwurf gegen das frühere Konkursrecht und die Denaturierung des gleichmäßigen Verteilungsverfahrens.46 Häufige Ablehnung der Konkurseröffnung mangels Masse und Konkursquoten von durchschnittlich 3% in den durchgeführten Verfahren führten dazu, dass für die einfachen Konkursgläubiger der Grundsatz gleichmäßiger Gläubigerbefriedigung in wirtschaftlicher Hinsicht nicht mehr galt.47 Demgemäß lag ein weiterer Schwerpunkt der Insolvenzrechtsreform darin, die zu verteilende Insolvenzmasse durch verschiedene, sogleich darzustellende Maßnahmen anzureichern. Auch sie können mithin als Förderung der Verteilungsgerechtigkeit angesehen werden. 2. Bestmögliche Befriedigung der Gläubiger Bestimmt § 1 S. 1 InsO als Verfahrensziel die „gemeinschaftliche Befriedigung“ der Gläubiger, so darf man über dem Aspekt der Gemeinschaftlichkeit der Befriedigung nicht übersehen, dass die Insolvenzordnung außerdem ganz entschieden auf die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger ausgerichtet ist,48 wie die zahlreichen Maßnahmen zur Masseanreicherung in der Insolvenzordnung belegen49. Hier zeigt sich der Charakter des Insolvenzrechts als Verfahrensrecht, welches immer dazu bestimmt ist, dem materiellen Recht zur Durchsetzung zu verhelfen. Im Bereich des Zivilrechts ist es also auf die vollständige Erfüllung der wie auch immer gearteten materiellen Vermögensansprüche der Gläubiger gerichtet.50
II. Gelegenheit zur Restschuldbefreiung Neben das Ziel der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger ist durch das Inkrafttreten der Insolvenzordnung ein weiterer Zweck getreten: Gemäß § 1 S. 2 InsO soll dem redlichen Schuldner Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien. Ziel des Insolvenzverfahrens ist 45
Diesen Aspekt betont Prütting, in: Kölner Schrift, S. 239 f. s. nur RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 72. 47 Prütting, in: Kölner Schrift, S. 239. 48 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 108. 49 Als solche Maßnahmen seien insbesondere genannt: die Verschärfung der bestehenden Eröffnungsgründe durch deren Legaldefinition und die Einführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Eröffnungsgrund (§§ 17–19 InsO); die Einbeziehung des Neuerwerbs des Schuldners während des Insolvenzverfahrens als Insolvenzmasse i. S. d. § 35 InsO; die Verschärfung des Insolvenzanfechtungsrechts (§§ 129 ff. InsO) gegenüber der KO; die Kostenbeteiligung gesicherter Gläubiger (§ 171 InsO). 50 Dorndorf, in: FS-Merz, S. 33. 46
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
29
es also auch, dem redlichen Schuldner unter bestimmten Voraussetzungen einen teilweisen Forderungserlass zu gewähren, um ihm einen „fresh start“ zu ermöglichen.51 Hierfür steht entweder der vom Einvernehmen der Gläubiger unabhängige Weg der gesetzlichen Restschuldbefreiung gemäß den §§ 286 ff. InsO zur Verfügung oder aber der Weg der Vereinbarung der Restschuldbefreiung in einem Insolvenzplan, der von der Zustimmung der Gläubiger abhängig ist, vgl. §§ 235 ff. InsO. Zwar führt die Einführung des gesetzlichen Restschuldbefreiungsverfahrens und die Erhebung der Restschuldbefreiung zum Verfahrensziel52 nicht zur Beeinträchtigung des weiteren Verfahrenszwecks der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger. Jedoch bedeutet sie eine Abkehr vom uneingeschränkten Recht auf freie Nachforderung gemäß § 201 InsO (vormals § 164 Abs. 1 KO) und zeitigt somit Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Gläubiger nach Abschluss des Insolvenzverfahrens: Die Restschuldbefreiung führt über das Insolvenzverfahren hinaus zu einer Verschiebung der Gewichtung zulasten der Gläubigerinteressen, die auf eine möglichst vollständige Befriedigung gerichtet sind, zugunsten des Schuldnerinteresses an einem unbelasteten Neuanfang.53
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung I. Die verschiedenen Arten der Verwertung des Schuldnervermögens Die Gläubigerbefriedigung erfolgt im Insolvenzverfahren durch die Verwertung des Schuldnervermögens, wozu nach der Insolvenzordnung drei Wege zur Verfügung stehen: Zum einen die Liquidation des Vermögens, zum anderen – bei Unternehmen – die Reorganisation in Form der Sanierung und der übertragenden Sanierung. Diese Möglichkeiten sollen den Gläubigern, die gem. § 157 InsO über sie zu befinden haben, nach den Vorstellungen des Gesetzgebers durch den neutralen Rechtsrahmen der InsO völlig gleichrangig angeboten werden.54 Welcher dieser Verwertungsformen der Vorzug gegeben wird, hängt von der u. U. diffusen Interessenlage der Gläubiger im Einzelfall ab:
51
Gerhardt, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 2. Ob es sich dabei um ein gleichrangiges Verfahrensziel handelt, ist allerdings zweifelhaft; vgl. Häsemeyer, InsR, Rz. 1.12, der die Rettung der Schuldnerexistenz der Haftungsverwirklichung nachordnet und anführt, dass ein Insolvenzverfahren mit reiner Entschuldungsfunktion schon deshalb nicht in Betracht komme, weil der Gesetzgeber die Forderungen der Insolvenzgläubiger nicht einfach konfiszieren dürfe. 53 Gerhardt, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 2. 54 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 77 f. 52
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
Diese wird zunächst durch die Befriedigungsquote bestimmt, die die einzelnen Verwertungsmöglichkeiten erwarten lassen. Insofern ist notwendige Bedingung für die Entscheidung zugunsten einer (übertragenden) Sanierung, dass der Fortführungswert des Unternehmens den Liquidationswert übersteigt. Wirtschaftlich sinnvoll ist eine Sanierung in Hinblick auf die Befriedigungsquote erst dann, wenn das investierte Kapital bei der Sanierung mindestens den gleichen Ertrag bringt wie bei dessen alternativem Einsatz. Für die Gläubiger bedeutet dies, dass sie sich das „schnelle Geld“ einer bei der Liquidation zu erzielenden Quote regelmäßig nur dann entgehen lassen, wenn sie sich von der Sanierung mehr versprechen, als sie beim günstigsten anderweitigen Einsatz ihrer Quote – etwa auf dem Kapitalmarkt – erzielen würden.55 Auch der für die Realisierung der Befriedigungsquote erforderliche Zeitraum ist von Bedeutung für die Verwertungsentscheidung. So werden gesicherte Gläubiger bei sofortiger Liquidation geringere Verluste zu befürchten haben als ungesicherte Gläubiger, die demzufolge einer langwierigen Sanierung gegenüber aufgeschlossener sein werden.56 Schließlich können nicht nur Vermögensinteressen eine Rolle spielen, die die bestehenden Forderungen gegen den Gesamtschuldner betreffen, sondern auch sonstige – i. d. R. ebenfalls wirtschaftliche – Interessen der Gläubiger: So kann etwa der Erhalt von Geschäftsbeziehungen für einen Gläubiger große wirtschaftliche Bedeutung haben, wenn es sich bei dem Schuldner um einen wichtigen Kunden handelt57 oder erhebliche synergetische Vorteile für das Unternehmen des Gläubigers zu erwarten sind58. Arbeitnehmern, die gegen ihren krisenbefangenen Arbeitgeber ausstehende Lohnforderungen haben, wird der Erhalt ihres Arbeitsplatzes weit wichtiger sein als die durch eine Liquidation schnell zu erzielende Quote.59 Insbesondere für Banken kann die unterlassene Beteiligung an einer Sanierung zu beträchtlichen Verlusten an geschäftlichem Prestige führen60 und zudem die Gefahr von „Sekundär-Konkursen“ bestehen: Durch die Primär-Insolvenz können weitere Kredite, die an andere, mit dem akut gefährdeten Unternehmen verbundene Unternehmen vergeben wurden, notleidend werden61.
55 56 57 58 59 60 61
Balz, S. 19 f. Vgl. Balz, S. 20 Fn. 66. Balz, S. 20; Groß, S. 37, 41. Balz, S. 16; Groß, S. 37. Vgl. Groß, S. 43 f.; Mohr, S. 100. Balz, S. 20; Groß, S. 39. Groß, S. 39.
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
31
1. Die Liquidation Die Aufgabe der Liquidation, das Vermögen des Schuldners zu Geld zu machen und den Erlös an die Gläubiger zu verteilen, liegt in den Händen des Insolvenzverwalters, § 159 InsO. Da die meisten Gegenstände mit Absonderungsrechten belastet sind, sind die hierfür geltenden Vorschriften der §§ 165 ff. InsO von besonderer Bedeutung. Für die einzelne Verwertung des Schuldnervermögens stehen dem Insolvenzverwalter im Regelverfahren bei Grundstücken die Alternativen der freihändigen Verwertung und der Zwangsverwertung (§ 165 InsO), bei beweglichen Gegenständen und Rechten ausschließlich die freihändige Verwertung zur Verfügung. Da die Entscheidung über die günstigste Verwertungsart von unsicheren Prognosen über den erzielbaren Erlös abhängt, normiert die InsO keine strengen Verwertungsregeln.62 Vorgesehen ist lediglich eine mittelbare Verschleuderungskontrolle,63 die insbesondere in der Zustimmungspflichtigkeit besonders bedeutsamer Verwertungshandlungen durch den Gläubigerausschuss bzw. die Gläubigerversammlung besteht, vgl. §§ 160 ff. InsO. Die Liquidation kann auch im Wege des Insolvenzplans abweichend von den gesetzlichen Regelungen erfolgen, vgl. § 217 InsO, etwa bei zeitweiliger Fortführung des Unternehmens und anschließender Liquidation.64 2. Die Sanierung Bei der Sanierung erfolgt die Verwertung des Schuldnervermögens dadurch, dass es durch in der Regel erhebliche Investitionen und Umstrukturierungen dazu gebracht wird, Erträge zu erwirtschaften, aus denen die Gläubiger befriedigt werden. Sie wird daher auch als „investive Verwertung“ bezeichnet.65 Diese Möglichkeit zur Gläubigerbefriedigung sieht § 1 S. 1 InsO nun ausdrücklich vor, ohne den Erhalt des Unternehmens selbst zum Verfahrensziel zu erheben.66 Allerdings gilt – anders als noch nach der KO – für den (vorläufigen) Verwalter der Vorrang der Unternehmensfortführung: Um eine Unternehmenssanierung nicht bereits bis zum Berichtstermin zu vereiteln, kommt eine Still62
Bork, InsR, Rn. 293. Baur/Stürner, Rz. 5.67. 64 Vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 91. 65 Bork, InsR, Rn. 4. 66 So die wohl überwiegende Auffassung; vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 109; Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-DrS. 12/7302, S. 155; Balz, in: Kölner Schrift, S. 8, 15; Penzlin, S. 24; Smid/Rattunde, Rn. 76; Uhlenbruck, GmbHR 1995, 83; Wellensiek, WM 1999, 406; die gegenteilige Auffassung (Vgl. dazu Bork, InsR, Rn. 355 f.; Pick, NJW 1995, 994; Warrikoff, KTS 1996, 489) ist wegen des eindeutigen Wortlauts des § 1 S. 1 InsO („indem“) abzulehnen, der den Unternehmenserhalt lediglich als Mittel zum Zweck der Gläubigerbefriedigung ansieht. 63
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
legung des Unternehmens im Eröffnungsverfahren nur mit Zustimmung des Gerichts (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO) und nach Verfahrenseröffnung bis zum Berichtstermin nur mit Zustimmung des Gläubigerausschusses in Betracht (§ 158 InsO). Verwertungshandlungen des (vorläufigen) Verwalters sind in diesem Zeitraum nicht gestattet. Die Sanierungsmaßnahmen können sich entweder nur auf das Unternehmen beziehen (sog. übertragende Sanierung, s. u.) oder aber den Unternehmensträger mit einschließen.67 Die Sanierung (auch) des Unternehmensträgers erforderte nach dem bis zum 31.12.1998 geltenden Recht stets einen Vergleich mit den Gläubigern zum Abbau der Überschuldung und zur Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit.68 Der Vergleichsvorschlag des Schuldners69 sah, sofern eine vollständige Entlastung des Unternehmensträgers von Verbindlichkeiten angestrebt war, vor, dass sich die Gläubiger mit einem bestimmten Geldbetrag abfinden und auf ihre restlichen Forderungen verzichten. Demgegenüber dient nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung der Insolvenzplan als das wesentliche Sanierungsinstrument.70 Dieser fördert die Sanierung des Unternehmensträgers insofern, als der besondere Aufwand für die Finanzierung eines derartigen Vergleichs grundsätzlich nicht mehr entsteht, da der Schuldner gem. § 227 InsO mit der im gestaltenden Teil eines Insolvenzplans vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gegenüber diesen Gläubigern frei wird.71 Auch der Wegfall der besonderen Hürden der VerglO, insbesondere der gesetzlichen Mindestquoten von 35 bzw. 40% (§ 7 VerglO) und der vielfältigen Ablehnungsgründe der §§ 17 f. VerglO (Vergleichsunwürdigkeit des Schuldners) erleichtern einen Kompromiss zur Sanierung des Unternehmensträgers.72 3. Die sog. übertragende Sanierung Bei der in der Praxis der Sanierung (auch) des Unternehmensträgers bislang vorgezogenen sog. übertragenden Sanierung73 bedient man sich eines anderen 67 Zur Unterscheidung zwischen dem Unternehmen als wirtschaftlicher Einheit und dem Unternehmensträger als Rechtssubjekt K. Schmidt, HandelsR, S. 63 ff., 88 ff. 68 Damit ist bereits ein Grund für die Seltenheit einer Sanierung des Unternehmensträgers (in einem gerichtlichen Verfahren) genannt: Seit 1983 wurde nur in weniger als 1% der Insolvenzen ein gerichtlicher Vergleich bestätigt, vgl. RegE, BT-DrS. 12/ 2443, S. 72. 69 Den mit dem Vergleichsantrag verbundenen Vergleichsvorschlag konnte nur der Schuldner machen, vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 VerglO. 70 Bork, InsR, Rn. 367. 71 Maus, in: Kölner Schrift, S. 938, Rn. 25. 72 Zur Reformbedürftigkeit des Vergleichsrechts allgemein vgl. RegE, BT-DrS. 12/ 2443, S. 72 ff.; Wellensiek, WM 1999, 406. 73 Der Begriff wurde geprägt von K. Schmidt, ZIP 1980, 336.
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
33
Unternehmensträgers als des Schuldners, um das Unternehmen (oder einen Teil davon) fortzuführen. Die Beliebtheit der übertragenden Sanierung ergibt sich daraus, dass sie eine Trennung von Aktiva und Passiva ermöglicht, der neue Unternehmensträger also nicht mit den Altverbindlichkeiten belastet wird.74 Der neue Träger kann sowohl eine eigens zu diesem Zweck gegründete Auffanggesellschaft durch sanierungswillige Verfahrensbeteiligte, als auch ein Konkurrent des alten Unternehmensträgers sein.75 Der erlangte Kaufpreis für das übertragene Unternehmen wird als Verwertungserlös an die Gläubiger des bisherigen Unternehmensträgers verteilt, nicht verkaufte Vermögensteile werden von dem Verwalter liquidiert und gleichfalls zur Gläubigerbefriedigung verwendet.76 Ist der insolvente Rechtsträger eine Gesellschaft, so übernimmt das Insolvenzverfahren regelmäßig zugleich die Aufgabe der gesellschaftsrechtlichen Abwicklung bis zur Herbeiführung der Löschungsreife und der anschließenden Löschung.77 Auch für die übertragende Sanierung bietet sich das Planverfahren an, insbesondere in Hinblick auf die der Übertragung i. d. R. vorausgehende Sanierung des Unternehmens.78 Gleichwohl kann sie auch im Regelverfahren erfolgen, das für diesen Fall eine Zustimmung des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung, § 160 Abs. 2 Nr. 1 InsO, und eine Unterrichtung des Schuldners, § 161 S. 1 InsO, vorsieht.79 Zudem beinhaltet die InsO für die bei der übertragenden Sanierung problematische Preisfindung Sicherungsmaßnahmen vor Verschleuderung des Unternehmens.80 Da der Erwerber ein i. d. R. saniertes, über74 Ausgeschlossen ist sowohl eine Haftung wegen Firmenfortführung nach § 25 HGB (vgl. BGHZ 104, 151, 153 f.), als auch eine Haftung für Steuerverbindlichkeiten nach § 75 AO (vgl. § 75 Abs. 2 AO). Zudem wurde § 419 BGB, der eine Haftung des Vermögensübernehmers vorsah, durch Art. 33 Nr. 16 EGInsO ersatzlos gestrichen; vgl. hierzu Bork, InsR, Rn. 384 f.; Wellensiek, WM 1999, 408. 75 Zur Typisierung der verschiedenen Sanierungsformen vgl. Groß, S. 131 ff. und zusammenfassend Mohr, S. 101 ff. 76 Maus, in: Kölner Schrift, S. 936 Rn. 18. 77 Bork, InsR, Rn. 132 ff., 375 m.w. N. 78 Bork, InsR, Rn. 382; für die Durchführung im Wege des Insolvenzplans spricht zudem, dass die übertragende Sanierung durch die Zustimmung der verschiedenen Gläubigergruppen legitimiert wird; zur Legitimationsproblematik bei der übertragenden Sanierung vgl. K. Schmidt, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 74, 76 f. 79 Dem Schuldner und einer qualifizierten Gläubigermehrheit verbleiben im Falle der Zustimmung des Gläubigerausschusses zur Veräußerung des Unternehmens noch letzte Interventionsmöglichkeiten, vgl. § 161 S. 2 InsO. 80 Droht eine Veräußerung unter Wert, so können der Schuldner oder eine qualifizierte Gläubigermehrheit beim Insolvenzgericht die Anordnung beantragen, dass die Veräußerung von der Zustimmung der Gläubigerversammlung abhängig gemacht wird, sofern eine günstigere Verwertungsmöglichkeit glaubhaft gemacht wird (vgl. § 163 InsO). Nach § 162 InsO ist für die Veräußerung des Unternehmens an sog. besonders Interessierte die Zustimmung der Gläubigerversammlung erforderlich, da hier die Vermutung besteht, dass der erzielte Preis wegen besonderer Einflussmöglichkeiten der
34
1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
lebensfähiges Unternehmen erlangt, muss der Kaufpreis jedenfalls höher liegen als diejenige Summe, die sich durch eine Einzelliquidation der Bestandteile erlösen ließe (sog. Liquidationswert) und sich möglichst dem Fortführungswert annähern.81
II. Die Stellung der Gläubiger im Insolvenzverfahren Als weiterer Eckpfeiler der InsO kann der Gedanke der Gläubigerselbstverwaltung angesehen werden, von dem die Insolvenzordnung in besonderem Maße geprägt ist.82 Ebenso wie der Gleichbehandlungsgrundsatz stellen allerdings auch die Begriffe „Beteiligtenautonomie“ oder „Gläubigerselbstverwaltung“ zunächst nur Schlagworte dar.83 Denn selbstverständlich ist der Ablauf des Insolvenzverfahrens nach der Insolvenzordnung nicht vollständig in die Hände der Gläubiger des Gesamtschuldners gelegt; vielmehr weist auch der Grundsatz der Gläubigerselbstverwaltung wie der Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zahlreiche Brüche auf. Schließlich hatte der Gesetzgeber der Insolvenzordnung bei aller Euphorie für eine Deregulierung des Insolvenzverfahrens, also der Verlagerung von Kompetenzen vom Insolvenzgericht auf die Gläubigerschaft, bei der Kompetenzverteilung auch abzuwägen, wieviel Mitwirkung den Gläubigern überhaupt zuzutrauen und zuzumuten ist.84 1. Die Verwirklichung der Gläubigerselbstverwaltung in der InsO Gleichwohl sind den insolvenzrechtlichen Organen der Gläubiger – der Gläubigerversammlung und dem Gläubigerausschuss85 – durch die InsO weitgehende Rechte im Insolvenzverfahren zugebilligt worden. Die Gläubigergremien repräsentieren kraft Gesetzes die Gesamtheit der mitwirkungsberechtigten Gläugenannten Personen nicht dem Marktpreis entspricht (Begr. zu § 181, RegE, BTDrS. 12/2443, S. 174). Relevant wird dies für die übertragende Sanierung insbesondere in dem Fall der Auffanggesellschaft, an der sanierungswillige Verfahrensbeteiligte beteiligt sind (Vgl. Wellensiek, WM 1999, 408). 81 Vgl. K. Schmidt, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 75. 82 Vgl. Bork, InsR, Rn. 15; Obermüller/Hess, InsO, Rn. 38; Paulus, DZWIR 1999, 60. 83 Vgl. Heidland, in: Kölner Schrift, S. 714 Fn. 10; Hegmann, S. 2. 84 Zu den bei der Kompetenzverteilung bedeutsamen Gesichtspunkten vgl. Jelinek, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 23 f. 85 Der Gesetzgeber der InsO hält zusätzlich – obwohl nicht gesetzlich geregelt – die Bestellung eines Gläubigerbeirates für zulässig, s. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 99. Auf diesen soll, da ihm lediglich die Funktion eines unverbindlichen Ratgebers für den Insolvenzverwalter zukommt, nicht weiter eingegangen werden. S. zu den mangelnden Entscheidungsbefugnissen eines Gläubigerbeirates Hegmanns, S. 64; Kilger/K. Schmidt, KO, § 87 Anm. 4 und allgemein Oelrichs, S. 46 ff.
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
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biger im Insolvenzverfahren.86 Dem Charakter des Insolvenzverfahrens als Verfahren zur gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung entsprechend, sieht die InsO eine Mitwirkung außerhalb der Gläubigergremien demgegenüber nur ausnahmsweise vor: Die meisten hierzu zählenden Gläubigerbefugnisse gehören in die Phase der Vorbereitung des Verfahrens (vgl. §§ 13 Abs. 1, 34 Abs. 1, 270 Abs. 2 Nr. 2, 307 ff. InsO) und in die Verfahrensnachbereitung im Anschluß an den Schlußtermin (vgl. §§ 203 Abs. 1, 204, 292 Abs. 2, 296 f., 300 InsO). Zwischen Verfahrenseröffnung und Schlußtermin räumt das Gesetz den Gläubigern nur wenige Befugnisse ein, die nicht an die Tätigkeit in Gremien anknüpfen, und diese vor allem aus Gründen der Verfahrensvereinfachung oder wegen der geringen Bedeutung der Angelegenheit (vgl. §§ 161, 167, 194, 270 ff., 311 ff. InsO).87 a) Die insolvenzrechtlichen Organe der Gläubiger aa) Die Gläubigerversammlung Wird durch Erlass des Eröffnungsbeschlusses das pfändbare Schuldnervermögen der Gesamtheit der Gläubiger haftungsrechtlich zugewiesen, kann sie zunächst durch die Gläubigerversammlung als ihrem einzigen notwendigen Selbstverwaltungsorgan auf das Verfahren Einfluss nehmen. An der Gläubigerversammlung nehmen alle gem. §§ 49 ff. InsO absonderungsberechtigten Gläubiger, alle Insolvenzgläubiger i. S. d. §§ 38 f. InsO (auch die gem. § 39 InsO nachrangigen sind teilnahmebefugt), der Insolvenzverwalter und der Schuldner teil (§ 74 Abs. 1 S. 2 InsO). Massegläubiger (§§ 53 ff. InsO) sind dagegen von der Teilnahme ausgeschlossen. Was die den teilnahmebefugten Personen zugebilligten Rechte anbelangt, ist zu differenzieren: Das wichtigste Mitverwaltungsrecht – die Stimmberechtigung – steht nur denjenigen nicht nachrangigen Insolvenzgläubigern und absonderungsberechtigten Gläubigern zu, deren Forderungen festgestellt sind, vgl. § 77 Abs. 1 S. 1, 2 InsO,88 wohingegen nachrangige Insolvenzgläubiger festgestellter Forderungen und Gläubiger nicht festgestellter Forderungen nicht stimmberechtigt sind. In Hinblick auf die umfangreichen Anhörungs-, Informations-, Prüfungs- sowie Antrags- und Beschwerderechte sind lediglich die nicht nachrangigen Insolvenzgläubiger festgestellter Forderungen voll ausgestattet, während bei nachran86
Vgl. Hahn, Motive, S. 284. Hierzu Oelrichs, S. 22. 88 Nur bei der Abstimmung über einen Insolvenzplan können die nachrangigen Insolvenzgläubiger ausnahmsweise stimmberechtigt sein, weil § 237 Abs. 1 S. 1 InsO nicht auf § 77 Abs. 1 S. 2 InsO verweist. 87
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
gigen Insolvenzgläubigern, absonderungsberechtigten Gläubigern und Gläubigern, deren Forderungen nicht festgestellt sind, gewisse Abstriche gemacht werden.89 Beschlüsse der Gläubigerversammlung werden grundsätzlich mit einfacher Mehrheit der Gläubiger gefasst, wobei sich die Mehrheit nicht nach der Kopfzahl der abstimmenden Gläubiger, sondern nach den von ihnen vertretenen Forderungen richtet (§ 76 Abs. 2 InsO). Über die zahlreichen Kompetenzen der Gläubigerversammlung kann hier nur ein Überblick gegeben werden: Die InsO gewährt ihr zunächst einige durch Beschlussfassung geltend zu machende Antrags-, Informations- und Kontrollrechte, die der Vorbereitung wirtschaftlicher oder organisatorischer Entscheidungen dienen.90 Darüber hinaus kann die Gläubigerversammlung durch Beschlüsse direkt über wesentliche organisatorische Sachfragen betreffend das Personal und das Verfahren entscheiden. Hierher gehören zum einen die Bestätigung oder Ersetzung des vom Insolvenzgericht eingesetzten Insolvenzverwalters bzw. Sachwalters (im Falle der Eigenverwaltung) gem. §§ 57 S. 1, 274 Abs. 1 InsO und die Wahl des Gläubigerausschusses (§ 68 InsO). Zum anderen ist an dieser Stelle die Aufstellung von Verfahrensregelungen durch die Gläubigerversammlung zu nennen: Sie kann die Anordnung der Eigenverwaltung durch das Insolvenzgericht (§ 271 InsO) oder deren Aufhebung (§ 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) verlangen und ferner die Wirksamkeit bestimmter Geschäfte des Schuldners im Falle der Eigenverwaltung von der Zustimmung des Sachwalters abhängig zu machen (§ 277 Abs. 1 InsO). Schließlich kann sie den Insolvenzverwalter beauftragen, einen Insolvenzplan auszuarbeiten (§ 157 S. 2 InsO). Die wichtigsten Kompetenzen der Gläubigerversammlung betreffen Fragen wirtschaftlicher Art, die entweder als Initiativentscheidungen oder Genehmigungsvorbehalte ausgestaltet sind: Die Gläubigerversammlung kann initiativ tätig werden, wenn sie im Berichtstermin (§§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 InsO) über den Fortgang des Verfahrens beschließt und darüber entscheidet, ob das Unternehmen des Schuldners stillgelegt oder zeitweilig fortgeführt werden soll, damit es saniert oder als funktionsfähige Einheit (ganz oder teilweise) veräußert werden kann (§ 157 S. 1 InsO). Wegen 89 Eine vollständige Übersicht mit den verschiedenen Differenzierungen findet sich bei Oelrichs, S. 26 ff. 90 Beispielsweise kann die Gläubigerversammlung vom Insolvenzverwalter verlangen, zu bestimmten Zeitpunkten Zwischenrechnung zu erstatten, § 66 Abs. 3 InsO, oder einzelne Auskünfte und einen Bericht über Sachstand und Geschäftsführung zu erteilen, § 79 S. 1 InsO; sie kann beim Insolvenzgericht den Antrag stellen, dass es den Insolvenzverwalter (§ 59 Abs. 1 S. 2 InsO), den Sachwalter (§ 274 Abs. 1 InsO) oder ein Mitglied des Gläubigerausschusses (§ 70 InsO) aus wichtigem Grund entlässt.
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
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der i. d. R. weitreichenden Folgen für die Gläubiger besonders bedeutsam ist überdies das Recht, durch Abstimmung über die Annahme eines Insolvenzplanes zu entscheiden (§ 235 Abs. 1 S. 1 InsO). Schließlich kann die Gläubigerversammlung die Initiative zur Aufstellung eines Planes ergreifen, indem sie darüber beschließt, ob ein Insolvenzplan ausgearbeitet werden soll und kann ggfs. Planziele vorgeben (§ 157 S. 2 InsO, s. u.). Der Zustimmung der Gläubigerversammlung bedarf insbesondere die Vornahme besonders bedeutsamer Rechtshandlungen i. S. d. § 160 InsO durch den Insolvenzverwalter, wie etwa die Veräußerung ganzer Betriebseinheiten, die Aufnahme erheblicher Darlehen und die Entscheidung über größere Rechtsstreitigkeiten; dies gilt allerdings nur, wenn kein Gläubigerausschuss bestellt ist, der sonst anstelle der Gläubigerversammlung entscheidet, vgl. § 160 Abs. 1 S. 2 InsO. Originäre Genehmigungsvorbehalte der Gläubigerversammlung finden sich dagegen in den §§ 162 f. InsO bei einer Betriebsveräußerung an besonders Interessierte oder einer solchen unter Wert, bei denen die InsO generell eine Gefährdung der Gläubigerinteressen vermutet.91 bb) Der Gläubigerausschuss Da die Gläubigerversammlung schon wegen ihrer Größe ein relativ unbewegliches Gremium ist, das sich nicht dazu eignet, das laufende Verfahren zu begleiten, können92 Insolvenzgericht und Gläubigerversammlung einen Gläubigerausschuss einsetzen. Über dessen Einsetzung und Besetzung entscheidet letztendlich die Gläubigerversammlung (§ 68 InsO), das Insolvenzgericht kann aber vor der ersten Gläubigerversammlung einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen (§ 67 Abs. 1 InsO). Die wichtigste Aufgabe nicht nur des Gremiums, sondern auch jedes einzelnen Mitglieds besteht laut § 69 S. 1 InsO darin, den Insolvenzverwalter bei seiner Geschäftsführung zu unterstützen und zu überwachen.93 Mitwirken sollen im Gläubigerausschuss Vertreter der absonderungsberechtigten Gläubiger, der Insolvenzgläubiger mit den höchsten Forderungen und der Kleingläubiger (§ 67 Abs. 2 S. 1 InsO) sowie der Arbeitnehmer, falls diese als Insolvenzgläubiger mit nicht unerheblichen Forderungen beteiligt sind (§ 67 Abs. 2 S. 2 InsO).
91
Vgl. Bork, InsR, Rn. 378 ff.; Oelrichs, S. 66 f.; Smid, Grundzüge, 9/24. Der Gläubigerausschuss ist also ein rein fakultatives Gläubigerorgan. Insbesondere bei Kleininsolvenzen kann es zweckmäßig sein, im Interesse der Straffung des Verfahrens und der Kostenersparnis auf einen Gläubigerausschuss ganz zu verzichten, vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 131. 93 Insofern entspricht seine Aufgabe der eines Aufsichtsrates einer AG, vgl. BGHZ 124, 86, 91. 92
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
Zur Konkretisierung des Auftrages aus § 69 S. 1 InsO enthält die InsO als Individualrechte der Ausschussmitglieder neben dem Stimmrecht einzelne Informations-94 und Anhörungsrechte95 sowie Kontrollaufgaben96. Ein Beschluss des Gläubigerausschusses ist gem. § 72 InsO dann gültig, wenn er mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasst worden ist und die Mehrheit der Ausschussmitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen hat. Um den Insolvenzverwalter effektiv überwachen und unterstützen zu können, enthält das Gesetz nicht nur eine Reihe von Informations-,97 Antrags-98 und Beschwerderechten99 sowie Stellungnahmepflichten100 für den Gläubigerausschuss, sondern dieser kann auch über eine Reihe wirtschaftlicher und organisatorischer101 Fragen entscheiden. Diese Entscheidungskompetenzen werden z. T. von der Gläubigerversammlung auf ihn übertragen.102 Der Gläubigerversammlung ist der Gläubigerausschuss allerdings insofern hierarchisch nachgeordnet, als die InsO der Gläubigerversammlung vereinzelt erlaubt, dem Gläubigerausschuss organisatorische Vorgaben zu machen (vgl. § 149 Abs. 3 InsO) und Entscheidungen des Ausschusses aufzuheben (vgl. §§ 161 S. 2, 163 Abs. 1 InsO).103 Der Gläubigerausschuss trifft kaum Initiativentscheidungen,104 vielmehr billigt die InsO ihm überwiegend nur Genehmigungsvorbehalte zu: So ist seine Zustimmung für die vorläufige Unterhaltsgewährung an den Schuldner durch das Insolvenzgericht erforderlich (§ 100 Abs. 2 InsO) und für die wegen ihrer Tragweite besonders wichtige Entscheidung des Insolvenzverwalters, das Unternehmen vor dem Berichtstermin stillzulegen (§ 158 Abs. 1 InsO). Ferner finden sich Genehmigungsvorbehalte in § 160 InsO (s. o.) für besonders bedeutsame Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters. Einer Zustimmung des Gläubigerausschusses bedarf es gem. § 231 Abs. 2 InsO auch dann, wenn der Insolvenz94
Vgl. §§ 64 Abs. 2 S. 1, 69 S. 2, 215 Abs. 1 S. 2, 258 Abs. 2 S. 2 InsO. Vgl. § 70 S. 3 InsO. 96 Vgl. § 149 Abs. 2 S. 1 InsO. 97 Vgl. §§ 261 Abs. 2 S. 2, 262, 274 Abs. 3 InsO. 98 Vgl. §§ 75 Abs. 1 Nr. 2, 59 Abs. 1 S. 2 InsO. 99 Vgl. §§ 75 Abs. 2, 59 Abs. 2 S. 2 InsO. 100 Vgl. §§ 66 Abs. 2 S. 2, Abs. 3, 156 Abs. 2 S. 1, 214 Abs. 2, 218 Abs. 3, 232 Abs. 1 Nr. 1, 248 Abs. 2 InsO. 101 Organisatorischer Art sind etwa die Entscheidungen über einen Antrag des Insolvenzverwalters, die Aufstellung eines Verzeichnisses der Massegegenstände zu unterlassen (§ 151 Abs. 3 S. 1 InsO) und darüber, wann und wie der Geldverkehr und -bestand überprüft wird (§ 69 S. 2 InsO). 102 So etwa in § 69 S. 2 i.V. m. § 79 S. 2 oder § 160 Abs. 1 S. 1, 2 InsO. 103 Oelrichs, S. 36. 104 Die einzige Initiativentscheidung findet sich in § 149 Abs. 1 S. 1 InsO: Der Gläubigerausschuss kann bestimmen, bei welcher Stelle und zu welchen Bedingungen Geld, Wertpapiere und Kostbarkeiten hinterlegt oder angelegt werden sollen. 95
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
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verwalter die Zurückweisung eines neuen vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplanes beim Insolvenzgericht beantragen will.105 Nach § 233 S. 2 InsO sieht das Insolvenzgericht von einer Aussetzung der Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse ab oder hebt einen entsprechenden Beschluss auf, wenn der Verwalter mit Zustimmung des Gläubigerausschusses die Fortsetzung der Verwertung und Verteilung beantragt. Schließlich sei noch erwähnt, dass bei der Eigenverwaltung die Zustimmung des Gläubigerausschusses zu bestimmten bedeutenden Rechtsgeschäften immer dann einzuholen ist, wenn sie auch im Regelverfahren erforderlich wäre (§ 276 InsO). b) Der Insolvenzplan als Instrument der Gläubigerselbstverwaltung Als diejenigen Regelungen der InsO, in denen sich der Gedanke der Gläubigerselbstverwaltung und Deregulierung in besonderem Maße manifestiert hat, können die Vorschriften zum Insolvenzplan angesehen werden106, die an die Stelle von Vergleich und Zwangsvergleich traten107 und nach den Vorstellungen des Reformgesetzgebers das „Kernstück“ der Insolvenzordnung darstellen108. aa) Grundzüge des Insolvenzplanverfahrens Nach dem in § 217 InsO aufgestellten Grundsatz können die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung sowie die Haftung des Schuldners nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens in einem Insolvenzplan abweichend von den Vorschriften der InsO geregelt werden. Zweck dieses Rechtsinstituts ist es, den Beteiligten einen Rechtsrahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz im Wege von Verhandlungen und privatautonomen Austauschprozessen zu ermöglichen.109 Die Gläubigerbefriedigung im Insolvenzplanverfahren kann sowohl im Wege der Sanierung und übertragenden Sanierung, als auch im Wege der Liquidation 105 Hier handelt es sich um die Zustimmung zu einem Antrag des Insolvenzverwalters an das Insolvenzgericht, dem es entsprechen und den neuen Plan des Schuldners zurückweisen muss. 106 Vgl. Paulus, DZWIR 1999, 58; Prütting, in: Kölner Schrift, S. 244. 107 Deren Bedeutung ist im Laufe der Zeit stark gesunken: Seit 1983 wurde in weniger als 1% der Insolvenzen ein gerichtlicher Vergleich bestätigt, während der Anteil 1950 noch bei 30%, 1960 bei 12% und 1970 bei 8% lag. Lediglich in etwa 8% der eröffneten Konkursverfahren kam es zu einem bestätigten Zwangsvergleich. Deren Funktion, in einem gerichtlich überwachten Verfahren die Liquidation des Schuldnervermögens abzuwenden, wurde kaum noch erfüllt. S. zum Reformbedürfnis RegE, BTDrS. 12/2443, S. 72 ff. 108 Rechtsausschuss, BT-DrS. 12/7302, S. 181. 109 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 90.
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
angestrebt werden.110 Der Schwerpunkt des Anwendungsbereichs liegt allerdings bei der Unternehmenssanierung,111 bei der der Bedarf für eine einvernehmliche, von allen Beteiligten ausgehandelte und mitgetragene Lösung am größten ist.112 Der Insolvenzplan gliedert sich gem. § 219 S. 1 InsO formal in einen darstellenden und einen gestaltenden Teil: Der darstellende Teil soll gem. § 220 Abs. 1 InsO die Maßnahmen beschreiben, die die Grundlage für die geplante Gestaltung der Rechte der Beteiligten bilden sollen, also etwa Betriebsänderungen und andere organisatorische und personelle Maßnahmen.113 § 220 Abs. 2 InsO bestimmt weiter, dass er alle Angaben zu den Grundlagen und Auswirkungen des Plans enthalten soll, die für die Entscheidung der Gläubiger über die Zustimmung zum Plans und für die gerichtliche Bestätigung erheblich sind. Dazu werden Angaben zur Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens erforderlich sein sowie eine Darstellung des Verwertungskonzepts und dessen Auswirkungen, ohne die eine sinnvolle Entscheidung nicht möglich ist.114 Der darstellende Teil stellt damit eine wesentliche Informationsgrundlage für Gläubiger und Gericht über den Zustand des Unternehmens und die durch den Plan zu verwirklichenden Maßnahmen dar. Im gestaltenden Teil wird gem. § 221 InsO festgelegt, wie die Rechtsstellung der Beteiligten (vgl. § 217 InsO)115 durch den Plan geändert werden soll, es werden also materiellrechtliche Regelungen wie etwa Erlass, Verzicht, Stundung oder Fristverlängerung getroffen (vgl. §§ 223 ff. InsO). Gem. § 222 InsO sind bei der Festlegung der Rechte Gruppen zu bilden, so dass der unterschiedlichen rechtlichen und wirtschaftlichen Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger, Insolvenzgläubiger sowie der einzelnen Rangklassen der nachrangigen Insolvenzgläubiger und der Arbeitnehmer Rechnung getragen werden kann. Innerhalb dieser Gruppen ist eine Ungleichbehandlung unzulässig, es sei denn, alle Beteiligten stimmen zu (§ 226 Abs. 1 und 2 InsO).
110
RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 91. In der Verbraucherinsolvenz sind die Regelungen zum Insolvenzplan gem. § 312 Abs. 3 InsO nicht anwendbar. 112 Bork, InsR, Rn. 312; vgl. Paulus, DZWIR 1999, 58; Smid, Grundzüge, 20/1, 13. 113 Vgl. die beispielhafte Aufzählung in § 258 Abs. 2 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 197. 114 Bork, InsR, Rn. 315; Braun/Uhlenbruck, S. 679 ff.; Maus, in: Kölner Schrift, S. 943 ff.; Smid, Grundzüge, 20/13. 115 Durch einen Insolvenzplan kann also nicht in die Rechtstellung der Aussonderungsberechtigten und Massegläubiger eingegriffen werden. 111
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
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bb) Das Initiativrecht Zwar sind zur Vorlage eines Insolvenzplans an das Insolvenzgericht nur der Insolvenzverwalter und der Schuldner berechtigt (§ 218 Abs. 1 S. 1 InsO), nicht aber die einzelnen Gläubiger.116 Doch kann die Gläubigerversammlung durch Beschluss im Berichtstermin den Insolvenzverwalter beauftragen, einen Plan auszuarbeiten, und ihm das Ziel des Plans vorgeben (§ 157 S. 2 InsO).117 Außerdem wirkt der Gläubigerausschuss, seinem Überwachungs- und Unterstützungsauftrag aus § 69 S. 1 InsO entsprechend, an der Aufstellung des Plans mit, wenn der Verwalter einen solchen aufstellen will oder soll (§ 218 Abs. 3 InsO). cc) Die Annahme des Insolvenzplans Bei der Annahme des Plans handelt es sich um ein mehrstufiges Verfahren, an dem neben den Gläubigern auch das Insolvenzgericht und der Schuldner beteiligt sind: Zunächst führt das Insolvenzgericht noch vor dem eigentlichen Annahmeverfahren eine Vorprüfung des Insolvenzplans durch, die dann von Amts wegen zur Zurückweisung des Plans führt, wenn entweder die formellen Vorschriften über die Vorlageberechtigung und den Inhalt des Plans (§§ 219 ff. InsO) nicht beachtet wurden (§ 231 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder aber ein vom Schuldner vorgelegter Plan offensichtlich keine Aussicht auf Annahme durch Gläubiger und Gericht hat oder Gläubigern Ansprüche verspricht, die offensichtlich nicht erfüllt werden können (§ 231 Abs. 1 Nr. 2 und 3 InsO). Ein nicht zurückgewiesener Plan wird den Gläubigern und, je nach Person des Vorlegenden, dem Insolvenzverwalter oder dem Schuldner zur Stellungnahme zugeleitet (§ 232 InsO). Im Erörterungs- und Abstimmungstermin (§ 235 InsO) kommt es dann zur Entscheidung der Gläubiger über den Insolvenzplan. Die Abstimmung erfolgt jeweils in den im gestaltenden Teil des Insolvenzplans festgelegten Gruppen. Stimmberechtigt sind alle dort aufgeführten Gläubiger, deren Forderungen durch den Plan beeinträchtigt werden (§§ 237 Abs. 2, 238 Abs. 2 InsO), wobei 116 Anders insofern noch der RegE, in dessen §§ 254, 255 ein Initiativrecht von Einzelgläubigern vorgesehen war, das aber aus Praktikabilitätserwägungen keinen Eingang in die InsO gefunden hat; vgl. Stürner, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 21, 29. 117 Ob die Möglichkeit zur „Zielvorgabe“ auch umfasst, dem Insolvenzverwalter einen von der Mehrheit der Gläubigerversammlung getragenen Insolvenzplan zu oktroyieren, ist in der insolvenzrechtlichen Literatur noch nicht abschließend geklärt. Trotz der bewussten Abkehr vom Initiativrecht der Einzelgläubiger wird zumindest die Möglichkeit für zulässig erachtet, dem Insolvenzverwalter den Entwurf eines Insolvenzplans vorzulegen mit dem Auftrag, diesen weiter auszuarbeiten, vgl. Hess, InsO, § 218 Rn. 56; Maus, in: Kölner Schrift, S. 940; Smid, WM 1996, 1253.
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
Gläubiger bestrittener Forderungen nur dann mitstimmen dürfen, wenn sich die erschienenen stimmberechtigten Gläubiger und der Insolvenzverwalter über das Stimmrecht geeinigt haben oder das Gericht den Gläubiger zur Abstimmung zugelassen hat (§§ 237 Abs. 1 S. 1, 238 Abs. 1 S. 3, 77 Abs. 2 InsO). Zur Annahme des Plans durch die Gläubiger kommt es dann, wenn sämtliche Gruppen dem Plan zustimmen, wozu in jeder Gruppe eine Kopf- und eine Summenmehrheit erforderlich ist. Es muss also sowohl die Mehrheit der abstimmenden Gläubiger zustimmen, als auch die Summe der Ansprüche der zustimmenden Gläubiger mehr als die Hälfte der Summe der abstimmenden Gläubiger betragen (§ 244 InsO). Um zu verhindern, dass einzelne Gläubiger die Annahme eines wirtschaftlich sinnvollen Plans verhindern können, sieht § 245 InsO ein Obstruktionsverbot vor: Danach wird die Zustimmung einer Abstimmungsgruppe, in der die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht wurden, fingiert, wenn die Gläubiger dieser Gruppe durch den Plan nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne Plan stünden, die Gläubiger angemessen am Erlös teilhaben sollen und die Mehrzahl der Gruppen dem Plan tatsächlich zugestimmt hat. Nach der Annahme des Plans durch die Gläubigerversammlung bedarf der Plan der Zustimmung des Schuldners, die als erteilt gilt, wenn der Schuldner dem Plan nicht spätestens im Abstimmungstermin widerspricht (§ 247 Abs. 1 InsO). Auch ein Widerspruch ist allerdings dann unbeachtlich, wenn der Schuldner durch den Plan nicht schlechter gestellt wird, als er ohne einen Plan stünde, und kein Gläubiger mehr als den vollen Betrag seiner Ansprüche erhält (§ 247 Abs. 2 InsO). Abschließend muss der Plan durch das Insolvenzgericht bestätigt werden (§§ 248 ff. InsO). Geprüft werden die Einhaltung der im Plan selbst festgelegten Bestätigungsvoraussetzungen (§ 249 InsO) und die gesetzlichen Verfahrensvorschriften (§ 250 Nr. 1 InsO) sowie ob die Annahme des Plans ohne unlautere Mittel zustandegekommen ist (§ 250 Nr. 2 InsO). Darüber hinaus ist das Bestätigungserfordernis mit einem Minderheitenschutz in Form einer Wertgarantie118 für die beteiligten Rechte zugunsten einzelner – auch nicht stimmberechtigter – Gläubiger verbunden: Hat ein Gläubiger dem Plan spätestens im Abstimmungstermin widersprochen und glaubhaft gemacht, dass er durch den Plan schlechter gestellt wird, als er ohne den Plan stünde, so ist die Bestätigung gemäß § 251 InsO zu versagen. dd) Die Wirkungen des rechtskräftig bestätigten Insolvenzplans Mit der Rechtskraft des Bestätigungsbeschlusses des Insolvenzgerichts treten gem. § 254 Abs. 1 S. 1 InsO die Gestaltungswirkungen des Planes ein. Dabei 118
Bork, InsR, Rn. 341.
B. Wege zur Gläubigerbefriedigung
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handelt es sich um die im gestaltenden Teil des Planes vorgesehenen materiellrechtlichen Regelungen (vgl. §§ 223 ff. InsO). Soweit Rechte an Gegenständen begründet, geändert, übertragen oder aufgehoben werden sollen oder Geschäftsanteile einer GmbH abgetreten werden sollen, gelten die in den Plan aufgenommenen Willenserklärungen der Beteiligten als in der vorgeschriebenen Form abgegeben, § 254 Abs. 1 S. 2 InsO. Außerdem ist nun, nachdem die unstreitigen Masseansprüche berichtigt und für die streitigen Sicherheit geleistet wurde, die Aufhebung des Verfahrens durch das Insolvenzgericht zu beschließen (§ 258 Abs. 1 InsO), wodurch die Ämter des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses erlöschen119 und der Schuldner die Verfügungsbefugnis über die Masse zurückerhält (§ 259 Abs. 1 InsO). Nach § 257 Abs. 1 S. 1 InsO betreiben die Gläubiger auch die Zwangsvollstreckung aus dem Plan. Gegenüber Dritten, die sich ohne Vorbehalt der Vorausklage im Rahmen des Plans verpflichtet haben, ist der Plan nach § 257 Abs. 2 InsO gleichfalls Vollstreckungstitel. Zur Sicherung der Erfüllung des Plans, die nunmehr Sache des wieder verfügungsbefugten Schuldners ist, hält die InsO zwei Institute bereit: Zum einen die Wiederauflebensklausel der §§ 255 f. InsO, die dem Schuldner im Plan zugebilligte Stundungen oder Erlasse kraft Gesetzes hinfällig werden lässt, wenn der Schuldner mit der Erfüllung dieser Forderungen erheblich in Rückstand gerät. Zum anderen kann im Insolvenzplan, insbesondere wenn es sich um einen Fortführungsplan handelt,120 gem. § 260 InsO vorgesehen werden, die Erfüllung des Plans überwachen zu lassen. Die Überwachung, die dem Insolvenzverwalter unter Aufsicht von Gläubigerausschuss und Insolvenzgericht aufgetragen ist (§ 261 Abs. 1 InsO), hat grundsätzlich nur beobachtenden Charakter, doch kann der Plan auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten des Verwalters bei bestimmten Rechtsgeschäften vorsehen (§ 263 S. 1 InsO). 2. Die Grenzen der Gläubigerselbstverwaltung Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers der InsO führen marktwirtschaftlich rationale Verwertungsentscheidungen, wie sie unter Wettbewerbsbedingungen durch freie Verhandlungen zustande kommen, am ehesten ein Höchstmaß an Wohlfahrt herbei und liegen somit auch im gesamtwirtschaftlichen Interesse. Dementsprechend soll das Verfahren künftig die Privatautonomie der Beteiligten so zur Entfaltung bringen, dass die optimale Verwertungsentscheidung im 119 Eine Ausnahme gilt insoweit allerdings im Fall der Überwachung der Planerfüllung, vgl. § 261 Abs. 1 S. 2 InsO. 120 Vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 215.
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1. Teil: Das Insolvenzrecht der Insolvenzordnung
Verhandlungsprozess entdeckt und von den Beteiligten verwirklicht werden kann.121 Derartige Bestrebungen lassen eine Bevormundung der privaten Beteiligten durch das Insolvenzgericht nicht zu. Dessen Aufgabe soll im Wesentlichen darauf beschränkt bleiben, über die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zu wachen.122 Ob allerdings die Regelungen der InsO diesen Vorstellungen des Gesetzgebers gerecht werden, wird mehr und mehr in Zweifel gezogen.123 Derartige Wertungsfragen, die letztlich erst durch langjährige Rechtsanwendung geklärt werden, sollen nun aber nicht Gegenstand dieser Darstellung werden, die lediglich die Grundlagen für die Auslegung der Insolvenzstraftatbestände schaffen soll. Aufgezeigt werden soll an dieser Stelle beispielhaft nur, dass der Grundsatz der Gläubigerselbstverwaltung an zahlreichen Stellen, wenn nicht durchbrochen, so doch zumindest eingeschränkt ist. Als eine solche Beschränkung ist zunächst die Regelung des § 78 InsO zu nennen, nach der das Insolvenzgericht einen Beschluss der Gläubigerversammlung aufzuheben hat, wenn ein Absonderungsberechtigter, ein nicht nachrangiger Insolvenzgläubiger oder der Insolvenzverwalter dies in der Gläubigerversammlung beantragt und der Beschluss dem gemeinsamen Interesse der Insolvenzgläubiger widerspricht. Nach der Begründung des RegE dient die Vorschrift dazu, den Missbrauch einer Mehrheit in der Gläubigerversammlung zu unterbinden,124 doch wurde das Ziel des Minderheitenschutzes vom Rechtsausschuss abgelehnt125. Die Vorschrift ist mithin wie schon § 99 KO als Verbot der Verfolgung von Sondervorteilen zum Schaden des Gesamtinteresses zu verstehen.126 Weitere Einschränkungen der Gläubigerautonomie unterschiedlicher Stärke finden sich, wie bereits die bisherige Darstellung gezeigt hat, im gesamten Insolvenzverfahren: So ist das Insolvenzeröffnungsverfahren vollständig in die Hände des Insolvenzgerichts gelegt,127 insbesondere fällt es im Wege der Zustimmung die weittragende Entscheidung, ob das schuldnerische Unternehmen wegen erheblicher Verminderung des Haftungsvermögens stillgelegt wird (§ 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 InsO).
121
RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 78. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 80. 123 s. etwa Uhlenbruck, WM 1998, 1197, 1201; Paulus, DZWIR 1999, 60. 124 BT-DrS. 12/2443, S. 131. 125 Rechtsausschuss, BT-DrS. 12/7303, S. 164. 126 HK-InsO/Eickmann, § 78 Rn. 1; Kilger/K.Schmidt, § 99 KO Rn. 1a; vgl. FKInsO/Hössl, § 78 Rn. 1 f. 127 Bork, InsR, Rn. 41, Uhlenbruck, WM 1999, 1201. 122
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Das Gericht bestellt nicht nur den Insolvenzverwalter (§ 56 Abs. 1 InsO), sondern es führt gleichzeitig die Aufsicht über die Erfüllung seiner Pflichten (§ 58 InsO) und ist sogar berechtigt, ihn aus wichtigem Grund aus dem Amt zu entlassen (§ 59 Abs. 1 S. 1 InsO). Selbst die Bestellung eines von der Gläubigerversammlung gem. § 57 S. 1 InsO gewählten Verwalters kann vom Gericht versagt werden, wenn dieser für die Übernahme des Amtes nicht geeignet ist (§ 57 S. 3 InsO). Auch ein Mitglied des Gläubigerausschusses kann gem. § 70 S. 1 InsO aus wichtigem Grund vom Insolvenzgericht aus dem Amt entlassen werden, wodurch eine repräsentative Besetzung des Gläubigerausschusses gewährleistet werden soll.128 Eine hoheitliche Überformung zeigt sich selbst im Planverfahren, bei dem dem Insolvenzgericht sowohl ein Vorprüfungsrecht hinsichtlich des Plans eingeräumt ist (§ 231 InsO), als auch eine gerichtliche Bestätigung des Plans erforderlich ist (§ 248 Abs. 1 InsO). In beiden Fällen wird zunächst die Einhaltung von Verfahrensvorschriften überprüft (vgl. §§ 231 Abs. 1 Nr. 1 und 250 InsO). Zusätzlich umfasst das Vorprüfungsrecht die Erfolgsaussichten und die Erfüllbarkeit des Plans (vgl. § 231 Abs. 1 Nr. 2, 3 InsO), während die gerichtliche Bestätigung an einen Minderheitenschutz geknüpft ist (vgl. § 251 InsO).129 Schließlich ist auch die Fingierung der Zustimmung einer Gläubigergruppe durch das Gericht im Rahmen des Obstruktionsverbotes (§ 245 InsO) im Zusammenhang mit der Einschränkung der Gläubigerautonomie zu nennen. Reduziert sind die Gestaltungsmöglichkeiten der Gläubiger notwendigerweise auch im Rahmen der Eigenverwaltung der Insolvenzmasse durch den Schuldner. Einer Mitwirkung der Gläubiger bedarf es hier nur bei Rechtshandlungen von besonderer Bedeutung, zu deren Vornahme der Schuldner die Zustimmung des Gläubigerausschusses einzuholen hat (§ 276 S. 1 InsO). Die Gläubigerselbstverwaltung ist allerdings insofern verwirklicht, als die Entscheidung über die Herbeiführung (vgl. § 271 S. 1 InsO) als auch die Aufhebung der Eigenverwaltung (vgl. § 272 Abs. 1 Nr. 1 InsO) letztlich bei der Gläubigerversammlung liegt, deren entsprechend lautenden Anträgen das Insolvenzgericht ohne weiteres stattzugeben hat.130 Auch das Verbraucherinsolvenzverfahren (§§ 304 ff. InsO) ist ein gerichtslastiges Verfahren, in dem insbesondere die Vorschriften über den Insolvenzplan nicht anwendbar sind (§ 312 InsO).
128 129 130
Hegmanns, S. 115; Uhlenbruck, WM 1999, 1202. s. 1. b) cc). Vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 100 und 223.
2.Teil
Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände der §§ 283 ff. StGB Im Anschluss an diesen auf die für das Verständnis unabdingbaren Grundlagen beschränkten Überblick über das reformierte Insolvenzrecht sollen nun zunächst die für die Auslegung der Krisenbegriffe relevanten strafrechtlichen Vor- und Grundsatzfragen untersucht werden.
A. Die durch die §§ 283 ff. StGB geschützten Rechtsgüter Ausgangspunkt soll dabei die Frage sein, welche Schutzrichtung die Bankrottdelikte verfolgen, mithin welcher Sinn und Zweck der Pönalisierung der in diesen Tatbeständen aufgezählten Verhaltensweisen zugrunde liegt. In der Terminologie der Strafrechtsdogmatik geht es also um die Frage nach dem geschützten Rechtsgut.
I. Der strafrechtliche Rechtsgutsbegriff Dass das staatliche Strafrecht den Schutz von Rechtsgütern vor Beeinträchtigungen zur Aufgabe hat, gehört heute zum Bereich gesicherter Erkenntnis.131 Soviel Zustimmung diese erste Aussage auch erntet, so umstritten und ungeklärt ist demgegenüber der Begriff des Rechtsgutes.132 Eine starke Meinung im Schrifttum definiert Rechtsgüter heute als für unsere verfassungsgemäße Gesellschaft und damit auch für die verfassungsgemäße Stellung und Freiheit des einzelnen Bürgers unverzichtbare und deshalb werthafte Funktionseinheiten bzw. Interessen.133 131 Jescheck/Weigend, § 1 III 1; Lackner/Kühl, Vor § 13 Rn. 4; Maurach/Zipf, AT/1, § 7 I Rn. 4 und § 19 II Rn. 4; Roxin, 2/1 ff.; Rudolphi, in: FS-Honig, S. 154 ff. und SK, Vor § 1 Rn. 3; Sch/Sch/Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 9; Wessels/Beulke, 1/5. 132 Zur Entwicklung des Rechtsgutsbegriffs und dem derzeitigen Streitstand ausführlich etwa Hohmann, S. 5 ff. und Obermüller, S. 10 ff. 133 So Rudolphi, in: FS-Honig, S. 164 und SK, Vor § 1 Rn. 8; inhaltlich nahestehend Amelung, S. 192, 345 ff.; Hassemer, Theorie, S. 64 ff.; Jakobs, 2/15; Otto, in: Strafrechtsdogmatik, S. 8.
A. Die durch die §§ 283 ff. StGB geschützten Rechtsgüter
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1. Die Funktionen des Rechtsgutsbegriffs Dem Rechtsgut werden zwei wesentliche Aufgaben zugewiesen: Es wird zum Ersten zur Auslegung der betreffenden Strafrechtsnorm herangezogen. So ist auf der Grundlage der in der Rechtsprechung und der ganz überwiegenden Lehre vertretenen objektiven Auslegungstheorie134 bei der teleologischen Auslegungsmethode, die den gegenwärtigen Zweck einer Vorschrift zum Gegenstand hat, zunächst zu fragen, welches Rechtsgut das Strafgesetz heute sinnvollerweise schützt, und von daher sein Schutzumfang zu bestimmen.135 Damit gewinnt das Rechtsgut eines Straftatbestandes zugleich entscheidendes Gewicht für die Auslegung insgesamt, da zwar mit verschiedenen Auslegungsmethoden gearbeitet wird (grammatisch, systematisch, subjektiv-historisch, objektiv-teleologisch), der objektiv-teleologischen jedoch der Vorrang zuerkannt wird.136 Auslegung meint allerdings nicht nur die Interpretation einzelner Tatbestandsmerkmale, vielmehr lässt die Kenntnis des Rechtsgutes auch Rückschlüsse auf die Person des Rechtsgutsträgers zu, was im hiesigen Zusammenhang vor allem für die Dispositionsbefugnis bei der Einwilligung von Bedeutung ist. Zudem lassen sich auch Fragen im Bereich der Konkurrenzen und der Verfolgungsverjährung unter Zuhilfenahme des geschützten Rechtsgutes klären. Die zweite Funktion des Rechtsgutes ist systemkritischer Natur: es soll eine kritische Analyse bestehender oder geplanter Gesetze ermöglichen. Der Strafgesetzgeber soll nur zum Schutz von Rechtsgütern tätig werden dürfen; was nicht dem Schutz eines Rechtsguts dient und etwa eine bloße Moralwidrigkeit oder Verstöße gegen rein ideologische Zielsetzungen pönalisiert, gehört nicht in ein Strafgesetzbuch.137
134 BVerfGE 1, 299, 312; 10, 234, 244; 11, 126, 130; BGHSt 1, 1, 3 f.; 10, 157, 159 f.; Baumann/Weber/Mitsch, 9/68; Jescheck/Weigend, § 17 IV 1 b; Larenz, S. 318; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 31; Zippelius, Methodenlehre, S. 19 ff.; die Bezeichnung als „objektive“ Auslegungstheorie meint also nicht die Vertreter der früher vertretenen rein objektiven Lehre (so noch Radbruch, S. 211); gemeint sind all die Lehren, die dem Willen des historischen Gesetzgebers (verschieden starke) Beachtung schenken, aber letztlich, um dem Erfordernis der Anpassung eines Gesetzes an einen Wandel der Normsituation gerecht zu werden, im Rahmen der Auslegung eine Rechtsfortbildung zulassen. Die Möglichkeit der Rechtsfortbildung wird, um dem Grundsatz der Gesetzesbindung Rechnung zu tragen, z. T. insoweit beschränkt, als die erkennbaren Wertentscheidungen des Gesetzgebers respektiert werden müssten; vgl. Larenz, S. 318, 344; Roxin, 5/32. 135 BGHSt 2, 363; 8, 263; Rudolphi, in: FS-Honig, S. 151 und SK, § 1 Rn. 33; Suhr, JA 1990, 303. 136 BVerfGE 1, 299; 11, 126, 130; BGHSt 17, 21, 23; 24, 40; Jescheck/Weigend, § 17 IV 1 b; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 34; Wessels/Beulke, Rn. 57. 137 Vgl. dazu insb. NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 115; Otto, in: Strafrechtsdogmatik, S. 14 f., 20; Roxin, 2/17 ff.; Rudolphi, in: FS-Honig, S. 167 und SK, Vor § 1 Rn. 5 f.
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
2. Zur Wandelbarkeit von Rechtsgütern Eine Untersuchung der §§ 283 ff. im Hinblick auf das ihnen zugrunde liegende Rechtsgut erscheint insbesondere nach der Neuausrichtung des Insolvenzrechts durch die Insolvenzordnung nun unter zwei Gesichtspunkten geboten: Zum einen in Hinblick darauf, dass Güter und Interessen, die als Rechtsgüter in Frage kommen, Gegenstand und Ergebnis gesellschaftlicher Verarbeitungsund Herstellungsprozesse sind und die Gesellschaft zudem nicht statisch ist, sondern sich ständig fortentwickelt. Mithin kann auch die Anschauung darüber, welche Gegebenheiten für sie wichtig sind, einem Wandel unterliegen.138 Ein Rechtsgut ist historisch relativ und kann somit im Laufe der Zeit Modifizierungen erfahren. Zum anderen ist die Untersuchung der §§ 283 ff. deshalb sinnvoll und zulässig, weil sich ein derartiger Wandel auch in einem bereits bestehenden Straftatbestand niederschlagen kann: Auf der Grundlage der objektiven Auslegungstheorie ist ein Gesetz auf seinen objektiven, normativen Sinn und Zweck hin zu untersuchen, also denjenigen, der ihm unter den heutigen Verhältnissen sinnvollerweise zukommt.139 Auch wenn der Gesetzesanwender die Zweckvorstellungen des Gesetzgebers zum Ausgangspunkt oder dessen grundsätzliche Wertentscheidung zur Grenze macht, wird ihm doch ermöglicht, von diesem noch nicht berücksichtigte, zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens u. U. noch gar nicht bekannte bzw. vorhandene Aspekte – im Rahmen des sprachlich möglichen Wortsinns – in die Auslegung einfließen zu lassen. Unter den Faktoren, die zu einer Überprüfung und damit möglicherweise zu einer Änderung der bisherigen Auslegung Anlass geben, dürfte dem Wandel der Normsituation, d. h. der tatsächlichen Verhältnisse und Gepflogenheiten, auf die hin der historische Gesetzgeber seine Regelung entworfen hat, die größte Bedeutung zukommen.140 So liegt es denn überaus nahe, dass diejenigen Erwägungen, die während der langwierigen Diskussion über die Reformierung des Gesamtvollstreckungsrechts zutage getreten sind und die letztendlich durch den Gesetzgeber in der Insolvenzordnung berücksichtigt wurden, die Normsituation zumindest partiell verändert und im Schutzgut der Insolvenzstraftatbestände Spuren hinterlassen haben.
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NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 139 ff.; SK/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 7. Zweifelhaft erscheint die Möglichkeit der Einbeziehung gegenwärtiger Verhältnisse für eine subjektive Auslegungstheorie; so hält v. Rintelen, S. 26 ff., den Austausch des Rechtsgutes bei § 265 durch die herrschende Meinung aus der Sicht einer subjektiven Auslegungstheorie für unzulässig, lässt aber gleichwohl gewisse (mit dem Grundgedanken einer subjektiven Auslegungslehre nur schwer zu vereinbarende) Möglichkeiten der Gesetzesanpassung zu (S. 53 ff.). 140 Vgl. Larenz, S. 318, 333. 139
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3. Die Ermittlung der einem Straftatbestand zugrundeliegenden Rechtsgüter Trotz einer lebhaften Diskussion um den Rechtsgutsbegriff und seiner Bedeutung für die praktische Auslegung eines Straftatbestandes ist weithin ungeklärt (und unbeachtet), nach welchen konkreten Kriterien die Rechtsgüter bereits bestehender Straftatbestände zu bestimmen sind.141 Die geringe Aufmerksamkeit, die diesem Erkenntnisprozess geschenkt wird, ist insbesondere angesichts der Vielfalt der vertretenen Positionen zum Rechtsgut der Insolvenzdelikte (Vermögen der Gläubiger, Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft oder gar der Gesamtwirtschaft etc.) erstaunlich, finden sich doch in den Tatbeständen kaum eindeutige Hinweise auf eine der angebotenen Rechtsgutsbestimmungen. Um den Erkenntnisprozess umschreiben zu können, muss man sich zunächst vergegenwärtigen, dass es sich bei der Rechtsgutsdogmatik (auch) um eine strafrechtliche Spezialform142 der allgemeinen Teleologiedogmatik der rechtswissenschaftlichen Methodenlehre handelt. Im Rahmen der teleologischen Auslegungsmethode, die auf den Sinn und Zweck des Gesetzes rekurriert, spielt die Aufgabe des Strafrechts, Rechtsgüter zu schützen, eine entscheidende Rolle.143 Das Rechtsgut ist demnach als Denkform für die ratio legis, als der „vom Gesetzgeber in den einzelnen Strafrechtssätzen anerkannte Zweck in seiner kürzesten Formel“144 anzusehen. Auf der Grundlage der heute herrschenden objektiven Auslegungstheorie, die den Sinn des Gesetzes nicht am (subjektiven) Willen des historischen Gesetzgebers festmacht, sondern nach dem (objektiven) Sinn des Gesetzes forscht, muss mithin die zu beantwortende Frage lauten, welche Rechtsgüter die Norm angesichts der vorgefundenen heutigen Verhältnisse sinnvollerweise zu schützen bezweckt. Obgleich sich der heute verfolgte Zweck von demjenigen unterscheiden kann, den eine Norm bei ihrem Inkrafttreten verfolgt hat, lassen sich den diesbezüglichen Willensäußerungen des historischen Gesetzgebers insbesondere bei
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So auch LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 54; Schüppen, S. 96. Spezialform insofern, als an den verfolgten Zweck, den Schutz eines Rechtsguts, besondere Anforderungen gestellt werden; aus der Sicht der heute herrschenden Rechtsgutslehren, die dem Rechtsgutsbegriff einen materiellen (systemkritischen) Gehalt beilegen (s. Fn. 137), kann Schutzgegenstand nicht jedes beliebige Interesse oder Gut sein; ihm muss, soll die Pönalisierung zu rechtfertigen sein, eine gewisse Werthaltigkeit zukommen. 143 s. die in Fn. 135 Genannten; dazu, dass sich die Auslegung einzelner Begriffe eines Straftatbestandes allerdings nicht allein am geschützten Rechtsgut zu orientieren hat, sondern vielschichtig ist, s. noch B. sowie 3. Teil A. III. 1.; die Überbetonung des Rechtsguts im Rahmen der Auslegung birgt die Gefahr, die Beschränkung der Pönalisierung auf bestimmte Angriffe zu beseitigen; vgl. Otto, AT, S. 27; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 33. 144 Honig, S. 94. 142
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
neueren Straftatbeständen Indizien für den bezweckten Schutz entnehmen.145 So hatte der Gesetzgeber bei der Formulierung der Norm im Gesetzgebungsverfahren eine bestimmte Stoßrichtung vor Augen und bekundete schließlich durch den Gesetzesbeschluss, dass er die gewählte Formulierung für zweckförderlich hielt.146 Da das Hauptaugenmerk der objektiven Auslegungstheorie aber auf dem Aufspüren des objektiven Gesetzessinns liegt, muss sich die Suche nach dem Gesetzeszweck vorwiegend auf andere Quellen als den subjektiven Willen des Gesetzgebers stützen. Hierzu bleibt letztlich, schon mangels anderer Alternativen, lediglich der Rückgriff auf den Straftatbestand selbst. Um diesem den ihm innewohnenden objektiven Zweck entnehmen zu können, erscheint es für die Suche nach den geschützten Individualrechtsgütern sinnvoll, die typischen negativen Auswirkungen derjenigen Fälle zu betrachten, die unzweifelhaft vom Wortlaut der Tatbestandsumschreibungen erfasst werden.147 Denn auch, wenn es erst das Ziel der Bestimmung des Gesetzeswecks ist, die Grenzen der einzelnen Tatbestandsmerkmale und damit der Strafbarkeit festzulegen, dürfte es doch möglich sein, Normalfälle zu bilden, die insofern unzweifelhaft tatbestandsmäßig sind, als sie unter den Begriffskern148 der Tatbestandsmerkmale zu subsumieren sind. Anhand der typischerweise auftretenden Auswirkungen bei normalgelagerten Fällen ist dann eine Bezeichnung für den den Tatbestandsalternativen innewohnenden Schutzzweck zu wählen. Jedenfalls im Begriffskern der Tatbestandsumschreibungen sollte sich nämlich das Rechtsgut des Straftatbestandes herauskristallisieren.149 Bei dieser Vorgehensweise ist insbesondere die mit der 145 Vgl. LK/Tiedemann, Vor § 283, Rn. 54; SK/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 4 und § 1 Rn. 31 a. E. m.w. N. 146 Vgl. Larenz, S. 329, der allerdings darauf hinweist, dass die den Gesetzentwurf verfassenden Personen weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit den „Gesetzgeber“ darstellen. 147 Jacobi, S. 20; zum Aufspüren etwaiger Kollektivrechtsgüter erscheint diese Methode demgegenüber wenig geeignet, weil sich bei diesen typischerweise das Problem eines langen Vermittlungszusammenhangs zwischen der (hinreichend bestimmt umschriebenen) tatbestandlichen Handlung und der Verletzung (oder auch nur einer hinreichenden Gefährdung) des Rechtsgutes besteht; in normalgelagerter Fällen wird es typischerweise zu relevanten Auswirkungen auf diese Kollektivgüter nicht kommen; s. zu dieser Problematik noch IV. 1. c). 148 Zur Unterscheidung von Begriffskern und Begriffshof vgl. Bydlinski, S. 118 f. 149 Eine ähnliche Vorgehensweise schlägt auch Tiedemann vor, in: LK, Vor § 283 Rn. 54; vgl. dens., Tatbestandsfunktionen, S. 121, Fn. 36; ihm folgend Schüppen, S. 96. Demgegenüber wird teilweise vorgebracht, die Ermittlung des Rechtsgutes habe von der dem Tatbestand vorgelagerten Verhaltensnorm auszugehen (Krause, S. 154). Doch ist auch die Formulierung der den §§ 283 ff. zugrundeliegenden Verhaltensnorm mangels anderer Anhaltspunkte nur anhand der Betrachtung der Folgen normalgelagerter Fälle möglich. Wenn nach Krause die Verhaltensnorm der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 bestimmt, man habe als Schuldner die eigene Erfüllungsfähigkeit nach Eintritt der Krise nicht durch bestimmte Vermögensdispositionen nachteilig zu verändern, so kann er die Einsicht, dass die genannten Bankrotthandlungen die Erfüllungsfähigkeit gegenüber den Gläubigern beeinträchtigen, nur
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Ermittlung des Schutzzwecks im Rahmen der teleologischen Auslegung stets verbundene Gefahr, Zwecksetzungen und Ziele einer Norm nur zu fordern, nicht aber aufzuspüren150 und daher bei der Auslegung eines Tatbestandsmerkmals zirkulär zu argumentieren, gebannt. Insofern ist die Frage nach dem einem Straftatbestand zugrundeliegenden Rechtsgut eine positivistische, die Antwort ist dem geltenden Recht zu entnehmen. Die Frage, ob und inwieweit der Gesetzgeber an eine vorstrafrechtliche Güterordnung gebunden ist, m. a. W., welche Güter überhaupt zu strafrechtlich geschützten Rechtsgütern erhoben werden dürfen,151 tritt bei der Bestimmung des Rechtsguts eines bestehenden Straftatbestandes dagegen in den Hintergrund; dies gilt insbesondere für solche Tatbestände wie die §§ 283 ff., die prima facie der Pönalisierung bloßer Moralwidrigkeiten,152 von denen keinerlei Störung sozialer Funktionen ausgeht, unverdächtig sind. Will man nun anhand der gewählten Methode die Insolvenzstraftatbestände auf die zugrundeliegenden Rechtsgüter untersuchen, erscheint es allerdings erforderlich, die Vielzahl der normierten Tatbestandsalternativen zunächst zu kategorisieren.
II. Zur Systematik der §§ 283 ff. Durchmustert man die „verwirrende Reihe“153 der Tatbestandsalternativen des § 283, so wird schnell deutlich, dass sich diese, wie auch die Insolvenzdelikte insgesamt, in zwei Gruppen aufteilen lassen. Unterscheiden lassen sich im Anschluss an Krause154 die sog. (vermögens-)bestandsbezogenen und die sog. informationsbezogenen Verhaltensweisen. Da sich diese Systematisierung an den typischen Auswirkungen der unzweifelhaft von den Tatbestandsalternativen durch einen zumindest mitgedachten Normalfall erlangt haben, gehört diese Folge doch nicht zur Tatbestandsumschreibung. 150 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 59; vgl. Jacobi, S. 18 ff. 151 Vgl. hierzu Günther, JuS 1978, S. 10, 13; Meyer, S. 95 f.; Rudolphi, in: FSHonig, S. 166 und SK, Vor § 1 Rn. 5 f., 10 f.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 117. 152 Der Wert des Rechtsgutsbegriffs für die Limitierung des strafrechtlichen Aufgabengebietes wird auch von den Vertretern eines materiellen, systemtranszendenten Rechtsgutsbegriffs relativiert; im Wesentlichen ist die Ausgrenzung bloßer Moralwidrigkeiten Gegenstand der von ihnen postulierten systemkritischen Funktion des Rechtsgutsbegriffs, vgl. Günther, JuS 1978, 9 m.w. N. in Fn. 17 und die in Fn. 137 Genannten. Angesichts des dem Gesetzgeber von Verfassungs wegen zugestandenen Beurteilungsspielraums dürfte sich die Systemkritik nach Inkrafttreten des Straftatbestandes auf eine entsprechend restriktive Handhabung des Straftatbestandes beschränken, vgl. Rudolphi, Honig-FS, S. 166 und SK, Vor § 1 Rn. 11. 153 Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/1, § 48 III A. 1. 154 S. 35 ff; ebenso NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 5 ff.; ähnlich bereits RGSt 61, 107, 108.
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erfassten Fälle orientiert, ist damit zugleich auch der erste Schritt zur Auffindung des Rechtsgutes gemacht. 1. Bestandsbezogene Bankrotthandlungen Zur ersten Gruppe gehören diejenigen Bankrotthandlungen, durch die eine Verringerung des Vermögensbestandes, der im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse zählt, herbeigeführt wird.155 Diese Gruppe bilden das Beiseiteschaffen, Zerstören, Beschädigen und Unbrauchbarmachen von Vermögensbestandteilen gem. § 283 Abs. 1 Nr. 1, 1. und 3. Alt, Verlustund Spekulationsgeschäfte, Differenzgeschäfte sowie unwirtschaftliche Ausgaben gem. § 283 Abs. 1 Nr. 2, 1. und 2. Alt., Veräußerung und sonstige Abgabe kreditierter Waren und Wertpapiere unter Wert gem. § 283 Abs. 1 Nr. 3 und die Verringerung des Vermögensstandes unter grobem Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft gem. § 283 Abs. 1 Nr. 8, 1. Alt. Diese Tathandlungen sind auch dann als bestandsbezogen anzusehen, wenn sie die Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 283 Abs. 2 herbeiführen. Schließlich lassen sich auch die Gläubigerbegünstigung (§ 283c) und die Schuldnerbegünstigung (§ 283d) zu dieser Gruppe zählen, nimmt man die Variante des Verheimlichens in § 283d Abs. 1 aus. Bei näherem Hinsehen zeigt sich, dass die o. g. Definition der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen diese Tatbestände bereits entgegen deren möglicher Wortbedeutung einschränkt. Aus dem Wortlaut der §§ 283 ff. ist nämlich zunächst nur zu entnehmen, dass die Tatobjekte156 sämtlicher bestandsbezogener Bankrotthandlungen der faktischen Verfügungsgewalt des Täters unterliegen,157 deren Zugehörigkeit zur (potentiellen) Insolvenzmasse wird dagegen nur in § 283 Abs. 1 Nr. 1 (und § 283d) vorausgesetzt. So lässt etwa § 283 Abs. 1 Nr. 3 (Schleudergeschäfte) durchaus die Deutung zu, pönalisiert sei hier auch die Verschleuderung von unter Eigentumsvorbehalt gelieferten Waren, und zwar um der Wahrung des Eigentumsrechts der aussonderungsberechtigten Vorbehaltsverkäufer willen.158 §§ 35 f. InsO definieren aber die Insolvenzmasse159 155
Krause, S. 35; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 6. Der Begriff ist hier im Sinne der Terminologie Schmidhäusers gebraucht, vgl. AT, 5/30. 157 Vgl. RGSt 61, 407, 408. 158 Vgl. sowohl RGSt 66, 176, 177 f., als auch BGHSt 9, 84, 86, die sich beide mit der Möglichkeit des Schutzes der aussonderungsberechtigten Gläubiger auseinandersetzen. I. E. sieht das RG die Verschleuderung von unter Eigentumsvorbehalt gelieferter Ware als nicht tatbestandsmäßig an, da diese nicht zur potentiellen Insolvenzmasse gehöre; der BGH bejaht zwar die Tatbestandsmäßigkeit, aber eben nur zum Schutz der „Gläubigergesamtheit“, die er, wie sich aus der sprachlichen Abgrenzung von den „Lieferanten“ ergibt, offenbar ausschließlich als geschützt ansieht; vgl. Klug, JZ 1957, 462, 464. 156
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als das gesamte, einer Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners, welches ihm zur Zeit der Verfahrenseröffnung gehört und das er während des Verfahrens erlangt. Gegenstände, an denen Aussonderungsrechte bestehen, sind haftungsrechtlich gerade nicht dem Schuldner zugeordnet. Eine Verringerung der (potentiellen) Insolvenzmasse ist daher mit einem Schleuderverkauf i. S. d. § 283 Abs. 1 Nr. 3 nicht zwangsläufig verbunden.160 Dafür, dass gleichwohl Bezugspunkt sämtlicher bestandsbezogener Bankrotthandlungen die (potentielle) Insolvenzmasse i. S. d. Legaldefinition der §§ 35 f. InsO ist, lassen sich dem Wortlaut der §§ 283 ff. allerdings gewichtige Anhaltspunkte entnehmen. So ist etwa in der Generalklausel der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen, § 283 Abs. 1 Nr. 8, 1. Alt, von einer Verringerung seines (i. e. des Gesamtschuldners) Vermögensstandes als Folge der Bankrotthandlung die Rede; es scheinen daher solche Handlungen ausgeklammert, die (nur) schuldnerfremdes Vermögen reduzieren.161 Diese Parallele zu § 35 InsO, der ebenfalls die Rechtsträgerschaft des Schuldners zur Voraussetzung für die Massezugehörigkeit eines Gegenstandes macht, setzt allerdings voraus, dass § 283 Abs. 1 Nr. 8 ebenso wie § 35 InsO von der haftungsrechtlichen Zuordnung zum Schuldnervermögen ausgeht.162 159 Die insolvenzrechtliche Literatur unterscheidet zwischen der sog. „Ist-Masse“ und der sog. „Soll-Masse“. Erstere ist der faktische Bestand, den der Insolvenzverwalter bei Übernahme seines Amtes vorfindet. Dieser wird einerseits noch vermehrt (z. B. durch Insolvenzanfechtung) und andererseits noch verringert (durch Aussonderung). Der hiernach verbleibende Vermögensbestand bildet die „Soll-Masse“, die sämtlichen Insolvenzgläubigern, also auch solchen mit Vorzugsrechten (abgesonderte Befriedigung, Aufrechnung, Masseverbindlichkeiten etc.), als Haftungsvermögen zur Verfügung steht. Die Terminologie der InsO ist uneinheitlich. Zumeist jedoch wird der Begriff „Insolvenzmasse“ im Sinne von „Soll-Masse“ gebraucht, insbesondere definiert § 35 InsO die Insolvenzmasse als „Soll-Masse“; vgl. Häsemeyer, InsR, Rz. 9.06, 14.01; Bork, InsR, Rn. 189; sofern in dieser Arbeit von „Insolvenzmasse“ die Rede ist, ist die „Soll-Masse“ gemeint. 160 Krause (S. 261) sieht die Insolvenzmasse im Fall des Verschleuderns von Eigentumsvorbehaltsgut gleichwohl als geschmälert an, weil sie mit einem Schadensersatzanspruch belastet werde. 161 Die Schlussfolgerung kann man jedenfalls dann ziehen, wenn man § 283 Abs. 1 Nr. 8 als Grundtatbestand der in den Nrn. 1–7 ausdrücklich umschriebenen Handlungen ansieht; vgl. LK/Tiedemann, § 283 Rn. 12, der Nr. 8 als Grundtatbestand und Oberbegriff, die Nrn. 1–7 als Beispiele, die – ähnlich Regelbeispielen – im Rahmen der Nr. 8 analogiefähig seien, begreift. Vgl. auch NK/Kindhäuser, § 283 Rn. 6, der Nr. 8 zwar für einen Auffangtatbestand hält, aber mit dem RegE des 1. WiKG (BTDrS. 7/3441, S. 36) von einer Unrechtsverwandtschaft ausgeht, die sich bereits daraus ergebe, dass sich alle Bankrotthandlungen entweder auf den Bestand des Schuldnervermögens oder auf Informationen über diesen bezögen. 162 Dass die haftungsrechtliche Zuordnung zum Schuldner und damit zur Insolvenzmasse nicht immer der dinglichen Zuordnung eines Rechtes folgt, zeigt etwa die Behandlung des Sicherungseigentums nach der InsO, das dinglich zwar dem Sicherungsnehmer (Gläubiger), haftungsrechtlich aber dem Sicherungsgeber (Schuldner) zugeordnet ist und nur ein Absonderungsrecht gewährt, § 51 Nr. 1 InsO.
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Dafür, dass zudem Auswirkungen auf das zwar schuldnereigene, aber nicht in die Insolvenzmasse fallende Vermögen nicht von der Wendung „seinen Vermögensstand verringert“ erfasst sein sollen, spricht, dass diese Vermögensbestandteile dem Schuldner selbst im Falle der Generalexekution seines Vermögens erhalten bleiben und seiner freien Verfügung unterliegen sollen; solchen Tathandlungen, die eine Verringerung nicht vollstreckungsunterworfenen Schuldnervermögens zur Folge haben, ließe sich kein geschütztes Rechtsgut Dritter zuordnen. Damit liegt insgesamt nahe, dass die Formulierung „seinen Vermögensstand verringert“ auf die „Soll-Masse“ i. S. d. InsO abzielt. 2. Informationsbezogene Bankrotthandlungen Die zweite Gruppe umfasst all diejenigen Tathandlungen, durch die der Täter entweder unrichtige Informationen über seinen Vermögensbestand abgibt oder die ihm obliegende Darstellung seines Vermögensbestandes unrichtig, mangelhaft oder überhaupt nicht ausführt.163 Hierher gehören das Verheimlichen von Vermögensbestandteilen gem. § 283 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt, das Vortäuschen von Rechten und die Anerkennung erdichteter Rechte anderer gem. § 283 Abs. 1 Nr. 4, die mangelhafte oder unterlassene Führung von Handelsbüchern gem. § 283 Abs. 1 Nr. 5 sowie deren Entziehung und Beschädigung gem. § 283 Abs. 1 Nr. 6, die mangelhafte oder nicht rechtzeitige Bilanzaufstellung gem. § 283 Abs. 1 Nr. 7 und ferner das Verschleiern und Verheimlichen der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse gemäß der Generalklausel des § 283 Abs. 1 Nr. 8. Auch hier sind die oben genannten Tathandlungen ebenso einzubeziehen, wenn sie die Krise i. S. d. § 283 Abs. 2 kausal herbeiführen. Überdies lassen sich die Verletzung der Buchführungspflicht gem. § 283b und die Schuldnerbegünstigung in der Variante des Verheimlichens (§ 283d Abs. 1) zwanglos dieser Gruppe zuordnen.
III. Die geschützten Individualrechtsgüter Wenn man annimmt, dass das schuldnerische Vermögen Angriffsgegenstand der pönalisierten Bankrotthandlungen ist, kann der Schuldner nicht zugleich Träger des geschützten Rechtsguts der §§ 283 ff. sein. Dies ergibt sich schon daraus, dass das StGB ein Gut nicht vor Verletzungen durch den Inhaber des Gutes schützt; der Angriff auf das eigene Leben, die eigene Freiheit, das eigene Vermögen ist vielmehr straflos.164 Mit dem angegriffenen schuldnereigenen Tatobjekt muss daher zwangsläufig ein Rechtsgut Dritter verbunden sein. Als sol163 164
NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 6; Krause, S. 37. V. Brunegg, GS 82 [1914], 230.
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ches nennt die amtliche Gesetzesbegründung zum 1. WiKG die Befriedigungsinteressen der Gläubiger des Gesamtschuldners.165 Weitere Ausführungen hierzu sucht man in der Gesetzesbegründung allerdings vergeblich. Orientiert man sich an den zuvor aufgestellten Kriterien zur Bestimmung des Rechtsgutes, so ist von den typischen Auswirkungen der Normalfälle – Verringerung der potentiellen Insolvenzmasse bzw. Beeinträchtigung der den Vermögensbestand betreffenden Informationsgrundlagen – auf den Schutzzweck der Insolvenzstraftatbestände zu schließen. Es ist mithin zu fragen, welche Bedeutung und Funktionen einerseits die Insolvenzmasse und andererseits die korrekte und vollständige Information für die Gläubiger hat.166 1. Die Bedeutung des Masse- und Informationsbestandes a) Die Funktionen der Insolvenzmasse Die Funktion der Insolvenzmasse für die Gläubiger hängt davon ab, ob es zu einer Liquidation oder zu einer Sanierung des schuldnerischen Unternehmens kommt. Es ist deshalb eine getrennte Betrachtung der beiden Verwertungsrichtungen geboten. aa) Die „passive“ Funktion der Masse im Fall der Liquidation Die Masse dient den Gläubigern zum einen als Substanz, aus der sie im Falle der Liquidation des schuldnerischen Vermögens vollständige oder quotale, ihrer Stellung als absonderungsberechtigte Gläubiger, einfache Insolvenzgläubiger oder Massegläubiger etc. entsprechende, Befriedigung167 erlangen. Der Erhalt der Masse drückt sich hier also unmittelbar in barer Münze aus, da nur dieser verbleibende schuldnerische Vermögensbestand zur Verteilung gelangt. Der Massebestand als Verteilungsobjekt hat durch die InsO zudem insofern eine gesteigerte Bedeutung erlangt, als das freie Nachforderungsrecht der Insolvenzgläubiger (§ 201 Abs. 1 InsO)168 eine gegenüber der Konkursordnung erhebliche Einschränkung erfahren hat: Durch die Möglichkeit insbesondere der gesetzlichen (§§ 286 ff. InsO), aber auch der in einem Insolvenzplan geregelten Restschuldbefreiung und deren Erhebung zum Verfahrensziel (§ 1 S. 2 InsO) 165
RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 34, vgl. a. S. 19 f. Vgl. auch BGH NJW 1980, 406, 407. 167 Der Begriff „Befriedigung“ ist hier im haftungsrechtlichen Sinn der InsO zu verstehen, steht also für Leistungen an die Gläubiger im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren; eingehend dazu Krause, S. 156. 168 Eine Bedeutung hat das freie Nachforderungsrecht freilich nur, sofern es sich beim Schuldner nicht um eine Kapitalgesellschaft oder sonst um eine juristische Person handelt; vgl. Balz, S. 18. 166
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erschöpft sich nunmehr die Befriedigung der Insolvenzgläubiger u. U. in der erlangten Quote. bb) Die „aktive“ Funktion der Masse im Fall der Sanierung Zum anderen kann das verbleibende Schuldnervermögen als Grundstock für eine beabsichtigte Reorganisation dienen. Die Gläubiger machen sich in diesem Fall gewissermaßen den Wert einer „aktiven“ Insolvenzmasse zunutze. So zunächst im Fall der „echten“ Sanierung, also derjenigen sowohl des Unternehmens als auch des Unternehmensträgers:169 Die Gläubigerbefriedigung soll hier nicht aus dem Verwertungserlös der Bestandteile des zerschlagenen Schuldnerunternehmens fließen, sondern vielmehr aus den Erträgen der sanierten und lebensfähigen Unternehmenseinheit. Auch bei der übertragenden Sanierung macht man sich den Wert einer „aktiven“ Insolvenzmasse zunutze. Zwar soll die Erfüllung der schuldnerischen Verbindlichkeit hier i. d. R. nicht aus erwirtschafteten Finanzmitteln des neuen Unternehmensträgers erfolgen, sondern aus dem Verkaufserlös des Unternehmens. Gleichwohl kann man von einer „aktiven“ Masse sprechen, da nicht nur der Zerschlagungswert des Unternehmens erlangt wird, sondern ein dem Fortführungswert angenäherter Betrag; zudem bleibt auch hier das sanierte Unternehmen zumindest teilweise bestehen. b) Die Funktion einer korrekten Informationsgrundlage Die Gruppe der informationsbezogenen Bankrotthandlungen pönalisiert Verhaltensweisen, durch die der Täter entweder unrichtige Informationen über seinen Vermögensbestand abgibt oder die ihm obliegende Darstellung seines Vermögensbestandes unrichtig, mangelhaft oder überhaupt nicht ausführt.170 Die beeinträchtigten Informationsgrundlagen haben für die Gläubiger unterschiedliche Bedeutung, je nachdem, ob man den Zeitraum vor oder nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch (§ 283 Abs. 6) betrachtet. Ist erst der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt, so werden die vorenthaltenen oder verfälschten Informationen benötigt, um eine ordnungsgemäße und zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens zu ermöglichen.171 Diese Notwendigkeit 169
s. 1. Teil B. I. 2. s. II. 2; anzumerken ist, dass die Funktionsbestimmung auf die spezielle wirtschaftlich kritische Situation des Schuldners bezogen werden muss, um bei denjenigen Alternativen, die die Darstellung des Vermögensbestandes betreffen, eine Vermengung mit dem sonstigen – krisenunabhängigen – Bilanzstrafrecht, z. B. § 331 HGB/§ 400 AktG, zu vermeiden; s. hierzu Schüppen, S. 105 ff., der die Rechtsgüter der verschiedenen Normkomplexe des Bilanzstrafrechts gegenüberstellt. 171 Im handelsrechtlichen Schrifttum zum Zweck der handelsrechtlichen Rechnungslegung spricht man insoweit von einer Dokumentations- und Beweisfunktion, vgl. 170
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besteht bereits im Eröffnungsverfahren: Bei der Prüfung, ob ein Eröffnungsgrund gegeben ist, muss das Insolvenzgericht, der eingesetzte Gutachter bzw. der vorläufige Insolvenzverwalter (vgl. § 22 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 InsO) auf die schuldnerische Rechnungslegung172 zurückzugreifen, um etwa für die Feststellung eines Insolvenzgrundes eine Liquiditätsrechnung oder eine Überschuldungsbilanz aufzustellen. Wird dann das Verfahren eröffnet, hat der Insolvenzverwalter, der nunmehr das Verwaltungs- und Verfügungsrecht innehat (§ 80 InsO), möglichst rasch, zuverlässig und vollständig die Soll-Masse, das zur Verwertung gelangende Vermögen, zu ermitteln, woran er etwa durch die in § 283 Abs. 1 Nr. 1 normierte Verheimlichung von Massebestandteilen, aber auch eine fehlerhafte oder unterlassene Buchführung und Bilanzierung i. S. d. § 283 Abs. 1 Nr. 7 gehindert wird. Das Verfahren der Forderungsfeststellung wird insbesondere durch die Vortäuschung von Rechten oder das Anerkennen erdichteter Rechte (§ 283 Abs. 1 Nr. 4) verfälscht, was jedoch auch im Wege der Manipulation der Buchführung (§§ 283 Abs. 1 Nr. 5, 3. Alt.) geschehen kann. Auch die Entscheidungen über die Verwertung und die Aufstellung eines Insolvenzplans (§ 157 InsO) können sinnvoll nur auf einer unverfälschten und vollständigen Informationsgrundlage getroffen werden. Hier tritt die unmittelbare Bedeutung der vom Insolvenzverwalter erarbeiteten173 Informationsgrundlage für die Entscheidungskompetenzen der Gläubiger zutage, da ihnen die Entscheidung über die Art und die Modalitäten der Verwertung nicht vom Insolvenzverwalter oder dem Insolvenzgericht abgenommen wird. Für solche weittragenden, die Befriedigungsquote unmittelbar beeinflussende Fragen gilt das Erfordernis einer breiten und korrekten Informationsgrundlage in besonderem Maße.174 Hinzu
MüKo-HGB/Ballwieser, § 238 Rn. 1. Diese spielt freilich, da die handelsrechtliche Pflicht zur Rechnungslegung nicht nur für den Fall der Unternehmenskrise statuiert wurde, schon vor der Insolvenz des Schuldners eine Rolle, etwa insofern, als sich potentielle Gläubiger vor Vertragsabschluss bei einer entsprechenden Machtstellung die Bilanzen des Schuldners vorlegen lassen können und hierzu teilweise sogar verpflichtet sind (vgl. § 18 KWG), vgl. Schüppen, S. 102. 172 Der Begriff „Rechnungslegung“ wird im handelsrechtlichen Schrifttum als Oberbegriff für die Führung von Handelsbüchern (§ 238 HGB), das Anlegen eines Inventars (§ 240 HGB), die Aufstellung einer Bilanz sowie einer Gewinn- und Verlustrechnung (§ 242 HGB) und die Ergänzungen bei Kapitalgesellschaften (§§ 264 ff. HGB) gebraucht, vgl. Canaris, 12/1 f. 173 Der Insolvenzverwalter hat ein Verzeichnis der einzelnen Gegenstände der Insolvenzmasse (§ 151 InsO), ein Gläubigerverzeichnis (§ 152 InsO) und eine Vermögensübersicht (§ 153 InsO) aufzustellen. Auf dieser Grundlage muss er im Berichtstermin (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 InsO) der Gläubigerversammlung über die wirtschaftliche Lage des Schuldners und ihre Ursachen berichten, sowie die Aussichten der Sanierung und die Möglichkeiten eines etwaigen Insolvenzplans und deren Auswirkungen auf die Befriedigung der Gläubiger darlegen (§ 156 Abs. 1 InsO). 174 Die Bedeutung einer zutreffenden Informationsgrundlage lässt sich anhand der präskriptiven (d. h. normativen) betriebswirtschaftlichen Entscheidungstheorie verdeutlichen, die eine Entscheidung als personale Informationsverarbeitung betrachtet; vgl.
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kommt, dass der durch eine Informationsverschleierung seitens des Schuldners herbeigeführte Informationsmangel weitere Tätigkeiten zur Informationsgewinnung, die wiederum mit einem gewissen Aufwand an Zeit und Kosten verbunden sind, verursacht.175 Betrachtet man den Zeitraum vor dem Eintritt des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, ist ferner bei denjenigen informationsbezogenen Bankrotthandlungen, die eine fehlerhafte oder unterlassene Rechnungslegung zum Gegenstand haben, die Funktion der Selbstinformation des Schuldners auszumachen.176 Dieser erhält durch die handelsrechtliche Rechnungslegung einen Überblick über seinen Vermögensbestand, über die Größe und die Geschwindigkeit seines Umsatzes, über das Verhältnis von (Eigen- und Fremd-)Kapital und (Anlage- und Umlauf-)Vermögen, über Gewinn und Verlust und schließlich über seine Zahlungsmöglichkeiten und die Risikogestaltung.177 Die Selbstinformation des Schuldners dient zum einen, bei bereits eingetretener Krise, der Verhinderung eines weiteren Vermögensverfalls (§ 283 Abs. 1) durch eine möglichst zeitnahe Erkenntnis der Krisensituation und rasche Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Spätestens bei bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit hat der Kaufmann wirtschaftliche Handlungsmöglichkeiten weitgehend verloren, so dass es nicht mehr um die Ermöglichung einer rationalen Unternehmensführung gehen kann; dass hier das Bestreben, marode Unternehmen frühzeitig vom Markt zu nehmen, im Vordergrund steht, zeigt i.Ü. hierzu Bamberg/Coenenberg, S. 12 ff.; Gäfgen, S. 95 ff.; zusammenfassend Krause, S. 325 ff.; Schlüchter, S. 12 ff. 175 Zu den Erwägungen, die für und gegen eine der Entscheidung vorgelagerten weiteren Informationsgewinnungstätigkeit sprechen, vgl. Gäfgen, S. 128 f. 176 RegE 1. WiKG, BT/DrS. 7/3441, S. 38; BGH bei Holtz, MDR 1981, 454; OLG Hamburg NJW 1987, 1342, 1343; Krause, S. 38; LK/Tiedemann, § 283 Rn. 90, 130, § 283b Rn. 1; Moxter, StuW 1989, 232 f.; Müller-Gugenberger/Bieneck, 82/3; NK/ Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 27 f.; a. A. Hauck, S. 79 ff. und Schüppen, S. 115, nach deren Auffassung ein Gläubigerschutz durch Selbstinformation nur dann möglich wäre, wenn der Kaufmann durch Kenntnisnahme seiner handelsrechtlichen Rechnungslegung seinen gegenwärtigen Vermögensstand tatsächlich erkennen könnte; hierfür sei die Handelsbilanz aber wenig geeignet, da nicht alle Vermögenswerte des Kaufmanns erfasst würden (Patente, Know how etc.), die Bewertung der Vermögenspositionen auf Schätzwerten beruhten und die Handelsbilanz keine zeitnahe Information leisten könne. Diese Bedenken sind allerdings eher im Sinne einer Kritik des Gesetzgebers zu verstehen, der mit dem BiRiLiG gerade die verbesserte Selbstinformation im Blick hatte (Hopt, HBG, Einl. 14 v. § 238); so besteht denn auch im handelsrechtlichen Schrifttum weitgehende Einigkeit, dass die Rechnungslegungsvorschriften des HGB insgesamt auf Selbstkontrolle zum Zweck des Gläubigerschutzes gerichtet sind, vgl. Canaris, 12/11 m.w. N.; LK/Tiedemann, § 283 Rn. 90 verweist zutreffend auf den Gesetzeswortlaut der §§ 238 Abs. 1 S. 1, 242 Abs. 1 S. 1 HGB („die Lage seines Vermögens ersichtlich zu machen“, „das Verhältnis seines Vermögens und seiner Schulden darstellenden Abschluss“). 177 LK/Tiedemann, § 283 Rn. 90 unter Hinweis auf Alternativ-Entwurf BT § 192 Abs. 1 Nr. 3.
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auch die für Organe juristischer Personen bestehende Antragspflicht im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung.178 Zum anderen, vor Kriseneintritt, soll die Verursachung der Unternehmenskrise aufgrund unternehmerischer Fehlentscheidungen infolge mangelhafter oder unterlassener Rechnungslegung vermieden werden (§ 283 Abs. 2).179 Letztgenannter Aspekt lässt die Selbstinformationsfunktion noch deutlicher zutage treten, denn da die mangelhafte oder unterlassene Rechnungslegung für die Krise hier zumindest mitursächlich sein muss, wird dem Schuldner nicht nur eine Schuldendeckungs- bzw. Liquiditätskontrolle auferlegt, sondern – weitergehend – gewissermaßen eine Pflicht zu einer gegenüber den Gläubigern verantwortungsvollen Unternehmensführung, nämlich zu einer solchen, die sich des kaufmännischen Mittels der korrekten Buchführung und Bilanzierung bedient.180 In diesem Stadium (d. h. vor Eintritt der Strafbarkeitsbedingung) rücken die genannten Tathandlungen in die Nähe der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen, geht es wie bei diesen doch im Ergebnis um den Erhalt der (potentiellen) Masse durch den Schuldner und nicht darum, den bereits durch Handlungen des Schuldners reduzierten Massebestand auffindbar zu machen. Anders als bei den „reinen“ bestandsbezogenen Bankrotthandlungen ist die Masse hier aber regelmäßig nicht der Gefahr der bewussten, sondern der unbewussten Misswirtschaft ausgesetzt.181 2. Die geschützten Gläubigerinteressen Aus den genannten Funktionen des Masse- und Informationsbestandes für die Gläubiger lassen sich nun auch deren schützenswerte Interessen ableiten. a) Das Befriedigungsinteresse der Gläubiger Hinter dem Schutz vor Masseschmälerungen durch die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen steht im Fall der Liquidation des schuldnerischen Vermögens das Interesse der Gläubiger an einer möglichst weitgehenden Befriedigung 178 §§ 42 Abs. 2 BGB, 130a, 177a HGB, 99 GenG, 92 Abs. 2 AktG, 64 GmbHG; eine Antragspflicht, bei deren Verletzung Schadensersatz zu leisten ist, auch für den Fall zu normieren, dass der Schuldner eine natürliche Person ist, brächte nur weitere Schulden; Bork, InsR, Rn. 81. 179 NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 27 f. 180 Damit konstituieren die §§ 283 ff. allerdings keine generelle Pflicht zu einer rationalen Unternehmensführung. Denn strafrechtlich sanktioniert ist nur die Schaffung bzw. der Erhalt einer für rationales Wirtschaften unerlässlichen Informationsgrundlage, aber eben nicht, sich den gewonnenen Informationen entsprechend zu verhalten. 181 LK/Tiedemann, § 283 Rn. 181.
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im Insolvenzverfahren. Diese Deutung entspricht sowohl der Gesetzesbegründung zum 1. WiKG182 als auch der allgemeinen Auffassung in Literatur und Rechtsprechung183. Die Befriedigungsinteressen der Gläubiger im Insolvenzverfahren zu schützen, impliziert zum einen, dass es um eine gemeinschaftliche184 Befriedigung der Gesamtheit der Gläubiger geht – und nicht um diejenige einzelner Gläubiger –, bei der die unterschiedliche Rechtsstellung der verschiedenen Gläubigergruppen185, den gesetzlichen Verteilungsvorschriften der InsO oder den Vereinbarungen im Insolvenzplan entsprechend, berücksichtigt wird.186 Zum anderen soll hiermit betont werden, dass es auch Ziel der auf den Masseerhalt gerichteten Tathandlungen ist, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens überhaupt erst zu ermöglichen. Nur dann kommt es zu einer geordneten, d. h. der par condicio creditorum entsprechenden, Gesamtvollstreckung.187 Diese ist den Gläubigern bereits deshalb von Nutzen, weil die Kosten der Gemeinschaftsveranstaltung des Insolvenzverfahrens unter der Summe der Kosten vieler Einzelvollstreckungsmaßnahmen liegt und daher die begründete Erwartung besteht, dass der Erlös der Gesamtvollstreckung für die Gläubigergemeinschaft höher liegt als die Summe der Ergebnisse der Einzelvollstreckungen.188 Auf den Schutz des Befriedigungsinteresses der Gläubiger ist offenkundig auch die Pönalisierung der informationsbezogenen Bankrotthandlungen gerichtet, wie sich am deutlichsten an den die Selbstinformation des Schuldners gewährleistenden Rechnungslegungstatbeständen zeigt, deren Mechanismus des Gläubigerschutzes demjenigen der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen ähnelt. Aber auch die Sicherung eines reibungslosen Ablaufs des Insolvenzverfahrens, die sämtlichen informationsbezogenen Bankrotthandlungen innewohnt, kommt den Befriedigungsinteressen der Gläubigergesamtheit zugute, indem eine vollständige Erfassung der Soll-Masse gewährleistet wird und eine Vertei182
RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 34, vgl. a. S. 19 f. s. nur RGSt 61, 107, 108; BGHSt 28, 371, 373; BGH NJW 2001, 1875; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 1; Müller-Gugenberger/Bieneck, 75/39; SK/Hoyer, Vor § 283 Rn. 3; Sch/Sch/Stree/Heine, Vor § 283 Rn. 2. 184 Hier wird z. T. auf das Bestehen einer (faktischen) Interessengemeinschaft der Gläubiger hingewiesen, vgl. LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 45; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 24. 185 s. dazu noch 3. 186 Arzt/Weber, BT LH 4, Rn. 309; NK/Kindhäuser, Vor § 283 ff. Rn. 25; vgl. Krause, S. 157 ff., der letztlich aber auf das gleichgerichtete Interesse der Gläubiger an der bestmöglichen Verwertung des schuldnerischen Vermögens abstellt. Der Rekurs auf die Verwertung erscheint allerdings insofern nicht erforderlich, als das Interesse der Gläubiger an ihrer Befriedigung im Insolvenzverfahren die gegenseitige Anerkennung unterschiedlicher Rechtsstellungen impliziert und ihre Interessen insofern nicht gegeneinander gerichtet sind. 187 Krause, S. 155; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 2; Moosmayer, S. 121; NK/Kindhäuser, Vor § 283 Rn. 25; vgl. auch Arzt/Weber, BT LH 4, Rn. 191. 188 Dorndorf, in: FS-Merz, S. 34. 183
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lung an solche Personen, die nur vorgeblich Gläubiger des Gesamtschuldners sind, verhindert wird. Zudem ermöglichen die informationsbezogenen Bankrotthandlungen durch ihren zweifachen Schutz ein gegenüber den Einzelzwangsvollstreckungen kostengünstigeres Gesamtvollstreckungsverfahren und fördern eine rationale Entscheidung über die ertragreichste Verwertungsmöglichkeit, ohne dass eine die Masse zusätzlich aufzehrende kostenintensive Informationsgewinnungstätigkeit des Insolvenzverwalters erforderlich wäre. Dieses Interesse der Gläubiger an einer möglichst weitgehenden Befriedigung besteht auch bei den verschiedenen Formen der Sanierung. Ihre Entscheidung für eine aufwendige und u. U. langwierige Sanierung, deren Erfolg von zahlreichen Unwägbarkeiten abhängt, beruht auf der Erwartung einer vollständigen, zumindest aber höheren quotalen189 Befriedigung als bei einer Liquidation des schuldnerischen Vermögens. Im Fall der übertragenden Sanierung190 sind die Erwartungen der Gläubiger zwar von vornherein nicht auf eine vollständige Befriedigung gerichtet, aber immerhin besteht die Aussicht, durch den Verkauf des Unternehmens als Einheit einen dem Fortführungswert angenäherten Verkaufspreis zu erzielen, der zur Verteilung gelangt und die Quote gegenüber der Liquidation erhöht. Auch diese weitergehenden Befriedigungsinteressen sind, weil sie durch die pönalisierten Bankrotthandlungen typischerweise beeinträchtigt werden, als vom Schutz der §§ 283 ff. umfasst anzusehen. In Hinblick auf die unstreitig geschützten Befriedigungsinteressen stellen die §§ 283 ff. also durch und durch Vermögensdelikte dar, die allerdings – anders als etwa die §§ 263, 266 – nicht das Gesamtvermögen der Rechtsgutsträger schützen, sondern nur spezielle Vermögenswerte. b) Das Gestaltungsinteresse der Gläubiger Betrachtet man den typischen Ablauf einer Insolvenzstraftat und deren Folgen chronologisch, so stellt sich die Frage, ob schon vor der durch die Erlösverteilung erfolgenden (partiellen) Gläubigerbefriedigung schützenswerte Interessen der Gläubiger beeinträchtigt werden. Dies bejahen v. a. Krause191 und Kindhäuser192, die aus der sog. Beteiligtenautonomie und der Möglichkeit des von den Gläubigern beschlossenen Sanierungsplans das Schutzgut der Gestaltungsinteressen der Gläubiger ableiten, die ihnen die Möglichkeit geben sollen, die schuldnerische Wirtschaftskraft wiederherzustellen und eine weitergehende Be189 Quotal heißt i. d. R. auch minimal: Die Quotenhöhe betrug bei den ungesicherten, nicht bevorrechtigen Gläubigern in den letzten Jahren zwischen 3 und 6%, vgl. Groß, S. 20; Mohr, S. 99. 190 s. 1. Teil B. I. 3. 191 S. 159 ff. 192 NK, Vor §§ 283 ff. Rn. 18, 25.
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friedigung als bei der Zerschlagung zu erzielen. Diese Gestaltungsinteressen werden dabei z. T. als selbständiges Rechtsgut angesehen,193 z. T. firmieren sie zusammen mit den Befriedigungsinteressen unter dem Begriff der Insolvenzinteressen, der einen Ausschnitt des Gläubigervermögens kennzeichnet194. aa) Die These Bei dem Begriff der Gestaltungsinteressen handelt es sich allerdings um einen recht unscharfen Begriff, dessen Inhalt bislang wenig Konkretisierung erfahren hat. Auch dem insolvenzrechtlichen Schrifttum sind hierzu keine unmittelbaren Anhaltspunkte zu entnehmen. Anknüpfen ließe sich zunächst an die weitgehenden Gestaltungs- und Mitwirkungsmöglichkeiten der Gläubiger im Insolvenzverfahren, die sich in den durch die InsO eingeräumten Verfahrensrechten der Gläubiger manifestieren.195 Sie ermöglichen den Gläubigern eine weitreichende Autonomie hinsichtlich des gesamten Verfahrensablaufs und legen insbesondere auch die Entscheidung darüber, wie mit dem verbleibenden Schuldnervermögen verfahren werden soll, in die Hände derjenigen, denen die Insolvenzmasse letztlich haftungsrechtlich zugewiesen ist. So bestimmen die Gläubiger (respektive die Gläubigerversammlung) im Wege der Mehrheitsentscheidung nicht nur über die Art der Verwertung (vgl. § 157 S. 1 InsO), sondern können überdies dem mit der Ausarbeitung eines Insolvenzplans beauftragten Insolvenzverwalter konkrete Planziele vorgeben (vgl. § 157 S. 2 InsO).196 Schließlich entscheiden sie im Wesentlichen autonom in Abstimmungsgruppen über die Annahme und damit die Ingangsetzung des Plans.197 Diese Gestaltungsmöglichkeiten hinsichtlich der Verwertung des verbliebenen Schuldnervermögens sind allerdings nur von Wert, sofern nicht einzelne Verwertungsalternativen durch eine strafrechtlich verbotene Masseverringerung erschwert oder völlig aussichtslos geworden sind, oder sich aber wegen unrichtiger oder unvollständiger Angaben über den Massebestand fälschlicherweise als wenig aussichtsreich darstellen. Auch die Ausarbeitung eines Insolvenzplans kann durch fehlende oder falsche Informationsgrundlagen erschwert und verzögert werden, und die Anzahl realistischer Ziele eines Sanierungsplans, insbesondere durch Masseschmälerungen, aber auch durch fehlerhafte Informationsgrundlagen, reduziert werden.
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NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 18, 25. Krause, S. 162 f.; ebenso Penzlin, S. 27 f. 195 s. 1. Teil B. II. 1. 196 Trotz fehlenden Initiativrechts zur Vorlage eines Plans sind die Gläubiger berechtigt, dem beauftragten Insolvenzverwalter die Planziele detailliert vorzugeben, s. 1. Teil B. II. 1. b) bb). 197 s. 1. Teil B. II. 1. B) cc). 194
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Bestands- oder informationsbezogene Bankrotthandlungen engen also die der Gesamtgläubigerschaft ansonsten zur Verfügung stehenden Gestaltungsspielräume ein und setzen dadurch mittelbar auch die den Gläubigern (je nach der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gläubigergruppe gestuft) eingeräumten Gestaltungsrechte der Gefahr der Entwertung aus. Letzteres gilt allerdings nur für solche Gestaltungsrechte, die die Verwertung der Masse betreffen, während andere Mitgestaltungsrechte, etwa die Ersetzung des Insolvenzverwalters (§ 57 S. 1 InsO) oder die Wahl des Gläubigerausschusses (§ 68 InsO), nicht tangiert werden.198 Als Gestaltungsinteressen muss man dementsprechend die Interessen der Gesamtgläubigerschaft am Erhalt ihrer Gestaltungsspielräume bei der Masseverwertung und letztlich auch an der von Bankrotthandlungen unbeeinflussten Ausübung ihrer Gestaltungsrechte ansehen. bb) Die eigenständige Bedeutung des Gestaltungsinteresses Dass derartige Gestaltungsinteressen für die Rechtsgutsbestimmung der Insolvenzstraftatbestände von Relevanz sind, kann als unstreitig angesehen werden.199 Dies mag aus der Einsicht resultieren, dass die Beeinträchtigung der Gestaltungsinteressen im obigen Sinne ebenso typisch und regelmäßig aus den bestands- und informationsbezogenen Bankrotthandlungen folgt wie eine Beeinträchtigung der Befriedigungsinteressen.200 Uneinig sind die bisherigen Literaturstimmen allerdings darin, ob sie einen von den Befriedigungsinteressen zu trennenden Bestandteil des Gläubigerschutzes darstellen201 oder bereits vom Schutz der Befriedigungsinteressen umfasst sind202. Für die letztere Sichtweise wird vorgebracht, dass die Gestaltung der Gläubiger im Insolvenzverfahren letztlich dem Zweck der Maximierung der zur Verteilung gelangenden Masse 198
Der Begriff der Gestaltungsinteressen ist also insofern unpräzise, als er nicht, wie er suggerieren mag, das strafrechtliche Pendant zum (insolvenz-)verfahrensrechtlichen Begriff der Gläubigerautonomie ist, zu deren umfassenden Schutz die Insolvenzstraftatbestände nicht geeignet sind. 199 Dohmen/Sinn, KTS 2003, 210 f.; Moosmayer, S. 123 ff.; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 1; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 48, 88; Penzlin, S. 28; Röhm, S. 70; Sch/Sch/ Stree/Heine, Vorbem. §§ 283 ff. Rn. 2; SK/Hoyer, Vor § 283 Rn. 4. 200 Vgl. Krause, S. 162 f., und NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 18, 25; Moosmayer, S. 123 ff.; den Bezug zu den informationsbezogenen Bankrotthandlungen lassen sie dabei allerdings außer Acht. 201 So NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 18, 25; vgl. auch Krause, S. 162 f., und Penzlin, S. 27 f., die lediglich eine Zusammenfassung von Befriedigungs- und Gestaltungsinteressen unter dem Begriff der Insolvenzinteressen bzw. Vermögensinteressen fordern. 202 Dohmen/Sinn, KTS 2003, 210 f.; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 1; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 48, 88; Moosmayer, S. 123 ff.; Röhm, S. 70; Sch/Sch/Stree/Heine, Vorbem. §§ 283 ff. Rn. 2; SK/Hoyer, Vor § 283 Rn. 4.
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untergeordnet sei203. Dies zeige die Normierung eines Obstruktionsverbotes in § 245 InsO:204 Die Gestaltungsspielräume könnten vom Insolvenzgericht entzogen werden, wenn ein obstruierender Gläubiger materiell nicht benachteiligt werde und mithin der notwendige Zusammenhang zwischen Befriedigungsinteresse und Dispositionsbefugnis nicht gegeben sei. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Gläubiger seien demnach akzessorisch zu ihrem Interesse an der Haftungsverwirklichung. Zustimmen mag man dem insofern, als eine möglichst weitgehende Befriedigung der Gläubigerforderungen im Insolvenzverfahren der InsO sicherlich im Vordergrund steht und die Ausübung der Gestaltungsmöglichkeiten insofern nicht Verfahrensziel, sondern Mittel zum Zweck ist. Dann ist es nur folgerichtig, dass die Gestaltungsmöglichkeiten eine Grenze an dem Interesse der Gesamtheit der Gläubiger finden, so weitgehend wie irgend möglich befriedigt zu werden. Als Beleg hierfür kann etwa o. g. Obstruktionsverbot herangezogen werden, in dem sich der Gedanke der Begrenzung der Gestaltungsmöglich-keiten in zweifacher Hinsicht spiegelt: Zum einen wird – wie schon von Moosmayer205 vorgebracht – die Anerkennung der Gestaltungsrechte der obstruierenden Gläubigergruppe an ihr eigenes Befriedigungsinteresse geknüpft. Stehen die Gläubiger dieser Gruppe nicht schlechter als im Regelverfahren, gilt ihre Zustimmung als erteilt, wenn zusätzlich die weiteren Voraussetzungen des § 245 Abs. 1 InsO vorliegen. Zum anderen hängt – umgekehrt – die Durchsetzung eines Gestaltungsvorschlages, mag er auch die Zustimmung der Mehrheit der Gruppen finden, von der Wahrung des Befriedigungsinteresses der widersprechenden Gruppe ab, deren Widerspruch dann nicht als Obstruktion gewertet wird, wenn ihre Mitglieder im Regelverfahren besser stünden (vgl. § 245 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Dies ergibt sich auch schon aus dem in § 251 InsO normierten Minderheitenschutz: Selbst dem einzelnen Gläubiger gewährt die InsO Minderheitenschutz gegenüber einem von der Mehrheit gebilligten Insolvenzplan, wenn er durch den vorgelegten Plan schlechter gestellt wird, als er ohne ihn im Regelverfahren, also i. d. R. bei einer Liquidation des schuldnerischen Vermögens, stünde (vgl. § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO). All dies ist aber kein Beleg dafür, dass den Gestaltungsinteressen keine gegenüber den Befriedigungsinteressen eigenständige Bedeutung zukommt und insofern der strafrechtliche Schutz weitgehender Gestaltungsfreiräume überflüssig wäre. Die Notwendigkeit eines eigenständigen Strafschutzes könnte man lediglich dann anzweifeln, wenn die Gestaltungsinteressen zwangsläufig und ausschließlich auf die Maximierung der Befriedigungsquote gerichtet sein müssten und im Vergleich zu letzteren lediglich früher tangiert würden. Dies vermag die 203 204 205
Moosmayer, S. 123 f.; Röhm, S. 69. s. hierzu 1. Teil B. II. 1. b) cc). S. 123 f.
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genannte Argumentation aber gerade nicht darzulegen. Sie belegt lediglich, dass die Gestaltungsmöglichkeiten an der Gewährleistung einer höchstmöglichen Befriedigungsquote des einzelnen Gläubigers eine Grenze finden können. Diese Begrenzung gibt aber nur einen Rahmen vor, in dem sich die Gestaltungsmöglichkeiten der Gläubigermehrheit bewegen können: Die Maßgabe für die Gestaltung des Insolvenzplans, jeden einzelnen Gläubiger hinsichtlich seiner (zu erwartenden) Befriedigungsquote mindestens so zu stellen, wie er ohne den Plan, also i. d. R. bei einer Liquidation des Schuldnervermögens stünde, lässt noch eine Vielzahl möglicher Plangestaltungen zu. Dies zumal deshalb, weil es sich häufig um recht unsichere Prognosen handeln wird, welche Verwertungsart die größeren Befriedigungsquoten verspricht und insofern realistische Planvorschläge selten von vornherein auszuschließen sind.206 Aber auch die Befriedigungsquote einzelner Gläubiger(-gruppen) vernachlässigende Gestaltungsmöglichkeiten sind nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn „benachteiligte“ Gläubiger dem vorgelegten Insolvenzplan wegen anderer Vorteile als einer gegenüber der Liquidation erhöhten Befriedigungsquote zustimmen. Dass in der Insolvenz des Schuldners noch andere Interessen der Gläubiger eine wichtige Rolle spielen als nur die bloßen Befriedigungsinteressen zeigt sich insbesondere bei Plangestaltungen, die auf eine (übertragende) Sanierung und damit den Erhalt des Unternehmens gerichtet sind. Ein Sanierungskalkül kann nämlich, auch wenn dies nicht die Regel sein wird, u. U. auch dann rational sein, wenn geringere Transfers aus dem Schuldnervermögen an die Gläubiger fließen als bei einer Liquidation: Die Gläubiger nutzen hier die Insolvenzmasse zusätzlich dazu, um sich durch die Sanierung einen oder gar den einzigen Abnehmer und bewährte Geschäftsbeziehungen zu erhalten, den eigenen Arbeitsplatz zu sichern oder Sekundär-Konkurse zu vermeiden.207 Dadurch, dass der Gesetzgeber mit der InsO einen auf weitgehende Gläubigerautonomie ausgerichteten Verfahrensrahmen für die marktkonforme Bewältigung von Insolvenzen geschaffen hat, können diese Interessen legitimerweise in die Verwertungsentscheidung der Gläubiger einfließen.208 Den Gläubigern soll durch die marktkonforme Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens die Möglichkeit gegeben werden, ihre Verwertungsentscheidung unter denselben marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten zu fällen wie bei einer außergerichtlichen Liquidation oder Sanierung, da sich der Gesetzgeber von einer marktwirtschaftlichen Verwertungs206 Vgl. Smid/Rattunde, InsO, § 24 Rn. 24 zu den erheblichen Schwierigkeiten solcher Prognoseentscheidungen. 207 s. 1. Teil B. I. 208 Eine andere Frage ist diejenige, welche Ziele das Insolvenzrecht als solches verfolgen darf. Die Begründung zum RegE (BT-DrS. 12/2443, S. 76) stellt insoweit klar, dass es nicht mit der Aufgabe einer gesamtwirtschaftlich orientierten Prozesssteuerung belastet werden soll und es die Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nicht ersetzen kann. Insbesondere diene es nicht dazu, das Arbeitsplatzinteresse der Arbeitnehmer gegenüber Rentabilitätsgesichtspunkten durchzusetzen.
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entscheidung ein Höchstmaß an Wohlfahrt verspricht.209 Unter marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten kann aber etwa der Erhalt einer bewährten Geschäftsbeziehung weit bedeutender sein als die Befriedigungsquote.210 Damit erkennt der Gesetzgeber der InsO auch solche Interessen als das Verfahren mitbestimmend an, wenngleich er ihre Verwirklichung nicht zum Verfahrensziel erhebt. Dass der Gesetzgeber der InsO das Insolvenzverfahren nicht mit gesamtwirtschaftlichen Zielsetzungen überfrachten wollte, die möglicherweise zulasten der Gläubigerinteressen an einer möglichst weitgehenden Befriedigung gehen könnten, und er von daher die möglicherweise volkswirtschaftlich sinnvolle (übertragende) Sanierung eines Unternehmens nicht zum Verfahrensziel erhoben hat, sondern nur als eine gleichrangige unter mehreren möglichen Verwertungsarten ansieht (vgl. § 1 S. 1 InsO),211 besagt noch nichts darüber, ob eine den Interessen der Gläubiger dienende (übertragende) Sanierung nach der InsO legitimes Ziel der gestaltenden Gläubiger sein kann. Sie muss zwar nicht angestrebt werden, kann aber Ziel der mehrheitlich gewählten Verwertungsart der Gläubiger sein, sofern die Gestaltungsinteressen und/oder andere Interessen hierfür sprechen. Dadurch, dass die Gestaltungsmöglichkeiten auch anderen Interessen der Gläubiger dienen können als demjenigen an einer höchstmöglichen Befriedigungsquote, wird deutlich, dass die Gefährdung der Gestaltungsinteressen durch Bankrotthandlungen des Schuldners keineswegs nur eine unselbständige Vorstufe zur Gefährdung der Befriedigungsinteressen ist, sondern in ihrer Bedeutung für die Gläubiger darüber hinausgeht. cc) Das Gestaltungsinteresse als Vermögensrechtsgut Die Gestaltungsinteressen ließen sich zudem zwanglos in den Kreis der anerkannten Rechtsgüter einordnen, wenn man sie als Vermögensrechtsgut ansehen könnte. Auszugehen ist insoweit von der im Vordringen begriffenen personalen Vermögenslehre, die als Vermögen in Anlehnung an den ursprünglichen Sinn des Wortes „vermögen“ – können – nicht nur diejenigen Mittel, denen ein konkreter Geldwert zuzuschreiben ist, ansieht, sondern die das Vermögen vorrangig von der Beziehung zwischen dem Vermögensinhaber und den Mitteln her bestimmt. Vermögen ist hiernach der „wirtschaftliche Handlungsspielraum, den der Einzelne aufgrund der ihm zur Verfügung stehenden Mittel hat und der ihm die
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RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 76. Vgl. RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 76. s. 1. Teil B. I. 2.
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Entfaltung seiner Persönlichkeit in dem Bereich ermöglicht, in dem es um die Verwirklichung seiner individuellen wirtschaftlichen Ziele geht“.212 Eine solche Vermögensdefinition nimmt unproblematisch auch die soeben dargestellten Gestaltungsrechte und -spielräume bei der Verwertung der Insolvenzmasse in sich auf und muss deren Einengung oder gar Entwertung durch masseschmälernde Bankrotthandlungen ebenso als Vermögensschaden ansehen wie die Beeinflussung der Gestaltungsrechte durch informationsbezogene Bankrotthandlungen.213 3. Der Kreis der Rechtsgutsträger Definiert man die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen als solche, durch die eine Verringerung des Vermögensbestandes, der im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse zählt, herbeigeführt wird, sind auch Präzisierungen in Hinblick auf die Träger des individuellen Rechtsgutes der §§ 283 ff. möglich. Als solche sind zunächst die Insolvenzgläubiger i. S. d. § 38 InsO unschwer auszumachen, wird ihnen doch mit Verfahrenseröffnung und der damit einhergehenden Beschlagnahme des Schuldnervermögens gem. § 80 Abs. 1 S. 1 InsO die Insolvenzmasse zur gemeinschaftlichen Befriedigung haftungsrechtlich zugewiesen.214 Obwohl die nachrangigen Insolvenzgläubiger i. S. d. § 39 InsO nur in den seltensten Fällen eine Ausschüttung zu erwarten haben, da eine solche nur bei vollständiger Befriedigung aller („normalen“) Insolvenzgläubiger möglich ist (vgl. § 39 Abs. 1 1. Hs.) und ihre Rechtsstellung, bedingt durch den Nachrang ihrer Forderungen, gemindert ist,215 sind auch sie – anders als im alten Recht der KO216 – als Insolvenzgläubiger i. S. d. § 38 InsO in das Verfahren einbezogen. 212 So Schmidhäuser, BT, § 11 Rn. 1 ff.; ähnlich D. Geerds, S. 125 ff., 178 ff.; ders., Jura 1994, 311; Otto, BT, 38/3 ff., 51/53 ff.; ders., ZStW 1984, 360; Penzlin, S. 9 f., 27 f.; zur Kritik etwa LK/Lackner, § 263 Rn. 124. 213 Zurecht verweist Penzlin (S. 27 f.) darauf, dass die herrschenden wirtschaftlichen und wirtschaftlich-juristischen Vermögenslehren aufgrund ihrer Beschränkung des Vermögens auf die geldwerten Güter einer Person weniger zur Aufnahme der Gestaltungsinteressen geeignet erscheinen; zwar wird auch die Ausübung der Gestaltungsrechte i. d. R. letztlich durch wirtschaftliche Interessen bestimmt, den Gestaltungsinteressen selbst dürfte sich allerdings kein objektiver, konkreter Geldwert zuordnen lassen. 214 Bork, InsR, Rn. 128; HK-InsO/Eickmann, § 80 Rn. 1. 215 Sie können die Feststellung ihrer Forderungen nur nach gerichtlicher Aufforderung betreiben (§§ 174 Abs. 3, 177 Abs. 2 InsO), werden bei Abschlagsverteilungen nicht berücksichtigt (§ 187 Abs. 2 S. 2 InsO), haben kein Stimmrecht in der Gläubigerversammlung (§§ 77 Abs. 1 S. 2, 78 Abs. 1 InsO) und nur eingeschränkte Stimmrechte bei der Verabschiedung eines Insolvenzplanes (§ 246 InsO), vgl. Häsemeyer, InsR, Rz. 17.13 ff. 216 Vgl. §§ 63 KO, 32a GmbHG.
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Demgegenüber sind Gläubiger mit Aussonderungsrechten nicht in dem Schutz der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen einbezogen, da die ihnen zur Aussonderung zustehenden Gegenstände nicht zur Insolvenzmasse gehören und sie – jedenfalls soweit es um ihren Herausgabeanspruch auf das Aussonderungsgut geht217 – nicht zu den Insolvenzgläubigern zählen (vgl. § 47 S. 1 InsO). Fraglich bleibt bei dieser von der potentiellen „Soll-Masse“ ausgehenden Bestimmung der Rechtsgutsträger allerdings die Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger sowie der Massegläubiger. Vereinzelte Stimmen verneinen ihre Schutzbedürftigkeit und verweisen etwa auf die §§ 136, 242 ff. bzw. 288 f.218 oder auf §§ 246 und 266219. Was die absonderungsberechtigten Gläubiger anbelangt, so waren zumindest unter Geltung der Konkursordnung Zweifel an ihrer Einbeziehung in den Kreis der Rechtsgutsträger angebracht. Sie hatten nämlich – und insofern bestand eine Ähnlichkeit zu den aussonderungsberechtigten Gläubigern – die Möglichkeit, sich außerhalb des Konkursverfahrens aus dem Sicherungsgut zu befriedigen, da sie gem. § 127 Abs. 2 KO entweder kraft Gesetzes oder durch Vereinbarung mit dem Schuldner die Verwertungsbefugnis erlangen konnten, die grundsätzlich gem. § 127 Abs. 1 KO beim Konkursverwalter lag. Dieses Regel-AusnahmeVerhältnis zwischen den beiden Absätzen des § 127 KO verkehrte sich nach Inkrafttreten des BGB,220 so dass Gläubiger mit Absonderungsrechten nunmehr eine den Aussonderungsberechtigten angenäherte Position innehatten. Doch beschreiben Aussonderung und Absonderung gleichwohl Unvergleichbares, da Absonderungsberechtigten nicht die Sache selbst, sondern nur der in ihr verkörperte Wert und dieser nur bis zur Höhe der gesicherten Forderung gebührt.221 Die zur abgesonderten Befriedigung dienenden Gegenstände waren damals wie heute Bestandteile der „Soll-Masse“, sind also haftungsrechtlich dem Schuldnervermögen zugeordnet. Damit sind die absonderungsberechtigten Gläubiger aber ebenso wie die einfachen Insolvenzgläubiger auf den Erhalt der Insolvenzmasse angewiesen. Dies verdeutlicht bei solchen absonderungsberechtigten Gläubigern, deren gesicherte Forderung – wie zumeist – eine Insolvenzforde217 Angesprochen ist hier nicht etwa der Besitz oder ein Anwartschaftsrecht an dem unter Eigentumsvorbehalt gekauften Gegenstand, die u. U. sehr wohl zum schuldnerischen Vermögen gehören können, vgl. LK/Tiedemann, § 283 Rn. 21. 218 LK8 /Schaefer, Vorbem. zu §§ 239 ff. KO a. F., I. 1. 219 RGSt 66, 176, 178; unklar insoweit NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 2, der sich bei Sicherungsübertragungen und Sicherungsvorbehalten für ein Eingreifen der §§ 242, 246, 266 ausspricht, ohne die §§ 283 ff. auszuschließen. 220 Der Grund hierfür lag darin, dass die Befugnis, sich aus dem Gegenstand ohne gerichtliches Verfahren zu befriedigen, in den meisten Fällen der abgesonderten Befriedigung durch das BGB gesetzlich vorgesehen war; vgl. Kuhn/Uhlenbruck, § 127 Rn. 1, § 6 Rn. 52; Lwowski/Heyn, WM 1998, 474. 221 Bork, InsR, Rn. 246.
A. Die durch die §§ 283 ff. StGB geschützten Rechtsgüter
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rung ist und die somit (zugleich) zu den Insolvenzgläubigern zählen, die Regelung des § 52 S. 2 InsO. Hiernach sind absonderungsberechtigte Insolvenzgläubiger zur anteilsmäßigen Befriedigung aus der Insolvenzmasse berechtigt, soweit sie auf eine abgesonderte Befriedigung verzichten oder bei ihr ausgefallen sind. Sie werden also insoweit den einfachen Insolvenzgläubigern gleichgestellt. Diejenigen absonderungsberechtigten Gläubiger, die nicht zugleich Insolvenzgläubiger sind (etwa weil eine gegen einen Dritten gerichtete Forderung gesichert ist), sind zwar nicht auf einen möglichst hohen Massebestand, wohl aber auf den Erhalt speziell des massezugehörigen Gegenstandes angewiesen, an dem ihr Recht auf abgesonderte Befriedigung besteht. Auch die absonderungsberechtigten Gläubiger sind daher als von den §§ 283 ff. geschützt anzusehen. Ebenso wie die Insolvenzgläubiger erlangen auch die Massegläubiger222 Befriedigung aus der Insolvenzmasse. Zwar werden sie im Gegensatz zu diesen vorweg und vollständig befriedigt (vgl. § 53 InsO), doch wird dazu eben auf denselben schuldnerischen Vermögensbestand – die „Soll-Masse“ i. S. d. § 35 InsO – zurückgegriffen. An ihrer Einbeziehung in den Kreis der Rechtsgutsträger bestehen daher ebenfalls keine Bedenken. Gegen die Einbeziehung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Massegläubiger kann auch schwerlich geltend gemacht werden, sie seien durch andere Strafvorschriften hinreichend geschützt: Nimmt man zunächst § 136 Abs. 1 in den Blick, so fällt auf, dass dieser erst bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens eingreifen kann, denn erst dann erfolgt die erforderliche Beschlagnahme des Schuldnervermögens, vgl. § 80 Abs. 1 InsO. Keinen Schutz bietet der Tatbestand des § 136 Abs. 1 im Falle der bloßen Zahlungseinstellung oder der Abweisung des Eröffnungsantrages, ebensowenig wie im Vorfeld des durch die Strafbarkeitsbedingungen des § 283 Abs. 6 gekennzeichneten Zusammenbruchs. Zudem wird zwar die Tathandlung der Entziehung aus der Verstrickung einige der in den §§ 283 ff. pönalisierten Verhaltensweisen erfassen, auch in Hinblick auf solche Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen. Doch ist der daraus resultierende Gläubigerschutz rein faktischer Natur. Denn Zweck des § 136 ist allein der Schutz des durch die Pfändung oder Beschlagnahme begründeten öffentlich rechtlichen Gewaltverhältnisses.223 Dagegen dient § 289 dem unmittelbaren Gläubigerschutz. Erfasst sind allerdings nur Nutznießungs-, Pfand-, Gebrauchs- und Zurückbehaltungsrechte, also
222 Massegläubiger sind all diejenigen Gläubiger, deren Ansprüche erst nach der Verfahrenseröffnung begründet und durch das Gesamtvollstreckungsverfahren veranlasst worden sind, vgl. §§ 53 ff. InsO. 223 Sch/Sch/Cramer, § 136 Rn. 2; Tröndle/Fischer, § 136 Rn. 1; vgl. BGHSt 5, 155, 157.
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
nicht sämtliche ein Absonderungsrecht gewährenden Rechte,224 und diese auch nur, sofern sie an Sachen, nicht aber, sofern sie an Forderungen bestehen. Auch besteht der Schutz nur gegen eine Wegnahme225 der belasteten Sache, die allerdings im Vorfeld sämtlicher bestandsbezogener Bankrotthandlungen liegen kann. Pönalisiert ist damit aber eben nicht die für eine Masseaushöhlung entscheidende Beiseiteschaffung, Beschädigung, Verschleuderung etc. § 289 bietet somit lediglich für solche absonderungsberechtigten Gläubiger, die nicht zugleich Insolvenzgläubiger sind, einen gewissen Schutz. § 246 vermag einen ähnlichen Schutz für die Gläubiger gewähren, deren Absonderungsrecht auf einer Sicherungsübereignung oder einem erweiterten226 Eigentumsvorbehalt beruht, denn Tatobjekt ist eine fremde Sache. Die Tathandlung der Zueignung mag bei einigen bestandsbezogenen Bankrotthandlungen (mit-)erfüllt sein, nicht jedoch bei bloßer Preisgabe oder Zerstörung der Sache.227 Schließlich ist auch § 266 kein Ersatz für den insolvenzstrafrechtlichen Schutz der in Frage stehenden Gläubigergruppen. Beim Gros der denkbaren Fälle wird es an einer Vermögensbetreuungspflicht228 des Schuldners mangeln,229 auch wenn diese in besonders gelagerten Einzelfällen beim sicherungs224 Nicht erfasst sind insb. die Absonderungsrechte, die das Sicherungseigentum und der verlängerte und erweiterte Eigentumsvorbehalt gewähren. Streitig ist darüber hinaus, ob auch besitzlose Vermieter- oder Verpächterpfandrechte den Schutz des § 289 genießen; dies ist davon abhängig, ob man als Tathandlung eine Wegnahme i. S. d. § 242 (so Sch/Sch/Cramer, § 289 Rn. 8; SK/Hoyer, § 289 Rn. 10; Arzt/Weber, BT LH 3, Rn. 310 f.) oder (weiter) eine Entziehung aus dem tatsächlichen Machtbereich eines anderen, so dass diesem die Ausübung der genannten Rechte unmöglich gemacht wird (so BayObLG NJW 1981, 1746; Tröndle/Fischer, § 289 Rn. 2; LK/ Schäfer, § 289 Rn. 8), verlangt. 225 Zur Auslegung des Begriffs „Wegnahme“ i. S. d. § 289 vgl. die vorige Fn. 226 Das aus einem verlängerten Eigentumsvorbehalt fließende Absonderungsrecht ist allerdings nicht erfasst, da es sich auf die vorausabgetretene Forderung aus der Weiterveräußerung des Vorbehaltsguts bezieht. Forderungen werden aber von § 246 nicht geschützt. 227 OLG Düsseldorf NJW 1987, 2526; Tröndle/Fischer, § 246 Rn. 9. 228 Nach überwiegender Ansicht ist eine identische Vermögensbetreuungspflicht auch für den Missbrauchstatbestand (§ 266 Abs. 1 1. Alt.) vorauszusetzen, vgl. BGHSt 24, 386, 387; 33, 244, 250; Arzt/Weber, BT LH 4, Rn. 179; Lackner/Kühl, § 266 Rn. 4; SK/Samson/Günther, § 266 Rn. 4 f. m.w. N.; Tröndle/Fischer, § 266 Rn. 14; Wittig/Reinhart, NStZ 1996, 471; a. A. Bringewat, GA 1973, 362; Sax, JZ 1977, 702; Schlüchter, JuS 1984, 676 f. m. Fn. 17; Sch/Sch/Lenckner, § 266 Rn. 2, 11. 229 Vgl. etwa für den Fall des verlängerten Eigentumsvorbehalts Wittig/Reinhart, NStZ 1996, 471, die eine Vermögensbetreuungspflicht deshalb verneinen, weil es sich trotz der besonderen Ausgestaltung um einen Kaufvertrag handele, der als Hauptpflicht des Vorbehaltskäufers die Kaufpreiszahlung vorsehe, die durch Abführung des Weiterverkaufserlöses erfolgen solle. Auch eine gesonderte Verkaufserlösklausel, die klarstellt, dass eingezogenes Bargeld unmittelbar in das Eigentum des Vorbehaltsverkäufers übergeht, ändere daran nichts.
A. Die durch die §§ 283 ff. StGB geschützten Rechtsgüter
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übereignenden Schuldner gegenüber dem Sicherungseigentümer/Gläubiger zu bejahen sein mag230. So bieten die genannten Strafvorschriften auch in ihrem Zusammenspiel weder umfassenden Schutz gegen die Aushöhlung des Massebestandes, insbesondere außerhalb des eröffneten Insolvenzverfahrens, noch können sie die Wahrung speziell solcher Gegenstände, an denen Absonderungsrechte bestehen, gewährleisten. Sämtliche genannten Gläubigergruppen sind auch dann geschützt, wenn das Insolvenzverfahren nicht eröffnet wird, sich also der wirtschaftliche Zusammenbruch des Schuldners in der Ablehnung des Eröffnungsantrages manifestiert. Es geht um den (vorgelagerten) Schutz derjenigen Gläubiger, die am potentiell eröffneten Insolvenzverfahren teilnehmen, unabhängig davon, ob sie letztendlich bei der Verteilung des Erlöses der (wie auch immer gearteten) Verwertung der Insolvenzmasse berücksichtigt werden. Rechtsgutsträger sind also die potentiellen – auch nachrangigen – Insolvenzgläubiger, absonderungsberechtigten Gläubiger und Massegläubiger. Schließlich ist anzumerken, dass diese Gläubiger unabhängig davon geschützt werden, ob ihre Forderung bereits zum Zeitpunkt der Bankrotthandlung bestanden hat oder erst danach – im Zeitraum bis zum Zusammenbruch – entstanden ist.231 Auch die letztgenannten Gläubiger sind in das Insolvenzverfahren einbezogen und daher gleichermaßen auf die Unversehrtheit der Insolvenzmasse und eine unverfälschte Informationsgrundlage angewiesen; durch die Bankrotthandlung werden sie ebenso typisch wie diejenigen Gläubiger, deren Forderung bereits zum Zeitpunkt der Bankrotthandlung begründet ist, in ihren Befriedigungsund Gestaltungsinteressen beeinträchtigt, so dass auch ihr Schutz als durch § 283 intendiert anzusehen ist.232
Die Pflichten des (einfachen) Eigentumsvorbehaltskäufers hat OLG Hamm NJW 1954, 1091 als ausreichende Vermögensfürsorgepflichten angesehen, nicht dagegen der BGH (St 22, 190) und die Literatur (vgl. SK/Samson/Günther, § 266 Rn. 28; Schröder, JR 1969, 191). 230 BGHSt 5, 61, 63; vgl. Tröndle/Fischer, § 266 Rn. 11. 231 Mohr, S. 153, 160 f.; Stapelfeld, S. 261; vgl. LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 53, der künftige (potentielle) Gläubiger sogar noch weitergehend als geschützt ansieht und hierauf seine These vom Schutzgut der Kreditwirtschaft gründet; vgl. auch Tröndle/ Fischer, Vor § 283 Rn. 3, die als Rechtsgut in verdinglichender Anschauung den Schutz der etwaigen Insolvenzmasse zugunsten der Gesamtgläubigerschaft ansehen und dadurch auch solche Gläubiger einbeziehen, deren Forderungen erst nach der Bankrotthandlung entstanden sind. 232 Relevant wird die Frage für die Möglichkeit der Einwilligung in eine Bankrotthandlung, z. B. im Fall der übertragenden Sanierung; vgl. Mohr, S. 160 f., der allerdings auf die sich aufdrängende Frage, ob eine vor der Bankrotthandlung erklärte Einwilligung allein der aktuellen Gläubiger ausreichend ist, nicht eingeht; nach den allgemeinen Grundsätzen der rechtfertigenden Einwilligung – Dispositionsbefugnis der
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
IV. Schutz überindividueller Rechtsgüter? Über den aufgezeigten naheliegenden Individualrechtsgüterschutz hinaus soll nach verbreiteter Meinung auch der Schutz überindividueller Institute von den Insolvenzstraftatbeständen des StGB bezweckt sein. Überwiegend liegt diesen Auffassungen der Wille zugrunde, den als werthaft erkannten Instituten und Zweigen der Wirtschaft einen eigenständigen, vom Individuum losgelösten strafrechtlichen Schutz zuteil werden zu lassen. In der Systematik eines so verstandenen Wirtschaftsstrafrechts wird den Insolvenzstraftatbeständen der Schutz der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft233 zugewiesen. Noch weitergehend ist zum Teil unter Hinweis auf vielfältige Abhängigkeiten von Gläubigern, Schuldnern und Arbeitnehmern sogar vom Schutz der Gesamtwirtschaft234 die Rede. Gegen diese Auffassungen wurden seit jeher Bedenken vorgebracht, verstärkt hat sich die Kritik an der Anerkennung wirtschaftlicher Institute als Rechtsgut der §§ 283 ff. vor allem aber in den letzten Jahren.235 Anreiz für diesen Streit ist sicher auch, dass sich der Gesetzgeber des 1. WiKG, durch das die Insolvenzstraftaten reformiert wurden, in der amtlichen Begründung einer Stellungnahme zum Schutz überindividueller Rechtsgüter enthalten hat,236 anders als bei dem ebenfalls durch das 1. WiKG (wieder-)eingeführten Kreditbetrug gem. § 265b237. 1. Die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft a) Die These Diejenige These zur Anerkennung überindividueller Rechtsgüter im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts, die auch bei den Insolvenzdelikten die wohl meisten Anhänger gefunden hat, ist die von der Existenz mediatisierter Zwischenrechts-
Einwilligenden – dürfte dies zu verneinen sein, so dass sein Lösungsansatz nur von eingeschränktem praktischen Wert ist. 233 D. Geerds, S. 357 ff.; Hammerl, S. 116 ff.; Hiltenkamp-Wisgalle, S. 48 ff.; Moosmayer, S. 133 ff.; Otto, BT, 61/80; Tiedemann, ZIP 1983, 520 und LK, Vor § 283 Rn. 55 ff.; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 3; Wessels/Hillenkamp, BT II, Rn. 458. 234 Lackner/Kühl, § 283 Rn. 1 unter Verweis auf § 265b, dort Rn. 1; Sch/Sch/Stree/ Heine, Vorbem. §§ 283 ff. Rn. 2, die allerdings zur Auslegung des Tatbestandes auch auf die Funktionsbedingungen der Kreditwirtschaft abstellen wollen; Schlüchter, JR 1979, S. 515; dies. allerdings anders in: 2. WiKG, S. 5. 235 s. etwa die Arbeiten von Krause (S. 171 ff.), Mohr (S. 147 ff.), Penzlin (S. 31 ff.) und auch Hartwig (in: FS-Bemmann, S. 314). 236 Tiedemann, ZRP 1975, 133 und LK, vor § 283, Rn. 54 unter Verweis auf die amtl. Begr. des RegE 1. WiKG, BR-DrS 5/75 = BT-DrS 7/3441, S. 19 f., 33 ff. 237 RegE 1. WiKG, BT-DrS 7/3441, S. 18, 30.
A. Die durch die §§ 283 ff. StGB geschützten Rechtsgüter
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güter.238 Ihr zufolge hat die steigende Sozialdichte der Rechts- und Wirtschaftsordnung zur Entstehung von eigenständigen Wirtschaftsgütern und Interessen der Gesellschaft geführt. Eine komplexe Schichtung und Durchdringung, aber auch die potentielle Gegensätzlichkeit von Individual- und Universalinteressen, lasse erstere nur unscharf erkennbar werden, so dass die Universalinteressen und nicht Lebensinteressen des Einzelnen als Substrat der Wirtschaftsstraftat erschienen.239 Sie seien mithin selbständig zwischen die Interessen des Einzelnen und das Handeln des Wirtschaftsstraftäters gerückt und wegen ihrer Funktion als Ordnungsmittel, das verschiedene Interessen aufnimmt und im Falle ihrer Gegensätzlichkeit einen als angemessen bewerteten Ausgleich dieser Interessen herbeiführt, als Rechtsgüter anzuerkennen.240 Einzuschränken sei diese Abstraktion von Individualinteressen, die die Gefahr berge, auch einen mehr oder weniger nichtssagenden Allgemeinbegriff zum Rechtsgut zu machen, dadurch, dass eben nicht gesellschaftliche Oberwerte rechtsgutstauglich seien, sondern nur solche Mittelwerte auf möglichst niedriger Abstraktionsstufe, die ihre Verletzungstypik in hinreichend bestimmten handlungsumschreibenden Tatbeständen finden und so der Auslegungsfunktion des Rechtsguts gerecht werden könnten.241 Diesen Ansatz auf die §§ 283 ff. übertragend, erkennt Tiedemann in den pönalisierten Tathandlungen eine Eignung und Typik zur Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft als ein von Barzahlung und Tauschgeschäft gelöstes System der Vorleistung von Diensten, Waren und Geld.242 Undeutlich bleibt allerdings, worin die Verletzungstypik besteht und wie der Vermittlungszusammenhang zwischen den Tathandlungen der §§ 283 ff. und der Beeinträchtigung des genannten Rechtsguts zu umschreiben ist. In Weiterverfolgung der Ausdehnung der Rechtsgutsträgerschaft bzgl. individueller Befriedigungsinteressen von den aktuellen auf solche potentiellen Gläubiger, die in einer Vertrauensbeziehung zum Schuldner stehen oder eine solche angebahnt haben, erkennt Tiedemann eine empirisch belegbare Typik zur Beeinträchtigung gesellschaftlicher Oberwerte nur bei solchen Geschäftsbeziehungen, die sich noch in der Schwebe befinden, m. a. W. nur bei Kredit im weitesten Sinne.243 Auch müssten, um das Zwischenrechtsgut der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft von derjenigen der Gesamtwirtschaft abzuschichten, nur die Auswirkungen auf solche Personen und Institutionen in Betracht gezogen werden, die
238 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119 ff.; ders., Wirtschaftsstrafrecht I, S. 84 f.; ders., JuS 1989, 691; ihm zustimmend Hiltenkamp-Wisgalle, S. 49 ff.; Moosmayer, S. 133 ff.; Müller-Gugenberger/Bieneck, 75/39; Otto, ZStW 1984, S. 342 ff., 362 ff. 239 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119; ders., Wirtschaftsstrafrecht I; S. 84 f. 240 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119; ders., Wirtschaftsstrafrecht I; S. 84 f. 241 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 121 f.; ders., Gutachten, C 47. 242 Tiedemann, ZIP 1983, S. 520 und LK, Vor § 283 Rn. 55, 58. 243 Tiedemann, ZIP 1983, S. 520 und LK, Vor § 283 Rn. 55.
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
unmittelbar mit dem Schuldner wirtschaftlich verbunden244 seien; Auswirkungen auf unbeteiligte Unternehmen und Personen stünden außerhalb des Zurechnungszusammenhangs und Schutzzwecks der §§ 283 ff.245 Anhaltspunkte dafür, worin diese Verletzungstypik bestehen soll, lassen sich Tiedemanns Ausführungen zur Bedeutung des Vertrauens im Lebensbereich des Wirtschaftens entnehmen: Er sieht ein abstraktes (gesellschaftliches) Vertrauen in die Einhaltung bestimmter Garantien und die Anwendung bestimmter Mittel und Institutionen als Voraussetzung für das Wirtschaften an, das heute nur in einem komplexen sozialen Prozess möglich sei.246 Ein Verstoß gegen solche Funktionsbedingungen führe bereits eine Verletzung dieses abstrakten Vertrauens herbei, auch ohne dass es zu einem individuellen Vermögensschaden kommen müsse.247 Bei den §§ 283 ff. geht es Tiedemann, entsprechend seinen Restriktionen auf der Individualrechtsgüterebene, um den Schutz des institutionalisierten Vertrauens in die Funktionsbedingungen der Kreditwirtschaft, das durch wirtschaftwidrige Verringerungen des Massebestandes und Informationsverschleierungen, die er offenbar zu den Funktionsvoraussetzungen des Kreditwirtschaftsprozesses zählt, enttäuscht zu werden droht.248 Hammerl stellt insofern auf den (individuellen) Vertrauensverlust der durch die Bankrotthandlungen unmittelbar oder mittelbar249 Betroffenen ab, der dazu führe, dass Geld-, Warenoder Dienstleistungskredit nur noch in geringem Umfang oder gegen Gewährung realer Sicherheiten gegeben werde, was die Kreditaufnahme für einen beträchtlichen Teil der Wirtschafter unmöglich mache.250 Da aber für Tiedemann trotz des Aspekts der Enttäuschung institutionalisierten Vertrauens eine Verletzung überindividueller Institutionen wie der Kreditwirtschaft kaum vorstellbar ist,251 liegt der Schwerpunkt eines so konzipierten 244 Hierzu zählt er neben den Forderungsinhabern im Zeitpunkt der Bankrotthandlung oder des Erfolgseintritts der Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit (§ 283 Abs. 2) auch bestimmte potentielle Gläubiger, die in einer Vertrauensbeziehung zum Schuldner stehen oder eine solche angebahnt haben; LK, Vor § 283 Rn. 55 und ZIP 1983, 520. 245 LK, Vor § 283 Rn. 54 f. 246 Wirtschaftsstrafrecht I, S. 85 und LK, § 265b Rn. 12. 247 Wirtschaftsstrafrecht I, S. 85 und LK, § 283 Rn. 7; vgl. § 265b Rn. 12. 248 LK, Vor § 283 Rn. 55. 249 Hammerl, S. 116, verweist auf die Gläubiger der unmittelbaren Gläubiger des das Insolvenzdelikt begehenden Schuldners, die in Erwartung der Rückzahlung die betreffenden Posten bereits aktiviert hätten. 250 Hammerl, S. 116 f.; Hiltenkamp-Wisgalle, S. 51; vgl. LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 55; ders., ZIP 1983, 520, Fn. 23, der auf Hammerls Ausführungen Bezug nimmt. Präzise Ausführungen zu der empirischen Relation zwischen Bankrotthandlung und Rechtsgutsbeeinträchtigungen finden sich bei Tiedemann selbst freilich nicht, vgl. LK, Vor § 283 Rn. 53 ff. und ZIP 1983, 520. 251 So seien Gefährdungen und Verletzungen überhaupt erst durch ein kompliziertes Zusammenwirken und Weiterwirken zahlreicher Einzelumstände möglich, die von den
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Schutzes überindividueller Institute auf der Aufrechterhaltung und ständigen Verwirklichung einer staatlich instituierten und funktionstüchtigen Ordnung weit im Vorfeld einer Situation, in der eine Verletzung dieser Institute überhaupt erst denkbar wird.252 Der Aktunwert trete gegenüber dem Erfolgsunwert, der Rechtsgutsverletzung, in den Vordergrund.253 Die so erfolgende Konstituierung einer (strafbewehrten) Mitwirkungspflicht sei aber aufgrund der besonderen Empfindlichkeit der Wirtschaft gegenüber der Massierung kleinerer Verstöße erforderlich, käme doch ein auf eine konkrete Verletzung beschränkter Strafschutz zu spät.254 b) Die bisherige Diskussion Die typischerweise für die Anerkennung der Kreditwirtschaft als Rechtsgut der §§ 283 ff. vorgetragenen Argumente sind vor allem auf die Folgen der pönalisierten Tathandlungen für wirtschaftliche Vorgänge gerichtet. So wird angeführt, dass die vielfältigen Abhängigkeiten und die volks- wie betriebswirtschaftlichen Verflochtenheiten des Gemeinschuldners mit Gläubigern, Arbeitnehmern und Zulieferbetrieben auch eine große Reichweite der Tathandlungen bewirkten, die so im Wege der Kettenreaktion zu einigen Anschlusskonkursen führen könnten.255 Weiterhin wird die volkswirtschaftliche Bedeutung einer funktionsfähigen Kreditwirtschaft für das Funktionieren einer gesunden (Gesamt-)Wirtschaft hervorgehoben256 und zudem auf eine Sogwirkung für andere Teilnehmer des Wirtschaftsverkehrs hingewiesen, die sich, um der Erhaltung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit mit den delinquenten Konkurrenten willen, selbst zur Begehung eines Wirtschaftsdelikts animiert fühlen könnten257. Schließlich wird vorgebracht, der angesichts der Ausgestaltung der §§ 283 ff. als abstrakte Gefährdungsdelikte hohe Strafrahmen von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe und die weitgehende Inkriminierung fahrlässiger Verhaltensweisen (vgl. § 283 Abs. 4, 5) ließe sich nur rechtfertigen, wenn man den Insolvenzdelikten zusätzlich zu den Befriedigungsinteressen der Gläubiger ein überindividuelles Rechtsgut zuschreibe.258 Wirtschaftern insgesamt nur höchst ausnahmsweise, dann aber mit der Folge der Beseitigung der überindividuellen Werte, zu verwirklichen seien; Tatbestandsfunktionen, S. 124; vgl. Wirtschaftsstrafrecht I, S. 86. 252 Tiedemann (Tatbestandsfunktionen, S. 125) zieht insofern einen Vergleich zum Staatsschutzstrafrecht, das latent, aber formell vollwirksam für Zeiten politischer Krisen zur Verfügung stünde. 253 Tatbestandsfunktionen, S. 126; Wirtschaftsstrafrecht I, S. 85. 254 Tatbestandsfunktionen, S. 124 ff. und LK10, § 265b Rn. 12. 255 Hammerl, S. 110, 116; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 54. 256 Hammerl, S. 110; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 54. 257 Tiedemann, Gutachten, C 22; ders., Wirtschaftsstrafrecht I, S. 25 ff. 258 Bieneck, wistra 2001, 53; Bottke, wistra 1991, 8; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 54; Moosmayer, S. 135.
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Dass diese Argumente zur Bekräftigung der genannten These kaum beitragen können, verdeutlichen die Stellungnahmen der jüngeren Literatur: So ist das kriminologische Argument der Sogwirkung zutreffend als eine Umformulierung der Lehre von der Generalprävention entlarvt worden, die zwar (allgemein) die Funktion des Strafrechts zu erklären hilft, aber die Rechtsgutsfrage nicht zu fördern vermag.259 Hinzu kommt, dass die These als solche zwar im Bereich der Wettbewerbsdelinquenz oder bei der Erschleichung von Subventionen einleuchten mag, aber in der besonderen (Krisen-)Situation des Schuldners andere Motive für dessen Handeln dominant sein werden.260 Auch die Begründung über mögliche weitreichende Auswirkungen von Insolvenzen ist wenig schlagkräftig, da sich hieran zwar grundsätzlich die Reichweite etwaiger Vertrauenserschütterungen demonstrieren lässt, Kettenreaktionen aber eben nicht zwingend auf Insolvenzdelikte, sondern wohl vorwiegend auf die Insolvenz als solche zurückzuführen sind; hier werden also die Auswirkungen krimineller Verhaltensweisen mit denjenigen legaler Misswirtschaft vermengt. Das Argument der Legitimation von Strafrahmen und Fahrlässigkeitsstrafbarkeit ist durchaus valide, wenn es darum geht, den Umfang des Strafschutzes durch die Gewichtigkeit eines Rechtsgutes zu rechtfertigen. Allerdings ist es methodisch unzulässig, vom Umfang der Inkriminierung eines Verhaltens auf den Schutz eines bestimmten Rechtsgutes zu schließen, da ersterer nichts darüber aussagt, ob ein bestimmtes Gut als Rechtsgut anerkennenswert ist und ob der Straftatbestand zu dessen Schutz überhaupt geeignet ist. Selbst wenn der Umfang der Inkriminierung gegenüber anderen Straftatbeständen zum Schutz derselben oder gleichwertiger Rechtsgüter größer ist, lässt dies keine Rückschlüsse auf den Schutz eines bestimmten Rechtsgutes zu, sondern ist allenfalls ein Indiz für (irgend-)ein weiteres Rechtsgut. Dieses ist aber anhand der typischen negativen Auswirkungen der unzweifelhaft vom Straftatbestand erfassten Fälle zu ermitteln.261 Es bleibt mithin nur der Hinweis auf die volkswirtschaftliche Bedeutung der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft, die hier nicht angezweifelt werden soll; ihre bloße Werthaltigkeit sagt aber ebenfalls noch nichts darüber aus, ob sie als Rechtsgut gerade der Insolvenzdelikte anzuerkennen ist. Allerdings ist die These vom Schutz der Kreditwirtschaft damit noch nicht widerlegt. Bedenken gegen ein überindividuelles Rechtsgut der Kreditwirtschaft werden aber auch noch aus einem anderen Blickwinkel geäußert. So wird vorgebracht, dass der Schutz der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft überflüssig sei, wenn die individuellen Rechtsgüter, um derentwillen das überindividuelle Rechtsgut anzuerkennen wäre, selbst unmittelbar von der Strafnorm ge-
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Krause, S. 177; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 33; Penzlin, S. 33. Höfner, S. 35; Krause, S. 177. s. I. 3.
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schützt würden.262 So liege es bei § 283 Abs. 1, dessen Tatbestandsfassung die generelle Verletzungseignung eines Verhaltens für eine konkrete Situation hinsichtlich bestimmter Gläubiger spezifiziere und insofern deutlich (und unstreitig) auf den Schutz individueller Gläubigerbelange gerichtet sei.263 Diese Kritik vermag allerdings den dargelegten Ansatz nicht zu schwächen, der die überindividuellen Rechtsgüter gerade nicht als Zusammenfassung von gleichgearteten Individualinteressen – hier: der Befriedungsinteressen der Gläubigerschaft – versteht.264 Geschützt werden soll die Funktionsfähigkeit eines wirtschaftlichen Teilsystems, und dies primär selbstzweckhaft und nicht lediglich um seiner Bedeutung für einen unmittelbaren weiteren Zweck willen.265 Als dahinterstehende – von den Befriedungsinteressen der Gläubiger verschiedene – Individualinteressen kommen daher z. B. diejenigen an der Erlangung oder (gewinnträchtigen) Vergabe von Krediten im weiteren Sinne in Betracht.266 Dass das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft nicht nur als Oberbegriff für die Gesamtheit der Befriedigungsinteressen aller Gläubiger verwandt wird, wird auch verkannt, wenn dieses Rechtsgut deshalb abgelehnt wird, weil es nicht alle auf der Individualrechtsgüterebene erfassten Gläubiger repräsentiere, zur Erfassung der Befriedigungsinteressen des Fiskus und der Sozialversicherungsträger, die man auch nicht mehr als Kreditgläubiger im weiteren Sinne ansehen könne, vielmehr ungeeignet sei.267 Generell wird zur Anerkennung überindividueller Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht kritisch angemerkt, dass ein geradezu „inflationärer Erfolg“ bei der Suche nach überindividuellen Rechtsgütern des Wirtschaftslebens zu verzeichnen sei.268 Dieser Einwand, der die fragmentarische Natur des Strafrechts anmahnt, erscheint nicht unberechtigt, betrachtet man die Häufigkeit, mit der der Gesetzgeber seit dem 1. WiKG die Schaffung von Strafvorschriften mit dem Schutz sozialer Rechtsgüter rechtfertigte.269 Dass das Strafrecht nur bestimmte Rechtsgüter schützen soll und diese auch nur gegen bestimmte Angriffsarten, lässt sich mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Übermaßverbot270 begründen; dies kann aber kein Argument gegen die Möglichkeit der durch die Gesellschaft getragenen Anerkennung neuer Rechtsgüter sein. 262
Krause, S. 178; vgl. Grünwald, in: Verhandlungen 49. DJT, M 68 f. Ebd. 264 So deutlich Tiedemann, NJW 1977, 783. 265 Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 119. 266 Vgl. auch die Amtl. Begr. des RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 18 zu § 265b unter Verweis auf Fischer, Bank-Archiv 29 [1929/30], S. 58; Lampe, Kreditbetrug, S. 39. 267 So aber Penzlin, S. 34 f. 268 Lampe, in: HdWW, S. 311. 269 Vgl. die Auflistung bei D. Geerds, S. 282, Fn. 433. 270 Vgl. Maiwald, in: FS-Maurach, S. 22 f. 263
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
Sollten bestimmte wirtschaftliche Systeme als ebenso werthaft wie etablierte Rechtsgüter angesehen werden, kann man ihren Schutz gegen bestimmte strafwürdige Angriffsarten nicht mit dem Hinweis auf eine Überfrachtung des Strafrechts zu verhindern suchen.271 c) Die Problematik des Vermittlungszusammenhangs Allerdings, so wird hinzugefügt, werde durch die Vielzahl neuer Rechtsgüter dem Gesetzgeber die Scheu vor abstrakten Gefährdungsdelikten und der damit verbundenen weiten Vorverlagerung des Strafschutzes genommen.272 Dieser Einwand hat nach wie vor Gewicht, auch wenn vorgebracht wird, die Anerkennung eines Rechtsgutes sage noch nichts darüber, ob und welche Angriffe strafwürdig und strafbedürftig seien.273 Denn letztlich lassen sich – was den Vertretern dieser Lehre auch durchaus bewusst ist – die überindividuellen Werte generell nur im Vorfeld der eigentlichen Schädigung schützen; dies resultiert aus dem Dilemma, bei dem Schutz solch abstrakter Güter hinsichtlich der Formulierung des Tatbestandes an strafrechtliche Bestimmtheitsanforderungen gebunden zu sein, so dass zwangsläufig eine gewisse Wegstrecke an Vermittlung zwischen der eine Verletzungstypik aufweisenden Tathandlung und der Verletzung des Rechtsguts liegt, die eben nur durch die Konstruktion eines abstrakten Gefährdungsdelikts überbrückt werden kann.274 Nun ist es aber in der Tat verwunderlich, dass abstrakte Gefährdungsdelikte zum Schutz anderer Bereiche als der Wirtschaft – etwa des Straßenverkehrs – weitaus weniger kritisch beäugt werden. Das besondere Misstrauen dürfte auf der erheblichen Wegstrecke zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung beruhen, die über die bei diesen klassischen Gefährdungsdelikten des StGB anzutreffende noch weit hinausgeht. Die Kritik an der Anerkennung überindividueller wirtschaftlicher Institute als Rechtsgüter zielt m. a. W. darauf, dass hierdurch eine Schwelle erforderlicher Vermittlungsfähigkeit eines Sachverhalts für eine Rechtsgutsverletzung unterschritten wird. Dies würde für die §§ 283 ff. bedeuten, dass ein Schutz der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft schon deshalb nicht sinnvollerweise bezweckt sein könnte, weil die aufgeführten Bankrotthandlungen keine ausreichende Vermittlungsfähigkeit für die Verletzung dieses 271 Insofern ist es wenig stringent, wenn Krause, S. 177 ff., zwar anerkennt, dass die Komplexität der Wirtschaft Institute herausgebildet hat, die eigenständigen Schutz verdienen, dann aber bemängelt, es sei noch nicht dargelegt worden, dass die Kreditwirtschaft ein solches Maß an Komplexität aufweise, das sie von anderen Verkehrsbereichen, für die ein Sozialrechtsgut nicht diskutiert werde, unterscheidet. Wenn er im Gegenzug auch die Gesamtwirtschaft als Rechtsgut ablehnt (S. 175), bleibt zudem unklar, wo er Raum für überindividuelle Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht sieht. 272 Lampe, in: HdWW, S. 311; Volk, JZ 1982, 87 f. 273 Otto, ZStW 1984, 345 ff. 274 Vgl. D. Geerds, S. 43 f.
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Rechtsgutes besitzen, oder – m. a. W. – eine Verletzung dieser abstrakten Rechtsgüter nicht zu den typischen Auswirkungen normalgelagerter Fälle gehören. Die Frage nach den Minimalanforderungen an die Vermittlungsfähigkeit, die ein Sachverhalt zu einer Rechtsgutsverletzung aufweisen muss und d. h. auch danach, wie weit das Erfolgsunrecht zugunsten des Handlungsunrechts zurückgedrängt werden kann, ist in der Literatur im Rahmen der Diskussion um die abstrakten Gefährdungsdelikte erörtert worden.275 Allerdings ist es zur Festlegung solcher Mindestanforderungen, betrachtet man den derzeit herrschenden Stand der (höchst umstrittenen) Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte, nicht gekommen:276 Dass die kausale Vermittlungsfähigkeit eines Sachverhalts in Bezug auf eine Rechtsgutsverletzung im Einzelfall sogar fehlen kann, impliziert bereits die Definition des abstrakt gefährlichen Verhaltens als solches, das typischerweise oder generell gefährlich ist bzw. die Eignung aufweist, konkrete Gefährdungen oder Verletzungen nach sich zu ziehen.277 Denn das bedeutet, dass ein Verhalten selbst dann tatbestandsmäßig sein kann, wenn keine konkrete Gefahr begründet wurde und mithin eine Vermittlungsfähigkeit zur Rechtsgutsverletzung nicht gegeben war. Kann die (generelle) Vermittlungsfähigkeit eines Verhaltens für eine Rechtsgutsverletzung aber sehr gering ausfallen, so ist der Vorwurf einer ausgeuferten Länge des Weges auf der Grundlage des bisherigen Forschungsstandes bei den abstrakten Gefährdungsdelikten nur schwer zu stützen. Vielmehr käme auf dieser Grundlage eine Vielzahl von möglichen Rechtsgütern für die Insolvenzdelikte in Betracht. Auch wenn die Diskussion um die abstrakten Gefährdungsdelikte hier nicht nachgezeichnet werden kann, soll doch der Haupteinwand gegen eine allzu weite Ausdehnung der abstrakten Gefährdungsdelikte nicht unerwähnt bleiben, der sich gegen die Pönalisierung von im Einzelfall völlig ungefährlichen Verhaltensweisen richtet und hierin einen Verstoßes gegen das Schuldprinzip sieht.278 Überträgt man diesen Befund auf die Problematik des Schutzes wirtschaftlicher Institute, so zeigt sich dessen besondere Brisanz in aller Deutlichkeit: Sind doch die pönalisierten Verhaltensweisen für diese Rechtsgüter isoliert betrachtet nicht einmal typischerweise oder generell gefährlich, sondern können 275 Dazu etwa Kuhlen, GA 1986, 395 ff.; ders., ZStW 105 [1993], 711 ff.; v. Rintelen, S. 68 ff. 276 So auch Jacobi, S. 35. 277 Vgl. etwa BGH NStZ 1985, 408; Brehm, JuS 1976, 24; Demuth, S. 53; Jakobs, 6/86; Jescheck/Weigend, § 26 II. 2.; Sch/Sch/Cramer, Vor § 306 Rn. 3; Tröndle/Fischer, Vor § 13 Rn. 13a. 278 So etwa Kaufmann, JZ 1963, 432; Kindhäuser, Gefährdung, S. 243; Schmidhäuser, 5/86.
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allenfalls in der Kumulation mit gleichartigen Handlungen und nur unter besonderen Umständen zu deren Verletzung führen.279 Sie sind vielmehr i. d. R. als Einzelhandlung völlig ungefährlich und bewegen sich damit generell in dem sub specie Schuldprinzip problematischen Bereich. Vom Standpunkt eines klassisch-individualen Tatstrafrechts aus – das sieht auch Tiedemann280 – ist die etwaig aus der Summierung von Bankrottdelikten folgende Gefährdung der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft dem einzelnen Täter kaum als vorwerfbar zuzurechnen,281 sondern läuft auf eine Haftung ex iniuria tertii hinaus.282 Verschärfend kommt hinzu, dass sich selbst dann, wenn man die Pönalisierung von Kumulationsbeiträgen unter dem Gesichtspunkt des Schuldprinzips grundsätzlich akzeptiert, die Annahme der Gefährlichkeit auch dann auf empirisch äußerst unsicherem Boden bewegt, wenn man die Handlung als Massenhandlung denkt. So werden die Belege für die behaupteten Kumulationseffekte beim ähnlich gelagerten Fall des § 265b vielerorts als nicht überzeugend angesehen.283 Ein Tun um der Vermeidung eines Schadens willen zu verbieten macht aber nur dann Sinn, wenn der Zusammenhang zwischen Schaden und Handlung nachweisbar ist. Problematisch erweist sich der gezeichnete Vermittlungszusammenhang aber nicht nur wegen seiner Länge, sondern schließlich auch deshalb, weil er sich als Bindeglied des Vertrauens in die Beachtung der durch die §§ 283 ff. konstituierten Verhaltensregeln bedient. Denn der Verlust dieses Normvertrauens resultiert erst aus dem bereits festgestellten Normbruch und kann mithin, um ihn vom Primärschaden (i. e. die Beeinträchtigung der Befriedigungsinteressen der Gläubiger) abzugrenzen, als sekundärer Normgeltungsverlust bezeichnet werden.284 Diesen Sekundärschaden, der im Übrigen jedem Normbruch innewohnt,285 zur Rechtfertigung des Verbots heranzuziehen, ist insofern unzulässig als das Vertrauen ja gerade erst durch die Norm vermittelt wird.286
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Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 124, 169. Tatbestandsfunktionen, S. 126. 281 v. Rintelen, S. 135 ff. 282 Kindhäuser, in: Bausteine, S. 129; Rogall, in: FS-Uni Köln, S. 520. 283 Wohlers, S. 340; vgl. Kindhäuser, in: Bausteine, S. 129; v. Rintelen, S. 137. 284 Kindhäuser, JR 1990, 522; ders. in: Bausteine, S. 130, Fn. 16. 285 So schützt schließlich auch das Verbot des Einbruchsdiebstahls nicht das Vermögen vor Aufwendungen für den Einbau einer Alarmanlage; Kindhäuser, JR 1990, 522. 286 Kindhäuser, JR 1990, 522. Tiedemann (LK, § 265b Rn. 13) erhebt hiergegen für die ähnliche Situation bei § 265b den Einwand, dass sich die normative Vermittlung des Vertrauens bereits aus dem KWG entnehmen ließe. Dieses enthält aber gar keine Regelungen über das vom Kreditnehmer bei der Kreditvergabe zu erwartende Verhalten und kann somit auch kein Vertrauen auf ein bestimmtes Verhalten vermitteln. 280
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d) Auslegungstauglichkeit des Begriffs? Soll die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft nicht als bloße Absichtserklärung erscheinen, sondern als „echtes“ Rechtsgut der §§ 283 ff. im strafrechtsdogmatischen Sinne anerkannt werden, so muss sie auch geeignet sein, die Auslegungsfunktion, die einem Rechtsgut zukommt, bei der Anwendung dieser Straftatbestände zu erfüllen. Die Rechtsgutsbeschreibung muss also in concreto tauglich sein, Anhaltspunkte für das Verständnis der problematischen, weil unbestimmten, Tatbestandsmerkmale zu bieten. Die Frage stellt sich beim Begriff der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft insbesondere in Hinblick auf dessen hohes Abstraktionsniveau, denn schließlich kann man jede Rechtsgutsbeschreibung so lange abstrahieren, bis sie im Schutz der Rechtsordnung aufgeht.287 Dass letztere Schutzrichtung aber für die teleologische Deutung eines Straftatbestandes zu wenig Aussagekraft besitzt, ist offenkundig. So geht auch Tiedemann von der Notwendigkeit aus, als Rechtsgüter nur spezifische Funktionseinheiten auf möglichst niederer Abstraktionsstufe auszuweisen288 und versagt von daher einem Rechtsgut der Gesamtwirtschaft die Anerkennung, da es – schon aufgrund seiner Zusammenfassung sehr unterschiedlicher und u. U. konträrer Ziele – untauglich sei, Anhaltspunkte für die Auslegung zu liefern.289 Demgegenüber bleibt aber offen, wie der immer noch sehr abstrakte Begriff der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft diesen Ansprüchen genügen soll. Es bietet sich hier beispielhaft die Betrachtung des Merkmals des ordnungsgemäßen Wirtschaftens an, zu dessen Inhaltsbestimmung der Begriff nach Auffassung Tiedemanns in erster Linie förderlich sein soll.290 Dieses Merkmal, das bei einzelnen Alternativen der bestandsbezogenen Bankrotthandlungen anzutreffen ist, hat nach der Konzeption des Gesetzgebers eine strafbarkeitseinschränkende Funktion.291 Es soll vermieden werden, dass Handlungen, die ordnungsgemäßem Wirtschaften entsprechen und deshalb nicht strafwürdig erscheinen, tatbestandsmäßiges Unrecht darstellen. Der Begriff der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft müsste also Hilfestellung dafür bieten, wie im Einzelfall zulässige, weil ordnungsgemäßem Wirtschaften entsprechende Verhaltensweisen aus den tatbestandlich normierten, grundsätzlich unzulässigen Handlungen herauszufiltern sind. Will man ein bestimmtes Merkmal in Hinblick auf die (zu verhindernde) Verletzung des geschützten Rechtsguts auslegen, so bedarf es einer Vorstellung 287 288 289 290 291
Jakobs, 6/88; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 117; v. Rintelen, S. 133. Tatbestandsfunktionen, S. 117, 122 und LK, Vor § 283 Rn. 55. LK, Vor § 283 Rn. 56. LK, Vor § 283 Rn. 53, 56, § 283 Rn. 114. RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 36.
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davon, wovor dieses Gut eigentlich zu schützen ist, wie also ein möglicher Vermittlungszusammenhang zwischen einer Handlung und der Verletzung des geschützten Gutes aussehen kann. Insofern ist hier zu fragen, ob ein bestimmtes Verhalten deshalb als Verstoß gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens anzusehen ist, weil es, als Massenhandlung gedacht, zu Vertrauensverlusten führt, die die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft beeinträchtigen. Diese Frage ist aber schlichtweg (noch) nicht zu beantworten. So ist es doch gerade das Ziel der Auslegung des Begriffs der Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft, festzustellen, ob das fragliche Verhalten als Verstoß gegen diese Anforderungen anzusehen ist und von daher die Funktionsbedingungen der Kreditwirtschaft missachtet. Ist dies aber zu verneinen, etwa weil das Verhalten berechtigten und überwiegenden Freiheitsinteressen des Schuldners entspricht und daher nicht mehr strafwürdig erscheint,292 darf man auf dessen Unterbleiben nicht berechtigterweise293 vertrauen. Kann man also einsichtig machen, dass der Schuldner so handeln durfte, das Unterlassen der Handlung mithin nicht zu den mit den Mitteln des Strafrechts zu erhaltenden Funktionsbedingungen der Kreditwirtschaft gehören kann, wird es dementsprechend auch nicht zu Verlusten weder von individuellem, noch von institutionalisiertem Vertrauen kommen. Eine Beeinträchtigung des Kreditwirtschaftsprozesses ist insofern ebenfalls ausgeschlossen. Dieser Befund kann nicht verwundern, ist doch das Vertrauen ein Begriff, dessen Inhalt erst durch seinen Bezugsgegenstand gefüllt wird und insofern über diesen Bezugsgegenstand keinerlei Aussagen treffen kann. Kern des Problems ist wiederum, dass der Verlust von Vertrauen in die Geltung einer Verhaltensnorm als Sekundärschaden des (festgestellten) Verstoßes anzusehen ist, zur Rechtfertigung und damit auch zur Auslegung einer Norm aber nur die Vermeidung des Primärschadens herangezogen werden kann.294 Auch wenn Tiedemanns Ansatz von der Verletzung bzw. Aufhebung der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft insofern abgekoppelt ist, als er auf den Pflichtencharakter der §§ 283 ff. verweist und daher bereits die Pflichtverletzung als Verletzung der Institution Kreditwirtschaft deutet,295 stellt sich doch die Frage, wie auf diesem Wege die Auslegung der Insolvenzstraftatbestände gefördert werden soll. Wenn es Tiedemann um den selbstzweckhaften Schutz der Ordnung der Kreditwirtschaft geht bzw. die Einhaltung der diese Ordnung konstituierenden Regeln, so können die §§ 283 ff. diesbezüglich keinen umfänglichen Schutz gewähren, sondern nur vor wirtschaftswidrigen Vermögens292
s. hierzu sogleich B. Dass es hier nur um ein berechtigtes und nicht um ein zwar faktisch vorhandenes, aber letztlich unberechtigtes Vertrauen gehen kann, liegt auf der Hand. 294 Kindhäuser, JR 1990, 522; ders. in: Bausteine, S. 130 Fn. 16. 295 LK, § 283 Rn. 7. 293
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verringerungen und Informationsverschleierungen des Schuldners in der Krise bzw. in Hinblick auf eine Krisenverursachung schützen. Wie weit die Verpflichtung zum Unterlassen von Vermögensverringerungen usw. geht, ist damit aber noch nicht bestimmt. Denn ebenso wie die Berechtigung des Vertrauens in ein bestimmtes Verhalten ergibt sich doch gerade erst aus einer bestimmten Interpretation der §§ 283 ff., wozu der Schuldner letztlich verpflichtet ist. Wenn Tiedemann dieser Vorstellung vom Schutz eines Pflichtengefüges entsprechend zur Inhaltsbestimmung der Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens auf die handels- und gesellschaftsrechtlichen Grundregeln ordnungsgemäßer Unternehmensführung verweist, die nach seiner Auffassung „den Schutz der Gläubiger und die Anforderungen der Kreditwirtschaft konkretisieren“,296 wird das Problem der Auslegung nur weitergeschoben auf die Sorgfaltsmaßstäbe des ordentlichen Kaufmanns (§ 347 Abs. 1 HGB), des ordentlichen Geschäftsmannes/-leiters (vgl. §§ 43 Abs. 1 GmbHG, 93 Abs. 1 S. 1 AktG, 34 Abs. 1 S. 1 GenG) und letztlich, ob der Unbestimmtheit dieser Regeln, auf die kaufmännische Verkehrssitte bzw. die allgemeine kaufmännische Übung, die sich aus der tatsächlich zu beobachtenden Übung unter Kaufleuten und ihrer werthaften Anerkennung ergebe.297 Durch diese Vorgehensweise wird die Reichweite der das Merkmal des ordnungsgemäßen Wirtschaftens enthaltenden Tatbestandsalternativen auf ein Maß gebracht, das im Einklang mit der kaufmännischen Verkehrssitte steht und dieser damit normbildende Kraft zugebilligt. Ob dieser nivellierte Maßstab aber den unstreitig geschützten Gläubigerinteressen gerecht wird, ist wegen des auf die praktischen Erfordernisse des Handelsverkehrs ausgerichteten und zudem nicht auf krisenbehaftete Unternehmen zugeschnittenen Maßstabs der Verkehrssitte nicht garantiert. Es ist andererseits auch nicht ausgeschlossen, dass selbst unbestrittene Wertungen des Handelsverkehrs gemessen am Gläubigerschutz zu weit gefasst sind, und von daher die Gefahr einer Ausweitung der Strafbarkeit in nicht mehr strafwürdige Bereiche besteht. Dies offenbart die Problematik des Schutzes der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft als einer auch durch Verkehrssitten geprägten Ordnung: es besteht die Gefahr, dass es zu wertungsmäßigen Friktionen mit den geschützten Gläubigerinteressen kommt.298 Die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft dient bei dieser Sichtweise nicht als Synonym für den Sinn und Zweck der Insolvenzdelikte und damit als Wertungsgesichtspunkt, sondern nur noch als Verweis auf die genannten, in diesem Wirtschaftszweig geltenden Regeln. Der Sache nach dürfte es sich hierbei nicht um eine teleologische, sondern eher um eine systematische Auslegung im Sinne einer Normenharmonisierung handeln. 296 297 298
LK, § 283 Rn. 168. LK, Vor § 283 Rn. 111, 115 f.; KTS 1984, 546. Vgl. hierzu auch Krause, S. 84 ff.
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Auch wenn man andere unbestimmte Rechtsbegriffe oder sonstige Auslegungsprobleme der Insolvenzdelikte betrachtet, etwa die bewertungsrechtliche Bestimmung der Überschuldung oder die Frage, wann eine Krise überwunden ist, ist nicht ersichtlich, wie ein Rechtsgut der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft zur Lösung dieser Probleme hinreichend bestimmte Anhaltspunkte liefern sollte.299 e) Zusammenfassende Stellungnahme Neben den Friktionen mit dem Schuldprinzip wegen des nicht hinreichend dargelegten Zusammenhangs zwischen Tathandlung und Funktionsbeeinträchtigung der Kreditwirtschaft kann also insbesondere die Auslegungstauglichkeit des Begriffs im Rahmen teleologischer Erwägungen nicht überzeugen. Damit sollen keineswegs die mit der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft begründeten Ergebnisse per se angezweifelt werden; diese werden häufig sachgerecht sein. Allerdings wird man regelmäßig zu denselben Ergebnissen auch unter Heranziehung konkreterer Gesichtspunkte als des verschwommenen Begriffs der Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft gelangen.300 Dass auch Tiedemann die Funktionsfähigkeit der Kreditwirtschaft letztlich nicht als „echtes“ Rechtsgut im strafrechtsdogmatischen Sinne ansieht,301 drängt sich insofern auf, als er der Einwilligung aller Gläubiger in tatbestandsmäßige (Beiseiteschaffen i. S. d. § 283 Abs. 1 Nr. 1) Sanierungsmaßnahmen302 eine rechtfertigende Wirkung zubilligt,303 obgleich ihnen nach allgemeinen Grundsätzen der Einwilligung eine Dispositionsbefugnis über das überindividuelle Rechtsgut nur dann zukommen kann, wenn man Gläubigerinteressen und Kreditwirtschaft als kumulativ geschützt ansieht (sog. Kumulationstheorie)304. Darauf lassen aber seine Ausführungen zum Ausschluss des Wertausgleichgedankens unter dem Gesichtspunkt der Gefährdung der Kreditwirtschaft gerade nicht schließen.305 Dafür, dass sich die Insolvenzdelikte schließlich auch allein durch die Vermögensrechtsgüter der Befriedigungs- und Gestaltungsinteressen der Gläubiger legitimieren lassen, spricht zum einen, dass die Tatbestände durch die Erforder299
Vgl. auch Mohr, S. 155. So lässt sich etwa die Überbetonung der Gläubigerinteressen durch die Einbeziehung berechtigter Schuldnerinteressen (Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, Eigentumsfreiheit aus Art. 14) verhindern und Friktionen mit handels- und gesellschaftsrechtlichen Normen im Wege einer systematischen Auslegung vermeiden. 301 Freilich entgegen eigener Beteuerungen, vgl. LK, Vor § 283 Rn. 57: „gleichrangige Gesichtspunkte des Rechtsgüterschutzes“. 302 Eingehend zu dieser Problematik Mohr, S. 151; Penzlin, S. 44 f. 303 LK, Vor § 283 Rn. 57 a. E. 304 Roxin, 13/34. 305 s. dazu LK, § 283 Rn. 30 und § 283c Rn. 28; kritisch Krause, S. 262 ff. 300
B. Die Grenzen des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes
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nisse der festgestellten Unternehmenskrise hinsichtlich des geschützten Vermögensrechts annähernd Verletzungsdelikte darstellen.306 Zum anderen ist auf die besondere Sozialgefährlichkeit der Insolvenzstraftaten hinzuweisen, die im Normalfall gleich eine Vielzahl von Gläubigern betreffen und so regelmäßig erheblichere Schäden anrichten als klassische Vermögensstraftaten. 2. Die Funktionsfähigkeit der Gesamtwirtschaft Die genannten Argumente sprechen selbstredend in noch größerem Maße gegen denjenigen Ansatz307, der die Funktionsfähigkeit der Gesamtwirtschaft als geschütztes Rechtsgut der Bankrottdelikte ansieht. Auch diese Rechtsgutsbestimmung muss daher als untauglich verworfen werden.
B. Die Grenzen des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes Allein die potentielle Beeinträchtigung von Rechtsgütern reicht nicht aus, um die Pönalisierung eines bestimmten Verhaltens zu legitimieren. Es ist anerkannt, dass hierzu weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssen, die üblicherweise als Strafwürdigkeit und Strafbedürftigkeit umschrieben werden. Speziell für den Bereich der abstrakten Gefährdungsdelikte wird dem Rechtsgüterschutz zudem insoweit eine Grenze gezogen, als eine generelle bzw. typische Gefährlichkeit der pönalisierten Handlungen für die geschützten Rechtsgüter als Strafgrund angesehen wird.
I. Strafwürdigkeit Der Begriff der Strafwürdigkeit ist – wie Roxin308 formuliert – „ein etwas verschwommener, in vielfältigen Bedeutungen verwendeter Begriff“.309 Nach verbreiteter Auffassung dient er dazu, bloß lästige oder unerwünschte Verhaltensweisen aus dem Bereich des Strafbaren auszuscheiden und nur solche Verhaltensweisen mit Strafe zu belegen, die geeignet sind, die sozialen Beziehungen innerhalb der Rechtsgesellschaft erheblich zu gefährden oder zu schädigen; es muss sich mithin um gravierende Rechtsgutsbeeinträchtigungen handeln.310 306 Hierzu eingehend Penzlin, S. 39 ff.; zur Verletzungsorientierung der Insolvenzstraftaten vgl. auch Krause, S. 178, 222 f. 307 s. o. Fn. 234. 308 23/34. 309 Umfassend zu den verschiedenen Deutungsvarianten Altpeter, S. 47 ff. 310 BGHSt 24, 318, 319; Günther, JuS 1978, 12 ff. m.w. N.; Otto, AT, 1/49; ders., in: GS-Schröder, S. 54 f.; Penzlin, S. 11; vgl. NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 62 ff.
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Dabei sind die Anforderungen nicht starr: je höher der Rang des Rechtsguts einzuschätzen ist, um so eher wird jede erhebliche Gefährdung oder Verletzung als strafwürdig erscheinen; je geringer dieser Rang, um so mehr wird es angemessen sein, nur einzelne Angriffe gegen das Rechtsgut, denen ein besonderes Maß an sozialem Unwert zukommt, als strafwürdig einzuordnen. Insofern kann sich die Strafwürdigkeit eines Verhaltens aus dem Gewicht des Erfolgsunwertes wie auch aus dem des Handlungsunwertes ergeben; je schwerer der Erfolgsunwert wiegt, desto geringere Anforderungen können an den Handlungsunwert gestellt werden, und umgekehrt.311 Mit dem Erfordernis einer gewissen Unrechtsqualität soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die Kriminalstrafe ein sozialethisches Unwerturteil enthält und ihre Vollstreckung einen schweren Eingriff in Freiheit, Persönlichkeitsentwicklung und Würde des Bestraften darstellt.312 Im Wege der Strafwürdigkeitsprüfung finden mithin – aus grundrechtsdogmatischer Sicht freilich stark vereinfacht313 – die berechtigten Interessen und Grundrechte des potentiellen Täters Berücksichtigung bei der Entscheidung des Gesetzgebers über die Pönalisierung eines Verhaltens. Letztlich wird mit dem Begriff der Strafwürdigkeit nichts anderes umschrieben als eine Konkretisierung des Angemessenheitspostulats des allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Verhältnismäßigkeit i. e. S.).314 Dieses erfordert nach der Rechtsprechung des BVerfG, dass ein grundrechtseinschränkendes Gesetz nicht nur geeignet und erforderlich ist, um den erstrebten Zweck des Rechtsgüterschutzes zu erreichen, sondern darüber hinaus, dass „die Schwere der Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen“; eine Strafandrohung dürfe „nach Art und Maß dem unter Strafe stehenden Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein“.315
311
Günther, JuS 1978, 13; Otto, in: GS-Schröder, S. 56. Günther, JuS 1978, 13; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 72 f.; Otto, in: GS-Schröder, S. 54. 313 Streng genommen ist insoweit zwischen den durch die Verhaltensnorm und den durch die Sanktionsnorm tangierten Täterinteressen zu differenzieren. Während erstere im Fall des § 283 v. a. die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) und die Eigentumsfreiheit (Art. 14 GG) des Schuldners einschränkt (s. a. Krause, S. 183 ff.), kommen bei letzterer die durch das sozialethische Unwerturteil und die Vollstreckung bewirkte Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) und der Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) zum Tragen. Hierzu eingehend Lagodny, Strafrecht vor den Schranken der Grundrechte, Tübingen 1996. 314 s. hierzu nur BVerfGE 35, 382, 400 f.; 37, 167, 185; 38, 26, 31; zur Beziehung zwischen Strafwürdigkeitsbegriff und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Günther, JuS 1978, 13; Otto, in: GS-Schröder, S. 54 f.; NK/Hassemer/Neumann, Vor § 1 Rn. 72. 315 BVerfGE 90, 145, 173 (St. Rspr). 312
B. Die Grenzen des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes
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II. Strafbedürftigkeit Demgegenüber hat die Frage der Strafbedürftigkeit zum Gegenstand, ob „die Strafe unerlässliches Mittel ist, um die Gesellschaft vor strafwürdigen Rechtsgutsbedrohungen oder -verletzungen zu schützen und die Rechtsordnung zu bewähren“.316 Dieses Zweckmoment der Strafe steht der Bestrafung eines strafwürdigen Verhaltens dann entgegen, wenn andere, weniger schwere Eingriffe als die Pönalisierung zur Verfügung stehen, die einen besseren oder zumindest gleichen Erfolg versprechen. Dem Strafrecht soll mithin die Funktion der ultima ratio zukommen. Der Begriff der Strafbedürftigkeit entspricht damit demjenigen der Erforderlichkeit i. S. d. allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (Gebot des mildesten Mittels).317
III. Typische bzw. generelle Gefährlichkeit In der Dogmatik der abstrakten Gefährdungsdelikte wird deren Wesen – dies gilt jedenfalls für die „klassischen“318 Gefährdungsdelikte – von der herrschenden Meinung damit erklärt, dass die Handlungen der jeweiligen Art typischerweise bzw. generell gefährlich für das geschützte Rechtsgut seien; der Eintritt eines Erfolges in Form einer konkreten Gefahr oder einer Verletzung des geschützten Rechtsgutes gehöre demgegenüber nicht zum Tatbestand und könne dementsprechend im Einzelfall ausbleiben.319 Diese Formel ist allerdings insoweit zu konkretisieren, als hiermit nicht gemeint ist, diese Handlungen führten statistisch in der überwiegenden Zahl – also mehr als 50% – der Fälle zum Eintritt einer Verletzung oder einer konkreten Gefährdung des Rechtsgutes.320 Würde man dies verlangen, würde eine Reihe unstreitig anerkannter abstrakter Gefährdungsdelikte in Frage gestellt, wie das Beispiel des § 316 verdeutlicht: Hier dürfte es in der Mehrzahl der Trunkenheitsfahrten weder zu einer Verletzung noch zu einer konkreten Gefährdung kommen; ähnliches dürfte für weite Bereiche des Straßenverkehrsrechts (etwa Geschwindigkeitsübertretungen) gelten.321 Um nach dieser Auffassung als generell oder typischerweise gefährlich zu gelten, muss eine Handlung nicht 316 Otto, in: GS-Schröder, S. 56; ebenso Gallwas, MDR 1969, 894; Günther, JuS 1978, 11 f. 317 s. hierzu BVerfGE 30, 292, 316; 63, 88, 115; 67, 173, 176; 90, 145, 172. 318 Auf die sog. Risikodelikte und die abstrakten Gefährdungsdelikte eigener Art trifft dies naturgemäß ohnehin nicht zu; hierzu etwa Graul, S. 128 ff. 319 Zu den einzelnen Nuancierungen dieser Auffassung eingehend Graul, S. 144 ff. m.w. N. 320 Graul, S. 148 ff.; Jakobs, 6/88. 321 Graul, S. 150; Jakobs, 6/88.
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2. Teil: Die Grundlagen der Insolvenzstraftatbestände
einmal in der überwiegenden Zahl der Fälle tatsächlich – wenn auch folgenlos (also ohne Eintritt einer Verletzung oder konkreten Gefahr) – gefährlich sein; als ausreichend wird es vielmehr angesehen, dass sie es „in vielen Fällen“ ist.322 Eine andere Frage ist allerdings die, welches Maß an abstrakter Gefährlichkeit als strafwürdig anzusehen ist. Insoweit spielt v. a. der Rang des tangierten Rechtsgutes und das Ausmaß des potentiellen Schadens eine Rolle.
322 Graul, S. 150; Jakobs, 6/88; an einer tatsächlichen Gefährlichkeit einer Handlung fehlt es dann, wenn eine Verletzung des geschützten Rechtsguts mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, weil z. B. vor ihrer Vornahme Sicherungsmaßnahmen getroffen worden sind; vieldiskutiertes Beispiel ist insoweit die vor der Inbrandsetzung des Wohngebäudes erfolgende Vergewisserung durch lückenlose Maßnahmen, dass sich niemand im Gebäude aufhält (§ 306 Nr. 2 a. F. bzw. 306a Nr. 1, 3 n. F.); hierzu insgesamt Graul, S. 152 ff.
3. Teil
Die Auslegung der Krisenmerkmale Wesentliches Augenmerk wurde nach Inkrafttreten der InsO auf die Auslegung der Krisenmerkmale der Insolvenzdelikte, also der Begriffe Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit, gerichtet. Anlass für das gesteigerte Interesse war nicht nur die Einführung der bloß drohenden Zahlungsunfähigkeit auch als Eröffnungsgrund und die damit verbundene begriffliche Deckungsgleichheit der Insolvenzauslöser der InsO mit der Umschreibung der bei den Insolvenzdelikten vorausgesetzten schuldnerischen Krise. Vor allem die neu eingefügten gesetzlichen Definitionen dieser Begriffe in die InsO ließen die Frage nach möglichen Auswirkungen auch auf die Interpretation der Krisenbegriffe der §§ 283 ff. aufkommen. Der gesetzgeberische Hinweis, die Legaldefinition der drohenden Zahlungsunfähigkeit sei „geeignet, auch für das Strafrecht größere Klarheit zu bringen“,323 gab weiteren Anreiz zur Untersuchung dieser Problematik.
A. Zum Verhältnis der strafrechtlichen Begriffsbildung zu der anderer Rechtsgebiete Die aufgeworfene Frage legt es nahe, zunächst grundsätzlich das Verhältnis der strafrechtlichen Begriffsbildung zu derjenigen anderer Rechtsgebieten zu beleuchten. Das damit zugleich angesprochene allgemeine Verhältnis des Strafrechts zu anderen Rechtsgebieten wird in der Literatur unter verschiedenen Gesichtspunkten erörtert, wobei die verwendeten Begrifflichkeiten durchaus unterschiedlich sind.324 So findet sich zunächst das Schlagwort von der fragmentarischen Natur des Strafrechts. Damit ist die Lückenhaftigkeit und Unvollständigkeit des Strafrechts angesprochen, und zwar in dreifacher Hinsicht:325 Zum einen sind die einzelnen Straftatbestände lückenhaft, die dem zu schützenden Rechtsgut keine Rundumverteidigung gewährleisten, sondern nur bestimmte Angriffsweisen pönalisieren. Weiterhin ist das Strafrecht auch insofern fragmentarisch, als nicht 323 324 325
RegE, BT-DrS 12/2443, S. 114. s. dazu Maurach/Zipf, AT/1, 2/8 ff.; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 45. Eingehend Maiwald, FS-Maurach, S. 9 ff.
90
3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
alle in gleichem Maße sozialethisch verwerflichen Verhaltensweisen bestraft werden, die bloße Lüge etwa bleibt straflos. Schließlich wirkt das StGB auch im Verhältnis zur Gesamtrechtsordnung nur fragmentarisch, indem sich nicht jedes Verhalten, was jene als rechtswidrig ansieht, auch in einem Straftatbestand wiederfindet. Letzter Aspekt leitet über zum nächsten, das Verhältnis des Strafrechts zu anderen Rechtsgebieten kennzeichnenden Grundsatz, nämlich demjenigen der Subsidiarität des Strafrechts. Da der Gesetzgeber nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz immer das relativ mildeste Mittel zu wählen hat, um einen bestimmten Zweck zu erreichen, soll zum Rechtsgüterschutz nur als ultima ratio auf das Mittel der Strafdrohung zurückgegriffen werden. Nur dann, wenn mit den Mitteln des bürgerlichen und/oder des (sonstigen) öffentlichen Rechts ein ausreichender Rechtsgüterschutz nicht gewährleistet werden kann, ist eine strafrechtliche Sanktionierung mit ihren einschneidenden Folgen aus den Staatszwecken zu rechtfertigen.326 Bezogen auf die hier zu erörternde Problematik der Einflussnahme außerstrafrechtlicher Begriffsbildungen auf gleichlautende strafrechtliche Begriffe ist schließlich derjenige der Akzessorietät des Strafrechts geläufig,327 wobei jedoch zu klären ist, ob, und wenn ja, in welchem Umfang diese Abhängigkeit anzuerkennen ist.
I. Generelle Akzessorietät der strafrechtlichen Begriffsbildung Jedenfalls dann würde die strafrechtliche Auslegung der Krisenbegriffe durch die Fassung der Legaldefinitionen der Eröffnungsgründe vorgezeichnet, wenn man das Strafrecht als gegenüber dem Zivilrecht generell akzessorisches Rechtsgebiet ansehen müsste. In diesem Sinne wurde das Strafrecht früher als bloßes Schutzrecht begriffen, dessen Schutzobjekte auf allen Rechtsgebieten zerstreut liegen.328 Diese steuerten „alle ihren Beitrag zur Bildung der Deliktsund Verbrechensbegriffe [bei], und alle Merkmale der Verbrechenstatbestände, die dem Privatrecht oder [. . .] dem Prozesse angehören, bilden ebenso viele Brücken zwischen dem Strafrecht und diesen Rechtsgebieten“.329 Diese Betrachtungsweise gründet auf der aus der Normentheorie folgenden Vorgegebenheit der Normen sowie auf der Annahme, dass Strafgesetze als sekundäre
326
SK/Rudolphi, Vor § 1 Rn. 14 m.w. N.; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 76. Jescheck/Weigend, § 7 II 2; Tiedemann, Tatbestandsfunktionen, S. 45, und NJW 1977, 779. 328 Binding, Handbuch, S. 9 f.; Beling, S. 30 ff. 329 Binding, Handbuch, S. 9. 327
A. Zum Verhältnis der strafrechtlichen Begriffsbildung
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Rechtsnormen330 lediglich der Durchsetzung der die gesellschaftliche und staatliche Ordnung formenden Primärnormen dienen.331 Im Zusammenspiel mit einem Verständnis vom Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, das als dessen logische Konsequenz auch die Einheitlichkeit der Rechtsbegriffe ansah,332 lag es nahe, von einer Anbindung strafrechtlicher an gleichlautende Begriffe anderer Rechtsgebiete auszugehen.333 Im selben Sinne wird offenbar noch heute teilweise von einer Akzessorietät strafrechtlicher Begriffe ausgegangen.334
II. Eigenständigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung Es versteht sich fast von selbst, dass eine Sichtweise, die das Strafrecht zu einem bloßen Annex des Zivilrechts und des (sonstigen) öffentlichen Rechts macht, den Widerspruch der Strafrechtswissenschaft provoziert. In entschiedener Gegenposition hat sich so, unter Wortführerschaft von Bruns,335 die Auffassung herausgebildet, das Strafrecht sei ein eigenständiges Rechtsgebiet und regele seine Begriffe grundsätzlich selbständig, d.h. allein am Sinn und Zweck des Strafrechts und am Schutzzweck des jeweils zu beurteilenden Strafrechtssatzes ausgerichtet.336 Da das Strafrecht unbestritten in seinen Rechtsfolgen von anderen Rechtsgebieten unabhängig sei, sei nicht einzusehen, warum hinsichtlich der die Rechtsfolgen auslösenden Voraussetzungen eine Abhängigkeit vom Zivilrecht herrschen solle,337 zumal eine historische Betrachtung das Strafrecht als älteste Form ausweise, in der das Recht überhaupt erscheint338. 330 Die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Rechtsnormen geht zurück auf Bierling, Prinzipienlehre I, S. 133 ff. 331 Zu den Fundamenten der These Bindings von der akzessorischen Natur des Strafrechts vgl. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 15 ff. 332 Vgl. Bruns, Befreiung, S. 37, 51; Schwinge, JW 1939, 144; s. hierzu noch III. 2. 333 So wurde etwa für § 359 StGB a. F. die Identität des staatsrechtlichen und des strafrechtlichen Beamtenbegriffs gefordert; vgl. Binding, LB BT II 2, § 193, I–XI; Frank, § 359 Anm. II; Gerland, § 101 II 1 a. 334 Bieneck, StV 1999, 44, 46; ders., in: Müller-Gugenberger, 76/19, 33; Tiedemann, NJW 1977, 779; Winkelbauer, NStZ 1986, 149; vgl. Maurach/Zipf, AT/1, 2/8; vgl. auch Haffkes (KritV 1991, 173) Hinweis, das Strafrecht sei nicht berufen, zivilrechtliche Streitfragen zu klären. 335 Allerdings war schon vor Erscheinen von Bruns Schrift „Die Befreiung des Strafrechts vom zivilistischen Denken“ im Jahr 1938 die Eigenständigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung anerkannt, vgl. dens., JR 1984, 141; Schwinge, JW 1939, 144; Boldt, ZStW 59 [1940], 236. 336 Bruns, Befreiung, S. 107 ff.; 167 ff.; ders., JR 1984, 135 f.; Dreher, GA 1969, 61; Engisch, Einführung, S. 78, 161, 234; Heinrich, S. 204 ff.; Jescheck/Weigend, § 17 II 2; Lenckner, ZStW 106 [1994], 511; Maurach/Zipf, AT/1, 2/32, 9/19; Schünemann, Unterlassungsdelikte, S. 222; Schwinge, Teleologische Begriffsbildung, S. 22. 337 Vgl. Maurach/Zipf, AT/1, 2/8. 338 Jescheck/Weigend, § 17 II 2.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
III. Stellungnahme Dass in der Diskussion Gegensätze überzeichnet wurden und beide Auffassungen sich durchaus annähern, zeigt sich daran, dass sich einerseits Binding sehr wohl auch für eine teleologische Auslegung eingesetzt hat und so partiell zur Loslösung strafrechtlicher Tatbestandsmerkmale von den gleichlautenden Begriffen des Zivilrechts gelangte339 und andererseits auch Bruns teilweise eine an das Zivilrecht angelehnte Auslegung akzeptiert340. Auf der Grundlage anerkannter strafrechtlicher Grundsätze und der herkömmlichen Auslegungsmethodik ergibt sich ein differenziertes Bild, das jedenfalls eine generelle Abhängigkeit strafrechtlicher Begriffsbildung als unhaltbar erscheinen lässt. 1. Die teleologische Begriffsbildung So begründet insbesondere die teleologische Auslegung und deren herausgehobene Stellung unter den Auslegungsmethoden die Möglichkeit eigenständiger strafrechtlicher Interpretation von Begriffen, die anderen Rechtsgebieten entstammen. Im Rahmen der teleologischen Auslegung eines Begriffs spielt zunächst das dem Straftatbestand zugrundeliegende Rechtsgut eine besondere Rolle.341 Doch ist auch im Strafrecht die teleologische Auslegung nicht eindimensional im Sinne einer allein auf das geschützte Rechtsgut fixierten Interpretation zu verstehen.342 Vielmehr handelt es sich bei dem Zweck eines Rechtssatzes und seiner einzelnen Begriffe um ein vielschichtiges und komplexes Gebilde, das sich nicht auf einen einzelnen Aspekt reduzieren lässt.343 So ist bei der Auslegung eines Begriffs zunächst nach seinem „Spezialzweck“, d. h. seiner Funktion im Gesamtgefüge des Rechtssatzes zu fragen, der er seine Existenz verdankt.344 339
s. die Nachweise bei Bruns, Befreiung, S. 54 f. Bruns, Befreiung, S. 290 ff. 341 s. nur BGHSt 2, 362, 363; Baumann/Weber/Mitsch, 9/68; Jescheck/Weigend, § 17 IV 3; Rudolphi, FS-Honig, S. 158 ff.; Sch/Sch/Eser, § 1 Rn. 52; s. hierzu bereits 2. Teil A. I. 1. 342 Amelung, S. 135 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 152; Schaffstein, FG-R. Schmidt, S. 56, 59 ff.; Schünemann, FS-Bockelmann, S. 129. 343 Dies kann in der teleologischen Methodendiskussion seit Hecks Interessenjurisprudenz als gesichert gelten; vgl. etwa Engisch, Einführung, S. 96 f.; Esser, S. 324; Larenz, S. 321; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 143 ff., unterscheidet sog. teleologisch-systematische Gesichtpunkte (d. h. Grundwertungen und Rechtsprinzipien, die für die gesamte Rechtsordnung gelten) und sog. funktionsbestimmte (teleologische) Gesichtspunkte (d. h. die spezifischen Zwecke des Rechtsgebietes, -satzes, -begriffs, die den unmittelbaren, engeren Regelungszusammenhang kennzeichnen). 344 Esser, S. 324; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 147; vgl. auch BVerfGE 6, 32, 38. 340
A. Zum Verhältnis der strafrechtlichen Begriffsbildung
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Diese Funktion wird aber maßgeblich bestimmt durch den dem gesamten Rechtssatz zugrundeliegenden Zweck, der im Strafrecht einerseits den Schutz eines oder mehrerer Rechtsgüter, andererseits auch die angemessene Berücksichtigung etwaig entgegenstehender berechtigter Interessen des Täters umfasst.345 Auch dieser Normzweck fließt damit in die teleologische Auslegung des einzelnen Begriffs ein. Schließlich muss seine Auslegung auf die Förderung der allgemeinen Zielsetzungen des Rechtsgebiets gerichtet sein und darüber hinaus den noch genereller gefassten, für alle Rechtsgebiete Geltung beanspruchenden Zwecken und Grundwertungen entsprechen.346 Begriffe sind also als flexible, funktionale Gebilde anzusehen, die – im Rahmen des möglichen Wortsinns – durch das sie umgebende Bezugssystem mit ihrem spezifischen Inhalt gefüllt werden. Hieraus ergibt sich angesichts der kaum denkbaren Kongruenz des komplexen Bezugssystems zwanglos, dass die Auslegung eines Begriffs, der in verschiedenen Rechtssätzen verwendet wird, zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen kann (sog. Relativität der Rechtsbegriffe)347. Dies gilt bereits für die Auslegung eines Begriffs innerhalb desselben Rechtsgebiets,348 da es vor allem der unmittelbare, engere Regelungszusammenhang sein wird, der die Auslegung maßgeblich beeinflusst, erst recht aber für die Auslegung eines Begriffs, der in Rechtssätzen verschiedener Rechtsgebiete verwendet wird („interdisziplinäre Relativität“). Die Relativität der Rechtsbegriffe ist heute jedenfalls insofern unumstritten, als es sich nicht um kategoriale Grundbegriffe der Rechtswissenschaft, wie etwa „Rechtsnorm“, „Normadressat“, „Rechtswidrigkeit“ etc., handelt.349 Bekenntnisse zur Relativität der Rechtsbegriffe finden sich im Strafrecht heute etwa in der Anerkennung eines wirtschaftlichen (und nicht eines juristischen)350 Vermögensbegriffs durch die Rechtsprechung,351 in der von dem zivil345
s. bereits 2. Teil A. I. 1. und B. Die Bedeutung solcher allgemeiner Grundwertungen bei der teleologischen Auslegung ist im Wesentlichen unbestritten; vgl. Esser, S. 141 ff., 127 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 145 f., Larenz, S. 458 ff. 347 Bruns, JR 1984, 135; Engisch, Einführung, S. 95, 211; Lenckner, ZStW 106 [1994], 509; der Begriff geht zurück auf Müller-Erzbach, JhJ 61 [1912], 343 ff. 348 So umfasst der in § 90 BGB legaldefinierte Begriff der Sache in § 119 Abs. 2 BGB anerkanntermaßen nicht nur entsprechend dieser Legaldefinition körperliche Gegenstände, sondern auch andere Geschäftsgegenstände; vgl. Larenz, S. 321. 349 Für diese Grundbegriffe wird z. T. eine absolute, allgemeingültige Bedeutung als unabdingbar angesehen, vgl. Engisch, Relativität, S. 73 f.; ders., Einheit, S. 58; demgegenüber wird auch in diesem Bereich teilweise eine streng auf das jeweilige Rechtsgebiet bezogene teleologische Auslegung gefordert, vgl. etwa Ryu/Silving, Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie LIX (1973), 63 und Günther (Strafrechtswidrigkeit, S. 393), der das Straftatmerkmal der Rechtswidrigkeit im Sinne einer Strafrechtswidrigkeit versteht. 350 Binding, LB BT I, § 63 II, § 85 I 1. 351 BGHSt 2, 364, 365; 16, 220, 221; 26, 346, 347. 346
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
rechtlichen Verfügungsbegriff abweichenden Auslegung des Begriffs der Vermögensverfügung beim Betrug352 oder auch in der von den Regeln des Verwaltungsrechts divergierenden Bestimmung der „Rechtmäßigkeit“ der Diensthandlung in § 113 Abs. 3 durch die Rechtsprechung353 und einen beträchtlichen Teil der Literatur354. Hervorzuheben ist, dass damit nun keineswegs gesagt ist, dass die Auslegung eines gleichlautenden Begriffs in verschiedenen Rechtssätzen stets zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen müsste. So wird bei vielen Begriffen nur eine recht begrenzte Zahl von Interpretationsmöglichkeiten bestehen, die noch mit dem möglichen Wortsinn vereinbar sind, so dass selbst gewisse Unterschiede des Bezugssystems nicht zwangsläufig eine divergierende Auslegung nach sich ziehen, wenn sich die Bezugssysteme zumindest in wesentlichen Aspekten gleichen. Ergebnis der strafrechtlichen Auslegung eines auch im Zivilrecht verwendeten Begriffs kann also durchaus eine kongruente Inhaltsbestimmung sein, so dass man insofern von einer Zivilrechtsakzessorietät sprechen mag.355 Eine derartige weitgehende Anbindung des Strafrechts an die außerstrafrechtliche Auslegung gleichlautender Begriffe findet sich dort, wo das Strafrecht offensichtlich (nur) die Verletzung einer außerstrafrechtlichen Pflicht pönalisiert, weil hierdurch zugleich ein strafrechtliches Rechtsgut tangiert wird. Dies ist insbesondere im Nebenstrafrecht und vor allem dann der Fall, wenn sich strafrechtliche Vorschriften darauf beschränken, die Sanktionsnorm zu formulieren, während hinsichtlich der Verhaltensnorm auf bestimmte außerstrafrechtliche Rechtsvorschriften verwiesen wird (sog. Blanketttatbestände)356. Dafür, dass dort die Anbindung an die außerstrafrechtliche Auslegung der Norm und ihrer einzelnen Begriffe enger ist, spricht schon der Wortlaut des Blanketts, der eine Inkorporierung weiterer, anderen Vorschriften entstammender Tatbestandselemente deutlich kenntlich macht, sowie der im Sinne eines Gleichlaufs zu interpretierende Wille des Gesetzgebers, der an dieselbe Bezugsnorm unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft357. Gleichwohl entscheidet letztlich auch dort die Teleologie darüber, ob die Auslegung der gleichlautenden Normen identisch 352 BGHSt 14, 170, 171; 31, 178; Lackner/Kühl, § 263 Rn. 23; Sch/Sch/Cramer, § 263 Rn. 55; SK/Samson/Günther, § 263 Rn. 73. 353 BGHSt 4, 161, 164; 21, 334, 363. 354 Bruns, JR 1984, 140; Lackner/Kühl, § 113 Rn. 7; Lenckner, ZStW 106 [1994], 512; Sch/Sch/Eser, § 113 Rn. 21 ff., jew. m.w. N. 355 Baumann, ZStW 68 [1956], 523; Schünemann, Unterlassungsdelikte, S. 222; auch Bruns (Befreiung, S. 290 ff.) akzeptiert für bestimmte Bereiche eine Übernahme zivilrechtlicher Vorgaben in das Strafrecht. 356 Z. B. §§ 92 Abs. 1 Nr. 5, 6 AuslG; 85 Nr. 1 AsylVerfG; 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. 357 Heinrich, S. 207; K. Schmidt, FS-Rebmann, S. 437.
A. Zum Verhältnis der strafrechtlichen Begriffsbildung
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ausfällt; so ist etwa der Fall denkbar, dass die außerstrafrechtliche Norm im Wege der Analogie weiter ausgelegt wird als die gleichlautende – dem Analogieverbot des Art. 103 Abs. 2 GG unterliegende – Strafnorm;358 auch könnte sich die Übertragung einer zivilrechtlich zulässigen Auslegung auf das Strafrecht aufgrund des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG verbieten. Umgekehrt kann im – seltenen – Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des Analogieverbotes eine Abweichung von einer außerstrafrechtlichen Begriffsbildung unzulässig sein, wenn der betreffende Begriff ausschließlich im Sinne des außerstrafrechtlichen Verständnisses verwendet wird und dieses somit den möglichen Wortsinn markiert.359 Im Übrigen aber bildet der Wortsinn gemäß dem allgemeinen oder auch einem besonderen juristischen Sprachgebrauch nur den Ausgangspunkt der Auslegung, vermag die Bedeutung des Ausdrucks gerade in diesem (hier: strafrechtlichen) Zusammenhang jedoch nicht endgültig festzulegen.360 Wie stark die Anbindung der strafrechtlichen Krisenbegriffe an die Legaldefinitionen der InsO ist, gilt es im Folgenden durch Auslegung zu ermitteln.361 2. Der Bedeutungsgehalt des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung Fraglich bleibt allerdings, ob die im hiesigen Zusammenhang häufig angemahnte Einheit der Rechtsordnung einer divergierenden Auslegung eines gleichlautenden Begriffs in verschiedenen Zusammenhängen entgegensteht. Von den verschiedenen Interpretationen dieser alten juristischen Formel, deren Gehalt sich im Laufe der Zeit erheblich gewandelt hat und auch heute noch verschwommen ist362, ist hier die Forderung nach Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung363 von Bedeutung. Dieses Postulat lässt sich staatstheoretisch mit der 358 Vgl. zu diesem Problem der „Normspaltung“ etwa Tiedemann, Wirtschaftstrafrecht I, S. 188 ff.; K. Schmidt, FS-Rebmann, S. 436 ff. 359 Vgl. etwa Cadus, S. 147 ff., zur Frage, ob unter einem Kommissionär i. S. d. § 95 Abs. 1 Nr. 2 a. F. Börsengesetz auch derjenige zu verstehen ist, der gewerbsmäßig Waren und Wertpapiere für Rechnung eines anderen im fremden Namen kauft oder verkauft. Der Begriff des Kommissionärs werde ausschließlich in der durch die Legaldefinition des § 383 Abs. 1 HGB („im eigenen Namen“) vorgegebenen Bedeutung gebraucht, so dass die Ausdehnung der Strafbarkeit auch auf diejenigen Personen, die die genannten Gegenstände im fremden Namen verkaufen, nicht mehr mit dem möglichen Wortsinn vereinbar sei. 360 Larenz, S. 320 f. 361 s. dazu sogleich B.–E. 362 Vgl. hierzu umfassend Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995, der die verschiedenen Bedeutungen der Formel „Einheit der Rechtsordnung“ im 19. und 20. Jahrhundert nachzeichnet. 363 Engisch, Einführung, S. 209, 211 ff., ders., Einheit, S. 41 ff.; Grünhut, FrankFG I, S. 19; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 94 ff.; Larenz, S. 336 ff.; Lenckner, ZStW 106 [1994], 513.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
dem Staat übertragenen Aufgabe innerer Befriedung und Ordnung des Gemeinschaftslebens begründen.364 Zur Erfüllung dieser Aufgabe bedient sich der Staat gesetzlicher, behördlicher und richterlicher Ge- und Verbote, die dem Bürger als Wertmaßstab seines Handelns dienen und ihn zu einem bestimmten Verhalten motivieren sollen.365 Diese Bewertungs- und Bestimmungsfunktion können die rechtlichen Ge- und Verbote aber nur dann wirksam erfüllen, wenn sie im Zusammenhang der übrigen Regelungen des jeweiligen Gesetzes, Rechtsgebietes und der gesamten Rechtsordnung zu klaren und eindeutigen Wertmaßstäben und Verhaltensanweisungen führen. Sie dürfen insofern keinen anderen rechtlichen Anordnungen und Wertungen widersprechen, keine Norm- oder Wertungswidersprüche366 herbeiführen. Auch die Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs mag man unter dem Aspekt der Bewertungs- und Bestimmungsfunktion für wünschenswert halten und den Gesetzgeber zu einem solchen anhalten.367 Allerdings kommt solchen technischen Widersprüchen keine gewichtige sachliche Bedeutung zu,368 ziehen sie doch weder notwendig den Normadressaten verwirrende, weil widersprüchliche Verhaltensanweisungen, noch Wertungswidersprüche nach sich. Allenfalls erschweren sie das Verständnis einer Rechtsnorm. Doch sollte man auch dies nicht überbewerten, da sich jedenfalls der Kerngehalt des Begriffs in allen Verwendungszusammenhängen decken wird und nur die Randbereiche divergieren können.369 Zudem wird man selbst von einer derartigen generellen Erschwerung des Normverständnisses nur dann sprechen können, wenn dem typischen Normadressaten der exakte Bedeutungsgehalt des fraglichen Begriffs in einem anderen Verwendungszusammenhang üblicherweise bekannt ist. Dies wird freilich in solchen spezifischen Lebensbereichen, die rechtlich stark überformt sind – wie etwa im Bereich der Insolvenz – häufiger der Fall sein als in Lebensbereichen, in denen der Einfluss des Rechts weniger stark ist. Abschließend ist festzustellen, dass eine sinnvolle, d.h. teleologische Rechtsanwendung und die Ausräumung von Norm- und Wertungswidersprüchen Vorrang vor einem einheitlichen Sprachgebrauch hat.370 Die Einheit der Rechtsordnung stellt insofern kein gewichtiges Argument gegen eine Relativität der 364
Baldus, S. 197 f.; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 94 f. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 95 m.w. N. 366 Zugrunde liegt die Terminologie von Engisch, Einführung, S. 211 ff., ders., Einheit, S. 46, 59; Larenz, S. 337 f. 367 Vgl. Engisch, Einheit, S. 68; Grünhut, Frank-FG I, S. 19; Baldus, S. 200. 368 Engisch, Einführung, S. 211 f., ders., Einheit, S. 45; vgl. Baldus, S. 200; Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 96, 156; Lenckner, ZStW 106 [1994], 513. 369 Ist selbst ein einheitlicher Kerngehalt in den verschiedenen Verwendungszusammenhängen nicht mehr gegeben, sind unterschiedliche Vokabeln zu verwenden; vgl. Engisch, Relativität, S. 70. 370 s. die in Fn. 368 Genannten. 365
B. Allgemeine Gesichtspunkte der Auslegung der Krisenbegriffe
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Rechtsbegriffe dar; allerdings spricht der Gesichtspunkt der Normenklarheit dann für einen einheitlichen Sprachgebrauch, wenn sich ein bestimmter Bedeutungsgehalt in die Teleologie jedes der fraglichen Verwendungszusammenhänge einfügt und zugleich nicht zu echten sachlichen Widersprüchen führt. 3. Das Strafrecht als Schutzrecht und die Normentheorie Betrachtet man abschließend die Normentheorie Bindings und die Annahme einer sekundären Natur strafrechtlicher Normen als wesentliche Grundpfeiler der Auffassung von der generellen Akzessorietät strafrechtlicher Begriffsbildung, so ist zu konstatieren, dass selbst auf dieser Grundlage die Konsequenz einer generellen Abhängigkeit des Strafrechts zweifelhaft ist. So wird von ihren heutigen Anhängern vorgebracht, dass der strafrechtlichen Verhaltensnorm zwar Normen anderer Rechtsgebiete zugrunde lägen, sich der Prozess der Bildung strafrechtlicher Tatbestände aber nicht in der bloßen Übertragung außerstrafrechtlicher Normen zu kongruenten strafrechtlichen Verhaltensnormen erschöpfe.371 Das Strafrecht wirke selbst originär und konstitutiv, indem es zunächst die strafrechtsrelevanten aus der Vielzahl der Normen auswähle und diese sodann unter strafrechts-teleologischen Aspekten, insbesondere mit Blick auf die strafrechtliche Sanktionsnorm, bearbeite und modifiziere.372 Die übrige Rechtsordnung diene dem Strafrecht gewissermaßen als Rohmaterial.373 So führe die strafrechtliche Tatbestandstechnik zwangsläufig zur Bildung spezifisch strafrechtlicher Begriffe.374
B. Allgemeine Gesichtspunkte der Auslegung der Krisenbegriffe Der Erörterung der spezifischen Auslegungsgesichtspunkte hinsichtlich jedes einzelnen Krisenmerkmals sollen allgemeine, alle Krisenbegriffe betreffende Erwägungen vorweg geschickt – „vor die Klammer gezogen“ – werden.
I. Der Wortlaut des Gesetzes Die verbale Ausgangsbasis der Auslegung ist der Wortlaut des Gesetzes. Dabei setzt sich diese Basis aus dem (Grund-)Tatbestand selbst und zusätzlichen (definierenden und ergänzenden) Bestimmungen zusammen.375 Welche Zusätze 371 372 373 374 375
Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 155; Maurach/Zipf, AT/1, 2/32, 9/19, 37. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 156; Maurach/Zipf, AT/1, 2/32, 9/19, 37. Günther, Strafrechtswidrigkeit, S. 156. Maurach/Zipf, AT/1, 2/32. Zippelius, S. 45.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
dem (Grund-)Tatbestand zuzuordnen sind, ist entweder dessen Wortlaut selbst (Verweisung)376 oder aber den logischen und d. h. insbesondere den systematischen Zusammenhängen von Tatbestand und Zusatz zu entnehmen.377 Letzteres führt etwa dazu, dass die Bestimmungen des Allgemeinen Teils eines Gesetzes gewissermaßen „vor die Klammer gezogen werden“ und – bei Bedarf – in die Tatbestände des Besonderen Teils hineinzulesen sind und so deren Wortlaut ergänzen. Nur bei Verwendung einer der beiden Gesetzestechniken – Verweisung oder Systematik – sind die den (Grund-)Tatbestand ergänzenden Zusätze überhaupt zuverlässig von einem logisch vorgehenden Gesetzesanwender aufzufinden. Der systematisch richtige Standort für eine die §§ 283 ff. ergänzende Norm, die nicht schon qua Verweisung in Bezug genommen wird, wäre mithin entweder ein besonderer Absatz der §§ 283 ff. selbst oder aber, wenn die Krisenbegriffe noch in anderen Straftatbeständen gebraucht würden, im Allgemeinen Teil des StGB, etwa § 11. Eine stillschweigende Querverweisung in ein anderes gleichrangiges Gesetz, dessen Wertungen nicht – wie etwa die des Grundgesetzes – als in der Normenpyramide übergeordnet anzusehen sind, stellt keine typische Gesetzestechnik dar und ist unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit der Norm unzweckmäßig. Da weder eine systematische noch eine ausdrückliche Bezugnahme auf die in den §§ 17 Abs. 2, 18 Abs. 2 und 19 Abs. 2 InsO enthaltenen Legaldefinitionen vorhanden ist, bildet der Wortlaut der Krisenbegriffe der §§ 283 ff. selbst den Gegenstand der Auslegung, nicht aber der bereits verschiedene Deutungsmöglichkeiten ausschließende Wortlaut der Legaldefinitionen der InsO. Der Wortlaut der Krisenbegriffe lässt aber jeweils eine Vielzahl von Deutungsmöglichkeiten zu, nicht nur diejenigen, die durch die Legaldefinitionen der InsO für die wortgleichen Eröffnungsgründe vorgegeben werden. Insbesondere vermag die Einfügung der Legaldefinitionen in die InsO auch nicht über den Umweg des strafrechtlichen Analogieverbotes des Art. 103 Abs. 2 GG zu einer Beschränkung der Deutungsmöglichkeiten auf den Inhalt dieser Definitionen führen.378 Der mögliche Wortsinn wird durch den tatsächlichen Sprachgebrauch der Rechtsgemeinschaft bestimmt, also die (regelmäßig stillschweigende) Konvention über den Horizont jener Vorstellungen, die ein bestimmtes Wort bedeuten soll.379 Die Funktion einer Wortsinnbegrenzung kommt einer Legaldefinition mithin nur dort zu, wo zusätzlich bereits eine Konvention dahingehend besteht, einen Begriff ausschließlich und überall im Sinne dieser Definition zu gebrauchen.380 Hiervon kann indes im hiesigen Zusammenhang kaum 376 Diese Technik ausdrücklicher Verweisung (sog. Blankette) verwendet der Gesetzgeber etwa in den §§ 84 Abs. 1 Nr. 2, 64 Abs. 1, 71 Abs. 4 GmbHG. 377 Zippelius, S. 34 f. 378 Zu dieser Frage eingehend Plathner, S. 102 ff. 379 Bydlinski, Methodenlehre, S. 438; Zippelius, Methodenlehre, S. 47. 380 s. insoweit auch Fn. 359.
B. Allgemeine Gesichtspunkte der Auslegung der Krisenbegriffe
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die Rede sein, wie bereits die umfangreiche juristische Diskussion um die Auslegung der Krisenbegriffe zeigt. Die Funktion einer Wortsinnbegrenzung kommt den Legaldefinitionen der InsO nur für die Verwendung der Begriffe im zivilrechtlichen Zusammenhang als Eröffnungstatbestände zu; denn dort stehen nicht mehr die Begriffe selbst zur Disposition der Auslegung, sondern nur die wiederum auslegungsbedürftigen Merkmale der Legaldefinitionen. Im Übrigen stößt die Auslegung hoch normativer, also durch eine Wertung auszufüllender und daher oftmals sehr umstrittener Begriffe (wie die Krisenbegriffe und v. a. die Überschuldung) nur selten an die Wortlautgrenze. Die verfassungsrechtliche Problematik solcher besonders unscharfer Begriffe ist aus strafrechtlicher Sicht eher im Bereich des Bestimmtheitsgebotes des Art. 103 Abs. 2 GG zu suchen, die gewissermaßen die Kehrseite ihrer reichhaltigen Deutungsmöglichkeiten darstellt. So kann der identische Wortlaut der strafrechtlichen Krisenbegriffe und der insolvenzrechtlichen Eröffnungsgründe zunächst nicht mehr sein als ein Indiz dafür, dass die Begriffe in beiden Rechtsgebieten identisch (und d. h. im Sinne der Legaldefinitionen der InsO, an die die Auslegung der Begriffe bei den Eröffnungsgründen gebunden ist) auszulegen sind. Dies legt der Wortlaut auch deshalb nahe, weil sie in beiden Zusammenhängen gewissermaßen en bloc verwendet werden und zudem der Wortlaut anderer im Tatbestand verwendeter Begriffe eine Anbindung an das zivile Insolvenzrecht andeutet, wie etwa die Formulierungen „Bestandteile des Vermögens, die im Falle der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehören“ (§ 283 Abs. 1 Nr. 1) oder „das Insolvenzverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Masse abgewiesen worden ist“ (§ 283 Abs. 6).
II. Der Wille des Gesetzgebers Untersucht man die Regelungsabsicht des historischen Gesetzgebers, finden sich in den Gesetzesmaterialien zunächst eine Reihe von Andeutungen, die auf den Willen zu einer Anbindung der Krisenbegriffe an die Eröffnungstatbestände schließen lassen. In diesem Sinne verweist die Begründung des RegE des 1. WiKG, durch das die Krisenbegriffe erstmals in die Bankrottdelikte eingefügt wurden, darauf, dass „mit den zur Beschreibung der Krisensituation verwendeten Begriffen der Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit [. . .] der Entwurf auf Merkmale zurück [greift], die der Gesetzessprache seit langem bekannt sind“.381 Es folgt die deutliche Anweisung, dass die Frage, „ob die Krise, die Absatz 1 mit den Merkmalen der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung beschreibt, eingetreten ist, [. . .] nach den Grundsätzen beurteilt werden [müsse], welche die
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Rechtsprechung bei der Anwendung dieser Begriffe entwickelt hat“.382 Hieraus lässt sich deutlich die Intention des Gesetzgebers entnehmen, Einwendungen im Hinblick auf das Bestimmtheitserfordernis des Art. 103 Abs. 2 GG zuvorzukommen, indem die Auslegung der Krisenbegriffe Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung an die zivilgerichtliche Ausformung der entsprechenden Eröffnungstatbestände angebunden wird. Doch auch schon vor dem 1. WiKG scheint eine Akzessorietät des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit, der seinerzeit bereits im Tatbestand der Gläubigerbegünstigung (§ 241 KO) enthalten war, von zivilgerichtliche Vorgaben intendiert gewesen zu sein: dessen systematische Stellung in der KO gleichsam als Anhang der zivilrechtlichen Vorschriften legt einen auf eine Anbindung an den entsprechenden Eröffnungstatbestand (§ 102 KO) gerichteten gesetzgeberischen Wille überaus nahe.383 Demgegenüber war ein solcher Rückgriff auf das Zivilrecht beim Merkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht unmittelbar möglich, da ein entsprechender Eröffnungsgrund seinerzeit in der KO nicht vorgesehen war.384 Jedoch begriff der Gesetzgeber die drohende Zahlungsunfähigkeit auch nicht als vollständig eigenständiges Krisenmerkmal, sondern maß ihm eher die Funktion der bloßen Vorverlagerung des Krisenzeitpunktes gegenüber dem Zeitpunkt der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit bei;385 dementsprechend wollte er die drohende Zahlungsunfähigkeit als konkrete Gefahr des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit definiert wissen386. Insofern sah er also auch im Hinblick auf die drohende Zahlungsunfähigkeit zivilgerichtliche Vorgaben als maßgeblich an, nämlich diejenigen zur eingetretenen Zahlungsunfähigkeit, und verband diese lediglich mit dem Begriff der konkreten Gefahr.
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BT-DrS. 7/3441, S. 34. Röhm, S. 87. 384 Diskutiert wurde im Gesetzgebungsverfahren zudem die Einfügung eines Krisenmerkmals der drohenden Überschuldung; vgl. etwa noch den RegE 1. WIKG, BTDrS. 7/3441, S. 20, 34; hiervon wurde jedoch abgesehen, weil man für einzelne der aufgezählten Bankrotthandlungen eine zu weite Vorverlagerung der Strafbarkeit befürchtete und Zweifel an der Eignung des Begriffs zur hinreichend bestimmten Umschreibung des Krisenbeginns hatte, vgl. hierzu den Bericht des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BT-DrS. 7/5291, S. 16 f. im Anschluss an den Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches, § 193 (S. 82 ff.). 385 Vgl. etwa die Formulierung des RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 34: „Würde sich der Entwurf allerdings darauf beschränken, nur Bankrotthandlungen bei bereits eingetretener Krise mit Strafe zu bedrohen, so würde das die Reichweite des Tatbestandes [. . .] in unangemessener Weise einengen.“ – Der RegE sah also offenbar nur eingetretene Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung als echte Krisenbegriffe an, die drohende Zahlungsunfähigkeit (und bis dahin auch die drohende Überschuldung) hingegen lediglich als unselbständige Vorverlagerungen der Strafbarkeit. 386 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 34. 383
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Auch die Regierungsentwürfe der InsO und des EGInsO sprechen sich bei dem Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit deutlich für eine an der Legaldefinition der InsO orientierte Auslegung aus, wenn sie ausführen, die Legaldefinition sei „geeignet, auch für das Strafrecht größere Klarheit zu bringen“387 und „konkretisiere den bisher schon im Konkursstrafrecht verwendeten Begriff“388. Zwar hätte der Gesetzgeber dann, wenn er eine unmittelbare Bezugnahme der Krisenbegriffe auf die legaldefinierten Eröffnungstatbestände gewollt hätte, im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens der InsO auch die Verweisungstechnik echter Blankette in die Straftatbestände einfügen können. Jedoch lassen auch die genannten Äußerungen einen auf eine inhaltsgleiche, an den Legaldefinitionen orientierte Auslegung der Krisenbegriffe gerichteten Willen des Gesetzgebers deutlich erkennen. Weiterhin wird man, um diesem keine bewusst widersprüchliche Rechtsetzung zu unterstellen, von einer Wahrscheinlichkeitsvermutung für einen konsequenten, einheitlichen Sprachgebrauch sprechen können.389 Dies gilt um so mehr, wenn die Begriffe in einem einheitlichen Gesamtkomplex von Normen verwendet werden. Dass aber Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht vom Gesetzgeber als eng zusammengehörige Regelungsmaterien eines Gesamtkomplexes angesehen werden, ergibt sich nicht nur aus o. g. Äußerungen, sondern besonders augenscheinlich auch daraus, dass die Bankrottdelikte bis zum 1. WiKG 1976 in der KO geregelt waren (§§ 239 ff. KO). Die dann erfolgte Ausgliederung aus der KO war insbesondere der Erwägung geschuldet, dass „solche Tatbestände, die von allgemeiner Bedeutung sind und einen schwerwiegenden Unrechtsgehalt haben, grundsätzlich in das Strafgesetzbuch aufgenommen werden sollten“390, intendierte aber nicht die sachliche Trennung der beiden Bereiche. Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass der Gesetzgeber des 1. WiKG zwar die Krisenmerkmale an die gleichlautenden Eröffnungstatbestände, aber nicht generell an die Konkursreife des Schuldners anknüpfen wollte. Denn indem er bereits die Überschuldung (und nicht erst die Zahlungsunfähigkeit) auch für natürliche Personen und echte Personengesellschaften391 zur Krisensituation erklärte,392 umschrieb er die Krisensituation der Bankrottdelikte derart, dass sie weiter reicht als die Konkursreife dieser Schuldner. Die Unterlassung 387
RegE InsO, BT-DrS. 12/2443, S. 114. RegE EGInsO, BT-DrS. 13/3803, S. 100. 389 Engisch, Einheit, S. 45; Bierling, Jur. Prinzipienlehre IV, S. 225 f. 390 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 34. 391 Die Überschuldung markiert nach alter wie neuer Rechtslage die Konkursreife nur bei Kapitalgesellschaften, nichtrechtsfähigen Vereinen und solchen Personengesellschaften, die keine natürliche Person als natürlich haftenden Gesellschafter haben (vgl. § 19 Abs. 1, 3 InsO); rechtspolitisch ist diese Entscheidung des Gesetzgebers indes umstritten, vgl. etwa K. Schmidt, JZ 1982, 171 ff. 392 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 20. 388
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wirtschaftswidriger Bankrotthandlungen müsse von jedem Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr verlangt werden, sofern er überschuldet ist.393 Zudem bewirkte die Einführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit als Krisenbegriff für alle Schuldner eine Ausdehnung der strafrechtlichen Krise gegenüber der Festlegung der Konkursreife nach der KO, die diesen Begriff nicht kannte.394 Damit konstituiert § 283 letztlich eine über die außerstrafrechtlichen Pflichten hinausgehende, eigenständige strafrechtliche Pflichtenordnung.395
III. Die Systematik der Bankrottdelikte Betrachtet man die Struktur des § 283, die neben der Krisensituation auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Abs. 6) als Strafbarkeitsvoraussetzung aufweist, scheint sich eine unterschiedliche Auslegung der wortgleichen Merkmale allerdings zu verbieten. Dies hätte nämlich zur Folge, dass die Begriffe Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit als Krisenmerkmale verwendet insolvenzstrafrechtlich, in § 283 Abs. 6 dagegen, als implizite Voraussetzung der Verfahrenseröffnung, jedenfalls insolvenzrechtlich ausgelegt werden müssten. Eine Beeinträchtigung der Praktikabilität der Norm droht insoweit allerdings nicht: Da § 283 Abs. 6 deutlich erkennbar auf den formalen Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts (vgl. § 27 InsO) verweist, der für das Strafverfahren Tatbestandswirkung entfaltet, sind dessen Voraussetzungen dementsprechend vom Strafrichter nicht eigenständig zu prüfen.396 Es kommt also nicht zu einer „Normspaltung“ in dem Sinne, dass der Normanwender die Begriffe einmal im insolvenzrechtlichen und einmal im insolvenzstrafrechtlichen Sinne zu verwenden hätte. Was die Gesetzessystematik jenseits des innertatbestandlichen Bereichs anbelangt, kann die getrennte Verortung von Insolvenzstrafrecht und Insolvenzrecht – wie zuvor festgestellt – einerseits kaum als Argument gegen eine inhaltliche Anbindung der Krisenbegriffe an die Legaldefinitionen der InsO verwandt werden, da die Verortung der Bankrottdelikte im Strafgesetzbuch lediglich den ordnenden Zweck verfolgte, alle schwerwiegenden Delikte von allgemeiner Bedeutung in das StGB als zentrale strafrechtliche Kodifikation zu überführen. Ande393
Ebd. Die InsO gibt dem Schuldner nunmehr bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit ein Antragsrecht, vgl. § 18 InsO, ohne dass damit allerdings eine Antragspflicht verbunden wäre, vgl. z. B. §§ 64 Abs. 1, 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG. 395 Tiedemann, GS-Schröder, S. 293; Otto, GS-Bruns, S. 276, nimmt diese gesetzgeberische Entscheidung im Wege einer verfassungskonformen Auslegung wieder zurück. 396 RGSt 26, 37; BGH bei Herlan, GA 1955, 364 f.; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 106; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 14. 394
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rerseits führt die systematische Stellung auch nicht zu einer direkten Bezugnahme auf die Legaldefinitionen der InsO.397
IV. Teleologische Erwägungen Neben den durch die Bankrottdelikte geschützten Rechtsgütern auf der einen und den einer Pönalisierung widerstreitenden Interessen des Schuldners auf der anderen Seite als grobe Markierungen für die an Sinn und Zweck orientierte Auslegung der Krisenmerkmale, spielt für die teleologischen Erwägungen auch die Frage nach der spezifischen Funktion dieser Merkmale im Tatbestand der Bankrottdelikte eine entscheidende Rolle. Ist diese Funktion herausgearbeitet, sollen im Anschluss die teleologischen Bezüge der strafrechtlichen Krisenmerkmale und der Insolvenzauslöser der InsO gegenübergestellt werden. 1. Die Funktion der Krisenmerkmale im Tatbestand der Bankrottdelikte a) Versöhnung mit dem Schuldprinzip Gesetzgeberisches Motiv für die Einfügung der Krisenmerkmale in die Tatbestände des § 283 durch das 1. WiKG war es erklärtermaßen, die immer wieder gegen das Konkursstrafrecht der §§ 239 ff. KO a. F. vorgebrachten Zweifel auszuräumen, die dessen Vereinbarkeit mit dem Schuldprinzip betrafen.398 In der Kritik stand insbesondere der damalige sog. einfache Bankrott gem. § 240 KO a. F., der das tatbestandliche Unrecht allein durch die Vornahme bestimmter Handlungen umschrieb, ohne wie der sog. betrügerische Bankrott nach § 239 KO a. F. zusätzlich die Absicht des Schuldners, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorauszusetzen. Diese knappe Umschreibung des strafbaren Verhaltens führe dazu, so der Einwand, dass auch rechtlich neutrale Verhaltensweisen erfasst würden, deren Einstufung als Unrecht unhaltbar sei.399 So könne etwa der übermäßige Aufwand (§ 240 Nr. 1 KO a. F.) bei einem zahlungsfähigen Kaufmann strafrechtlich vorwurfsfrei sein. Da zudem die weiteren Voraussetzungen der Zahlungseinstellung oder Eröffnung des Konkursverfahrens aus Praktikabilitätserwägungen als objektive Bedingungen der Strafbarkeit eingestuft würden – so erübrigte sich der oft problematische Nachweis eines diesbezüglichen Ver-
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s. I. RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 19. 399 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 19; Klug, KTS 1962, 65 ff.; Schöne, JZ 1973, 449; Stree, JuS 1965, 470 ff. 398
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schuldens und der Kausalität400 –, könne aus dem zufälligen Zusammentreffen eines wertneutralen Verhaltens mit einem unverschuldeten Zusammenbruch Strafbarkeit erwachsen.401 Diese Situation der Pönalisierung rechtlich vorwurfsfreien Verhaltens zu beseitigen, boten sich dem Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten. Die Erhebung von Zahlungseinstellung und Eröffnung des Konkursverfahrens zu Tatbestandsmerkmalen402 schied allerdings aus den genannten Praktikabilitätserwägungen ebenso aus wie die Umwandlung der Tatbestände in konkrete Gefährdungsdelikte durch die – an die Benachteiligungsabsicht des § 239 KO a. F. angelehnte – Einfügung des (objektiven) Merkmals der Gefährdung der Gläubigerbefriedigung403. Auch eine restriktive Auslegung der problematischen Bankrotthandlungen hielt der Gesetzgeber nicht für einen gangbaren, weil zu unbestimmten Weg.404 Neben den Nachweisschwierigkeiten der anderen Lösungen war es vor allem die Erkenntnis, dass der eigentliche Unrechtsgehalt der Bankrotthandlungen in der Gefährdung der Befriedigung der Gläubiger liegt, den einige Bankrotthandlungen aber erst dann erhalten, wenn sie in einer wirtschaftlichen Krisensituation vorgenommen werden, die den Gesetzgeber zur Einführung der Krisenmerkmale als weitere Tatbestandsvoraussetzungen bewog.405 Die schuldnerische Krise schloss zunächst die drohende Überschuldung ein, die aber im weiteren Gesetzgebungsverfahren – v. a. aus Gründen der mangelnden Bestimmtheit des Begriffs und zur Vermeidung der übermäßigen Vorverlagerung der Strafbarkeit – gestrichen wurde.406 Diesen Erwägungen des Gesetzgebers ist zu entnehmen, dass es ihm darum ging, die Erkenntnis umzusetzen, dass bei manchen Bankrotthandlungen ein die Pönalisierung rechtfertigender Bezug zu den geschützten Rechtsgütern überhaupt erst dann entsteht, wenn sie in einer bestimmten wirtschaftlichen Lage des Schuldners vorgenommen werden. Tatsächlich werden bei einem wirtschaft400 Zahlungseinstellung bzw. Konkurs können aufgrund der vielfältigen Verknüpfungen des heutigen Wirtschaftslebens unverschuldet eintreten, etwa durch den Konkurs des Hauptabnehmers. Das Erfordernis der Kausalität zwischen Bankrotthandlung und Zahlungseinstellung/Konkurs hätte die Straffreiheit von nach den genannten Ereignissen begangenen Bankrotthandlungen zur Folge gehabt, vgl. Schöne, JZ 1973, 449; Tiedemann, ZRP 1975, 130. 401 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 19; Schöne, JZ 1973, 449 f. 402 So Bemmann, S. 48 f.; ablehnend Stree, JuS 1965, 471. 403 So noch der Entwurf eines Einführungsgesetzes zum StGB, BR-DrS. 1/72, S. 246 und BR-DrS. 2/72, S. 67 f.; ablehnend dann der RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/ 3441, S. 19 f.; vgl. auch Schöne, JZ 1973, 450 m.w. N. 404 So aber z. B. Stree, JuS 1965, 471; ablehnend der RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/ 3441, S. 19. 405 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 20. 406 Vgl. hierzu bereits Fn. 384.
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lich gesunden Schuldner die genannten wirtschaftswidrigen Handlungen durch sein wirtschaftliches Potential aufgefangen; sie können sich nicht in einer Beeinträchtigung der Befriedigungs- und Gestaltungsinteressen der Gläubiger niederschlagen, weil der Schuldner auch nach ihrer Vornahme in der Lage bleibt, seine Verbindlichkeiten vollständig zu erfüllen.407 Dies gilt zum einen für die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen, die sich – was vielfach bestritten wird408 – in ihrer Gefährlichkeit für die geschützten Gläubigerinteressen nicht unterscheiden:409 Eine Verringerung des Schuldnervermögens um einen bestimmten Betrag, egal ob durch Beiseiteschaffen, Verschleudern, Zerstören etc. von Vermögensbestandteilen, ist aus Sicht der Gläubiger jedenfalls solange irrelevant, wie der Schuldner seine Verbindlichkeiten noch durch das verbliebene wirtschaftliche Potential begleichen kann. Aber auch diejenigen informationsbezogenen Bankrotthandlungen, die auf eine Täuschung der Entscheidungsträger im Insolvenzverfahren gerichtet sind (§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt.; Nr. 4), sind in diesem Stadium aus Gläubigersicht unerheblich, da eine Verfahrenseröffnung aufgrund der stabilen wirtschaftlichen Lage des Schuldners nicht in Rede steht. Eine andere Sichtweise ist allerdings bei den Buchführungsdelikten des § 283 Abs. 1 Nrn. 5–7 angebracht. Deren krisenunabhängiger Bezug zu den Gläubigerinteressen ergibt sich daraus, dass sie nicht nur die Informationsgrundlage der Entscheidungsträger im Insolvenzverfahren beeinträchtigen, sondern auch die des Schuldners selbst. Fehlt aber eine Grundvoraussetzung planmäßigen und ordnungsgemäßen Wirtschaftens, wird das schuldnerische Vermögen nicht nur durch wirtschaftswidrige Bankrotthandlungen, sondern auch durch zahlreiche sonstige wirtschaftswidrige Entscheidungen des Schuldners geschmälert. So zählt Blindwirtschaft zu den häufigsten Insolvenzursachen.410 Die Krisenmerkmale dienen mithin m. a. W. bei den Bankrotthandlungen der Nrn. 1–4, 8 des § 283 Abs. 1 dazu, Situationen abzubilden, in denen den Bankrotthandlungen ein strafwürdiges Maß abstrakter (typischer) Gefährlichkeit für die geschützten Gläubigerbelange zukommt.411 Bei den Buchführungsdelikten, 407
Vgl. Harneit, S. 102; Krause, S. 236. Bretzke, S. 216 f.; Hammerl, S. 15; Höfner, S. 38 ff.; Otto, GS-Bruns, S. 266 f.; Sachverständigenkommission, Tagungsberichte, S. 80 f., 97; Schlüchter, Grenzbereich, S. 35 ff., 56 ff.; Stree, JuS 1965, 470; Tiedemann, NJW 1977, 780; ders., LK, Vor § 283 Rn. 39, 84, 137. 409 s. hierzu ausführlich Krause, S. 234 ff., der den Unterschied der verschiedenen Bankrotthandlungen allein darin sieht, dass sie aus kaufmännischer Sicht teilweise generell sinnlos sind, wie etwa das Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen, teilweise aber auch wirtschaftlich sinnvoll sein können, wie etwa ein Schleuderverkauf zur Kundenbindung. 410 NK/Kindhäuser, Vor § 283 Rn. 4 m.w. N. 411 Krause, S. 208 f.; ähnlich Otto, GS-Bruns, S. 268, der den Krisenbegriffen die Funktion zuweist, „sicherzustellen, dass die Angriffshandlung die geschützten Rechts408
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denen diese strafwürdige Gefährlichkeit schon außerhalb der Krisensituationen innewohnt, kommt ihnen eine Strafschärfungsfunktion zu, die an die erhöhte Verletzungstypik dieser Verhaltensweisen bei Vornahme in einer Krisensituation anknüpft. Zu diesem Zweck wurde die Krise auf zwei verschiedene Arten mit den Bankrotthandlungen verknüpft.412 In den Fällen des § 283 Abs. 1 wird eine zeitliche Verbindung mit den Bankrotthandlungen hergestellt. In den Fällen des Abs. 2 soll die – hier nur als Überschuldung und (eingetretene) Zahlungsunfähigkeit umschriebene – Krisensituation eine strafwürdige abstrakte Gefährlichkeit der Bankrotthandlungen im Wege einer kausalen Verknüpfung gewährleisten: Die außerhalb einer kritischen Unternehmenssituation begangenen Bankrotthandlungen führen als Deliktserfolg eine mehr oder weniger vertiefte wirtschaftliche Krise erst herbei, in der sich die grundsätzlich auch schon vorher bestehende Eignung zur Masseschmälerung bzw. Informationsbeeinträchtigung auswirken kann, weil sie (wenigstens zum Teil) nicht mehr durch eine stabile wirtschaftliche Lage des Schuldners kompensiert wird. Die Gefahr für die geschützten Rechtsgüter resultiert mithin letztlich bei § 283 Abs. 1 wie bei § 283 Abs. 2 aus der mehr oder weniger gravierenden, durch die Bankrotthandlungen herbeigeführten Unzulänglichkeit des wirtschaftlichen Potentials des Schuldners zur Gläubigerbefriedigung. b) Die Sonderstellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit Eine Sonderstellung nimmt insoweit das Krisenmerkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit ein. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers handelt es sich hierbei um einen gegenüber der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung vorgelagerten Krisenzustand. Durch seine Einfügung sollte eine Ausweitung des Tatbestandes und damit des Gläubigerschutzes über die von § 283 Abs. 2 erfassten Fälle hinaus bewirkt werden.413 Eine Begrenzung unter dem Aspekt der Strafwürdigkeit sah man erst im Rahmen des § 283 Abs. 2 als geboten an; eine Pönalisierung auch der Herbeiführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit eine noch weitergehende Vorverlagerung des Strafschutzes hielt man offenkundig nicht mehr für angemessen.414 Inwieweit sich güter typischerweise konkret gefährdet, ohne dass die konkrete Gefährdung durch die jeweilige Handlung im Einzelfall nachgewiesen werden muss“; sachlich und nach herkömmlicher Terminologie ist damit ebenfalls eine abstrakte Gefährlichkeit der Handlung gemeint, da der Eintritt eines konkreten Gefahrerfolges nicht Tatbestandsvoraussetzung ist; verlangt Otto auch keine konkrete Gefahr im herkömmlichen Sinne, stellt er aber offenbar besondere Anforderungen an die Verletzungstypik; Ottos Formulierung aufgreifend Harneit, S. 102; Groth, S. 100. 412 Vgl. Krause, S. 244. 413 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 34. 414 Vgl. LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 174; ders., NJW 1977, 782; den Gesetzesmaterialien ist allerdings keine ausdrückliche Begründung dafür zu entnehmen, dass
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diese gesetzgeberische Vorstellung einer Staffelung der Krisenmerkmale realisieren lässt, wird erst deren Auslegung klären. 2. Exkurs: Die Eröffnungstatbestände der §§ 17–19 InsO Sind die teleologischen Bezüge, die alle strafrechtlichen Krisenmerkmale gemein haben, offengelegt, sollen diese denjenigen der Insolvenzauslöser der §§ 17–19 InsO gegenübergestellt werden, um der Frage nachzugehen, ob beiden unter teleologischen Gesichtspunkten derselbe Inhalt beizulegen ist oder eine abweichende Auslegung geboten erscheint. a) Die Funktion der Eröffnungstatbestände Als Insolvenzauslösern kommt den Begriffen der Überschuldung, drohenden und eingetretenen Zahlungsunfähigkeit die Funktion der Grenzlinienbildung zwischen der unveränderten Unternehmensfortführung durch den Schuldner und der Einleitung des Insolvenzverfahrens, m. a. W. der Festlegung der Insolvenzreife, zu. Sie bestimmen die Voraussetzungen, die das Insolvenzverfahren als einschneidendste Maßnahme gegen den Schuldner rechtfertigen. Unter diesem Aspekt geht es darum, den Zeitpunkt festzulegen, zu dem der Schuldner mit der privatautonomen Steuerung seiner Vermögens- und Haftungsverhältnisse endgültig gescheitert ist,415 so dass an seine Stelle i. d. R. – anders nur bei der Eigenverwaltung nach § 270 InsO – die Entscheidung der Gläubiger und des Insolvenzverwalters über das Schuldnervermögen zu treten hat. Durch die Verfahrenseröffnung wird das im Vorfeld der Insolvenz herrschende Ungleichgewicht zwischen Haftung – in diesem Zeitpunkt halten die Gläubiger regelmäßig den weitaus größten Teil der finanziellen Ansprüche an das Unternehmen – und Entscheidungs- und Verfügungsrechten der Gläubiger beseitigt,416 die zu den ökonomischen Eigentümern des schuldnerischen Vermögens werden417. aa) Die widerstreitenden Interessen Bei der Bestimmung der Insolvenzreife spielen verschiedene Aspekte und Interessen eine Rolle. Auf der einen Seite stehen zunächst die zu schützenden Interessen der Gläubiger an der Erfüllung ihrer Forderungen, wenn es um die Festlegung des richtigen Zeitpunktes für eine Verfahrenseröffnung geht. Aus die Herbeiführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht unter Strafe gestellt wird; im Gegenteil geht noch der Bericht des Sonderausschusses (BT-DrS. 7/5291, S. 17 a. E.) von einer entsprechenden Pönalisierung aus. 415 Häsemeyer, 7/16. 416 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 96. 417 Burger/Schellberg, KTS 1995, 565.
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Gläubigersicht geht es vor allem darum, dass die Befriedigungsaussichten nicht (weiter) geschmälert werden. Verhindert werden soll jegliches Weiterwirtschaften des erfolglosen Schuldners, durch das fortschreitender Vermögensverfall bzw. das Anhäufen weiterer Schulden verursacht werden. Hinzu treten auch hier die Interessen an weitgehenden Gestaltungsspielräumen, um insbesondere eine etwaig im Interesse der Gläubiger liegende, dem Erhalt einer Geschäftsbeziehung dienende Sanierung zu ermöglichen. Ein unter dem Gesichtspunkt der Absicherung bestehender Forderungen idealer Insolvenzauslöser führt zu einem Insolvenzverfahren, sobald die Gläubigeransprüche in einem auch nur sehr kleinen Ausmaß untergedeckt und damit ausfallbedroht sind.418 Demgegenüber sind allerdings auch die schützenswerten Interessen des Schuldners zu berücksichtigen, schließlich bilden die Eröffnungsgründe die letzte, den Schuldner gegen den Verlust der Privatautonomie und die nach Verfahrenseröffnung im Ermessen der Gläubigerschaft liegende Existenzvernichtung schützende Garantie.419 Regelmäßig folgt aus der Verfahrenseröffnung der vollständige Entzug der Verfügungsmacht des Schuldners oder zumindest, im Fall der durch den Insolvenzverwalter kontrollierten Eigenverwaltung, der Letztverbindlichkeit seiner Entscheidungen. bb) Die Rechtzeitigkeit der Verfahrenseröffnung Bei der Bestimmung des richtigen Zeitpunktes der Verfahrenseröffnung werden die genannten Interessen der Gläubiger im Regelfall für eine frühzeitige Eröffnung sprechen. Dies wird augenfällig, wenn man sich die hohe Quote mangels Masse nicht eröffneter Verfahren in den vergangenen Jahren vergegenwärtigt.420 Auch im Schuldnerinteresse kann ein frühzeitig durchgeführtes, gerichtlich geordnetes Sanierungsverfahren durchaus sinnvoll sein, vermag es ihm doch möglicherweise die langfristige Weiterführung des Unternehmens zu ermöglichen.421 Mit der Einleitung eines Insolvenzverfahrens gilt es gleichwohl behutsam umzugehen: Eine zu frühzeitige Eröffnung – die freilich bislang in der Praxis eher Ausnahme als Regel war – kann auch an sich lebensfähige Wirtschaftseinheiten in ein Verfahren zwingen, das als solches bereits erhebliche Rufschädi418 Burger/Schellberg, KTS 1995, 565; dies., BB 1995, 262; Egner/Wolff, AG 1978, 101; Vonnemann, BB 1991, 867. 419 Häsemeyer, 7/16. 420 Nach den Erhebungen des Statistischen Bundesamtes (Fachserie 2, Reihe 4.1, S. 9 f.) lag die Quote der mangels einer die Verfahrenskosten deckenden Masse nicht eröffneter Verfahren bei den Unternehmensinsolvenzen 1997 bereits bei 65%, hat sich allerdings nach Einführung der InsO wieder bis auf 50% in den Jahren 2001–2003 verringert. 421 Eindringlich Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 25.
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gungen und Vertrauensverluste bei den Geschäftspartnern mit sich bringt.422 So kann im schlimmsten denkbaren Fall der Zusammenbruch und die Zerschlagung des Schuldners hervorgerufen werden, zumindest aber eine nicht unerhebliche Belastung der schuldnerischen Geschäftstätigkeit. Eine verfrühte Verfahrenseröffnung liefe nicht nur den Schuldnerinteressen zuwider, sie wäre auch aus Sicht der Gläubiger nicht wünschenswert, insbesondere unter dem Blickwinkel des Erhalts einer (sicheren) Geschäftsbeziehung.423 Zu diesen aus der bloßen Eröffnung des Verfahrens folgenden Belastungen des Schuldners und seines Unternehmens wird es auch unter der Geltung des neuen Insolvenzrechts kommen, mögen sie auch durch die Abkehr vom Automatismus der Zerschlagung des schuldnerischen Unternehmens und die verstärkte Hinwendung zu sanierenden Insolvenzverfahren weniger ausgeprägt sein. Ausfluss des Bemühens um die Verhinderung einer zu frühzeitigen Verfahrenseröffnung sind die weitgehend abgelehnte Auslegung des Überschuldungsbegriffs als reine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten und die fast einhellig anerkannte Unbeachtlichkeit der Zahlungsstockung bei der Bestimmung der Zahlungsunfähigkeit.424 cc) Die Sonderstellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit Eine Sonderstellung nimmt insoweit allerdings der neu eingefügte Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit i. S. d. § 18 InsO ein. Dieser wird vom Gesetzgeber als im Vorfeld der eigentlichen Insolvenz liegend angesehen.425 Aus diesem Grund gestattet er – anders als Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung gem. § 13 Abs. 1 S. 2 InsO – weder den Gläubigern die Insolvenzauslösung (sog. Außenlösung)426, noch verpflichtet er den Schuldner zur Antragstellung (vgl. etwa §§ 64 Abs. 1, 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG). Er gibt lediglich dem Schuldner (bzw. seinem organschaftlichen Vertreter oder seinem persönlich haftenden Gesellschafter, § 18 Abs. 3 InsO) ein Antragsrecht, das er nutzen kann, wenn es ihm opportun erscheint (sog. Innenlösung, § 18 Abs. 1 S. 1 InsO). Mit diesem neuen Insolvenzgrund trägt der Gesetzgeber dem Re422
Egner/Wolff, AG 1978, 101; Klar, S. 13; Penzlin, S. 76. Egner/Wolff, AG 1978, 101; Klar, S. 11 f. 424 s. hierzu noch C. IV. 425 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 114: Der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit schaffe „die Möglichkeit, bei einer sich deutlich abzeichnenden Insolvenz bereits vor ihrem Eintritt verfahrensrechtliche Gegenmaßnahmen einzuleiten.“ [Hervorhebung des Verf.]; zweifelnd, ob die drohende Zahlungsunfähigkeit tatsächlich eine Vorverlagerung gegenüber der Überschuldung bewirkt Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 108 Fn. 40, Penzlin, S. 190. 426 Demgegenüber sah noch der Erste Bericht der Kommission für Insolvenzrecht die Möglichkeit einer gläubigerseitigen Verfahrensauslösung auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit vor (Leitsatz 1.2.5., S. 109 f.). 423
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
formziel der möglichst frühzeitigen Verfahrenseröffnung und der Förderung der Sanierung Rechnung.427 Der Eröffnungsgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit versucht die widerstreitenden Interessen auf anderem Wege zum Ausgleich zu bringen als die Eröffnungsgründe der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit und der Überschuldung: Er will einerseits im Gläubigerinteresse eine frühzeitigere Verfahrenseröffnung ermöglichen als bei den anderen Eröffnungsgründen, andererseits legt er zur Wahrung der Schuldnerinteressen die Entscheidung über eine Antragstellung – anders als bei Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung – allein in die Hände des Schuldners; er soll in diesem Krisenstadium noch selbst über den mit der Verfahrenseröffnung im Regelfall einhergehenden Verlust seiner Rechte entscheiden. Gewisse Anreize zur schuldnerseitigen Antragstellung werden zunächst durch die Möglichkeit geschaffen, dass der Schuldner im eröffneten Verfahren einen Insolvenzplan vorlegen kann, um den Gläubigern vergleichsweise Regelungen vorzuschlagen, die diese bei einer außergerichtlichen Sanierung kaum akzeptieren würden.428 Zudem kann der Schuldner mit dem Eröffnungsantrag den Antrag auf Anordnung der Eigenverwaltung verbinden, um sich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht zu bewahren.429 Auch dürften Schuldneranträge, die auf eine Restschuldbefreiung abzielen (§§ 286 ff. InsO), häufig nur dann Erfolg versprechend sein, wenn die Antragstellung so frühzeitig erfolgt, dass noch ausreichend Masse für die Durchführung des Verfahrens vorhanden ist.430 Als weitere Anreize für eine auf drohende Zahlungsunfähigkeit gestützte Antragstellung seien der Vollstreckungsschutz nach Maßgabe der §§ 21 Abs. 2 Nr. 3, 88 ff. InsO und § 30d ZVG genannt sowie der Schutz vor Verwertungsmaßnahmen dinglich gesicherter Gläubiger (§§ 107 Abs. 2, 165 ff. InsO).431 In gewissem Maße werden diese Anreize zur frühzeitigen Eigenantragstellung allerdings dadurch durchkreuzt, dass die Verfahrenseröffnung oder deren Ablehnung aufgrund drohender Zahlungsunfähigkeit die objektive Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 ebenso zwingend auslöst wie die Eröffnung oder deren Ablehnung aufgrund der anderen Insolvenzgründe. Hieraus erwächst das Problem, dass der grundsätzlich sanierungswillige Schuldner nur deshalb vor einer vom Gesetzgeber erstrebten, frühzeitigen Eigenantragstellung nach § 18 Abs. 1 InsO absehen könnte, weil er dadurch zugleich die objektive Strafbar427
RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 80 f., 84. Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 108 Rn. 38; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 24; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 13. 429 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 108 Rn. 38; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 24; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 13. 430 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 108 Rn. 38; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 24; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 14; diese Problematik wurde allerdings durch die § 4a InsO nunmehr vorgesehene Kostenstundung entschärft. 431 Zu diesen und weiteren Anreizen s. insb. Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 24. 428
B. Allgemeine Gesichtspunkte der Auslegung der Krisenbegriffe
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keitsbedingung auslösen und sich – so er denn eine Bankrotthandlung vorgenommen hat – in das Risiko der Strafverfolgung begeben würde.432 Das insolvenzrechtlich Gewünschte – ein frühzeitiger Insolvenzantrag – wird durch das Eingreifen des Bankrottstrafrechts erschwert, das sich insoweit „dysfunktional“433 gegenüber der Intention des § 18 InsO verhält.434 b) Vergleich der Interessenlagen Vergleicht man die Interessenlagen, die den Bankrottdelikten einerseits und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens andererseits zugrunde liegen, zeigen sich durchaus Parallelen: Sie dienen beide dem Schutz der Insolvenzmasse vor weiterer Verwirtschaftung und damit dem Interesse der Gläubiger an der vollständigen Befriedigung ihrer Forderungen und am Erhalt von Gestaltungsspielräumen im Insolvenzverfahren. Wesentlich unterschiedlich sind allerdings die zu diesem Zweck getroffenen Maßnahmen, die den Schuldner in verschiedener Weise einschränken: Hier das (strafbewehrte) Verbot der Vornahme bestimmter wirtschaftwidriger Handlungen in der Krise, dort die von der Insolvenzreife abhängige Einleitung eines Schuldenbereinigungsverfahrens mit seinen Konsequenzen, insbesondere dem regelmäßigen Verlust der Verfügungsbefugnis des Schuldners über sein Vermögen und damit der Untersagung jeglichen eigenständigen Wirtschaftens. Noch in weiterer Hinsicht unterscheiden sich die teleologischen Bezugssysteme erheblich. Die Zweckrichtung eines Begriffs wird – wie bereits dargelegt435 – nicht nur durch die die Auslegung der Gesamtnorm beeinflussenden widerstreitenden Interessen bestimmt, sondern auch durch die spezifische Funk432 Hörl, S. 61; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 10; Moosmayer, S. 168 ff.; Müller-Gugenberger/Bieneck, 76/71a ff.; Neumann, S. 97 f.; Röhm, S. 130 ff.; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 53; Uhlenbruck, wistra 1996, 4. 433 So die Terminologie bei Hörl, S. 61; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; Moosmayer, S. 168 ff.; Uhlenbruck, wistra 1996, 4. 434 Die Frage, ob diese Friktionen zwischen dem Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit als strafrechtliches Krisenmerkmal und als Eröffnungstatbestand zugunsten einer frühzeitigen Insolvenzeröffnung beseitigt werden müssen (ablehnend etwa LK/ Tiedemann, Vor § 283 Rn. 88, 180; Penzlin, S. 162 f. Fn. 758, S. 193 ff.), kann für die hier interessierende Problemstellung der Begriffsbestimmung der Krisenmerkmale dahinstehen. Denn jedenfalls kann die Lösung nicht in einer bestimmten (gegenüber dem Eröffnungstatbestand engeren) Auslegung des strafrechtlichen Krisenmerkmals gefunden werden, weil hierdurch das Problem lediglich reduziert würde auf die Fälle, in denen sowohl nach der strafrechtlichen wie nach insolvenzrechtlichen Begriffsbestimmung drohende Zahlungsunfähigkeit vorläge (so zutreffend Röhm, S. 132). Das Problem ist vielmehr im Bereich der objektiven Strafbarkeitsbedingung des § 283 Abs. 6 angesiedelt; s. umfassend zu diesem Problemkreis Neumann, S. 92 ff.; Moosmayer, S. 191 ff.; Penzlin, S. 190 ff.; Röhm, S. 130 ff., 228 ff. 435 s. A. III. 1.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
tion des Begriffs im Normgefüge und weiter durch die besonderen Zwecksetzungen und Anforderungen des betreffenden Rechtsgebietes. So ist in Hinblick auf die spezifische Normfunktion der Insolvenzauslöser zu konstatieren, dass sie die einzige positive materielle Voraussetzung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens repräsentieren. An ihr Vorliegen knüpft sich – sieht man vom Erfordernis des zulässigen Antrags (vgl. §§ 13 ff. InsO) als formeller und dem Vorhandensein hinreichender Masse (vgl. § 26 InsO) als materieller Voraussetzung einmal ab – unmittelbar die Rechtsfolge der Verfahrenseröffnung, so dass ihre Auslegung sämtliche widerstreitenden Interessen zu einem gerechten Ausgleich bringen muss. Anders die Krisenbegriffe der §§ 283 ff.: Sie stellen nur eine unter mehreren erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen dar, die im Zusammenspiel eine Rechtsfolge bewirken und so die Aufgabe des Ausgleichs der widerstreitenden Interessen gewissermaßen untereinander aufteilen können. Herauszustellen ist zudem, dass sich die beiden Verwendungen der Begriffe Überschuldung etc. auch in den rechtsgebietsspezifischen Anforderungen an die Auslegung prinzipiell unterscheiden. Dies gilt zunächst für die Rechtsfolgen der diese Begriffe verwendenden Normen: Die Strafbarkeit wegen eines Bankrottdelikts ist mit einem sozialethischen Unwerturteil und einer einschneidenden Sanktion verbunden, die der bloßen Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anhaften. Schließlich können auch die sonstigen rechtsgebietsspezifischen Anforderungen hier eine Rolle spielen, insbesondere die gegenüber dem Zivilrecht erhöhten Bestimmtheitsanforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG bei der strafrechtlichen Verwendung der Krisenbegriffe. 3. Ergebnis Letztlich kann damit die Auslegung der Krisenbegriffe und der Eröffnungstatbestände in verschiedene Richtungen gehen.436 Allerdings sind für eine an den Legaldefinitionen der InsO ausgerichtete Interpretation der Krisenmerkmale durchaus starke Argumente vorhanden: Hier ist zunächst der eindeutige Wille des Gesetzgebers zu nennen und weiter die Tatbestandssystematik der Abs. 1–5 des § 283 einerseits und des § 283 Abs. 6 andererseits. Auch der gleiche Wortlaut der Begriffe im StGB und in der InsO hat insoweit jedenfalls im Zusammenspiel mit einer Gesamtbetrachtung des Tatbestandes des § 283, der sich noch anderer ebenfalls im Insolvenzrecht verwendeter Begriffe bedient, indizielle Bedeutung. So muss man zu dem Schluss kommen, dass eine von den Vorgaben der Legaldefinitionen abweichende Auslegung nur dann sinnvoll ist, wenn gewichtige teleologische Argumente für sie sprechen. Im Übrigen sollte
436 Zu den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten auch LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 148 m.w. N.
C. Zahlungsunfähigkeit
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der Gesichtspunkt der Normenklarheit und Adressatenverständlichkeit für eine parallele Auslegung sprechen. Unter teleologischen Gesichtspunkten ließe sich in Hinblick auf die Unterschiede der an den Schuldner gerichteten Verhaltensanweisungen argumentieren, die Krisenmerkmale seien abweichend von den gleichlautenden Insolvenzauslösern derart zu definieren, dass sie bereits vor der Insolvenzreife eingreifen: Allein aus dem Vorliegen der bankrottstrafrechtlichen Krise folge schließlich nur, dass der Schuldner nunmehr eine Beschränkung seiner Handlungs- und Eigentumsfreiheit auf sorgfältiges Wirtschaften hinnehmen muss; es bewirke aber nicht die Einleitung des Insolvenzverfahrens, so dass bei der Auslegung der Krisenbegriffe anders als bei der Interpretation der Insolvenzauslöser die weitergehenden Auswirkungen der Verfahrenseröffnung auf die Schuldnerinteressen (Entzug der Verfügungsbefugnis, Rufschädigungen) nicht zu berücksichtigen seien.437 Gleichwohl ist diese den Rechtsgüterschutz betonende These im Hinblick auf die spezifische Rechtsfolge der Strafbarkeit nur dann haltbar, wenn man die Vornahme der Bankrotthandlung bereits bei einem weniger kritischen schuldnerischen Vermögenszustand als der Insolvenzreife als strafwürdig ansehen kann, d.h. die geschützten Rechtsgüter durch die Bankrotthandlungen schon jetzt derart typischerweise gefährdet werden, dass ein sozialethisches Unwerturteil und der durch eine Verurteilung erfolgende schwere Eingriff in die Rechte des Einzelnen gerechtfertigt erscheint. Denkbar ist schließlich auch, dass nur eine gegenüber der Insolvenzreife enger definierte Krise die Bankrotthandlungen als strafwürdig erscheinen lässt oder unter Bestimmtheitsgesichtspunkten erforderlich ist.
C. Zahlungsunfähigkeit Im Vergleich zu den anderen Krisenmerkmalen erscheint der Begriff der Zahlungsunfähigkeit angesichts seines auf den ersten Blick überwiegend deskriptiven Gehalts als weitgehend unproblematisch. Darüber, wann ein Schuldner zahlungsunfähig – im Wortsinne: unfähig, Zahlungen an seine Gläubiger zu leisten – ist, sollte sich doch Einigkeit erzielen lassen, mag man zunächst annehmen. Bei näherem Hinsehen stellen sich indes jenseits des weitgehend klaren grundsätzlichen Konzepts des Zahlungsunfähigkeitsbegriffs zahlreiche Detailfragen, um deren Beantwortung sich eine Reihe von Streitigkeiten rankt. Die strafrechtliche Diskussion lehnt sich dabei an die im Insolvenzrecht geführte an. Vor Inkrafttreten der InsO war in der insolvenzrechtlichen Rechtsprechung und Literatur weitgehend konsentiert, dass man als Zahlungsunfähigkeit das auf dem Mangel an Zahlungsmitteln beruhende dauernde Unvermögen des Schuld437 Vgl. für den Überschuldungsbegriff Franzheim, NJW 1980, 2501 f., NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 99.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
ners, seine sofort zu erfüllenden (fälligen) und ernsthaft eingeforderten Zahlungspflichten im Wesentlichen zu begleichen, zu verstehen hatte.438 In demselben Sinne verstand man die Zahlungsunfähigkeit auch aus strafrechtlicher Sicht.439 Das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit wurde demnach maßgeblich durch die Determinanten des gläubigerseitigen ernsthaften Einforderns, der Dauerhaftigkeit des Unvermögens und der Wesentlichkeit der Unterdeckung der Geldschulden bestimmt. Dem stellt die InsO in § 17 Abs. 2 S. 1 ihre deutlich schlichtere Legaldefinition gegenüber: „Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“. Sowohl aus insolvenzrechtlicher als auch aus strafrechtlicher Sicht ist damit erneut die Frage aufgeworfen, welche Merkmale als Essentialia des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit anzusehen sind. Aus strafrechtlicher Sicht ist dabei zunächst daran zu erinnern, dass – wie zuvor erörtert – der Wortlaut des Gesetzes, der Wille des Gesetzgebers und auch die Systematik der Bankrottdelikte für eine Anbindung der bankrottstrafrechtlichen Definition an die Legaldefinition der InsO sprechen.440 Der Ausgestaltung des Begriffs kommt allerdings die Aufgabe zu, einerseits den in der so umschriebenen Krisensituation vorgenommenen Bankrotthandlung ein strafwürdiges Maß abstrakter Gefährlichkeit zu verleihen, und andererseits dem Schutz der Gläubiger vor einem (partiellen) Forderungsausfall in diesem vorgegebenen Rahmen möglichst weitgehend Rechnung zu tragen. An diesen teleologischen Gesichtspunkten wird sich die strafrechtliche Auslegung letztlich stärker zu orientieren haben als an den vorgenannten – eher formalen – Aspekten.
I. Die zu berücksichtigenden Zahlungsmittel Von wesentlicher Bedeutung dafür, ob ein Schuldner bereits als zahlungsunfähig anzusehen ist, ist die Frage, welche Mittel er zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten überhaupt heranziehen darf. Dass er sich seines flüssigen Geldbestandes bedienen darf, liegt dabei auf der Hand. Hierzu zählen der Bargeldbestand, Bank- und Postgiroguthaben aller Art, soweit es sich um Sichtguthaben 438 RGZ 50, 39, 41; BGH WM 1959, 891; BGH NJW 1992, 1960; BGH NJW 1995, 1670; BGHZ 118, 171, 174; Borup, BB 1986, 1884; Hess, KO, § 102 Rn. 5; Jaeger/Weber, KO, § 102 Rn. 2; Jäger, DB 1986, 1441; Kilger/K. Schmidt, § 102 Rz. 2a; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 2; Veit, ZIP 1982, 273. 439 RGSt 41, 309, 312 ff.; BGH KTS 1957, 12 ff.; BGH wistra 1991, 26; OLG Stuttgart NStZ 1987, 460; OLG Düsseldorf NJW 1988, 3167; BayObLG wistra 1988, 363; Tröndle48, Vor § 283 Rn. 10; Franzheim, NJW 1980, 2503; Lackner/Kühl22, § 283 Rn. 7; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 126 ff.; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 101; Otto, in: GS-Bruns, S. 276 f.; Schlüchter, MDR 1978, 267; SK/Samson1, Vor § 283 Rn. 9; Weyand, Rn. 39. 440 s. B. I.–III.
C. Zahlungsunfähigkeit
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handelt, sowie Wechsel und Schecks, jedenfalls sofern keine Anhaltspunkte für finanzielle Probleme der Bezogenen bestehen.441 Problematisch und umstritten ist allerdings, ob auch solche Geldquellen zu berücksichtigen sind, die nicht als „regelmäßige“ Zahlungsmittel anzusehen sind. Namentlich stehen insoweit insbesondere Mittel aus neuerlichen Krediten und solche aus verflüssigungsfähigem Anlagevermögen in Frage. 1. Außenfinanzierte Mittel, insbesondere Kreditmittel Als verfügbare Zahlungsmittel werden im Rahmen der Prüfung der Zahlungsfähigkeit nach ganz überwiegender Meinung im Insolvenzrecht442 wie im Bankrottstrafrecht443 auch realisierbare Kredite berücksichtigt. Demgegenüber wird gegen die Einbeziehung nicht ausgeschöpfter Kreditlinien (und erst recht gegen noch auszuhandelnde Kredite) allerdings in jüngerer Zeit z. T. vorgebracht, dass sie der dem Insolvenzrecht wie dem Bankrottstrafrecht eigenen Zwecksetzung, die Befriedigungsinteressen möglichst weitgehend zu schützen, nicht gerecht werde. Die bloße Möglichkeit der Kreditaufnahme nütze den Gläubigern nicht, weil eine nicht ausgeschöpfte Kreditlinie von ihnen nicht gepfändet und vom Insolvenzverwalter nicht verwertet werden könne.444 Eine freie Kreditlinie könne nur dann in einen Liquiditätsstatus einfließen, wenn sie auch wirklich in Anspruch genommen werde, weil diese Mittel nur dann wirklich liquide seien.445 Die fehlende Pfändbarkeit durch die Gläubiger bzw. Liquidierbarkeit durch den Verwalter dürfte indes nicht den Kern der Sache treffen. Als ausreichend wird man ansehen müssen, dass der Schuldner selbst auf diese Mittel zurückgreifen kann; solange dies der Fall ist, besteht für die Gläubiger keine ausgeprägte Gefahr, weil ja eine Tilgung ihrer Verbindlichkeiten – abgesehen vom Fall der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners – erfolgen kann; ob die Gläubiger unmittelbar selbst auf die Kredite zugreifen können, erscheint von daher irrelevant. 441
Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 16; Matzen, S. 32; Veit, ZIP 1982, 275. FK-InsO/Schmerbach, § 17 Rn. 16; Groß/Hess, WPg 1999, 423; IDW FAR, WPg 1999, 252; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 16; Temme, S. 12; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 6; Veit, ZIP 1982, 275. 443 BGH wistra 1992, 146; OLG Düsseldorf wistra 1993, 184; Borup, BB 1986, 1884; Hoffmann, MDR 1979, 713; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 132; Moosmayer, S. 149 f.; Schlüchter, MDR 1978, 267; Reck, BuW 1997, 744; einschränkend Hartung, wistra 1997, 4; anders Röhm, S. 104 f., der einerseits nur bereits in Anspruch genommene, flüssige Kreditmittel berücksichtigen will, andererseits allerdings – widersprüchlich – zum Zwecke der Beseitigung einer Zahlungsstockung auch die voraussichtliche Möglichkeit, weitere Kreditmittel zu erlangen, einbezieht (S. 112 ff.). 444 Hartung, wistra 1997, 4; Röhm, S. 104. 445 Ebd. 442
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Erwägen ließe sich allerdings, durch Kredite zu erlangende Zahlungsmittel deshalb auszuklammern, weil bereits die Notwendigkeit der Neuaufnahme von Krediten zur Tilgung fälliger Verbindlichkeiten hinreichendes Indiz für eine kritische Unternehmenssituation sein könnte, in der die Vornahme einer Bankrotthandlung typischerweise gefährlich für die geschützten Gläubigerinteressen ist. In einer Reihe von Fällen könnte sie aber darauf zurückzuführen sein, dass das schuldnerische Unternehmen keine zur Schuldentilgung ausreichenden Mittel aus dem betrieblichen Umsatzprozess mehr erlangt und auch zukünftig nicht mehr erlangen wird, was langfristig zum Zusammenbruch des Unternehmens führen wird. Unter diesem Gesichtspunkt allerdings bereits die Inanspruchnahme von nicht ausgeschöpften Kreditlinien des Bankkontos als hinreichendes Gefahrindiz anzusehen, geht an der Realität vorbei. Die Einräumung eines Kontokorrentkredits durch die Hausbank des Unternehmens mit einer bestimmten Kreditlinie ist eine übliche Finanzierungsform und dient gerade dem Zweck, kurzfristige Zahlungsmitteldefizite auszugleichen.446 Es wird hiermit der Tatsache Rechnung getragen, dass Ein- und Auszahlungen in der Praxis niemals derart optimal aufeinander abgestimmt werden können, dass an jedem Arbeitstag die Kundeneinzahlungen den fälligen Zahlungsverpflichtungen entsprechen.447 Dies ist schon deshalb unmöglich, weil die künftigen Einzahlungen – im Gegensatz zu den weitgehend sicheren künftig fälligen Zahlungsverpflichtungen – mit erheblichen Unsicherheiten behaftet sind. So mag eine fällige Forderung nicht termingenau eingehen, weil ein Abnehmer vorübergehende Zahlungsprobleme hat oder weil sich die Veräußerung von Produkten aufgrund kurzfristiger Stockungen im Herstellungsprozess verzögert, oder es kann gar zu einem Forderungsausfall kommen.448 Es kann daher nicht mehr verlangt werden, als dass sich Kundeneinzahlungen und fällige Zahlungsverpflichtungen im Durchschnitt entsprechen.449 Um die insofern zwangläufig auftretenden Differenzen zwischen Ein- und Auszahlungen auszugleichen, wird es betriebswirtschaftlich als günstiger angesehen, auf einen (kurzfristigen) Kontokorrentkredit zurückzugreifen, als erhebliche Zahlungsmittelbestände aus Eigenmitteln aufzubauen, weil dies aufgrund der in der Regel geringen Verzinsung der Liquiditätsreserven keinen optimalen Einsatz der finanziellen Mittel des Betriebs darstellt (sog. Überliquidität).450 Von vielen kleineren Unternehmen könnten solche erheblichen Liquiditätsreserven ohnehin nicht aufgebracht werden, worauf bereits die geringe durchschnittliche Eigenka-
446
Wöhe, Allg. BWL, S. 689. Wöhe, Allg. BWL, S. 651 f. 448 RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 114; Borup, BB 1986, 1885; ders., wistra 1988, 88; Burger/Schellberg, KTS 1995, 567; Harz, ZInsO 2001, 193, Röhm, S. 112. 449 Borup, wistra 1988, 88. 450 Wöhe, Allg. BWL, S. 652 f. 447
C. Zahlungsunfähigkeit
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pitalquote451 hindeutet. Gehört aber eine solche kurzfristige Inanspruchnahme des Kontokorrentkredits zum üblichen – aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvollen – Geschäftsgebaren, fällt es schwer, hieraus eine typische Gefährlichkeit einer in dieser Situation vorgenommenen – erst recht einer sie herbeiführenden – Bankrotthandlung abzuleiten. Als insoweit stärkeres Indiz erscheint es hingegen, wenn der Schuldner seinen Zahlungsverpflichtungen nur durch neu auszuhandelnde Kredite nachzukommen vermag, weil seine Bar- und Buchgeldbestände bereits aufgebraucht, seine Kreditlinie(n) bereits ausgeschöpft sind.452 Wollte man aber dementsprechend eine strafwürdige, typische Gefährlichkeit einer Bankrotthandlung immer dann bejahen, wenn die Kreditlinie(n) überschritten ist (sind), würde man die Strafbarkeit von der womöglich (auch) auf anderen Erwägungen als der Kreditwürdigkeit und dem Unternehmenszustand beruhenden Einräumung einer Kreditlinie in einer bestimmten Höhe durch den (die) Hauptgläubiger (i. d. R. die Hausbank) abhängig machen.453 Die Problematik der Zahlungsunfähigkeit allein auf die Kreditgewährungspraxis der Hausbank zu verschieben und diese zum „unbezahlten Sachverständigen“ zu machen, vermag daher kaum zu überzeugen. Zudem stellt sich die generelle Ausklammerung neu auszuhandelnder Kredite noch unter einem spezifisch strafrechtlichen Gesichtspunkt als problematisch dar: Der Begriff der Zahlungsunfähigkeit liefert bei isolierter Betrachtung keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zahlungsmittel nicht aus Kreditmitteln stammen dürften. Immerhin gelingt es auch dem neuerlichen Kredit erlangenden Schuldner letztlich, seine derzeit fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen; seine Fähigkeit zur Zahlung ist mithin – gemessen am natürlichen Wortsinn – kaum zu bestreiten. Die Nichtberücksichtigung von Kreditmitteln erweist sich somit auch unter dem Blickwinkel des Verbots strafbegründender Analogie (Art. 103 Abs. 2 GG) als problematisch. Wenn demgegenüber eingewandt wird, die Einbeziehung jeglicher Möglichkeit der Kreditschöpfung in die Zahlungsfähigkeitsprüfung ermögliche dem Schuldner zugleich die Ausflucht, er habe zum Zeitpunkt der Vornahme der Bankrotthandlung noch neuen Kredit erlangen können,454 so ist hierzu anzumerken, dass diese Problematik nicht primär Folge der Einbeziehung von Kreditmitteln in die Zahlungsfähigkeitsprüfung ist, sondern vielmehr aus der von der h. M. vorgenommenen Zeitraumbetrachtung resultiert.455 Beschränkt man sich 451
s. hierzu noch Fn. 753. Vgl. Hartung, wistra 1997, 4. 453 Vgl. auch Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 13, die darauf hinweisen, dass sich die Kreditvergabepolitik einer Bank auch an anderen Prämissen orientieren kann, etwa der Entscheidung, das margenarme und eigenkapitalbindende Kreditgeschäft zugunsten des Investmentbanking zurückzufahren. 454 Hartung, wistra 1997, 4; Röhm, S. 105. 455 s. hierzu unten IV. 452
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
bei der Prüfung des Merkmals der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit auf eine Zeitpunktbetrachtung, stellt sich dieses Nachweisproblem nicht; die neuen Kreditmittel sind dann entweder zum Prüfungszeitpunkt vorhanden oder sie sind es nicht – im letzteren Fall muss sich der Schuldner als zahlungsunfähig behandeln lassen. Im Ergebnis sollten daher bereits realisierte und sofort realisierbare – und daher quasi liquide – Kreditmittel bei der Zahlungsfähigkeitsprüfung Berücksichtigung finden. 2. Liquidierbares Anlage- und Umlaufvermögen Eine weitere umstrittene Frage hinsichtlich der berücksichtigungsfähigen Zahlungsmittel stellt die Einordnung des liquidierbaren Anlage- und Umlaufvermögens dar. Als Anlagevermögen werden herkömmlich solche Gegenstände angesehen, die dazu bestimmt sind, dem Geschäftsbetrieb dauerhaft zu dienen; dies sind insbesondere die Sach- und Finanzanlagen, aber auch die immateriellen Vermögensgegenstände.456 Demgegenüber wird für die dem Umlaufvermögen zugeordneten Vermögensgegenstände unterstellt, dass sie zur Veräußerung oder zur Verarbeitung im Fertigungsprozess bestimmt sind; es handelt sich hierbei insbesondere um Rohstoffe, Halb- und Fertigwaren sowie Forderungen aller Art.457 Zum Teil werden auch die aus der Liquidation – also der Beleihung oder Veräußerung – dieser Vermögensgegenstände zu erlangenden Mittel dem Zahlungsmittelbestand zugerechnet; auch „heranzuschaffende“ Mittel finden hiernach bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit grundsätzlich Berücksichtigung.458 Vereinzelt will man allerdings nur diejenigen Vermögensgegenstände einbeziehen, die für das Weiterbestehen des Betriebes nicht lebensnotwendig sind.459 Für die Liquidierbarkeit ist dabei neben den tatsächlichen Verwertungsaussichten v. a. entscheidend, dass diese Gegenstände noch nicht sicherungsübereignet oder verpfändet sind.460 456
Matzen, S. 36; Röhm, S. 99, Wöhe, Allg. BWL, S. 825 f. Matzen, S. 35; Wöhe, Allg. BWL, S. 825 f.; dem Umlaufvermögen ist selbstverständlich auch der eigentliche o. g. Zahlungsmittelbestand zuzurechnen. 458 Franzheim, NJW 1980, 2503; Hartung, wistra 1997, 3; Weyand, S. 66; aus insolvenzrechtlicher Sicht BGH KTS 1957, 12; Harz, ZInsO 2001, 195; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 16, 28; MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 21; Stahlschmidt, JR 2002, 89; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 6, die sämtlich liquidierbares Anlagevermögen zumindest bei der Frage berücksichtigen wollen, ob eine bloße vorübergehende Zahlungsstockung vorliegt und es daher jedenfalls dem Grundsatz nach in Ansatz bringen. 459 Bittmann, wistra 1998, 324; Matzen, S. 35 ff.; vgl. auch LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 131, der die für das Weiterbestehen des Betriebes lebensnotwendigen Teile des Anlagevermögens dann nicht berücksichtigen will, wenn das Unternehmen lebensfähig und eine Liquidation nicht geplant ist. 457
C. Zahlungsunfähigkeit
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Die Gegenauffassung klammert demgegenüber solche aus der Veräußerung von Anlage- oder Umlaufvermögen erst zu erlangende Mittel aus dem Zahlungsmittelbegriff aus; als Zahlungsmittel seien nur die aktuellen Geldmittel des Schuldners zu verstehen.461 Für die letztgenannte Auffassung wird – wie auch für die Nichtberücksichtigung von Kreditmitteln – vorgebracht, sie bewirke eine Ausdehnung des Gläubigerschutzes; eine relevante Gläubigergefährdung einer Bankrotthandlung erst dann anzunehmen, wenn der Schuldner über keinerlei liquidierbare Vermögenswerte mehr verfüge, schütze die Gläubigerinteressen nicht effektiv genug.462 Für diese Ansicht spreche auch, dass eine Parallelität der „Aktivseite“ und der „Passivseite“ des Liquiditätsstatus zu fordern sei: Da auf dessen „Passivseite“ nur fällige – also sofort zu erfüllende – Zahlungspflichten berücksichtigt würden, könnten auch auf der „Aktivseite“ nur solche Zahlungsmittel berücksichtigt werden, die eine solche sofortige Erfüllung ermöglichten; die Veräußerung von Anlage- oder Umlaufvermögen nehme aber eine gewisse Zeit in Anspruch.463 Gegen diese Auffassung lässt sich aber – wie auch schon gegen die Nichtberücksichtigung von Kreditmitteln – anführen, dass der Begriff der Zahlungsunfähigkeit keine Vorgaben dahingehend enthält, wie die Fähigkeit, Zahlungen zu leisten, gewährleistet werden muss; auch insoweit befindet man sich zumindest in der Nähe einer unzulässigen strafbegründenden Analogie, wollte man die Liquidierung von Anlage- oder Umlaufvermögen als Zahlungsmittelquelle pauschal ausklammern.464 Gegen die Einbeziehung solcher liquidierbarer Vermögensbestandteile spricht zudem nicht, dass damit zugleich der Gläubigerschutz weitgehend preisgegeben würde, weil der Schuldner einen „Unternehmensausverkauf“ vornehmen und auch für die Betriebsfortführung lebensnotwendiges Anlage- oder Umlaufver-
460
Matzen, S. 36; vgl. Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 16. Bieneck, StV 1999, 44; Moosmayer, S. 156; Reck, BuW 1997, 744; Schlüchter, MDR 1978, 267; vgl. Röhm, S. 100 ff., der allerdings letztlich doch Mittel aus der Liquidation von Anlagevermögen berücksichtigen will, wenn sie innerhalb des nach seiner Auffassung (S. 113) für die Zahlungsunfähigkeitsprüfung zu berücksichtigen Zeitraums – drei Wochen – (s. hierzu noch unten IV.) erlangt werden; aus insolvenzrechtlicher Sicht Groß/Hess, WPg 1999, 423; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 5; Jäger, DB 1986, 1441; ders., BB 1997, 1576; Temme, S. 15 ff. 462 Röhm, S. 101 f.; aus insolvenzrechtlicher Sicht Temme, S. 17 f. 463 Reck, BuW 1997, 744; Röhm, S. 101 f.; aus insolvenzrechtlicher Sicht Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 5; Jäger, BB 1997, 1576; Temme, S. 17 f. 464 Vgl. auch Matzen, S. 36, der allerdings prozessual argumentiert, dem Schuldner müsse „in dubio pro reo“ auf subjektiver Tatseite die Einlassung zugestanden werden, er habe die Zahlungsunfähigkeit durch die Verflüssigung von Vermögensgegenständen abwenden wollen. 461
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mögen – womöglich bis zur Massearmut – veräußern könnte.465 Denn führt die Veräußerung von Vermögensgegenständen zu einer Beeinträchtigung des betrieblichen Produktions- und Umsatzprozesses, wird in absehbarer Zeit aufgrund ausbleibender Einzahlungen jedenfalls eine drohende Zahlungsunfähigkeit vorliegen und die Bankrotthandlung ist schon aus diesem Grunde zu unterlassen; auch insoweit wird der Auffangcharakter des Krisenmerkmals der Zahlungsunfähigkeit deutlich. Die von der entgegengesetzten Auffassung angeführte Inkongruenz von Zahlungsmitteln und -pflichten schließlich ist keine Folge der Berücksichtigung des liquidierbaren Anlage- und Umlaufvermögens, sondern der nach wie vor herrschenden Zeitraumbetrachtung im Rahmen der Zahlungsfähigkeitsprüfung; die Berücksichtigung von liquidierbarem Vermögen wird nach der hier vertretenen Zeitpunktbetrachtung466 nur insoweit zugelassen, als es zum Prüfungszeitpunkt bereits verflüssigt ist. Dem Grundsatz nach sollten daher auch liquidierbare Teile des Anlage- und Umlaufvermögens bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit Berücksichtigung finden.
II. Die zu berücksichtigenden Zahlungspflichten Spiegelbildlich zu den Zahlungsmitteln stellt sich die Frage, welche Zahlungspflichten im Liquiditätsstatus zu berücksichtigen sind, um bei deren Unterdeckung von einer Zahlungsunfähigkeit sprechen zu können. 1. Sach- oder Dienstleistungsverpflichtungen? Als weitgehend konsentiert kann angesehen werden, dass nur echte Zahlungspflichten – also Geldschulden – einbezogen werden, nicht hingegen Verpflichtungen, die auf eine Sach- oder Dienstleistung gerichtet sind, wie etwa Lieferverpflichtungen oder Gewährleistungsverpflichtungen. Das Unvermögen, solche Ansprüche zu erfüllen, kann erst Bedeutung erlangen, wenn wegen der Nichtleistung Schadensersatzansprüche begründet sind und der Schuldner außerstande ist, diese zu befriedigen.467 Hierfür spricht aus bankrottstrafrechtlicher Sicht der Wortlaut des Begriffs Zahlungsfähigkeit und auch der (auf eine Parallelität der
465 Diese Befürchtung klingt an bei Bittmann, wistra 1998, 324; Hartung, wistra 1997, 3; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 131; Matzen, S. 35, 37; Röhm, S. 102; Temme, S. 17 f. 466 s. u. IV. 2. 467 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 127; Röhm, S. 105; aus insolvenzrechtlicher Sicht Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 5; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 6; Möhlmann, WPg 1998, 950; Temme, S. 19; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 7; a. A. Rowedder/Rowedder1, § 63 Rn. 4.
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Begriffsbildung in Strafrecht und Insolvenzrecht gerichtete)468 Wille des Gesetzgebers, der in der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO den Begriff der Zahlungsverpflichtungen verwendete. 2. Die fälligen Verbindlichkeiten Wie schon die unter der Geltung der KO anerkannte Definition der Zahlungsunfähigkeit bringt auch die Legaldefinition des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO deutlich zum Ausdruck, dass nur die Nichterfüllung fälliger Zahlungspflichten die Zahlungsunfähigkeit begründen soll. Die Voraussetzungen der Fälligkeit einer Forderung ergeben sich aus § 271 BGB. Dementsprechend sind den vorhandenen Zahlungsmitteln alle Geldforderungen gegenüberzustellen, deren Erfüllung ohne weiteres verlangt werden kann. Fällig ist eine Forderung dann nicht, wenn sie gestundet ist, der Zeitpunkt der Fälligkeit also durch eine vertragliche Abrede herausgezögert wird.469 Wie jede vertragliche Vereinbarung kann eine Stundung durch ausdrückliche, aber auch durch konkludente, auf einen Aufschub der Fälligkeit gerichtete Willenserklärungen erfolgen.470 Strafprozessual hat dies zu Konsequenz, dass dann, wenn sich nicht klären lässt, ob eine solche konkludente Stundungsvereinbarung tatsächlich geschlossen wurde, die entsprechende Forderung in dubio pro reo nicht berücksichtigt werden kann.471 a) Notwendigkeit ernsthaften Einforderns? Über das Erfordernis hinaus, dass die Unfähigkeit die sofort zu erfüllenden – fälligen – Zahlungspflichten betreffen muss, verlangte die überkommene Definition allerdings, dass die Zahlungsansprüche durch die Gläubiger auch ernsthaft eingefordert wurden. Der dahinter stehende Gedanke war, dass beim Fehlen eines ernsthaften Verlangens der Gläubiger – also in der in der Praxis typischen Situation bloßen Stillhaltens oder Nichteinforderns – von einer konkludent vereinbarten Stundung auszugehen sei.472 Dementsprechend konnten auch gewissermaßen erzwungene Stundungen, die dadurch zustande kamen, dass der Gläubiger trotz Nichterfüllung seiner Forderung nicht klagte oder vollstreckte, zur Verneinung der Zahlungsunfähigkeit führen, obgleich die Nichtzahlung auf einem Mangel liquider Mittel beruhte.473
468
s. B. I–II. Palandt/Heinrichs, § 271 Rn. 12. 470 Jauernig/Vollkommer, § 271 Rn. 10; Palandt/Heinrichs, Einf. vor § 116 Rn. 6. 471 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 128. 472 BGH JR 1988, 255; Hiltenkamp-Wisgalle, S. 276 f.; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 128; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 102; Veit, ZIP 1982, 276. 473 Bork, KTS 2005, 4. 469
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Nach heute ganz herrschender Auffassung im insolvenzrechtlichen474 wie auch im insolvenzstrafrechtlichen475 Schrifttum ist ein ernsthaftes Einfordern der Forderung für ihre Berücksichtigung nicht erforderlich, ein bloßes Stillhalten des Gläubigers soll m. a. W. nicht für eine konkludent auf eine Stundung gerichtete Willenserklärung ausreichen. Nur vereinzelt hält man daran fest, dass „auch rein tatsächlich – ohne rechtlichen Bindungswillen – ausgesetzte Verbindlichkeiten“ nicht fällig und damit im Liquiditätsstatus unbeachtlich sind.476 aa) Der Wille des Gesetzgebers Im Hinblick auf den gesetzgeberischen Willen hat das Fortlassen des Merkmals des „Eingefordertseins“ in § 17 Abs. 2 S. 1 InsO bestenfalls indizielle Bedeutung. Denn anders als etwa bei den Merkmalen der Dauerhaftigkeit und Wesentlichkeit findet sich in der amtlichen Begründung kein Hinweis darauf, dass es sich insoweit um eine gezielte Abkehr von diesem Merkmal handelt.477 Gleichwohl spricht die Verwendung des Begriffs der Fälligkeit in § 17 Abs. 2 S. 1 InsO prima facie für einen auf die Heranziehung allgemeiner zivilrechtlicher Grundlagen des Vertragsrechts gerichteten Willen des Gesetzgebers. Entsprechend seiner auf die identische Verwendung der Begriffe gerichteten Intention sollen diese Grundsätze auch für das Insolvenzstrafrecht Bedeutung haben. Zieht man die zivilrechtlichen Grundsätze zu konkludenten Erklärungen heran, erscheint allerdings fraglich, ob man ein bloßes Stillhalten als eine auf die Stundung der Forderung gerichtete schlüssige Willenserklärung deuten kann. In der Regel wird nämlich durch passive Untätigkeit und bloßes Schweigen kein Erklärungstatbestand gesetzt.478 Zwar kann auch bloßes Schweigen ausnahmsweise eine besondere Form konkludenten Verhaltens darstellen. Dies gilt aber nur dann, wenn die Vertragsparteien das vereinbart haben oder das Gesetz es bestimmt; das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Schweigende nach Treu und Glauben zu einer Erklärung verpflichtet war.479 Ein solcher Son474 BGH NJW 2001, 1875; Burger/Schellberg, BB 1995, 263; Harz, ZInsO 2001, 194 f.; Jäger, BB 1997, 1575; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 9; Kübler/Prütting/Pape, § 17 Rn. 6; Temme, S. 24 f.; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 8. 475 Bieneck, StV 1999, 44; Bittmann, wistra 1998, 322; Reck, BuW 1997, 745 f.; Röhm, S. 107; SK/Hoyer, § 283 Rn. 18; Uhlenbruck, wistra 1996, 5. 476 HK-InsO/Kirchhof, § 17 Rn. 10; ders., in: Kölner Schrift, S. 287 f. Rn. 9 ff.; aus bankrottstrafrechtlicher Sicht Wegner, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, S. 508 Rn. 72 f. 477 HK-InsO/Kirchhof, § 17 Rn. 10, ders., in: Kölner Schrift, S. 288 Rn. 11; a. A. Bieneck, StV 1996, 44; Bittmann, wistra 1998, 322; Möhlmann, WPg 1998, 950; Temme, S. 24. 478 OLG Koblenz NJW 2001, 1949; Brox, Rn. 91. 479 So etwa im Fall des § 362 Abs. 1 HGB oder beim Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben; s. hierzu Baumbach/Hopt/Hopt, § 346 Rn. 25; Brox, Rn. 89, 201.
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derfall liegt hier aber offenkundig nicht vor. Gemessen an allgemeinen zivilrechtlichen Regeln wird man im bloßen Stillhalten des Gläubigers also keine konkludente Stundungserklärung erblicken können. bb) Teleologische Erwägungen Aus der teleologischen Sicht der Bankrotttatbestände ließe sich für eine Abweichung von der zivilrechtlichen Fälligkeit und eine restriktive Handhabung des Zahlungsunfähigkeitsbegriffs anführen, dass erst eine Nichtleistung auf eine ausdrückliche Einforderung der Verbindlichkeit einen sicheren Schluss auf eine ernsthafte Krisensituation zulässt. Nicht selten werden selbst solvente Kaufleute versuchen, im Wege einer „Verzögerungstaktik“ Kreditkosten zu sparen und erst auf deutliche Reaktionen der Gläubiger hin leisten.480 Allerdings ist dieser Argumentation zunächst entgegenzuhalten, dass einer solchen bedenklichen Übung des „Zwangskredits“ keine rechtliche Anerkennung verliehen werden sollte.481 Zudem ist aus strafrechtlicher Sicht auch nicht erforderlich, dass nur eine solche Nichterfüllung einer fälligen Forderung als Krise anerkannt wird, die zwangsläufig den sicheren Schluss zulässt, dass der Schuldner zur Erfüllung nicht in der Lage und nicht nur unwillig ist. Ausreichend ist vielmehr, dass eine mit der Krisensituation in zeitlichem (§ 283 Abs. 1) oder kausalem (§ 283 Abs. 2) Zusammenhang stehende Bankrotthandlung als strafwürdig anzusehen ist; hierfür ist aber bereits eine typischerweise, nicht erst eine zwangsläufig oder stets vorhandene Gefährdung der Gläubigerinteressen ausreichend. Eine solche typische Gefährlichkeit sollte einer Bankrotthandlung aber bereits dann zukommen, wenn sie vorgenommen wird, obwohl die vorhandenen Zahlungsmittel alle nach herkömmlicher Terminologie fälligen – nicht nur die ernsthaft eingeforderten – Verbindlichkeiten nicht zu decken vermögen. Denn obgleich o. g. Übung verbreitet sein mag, wird der Schuldner in einer signifikanten Zahl derjenigen Fälle, in denen er bei bloßer Fälligkeit nicht leistet, nicht nur unwillig, sondern mangels Zahlungsmitteln unfähig hierzu sein. Im Übrigen ist nicht einzusehen, dass der strafrechtliche Gläubigerschutz allein wegen einer zweifelhaften Übung des Schuldners eingeschränkt werden sollte. Im Ergebnis ist also auch aus bankrottstrafrechtlicher Sicht ein ernsthaftes Einfordern der Verbindlichkeit nicht erforderlich, um sie bei der Prüfung der Zahlungsunfähigkeit berücksichtigen zu können.
480 481
Aus insolvenzrechtlicher Sicht Kirchhof, in: Kölner Schrift, S. 287 Rn. 9. Burger, DB 1992, 2151; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 8.
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b) Künftig fällig werdende Forderungen? In der konkursrechtlichen Diskussion war zudem umstritten, ob neben den bereits fälligen Verbindlichkeiten auch solche in die Prüfung der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit einbezogen werden sollten, die erst künftig – in nächster Zeit – fällig werden. Dies wurde z. T. im Hinblick auf das Bedürfnis nach rechtzeitiger Verfahrenseinleitung und die zunehmende Auszehrung der Konkursmassen bejaht; ein Verständnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit als reine Zeitpunktilliquidität werde dem Gläubigerschutzgedanken nicht gerecht.482 Mit der bereits seinerzeit im Konkursrecht herrschenden Meinung483 ist einer solchen Ausdehnung des Zahlungsunfähigkeitsbegriffs auch aus bankrottstrafrechtlicher Sicht eine Absage zu erteilen. Hierfür spricht zunächst der Wille des Gesetzgebers der InsO, der für das Insolvenzrecht in § 17 Abs. 2 S. 1 InsO ausdrücklich nur die fälligen Verbindlichkeiten berücksichtigt wissen wollte; entsprechend seinem generell auf Parallelität gerichteten Willen soll dies gleichermaßen für das Strafrecht gelten. Insbesondere aber spricht die Systematik der Bankrottdelikte gegen eine Einbeziehung künftig fälliger Verbindlichkeiten; die Grenzen zur lediglich drohenden Zahlungsunfähigkeit würden verwischt.484
III. Wesentlichkeit der Deckungslücke? Ein weiteres den Begriff der Zahlungsunfähigkeit unter der Geltung der Konkursordnung maßgeblich prägendes Merkmal war dasjenige der Wesentlichkeit der Deckungslücke. So war anerkannt, dass der Schuldner erst dann als zahlungsunfähig anzusehen war, wenn er nicht in der Lage war, seinen Zahlungsverpflichtungen „im Wesentlichen“ nachzukommen.485 Ein Vergleich zwischen seinen bezahlten und seinen nicht bezahlten Schulden musste zu dem Ergebnis kommen, dass die Nichtzahlung die Regel und nicht die Ausnahme ist.486 Das Wesentlichkeitsmerkmal diente aus insolvenzrechtlicher Sicht dazu, den Interessen des Schuldners daran, dass es nicht zu einer unverhältnismäßig frühen Einleitung eines Konkursverfahrens und einer damit regelmäßig verbundenen Unternehmenszerschlagung kommen konnte, Rechnung zu tragen.487
Kilger, KO15, § 102 Rn. 2a; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 2c. RGZ 50, 39, 41; Burger/Schellberg, KTS 1995, 572; Jäger, DB 1986, 1441. 484 Röhm, S. 108; aus insolvenzrechtlicher Sicht Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 6 f.; Temme, S. 25 f. 485 RGZ 50, 39, 40; BGH WM 1983, 429; Jaeger/Henckel, KO, § 30 Rn. 20; Kilger/K. Schmidt, § 102 Rn. 2a. 486 BGH WM 1959, 891; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 2a. 487 So jüngst ausdrücklich der BGH, NZI 2005, 549, unter Verweis auf den damit verbundenen Eingriff in die grundrechtlich geschützten Positionen des Schuldners 482 483
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Weitgehend einig war man noch insoweit, dass der Begriff der Wesentlichkeit nicht in qualitativem, sondern allein in quantitativem Sinne verstanden werden konnte. Eine qualitative Gewichtung von Zahlungsverpflichtungen nach ihrer Wichtigkeit wurde als in der praktischen Handhabung zu unsicher verworfen; eine solche Einschätzung sei zu sehr durch subjektive Elemente geprägt und ohnehin von quantitativen Erwägungen nur selten zu trennen488. Als entscheidend wurde demnach das Verhältnis zwischen bezahlten und unbezahlten Schulden angesehen, wobei jedoch die exakte Relation umstritten war. Aus konkursrechtlicher Sicht lag der Schwerpunkt des Meinungsspektrums bei einer Unterdeckung in einer Spanne von 10 bis 25%,489 z. T. tolerierte man auch eine Deckung von nur 50%490. Auch für das Strafrecht ging die herrschende Ansicht491 von einer Deckungsquote von 75% aus. Vereinzelt492 ließ man auch hier 50% Deckung genügen, andere forderten 85493 oder gar 100%494, um den Schuldner als zahlungsfähig anzusehen. Ebenso wenig wie das Merkmal der Dauerhaftigkeit ist allerdings auch dasjenige der Wesentlichkeit in der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO enthalten. Daraufhin hat sich das insolvenzrechtliche Meinungsspektrum im Hinblick auf das Wesentlichkeitskriterium zugunsten strengerer Maßstäbe verlagert: Eher vereinzelt werden Unterdeckungsquoten im Bereich von 10 bis 25% vertreten,495 während verstärkt Margen von 5 oder 10% genannt werden496. Weit verbreitet ist ferner die Auffassung, die Gesetzesfassung lasse lediglich eine Liqui(Art. 12, 14 GG); vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 17 Rn. 19 ff.; Hartung, wistra 1997, 8; Röhm, S. 117. 488 Burger, DB 1992, 2151; Jäger, DB 1986, 1441; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 129; Möhlmann, WPg 1998, 951. 489 BayObLG BB 1988, 2212; Burger, DB 1992, 2151; Burger/Schellberg, BB 1995, 263; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 2a; Papke, DB 1969, 736; Veit, ZIP 1982, 278. 490 Jäger, DB 1986, 1441 f.; Obermüller, DB 1973, 269. 491 BayObLG, wistra 1988, 363; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 129; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 101; Otto, in: GS-Bruns, S. 278; Penzlin, S. 107 f., Sch/Sch/ Stree25, § 283 Rn. 52. 492 Schlüchter, MDR 1978, 268; vgl. Franzheim, NJW 1980, 2504. 493 Müller-Gugenberger/Bieneck, 76/44; Hoffmann, MDR 1979, 714; ders., DB 1980, 1527 f.; Weyand 4, S. 56. 494 Matzen, S. 50 ff. 495 LG Augsburg DZWIR 2003, 303; Haarmeyer/Wutzke/Förster, 1/81; Penzlin, S. 129 f.; ders., NZG 1999, 1208. 496 AG Köln ZIP 1999, 1891; Breuer, Rn. 145; HK-InsO/Kirchhof, § 17 Rn. 20; Möhlmann, WPg 1998, 952; Nerlich/Römermann/Mönning; § 17 Rn. 18; vgl. auch BGH, NZI 2005, 549 f., der an das Erreichen der Schwelle von 10% allerdings lediglich die widerlegbare Vermutung der Zahlungsunfähigkeit knüpft; Zahlungsunfähigkeit soll auch schon bei einer kleineren Liquiditätslücke anzunehmen sein, wenn Tatsachen vorliegen, die absehen lassen, dass sich der Niedergang des Unternehmens fortsetzen wird.
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ditätslücke von maximal 1%497 bzw. keinerlei498 Toleranz zu. Aus bankrottstrafrechtlicher Sicht hält man noch z. T. Unterdeckungsquoten von bis zu 25% für tolerabel,499 während andere Teile der Literatur keinerlei Unterdeckung mehr zulassen wollen,500 als Mittelweg werden auch hier Werte von 5 bis 10% Unterdeckung genannt501. 1. Der Wille des Gesetzgebers Ausgehend von der auf einen Gleichlauf der insolvenzrechtlichen und der insolvenzstrafrechtlichen Begriffsbildung gerichteten Intention des Gesetzgebers, sind seine Vorstellungen auch im Hinblick auf das Wesentlichkeitskriterium von Belang. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es insoweit, eine gesetzliche Normierung einer Wesentlichkeitsschwelle empfehle sich nicht, weil auch insoweit der „bisherigen Tendenz zu einer übermäßig einschränkenden Auslegung des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit entgegengewirkt werden“ müsse.502 Es erscheine insbesondere „nicht gerechtfertigt, Zahlungsunfähigkeit erst anzunehmen, wenn der Schuldner einen bestimmten Bruchteil der Gesamtsumme seiner Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen“ könne.503 Allerdings verweist der Regierungsentwurf zugleich darauf, dass es „selbstverständlich [sei], dass ganz geringfügige Liquiditätslücken außer Betracht bleiben müssen“.504 Diese Äußerungen wird man so verstehen müssen, dass sich das Fortlassen des Wesentlichkeitsmerkmals in der Legaldefinition allein gegen die Tolerierung höherer Unterdeckungsquoten richtete und die bekannte Diskussion so lediglich vom Begriff der wesentlichen auf den der geringfügigen Deckungslücke verlagert wird.505 2. Teleologische Erwägungen Aus bankrottstrafrechtlicher Sicht entscheidender sachlicher Gesichtspunkt für die Anerkennung oder Ablehnung einer Wesentlichkeits- bzw. Geringfügig497
Jäger, BB 1997, 1577; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 22. MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 16, 22; Niesert, ZInsO 2001, 738 f.; Temme, S. 33 ff.; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 10. 499 Bittmann, wistra 1998, 323; Penzlin, S. 162 (20%); vgl. Harz, ZInsO 2001, 196. 500 Bieneck, StV 1999, 44; Moosmayer, S. 156, Röhm, S. 117 ff. 501 Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 9; vgl. Lütke, wistra 2003, 54 (15%). 502 BT-DrS. 12/2443, S. 114. 503 Ebd. 504 Ebd. 505 Bittmann, wistra 1998, 323; Möhlmann, WPg 1998, 951; Röhm, S. 120. 498
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keitsschwelle ist einerseits die Strafwürdigkeit einer in einem Zustand marginaler Unterdeckung vorgenommenen oder diesen Zustand herbeiführenden Bankrotthandlung; andererseits ist die Zielsetzung eines bestmöglichen Schutzes der Gläubigerinteressen zu beachten. Dafür, dass schon ein geringfügiger Liquiditätsengpass hinreichendes Indiz für eine kritische Unternehmenssituation ist, spricht, dass die Unfähigkeit des Schuldners, selbst kleine Finanzierungslücken auszugleichen, regelmäßig Symptom ernsthafter Liquiditätsprobleme ist.506 Insoweit gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass es zu Liquiditätslücken nur dann kommt, wenn nicht nur alle Kassen- und Kontobestände verbraucht, sondern auch alle bestehenden Kreditlinien ausgeschöpft sind; dass sich der Schuldner gleichwohl in einer wirtschaftlich soliden Lage befindet, ist in diesem Falle sehr unwahrscheinlich.507 Ist der Schuldner nicht in der Lage, kurzfristig einen Kredit zum Ausgleich der Unterdeckung zu erhalten, spricht zudem viel dafür, dass bereits eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegt und somit auch eine Befriedigung aus der Unternehmenssubstanz nicht möglich ist.508 Dementsprechend wird man auch einer mit einer solchen Situation im Zusammenhang stehenden Bankrotthandlung eine typische, strafwürdige Gefährlichkeit zusprechen müssen. Namentlich Penzlin führt allerdings für das Festhalten an einer Wesentlichkeits- bzw. Geringfügigkeitsschwelle an, nur eine eindeutige Unterdeckung sei für den Schuldner überhaupt erkennbar509; wenige Prozentpunkte betragende Liquiditätslücken könnten bestenfalls bei einer exakten Finanzplanung festgestellt werden, über die kleinere Unternehmen aber schon aus Kostengründen nicht verfügten und die zudem de lege lata (auch zivilrechtlich) nicht vorgeschrieben sei.510 Sei dem Normadressaten aber sein Fehlverhalten nicht erkennbar, könne es mangels Handlungsunwertes nicht als strafwürdig angesehen werden.511
506
Bork, KTS 2005, 12; Penzlin, NZG 1999, 1206; Temme, S. 34. Bork, KTS 2005, 12; Penzlin, NZG 1999, 1206; Röhm, S. 118; der BGH (NZI 2005, 549 f.) scheint davon auszugehen, dass eine fragile Liquiditätslage unter den heutigen Verhältnissen weitgehender Fremdfinanzierung eher die Regel als die Ausnahme darstellt, so dass Schwankungen der Umsatz- und Ertragslage bei vielen Unternehmen leicht eine Liquiditätskrise auslösen. Wenn er deshalb aus dem insolvenzrechtlichen Blickwinkel zu der Bewertung gelangt, dass bei einer nur geringfügigen Liquiditätslücke eine Pflicht zur Insolvenzantragstellung angesichts der mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens verbundenen Folgen unverhältnismäßig erscheint, dürfte er gleichwohl nicht in Abrede stellen, dass schon eine geringe Liquiditätslücke regelmäßig eine höchst kritische Unternehmenssituation darstellt. 508 s. zu diesem Zusammenhang noch unten E. V. 5. 509 S. 161 f. unter Verweis auf S. 127 f., 150 ff.; vgl. dens. auch aus insolvenzrechtlicher Sicht, NZG 1999, 1207 f.; vgl. NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 101. 510 Penzlin, S. 127 f.; ders., NZG 1999, 1208. 511 Penzlin, S. 151, 161 f. 507
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Dieses Argument erweist sich zunächst der Sache nach als unzutreffend. Es ist nicht ersichtlich, wie die Erkennbarkeit und Subsumtionsfähigkeit für den Normadressaten durch die Statuierung einer Wesentlichkeitsschwelle verbessert werden soll. Zwar ist es zutreffend, dass die Frage, ob noch keine oder bereits eine geringfügige (etwa eine einprozentige) Liquiditätslücke vorliegt, nur schwer zu beantworten sein wird, zumal wenn eine detaillierte Finanzplanung nicht vorhanden ist. Allerdings dürfte die Frage, ob bereits ein Defizit von 20%512 oder erst von 19% gegeben ist, nicht weniger schwer zu beantworten sein. Ein Gewinn an Subsumtionsfähigkeit (und damit auch an Nachweisbarkeit) ist somit nicht ersichtlich. Aber auch der Schluss, es werde nicht strafwürdiges Verhalten pönalisiert, ist nicht haltbar. Zur Bestrafung nicht strafwürdigen Verhalten kann es schon deshalb nicht kommen, weil dem Schuldner hinsichtlich der objektiv vorliegenden Zahlungsunfähigkeit zudem Vorsatz (§ 283 Abs. 1) oder zumindest Fahrlässigkeit (§ 283 Abs. 4, 5) vorzuwerfen sein muss. Konnte der Schuldner eine geringfügige Unterdeckung anhand seines Rechnungswesens und seiner Finanzplanung nicht erkennen, hat er die Bankrotthandlung jedenfalls nicht bewusst und gewollt in einer objektiv gefährlichen Situation vorgenommen. Ob ihm insoweit ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann, hängt davon ab, ob er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat. Welche Anforderungen an Art und Maß der anzuwendenden Sorgfalt zu stellen sind, kann nicht pauschal festgelegt werden. Die Sorgfaltsanforderungen hinsichtlich der Liquiditätsplanung haben sich am Verkehrskreis des Schuldners auszurichten513 und werden insofern in Hinblick auf die Unternehmensgröße und die Branche zu staffeln sein514. Hat der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit aufgrund einer Missachtung dieser für ihn einschlägigen Sorgfaltsanforderungen verkannt und nimmt zudem vorsätzlich (§ 283 Abs. 4) oder fahrlässig (§ 283 Abs. 5) eine Bankrotthandlung vor, ist auch ein strafwürdiger Handlungsunwert seines Tuns kaum zu bestreiten. Wenn z. T. schließlich recht diffus auf den ultima-ratio-Charakter des Strafrechts verwiesen und deshalb generell für unzulässig gehalten wird, die Zahlungsunfähigkeit im Bankrottstrafrecht früher als im Insolvenzrecht anzunehmen,515 wird verkannt, dass die Auslegung eines Tatbestandsmerkmals immer den Zusammenhang mit den anderen Merkmalen zu berücksichtigen hat, aber
512
So der Maßstab Penzlins, S. 162. Zur Bestimmung der Sorgfaltsanforderungen beim Fahrlässigkeitsdelikt allgemein, sowie zur Bildung von „Sorgfaltstypen“ vgl. Kühl, 17/25 ff.; Roxin, 24/34 f. 514 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 122; NK/Kindhäuser1, §§ 283 ff. Rn. 103; K. Schmidt, JZ 1982, 173. 515 Bittmann, wistra 1998, 323; vgl. Temme, S. 114; Harz, ZInsO 2001, 196. 513
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nie isoliert erfolgen kann;516 erst für den Gesamttatbestand haben die Prinzipien der ultima ratio (Strafbedürftigkeit) und der Strafwürdigkeit Bedeutung. Die Annahme einer Zahlungsunfähigkeit bereits bei solchen kleinsten Liquiditätsdefiziten, die nicht binnen eines Monats zu beheben sind, schöpft andererseits auch den dem Krisenmerkmal der Zahlungsunfähigkeit innewohnenden gläubigerschützenden Gehalt am besten aus. Es lässt sich nicht plausibel begründen, wieso man eine Bankrotthandlung hinnehmen sollte, nur weil nicht eine Vielzahl, sondern lediglich einzelne Forderungen angesichts der unzulänglichen Zahlungsmittelsituation ausfallbedroht sind. „Zahlungsunfähigkeit lässt logisch nur die Feststellung ja oder nein zu.“517 So ist auch nicht ersichtlich, welche Wertmaßstäbe und Auslegungsgesichtspunkte für die Statuierung einer bestimmten Wesentlichkeits- bzw. Geringfügigkeitsschwelle heranzuziehen sein könnten. Die exakte Festlegung eines Schwellenwertes lässt sich sachlich nicht begründen und erfolgt letztlich – mit sehr unterschiedlichen Resultaten – nahezu willkürlich.518
IV. Dauerhaftigkeit des Unvermögens Letztes wesentliches Merkmal der vor Inkrafttreten der InsO anerkannten Definition der Zahlungsunfähigkeit war die Dauerhaftigkeit des Unvermögens des Schuldners, seine Zahlungspflichten zu erfüllen.519 Dieses Kriterium diente der Abgrenzung der gefahrenträchtigen nachhaltigen Zahlungsunfähigkeit von der als weitgehend ungefährlich eingeschätzten bloßen Zahlungsstockung, also dem nur vorübergehenden Zahlungsunvermögen.520 Unklar war allerdings, wo exakt die Grenze von der ungefährlichen Zahlungsstockung zur gefährlichen Zahlungsunfähigkeit gezogen werden sollte. Die vorgeschlagenen Zeiträume reichten im konkursrechtlichen Schrifttum von einer Woche bis zu – wohl überwiegend – zwei bis drei Monaten.521 Auch in der strafrechtlichen Literatur bildete sich ein Zeitraum von drei Monaten als herr516
s. A. III. 1. Witte, S. 1286. 518 Möhlmann, WPg 1998, 951; Papke, DB 1969, 735; Röhm, S. 120; Temme, S. 36. 519 s. Fn. 438 f. 520 BGH MDR 1981, 454; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 134; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 98; Penzlin, S. 78; Röhm, S. 93, 108 ff.; SK/Hoyer, § 283 Rn. 18; aus insolvenzrechtlicher Sicht Bork, KTS 2005, 5; Burger/Schellberg, BB 1995, 262; Groß/Hess, WPg 1999, 424; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 2b; Möhlmann, WPg 1998, 949. 521 RGZ 132, 281, 282: etwa eine Woche; Obermüller, DB 1973, 269: 10 Tage; Meyer-Cording, BB 1986, 417: 3 Wochen; RG JW 1927, 386: 4 Wochen; Papke, DB 1969, 736: 6 Wochen; Veit, ZIP 1982, 276; Jäger, DB 1986, 1445; Kilger/K. Schmidt, § 30 Rz. 5; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 2e: alle 2 bzw. 3 Monate. 517
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
schende Meinung heraus,522 wobei teilweise davon ausgegangen wurde, dass eine ganz außergewöhnliche, sichere positive Liquiditätsentwicklung noch innerhalb weiterer drei Monate berücksichtigt werden sollte523. Diesen langen Betrachtungszeiträumen der herrschenden Ansicht im insolvenz- und insbesondere im insolvenzstrafrechtlichen Schrifttum setzte der Gesetzgeber der InsO die Legaldefinition des § 17 Abs. 2 S. 1 InsO entgegen, in der das Merkmal der Dauerhaftigkeit keine Erwähnung findet. Deren Wortlaut legt zunächst den Schluss nahe, die Zahlungsunfähigkeit im Sinne der InsO sei streng als Zeitpunktilliquidität zu verstehen, eine wie auch immer geartete Zeitraumbetrachtung sei vom Gesetzgeber nicht gewollt. In diesem Sinne wird z. T. eine zeitpunktbezogene Betrachtung der Zahlungssituation des Schuldners vorgenommen.524 Die ganz überwiegende Zahl der Stimmen spricht sich indes weiterhin für eine zeitraumbezogene Betrachtung aus, wobei sich der Schwerpunkt unter dem Eindruck der InsO zugunsten wesentlich kürzerer Zeitspannen verlagert hat. Die Gesetzesbegründung der InsO legt – wie sogleich zu zeigen sein wird – insoweit nahe, als Kriterium die für die Kreditbeschaffung bei einem kreditwürdigen Schuldner erforderliche Dauer zugrunde zu legen.525 So geht man aus insolvenzrechtlicher Sicht in (auch höchstrichterlicher) Rechtsprechung und Literatur überwiegend unter Rekurs auf dieses Kriterium bei einem Zeitraum von zwei bis vier Wochen von einer bloßen Zahlungsstockung aus, wobei den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen sei.526 Eher vereinzelt werden auch kürzere527 oder längere528 Zeiträume genannt. Ähnlich stellt sich das Meinungsspektrum aus bankrottstrafrechtlicher Sicht dar.529 522 Franzheim, NJW 1980, 2504; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 134; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 102; Otto, in: GS-Bruns, S. 277; Penzlin, S. 79 f.; 108; Schlüchter, MDR 1978, 268; Sch/Sch/Stree25, § 283 Rn. 52; Weyand, Rn. 43. 523 BayObLG wistra 1988, 363; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 134; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 102; Otto, in: GS-Bruns, S. 277. 524 Moosmayer, S. 155 ff.; aus insolvenzrechtlicher Sicht MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 22; Nerlich/Römermann/Mönning, § 17 Rn. 14; Niesert, ZInsO 2001, 738. 525 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 114. 526 Für eine zweiwöchige Frist AG Köln ZIP 1999, 1891; Burger/Schellberg, KTS 1995, 566; dies., BB 1995, 262 f.; FK-InsO/Schmerbach, § 17 Rn. 17; Jäger, BB 1997, 1577; Möhlmann, WPg 1998, 956; Temme, S. 29 ff.; für eine dreiwöchige Frist – ebenfalls unter Bezugnahme auf den für die Kreditbeschaffung erforderlichen Zeitraum – BGH NZI 2005, 547, 548; LG Bonn NZI 2001, 491; AG Göttingen ZInsO 2002, 593; HK-InsO/Kirchhof, § 17 Rn. 18; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 26; Uhlenbruck, InsO, § 17 Rn. 9; für eine vierwöchige (einmonatige) Frist BGH NJW-RR 2003, 699; OLG Koblenz ZInsO 2002, 533 f.; Bork, KTS 2005, 7; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 8 f.; Harz, ZInsO 2001, 194; Groß/Hess, WPg 1999, 425; IDW FAR, WPg 1999, 250 ff.; vgl. bereits BGHZ 149, 178, 186. 527 Hess/Obermüller, Rn. 55: 10 Tage. 528 Für eine zweimonatige Frist Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 15; Penzlin, S. 129 f.; für eine dreimonatige Frist Smid/Smid, § 17 Rn. 7.
C. Zahlungsunfähigkeit
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1. Der Wille des Gesetzgebers Für seine rein zeitpunktbezogene Betrachtung stützt sich Moosmayer v. a. auf ein historisches Argument: er verweist auf die Begründung des Regierungsentwurfs der InsO zu der im Zusammenhang mit den Anfechtungsvorschriften stehenden, letztlich aber nicht verabschiedeten Vorschrift des § 157 EInsO,530 die ein insolvenzgerichtliches Verfahren zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit vorsah. Dass die Begründung dort im Zusammenhang mit dem Begriff der Zahlungsunfähigkeit den Zusatz „zeitpunktbezogen“ verwendet habe, lasse darauf schließen, dass der Gesetzgeber den Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit bereits bei einer eintägigen Deckungslücke als verwirklicht ansehe; entsprechend dem generell auf eine einheitliche Verwendung des Begriffs gerichteten Willen, sei dieses Verständnis auch für die Bankrottdelikte maßgeblich.531 Gegen dieses historische Argument ist in der bisherigen Diskussion bereits eine Reihe von zutreffenden Einwendungen vorgebracht worden. Zunächst widerspricht die hieraus abgeleitete Folgerung, bereits eine eintägige Deckungslücke belege hinreichend die Zahlungsunfähigkeit, der deutlichen Stellungnahme des Gesetzgebers in der Begründung zu § 17 InsO.532 Hier stellt die Gesetzesbegründung klar, dass mit der Streichung des Merkmals lediglich vermieden werden sollte, dass der Begriff der Zahlungsunfähigkeit (weiterhin) zu sehr eingeengt und eine über Wochen und Monate andauernde Illiquidität zur rechtlich unerheblichen Zahlungsstockung erklärt wird: „Es versteht sich von selbst, dass ein Schuldner, dem zu einem bestimmten Zeitpunkt liquide Mittel fehlen – etwa weil eine erwartete Zahlung nicht eingegangen ist –, der sich aber die Liquidität kurzfristig verschaffen kann, im Sinne der Vorschrift „in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen“.[. . .] Wenn eindeutig ist, dass nur eine vorübergehende Illiquidität vorliegt, kann und wird sich der Schuldner durch einen Bankkredit neue flüssige Mittel beschaffen [. . .]“533. Die Indizwirkung dieser Äußerung des Gesetzgebers ist als ungleich stärker einzuschätzen als diejenige der in einem anderen sachlichen Zusammenhang abgegebenen. Eine vorübergehende Zahlungsstockung stellt demnach nach der Vorstellung des Gesetzgebers keine Zahlungsunfähigkeit dar.
529 Für eine zweiwöchige Frist Tröndle/Fischer, § 283 Rn. 9; Weyand, S. 73 f.; für eine dreiwöchige Frist Bieneck, StV 1999, 44; ders. in: Müller-Gugenberger, 76/57; Röhm, S. 114 f.; für eine vierwöchige Frist Lackner/Kühl, § 283 Rn. 7; für eine dreimonatige Frist Bittmann, wistra 1998, 323 f.; Penzlin, S. 160 ff.; Wegner, in: Handbuch Wirtschaftstrafrecht, S. 510; vgl. SK/Hoyer, § 283 Rn. 19, der bei einer Unterdeckung von 25% einen Zeitraum von drei Monaten vorschlägt. 530 BT-DrS. 12/2443, S. 164. 531 Moosmayer, S. 155 ff. 532 Röhm, S. 111. 533 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 114.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Zudem beruht die Interpretation dieser gesetzgeberischen Äußerung auf einem Missverständnis des verwendeten Terminus „zeitpunktbezogen“. Während Moosmayer ihn als Gegenbegriff zu einer bloße Zahlungsstockungen berücksichtigenden, eher kurzfristigen (maximal drei bzw. sechs Monate einbeziehenden) Zeitraumbetrachtung deutet, dürfte er in der herangezogenen Gesetzesbegründung zu § 157 EInsO lediglich in Abgrenzung zur drohenden Zahlungsunfähigkeit und damit zu einer mittelfristigen (nach h. M.: zweijährigen) Betrachtung gebraucht worden sein. Hierfür spricht, dass bereits die Kommission für Insolvenzrecht die Terminologie Zeitraum- bzw. Zeitpunktilliquidität in demselben Sinne zur Differenzierung zwischen drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit verwendet hat.534 Die herangezogene Gesetzesbegründung zu § 157 EInsO zugleich in dem Sinne zu verstehen, es habe jegliche Berücksichtigung von auch kurzzeitigen Zahlungsstockungen ausgeschlossen werden sollen, erscheint auch insofern nicht gerechtfertigt, als die Problematik der Zahlungsstockung im Zusammenhang der Begründung des § 157 EInsO keine Erwähnung gefunden hat. Die historische Erwägung Moosmayers erweist sich damit als nicht haltbar; der Wille des Gesetzgebers ist vielmehr auf die Berücksichtigung der Ungefährlichkeit von bloßen Zahlungsstockungen gerichtet.535 2. Teleologische Erwägungen Fraglich ist aber, ob es aus der teleologischen Sicht der Bankrottdelikte sinnvoll erscheint, dem Willen des Gesetzgebers entsprechend die kurzfristige Unfähigkeit zur Auszahlungsdeckung für unbeachtlich zu erklären. Die aus der insolvenzrechtlichen Sicht der Eröffnungstatbestände geäußerte Befürchtung, eine Reihe lebensfähiger Unternehmungen könnten bei einer Nichtberücksichtigung bloßer Zahlungsstockungen in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden,536 ist aus bankrottstrafrechtlicher Sicht nicht angebracht, folgen hier aus dem Vorliegen des Tatbestandsmerkmals doch allein (strafbewehrte) Sorgfaltspflichten. Es stellt sich insoweit allein die Frage, ob eine Bankrotthandlung, die in der Situation der eintägigen, stichtagsbezogenen Unterdeckung der Zahlungsverpflichtungen vorgenommen wird oder sie herbeiführt, eine strafwürdige – typische – Gefahr für die Gläubigerinteressen birgt. Insoweit wird verbreitet vorgebracht, auch bankrottstrafrechtlich sei eine restriktive Auslegung des Zahlungsunfähigkeitsbegriffs geboten, weil sonst jeder Schuldner, der auch nur einen Moment lang seinen fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen könne, selbst dann als zahlungsunfähig anzusehen 534
Röhm, S. 110. Röhm, S. 109 ff.; i. E. ebenso bereits Bittmann, wistra 1998, 324; Penzlin, S. 142 f. 536 Penzlin, S. 126 f.; ders., NZG 1999, 1207. 535
C. Zahlungsunfähigkeit
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wäre, wenn er alsbald mit ausreichenden Zahlungseingängen zu rechnen hätte.537 Solche Zahlungsstockungen würden aber schon deshalb häufig eintreten, weil ein Unternehmen vielfältigen Abhängigkeiten unterliege: so könnten Einzahlungen erst später als ursprünglich geplant erfolgen, weil ein Abnehmer vorübergehende Zahlungsprobleme habe oder weil sich die Veräußerung von Produkten aufgrund kurzfristiger Stockungen im Herstellungsprozess verzögere.538 Auch i. E. unproblematische Kreditaufnahmen seien aber in solchen Fällen nicht immer an einem Tag zu erledigen.539 Die zeitpunktbezogene Betrachtung der Zahlungsunfähigkeit brächte den Schuldner daher zu schnell in ein nicht zu rechtfertigendes Risiko einer potentiellen Strafbarkeit nach den §§ 283 ff.;540 man hat m. a. W. an der Strafwürdigkeit einer in einer solchen Situation vorgenommenen bzw. sie herbeiführenden Bankrotthandlung Zweifel. Dem ist aber entgegenzuhalten, dass zur Beseitigung spontan und überraschend eintretender Einzahlungsausfälle in der Regel bei den Banken Kreditlinien bestehen, die sofort in Anspruch genommen werden können; bei gesunden Unternehmen werden mithin auch in diesem Fall zeitraubende Kreditverhandlungen – die von der h. M. und in einem gewissen Rahmen auch vom Gesetzgeber als Hauptargument für eine Zeitraumbetrachtung herangezogen werden – nicht erforderlich sein.541 In der Regel dürften Zahlungsschwierigkeiten indes ohnehin nicht plötzlich und unvorhergesehen auftreten; vielmehr sind sie typischerweise Ergebnis schon länger sich im Unternehmen entwickelnder krisenhafter Prozesse, die mittels Finanzplanung schon frühzeitig erkennbar sind und sich regelmäßig auch dem nur überschlägig planenden Schuldner schon lange vorher ankündigen.542 Vernünftigerweise wird sich ein Unternehmen bei absehbaren Liquiditätsproblemen schon frühzeitig um neues Eigen- oder Fremdkapital bemühen; hat es dies aber bis zum Zeitpunkt der Unterdeckung nicht beschaffen können, wird man von einer ernsthaften Unternehmenskrise ausgehen können. Die Fälle, in denen die Deckungslücke überraschend eintritt und in den nächsten Wochen unproblematisch durch einen Kredit, etwa weil noch ein unbelastetes Grundstück vorhanden ist,543 beseitigt werden kann, dürften vor diesem Hintergrund die Ausnahme und nicht die Regel sein. In einer signifikanten Zahl 537
Röhm, S. 111 f. Röhm, S. 112; aus insolvenzrechtlicher Sicht RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 114; Burger/Schellberg, KTS 1995, 567; Harz, ZInsO 2001, 193. 539 Röhm, S. 112; aus insolvenzrechtlicher Sicht Himmelsbach/Thonfeld, NZI 2001, 12 f.; Penzlin, S. 126; ders., NZG 1999, 1207; Uhlenbruck, KTS 1994, 171. 540 So explizit Röhm, S. 112 f.; der Sache nach ebenso auch all diejenigen, die eine Zeitraumbetrachtung fordern, s. Fn. 526 ff. 541 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 22. 542 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 22; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 25; Paulus, DZWIR 1999, 56. 543 Diesen Fall führen Himmelbach/Thonfeld, NZI 2001, 13, als Argument für eine Zeitraumbetrachtung an. 538
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
von Fällen ist die eintägige Unterdeckung daher Symptom lang andauernder Zahlungsschwierigkeiten aufgrund ständig überforderter Bar- und Buchgeldbestände sowie ausgeschöpfter Kreditlinien.544 Die Verletzungstypik einer in der Situation einer eintägigen Unterdeckung vorgenommenen Bankrotthandlung (und auch einer diese Situation herbeiführenden Bankrotthandlung) erscheint demnach bereits in strafwürdigem Maße gefährlich. Wenn namentlich Penzlin einwendet, eine derartige kurzzeitige Unterdeckung sei solchen – insbesondere kleineren – Unternehmen, die über keine exakte Liquiditätsplanung verfügten, gar nicht erkennbar545, so ist insoweit – wie auch gegen das entsprechende Vorbringen zum Merkmal der Wesentlichkeit – einzuwenden, dass hiermit die Frage des Schuldvorwurfs angesprochen ist, die u. a. nach der Unternehmensgröße differenzierend zu beantworten ist546. Die objektive Bestimmung des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit ist hiervon unabhängig vorzunehmen. Diese Sichtweise hat zudem den Vorteil, dass der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit eindeutig bestimmt ist; die von der herrschenden Meinung genannten Zeiträume erscheinen demgegenüber weitgehend willkürlich festgelegt, da sich die für eine „unproblematische“ Kreditbeschaffung erforderliche Frist kaum einheitlich wird festlegen lassen.
V. Die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit Die Feststellung der derart definierten Zahlungsunfähigkeit kann anhand eines Liquiditätsstatus erfolgen, der dem aktuellen Zahlungsmittelbestand die Summe der fälligen Zahlungsverpflichtungen gegenüberstellt und entweder einen Überschuss oder einen Fehlbetrag ausweist.547 Für die Befolgung des Normbefehls des § 283 Abs. 1 reicht eine derartige zeitpunktbezogene Aufstellung aus; stellt der Schuldner eine Unterdeckung fest, hat er die enumerierten wirtschaftwidrigen Handlungen zu unterlassen.548 Für die Einhaltung des Normbefehls des § 283 Abs. 2, bei dem auch die zukünftigen Folgen einer Bankrott544 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 22; vgl. auch Penzlin, S. 161; ders., NZG 1999, 1206. 545 S. 161 f. unter Verweis auf S. 127 f., 150 ff.; vgl. dens. auch aus insolvenzrechtlicher Sicht, NZG 1999, 1207 f. 546 s. III. 2. 547 Vgl. hierzu MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 13; Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 26. 548 Trägt man – wie die h. M. – Zahlungsstockungen durch eine wie auch immer geartete Zeitraumbetrachtung Rechnung, bedarf es freilich schon im Rahmen der Prüfung der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit eines Finanzplans, vgl. etwa Jaeger/H.-F. Müller, § 17 Rn. 26; teilweise verzichtet man gleichwohl auf einen solchen, weil – was allerdings nur aus insolvenzrechtlicher Sicht einleuchtet – eine Insolvenzantragstellung ohnehin nicht bereits in den ersten Tagen eines Zahlungsmitteldefizits erfol-
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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handlung für die Zahlungsfähigkeit zu beachten sind, ist indes eine Prognoserechnung in Form eines Finanzplans erforderlich.549
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit Vor dem Inkrafttreten der InsO kannten nur die Bankrottdelikte der §§ 283 ff. den Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit; als Eröffnungsgründe dienten der KO lediglich die Überschuldung und die eingetretene Zahlungsunfähigkeit. Trotz des etwa zwanzigjährigen strafrechtlichen Erfahrungsvorsprungs versprach der Gesetzgeber der InsO durch die insolvenzrechtliche Legaldefinition auch für das Strafrecht eine Klärung des Begriffsinhalts. Dieser Begriff, „den das Konkursstrafrecht schon bisher verwendete, [werde] in Zukunft durch die neue Definition in der InsO konkretisiert“.550 Die Definition des § 18 Abs. 2 InsO sei „geeignet, auch für das Strafrecht größere Klarheit zu bringen“.551 Ob dieses Versprechen eingelöst werden kann, kann nur die Auslegung des strafrechtlichen Krisenbegriffs klären. Wiederum sprechen die o. g. allgemeinen Gesichtspunkte betreffend den Wortlaut des Gesetzes, den Willen des Gesetzgebers und die Gesetzessystematik für eine Anbindung des Krisenbegriffs an die Legaldefinition des § 18 Abs. 2 InsO.552 Hiernach droht der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, „wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen.“ Einigkeit besteht noch insoweit, als kein Anlass ersichtlich ist, den letzten Begriffsteil dieses Krisenmerkmals – den der Zahlungsunfähigkeit – im Grundsatz anders auszulegen als bei der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit. Allein die Frage, in welchem Zeitraum die Zahlungsmittel welchen Zahlungsverpflichtungen gegenüberzustellen sind, ist im Hinblick darauf, dass die Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Prognoseentscheidung erforderlich macht, neu zu diskutieren. Schon im Ansatz umstritten war vor Inkrafttreten der InsO demgegenüber, wie der Begriff des Drohens zu verstehen ist. Weil diese Diskussion mangels Bindungswirkung der Legaldefinition für das Strafrecht nichts von ihrer Bedeutung verloren hat, bedarf sie nach wie vor einer Klärung.
gen wird, sondern erst gegen Ende des Antragsfrist von drei Wochen, vgl. Temme, S. 65 f. und auch – aus strafrechtlicher Sicht – Röhm, S. 148 Fn. 538. 549 s. hierzu noch die Erörterungen im Rahmen der drohenden Zahlungsunfähigkeit (D. II. 4 a)), wo die Relevanz des Finanzplans größer ist. 550 RegE EGInsO, BT-DrS. 12/3803, S. 100. 551 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 114. 552 s. B. I–III.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
I. Das für das „Drohen“ maßgebliche Kriterium Fraglich ist insoweit zunächst, anhand welchen Kriteriums das Drohen der Zahlungsunfähigkeit festzustellen ist. 1. Anlehnung an § 288? Denkbar und auf den ersten Blick nahe liegend erscheint es, den Begriff des Drohens in Anlehnung an § 288 zu bestimmen, der in ähnlicher Stoßrichtung wie § 283 demjenigen mit Strafe droht, der bei einer ihm drohenden (Einzel-) Zwangsvollstreckung in der Absicht, die Befriedigung des Gläubigers zu vereiteln, Bestandteile seines Vermögens veräußert oder beiseite schafft. Für eine solche Anlehnung ließe sich die grundsätzliche Parallele zwischen Einzel- und Gesamtvollstreckung anführen.553 So hat insbesondere die Rechtsprechung bei der Auslegung der früheren §§ 239 ff. KO häufig § 288 herangezogen, etwa für die Interpretation des „Beiseiteschaffens“554 oder des Begriffs „Schuldner“555. Schon früh erkannte man allerdings, dass eine solche Parallele nicht haltbar ist. Die Frage, ob eine Einzelzwangsvollstreckung gedroht hat, hängt nämlich i. d. R. von dem Willen und der Entschlossenheit des Gläubigers, sobald wie möglich den bestehenden Anspruch gerichtlich durchzusetzen, ab; demgegenüber wird die drohende Zahlungsunfähigkeit maßgeblich durch objektive Faktoren des schuldnerischen Unternehmens und eine Gesamtbeurteilung der Unternehmenssituation bestimmt.556 Eine Anlehnung an § 288 scheidet damit aus. 2. Vorliegen einer konkreten Gefahr? Nach der Begründung des Regierungsentwurfs des 1. WiKG soll das Drohen der Krise „im Wesentlichen nach den gleichen Grundsätzen zu beurteilen [sein], die für die Feststellung einer konkreten Gefahr maßgeblich sind“; es müsse deshalb „eine nach den festgestellten Umständen des Einzelfalls nahe liegende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gegeben sein“.557 Diesen Vorgaben entsprechend forderte das OLG Karlsruhe, es müsse das Vorliegen einer konkreten Gefahr festgestellt werden.558 Eine solche Deutung ist indes mit dem herkömmlichen Verständnis einer konkreten Gefahr als Hand553
Matzen, S. 59; Otto, in: GS-Bruns, S. 279; Tiedemann, NJW 1977, 781. RGSt 66, 130, 131; 77, 227, 230. 555 RGSt 68, 108, 109; eingehend hierzu Matzen, S. 58 f. 556 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 136; ders., NJW 1977, 781; Matzen, S. 59 f.; Otto, in: GS-Bruns, S. 279; Röhm, S. 133 f.; vgl. bereits den Bericht und Antrag des Sonderausschusses, BT-DrS. 7/5291, S. 17, allerdings im Hinblick auf die drohende Überschuldung. 557 BT-DrS. 7/3441, S. 34. 554
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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lungserfolg559 kaum zu vereinbaren. Denn bei § 283 Abs. 1 umschreibt die drohende Zahlungsunfähigkeit nicht die Folge der Bankrotthandlung, sondern nur deren Rahmenbedingung, und bei § 283 Abs. 2 ist die Herbeiführung der drohenden Zahlungsunfähigkeit gerade nicht pönalisiert.560 Dass hier die verwendeten Begrifflichkeiten des Gesetzgebers zu wörtlich genommen wurden, verdeutlicht auch, dass das Erfordernis der Feststellung einer konkreten Gefahr für die geschützten Rechtsgüter der Intention des Gesetzgebers, den Bankrotttatbestand von solchen Nachweisproblemen freizuhalten, widersprechen würde;561 die zitierte Gesetzesbegründung kann demnach offenkundig so nicht gemeint gewesen sein. 3. Wahrscheinlichkeit des nahen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit? Allerdings wurde und wird die o. g. Gesetzesbegründung in der Literatur ohnehin nicht in dem Sinne verstanden, dass es der Feststellung einer konkreten Gefahr i. e. S. bedürfte. Vielmehr hebt eine Auffassung im Schrifttum die zeitliche Nähe zum Eintritt der Zahlungsunfähigkeit hervor; die Zahlungsunfähigkeit drohe dann, wenn die Wahrscheinlichkeit ihres nahen Eintritts bestehe.562 Zur Bestimmung des Zeitraums, der im konkreten Fall maßgeblich ist, soll auf die Grundsätze zur Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch abgestellt werden.563 4. Nahe liegende Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit Demgegenüber sieht man nach wohl herrschender Auffassung die Zahlungsunfähigkeit dann als drohend an, wenn die nahe liegende Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts besteht564 und interpretiert die Gesetzesbegründung dementspre558 Unveröffentlicher Beschluss v. 3.1.1977 – 2 Ws 264/76; zitiert nach Matzen, S. 61; Tiedemann, NJW 1977, 781; Otto, in: GS-Bruns, S. 280. 559 Grundlegend Horn, S. 11 ff., 63 ff. 560 Matzen, S. 61; Tiedemann, NJW 1977, 781 f. 561 Matzen, S. 61; s. B. IV. 1. a). 562 Harneit, S. 110; Otto, in: GS-Bruns, S. 280 f.; ders., BT, 61/88; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 10; Weyand, S. 68; vgl. BGH JZ 1979, 77. 563 Otto, in: GS-Bruns, S. 280 f.; vgl. dens., BT, 61/88. 564 Bretzke, S. 101 ff.; Hiltenkamp-Wisgalle, S. 295 f.; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 137 f.; ders., NJW 1977, 781; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT/1, § 48 II 1; Müller-Gugenberger/Bieneck, § 76 Rn. 51; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 99; vgl. auch Bittmann, wistra 1998, 325, der ebenfalls die Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit in den Vordergrund rückt und eine Eintrittswahrscheinlichkeit von mindestens 50% verlangt, allerdings zugleich zwischen Prognosezeitraum und Prognosewahrscheinlichkeit eine Wechselwirkung dergestalt sieht, dass je länger der Progno-
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
chend als Forderung eines besonderen Intensitätsgrades abstrakter Gefährlichkeit für die Gläubigerinteressen, der nicht allzu weit von demjenigen bei eingetretener Zahlungsunfähigkeit entfernt ist. Die in der Legaldefinition des § 18 Abs. 2 InsO zum Ausdruck kommende, für das Insolvenzrecht maßgebliche Sichtweise dürfte dieser Auffassung nahe stehen. Indem hier – ohne allzu weit vorgreifen zu wollen – auf eine Zeitraumbetrachtung bis zum letzten Fälligkeitsdatum der bestehenden Verbindlichkeiten abgestellt wird, wird einer auf die zeitliche Nähe abstellenden Auffassung eine deutliche Absage erteilt.565 Vielmehr ist auch nach dem Ansatz des InsO entscheidend, ob die Zahlungsunfähigkeit nahe liegend wahrscheinlich („voraussichtlich“) eintreten wird. 5. Stellungnahme Sind die beiden erstgenannten Interpretationsmöglichkeiten aus den aufgeführten Gründen zu verwerfen, bleibt allein fraglich, ob das Drohen der Zahlungsunfähigkeit anhand der zeitlichen Nähe oder der Gefahrintensität zu bestimmen ist. Zunächst ist insoweit zu konstatieren, dass diese beiden Auffassungen im Regelfall zu identischen Ergebnissen führen werden, so dass der Verdacht, es handele sich lediglich um einen Streit um Worte,566 nahe liegt: So wird bei zeitlicher Nähe der Zahlungsunfähigkeit regelmäßig auch eine erhebliche Gläubigergefährdung bestehen und umgekehrt eine erhebliche Gläubigergefährdung i. d. R. erst bei zeitlich naher Zahlungsunfähigkeit gegeben sein. Jedoch sind auch Fälle denkbar, in denen eine Zahlungsunfähigkeit erst in einiger Zeit eintreten wird, dieses Ereignis allerdings bereits im Beurteilungszeitpunkt mit einiger Sicherheit vorherzusehen ist. Wieso es in diesem Zeitraum latenter Gläubigergefährdung dem Schuldner erlaubt sein sollte, masseschmälernde oder informationsverschleiernde Bankrotthandlungen vorzunehmen, ist aus rechtsgutsbezogener Sicht nicht zu begründen.567 Umgekehrt ist vor dem Hintergrund des Erfordernisses der Strafwürdigkeit der pönalisierten Bankrotthandlungen nicht einzusehen, dass jegliche noch so geringe Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit ausreichen soll, wenn nur deren potentielle Realisierung zeitlich nah bevorsteht.568 Das Drohen der Zahlungsunfähig-
sezeitraum sei, desto höher die Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit sein müsse, um von einem „Drohen“ sprechen zu können. 565 Bieneck, StV 1999, 45; Moosmayer, S. 170. 566 So NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 99. 567 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 138; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 99. 568 Vgl. Tiedemann, NJW 1977, 781 für den vom OLG Karlsruhe entschiedenen Fall (s. Fn. 558).
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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keit allein an der zeitlichen Nähe ihres Eintritts festzumachen, erscheint demnach nicht sinnvoll.569 Als zutreffender Ansatz ist es daher anzusehen, das Drohen der Zahlungsunfähigkeit – entsprechend der schon bislang herrschenden strafrechtlichen Auffassung und der insolvenzrechtlichen Legaldefinition – anhand der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu bestimmen.
II. Die Ausgestaltung der Zahlungsfähigkeitsprognose Dementsprechend ist zur Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit eine Prognose der künftigen Liquiditätssituation des Schuldners erforderlich. Wie diese im Einzelnen auszugestalten ist, ist dabei indes noch weitgehend unklar. Insoweit wird möglicherweise § 18 Abs. 2 InsO wertvolle Anhaltspunkte für eine Konkretisierung dieses Ansatzes liefern können. 1. Der Prognosezeitraum Zunächst stellt sich die Frage, in welchem Zeitraum die Zahlungsfähigkeit zu beobachten ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers der InsO trägt die Legaldefinition des § 18 Abs. 2 InsO auch für die bankrottstrafrechtliche Verwendung des Begriffs zur Klärung bei. Dementsprechend hält er auch die den Prognosezeitraum betreffenden Vorgaben der insolvenzrechtlichen Legaldefinition für das Strafrecht für relevant. Nach § 18 Abs. 2 InsO kommt es auf die Fähigkeit an, die bestehenden Verbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit begleichen zu können. Da die Legaldefinition zwischen dem Bestehen und der Fälligkeit des Anspruchs unterscheidet, kann der Begriff der bestehenden Verbindlichkeiten – anders als nach allgemeiner Ansicht bei § 199 f. BGB570 – nicht die entstandenen und zugleich fälligen Forderungen meinen. Vielmehr ist der Begriff in § 18 Abs. 2 InsO im Sinne der entstandenen Forderungen zu verstehen.571 Eine Verbindlichkeit entsteht, wenn sämtliche gesetzlich für ihre Entstehung notwendigen Tatbestands569 Matzen, S. 64 f., bemängelt zudem den von Otto, in: GS-Bruns, S. 280 f., gezogenen Vergleich von drohender und eingetretener Zahlungsunfähigkeit mit der Abgrenzung von Versuch und Vollendung eines Delikts; das Krisenmerkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit stelle nur eine Beschreibung des Zustands dar, in dem die Bankrotthandlung vorgenommen werden müsse, aus dem aber selbst kein Handlungs- oder Erfolgsunwert erwachsen könne. 570 BGHZ 55, 340, 341; Palandt/Heinrichs, § 199 Rn. 3. 571 HK-InsO/Kirchhof, § 18 Rn. 6; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 7; Röhm, S. 138; Temme, S. 55.
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merkmale erfüllt sind.572 Der Begriff der Fälligkeit ist wie bei § 17 InsO i. S. d. § 271 BGB zu verstehen.573 Damit ist die vom Gesetzgeber vorgesehene äußerste Grenze für den Prognosezeitraum abgesteckt: ohne dass ein konkreter in Wochen, Monaten oder Jahren bemessener Zeitraum genannt wird, ist die Prognose dem deutlichen Wortlaut der Legaldefinition zufolge bis zu dem Zeitpunkt zu erstrecken, in dem diejenige unter den im Betrachtungszeitpunkt bereits bestehenden Verbindlichkeiten mit dem spätesten Fälligkeitsdatum fällig werden wird.574 Zweifel daran, ob der Gesetzgeber tatsächliche eine derartige Bestimmung des Prognosezeitraums vornehmen wollte, kommen jedoch bei der Lektüre der Gesetzesmaterialen auf. Hier heißt es, dass in der Prognose „neben den zu erwartenden Einnahmen auch die zukünftigen, noch nicht begründeten Zahlungspflichten mit zu berücksichtigen“ seien.575 Legte man dies unreflektiert zugrunde, bliebe der Prognosezeitraum offen: Da grundsätzlich absehbar ist, dass bestimmte Verbindlichkeiten auch zukünftig entstehen und fällig werden (insbesondere regelmäßig wiederkehrende, aber noch nicht begründete Forderungen für Telefon-, Wasser- oder Abfallbeseitigungskosten), müsste die Zukunftsbetrachtung die gesamte Lebensdauer des Unternehmens umfassen.576 Jedoch lässt sich dieser scheinbare Widerspruch577 zwischen Gesetzestext und -begründung auch in der Weise auflösen, dass die in § 18 Abs. 2 InsO genannten, bereits begründeten Verbindlichkeiten durch ihren spätesten Fälligkeitstermin den zeitlichen Rahmen der Prognose abstecken, während die in der Gesetzesbegründung geforderte Einbeziehung auch der noch nicht begründeten Verbindlichkeiten der Ausfüllung der Prognose dient.578 Dafür, dass dies im Sinne des Gesetzgebers lag, spricht – worauf im Folgenden noch einzugehen sein wird579 –, dass auch 572
Larenz/Wolf, 14/25. s. C. II. 2. 574 Burger/Schellberg, BB 1995, 265; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 8, 10; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 11; Harz, ZInsO 2001, 197; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 7; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 9; Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 25; Stahlschmidt, JR 2001, 91; Temme, S. 80 f.; Uhlenbruck, wistra 1996, 6; a. A. Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 109 Rn. 38 und S. 111 Rn. 38, nach denen auch noch nicht bestehende, aber „absehbare“ Verbindlichkeiten den Betrachtungszeitraum bestimmen können, so dass keine verlässliche Aussage über das Prognoseende möglich sei. 575 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 115; dieselben Ungereimtheiten zwischen Gesetzesvorschlag und Begründung finden sich bereits im Ersten Bericht der Kommission für Insolvenzrecht, Leitsatz 1.2.5, S. 109 f. 576 Burger/Schellberg, BB 1995, 265; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 109 Rn. 38 und S. 111 Rn. 38; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 7. 577 Einen echten Widerspruch zwischen Gesetzesvorschlag und Begründung sieht Penzlin, S. 136 f.; ders., NZG 2000, 468. 578 In diesem Sinne die in Fn. 574 Genannten. 579 s. u. 2 a). 573
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die noch nicht begründeten, aber voraussichtlich künftig entstehenden Verbindlichkeiten die Fähigkeit, die bereits bestehenden Verbindlichkeiten im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu erfüllen, beeinflussen; dies gilt jedenfalls insoweit, als diese künftigen Verbindlichkeiten vor dem Ende des durch die langfristigste bestehende Verbindlichkeit abgesteckten Prognosezeitraums fällig werden. Im Hinblick auf den Prognosezeitraum kann somit zunächst festgehalten werden, dass diese Vorgaben des Gesetzgebers – die er auch für das Strafrecht für maßgeblich hält – insofern eine Eingrenzung darstellen, als solche erst zukünftig entstehenden, aber bereits absehbaren Zahlungsverpflichtungen außer Betracht bleiben, die später als die maßgebliche bereits bestehende Verpflichtung fällig werden. Es fragt sich allerdings, ob dem Willen des Gesetzgebers im Hinblick auf die bankrottstrafrechtlichen Zielsetzungen zu folgen ist. Eine Stütze der gesetzgeberischen Vorgaben mag man insoweit zunächst im Wortlaut des Begriffs „drohende Zahlungsunfähigkeit“ sehen. So ließe sich argumentieren, von einem Drohen der Zahlungsunfähigkeit könne man erst dann sprechen, wenn die Erfüllung bereits begründeter Forderungen gefährdet ist. Im Hinblick auf die Gefährdung noch nicht begründeter Verbindlichkeiten fehle es noch an dem wesentlichen Zwischenschritt des Vertragsschlusses, die Erfüllung einer Forderung könne m. a. W. denklogisch erst nach ihrer Begründung gefährdet sein. Zum einen erscheint es allerdings keineswegs als Überschreitung der Wortlautgrenze, auch künftig entstehende Forderungen in die Betrachtung einzubeziehen. Zum anderen erweist sich dieser Ansatz als recht formal, weil die Aufrechterhaltung der Produktion an die Begründung bestimmter Verbindlichkeiten (etwa für Materiallieferungen oder Arbeitskraft) geknüpft ist und der Vertragsschluss bei solchen regelmäßig wiederkehrenden Verbindlichkeiten – auch aufgrund gegenseitiger Abhängigkeiten – von beiden Seiten mehr oder weniger zwangsläufig erfolgen wird; von einer Gefährdung dieser künftigen Gläubiger und insofern auch von einem Drohen der Zahlungsunfähigkeit wird man daher schon vor der rechtswirksamen Entstehung sprechen können. Insbesondere birgt der Ansatz aber aus teleologischer Sicht erhebliche Probleme, wird er doch dem von § 283 intendierten Rechtsgüterschutz nicht gerecht. Geht man davon aus, dass § 283 den Schutz der Befriedigungs- und Gestaltungsinteressen aller Gläubiger bezweckt, die in einem potentiellen zukünftigen Insolvenzverfahren befriedigt werden sollen, so sind dies nicht nur die Gläubiger der im Prognosezeitpunkt – also dem Zeitpunkt der Vornahme der Bankrotthandlung – bereits bestehenden Verbindlichkeiten, sondern auch diejenigen Gläubiger, deren Forderungen noch im Zeitraum bis zum Zusammenbruch (§ 283 Abs. 6) begründet werden. Auch sie sind auf die verbleibende Insolvenzmasse und die Unverfälschtheit der die Unternehmenssituation betreffenden Informationen gleichermaßen angewiesen.580 Gleichwohl blieben die Interessen 580
s. hierzu schon Teil 2 A. III. 3.
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dieser Gläubiger nach dem gesetzgeberischen Ansatz weitgehend unbeachtet: Liegt das letzte Fälligkeitsdatum der bereits begründeten Verbindlichkeiten z. B. in vier Monaten und ergibt die Prognose insoweit noch einen Zahlungsmittelüberschuss, bleibt schon eine nur kurze Zeit später eintretende, im Betrachtungszeitpunkt noch nicht begründete Verbindlichkeiten betreffende Zahlungsunfähigkeit selbst dann unbeachtet, wenn sie mit hinreichender (nach h. M.: überwiegender, hierzu sogleich) Prognosewahrscheinlichkeit vorhersehbar ist. Der gesetzgeberische Ansatz der InsO erweist sich insofern als Verkürzung des von § 283 intendierten Gläubigerschutzes, weil dem Schuldner die Vornahme einer Bankrotthandlung erlaubt wird, die sich bereits im Betrachtungszeitpunkt vorhersehbar für künftige Gläubiger als Schmälerung der Quote und der Gestaltungsspielräume auswirken wird. Geschützt werden die künftigen Gläubiger nur insoweit, als ihre Forderung noch vor dem letzten Fälligkeitstermin der bereits bestehenden Verbindlichkeiten fällig wird. Schließlich ließe sich erwägen, diese Beschränkung sei erforderlich, um dem Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit klare Konturen zu verleihen und eine ansonsten – theoretisch – gebotene unendliche Zukunftsbetrachtung zu vermeiden. Jedoch können auch auf der Grundlage der gesetzgeberischen Vorgaben je nach Laufzeit der bereits bestehenden Verpflichtungen sehr lange Prognosezeiträume erforderlich sein, etwa bei langfristigen Bankdarlehen.581 Auch einen solchen Zweck der Konkretisierung kann die Beschränkung auf bestehende Verbindlichkeiten mithin nur sehr unvollkommen erfüllen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine Übernahme der Vorgaben der InsO in den insolvenzstrafrechtlichen Zusammenhang wenig sinnvoll erscheint. Lehnt man eine derartige Beschränkung des Prognosezeitraums ab, stellt sich allerdings das bereits angesprochene Problem, dass zur Feststellung einer drohenden Zahlungsunfähigkeit prinzipiell eine die gesamte Lebensdauer des Unternehmens umfassende Vorausschau der Liquiditätslage erforderlich wird. In der insolvenzrechtlichen wie in der insolvenzstrafrechtlichen Literatur wird deshalb überwiegend582 schon auf der Grundlage des Ansatzes der InsO eine weitergehende Eingrenzung des Prognosezeitraums für erforderlich gehalten, wobei unisono auf die mit zunehmender Länge des Prognosezeitraums ansteigende Unsicherheit der Prognose verwiesen und eine sich womöglich über Jahrzehnte erstreckende Prognose nicht als valide angesehen wird. Dementsprechend werden Betrachtungszeiträume von 30 Tagen583, vier bis sechs Monaten584 oder 581 Bittmann, wistra 1998, 325; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 6; Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 25; Temme, S. 81. 582 A. A. Bieneck, StV 1999, 45; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 139; aus insolvenzrechtlicher Sicht Burger, DB 1992, 2151; Burger/Schellberg, BB 1995, 264. 583 Reck, BuW 1997, 746.
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einem Jahr585, des laufenden und des folgenden Geschäftsjahres586 oder von drei Jahren587 gefordert. Auch für diese starren Zeitrahmen drängt sich aber der Einwand unzureichenden Gläubigerschutzes auf. Lässt sich die Voraussage zukünftiger Zahlungsunfähigkeit im konkreten Fall mit der erforderlichen Prognosewahrscheinlichkeit treffen, ist nicht einzusehen, wieso man dem Schuldner die Vornahme der Bankrotthandlung nur deshalb erlauben sollte, weil Prognosen über längere Zeiträume in der Regel unzuverlässig werden. Unter dem Gesichtspunkt des Gläubigerschutzes erweist es sich vielmehr als sinnvoll, von starren Grenzen abzugehen und den Betrachtungszeitraum und die erforderliche Prognosewahrscheinlichkeit als korrespondierend zu betrachten.588 So wird es bei einem weit in der Zukunft liegenden Zeitpunkt zwar regelmäßig schwierig sein, die Aussage drohender Zahlungsunfähigkeit mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu treffen.589 Gleichwohl ist denkbar, dass der Schuldner bei überwiegend langfristigen Verbindlichkeiten zu dem Ergebnis kommt, dass er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, erst in einigen Jahren fällig werdende Zahlungspflichten (etwa aufgrund eingegangener Pensionsverpflichtungen oder eines langfristigen Darlehens) zu erfüllen.590 Denn es unterliegen zum einen durchaus nicht sämtliche in die Prognosebetrachtung einzubeziehenden Positionen im selben Maße Unsicherheiten; so werden sich eine Reihe zukünftiger Auszahlungen – v. a. die auf bereits begründeten Dauerschuldverhältnissen beruhenden, wie Personalausgaben, Miete, Zins- und Tilgungszahlungen – weitgehend sicher vorhersagen lassen, während größere Unsicherheiten vorwiegend bei den künftigen, umsatzabhängigen Einzahlungen liegen werden591. Zum anderen können im Einzelfall derart eindeutige Umstände vorliegen, die eine gewisse Unsicherheit bei Einzelpositionen bei weitem kompensieren und ein hinreichend sicheres Urteil zulassen, wie etwa ein eindeutiger negativer Umsatztrend ohne Aussicht auf Sanierungsmöglichkeiten – etwa bei aussterbenden Industriezweigen – bei zukünftigen, womöglich kumuliert fälligen Verbindlichkeiten erheblichen Aus-
584 Aus insolvenzrechtlicher Sicht Jäger, DB 1986, 1446; Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 34. 585 Bittmann, wistra 1998, 325; Röhm, S. 153 f.; Wegner, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, S. 512 Rn. 87. 586 Aus insolvenzrechtlicher Sicht Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 7; Kübler/Prütting/ Pape, § 18 Rn. 6; Temme, S. 80 f.; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 10. 587 Aus insolvenzrechtlicher Sicht FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 8a. 588 FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 8a; vgl. auch Temme, S. 80 f.; beide halten allerdings gleichwohl eine Zeitgrenze für erforderlich. 589 FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 8a. 590 So auch Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 34. 591 Borup, wistra 1988, 88; Temme, S. 75.
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maßes.592 Entscheidend ist daher letztlich, welcher Zeitraum betriebswirtschaftlich überschaubar erscheint.593 Liegen keinerlei Anhaltspunkte vor, dass sich die Liquiditätssituation nach Ablauf dieses überschaubaren Zeitraums verändern wird, kann (und muss) die weitere Entwicklung als konstant unterstellt werden;594 war sie gegen Ende des konkret planbaren Zeitraums positiv, wird man demnach nicht das Urteil einer mit überwiegender Wahrscheinlichkeit drohenden Zahlungsunfähigkeit fällen können. Lassen sich indes im Einzelfall auch für recht entfernt liegende Zeitpunkte aufgrund starker gegenwärtiger Anhaltspunkte hinreichend wahrscheinliche Aussagen über die zukünftige Liquiditätssituation treffen, sind Gründe für einen Rückzug des Strafschutzes nicht ersichtlich. Insbesondere werden Masseschmälerungen und Informationsbeeinträchtigungen eine strafwürdige Verletzungstypik aufweisen, wenn sich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit eine zeitlich entfernt liegende Zahlungsunfähigkeit vorhersagen lässt. Auch Gründe der Tatbestandsbestimmtheit lassen sich, wie noch zu zeigen sein wird, nicht gegen lange Prognosezeiträume anführen.595 Im Ergebnis ist daher der Prognosezeitraum weder nach dem letzten Fälligkeitsdatum der bereits im Betrachtungszeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten noch nach wie auch immer gearteten festen Zeitgrenzen zu bemessen, sondern danach, für welchen Zeitraum sich noch mit hinreichender (überwiegender) Wahrscheinlichkeit die Aussage künftiger Zahlungsunfähigkeit treffen lässt. Der Ansatz der Legaldefinition der InsO kann demnach für die Bankrottdelikte keine Geltung beanspruchen. 592 Kritisch gegenüber starren Prognosezeiträumen (aus insolvenzrechtlicher Sicht für die parallele Problematik im Rahmen der zweistufigen Überschuldungsprüfung) auch Nonnenmacher, in: FS-Moxter, S. 1325, und Spliedt, DB 1999, 1944, die vorbringen, die Beschränkung auf das laufende und das nächste Geschäftsjahr berge insofern eine erhebliche Gefahr für die Gläubiger, als dem Schuldner die Möglichkeit eröffnet werde, sein Unternehmen nur deshalb fortzuführen (aus strafrechtlicher Sicht dementsprechend: Bankrotthandlungen vornehmen zu dürfen), weil er seine Zahlungsfähigkeit auch durch solche Maßnahmen aufrechterhalten dürfe, die sich zwar – wie der Verkauf von betriebsnotwendigem Vermögen – kurzfristig positiv, langfristig aber negativ auf die Zahlungsmittelsituation auswirkten. 593 So auch für die die Fortbestehensprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung Groß/Amen, WPg 2002, 232 f.; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 37; H. P. Müller/ Haas, in: Kölner Schrift, S. 1806 Rn. 18; Temme, S. 126 f. 594 Vgl. für die Fortbestehensprognose im Rahmen der zweistufigen Überschuldungsprüfung Drukarczyk, in: FS-Moxter, S. 1244 Fn. 30; Spliedt, DB 1999, 1944; für das Ertragswertverfahren unterteilt man daher die Prognose der zukünftigen finanziellen Überschüsse in die nähere Phase der nächsten ca. 5 Jahre, in der sie detailliert geschätzt werden, und die fernere Phase, in der mit mehr oder weniger pauschalen Fortschreibungen der Detailplanungen der näheren Phase gearbeitet wird; s. hierzu Helbling, S. 379 ff.; Kuhner/Maltry, S. 97 f.; WP-Hdb. II, S. 50 ff., s. a. Nonnenmacher, in: FS-Moxter, S. 1326. 595 s. u. III.
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2. Die zu berücksichtigenden Positionen Zu klären ist außerdem, welche zukünftigen Zahlungsströme in die Prognose einzubeziehen sind. Dass in die Zukunftsbetrachtung – ausgehend von einem Anfangsbestand an Zahlungsmitteln – alle bis zum Ende des Betrachtungszeitraums (voraussichtlich) erfolgenden Zahlungseingänge (Einzahlungen) zu berücksichtigen sind, liegt auf der Hand; auf der „Passivseite“ sind jedenfalls die auf im Betrachtungszeitpunkt bestehende Zahlungsverpflichtungen zu leistenden Auszahlungen einzubeziehen.596 Umstritten sind jedoch die im Folgenden behandelten Positionen. a) Noch nicht begründete Zahlungspflichten Durch den Gesetzestext und die Gesetzesbegründung der InsO ist insoweit die schon zuvor im Hinblick auf den Prognosezeitraum angesprochene und nach dem Willen des Gesetzgebers auch für das Strafrecht relevante Frage aufgeworfen worden, ob ausschließlich diejenigen Auszahlungen zu berücksichtigen sind, die auf bereits im Betrachtungszeitpunkt bestehenden Zahlungsverpflichtungen beruhen, oder ob auch solche bereits absehbaren Auszahlungen, die auf erst künftig entstehenden Verpflichtungen beruhen, einzubeziehen sind. Eine eher vereinzelt gebliebene Auffassung lehnt die Einbeziehung noch nicht entstandener Verpflichtungen unter Hinweis auf den Wortlaut des § 18 Abs. 2 InsO ab,597 während die h. M. von einer grundsätzlichen Berücksichtigung zukünftiger Forderungen ausgeht, allerdings beschränkt auf solche, die bis zum Ende des im Sinne der InsO festgelegten Prognosezeitraums fällig werden598. Auf der Grundlage der hiesigen Ansicht, dass sowohl die Gläubiger der im Betrachtungszeitpunkt aktuellen, als auch die Gläubiger der bis zum Zusammenbruch (§ 283 Abs. 6) künftig entstehenden Forderungen in den Schutz des § 283 einbezogen sind, versteht sich die Berücksichtigung der letztgenannten Forderungen in der Prognosebetrachtung von selbst. Auch auf der Grundlage der Vorgaben der InsO kann die Entscheidung indes nicht anders ausfallen, weil eine im Betrachtungszeitpunkt noch nicht bestehende, aber zeitnah entstehende 596 RegE, BT-Drs. 12/2443, S. 115; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 9, 11; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 10; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 28; Reck, BuW 1997, 746; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 53. 597 Wegner, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, S. 512 f. Rn. 87; aus insolvenzrechtlicher Sicht Burger/Schellberg, KTS 1995, 572; dies., BB 1995, 264; vgl. – allerdings kritisch – Jäger, DB 1986, 1446. 598 Bittmann, wistra 1998, 325 f.; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 139; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 11; Röhm, S. 144; Uhlenbruck, wistra 1996, 4; aus insolvenzrechtlicher Sicht FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 10; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 11; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 10; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 7; Temme, S. 61 ff.
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Verbindlichkeit dann den für die Erfüllung der bereits bestehenden Verbindlichkeiten relevanten Zahlungsmittelbestand reduziert, wenn sie noch vor deren Fälligkeitszeitpunkt fällig und dementsprechend beglichen wird.599 Nur die Berücksichtigung auch solcher Forderungen kann somit die vom Gesetzgeber in § 18 Abs. 2 InsO aufgeworfene Frage beantworten, ob die bereits bestehenden Verpflichtungen voraussichtlich im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit vom Schuldner beglichen werden können. In die Prognosebetrachtung sind mithin auch die künftigen, im Prognosezeitraum voraussichtlich entstehenden Verbindlichkeiten einzubeziehen. b) Drohende Verluste? Demgegenüber handelt es sich bei der im insolvenzrechtlichen wie im insolvenzstrafrechtlichen Schrifttum diskutierten Frage, ob auch drohende Verluste im Rahmen der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu berücksichtigen sind,600 um ein bloßes Scheinproblem. Diese Frage stellt sich etwa in dem von Uhlenbruck gebildeten Fall, in dem sich ein Kaffeeimporteur beim Einkauf der Kaffeeernte verkalkuliert und bereits heute weiß, dass er den Kaffee zu diesem Preis nicht wird absetzen können.601 Verfehlt ist hier die Frage, ob die aus dem Geschäft drohenden Verluste unmittelbar als zukünftige Zahlungsverpflichtung in die Prognose einzustellen sind,602 weil die Verpflichtung zur Kaufpreiszahlung eine unzweifelhaft bereits bestehende Verpflichtung darstellt; sie ist also ohnehin zu berücksichtigen. Allerdings findet die Tatsache, dass aus dem Geschäft Verluste erwachsen, die möglicherweise die Liquiditätslage beeinflussen, insofern durchaus Berücksichtigung, als im Rahmen der voraussichtlichen zukünftigen Einzahlungen nicht die ursprünglich kalkulierten höheren Absatzpreise anzusetzen sind, sondern nur
599 Bittmann, wistra 1998, 325 f.; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 10; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 11; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 10; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 7; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 139; Röhm, S. 144; Temme, S. 61 ff. bindet dieses Argument an die Formulierung des § 18 Abs. 2 InsO an, demzufolge der Schuldner „voraussichtlich“ nicht in der Lage sein dürfe, seine bestehenden Verbindlichkeiten zu erfüllen; dies sei aber schon dann der Fall, wenn der Zahlungsmittelbestand aufgrund der Erfüllung zwischenzeitlich entstehender und fällig werdender Verbindlichkeiten hierzu nicht ausreiche. 600 Dafür Bittmann, wistra 1998, 326; ders., Insolvenzstrafrecht, § 7 Rn. 39; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 5 a. E.; anders allerdings ders., KTS 1994, 171; ders., wistra 1996, 3; dagegen Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 7; offen gelassen bei Sch/Sch/Stree/ Heine, § 283 Rn. 53. 601 KTS 1994, 171; wistra 1996, 3. 602 So aber offenbar Bittmann, wistra 1998, 326; ders., Insolvenzstrafrecht, § 7 Rn. 39; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 5 a. E.
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die realistischerweise erzielbaren. Im Ergebnis handelt es sich hierbei also um ein Prognoseproblem auf der „Aktivseite“ der Zahlungsfähigkeitsprognose.603 3. Die Prognosewahrscheinlichkeit Der in der Legaldefinition des § 18 Abs. 2 InsO verwendete Begriff „voraussichtlich“ impliziert, dass die künftige Zahlungsunfähigkeit im Betrachtungszeitpunkt nicht mit Sicherheit feststehen muss. Er trägt der Tatsache Rechnung, dass zukünftige Entwicklungen nur unvollkommen vorweggenommen werden können. In der Begründung des Regierungsentwurfs heißt es insoweit: „Das Wort „voraussichtlich“ in Absatz 2 ist so zu verstehen, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit wahrscheinlicher sein muss als deren Vermeidung“.604 Diese Formulierung legt es nahe, dass der Gesetzgeber die Wahrscheinlichkeit der Zahlungs(un)fähigkeit in Anlehnung an die im Rahmen der Überschuldungsprüfung festzustellende Wahrscheinlichkeit der Fortführung bestimmt wissen wollte; auch hier ist von überwiegender Wahrscheinlichkeit die Rede (vgl. § 19 Abs. 2 S. 2 InsO). Dementsprechend wird in der insolvenzrechtlichen605 wie in der insolvenzstrafrechtlichen606 Literatur eine (subjektive)607 Wahrscheinlichkeit der
603 Temme, S. 60; zutreffend weist er auch darauf hin, dass die Lösung des von Uhlenbruck (KTS 1994, 171) angeführten Falls der geltend gemachten, aber bestrittenen Produkthaftungsansprüche keine Frage der Berücksichtigung drohender Verluste sei; entscheidend ist hier allein, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass die geltend gemachten Ansprüche tatsächlich bestehen und durchsetzbar sind, es handelt sich also i. E. um eine Frage der Prognosewahrscheinlichkeit; vgl. insoweit auch Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 27. 604 BT-DrS. 12/2443, S. 115. 605 Burger, DB 1992, 2152; Burger/Buchhart, WPg 1999, 157; Burger/Schellberg, BB 1995, 265; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, 11; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 13; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 14; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 9; Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 24; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 6. 606 Bieneck, StV 1999, 45; Bittmann, Insolvenzstrafrecht, § 7 Rn. 45; Bretzke, S. 106 ff.; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 8; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 139; Moosmayer, S. 170 f.; Reck, BuW 1997, 746 f.; Röhm, S. 149. 607 Objektive Wahrscheinlichkeiten i. S. v. statistischen Aussagen über die relative Häufigkeit eines Ereignisses sind für künftige Finanzplanergebnisse nicht gewinnbar, weil es an den Voraussetzungen zur Ermittlung solcher Ergebnishäufigkeiten – homogene Grundgesamtheit und Zeitstabilität – fehlt; bei einmaligen Ereignissen, bei denen ein wiederholter Ablauf unter konstanten Bedingungen nicht stattfindet, sind solche objektiven Wahrscheinlichkeiten schlichtweg nicht existent. Zu erlangen sind daher nur Aussagen über die individuelle Überzeugung einer Person von der Wahrheit einer Hypothese – künftige Zahlungsfähigkeit bzw. Zahlungsunfähigkeit –, also subjektive Glaubwürdigkeitsziffern. Bedeutung hat die Frage insbesondere für den Umfang der Nachprüfbarkeit; so ist die Angabe einer subjektiven Wahrscheinlichkeit letztlich allein auf Plausibilität zu überprüfen, also darauf, ob eine „vernünftige“ Beziehung zwischen dem Prognoseergebnis und dem jeweils verfügbaren Wissen herzustellen ist;
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Zahlungsunfähigkeit von > 0,5 als drohende Zahlungsunfähigkeit angesehen, wobei z. T. gefordert wird, der Grad der Wahrscheinlichkeit müsse umso höher sein, je länger sich der Prognosezeitraum erstrecke608. Mag der Gesetzgeber dementsprechend auch für das Insolvenzstrafrecht eine Wahrscheinlichkeit des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit von > 0,5 für erforderlich halten, stellt sich doch aus der teleologischen Sicht der §§ 283 ff. die Frage, ob man nicht zum Schutz der Gläubigerinteressen bereits eine geringere Eintrittswahrscheinlichkeit ausreichen lassen sollte, um dem Schuldner das Unterlassen von Bankrotthandlungen aufzuerlegen. In Betracht käme etwa der Maßstab, dass der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit nicht ganz unwahrscheinlich ist, etwa im Sinne einer Eintrittswahrscheinlichkeit von nur 0,2.609 Eine solche geringe Prognosewahrscheinlichkeit dürfte allerdings kaum zu handhaben sein. Denn dann dürfte der Schuldner kaum je einmal von seiner künftigen Zahlungsfähigkeit ausgehen, da angesichts der vielfältigen Abhängigkeiten der Wirtschaft immer eine Restwahrscheinlichkeit eines künftigen Finanzplandefizits bleibt.610 Ein solcher Maßstab erscheint insofern auch unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit bedenklich. Forderte man umgekehrt eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit,611 würde der Gläubigerschutz zu weit zurückgedrängt.612 Der dem Willen des Gesetzgebers der InsO entsprechende Maßstab der überwiegenden Wahrscheinlichkeit erscheint daher auch im Insolvenzstrafrecht als sachgerecht.613
eingehend Bretzke, S. 92 ff.; Burger/Schellberg, BB 1995, 265; Drukarczyk/Schüler, WPg 2003, 60; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 14. 608 Bittmann, wistra 1998, 325; FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 14; Jaeger/H.-F. Müller, § 18 Rn. 14; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 53; Wegner, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, S. 512 Rn. 85. 609 Vgl. in diesem Sinne etwa Bieneck, StV 1999, 44, der für die Fortführungsprognose im Rahmen der zweistufigen Überschuldungsprüfung fordert, es müssten „schwerwiegenden Umständen“ für die Fortführung sprechen. 610 Bretzke, S. 104 f. 611 Vgl. in diesem Sinne für die Fortführungsprognose im Rahmen der zweistufigen Überschuldungsprüfung Lackner/Kühl, § 283 Rn. 6; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 155; Moosmayer, S. 161; Uhlenbruck, wistra 1996, 6; Wessels/Hillenkamp, BT/2, Rn. 461, nach deren Auffassung „in dubio pro reo“ von der Fortführung bereits dann auszugehen ist, wenn sie nicht ganz unwahrscheinlich ist. 612 Bretzke, S. 108 f.; vgl. Drukarczyk/Schüler, WPg 2003, 65, 67. 613 Demgegenüber für eine von der insolvenzrechtlichen abweichende Bestimmung des Wahrscheinlichkeitsgrades Wegner, in: Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, S. 512 Rn. 85, allerdings ohne einen konkreten Vorschlag zu machen.
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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4. Die Prognosemethode Erhebliche Probleme bereitet auch die Beantwortung der Frage, auf welchem Wege der Schuldner oder retrospektiv der Richter zu einem solchen Wahrscheinlichkeitsurteil über die künftige Zahlungsfähigkeit gelangen soll.614 Hinsichtlich der Prognosemethoden ist zwischen zwei grundlegend verschiedenen Ansätzen zu unterscheiden, nämlich der betriebswirtschaftlichen und der kriminalistischen, an Indizien orientierten Methode. a) Die betriebswirtschaftliche Methode Als dasjenige Prognoseinstrument, das aus betriebswirtschaftlicher Sicht einen rechnerischen Nachweis drohender Zahlungsunfähigkeit erlaubt, wird mittlerweile mehr oder weniger einhellig – auch vom Gesetzgeber der InsO – ein Liquiditäts- oder Finanzplan genannt.615 Eine Absage wird damit v. a. den sog. Bilanzkennzahlen erteilt. Diese werden in der Betriebswirtschaftslehre zur Liquiditätsanalyse616 auf der Grundlage veröffentlichter Jahresabschlüsse herangezogen. Zur Bestimmung der kurzfristigen Liquidität werden diejenigen Vermögenspositionen, die kurzfristig liquide zur Deckung zur Verfügung stehen, und die kurzfristigen Verbindlichkeiten in Beziehung gesetzt.617 Zur Beurteilung der langfristigen Liquidität stellt man das Eigenkapital (und das langfristige Fremdkapital) dem Anlagevermögen gegen614 Für diejenigen Vertreter, die im Rahmen der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit eine Zeitraumbetrachtung fordern, stellt sich das Problem – in geringerem Umfang – schon dort; die retrospektive Feststellung wird hier allerdings häufig auch ohne „nachträgliche Prognose“ auskommen, da eine Zahlungseinstellung (§ 283 Abs. 6) insoweit als gewichtiges Indiz dienen kann. Aus strafrechtlicher Sicht an der Sache vorbei geht es, wenn Röhm, S. 148, Fn. 538 – nunmehr aus insolvenzrechtlicher Sicht – argumentiert, der Insolvenzantrag werde i. d. R. nicht vor Ablauf des – nach seiner Ansicht dreiwöchigen – Betrachtungszeitraums gestellt, so dass eine Prognose ohnehin entbehrlich sei. 615 RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 115; Burger, DB 1992, 2151; Burger/Schellberg, BB 1995, 264; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 109 ff. Rn. 40 ff.; FK-InsO/ Schmerbach, § 18 Rn. 10; Kübler/Prütting/Pape, § 18 Rn. 7; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 141; Möhlmann, WPg 1998, 956 ff.; Moosmayer, S. 171; Nerlich/Römermann/Mönning, § 18 Rn. 28; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 100; Röhm, S. 149 f.; Temme, S. 65 ff.; dem Grunde nach auch Matzen, S. 88 ff., der auch umfassend zur Untauglichkeit anderer betriebswirtschaftlicher Instrumente Stellung nimmt (S. 65 ff.). 616 Zum Unterschied zwischen den Begriffen Liquidität und Zahlungsfähigkeit s. Matzen, S. 26 ff. 617 Man unterscheidet insoweit die Liquidität ersten bis dritten Grades, je nachdem, ob den kurzfristigen Verbindlichkeiten nur die Zahlungsmittel (Liquidität ersten Grades) oder auch die kurzfristigen Forderungen (Liquidität zweiten Grades) und die Bestände (Liquidität dritten Grades) gegenübergestellt werden (Weber, DB 1981, 901 ff.; Wöhe, Allg. BWL, S. 657; ders., Bilanzierung, S. 816).
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
über (sog. Deckungsgrade A und B).618 Diesen bestandsorientierten Liquiditätskennzahlen wird indes insbesondere deshalb nur eine geringe Aussagekraft beigemessen, weil sie aus der Bilanz abgeleitet werden und damit nur die Verhältnisse am Bilanzstichtag wiedergeben; für eine in die Zukunft gerichtete Liquiditätsaussage sind sie hingegen naturgemäß kaum geeignet.619 Zudem sagen die Bilanzzahlen nichts über die genaue Fälligkeit der Forderungen, so dass die Liquiditätskennzahlen nur das durchschnittliche Deckungsverhältnis angeben, das vom tatsächlichen Deckungsverhältnis erheblich abweichen kann.620 Bei einem Finanzplan handelt es sich demgegenüber um eine systematische Gegenüberstellung der prognostizierten Ein- und Auszahlungen eines Unternehmens für einen bestimmten, zukünftigen Zeitraum.621 Er erlaubt im Idealfall die Feststellung, wann, wofür und in welcher Höhe zukünftige Liquiditätsbewegungen im Prognosezeitraum stattfinden.622 Es darf dabei indes nicht übersehen werden, dass der Finanzplan nicht mehr ist als ein formaler Rahmen, der durch die für die Zukunft prognostizierten Ein- und Auszahlungen auszufüllen ist. Für die eigentliche Prognoseleistung kennt die Betriebswirtschaftslehre im Wesentlichen drei unterschiedliche Techniken, nämlich subjektive Planzahlverfahren, extrapolierende und kausale Verfahren.623 So einig man sich auch über die grundsätzliche Eignung des Finanzplans als formales Prognoseinstrument ist, so unklar ist doch dessen konkrete Ausgestaltung. Da diese sich insoweit stellenden betriebswirtschaftlichen Fragen im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht abschließend geklärt werden können, sollen hier nur einzelne Grundanforderungen angesprochen werden:624
618
Rehkugler/Poddig, S. 189 f.; Wöhe, Bilanzierung, S. 816. Rehkugler/Poddig, S. 189 f., 192; Schaub, DStR 1993, 1486; Weber, DB 1981, 906 f.; Wöhe, Allg. BWL, S. 658, 1059 f.; ders., Bilanzierung, S. 834. 620 Wöhe, Bilanzierung, S. 834. 621 Wöhe, Allg. BWL, S. 658. 622 Möhlmann, WPg 1998, 956. 623 Subjektive Planzahlverfahren basieren insbesondere auf subjektiven Erfahrungen des Prognoseerstellers und verzichten auf mathematisch-statistische Methoden. Bei der Extrapolation wird untersucht, ob die in der Vergangenheit beobachtete Entwicklung einer für das Unternehmen relevanten Variablen Gesetzmäßigkeiten aufweist; eine von den festgestellten Gesetzmäßigkeiten abweichende Entwicklung („Ausreißer“) wird ausgeklammert, die Zukunftsbetrachtung der Variablen basiert allein auf der grundsätzlichen Entwicklungsrichtung (Trend). Bei den kausalen Techniken wird ebenfalls zunächst eine Vergangenheitsanalyse vorgenommen, allerdings mit dem Ziel, bestimmte Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge – also Beziehungen zwischen verschiedenen Variablen – aufzuspüren. S. hierzu Bretzke, S. 179 f.; Perridon/Steiner, S. 603 ff.; Temme, S. 75 ff. 624 Beispiele für den Aufbau von Finanzplänen finden sich etwa bei Bretzke, S. 182 ff.; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 42; Matzen, S. 96 f.; Möhlmann, WPg 1998, 959; Temme, S. 69 f. 619
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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Der Finanzplan muss zunächst termingenau sein.625 Er hat den Prognosezeitraum zu diesem Zweck in Perioden (bzw. Intervalle) zu unterteilen. Er muss die Ein- und Auszahlungen in den Perioden erfassen, in denen sie anfallen bzw. zu zahlen sind. Die Perioden werden grundsätzlich einen Zeitraum von einer Woche oder maximal einem Monat umfassen müssen; werden Anzeichen sichtbar, die auf Zahlungsengpässe hindeuten, wird die Planung – um (dem hiesigen Ansatz der Zahlungsunfähigkeit folgend) eine Zeitpunktilliquidität sichtbar zu machen – theoretisch626 sogar noch engmaschiger werden müssen.627 Der Finanzplan ist dabei nach dem Bruttoprinzip aufzustellen, d.h. die Einund Auszahlungen müssen mit ihren Fälligkeitsterminen einzeln – also unsaldiert – ausgewiesen werden; dies erhöht die Aussagekraft des Plans.628 Der Finanzplan muss zudem vollständig sein und sämtliche Ein- und Auszahlungen im Planungszeitraum erfassen.629 Insbesondere sind – wie zuvor dargelegt – auch die vorhersehbaren, im Beurteilungszeitpunkt noch nicht begründeten Zahlungspflichten, die innerhalb des Prüfungszeitraums fällig werden, einzubeziehen. Schließlich sollte der Finanzplan nicht isoliert von Plan-Bilanzen und einer Plan-Gewinn-und-Verlustrechnung erstellt werden.630 Der Grund hierfür liegt zum einen darin, dass ein Finanzplan die durch das Rechnungslegungs- und Steuersystem vorgegebenen Rahmenbedingungen zu beachten hat, etwa hinsichtlich der Ausschüttungsfähigkeit von Einzahlungsüberschüssen, der Kapitalerhaltungsvorschriften oder Steuerzahlungen, die sich nach dem Ergebnis des Jahresabschlusses bemessen.631 Zum anderen liegt die Bedeutung von Erfolgs625 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 41; Matzen, S. 95, 108 f.; Möhlmann, WPg 1998, 956 f.; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 7. 626 Ob man eine solch aufwendige Planung von jedem Unternehmen verlangen kann, ist dagegen eine Frage des anzusetzen Sorgfaltsmaßstabes; vgl. hierzu bereits C. III., IV. 627 MüKo-InsO/Eilenberger, § 17 Rn. 11; vgl. für eine Staffelung der Planung auch Matzen, S. 95; Möhlmann, WPg 1998, 956 f.; Groß/Amen, WPg 2003, 83; unzureichend erscheint dagegen selbst vor dem Hintergrund der von der h. M. geforderten Berücksichtigung von Zahlungsstockungen der von Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 41 genannte Regelzeitraum von einem Geschäftsjahr bzw. einem Halbjahr. 628 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 109 f. Rn. 41; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 7. 629 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 41; Matzen, S. 108 f.; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 7. 630 Bretzke, S. 195 ff.; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 41; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 7 ff.; vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 18 Rn. 15; Penzlin, S. 87 f., für die im Rahmen der Überschuldungsprüfung anzustellende Fortbestehensprognose. 631 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 41; Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 7.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
bzw. Rentabilitätsanalysen im hiesigen Zusammenhang darin, dass sich durch sie Anhaltspunkte dafür finden lassen, ob es sich bei einem im Finanzplan ermittelten Zahlungsmitteldefizit bereits um einen ernsthaften Krisenzustand handelt; so dürfte ein „bei schlechten Ertragsaussichten und chronischer Unrentabilität festgestelltes künftiges Zahlungsmitteldefizit nicht mit einer bloßen Zahlungsstockung gleichzusetzen sein“632. Unter diesen Grundvoraussetzungen liefert eine Finanzplanung zwar keinen sicheren, aber immerhin einen sachgerechten Weg zur Feststellung der künftigen Zahlungsfähigkeit.633 Eine Frage des Sorgfaltsmaßstabes ist allerdings, ob man eine solch aufwendige und damit auch kostenintensive detaillierte und termingenaue Gegenüberstellung prognostizierter Einzahlungen und Auszahlungen auch noch für weit in der Zukunft liegende Zeiträume wird verlangen können. In der Betriebswirtschaftslehre ist es üblich, für entfernte Zeiträume auf die ebenfalls auf prognostizierten Zahlungsströmen basierende (und damit vom theoretischen Ansatz her zutreffende) Cash-Flow-Prognose zurückzugreifen.634 Dabei wird vereinfachend von einer termingenauen Gegenüberstellung der Zahlungsströme abgesehen und auf Planbilanzen und Planerfolgsrechnungen basierend durch die Gegenüberstellung der voraussichtlichen Gesamteinzahlungen und der Gesamtauszahlungen in der Periode (ein Jahr) ein Periodenüberschuss prognostiziert.635 Insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen wird man solche Vereinfachungen jedenfalls für entferntere Zeiträume zulassen müssen, um die Sorgfaltsanforderungen nicht praxisfern zu überspannen. b) Die kriminalistische Methode Da das Fehlen von Buchführungsunterlagen die Feststellung der (im obigen Sinne definierten) drohenden Zahlungsunfähigkeit auf dem zuvor genannten betriebswirtschaftlich exakten Weg häufig erschwert, wenn nicht gar unmöglich 632
Bretzke, S. 199; vgl. Uhlenbruck, InsO, § 18 Rn. 9. Probleme bereitet insbesondere, wie die Forderung nach einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit im Rahmen der Finanzplanung umzusetzen ist. Überwiegend plädiert man – idealtypisch – für die Anwendung der Szenariotechnik, d. h. es sollen Finanzpläne für verschiedene mögliche Umweltzustände aufgestellt werden. Die einzelnen Szenarien sollen mit subjektiven Eintrittswahrscheinlichkeiten gewichtet werden. Übersteigt die Summe der Eintrittswahrscheinlichkeiten aller Szenarien, für die Zahlungsfähigkeit erwartet wird, den Wert von 0,5, soll der Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit ausgeschlossen sein; hierzu grundlegend Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 113 ff. Rn. 49 ff.; dies., WPg 2003, 59 ff.; ebenso Burger/Buchhart, WPg 1999, 157; Burger/Schellberg, BB 1995, 265; Kübler/ Prütting/Pape, § 18 Rn. 9; ablehnend demgegenüber Groß/Amen, WPg 2002, 233 ff.; dies., WPg 2003, 72 ff., die den eher intuitiven Prognoseansatz einer komparativen Hypothesenwahrscheinlichkeit verfolgen. 634 Wöhe, Allg. BWL, S. 654. 635 Hierzu Wöhe, Allg. BWL, S. 654 f. 633
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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macht, ist vor allem636 für den retrospektiven Nachweis durch das Gericht nach ganz überwiegender Ansicht auch eine auf Indizien beruhende, sog. kriminalistische Feststellungsmethode zuzulassen.637 Als Beweisanzeichen werden insoweit etwa genannt: Wechselproteste, häufige Nichteinlösung von Schecks durch die eigenen Banken, Androhung oder Vornahme der Kündigung von Bankkredit, negatives Ergebnis von Kreditverhandlungen, wachsendes Verlangen der Lieferanten und anderer Gläubiger nach Sicherheiten, gerichtliche Mahnbescheide, erfolglose Vollstreckungsversuche, Ladung zur Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung (§ 807 ZPO), hohe Rückstände an Steuerlasten und Sozialversicherungsbeiträgen.638 Welche Beweisanzeichen im Einzelfall hinreichen, um den Schluss auf das Drohen der Zahlungsunfähigkeit zuzulassen, kann pauschal nicht beantwortet werden; es kommt – wie bei jedem Indizienbeweis – immer auf die jeweilige Fallkonstellation an. Die Einzelumstände sind allerdings immer in Bezug auf die Liquiditätslage zu sehen und insofern an die exakte betriebswirtschaftliche Methode anzulehnen.639
III. Tatbestandsbestimmtheit Wie bei dem ebenfalls ein Prognoseelement beinhaltenden (zweistufigen) Überschuldungsbegriff640 werden auch beim Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit Zweifel an seiner Bestimmtheit geäußert.641 Das verfassungsrechtliche Gebot der Bestimmtheit von Straftatbeständen (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) verlangt, dass der gesetzliche Tatbestand die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreibt, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sein Verhalten auf die Rechtslage einzurichten, und dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennen lassen.642 Sinn des Bestimmtheitsgebots ist also nicht nur, dass der demokratisch legitimierte Gesetzgeber das strafbare Verhalten möglichst exakt festlegt, um so der
636 Allerdings ist drohende Zahlungsunfähigkeit anhand dieser Indizien auch für den Schuldner ex ante erkennbar; NK/Kindhäuser, Vor § 283 Rn. 104. 637 BGH wistra 1987, 219; wistra 1991, 26; wistra 1992, 146; wistra 1993, 184; Hartung, wistra 1997, 11 f.; Hoffmann, DB 1980, 1529; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 142; Moosmayer, S. 168; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 100; Sch/Sch/Stree/ Heine, § 283 Rn. 52; Weyand, Rn. 46; kritisch Matzen, S. 110 ff. 638 s. die umfassenden Auflistungen bei Hartung, wistra 1997, 11 f.; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 142; Weyand, Rn. 46. 639 Hartung, wistra 1997, 12; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 142. 640 s. u. E. V. 4. 641 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 135; Matzen, S. 112 f.; Moosmayer, S. 167, 171; Röhm, S. 151 ff. 642 BVerfGE 25, 269, 285; 32, 346, 362; 47, 109, 120; 71, 108, 114; 87, 209, 223 f.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Gefahr richterlicher Willkür vorzubeugen,643 sondern auch, dass die einzelne Norm eine verhaltenssteuernde Wirkung entfalten kann644. Allerdings würden die Gesetze zu starr und kasuistisch, wollte man den Gesetzgeber um der größtmöglichen Bestimmtheit willen auf die Verwendung rein deskriptiver Merkmale beschränken; um der Vielgestaltigkeit des Lebens Herr zu werden und individualisierende Differenzierungen zu ermöglichen, muss er auch auf allgemeine, normative und wertausfüllungsbedürftige Begriffe zurückgreifen dürfen.645 Diese müssen aber stets (v. a.: teleologisch) auslegungsfähig und in ihrem Aussagegehalt für den Normadressaten noch erkennbar sein;646 er muss wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennen können647. Aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen dem Aspekt der Rechtssicherheit und demjenigen materieller Gerechtigkeit können die Anforderungen an die Bestimmtheit variieren; insbesondere die vorgegebene Struktur mancher regelungsbedürftiger Sachverhalte und die Vor- und Nachteile der denkbaren unterschiedlichen Gesetzesfassungen sind insoweit bedeutsam.648 Grundlegend ist insoweit zu bemerken, dass ein komplexer Regelungsbereich wie derjenige der Insolvenz – v. a. im Unternehmensbereich – allein mit starren Begriffen kaum zu erfassen ist.649 Es liegt also bereits in der Natur der Sache, dass die Anforderungen an die Tatbestandsbestimmtheit – wie im Wirtschaftsstrafrecht allgemein – geringer ausfallen müssen als etwa bei den Tötungs- oder Körperverletzungsdelikten, will man die in diesem Lebensbereich anzutreffenden strafwürdigen Verhaltensweisen nicht unbeachtet lassen.650 Zwar kann ein solcher Rückzug des Strafrechts durchaus dessen fragmentarischer Natur entsprechen. Die Freiheit straffreier Betätigung auf der Täterseite drückt sich bei dem Betroffenen aber als Abbau seines strafrechtlich geschützten Freiheitsraumes aus.651 So würde der Verzicht auf den Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit und in der Konsequenz (zumindest)652 auch auf den gleichermaßen 643
BVerfGE 78, 374, 382; BVerfG NStZ 1990, 394. BVerfGE 37, 201, 207; 57, 262; BVerfG NJW 1989, 1663; Sch/Sch/Eser, § 1 Rn. 17 m.w. N. 645 BVerfGE 11, 234, 237; 37, 201, 208; 50, 142, 164; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 13 m.w. N. 646 BVerfGE 48, 48, 56 f.; 73, 206, 235; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 13; Schmidhäuser, in: GS-Martens, S. 242 ff. 647 BVerfGE 73, 206, 235; 92, 1, 23; Sch/Sch/Eser, § 1 Rn. 20. 648 Eingehend Lenckner, JuS 1968, 255, 305 ff.; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 13. 649 Vgl. auch Degener, in: FS-Rudolphi, S. 419. 650 Vgl. K. Schmidt, AG 1978, 339. 651 Lenckner, JuS 1968, 307. 652 Groth (S. 127) weist zutreffend darauf hin, dass selbst der zeitlich nachgelagerte Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit wegen des Merkmals der voraussichtlichen Dauerhaftigkeit des Unvermögens zur Erfüllung der fälligen Verbindlichkeiten nicht ohne ein Prognoseelement auskommt, so dass, wollte man strengere Maßstäbe an die erfor644
D. Drohende Zahlungsunfähigkeit
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problembehafteten Überschuldungsbegriff zu einem weitreichenden Verlust an Gläubigerschutz führen. Dass sich der exakte Inhalt des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht auf den ersten Blick erschließt, sollte demnach nicht ohne weiteres das Urteil der verfassungswidrigen Unbestimmtheit nach sich ziehen. Immerhin hat sich gezeigt, dass bei einer an den dem Bankrotttatbestand zugrunde liegenden Wertungsgesichtspunkten – Schutz der Gläubigerinteressen einerseits, Berücksichtigung der Freiheitsräume des Schuldners und der Strafwürdigkeit andererseits – orientierten teleologischen Auslegung eine recht klare inhaltliche Bestimmung des Begriffs möglich ist. Dem Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit wohnt insofern jedenfalls ein deutlich höherer – eine teleologische Auslegung ermöglichender – materieller Gehalt inne als Begriffen wie etwa dem „grober Unfug“653 oder der „öffentliche Ordnung“654, bei denen sogar die maßgeblichen Wertungsgesichtspunkte im Dunkeln bleiben. Die Festlegung auf den Finanzplan als maßgebliches Prognoseinstrument hat zudem durch die InsO eine gewisse rechtliche Anerkennung erfahren: ein solcher ist ebenso wie eine Plan-Bilanz und eine Plan-Ergebnisrechnung gemäß § 229 InsO im Rahmen eines Insolvenzplanverfahrens aufzustellen, wenn die Gläubiger aus den Erträgen des fortzuführenden Unternehmens befriedigt werden sollen. Das theoretische Konzept des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit erscheint insofern – bei aller der Struktur wirtschaftlicher Zusammenhänge geschuldeten Komplexität – hinreichend bestimmt. Diese Einschätzung teilte auch der Gesetzgeber des 1. WiKG, der nur die Aufnahme der drohenden Überschuldung als Krisenmerkmal aus Gründen mangelnder Bestimmtheit unterließ, während er solche Bedenken im Hinblick auf den Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit offenbar nicht hatte.655 Dafür, dass zudem der Strafgesetzgeber Prognoseelemente nicht grundsätzlich für mit Art. 103 Abs. 2 GG unvereinbar hält, sprechen die ebenfalls Prognoseanteile aufweisenden §§ 56 Abs. 1, 57 Abs. 1, 57a Abs. 1 S. 2, 59 Abs. 1 S. 1, 63, 64 Abs. 1, 67d Abs. 2, 68 Abs. 1, 68c Abs. 2, 68e Abs. 1, 70 Abs. 1, 183 Abs. 3.656
derliche Bestimmtheit stellen, letztlich allein der Tatbestand der Zahlungseinstellung herangezogen werden könnte. 653 Selbst dieser wurde vom BVerfG (E 26, 41, 43 f.) noch als hinreichend bestimmt angesehen; a. A. freilich die h. M., s. SK/Rudolphi, § 1 Rn. 14 m.w. N. 654 Für zu unbestimmt gehalten vom BayVerfGH (E 4, 190). 655 s. Bericht und Antrag des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, BTDrS. 7/5291, S. 17. 656 Müller-Gugenberger/Bieneck, 76/34; Röhm, S. 152; dass diese Vorschriften die Deliktsfolgen betreffen, befreit sie nach ganz überwiegender Meinung nicht vom Erfordernis hinreichender Bestimmtheit, wenn auch weniger strenge Maßstäbe angelegt werden; Sch/Sch/Eser, § 1 Rn. 23 m.w. N.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Nicht überzeugen kann es demgegenüber, wenn z. T. aus der Unsicherheit einer Prognose, also der Gefahr der Falsifizierung, ein Bestimmtheitsdefizit abgeleitet wird.657 Denn mag sich auch letztlich die Realität anders darstellen als zum Prognosezeitpunkt erwartet, so wird doch vom Normadressaten erkennbar nicht mehr verlangt als eine ex ante plausible Prognose. Worauf sich diese Prognose zu beziehen hat, kann er der Vorschrift im Wege der Auslegung mit hinreichender Sicherheit entnehmen. Hieran ändert sich auch bei langen Prognosezeiträumen nichts. Die Gefahr der Falsifizierung der Prognose stellt sich insofern letztlich nicht als Problem der Tatbestandsbestimmtheit, sondern v. a. als solches der Wirksamkeit des Gläubigerschutzes dar. Allenfalls ließe sich erwägen, eine hinreichende Bestimmtheit des Begriffs deshalb in Zweifel zu ziehen, weil bei einem Teil der in den Finanzplan einzubeziehenden Posten unklar ist, mit welchem Wert sie anzusetzen sind. Insbesondere der Forderungsbestand des Schuldnerunternehmens wirft insoweit Probleme auf, weil die Möglichkeit eines Ausfalls niemals ausgeschlossen werden kann und sich bei manchen Schuldnern des Normadressaten, etwa wegen bereits bekannter Zahlungsschwierigkeiten, sogar aufdrängen mag.658 Dass diese Bewertungsunsicherheiten die Subsumtion erschweren, liegt auf der Hand. Allerdings sind diese Subsumtionsschwierigkeiten weniger einer besonderen Nachgiebigkeit des Gesetzesbegriffs geschuldet; vielmehr dürfte ihre Ursache insbesondere in der Feststellbarkeit der für die Subsumtion erforderlichen tatsächlichen Umstände liegen. So hängt die Werthaltigkeit der einzelnen in den Finanzplan einzubeziehenden Positionen maßgeblich von einer Reihe von Umständen ab, die dem Normadressaten (Schuldner) weitgehend verborgen bleiben, wie etwa der aktuellen Unternehmens- und Zahlungsmittelsituation seiner Abnehmer, gegen die er Forderungen innehat.659 Hingegen ist das theoretische Konzept des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit auch insoweit hinreichend klar umrissen; die genannten Bewertungsprobleme sind daher eher der Unsicherheit der Tatsachengrundlage und nicht der mangelnden Bestimmtheit der Tatbestandsumschreibung zuzuschreiben.660
657 In diese Richtung LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 135; Moosmayer, S. 167; vgl. auch Bittmann, wistra 1998, 325 und Röhm, S. 152 ff., die aus diesem Grunde zumindest die Länge des Prognosezeitraums beschränken wollen. 658 Zu diesem Problem eingehend Matzen, S. 98 ff. 659 Vgl. für Bewertungsunsicherheiten im Rahmen der Überschuldungsfeststellung Franzheim, NJW 1980, 2503 f.; Penzlin, S. 99. 660 Diesen – nicht zu leugnenden – Bewertungsunsicherheiten wird letztlich auch dadurch Rechnung getragen, dass für das Prognoseergebnis nur ein bestimmter Wahrscheinlichkeitsgrad (> 0,5) sprechen muss. Geht man bei der Bestimmung der für und gegen den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit sprechenden Wahrscheinlichkeiten nach der Szenariomethode (s. hierzu Fn. 633) vor, ist bei einem Szenario der Ausfall der betreffenden Forderung, bei einem anderen die Durchsetzbarkeit der Forderung zugrunde zu legen.
E. Überschuldung
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E. Überschuldung Zu der Frage, wie die Überschuldung im Bankrottstrafrecht zu definieren ist, finden sich im Wesentlichen dieselben Auffassungen, die auch im Insolvenzrecht seit Jahrzehnten kontrovers diskutiert wurden. Die bankrottstrafrechtliche Diskussion orientiert sich dabei häufig ohne Ansehung spezieller teleologischer Gesichtspunkte an der im Insolvenzrecht geführten. Einigkeit herrscht noch insofern, als eine Überschuldung dann vorliegt, wenn das Vermögen des Schuldners seine Verbindlichkeiten nicht mehr deckt; eine Definition, die sich heute661 auch in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO findet. Zur Berechnung der Überschuldung bedient man sich eines sog. Überschuldungsstatus, einer speziellen Bilanz, in die, da es um die Darstellung des Schuldendeckungspotentials geht, die „wahren“ Werte der Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten aufzunehmen sind.662 Der Streit um den zutreffenden Überschuldungsbegriff rankt sich dann allerdings um die Frage, unter welcher Prämisse die einzelnen Größen zu bewerten sind, sowie darum, ob man es bei einem bloßen Gegenüberstellen zweier Zahlenreihen belassen kann oder ob die Zweckrichtung des Tatbestandes die Aufnahme weiterer Elemente in die Überschuldungsdefinition erfordert.
I. Der statische Ansatz von Liquidationswerten Zum Teil ging und geht man im strafrechtlichen Schrifttum auch heute noch davon aus, dass sich die Überschuldungsfeststellung jedenfalls im Bankrottstrafrecht ausschließlich aus einer Gegenüberstellung der Aktiven und der Passiven zu ergeben habe. Die Aktivposten der Überschuldungsbilanz seien dabei statisch – also ohne Berücksichtigung der Zukunftsaussichten des Unternehmens – unter der Annahme der Liquidation des schuldnerischen Vermögens zu bewerten;663 ein Ansatz, der im Zivilrecht aufgrund seiner Statik nur noch für den Nachlass661 Sie war früher bereits in den §§ 130a Abs. 1 S. 1 HGB, 64 Abs. 1 S. 2 GmbHG, 92 Abs. 2 S. 2 AktG, 98 Abs. 1 Nr. 2 GenG enthalten. 662 Hieraus ergibt sich, dass die handelsrechtlichen Bewertungsgrundsätze der §§ 252 ff. HGB für die Aufstellung der Überschuldungsbilanz nach der ganz h. M. nicht herangezogen werden können (BGHSt 15, 306, 309; Groth, S. 28; Harneit, S. 11; LK/Tiedemann, Vor § 283, Rn. 151; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 92; Weyand, Rn. 30; aus zivilrechtlicher Sicht etwa BGH NJW 1992, 2894; Blumers, BB 1976, 1442; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 4 m.w. N.). Sie sind am Zweck der Handelsbilanz orientiert, durch Gegenüberstellung des Anfangs- und des Endbestandes den unternehmerischen Erfolg, also das innerhalb des Bilanzzeitraumes erzielte Betriebsergebnis, darzustellen. Auf diesem Wege soll ein ausschüttungsfähiger Betrag festgelegt werden. Die Handelsbilanzen sind nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung zu erstellen und veranschlagen aufgrund des Vorsichtsprinzips vor allem die Aktiva zu niedrig und weisen keine stillen Reserven aus (Crezelius, JA 1990, 367, 368 f.; Weyand, Rn. 30; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 4); a. A. Höffner, BB 1999, 254; Stypmann, wistra 1985, 91 ff.; Vonnemann, BB 1991, 869 ff.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
konkurs als zweckmäßig angesehen wird664. Akzeptiere man, dass die Frage des Wertmaßstabes einer Bilanz von ihrem Bilanzzweck abhängig sei, komme für die Überschuldungsbilanz zur Feststellung einer Krise im Sinne des Bankrottstrafrechts nur der Ansatz von Liquidationswerten in Betracht, da nur sie dem den §§ 283 ff. zugrundeliegenden Zweck umfassenden Gläubigerschutzes gerecht würden.665 Auf der Aktivseite werden demnach alle schuldnerischen Vermögenswerte erfasst, die im Falle der augenblicklichen Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbständig verwertet werden könnten.666 Der Liquidationswert eines Vermögensbestandteils liegt zwischen dem Schrottwert abzüglich der Beseitigungskosten und dem Marktwert abzüglich der Veräußerungskosten.667 Die konkrete Wertbemessung wird dabei im Wesentlichen durch die (zu erwartende) Auflösungsgeschwindigkeit und die Auflösungsintensität beeinflusst.668 Auf der Passivseite erscheinen alle Verbindlichkeiten des Schuldners, die im Fall der Insolvenz aus der Masse bedient werden müssen.669 Ergibt die Gegenüberstellung der Aktiva und Passiva das Überwiegen der letzteren, ist der Schuldner rechnerisch und damit nach dieser Auffassung auch im rechtlichen Sinne überschuldet.
II. Der herkömmliche zweistufige Überschuldungsbegriff 1. Der theoretische Ansatz Dem herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff ist als demjenigen Ansatz, der nunmehr in § 19 Abs. 2 S. 2 InsO gesetzlich als Eröffnungsgrund festgeschrieben ist, besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich erscheint es unter dem Gesichtspunkt des gesetzgeberischen Willens und der Normenklarheit wünschenswert, ihn auch den Bankrottdelikten zugrunde zu legen. Nach diesem herkömmlichen Zweistufenmodell richtet sich die Bewertung der Aktiva im Überschuldungsstatus nach dem Ergebnis einer Fortbestehenspro663 Franzheim, NJW 1980, 2501 f.; ders., wistra 1984, 212 f.; Hiltenkamp-Wisgalle, S. 239 ff.; Müller/Wabnitz/Janovsky, S. 141; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 99; Sch/Sch/Stree25, § 283 Rn. 51; Weyand 4, S. 43 f. 664 K. Schmidt, JZ 1982, 168; Smid/Smid, § 19 Rn. 11. 665 Franzheim, NJW 1980, 2501 f.; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 99. 666 Weyand, Rn. 36. 667 LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 153; NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 95; detailliert Weyand, Rn. 36. 668 Hierzu eingehend Röhm, S. 190 f.; mit zunehmender Auflösungsgeschwindigkeit, je weniger Zeit also für die Liquidation zur Verfügung steht, sinken regelmäßig die Erlöse; je geringer die Auflösungsintensität, je mehr Vermögensgegenstände also im Rahmen geschlossener Betriebsteile veräußert werden können, umso höher wird regelmäßig der Gesamterlös ausfallen. 669 Zu den Einzelheiten Weyand, Rn. 37 f.
E. Überschuldung
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gnose. Ist der Fortbestand des schuldnerischen Unternehmens nach den Umständen wahrscheinlich, sind nach diesem Ansatz die sog. Fortführungswerte des Aktivvermögens, anderenfalls dessen Liquidationswerte maßgeblich. Dementsprechend liegt nach diesem Ansatz eine Überschuldungssituation dann vor, wenn entweder eine negative Fortführungsprognose zu stellen ist und zugleich ein Überschuldungsstatus eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten ausweist oder wenn bei einer positiven Fortführungsprognose zugleich eine rechnerische Überschuldung nach Fortführungswerten zu verzeichnen ist. Diese Methode der Feststellung der Überschuldung wird auch im bankrottstrafrechtlichen Schrifttum vielfach für einschlägig gehalten, nach Inkrafttreten der InsO insbesondere unter Verweis auf die Grundsatzentscheidung des (Insolvenzrechts-)Gesetzgebers.670 Besondere Schwierigkeiten bereiten im Rahmen dieses Ansatzes die Konkretisierung der Fortführungsprognose und die Bestimmung der Fortführungswerte des Schuldnervermögens. 2. Die Fortführungsprognose Dem Inhalt der sowohl im Rahmen des herkömmlichen wie auch des nachfolgend darzustellenden modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs erforderlichen Fortführungsprognose wurde lange Zeit sowohl im Strafrecht671 als auch im Zivilrecht672 wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Neuen Anstoß zur Klärung der Frage hat die Einfügung der Legaldefinition des § 19 Abs. 2 InsO gegeben, die kaum Anhaltspunkte für den Inhalt der Fortführungsprognose bietet und deren Bestimmung Rechtsprechung und Literatur überlässt.
670 Bieneck, StV 1999, 43 f.; Bittmann, wistra 1999, 10; Höffner, BB 1999, 253 f.; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 6; LK/Tiedemann, § 283 Rn. 155; Moosmayer, S. 163 ff.; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 95 f.; Reck, GmbHR 1999, 272 f.; Sch/Sch/Stree/ Heine, § 283 Rn. 51; Wessels/Hillenkamp, BT/2, Rn. 461; Weyand, Rn. 34; ähnlich früher bereits Schlüchter, Grenzbereich, S. 68 und dies., wistra 1984, 42 f., die von Fortbestehenswerten ausgehen will, „soweit nicht Indizien die kurz bevorstehende Auflösung des Unternehmens klar anzeigen“. 671 Vgl. die knappen oder ganz unterbleibenden Äußerungen zum Inhalt der Fortbestehensprognose bei Höffner, BB 1999, 254; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 6; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 154 f.; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 95; Sch/Sch/Stree/ Heine, § 283 Rn. 51; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 7; Wessels/Hillenkamp, BT/2, Rn. 461; Weyand, Rn. 34; Schlüchter, wistra 1984, 43, misst dem tatsächlichen Zahlungsgebaren und der Begehung von Bankrotthandlungen Indizwirkung zu; Moosmayer, S. 165, beklagt die mangelnde Bestimmtheit, schlägt aber keine Lösung vor. 672 Auch K. Schmidt hat diese Frage – aus Sicht des modifizierten Zweistufenmodells – zunächst uneinheitlich beantwortet; vgl. etwa Kilger/K. Schmidt, § 102 KO Rz. 2) b): „[. . .] der ordentliche Kaufmann prüft, ob das Unternehmen lebensfähig ist, d. h. er hat dessen Rentabilität kritisch zu prüfen“, und Scholz/K. Schmidt8, § 63 Rn. 12: „Für die Prognose ist eine Liquiditätsplanung [. . .] erforderlich“.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
a) Der Prognosegegenstand Mit der Bezeichnung als Fortbestehensprognose ist in Hinblick auf den Gegenstand der Prognose noch nicht viel ausgesagt. Denn die Frage, wonach sich die Lebensfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens bestimmt, ist damit nicht beantwortet. Nach der strengsten Ansicht673 ist die Rentabilität des Unternehmens entscheidend; es sei zu fragen, ob das Unternehmen im Prognosezeitraum Gewinne abwerfen werde. In fließendem Übergang stellt eine weitere Auffassung674 auf die Ertragsfähigkeit des Unternehmens ab. Es müsse – ggf. nach Durchführung von Sanierungsmaßnahmen – in der Lage sein, auf mittlere Sicht ohne Verluste zu arbeiten; die voraussichtlichen Aufwendungen müssten aus den voraussichtlichen Erträgen bestritten werden können, wobei jede Form der Außenfinanzierung außer Betracht zu bleiben habe. Überwiegend wird das Fortbestehen jedoch (schon dann) als gesichert angesehen, wenn es dem Unternehmen voraussichtlich gelingen wird, sich im Prognosezeitraum zahlungsfähig zu halten.675 Wie die Zahlungsfähigkeit erhalten wird, hält man dabei überwiegend für irrelevant, sofern die Schuldentilgung effektiv gewährleistet ist; deshalb seien Maßnahmen der Außenfinanzierung, also Gesellschafterdarlehen, Zuführung von Eigenkapital, sonstige Kredite und auch etwaige Verlustausgleichsansprüche gegen ein herrschendes Unternehmen (§ 302 AktG) zu berücksichtigen.676 Zur Prüfung der künftigen Zahlungsfähig-
673 Die Ansicht wird in der insolvenzstrafrechtlichen Literatur – soweit ersichtlich – nicht vertreten; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Bähner, KTS 1988, 447; Blumers, BB 1976, 1442; Egner/Wolff, AG 1978, 102 f.; HK-InsO/Kirchhof, § 19 Rn. 12; Zilias, WPg 1977, 448. 674 Bittmann, wistra 1999, 14; SK/Hoyer, § 283 Rn. 16; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum FK-InsO/Schmerbach, § 19 Rn. 21; Wolf, DStR 1998, 127 f. 675 Bieneck, StV 1999, 44; Groth, S. 34 ff.; Müller-Gugenberger/Bieneck, 76/26; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 153 ff.; Penzlin, S. 88; Reck, GmbHR 1999, 273; Röhm, S. 177 ff.; aus insolvenzrechtlicher Sicht Bork, ZIP 2000, 1710; Drukarczyk/ Schüler, in: Kölner Schrift, S. 127 Rn. 92; FK-InsO/Schmerbach, § 19 Rn. 21; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 21; IDW FAR, WPg 1997, 23 f.; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 36; Smid/Smid, § 19 Rn. 13; H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1805 f. Rn. 16; Temme, S. 121 ff.; diese Auffassung entspricht der Position des BGH, der auf die Finanzkraft der Gesellschaft abhebt (BGHZ 119, 201, 214); aus Sicht des modifizierten Zweistufenmodells Scholz/K. Schmidt8, § 63 Rn. 12; ders., Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 51 f. 676 s. die soeben Genannten; z. T. werden Außenfinanzierungsmaßnahmen nur dann einbezogen, wenn sie hinreichend gesichert erscheinen, so ausdrücklich Drukarczyk/ Schüler, in: Kölner Schrift, S. 127 Rn. 92; IDW FAR, WPg 1997, 23 f.; Temme, S. 120 ff.; vgl. auch Bork, ZIP 2000, 1710; strenger insoweit Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 22 Fn. 102; H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1805 f. Rn. 16, nach denen Maßnahmen der Außenfinanzierung nur dann berücksichtigt werden sollen, wenn sie vollzogen oder rechtsverbindlich gesichert sind.
E. Überschuldung
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keit wird eine Finanzplanung nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen gefordert.677 b) Die Fortführungswahrscheinlichkeit Die Gesetzesbegründung zu § 19 Abs. 2 S. 2 InsO, der verlangt, die Fortführung des Unternehmens müsse „überwiegend wahrscheinlich“ sein, sieht eine solche überwiegende Wahrscheinlichkeit dann als gegeben an, wenn die Fortführung nach den Umständen wahrscheinlicher ist als die Stilllegung des Unternehmen.678 Dementsprechend wird die für eine positive Prognose erforderliche Fortführungswahrscheinlichkeit im insolvenzrechtlichen Schrifttum mit > 0,5 festgelegt.679 In der insolvenzstrafrechtlichen Literatur wird zum Teil die Anlehnung an die Legaldefinition der InsO befürwortet.680 Zum Teil wird ein restriktiverer Ansatz dahingehend vertreten, § 19 Abs. 2 S. 2 InsO sei insoweit zu modifizieren, als dass „in dubio pro reo“ von der Fortführung bereits dann auszugehen sei, wenn sie nicht ganz unwahrscheinlich ist.681 c) Der Prognosezeitraum Schließlich findet man auch im Hinblick auf die Frage, auf welchen Zeitraum sich die Fortbestehensprognose erstrecken soll, ein weites Spektrum an Vorschlägen: Der BGH hatte in seiner Entscheidung zur Übernahme des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs den Begriff einer „mittelfristigen“ Prognose geprägt682. Überwiegend ging das Schrifttum daraufhin von einem Prognosezeitraum von zwei Jahren aus, der bis zum Ablauf des nächstfolgenden Geschäftsjahres reicht.683 Teilweise werden zur Reduzierung der Prognoseunsicherheit kürzere Zeitabschnitte gewählt.684 677 Aus insolvenzrechtlicher Sicht OLG München GmbHR 1998, 282; OLG Schleswig GmbHR 1998, 536; Bork, ZIP 2000, 1710; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 110 Rn. 41; dies., MüKo-InsO, § 19 Rn. 54; Nonnenmacher, in: FS-Moxter, S. 1324 f.; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 28; vgl. hierzu bereits D. II. 4. a). 678 Rechtsausschuss, BT-DrS 12/7302, S. 157. 679 Drukarczyk/Schüler, WPg 2003, 56 ff.; HK-InsO/Kirchhof, § 19 Rn. 8. 680 Bittmann, wistra 1999, 17; Höffner, BB 1999, 254; SK/Hoyer, § 283 Rn. 14; vgl. Bieneck, StV 1999, 44, der mehr als eine Wahrscheinlichkeit von 0,5 verlangt und zusätzlich fordert, es müssten „schwerwiegende Umstände“ für die Fortführung sprechen. 681 Lackner/Kühl, § 283 Rn. 6; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 155; Moosmayer, S. 161; Uhlenbruck, wistra 1996, 6; Wessels/Hillenkamp, BT/2, Rn. 461. 682 BGH ZIP 1995, 819, 825. 683 Bittmann, wistra 1999, 14; Lackner/Kühl, § 283 Rn. 6; Müller-Gugenberger/ Bieneck, 76/23; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 51; Uhlenbruck, wistra 1996, 6;
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Ein Teil der Stimmen versteht diese Vorschläge allerdings nicht als feste Fristen: es sei auf den konkreten Einzelfall abzustellen und zu überlegen, welcher Zeitraum vernünftigerweise zu prognostizieren sei; dabei müsse auf die Besonderheiten der Branche und des Unternehmens Rücksicht genommen werden, so dass im Einzelfall (Immobilien, Anlagebau, Versorgungswirtschaft etc.) auch eine deutlich längere Planungsperiode angemessen sein könne.685 3. Die Bestimmung der Fortführungswerte Insbesondere aber ist die Frage, wie der im Fall einer positiv ausfallenden Fortführungsprognose anzusetzende Fortführungswert des Schuldnervermögens zu bestimmen ist, weitgehend ungeklärt. Als Grundpositionen lassen sich insoweit das Substanzwertverfahren und das Ertragswertverfahren unterscheiden. a) Das Substanzwertverfahren Überwiegend wird in der Literatur der Fortführungswert des Schuldnervermögens anhand seines Substanzwertes bestimmt. Hierbei wird zum Teil von der Fragestellung ausgegangen, welcher Anteil des Gesamtkaufpreises bei einer Veräußerung des gesamten Unternehmens unter der Prämisse konzeptgemäßer Fortführung auf den einzelnen Gegenstand entfallen würde.686 Der Fortführungswert entspricht hiernach also weitgehend dem steuerlichen Teilwert i. S. d. § 6 Abs. 1 Nr. 1 S. 3 EStG687 und ist zwischen dem Einzelveräußerungspreis (Liquidationswert) bei für den Betrieb überflüssigen Wirtschaftgütern und den Wiederbeschaffungskosten anzusiedeln.688 Z. T. wird der Substanzwert auch ausschließlich anhand der Wiederbeschaffungskosten bestimmt.689
Weyand, Rn. 34; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Bähner, KTS 1988, 452; Bork, ZIP 2000, 1710; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 128 Rn. 95; Groß/ Amen, WPg 2002, 232; Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 21; HK-InsO/Kirchhof, § 19 Rn. 11; IDW FAR, WPg 1997, 24; Kübler/Prütting/Pape, § 19 Rn. 16; Schaub, DStR 1993, 1486. 684 Reck, GmbHR 1999, 273: drei Monate; Röhm, S. 185: ein Jahr. 685 Groß/Amen, WPg 2002, 232 f.; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 37; H. P. Müller/ Haas, in: Kölner Schrift, S. 1806 Rn. 18; Temme, S. 126 f. 686 Schlüchter, wistra 1984, 44 ff.; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Braun/ Kind, § 19 Rn. 23; IDW FAR, WPg 1997, 25; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 46; Kallmeyer, GmbHR 1999, 16; Obermüller, DB 1973, 269; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 46; ders., GmbH & Co. KG, S. 284; i. E. auch Auler, DB 1976, 2170; Pribilla, KTS 1958, 7; Wolf, S. 53. 687 Schlüchter, wistra 1984, 44 ff.; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Braun/ Kind, § 19 Rn. 23; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 46; Kallmeyer, GmbHR 1999, 16; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 46. 688 Zum herrschenden Teilwertverständnis Kirchhof/Fischer, § 6 Rn. 94; Mellwig, in: FS-Moxter, S. 1072 f.
E. Überschuldung
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Wie bei der Überschuldungsbilanz nach Liquidationswerten werden auch hier diejenigen Vermögensgegenstände, die im Insolvenzfall zu den verwertbaren Teilen der Masse gehören würden, in die Überschuldungsbilanz aufgenommen und einzeln bewertet; sie werden denjenigen Verbindlichkeiten gegenübergestellt, die im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber den Insolvenzgläubigern bestünden.690 Der Unterschied zwischen der liquidationsorientierten und der fortführungsorientierten Überschuldungsbilanz liegt allein in der zugrunde gelegten Bewertungsprämisse; in beiden Fällen werden aber Substanzwerte zugrunde gelegt. Vor allem bei positiver Prognose691 wird allerdings von der überwiegenden Zahl der Vertreter des Substanzwertverfahrens der Ansatz eines etwaigen Geschäfts- bzw. Firmenwertes zugelassen, der etwaigen sonstigen wertbildenden Faktoren (technisches Know-how, Ruf des Unternehmens, Kundenstamm, Standort etc.) Rechnung trägt.692 Durch die Zahlung eines solchen Firmenwertes zusätzlich zum reinen Substanzwert gleicht ein potentieller Erwerber des Unternehmens vor allem die künftigen Gewinnerwartungen aus; der Firmenwert repräsentiert so die Differenz zwischen dem Substanz- und dem Ertragswert i. S. d. Unternehmensbewertung.693, 694
689 Aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum HK-InsO/Kirchhof, § 19 Rn. 14; Kübler/Prütting/Pape, § 19 Rn. 9; Smid/Smid, § 19 Rn. 37. 690 Aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum HK-InsO/Kirchhof, § 19 Rn. 14; IDW FAR, WPg 1997, 24 f.; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 44; RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 115; Smid/Smid, § 19 Rn. 24; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 38. 691 Eher selten dürften die genannten wertbildenden Faktoren bei einer negativen Prognose auszumachen sein; in der Literatur wird der Firmenwert daher i. d. R. als Problem der Fortführungsbewertung begriffen. 692 Bittmann, wistra 1999, 13; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Bork, ZInsO 2001, 147 f.; IDW FAR, WPg 1997, 25; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 52; Kallmeyer, GmbHR 1999, 17; H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1809 Rn. 25; Uhlenbruck, GmbH & Co. KG, S. 287; ders., InsO, § 19 Rn. 40; Wolf, S. 68 f.; ablehnend Auler, DB 1976, 2171; Bilo, GmbHR 1981, 106; Kühn, DB 1970, 552. 693 H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1809 Rn. 25; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 40; Wolf, S. 68; will man den abstrakten, nicht am Markt gebildeten Firmenwert errechnen, ist hierzu eine Prognose der zukünftigen Erträge, die das Unternehmen gerechnet auf seine gesamte Lebensdauer erwirtschaften wird, erforderlich (s. hierzu sogleich die Darstellung des Ertragswertverfahrens). 694 Für den prozessualen Nachweis der den Firmenwert bildenden Umstände verlangt man – dem Grundgedanken des Substanzwertmodells entsprechend, nur „greifbare“ Posten auf der Aktivseite zu erfassen – aus zivilrechtlicher Perspektive überwiegend, dass eine Veräußerung des Unternehmens im Ganzen oder von Teilen desselben mit einem Zusatzertrag in Höhe des Firmenwertes als sicher angenommen werden kann; erforderlich ist hiernach also ein Marktnachweis in Form eines konkreten Erwerbsangebotes, das über den Substanzwert hinausgeht. Auf diesem – prozessualen – Weg soll ein nicht durch realisierbare Vermögenswerte abgesichertes Prognoserisiko vermieden werden: aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Bork, ZInsO 2001, 147 f.; IDW FAR, WPg 1997, 25; H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1809 Rn. 25; Uhlenbruck, GmbH & Co. KG, S. 287; ders., InsO, § 19 Rn. 40; Wolf, S. 68 f.; etwas weniger streng auf eine positive allgemeine Marktlage abstellend
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Den Vertretern des Substanzwertverfahrens geht es bei der Erstellung der Fortführungsbilanz darum, ein abstraktes Schuldendeckungspotential der Vermögenssubstanz darzustellen und so die normative Frage zu klären, ob eine unveränderte Fortführung den Gläubigern angesichts des vorhandenen Schuldendeckungspotentials noch zuzumuten ist; ist die Zumutbarkeitsgrenze erreicht, soll eine Überschuldung zu bejahen sein, auch wenn die Fortführung betriebswirtschaftlich noch sinnvoll ist.695 Diese Zumutbarkeitsgrenze siedelt man dort an, wo das Wertverhältnis zwischen dem (voraussichtlich) realisierbaren Fortführungssubstanzwert des Schuldnervermögens und den bestehenden Verbindlichkeiten noch zumindest ausgeglichen (1:1) ist. Ob der errechnete Fortführungssubstanzwert tatsächlich zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehen wird, spielt dabei indes keine Rolle; es handelt sich insoweit um einen rein abstrakten Wert.696 Die Überschuldungsprüfung stellt sich nach diesem Ansatz als statischer, zeitpunktbezogener Bewertungsvorgang dar. Zwar wird im Rahmen der Fortführungsprognose auch eine Aussage darüber getroffen, ob die Schuldentilgung voraussichtlich auch dynamisch im Zeitablauf gewährleistet werden kann. Allerdings wird dieser Frage – anders als beim nachfolgend darzustellenden modifizierten Zweistufenmodell – kein unmittelbarer Einfluss auf das (Nicht-)Vorliegen einer Überschuldung eingeräumt. Sie spielt zwar für die zugrundezulegende Bewertungsprämisse eine Rolle, um auf diesem Wege eine „realistische“ Bewertung des Schuldnervermögens zu erreichen. Die Letztentscheidung über die Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 52 und Kallmeyer, GmbHR 1999, 17; aus strafrechtlicher Perspektive zustimmend Bittmann, wistra 1999, 13. 695 Deutlich insoweit Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 23: „Betriebswirtschaftliche Überlegungen können nicht dazu führen, den rechtlichen Gläubigerschutz, der dem Überschuldungstatbestand zugrunde liegt, aus den Augen zu verlieren. Eine rechnerische Überschuldung mag betriebswirtschaftlich im Hinblick auf die Fortbestehensprognose noch verantwortbar sein, rechtlich ist sie es nicht mehr, wenn nicht die Befriedigung sämtlicher Verbindlichkeiten aus dem Schuldnervermögen gesichert ist.“ [Hervorhebung im Original]; Reck, GmbHR 1999, 272. 696 In der Regel wird der errechnete Fortführungssubstanzwert des Schuldnervermögens – anders als der Liquidationswert – nicht zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehen. Wiederbeschaffungswerte stehen ohnehin nie zur Gläubigerbefriedigung zur Verfügung. Für Veräußerungswerte gilt: Bewahrheitet sich die positive Fortführungsprognose, erfolgt die Befriedigung der Gläubiger grundsätzlich nicht aus der Substanz, sondern aus den laufenden Einnahmen aus dem betrieblichen Umsatzprozess; im Fall der Veräußerung des fortführungsfähigen Unternehmens erfolgt die Befriedigung nur dann aus dem Kaufpreis, wenn der Erwerber nicht ohnehin – wie in § 25 Abs. 1 HGB, § 75 Abs. 1 AO vorgesehen – für die Schulden des alten Unternehmensträgers einsteht, also im Fall einer übertragenden Sanierung (Groth, S. 104). Insbesondere aber stehen auch in dem Fall, aus dem das Postulat eines Schuldendeckungspotentials der Vermögenssubstanz seine eigentliche Berechtigung bezieht, nämlich dass die positive Prognose kippt und das Unternehmen zerschlagen werden muss, den Gläubigern nicht die Fortführungswerte, sondern nur die geringeren Liquidationswerte zur Verfügung.
E. Überschuldung
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Überschuldung ergeht aber bei positiver wie bei negativer Prognose auf der Grundlage eines bilanziellen Vermögen-Schulden-Vergleichs. Die Vertreter des Substanzwertverfahrens verstehen die Fortführungsbilanz – im Gegensatz zu den Vertretern des Ertragswertverfahrens – nicht als weiteres Prognoseelement neben der Fortführungsprognose, sondern – durch die Bindung der Überschuldungsbilanz an einzelne Vermögensgegenstände – eher als deren Absicherung für den Fall, dass sich die positive Prognose ex post nicht bewahrheitet.697 Auch bei einer positiven Fortführungsprognose soll die Vermögenssubstanz – anders als beim modifizierten zweistufigen Überschuldungsmodell – wegen der Prognoseunsicherheiten nicht völlig unberücksichtigt bleiben, um jedenfalls den Erhalt einer gewissen „Mindestzugriffsmasse“698 zu gewährleisten. Die fortführungsorientierte Überschuldungsbilanz trägt insofern wie die liquidationsorientierte Überschuldungsbilanz deutliche exekutorische Züge, d. h. das Schuldnervermögen wird auch insoweit als Haftungsmasse verstanden.699 Durch die Forderung eines derartigen Schuldendeckungspotentials soll aus der insolvenzrechtlichen Sicht der Eröffnungstatbestände und Antragspflichten erreicht werden, dass für den Fall, dass die Prognose kippt und wider Erwarten eine Liquidation erforderlich wird, noch eine gewisse Vermögenssubstanz als Risikopolster zur Gläubigerbefriedigung vorhanden ist und nicht bis zur völligen Auszehrung des Schuldnervermögens unverändert weitergewirtschaftet wird.700 Wenn auch in diesem Fall nicht jeglicher Forderungsausfall verhindert werden kann, weil nicht der errechnete Fortführungs- sondern nur der Liquidationswert zur Verfügung steht, so kann doch eine gewisse Absicherung gegen Masselosigkeit erreicht werden. Das der Unsicherheit der Prognose innewohnende Risiko soll so – zumindest z. T. – von den Gläubigern auf den Schuldner bzw. auf die Anteilseigner verlagert werden: Sind letztere bei Überschuldung 697 H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1806 Rn. 18; S. 1807 Rn. 20; S. 1809 Rn. 25; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 23, 40; vgl. Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 123 Rn. 80; Landfermann, BB 1995, 1651. 698 Moxter, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Sp. 635. 699 Dass es diesen Vertretern bei der Überschuldungsbilanz nach Fortführungswerten nicht um eine versteckte Prognose der betriebswirtschaftlichen Fortführungsfähigkeit geht, sondern um die Frage der Zumutbarkeit der Fortführung für die Gläubiger in Anbetracht des Verhältnisses zwischen den Verbindlichkeiten und den im Prüfungszeitpunkt realisierbaren Vermögenswerten, zeigt sich deutlich daran, dass die Aktivierung solcher Posten, die in gewissem Maße eine Zukunftsorientierung beinhalten, wie etwa der Firmenwert (vgl. § 255 Abs. 4 S. 1 HGB) oder Aufwendungen für die Ingangsetzung und Erweiterung des Geschäftsbetriebs (vgl. § 269 HGB) nicht oder nur unter engen Voraussetzungen zugelassen wird; vgl. zu letzteren Posten stellvertretend für die ganz h. M. Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 37 m.w. N. 700 H. P. Müller/Haas (in: Kölner Schrift, S. 1800 Rn. 2) weisen darauf hin, dass die Überschuldung und die damit verbundene Antragspflicht als Fortsetzung der Kapitalerhaltungsvorschriften des § 92 Abs. 1 AktG und des § 49 Abs. 3 GmbHG zu verstehen sei, die jedoch anders als die Überschuldung nur eine Beratungspflicht und keinen Sanierungszwang auslösten.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
unter Ansatz von Fortführungswerten nicht in der Lage, neues Eigenkapital zu stellen oder zusätzliche Einlagen durch weitere Anteilseigner aufbringen zu lassen, entsteht durch den gebotenen Verfahrensantrag ein Sanierungsdruck; die Überschuldung kann dann nur noch durch Rangrücktritte oder Forderungsverzichte seitens der Gläubiger abgewendet werden.701 Als Ausdruck dieser Risikoverlagerung zugunsten der Gläubiger ist es auch anzusehen, dass Zweifel über die Realisierbarkeit eines Vermögenswertes (insb. eines Firmenwertes) zu dessen Nichtberücksichtigung führen soll. Der Schwerpunkt dieses Modells liegt somit auf dem Gläubigerschutz, zu dessen Gunsten auch in Kauf genommen wird, dass u. U. lebensfähige Unternehmen in ein Insolvenzverfahren gezwungen werden. b) Das Ertragswertverfahren Demgegenüber bestimmt eine andere Position den Wert des Schuldnervermögens bei positiver Fortführungsprognose nicht auf der Grundlage seiner Substanz, sondern anhand dessen, was mit dieser Substanz zukünftig als Ertrag zu erwirtschaften ist.702 Maßgeblich ist hiernach der Wert des Unternehmens als Einkommensquelle. Der Liquidationswert behält lediglich die Funktion der Wertuntergrenze.703 Dieses Ertragswertverfahren entstammt dem Bereich der Unternehmensbewertung und ist hier – in seinen vielfältigen Ausprägungen – herrschende Meinung.704 Der Ertragswert ergibt sich als Summe der mittels eines Kapitalisierungszinsfußes auf die Gegenwart abgezinsten (diskontierten) voraussichtlichen (geschätzten) Zukunftserfolge aus dem betriebsnotwendigen Vermögen und des Barwerts des nicht betriebsnotwendigen Vermögens;705 dabei wird der Schät701 Höffner, BB 1999, 254; H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1800 f. Rn. 2 ff.; Landfermann, BB 1995, 1651; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 31. 702 Röhm, S. 187; vgl. auch Tiedemann, der insofern eine Sonderstellung einnimmt, als seiner Auffassung nach eine Überschuldung nach Fortführungswerten nur dann vorliegen soll, wenn alle anerkannten Bewertungsverfahren zu diesem Ergebnis kommen; hierzu LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 157; ders., in: FS-Dünnebier, S. 537; ders., in: GS-Schröder, S. 297; aus dem insolvenzrechtlichen Schrifttum Burger/Schellberg, BB 1995, 266; Götz, ZInsO 2000, 79; Lütkemeyer, S. 152 ff.; Spliedt, DB 1999, 1944 f.; Temme, S. 131 ff.; vgl. Wolf, DStR 1995, 861. 703 Helbling, S. 99; Piltz, S. 16 f. 704 Helbling, S. 99 ff.; Piltz, S. 19 ff. jeweils m.w. N. Als Ertragswertverfahren soll hier auch das aus dem angelsächsischen Raum stammende und auch in der BRD im Vordringen befindliche sog. Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF) bezeichnet werden. Die DCF-Methode beruht auf demselben investitionstheoretischen Fundament – der Diskontierung zukünftiger Erfolge –, unterscheidet sich von der in der BRD heute herrschenden Variante der Ertragswertmethode im Wesentlichen in der Herleitung des zur Diskontierung verwendeten Kapitalisierungszinsfußes und ggf. in der Zerlegung des Kapitalwertes in getrennt ermittelte Komponenten für Fremd- und Eigenkapitalwert, vgl. Kuhner/Maltry, S. 57, 127 ff., 153 ff.
E. Überschuldung
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zung der zukünftigen Erträge die Annahme der unendlichen Lebensdauer des Unternehmens zugrunde gelegt706. Die Aufgabe des Kapitalisierungszinssatzes besteht für den häufigsten Anlass der Unternehmensbewertung, den Kauf von Unternehmen bzw. Unternehmensanteilen, in der Abbildung der dem Investor zur Verfügung stehenden Anlagealternativen;707 die Investition in das Unternehmen wird auf diese Weise mit alternativen Geldanlagen vergleichbar gemacht708. Der Kapitalisierungszinsfuß drückt so zugleich die Mindestrenditeerwartung des Investors aus.709 Ferner hat der Kapitalisierungszinsfuß die Aufgabe, Beträge, die in der Zukunft fällig werden, durch Diskontierung gleichnamig zu machen, um deren Addition zu ermöglichen; denn aus der Sicht eines Kapitalanlegers haben Erträge, die ihm später zufallen, einen geringeren Wert als früher anfallende Erträge, da sie ihm erst später zur ertragbringenden Wiederanlage zur Verfügung stehen.710 Als Ertrag wird dabei nach überwiegender Ansicht die Differenz zwischen Ein- und Auszahlungen angesehen711 und nicht der Ertrag im Sinne der Gewinn- und Verlustrechnung712. Ein- und Auszahlungen sind Geschäftsvorfälle, die den Zahlungsmittelbestand des Unternehmens (Kassenbestand zzgl. jederzeit verfügbare Bankguthaben) unmittelbar beeinflussen.713 705
Wöhe, Allg. BWL, S. 637 ff. Piltz, S. 16. 707 Piltz, S. 26; WP-Hdb., Rn. 271. 708 s. hierzu das Beispiel bei Höfner, S. 198 f.: Ein zu bewertendes Vermögen, das eine Lebensdauer von nur einer Rechnungsperiode hat und sich binnen dieser Zeit aufzehrt, erwirtschaftet in dieser Periode voraussichtlich einen Ertrag von 100.000 EUR. Alternativ soll eine Festgeldverzinsung von 10% zur Verfügung stehen. Der Ertragswert dieses Vermögens entspricht nun nicht den vollständigen 100.000 EUR; denn ein Investor würde das Vermögen nur erwerben, wenn er dafür weniger als 90.909,09 EUR aufwenden muss, da er bei Anlage diese Betrages auf dem Festgeldkonto ebenfalls Zuflüsse von 100.000 EUR (Rückzahlung zzgl. 9.090,91 EUR Zinsen) zu erwarten hat. Der gegenwärtige Barwert des zu bewertenden Vermögens beträgt mithin nur 90.909,09 EUR. Der Kapitalisierungszinsfuß gibt somit an, bei welcher Verzinsung der gegenwärtige Barwert zu dem durch die Erträge erzielten Endkapital führt. 709 Groth, S. 112. 710 Groth, S. 112; Helbling, S. 418; Temme, S. 142 f. 711 Burger/Schellberg, BB 1995, 266; Helbling, S. 418; Kuhner/Maltry, S. 69 ff.; Piltz, S. 17 f.; Röhm, S. 187 f.; Temme, S. 134 f.; Groth, S. 110; die Heranziehung der auf den Größen Ertrag und Aufwand beruhenden Gewinn- und Verlustrechnung wird von der herrschenden Meinung in der Unternehmensbewertung deshalb grundsätzlich abgelehnt, weil sie von der für den Investor zur Bestimmung des Unternehmenswertes maßgeblichen Größe, den an ihn fließenden Nettoausschüttungen, zu stark abweichen (s. hierzu Kuhner/Maltry, S. 69 ff.); gleichwohl wird in der Praxis der Unternehmensbewertung als Näherungslösung zunächst auf Aufwands- und Ertragsgrößen abgestellt und das Ergebnis sodann um einen Faktor X korrigiert (Helbling, S. 418; Kuhner/Maltry, S. 69 ff.; Piltz, S. 18). 712 So aber offenbar Egner/Wolff, AG 1978, 104; Höfner, S. 211. 713 Wöhe, Allg. BWL, S. 814. 706
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Darüber, wie diese Erkenntnisse der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung in die zweistufige Überschuldungsprüfung zu übertragen sind, herrscht indes Unklarheit. Ein Konsens sollte noch insofern zu erzielen sein, als die Tilgungsraten auf bestehende Verbindlichkeiten noch nicht als Auszahlungen in die Ermittlung der Einzahlungsüberschüsse einbezogen werden, um deren doppelte Berücksichtigung im Überschuldungsstatus zu vermeiden.714 Von einem Teil ihrer Vertreter wird die Ertragswertmethode im Rahmen der Überschuldungsprüfung im Übrigen unverändert zur Bestimmung des Fortführungswertes des Schuldnervermögens herangezogen.715 Uneinheitlich wird dabei die Frage nach einem zweckentsprechenden Diskontierungszinssatz beantwortet.716 Der errechnete Ertragswert wird – auch wenn die Erträge während der gesamten Lebensdauer des Unternehmens erwirtschaftet werden – den gegenwärtigen Verbindlichkeiten – unabhängig von ihrem Fälligkeitsdatum – gegenübergestellt.717 Offenbar soll auf diese Weise das langfristige (jenseits des mittelfristigen Zeitraums der Fortbestehensprognose) dynamische Schuldendeckungspotential des Unternehmens dargestellt und festgestellt werden, ob die Summe der künftigen Erträge ausreichen wird, jemals die derzeit bestehenden Verbindlichkeiten zu tilgen.718 Demgegenüber halten es andere Stimmen in der Literatur für notwendig, die Ertragswertmethode den Besonderheiten der zweistufigen Überschuldungsprüfung anpassen:719 So wird von einer Abzinsung der prognostizierten künftigen Erträge abgesehen. Die in der Überschuldungsprüfung ermittelten später anfallenden Erträge seien nicht weniger wert als früher anfallende, weil sie nicht reinvestiert werden sollten, sondern zur Schuldendeckung verwendet würden; auch der Gesichtspunkt der Abbildung alternativer Anlagemöglichkeiten komme im Rahmen der Überschuldungsfeststellung nicht zum Tragen.720 Weiterhin gehen diese Literaturstimmen nicht, wie es im Rahmen der Unterneh-
714
Ausdrücklich gefordert wird dies allerdings nur von Temme (S. 135). Burger/Schellberg, BB 1995, 266; Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 136 Rn. 119; dies., in: MüKo-InsO, § 19 Rn. 111; dies., DStR 1999, 648; Spliedt, DB 1999, 1944 f.; vgl. LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 157; ders., in: FS-Dünnebier, S. 537; ders., in: GS-Schröder, S. 297. 716 Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 136 Rn. 119; dies., in: MüKo-InsO, § 19 Rn. 111, verweisen entsprechend der DCF-Methode auf die Diskontierung mit einem durchschnittlich gewogenem Kapitalkostenansatz; Burger/Schellberg (BB 1995, 266) und Spliedt (DB 1999, 1943) halten eine Abzinsung für erforderlich, legen sich aber nicht auf einen bestimmten Zinssatz fest; zur Problematik vgl. Egner/Wolff, AG 1978, 104; Höfner, S. 217 ff. 717 Spliedt, DB 1999, 1944. 718 Vgl. Drukarczyk/Schüler, in: Kölner Schrift, S. 136 Rn. 119; dies., in: MüKoInsO, § 19 Rn. 111. 719 Röhm, S. 187 ff.; Temme, 135 ff., 142 ff.; vgl. Götz, ZInsO 2000, 80. 720 Groth, S. 112; Temme, S. 143; vgl. Götz, ZInsO 2000, 80; Röhm, S. 188 f. 715
E. Überschuldung
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mensbewertung zum Zwecke der Kaufpreisfindung üblich ist, von der Fiktion einer ewigen Lebensdauer des wirtschaftlichen Betriebes aus.721 Diese Modifikation ist gewissermaßen zwingende Folge des Wegfalls der Diskontierung: Die Annahme einer ewigen Lebensdauer hat zwar, da kein Unternehmen ewig besteht, gewisse Ungenauigkeiten bei der Ermittlung des Zukunftsertrags zur Folge; jedoch führt die Abzinsung der zukünftigen Erträge auf den gegenwärtigen Barwert dazu, dass Ereignisse, die mehr als 50–60 Jahre in der Zukunft liegen, in der Regel für den Ertragswert des Unternehmens nicht mehr von ausschlaggebender Bedeutung sind.722 Sieht man aber von einer Abzinsung ab, führt die Annahme einer ewigen Lebensdauer dazu, dass die Zukunftserträge ebenfalls unendlich und damit nicht mehr bestimmbar sind.723 Einen Anhaltspunkt für eine zweckentsprechende Begrenzung der Zukunftsbetrachtung findet diese Auffassung in § 19 Abs. 2 S. 1 InsO: Hiernach liegt eine Überschuldung vor, wenn das Vermögen die „bestehenden“ Verbindlichkeiten nicht mehr abdeckt. Dementsprechend seien Erträge, die erst nach dem voraussichtlichen Fälligkeitszeitpunkt der letzten bestehenden Verbindlichkeit anfallen, außer Acht zu lassen.724
III. Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff In der jüngeren – aber überwiegend vor Inkrafttreten der InsO erschienenen – strafrechtlichen Literatur725 wurde schließlich verstärkt dem ebenfalls im insolvenzrechtlichen Schrifttum726 entwickelten sog. modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff gefolgt. Die Überschuldung im rechtlichen Sinne ist nach dieser Auffassung nur dann zu bejahen, wenn eine rechnerische (bilanzielle) Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegt und dem Unternehmen zugleich eine negative Fortbestehensprognose zu stellen ist. 721 Dieses Vorgehen wählt man insbesondere deshalb, um den sonst entstehenden Problemen bei der Bestimmung der Lebenserwartung eines Betriebes zu entgehen; hierfür ist bislang in der Betriebswirtschaftslehre keine befriedigende Lösung gefunden worden; vgl. Höfner, S. 200 ff. 722 s. hierzu das Beispiel bei Höfner, S. 200 f. 723 Vgl. Temme, S. 136. 724 Röhm, S. 188 f.; Temme, S. 137. 725 Groth, S. 118 ff., Harneit, 108 f.; Müller-Gugenberger/Bieneck2, 63/19 ff., 23; Otto, BT, 61/83 ff.; Penzlin, S. 112, 162; Ransiek, S. 156 ff. 726 Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff geht zurück auf K. Schmidt, AG 1978, 337; ders., JZ 1982, 170; ders. in: Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 46 ff.; ders. in: Scholz, GmbHG, § 63 Rn. 10; ihm hatte sich bis zur Einführung der InsO die h. M. im konkurs- und gesellschaftsrechtlichen Schrifttum sowie die Rspr. angeschlossen: vgl. etwa BGHZ 119, 201, 214; BGH, BB 1994, 884; OLG Hamburg, DB 1990, 2012; OLG Hamm, GmbHR 1993, 584; Baumbach/Hueck/ Schulze-Osterloh, GmbHG16, § 63 Rn. 8; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 63 Rn. 5 ff.; Rowedder/Rowedder3, § 63 Rn. 10 f.; Ulmer, KTS 1981, 487 ff.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Diese nur bedingt bilanzielle Konzeption ist auf die Besonderheiten des Unternehmensinsolvenzrechts zugeschnitten; das Unternehmensvermögens sei nur im Ausnahmefall als schlichte Haftungsmasse, im Regelfall aber als Erträge erwirtschaftende Wirkungseinheit zu verstehen.727 Dementsprechend liege eine zur Insolvenzantragstellung berechtigende und verpflichtende Gefährdung der Gläubigerinteressen nur dann vor, wenn die Verbindlichkeiten weder durch Zerschlagung, also aus der Unternehmenssubstanz, beglichen werden können (rechnerische Überschuldung), noch, wie es die Regel ist, durch Fortführung, also aus den laufenden Einnahmen des Unternehmens.728 Falle die Fortführungsprognose aber positiv aus, stelle sich das Schuldnerunternehmen mithin als lebensfähige Wirtschafteinheit dar, hätten auch die Gläubiger kein Interesse an einer Zerschlagung des Unternehmens; sie zögen den vollen Forderungsausgleich der Insolvenzquote vor.729 Einer Überschuldungsbilanz nach Fortführungswerten bedürfe es in diesem Fall nicht mehr: die Gläubigerbefriedigung durch Unternehmensfortführung sei ein Prozess, der auch durch eine dynamische Bilanzkonzeption nicht dargestellt werden könne, sondern allein durch eine Prognose.730 Ihren Ausgang nahm diese Theorie in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion. Moxter wandte sich von einer monistisch-bilanziellen Überschuldungskonzeption ab und sprach sich für ein funktionales Verständnis der Überschuldung aus: sie sei als „Unfähigkeit zur Auszahlungsdeckung im Zeitablauf“ zu verstehen.731 Damit wurde der Überschuldungsbegriff stark dem – seinerzeit nur im Insolvenzstrafrecht bekannten – Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit angenähert.732 Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Fortführungsprognose kann auf die entsprechenden Ausführungen zum herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff verwiesen werden. Als Gegenstand der Prognose wird auch von diesem Standpunkt aus ganz überwiegend die mittelfristige – etwa zweijährige – Zahlungsfähigkeit genannt;733 als ausreichend wird eine überwiegende Fortführungswahrscheinlichkeit angesehen734. 727
K. Schmidt, JZ 1982, 168 f. K. Schmidt, Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 51. 729 Ransiek, S. 156. 730 K. Schmidt, AG 1978, 337. 731 Moxter, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Sp. 635 f. 732 Moxter, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Sp. 635: „Nur scheinbar besteht zwischen den beiden Zusammenbruchsgründen Illiquidität und Überschuldung ein wesentlicher Unterschied“. 733 Aus strafrechtlicher Sicht nur Groth, S. 118; Müller-Gugenberger/Bieneck 2, 63/ 23; Penzlin, S. 87 ff., 112, 132 ff., 155 ff.; Ransiek, S. 156 ff.; aus insolvenzrechtlicher Perspektive Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG16, § 63 Rn. 11; K. Schmidt, AG 1978, 338; ders., in: Scholz, GmbHG, § 63 Rn. 12; vgl. auch BGHZ 119, 201, 214; BGH BB 1994, 884; OLG Hamm GmbHR 1993, 584, die auf die 728
E. Überschuldung
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IV. Diskussion Wie bereits dargelegt,735 sprechen einige Argumente betreffend den Wortlaut, die Historie und die Systematik für eine Anbindung der Krisenbegriffe der Bankrottdelikte an die Legaldefinitionen der Eröffnungstatbestände der InsO. Neben diesen allgemeinen Erwägungen stellt sich die Lage speziell für den Überschuldungsbegriff wie folgt dar: 1. Der Wille des Gesetzgebers Unzweifelhaft dürfte sein, dass sich der Gesetzgeber der InsO durch die Ausgestaltung des § 19 InsO für den herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff entschieden hat. Da weiterhin ein auf einen Gleichlauf der insolvenzstrafrechtlichen Krisenbegriffe und der insolvenzrechtlichen Eröffnungstatbestände gerichteter Wille festzustellen ist,736 entspricht es den Vorstellungen des Gesetzgebers, diesen Überschuldungsbegriff auch den §§ 283 ff. zugrundezulegen. Darüber hinaus lassen sich den Ausführungen des Gesetzgebers der InsO aber auch deutliche Anhaltspunkte für die weitere Ausgestaltung des herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriffs entnehmen. So hat er im Gesetzgebungsverfahren sein Misstrauen gegenüber Prognoseelementen zu erkennen gegeben und sich dahingehend geäußert, allein eine positive Prognose dürfe nicht zur Verneinung einer Überschuldung führen.737 Legt man aber zur Bestimmung der „Finanzkraft“ abstellen; zum Teil wurde in frühen Veröffentlichungen noch zusätzlich auf die Ertragsfähigkeit abgestellt: K. Schmidt, JZ 1982, 171; Ulmer, KTS 1981, 477 f. 734 Aus strafrechtlicher Sicht nur Groth, S. 118; Müller-Gugenberger/Bieneck2, 63/ 23; Penzlin, S. 87 ff., 112, 132 ff., 155 ff.; Ransiek, S. 156 ff.; aus insolvenzrechtlicher Sicht BGHZ 119, 201, 214; BGH BB 1994, 884; OLG Hamm GmbHR 1993, 584; Baumbach/Hueck/Schulze-Osterloh, GmbHG16, § 63 Rn. 11; K. Schmidt, AG 1978, 338; ders., in: Scholz, GmbHG, § 63 Rn. 10. 735 s. B. I–III. 736 s. B. II. 737 Vgl. den RegE, BT-DrS. 12/2443, S. 115: „Eine positive Prognose für die Lebensfähigkeit des Unternehmens – die leicht vorschnell zugrunde gelegt wird – darf die Annahme einer Überschuldung noch nicht ausschließen; sie erlaubt nur, wenn sie nach den Umständen gerechtfertigt ist, eine andere Art der Bewertung des Vermögens. Die Feststellung, ob Überschuldung vorliegt oder nicht, kann stets nur auf der Grundlage einer Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden getroffen werden“; vgl. weiter die Beschluss-Empfehlung des Rechtsausschusses, BT-DrS. 12/7302, S. 157: „Der Ausschuss weicht damit entschieden von der Auffassung ab, die in der Literatur vordringt und der sich kürzlich auch der Bundesgerichtshof angeschlossen hat (BGHZ 119, 201, 214). Wenn eine positive Prognose stets zu einer Verneinung der Überschuldung führen würde, könnte eine Gesellschaft trotz fehlender persönlicher Haftung weiter wirtschaften, ohne dass ein die Schulden deckendes Kapital zur Verfügung steht. Dies würde sich erheblich zum Nachteil der Gläubiger auswirken, wenn sich die Prognose – wie in dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall – als falsch erweist.“.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Fortführungswerte eines der Ertragswertverfahren zugrunde, beruht neben der Fortführungsprognose auf der ersten Stufe auch die zweite Stufe der Überschuldungsprüfung nach beiden Varianten wesentlich auf einer Prognose der zukünftigen Erträge. Es tritt somit die vom Gesetzgeber unerwünschte Konsequenz ein, dass die Überschuldung allein aufgrund von mit Unsicherheiten behafteten Prognoseelementen ausgeschlossen werden kann, ohne dass eine Anbindung an Vermögensgegenstände erfolgt. Es dürfte daher dem gesetzgeberischen Willen entsprechen, die Prognose durch eine bilanzielle Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden i. S. d. Substanzwertverfahrens abzusichern.738 Legt man weiter die gesetzgeberische Intention eines Gleichlaufs von Insolvenzrecht und Insolvenzstrafrecht zugrunde, scheidet nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Verwendung des Ertragswertverfahrens auch im Rahmen des insolvenzstrafrechtlichen Krisenbegriffs aus.739 2. Die Systematik der Bankrottdelikte Die Umschreibung der Krise bei den Bankrottdelikten als Überschuldung, drohende und eingetretene Zahlungsfähigkeit legt eine klare Trennung der Vermögenssituation und der Zahlungsmittelsituation nahe.740 Insofern erscheint es wenig wünschenswert, wenn sich die Begriffe der Überschuldung und der drohenden Zahlungsunfähigkeit so weitgehend überschneiden wie bei dem modifizierten Zweistufenmodell der Überschuldung. In dessen Rahmen wird nämlich die Fortbestehensprognose nach ganz herrschender Auffassung als Zahlungsfähigkeitsprognose verstanden.741 Legt man dies zugrunde, verlagert sich der Schwerpunkt des Überschuldungsbegriffs in nicht unerheblichem Maße von der Betrachtung der Vermögenssituation auf die der Zahlungsmittelsituation. So ist bei einer positiven Zahlungsfähigkeitsprognose die rechnerische Überschuldung nach diesem Modell ohnehin irrelevant. Bei negativer Zahlungsfähigkeitsprognose hingegen dürfte im Regelfall bereits eine rechnerische Überschuldung vorliegen; denn bevor nicht zu beseitigende Liquiditätsdefizite in einem Finanzplan ausgewiesen werden, sind bereits alle Möglichkeiten der Liquiditätsgewinnung ausgeschöpft worden, und d. h., dass alle Vermögensgegenstände mit Sicherungsrechten belegt sind und i. d. R. zugleich ungesicherte Forderungen
738
Vgl. Hommel, ZfB 1998, 303. Als zweifelhaft ist es daher anzusehen, wenn Röhm einerseits von einer v. a. mit einem entsprechenden gesetzgeberischen Willen begründeten Akzessorietät der insolvenzstrafrechtlichen von der insolvenzrechtlichen Begriffsbildung ausgeht (S. 155 ff.), sich aber andererseits für das (modifizierte) Ertragswertverfahren zur Bestimmung der Fortführungswerte des Schuldnervermögens ausspricht (S. 187 ff.). 740 Deutlich etwa Hommel, ZfB 1998, 303. 741 s. III. 739
E. Überschuldung
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von Gläubigern bestehen.742 Mithin spielt die rechnerische Überschuldung auch bei einer negativen Prognose empirisch eine eher nachgeordnete Rolle. Der Schwerpunkt des Überschuldungsbegriffs läge somit auf einer drohenden Zahlungsunfähigkeit. Dass dieses „Übergreifen“ des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit in den Überschuldungstatbestand in der Systematik der Bankrottdelikte nicht angelegt ist, zeigt dessen eigenständige Nennung als Krisenbegriff. Dieses Problem stellt sich insolvenzstrafrechtlich seit jeher, da die drohende Zahlungsunfähigkeit bei § 283 Abs. 1 von der Einführung der Krisenmerkmale durch das 1. WiKG an gleichberechtigt neben der Überschuldung steht. Als insolvenzrechtlicher Eröffnungstatbestand war die drohende Zahlungsunfähigkeit zur Zeit der Entwicklung des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs indes noch nicht vorgesehen. Im Hinblick auf die Systematik der Krisenmerkmale erweist sich der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff somit als problematisch. 3. Teleologische Erwägungen Wesentliche Bedeutung kommt insoweit zunächst der Frage zu, in welchem Maße die verschiedenen Überschuldungsmodelle geeignet sind, die den Bankrottdelikten zugrundeliegenden Rechtsgüter zu schützen. Als Gegengewicht zum Aspekt des Gläubigerschutzes hat die teleologische Auslegung des Überschuldungsbegriffs auch die berechtigten Interessen des Schuldners zu berücksichtigen. Strafrechtsdogmatisch finden diese Gegeninteressen ihren Niederschlag in dem Maßstab der Strafwürdigkeit des pönalisierten Verhaltens und der typischen bzw. generellen Gefährlichkeit der Handlung. a) Der statische Ansatz von Liquidationswerten aa) Aussagegehalt Der Befund einer rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten besagt, dass der aus einer Liquidation des zur verwertbaren Masse gehörenden Schuldnervermögens fließende Erlös nicht ausreicht, um die bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. Dabei lässt sich von der Höhe der Differenz von Verbindlichkeiten und Vermögen auf die im Fall des Zusammenbruchs zu erwartenden Forderungsausfälle der Gläubiger schließen. Eine Aussage wird mithin zunächst über die Fähigkeit zur Schuldendeckung aus der Substanz, also das statische Schuldendeckungspotential, getroffen.
742 Drukarczyk, Unternehmen und Insolvenz, S. 82 f.; ders., WM 1994, 1742; Vonnemann, S. 14 f.; s. hierzu noch V. 5.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Hierin erschöpft sich allerdings zugleich der Aussagegehalt der rechnerischen Überschuldung. Es ist nicht ersichtlich, welche weitergehenden Informationen diesem an die Situation der Liquidation gebundenen statischen Befund entnommen werden könnten. Insbesondere lässt er keinerlei Schlüsse darauf zu, ob der Schuldner in der Lage sein wird, die bestehenden Verbindlichkeiten aus den zukünftigen Einnahmen des laufenden Geschäftsbetriebs zu begleichen oder nicht. Zwar wurden und werden noch heute – wie bereits erörtert743 – auch in der Betriebswirtschaftslehre statische (Handels-)Bilanzkennzahlen zur Vorhersage der zukünftigen Liquiditätssituation herangezogen, die auf einer Gegenüberstellung bestimmter Vermögens- und Fremdkapitalpositionen beruhen. Auch diese statischen und zeitpunktbezogenen Liquiditätskennzahlen wurden für eine in die Zukunft gerichtete Liquiditätsmessung als wenig tauglich erkannt.744 Erst recht ist die im Rahmen der rechnerischen Überschuldung vorgenommene pauschale Gegenüberstellung sämtlicher Vermögenspositionen und sämtlicher Verbindlichkeiten insofern für eine Aussage über die künftige Zahlungsfähigkeit als ungeeignet anzusehen. Eine weitgehend exakte Aussage über die künftige Zahlungsfähigkeit ist letztlich allein mittels eines Finanzplans oder – näherungsweise – über eine Cash-flow-Prognose möglich.745 Als Beispiel dafür, dass eine unmittelbare Beziehung zwischen der (Gesamt-)Vermögens-Schulden-Relation und der Zahlungsfähigkeit nicht besteht, können erfolgreiche Dienstleistungsunternehmen dienen, die mit einem geringen Bestand an Anlage- und Umlaufvermögen arbeiten, aber sehr wohl in der Lage sind, ihre Verbindlichkeiten vertragskonform zu bedienen.746 Umgekehrt ist ein umfangreiches Anlage- und Umlaufvermögen kein sicherer Indikator dafür, dass damit auch Erträge erwirtschaftet werden und die Zahlungsfähigkeit gesichert wird. So erhöht auch eine Fehlinvestition das Schuldnervermögen, ohne dass die Gläubiger hieraus einen Nutzen ziehen könnten, weil die fehlinvestierten Mittel weder zur Schuldentilgung noch für andere Investitionen, die Erträge zur Schuldentilgung erwirtschaften könnten, zur Verfügung stehen.747 Darüber hinaus ist die rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten kein hinreichendes Indiz für eine fehlende Kreditwürdigkeit, so dass sie auch die Frage, ob die Zahlungsfähigkeit durch Außenfinanzierungsmaßnahmen aufrechterhalten werden könnte, nicht beantworten kann. Über die Kreditvergabe wird auf der Grundlage einer Gesamtschau entschieden, für die eine Reihe von Indikatoren eine Rolle spielen, wie insbesondere die Eigenkapitalquote, aber auch die Kapital- und Kapitalrückflussquote (cash-flow) oder die Umsatzren-
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s. D. II. 4. a). s. D. II. 4. a). s. D. II. 4. a). Groth, S. 105; Plate, DB 1980, 221; Temme, S. 131. s. etwa das Beispiel bei Temme, S. 130 f.; Plate, DB 1980, 221; Ransiek, S. 158.
E. Überschuldung
175
dite.748 Über diese Faktoren kann die rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten, die nur die Situation im Fall des Zusammenbruchs abbildet, keine Aussage treffen. Allein eine rechnerische Überschuldung schreckt i. d. R. – anders mag es bei einem besonderen Ausmaß liegen – potentielle Kreditgeber nicht ab; das aus der rechnerischen Überschuldung resultierende Ausfallrisiko kompensieren sie durch einen entsprechenden (Darlehens-)Zins. Letztlich wird somit durch den Befund einer rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten allein die Unfähigkeit zur Schuldendeckung aus der Vermögenssubstanz dokumentiert. bb) Gläubigerschutz Betrachtet man den statischen Ansatz von Liquidationswerten unter dem Blickwinkel des Rechtsgüterschutzes, so erweist er sich als derjenige Überschuldungsbegriff, der dem Gläubigerschutz am weitestgehenden Rechnung trägt. Die Kreditvergabe (im weitesten Sinne) ist bei solchen Schuldnerunternehmen, die auch bei Ansatz von Liquidationswerten einen die vollständige Befriedigung der Gläubiger gewährleistenden Vermögensstand aufweisen, annähernd risikolos. Die Vornahme einer Bankrotthandlung hätte selbst beim Zusammenbruch des Unternehmens und der anschließenden Versilberung der Vermögensgegenstände keinen Ausfall der Gläubiger zur Folge.749 Der Eintritt der rechnerischen Überschuldung zu Liquidationswerten markiert nun die Schwelle von der Risikolosigkeit einer Bankrotthandlung zu einer gewissen abstrakten Gefährlichkeit für die Gläubigerbefriedigung: Diese Gefährlichkeit folgt zum einen aus der Gewissheit, dass die liquidierte Unternehmenssubstanz nicht mehr zur vollständigen Befriedigung der Gläubiger ausreicht, also kein ausreichendes statisches Schuldendeckungspotential vorhanden ist. Zum anderen liegt sie in der Ungewissheit, ob der Schuldner in der Zukunft zur Befriedigung der Gläubiger aus den laufenden Einnahmen in der Lage sein wird;750 wird der Schuldner nämlich zahlungsunfähig, schlägt sich die Bankrotthandlung jedenfalls im Regelfall der Liquidation in einem gewissen – wenn auch u. U. nur marginalen – Ausfall der Gläubiger nieder. In der Regel werden sich die Ausfälle allerdings ungleich verteilen, so dass die ungesicherten Insolvenzgläubiger schon bei geringer rechnerischer Überschuldung nicht unerhebliche Ausfälle zu verzeichnen haben, während die Forderungen absonderungsberechtigter Gläubiger751 voll befriedigt werden. Mit Eintritt der rechnerischen Überschuldung
748
Zu den Kriterien der Kreditunwürdigkeit s. Schaub, DStR 1993, 1488 f. Die Frage, ob die Liquidationswerte auch die Veräußerungskosten zu berücksichtigen haben, soll hierbei außer Acht gelassen werden. 750 Vgl. Vonnemann, Überschuldung, S. 12. 751 Dazu, dass auch diese vom Schutz der §§ 283 ff. erfasst sind, s. 2. Teil A. III. 3. 749
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
nach Liquidationswerten tragen diese Gläubiger ein Ausfallrisiko, das sich aber erst dann realisiert, wenn auch das dynamische Schuldendeckungspotential – die Gläubigerbefriedigung aus den laufenden Einnahmen, also die Zahlungsfähigkeit – unzureichend ist. Ist es aber einem rechnerisch überschuldeten, im Übrigen aber „gesunden“ Unternehmen i. d. R. möglich, aus den Erträgen oder durch Außenfinanzierung seine Schulden zu begleichen, stellt sich die abstrakte Gefahr für die Gläubigerinteressen, die allein aus einer rechnerischen Überschuldung resultiert, als recht gering dar. Hierfür spricht auch der – empirisch freilich nicht vollständig abgesicherte752 –, aber doch allgemein anerkannte Befund, dass ein ganz erheblicher Teil – nach Schätzungen 50753 bis 75%754 – der Unternehmen rechnerisch überschuldet ist, gleichwohl aber die allermeisten Unternehmen weiterhin zur Schuldendeckung in der Lage sind.755 cc) Strafwürdigkeit Im Gegenzug wird gegen diesen mit weitreichendem Gläubigerschutz verbundenen Ansatz vorgebracht, er hätte zur Folge, dass auch solche Verhaltensweisen vom Tatbestand des § 283 StGB erfasst würden, die nicht als strafwürdig anzusehen seien. Wenn aufgrund des chronischen Eigenkapitalmangels ein großer Teil der deutschen Unternehmen als rechnerisch überschuldet anzusehen sei,756 gleichwohl aber die allermeisten in der Lage seien, ihre Verbindlichkei752 Drukarczyk (ZGR 1979, 575 f.), Egner/Wolff (AG 1978, 105) und Höfner (S. 149 ff.) bemühen sich um eine zumindest im Ansatz empirisch angebundene Begründung dieser These: sie belegen anhand einer Statistik der Deutschen Bundesbank zur Bilanzstruktur von Kapitalgesellschaften, dass eine durchschnittliche Wertdifferenz von 25–30% (entspricht der damaligen durchschnittlichen Eigenkapitalquote; diese liegt heute sogar nur bei rund 18%) zwischen handelsbilanziellen Buchwerten und Liquidationswerten ausreichen würde, um bei den für die Statistik untersuchten Kapitalgesellschaften eine rechnerische Überschuldung herbeizuführen. Eine Wertdifferenz zu den Buchwerten resultiert insbesondere aus der niedrigeren Bewertung des Anlagevermögens (die indes durch eine Höherbewertung von Grundstücken und Gebäuden z. T. wieder ausgeglichen wird) und u. U. aus einer Erhöhung der Passiva durch Pensionsrückstellungen, die in der Handelbilanz wegen des Wahlrechts in Art. 28 EGHGB nicht passiviert wurden; hierzu im einzelnen Drukarczyk, ZGR 1979, 575 f. Nach Egner/Wolff, AG 1978, 105, ist ein Wertschwund von 30% als außerordentlich niedrig anzusehen; sie gelangen dementsprechend zu dem Ergebnis, dass eine „große Zahl“ dieser Gesellschaften rechnerisch überschuldet ist. 753 SK/Samson1, Vor § 283 Rn. 4; Roth, ZGR 1993, 265; Ulmer, KTS 1981, 474. 754 Schlüchter, Grenzbereich, S. 67; dies., MDR 1978, 265; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 6: „die meisten deutschen Unternehmen“; vgl. Egner/Wolff, AG 1978, 105: „eine große Zahl von Gesellschaften“. 755 Penzlin, S. 110, SK/Samson1, Vor § 283 Rn. 8; vgl. Groth, S. 103. 756 Der aus insolvenzrechtlicher Sicht vorgebrachte Einwand, der Ansatz käme schon um des Erhalts lebensfähiger Unternehmen willen nicht in Betracht (vgl. etwa Drukarczyk, WM 1994, 1739; K. Schmidt, JZ 1982, 169), ist entgegen Schlüchter
E. Überschuldung
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ten zu erfüllen, und dies regelmäßig auch noch nach der Vornahme einer Bankrotthandlung, könne – von den Buchführungsdelikten abgesehen – von einer relevanten abstrakten Gefährlichkeit bei einer rechnerischen Überschuldung noch keine Rede sein.757 Eine so definierte Krisensituation könne mithin dem Zweck ihrer Einfügung in den Tatbestand der Bankrottdelikte758 nicht gerecht werden. Bei der Beantwortung der Frage, ob der statische Überschuldungsbegriff tatsächlich zu einer unangemessenen Ausdehnung der Strafbarkeit führt, ist zu berücksichtigen, dass die Krise jeweils nur ein Teil der durch § 283 statuierten Verhaltensanforderungen ist. Wie bereits erörtert,759 liegt den verschiedenen Alternativen des § 283 eine einheitliche Struktur zugrunde, die sich aus der Krisensituation, der (wirtschaftswidrigen) Bankrotthandlung und den Merkmalen des § 283 Abs. 6 zusammensetzt. (1) Die Bedeutung der Erfolgsorientierung (§ 283 Abs. 6) Insofern ließe sich zunächst erwägen, ein Legitimationsproblem stelle sich bereits deshalb nicht, weil die Verhaltensweisen schließlich nur dann bestraft werden, wenn auch die Voraussetzungen des § 283 Abs. 6 gegeben sind, also der Zusammenbruch tatsächlich eingetreten ist und zudem ein tatsächlicher Zusammenhang760 zwischen Verhalten und Zusammenbruch besteht.761 Anders als andere abstrakte Gefährdungsdelikte weist der Bankrotttatbestand somit eine deutliche Erfolgskomponente auf.762 Allerdings handelt es sich bei den Merkmalen des § 283 Abs. 6 (Zahlungseinstellung, Eröffnung des Insolvenzverfahrens, Ablehnung des Eröffnungsantrags mangels Masse) nach ganz überwiegender Meinung763 um objektive Bedingungen der Strafbarkeit, die außerhalb des (wistra 1984, 43) für die §§ 283 ff. nicht von Bedeutung, da aus dem Eintritt der bankrottstrafrechtlichen Krisensituation nicht die Einleitung des Insolvenzverfahrens, sondern allein die Statuierung von Sorgfaltsanforderungen folgt (NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 97; Plathner, S. 206). 757 Penzlin, S. 110; SK/Samson1, Vor § 283 Rn. 8; vgl. Groth, S. 103. 758 s. hierzu B. IV. 1. 759 s. B. III.–IV. 760 BGHSt 1, 186, 191; 28, 231, 233; BGH GA 1971, 38; LK/Tiedemann, § 283 Rn. 84 ff.; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 59. 761 Penzlin, S. 110. 762 Penzlin, S. 222 ff. 763 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 33; RGSt 45, 88, 93 ff.; BGHSt 1, 186, 191; 28, 231, 233; Krause, S. 223; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 89; ders., ZRP 1975, 132; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 101; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 59; Stree, JuS 1965, 470 ff.; Tröndle/Fischer, Vor § 283 Rn. 5; demgegenüber stellt sich das Problem der Legitimation des § 283 nicht für diejenigen Stimmen in der Literatur, die auch die Merkmale des § 283 Abs. 6 als Bestandteile des Unrechts der Bankrottdelikte ansehen: als echte Tatbestandsmerkmale werden sie von Bem-
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Unrechtstatbestandes stehen und lediglich die Strafbedürftigkeit des Verhaltens betreffen.764 Dementsprechend ist die Strafwürdigkeit des pönalisierten Verhaltens ohne Einbeziehung der Merkmale des § 283 Abs. 6 zu beurteilen.765 (2) Die Bedeutung der Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft Wesentliches Gewicht bei der Beurteilung der Strafwürdigkeit der bestandsbezogenen766 Verhaltensweisen kommt hingegen (neben dem Krisenmerkmal) dem Merkmal der Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu.767 So können im Rahmen des § 283 Abs. 1 solche bestandsbezogenen Handlungen, mit denen der Schuldner eine wirtschaftlich vernünftige Zielsetzung verfolgt und hierzu ein Risiko eingeht, das in Ansehung der konkreten Intensität der Krise und der sonstigen Konstitution des Schuldners (Eigenkapitalanteil etc.) als vertretbar erscheint, mangels Wirtschaftswidrigkeit aus dem Tatbestand ausgeklammert werden.768 Über eine solche Einbeziehung der Gesamtsituation des Schuldners, d. h. sowohl der Vermögens- als auch der Zahlungsmittelsituation, ist es konstruktiv möglich, nur solche Verhaltensweisen als tatbestandsmäßig mann, S. 48 f. angesehen; diese Lösung widerspricht aber nicht nur dem Willen des Gesetzgebers (s. RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 33), sondern sieht sich auch dem Vorwurf mangelnder Praktikabilität ausgesetzt (hierzu Stree, JuS 1965, 470); nach Otto, in: GS-Schröder, S. 64 ff., verleiht erst der den Merkmalen des § 283 Abs. 6 innewohnende besondere Erfolgsunwert den Bankrottdelikten die Strafwürdigkeit; diese Merkmale stellten gleichwohl objektive Bedingungen der Strafbarkeit dar und müssten nicht vom Vorsatz des Täters umfasst sein; gegen diese inkongruente Ausgestaltung des objektiven und des subjektiven Tatbestands sprechen indes Friktionen mit dem Schuldprinzip (hierzu etwa Sch/Sch/Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 125). 764 Der RegE des 1. WiKG (BT-DrS. 7/3441, S. 33) verweist darauf, dass es zwar zur Begründung des Schuldvorwurfs dieser Merkmale nicht bedürfte; allerdings verlöre das Strafbedürfnis an Erheblichkeit, wenn es dem Schuldner gelingt, die Krise zu überwinden; zudem bestünde für viele schwache Unternehmer dann, wenn die Tat unabhängig von Zahlungseinstellung etc. verfolgt werden könnte, die ständige Gefahr, angezeigt und in ein Strafverfahren verwickelt zu werden, was möglicherweise erst die wahre Ursache für den wirtschaftlichen Ruin wäre. 765 Vgl. Sch/Sch/Lenckner, Vorbem. §§ 13 ff. Rn. 125; Tiedemann, Wirtschaftsstrafrecht I, S. 235 f.; kritisch gegenüber dieser Differenzmethode Vest, ZStW 103 (1991), 599 f. 766 s. hierzu 2. Teil A. II. 1. 767 Alle gesetzlich umschriebenen Bankrotthandlungen stellen letztlich Verstöße gegen die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft dar; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn 101; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 60 ff. 768 Zu den Kriterien der Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens s. etwa LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 103 ff.; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 70 ff.; dazu, dass auch innerhalb der Situation der Krise je nach deren Intensität Abstufungen bei den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu machen sind, s. Krause, S. 409 f.; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 105; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 74, 76.
E. Überschuldung
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i. S. d. § 283 Abs. 1 zu erfassen, die unzweifelhaft als strafwürdig und typischerweise gefährlich für die Gläubigerinteressen anzusehen sind.769 Die Berücksichtigung der konkreten Krisenintensität im Rahmen der Bestimmung der Wirtschaftswidrigkeit führt auch nicht dazu, dass die Krisenmerkmale überflüssig würden, da sich überhaupt erst mit Eintritt der rechnerischen Überschuldung die Bankrotthandlungen in einem Forderungsausfall niederschlagen können. Vor dem Erreichen dieser Grenzlinie braucht eine Bankrotthandlung – jedenfalls sub specie § 283 Abs. 1 – nicht darauf überprüft werden, ob sie mit den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft vereinbar ist, weil auch für den ungünstigsten Fall des Ausgangs eines Insolvenzverfahrens – die Liquidation der Vermögenssubstanz – eine ausreichende Haftungsmasse zur Verfügung steht. Der Vorteil dieser Schwerpunktverlagerung auf das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit liegt darin, dass sie zu einem weiten Anwendungsbereich des in der Praxis relevanten Tatbestandes des § 283 Abs. 1 führt, der nicht mit derartigen Praktikabilitätsproblemen behaftet ist, wie sie sich im Rahmen des § 283 Abs. 2 beim Nachweis der Mitursächlichkeit der Bankrotthandlung für den Eintritt der Krise stellen.770 Durch den Tatbestand des § 283 Abs. 1 können die Gläubiger wirksam auch vor solchen wirtschaftswidrigen Bankrotthandlungen des Schuldners geschützt werden, die zwar im Zustand verhältnismäßig geringer Krisenintensität (rechnerische Überschuldung) vorgenommen werden, aber aufgrund ihres großen Ausmaßes schon zu diesem Zeitpunkt ein erhebliches Gefährdungspotential für den Bestand des Unternehmens und die Gläubigerinteressen bergen und daher als wirtschaftswidrig anzusehen sind.771 Die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 können also deutlich differenzierter gehandhabt werden als bei einem enger definierten Krisenbegriff. Gerade ein spätes – an die Insolvenzreife geknüpftes – Eingreifen des Verbots solcher Bankrotthandlungen, die unter Inkaufnahme eines den Gläubigern nicht zumutbaren Risikos den Zusammenbruch noch abzuwenden bezwecken (etwa Spekulationsoder Differenzgeschäfte i. S. d. § 283 Abs. 1 Nr. 2), erscheint nicht wünschenswert, denn diese Handlungen dürften typischerweise schon vor Eintritt der Insolvenzreife vorgenommen werden. Ein ebenso effektiver Schutz dürfte auf der Grundlage eines restriktiveren Überschuldungsbegriffs durch den mit Nachweis769 Man kann dann allerdings nicht schon die bloße Blindwirtschaft ohne hinreichende Informationsgrundlage per se als wirtschaftswidrig ansehen (so aber LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 113; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn 77; anders jedoch Krause, S. 413); anderenfalls könnten nämlich auch solche Bankrotthandlungen tatbestandsmäßig sein, die – weil bei stabiler schuldnerischer Vermögenssituation vorgenommen – objektiv kein unverhältnismäßiges Risiko für die Gläubiger bergen und nicht strafwürdig erscheinen. 770 RegE 1. WiKG, BT-DrS. 7/3441, S. 20, 36 f.; Krause, S. 220; Weyand, Rn. 103. 771 NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn 97; vgl. Krause, S. 220 f., 243.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
problemen behafteten Tatbestand des § 283 Abs. 2 nicht zu gewährleisten sein. Ob man allerdings schon aufgrund dieser Probleme in der praktischen Handhabung von Strafbarkeitslücken sprechen kann,772 erscheint zweifelhaft; zudem dürfte sich gerade bei Bankrotthandlungen großen Ausmaßes nicht selten auch eine Mitursächlichkeit für eine (restriktiver definierte) Krise nachweisen lassen. (3) Die Problemfälle Bei den informationsbezogenen Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 scheidet eine derartige Selektion der strafwürdigen und typischerweise gefährlichen Verhaltensweisen allerdings aus; diese werden per se als Verstöße gegen die Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens angesehen, so dass ein entsprechendes Korrektiv nicht in die Tatbestandsfassung aufgenommen werden musste.773 Mag man die Buchführungsdelikte (§ 283 Abs. 1 Nr. 5–7) im Hinblick darauf, dass sie sogar völlig unabhängig von einer Krisensituation als typischerweise konkursträchtig und damit gläubigergefährdend anzusehen sind (vgl. § 283b), für unproblematisch halten, so stellt sich die Frage der Strafwürdigkeit jedenfalls bei den sonstigen informationsbezogenen Verhaltensweisen des § 283 Abs. 1 (Nr. 1, 2. Alt.; Nr. 4; Nr. 8, 2. und 3. Alt.). Insbesondere stellt sich die Frage der Legitimation aber im Rahmen des § 283 Abs. 2. Eine Selektion selbst der bestandsbezogenen Verhaltensweisen anhand des Merkmals der Wirtschaftwidrigkeit erweist sich hier als problematisch. § 283 Abs. 2 ist als Erfolgsdelikt ausgestaltet,774 die Verhaltensnorm des § 283 Abs. 2 verbietet es dem Schuldner, durch die Vornahme einer außerhalb einer Krisensituation ausgeführten Bankrotthandlung für den Eintritt des Erfolges (die wirtschaftliche Krise) (mit)ursächlich zu werden775. Diese Vorverlegung des strafbaren Verhaltens bringt es mit sich, dass sich die Gefährlichkeit der Bankrotthandlung in der als Deliktserfolg herbeigeführten Krise widerspiegelt.776 Die Wirtschaftswidrigkeit der Bankrotthandlung – i. e. die AngemessenSo NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 97; vgl. Krause, S. 220 f., 243. NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 60 ff. weist darauf hin, dass eine Bezugnahme auf die Anforderungen ordnungsgemäßer Wirtschaft bei den informationsbezogenen Bankrotthandlungen nur deshalb fehlt, weil diese bereits gegen gesetzlich normierte Pflichten (insbesondere § 283 Abs. 1 Nr. 5–7) verstoßen und ihre Verletzung daher den gesetzlichen Vorgaben ordnungsgemäßer Wirtschaft widerspricht oder die Verhaltensweisen (wie etwa das Erdichten von Rechten in Nr. 4) schon ihrer Natur nach unerlaubt riskant sind. 774 Hierdurch geht allerdings nicht der – auf die geschützten Gläubigerinteressen zu beziehende – Charakter als abstraktes Gefährdungsdelikt verloren; § 283 Abs. 2 ist ein Erfolgs-, aber kein Verletzungsdelikt; NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 34, 36; § 283 Rn. 3; a. A. Krause, S. 417; undeutlich insoweit LK/Tiedemann, § 283 Rn. 8: „[. . .] gegen Verletzung (oder doch gegen eine intensivere Gefährdung) geschützt [. . .]“. 775 s. hierzu schon B. IV. 1. a). 776 Krause, NStZ 1999, 162. 772 773
E. Überschuldung
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heit des Risikos in Anbetracht der schuldnerischen Vermögenslage – ist entsprechend der Verhaltensnorm des § 283 Abs. 2 auf die Eignung der Bankrotthandlung, eine rechnerische Überschuldung (mit)herbeizuführen, zu beziehen.777 Schon eine solche Bankrotthandlung, die eine rechnerische Überschuldung (mit)herbeizuführen geeignet ist und dann auch tatsächlich kausal herbeiführt (und nicht erst – wie in den Fällen des § 283 Abs. 1 – die in der bereits bestehenden Krise vorgenommene Bankrotthandlung), müsste somit als strafwürdig und typischerweise gefährlich anzusehen sein. Dies erscheint zunächst im Hinblick darauf problematisch, dass die herbeigeführte rechnerische Überschuldung – wie bereits dargelegt – eine u. U. nur recht geringe Gefährdung der Gläubigerinteressen beinhalten kann: so kann sowohl das Risiko, dass es überhaupt zu einem Ausfall kommt, als gering anzusehen sein (weil das Unternehmen über eine stabile Finanzkraft verfügt), als auch der sich im Fall der Liquidation ergebende Forderungsausfall marginal sein (weil die Vermögenssubstanz eine annähernd vollständige Gläubigerbefriedigung zulässt). Betrachtet man zunächst isoliert die Verletzungstypik, die den Fällen des § 283 Abs. 2 auf der Grundlage dieses Überschuldungsbegriffs zukommt, ist festzustellen, dass es im Zustand rechnerischer Überschuldung immer778 dann zu einer Rechtsgutsverletzung in Form des Forderungsausfalls der Gläubiger kommen wird, wenn der Schuldner – aus welchen Gründen auch immer – zahlungsunfähig wird und es zur Insolvenz (also zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder zur Abweisung des Eröffnungsantrags mangels Masse) kommt. Da den Insolvenzen in der Regel (zumindest auch) der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit zugrunde liegt,779 dürfte die Zahl der Fälle, in denen die Herbeiführung einer rechnerische Überschuldung durch eine Bankrotthandlung zu einer Verletzung der Gläubigerinteressen führt, jedenfalls in der Größenordnung mit der Insolvenzhäufigkeitsquote übereinstimmen. Angesichts einer Insolvenzhäufigkeitsquote von 1,35% allein im Jahr 2003780 – weitete man den Betrachtungszeitraum über ein Jahr hinaus aus wird diese Quote deutlich höher liegen – ist eine gewisse Verletzungstypik nur schwer zu leugnen. Zieht man etwa den allseits anerkannten § 316 als Vergleichsmaßstab heran, so dürfte die hier untersagte Trunkenheitsfahrt kaum eine signifikant höhere Quote an Rechtsgutsver-
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NK/Kindhäuser, Vor §§ 283 ff. Rn. 89; Krause, S. 418. Ausgenommen sind nur diejenigen – seltenen – Fälle, dass eine im Insolvenzverfahren beschlossene Sanierung des Unternehmens keine Forderungsverzichte der Gläubiger erfordert und zu einer vollständigen Befriedigung führt. 779 Laut Statistischem Bundesamt (Fachserie 2, R 4.1, 12/2003, S. 32) lag den 39.320 Unternehmensinsolvenzen im Jahr 2003 in 25.687 Fällen der alleinige Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit zugrunde, weitere 12.801 Fälle beruhten auf Zahlungsunfähigkeit verbunden mit Überschuldung. 780 Laut Statistischem Bundesamt (Fachserie 2, R 4.1, 12/2003, S. 19) entfielen 2003 im Bundesdurchschnitt auf 10.000 Unternehmen 135 Insolvenzen. 778
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
letzungen aufweisen.781 Der Unterschied liegt hier weniger in der Verletzungstypik als darin, dass sich eine Verletzung bei einer Trunkenheitsfahrt binnen kurzer Frist (bis zu deren Beendigung) einstellt, sich aber eine durch eine Bankrotthandlung herbeigeführte (und nicht überwundene) rechnerische Überschuldung auch noch nach Jahren rechtsgutbeeinträchtigend als Quotenschaden auswirken kann. Die Legitimation der Bankrottdelikte auf der Grundlage des statischen Überschuldungsbegriffs allein wegen einer wenig ausgeprägten Verletzungstypik anzuzweifeln, ist daher kaum überzeugend.782 Fraglich erscheint allerdings, ob man ein solches Maß abstrakter Gefährlichkeit bei einem reinen Vermögensdelikt wie dem Bankrotttatbestand auch als strafwürdig ansehen kann. Vergleicht man die Verletzungstypik mit derjenigen anderer abstrakter Gefährdungsdelikte, die (zumindest auch) dem Vermögensschutz dienen, so dürften insbesondere die Tathandlungen des unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß § 142, des Subventionsbetrugs gemäß § 264, des Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a und des Wuchers gemäß § 291 eine deutlich höhere Verletzungsquote aufweisen.783 Abgesehen von dieser „statistischen“ Betrachtung ergeben sich Zweifel an der Strafwürdigkeit des Gefährdungspotentials auch unter Wertungsgesichtspunkten: Es scheint fragwürdig, ein strafwürdiges Maß an abstrakter Gläubigergefährdung bei Unternehmen – bei denen eine weitgehende Fremdkapitalisierung heutzutage üblich ist – schon dann anzunehmen, wenn die Verbindlichkeiten unter ungünstigsten Bedingungen – der Liquidation der Unternehmensbestandteile – nicht mehr vollständig beglichen werden können, unabhängig davon, ob die bei Unternehmen regelmäßige Art der Gläubigerbefriedigung – diejenige aus den laufenden Einnahmen 781 Wegen der enorm hohen Dunkelziffer lassen sich über die Verletzungstypik bestimmter Handlungen allerdings keine (statistisch) gesicherten Angaben machen. 782 Verlässt man die „Angriffsperspektive“ der vorherrschenden Theorie von der typischen/generellen Gefährlichkeit und sieht stattdessen den Strafgrund der abstrakten Gefährdungsdelikte in der Beeinträchtigung von Sicherheitsbedingungen, die zur unbesorgten Verfügung über Güter notwendig sind – nimmt man also die Opferperspektive ein – (zusammenfassend zu diesem Standpunkt Kindhäuser, in: Bausteine, S. 130 ff.), so dürfte sich die Legitimierbarkeit der Bankrottdelikte auch auf der Grundlage des statischen Überschuldungsbegriffs ohnehin als unproblematisch darstellen. Sieht man nämlich dementsprechend den Zweck der Verhaltensnormen des § 283 darin, Sorgelosigkeit bei der Kreditvergabe (i. w. S.) hinsichtlich der Fähigkeit und dem Willen zur Erfüllung der Gegenleistung zu vermitteln (Kindhäuser, Gefährdung, S. 317), so verdeutlicht sich der Unrechtsgehalt von Handlungen, die die hierfür erforderlichen Sicherheitsbedingungen (und hierzu zählt neben dem Erhalt der Zahlungsfähigkeit auch der Erhalt einer zur Gläubigerbefriedigung ausreichenden Vermögensmasse) in ökonomisch sinn- oder verantwortungsloser Weise und damit über das erlaubte Risiko hinaus – sei es auch nur geringfügig – beeinträchtigen. Es geht m. a. W. darum, dem Kredit in Anspruch nehmenden Wirtschafter (per se) zu untersagen, seine Fähigkeit zur Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu verringern, soweit die Handlung nicht durch ein überwiegendes Eigeninteresse legitimiert ist. 783 Über die Verletzungstypik der §§ 264a, 265, 265b lassen sich dagegen nur schwer Aussagen treffen.
E. Überschuldung
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des Geschäftsbetriebes – gesichert erscheint oder nicht. Weitere Bedenken an der Strafwürdigkeit der Herbeiführung einer rechnerischen Überschuldung ergeben sich daraus, dass der drohende Schaden in Form des (partiellen) Forderungsausfalls im Einzelfall nur sehr gering ausfallen kann. Auch ein ausgeprägtes Verhaltensunrecht wird man – da eine Benachteiligungsabsicht anders als noch in § 239 KO a. F. nicht mehr gefordert wird – nur den informationsbezogenen Verhaltensweisen des § 283 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt.; Nr. 4; Nr. 8, 2. und 3. Alt., die als bewusste Täuschungshandlungen784 anzusehen sind, zuschreiben können. Dagegen, dass die geringe Verletzungstypik durchweg durch ein schwerwiegendes Verhaltensunrecht aufgewogen würde, spricht zudem die weitgehende Pönalisierung auch fahrlässiger Verhaltensweisen (Abs. 4, 5). (4) Rechtsfolgenlösung? Scheut man trotz dieses Befundes die Konsequenz, über die Bankrottdelikte auf der Grundlage eines solchen Verständnisses des Überschuldungsbegriffs das Urteil der Verfassungswidrigkeit zu fällen, ließe sich als letzter Ausweg erwägen, der weitreichenden (insbesondere: Fahrlässigkeits-)Pönalisierung im Bereich des § 283 Abs. 2 und einzelner informationsbezogener Verhaltensweisen des § 283 Abs. 1 (Nr. 1, 2. Alt.; Nr. 4; Nr. 8, 2. und 3. Alt.) auf der Rechtsfolgenseite Rechnung zu tragen. In diesem Sinne hat das BVerfG die generelle Pönalisierung eines weit typisierten Verhaltens, das auch solche Handlungsformen erfasst, die im Einzelfall einen nur geringen Unrechts- und Schuldgehalt aufweisen, solange als verhältnismäßig angesehen, wie für diese Situationen Reaktionsmöglichkeiten vorgesehen sind, die eine übermäßige Belastung des Betroffenen verhindern können.785 Gegen eine solche Rechtsfolgenlösung spricht jedoch, dass sich eine restriktive Handhabung des Strafmaßes hier nicht auf den Einzelfall beschränken, sondern über einen sehr weiten Anwendungsbereich des § 283 erstrecken würde, weil eine Überschuldung nach Liquidationswerten allenfalls in Ausnahmefällen eine besondere Gläubigergefährdung anzuzeigen vermag. Dass in einem Teilbereich des Tatbestandes – bei den bestandsbezogenen Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 – die Möglichkeit einer flexiblen
784 Ähnlich insoweit etwa die Betrugsderivate der §§ 264–265b, bei denen die Tathandlungen durchweg durch Elemente der Täuschung geprägt sind; vgl. Kindhäuser, in: Madrid-Symposium, S. 134. 785 BVerfGE 90, 145, 189, zustimmend auch das Sondervotum Graßhofs (S. 206 f., 210 ff.); Jakobs, 6/89, sieht ein Legitimationsproblem nur bei abstrakten Gefährdungsdelikten mit erhöhtem Mindeststrafrahmen, so dass Minimalfälle nicht entsprechend minimal zugemessen werden können; vgl. auch Roxin, 2/31: „Zwar ist theoretisch das Verhältnismäßigkeitsprinzip ein Verfassungsgrundsatz, so dass die Pönalisierung eines geringfügigen Verstoßes wegen Verletzung des Übermaßverbotes nichtig sein könnte; praktisch aber ist eine Verfassungswidrigkeit solange zu verneinen, wie der Gesetzgeber für geringe Verstöße entsprechend milde Strafen zur Verfügung stellt.“.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Handhabung geschaffen wird, erscheint demgegenüber nachrangig, zumal die Rechtsfolgenlösung mit einer erheblichen Unbestimmtheit verbunden wäre. b) Die zweistufigen Überschuldungsmodelle aa) Das Prognoseelement Alle zweistufigen Modelle haben gemeinsam, dass die Frage der Überschuldung – mehr oder weniger weitgehend – von einem Prognoseelement abhängig gemacht wird, das Auskunft über die Lebensfähigkeit des schuldnerischen Unternehmens geben soll. Dieses Prognoseelement, das sich auch im Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit findet, als Tatbestandselement aber gleichwohl eine Ausnahmestellung einnimmt,786 bildet im Rahmen des Überschuldungsbegriffs den Ansatzpunkt für eine Reihe von Diskussionen. Sogleich wird die Frage erörtert werden, welches Maß an Gläubigerschutz mittels eines Prognoseelements theoretisch möglich ist; im Verlauf der Untersuchung wird zudem zu behandeln sein, ob das auf einer Prognose beruhende Konzept des Gläubigerschutzes in der Praxis umzusetzen ist,787 und schließlich, ob die Abhängigkeit des Normbefehls von einer Prognosebetrachtung mit dem Bestimmtheitsgebot zu vereinbaren ist788. Im Hinblick auf die erstgenannte Frage des theoretisch möglichen Gläubigerschutzes ist von Bedeutung, mit welcher Zuverlässigkeit eine Prognose die zukünftige Unternehmensentwicklung vorwegzunehmen vermag. Diese Frage soll vor der Erörterung der verschiedenen Zweistufenmodelle geklärt werden, denn die Einschätzung der Zukunftsaussichten hat bei allen diesen Überschuldungsbegriffen wesentlichen Einfluss auf die Qualifizierung einer Unternehmenssituation als Überschuldung. Zugleich spielt sie für die unter den Zweistufenmodellen umstrittene Frage, welche Bedeutung einem Prognoseelement im Rahmen des Überschuldungsbegriffs eingeräumt werden sollte, eine erhebliche Rolle. Kern der Diskussion ist, ob es unter dem Gesichtspunkt effektiven Gläubigerschutzes sinnvoll sein kann, den Schuldner bei einer positiven Prognose von seiner Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrags zu befreien. Bewahrheitet sich nämlich die positive Prognose ex post nicht, haben die Gläubiger mit erheblichen Forderungsausfällen zu rechnen, wenn der Schuldner wie gehabt sein Vermögen weiter verwirtschaftet bzw. – aus strafrechtlicher Sicht –
786 I.Ü. finden sich solche eher im Bereich der Rechtsfolgen, vgl. etwa §§ 56 Abs. 1, 57 Abs. 1, 57a Abs. 1 S. 2, 59 Abs. 1 S. 1, 63, 64 Abs. 1, 67d Abs. 2, 68 Abs. 1, 68c Abs. 2, 68e Abs. 1, 70 Abs. 1, 183 Abs. 3. 787 s. V. 3. 788 s. V. 4.
E. Überschuldung
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Bankrotthandlungen vorgenommen hat.789 Eine Gefährdung der Gläubigerinteressen bestünde nur dann nicht, wenn man sicher wüsste, dass das schuldnerische Unternehmen niemals zahlungsunfähig werden wird.790 Dieses sichere Wissen kann aber durch eine positive Prognose nicht ersetzt werden, ist doch kaum zu bestreiten, dass „falsch zu sein [. . .] das mögliche Schicksal aller Prognosen“791 ist. Die künftige Zahlungsfähigkeit ist wie auch die künftige Ertragsfähigkeit und Rentabilität stark von der Unternehmensentwicklung, insbesondere den zu erwartenden Umsätzen, abhängig; diese wiederum wird wesentlich durch die zukünftigen Umweltentwicklungen (Entwicklung der Branche, der Volks- und Weltwirtschaft) beeinflusst. Solche Faktoren vorherzusagen birgt erhebliche Unsicherheiten.792 Weitere Unsicherheiten ergeben sich sodann daraus, die künftigen Entwicklungen aussagekräftig in eine Finanz- und Ertragsplanung einfließen zu lassen. Das Ausmaß dieser niemals vollständig zu eliminierenden Unsicherheitsfaktoren hängt zudem wesentlich davon ab, welche Sorgfaltsmaßstäbe man an die Erstellung der Prognose anlegt.793 Legt man hier realistische Maßstäbe an, wird man zwar bei Großunternehmen auf eine detaillierte Finanzpla789 Der Grund dafür, dass dieses Problem aus insolvenzrechtlicher Sicht im Rahmen des Merkmals der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht diskutiert wird, dürfte darin liegen, dass eine drohende Zahlungsunfähigkeit lediglich zur Antragstellung berechtigt, aber keine Antragspflicht nach sich zieht. Aus Sicht des Bankrottstrafrechts, das den Schuldner bei drohender Zahlungsunfähigkeit strafbewehrt zur Einhaltung bestimmter Sorgfaltsanforderungen verpflichtet, stellt sich das Problem dort aber grundsätzlich ebenso wie im Rahmen des Überschuldungsmerkmals. Dass die Problematik auch hier gleichwohl nicht thematisiert wird, dürfte v. a. darauf beruhen, dass der Wortlaut des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit weitaus weniger Interpretationsspielraum bietet als der des Überschuldungsbegriffs. Eine mit Unsicherheiten behaftete Prognose ist in ihm anders als beim Überschuldungsbegriff durch den Zusatz „drohend“ bereits angelegt. 790 Vgl. etwa K. Schmidt, JZ 1982, 169: „[. . .] muß der Überschuldungstatbestand [. . .] im Unternehmensrecht als ein Prognosetatbestand begriffen werden. Wüsste man von einem Unternehmen, dass es niemals zahlungsunfähig wird, so gäbe es keinen Grund für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.“. 791 Jauernig, § 54 II 3. 792 Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 5g; Meyer-Cording, ZIP 1989, 485 f.; Vonnemann, S. 16 f.; Wolf, S. 23 f.; s. a. Höfner, S. 172 ff. allgemein zur Unsicherheit von Prognoseverfahren. 793 Ausgeklammert sollen hier diejenigen Unsicherheiten bleiben, die auf Nachlässigkeiten oder gar Manipulationen des Erstellers beruhen. Die Gefahr, dass ein Tatbestandsmerkmal zu eigenen Gunsten falsch interpretiert wird oder dass bei der Subsumtion falsche Tatsachen zugrundegelegt werden, besteht prinzipiell bei jedem Tatbestandsmerkmal und kann sich strafrechtlich allenfalls als (ggf. vermeidbarer) Verbotsbzw. Tatbestandsirrtum niederschlagen. Hier soll allein die Frage geklärt werden, welches Gefahrenpotential für die Gläubigerinteressen dem Prognoseelement bereits dem theoretischen Konzept nach unvermeidbar innewohnt; insoweit ist eine den objektiven Sorgfaltsanforderungen des jeweiligen Adressatenkreises entsprechende Prognose zugrundezulegen; zum Einwand der Manipulationsanfälligkeit s. noch V. 3.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
nung bestehen können. Ob man eine solche angesichts der damit verbundenen Kosten auch bei der großen Zahl kleinerer und mittlerer Unternehmen verlangen kann, erscheint dagegen zweifelhaft; hier wird man gewisse Abstriche machen müssen.794 Orientiert man sich schließlich an der herrschenden – auch hier vertretenen – Auffassung, reicht für eine positive Prognose bereits eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (> 0,5) der Fortführung aus, wodurch immerhin eine Gegenwahrscheinlichkeit von 49% zugelassen wird.795 Festzuhalten ist somit, dass einer Zahlungs- bzw. Ertragsfähigkeitsprognose stets Unsicherheiten anhaften werden. Insbesondere bei der großen Zahl kleinerer Unternehmen, von denen schon aus Kostengründen nur eine weniger detaillierte Finanzplanung verlangt werden kann, vergrößern sich diese Unsicherheiten noch einmal erheblich. Deren Auswirkungen auf den Gläubigerschutz werden im Rahmen der unterschiedlichen Überschuldungsbegriffe zu klären sein.796 bb) Der herkömmliche zweistufige Überschuldungsbegriff Um die Frage zu beantworten, ob es auf der Grundlage des herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff möglich ist, die Prinzipien des Rechtsgüterschutzes und der Strafwürdigkeit zu einem gerechten Ausgleich zu bringen, ist zwischen den beiden Situationen, die nach diesem Ansatz als Überschuldung qualifiziert werden, zu unterscheiden: (1) Der Fall der negativen Fortbestehensprognose Als Überschuldungssituation wird es einerseits angesehen, wenn die Fortführungsprognose negativ ausfällt und zugleich eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegt. Legt man die Vorgaben der ganz herrschenden Meinung für die Fortführungsprognose zugrunde, ist in dieser Lage der mittelfristige Erhalt der Zahlungsfähigkeit nur noch mit weniger als 50% Wahrscheinlichkeit möglich, obwohl bereits alle Möglichkeiten der Kapitalbeschaffung und sonstige Sanierungsmaßnahmen in die Zukunftsbetrachtung einbezogen wurden; weder sind die Anteilseigner des Unternehmens zur Zufuhr von Eigenkapital bereit, noch gewähren Dritte neuen Kredit. Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit droht dann bereits, 794 Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 5 h: „[. . .] mehr als eine pauschale Prognose [kann] nicht verlangt werden.“; Reck, GmbHR 1999, 272: „[. . .] kleineren GmbH kann man diesen Planungsaufwand im Prinzip nicht zumuten“; auch K. Schmidt (JZ 1982, 173) macht bei kleineren Unternehmen gewisse Abstriche; so auch Bork, ZIP 2000, 1712; Penzlin, S. 80 f.; Wolf, DStR 1995, 861. 795 Kritisch insoweit Bieneck, StV 1999, 44; Drukarczyk/Schüler, WPg 2003, 65. 796 Dass sie sich theoretisch auch (bei einer negativen Prognose) zulasten des Schuldners auswirken kann, soll dabei vernachlässigt werden.
E. Überschuldung
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sollten sich nicht unter dem Druck eines Insolvenzverfahrens Kompromisse finden lassen, eine Liquidation. Die Gefahrensituation befindet sich somit in der Nähe einer Rechtsgutsverletzung: die Herbeiführung einer solchen Situation (§ 283 Abs. 2) bzw. eine nunmehr vorgenommene Bankrotthandlung (§ 283 Abs. 1) führen mit hoher Wahrscheinlichkeit mittelfristig zu einem Forderungsausfall; die Gestaltungsspielräume der Gläubiger im Hinblick auf eine etwaige Fortführung des Unternehmens sind bereits stark eingeschränkt. Der (potentielle) Forderungsausfall ist aber, da die Überschuldungsbilanz unter Ansatz von Liquidationswerten aufgestellt wird, u. U. nur gering.797 Kurz gefasst besteht auf der Grundlage der Annahmen der h. M. eine erhebliche Gefahr eines u. U. nur geringen Ausfalls. Angesichts der hohen Verletzungstypik der in diesem Zustand vorgenommenen bzw. diesen Zustand herbeiführenden Bankrotthandlungen unterliegt deren Strafwürdigkeit keinen Bedenken. Dem u. U. nur geringen Ausfall kann durch eine entsprechende Strafzumessung Rechnung getragen werden. Inwieweit eine Veränderung der Prognoseparameter – insbesondere des Prognosegegenstandes – eine Ausweitung des Gläubigerschutzes ermöglicht, ohne zugleich nicht mehr als strafwürdig anzusehendes Verhalten zu pönalisieren, kann an dieser Stelle dahinstehen. Es soll auf dieser Ebene lediglich geklärt werden, welches Grundmodell der Überschuldung vorzugswürdig erscheint. Ohne daher auf die zweckentsprechende Ausgestaltung der Fortbestehensprognose im Einzelnen einzugehen,798 ist an dieser Stelle festzuhalten, dass diese als Überschuldung qualifizierte Situation (Negative Prognose bei rechnerischer Überschuldung nach Liquidationswerten) jedenfalls auf der Grundlage der Annahmen der h. M. grundsätzlich geeignet ist, den ihr zukommenden Zweck, den Bankrotthandlungen ein strafwürdiges Maß an Gefährlichkeit zu verleihen und zugleich ein gewisses Maß an – gegenüber der Krisensituation der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit vorverlegtem – Gläubigerschutz zu gewährleisten, erfüllen kann. (2) Der Fall der positiven Fortbestehensprognose Betrachtet man nun die andere als Überschuldung qualifizierte Situation – der Fall einer positiven Fortbestehensprognose – ist zwischen den beiden Methoden zur Bestimmung der Fortführungswerte zu differenzieren; wie bereits dargelegt, führen sie zu grundsätzlich verschiedenen Überschuldungsmodellen.
797 798
s. a) bb). s. hierzu noch V.2.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
(a) Das Substanzwertverfahren (aa) Der Aussagegehalt der rechnerischen Überschuldung nach Substanzwerten Da die Entscheidung über die Überschuldung bei der Substanzwertmethode sowohl bei positiver wie bei negativer Prognose letztlich auf der Grundlage einer Bilanz getroffen wird, ist mit der Feststellung einer Überschuldung nicht notwendig auch die Aussage künftig ausbleibender Zahlungs- bzw. Ertragsfähigkeit verbunden, wie der Fall positiver Prognose bei rechnerischer Überschuldung nach Fortführungswerten zeigt. Auch der Vermögen-Schulden-Vergleich (die Überschuldungsbilanz) selbst ist, wie bereits beim statischen Ansatz von Liquidationswerten festgestellt wurde,799 allein dazu geeignet, das Fehlen eines statischen Schuldendeckungspotentials anzuzeigen. Der statischen, zeitpunktbezogenen Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden kann aber keine oder allenfalls eine höchst unvollkommene Aussage über das dynamische Schuldendeckungspotential entnommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn die Vermögensgegenstände nicht zu Liquidations- sondern zu Fortführungswerten in Form von Substanzwerten auf der Aktivseite angesetzt werden.800 Die Aufnahme solcher Bilanzposten, die Umstände erfassen, die das Überleben des Unternehmens wahrscheinlich machen, wie der Geschäfts- bzw. Firmenwert, kann hieran nichts Grundsätzliches ändern. Der Ansatz eines Firmenwertes etwa mag zwar in einer Reihe von Fällen die unerwünschte Konsequenz, dass zahlungs- bzw. ertragsfähige Unternehmen – insbesondere auf dem Dienstleistungssektor – nach dem Substanzwertansatz als überschuldet angesehen werden müssten, vermeiden helfen. Jedoch beruht dies dann nicht eigentlich auf einer positiven Beurteilung der Zahlungsbzw. Ertragsfähigkeit,801 sondern letztlich erst auf einer Aufwertung der gegenwärtigen Vermögenssubstanz um einen solchen Betrag, der ein zumindest ausgeglichenes Wertverhältnis von Vermögen und Schulden herbeiführt. Ergibt eine fortführungsorientierte Überschuldungsbilanz eine Unterdeckung, lässt dies mithin allein den Schluss zu, dass das zur verwertbaren Masse gehörenden Schuldnervermögen nicht ausreicht, um die bestehenden Verbindlichkeiten zu decken. Dabei enthält der Befund, dass sogar auf der Grundlage der re-
799
s. a) aa). Egner/Wolff, AG 1978, 103; Fischer, DB 1981, 1346 f.; Groth, S. 104 f.; Harneit, S. 37; Klar, DB 1990, 2079; Moxter, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Sp. 635 ff.; Plate, DB 1980, 221; Ransiek, S. 158; K. Schmidt, AG 1978, 337; Temme, S. 130. 801 Obgleich ein positiver Firmenwert ja gerade besagt, dass Einnahmenüberschüsse in errechneten oder am Markt nachgewiesen Höhe von dem Rechnungsersteller oder dem Marktinteressenten erwartet werden. 800
E. Überschuldung
gelmäßig günstigeren Fortführungswerte – im Regelfall werden schließlich Wiederbeschaffungswerte zugrundegelegt – eine Unterdeckung besteht, die sätzliche Information, dass die im Fall der Liquidation – wenn sich also Prognose nicht bewahrheiten sollte – zu erwartenden Forderungsausfälle Gläubiger bereits ein erhebliches Ausmaß angenommen haben.
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die zudie der
(bb) Gläubigerschutz Dementsprechend stellt sich das Gefahrenpotential einer Bankrotthandlung im Fall positiver Fortführungsprognose bei rechnerischer Überschuldung nach Fortführungswerten wie folgt dar: Zunächst ist die Gefahr eines (partiellen) Forderungsausfalls aufgrund einer Bankrotthandlung angesichts der prognostizierten mittelfristigen Zahlungsfähigkeit (h. M.) als recht gering einzuschätzen, wenngleich dem positiven Prognoseergebnis aufgrund der nicht unerheblichen Prognoseunsicherheit mit einer gewissen Skepsis zu begegnen ist. Zwar hat der hypothetische Forderungsausfall im Fall der (wegen der positiven Fortführungsprognose unerwarteten) Liquidation bereits ein erhebliches Ausmaß angenommen; dieser muss allerdings nicht auf der Bankrotthandlung beruhen, sondern kann bereits durch eine legale Misswirtschaft entstanden sein. Die potentielle Auswirkung einer Bankrotthandlung für die Gläubiger in Form des anteiligen Forderungsausfalls im Fall des Zusammenbruchs ist vom Eintritt der rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten an immer identisch. Auch die Herbeiführung einer rechnerischen Überschuldung nach Fortführungswerten (§ 283 Abs. 2) spricht nicht notwendigerweise für einen hohen potentiellen, durch die Bankrotthandlung herbeigeführten Insolvenzdeliktsschaden, weil bereits vorher ein ungünstiges Vermögen-Schulden-Verhältnis vorgelegen haben kann, das durch eine (u. U. nur geringfügige) Bankrotthandlung nochmals – bis über die Schwelle der rechnerischen Überschuldung nach Fortbestehenswerten – verschlechtert wurde. Bankrottstrafrechtlich ist also kein Grund dafür ersichtlich, die Sorgfaltspflichten des § 283 an eine rechnerische Überschuldung nach Fortführungswerten zu knüpfen; eine Schwellenfunktion kommt insoweit nur der rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten zu802. Die Unsicherheit der Prognose wirkt sich bei diesem Ansatz insofern zulasten der Gläubiger aus, als sich die – aufgrund einer positiven Prognose und des Fehlens einer rechnerischen Überschuldung nach Fortführungswerten – ursprünglich zulässige Vornahme einer Bankrotthandlung bei einem unerwarteten Zusammenbruch als (partieller) Forderungsausfall niederschlagen kann, sofern nur eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegt. Auch 802
s. a) aa).
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
das Erfordernis (des Fehlens) einer rechnerischen Überschuldung nach Fortführungswerten kann also nicht verhindern, dass sich die Bankrotthandlung als partieller Forderungsausfall gläubigerschädigend auswirkt; es besteht lediglich eine Absicherung gegen einen hohen (Gesamt-)Ausfall. Kurz gefasst besteht in diesem Fall die geringe Gefahr eines u. U. nur geringen (allein auf die Bankrotthandlung zurückzuführenden) Ausfalls. Der Gläubigerschutz greift dabei erst dann ein, wenn das Vermögen-Schulden-Verhältnis bereits durch andere Umstände ungünstig verschoben worden ist. (cc) Strafwürdigkeit Wie beim statischen Überschuldungsbegriff ergeben sich auch hier insbesondere im Rahmen des § 283 Abs. 2 Zweifel an der Legitimation der Pönalisierung. So drängt sich der Einwand auf, dass die Herbeiführung eines solchen Zustandes kein hinreichendes Maß an abstrakter Gefährdung birgt, weil das dynamische Schuldendeckungspotential mittelfristig gesichert erscheint und sich daher das Fehlen einer zur vollständigen Gläubigerbefriedigung ausreichenden Vermögensmasse nicht auswirken kann. Die Verletzungstypik solcher Bankrotthandlungen, die eine derartige Überschuldungssituation herbeiführen, resultiert allein daraus, dass sich auch ordnungsgemäß erstellte positive Fortbestehensprognosen u. U. nicht bewahrheiten. Die Prognoseunsicherheit ist damit gewissermaßen konstitutives Element dieses Überschuldungsmodells. Wie bereits aufgezeigt wurde,803 kann eine Gefährdung der Gläubigerinteressen durch eine positive Prognose nicht ausgeschlossen werden; beziffern und statistisch belegen lässt sich allerdings nicht, in wie vielen Fällen es trotz positiver Fortbestehensprognose letztlich doch zu einem Zusammenbruch kommt. Zwar schätzte der Gesetzgeber die aus der Prognoseunsicherheit bei Fehlen eines gewissen Vermögensbestandes resultierende Gefährdung als so erheblich ein, dass er hieran die Insolvenzreife des Unternehmens bei bestimmten Unternehmensträgern knüpfte und so eine negative zivilrechtliche Vorbewertung dieses Zustandes schaffte.804 Die aus der Prognoseunsicherheit resultierende Verletzungstypik hinsichtlich der Gläubigerinteressen dürfte aber jedenfalls – bei allen Vorbehalten gegenüber der Zuverlässigkeit der Prognose – niedriger liegen als beim statischen Ansatz von Liquidationswerten, bei dem keinerlei prognostische Bewertung der Zahlungsmittel- bzw. Ertragssituation erfolgt. Unter dem Gesichtspunkt einer typischen bzw. generellen Gefährlichkeit wird die Pönalisierung der Bankrotthandlungen hier also tendenziell noch stärker ausgeweitet als dort.
803 804
s. aa). Vgl. SK/Hoyer, § 283 Rn. 9.
E. Überschuldung
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Auch dürfte sich kaum vorbringen lassen, es resultiere ein erheblicher Erfolgsunwert der Bankrotthandlung daraus, dass den Gläubigern in dieser Überschuldungssituation bereits ein erheblicher potentieller Forderungsausfall für den Fall des Zusammenbruchs droht. Denn dieser potentielle Forderungsausfall beruht – wie dargelegt – nicht notwendigerweise auf der zu beurteilenden Bankrotthandlung, sondern kann auch auf die legale Misswirtschaft des Schuldners zurückzuführen sein. Dass eine Bankrotthandlung im Zustand (§ 283 Abs. 1) oder in der Nähe (§ 283 Abs. 2) einer Überschuldung nach Fortführungswerten vorgenommen wird – die Gläubiger also auch schon unabhängig von den Auswirkungen der Bankrotthandlung im Fall des Zusammenbruchs mit Ausfällen zu rechnen haben – wird man allenfalls als Steigerung des Verhaltensunwertes der Bankrotthandlung ansehen können. Schließlich scheidet eine Korrektur dieser weitreichenden Pönalisierung im Rahmen des Zweistufenmodells selbst für die bestandsbezogenen Bankrotthandlungen des § 283 Abs. 1 aus, weil hier das Merkmal der Wirtschaftswidrigkeit nur noch wenige Korrekturmöglichkeiten bietet; so erfasst doch bereits der Überschuldungsbegriff sowohl die Vermögens- als auch die Zahlungsmittelsituation (und ggf. sogar die Ertragssituation) des Unternehmens. Man wird eine Bankrotthandlung, die in einem Zeitpunkt vorgenommen wird, in der die mittelfristige Zahlungsmittelsituation (und ggf. auch die Ertragssituation) objektiv stabil erscheint, nur in gravierenden Fällen als wirtschaftswidrig qualifizieren können. Schließlich sprechen dieselben Bedenken, die bereits beim statischen Überschuldungsbegriff geäußert worden sind,805 dagegen, diesen Problemen durch eine restriktive Handhabung des Strafmaßes über den gesamten Anwendungsbereich des § 283 Rechnung zu tragen. Insgesamt unterliegt die Strafwürdigkeit der Bankrotthandlungen in dieser Überschuldungssituation daher noch gravierenderen Zweifeln als beim statischen Ansatz von Liquidationswerten. Schon bei unbefangener Betrachtung mutet es schließlich widersprüchlich an, eine Bankrotthandlung, die sich aufgrund der Realisierung einer bloßen Restwahrscheinlichkeit in einem Forderungsausfall niederschlägt, als in strafwürdigem Maße gefährlich zu qualifizieren. Insoweit zeigt sich die dogmatische Unstimmigkeit des Modells, das der Prognose einerseits nicht traut, ihr aber andererseits eine nicht unerhebliche Rolle im Rahmen der Überschuldungsfeststellung einräumt. (dd) Exkurs: Die Interessenlage bei den Eröffnungstatbeständen der InsO Dieser Befund impliziert indes nicht, dass die Entscheidung der herrschenden Literaturmeinung und offenkundig auch des Gesetzgebers zugunsten des Subs805
s. a) cc) (4).
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
tanzwertverfahrens auch für die Eröffnungstatbestände der InsO zu verwerfen wäre. Die Abwägung der konkurrierenden Interessen kann dazu führen, dass die mit einer Verfahrenseröffnung verbundenen Nachteile eher in Kauf zu nehmen und um der Verlagerung des Fortführungsrisikos willen auch u. U. lebensfähige Unternehmen schon dann in ein Insolvenzverfahren zu zwingen sind, wenn die Prognose eine überwiegende Fortführungswahrscheinlichkeit ergibt. Zunächst sind insoweit insbesondere die wesensverschiedenen Rechtsfolgen zu beachten: Aus dem Eintritt der Überschuldung und der daran anknüpfenden Eröffnung des Insolvenzverfahrens folgt im Regelfall zunächst der Verlust der Verfügungsbefugnis des Schuldners über die zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände (§ 80 Abs. 1 InsO); der Schuldner bleibt aber Eigentümer bzw. Inhaber der Forderungen. Im Einzelfall kann ihm auch die Verfügungsbefugnis belassen werden, wenn die Gläubiger einer Eigenverwaltung zustimmen (§§ 270 ff. InsO).806 Auch ist mit der auf der Überschuldung beruhenden Verfahrenseröffnung nicht notwendigerweise der Exitus des schuldnerischen Unternehmens verbunden. Durch eine weitgehend marktkonforme Ausgestaltung des Insolvenzverfahrens bemühte sich der Gesetzgeber der InsO, die sich aus der Eröffnung ergebenden Nachteile zu verringern, insbesondere den bisher mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Automatismus der Zerschlagung des schuldnerischen Unternehmens zu durchbrechen.807 Wird die Gläubigerbefriedigung durch Fortführung des Unternehmens nicht nur vom Schuldner, sondern auch vom – neutralen – Insolvenzverwalter als aussichtsreich angesehen, wird sich regelmäßig auch eine Gläubigermehrheit für die Fortführungsentscheidung sowie den Erhalt des Unternehmens und des Unternehmensträgers finden lassen.808 Die durch eine Verfahrenseröffnung bewirkte Einschränkung der genannten Schuldnerinteressen lässt sich ersichtlich leichter rechtfertigen als die gravierende Einschränkung der weitaus gewichtigeren Schuldnerinteressen, die durch die Verhängung einer Strafsanktion wegen einer Bankrotthandlung berührt sind.809 Auf der anderen Seite dürften die Interessen der Gläubiger an einer Einflussnahme auf den Umgang mit dem schuldnerischen Vermögen dann, wenn der potentielle Forderungsausfall angesichts der rechnerischen Überschuldung nach Fortführungssubstanzwerten ein bereits erhebliches Ausmaß angenommen hat, 806
s. 1. Teil B. II. 2. s. 1. Teil B. I. 808 Zu den Interessen, die für die Fortführungsentscheidung der Gläubiger relevant sein können, s. 1. Teil B. I. 809 Die Auffassung, dass aus dem Eintritt der Überschuldung bankrottstrafrechtlich lediglich die Verpflichtung zur Einhaltung von Sorgfaltsanforderungen folge (vgl. Franzheim, NJW 1980, 2501 f., NK/Kindhäuser1, Vor §§ 283 ff. Rn. 99), lässt diese aus der Sanktionsnorm folgenden Interessenbeeinträchtigungen bei der Abwägung unberücksichtigt und greift daher zu kurz. 807
E. Überschuldung
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als besonders gewichtig zu bewerten sein. Die Differenzierung zwischen einer rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten und einer solchen nach Fortführungswerten (also mithin nach dem Ausmaß des potentiellen Forderungsausfalls), die sich aus der Sicht des Bankrottstrafrechts als irrelevant darstellt, erweist sich vor diesem Hintergrund als durchaus tragfähig. Die Intention, den Gläubigern in jedem Fall eine gewisse „Mindestzugriffsmasse“810 zu erhalten, korreliert insbesondere mit dem auf haftungsbeschränkte Unternehmen ohne eine persönliche Außenhaftung begrenzten Anwendungsbereich des Überschuldungsbegriffs als Eröffnungstatbestand.811 Eine solche Schwerpunktsetzung zugunsten des Gläubigerschutzes ist auch angesichts der großen Zahl mangels Masse nicht eröffneter Verfahren und der daraus resultierenden erheblichen Insolvenzschäden durchaus nachvollziehbar. Anzumerken ist insoweit jedoch, dass es für eine solche auf den Erhalt einer Mindestzugriffsmasse bedachte Lösung nicht des Umweges über die Höherbewertung des Schuldnervermögens bei positiver Fortführungsprognose bedurft hätte, sondern es – auch um der Methodenehrlichkeit willen – näher gelegen hätte, ein bestimmtes prozentuales Höchstmaß eines potentiellen Forderungsausfalls festzulegen, das man für den Fall der Falsifizierung einer positiven Fortführungsprognose maximal bereit ist hinzunehmen. Die Prüfung, ob dieses Höchstmaß erreicht ist, müsste dann aber selbstredend auf der Grundlage einer Liquidationsbewertung des Schuldnervermögens erfolgen. Alles in allem lassen sich also durchaus Gründe des Gläubigerschutzes für das Konzept anführen, die Kompetenzverlagerung vom Schuldner auf die Gläubiger nicht allein von einer – notwendigerweise unsicheren – Zukunftsbetrachtung abhängig zu machen, sondern bereits an die geringe Verletzungstypik der bloßen unveränderten Fortführung des Geschäftsbetriebes und eine rechnerische Überschuldung nach Fortführungssubstanzwerten anzuknüpfen. Die nicht unerheblichen Probleme bei der Bestimmung der Substanzwerte erschweren indes auch hier die Handhabung des Überschuldungstatbestandes; immerhin dürfte aber der Zweck des Erhalts einer Mindestzugriffsmasse in der Regel erfüllt werden.
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Moxter, in: Handwörterbuch der Finanzwirtschaft, Sp. 635. Diesen Aspekt betonen insbesondere H. P. Müller/Haas, in: Kölner Schrift, S. 1800 f. Rn. 2 ff., S. 1806 Rn. 18; ob sich die Differenzierung allerdings tatsächlich durch ein unterschiedliches Gefährdungspotential von Gesellschaften mit und ohne persönliche Außenhaftung rechtfertigen lässt, ist indes umstritten, vgl. etwa K. Schmidt, JZ 1982, 171 ff.; Haas (in: Insolvenzrecht 1998, S. 14 f.) erkennt einen Unterschied nur im Insolvenzverursachungs-, nicht aber im Insolvenzausfallrisiko und sieht damit keinen Grund, die Überschuldung als Eröffnungsgrund nicht auf alle Unternehmensträger auszudehnen. 811
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(b) Das Ertragswertverfahren Um die Situation der positiven Fortführungsprognose bei gleichzeitiger rechnerischer Überschuldung nach Ertragswerten angemessen beurteilen zu können, muss zunächst deren nicht ohne weiteres erkennbarer Aussagegehalt verdeutlicht werden. (aa) Der Aussagegehalt der rechnerischen Überschuldung nach Ertragswerten Beide dargestellten Varianten der Ertragswertmethode – diejenige, die die Grundsätze der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung vollständig übernimmt, wie auch diejenige, die demgegenüber weitgehende Modifikationen vornimmt – lösen sich von der Einzelbewertung von Vermögensgegenständen und prognostizieren im Rahmen des „Überschuldungsstatus“ stattdessen Einzahlungsüberschüsse für jeweils unterschiedliche Zeiträume. In beiden Varianten werden die kumulierten Werte der Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt, wobei die zum Zeitpunkt der Prognoseerstellung bereits begründeten Verbindlichkeiten gesondert im Nenner des „Überschuldungsstatus“ ausgewiesen werden, während die zukünftig noch entstehenden Verbindlichkeiten mit den zukünftigen Einzahlungen verrechnet werden und so den Zählerwert des „Überschuldungsstatus“ bilden. Diese Rechnung wahrt zwar die Form einer Bilanz, hat aber letztlich mit einem Überschuldungsstatus im Sinne einer Gegenüberstellung von Vermögen und Schulden nicht mehr viel zu tun; der Sache nach handelt es sich um eine vereinfachte, weil kumulierte Werte verwendende Einzahlungsüberschussrechnung. Der „Überschuldungsstatus“ wird so letztlich zu einer Ergänzung der Fortbestehensprognose, die von den Vertretern dieses Überschuldungsmodells überwiegend als mittelfristige Zahlungsfähigkeitsprognose verstanden wird.812 Beide Prognoseelemente überschneiden sich dabei sehr weitgehend, denn auch die Zahlungsfähigkeitsprognose beruht auf einer Gegenüberstellung der Einzahlungen und Auszahlungen.813 Formal liegt der Unterschied beider Rechnungen zunächst darin, dass die Einzahlungsüberschussprognose im „Überschuldungsstatus“ – jedenfalls soweit man bei der Rechnung von einer unendlichen Lebensdauer des Unternehmens ausgeht – weiter in die Zukunft reicht als bei der mittelfristigen Fortbestehensprognose. Zudem ist bei der Einzahlungsüberschussprognose keine exakte Terminierung der Ein- und Auszahlungen erforderlich wie bei einem Finanzplan. Entscheidend ist nur, dass der Einzahlungsüber812 Röhm, S. 175 ff.; Temme, S. 123 ff.; vgl. Spliedt, DB 1999, S. 1943 Fn. 54, mit Verweis auf IDW FAR, WPg 1997, 24. 813 Vgl. auch Temme, S. 145: „Ein Überschuldungsstatus nach Fortführungswerten ist also nicht viel mehr als eine Bestätigungsrechnung für die Fortbestehensprognose.“.
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schuss voraussichtlich überhaupt im jeweiligen Gesamtzeitraum erwirtschaftet wird.814 Inhaltlich liegt der Unterschied beider Rechnungen darin, dass bei der Einzahlungsüberschussprognose (dem „Überschuldungsstatus“) anders als bei der Zahlungsfähigkeitsprognose Maßnahmen der Außenfinanzierung (also solche Mittel, die nicht aus dem betrieblichen Umsatzprozess, sondern aus Kapitaleinlagen oder Kreditgewährungen stammen)815 außer Betracht bleiben.816 (bb) Gläubigerschutz und Strafwürdigkeit Ist die Fortführungsprognose auf der ersten Stufe – nach dieser Auffassung die mittelfristige Zahlungsfähigkeitsprognose – positiv, wird das Unternehmen gleichwohl als überschuldet angesehen, wenn die während der gesamten Lebenszeit bzw. bis zum Fälligkeitsdatum der letzten bestehenden Verbindlichkeit (also i. d. R. mittel- bis langfristig) erwirtschafteten Erträge (Einzahlungsüberschüsse) nicht ausreichen, die bestehenden Verbindlichkeiten zu erfüllen.817 Es sind dies v. a. die Fälle, in denen die Zahlungsfähigkeit durch ausreichende Zahlungsmittelbestände oder gegebenenfalls durch Außenfinanzierungsmaßnahmen mittelfristig aufrechterhalten werden kann, aber längerfristig keine positive Geschäftsentwicklung zu erwarten ist.818 Die hieraus für die Gläubigerinteressen entstehende Gefahr ist allerdings nur schwer einzuschätzen: Zum einen wird eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten nicht vorausgesetzt, so dass u. U. noch eine zur Schuldendeckung ausreichende Vermögenssubstanz vorhanden ist. Zum anderen hängt das Gefährdungspotential ausbleibender Einzahlungsüberschüsse wesentlich von der Dauer dieses Zustandes ab: Legt man die Prognose mittelfristig an, wird das für diesen Zeitraum prognostizierte Fehlen von Einzahlungsüberschüssen in einigen Fällen nur einen vorübergehenden Zustand darstellen, der keine ausgeprägte Gläubigergefährdung birgt; es wird in anderen Fällen aber Symptom einer langfristigen Erfolglosigkeit der Unternehmung sein, die auf lange Sicht auch die Zahlungsfähigkeit berührt und eine rechnerische Überschuldung herbeiführt. Eine aufgrund einer langfristig angelegten Prognose vorhergesagte fehlende Ertragsfähigkeit stellt insofern – klammert man die Prognoseunsicherheit zunächst aus – das eindeutigere Signal für eine Gläubigergefährdung dar, jedenfalls soweit erhebliche Auszahlungsüberschüsse prognostiziert werden. Nach beiden Varianten des Ertragswertmodells handelt es sich aber angesichts 814
Temme, S. 145. Zur Differenzierung zwischen Innen- und Außenfinanzierung s. Wöhe, Allg. BWL, S. 584 ff., 659 ff., 709 ff. 816 Als Erträge sind nur solche Einzahlungsüberschüsse anzusehen, die im Unternehmen ständig erwirtschaftet werden; Piltz, S. 22; Röhm, S. 189. 817 s. II. 3. b). 818 Vgl. Röhm, S. 189. 815
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
der prognostizierten mittelfristigen Zahlungsfähigkeit jedenfalls nicht um eine akute Gefahrensituation für die Gläubiger. Diese vagen Ausführungen lassen erkennen, dass die Aussagekraft einer derartigen Umschreibung einer Überschuldungssituation – auch aufgrund des Verzichts auf das Erfordernis einer rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten – sehr beschränkt ist. Dementsprechend sind auch über die Strafwürdigkeit von in dieser Situation vorgenommenen bzw. sie herbeiführenden Bankrotthandlungen kaum Aussagen möglich. Soweit man – trotz prognostizierter mittelfristiger Zahlungsfähigkeit – allein die mittelfristig fehlenden Einzahlungsüberschüsse für eine Überschuldung ausreichen lässt, erscheint die Legitimation der Bankrottdelikte zumindest fragwürdig, weil auch das Fehlen einer zur Gläubigerbefriedigung ausreichenden Vermögenssubstanz nicht vorausgesetzt wird. Da beide Stufen der Überschuldungsprüfung hiernach Prognoseelemente darstellen und deren kumulative positive Beurteilung zu einem Dispens von den bankrottstrafrechtlichen Sorgfaltspflichten führt, kann sich zudem die Prognoseunsicherheit in einem summenmäßig unbegrenzten Ausfall der Gläubiger auswirken. Bewahrheiten sich nämlich beide positiven Prognosen kumulativ nicht, kann sich die auf deren Grundlage für zulässig erachtete Bankrotthandlung – sofern zugleich eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegt – in einem u. U. weitgehenden Forderungsausfall niederschlagen, weil es anders als beim Substanzwertmodell keine an einem Vermögen-Schulden-Verhältnis festgemachte Grenze für die Vornahme von Bankrotthandlungen gibt.819 (cc) Wertungswiderspruch zwischen beiden Überschuldungssituationen Stellt man nun beide Situationen, die hiernach als Überschuldung angesehen werden, gegenüber, zeigt sich ein weiterer erheblicher Mangel dieses Überschuldungsmodells: Es stellt einen nicht aufzulösenden Wertungswiderspruch dar, einerseits bei negativer mittelfristiger Zahlungsfähigkeitsprognose eine Überschuldung nur dann anzunehmen, wenn zusätzlich eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten gegeben ist, andererseits aber trotz positiver mittelfristiger Zahlungsfähigkeitsprognose das (mittel- bis langfristige) Ausbleiben von Einzahlungsüberschüssen für eine Überschuldung ausreichen zu lassen. Eine Überschuldung soll also m. a. W. einerseits erst dann gegeben sein, wenn zu einer schweren zeitnahen Zahlungsmittelkrise (drohende Zahlungsunfähigkeit) noch eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten hinzukommt, andererseits aber auch schon dann, wenn zwar längerfristig, aber eben 819 Zum fragwürdigen Wert einer solchen Begrenzung aus bankrottstrafrechtlicher Sicht s. aber bereits oben (a)(bb).
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nicht akut eine Zahlungsmittelkrise (mittel- bis langfristig fehlende Einzahlungsüberschüsse bei mittelfristiger Zahlungsfähigkeit) droht, ohne dass zugleich eine rechnerische Überschuldung gegeben sein müsste. Diese Unstimmigkeit beruht offenbar darauf, dass man meint, auf die Fähigkeit zur Gläubigerbefriedigung aus der Substanz käme es nicht mehr an, weil man ja schließlich die Fortführungs-(Zahlungsfähigkeits-)Prognose bejaht habe und sich insofern nur noch die Frage stelle, ob der Schuldner in der Lage ist, seine bestehenden Verbindlichkeiten aus den Einzahlungen des laufenden Geschäftsbetriebes zu begleichen. Ist er hierzu aber voraussichtlich gerade nicht fähig, muss die Befriedigung aus der Substanz doch wieder eine Rolle spielen: ist nämlich die Vermögenssubstanz ausreichend, wird man ebensowenig wie man es nach diesem Modell ja auch bei drohender Zahlungsunfähigkeit tut, von einer ernstzunehmenden Gläubigergefährdung sprechen können. Das Modell ist damit in sich unschlüssig.820 cc) Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff (1) Gläubigerschutz Den restriktivsten Ansatz unter den Überschuldungsbegriffen stellt das modifizierte Zweistufenmodell dar. Es erfasst als Überschuldungssituation allein den Fall einer rechnerischen Überschuldung bei gleichzeitig negativer Fortbestehensprognose. Der Überschuldungstatbestand greift somit erst in einer Situation intensiver Gefährdung für die Gläubigerinteressen ein; es kann insoweit auf die Ausführungen zum herkömmlichen Zweistufenmodell verwiesen werden.821 Anders als das herkömmliche Zweistufenmodell sieht man im Fall einer positiven Fortbestehensprognose aber die bilanzielle Situation als irrelevant an, weil die Schuldendeckung bereits aus den laufenden Einnahmen gesichert erscheint. Die Prognoseunsicherheit geht beim modifizierten Zweistufenmodell – wie auch beim herkömmlichen Zweistufenmodell auf der Grundlage von Ertragsfortführungswerten – ohne eine summenmäßige Begrenzung zulasten der Gläubiger: Solange eine objektive, sorgfältige Prognose zu einem positiven Ergebnis kommt, kann der Schuldner ohne jegliche Einschränkung durch das zusätzliche Erfordernis einer gedeckten Fortführungsbilanz Bankrotthandlungen vornehmen, auch wenn bereits eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten besteht; bewahrheitet sich die positive Prognose nicht, kann sich die auf deren 820 Die Motivation für diese komplexe Konstruktion dürfte darin gelegen haben, auf der Grundlage der Vorgaben des § 19 InsO eine dem modifizierten Zweistufenmodell entsprechende Lösung zu schaffen; vgl. insoweit etwa Temme (S. 141), der die Ablehnung des modifizierten Zweistufenmodells durch den Gesetzgeber ausdrücklich anzweifelt. 821 s. bb) (1).
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Grundlage für zulässig erachtete Bankrotthandlung (aufgrund der rechnerischen Überschuldung) in einem Forderungsausfall niederschlagen, unabhängig davon, wie weit der schuldnerische Vermögensverfall schon fortgeschritten ist. (2) Strafwürdigkeit Im Hinblick auf die Strafwürdigkeit der in einer solchen Situation vorgenommenen oder sie herbeiführenden Bankrotthandlung gilt für den modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff das im Rahmen des herkömmlichen Zweistufenmodells für den Fall der negativen Prognose bei rechnerischer Überschuldung Gesagte.822 Zweifel an der Legitimation der Bankrotthandlungen ergeben sich nicht.
V. Stellungnahme 1. Entscheidung zugunsten des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs Nachdem nun die wesentlichen Argumente für und wider die verschiedenen Überschuldungsmodelle dargestellt wurden, wird das Dilemma offenbar. Während die eher formalen Argumente – Wortlaut, Historie und Systematik – deutlich für den herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriff auf der Grundlage von Substanzfortführungswerten sprechen, wirft dieses Konzept in anderer Hinsicht kaum lösbare Probleme auf. So erweist sich der Versuch, der Unsicherheit der positiven Prognose durch die starre Grenze eines bestimmten Vermögen-Schulden-Verhältnisses zu begegnen, unter dem Gesichtspunkt der Strafwürdigkeit der Bankrotthandlungen als nicht gangbar. Hinzu kommt, dass eine innere Rechtfertigung dafür fehlt, wieso die Zulässigkeit einer Bankrotthandlung von einer rechnerischen Überschuldung nach Substanzfortführungswerten und somit von einer gewissen – vom Bankrottdelikt unabhängigen – „Vorschädigung“ der Gläubigerinteressen abhängig gemacht werden sollte; aus bankrottstrafrechtlicher Sicht kann allein eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten eine Schwellenfunktion erfüllen, weil sich von hier an Bankrotthandlungen in einem (partiellen) Forderungsausfall niederschlagen können. Dem statischen Ansatz von Liquidationswerten kommt somit eine gewisse Berechtigung zu. Auch systematisch erweist er sich insofern als stimmig, als die gesetzlich angelegte Trennung zwischen den die Zahlungsmittelsituation betreffenden Krisenbegriffen (drohende und eingetretene Zahlungsunfähigkeit) und dem historisch am Vermögensbestand orientierten Begriff der Überschuldung trennscharf aufrechterhalten werden könnte. Allerdings wird die Pönalisie822
Ebd.
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rung auch auf seiner Grundlage übermäßig weit ausgedehnt, was sich vor allem im Rahmen des § 283 Abs. 2 nicht durch andere Korrekturmöglichkeiten – den Begriff der Anforderungen ordnungsgemäßen Wirtschaftens – beheben lässt. Noch weiter zugespitzt zeigen sich die Legitimationsprobleme im Bereich der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit (§ 283 Abs. 4, 5). Das herkömmliche Zweistufenmodell auf der Grundlage von Ertragsfortführungswerten erweist sich insofern als problematisch, als das Gefahrenpotential für die Gläubigerinteressen im Fall der positiven Fortführungsprognose bei negativer Prognose der zukünftigen Einzahlungsüberschüsse nicht deutlich zu Tage tritt. Zudem lässt sich diese nicht mit der anderen als Überschuldung bewerteten Situation (negative Fortführungsprognose i.V. m. rechnerischer Überschuldung nach Liquidationswerten) in Einklang bringen und führt zu Wertungswidersprüchen. Will man also auf den vorverlagerten strafrechtlichen Schutz vor Bankrotthandlungen nicht verzichten, zugleich aber auch die Pönalisierung nicht unverhältnismäßig ausdehnen, wird man sich auf die aus der Prognoseunsicherheit resultierenden – durchaus weitreichenden – Einschränkungen des Gläubigerschutzes einlassen und akzeptieren müssen, dass dieses Gläubigerschutzkonzept schon dem theoretischen Ansatz nach – ohne die Auswirkungen von Manipulationen zu berücksichtigen – lückenhaft bleibt; die jedenfalls bei Unternehmen regelmäßige Art der Gläubigerbefriedigung aus den laufenden Einnahmen ist anders als durch eine Prognose der Zahlungsströme nicht in einer tatbestandlich darstellbaren Form zu erfassen. Das modifizierte zweistufige Überschuldungsmodell stellt mithin einen in sich stimmigen Ansatz dar. Die systematische Gesamtbetrachtung der Krisenmerkmale offenbart allerdings weitgehende Überschneidungen dieses Überschuldungsbegriffs mit dem Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit.823 Wie weit diese Überschneidungen gehen, hängt insbesondere davon ab, ob die Fortführungsprognose im Rahmen der Überschuldungsprüfung – wie von der herrschenden Meinung gefordert – ebenfalls als Zahlungsfähigkeitsprognose auszugestalten ist. 2. Die Ausgestaltung der Fortführungsprognose Sowohl in Anbetracht der Überschneidungen mit dem Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit, als auch der hohen Intensität der Gläubigergefährdung,824 die die Überschuldungssituation nach dem modifizierten Zweistufenmodell auf der Grundlage der Annahmen der herrschenden Meinung birgt, erscheint es er-
823 824
s. IV. 2. s. IV. 3. cc) (1).
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
wägenswert, den bankrottstrafrechtlichen Gläubigerschutz durch eine andere Ausgestaltung der Prognoseparameter auszuweiten. Als Gegenstand der Prognose ließe sich statt der Zahlungsfähigkeit auch die Rentabilität oder die Ertragsfähigkeit in den Blick nehmen,825 also bereits darauf abstellen, ob Gewinne oder zumindest keine Verluste erwirtschaftet werden. Allerdings stellen diese Maßstäbe im Hinblick auf die Frage, ob die Gläubigerbefriedigung gesichert ist, keine exakten Indikatoren dar. Denn der anhand einer (Plan-)Gewinn- und Verlustrechnung als Differenz zwischen Ertrag und Aufwand einer Periode ermittelte Erfolg (Gewinn oder Verlust) einer Unternehmung bezieht sich auf eine Erhöhung bzw. Verringerung des Netto- bzw. Reinvermögens.826 Als solches bezeichnet man die Summe aus den Kassenbeständen, den jederzeit verfügbaren Bankguthaben, dem Bestand an sonstigen Forderungen und Sachvermögen, abzüglich des Bestandes an Verbindlichkeiten.827 Aus der Perspektive der Gläubiger, die an der fristgerechten Tilgung ihrer Forderungen interessiert sind, kommt es aber primär darauf an, ob das Unternehmen seinen Verbindlichkeiten durch die aus dem laufenden Geschäftsbetrieb zufließenden Mittel wird nachkommen können. Entscheidend ist deshalb für sie, ob der Zahlungsmittelbestand (Kassenbestände und jederzeit verfügbare Bankguthaben) ausreichen wird, um ihre jeweils fälligen Forderungen zu erfüllen;828 die relevanten Größen sind daher Einzahlungen und Auszahlungen, die als Zubzw. Abfluss liquider Mittel definiert werden829. Hierauf lässt ein Gewinn oder Verlust indes keine Rückschlüsse zu; so kann ein im Prognosezeitraum zu verzeichnendes Überwiegen des Aufwands über den Ertrag auch auf dem Wertverzehr des Sachvermögens (Abschreibungen) beruhen, obgleich die Zahlungsmittelbestände per saldo unverändert bleiben oder sogar steigen mögen. Die Erfolglosigkeit einer Unternehmung i. S. v. Rentabilität oder Ertragsfähigkeit wird aus Gläubigersicht erst dann gefährlich, wenn sie auch die Zahlungsmittelsituation zu berühren droht. Zunächst tangiert das Ausbleiben von Gewinnen aber lediglich die (Ausschüttungs-)Interessen des Schuldners bzw. der Anteilseigner, ein hinreichender Bezug zu den Gläubigerinteressen ist in einer solchen Unternehmenssituation hingegen noch nicht erkennbar.830 Auch dann, wenn das Unternehmen bereits Verluste schreibt, kann man noch nicht ohne weiteres von einer Gefährdung der Gläubigerinteressen sprechen. Zwar wird man davon ausgehen dürfen, dass stetige Verluste von erheblichem Ausmaß bei 825
Vgl. II. 2. a). Wöhe, Allg. BWL, S. 814 f. 827 Wöhe, Allg. BWL, S. 815. 828 Fenske, AG 1997, 557; Nonnenmacher, in: FS-Moxter, S. 1323; vgl. auch Penzlin, S. 88. 829 Zur Differenzierung zwischen den Begriffspaaren Einzahlungen/Auszahlungen und Ertrag/Aufwand s. Wöhe, Allg. BWL, S. 814 ff. 830 Bork, ZIP 2000, 1709 f.; Smid/Smid, § 19 Rn. 13; Temme, S. 119 f. 826
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jedem Unternehmen auf lange Sicht auch die Zahlungsunfähigkeit herbeiführen werden.831 Welches Ausmaß an Verlusten über welchen Zeitraum hierfür allerdings erforderlich ist, ist von der gesamten Konstitution des Unternehmens und einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Eine Konkretisierung des Maßstabs der Ertragsfähigkeit dahingehend, dass nur die Vorstufen der Zahlungsunfähigkeit erfasst werden, wird daher in einer tatbestandlich darstellbaren Form kaum möglich sein. Umgekehrt bietet das Erwirtschaften von Gewinnen bzw. Ausbleiben von Verlusten keine sicheren Anhaltspunkte dafür, dass auch alle Verbindlichkeiten fristgerecht bedient werden können. Denn zum einen kommt es in der (Plan-)Gewinn- und Verlustrechnung nicht zu einer exakt terminierten Gegenüberstellung der Zahlungsströme (wie bei einem Finanzplan), zum anderen müssen die Ergebnisse nicht in liquider Form vorliegen (etwa bei einer Werterhöhung von Sachvermögensgegenständen, z. B. Immobilien).832 Das Vorhandensein oder Fehlen von Rentabilität oder Ertragsfähigkeit stellt daher kein geeignetes Differenzierungskriterium im Hinblick auf die Frage dar, ob eine Deckung der Verbindlichkeiten aus den Mitteln des laufenden Geschäftsbetriebes möglich sein wird oder nicht. Es bleibt daher letztlich – im Einklang mit der ganz herrschenden Meinung im Insolvenzrecht wie im Insolvenzstrafrecht833 – nur eine Betrachtung der zukünftigen Zahlungsfähigkeit. Aber nicht nur der Gegenstand der Fortführungsprognose, sondern auch deren weitere Ausgestaltung wird sich an der im Rahmen der Prüfung der drohenden Zahlungsunfähigkeit anzustellenden Prognose zu orientieren haben. Dies gilt zunächst für die erforderliche Prognosewahrscheinlichkeit und den Betrachtungszeitraum, aber auch für den – den Gegenstand der Prognose der drohenden Zahlungsunfähigkeit bildenden – Begriff der (eingetretenen) Zahlungsunfähigkeit. Gründe, die eine Abweichung rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich. Es kann insoweit auf die Ausführungen zur drohenden und zur – insoweit implizit zu prüfenden – eingetretenen Zahlungsunfähigkeit verwiesen werden.834 3. Praktikabilität und Nachweisbarkeit Abschließend soll darauf eingegangen werden, ob das schlüssige Konzept des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs in der Praxis wird einlösen können, was es theoretisch verspricht. In dieser Hinsicht wurde im Rahmen des Reformprozesses des Insolvenzrechts als wesentlicher Kritikpunkt gegen den 831 Vgl. Bähner, KTS 1988, 447; Drukarczyk/Schüler, DStR 1999, 647; Fenske, AG 1997, 557 Fn. 35; Penzlin, S. 88. 832 Nonnenmacher, in: FS-Moxter, S. 1323. 833 s. II. 2. a); III. 834 s. C.–D.
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modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff vorgebracht, die Prognose sei nicht nur unsicher, sondern berge zudem eine erhebliche Manipulationsanfälligkeit. In Verbindung mit den die Bereitschaft zu Manipulationen begünstigenden Faktoren – zum einen die psychologische Situation der Entscheidungsträger, die sich und anderen ein Scheitern schwer eingestehen könnten, zum anderen die besondere Interessenlage bei Unternehmen, bei denen keine natürliche Person ein persönlich haftender Gesellschafter ist – führe dies dazu, dass vorschnell eine positive Prognose zugrundegelegt werde.835 Der Insolvenzverschleppung werde Tür und Tor geöffnet. Diese Befürchtung klingt deutlich auch in der Begründung des RegE zur InsO an836 und führte letztlich zur Normierung des herkömmlichen zweistufigen Überschuldungsbegriffs. Ein solcher Mangel hätte auch aus bankrottstrafrechtlicher Sicht Gewicht; die präventive Wirksamkeit der Bankrottdelikte stünde in Frage. Die Entscheidung zugunsten des modifizierten Zweistufenmodells auf der Grundlage des geltenden Rechts kann der Einwand mangelnder Praktikabilität allerdings nicht in Frage stellen, haben sich die anderen Überschuldungsmodelle doch schon aufgrund ihrer theoretischen Basis als untauglich erwiesen. Die nachstehenden Ausführungen haben insofern allein de lege ferenda Bedeutung. So könnte bei völliger präventiver Unwirksamkeit der Bankrottdelikte im Bereich der Überschuldung die Streichung des Merkmals erwogen werden. Dass das prognoselastige modifizierte Zweistufenmodell Raum für Manipulationen bietet, ist kaum zu bestreiten. Dieser resultiert daraus, dass die retrospektive Betrachtung der Situation im Prozess immer gewisse Beurteilungsspielräume zugunsten des Schuldners offen lassen wird. Insolvenzrechtlich resultieren die Beurteilungsspielräume daraus, dass man dem Schuldner zwar in Haftungsprozessen wegen verspäteten Insolvenzantrags die Beweislast für die die positiven Zukunftsaussichten begründenden Umstände auferlegen kann,837 so dass Zweifel an den Darlegungen des Schuldners zur Annahme einer Überschuldung führen müssten. Allerdings war es in der 835 Bähner, KTS 1988, 449; Höffner, BB 1999, 254; Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 25; Kuhn/Uhlenbruck, § 102 Rn. 5h; Meyer-Cording, ZIP 1989, 485; MüKo-InsO/ Drukarczyk/Schüler, § 19 Rn. 18; vgl. auch Haas, in: Insolvenzrecht 1998, S. 14, der auf die disziplinierende Wirkung der persönlichen Außenhaftung hinweist. 836 s. hierzu IV. 1. 837 Der BGH (Z 126, 181, 200) beschwert den Geschäftsführer dann mit der Darlegungslast für die Umstände, die aus seiner damaligen Sicht die Fortführbarkeit des Unternehmens rechtfertigten, wenn feststeht, dass das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt rechnerisch überschuldet war. Weitergehend will die ganz h. M. im Schrifttum (Bork, ZIP 2000, 1712 m.w. N.; Scholz/K. Schmidt, GmbHG, § 63 Rn. 12; Ulmer, KTS 1981, 486 f.) dem Geschäftführer für eine positive Prognose auch die Beweislast aufbürden; überdies hat der BGH im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 64 Abs. 1 GmbHG eine Verschuldensvermutung anerkannt, wenn feststeht, dass der objektive Tatbestand des Schutzgesetzes verletzt ist (BGHZ 126, 181, 200).
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Vergangenheit häufig so, dass die Gerichte den Nachweis der Lebensfähigkeit schon bei recht oberflächlichen positiven Prognosen als erbracht angesehen haben.838 Allein die Beweislastverteilung kann also die Anfälligkeit der Prognose für Manipulationen und dementsprechend auch die Manipulationsbereitschaft nicht vollständig beseitigen. Insolvenzstrafrechtlich stellt sich das Nachweisproblem dagegen in vollem Ausmaß; dem Schuldner entsprechend der dargestellten zivilprozessualen Übung die Beweislast für die Lebensfähigkeit des Unternehmens aufzuerlegen und ein Verschulden zu vermuten, ist mit dem strafprozessualen Untersuchungsgrundsatz und dem In-dubio-pro-reo-Grundsatz nicht zu vereinbaren839. Eine Überschuldung ist dem Schuldner nachzuweisen; hierzu ist nach dem modifizierten Zweistufenmodell neben dem Nachweis einer rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten der Nachweis einer negativen Fortführungsprognose im Zeitpunkt der Vornahme der Bankrotthandlung erforderlich.840 Schon der objektive Nachweis einer negativen Prognose wirft allerdings nicht unerhebliche Probleme auf. Grundsätzlich muss das Gericht – ggf. mit sachverständiger Hilfe – retrospektiv eine eigene Prognose erstellen. Verfügt der Schuldner selbst über eine Finanzplanung – in der Praxis bei insolventen Unternehmen eher die Ausnahme –, sind deren Daten anhand von Buchhaltung, Verträgen und sonstigen Geschäftsunterlagen zu überprüfen; bei eindeutig unvertretbaren Annahmen wird man die vom Schuldner gestellte positive Prognose mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit widerlegen können. Lassen sich die der Finanzplanung zugrundeliegenden Daten nicht nachhalten, etwa weil eine (brauchbare) Buchhaltung und/oder Geschäftsunterlagen fehlen, kann auf Indizien zurückgegriffen werden (etwa das Verhalten sachkundiger Dritter, z. B. der
838 Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 25; Kübler/Prütting/Pape, § 19 Rn. 6 mit Verweis auf die Urteile BGH, ZIP 1996, 273 sowie ZIP 1996, 275; MüKo-InsO/Drukarczyk/ Schüler, § 19 Rn. 18 f. 839 Höffner, S. 68 f.; Stuckenberg, ZStW 111 (1999), 444 f. 840 Wenn Bittmann (wistra 1999, 17) für das herkömmliche Zweistufenmodell unter Verweis auf den Wortlaut des § 19 Abs. 2 S. 2 InsO meint, die überwiegende Wahrscheinlichkeit der Fortführung könne für den Schuldner nur dann vorliegen, wenn er sich pflichtgemäß um die Erstellung einer Fortführungsprognose bemüht hat und es sei dementsprechend bei unterlassener Prognoseerstellung ohne weiteres von einer negativen Prognose auszugehen, so verkennt er, dass zum Tatbestand der Überschuldung nicht die (Nicht-)Erstellung einer Fortführungsprognose gehört, sondern nur, dass die Fortführung wahrscheinlich bzw. unwahrscheinlich ist; m. a. W. geht es beim Merkmal der Überschuldung nur um die objektive Unternehmenssituation; diese kann auch dann positiv sein, wenn der Schuldner darüber nicht reflektiert und keine Prognose erstellt hat. Auch im Rahmen des herkömmlichen Zweistufenmodells ist daher jedenfalls dann eine negative Prognose – sei es durch eine retrospektive Prognoseerstellung oder durch Indizien – nachzuweisen, wenn eine rechnerische Überschuldung zwar nach Liquidations-, nicht aber nach Fortführungswerten vorliegt.
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Bank),841 die in eindeutigen Fällen mit hinreichender Sicherheit auf eine negative Prognose schließen lassen. Sind auch solche Indizien nicht ersichtlich, wird man allerdings die vom Schuldner dem Finanzplan zugrundegelegten Prognosetatsachen842 nicht widerlegen können und sich dann i. d. R. auch der darauf aufbauenden Zukunftsbetrachtung des Schuldners anschließen müssen. Fehlt ein schuldnerischer Finanzplan, kann das Gericht versuchen, retrospektiv einen solchen zu erstellen; ist dies mangels (brauchbarer) Buchhaltung und/oder sonstiger Geschäftsunterlagen nicht möglich, bleibt nur der Rückgriff auf etwaige o. g. Indizien, um zumindest im Evidenzbereich eine negative Prognose nachzuweisen. Es bleibt also insgesamt ein weiter Beurteilungs- und Manipulationsspielraum des Schuldners, innerhalb dessen eine negative Prognose schon objektiv nicht nachzuweisen ist. Eher noch problematischer dürfte sich der Nachweis des Vorsatzes (§ 283 Abs. 1–3) gestalten, solange der Schuldner nicht völlig haltlose Behauptungen – insbesondere hinsichtlich der zu erwartenden Erträge – aufstellt; der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit (§ 283 Abs. 4, 5) kommt insofern eine wichtige Auffangfunktion zu. Es bleibt insofern ein zwiespältiges Bild: Zwar bietet die Überschuldung dem Schuldner/Geschäftsführer auf der Basis des modifizierten zweistufigen Modells erhebliche Schlupflöcher. Dem Tatbestand deshalb eine präventive Wirkung gänzlich abzusprechen, dürfte aber zu weit gehen. Denn jedenfalls im Evidenzbereich dürfte sich nicht selten der Nachweis objektiv drohender Zahlungsunfähigkeit und (zumindest) fahrlässiger Unkenntnis des Schuldners führen lassen. Eine Abschaffung des Merkmals erscheint insofern nicht geboten. Anzumerken bleibt schließlich, dass sich das dargestellte Nachweisproblem bei der Fortführungsprognose im Rahmen des herkömmlichen Zweistufenmodells ebenso stellt wie bei der modifizierten Variante. Allerdings bietet sich dem Schuldner hier nicht die Möglichkeit, sich allein durch eine positive Fortführungsprognose seiner Antrags- und Sorgfaltspflichten – vermeintlich – zu entledigen. In diesem Sinne wird aus insolvenzrechtlicher Sicht von Seiten derjenigen Vertreter des herkömmlichen Zweistufenmodells, die auch für die Fortführungswerte an Substanzwerten festhalten, vorgebracht, die Manipulationsanfälligkeit sei weniger ausgeprägt, wenn der Schuldner/Geschäftsführer nicht nur eine positive Prognose, sondern zudem die einzelnen Posten einer Bilanz nachvollziehbar darlegen843 müsse.844 Dem wird man aber nur solange folgen kön841
Zu solchen Indizien Bork, ZIP 2000, 1713. Bei Prognosen gilt der Zweifelssatz nur für die zugrunde liegenden Prognosetatsachen, nicht für die darauf aufbauende Zukunftsbetrachtung (BGH bei Dallinger, MDR 1973, 900; SK-StPO/Schlüchter, § 261 Rn. 73). 843 Zur Darlegungs- und Beweislast beim herkömmlichen Zweistufenmodell etwa Altmeppen, ZIP 1997, 1176; Höffner, S. 55. 842
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nen, als der Bilanz reine Substanz-, also Wiederbeschaffungs- oder Veräußerungswerte, zugrunde gelegt werden. Insoweit dürften sich für die meisten Posten ein recht enger Rahmen stecken lassen und stark geschönte Angaben offenkundig werden. Lässt man aber den Ansatz eines Firmenwertes über den Fall eines konkreten Marktnachweises845 hinaus zu (und jedenfalls strafprozessual dürfte wegen des Ermittlungsgrundsatzes hieran kein Weg vorbeiführen)846, wäre er als Abbildung der zukünftigen Ertragserwartungen anhand der – prognostischen – Ertragswertmethode zu berechnen (Ertragswert abzüglich Substanzwert) und böte dementsprechend ebenfalls erhebliche Beurteilungsspielräume. 4. Tatbestandsbestimmtheit Dass ein in hohem Maße normativ847 geprägter Begriff wie der der Überschuldung auch unter dem Gesichtspunkt der Tatbestandsbestimmtheit kritisch beäugt wird, versteht sich fast von selbst. So hat die bisherige Diskussion um den Überschuldungsbegriff auch im Hinblick auf dessen Bestimmtheit schon eine Reihe von Stellungnahmen hervorgebracht: Z. T. wird der Überschuldungsbegriff generell als zu unbestimmt angesehen,848 vereinzelt macht man diesen Vorwurf nur seinen Ausprägungen als herkömmliches849 oder als modifiziertes850 Zweistufenmodell. Als weitere Spielart wird der Überschuldungsbegriff nur dann als mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebot vereinbar angesehen, wenn alle einschlägigen betriebswirtschaftlichen Berechnungsweisen 844 Jaeger/H.-F. Müller, § 19 Rn. 26; vgl. Höffner, BB 1999, 254; Uhlenbruck, InsO, § 19 Rn. 33 ff. hält zum Zweck der sorgfältigen Prüfung gar für notwendig, zunächst immer eine Überschuldungsbilanz nach Liquidationswerten aufzustellen, die dann im Fall einer positiven Prognose durch eine Überschuldungsbilanz nach Fortführungswerten korrigiert werden könne. 845 s. hierzu Fn. 694. 846 Sofern ein konkretes Erwerbsangebot nicht vorhanden ist, müsste dem Ermittlungsgrundsatz entsprechend ein etwaiger, bei einer (potentiellen) Veräußerung zu erzielender Firmenwert auf anderem Wege – durch eine Berechnung des Ertragswertes und Subtraktion des Substanzwert – ermittelt werden; a. A. Bittmann, wistra 1999, 13. 847 Anerkannt ist zwar mittlerweile, dass die Grenze zwischen hinreichender Bestimmtheit und verfassungswidriger Unbestimmtheit nicht anhand der Trennung zwischen deskriptiven und normativen Merkmalen gezogen werden kann; augenfällig ist aber, dass sich die Problemfälle bei den normativen Begriffen häufen; hierzu Höfner, S. 254 ff.; Sch/Sch/Eser, § 1 Rn. 19; dazu, dass es sich beim Überschuldungsbegriff um ein vorwiegend normativ geprägtes Tatbestandsmerkmal handelt s. Tiedemann, in: GS-Schröder, S. 291. 848 Höfner, S. 243 ff.; zustimmend Degener, in: FS-Rudolphi, S. 422. 849 Penzlin, S. 155 ff., 162. 850 Schlüchter (wistra 1984, 42 f., 44) macht die Unbestimmtheit an dem Prognoseelement fest und verwirft insofern auch das herkömmliche Zweistufenmodell auf der Grundlage des Ertragswertverfahrens.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
der Überschuldungsfeststellung zugrundegelegt werden und eine Überschuldung nur bei einem übereinstimmenden Votum angenommen wird.851 Die Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gebots der Bestimmtheit von Straftatbeständen (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) wurden bereits im Rahmen der Erörterungen des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit eingehend dargestellt.852 Es verlangt, dass der gesetzliche Tatbestand die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret umschreibt, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sein Verhalten auf die Rechtslage einzurichten, und dass sich Tragweite und Anwendungsbereich des Straftatbestandes erkennen lassen.853 Allerdings ist der Gesetzgeber deshalb nicht auf die Verwendung rein deskriptiver Merkmale beschränkt; er darf auch auf normative und wertausfüllungsbedürftige Begriffe zurückgreifen, soweit sich deren Inhalt durch Auslegung erschließen lässt.854 Ebenfalls im Rahmen der parallelen Ausführungen zum Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit wurde darauf hingewiesen, dass ein komplexer Regelungsbereich wie derjenige der Insolvenz allein mit starren Begriffen kaum zu erfassen ist.855 Es liegt bereits in der Natur der Sache, dass die Anforderungen an die Tatbestandsbestimmtheit hier geringer ausfallen müssen als bei klassischen Verletzungsdelikten, will man die in diesem Lebensbereich anzutreffenden strafwürdigen Verhaltensweisen nicht unbeachtet lassen.856 Auch für den Begriff der Überschuldung sollte daher gelten, dass nicht vorschnell das Urteil der verfassungswidrigen Unbestimmtheit gefällt wird. Dafür, dass ein solches Urteil nicht berechtigt wäre, spricht zunächst, dass bei einer an den zugrundeliegenden Wertungsgesichtspunkten – Schutz der Gläubigerinteressen einerseits, Berücksichtigung der Freiheitsräume des Schuldners und der Strafwürdigkeit andererseits – orientierten teleologischen Auslegung wie dargelegt allein der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff in Betracht kommt. Der Begriff der Überschuldung erweist sich insofern jedenfalls als gehaltvoller als die unter dem Aspekt der Tatbestandsbestimmtheit umstrittenen Begriffe des „groben Unfugs“857 und der „öffentlichen Ordnung“858, bei
851 Otto, in: GS-Bruns, S. 271; LK/Tiedemann, Vor § 283 Rn. 158; ders., in: GSSchröder, S. 299; Sch/Sch/Stree/Heine, § 283 Rn. 51; vgl. Schlüchter, wistra 1984, 42 f. und dies., NStZ 1984, 301, 303. 852 s. D. III. 853 BVerfGE 25, 269, 285; 32, 346, 362; 47, 109, 120; 71, 108, 114; 87, 209, 223 f. 854 BVerfGE 11, 234, 237; 37, 201, 208; 50, 142, 164; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 13 m.w. N. 855 Vgl. auch Degener, in: FS-Rudolphi, S. 419, freilich mit dem Ergebnis der Verfassungswidrigkeit. 856 Vgl. K. Schmidt, AG 1978, 339. 857 s. hierzu BVerfG (E 26, 41, 43 f.). 858 s. hierzu BayVerfGH (E 4, 190).
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denen die auslegungsrelevanten Wertungsgesichtspunkte weitgehend unklar sind. Eine Bestimmbarkeit dürfte mithin jedenfalls im Hinblick auf das maßgebliche Überschuldungsmodell – bei allen der komplexen Struktur wirtschaftlicher Zusammenhänge geschuldeten Schwierigkeiten – i. E. kaum zu verneinen sein. Der modifizierte zweistufige Überschuldungsbegriff trägt zudem dem zur Beseitigung verfassungsrechtlicher Bedenken von Teilen des Schrifttums herangezogenen Gedanken des Mindestgemeinsamen Rechnung, soweit es um den zutreffenden Überschuldungsbegriff geht. Dieser Auffassung zufolge soll dem Vorwurf einer verfassungswidrigen Unbestimmtheit von normativen Tatbestandsmerkmalen dadurch begegnet werden können, dass man dieses Merkmal nur dann als verwirklicht ansieht, wenn sich dieses Ergebnis nach allen vertretbaren Auffassungen gewinnen lässt.859 Wendet man diesen Gedanken auf den Überschuldungsbegriff an, so erweist sich gerade der vom modifizierten Zweistufenmodell als Überschuldung qualifizierte Bereich als das konsentierte Minimum, jedenfalls insoweit, als man die hier dargestellten, verbreitet anzutreffenden Überschuldungsbegriffe betrachtet: So wird eine Überschuldung im Gegensatz zum statischen Ansatz nicht bereits beim bloßen Vorliegen einer rechnerischen Überschuldung von Liquidationswerten angenommen und im Gegensatz zum herkömmlichen Zweistufenmodell auch nicht im Fall einer positiven Fortführungsprognose, selbst wenn ein Überschuldungsstatus nach – wie auch immer gearteten – Fortführungswerten ein Überwiegen der Verbindlichkeiten ausweist.860 Auch die weitere inhaltliche Ausgestaltung dieses Überschuldungsbegriffs dürfte sich für den Normanwender mit hinreichender Sicherheit erschließen lassen. So lässt sich zunächst die grundsätzliche Prämisse der Bewertung der Vermögensgegenstände im Rahmen des Überschuldungsstatus – nämlich die Liquidation –, durch eine teleologische Auslegung ermitteln. Gewisse weitere Anhaltspunkte für die bei der Bewertung im Rahmen des Überschuldungsstatus und auch des Finanzplans anzulegenden Maßstäbe finden sich im Begriff der „Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns“ i. S. d. § 43 Abs. 1 GmbHG.861 859 Küchenhoff, NJW 1959, 1255; Schlüchter, NStZ 1984, 301; dies., wistra 1984, 42 f.; SK/Rudolphi, § 1 Rn. 13; Tiedemann, in: GS-Schröder, 299; ders., in: LK, Vor § 283 Rn. 158; kritisch Degener, in: FS-Rudolphi, S. 421; Penzlin, S. 157; Ransiek, S. 154. 860 Demgegenüber will Schlüchter (wistra 1984, 43 und NStZ 1984, 303) bei der Bestimmung des Mindestgemeinsamen den modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriff nicht berücksichtigen; dieser verlasse die Grenze des „denkmöglich letzten Begriffsmerkmals“, was angesichts der jahrelangen Vorherrschaft dieses Modells in Literatur und Rechtsprechung kaum überzeugen kann. Die übrigen Vertreter dieses Ansatzes gehen vom herkömmlichen Zweistufenmodell aus und wollen den Gedanken des Mindestgemeinsamen nur auf die Frage der Bewertungsansätze im Überschuldungsstatus beziehen, nicht aber auf die vorgelagerte Frage des methodischen Vorgehens; eine Begründung bleiben sie insoweit allerdings schuldig.
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
Dass letztlich gleichwohl Bewertungsschwierigkeiten verbleiben, ist dagegen nicht auf eine mangelnde Festlegung auf ein theoretisches Konzept zurückzuführen und damit weniger ein Problem der Tatbestandsbestimmtheit; eher handelt es sich hier um Subsumtionsprobleme, die daraus resultieren, dass unklar ist, welche Gegenwerte bei einer Liquidation tatsächlich zu erzielen sein werden.862 Insoweit ist zudem anzumerken, dass sich diese Unsicherheiten bei der konkreten Bewertung der Vermögensgegenstände nicht zulasten des Schuldners auswirken, weil sich im Prozess ohnehin nur Fälle einer eindeutigen Überschuldung mit der erforderlichen Sicherheit nachweisen lassen; dem Schuldner werden also auf diesem Wege gewisse Beurteilungsspielräume eingeräumt.863 Schließlich wird man den Überschuldungsbegriff nicht bereits wegen seines Prognoseanteils als zu unbestimmt verwerfen können. Insoweit ist bereits im Rahmen der Ausführungen zum Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit das Erforderliche gesagt worden.864 Im Ergebnis erweist sich der Überschuldungsbegriff daher als mit dem Bestimmtheitsgrundsatz vereinbar. 5. De lege ferenda: zum Verhältnis von Überschuldung und drohender Zahlungsunfähigkeit Die Untersuchung hat ergeben, dass im Rahmen der Bankrottdelikte unter teleologischen Gesichtspunkten allein ein solcher Überschuldungsbegriff sinnvoll erscheint, der sich in weiten Bereichen mit dem ebenfalls als Krisenmerkmal verwendeten Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit überschneidet.865 Die Tatbestände unterscheiden sich bei zweckorientierter Auslegung allein durch das Element der rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten und stehen damit im Verhältnis eines Mehr und Weniger; sobald eine derart definierte Überschuldung vorliegt, ist zugleich immer auch das Krisenmerkmal der drohenden Zahlungsunfähigkeit erfüllt. Es stellt sich deshalb die – letztlich erst de lege ferenda relevante – Frage, ob es eines Elements der rechnerischen Überschuldung überhaupt bedarf, um eine Situation zu umschreiben, in der den Bankrotthandlungen eine strafwürdige Gefährlichkeit für die Gläubigerinteressen zukommt.
861 862 863 864 865
Groth, S. 127 f. Franzheim, NJW 1980, 2503 f.; vgl. Penzlin, S. 99. Vgl. insoweit auch K. Schmidt, AG 1978, 339. s. D. III. s. 1.
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Diese Frage ist nach den Ergebnissen dieser Arbeit zu verneinen. Zwar kommt ein Überschuldungstatbestand im Sinne einer rechnerischen Überschuldung nach Liquidationswerten nicht ohne eine teleologische Reduktion durch eine negative Fortführungsprognose aus, um den Bankrotthandlungen ein strafwürdiges Maß an Gefährlichkeit zu verleihen. Umgekehrt gilt dies für den Tatbestand der drohenden Zahlungsunfähigkeit nicht. Zwar wird man die drohende Zahlungsunfähigkeit solange als ungefährlich ansehen müssen, wie noch eine ausreichende Vermögenssubstanz als Schuldendeckungspotential vorhanden ist. Wird allerdings eine drohende Zahlungsunfähigkeit prognostiziert, wird man in aller Regel auch schon eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten diagnostizieren können. Denn so wurde im Laufe der Untersuchung bereits dargelegt, dass ohnehin ein nicht unerheblicher Prozentsatz aller Unternehmen aufgrund der heute üblichen, weit reichenden Fremdfinanzierung als nach Liquidationswerten rechnerisch überschuldet anzusehen ist.866 In einer Situation drohender Zahlungsunfähigkeit wird aber der ganz überwiegende Teil der derart angeschlagenen Unternehmen auch rechnerisch überschuldet sein.867 Denn schließlich besteht in einer Situation, in der nicht einmal eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegt, für Eigen- und Fremdkapitalgeber kein Grund, dem Schuldner (Zahlungs-)Mittel zum Auffüllen einer prognostizierten Deckungslücke zu verwehren, können doch ihre Forderungen selbst im denkbar schlimmsten Fall – der Liquidation – durch die Liquidationserlöse vollständig befriedigt werden. Ein Grund, dem Schuldner diese Mittel zu versagen (und somit eine drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners herbeizuführen), besteht erst dann, wenn er im Prüfungszeitpunkt über keinerlei beleihbare Vermögensgegenstände mehr verfügt, weil bereits alle Gegenstände mit Sicherungsrechten belegt sind. Ist dies aber der Fall, liegt jedenfalls auch eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vor.868 Die rechnerische Überschuldung im Rahmen des modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs spielt daher bei einer negativ ausfallenden Zahlungsfähigkeitsprognose empirisch allenfalls eine sehr nachgeordnete Rolle.869 Erkennt man diesen Zusammenhang an, wird klar, dass eine Situation typischer Gefährlichkeit, in der Bankrotthandlungen in einer signifikanten Vielzahl von Fällen zu einer Rechtsgutsverletzung führen, allein durch den Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit umschrieben werden kann, ohne dass es noch der Aufnahme des Elements der rechnerischen Überschuldung bedürfte. De lege
866
s. V. 3. bb). Drukarczyk, Unternehmen und Insolvenz, S. 82; ders., WM 1994, 1742; ders., in: FS-Moxter, S. 1246 ff. 868 Ebd. 869 Ebd. 867
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3. Teil: Die Auslegung der Krisenmerkmale
ferenda wird man daher auf das „deutsch-alpenländische Unikat“870 der Überschuldung als bankrottstrafrechtlichen Krisenbegriff verzichten können.871
870 So Schlosser, in: Insolvenzrecht im Umbruch, S. 14, der darauf hinweist, dass auch die meisten ausländischen Rechtsordnungen – von der Schweiz und Österreich abgesehen – die Überschuldung als Insolvenzgrund für entbehrlich halten. 871 Sollte man diesen Zusammenhang hingegen leugnen und das Element rechnerischer Überschuldung im Sinne einer teleologischen Reduktion gleichwohl für erforderlich halten, bliebe zu klären, welchem der beiden Begriffe der Vorrang in terminologischer Hinsicht gebührt. Denn ebenso wie eine teleologische Reduktion des Überschuldungsbegriffs durch die Komponente der drohenden Zahlungsunfähigkeit ist umgekehrt auch eine teleologische Reduktion des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch die Komponente der rechnerischen Überschuldung denkbar. Dass hier ein Vorrang des Überschuldungsbegriffs bestünde (so K. Schmidt, Insolvenzrecht der Unternehmen, S. 55), lässt sich sprachlich nur schwer vermitteln, liegt doch der Schwerpunkt dieses „Überschuldungsmodells“ auf der drohenden Zahlungsunfähigkeit.
Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse Die Arbeit hat die Vielschichtigkeit der untersuchten Problematik deutlich gezeigt. Sie ist auf der Schnittstelle von Insolvenzstrafrecht, Insolvenzrecht und Betriebswirtschaftslehre angesiedelt. Eine einfache und eindeutige Beantwortung der Frage, ob sich die bankrottstrafrechtliche Begriffsbildung der Krisenbegriffe an der insolvenzrechtlichen der Eröffnungstatbestände – und insbesondere den Legaldefinitionen der InsO – zu orientieren hat, durfte angesichts dieser Komplexität nicht erwartet werden. Eine der Problematik angemessene Lösung konnte nur durch eine behutsame Abwägung der widerstreitenden Interessen gefunden werden. Die Untersuchung musste ihren Ausgang bei der Bestimmung der Zielsetzungen des Insolvenzverfahrens auf der Grundlage der InsO nehmen. Es hat sich hier gezeigt, dass der Zweck des Insolvenzverfahrens seit jeher darin besteht, den Forderungen der Gläubigergemeinschaft bestmöglich und gleichberechtigt zur Durchsetzung zu verhelfen. Die Insolvenzordnung hat zur Förderung dieser Zielsetzung allerdings einen Aspekt besonders hervorgehoben, nämlich den der Gläubigerautonomie. Die Gläubiger als diejenigen, die von der Krisensituation des Schuldners am stärksten betroffen sind, sollen weitgehende Freiheiten im Umgang mit dem ab dem Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung haftungsrechtlich nunmehr ihnen zugeordneten Schuldnervermögen haben. Sie dürfen hierbei – im Rahmen bestimmter verfahrensrechtlicher Absicherungen – auch Zielsetzungen verfolgen, die jenseits der Realisierung ihrer ausfallbedrohten, gegen den Schuldner gerichteten Forderungen liegen. Die Kenntnis dieser Grundlagen des Insolvenzrechts hat sich für die Bestimmung des den Bankrottdelikten zugrunde liegenden Rechtsgutes als unverzichtbar erwiesen. Nur so konnten die Auswirkungen normalgelagerter und vom Begriffskern der Umschreibung der pönalisierten Handlungen unzweifelhaft erfasster Fälle für die Gläubiger zutreffend beschrieben und hieraus diejenigen Interessen abgeleitet werden, zu deren Schutz die Bankrottdelikte sinnvollerweise bestimmt sind. Als geschütztes Rechtsgut konnte so zum einen das Interesse der Gläubiger an einer möglichst weitgehenden Befriedigung im Insolvenzverfahren (Befriedigungsinteresse) erkannt werden. Zum anderen konnte das Interesse der Gesamtgläubigerschaft am Erhalt ihrer Gestaltungsspielräume bei der Masseverwertung und der von Bankrotthandlungen unbeeinflussten Ausübung ihrer Ge-
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staltungsrechte als weiteres Schutzgut der Bankrottdelikte ausgemacht werden. Weil diese Gestaltungsinteressen nicht zwangsläufig im Interesse an einer maximalen Befriedigungsquote aufgehen, sondern zur Verfolgung anderer – für die Gläubiger u. U. vorrangiger – Ziele dienen, sind sie als eigenständiges Rechtsgut der Bankrottdelikte anzuerkennen. Demgegenüber ist ein Schutz überindividuelle Rechtsgüter – wie der Kreditoder gar Gesamtwirtschaft – bei den Bankrottdelikten nicht intendiert. Neben den grundsätzlichen Einwänden gegenüber dieser Kategorie spricht – wie am konkreten Beispiel erläutert – gegen eine solche Rechtsgutsbestimmung, dass Begriffe mit einem solchen Abstraktionsgrad zur Auslegung des Straftatbestandes – und damit dem zentralen Anliegen der Lehre vom Rechtsgut – keinen Beitrag leisten können. Auf diesem Fundament konnte der eigentliche Gegenstand dieser Arbeit erörtert werden: Die Auslegung der Krisenbegriffe. Die Auslegungsspielräume hätten allerdings von vornherein erhebliche Einschränkungen erfahren, hätte man eine Abhängigkeit der strafrechtlichen von der durch die Legaldefinitionen verengten insolvenzrechtlichen Begriffsbildung anerkennen müssen. Es hat sich jedoch gezeigt, dass den Schlagworten von der Einheit der Rechtsordnung und vom Strafrecht als akzessorischem Schutzrecht auf der Grundlage der in der heutigen Methodenlehre dominanten teleologischen Auslegung keineswegs ein derartiges Gewicht beizumessen ist, wie es bisweilen noch heute in der bankrottstrafrechtlichen Literatur getan wird. Gleichwohl finden sich durchaus gewichtige Argumente für eine Anbindung der bankrottstrafrechtlichen Begriffsbildung an die insolvenzrechtlichen Legaldefinitionen. So mag man die gebündelte Verwendung der Begriffe Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit und drohende Zahlungsunfähigkeit als Indiz für eine inhaltsgleiche Auslegung ansehen. Zudem lag es offenkundig im Bestreben des Gesetzgebers der InsO, die Legaldefinitionen auch für das Strafrecht als maßgeblich anzusehen, zumal schon der Gesetzgeber des 1. WiKG eine inhaltsgleiche Auslegung im Sinn hatte. Eindeutige Hinweise für eine Anbindung der strafrechtlichen Begriffe an die Legaldefinitionen gibt es allerdings nicht: weder sind beide Normkomplexe im Sinne einer Verweisung miteinander verbunden, noch wurden Insolvenzreife und bankrottstrafrechtliche Krise per se als identisch angesehen. Insbesondere aber sind die teleologischen Zusammenhänge, in denen die Begriffe jeweils gebraucht werden, doch in erheblichem Maße unterschiedlich. Die Betrachtung der einzelnen Krisenmerkmale ergab ebenfalls ein differenziertes Bild: Die durch den Gesetzgeber der InsO gegenüber der bis dahin gängigen Definition des Begriffs der Zahlungsunfähigkeit vorgenommene erhebliche Auswei-
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tung des Begriffs – die Legaldefinition erwähnt weder das Erfordernis des ernsthaften Einforderns und der Wesentlichkeit der Deckungslücke, noch macht sie die Zahlungsunfähigkeit von einer gewissen Dauerhaftigkeit des Unvermögens abhängig –, erweist sich aus der strafrechtlichen Perspektive als zutreffend. Es sprechen keine plausiblen Argumente für eine derartige Zurückhaltung, wie sie auch noch heute in Teilen des Schrifttums und der Rechtsprechung anzutreffen ist. Insbesondere gehen Hinweise auf eine fehlende Strafwürdigkeit der Bankrottdelikte auf der Grundlage eines weit verstandenen Zahlungsunfähigkeitsbegriffs fehl. Insoweit erweist sich eine Anbindung der strafrechtlichen an die – streng am Wortlaut der Legaldefinitionen orientierte – insolvenzrechtliche Begriffsbildung auch unter materiellen teleologischen Gesichtspunkten als sinnvoll. Auch im Hinblick auf den Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit liefert die Legaldefinition hilfreiche Anhaltspunkte für das Strafrecht: So stellt § 18 Abs. 2 InsO, wonach einem Schuldner dann die Zahlungsunfähigkeit droht, „wenn er voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, die bestehenden Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen“, eine Bestätigung des Ansatzes der herrschenden insolvenzstrafrechtlichen Meinung dar, dass entscheidendes Kriterium des „Drohens“ die nahe liegende Wahrscheinlichkeit der Zahlungsunfähigkeit ist. Demgegenüber hat sich die nach dem Wortlaut der Legaldefinition offenbar intendierte pauschale Beschränkung des Prognosezeitraums auf die im Prognosezeitpunkt bestehenden Verbindlichkeiten nicht als tragfähig erwiesen. Im Ergebnis ist der Prognosezeitraum danach zu bemessen, für welchen Zeitraum sich noch mit hinreichender (überwiegender) Wahrscheinlichkeit die Aussage künftiger Zahlungsunfähigkeit treffen lässt; Betrachtungszeitraum und erforderliche Prognosewahrscheinlichkeit sind als korrespondierend zu betrachten. Weitergehende Informationen lassen sich der Legaldefinition im Hinblick auf die inhaltliche Ausgestaltung des Begriffs der drohenden Zahlungsunfähigkeit ohnehin kaum entnehmen. So enthält sie insbesondere keinerlei Anhaltspunkte zur Methodik der Prognoseerstellung. Insoweit wurde gezeigt, dass dem Grunde nach nur mittels eines betriebswirtschaftlichen Grundsätzen entsprechenden Finanzplans eine hinreichend exakte Aussage über die künftige Liquiditätssituation möglich ist. Jedoch wird man die Sorgfaltsanforderungen an die Geschäftsführung im jeweiligen Einzelfall konkret – insbesondere anhand der Unternehmensgröße – zu bestimmen haben. Schließlich wurde auch die Legaldefinition der Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) auf ihre Eignung im Rahmen der Bankrottdelikte überprüft und hierzu den beiden anderen verbreiteten Überschuldungsmodellen gegenübergestellt. Dabei hat sich erwiesen, dass der Gesetzgeber bei seiner Entscheidung, von dem vor dem Inkrafttreten der InsO im Vordringen befindlichen modifizierten
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zweistufigen Überschuldungsbegriff abzurücken, keine glückliche Hand hatte. Gleich wie man die bei positiver Fortführungsprognose hiernach anzusetzenden Fortführungswerte zu bestimmen sucht, lässt sich der so bestimmten Krisensituation – positive Fortführungsprognose bei rechnerischer Überschuldung unter Ansatz von Fortführungswerten – keine sinnvolle Aussage entnehmen. Mag man es aus insolvenzrechtlicher Sicht noch hinnehmen können, die haftungsrechtliche Zuordnung des schuldnerischen Vermögens an eine bestimmte Relation von Vermögen und Verbindlichkeiten anzuknüpfen, erscheint es aus strafrechtlicher Sicht nicht zulässig und vertretbar, eine Pönalisierung der in § 283 genannten Verhaltensweisen hiervon abhängig zu machen. Weder bei Ansatz von Substanz-, noch bei Ansatz von Ertragswerten vermag die so umschriebene Unternehmenssituation hinreichend verlässlich darüber Auskunft geben, ob den Bankrotthandlungen eine typische und strafwürdige Gefährlichkeit für die geschützten Gläubigerinteressen zukommt. Eine solche Situation strafwürdiger Gefährlichkeit umschreibt allein eine Überschuldung i. S. d. modifizierten zweistufigen Überschuldungsbegriffs. Jedoch führt dieses isoliert betrachtet stimmige Modell zu Friktionen mit den anderen Krisenbegriffen. So liegt – interpretiert man die Fortführungsprognose zutreffenderweise als Zahlungsfähigkeitsprognose – immer dann, wenn nach diesem Begriffsverständnis eine Überschuldung gegeben ist (also im Fall einer negativen Fortführungsprognose bei rechnerischer Überschuldung nach Liquidationswerten) auch eine drohende Zahlungsunfähigkeit vor. Die Überschuldung als zusätzlicher Krisenbegriff erweist sich demnach als entbehrlich. Denn weil bei drohender Zahlungsunfähigkeit typischerweise auch eine rechnerische Überschuldung nach Liquidationswerten vorliegen dürfte, erweist sich für die Umschreibung einer Situation, in der die Bankrotthandlungen typischerweise Gläubigerinteressen gefährden, die Krisensituation der drohenden Zahlungsunfähigkeit als hinreichend. De lege ferenda sollte daher auf das Merkmal der Überschuldung als bankrottstrafrechtlicher Krisenbegriff verzichtet werden.
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herkömmlicher zweistufiger Überschuldungsbegriff 158, 186 Insolvenzgläubiger 23, 29, 32, 35, 37, 39, 40, 44, 55, 67, 68, 69, 70, 71, 175 Insolvenzplan 39 Kapitalisierungszinssatz 167 Kreditmittel 115 Kumulationsdelikt 79 Liquidation 31 Liquidationswerte 157, 173 Liquiditätsstatus 115, 119, 120, 122, 134 Massegläubiger 35, 40, 55, 68, 69, 71 modifizierter zweistufiger Überschuldungsbegriff 169, 197, 198 Normentheorie 97 Prognosemethode 149 Prognosewahrscheinlichkeit 147, 201 Prognosezeitraum 139, 161, 201 Rechtsgutsbegriff 47 Rechtsgutsträger 67 Relativität der Rechtsbegriffe 93 Restschuldbefreiung 29 Sanierung 31 Schuldprinzip 79, 84, 103, 178 Strafbedürftigkeit 87 Strafwürdigkeit 85 Substanzwertverfahren 162, 188
161,
234
Sachregister
teleologische Begriffsbildung 92 überindividuelle Rechtsgüter 72 Überliquidität 116 Überschuldung 157 ff. übertragende Sanierung 32 Umlaufvermögen 118, 119, 120, 174 Verweisung 98, 212
Wesentlichkeit der Deckungslücke 124, 213 Zahlungsfähigkeitsprognose 139 Zahlungsmittel 114 Zahlungspflichten 120 Zahlungsstockung 109, 115, 118, 129, 130, 131, 132, 152 Zahlungsunfähigkeit 113 ff.