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German Pages 127 [128] Year 1943
M. L I N T Z E L / D I E K A I S E R P O L I T I K O T T O S D E S G R O S S E N
DIE KAISERPOLITIK OTTOS DES GROSSEN VON
MARTIN LINTZEL
MÜNCHEN UND BERLIN 1945 VERLAG VON R.OLDENBOURG
Copyright 1943 by R. Oldenbourg, München und Berlin Druck und Einband von K. Oldenbourg, München Printed in Germany
VORBEMERKUNG Das kleine Buch, das ich hier vorlege, ist in diesem Herbst abgeschlossen; seine Ergebnisse habe ich zuerst in einem Vortrag mitgeteilt, den ich im vorigen Frühjahr in Leipzig gehalten habe. Mit seinem Gegenstand habe ich mich freilich schon seit viel längerer Zeit beschäftigt, einiges, was das Thema berührt, auch schon früher veröffentlicht. Dabei möchte ich ausdrücklich betonen, daß sich meine Ansichten im Laufe der Zeit geändert haben. Während ich, wie wohl die meisten unserer mittelalterlichen Historiker, ursprünglich im großen und ganzen die durch den Namen Julius Fickers repräsentierte Auffassung über die Kaiserpolitik vertreten habe, bin ich davon bei näherem Zusehen mehr und mehr abgekommen. Ich glaube aber, gerade weil ich sie früher selbst teilte, die Meinungen, die ich jetzt ablehne, in ihren Gründen und ihren Vorzügen genügend zu kennen, und ich hoffe, ihnen trotz der Ablehnung gerecht geworden zu sein. Mancher Leser dürfte es als lästig empfinden, daß die Anmerkungen nicht unter den Text verteilt sind. Doch ich habe, um die Mühe des Nachschlagens am Schluß des Bändchens möglicht zu erleichtern, das, was in den Anmerkungen zu sagen war, stark zusammengefaßt und jedem Abschnitt immer nur eine Anmerkung gegeben. Halle a. S., Dezember 1942. M. L.
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INHALT Seit*
Vorbemerkung
j
Einleitung
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I. K A P I T E L : DIE T E R R I T O R I A L E N ERGEBNISSE 1. 2. 3. 4. 5.
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Das Langobardenreich Rom Süditalien Die staatsrechtliche Bedeutung des Kaisertums Das Verhältnis der italienischen Erwerbungen zueinander . . .
21 25 31
II. K A P I T E L : D E R A N G E B L I C H E Z W A N G D E R T R A D I T I O N
37
1. 2. 3. 4. 5.
Das Die Das Die Das
vierte Reich des Buches Daniel Tradition der Antike Vorbild Karls des Großen karolingische Tradition und der deutsche Staat nichtrömische Kaisertum
Die Die Die Die Die
Herrschaft über die deutsche Kirche Missionspolitik im Osten Hegemonie in Europa Sicherung der süddeutschen Stämme außenpolitische Sicherung des Reiches
IV. K A P I T E L : GUNGEN
NACHTEILE
UND
OPPOSITIONELLE
RE-
V. KAPITEL: DIE BILANZ V O N OTTOS KAISERPOLITIK . Ergebnisse Ottos Rechtfertigung als „Held" ' Vorteile der Kaiserpolitik Die verschiedenen Phasen der Italienpolitik Ausblick
Anmerkungen
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58 58 65 72 76 79
1. Innerpolitische Nachteile 2. Die Lage im Osten und Norden 3. Oppositionelle Regungen
|i. 2. 3. 4. 5.
IJ
37 41 43 46 53
i n . K A P I T E L : D I E A N G E B L I C H E POLITISCHE N O T W E N D I G KEIT 1. 2. 3. 4. 5.
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86 86 89 9j 100 100 101 104 108 110 113
EINLEITUNG Die Kaiserpolitik, d. h. die italienische Politik Ottos des Großen ist seit langem eine der umstrittensten und am meisten erörterten Erscheinungen der mittelalterlichen Geschichte. Seit der berühmten Kontroverse zwischen Heinrich von Sybel und Julius Ficker steht die Frage nach dem Sinn, den Ursachen und den Folgen von Ottos Vorgehen jenseits der Alpen im Mittelpunkt der Diskussion über die Italienpolitik der deutschen Kaiser des Mittelalters überhaupt, und sie ist damit zu einem Zentralproblem der mittelalterlichen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung geworden. Sybel und seine Anhänger haben die Kaiserpolitik Ottos angegriffen, Ficker und seine Anhänger haben sie verteidigt. Nach der Sybelschen Anschauung hat der Versuch Ottos und seiner Nachfolger, Deutschland und Italien zugleich zu beherrschen, zu der Katastrophe des deutschen Staates im hohen Mittelalter geführt, die das deutsche Königtum seit dem dreizehnten Jahrhundert zur Ohnmacht verurteilte. Der Versuch sei vom nationalen Standpunkt aus unerwünscht und politisch von vornherein aussichtslos gewesen. Er habe die Krone gezwungen, ihre besten Kräfte in einem nutzlosen Ringen zu verzehren, und sie gehindert, eine den wahren Bedürfnissen des deutschen Staates und Volkes entsprechende Politik zu treiben. Statt nach Süden zu gehen, hätte Otto seine politischen und militärischen Energien restlos darauf verwenden sollen, den Staat im Innern zu konsolidieren und in der Außenpolitik den Osten zu gewinnen. Nach der Fickerschen Auffassung hat die Italienpolitik Ottos den Interessen des deutschen Staates im zehnten Jahrhundert völlig entsprochen. Wenn sie im dreizehnten Jahrhun7
dert schließlich mit einer Katastrophe endete, so habe das nicht in der Natur der Sache gelegen, sondern sei die Folge von bestimmten Komplikationen gewesen, die im Laufe der Zeit zur Italienpolitik hinzutraten, und die an sich nichts mit ihr zu tun hatten; vor allem sei es die Folge der Verbindung des Reiches mit Sizilien gewesen, die durch die Heirat Heinrichs VI. mit Konstanze hergestellt wurde. Tatsächlich habe die Kaiserpolitik Ottos den deutschen Staat des zehnten Jahrhunderts erst wirklich gesichert; sie sei die Vorbedingung für seine Weltstellung und für die Ordnung der europäischen Verhältnisse unter der deutschen Führung im hohen Mittelalter gewesen; die Kaiserpolitik sei die Ursache der deutschen Größe in dieser Zeit geworden, und für den Rückgang der deutschen Macht im späten Mittelalter sei nicht sie verantwortlich zu machen, sondern vielmehr die Tatsache, daß sie aufgegeben werden mußte, und daß das Kaisertum verfiel. Der Standpunkt Fickers hat sich durchgesetzt. Gewiß hat er sich einige Modifikationen gefallen lassen müssen, und nicht alles, was Ficker einstmals behauptete, wird noch heute vertreten. Aber im großen und ganzen hat seine Meinung gesiegt; und man kann beobachten, daß, wenn auch einige von seinen Anschauungen aufgegeben worden sind, in anderen sich das positive Urteil über die Kaiserpolitik und damit die Ablehnung der Sybelschen Kritik noch verschärft hat. So wird die Ansicht, daß die Italienpolitik der innerdeutschen Königspolitik und vor allem der Ostpolitik nicht geschadet, sondern genützt habe, heute von der Forschung noch erheblich krasser vertreten, als das seinerzeit von Ficker geschehen ist; man sieht jetzt im allgemeinen in der Italienpolitik die notwendige Voraussetzung sowohl für den Aufbau des Ottonischen Staates wie für die Ostpolitik des zehnten Jahrhunderts; man hat sich geradezu auf die Formel geeinigt: ohne Kaiserpolitik keine Ostpolitik. Doch wenn der Sieg der Fickerschen These auch vollständig zu sein scheint und der Widerspruch gegen sie augenblicklich so sehr verstummt ist, daß in den letzten anderthalb Jahrzehnten so gut wie ausschließlich Stimmen zu Worte gekom8
men sind, die sich im Sinne Fickers geäußert haben — wer sich den Verlauf der Diskussion näher ansieht, dem mögen trotzdem Zweifel aufsteigen, ob der Widerspruch wirklich widerlegt ist, und ob die Einmütigkeit, die jetzt in der Beurteilung der Kontroverse herrscht, wirklich berechtigt ist. Es muß von vornherein nachdenklich stimmen, wenn man liest, daß Ficker selbst in seinen späteren Jahren von manchen seiner Behauptungen abrücken wollte; oder wenn man sich vergegenwärtigt, daß Georg Waitz, wohl der gründlichste Kenner und besonnenste Beurteiler, den die früh- und hochmittelalterliche Verfassungsgeschichte in den letzten hundert Jahren gehabt hat, im ganzen der Auffassung Fickers nicht zugestimmt hat; oder wenn man bedenkt, daß später etwa Georg von Below, Fritz Kern und Fedor Schneider an der Sybelschen Anschauung, zum Teil mit verschärfter Betonung ihrer Thesen, festgehalten haben. Wenn es mir auch fern liegt, einfach zu dem Sybelschen Standpunkt zurückzukehren, und wenn mir auch viel von dem, was Sybel und seine Anhänger behaupteten, nicht richtig zu sein scheint, so glaube ich doch, daß auch die Ansichten, die man auf der Gegenseite vertritt, den historischen Tatsachen zum großen Teil nicht gerecht werden. Ich glaube, die Kaiserpolitik Ottos war nicht so schädlich, wie Sybel, und sie war nicht so nützlich, wie Ficker annimmt; vor allem scheint mir sehr viel von dem, was man neuerdings über ihre innen- und außenpolitische Notwendigkeit gesagt hat, weit über das Ziel hinauszuschießen. In der Diskussion über die mittelalterliche Kaiserpolitik ist diese meistens als Ganzes, und die Politik Ottos des Großen ist nur als Teil eines größeren Zusammenhanges betrachtet worden. Das ist verständlich. Denn Ottos Vorgehen steht am Anfang der Italienpolitik der deutschen Könige, und alle seine Nachfolger sind in seinen Bahnen gegangen. Aber die Zusammenfassung der gesamten mittelalterlichen Kaiserpolitik und die Betrachtung von Ottos Politik in ihrem Rahmen bringt die Gefahr von anachronistischen Fehlurteilen mit sich; man hat denn auch tatsächlich nicht selten Dinge und Zeiten zueinander 9
in Beziehung gesetzt, die nicht zusammen gehören, und man hat Otto im guten -wie im bösen für Tatsachen verantwortlich gemacht, die mit seiner Politik und seiner Zeit gar nichts zu tun haben. In der folgenden Erörterung beabsichtige ich, die Kaiserpolitik Ottos möglichst isoliert zu betrachten, und versuche, sie nur aus den Bedingungen ihrer Zeit (oder wenigstens aus den Verhältnissen, mit denen sie in einem unmittelbaren Zusammenhang steht) zu verstehen und zu beurteilen. Sie bleibt trotzdem in vieler Hinsicht das Paradigma für die deutsche Kaiserpolitik im ganzen. Das Thema, dem wir uns damit zuwenden, ist unerschöpflich. Es ist seit den Tagen von Sybel und Ficker nicht erschöpft worden, und ich nehme nicht an, daß das auf den folgenden Seiten geschieht. Vielmehr bin ich mir klar darüber, daß mit dem, was ich hier sage, nur ein Teil der Gesichtspunkte (ich glaube freilich, der wichtigste) erörtert wird, die in diesem Zusammenhang beachtet werden müssen. Noch klarer bin ich mir darüber, daß ich vielfach Widerspruch finden werde. Aber das schadet nichts; ich glaube, es ist schon viel gewonnen, wenn die folgende Untersuchung dazu beiträgt, die Diskussion wieder in Gang zu bringen, die mir an der verkehrten Stelle einzuschlafen scheint. Wir versuchen zunächst, uns einen Überblick über die territorialen Erwerbungen Ottos in Italien zu verschaffen. Nach den Ursachen und nach den Wirkungen seines Eingreifens auf Deutschland und die Welt fragen wir dabei zunächst nicht, sondern erörtern nur die Frage, welche Anstrengungen den König sein Vorgehen gekostet hat, und wie fest und gesichert seine Ergebnisse waren, (i)
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I. K A P I T E L
DIE TERRITORIALEN ERGEBNISSE i. Das L a n g o b a r d e n r e i c h Otto hat bei seinen Unternehmungen in Italien das Langobardenreich erobert, er hat Rom und die Kaiserkrone gewonnen, und er hat Sich mit den Griechen in Unteritalien auseinandergesetzt, wobei er die Lehnshoheit über Benevent und Capua behauptete. Mit den geringsten Schwierigkeiten erreicht und am gründlichsten befestigt wurde offenbar die Erwerbung des Langobardenreiches. Im Spätsommer 951 ist Otto zum erstenmal nach Italien aufgebrochen. Wie groß das Heer war, das ihn begleitete, wissen wir nicht; da aber sämtliche damals regierenden deutschen Herzöge und eine größere Anzahl deutscher Bischöfe mitzogen, ist anzunehmen, daß es verhältnismäßig stark gewesen ist. Anscheinend ohne Schwertschlag, jedenfalls ohne ernsthaftes Gefecht, gelangte Otto nach der langobardischen Hauptstadt Pavia. Der König der Langobarden, Berengar von Ivrea, zog sich kampflos auf seine Burgen zurück, und mindestens in der Poebene scheint seine Herrschaft im wesentlichen zusammengebrochen zu sein. Offenbar sind die meisten der norditalienischen Magnaten zu Otto übergegangen oder haben sich doch abwartend verhalten. Otto nahm den Titel eines Königs der Langobarden an und betrachtete die Eroberung des Landes soweit als gesichert, daß er den Weitermarsch nach dem Süden plante und Gesandte nach Rom schickte, die dort wegen seiner Aufnahme verhandelten. Das 951 Erreichte ist im nächsten Jahre zum größten Teil und einige Jahre später völlig verlorengegangen. Otto legte 11
im Frühjahr 952 den Titel eines Langobardenkönigs wieder ab und verzichtete bald danach auf die unmittelbare Herrschaft in Italien: auf dem Augsburger Reichstag im August 952 wurde das Königtum Berengars wiederhergestellt. Zwar hat Berengar Otto damals einein Lehnseid geleistet, und er mußte die Mark Verona an Bayern abtreten. Aber auch das ist wohl schon 953, spätestens 955, rückgängig gemacht worden; das Lehnsverhältnis wurde gelöst und die Mark Verona wurde wieder italienisch. Doch wenn die Unternehmung von 951 schließlich auch gescheitert ist, so lag die entscheidende Ursache dafür sicher nicht an Widerständen und Schwierigkeiten, auf die man in Berengars Reich stieß. Otto wurde vielmehr im Winter 951/52 durch drohende Wirren in Deutschland zur Umkehr gezwungen; die Wiedereinsetzung Berengars in Augsburg war die Folge der unsicheren Lage, in die der deutsche König diesseits der Alpen geraten war, und daß der Italiener schließlich seine volle Unabhängigkeit und die Mark Verona zurückgewann, hatte seinen Grund in dem deutschen Bürgerkrieg der Jahre 953 und 954. Im Herbst 956 schickte Otto seinen Sohn Liudolf nach Italien, um Berengar die Herrschaft wieder zu entreißen. Wie groß die Erfolge waren, die der Prinz errang, ist nicht ganz sicher. Er besiegte in einem Gefecht Adalbert, den Sohn Berengars, und gelangte wohl noch 956 nach Pavia. In einem Teil der Lombardei wurde Otto wieder als König anerkannt: in Mailand und Bergamo zählen die Urkunden jetzt nach seinen Regierungsjahren. Aber in anderen Teilen Norditaliens hat das Regiment Berengars weiter bestanden, und die Lage dürfte noch einigermaßen ungeklärt gewesen sein, als Liudolf im Herbst 957 umkehrte und auf dem Rückmarsch in Pombia starb. Zu seinem zweiten Zug nach Italien, den er im Herbst 961 begann, wurde Otto außer von päpstlichen Gesandten von mehreren norditalienischen Großen eingeladen, die mit der Regierung Berengars unzufrieden waren und den deutschen König aufforderten, die Langobardenkrone zu übernehmen. Im wesentlichen wiederholten sich die Vorgänge von 951. Otto gelangte, anscheinend ohne irgendwelchen Widerstand zu finden, 12
nach Pavia und annektierte das langobardische Reich. Die Belagerung Berengars und der Königin Willa, sowie ihrer Söhne in einigen norditalienischen Burgen hat Otto zwar noch eine Weile in Anspruch genommen; erst Ende 963 oder Anfang 964 konnte das Königspaar gefangen nach Deutschland abgeführt werden. Währenddessen und noch in der folgenden Zeit haben die Söhne Berengars, besonders Adalbert, Ottos Stellung zu erschüttern versucht, und im Süden des Reiches, vor allem in Toskana, scheint die Lage eine Zeitlang etwas unsicher gewesen zu sein. Aber das ändert doch nichts daran, daß im ganzen Ottos Herrschaft von Anfang an nicht ernsthaft in Frage gestellt wurde. Otto hat, obgleich damals Berengar und seine Familie noch unbezwungen auf ihren Burgen saßen, schon im Januar 962 Norditalien verlassen und nach Rom gehen können; die Lage forderte zwar nach einigen Monaten seine Rückkehr; doch alle Versuche der verdrängten Königsfamilie, wieder Boden zu gewinnen, sind erfolglos geblieben. Berengars Sohn Adalbert, der am längsten gegen Otto kämpfte, vermochte bis 965 im Königreich nirgends Fuß zu fassen; er mußte nach Korsika und nach Rom gehen und bemühte sich, von dort aus dem deutschen Regiment Schwierigkeiten zu machen. Nach der Rückkehr Ottos nach Deutschland im Januar 965 gelang es Adalbert freilich noch einmal, zusammen mit seinem Bruder Wido, in Norditalien einzufallen. Ein Teil der langobardischen Großen ging zu ihm über. Otto sandte darauf den Herzog Burchard von Schwaben über die Alpen, der die Aufständischen in einer Schlacht besiegte, in der der Prinz Wido fiel. Als Burchard kurz danach umkehrte, war Italien im großen und ganzen beruhigt. Trotzdem scheint Adalbert noch im Lande geblieben zu sein, und er hat Anhänger behalten. Zu ihnen gehörte sogar Ottos Erzkanzler für Italien, der Bischof Wido von Modena. Daß diese Opposition indessen wenig zu bedeuten hatte, ergibt sich daraus, daß Wido es bald für geraten hielt, an den deutschen Hof zu gehen, wo man ihn aber nicht empfing; er wurde schließlich gefangen genommen und in die Verbannung geschickt.
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Der dritte Italienzug Ottos ist offenbar in erster Linie durch eine Umwälzung, die 965 in Rom stattgefunden hatte, und weniger durch die geringen Reste der norditalienischen Opposition veranlaßt worden. Otto hat bei seiner Ankunft jenseits der Alpen zwar noch einige Verbannungen aussprechen müssen, aber Adalbert ist vor ihm geflohen, und auf Widerstand ist der deutsche König nicht gestoßen. Er hat sich dann freilich während seines Aufenthalts in Italien noch mehrfach in Norditalien aufgehalten; und es ist durchaus wahrscheinlich, daß die allgemeinen Verhältnisse, vor allem die Verwaltung des Landes, seine Anwesenheit wünschenswert machten. Aber die deutsche Herrschaft war offensichtlich in keiner Weise gefährdet. Wenn Adalbert Otto Schwierigkeiten machen wollte, so mußte er das von Konstantinopel aus und in den süditalienischen Gebieten versuchen. Das langobardische Reich blieb seinem Einfluß verschlossen. Nach seinem Abzüge 972 und nach dem Tode Ottos des Großen erfolgte gleichfalls keine neue Erschütterung der Lage. Der Übergang der Herrschaft auf Otto II. vollzog sich ohne Störung, und zu größeren Konflikten ist es zu seiner Zeit nicht gekommen. Weder die vielfachen Unruhen in Deutschland noch die Niederlage von Cotrone haben ernsthafte Rückwirkungen in Norditalien gehabt. Die Langobarden haben 983 in Verona anstandslos zusammen mit den deutschen Fürsten die Wahl Ottos III. vollzogen. Auch der frühzeitige Tod Ottos II. und die Regentschaft Theophanus und Adelheids während der Minderjährigkeit Ottos III. führten nicht zu einer Veränderung der Verhältnisse. Wie gefestigt noch am Ende des Jahrhunderts die Zustände waren, zeigt sich darin, daß damals die Unbotmäßigkeit Arduins von Ivrea von Otto III. und vom Papst mit leichter Mühe unterdrückt werden konnte, obgleich die Macht der beiden in den anderen Teilen der Welt bereits bedenklich wankte. Erst nach dem Tode Ottos III. ist mit der Erhebung Arduins zum italienischen König die Verbindung Norditaliens mit Deutschland unterbrochen worden. Aber das war zweifel-
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los zum größten Teil die Folge der konfusen Politik und der politischen Unfähigkeit des jungen Kaisers, und die Trennung war weder vollständig noch hatte sie Bestand. Arduin wurde nur von einem Teil der langobardischen Großen anerkannt, und sobald Heinrich II. in Italien nachdrücklich eingreifen konnte, hat er den einheimischen König beiseite geschoben. Seitdem aber ist im Langobardenreich bis zum Investiturstreit die deutsche Herrschaft nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt worden. Man sieht, die Verbindung des Langobardenreiches mit dem Deutschen Reich ist von Otto dem Großen ohne besondere Mühe geknüpft und behauptet worden. Wenn man sich erinnert, wie unfertig und wenig fest die staatlichen Verhältnisse im zehnten Jahrhundert im allgemeinen waren, und daß in Deutschland selbst fast jeder Thronwechsel von mehr oder weniger bedenklichen Unruhen und Aufständen begleitet wurde, so wird man urteilen müssen, daß die von Otto in Norditalien errichtete Ordnung sich als außerordentlich stabil erwiesen hat. (2) 2. R o m Während Otto im Herbst 951 in Pavia weilte, schickte er den Erzbischof Friedrich von Mainz und den Bischof Hartbert von Chur nach Rom, um mit dem Papst Agapet wegen seiner Kaiserkrönung zu verhandeln. Doch der Papst lehnte ab, zweifellos auf Veranlassung des damaligen Machthabers in Rom, des Senators Alberich, der nicht bloß die Stadt, sondern auch die Kurie völlig beherrschte. Kurz danach wurde Otto durch die Schwierigkeiten in Deutschland gezwungen, über die Alpen zurückzukehren. E r gab damit den Zug nach Rom auf; ob ihn dazu neben dem Zwang, den die deutschen Verhältnisse ausübten, auch die Aussicht auf den Widerstand in Rom veranlaßte, muß dahingestellt bleiben. Als Otto 961 von langobardischen Mißvergnügten aufgefordert wurde, Berengar zu beseitigen, lud ihn, wie schon gesagt, auch eine päpstliche Gesandtschaft ein, nach Rom zu ij
kommen und dem Papst Johann XII., der von Berengar bedrängt wurde, Hilfe zu bringen. Der Senator Alberich war 95 j gestorben; Johann XII. war sein Sohn, und ihm hatte Alberich die Herrschaft über die Stadt und zugleich die Aussicht auf das Papsttum hinterlassen, das er nach dem Tode Agapets Ende 955 auch wirklich erlangte. Wenn Johann jetzt die Intervention des deutschen Königs herbeiführte, so handelte er damit im Gegensatz zu der Politik seines Vaters, und es ist keine Frage, daß er seine eigene Unabhängigkeit und seine Herrschaft über Rom aufs Spiel setzte. Wie weit der Papst durch den Druck, den Berengar auf den Kirchenstaat ausübte, zu seinem bedenklichen Schritt gezwungen wurde, ist schwer zu sagen. Doch es sieht so aus, als wenn der Hilferuf an Otto weniger von dem freien Willen Johanns selbst, als von einer römischen Partei diktiert wurde, die sich gegen die Traditionen Alberichs wandte und seinen Sohn zwang, ihr zu folgen. Daß die Stellung der Kurie zu Otto unklar war, und daß in Rom Bedenken gegen sein Eingreifen bestanden, dürfte auch daraus hervorgehen, daß der Papst vor der Kaiserkrönung Ottos statt mit der unmittelbaren Herrschaft des deutschen Königs in Italien mit der Einsetzung eines Unterkönigs rechnete. Doch wie auch in den Verhandlungen von 961 und im Januar 962 die Stellung Johanns XII. zu Otto gewesen sein mag, nachdem der König in Rom erschienen und am 2. Februar 962 zum Kaiser gekrönt worden war, fiel der Papst im Laufe des Jahres 963 von ihm ab. Er versuchte, Beziehungen mit Byzanz, angeblich sogar mit den Ungarn, anzuknüpfen und verbündete sich mit der Partei Berengars; dessen Sohn Adalbert wurde, während Otto im Norden Berengars Burgen belagerte, in Rom eingelassen. Als Otto darauf gegen die Stadt marschierte, mußte Johann zwar flüchten; auf einer römischen Synode, die im November und Dezember 963 unter der Leitung des Kaisers tagte, wurde er abgesetzt und an seiner Stelle Leo VIII. zum Papst erhoben. Doch in Rom blieb eine starke Partei dem geflohenen Papste treu. Im Januar 964 kam es zu einem schweren Aufstand gegen die Deutschen. Er wurde freilich 16
niedergeschlagen, aber nachdem der Kaiser kurz darauf mit dem größten Teil seiner Truppen die Stadt verlassen hatte, erhoben sich die Römer von neuem, vertrieben Leo und riefen Johann zurück. Auf einer Synode Ende Februar wurde Leo VIII. für abgesetzt erklärt. Gegen den Kaiser selbst ging man dabei nicht vor, und wenn auch seine Parteigänger und Gesandten von Johann mißhandelt wurden, so ist doch wahrscheinlich, daß der Papst zu einem Ausgleich mit ihm zu kommen suchte. Aber es ist keine Frage, daß die Stellung und der Anhang Ottos in der ewigen Stadt sehr schwach waren. Dafür ist bezeichnend, daß viele seiner Anhänger, die an der kaiserlichen Synode 963 teilgenommen hatten, zu Johann übergingen und sich an der Februarsynode 964 beteiligten; weiter, daß die Römer, nachdem Johann im Mai 964 plötzlich gestorben war, Leo VIII. ablehnten und einen neuen Papst, Benedikt V., wählten; und endlich, daß der Kaiser nicht wagen konnte, sofort gegen die Stadt vorzugehen, sondern erst Verstärkungen abwarten mußte. Der zweite Italienzug Ottos endete schließlich mit einem Sieg des Kaisers, der die Verhältnisse in Rom in ähnlicher Weise zu festigen schien, wie sie schon zu Beginn des Zuges im Norden gefestigt waren. Die Stadt wurde im Juni 964 nach einer verhältnismäßig kurzen Belagerung zur Übergabe gezwungen; auf einer neuen Synode wurde Benedikt abgesetzt und Leo VIII. wieder eingesetzt. Vor allem aber, im Laufe der Kämpfe gegen Rom war es Otto gelungen, seine Stellung gegenüber dem Papsttum grundsätzlich und rechtlich erheblich zu verbessern. Nach der Kaiserkrönung hatte man ihm im Februar 962 zugesichert, daß bei einer künftigen Papstwahl der Gewählte erst, nachdem er dem Kaiser einen Treueid geleistet hatte, geweiht werden sollte. Das hatte den Gepflogenheiten der Karolingerzeit entsprochen. Nach der Empörung Johanns XII. und der ersten Eroberung Roms durch den Kaiser hatten die Römer ihm statt dessen versprechen müssen, in Zukunft eine Papstwahl nur noch in Gegenwart des Kaisers oder seines Missus vorzunehmen. Das bedeutete gegenüber der früheren Regelung eine beträchtliche Steigerung des deutschen Einflusses und Lintzel, Die Kaiserpolitik
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konnte dahin führen, daß der Kaiser tatsächlich über das Papsttum verfugte. Wie es im übrigen mit der kaiserlichen Herrschaft in Rom und im Kirchenstaat bestellt war, ist im einzelnen schwer zu sagen. Sicher nahm Otto bisweilen selbst oder durch gelegentlich auftretende Missi Regierungshandlungen vor; und wenn auch im allgemeinen der Papst als der Herr Roms und des Kirchenstaates erschien, so war schon allein dadurch, daß er unter der Aufsicht des Kaisers erhoben, daß er durch einen Eid an ihn gebunden und politisch von ihm abhängig war, die kaiserliche Oberhoheit und Leitung gewährleistet. Nachdem Otto Italien verlassen hatte, ist im März 965 Leo VIII. gestorben. Daß die Einrichtungen des Kaisers Bestand hatten, zeigte sich darin, daß die Römer ihn durch eine Gesandtschaft um seine Meinung befragten, und daß der neue Papst dann in Gegenwart von kaiserlichen Gesandten in Rom gewählt worden ist. Doch daneben ist deutlich, daß Ottos System auch auf Schwierigkeiten stieß. Eine Nachricht, die nicht unglaubwürdig ist, versichert, die Römer hätten Otto um die Erlaubnis gebeten, den 964 von ihnen gewählten und vom Kaiser abgesetzten Benedikt V. wieder erheben zu dürfen. Und die Wahl, die dann in Rom wirklich zustande kam, scheint das Ergebnis eines Kompromisses gewesen zu sein. Sie traf Johann XIII., der nach allem, was man weiß, ein Verwandter Alberichs und Johanns XII. war; jedenfalls hatte er JohannXII. nahegestanden und sich an der Synode, die Leo VIII. verdammte, beteiligt. Er hat sich während seines Pontifikates Otto keineswegs immer gefügig gezeigt, und er hat eine Politik getrieben, die mit der des Kaisers nicht immer übereinstimmte. Seine Wahl bedeutete sicher nicht einen Bruch mit der Herrschaft Ottos über Rom. Aber sie bedeutete eine gewisse Emanzipation des Papsttums und war ein Symptom dafür, daß die Abhängigkeit der Römer vom Kaiser weniger groß war, als es 964 aussah. Wenige Monate nach seiner Erhebung wurde Johann XIII. aus Rom vertrieben; wie weit der Aufstand gegen ihn zugleich 18
ein Aufstand gegen den deutschen Einfluß war, ist kaum zu sagen. Man erkannte Ottos Herrschaft in Rom anscheinend weiter an, und es ist möglich, daß nur innerrömische Verhältnisse die Veranlassung zur Empörung gegeben hatten. Doch Johann XIII. bat Otto den Großen um Hilfe, und sein Hilferuf war einer der Gründe, vielleicht sogar der entscheidende Grund für Ottos dritten Italienzug. Nach seiner Ankunft in Rom hielt der Kaiser ein hartes Strafgericht über die Empörer, bei dem es zu Verstümmelungen und Hinrichtungen kam. Otto hat sich auf seinem dritten Zug fast sechs Jahre, von 966 bis 972, in Italien aufgehalten. Aber man kann nicht sagen, daß es die römischen Verhältnisse waren, die ihn so lange fesselten. Das Wichtigste, was in Rom in dieser Zeit geschah, war die Kaiserkrönung Ottos II. Weihnachten 967. Jedenfalls blieb nach dem Strafgericht von 966 im Kirchenstaat alles ruhig, und als nach der Rückkehr des Kaisers nach Deutschland Johann XIII. im September 972 starb, wurde der neue Papst Benedikt VI. zweifellos mit Ottos Zustimmung gewählt. Nach Ottos des Großen Tod erfolgte 974 ein neuer Aufstand; diesmal unter der Führung des Crescentius, der dem Hause Alberichs angehörte. Benedikt VI. wurde gestürzt und erwürgt, Bonifaz VII. zum Papst gewählt. Aber die kaiserliche Partei stellte unter dem Missus Sicco die Lage rasch wieder her. Bonifaz wurde vertrieben und durch Benedikt VII. ersetzt. Crescentius ging anscheinend jetzt, spätestens 980 ins Kloster. Ein Eingreifen Ottos II. war nicht erforderlich. Auch der Italienzug von 980 war, soweit wir sehen, nicht eigentlich durch die römischen Verhältnisse bedingt. Nach der Niederlage von Cotrone erfolgte in Rom so wenig wie in Norditalien eine Reaktion gegen die deutsche Herrschaft, und nach dem Tode Benedikts VII. wurde 983 der Erzkanzler Ottos für Italien, Petrus von Pavia, als Johann XIV. zum Papst erhoben. Nach Ottos II. Tod kam es dann freilich zu einem Umschwung. Johann X I V . wurde 984 gestürzt; er starb im Gefängnis. Zwar wurde auch Bonifaz VII., der jetzt wieder auftauchte, schon 985 beseitigt. Aber die Herrschaft in Rom hatte
von nun an Johannes Crescentius, der Sohn des 974 verdrängten Crescentius, inne. Johann X V . , Papst von 985 bis 996, war völlig von ihm abhängig, und Johannes Crescentius führte ein ähnliches Regiment, wie es seinerzeit Alberich gefuhrt hatte. Die kaiserliche Regierung in Rom war praktisch zusammengebrochen. Immerhin legte man weiter Wert auf gute Beziehungen zum deutschen Hofe, und als Theophanu 989/90 nach Rom kam, konnte sie dort einige Regierungshandlungen vornehmen. Daß sich trotz des Umsturzes von 984 das System Ottos des Großen sogar ohne Schwierigkeit wieder aufrichten ließ, zeigte sich, als Johann X V . 996 gegen Johannes Crenscentius OttoIH. einlud, nach Rom zu kommen, und als nach Johanns X V . Tod Otto III., bereits ehe er Rom betreten hatte, seinen Vetter Brun als Gregor V. zum Papst wählen lassen konnte. Die Überspannung der Ansprüche und des imperialen Systems unter dem jungen Kaiser führte dann freilich zu neuen Verwicklungen und in der Zeit seines Todes zu einem ähnlichen Umsturz wie dem von 984. Eine unmittelbare Verfügung über den päpstlichen Stuhl, wie sie unter den ersten Ottonen bestanden hatte, ist danach erst unter Heinrich III. wiederhergestellt worden. Aber schon seit der zweiten Hälfte der Regierung Heinrichs II. bestanden von neuem enge Beziehungen zwischen Rom und der deutschen Reichsregierung, und jedenfalls vermochte von da an bis zum Investiturstreit keine italienische oder nichtitalienische Macht mit dem deutschen Einfluß an der Kurie ernsthaft zu konkurrieren. Wenn man die Ordnung, die Otto in Rom durchsetzte, mit der in Norditalien errichteten vergleicht, so ist wohl deutlich, daß sie weniger durchgreifend und weniger gesichert gewesen ist. Es handelte sich in Rom weniger um eine deutsche Herrschaft wie im Langobardenreich, als um eine Art Oberhoheit. Diese Oberhoheit aufzurichten und zu behaupten hat aber ohne Frage größere Anstrengungen gekostet als die Errichtung und Sicherung der Stellung im Norden; und die Lage in Rom war labiler und größeren Wechselfällen unterworfen als die in Pavia. (3) 20
3» Süditalien Im Winter 966/67 ist zum erstenmal Pandulf der Eisenkopf von Capua in der Umgebung Ottos nachweisbar. Er war in Rom am Hofe des Kaisers erschienen und wird bei der Gelegenheit als Fürst von Capua und Markgraf von Spoleto bezeichnet. Es ist wahrscheinlich, daß ihm Otto bei diesem Aufenthalt Spoleto übertragen, und es ist so gut wie sicher, daß Pandulf damals sowohl für Spoleto wie für Capua Vasall-des Kaisers geworden ist. In den ersten Monaten des Jahres 967 begab sich Otto selbst nach Capua und kurz darauf nach Benevent, wo ihm auch der Herr von Benevent, Pandulfs Bruder Landulf, huldigte. Durch seine Beziehungen zu den Fürsten von Capua und Benevent hatte Otto die Rechte oder wenigstens die Ansprüche des griechischen Kaisers verletzt; denn in Konstantinopel betrachtete man die beiden Fürsten als Untertanen. Bis 967 waren die Beziehungen zwischen Otto und Byzanz im ganzen offenbar ungetrübt gewesen. Noch im Frühjahr 967 erschien eine griechische Gesandtschaft in Ravenna, die Otto der Freundschaft des Hofes von Konstantinopel versicherte. Doch jetzt, nach dem Anschluß von Capua und Benevent an Ottos Machtbereich, kam es zu Verhandlungen, die von einer Kriegsdrohung des griechischen Herrschers Nikephoros Phokas unterbrochen wurden, und in denen die Griechen höchstwahrscheinlich den Verzicht auf Capua und Benevent forderten, während Otto, offenbar ohne die Lehnshoheit über diese Länder aufzugeben, die Vermählung seines Sohnes Ottos II. mit der Stieftochter des Nikephoros, der im Purpur geborenen Tochter des Kaisers Romanos II. verlangte. Die Verhandlungen zerschlugen sich, und Otto rückte im März 968 in das griechische Apulien ein. Nachdem er Bari vergeblich belagert hatte und nach Norden abgezogen war, schickte er Liudprand von Cremona nach Konstantinopel, um von neuem Verhandlungen anzuknüpfen. Aber schon im November 968 überzog er die griechischen Gebiete, diesmal in Calabrien, abermals mit Krieg. Zu Weihnachten war er in Apulien, Ostern 969 von neuem in Calabrien. Er richtete 21
jedoch nichts aus, kehrte im April zum zweiten Male um und ging nach Norditalien. Während seiner Abwesenheit wurde in seinem Auftrag der Krieg von Pandulf fortgesetzt, unter dessen Kommando auch deutsche Truppen standen. Der Markgraf belagerte Bovino in Apulien, konnte es aber nicht erobern; er wurde schließlich von den Griechen geschlagen und gefangengenommen. Ein griechisches Heer drang darauf in das Gebiet von Benevent ein, nahm Avelüno und belagerte Capua; der Fürst von Salerno, der inzwischen zu Otto übergetreten war, fiel wieder zu Byzanz ab. Otto schickte, ohne selbst Norditalien zu verlassen, im Sommer 969 ein aus Deutschen und Italienern zusammengesetztes Heer, das Capua entsetzte, Avellino zurückeroberte, nach Apulien vordrang und dort die Griechen in einer angeblich bedeutenden Schlacht bei Ascoli besiegte. Trotzdem wurde Apulien wieder geräumt, und das deutsch-italienische Heer kehrte nach Benevent zurück. Im Frühjahr 970 unternahm der Kaiser selbst einen neuen Zug nach Süditalien. Er verwüstete die Umgebung von Neapel, durchzog Apulien und machte sich an eine neue Belagerung von Bovino. In diesem Augenblick aber kam es zum Frieden. Nikephoros Phokas war im Dezember 969 ermordet worden, und sein Nachfolger Johannes Tzimiskes verzichtete auf die Fortsetzung des Krieges. Pandulf von Capua wurde wieder auf freien Fuß gesetzt, die Unterstellung von Capua und Benevent unter die deutsche Lehnshoheit blieb erhalten, und im Jahre 972 erfolgte auch die Vermählung Ottos II. mit einer griechischen Prinzessin; freilich nicht mit der Tochter des Romanos, die Otto der Große als Schwiegertochter gewünscht hatte, sondern mit der Theophanu, einer nicht im Purpur geborenen Nichte des Johannes Tzimiskes. Die Ergebnisse der süditalienischen Politik Ottos sind nicht leicht zu beurteilen. Das hat wenigstens zum Teil darin seinen Grund, daß man sich von den Zielen, die Otto verfolgte, nur schwer ein bestimmtes Bild machen kann. In einem Brief, den er im Januar 968 an die sächsischen Fürsten geschrieben hat, erklärt der Kaiser, wenn die von ihm 22
erstrebte griechische Heirat seines Sohnes nicht zustande komme, so werde er den Griechen Apulien und Calabrien entreißen; in einer Urkunde, die er im November 968 ausstellen ließ, spricht er davon, daß er ausgezogen sei, um Apulien für das italienische Königreich zu erwerben, und sein Gesandter Liudprand versuchte in Konstantinopel nachzuweisen, daß Süditalien rechtmäßig zu seinem Reiche gehörte. Otto hat also die Gewinnung Süditaliens mindestens als Faustpfand für die Heirat seines Sohnes mit einer im Purpur geborenen griechischen Prinzessin, vielleicht hat er sie sogar als Selbstzweck erstrebt. Ist das letztere der Fall, so ist er gescheitert. Es ist deutlich, daß sämtliche militärischen Operationen, die Otto auf griechischem Boden durchführte oder durchführen ließ, zuletzt fehlgeschlagen sind: von einer Eroberung Apuliens und Calabriens konnte keine Rede sein, und die bereits gewonnene Lehnsabhängigkeit von Salerno ging wieder verloren. Im Friedensschluß von 972 mußte denn auch Süditalien endgültig aufgegeben werden. Gewiß, Otto hat statt der Erwerbung von Süditalien schließlich für seinen Sohn die Hand der Theophanu erlangt. Aber das war weniger das Resultat seiner kriegerischen Bemühungen, als die Folge der byzantinischen Palastrevolution vom Dezember 969 und des durch die Erfahrungen an anderen Fronten bestimmten Friedensbedürfnisses des Johannes Tzimiskes. Davon abgesehen aber konnte man über den Wert der Heirat mit Theophanu recht verschiedener Meinung sein, und man ist es bereits 972 gewesen. Eheverbindungen mit den byzantinischen Kaisern hatten vor Otto schon ziemlich machtlose europäische Fürsten erreicht oder fast erreicht; so der italienische König Hugo und der römische Senator Alberich; und die Verbindung mit der nicht im Purpur geborenen Nichte des Tzimiskes bedeutete keineswegs den Prestigegewinn, den Otto erhofft hatte. Es ist danach verständlich, daß es deutsche Fürsten gab, die dem Kaiser rieten, die Prinzessin wieder nach Hause zu schicken. Er tat das nicht. Doch wenn man sich erinnert, daß er im Januar 968 in seinem Brief an die Sachsen 23
die Hoffnung ausgesprochen hatte, im Sommer desselben Jahres nach Deutschland zurückkehren zu können, so wird man sagen müssen, daß durch den Aufenthalt und die Kämpfe von vier Jahren der Besitz der Theophanu etwas teuer bezahlt war. Wenn man im übrigen erwartet haben sollte, aus der Verbindung mit ihr für die Beziehungen zum Osten Nutzen zu ziehen, so hat sich auch das auf die Dauer nicht erfüllt. Nach dem Sturz des Johannes Tzimiskes kam in Byzanz ein anderes Kaiserhaus ans Ruder, und die Ehe .Ottos II. mit Theophanu hat schließlich nur zu einer Verschlechterung der deutsch-griechischen Beziehungen beigetragen. Nun ist es freilich richtig, daß mit dem Friedensschluß von 972 und mit der Heirat Ottos II. und Theophanus die Anerkennung von Ottos kaiserlicher Stellung in Rom durch Johannes Tzimiskes verbunden war. Aber war das ein Erfolg des Krieges ? Wir wissen nichts davon, daß diese Stellung vor dem Ausbruch des Krieges von den Byzantinern angetastet und angezweifelt worden wäre; im Gegenteil, alles, was wir wissen, spricht dafür, daß man sie anstandslos anerkannte. J n diesem Punkte hat der Krieg also offenbar nichts anderes erreicht, als das, was man ohne ihn bereits hatte. Was von den Unternehmungen Ottos des Großen in Süditalien sich bewährte und auf die Dauer Bestand hatte, war lediglich der Gewinn der Lehnshoheit über Capua und Benevent. Pandulf hat in Ottos Abwesenheit im deutschen Interesse Krieg geführt, und er hat sich auch durch seine Gefangenschaft in Konstantinopel nicht von der deutschen Seite abdrängen lassen. Nach Ottos Rückkehr nach Deutschland und nach dem Tod des Kaisers blieb sein Vasallenverhältnis unerschüttert bestehen. Als es nach dem Ende Pandulfs 981 in Capua und Benevent zu Umwälzungen kam, wurden die Beziehungen zu Deutschland dadurch zwar bedroht, aber nicht ernsthaft getroffen. Sie haben schließlich im wesentlichen sowohl die Katastrophe von Cotrone wie den größten Teil der Regierung Ottos III. überdauert und haben noch unter veränderten Verhältnissen in der Zeit der ersten Salier ihren Nutzen gehabt.
Was Otto erreichte, wurde in Capua und Benevent selbst ohne Schwierigkeiten erreicht: die beiden Brüder Pandulf und Landulf sind freiwillig auf die deutsche Seite getreten, und sie haben stets freiwillig auf deutscher Seite ausgehalten. Dagegen war das deutsche Übergreifen nach Capua und Benevent neben den oben besprochenen Kriegsgründen offenbar eine der Ursachen, die zu dem Konflikt mit den Byzantinern geführt haben. Nikephoros war, soweit wir sehen, entschlossen, das Überwechseln der beiden Fürstentümer in die deutsche Machtsphäre nicht zu dulden, und Ottos Angriff auf Apulien und Calabrien dürfte einem griechischen Angriff auf Capua und Benevent zuvorgekommen sein. Ottos Angriff scheiterte, aber auch der griechische Angriff hatte keinen Erfolg; der Versuch, Capua und Benevent zurückzugewinnen, erwies sich als aussichtslos. Insofern war die Behauptung der beiden Fürstentümer unter der deutschen Lehnshoheit ein Resultat des Krieges. (4) 4. D i e staatsrechtliche B e d e u t u n g des K a i s e r t u m s Wir haben uns bisher mit der Erwerbung Ottos, die auf den ersten Blick als die wichtigste von allen erscheinen mag, nur ganz nebenbei befaßt, mit dem Kaisertum. Was hatte es zu bedeuten ? In der populären Auffassung kann man oft und in der wissenschaftlichen Literatur nicht selten die Ansicht finden, daß mit der von Otto in Rom gewonnenen Kaiserkrone eine nicht bloß auf Rom und den Kirchenstaat beschränkte Herrschaft verbunden gewesen sei. Man meint bisweilen, die Kaiserwürde sei identisch gewesen mit der Herrschaft oder doch mit dem Anspruch auf die Herrschaft über das „Römische Reich", wobei man unter dem Römischen Reich ungefähr die Länder versteht, die ehemals zum Imperium Romanum gehörten, d. h. im wesentlichen das ganze christliche Abendland. Doch, ob man nun diese enge Beziehung zum alten Römischen Reich bestehen läßt oder nicht, auf jeden Fall ist man oft der Meinung, daß mit der Kaiserwürde unter allen Umständen die oberste Führung der christlichen Staaten des Abendlandes ver2J
bunden gewesen sei. Wenn dabei über das Wesen dieser Führung auch meistens keine nähere Auskunft gegeben wird, und die Ansichten darüber wohl etwas auseinander gehen dürften, — daß das Kaisertum die Hegemonie über das christliche Europa bedeutete, kann man seit Giesebrechts Geschichte der Kaiserzeit immer wieder lesen. Daß das mittelalterliche Kaisertum die Wiedererweckung oder Fortsetzung des altrömischen Reiches darstellte, ist eine Auffassung, die im hohen und späten Mittelalter zweifellos eine Rolle gespielt hat. Doch die Bedeutung dieser These ist zu verschiedenen Zeiten sehr verschieden gewesen, und ein konsequent gestellter und von der Welt wirklich anerkannter Anspruch auf die Herrschaft oder Oberhoheit des Kaisers über die ehemals zum römischen Imperium gehörenden Länder hat sich so gut wie nie aus ihr ableiten lassen. Vor allem aber, diese These ist erst ganz allmählich aufgekommen. Nach einem kurzen und wenig intensiven Vorspiel im Zeitalter der Karolinger sowie in der Zeit Ottos III. beginnt sie sich erst seit dem Ende des elften Jahrhunderts stärker zu regen, und erst in der Hohenstaufenzeit nimmt sie einen breiteren Raum ein. Sie hat sich erst als Folge erwachender Renaissanceideen und verwandter Vorstellungen an dem abendländischen Kaisertum entwickelt und emporgerankt, sie hat aber nicht etwa an seiner Wiege gestanden und noch weniger ihm im zehnten Jahrhundert seinen Sinn gegeben. Otto der Große hat sich wie alle seine Vorgänger seit Ludwig dem Frommen offiziell nicht Römischer Kaiser, sondern einfach imperator augustus genannt; und wenn sich später Otto II. und seine Nachfolger wie früher Karl der Große Römische Kaiser nannten, so dachte man auch dabei nicht an den Umfang des altrömischen Reiches, sondern nur an seine Reste in Rom und Mittelitalien, vielleicht auch an eine Konkurrenz mit dem von Byzanz repräsentierten Römischen Reich. Die Vorstellung, daß das Kaisertum mehr oder weniger unabhängig von irgendwelchen Reminiszenzen an das Römische Reich eine Oberhoheit über alle anderen oder die meisten 16
Staaten des Abendlandes einschließt, ist nicht viel besser begründet. Zwar ist keine Frage, daß der Titel des Kaisers im allgemeinen als vornehmer galt, daß der Kaiser einen höheren Rang und eine größere Würde hatte als ein König. Es ist weiter auch sicher, daß bisweilen in den Quellen die Meinung auftaucht, daß sich mit dem höheren Rang politische Vorrechte, eine Herrschaft über die Welt oder wenigstens eine Suprematie über die übrigen Könige und Fürsten der abendländischen Christenheit verbinde. So etwa, wenn der Papst JohannVIII. in seinem bekannten Brief an Ludwig den Jüngeren schrieb, er werde mit der Kaiserkrone die Gewalt über alle Völker und Könige erlangen; oder wenn es in einem aus der Merowingerzeit stammenden und später öfter abgeschriebenen Ämtertraktat heißt, der Kaiser herrsche über die ganze Welt oder zum mindesten über andere Könige. Daß diese Auffassung auftaucht, ist nicht verwunderlich. Daß der Kaiser der Herr der Welt sei, war die Ansicht, die die Spätantike vom Römischen Kaiser gehabt hat; die Erinnerung an diese Anschauung ist den folgenden Jahrhunderten überliefert worden und hatte sich schließlich einigermaßen unabhängig von dem Begriff des Imperium Romanum mit dem Begriff „Kaiser" schlechthin verbunden. Doch damit, daß diese Anschauung hin und wieder geäußert wird, ist nicht gesagt, daß sie der politischen und staatsrechtlichen Wirklichkeit entsprach. Es werden zu allen Zeiten, und im Mittelalter besonders oft, Dinge gesagt, die nichts als Theorien oder Phrasen sind, und die sich von den Tatsachen weit entfernen. Die Frage ist, wie weit die Anschauung von der Oberherrschaft des Kaisers politisch wirksam war, d. h. ob sie vom Kaiser selbst beansprucht, und ob sie von denen, denen gegenüber sie beansprucht ward, anerkannt wurde. Das Kaisertum, das Otto in Rom erwarb, war das Resultat der Entwicklung, die sich im Abendland seit der Zeit Karls des Großen vollzogen hatte. Karl der Große hat in der Tat eine Hegemonie über das christliche Europa ausgeübt. Aber diese Hegemonie beruhte im 2-1
wesentlichen nicht auf seinem Kaisertum, und sie war nicht die Folge der Kaiserkrönung. Die, übrigens recht zweifelhafte und staatsrechtlich kaum zu fassende Oberherrschaft, die Karl etwa gegenüber den christlichen Königen in Spanien und England besaß, besaß er tatsächlich schon vor dem Weihnachtstag des Jahres 800. Das Kaiserreich, zu dessen Kaiser er damals gekrönt wurde, war das Römische Reich, wie es in den Anschauungen des achten Jahrhunderts existierte, d. h., nachdem sich nach der Auseinandersetzung mit Byzanz ein westliches Imperium aus dem alten Reiche herausgelöst hatte, im wesentlichen das Gebiet um Rom, der Kirchenstaat. Mit der Kaiserwürde erwarb Karl außer diesem territorial beschränkten Reich in den Augen einiger Zeitgenossen den Rang und den Titel, der seiner Stellung in der Welt zukam; er erreichte in den Augen anderer vielleicht sogar damit die Legalisierung der Rechte, die er in der Regierung der Kirche auf organisatorischem und dogmatischem Gebiet beanspruchte. Aber er erlangte damit gegenüber der nicht zum Fränkischen Reich gehörenden Staatenwelt nicht eigentlich ein neues Recht oder eine andere Stellung, als er vorher besessen hatte. In dem Reichsteilungsgesetz von 817 wurde mit der Kaiserwürde dann wirklich die Stellung eines Oberherrn gegenüber anderen Königen verbunden: die Könige der karolingischen Dynastie sollten Unterkönige des Kaisers sein. Aber anderen, außerfränkischen Reichen und Königen gegenüber hatte das keine Bedeutung, und außerdem wurde die 817 anerkannte Stellung des Kaisertums fast von Anfang an angezweifelt, umstritten und bekämpft und bereits im Vertrag von Verdun ausdrücklich wieder aufgegeben. Kaiser Lothar hat damals auf jede Art von Oberhoheit gegenüber seinen Brüdern verzichtet. Dabei ist es im Fränkischen Reich und erst recht gegenüber dem Abendlande geblieben. Der kaiserliche Name behielt zwar seinen alten vornehmen Klang, aber die kaiserlichen Rechte beschränkten sich völlig auf die Herrschaft über das Gebiet von Rom oder auf das Surrogat einer Herrschaft, das man dort behaupten konnte. Auch an die Rechte, die Karl als Kaiser 28
innerhalb der Kirche ausgeübt oder mit dem kaiserlichen Namen gedeckt hatte, dachte niemand mehr. In der Zeit, in der Johann VIII. vom Kaisertum als einer Weltherrschaft redete, war in Wirklichkeit davon schlechterdings nichts vorhanden. So war es unter Ludwig II. so gut wie unter Karl dem Kahlen. Wenn Karl III. noch einmal zwar nicht als Herr des Abendlandes, aber doch als Herr des ganzen Karolingerreiches erscheint, so war das nicht die Folge seiner kaiserlichen Stellung, sondern es war allein die Folge davon, daß er schließlich sämtliche karolingischen Teilreiche erbte. Vollends deutlich wurde die internationale Bedeutungslosigkeit des Kaisertums unter den Kaisern Wido, Lambert, Ludwig dem Blinden und Berengar. Sie waren nichts als (meistens noch dazu recht ohnmächtige) italienische Territorialherren, um die sich außerhalb ihres dürftigen italienischen Machtbereichs niemand kümmerte. Nun ist keine Frage, daß Kaiser Otto der Große eine ganz andere Stellung in der Welt einnahm als seine letzten Vorgänger. Wenn man seine Stellung charakterisieren will, so kann man tatsächlich, ähnlich wie von der Karls des Großen, von einer europäischen Hegemonie reden. Abgesehen davon, daß er über den größten Teil Italiens gebot, war er der Schirmherr von Burgund, der Lehnsherr über einen Teil von Polen, nahm er eine nicht deutlich zu definierende, aber doch erkennbare oberhoheitliche Stellung über Dänemark und eine schiedsrichterliche Stellung über Frankreich ein. Aber so unbestreitbar das alles ist, mit dem Kaisertum hatte das nichts zu tun. Wir werden noch davon zu reden haben, daß unter Ottos Zeitgenossen die Überzeugung lebendig war, daß ihm der Name und die Würde eines Kaisers zukomme. Doch so deutlich das in einem Teil der Quellen hervortritt, in keiner Quelle findet sich die Meinung, daß seine europäische Stellung sich von seinem Kaisertum herleite. Tatsächlich besaß Otto alles, was er an Macht und Rechtstiteln gegenüber den europäischen Ländern inne hatte, bereits vor dem Akt vom 2. Februar 962, und durch diesen Akt wurde dem außerhalb von Rom nicht das geringste an tatsächlicher Macht und an tatsächlichen Rechten hinzu29
gefügt. Eine ganz ähnliche Stellung in Europa, wie sie Otto besaß, hatte auch bereits Heinrich I. innegehabt, ohne jemals Kaiser zu sein, und bereits Arnulf von Kärnten hatte diese Stellung vor seiner Erhebung zum Kaiser erworben. Otto selbst hat auf Grund seiner Kaiserkrönung kein neues Recht gegenüber anderen Staaten beansprucht, und er hat keines seiner alten Rechte mit seinem Kaisertum begründet. Bezeichnend dafür ist, daß etwa die nach der Kaiserkrönung erworbene Lehnshoheit über Capua und Benevent oder der Versuch der Gewinnung von Apulien und Calabrien von Otto selbst und von seinem Diplomaten Liudprand von Cremona nicht mit den Rechten des Kaisertums, sondern mit ganz anderen Rechtstiteln, die sich aus der italienischen Geschichte ergaben, begründet wurden. Gewiß, es soll nicht bestritten werden, daß die Erinnerungen an die Antike und an das Reich Karls des Großen, wie überhaupt die Vorstellung von der dem Kaisertum innewohnenden Würde ihm gewisse politische Energien zu verleihen vermochten, die es über das, was es zunächst bedeutete, hinaustrugen. Solche Momente haben zweifellos, wie schon angedeutet, in der Geschichte der Hohenstaufenzeit und in den theoretischen Erörterungen des späteren Mittelalters über das Wesen des Kaisertums eine erhebliche Rolle gespielt. Ja, sie mögen auch als Programm, als Wunsch und Hoffnung in der Zeit Ottos hin und wieder angeklungen sein. Aber staatsrechtliche Realitäten waren sie damals nicht, und auch in der Theorie hatten sie zweifellos, wenn überhaupt, nur eine ganz geringe Bedeutung. Daß sich diese Bedeutung in der späteren Zeit vergrößern konnte, dafür war die Voraussetzung, daß das Kaisertum infolge des Eingreifens Ottos über den Zustand, in dem es sich im neunten und zehnten Jahrhundert befand, allmählich hinausgeführt worden war. Damals war es jedenfalls staatsrechtlich nichts anderes als die Herrschaft des Kaisers über Rom und den Kirchenstaat, vor allem über den Papst; der Kaiser war der Schutzherr der Kurie, der Vogt von St. Peter. Wir sahen bereits, daß seine Stellung in Rom recht labil war und nicht immer gleich wirksam gewesen ist; aber im großen und 3°
ganzen verfügte Otto politisch doch über das Papsttum und dessen unmittelbaren Besitz: das war der eigentliche und alleinige Inhalt seiner kaiserlichen Stellung. Wie weit sich daraus auf dem Umweg über die internationale Stellung des Papstes auch eine Verfügung über die Kirchen des Abendlandes und damit wenigstens indirekt eine kirchlich-staatliche Vormacht des Kaisers ableiten ließ, ist eine Frage für sich, auf die wir noch zurückkommen werden. (5) 5. D a s V e r h ä l t n i s der i t a l i e n i s c h e n E r w e r b u n g e n zueinander Wir sahen, daß sich die italienische Politik Ottos sozusagen in drei territoriale Sphären aufteilte: das Langobardenreich, Rom mit dem Kirchenstaat und Süditalien. Die Frage, wie weit das Eingreifen in diese drei Sphären durch die Forderungen und Ziele von Ottos allgemeiner, besonders von seiner deutschen Politik bedingt war, steht hier noch nicht zu Debatte. Hier handelt es sich zunächst nur darum, zu untersuchen, wie weit die politischen Aktionen des deutschen Königs in Italien sich untereinander bedingten, d. h. es ist die Frage, ob sich hier das eine aus dem anderen ergeben mußte, und ob die italienische Politik des Kaisers trotz ihrer verschiedenen Sphären und Phasen ein unteilbares Ganzes war. E s versteht sich von selbst, daß für das Eindringen in die südlicheren Teile der Halbinsel das Eingreifen in den nördlichen die Vorbedingung war. Wenn der deutsche König in Rom herrschen wollte, so mußte er das langobardische Reich in seinen Besitz bringen; und wenn er nach Capua und Benevent oder nach Apulien und Calabrien vorstoßen wollte, so war es zum mindesten nützlich, sich vorher Roms und des Kirchenstaates zu versichern. Aber verhalten sich die Dinge auch umgekehrt? War es, um die Herrschaft in Norditalien zu behaupten, nötig, nach Rom zu gehen ? Und mußte man, um in Rom sicher zu sein, sich in Süditalien festsetzen ? Es ist oft behauptet worden, daß die Herrschaft Ottos in Pavia nur dann feststand, wenn er sich Roms bemächtigte. 3i
Aber die Tatsachen der Geschichte scheinen mir diese Behauptung zu 'widerlegen. Ganz gewiß ist nicht zu bestreiten, daß der Besitz des Langobardenreiches die weitere Ausdehnung nach Süden nahelegte. Die Tendenz, Rom zu erobern, war langobardische Tradition, und man mag sie geradezu als natürlich ansehen. Sie hatte im achten Jahrhundert, in der Zeit Liudprands und Aistulphs gewirkt, und sie war wirksam im zehnten Jahrhundert, in den Plänen und Unternehmungen Berengars von Friaul, Hugos und Berengars von Ivrea. Aber ein Gebot der Selbsterhaltung war sie für den langobardischen Staat keineswegs. Im achten Jahrhundert war sie immerhin durch das Bedürfnis, die Brücke nach dem damals langobardischen Benevent zu verbreitern, begründet gewesen. Aber im zehnten Jahrhundert, als Benevent so gut wie völlig selbständig und der Langobardenstaat auf den Norden beschränkt war, spielte dieser Gesichtspunkt kaum eine Rolle. Doch gleichgültig, ob nun mehr oder weniger begründete Expansionstendenzen nach dem Süden vorhanden waren oder nicht, für unsere Fragestellung ist entscheidend, daß das Langobardenreich von Rom her nicht bedroht war. Gewiß, die Kurie hat bisweilen auswärtige Herrscher gegen die Langobarden gerufen; aber sie tat das zweifellos nicht gern und nur dann, wenn sie selbst von den Langobarden bedrängt war. Der norditalienische Staat ist seit dem achten Jahrhundert sehr oft von Franken, Burgundern, Deutschen, Bayern und Schwaben bekriegt worden; von Rom her hat man niemals einen Vorstoß nach Norden gemacht. Man war auch nie dazu in der Lage, aus dem einfachen Grunde, weil die Macht des Kirchenstaates dazu nicht ausreichte. Selbst in der Zeit, in der die Machtverhältnisse in Rom am besten stabilisiert waren, in der Zeit Alberichs, war man dort froh, wenn man sich der Angriffe und Übergriffe von Norden erwehren konnte, und hat immer nur an Defensive, nicht an Offensive gedacht. Wenn aber schon die wenig mächtigen Langobardenkönige des zehnten Jahrhunderts zur Sicherung der Existenz ihres Staates die Annexion von Rom nicht nötig hatten, so dürfte das, nachdem die Krone der Langobarden an den deut32
sehen König übergegangen war, noch weniger notwendig gewesen sein. Genau so, wie man behauptet hat, Otto habe nach Rom übergreifen müssen, um seine Stellung im Norden zu sichern, hat man gesagt, seine süditalienische Politik sei zur Sicherung der Stellung in Rom erforderlich gewesen. Dabei wird man dreierlei unterscheiden müssen. Einmal: brauchte Otto für die Festigung seiner römischen Position das, was er im Süden tatsächlich erreichte, nämlich die Herrschaft über Capua und Benevent ? Und weiter, brauchte er das, was er anscheinend erstrebte, aber nicht erreichte, den Besitz von ganz Unteritalien ? Und war schließlich zur Sicherung seiner mittelitalienischen Position die 972 erreichte Anerkennung durch Byzanz, d. h. die Heirat Ottos II. mit Theophanu, notwendig ? Man wird zunächst sagen müssen, ähnlich, wie es zu den Traditionen des Langobardenkönigs gehörte, nach dem Kirchenstaat überzugreifen, gehörte es zu den Tendenzen der päpstlichen Politik, sich nach Süden auszudehnen. Benevent wenigstens ist wiederholt das Ziel der territorialen Erweiterungsbestrebungen der Kurie gewesen, zuletzt noch unter Johann XII., kurz vor Ottos Römerzug. Und den ganzen griechischen Süden hoffte man wenigstens kirchlich dem orthodoxen Osten entreißen und der geistlichen Gewalt des Papsttums unterstellen zu können; die politischen Maßnahmen Ottos südlich des Kirchenstaates waren denn auch von kirchenorganisatorischen Maßnahmen der Kurie begleitet. Von alledem abgesehen mußte für Otto der Gedanke naheliegen, auf die Machtstellung der alten Langobardenkönige, die über Benevent geboten, und auf die Aspirationen Kaiser Ludwigs II. zurückzugreifen, der, wenn zum Schluß auch erfolglos, bis Bari und Tarent vorgedrungen war. Aber so begreiflich das alles ist, so ist doch sicher, daß es sich dabei nicht etwa um Abwehr und Verteidigung handelte, sondern um Angriff und Expansion. Zwar stellten die Griechen im zehnten Jahrhundert zweifellos eine ganz bedeutende Macht dar. Sie verfügten in Süditalien über ein nicht unbeträchtliches Territorium sowie über erLintzel,
Die Kaiserpolitik
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hebliche Hilfsmittel, und Tendenzen, sich weiter nach Norden auszudehnen, waren bei ihnen mitunter sicher vorhanden. Im neunten Jahrhundert, nach dem Tode Ludwigs II., hatten sie ansehnliche territoriale Erfolge gehabt, indem sie damals die Sarazenen aus Apulien und Calabrien vertrieben und über Salerno und Benevent hinaus vordrangen. Im zehnten Jahr-" hundert spielten sie meistens diplomatisch in Mittel- -wie in Norditalien eine große Rolle und waren von den Potentaten in Rom und Pavia oft umworben. Aber ihre Expansion machte doch an einer ganz bestimmten Linie halt. Benevent und Capua haben sich schon vor Ottos Eingreifen von ihrer Herrschaft weitgehend emanzipiert. Wie wenig die Griechen Mittelitalien bedrohten, lehrt etwa die Tatsache, daß sie in diesen Gegenden das nach Ludwigs II. Tod Gewonnene rasch wieder verloren, und daß sie 929 von den Fürsten von Benevent und Capua, die von Spoleto unterstützt wurden, geschlagen worden sind. Daß man von einer Übermacht der Byzantiner auf der Appenninhalbinsel nicht reden konnte, zeigte sich einige Jahre vor Ottos Eingreifen auch darin, daß 964 ihr Versuch gegen das sarazenische Sizilien mit einer Katastrophe endete. In Süditalien herrschte ein gewisses Gleichgewicht der Kräfte, in dem sich die Griechen, die Sarazenen und die italienischen Kleinstaaten die Waage hielten. Es zu ihren Gunsten zu verschieben, war den Kaisern in Byzanz infolge der Lage an den übrigen, ihnen näherliegenden Grenzen ihres Reiches nicht möglich. So war es im ganzen bereits während der letzten beiden Jahrhunderte vor Otto, und so ist es zwei Jahrhunderte nach ihm geblieben. Die Kaiserkrönung von 962 hat man in Konstantinopel ohne Protest hingenommen. Noch 967 hat Nikephoros, wie erinnerlich, wegen eines Bündnisses mit Otto verhandelt; als dann nach Ottos Übergreifen in die griechische Sphäre Nikephoros gegen den Westen vorrückte, kehrte er doch sofort um, als ihn Ottos Gesandter Dominicus der friedlichen Absichten seines Kaisers versicherte; und selbst der tendenziöse und die Dinge verfälschende Bericht Liudprands über seine Gesandtschafts34
reise nach Byzanz zeigt deutlich, daß man am Bosporus mehr an eine Verständigung mit Otto gegen die Sarazenen als an einen Krieg dachte. Die Machtstellung Ottos in Mittelitalien war also durch die Griechen nicht gefährdet. Daß es so war, wird zum Überfluß noch durch die Tatsache erhärtet, daß der byzantinische Kaiser ihm zum Schluß nicht bloß Mittelitalien, sondern auch Capua, Benevent und Theophanu überlassen mußte. Man wird also, wie oben schon angedeutet, sagen müssen, daß zur Sicherung von Ottos Position in Rom sowohl der Besitz des griechischen Süditaliens wie die Heirat Ottos II. mit Theophanu überflüssig war. Insofern war der Krieg im Süden der Halbinsel nicht nötig. Dagegen war er, wie gleichfalls schon bemerkt, zur Sicherung der Lehnshoheit über Capua und Benevent anscheinend nicht zu vermeiden. Wenn es aber so ist, so erhebt sich die neue Frage, wieweit brauchte Otto die Herrschaft über Capua und Benevent, um seine Stellung im Kirchenstaat behaupten zu können? Sie ist einfach zu beantworten. Die kleinen Fürsten von Benevent und Capua sind dem Papst niemals gefährlich geworden; und darüber, daß sie dem Kaiser erst recht nicht bedrohlich werden konnten, braucht man kein Wort zu verlieren. Freilich ist zuzugeben, daß es für Otto wünschenswert sein mochte, seine nicht sehr feste Stellung in Mittelitalien durch die Einbeziehung Pandulfs und Landulfs in sein System abzurunden und zu vervollständigen. Doch war dafür die Lehnshoheit über die beiden Fürsten notwendig? Sie suchten sich auch ohne das von der griechischen Herrschaft zu befreien und hatten das Bedürfnis, sich an die deutsche Macht anzulehnen. Andrerseits mußten sie bei ihrer Stellung an der Grenze, zwischen dem deutschen und dem griechischen Kaiser, immer ein gewisses Maß von Selbständigkeit behalten; daran konnte auch der Lehnseid, den sie Otto schwuren, nichts ändern. Man bekommt also den Eindruck, daß auch ohne ihren Lehnseid und damit ohne den Krieg gegen Byzanz ihre Stellung so gewesen wäre, daß den Interessen des deutschen Kaisers völlig Genüge geschah. 3*
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Man sieht: die italienische Politik brauchte fiir Otto keineswegs ein unteilbares Ganzes zu sein. Er hätte sich inPavia ohne der Herrschaft über Rom, und in Rom ohne die Herrschaft über Capua und Benevent und ohne die Feldzüge gegen die Griechen behaupten können. Wenn man nach den Gründen und den Folgen seiner italienischen Politik fragt, so wird man also zu berücksichtigen haben, daß es sich dabei weniger um ein einheitliches Unternehmen als um verschiedene Unternehmungen handelte, deren Ursachen und deren Folgen verschiedener Art gewesen sein können. (6)
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II. KAPITEL
DER ANGEBLICHE ZWANG DER TRADITION i. D a s v i e r t e R e i c h des B u c h e s D a n i e l Seit Hieronymus deutete man die Prophezeiung des Buches Daniel von den vier Weltreichen so, daß man als das vierte und letzte Reich, auf das Daniel hinweist, das Römische Reich ansah. Nach dieser Ansicht mußte das Imperium Romanum bis an das Ende der Welt bestehen, und mit seinem Aufhören sollte die Zeit des Antichrist kommen. Die Folge von dieser Prophezeiung und ihrer Auslegung war, daß man in der Existenz des Römischen Reiches eine Gewähr für den Weiterbestand der Welt, eine Garantie gegen das Erscheinen des Antichrist erblickte. So hatte etwa schon vor Hieronymus Tertullian erklärt, es sei nötig, für das Reich zu beten, da durch seinen Fortbestand das Ende der Zeit aufgehalten werde, und ähnliche Anschauungen und Äußerungen finden sich auch bei anderen Kirchenvätern. Aus der patristischen Literatur wurde die Lehre vom vierten Reich und seiner Notwendigkeit für die Fortdauer der Menschheit in die geschichtsphilosophischen und eschatologischen Spekulationen des Mittelalters übernommen. Auf deutschem Boden finden wir Andeutungen und Hinweise darauf im neunten Jahrhundert z. B. bei Hrabanus Maurus, bei Walafrid Strabo, bei dem Halberstädter Bischof Haimo und beim Monachus Sangallensis; im zehnten Jahrhundert hat in Frankreich der Mönch Adso jener Lehre eine Erörterung in seiner Schrift über den Antichrist gewidmet, die er für die französische Königin Gerberga, die Schwester Ottos des Großen, verfaßte. Man hat nun (freilich nicht oft) gemeint, daß es, abgesehen von allen anderen Gründen, schon der Zwang dieser Vorstel37
lung sein mußte, der Otto bewog, die Kaiserkrone zu erwerben. Wenn unter ihm auch nicht von einer Erwerbung und Wiederaufrichtung des eigentlichen alten Römischen Reiches die Rede sein kann, so habe man doch das in Rom bestehende Kaisertum als eine für die Rettung der Welt erforderliche und genügende Fortsetzung des Imperium Romanum betrachtet, und seine Aufrichtung habe danach für Otto eine religiöse Verpflichtung bedeutet. Wenn das richtig wäre, so hätte es zwar trotzdem Sinn, noch weiter nach dem politischen Nutzen oder Schaden zu fragen, den die Kaiserpolitik, sozusagen nebenbei, gestiftet hat. Auf keinen Fall wäre dann aber Otto für seine Kaiserpolitik noch politisch verantwortlich zu machen; er wäre damit vor einer höheren Instanz gerechtfertigt. Man wird annehmen können, daß dem deutschen König die Anschauungen über die Prophezeiungen des Buches Daniel bekannt waren; wenn er sie von Haus aus nicht kannte, dürfte er sie durch seine Schwester, der Adso seine Schrift widmete, kennengelernt haben. Man wird auch weiter annehmen müssen, daß diese Vorstellungen über die paar Erwähnungen hinaus, die sie im neunten und zehnten Jahrhundert finden, der Zeit ziemlich geläufig waren. Die Kirchenväter wurden gelesen und abgeschrieben, und über den Antichrist und sein Kommen dürfte man oft und gründlich nachgedacht haben. Man mag auch vermuten, daß von dem einen oder dem andern Zeitgenossen Ottos seine Kaiserkrönung tatsächlich als eine Sicherung gegen den Antichrist angesehen worden ist. Aber daß solche Anschauungen die Zeit und die Menschen und vor allem Otto den Großen selbst erfüllt und wirklich beherrscht hätten, kann man trotzdem nicht sagen. So wenig die, wie wir sahen, zweifellos auch existierende Vorstellung von der Weltherrschaft des Kaisers eine politische Bedeutung hatte, so wenig oder vielmehr noch weniger hatten die Folgerungen aus der Deutung von Daniels Traum ein reales Gewicht. Mögen diese Folgerungen noch so bekannt gewesen sein, so ist doch bezeichnend, daß man nur selten von ihnen Notiz nahm. Man braucht es vielleicht nicht auffällig zu finden, daß 38
sie von den verhältnismäßig zahlreichen Chronisten und Annalisten, die die Geschichte des neunten und zehnten Jahrhunderts schreiben, nicht erwähnt werden. Aber entscheidend ist, daß man nicht bloß von ihnen, sondern daß man auch vom Römischen Reich oder von dem das Römische Reich vertretenden Kaisertum in der auffälligsten Weise schweigt. In den letzten Jahrzehnten des neunten und in den ersten Jahrzehnten des zehnten Jahrhunderts hat das Kaisertum in Rom mehrmals zu existieren aufgehört, und mehrmals wurde es nach einer Unterbrechung von neuem errichtet. Wenn das Heil der Welt an diesem Kaisertum hing, müßte man dann nicht erwarten, daß die Geschichtschreibung der Zeit sein Auf und Ab, sein Verschwinden und Wiederkommen ängstlich und sorgfältig registrierte ? Aber nicht bloß das. Wenn man überzeugt war, daß das Kaisertum die Bedeutung hatte, wie die Interpretation von Daniels Traum behauptete, war es dann nicht eine Ungeheuerlichkeit, daß man es immer wieder verfallen ließ? Wie hätte man dann die Vakanzen von 877 bis 881, von 887 bis 890, von 898 bis 901 und schließlich das lange Interregnum von 924 oder 928 bis 962 ertragen können ? Hätten sich nicht sämtliche Fürsten des Abendlandes aufmachen, hätten der Papst und die Römer nicht sofort einen neuen Kaiser erheben müssen, um die bedrohte Welt zu retten? Wir kennen mehrere Schreiben, in denen der Papst Johann VIII. die karolingischen Könige aufforderte, nach Rom zu kommen und sich zum Kaiser krönen zu lassen. Dies Verlangen wird mit allen möglichen Gründen begründet, vor allem mit der Verpflichtung, dem Papsttum gegen seine Feinde zu Hilfe zu kommen. Von der Aufgabe, die Welt zu erhalten und vor dem Antichrist zu bewahren, ist nie die Rede. Das gleiche Bild zeigt sich aber ums Jahr 962. Wir haben mehrere Quellen, die Otto und sein Haus verherrlichen, und die seine Politik in Rom und Italien erzählen und preisen. Man betont, daß er die Apostel und den Papst gegen ihre Widersacher verteidigt und ihnen ihr Recht wiedergegeben habe. 39
Die Päpste selbst haben in ihren Urkunden seiner Verdienste gedacht. Aber davon, daß er den Antichrist und das Ende der Welt abgewehrt habe, erfährt man nirgends etwas. Wie weit die Prophezeiung Daniels und ihre Interpretation durch Hieronymus in der Zeit Ottos die Gemüter wirklich beunruhigt hat, ist schwer zu sagen. Aber wenn man über müßige Spekulationen hinaus sich ernsthafte Gedanken darüber machte, so wurde man im allgemeinen jedenfalls mit ihnen fertig. Wenn man wollte, konnte man einen Trost schon in der Tatsache finden, daß das Römische Reich, auch wenn es in Rom keinen Kaiser gab, in Konstantinopel noch weiter existierte: dort saß tatsächlich noch immer ein Kaiser der Römer. Wenn aber dieser Ausweg für den Stolz des Abendlandes nicht gangbar gewesen sein sollte, so gab es andere Möglichkeiten, den bedenklichen Konsequenzen der Danielschen Prophezeiung auszuweichen. Es ist bezeichnend, daß wir einige davon bei den wenigen Schriftstellern finden, die im neunten und zehnten Jahrhundert auf die Prophezeiung anspielen, und die wir vorhin erwähnten. Für Haimo von Halberstadt hat die Auslegung des Hieronymus zwar offenbar ihre Gültigkeit, aber er betont ausdrücklich, daß damit nicht gesagt sei, der Antichrist werde sofort nach dem Zusammenbruch des Imperium Romanum erscheinen; wann er komme, wisse allein Gott; im übrigen sieht Haimo in den römischen Kaisern Vorläufer des Antichrist, und davon, daß ihr Reich erhalten werden müsse, sagt er kein Wort. Der Mönch von St. Gallen hilft sich damit, daß er meint, die mit dem Römischen Reich zusammengebrochene Bildsäule sei von Gott im Fränkischen Reiche von neuem aufgerichtet worden. Und ganz ähnlich erklärt Adso, das Römische Imperium sei zwar zerfallen, aber es werde fortgesetzt durch die Könige der Franken; solange ihre Reiche beständen, werde der Antichrist nicht kommen. Man sieht, sozusagen in nächster Nähe der Ottonischen Dynastie machte man sich eine Theorie zurecht, mit deren Hilfe man der Danielschen Prophezeiung auch ohne einen Kaiser in Rom gerecht wurde. Wenn man aber schon auf dem Pergament bereit war, die Prophezeiung so zu interpretieren, 40
daß von ihr nichts übrig blieb, so wird es verständlich, daß sie in der politischen Praxis vollends gleichgültig gewesen ist. (7) 2. D i e T r a d i t i o n der A n t i k e Otto hat das Römische Reich nicht erneuert. Aber er hat sich doch mit der in Rom vergebenen Kaiserkrone geschmückt, er hat Rom erobert und beherrscht, und er hat damit wenigstens ein Surrogat des alten Reiches wieder aufgerichtet. Nun hat es, wie fast zu allen Zeiten, auch im zehnten Jahrhundert an Renaissanceideen nicht ganz gefehlt, die von der Herrlichkeit des alten Rom, von seiner Wiederaufrichtung sangen und sagten. So spricht etwa der Neapolitaner Eugenius Vulgarius um 920 in seinen Gedichten davon, daß die aurea Roma mit Toga und Rutenbündel wiederkommen und ihr Reich wiederherstellen möge. Und daß solche Gedanken auch in Deutschland und am Ottonischen Hof nicht völlig unbekannt gewesen sind, mag man daraus schließen, daß Hrotswitha von Gandersheim davon redet, Otto habe als Nachfolger des Augustus sein Reich wiedergebracht. Aber wenn derartige Meinungen auch vorhanden waren, so blieben sie doch nur ganz an der Peripherie. Es handelt sich dabei nur um vereinzelt auftretende literarische Phantasien. Daß diese leise anklingenden Renaissanceideen das Eingreifen Ottos in Rom nicht bestimmt haben, ist keine Frage, und das wird auch, soweit ich sehe, von niemand bezweifelt. Etwas wirksamer als der im Grunde bedeutungslose eigentliche Renaissancegedanke dürften andere, verwandte und, wenn man so will, primitivere Vorstellungen gewesen sein, die sich mit dem Namen von Rom verbanden. Auch wenn man nicht erhoffte, daß der Glanz des alten Roms erneuert würde, so war doch die Anschauung lebendig, daß Rom das Caput mundi oder, richtiger gesagt, die höchste, die erhabenste Stadt der Welt sei. Sie galt dafür in doppelter Hinsicht, nämlich sowohl durch den Glanz ihrer politischen Vergangenheit als Haupt des alten Römerreiches wie durch ihre geistliche Würde als Stadt der Apostel; die antike wie die christliche Tradition erhob sie über alle andern Städte der Erde. 4i
Die antike Tradition mußte durch die Bekanntschaft mit der römischen Literatur in den Klöstern und unter den Gebildeten geweckt werden, und Hinweise darauf, daß sie da war und wirkte, finden sich auch in Deutschland nicht selten. So bezeichnet etwa Regino von Prüm die Eroberung Roms durch Arnulf als ein unerhörtes Ereignis: seit den Tagen des Brennus sei das nicht wieder geschehen; und für Widukind von Korvey ist es ein besonderes Lob seiner sächsischen Vorfahren, wenn er sagt, sie seien nach den Römern die tapfersten gewesen. Aber wenn der Respekt vor der Größe des antiken Rom vorhanden war, so hat er doch keineswegs die Welt wirklich beherrscht; er wurde nicht einmal allgemein geteilt. Neben der Verehrung machen sich auch Widerspruch und Abneigung bemerkbar, die sich vor allem gegen das Rom der Gegenwart richten, aber auch vor seiner Bedeutung in der Vergangenheit nicht Halt machen. Am charakteristischten dafür sind neben der sogenannten Invectiva in Romam, einer italienischen Schrift aus den ersten Jahrzehnten des zehnten Jahrhunderts, die Bemerkungen Liudprands von Cremona, der erklärt, die Römer seien durch ihren Ahnherrn Romulus Nachkommen eines Brudermörders; Liudprand beschimpft und verspottet sie bei jeder Gelegenheit, er stellt Pavia über Rom und erklärt, man kenne kein ärgeres Scheltwort als den Namen der Römer. Was man Rom an weltlicher und politischer Bedeutung in Vergangenheit und Gegenwart nahm, das mußte man ihm im allgemeinen an geistlicher Würde lassen. Wenn auch da Anzweiflungen und Einschränkungen vorkamen, so war doch die Stellung der Stadt als geistliches Zentrum und Haupt der Christenheit meistens unbestritten. Gerade die, die ihr ihren politischen Rang streitig machten, haben oft genug erklärt, wenn die Stadt als politische Größe, als Stadt der Kaiser und der Herrschaft über die Welt auch abgedankt habe, so sei sie doch durch die Apostel und Märtyrer zur geistlichen Mutter der Christenheit erhöht. Man wird mit Sicherheit behaupten können, daß sich Vorstellungen von der weltlichen und der geistlichen Größe Roms 42
auch bei Ottos Römerzug ausgewirkt haben. Die Stadt der alten Imperatoren zu besitzen und die Schwellen der Apostel zu behüten und zu verteidigen, mochte vielen als die höchste Aufgabe erscheinen, die dem König gestellt war, und als der höchste Triumph, den er erringen konnte. In den deutschen Annalen und Chroniken der Zeit macht sich (wenn auch nur selten) ein gewisser Stolz darauf, daß Otto die ewige Stadt gewann, bemerkbar, und die Anschauung, daß durch Otto der Sitz der Apostel in seinen alten Rechten wiederhergestellt sei, hat vor allem bei Liudprand von Cremona deutlichen Ausdruck gefunden. Es mag durchaus im Sinne Ottos und seiner Umgebung gesagt gewesen sein, als Johann XIII. in einer Urkunde betonte, Otto habe ähnlich, wie einst Konstantin der Große, Rom, das Haupt der Welt, erhöht. Doch daß diese Gesichtspunkte in der zeitgenössischen Literatur und vor allem in den offiziellen Verlautbarungen Ottos und seines Hofes einen breiten Raum einnehmen, kann man durchaus nicht behaupten. Gerade Ottos Diplomat und Hofhistoriograph Liudprand war es, der den weltlichen Ruhm Roms am heftigsten bestritt; und auch der Hinweis auf die geistliche Würde der Stadt klingt verhältnismäßig selten und leise an. Daß die Tradition und die Überzeugung von der Größe Roms die Erwerbung des Kaisertums für Otto zu einer Pflicht machte, der er sich nicht entziehen konnte, ist danach ganz unwahrscheinlich. Wenn einer der besten Kenner der geistesgeschichtlichen Bewegungen, die sich im zehnten Jahrhundert an den Namen Roms knüpfen, gesagt hat, nicht der Romkult habe der Erneuerung des Kaisertums durch Otto das Gepräge gegeben, so trifft das ohne Zweifel zu. (8) 3. D a s V o r b i l d K a r l s des G r o ß e n Zwar nicht der Romkult, wohl aber der Karlskult, hat man behauptet, habe Ottos Kaisertum bedingt. Tatsächlich ist es eine fast durchgängig vertretene Auffassung, daß es das Beispiel Karls des Großen war, das Otto in seiner Politik im allgemeinen und besonders in seiner Kaiserpolitik leitete. Vom ersten Tage 43
an, hat man gemeint, sei der große Karolinger sein Vorbild gewesen. Doch wenn man näher zusieht, so findet man, daß die Belege für diese Ansicht außerordentlich dürftig sind. Gewiß, seit der Regierung Karls war sich die Welt darüber einig, daß ihm der Beiname des Großen zukomme, und daß er einer der gewaltigsten Herrscher des Abendlandes gewesen ist, dem alle anderen Könige nachzueifern verpflichtet waren. Aber gerade im zehnten Jahrhundert und in der Zeit Ottos I. tritt diese Meinung auffällig wenig hervor. Wenn Karl in der Geschichtschreibung dieser Jahre erwähnt wird, wie in der Sachsengeschichte Widukinds oder in der Vita Mathildis, so wird ihm zwar der herkömmliche Respekt bezeugt. Aber man geht an seiner Gestalt doch verhältnismäßig rasch vorüber, und im ganzen wird er selten erwähnt. Vor allem jedoch, neben den Lobpreisungen des Kaisers finden sich auch andere Bemerkungen. An einer der wenigen Stellen, an denen Liudprand von Cremona von ihm redet, wird von einer angeblichen Flucht Karls vor den Sachsen gesprochen; und dieselbe Geschichte findet sich, in breiterer Ausmalung, noch ein paar Jahrzehnte später in der Chronik des Thietmar von Merseburg. Doch wie die Resonanz auch beschaffen gewesen sein mag, die die Erinnerung an Karl in der Literatur des zehnten Jahrhunderts fand, daß sein Vorbild für Otto und seine Politik verbindlich war, hat man daraus geschlossen, daß der König sich 936 in Karls Residenz Aachen krönen ließ, daß er in einem Diplom aus dem Jahre 966 Aachen als hervorragenste Stadt im Norden der Alpen feierte, und daß Johann XIII. Otto in einer der Gründungsurkunden für Magdeburg in eine Reihe nicht bloß mit Konstantin, sondern auch mit Karl dem Großen stellt. Indessen, was besagt das alles ? Daß Aachen der berühmteste Platz diesseits der Alpen war, bezweifelte man seit anderthalb Jahrhunderten so wenig wie die Größe Karls, und daß sich Otto dort krönen ließ, ist verständlich, auch wenn damit nicht eine besondere Beziehung zu dem großen Karolinger ausgedrückt werden sollte; zudem sollte wohl 936 der Besitz von 44
Aachen und damit der von Lothringen gegen den westfränkischen Karolinger Ludwig IV. demonstrativ betont werden. Daß aber Johann XIII. Otto als Nachfolger Karls feierte, war ein zu naheliegender Gedanke, als daß er viel bewiese. Otto mag sich damit geschmeichelt haben, genau so, wie er sich damit geschmeichelt haben dürfte, daß in den Augen des Papstes Konstantin der Große sein Vorgänger war. Daß sein politisches Programm im einzelnen durch die Politik Karls bestimmt war, braucht man deshalb nicht anzunehmen; es wurde ja auch nicht durch die Politik Konstantins des Großen bestimmt. Viel auffallender als die Erwähnungen des großen Frankenkaisers, die sich in der Umgebung Ottos finden, scheint mir die Tatsache zu sein, daß von ihm dort nicht öfter die Rede ist. Wenn er das anerkannte Vorbild des Königs war, warum hat davon nicht bloß die königliche Kanzlei, sondern auch die höfische Literatur und Geschichtschreibung beharrlich geschwiegen? Hrotswitha sagt, Otto habe das Reich des Augustus erneuert; davon, daß er in den Spuren Karls wandelte, sagt sie kein Wort. Und auch sonst sagt das niemand. Daß sich aber ausgerechnet bei Liudprand, einem der angesehensten Hofleute und Diplomaten des ersten Sachsenkaisers, ein abfälliges Urteil über den großen Franken findet, erscheint doch recht bemerkenswert. Es ist freilich auch verständlich. Otto war Sachse. Die Sachsen hatten dreißig Jahre gegen Karl gekämpft, und ihr Führer war Ottos Ahnherr Widukind gewesen. Durch die Sachsen waren die Karolinger schließlich auf dem deutschen Königsthron ersetzt worden, und mindestens um Lothringen rivalisierte Otto noch immer mit den westfränkischen Nachkommen Karls des Großen. Es wäre unter den Umständen durchaus begreiflich, wenn man am sächsischen Hofe die Erinnerung an den Frankenkaiser wirklich mit einer gewissen Zurückhaltung behandelt hätte. Doch selbst, wenn in einem stärkeren Maße, als uns die Quellen verraten, die Gestalt Karls des Großen für Otto eine verpflichtende Mahnung gewesen ist, was würde das für seine Kaiserpolitik besagen? Wenn Otto in Karl sein Vorbild sah, war er darum gezwungen, nach Pavia und nach Rom zu gehen ? 45
Wenn man im zehnten Jahrhundert an Karl zurückdachte, so dachte man dabei weniger an seine Kaiserpolitik als an die Art seiner Regierung im allgemeinen, an seine Weisheit und Gerechtigkeit; und wenn man an seine Außenpolitik dachte, so hatte man vor allem seine Kämpfe gegen die Heiden vor Augen. Karl war nicht bloß über die Alpen gezogen, er hatte nicht nur in Aachen, sondern auch in Tours geherrscht, er hatte jenseits der Pyrenäen gegen die Sarazenen Krieg geführt, und er hatte die Awaren, mit denen man im zehnten Jahrhundert die Ungarn identifizierte, in ihrem Lande aufgesucht. Otto hat nicht in Tours geherrscht, und er ist noch weniger über die Pyrenäen und nach Pannonien gezogen. Wenn aber im Westen und Osten die Politik Karls für ihn nicht maßgebend war, warum soll er dann gezwungen gewesen sein, ihr im Süden zu folgen ? Wie wenig man tatsächlich am Hofe Ottos mit der Erinnerung an Karl eine Erinnerung an Kaisertum und Kaiserpolitik verband, dürfte gerade aus Ottos Urkunde, die Aachen als ersten Herrschersitz im Norden feiert, hervorgehen: Aachen wird da nicht als Kaiserstadt, sondern als regia sedes bezeichnet; und ebensoviel oder noch mehr dürfte es besagen, daß unter den mannigfachen Begründungen und Rechtfertigungen, die Ottos Italienpolitik von ihm selbst und seinen Zeitgenossen erfahren hat, der Hinweis auf das Beispiel des großen Karl völlig fehlt. (9) 4. D i e k a r o l i n g i s c h e T r a d i t i o n u n d der d e u t s c h e Staat Das Deutsche Reich, über das Otto der Große gebot, war ein noch verhältnismäßig junger Staat. Es war dadurch entstanden, daß einst die fränkischen Könige die deutschen Stämme, von denen ursprünglich jeder ein selbständiges Staatswesen bildete, in den Rahmen ihres Universalreiches hineingezwungen hatten, und daß dann in den Teilungen des neunten Jahrhunderts die Stämme ihren Zusammenhang behalten und sich aus dem Verfall des Karolingerreichs als ostfränkischer Staat herausgelöst hatten. Die Vorstufen dieses doppelten Prozesses waren aber mit seinem scheinbaren Abschluß im neunten Jahrhundert 46
noch keineswegs ausgelöscht, und in dem jungen Staat lebten zunächst sowohl die Stämme wie das fränkische Universalreich weiter fort. Man weiß, daß nach dem Vertrag von Verdun das Ostfränkische Reich noch nicht als ein souveräner Staat galt. Es galt als Teil des Karolingerreichs, dem es ideell und staatsrechtlich verbunden blieb; die Könige der verschiedenen Teilreiche beerbten sich gegenseitig, sie waren zur Zusammenarbeit verpflichtet, und sie selbst und ihre Zeitgenossen betrachteten ihre Reiche als ein Imperium. Wie über dem ostfränkischen Staat der Universalstaat, so bewahrte unter ihm jeder Stamm in der stärksten Weise sein Eigenleben. Die Stämme der Friesen, Sachsen, Franken, Thüringer, Schwaben und Bayern, aus denen er sich zusammensetzte, unterschieden sich vielfältig und mehr oder weniger gründlich in sprachlicher, ethnologischer und kultureller Beziehung, im Rechtswesen, im Aufbau der Stände; sie bildeten weitgehend besondere Organismen innerhalb des staatlichen Rahmens, der sie zusammenfaßte, sozusagen Staaten im Staate; sie wurden gesondert zum Heer aufgeboten, sie erschienen gesondert auf den Reichstagen, sie hatten ihre eigenen Landtage, und z. T. besaßen sie seit der Wende des neunten Jahrhunderts eine eigene monarchische Spitze: die Herzöge. Man könnte unter den Umständen meinen und hat wohl auch gemeint, daß der deutsche Staat, zwischen die Erscheinungen und Traditionen des Karolingerreiches und der Stammesstaaten gestellt, bis zur Mitte des zehnten Jahrhunderts noch gar nicht die Möglichkeit hatte, sich zu einer wirklich eigenständigen, seiner selbst bewußten Größe zu entfalten. Was die deutschen Stämme zu einer Einheit zusammenfaßte, sei mehr die Idee oder doch die Überlieferung des karolingischen Imperiums als der Gedanke eines eigenen, deutschen Reiches gewesen. Zum Bestände dieses Imperiums habe aber Italien und das Kaisertum genau so gehört, wie irgendein deutscher Stamm. So gut Otto etwa über die Schwaben und Bayern gebot, habe er nach den Traditionen des Karolingerreiches auch über die Langobarden und Römer gebieten müssen. 47
Doch so wenig zu bezweifeln ist, daß sich sowohl die Vorstellung von der Einheit des Karolingerreiches wie die Bedeutung der Stämme als politische und völkische Gebilde noch lange nach dem Vertrag von Verdun erhielt, so ist doch keine Frage, daß sich neben beiden und zwischen beiden Gebilden in der stärksten Weise das deutsche Volk oder vielmehr der deutsche Staat entwickelte. Das Bewußtsein von diesem Staat war im neunten und noch mehr im zehnten Jahrhundert durchaus lebendig. E s hatte dabei mitgewirkt, das Universalreich zu sprengen, und es faßte die deutschen Stämme zu einer Einheit zusammen. Daran, daß überhaupt im Vertrag von Verdun die deutschen Stämme oder doch der größte Teil von ihnen aus dem Universalreich ausschieden und in einem besonderen Staat zusammenblieben, war bereits der Wunsch und der Wille der Stämme, eine staatliche Gemeinschaft zu sein, beteiligt gewesen. Nach der kurzen Vereinigung des ganzen Imperiums unter Karl III. hatten 887 die Stämme noch entschiedener mit dem Karolingerreich gebrochen, indem sie bei der Erhebung Arnulfs von Kärnten darauf verzichteten, sein Erbrecht jenseits der deutschen Grenzen zur Geltung zu bringen. Im Jahre 9 1 1 war dieser Bruch wiederholt und endgültig gemacht worden, als man es ablehnte, nach dem Aussterben der ostfränkischen Karolinger das Erbrecht des Westfranken Karls des Einfältigen anzuerkennen: seit 887, spätestens seit 9 1 1 , gibt es einen völlig selbständigen und souveränen deutschen Staat. Zweifellos waren auch noch jetzt nicht alle Verbindungen und Überlieferungen, die den deutschen Staat mit den Resten des alten Universalreiches verbanden, abgeschnitten. Uns interessieren davon hier in erster Linie seine Beziehungen zum Kaisertum und zu Italien. Unmittelbar vor der Erhebung Arnulfs, von 881 bis 887, war Karl III. Kaiser gewesen, und Arnulf selbst ist 896 nach Rom gezogen und hat die Kaiserkrone erworben. Eine gewisse Verbindung des deutschen Königtums mit Rom ist auch, ganz abgesehen von der Verbindung der deutschen Kirche mit dem 48
Papst, noch später geblieben. Wir besitzen einen Brief von Ludwigs IV. Erzkanzler, Theotmar von Salzburg, an den Papst, in dem er dem Papst einen Romzug des Königs, wenn auch recht vage, in Aussicht stellt. Ludwigs Kanzler, Salomo von Konstanz, ist nach Rom gereist, vielleicht auch der einflußreichste Metropolit an seinem Hofe, Hatto von Mainz. Konrad I. hielt im Einvernehmen mit der Kurie die Synode von Hohenaltheim ab; ein päpstlicher Legat war auf ihr zugegen. Heinrich I. hat in seinen letzten Lebensjahren höchstwahrscheinlich geplant, nach Rom zu ziehen, und unter Otto dem Großen waren, wovon noch die Rede sein wird, schon vor seinem Italienzug die Beziehungen zum Heiligen Stuhl ziemlich rege. Noch erheblich enger als zu Rom war das Verhältnis zu Norditalien. Karl III. und Arnulf haben über das Langobardenreich geherrscht. Karl III. hat sich in der Zeit von 881 bis 887 nicht weniger als fünfmal in der Lombardei aufgehalten; Arnulf zweimal, und einmal hat er ein Heer unter seinem Sohn über die Alpen geschickt. Wenn auch nach Arnulf und vor der Zeit Ottos des Großen deutsche Könige nicht wieder nach dem Süden gezogen sind, so waren doch die militärischen und politischen Beziehungen wenigstens der süddeutschen Stämme nach Norditalien recht lebhaft. Die Bayern haben Berengar vonFriaul gegen Ludwig den Blinden unterstützt, und sie sagten den Langobarden Hilfe gegen die Ungarn zu; der Bayernherzog Arnulf hat 934 die Langobardenkrone für seinen Sohn zu gewinnen versucht, und Herzog Heinrich ist um 950 bis Aquileja vorgedrungen. Der Schwabenherzog Burchard II. hat 926 im Bunde mit dem Burgunderkönig in Norditalien eingegriffen, und auch Liudolf hat kurz vor dem ersten Italienzug Ottos versucht, dort Erwerbungen zu machen. Doch so unbestreitbar das alles ist, ebenso deutlich ist, daß eine weitgehende Entfremdung zwischen den deutschen Stämmen und den Ländern im Süden der Alpen bestand, und daß jene diesen gegenüber ihre staatliche Besonderheit und Vereinigung im Deutschen Reich vollständig wahrten und sich dessen bewußt blieben. Lintzel, Die Kaiserpolitik
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Wenn man von der kurzen Unterbrechung der Jahre 881 bis 887 und 894 bis 896 absieht, so haben die ostfränkischen Könige seit dem Vertrag von Verdun bis zur Zeit Ottos des Großen über alle oder doch die meisten deutschen Stämme und nur über deutsche Stämme geherrscht. Durch vier Generationen mußte sich eine fast ununterbrochene staatliche Übung und Gewöhnung herausbilden. Das Gemeinschaftsbewußtsein, das in den Wahlen von 887 und 911 seinen staatsrechtlichen Ausdruck fand, bewährte und festigte sich. In allen Kriegen, Auflösungsprozessen und Zusammenschlüssen der Zeit blieben die deutschen Stämme immer wieder beisammen; die anderen Völker und Landschaften des Karolingerreiches dagegen blieben ihnen fern, und man Heß sie ihre eigenen Wege gehen. Wenn man auch hin und wieder in die italienischen Verhältnisse eingriff, so hat doch der deutsche Hof im großen und ganzen den Süden sich selbst überlassen. Nach dem Sturz Karls III. machte sich Italien selbständig. Man ließ es geschehen; erst sieben Jahre später hat Arnulf kurz und vorübergehend eingegriffen. Als nach seiner Erkrankung 896 die eben gewonnene Herrschaft über Rom und das Langobardenreich mit einem Schlage zusammenbrach, machte die Reichsregierung keine Anstalten, sie wieder aufzurichten. Man verzichtete darauf auch unter Ludwig dem Kind wie unter Konrad I.; und wenn man in den letzten Jahren Heinrichs I. dem Gedanken daran offenbar wieder näher getreten ist, so kam er auch jetzt nicht zur Ausführung, und es verging seit Heinrichs Tod noch ein halbes Menschenalter, ehe Otto den ersten Versuch dazu wirklich machte. Diese Zurückhaltung wird in ihrer Bedeutung für die Beurteilung des Verhältnisses des Deutschen Reiches und der Stämme zu Italien erst völlig klar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die deutschen Stämme nicht bloß tatsächlich von 843 an im ganzen ununterbrochen zusammenblieben, sondern daß auch die deutsche Staatsgewalt nachdrücklich dafür sorgte, daß ihr Verhältnis zum Reichsganzen nicht gelöst oder gelokkert wurde, wenn es den Anschein dazu hatte; vor allem aber, 5°
daß sie jenseits der deutschen Grenzen in andere Verhältnisse eingriff, ehe sie sich den italienischen Dingen zuwandte. Wenn im Jahre 911, worüber wir nicht genau informiert sind, die beiden süddeutschen Stämme Konrad I. zunächst nicht anerkannten, so hat er sie doch sofort zur Unterwerfung gezwungen. Und als 919 Schwaben und Bayern das Königtum Heinrich I. ablehnten, wurden sie in kurzem unterworfen. Dabei dürfte weder 911 noch 919 die Zugehörigkeit der beiden Stämme zum Reich trotz der Verwerfung des eben gewählten Königs in Frage gestellt gewesen sein. Als nach Arnulfs Tode Lothringen eigene Wege zu gehen versuchte, griff die Reichsregierung sofort ein; dasselbe wiederholte sich 911 und unter veränderten Verhältnissen in den Jahren nach 919. Ehe Arnulf nach Italien ging, setzte er sich mit den Franzosen im Westen, mit den Normannen im Norden und mit den Slaven im Osten auseinander. Ehe Heinrich I. daran dachte, über die Alpen zu ziehen, erreichte er nicht bloß die Unterwerfung Lothringens und die Abwehr der Ungarn, sondern er bändigte auch die Slaven und Dänen. Und auch Ottos I. erster Zug nach Italien wurde erst eingeleitet, nachdem die Beruhigung der Westgrenze und die Unterjochung der Völker im Osten zu einem (wenn auch unvollständigen) Abschluß gebracht war. Man sieht, es ist keine Rede davon, daß Italien in der Politik der deutschen Könige etwa auf der gleichen Stufe stand wie die deutschen Stämme. Diese gehörten zum Reich, Italien nicht; die Beherrschung der Stämme war eine innenpolitische, die Italiens eine außenpolitische Angelegenheit, und auch in der äußeren Politik des Reiches gab es Dinge, die zunächst wichtiger und vordringlicher waren als die italienische Frage. Als in der Zeit Karls III. Italien ein Bestandteil seines Reiches war, betrachtete die Kanzlei Deutschland und Italien doch nicht als eine Einheit: sie unterschied die Regierung Karls in Germania und in Italia. Das Bewußtsein, daß Deutschland und Italien verschiedene Staaten und Völker bildeten, tritt denn auch in der Literatur der folgenden Zeit deutlich hervor. Zu Beginn des elften Jahrhunderts kann man bei Schriftstellern 4'
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wie Thietmar von Merseburg oder Thangmar von Hildesheim einen betonten nationalen Gegensatz gegen den Süden finden. Er mag gerade durch die von Otto hergestellte Verbindung verschärft worden sein. Aber bemerkbar ist dieser Gegensatz auch schon früher. So stark in der Epoche Ottos I. noch das Stammesbewußtsein der einzelnen Stämme ist, über ihm steht das Bewußtsein von einer Gemeinschaft der deutschen Stämme. Und dieses Gemeinschaftsbewußtsein hebt den deutschen Staat und das deutsche Volk gegen Italien ab. Es ist unausgesprochen wirksam, wenn die deutschen Chronisten im zehnten Jahrhundert nur die Geschichte der im Deutschen Reich zusammengefaßten deutschen Stämme schreiben und die Italiens übergehen; es macht sich bemerkbar, wenn der Continuator Reginonis etwa von den Angehörigen aller deutschen Stämme als von nostrates redet und von dieser Bezeichnung die Italiener ausschließt; es findet schließlich seinen deutlichsten Ausdruck, wenn sich in immer stärkerem Maße als Wort für die Gemeinschaft, die durch dieses Bewußtsein repräsentiert wird, der Name deutsch oder ähnliche Worte durchsetzen. Dem entspricht es denn auch, daß, als Italien wirklich von Otto dem Großen gewonnen wurde, man es doch weiter als einen neben dem Reich stehenden Organismus betrachtete; ein Symptom dafür ist die Trennung der deutschen und der italienischen Kanzlei. So wenig man aber in der höfischen und nichthöfischen Literatur der Zeit die Italienpolitik Ottos mit dem Vorbild Karls des Großen gerechtfertigt hat, so wenig hat man sie aus den Rechtsansprüchen und Traditionen des Reiches der spätem Karolinger abgeleitet. Wie nahe hätte es gelegen, zur Begründung von Ottos Eingreifen im Süden etwa auf seine Vorgänger Karl III. und Arnulf hinzuweisen. Doch das ist nirgends geschehen. Es ist wohl deutlich: es gab im zehnten Jahrhundert keine Tradition universaler Art, die mächtiger gewesen wäre als das, was man den deutschen Staatsgedanken in dieser Zeit nennen könnte. Die Folgerungen aus der Danielschen Prophezeiung, 52
die Überlieferung von Rom und dem Römischen Reich, die Erinnerung an Karl den Großen waren mehr oder weniger blasse, zum Teil noch dazu nur literarische Schemen, und auch die nach Italien gerichteten Traditionen des Karolingerreiches sind, wenn sie auch zweifellos wirksamer waren als jene blassen Überlieferungen, neben dem jungen deutschen Staat völlig in den Hintergrund getreten. (10) 5. D a s n i c h t r ö m i s c h e K a i s e r t u m Die politischen Gedanken, die im Zusammenhang mit Rom und römischen Traditionen standen, fanden ihre hervorragendste und deutlichste Verwirklichung in dem in Rom erworbenen Kaisertum. Dafür, wie wenig durchschlagend und beherrschend jene Gedanken waren, ist es nun bezeichnend, daß sich neben der Vorstellung von der in Rom verliehenen Kaiserkrone noch die Vorstellung eines von Rom unabhängigen, sozusagen autonomen Kaisertums zu bilden vermochte, und daß diese Vorstellung in der Zeit vor Ottos Kaiserkrönung jene andere, römische mitunter in den Schatten gestellt hat. Jeder Kaisertitel geht selbstverständlich auf die römische Überlieferung, auf den Namen der römischen Cäsaren zurück. Aber in einem Prozeß, den wir hier im einzelnen nicht zu verfolgen brauchen, hatte sich der Titel von seinem Ursprung, von der Verbindung mit dem Begriff des römischen Herrschers gelöst. Offenbar ausgehend von der uralten Anschauung, daß der römische Kaiser der Weltherrscher, der Herr über alle Könige und Fürsten der Erde sei, war der Kaisertitel zu einer Bezeichnung geworden, die man gelegentlich jedem Herrscher geben konnte, dem man eine der Weltherrschaft ähnliche Stellung, eine Art Großkönigtum, zuschrieb. Kaiser ist, so heißt es im sogenannten Ämtertraktat, qui super totum mmdurn aut qui praecellit in eo. Gegenüber der etwas verschwommenen Definition qui praecellit in mundo erschien es dann als besonderes Charakteristikum des Kaisers, daß, wie es in einer anderen Fassung desjTraktats heißt, sub eo reges aliorum regnorum stehen: Kaiser ist, der über Könige gebietet. 53
Diese Anschauung hatte nun im neunten Jahrhundert eine erhebliche staatsrechtliche und politische Bedeutung und damit zugleich eine neue historische Begründung bekommen. Karl der Große war wohl zum Kaiser des Römischen Reiches gewählt und gekrönt worden. Aber am Ende seiner Regierung hatte Karl auf den römischen Kaisertitel verzichtet; man sprach jetzt nur noch vom Imperium, und der Begriff des Kaisertums löste sich von Rom und vom römischen Reichsgebiet und wurde nach Aachen und den germanischen Ländern im Norden übertragen: zum Kaiserreich wurde das Fränkische Reich, nicht weil es in Rom herrschte, sondern weil es praecellit in mundo. Doch auch der Forderung des Ämtertraktes sub eo reges aliorum regnorum entsprach die Stellung Karls. Nicht bloß, daß außerfränkische Könige in ein Klientelverhältnis zu ihm getreten waren, ihm unterstanden auch die Unterkönigtümer seiner zu Königen gesalbten Söhne. Dieses Verhältnis: der Kaiser als Großkönig von Unterkönigen wurde dann 817 zur staatsrechtlichen Signatur des fränkischen Kaisertums, und diese Bedeutung des Kaisergedankens war es, um die in den Erbstreitigkeiten unter Ludwig dem Frommen und in den Bruderkämpfen bis zum Vertrag von Verdun gerungen worden ist. Wenn mit dem Vertrag von Verdun die Vorstellung vom Kaiser als demHerrn vonKönigen für die staatlichen Realitäten des Fränkischen Reiches auch unterlag, so ist doch keine Frage, daß dadurch, daß sie ein Vierteljahrhundert politische Wirklichkeit gewesen war, diese Vorstellung eine beträchtliche Belebung und Aktualisierung erfahren hatte. Wenn sich seit 843 das im Abendland wirklich existierende Kaisertum auch wieder nach Rom zurückzog, so war es doch bei seiner völligen Bedeutungslosigkeit nicht in der Lage, die einmal belebte Anschauung von jenem allgemeinen, nichtrömischen Kaisertum auszuschalten oder auch nur beiseite zu schieben. Gerade seit der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts macht sich in den Ländern des Abendlandes die Vorstellung besonders deutlich bemerkbar, daß das Kaisertum nicht von Rom ausgehe, sondern 54
dem zukomme, der ein hervorragend mächtiger König sei, vor allem dem, der über andere Könige herrsche. So findet sich in den Fuldaer Annalen zum Jahre 869 die Bemerkung, Karl der Kahle habe nach der Einnahme Lotharingiens befohlen, ihn Kaiser zu nennen, quasi duo regna possessurus. Für den Mönch von St. Gallen ist Karl der Große längst vor der Kaiserkrönung in Rom re ipsa rector et Imperator plurimarum nationum, und den König Ludwig den Deutschen bezeichnet er als rex vel imperator totius Germaniae Rhetiarumque et antiquae Franciae nec non Saxoniae, Thuringiae, Norm, Pannoniarum atque omnium septemtrionalium nationum. Der Verfasser des Libellus de imperatoria potestate sieht das Wesen des altrömischen Kaisertums darin, daß unter seiner Herrschaft diversa regna standen. Mit der Ankunft der Langobarden weicht das Kaisertum von Rom. Wie es dann zu den Franken kommt, sagt der Libellus nicht deutlich. Doch die Kaiserkrönung Karls des Großen verschweigt er, sie ist ihm gleichgültig. Die Hauptsache ist für ihn, daß die Römer dem Kaiser gehorchen, sie sind imperiales bomines. Rom und die Römer stehen nicht im Zentrum des Kaisergedankens, sie sind weniger Subjekt als Objekt des Kaisertums. Liudprand von Cremona redet von Kaisern der Franken und Langobarden. Nach der Auffassung Widukinds von Korvey ist derjenige Kaiser, der über mehrere Völker herrscht. Den Frankenkönig Theudebert, der außer über die Franken auch über die Thüringer gebietet, bezeichnet er als imperator, und auch Heinrich I. nennt er gelegentlich imperator multarum gentium; Otto der Große ist nach seiner Ansicht seit der Schlacht auf dem Lechfelde, d. h. längst vor der Krönung in Rom, Kaiser. Ebenso bezeichnet Ruotger in der Vita Brunonis Otto von Anfang an als imperator; die Begründung dieses Kaisertums sieht er offenbar vor allem in der herrschenden Stellung, die Otto in Frankreich einnahm; durch seine Krönung in Rom erwirbt er für Ruotger dann den Titel eines caesar. Bei alledem handelte es sich um Anschauungen, denen die staatsrechtliche Wirklichkeit nicht entsprach. Weder Ludwig 55
der Deutsche noch Heinrich I. hat offiziell den Kaisertitel geführt, und Otto der Große hat ihn erst am 2. Februar 962 angenommen. Doch das nichtrömische Kaisertum, wie es in der Vorstellung der genannten Quellen lebendig war, ist in England um die Mitte des zehnten Jahrhunderts zur politischen Tatsache geworden. Hier haben sich wirklich (wenn auch nicht dauernd und konsequent) mehrere Könige, die eine oberherrliche Stellung über andere besaßen, Kaiser genannt. Caesar totius Britanniae, Basileus Anglorum huiusque insulae barbarorum, Kaiser von ganz Albion, Kaiser aller Königreiche auf den Inseln des britannischen Ozeans, das sind die Titel, mit denen sich die englischen Könige im zweiten und dritten Viertel des zehnten Jahrhunderts bezeichnet haben. Die festländischen Quellen erwähnen dieses englische Kaisertum nicht. Das ist nicht verwunderlich, da sie von der englischen Geschichte der Zeit so gut wie überhaupt nichts sagen. Daß aber auf dem Festland und vor allem in Deutschland die englische Kaiserwürde trotzdem bekannt war, ist keine Frage: die englischen Herrscher, die sie beanspruchten, waren mit Otto dem Großen verschwägert, und von England bestanden sowohl zum deutschen wie zu dem mit diesem wieder verwandten französischen Königshof die engsten Beziehungen. Wenn in der deutschen Historiographie des neunten und zehnten Jahrhunderts die Vorstellung von der Kaiserwürde deutscher Herrscher, wie Ludwigs des Deutschen und Heinrichs I. auftaucht, die nie Kaiser waren, so beweist das, wie stark die Anschauung von dem nichtrömischen Kaisertum, das ohne päpstliche Krönung einfach durch die erhöhte Autorität des Königs gewonnen wird, gewesen sein muß. Sie war so stark, daß sogar geschichtliche Tatsachen von solcher Bedeutung und Berühmtheit wie die Kaiserkrönung Karls des Großen vom Monachus Sangallensis und vom Libellus de imperatoria potestate verschwiegen oder zu ihren Gunsten korrigiert werden konnten. Ja, sie hat schließlich sogar politische Vorgänge der allernächsten Gegenwart umzufälschen vermocht, wie Widukinds Behauptung, Otto sei auf dem Lechfeld zum imperator aus-
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gerufen worden, lehrt. Wenn man damit die geringe Wirkung der römischen Kaiseridee vergleicht, so erscheint die ungewöhnliche und in der Literatur meistens nicht genügend gewürdigte Stellung des nichtrömischen Kaisergedankens erst in ihrer wahren Bedeutung, (i i)
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Iü. KAPITEL
DIE ANGEBLICHE POLITISCHE NOTWENDIGKEIT Alle mit den römischen und karolingischen Überlieferungen verbundenen universalen Anschauungen hatten zweifellos nicht die Kraft, der deutschen Politik des zehnten Jahrhunderts die Richtung nach dem Süden aufzuzwingen. Es ist nicht im entferntesten so, wie man es sich anscheinend bisweilen vorstellt, daß die deutsche Politik von diesen Traditionen gewissermaßen hyponitisiert worden wäre; sie haben den deutschen Staat nicht gehindert, nach seinen Interessen zu fragen. Die Frage ist, wie weit seinen Interessen die Richtung nach dem Süden entsprach. Wir kommen damit zur Besprechung der heute neben der These von der Übermacht der universalen Tradition aufgestellten Behauptung, daß Ottos Italienpolitik für die Existenz und die Zukunft des Deutschen Reiches nötig gewesen sei. Er habe Kaiser werden und über den Papst verfugen müssen, um der deutschen Bischöfe sicher zu sein, um die Unterwerfung des Ostens zu vollenden und um seine Hegemonie in Europa befestigen zu können; er habe in Rom und Pavia herrschen müssen, um die Loslösung der süddeutschen Stämme vom Reich zu verhindern und um einer schweren außenpolitischen Bedrohung des Deutschen Reiches vorzubeugen. Wir wollen diese fünf Gesichtspunkte einzeln durchsprechen. i. Die H e r r s c h a f t ü b e r die d e u t s c h e K i r c h e Die Verfügung über den deutschen Episkopat war unter Otto dem Großen eine der Grundlagen der Macht des Königtums. Auf ihr beruhte nicht nur seine Herrschaft über die 58
deutsche Kirche, sondern zum guten Teil auch seine Bewegungsfreiheit gegenüber dem Laienadel. Eine Lockerung oder gar Lösung der Unterordnung des hohen Klerus hätte die Machtbasis der Krone in Frage gestellt. Dieser Umstand nun, sagt man, zwang den König, nach Rom zu greifen und das Papsttum von sich abhängig zu machen. Erst indem er mit dem Papst das geistliche Haupt der deutschen Bischöfe in seine Gewalt brachte, wurde seine Herrschaftsstellung ihnen gegenüber wirklich gesichert. Sie wurde einerseits sozusagen verdoppelt, indem der König neben seiner eigenen Macht auch die des Papstes gegen den Episkopat ausspielen konnte, und andererseits wurde einer etwaigen Bischofsopposition die Möglichkeit eines Rückhaltes in Rom entzogen. Doch so einleuchtend diese Rechnung auf den ersten Blick erscheinen mag, die Tatsachen der Geschichte stehen zu ihr in einem unverkennbaren Gegensatz. Man braucht zwar nicht zu bezweifeln, daß sich durch die Kaiserkrönung und die Schutzherrschaft, die Otto mit ihr über den Papst gewann, sein Ansehen in der deutschen Kirche verstärkte. Wenn der Kaiser den obersten Bischof der Christenheit schirmte, wenn er ihm unter Umständen Befehle erteilte und ihn ein- oder absetzte, so dürfte das seine Autorität und Würde gegenüber den heimischen Bischöfen gesteigert haben: was in Rom recht war, mußte an den deutschen Bischofssitzen als billig erscheinen. Doch man muß sich hüten, die Wirkungen der Kaiserkrönung auf die Verhältnisse in der deutschen Kirche zu überschätzen. Tatsächlich haben die deutschen Könige vor dem 2. Februar 962 kaum weniger über die deutschen Bischöfe geherrscht als nachher. Sämtliche Herrscher von Ludwig dem Deutschen bis auf Otto den Großen haben im allgemeinen ohne Schwierigkeiten und ohne Einschränkungen über die deutsche Kirche verfügt. Daß sie nicht Kaiser waren und nicht nach Rom kamen, tat dem keinen Eintrag. Die deutsche Kirche ist in dieser Zeit praktisch Nationalkirche gewesen. Nun ist es freilich richtig, daß im ganzen die Herrschaft des Königs über den Episkopat 59
seit der Zeit Ottos noch wichtiger geworden ist als vorher; sie bedeutete von jetzt an noch mehr für die Krone und den Staat als früher. Aber das hing nicht so sehr damit zusammen, daß der König jetzt als Kaiser über den Papst gebot, oder daß er überhaupt vollständiger über den Klerus verfügte als früher, sondern es hatte in erster Linie darin seine Ursache, daß die Position der Bischöfe selbst, ihre fürstliche Stellung unter der Regierung Ottos im ganzen gehoben worden ist. Wenn der König jetzt über sie verfugte, so hatte er davon mehr Nutzen als früher, wo sie weniger mächtig waren. Man hat freilich gemeint, daß gerade für dieses starke Ausbauen der fürstlichen Stellung des Episkopates, durch das das Gegengewicht gegen den weltlichen Adel verstärkt und damit die Position der Krone verbessert wurde, die Verbindung mit Rom unerläßlich gewesen sei. Gegen die stärkere Verquickung der Bischöfe mit den staatlichen Geschäften habe sich in der Zeit Ottos eine Opposition geregt; diese Opposition habe Verbindung mit dem Papste gesucht, und der König sei ihr am gründlichsten dadurch begegnet, daß er sich des Papsttums bemächtigte. Wir besitzen wirklich einen Brief des Mainzer Erzbischofs Wilhelm, eines natürlichen Sohnes Ottos des Großen, an den Papst Agapet, in dem er sich bitter über eine Reihe von Mißständen in der deutschen Kirche beklagt und sich vor allem gegen die Kirchenpolitik des Königs und seiner Vertrauten wendet. Er protestiert gegen die Vermischung von Weltlichem und Geistlichem, er eifert dagegen, daß ein Bischof tue, was einem Herzog zukomme, und er bittet schließlich den Papst, in Deutschland zu erscheinen und dort zur Ordnung dessen, was verwirrt sei, eine Synode abzuhalten. Von Wilhelms Vorgänger auf dem Mainzer Stuhl, Erzbischof Friedrich, kann man mit einiger Sicherheit annehmen, daß er ähnliche Ansichten vertrat. Auch sonst mag es an mehr oder weniger deutlicher Opposition im Episkopat unter Ottos Regierung nicht gefehlt haben, und es mußte ein naheliegender Gedanke sein, daß man sich dabei, ähnlich wie es Wilhelm tat, an den Stuhl Petri wandte und ihn gegen den König auszuspielen versuchte. 60
Doch tatsächlich ist außer dem Brief Wilhelms von einem derartigen Versuch nichts zu bemerken. Und, mag es auch trotzdem mitunter dazu gekommen sein, die Antwort der Kurie auf Wilhelms Brief zeigt, daß man in Rom nicht daran dachte, eine derartige Opposition zu unterstützen. So sehr vom kanonischen Standpunkt und etwa vom Standpunkt der kirchlichen Frömmigkeit Wilhelm mit seinen Klagen und Forderungen im Recht war, so speiste man ihn doch mit einigen nichtssagenden Wendungen ab. In Deutschland hat sich die Politik Ottos damals freilich nicht restlos durchgesetzt; wenigstens in einem Punkte, nämlich in der Magdeburger Frage, erreichte er, wie wir noch sehen werden, gegen Wilhelm nicht das, was er wollte; aber im großen und ganzen blieb doch alles beim alten, und vor allem: vom Papsttum wurde Otto kein Hindernis in den Weg gelegt. Wenn andrerseits der König irgendwelche Wünsche an die Kurie hatte, so wurde denen sofort entsprochen. So war es schon, als im Interesse Konrads I. ein päpstlicher Legat an der Synode von Hohenaltheim teilnahm. So war es unter Otto, wenn die Kurie der Gründung der Dänenbistümer und der Havelbistümer zustimmte, wenn sie die Politik Ottos in Frankreich guthieß und unterstützte, oder wenn sie gegen den Wunsch von Köln entschied, daß Bremen nicht in den Kölner Provinzialverband zurückzukehren brauche, und ähnliches mehr. In seinem Brief an Agapet hat sich Wilhelm gerade darüber beschwert, daß die Kurie so willfährig und dienstbeflissen auf alle Forderungen und Anregungen des Königs einzugehen pflegte. Tatsächlich war sie offenbar nicht in der Lage, gegen den übermächtigen deutschen Herrscher eine einheimische Opposition zu unterstützen oder dem König einen Wunsch zu versagen, wenn sie ihre Stellung in Deutschland selbst nicht gefährden wollte. Man kann also, glaube ich, nicht sagen, daß es notwendig war, durch die Kaiserkrönung einen für den deutschen König schädlichen Zustand zu beseitigen. Und ebensowenig läßt sich bemerken, daß der Zustand, wie er nach der Kaiserkrönung war, gegenüber den früheren Verhältnissen einen Fortschritt bedeutete. 61
Bisher herrschte der König aus eigener Machtvollkommenheit und unmittelbar über die deutsche Kirche, und wenn ein Bischof gegen ihn Opposition machte, so mußte er im allgemeinen allein mit ihm fertig werden. Es ist zwar richtig, daß ihm seit der Kaiserkrönung dafür die Hilfe des Papsttums in stärkerem Maße als früher zur Verfügung stand. Aber es ist nicht richtig, daß diese Hilfe eine erhebliche Wirkung hatte, und daß damit eine wesentliche Verschiebung gegen früher eintrat. Nach dem Bürgerkriege von 953 bis 954 hatte Otto der Große den Erzbischof Herold von Salzburg, der sich am Bürgerkrieg beteiligt hatte, und der von Heinrich von Bayern geblendet worden war, abgesetzt und durch einen anderen Metropoliten ersetzt. Eine deutsche Synode hatte Herolds Absetzung bestätigt. Er hatte offenbar trotzdem einen gewissen Anhang behalten und in einem Winkel seines Sprengeis weiter amtiert. Kurz nach der Kaiserkrönung Ottos wurde er von einer päpstlichen Synode abermals entsetzt. Es ist klar, daß damit dem deutschen Spruch eine größere Autorität verliehen werden sollte. Aber einen größeren Erfolg hatte man jedenfalls nicht, denn einige Zeit später war eine neue Absetzung Herolds nötig. Ganz ähnliche Verhältnisse kann man in den beiden großen Streitigkeiten beobachten, die am Ende des Jahrhunderts das Verhältnis der Krone zum Episkopat berührten. In dem Streit um das Kloster Gandersheim trat Otto III. gegen Willigis von Mainz auf die Seite Bernwards von Hildesheim. Aber der Kaiser und Bernward vermochten sich nicht durchzusetzen, und es nützte ihnen gar nichts, daß sie vom Papst und von päpstlichen Synoden unterstützt wurden. In dem Konflikt um die Aufhebung und Wiedererrichtung des Bistums Merseburg vertrat Otto III. den Standpunkt, daß Merseburg zu Unrecht aufgelöst sei, und verlangte, daß der frühere Merseburger Bischof, Gisiler von Magdeburg, nach seinem alten Sitz zurückkehrte. Obgleich der Papst derselben Meinung war (die Kurie war den kaiserlichen Entscheidungen sogar vorangegangen), gelang es doch nicht, den Widerstand Gisilers zu besiegen, und man erreichte nicht mehr als in der Gandersheimer Frage. Beide Angelegen62
heiten wurden erst unter Heinrich II. erledigt, und zwar wurden sie vom König allein, ohne Mitwirkung des Papstes erledigt. 1007 hat Heinrich Willigis zugunsten von Bernward zum Verzicht auf Gandersheim bewegt, ohne daß dabei auch nur im geringsten der Papst in Erscheinung getreten wäre. Und wenn die Sache damit tatsächlich auch noch nicht ihre endgültige Bereinigung gefunden hatte, so ist sie doch nicht wieder vor das Forum der Kurie gelangt und noch weniger von ihr entschieden worden. Das Bistum Merseburg hat Heinrich 1004 neu gegründet. Dabei war ein päpstlicher Legat zwar zugegen. Aber das war nur eine Form; daß der Widerstand gegen die Entscheidungen der letzten Jahre Ottos III. überwunden wurde, war ausschließlich ein Werk des Königs und nicht des Papstes. Den berühmtesten und bezeichnendsten Streitfall dieser Art, den Streit um die Errichtung des Erzbistums Magdeburg, werde ich nachher besonders besprechen. Er wird das bisher Gesagte bestätigen. Aber auch aus dem Gesagten geht wohl schon deutlich hervor, daß die Auseinandersetzung zwischen dem deutschen König und einer deutschen Bischofsopposition in ihrem Ausgang lediglich durch die innerdeutschen Machtverhältnisse und nicht durch die Stellung der Krone zur Kurie bedingt war. War der König von Haus aus nicht mächtig genug, um mit den Bischöfen fertig zu werden, so nützte ihm auch die Unterstützung des Papstes nichts, und wenn er mit ihnen fertig wurde, so geschah das, weil er die Macht dazu hatte und nicht, weil ihm der Papst zu Hilfe kam. Daß es so war, erscheint nicht auffallend, wenn man sich vergegenwärtigt, welche Rolle der Papst im zehnten Jahrhundert in der Welt spielte. Gewiß, der Bischof vom Rom war in der Theorie die höchste Autorität der Christenheit. Die Verbindungen zwischen ihm und dem deutschen Episkopat traten nicht selten hervor. Die Erzbischöfe pflegten bei ihrem Amtsantritt in Rom das Glaubensbekenntnis abzulegen und dort das Pallium zu erbitten. Im Stuhl Petri sah man in dogmatischen wie in kirchenrechtlichen Streitigkeiten die letzte Appellationsinstanz. Privi63
legien ließ man gern an der Kurie bestätigen, Klöster unterstellten sich ihrem besonderen Schutz. Und wie die Geistlichen, so ließen seit der Zeit Pippins auch die weltlichen Fürsten und Könige ihre Handlungen nicht selten in Rom legitimieren. Wir kennen auch aus dem zehnten Jahrhundert genug Briefe und Reisen von Bischöfen und Laien nach Rom, Synoden, die im Namen des Papstes diesseits der Alpen abgehalten wurden; und es mag noch viel mehr derart geschehen sein, als wir wissen. Doch bei der Stellung, die man mit alledem dem Papst einräumte, handelte es sich wohl um eine Autorität, die durch den Glauben und die religiöse Andacht der Christenheit, vielleicht auch durch Gewohnheit und eine gewisse Bequemlichkeit aufrechterhalten wurde, aber es handelte sich nicht um eine eigentliche Macht. Man konnte die Stimme des Papsttums im zehnten Jahrhundert im Norden der Alpen oft vernehmen, und man hat sie nicht selten angerufen. Was aus Rom kam, hatte' eine gewisse Weihe, und man suchte häufig genug die eigene Sache dadurch zu verbessern und ihr ein heiligeres Aussehen zu geben, daß man sie durch einen Spruch aus Rom rechtfertigte. Aber wenn die Autorität von Rom auch groß genug war, um die Ansprüche und Rechte der von ihr Begünstigten in deren eigenen Augen zu heben, so groß war sie entschieden nicht, um das auch in den Augen der Benachteiligten zu tun. Entscheidungen, die zu dem paßten, was man begehrte, nahm man gern hin; Entscheidungen, die nicht paßten, verwarf man unbekümmert. Und wenn man grundsätzlich auch immer bereit war, in der Theorie die unanfechtbare Hoheit des hl. Petrus und seiner Nachfolger anzuerkennen, so war man im geeigneten Fall ebenso rasch bei der Hand, zu erklären, daß aus dem Mund des Papstes nicht Petrus, sondern der Verführer spreche. So haben es am Ende des zehnten Jahrhunderts die französischen Bischöfe im Reimser Streit, so haben es auch schon zu Anfang des Jahrhunderts die bayerischen Bischöfe unter Theotmar von Salzburg getan. Man erkannte das Papsttum an, soweit man es brauchen konnte; es hatte im wesentlichen bloß dekorativen Wert, und seine Macht war nur latent vorhanden. 64
Man darf die Rolle, die die Päpste seit demlnvestiturstreit spielten, nicht für das zehnte Jahrhundert voraussetzen. Alles, was im Abendland in diesem Jahrhundert geschehen ist, alle Vorgänge, die das Verhältnis zwischen Kirche und Staat wirklich gestalteten, sind so gut wie völlig ohne Beteiligung der Kurie vor sich gegangen. Kirchenpolitische Entscheidungen und Entwicklungen von der größten Tragweite vollzogen sich, ohne daß das Papsttum überhaupt gefragt wurde, ohne daß es eingriff und ohne daß man sich mit ihm auseinandersetzen mußte. König Heinrich I. überließ dem Herzog Arnulf von Bayern die Einsetzung der Bischöfe, d. h. letzten Endes die Verfügung über die bayrische Kirche, König Otto nahm sie an das Reich zurück. Die deutschen Bischöfe begannen mehr und mehr zu Fürsten zu werden, und der König setzte seine Herrschaft über sie völlig durch. In Frankreich entglitt der Krone im wesentlichen die Macht über den Episkopat. Die französischen Territorialfürsten, wie etwa der Herzog der Normandie oder der Herzog von Aquitanien dagegen beugten ihre Landeskirche völlig unter ihre Gewalt. Alles das geschah, und das Papsttum stand unbeteiligt daneben. Wenn auch zuzugeben ist, daß es die Autorität und das Prestige des Königs in der Kirche erhöhte, wenn er über die Autorität des Papstes verfügte, so war doch ein wesentlicher Machtzuwachs damit nicht gewonnen, und noch weniger war die Herrschaft über den Papst eine Voraussetzung für die Herrschaft über den deutschen Episkopat. Was der Papst in der deutschen Kirche zu sagen hatte, war neben der Bedeutung, die der König dort hatte, zu belanglos, als daß es im Einsatz für oder gegen die Krone ernsthaft in Betracht gekommen wäre, (i 2) 2. D i e M i s s i o n s p o l i t i k im Osten Mit dem, was wir eben feststellten, scheint mir die Frage nach der Bedeutung der Kaiserpolitik für die Missionspolitik im Osten im allgemeinen bereits beantwortet zu sein. Doch da diese Frage sehr wichtig ist, und da im Zusammenhang mit ihr der Wert der Kaiserpolitik für die deutsche Politik Ottos beLintzel, Die Kaiserpolitik
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sonders deutlich hervortritt, möchte ich hier doch noch etwas genauer auf sie eingehen. Gegenüber der Sybelschen Ansicht, daß die Italienpolitik eine Vernachlässigung der Ostpolitik bedeutete, hat sich die in jüngster Zeit vor allem von Albert Brackmann und dann von Robert Holtzmann vertretene Auffassung anscheinend so gut wie restlos durchgesetzt, daß die Italienpolitik die Ostpolitik nicht bloß nicht beiseite geschoben, sondern daß sie ihr gedient habe. Die Beherrschung des Papstes sei die „Vorbedingung" für die Ostpolitik, diese sei „einer der wirklich ins Gewicht fallenden Beweggründe für die Übernahme des Kaisertums" durch Otto den Großen gewesen. Man dürfe nicht formulieren: „Rompolitik oder Ostpolitik" sondern „Rompolitik für die Ostpolitik". Bei diesen Behauptungen ist, zweifellos auch im Sinne ihrer Vertreter, von vornherein eine Einschränkung zu machen. Wenn hier von Ostpolitik die Rede ist, so handelt es sich dabei genau gesagt nur um die Missionspolitik im Osten, oder vielmehr in erster Linie um die Politik der Bistumsgründungen im Slawenland. Doch es ist ohne weiteres zuzugeben, daß sich in der Praxis die Bistumsgründungen nicht von der Mission, und daß sich diese nicht von der weltlichen Ausdehnungspolitik trennen ließen. Ohne die Mission war auf die Dauer keine erobernde Ostpolitik zu treiben, und die Mission war ohne die Bistümer unvollständig. Daß jedoch die Mission unter den Slawen und die Gründung der Slawenbistümer nicht von Ottos Kaiserpolitik abhängig war, ergibt sich aus der einfachen Überlegung, daß den Slawen das Christentum lange vor 962 gepredigt wurde, und daß Havelberg und Brandenburg (genau so wie übrigens die Dänenbistümer) schon 948 oder vor 948 gegründet worden sind. Auch die bisweilen vertretene Behauptung, daß der deutsche König sich für den Heidenkrieg und für die Ausbreitung des Evangeliums unter den Slawen sozusagen die Weihe, die geistliche Legitimation, mit der Kaiserkrone in Rom holen mußte, ist nicht richtig. Einmal spricht schon dagegen, daß Otto gerade 66
in der Zeit vor dieser angeblichen Legitimation die Slawenbekämpfung und -bekehrung am energischsten betrieben hat, und vor allem trifft es nicht zu, daß erst die Kaiserkrone diese Legitimation gab. Nach der Auffassung der Zeit hatte schon der König genau so wie der Kaiser das Recht und die Pflicht zum Heidenkrieg. Doch man könnte meinen und hat wohl auch gemeint: Wenn Otto auch als deutscher König den Slawenkrieg und die Slawenmission zu führen in der Lage war, so konnte er das als Kaiser noch viel besser. Die Rolle, die er als deutscher König auf diesem Gebiet spielte, sei unvollständig und unzureichend gewesen; erst die Erwerbung des Kaisertums habe ihm eine ausreichende Basis für die Missionspolitik im Osten gegeben. Daß es so war, soll die Geschichte der Entstehung des Erzbistums Magdeburg lehren. Tatsächlich ist die Gründung der Magdeburger Metropole das einzige wesentliche Ereignis in der slawischen Missionspolitik, das in einem gewissen Zusammenhang mit dem Akt vom 2. Februar 962 steht; man hat seine Beziehung zu diesem Akt denn auch in der letzten Zeit besonders nachdrücklich betont. Am 12. Februar 962 hat der Papst Johann XII. eine Urkunde erlassen, in der er Magdeburg zum Erzbistum erhob. Während vorher infolge des Widerspruchs des Bischofs Bernhard von Halberstadt die von Otto längst geplante Errichtung des Erzbistums unterbleiben mußte, wurde sie zehn Tage nach der Kaiserkrönung durch eine päpstliche Entscheidung verbrieft. Man meint infolgedessen, Ottos Zug nach Rom sei die Voraussetzung dafür gewesen, daß sein Magdeburger Plan Wirklichkeit wurde. Doch wenn man sich die Dinge etwas genauer ansieht, so zeigt sich ein ganz anderes Bild, und es bestätigt sich nur das, was sich oben bereits bei der Besprechung der Verurteilung Herolds von Salzburg sowie des Gandersheimer und des Merseburger Streites ergeben hat: auch für die Errichtung von Magdeburg ist die Kaiserpolitik so gut wie völlig belanglos gewesen. 3*
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Otto hat den Plan, Magdeburg zum Metropolitansitz zu machen, spätestens 955 gefaßt. Damals beabsichtigte er, das Bistum Halberstadt nach Magdeburg zu verlegen und zum Erzbistum umzugestalten. Er verhandelte deshalb mit dem Papst Agapet und erhielt seine Zustimmung. Dagegen protestierte Wilhelm von Mainz, dessen Kirchenprovinz durch das Ausscheiden von Halberstadt geschmälert worden wäre, in dem bereits erwähnten Brief an den Papst, in welchem er sich auch gegen andere Seiten der Kirchenpolitik seines Vaters wandte. In der nichtssagenden Antwort, die Agapets Nachfolger Johann XII. Wilhelm erteilte, nahm er die Zustimmung seines Vorgängers zu Ottos Plan keineswegs zurück. Otto gab seinen Plan aber trotzdem auf. Er beschloß, Halberstadt bei Mainz zu lassen und nur einen kleinen Teil der Halberstädter Diözese zum Sprengel des Magdeburger Erzbistums zu machen. Dagegen leistete jedoch Bernhard von Halberstadt Widerstand. Das hatte zur Folge, daß bis 962 überhaupt nichts geschah. Der Kaiser und die päpstliche Synode setzten sich dann am 12. Februar 962 über den Widerspruch des Halberstädter Bischofs hinweg. Aber nur auf dem Pergament. In der Wirklichkeit erfolgte jetzt genau so wenig wie vorher, und die Gründung Magdeburgs kam nicht zustande. Ja, im April 967 erklärte sogar eine in Anwesenheit des Kaisers und unter Leitung des Papstes tagende Synode zu Ravenna, die wieder der Errichtung Magdeburgs zustimmte, daß die Einwilligung des Halberstädters erforderlich sei. Der Papst Johann XIII. selbst stellte zwar eine neue Urkunde über die Gründung aus. Aber erst, nachdem der Halberstädter Bischof gestorben war und Otto als Preis der Investitur von seinem Nachfolger die Zustimmung erlangt hatte, wurde die Gründung wirklich perfekt und konnte der erste Erzbischof von Magdeburg ernannt werden. Man sieht: die Kurie hat vor der Kaiserkrönung der Gründung von Magdeburg genau so zugestimmt wie nachher. Was die Errichtung des Erzbistums hinauszögerte, war zunächst der Widerstand von Mainz, dann aber vor allem von Halberstadt; und der Widerstand des Halberstädter Bischofs 68
ließ sich nach der Kaiserkrönung so wenig überwinden wie vorher, oder wie sich vorher trotz der päpstlichen Einwilligung der Wilhelms von Mainz hatte überwinden lassen. Daß es aber Otto schließlich gelang, der Halberstädter Opposition Herr zu werden, hatte mit seinem Kaisertum nichts zu tun, sondern hing einfach mit seinem Investiturrecht zusammen, das er 968 genau so und mit denselben Folgen hätte ausüben können, wenn er nicht Kaiser gewesen wäre. Es ist also nichts davon zu bemerken, daß die entscheidenden Vorgänge bei der Entstehung des Magdeburger Erzbistums in ursächlichen Zusammenhängen mit Ottos Kaiserkrönung standen. Tatsächlich ist auch, wenn man sich die allgemeine rechtliche und politische Lage vergegenwärtigt, nicht einzusehen, warum das hätte der Fall sein sollen. An der Stellung des Papsttums zur Magdeburger Gründung konnte sich durch die Kaiserkrönung nichts Wesentliches ändern. Otto unterwarf die Slawen, er war dabei, sie zum Christentum zu bekehren und in dem neu gewonnenen Missionsgebiet die Kirche zu organisieren. Die Rolle, die der Kurie dabei von Haus aus zukam, war auf jeden Fall sehr bescheiden. Über ein letzten Endes nur formales Bestätigungsrecht ging sie schwerlich hinaus. Ein selbständiger Widerstand gegen Ottos Absichten kam nicht in Frage; dafür fehlte wie das Recht auch der Grund und die Macht. Welchen Grund sollte das geistliche Haupt der Christenheit haben, die Organisation der Slawenkirche zu verhindern? Und wenn der Papst wirklich einen Grund gehabt hätte, wie hätte er wagen können, sie wirklich zu verhindern, ohne daß er seine Stellung und sein Ansehen in Deutschland völlig aufs Spiel setzte ? Nun lagen die Dinge um 962 freilich insofern etwas anders, als Otto bei seinen Magdeburger Plänen auf eine deutsche Bischofsopposition stieß. Diese Opposition hatte das formale Recht auf ihrer Seite: da bei der Gründung Magdeburgs zunächst die Mainzer Kirchenprovinz und nachher der Halberstädter Sprengel geschmälert werden sollte, so war nach kanonischem Recht die Zustimmung der Inhaber der beiden Bistümer 69
erforderlich. Da sie ablehnten, so hätte sich der Papst als oberster Hüter des kirchlichen Rechts auf ihre Seite stellen können. Doch wenn er das auch getan hätte, an dem schließlichen Sieg der Krone hätte das schwerlich etwas geändert. Der deutsche König war in jedem Fall in der Lage, den Widerstand seiner Bischöfe zu brechen, spätestens bei der Neubesetzung ihrer Bistümer. Wie sich der Papst dabei verhielt, war letzten Endes gleichgültig. Er hat sich denn auch vor 962 gar nicht auf die Seite der Bischöfe gestellt, und dafür, daß er es nicht tat, dürfte unter anderm die Erkenntnis maßgebend gewesen sein, daß der König in einem Konflikt auf diesem Boden der Stärkere war. Andrerseits konnte auch bei dem Zusammenwirken von König und Papst der Widerstand von Mainz und Halberstadt schwerlich anders aus der Welt geschafft werden, als es dem König ohne den Papst auch möglich war. Die Synode von Ravenna 967 zeigt deutlich, wie wenig gegen das Recht und die Opposition der widerstrebenden Bischöfe auch nach der Kaiserkrönung zu machen war. Es ist wohl deutlich: für die Lösung der Magdeburger Frage war die Kaiserkrönung keine Voraussetzung. Doch die Geschichte der Gründung Magdeburgs weist noch einen anderen interessanten und für das Verhältnis von Kaiser und Papst bezeichnenden Zug auf. Man glaubt neuerdings, nachweisen zu können, daß der Plan der Gründung in der Zeit von 962 bis 968 eine wesentliche Änderung erfahren hat. Während das ursprüngliche Projekt Ottos, das 962 von Johann XII. anerkannt wurde, die Einbeziehung sämtlicher unterworfener und in Zukunft noch zu unterwerfender Slawen in die Magdeburger Provinz vorgesehen habe, habe Johann XIII. 967/68 der neuen Kirchenprovinz eine feste Grenze im Osten gegeben und vor allem Polen mit seinem eben damals entstehenden Bistum Posen nicht der Magdeburger Metropole unterstellt. Der Grund dafür sei gewesen, daß der Papst die kirchliche Expansion des deutschen Reiches im Osten eindämmen wollte. Er förderte angeblich zur Abwehr des deutschen Vordringens die Entstehung von Lan7°
deskirchen, ähnlich wie das die Kurie im neunten Jahrhundert in Mähren und wie sie es später im Norden und Osten getan hat oder getan haben soll. Ob zwischen dem Plan von 962 und seiner Ausführung 968 tatsächlich ein so großer Unterschied bestand, wie man hiernach behauptet, mag dahingestellt bleiben. Aber wenn der Unterschied vielleicht auch nicht ganz so groß gewesen ist, wie man meint, bestanden hat er wohl sicher. Daß es so war, dürfte freilich nicht allein auf den widerstrebenden Absichten der päpstlichen Politik beruhen, die Ottos Ansprüche einengten. Zum Teil beruhte es vermutlich auf der Lage im Osten selbst. Dort war gegen die Jahre um 962 eine grundlegende Wandlung eingetreten. An der Oder und Weichsel war unter dem Normannen Dago-Miseko ein christlicher Polenstaat emporgekommen. Dieses Staatswesen stand nach einer kurzen kriegerischen Berührung mit dem Markgrafen Gero in freundlichen Beziehungen zum Deutschen Reich. Seitdem Miseko Christ war, war er der Bundesgenosse des Kaisers im Kampf gegen die heidnischen Elbslawen. Wenn er auch Tribut zahlte, und wenn er auch, rechtlich gesehen, wenigstens für einen Teil seines Landes ein Vasall oder Klientelfürst des Reiches wurde, so mußte man doch politisch auf ihn Rücksicht nehmen, und es könnte sein, daß man das tat, indem man die Grenzen der Magdeburger Provinz vor seinem Lande haltmachen ließ. Doch wie sich das auch verhalten mag, daß diese Lösung auch den päpstlichen Wünschen entsprach, ist ein sehr naheliegender Gedanke, und daß man mit Widerständen und eigenen Absichten der Kurie zu rechnen hatte, dürfte sich unter anderm auch aus dem Ton der päpstlichen Urkunden für Magdeburg von 967/68 ergeben, die dem Kaiser gegenüber eine erheblich selbstbewußtere Sprache reden als die Urkunden von 962. Gerade diese selbstbewußte Sprache, die die Magdeburger Gründung weniger als eine Sache des Kaisers denn des Papstes und seiner Synoden hinstellte, zeigt, daß die päpstliche Politik Otto ausgerechnet nach der Kaiserkrönung durchaus nicht vorbehaltlos zur Verfügung stand. Dieses Moment könnte vielleicht auch bei der ausdrücklichen 7i
Betonung des Halberstädter Zustimmungsrechts auf der Ravennater Synode 967 mitgespielt haben. Auf jeden Fall lehren diese Vorgänge, daß man dem Kaiser nicht bloß da, wo er Hilfe brauchte, keine Hilfe gewähren konnte, sondern daß man sich nicht einmal völlig mit seiner Politik indentifizierte und hin und wieder eigene Wege ging. Das ist nicht verwunderlich. Wir wissen, Otto war zwar der Herr von Rom, aber er verfügte keineswegs restlos über die Stadt und das Papsttum. Dazu kam, daß er in den mittel- und süditalienischen Händeln häufig auf den guten Willen der Römer und des Papstes angewiesen war; das mußte die Stellung der Kurie ihm gegenüber noch stärken. Gerade Johann XIII. war nicht als Kandidat des Kaisers auf den Stuhl Petri gelangt, und seine Wahl war das Resultat eines Kompromisses zwischen dem Kaiser und einer römischen Adelspartei gewesen. Wenn der Papst im allgemeinen auch nicht so mächtig war, um einen renitenten deutschen Bischof, mit dem der Kaiser nicht fertig wurde, zum Nachgeben zu zwingen, so war er doch auch nicht so ohnmächtig, um dem Kaiser nicht gelegentlich Widerstand leisten und Schwierigkeiten machen zu können. Dieser Widerstand und diese Schwierigkeiten sind immer, entsprechend der Stellung des Papstes in der Welt, von der wir sprachen, verhältnismäßig geringfügig gewesen, und sie dürften nur dann in Frage gekommen sein, wenn sich der Kurie Bundesgenossen und geeignete rechtliche und politische Handhaben gegen den Kaiser anboten. Aber, und das ist für uns das Wesentliche, die selbständigen Regungen der päpstlichen Politik waren nach der Kaiserkrönung nicht kleiner als vorher, ja, es ist bezeichnend, daß das, was wir überhaupt von Widerständen wissen, die Otto durch den Papst erfuhr, erst in die Zeit nach der Kaiserkrönung fällt. (13) 3. D i e H e g e m o n i e in E u r o p a Es handelt sich eigentlich nur um eine Erweiterung der Auffassung, daß Otto Kaiser werden mußte, um die deutsche Kirche völlig zu beherrschen, wenn man sagt, er habe das 7Z
Kaisertum gebraucht, um die Hegemonie in Europa zu behaupten. Wir fragen hier nicht, ob der Kaiser als solcher der Herr des Abendlandes war. Daß das nicht der Fall war, haben wir schon besprochen. Wir befassen uns hier auch nicht mit der Frage, ob es die Vorbedingung von Ottos hegemonialer Stellung im Okzident war, daß er die übrigen Staaten der Welt vonRom undltalien abdrängte und an ihrer Stelle sich dort selbst festsetzte. Darauf werden wir noch zurückkommen. Es handelt sich hier nur um die Auffassung, daß Otto die Herrschaft über den Papst nötig hatte, um seine Vormachtstellung über die europäischen Länder zu behaupten: wie er auf dem Umweg über die Kurie die deutsche Kirche beherrscht haben soll, so soll er auf diesem Umweg auch Einfluß auf die Kirchen und damit auf das staatliche Gefüge der andern Länder Europas genommen haben. Doch so wenig die Herrschaft über den Papst wirklich geeignet war, die Herrschaft über die deutsche Kirche zu festigen und die Bistumsgründungen im Osten zu fördern, so wenig war sie dazu angetan, der Suprematie des deutschen Königs über das Abendland wesentlichen Vorschub zu leisten. Die Hegemoniestellung des deutschen Reiches über die abendländische Staatenwelt wurde, wie schon in einem anderen Zusammenhang angedeutet, längst vor der Kaiserkrönung Ottos gewonnen. Bereits Arnulf von Kärnten hatte sie am Ende der achtziger Jahre des neunten Jahrhunderts erlangt, ehe er nach Rom ging. Heinrich I. hatte dann wieder mit ihrem Aufbau begonnen. Unter Otto dem Großen war sie um die Mitte des zehnten Jahrhunderts vollständig erreicht, ohne daß man dabei den Umweg über Rom nötig gehabt hätte, und sie ist später wieder verloren gegangen, während die deutschen Könige Kaiser waren und über Rom und den Papst herrschten. Tatsächlich waren die Päpste nicht in der Lage, den deutschen Königen in ihrer europäischen Politik in einem nennenswerten Maße zu nützen. Im neunten Jahrhundert haben Lothar I. und noch mehr Ludwig II. die päpstliche Autorität gegen ihre Brüder und Oheime ins Feld zu führen versucht. Die Päpste sind für die beiden Kaiser nicht selten gegen Lud73
wig den Deutschen und Karl den Kahlen eingetreten. Aber sie haben nicht vermocht, ihnen wirklich zu helfen. Im zehnten Jahrhundert war die Situation nicht anders. Gewiß, in seinen Auseinandersetzungen mit Frankreich hat sich Otto der Große auch des Papsttums bedient. Seine Politik wurde auf Synoden unterstützt und propagiert, die von päpstlichen Legaten besucht und geleitet waren; die wichtigste und bekannteste davon ist das Ingelheimer Konzil von 948, das sich unter der Führung des Legaten Marinus für Ottos Vorgehen zugunsten Ludwigs IV. einsetzte. Doch gerade diese Synode beweist, daß der deutsche König die Unterstützung seiner Außenpolitik durch die Kurie bereits lange Jahre vor seiner Kaiserkrönung fand. Nicht anders als in der deutschen Kirchenpolitik war auch in diesen Dingen die Bundesgenossenschaft des Papstes zu gewinnen, ohne daß Otto in Rom gebot. Davon abgesehen aber zeigte sich gerade in seiner französischen Politik besonders deutlich, daß das Wort des Papstes und seiner Legaten, das zu seinen Gunsten gesprochen wurde, nirgends weiter reichte, als die Macht des deutschen Königs selbst. Gewiß soll der moralische und propagandistische Nutzen, den Otto von dem Eingreifen eines Gesandten St. Peters haben mochte, nicht unterschätzt werden. Doch es gilt hier dasselbe wie das, was bereits oben über die Haltung der deutschen Bischöfe gegenüber dem Papst gesagt war: wo die Kurie auf Widerstand stieß, fehlte ihr die Macht, ihn zu brechen. Aber wenn der Papst auch nicht in der Lage war, dem deutschen König zu einer hegemonialen Stellung in der Welt zu verhelfen, so könnte es doch Otto dieser hegemonialen Stellung schuldig gewesen sein, die Schutzherrschaft über den Papst zu übernehmen. Die Kaiserwürde, die Stellung eines Vogts von Rom, hat man gesagt, war der höchste Ausdruck des Führertums im Abendland, und Otto habe sich ihr nicht entziehen können, ohne die Erwartungen der Christenheit zu enttäuschen und damit sein eigenes Ansehen schwer zu schädigen. Vor allem würde die Ablehnung des päpstlichen Hilferufs von 961 die stärkste Gefährdung seines Prestiges bedeutet haben. 74
Es ist, wie wir bereits sahen, nicht zu bestreiten, daß sich in der Kaiserwürde der hegemoniale Charakter einer Herrschaft besonders deutlich ausdrückte. Aber man darf nicht vergessen, daß das vom Papst verliehene Kaisertum während des letzten Jahrhunderts jeden politischen und moralischen Kredit verloren hatte. Es war ein Schatten seiner selbst geworden, und seit mehr als einem Menschenalter war es verschwunden und fast vergessen. Von einer Sehnsucht nach seiner Wiederkehr läßt sich in der Welt des zehnten Jahrhunderts wenig bemerken, und wir haben bereits gesehen, daß damals mindestens so sehr wie die Vorstellung von dem in Rom erworbenen Kaisertum die Vorstellung eines unabhängig von Rom und vom Papst errichteten Kaisertums lebendig war. Wenn man das Bedürfnis hatte, die Hegemoniestellung des deutschen Königs mit einem Kaisertitel zu bezeichnen, so hätte man, ähnlich wie es in England geschah, dazu greifen können, ohne nach Rom zu gehen. Im übrigen ist der Hilferuf, den Johann XII. an Otto gelangen ließ, nach allem, was wir wissen, vom Papst selbst wenig ernst gemeint gewesen. Er war ihm vermutlich von einer Partei, die zu seinen eigenen Traditionen im Widerspruch stand, abgepreßt, und jedenfalls zeigen die Vorgänge von 963 deutlich genug, daß ihm die deutsche Hilfe mehr lästig als lieb war. Wenn Otto 961 abgelehnt hätte, so hätte er den Papst schwerlich enttäuscht, und man wird vermuten können, daß der Kurie ein diplomatischer Druck auf Berengar von Seiten des deutschen Königs lieber gewesen wäre, als Ottos Erscheinen in Mittelitalien. Man wird auch weiter fragen müssen, ob es Ottos Ansehen in der Christenheit wirklich in jeder Hinsicht dienlicher war, wenn er in Rom alsbald in Konflikte mit der Kurie geriet und den Papst, der ihn angeblich gerufen hatte, in einem zweifelhaften Verfahren absetzen mußte, als wenn er ihn sich selbst überlassen hätte. Und schließlich wird man sich erinnern müssen, daß die Nöte und Bedrängnisse des Papsttums und seiner Vertreter das christliche Abendland im neunten und zehnten Jahrhundert im allgemeinen nur wenig berührten. Selbst der Eindruck, den die Plünderung Roms durch die Sarazenen 846 75
gemacht hatte, hatte nördlich der Alpen nicht tiefer gewirkt, als daß man einige Gelder zur Instandsetzung der Befestigungen nach Rom schickte; auf eine kriegerische Hilfe hatte sich niemand eingelassen. Daran, daß Päpste verfolgt, gestürzt, eingekerkert und ermordet wurden, hatte man sich spätestens seit dem Ende Johanns VIII. gewöhnt; man nahm kaum noch Notiz davon. Ludwig der Stammler, Karl III. und Arnulf von Kärnten haben es in einigen Fällen vermieden, auf päpstliche Hilferufe einzugehen, ohne daß das ihrem Ansehen geschadet hätte. Warum sollte man sich jetzt besonders beunruhigen, wenn Johann XII. (noch dazu infolge seiner eigenen fahrigen und aggressiven Politik) in eine schwierige Lage geriet, und wenn der deutsche König ihn nicht oder höchstens durch Drohungen an die Adresse seiner Gegner unterstützte, durch Drohungen, die noch dazu wahrscheinlich sehr rasch zum Ziel geführt hätten? (14) 4. D i e S i c h e r u n g der süddeutschen Stämme Es war die Herrschaft über die Kurie, die Otto angeblich brauchte, um der deutschen Bischöfe sicher zu sein, um die kirchliche Organisation in den Slawenländern zu vollenden und um seine Hegemonie in Europa zu festigen. Die Eroberung des Langobardenreiches spielt in diesen Zusammenhängen nur insofern eine Rolle, als sie die Vorbedingung für den Besitz von Rom war. Dagegen steht die Frage nach der Bedeutung von Ottos Langobardenpolitik im Vordergrund bei der Behauptung, daß das Eingreifen des deutschen Königs im Süden notwendig gewesen sei, um die beiden süddeutschen Herzogtümer im Gefüge des Reiches zu erhalten. Es soll das Ziel der Herzöge von Schwaben und von Bayern gewesen sein, die Langobardenkrone, womöglich auch die Kaiserkrone zu gewinnen. Ein süddeutscher Herzog, der in Pavia oder gar in Rom herrschte, hätte aber die Einheit des Reiches gesprengt. Um das zu vereiteln, mußte Otto über die Alpen gehen: ein König, „der eine schwäbische oder bayerische Italienpolitik verhindern wollte, mußte sie selbst machen."
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Sowohl die Bayern wie die Schwaben haben ein altes, traditionelles Interesse an Italien gehabt, das sich zum Teil bis in die Zeit der Völkerwanderung zurückverfolgen läßt. Wenn auch jahrhundertelang eigentliche Versuche der Süddeutschen, jenseits der Alpen Annexionen zu machen, nicht festzustellen sind, so haben doch die auf Bayern und Schwaben beschränkten karolingischen Kleinkönigtümer in dem Jahrzehnt nach dem Tode Ludwigs des Deutschen eine Eroberungspolitik in Italien getrieben, und die bayrischen und schwäbischen Herzöge der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts sind ihnen darin bis zu einem gewissen Grade gefolgt. Wie erinnerlich, hat Burchard II. von Schwaben seinen Schwiegersohn Rudolf II. von Hochburgund in Italien unterstützt, und Liudolf hat kurz vor Ottos des Großen Italienzug dort einzudringen versucht. Arnulf von Bayern hat 934 seinen Sohn Eberhard in Pavia zum König krönen lassen, und Heinrich von Bayern ist vor 950 nach dem Süden vorgestoßen und hat Aquileja genommen. Wie man sieht, wissen wir mit Sicherheit freilich nur von einem der süddeutschen Herzöge, daß sein Ziel die Gewinnung des Langobardenreiches war, von Arnulf von Bayern; und auch von ihm erfährt man nicht, ob er das eroberte Langobardenreich mit seinem Herzogtum verbinden, oder ob er es selbstständig unter seinem Sohn weiterbestehen lassen wollte. Ob die Absichten der andern Herzöge, die in Italien eingriffen, auch so weit gingen wie die Arnulfs — von der Kaiserkrone ganz zu schweigen — ist nicht bekannt. Doch ob es nun wirklich der Fall war oder nicht, sie alle sind in Italien nicht weit gekommen. Wenn man von Heinrichs Zug nach Aquileja absieht, sind sämtliche süddeutschen Herzöge gescheitert. Burchard II. ist vor Novara umgekommen, Liudolf mußte umkehren, ohne etwas ausgerichtet zu haben, und das Königtum Eberhards von Bayern brach sofort wieder zusammen. Es soll nicht bestritten werden, daß es eine große Gefahr für den Bestand des Reiches gewesen wäre, wenn es einem süddeutschen Herzog wirklich gelang, Italien mit seinem Stammland zu verbinden. Doch offenbar waren die Aussichten, daß 77
es gelang, nicht groß. Aber selbst, wenn sie größer gewesen sein sollten, als sie anscheinend tatsächlich waren, so dürfte es dem König nicht schwer gefallen sein, ihre Realisierung und eine Sprengung des Reichsverbandes zu verhindern, auch ohne daß er selbst über die Alpen ging. Zweifellos wurde zwar dadurch, daß Otto Italien erwarb, den süddeutschen Herzögen der Weg dahin versperrt. Aber es ist nicht richtig, daß die Gewinnung Italiens für Otto das einzige Mittel war, um die Schwaben und Bayern von dort fernzuhalten. Wenn die Macht eines süddeutschen Herzogs im allgemeinen nicht groß genug war, um Italien zu erobern, mußte es dann für den König nicht ein Leichtes sein, in jedem Fall seinen Eroberungsabsichten einen Riegel vorzuschieben? In Italien leistete man einer Annexion durch die Süddeutschen Widerstand, und es ist keine Frage, daß auch der größte Teil der süddeutschen Aristokratie (vor allem der Episkopat), wenn vielleicht auch nicht der italienischen Politik ihrer Herzöge, so doch einer Sprengung des Reiches ablehnend gegenüber stand. Den süddeutschen Großen lag nichts daran, die Herrschaft des deutschen Königs mit der viel nähern und unbequemem des Herzogs zu vertauschen, und noch weniger lag ihnen daran, sich etwa von Pavia her regieren zu lassen. Bei einem Versuch des Herzogs, sie aus dem Reich zu lösen, hätten sie auf der Seite des Königs gestanden. Doch davon ganz abgesehen, —mochten in der ersten Zeit Heinrichs I. die Herzöge auch noch eine verhältnismäßig selbständige Stellung gehabt haben, seitdem hatte die Macht der Krone in den Herzogtümern das Übergewicht erlangt, und seit 926 war der Herzog von Schwaben, seit 938 war der Herzog von Bayern im allgemeinen nach keiner Richtung mehr in der Lage, gegen den Willen des Königs eine eigene Außenpolitik zu treiben. Es ist bezeichnend, daß der einzige Herzog, der im Süden Erfolg hatte, Heinrich von Bayern, im Einvernehmen mit Otto handelte. Andererseits wissen wir, daß Liudolfs Unternehmen 951 daran scheiterte, daß die Diplomatie Heinrichs von Bayern ihm in Italien Schwierigkeiten machte. Wenn aber das diplomatische Eingreifen eines
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deutschen Herzogs genügte, um die Itälienpolitik eines anderen matt zu setzen, um wieviel eher mußte das dann dem König gelingen. Als Otto 961 nach Italien aufbrach, war er über zwei große Aufstände der deutschen Herzöge Herr geworden. Er hatte es sich erlauben können, das Herzogtum Franken nicht wieder zu besetzen, das Herzogtum Lothringen durch einen Erzbischof regieren zu lassen und es schließlich zu teilen. Er hatte vor wenigen Jahren dem Herzog von Bayern das Herzogtum gerettet und den von Schwaben durch einen andern ersetzt. Soll er unter diesen Umständen wirklich eine, noch dazu bei jedem bisherigen Versuch erfolglose, Italienpolitik der beiden süddeutschen Herzöge nur dadurch haben verhindern können, daß er sie selbst machte? ( I J ) 5. D i e außenpolitische S i c h e r u n g des R e i c h e s Es war schon eines der wesentlichsten Argumente Fickers, und es ist nach ihm oft wiederholt worden, daß Otto in Pavia und Rom, wohl auch in Capua und Benevent eingreifen mußte, um das Deutsche Reich vor einer schweren außenpolitischen Bedrohung zu retten. Es habe die Gefahr bestanden, daß sich irgendeine andere Macht jenseits der Alpen festsetzte. Infolge ihrer Stellung in Italien wäre diese Macht dann in die Lage gekommen, eine europäische Hegemonie zu errichten und damit zum mindesten die Bewegungsfreiheit des Reiches zu hemmen, womöglich seine Existenz zu zerstören. Als Staaten, die für eine derartige Rolle in Betracht kommen sollten, hat man alle Staaten in Betracht gezogen, die im zehnten Jahrhundert in Italien oder in seinem Umkreis Fuß faßten, Interessen hatten oder haben konnten: die Sarazenen, die Griechen, die Burgunder und die Franzosen. Man hat neuerdings betont, daß es im zehnten Jahrhundert nur eine Frage der Zeit zu sein schien, wann den Arabern die ganze Apenninhalbinsel als Beute zufiele. Ihren Angriff, der im Osten einst durch Leo den Isaurier, im Westen durch Karl Martell zurückgeschlagen wurde, habe im Zentrum erst Ottos 79
Italienpolitik zum Stehen gebracht; erst durch ihn sei die Kraft des Islams endgültig gebrochen worden. Otto habe damit die größte politische Aufgabe des Jahrhunderts gelöst und das christliche Abendland vor dem Untergang gerettet. Wenn in solcher Betonung und Zuspitzung die Meinung von der Rettung des Abendlandes aus der Arabergefahr durch Otto I. auch nur vereinzelt auftritt, so werden doch ähnliche Ansichten in milderer Form nicht selten geäußert. Nun ist keine Frage, daß der Islam im zehnten Jahrhundert noch eine bedeutende Macht war. Aber diese Macht war in sich zerfallen. Die Omajaden in Spanien bekämpften die Aglabiden und dann die Fatimiden in Tunis und Sizilien, und diese wieder wurden von Ägypten her befehdet, von den Gegensätzen der Sarazenen Vorderasiens gegen die im Westen ganz zu schweigen. In den Kämpfen gegen Sizilien und Italien haben die Sarazenen im Laufe des neunten Jahrhunderts eine Reihe von Fortschritten und Erfolgen erzielt. 902 wurde die Eroberung Siziliens abgeschlossen, und der Vollender dieser Eroberung, der Emir Ibrahim, hat wohl damit geprahlt, daß er nicht eher ruhen werde, als bis er Rom genommen habe. Aber er ist noch 902 gestorben, und die Operationen der Sarazenen in Süditalien sind danach nicht über Plünderungen der Küstenländer hinausgekommen. Die einzigen Stützpunkte, die sie auf dem Festlande besaßen, und von denen aus sie es freilich oft genug belästigten, waren am Garigliano in der Nähe von Gaeta und in Fraxinetum, das ist La Garde-Frainet, in der Provence. Aber beide Punkte wurden nur von unabhängigen sarazenischen Räuberbanden gehalten; man kann sie keineswegs als Vorposten einer islamitischen Großmacht betrachten. Dem Unwesen am Garigliano wurde 916 von einer Alliance, an der außer süditalienischen Städten und Fürsten auch der Papst und die Griechen beteiligt waren, ein Ende gemacht. Bereits in den achtziger Jahren des neunten Jahrhunderts hatten die Griechen Apulien und Calabrien, wo sich die Sarazenen schon einmal festgesetzt hatten, von ihnen gesäubert. Jedenfalls hat sich im neunten und in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts immer wieder gezeigt, daß die 80
süd- und mittelitalienischen Mächte durchaus in der Lage waren, mit ihnen fertig zu werden und sie im großen und ganzen von Italien fernzuhalten. Daß ihnen das trotz ihrer Uneinigkeit immer wieder gelang, ist ein Beweis dafür, daß die Gefahr nicht groß war. Um die Mitte des Jahrhunderts war sie auf jeden Fall längst gebannt, und man hatte von den Sarazenen in Italien weiter nichts auszustehen als einige unangenehme Plünderungen an den Küsten und die Räubereien der Besatzung von La Garde Frainet, die sich freilich nicht bloß in Norditalien, sondern auch in Burgund und sogar im südlichen Schwaben bemerkbar machten. Otto der Große hat weder direkt noch indirekt gegen die Sarazenen gekämpft. Das einzige Mal, daß eine kriegerische Aktion gegen die Araber wenigstens als Programm in seiner Geschichte eine Rolle spielte, war 968, als er den sächsischen Fürsten aus Capua schrieb, er gedenke auf dem Rückweg von Italien nach Fraxinetum zu kommen. Tatsächlich aber ist er nicht dahin gelangt, und erst nach seinem Tode ist das Räubernest ausgenommen worden, und zwar nicht etwa vom Nachfolger des Kaisers, sondern vom Grafen von Arles. Auch später hat das Kaisertum in Italien den Sarazenen gegenüber nicht mehr geleistet. Der einzige Kaiser, der wirklich gegen sie vorging, Otto II., erlitt die Niederlage von Cotrone. Aber sie änderte im Grunde nichts an den bestehenden Verhältnissen. Endgültig wurde die sarazenische Frage bekanntlich erst durch die Normannen gelöst. Zweifellos haben die Griechen in der italienischen Politik des zehnten Jahrhunderts eine größere Rolle gespielt als die Sarazenen. Daß aber auch sie nicht in der Lage waren, über ihre Positionen im Süden der Halbinsel hinaus nach Norden vorzudringen, haben wir bereits in einem anderen Zusammenhang gesehen. Weder Rom noch Pavia war von ihnen bedroht und mußte vor ihnen durch Otto gerettet werden. Die Franzosen sind im neunten Jahrhundert unter Karl dem Kahlen nach Italien gegangen und haben 875 für nicht ganz zwei Jahre das Kaisertum erworben. Aber sie haben schlechte L i n t z e l , Die Kaiserpolitik
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Erfahrungen damit gemacht; die fran2ösischen Großen waren im neunten Jahrhundert der Italienpolitik gründlich abgeneigt, und unter Karls Nachfolger haben sie ein neues Eingreifen auf der Apenninhalbinsel abgelehnt. Auch im elften Jahrhundert macht sich in Frankreich eine gewisse Zurückhaltung bemerkbar. Französische Kandidaturen für den lombardischen Thron, die man von Italien her propagierte, wurden in Frankreich selbst nicht angenommen oder bald aufgegeben. Ob im zehnten Jahrhundert eine größere Neigung bestand, den Spuren Karls des Kahlen zu folgen, ist schwer zu sagen. Immerhin hätten die französischen Karolinger gewisse Erbschaftsansprüche geltend machen können, und wenigstens nach Südosten, nach Vienne und Burgund, lassen sich tatsächlich Ausdehnungsversuche bemerken. Aber auch Frankreich war nicht wirklich imstande, in Italien einzugreifen, und am wenigsten vermochte es das gegen den Willen Ottos des Großen. Das französische Königtum war im zehnten Jahrhundert ohnmächtig und durch innere und äußere Schwierigkeiten gefesselt. Vor allem war es vollständig auf den deutschen König angewiesen. E r schützte den französischen Herrscher gegen seine Vasallen, er war der Schiedsrichter zwischen den französischen Parteien, und es konnte in Frankreich kaum etwas geschehen, das er nicht billigte. Ein französicher Zug nach Italien kam ohne sein Einverständnis nicht in Frage. Zudem wurde Frankreich durch Burgund von den italienischen Grenzen getrennt, und das burgundische Königreich stand noch mehr als das französische unter der Aufsicht und der Herrschaft Ottos. Daß unter den Verhältnissen Burgund für eine selbständige Italienpolitik erst recht nicht in Betracht kam, bedarf weiter keiner Erörterung. Selbst aber, wenn es, wie es früher einige Male geschehen war, den von Haus aus recht machtlosen K ö nigen des kleinen Landes gelungen wäre, sich dort festzusetzen, so hätte sich eine Bedrohung der deutschen Stellung und der deutschen Interessen daraus schwerlich entwickeln können. Die einzige politische Kombination, die in der Zeit Ottos des Großen eine gewisse Möglichkeit, vielleicht sogar Wahr82
scheinlichkeit der Verwirklichung für sich hatte, und mit der ein Staatsmann der Zeit rechnen konnte oder mußte, war die, daß es dem Langobardenkönig über kurz oder lang gelang, sich zum Herrn von Rom zu machen und damit zur überragenden Macht auf der Halbinsel aufzusteigen. Zwar dürfte auch diese Gefahr längst nicht so nahe und bedrohlich gewesen sein, wie man aus dem Hilferuf Johanns XII. an Otto etwa schließen könnte. Obgleich die Herrschaft über Rom ein traditionelles Ziel der langobardischen Politik war, so sind doch weder die Könige des alten noch die des neuen Langobardenreiches wirklich dahin gelangt. Noch Berengar von Friaul hat in Rom weiter nichts als einen leeren kaiserlichen Namen besessen, und König Hugo, seit langem der mächtigste der norditalienischen Könige, ist trotz wiederholter Versuche gegen Rom gescheitert. Jedem Vordringen des Herrn von Pavia stellte sich, außer dem Widerstand der Römer selbst, die Rivalität der Fürsten von Toskana und Spoleto hindernd in den Weg, und der Papst konnte in ihnen und anderen mittelitalienischen Großen immer Bundesgenossen gegen die Langobarden finden. Berengar von Ivrea würde das auf die Dauer vermutlich auch erfahren haben. Aber selbst, wenn ihm die Gewinnung von Rom und damit die Kaiserkrönung geglückt wäre, was hätte das für den deutschen König bedeutet? Seitdem es ein Ostfränkisches und dann ein Deutsches Reich gab, hatte Rom, abgesehen von den kurzen Ausnahmen von 881 bis 887 und von 896, stets unter fremder, nichtdeutscher Herrschaft gestanden. Ob der Herr von Rom zugleich wie Lothar I. und Ludwig II. König von Italien war, ob er, wie Wido, in Mittelitalien herrschte, oder ob er, wie Alberich, nur im Kirchenstaat gebot, war letzten Endes ziemlich nebensächlich. Die Stellung des deutschen Königs, des deutschen Staates und der deutschen Kirche wurde dadurch nicht angefochten und konnte dadurch auch nach dem, was wir über die Bedeutungslosigkeit der Päpste in der Kirche dieser Zeit gesehen haben, nicht angefochten werden. Und ob der Mann, der in Rom gebot, sich Senator und Patricius, oder ob er sich Kaiser nannte, das durfte dem deutschen König nach dem, was die Welt von 6*
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den Kaisern Wido, Lambert, Berengar usw. erfahren hatte, erst recht gleichgültig sein. Doch wie es auch mit der Herrschaft über Rom stand, und ob nun in Italien eine nichtdeutsche Fremdherrschaft drohte oder nicht, man hat gemeint, der deutsche König habe unter allen Umständen das Langobardenreich in seine Hand bringen müssen, weil sonst die Gefahr bestand, daß Deutschland vom Welthandel abgesperrt wurde: eine fremde Macht habe dem Deutschen Reich die Handelswege nach Venedig und zu den großen Verkehrsstraßen des Welthandels der Zeit schließen können. Welche Bedeutung Handel und Verkehr für die Politik des zehnten Jahrhunderts hatten, ist schwer zu sagen. Was wir von Beziehungen Ottos zu Venedig wissen, spricht nicht dafür, daß diese Dinge eine große Rolle gespielt haben. Aber mag sie auch erheblich größer gewesen sein, als die Quellen erkennen lassen — daß der deutsche König auf der Apenninhalbinsel herrschen mußte, damit der deutsche Kaufmann dort Handel treiben konnte, ist eine unwahrscheinliche These. Man hat schon mit Recht eingewandt, daß der deutsche Handel mit Italien und über Italien hinaus nie fruchtbarer gewesen ist als im späten Mittelalter, also zu einer Zeit, in der die deutsche Herrschaft im Süden erloschen war. Und warum im zehnten Jahrhundert die Italiener den Deutschen die Handelsstraßen sperren oder ihnen überhaupt handelspolitische Schwierigkeiten machen sollten, ist nicht recht einzusehen. Der König verfügte direkt und durch seine Schutzherrschaft über Burgund indirekt über fast sämtliche Alpenpässe. Berengar von Friaul hat sich um ein gutes Verhältnis zu Arnulf von Kärnten und wahrscheinlich auch zu seinen Nachfolgern bemüht. König Hugo hat Heinrich I. und Otto dem Großen Geschenke, ja wohl sogar Tribute geschickt, und er hat sie immer wieder seiner Freundschaft versichert. Wenn das Verhältnis Berengars von Ivrea zum deutschen Hofe im allgemeinen beträchtlich schlechter war, so lag das an den Forderungen, die von Anfang an gegen ihn von deutscher Seite erhoben wurden: sofort nach der Thronbesteigung des Markgrafen von Ivrea hat ihm Otto die Krone bestritten. Aber es ist klar, 84
daß die politische Vernunft jedem Machthaber in Pavia gebot, sich mit dem übermächtigen Herrscher im Norden der Alpen gut zu stellen, und daß er sich hüten mußte, ihn durch handelspolitische oder andere Schikanen zu reizen, Schikanen, die ihm selbst vermutlich keinen Gewinn, sondern nur Schaden bringen konnten. (16)
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IV. K A P I T E L
NACHTEILE UND OPPOSITIONELLE REGUNGEN i. Inncrpolitische Nachteile Otto ist durch seine italienischen Unternehmungen alles in allem ungefähr zehn Jahre vom deutschen Boden ferngehalten worden. In einer Zeit, in der die Staatsgewalt in erster Linie durch die Person des Königs repräsentiert wurde, und in der ihre Ausübung, die Wahrnehmung ihrer Rechte und die Aufsicht über den staatlichen Apparat in stärkstem Maße von der Anwesenheit des Herrschers abhing, war das zweifellos eine bedenkliche Erscheinung. Gewiß, in wichtigeren Angelegenheiten holte man Ottos Entscheidung aus Italien ein, und im übrigen wurde er durch zuverlässige Reichsverweser, wie Brun von Köln und Wilhelm von Mainz, vertreten. Aber es versteht sich von selbst, daß sich eine wirklich aktive Innenpolitik größeren Stils während der langen Abwesenheit des Herrschers nicht durchführen ließ. Während des ersten Italienzuges ist es auf deutschem Boden offenbar zu hochverräterischen Umtrieben Liudolfs und seiner Anhänger gekommen. Diese Umtriebe waren es zum guten Teil, die im Spätwinter 952 Otto zur Rückkehr nach Deutschland veranlaßten. Mindestens die Wurzeln des großen Bürgerkrieges von 953 und 954 reichen in diese Zeit zurück, und man kann wohl sagen, daß der Bürgerkrieg letzten Endes durch das italienische Unternehmen Ottos wenn auch nicht allein verursacht, so doch mitbedingt und ausgelöst worden ist. Der Italienzug von 951 komplizierte und verschärfte die innerdeutsche Lage, vor allem das Verhältnis zwischen dem König 86
und den Herzögen. Doch Otto wurde derBewegung schließlich Herr, und das Resultat war schwerlich eine Schwächung, sondern im ganzen wohl eher eine Stärkung der königlichen Gewalt. Von so gefahrdrohenden Erschütterungen, wie sie von Liudolfs Auftreten im Winter 951/52 ausgingen, ist während der späteren Züge Ottos nach Italien nichts zu bemerken. Aber ganz ruhig ist es auch jetzt nicht geblieben. Wichmann, ein sächsischer Großer und Verwandter des Königs, der ihm schon oft Schwierigkeiten gemacht hatte, empörte sich während Ottos zweitem und drittem Aufenthalt im Süden von neuem, und Widukind von Korvey versichert ausdrücklich, daß es die längere Dauer von Ottos Fernsein war, was ihm den Mut gab, wieder zu den Waffen zu greifen. Wichmann wurde, vor allem durch das Verdienst des Herzogs Hermann, unschädlich gemacht, und er fiel 967 im Kampf gegen die Polen. Doch sein Aufstand dürfte nicht die einzige innerpolitische Beunruhigung gewesen sein, die in diesen Jahren auftauchte. Widukind berichtet, als sich Otto 972 auf dem Rückweg nach Deutschland befand, sei zu ihm das Gerücht gedrungen, viele Sachsen wollten sich gegen ihn empören, und nach der Ansicht des Mönches hat den Kaiser dieses Gerücht veranlaßt, seine Rückkehr zu beschleunigen. Widukind beeilt sich, das Gerücht zu dementieren, und er versichert, die Sache sei bedeutungslos gewesen. Ob sie das wirklich war, wissen wir nicht, und Widukinds Nachricht dürfte auf jeden Fall beweisen, daß die Stimmung in Sachsen dem Kaiser keineswegs durchweg günstig war. Otto hat während seiner beiden Römerzüge dem Herzog Hermann in Sachsen eine Art Stellvertretung überlassen, aus der sich dann das Billungische Herzogtum entwickelte. Der mächtigste Mann in Sachsen nach oder neben Hermann aber war der Markgraf Gero, und man bekommt den Eindruck, daß die beiden Fürsten keineswegs immer einer Meinung waren, sondern häufig miteinander rivalisierten. Vor allem ihr Auftreten gegen Wichmann und in der Slawenpolitik ist offenbar nicht von den gleichen Ansichten und Zielen bestimmt gewesen. Solange der König im Lande war, war für einen Ausgleich
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dieser Spannungen gesorgt; er hatte dann die Entscheidung. In seiner Abwesenheit aber fehlte dieser Ausgleich, und es dürften sich die wichtigsten und stärksten politischen Kräfte in Sachsen nicht selten gegenseitig lahmgelegt und aufgehoben haben. Doch noch mehr. Im Januar 968 befahl Otto von Capua aus dem Herzog Hermann und den übrigen sächsischen Fürsten, mit den Redariern keinen Frieden zu schließen, sondern bis zu ihrer Vernichtung weiterzukämpfen. Der sächsische Landtag in Werla beschloß indessen unter der Leitung Herzog Hermanns etwas anderes. Man hielt an der schon erfolgten Verständigung mit den Redariern fest. Dieser Beschluß wurde mit der Unmöglichkeit begründet, gegen die Redarier weiter zu fechten, da ein Däneneinfall drohte, und es mag sein, daß er sachlich berechtigt war. Aber ob nun Otto im fernen Capua etwas Unmögliches anordnete oder nicht, auf jeden Fall kam es zu einer Meinungsverschiedenheit, in der man sich über seinen Willen hinwegsetzte, und das dürfte nicht zur Stärkung seiner Autorität beigetragen haben. Aus den folgenden Jahren erfahren wir von einem anderen merkwürdigen Zwischenfall. In Magdeburg wurde Herzog Hermann von dem Erzbischof Adalbert mit Glockengeläut und brennenden Kerzen empfangen und wie ein König geehrt, worauf Otto von Italien aus den Erzbischof mit einer Buße belegte. So wenig wir über die Hintergründe dieses Vorfalls Bescheid wissen, so ist er doch ein deutliches Symptom dafür, daß in Sachsen das Ansehen Hermanns mehr wuchs und jedenfalls vom Erzbischof mehr respektiert wurde als es dem König lieb war. Der Vorgang beweist dasselbe wie der Beschluß von Werla. Die lange Abwesenheit Ottos mußte dazu führen, die Selbständigkeit der lokalen Gewalten in Sachsen zu vergrößern, und sie hat zweifellos dazu geführt. Die Verbindung des Königtums mit dem alten Stammland der Ottonen begann sich zu lockern. Wenn in Sachsen das Liudolfingische Herzogtum allmählich durch das Billungische abgelöst wurde, so dürfte das wenigstens zum Teil eine Folge der Italienpolitik sein, durch die die Dynastie dem Norden entfremdet wurde. 88
Es ist eine Ausnahme, wenn die Quellen von Ereignissen, wie wir sie eben besprachen, überhaupt etwas berichten. Sie sind im allgemeinen zu dürftig, als daß sie uns über derartige Dinge informierten, und man wird annehmen können, daß ähnliche Vorgänge, wie die, welche sie erzählen, öfter geschehen sind. Vor allem, wie sich in Sachsen gewisse Widerstände gegen den König bemerkbar machten, so dürften sie sich auch in den anderen Herzogtümern und Landschaften, über die wir noch beträchtlich schlechter unterrichtet sind, geregt haben. Zweifellos muß man sich hüten, das alles zu überschätzen. Zu einer ernsthaften Krise ist es offensichtlich nicht gekommen, und im ganzen blieb die deutsche Stellung Ottos während seiner Abwesenheit in Italien unerschüttert. Wie weit aber andererseits, wenn der König die auf die italienischen Unternehmungen verwandten Energien auf die innere Politik gerichtet hätte, der Ausbau der königlichen Machtstellung in Deutschland über den unter Otto wirklich erreichten Stand hinaus sich hätte vervollkommnen lassen, ist sehr schwer zu sagen. Wir können kaum abschätzen, ob bei den nun einmal bestehenden Machtverhältnissen und den die Zeit beherrschenden Vorstellungen von Staatsgewalt und Widerstandsrecht mit dem, was der Kaiser etwa bis 961 an innerpolitischen Machtpositionen gewonnen hatte, nicht bereits der Höchststand des überhaupt Erreichbaren erreicht war. Aber man wird doch zugeben müssen, daß das, war wir über die Vorgänge in Sachsen während der Italienzüge wissen, wieder eine gewisse rückläufige Bewegung, eine Abbröckelung von der bis 961 gewonnenen Machtfülle des Königs bedeutete. (17) 2. D i e L a g e im Osten und N o r d e n Die deutsche Vormacht in Dänemark, vor allem aber die politische und kirchliche Organisation, die Otto der Große in den Slawenländern rechts der Elbe eingerichtet hatte, ist kurz vor dem Tode Ottos II. zusammengebrochen. In dieser Katastrophe haben die Kritiker der Kaiserpolitik immer wieder die Folge des Übergreifens der Ottonen nach Italien gesehen. Tat89
sächlich scheinen sich die verhängnisvollen Folgen der deutschen Anstrengungen im Süden in dem Zusammenbruch von 983 besonders deutlich zu zeigen, und es erhebt sich jedenfalls die Frage, wie weit die Politik Ottos des Großen für die Katastrophe dieses Jahres verantwortlich zu machen ist. Man hat zwar nicht selten die Vorstellung, daß, als Otto 951, oder wenigstens, als er 961 nach Italien aufbrach, die deutsche Herrschaft in den Slawenländern vollständig gesichert war. Doch das war nicht der Fall. Weder die Marken- noch die Bistumsorganisation, die Otto rechts der Elbe eingerichtet hatte, bedeutete die Vollendung und den Abschluß der Unterwerfung und Christianisierung der Elbslawen. Vielmehr sollten die Marken und die Bistümer erst der Vollendung der Eroberung und Christianisierung dienen. Zwar ist 963, also gerade während Ottos zweitem Aufenthalt in Italien, die deutsche Oberhoheit bis zur Warthe ausgedehnt worden. Der Beherrscher des polnischen Staates, der Normanne Dago-Miseko, wurde 963 für das Land westlich der Warthe von Gero tributpflichtig und wohl auch zum Vasallen des deutschen Königs gemacht. Aber man kann ihm gegenüber, wie wir schon sahen, doch nur mit starken Einschränkungen von einer deutschen Herrschaft sprechen. Widukind bezeichnet Miseko als arnicus imperatoris, und tatsächlich scheint er eine recht selbständige Stellung behauptet und mehr die Rolle eines Bundesgenossen als eines Untergebenen gespielt zu haben; jedenfalls hat man sich seiner Hilfe gegen die Elbslawen bedient. Und daß die Beziehungen keineswegs immer so waren, wie man in Deutschland wünschte, ergibt sich daraus, daß 971 oder 972 Geros Nachfolger, der Markgraf Hodo, einen Feldzug gegen Miseko unternahm; daß Hodo bei der Gelegenheit geschlagen wurde, ist ein Beweis für die Unzulänglichkeit der deutschen Position. Gewiß ist keine Frage, daß die deutsche Oberhoheit gegenüber den näher an den Reichsgrenzen sitzenden Elbslawen erheblich mehr stabilisiert war als gegenüber den Polen. Aber auch da war die Lage keineswegs zufriedenstellend. Das beweisen einmal die immer wieder ausbrechenden Kämpfe. Otto 90
selbst ist in der letzten Zeit vor dem zweiten Italienzug fast Jahr für Jahr gegen die Slawen zu Felde gezogen, und wenn während seiner Abwesenheit die Kriegszüge im Osten seltener wurden, so beweist das kaum, daß die Verhältnisse jetzt gefestigt, sondern wohl nur, daß die deutschen Ansprüche bescheidener waren. Immerhin ist es noch 963 und 967 zu Kämpfen gekommen, und der Friede mit den Redariern, den man 968 bestätigte, scheint den deutschen Belangen nur wenig entsprochen zu haben. Im übrigen wird die Lage vor allem durch die geringen Erfolge der Mission charakterisiert: das Eindringen des Christentums ist ein Maßstab für das Eindringen des deutschen Einflusses. 948 waren Havelberg und Brandenburg gegründet worden. Aber als 968 Magdeburg gegründet wurde, mußte man erklären, daß es inmitten unbekehrter Heiden läge, und noch erheblich später ist diese Erklärung wiederholt worden. Daß 983 überall ein vollständiger Rückfall ins Heidentum erfolgte, spricht dafür, daß das Christentum sich nicht durchgesetzt hatte; schon vorher, 980, war der Bischof von Brandenburg von den Slawen seiner Diözese ermordet worden. Was es mit der Christianisierung der Slawen auf sich hatte, ergibt sich auch recht deutlich aus dem, was Thietmar von Merseburg berichtet. Danach war in den slawischen Teilen des Merseburger Sprengeis in den ersten Jahrzehnten des elften Jahrhunderts der deutsche und der christliche Einfluß noch gering. Das Merseburger Bistum aber war das westlichste von allen Slavenbistümern; es lag unmittelbar an der deutschen Grenze, und es war von dem Umsturz von 983 so gut wie nicht erfaßt worden. Man wird also annehmen müssen, daß vor 983 in den anderen slawischen Sprengein die Verhältnisse noch ungünstiger gewesen sind als zu Thietmars Zeit in Merseburg. Otto hat anscheinend in den ersten beiden Jahrzehnten seiner Regierung wenig Zeit gefunden, persönlich gegen die Slawen östlich der Elbe zu Felde zu ziehen. Das erste größere Unternehmen des Königs gegen sie, das wir kennenlernen, fällt ins Jahr 955; es endete mit dem Sieg an der Recknitz. In der Zeit von 956 bis 960 wissen wir dann von vier Feldzügen
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Ottos gegen die Slawen. Danach nahm ihn Italien in Anspruch, und er hat die Länder rechts der Elbe nicht wieder betreten. Man könnte sagen, daß in diesen Gegenden durch Herzog Hermann und Markgraf Gero alles getan wurde, was getan werden konnte, und daß die Gegenwart des Königs dabei nicht erforderlich war. Doch trotz der Wirksamkeit Hermanns und Geros hat Otto wenigstens in den Jahren von 955 bis 960 seine Anwesenheit an der Slawengrenze für erforderlich gehalten, und es ist ganz deutlich, daß sich später sein Fehlen nachteilig auswirkte. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß nach allem, was wir wissen, die Politik des Herzogs sich nicht immer mit der des Markgrafen deckte. Gerade in der Behandlung der Slawen gingen Hermann und Gero offensichtlich verschiedene Wege. War Otto in Sachsen, so wurden ihre Meinungsverschiedenheiten auch in dieser Sache durch den König ausgeglichen, war er abwesend, so mußten sie sich störend bemerkbar machen. Noch wichtiger ist etwas anderes. Wir wissen, daß die Neigung der sächsischen Großen, gegen die Slawen zu kämpfen, aus Gründen, die wir hier nicht zu erörtern brauchen, meistens nur gering gewesen ist. Wenn der König im Lande war, so zwang sie seine Autorität im allgemeinen doch zum Kampf, und man wird auch annehmen dürfen, daß dann das sächsische Aufgebot durch Zuzug aus andern Teilen des Reiches verstärkt wurde. Fehlte der König, so blieb sicher dieser Zuzug aus; vor allem aber dürften dann die mißvergnügten sächsischen Großen, auf sich allein angewiesen, die Slawenpolitik erheblich gleichgültiger betrieben haben als unter seiner Aufsicht und Führung. Die Slawenpolitik war im wesentlichen weniger eine Sache des sächsischen Stammes als des Königtums, das dafür freilich natürlich in erster Linie die Sachsen einsetzte, und es mußte sich rächen, wenn sich das Königtum davon zurückzog. Daß die sächsischen Fürsten tatsächlich lässiger handelten, als es den Absichten der Krone entsprach, lehren die schon erwähnten Verhandlungen auf dem Landtag von Werla, in denen die Sachsen an ihrem Friedensschluß mit den Redariern festhielten, während der König von Capua aus ihre Vernichtung gefordert hatte. 92
Und wenn auch die Begründung, die man diesem Verfahren gab, daß man sich zum Kriege nicht stark genug fühlte, den Tatsachen entsprochen haben mag, so ist doch so viel sicher, daß, wäre der König zugegen gewesen, die Sache anders verlaufen wäre. Nach alledem wird man die Bedeutung von Ottos A b wesenheit in Italien für die Slawenpolitik nicht gering einschätzen dürfen. Zwar ist es unmöglich zu sagen, daß infolge seiner Italienpolitik der Rückschlag im Osten und die Katastrophe von 983 unvermeidlich wurde. Daran, daß es zu dieser Katastrophe kam, waren zweifellos auch noch andere Momente schuld (ganz zu schweigen von dem Mangel an Kolonisten, der eine ausreichende Besetzung der Slawenländer unmöglich machte), und niemand vermag zu sagen, ob der Umsturz von 983 dasselbe Ausmaß und dieselben Folgen gehabt hätte, wenn er nicht mit dem frühen Tode Ottos II. zusammengetroffen wäre. Auf der andern Seite ist wieder kaum zu entscheiden, ob dann, wenn die Slawenpolitik nicht durch die Italienpolitik irritiert und unterbrochen worden wäre, sie wirklich einen vollständigen Erfolg gehabt hätte, und ob sich auf die Dauer ein Rückschlag wie der von 983 hätte vermeiden lassen. Um diese Fragen zu beantworten, sind unsere Kenntnisse viel zu gering. Aber das wird man behaupten dürfen, daß in der Slawenpolitik keineswegs alles getan wurde, was ohne die Italienpolitik hätte getan werden können. Dadurch, daß seit 961 die Unternehmungen des Königs gegen den Osten, die in den Jahren unmittelbar vorher fast zur Regel geworden waren, aufhörten, und daß ihn seitdem die Politik im Süden des Reiches vollständig in Anspruch nahm, mußte die Front im Osten geschwächt werden, und sie ist geschwächt worden. Ähnlich war die Situation im Norden. Daß Dänemark in der Zeit Ottos vom Deutschen Reiche irgendwie abhängig war, ist keine Frage. Doch über die Einzelheiten sind wir schlecht unterrichtet. Sicher ist, daß auf Veranlassung des deutschen Königs und unter seiner Aufsicht in Dänemark um 948 Bistümer eingerichtet wurden, die zur Hamburger Kirchenprovinz 93
gehörten; 965 hat Otto ihnen Privilegien ausgestellt, ein Beweis für seine Machtstellung innerhalb der dänischen Grenzen. Ein noch stärkerer Beweis dafür ist es, daß die dänischen Bistümer Otto bis 965 Abgaben 2u leisten hatten, von denen sie damals befreit wurden. Als ein Zeichen des deutschen Einflusses mag man es auch werten, daß in den letzten Jahren Ottos I. König Harald unter der Einwirkung deutscher Geistlicher zum Christentum übertrat. Doch wie auch die Verhältnisse im einzelnen gewesen sein mögen, gesichert waren sie auf keinen Fall. 968 fürchteten die sächsischen Fürsten einen Däneneinfall; das war einer der Gründe, weshalb sie damals am Frieden mit den Redariern festhielten. Bald nach Ottos des Großen Tod eröffneten die Dänen dann tatsächlich den Krieg und drangen 974 in Nordalbingien ein. Sie wurden zwar von Otto II. besiegt. Aber 983 erfolgte der endgültige Abfall. Damals brach die deutsche Stellung in Dänemark zusammen, und die Dänenbistümer gingen verloren. So viel wir wissen, ist Otto der Große niemals gegen Dänemark zu Felde gezogen. Die Auseinandersetzung mit den Dänen scheint Herzog Hermann vorbehalten gewesen zu sein, und er scheint wechselvolle Kämpfe mit ihnen bestanden zu haben; wir erfahren, daß er einmal in dänischer Gefangenschaft war. Man kann also kaum sagen, daß Otto durch die Italienpolitik der nordischen Politik entfremdet wurde: er hat sich auch vor 961 an den dänischen Grenzen nicht fesseln lassen. Es läßt sich auch so wenig wie für die slawischen Verhältnisse für die Lage in Dänemark entscheiden, ob eine aktivere Politik des Königs größere Erfolgsaussichten gehabt hätte. Doch das kann man behaupten: der Einsatz des deutschen Königtums an der dänischen Grenze war außerordentlich gering, und es ist hier noch weniger als in den Slawenländern alles versucht worden, was versucht werden konnte. 961 waren so wenig wie an der Ostgrenze an der Nordgrenze des Reichs überschüssige Kräfte frei. Daß das Schwergewicht der deutschen Politik jetzt nach dem Süden verlegt wurde, mußte auch eine Benachteiligving der Politik gegen Dänemark bedeuten. (18)
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3. Oppositionelle Regungen Einhard erzählt, als Pippin zur Unterstützung Stephans II. nach Italien zog, sei er bei den fränkischen Großen auf starken Widerspruch gestoßen: einige seiner vornehmsten Ratgeber hätten erklärt, sie würden den König verlassen und nach Hause zurückkehren. Als 875 Karl der Kahle zur Gewinnung der Kaiserkrone nachltalien aufgebrochen undLudwig der Deutsche darauf in das Westfrankenreich eingefallen war, verurteilte Hinkmar von Reims in einem langen Schreiben an die Bischöfe seiner Kirchenprovinz Karls Römerzug; im Volke, sagte er, werde dem König vorgeworfen, daß er sein auf allen Seiten bedrohtes und im Innern nicht gefestigtes Reich verlassen habe. Als dann 877 Karl zum zweitenmal über die Alpen ging, stellt eine Quelle ausdrücklich fest, er habe das gegen den Rat der Seinen getan. Thangmar berichtet in der Vita Bernwardi, Otto III. habe in einer Rede vor den Römern erklärt, aus Liebe zu ihnen habe er sein Vaterland, die Sachsen und die Deutschen verlassen; da er die Römer vor allen begünstigt habe, so habe er den Haß aller auf sich geladen. Brun von Querfurt klagt Otto III. an, weil er dem Land seiner Geburt, der delectabilis Germania die Länder des Romulus in ihrer ehebrecherischen Schönheit vorgezogen habe. Otto II. tadelt er, weil er gegen die Franzosen und die Sarazenen Krieg geführt habe, statt gegen die Slawen zu kämpfen, und sowohl in der Passio St. Adalberti wie in seinem berühmten Brief an Heinrich II. stellt er fest, daß nur wenige nach dem Vorbild Konstantins und Karls des Großen daran arbeiteten, die Heiden zu bekehren. Man sieht, im achten und neunten Jahrhundert läßt sich in Frankreich, am Ende des zehnten und zu Anfang des elften Jahrhunderts läßt sich in Deutschland sehr deutlich eine Opposition gegen die damalige Kaiserpolitik nachweisen. Aus der Zeit Ottos des Großen besitzen wir derartig deutliche Hinweise auf ähnliche Stimmungen nicht. Aber an Opposition gegen seine Italienpolitik dürfte es trotzdem nicht gefehlt haben. 95
Man hat früher in dem Widerstand, den Otto während seines ersten Zuges nach Italien und in den beiden Jahren danach in Deutschland fand, geradezu die Äußerung einer im kleindeutschen Sinne wirkenden nationalen Opposition gegen das Eingreifen jenseits der Alpen gesehen. Diese Auffassving, wie sie vor allem von Sybel und Maurenbrecher vertreten wurde, enthält zweifellos starke Übertreibungen. Aber ein Körnchen Wahrheit scheint doch in ihr zu sein. Die beiden vornehmsten Führer der Opposition von 952 bis 954, Liudolf und Konrad der Rote, sind mit der Italienpolitik Ottos sicher nicht ganz einverstanden gewesen. Liudolf versuchte dem Eingreifen Ottos zuvorzukommen und zog sich nachher, als der König in Pavia eingezogen war, frondierend vom Hofe zurück. Konrad aber versuchte, während Otto das Reich Berengars annektieren wollte, zwischen den beiden Herrschern zu vermitteln und Berengar in Italien zu restituieren. Und wenn Ostern 95 2 in Magdeburg im Gegensatz zu Otto dem Großen der sächsische Adel Berengar von Ivrea freundlich empfing, so kann man das kaum anders als so verstehen, daß der Adel für die Politik Konrads, d. h. für eine Verständigung mit dem Langobardenkönig und für den Verzicht auf die Eroberung Italiens eintrat. Daß kurz danach auf dem Augsburger Reichstag dieser Verzicht und die Wiederherstellung Berengars (wenn auch mit gewissen Einschränkungen) tatsächlich erfolgte, dürfte dafür sprechen, daß auf dem Reichstag die Begeisterung für die Annexion Italiens, d. h. für die ursprünglichen Ziele Ottos, mindestens nicht groß gewesen ist. Man wird kaum mit Sybel und Maurenbrecher annehmen können, daß sich Liudolf deshalb mit seinem Vater entzweite, weil er die Interessen des deutschen Staates durch die Italienpolitik bedroht sah. Eher dürfte sein Widerstand, abgesehen von anderen Gründen, dadurch verursacht worden sein, daß er in Ottos Eingreifen eine Verletzung der Belange seines Herzogtums Schwaben erblicke, als dessen Interessensphäre er Norditalien angesehen haben dürfte. Für das Verhalten Konrads des Roten läßt sich noch schwerer eine Erklärung finden 96
als für das Liudolfs. Immerhin wird man die Möglichkeit nicht gan2 ablehnen können, daß er sich gegen die Expansion im Süden stellte, weil er dadurch eine Benachteiligung der deutschen Politik an der Westgrenze befürchtete, an der sein Herzogtum Lothringen besonders interessiert war. Aber wenn das auch dahingestellt bleiben muß, so besteht doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß mindestens das Mißvergnügen des sächsischen Adels tatsächlich durch Überlegungen bestimmt wurde, die mit modernen kleindeutschen Erwägungen etwas Verwandtschaft hatten. Es dürfte für diejenigen unter den sächsischen Großen, die ein Interesse an der Politik gegen die Slawen und die Dänen hatten, nicht schwer gewesen sein, zu erkennen, daß diese Politik durch die Verlegung des außenpolitischen Schwergewichts an die Alpengrenze gefährdet oder wenigstens in den Hintergrund gedrängt wurde. Wenn Widukind von Korvey Andeutungen über eine Mißstimmung oder drohende Empörung in Sachsen während Ottos letztem Italienzug macht, so ist nicht gesagt, daß sich diese Bewegung gegen die Italienpolitik an sich richtete. Sie mag auf andere Gründe zurückgegangen und nur durch Ottos lange Abwesenheit ausgelöst worden sein. Doch soviel wird man sagen dürfen: wenn man 952 noch nicht erkannt haben sollte, daß das Übergreifen nach Italien eine Benachteiligung der Ost- und der Nordgrenze bedeutete, so dürfte das bis 972 weiten Kreisen deutlich geworden sein. Wenn Otto 972 von Italien aus Miseko und dem Markgrafen Hodo befahl, ihre Kämpfe einzustellen, so schützte er damit zwar zunächst Hodo gegen den siegreichen Polen. Aber daß er überhaupt die Einstellung des Kampfes anordnete, statt seinem geschlagenen Markgrafen zu Hilfe zu kommen, hat in Sachsen schwerlich allgemein befriedigt, und man dürfte darin eine Folge der Italienpolitik gesehen haben. Daß man nicht genug Kräfte hatte, um 968 gegen die Redarier weiter vorzugehen, daß man nicht stark genug war, um gleichzeitig gegen die Slawen und die Dänen zu kämpfen, war die unmittelbare Folge von Ottos langem Aufenthalt im Süden. Soll man glauben, daß L i n t z e l , Die Kaiserpolitik
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die sächsischen Großen, die 968 in Werk berieten und sich zur Defensive gegen Redarier und Dänen entschlossen, das nicht gemerkt haben? Und wenn sie es merkten, ist anzunehmen, daß sie dann mit Ottos Politik sämtlich einverstanden waren ? Man könnte sich vorstellen, daß sich unter ihnen, vor allem unter den Bischöfen der Slawenmission, eine Stimmung meldete, wie sie in der Polemik Bruns von Querfurt gegen die letzten Ottonen zum Ausdruck kommt. Die fast durchweg höfische, immer äußerst loyale Geschichtschreibung der Zeit Ottos des Großen hat von derartigen Stimmen nichts überliefert. Aber man kann es doch als einen gewissen Anklang daran werten, wenn sich bei Widukind von Korvey die Bemerkung findet, daß das Reich Ottos an seiner eigenen Größe zu leiden anfange. Daß derselbe Widukind die Behauptung ausspricht, Otto sei auf dem Lechfeld zum Kaiser ausgerufen, und daß er ihn von da an ständig imperator nennt, die Kaiserkrönung in Rom aber verschweigt, hat man schon häufig als Zeichen einer Opposition des Korveyer Mönches gegen Ottos römisches Kaisertum aufgefaßt. Daß Widukind damit wirklich bewußt seiner Abneigung gegen die in Rom erworbene Kaiserkrone Ausdruck geben wollte, läßt sich freilich mit Sicherheit nicht beweisen, und man kann die bisweilen vertretene Ansicht, daß seine Vorstellungen vom Kaisertum nur seiner Unkenntnis und einem Mißverständnis entsprängen (so unwahrscheinlich sie ist), nicht völlig widerlegen. Doch selbst, wenn diese Ansicht recht haben sollte, käme es einer Abneigung gegen das römische Kaisertum nicht sehr nahe, wenn Widukind, als er die zweite Redaktion der Sachsengeschichte schrieb, d. h. sechs Jahre nach dem Akt vom 2. Februar 962, noch immer nichts von diesem Akt wußte ? Und würde diese erstaunliche Unkenntnis des bedeutendsten sächsischen Chronisten der Zeit, der dem sächsischen Adel entstammte, der im angesehensten Kloster Sachsens zu Hause war, und der sein Werk der Kaisertochter Mathilde widmen durfte, nicht zu dem Schluß zwingen, daß in Sachsen das Interesse an der italienischen Kaiserpolitik so verschwindend 98
gering war, daß man diese Interesselosigkeit einer oppositionellen Haltung fast gleichsetzen müßte ? A b e r wie das auch sein mag, bei Widukind ist jedenfalls die Vorstellving oder das Wissen v o n dem in R o m erworbenen Kaisertum verdrängt v o n der Vorstellung eines nichtrömischen, durch Siege oder durch die Herrschaft über andere Völker und Könige gewonnenen Kaisertums. Wir haben bereits gesehen, daß sich Widukind in dieser Vorstellung mit anderen Chronisten der Zeit begegnet. A u c h für Ruotger ist Otto schon lange vor seiner Krönung in R o m Imperator, und die Auffassung, daß der Kaiser ist, der über andere regna gebietet, war seit dem neunten Jahrhundert im Abendland ganz allgemein verbreitet. Wenn sich Otto in R o m krönen ließ, so schob er diesen Kaisergedanken beiseite. Ist dann aber wirklich anzunehmen, daß er damit die einmütige Zustimmung der deutschen Stämme fand? Liegt die Vermutung nicht sehr nahe, daß es Kreise gab, die nicht damit einverstanden waren, daß an die Stelle eines allein durch das Schwert der deutschen Heere erstrittenen Kaisertums eine durch die Römer und den Papst verliehene Krone trat, und daß der deutsche K ö n i g die höchste Würde, die er erwarb, nicht den deutschen Herzögen, Grafen und Bischöfen, sondern einem fremden Volk, einem fremden Namen und einem fremden Bischof verdankte? A u c h wenn man es nicht als erwiesen ansieht, daß die Art, wie Widukind den Kaisernamen behandelt, v o n seiner Opposition gegen Ottos römisches Kaisertum herrührt — diese Opposition lag sozusagen in der Luft, und es ist unwahrscheinlich, daß ihr Otto nirgends begegnet ist. (19)
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V. KAPITEL
DIE BILANZ VON OTTOS KAISERPOLITIK i. E r g e b n i s s e Der bisherige Gang unserer Untersuchung hat etwa folgendes Ergebnis. Die Anschauung, daß die universalen Traditionen und Vorstellungen, die im zehnten Jahrhundert lebendig waren, den deutschen König zur Kaiserpolitik zwangen, ist nicht richtig. Gewiß, diese Traditionen waren vorhanden, und sie mögen auch bis zu einem gewissen Grade wirksam gewesen sein. Aber ihre Wirksamkeit war unbedeutend. Weder die eschatologischen Erwartungen der Zeit noch die Überlieferung des Römischen oder des Karolingischen Reiches noch das Vorbild Karls des Großen waren stark genug, um die Staatsmänner des zehnten Jahrhunderts zur Italienpolitik zu verpflichten, und man kann deutlich sehen, daß auch Ottos Handeln durch derartige Gesichtspunkte und Antriebe nicht maßgebend bestimmt worden ist. Ebensowenig mußte sich die Kaiserpolitik aus dem Bedürfnis ergeben, den deutschen Staat nach innen und außen zu sichern. Man braucht zwar nicht zu bestreiten, daß die Herrschaft des deutschen Königs über Rom und den Papst geeignet war, seine Autorität gegenüber den deutschen Bischöfen und sein Ansehen in der Welt zu heben. Es ist auch richtig, daß die Gewinnung Norditaliens eine den deutschen Staatsverband sprengende Italienpolitik der süddeutschen Stämme und das Eingreifen einer anderen nichtdeutschen Macht in Italien unmöglich machte. Aber die Stellung des deutschen Königs gegenüber dem eigenen Episkopat und in der Welt war nicht abhängig von seiner Herrschaft über Rom und die Kurie, und eine Italienpolitik der süddeutschen Stämme ließ sich verhinioo
dern, auch ohne daß der deutsche König nach Payia ging. Das Übergreifen anderer Mächte nach Italien war, auch wenn dieser Schritt unterblieb, nicht zu erwarten, und von einer außenpolitischen Bedrohung des Reiches von Süden her kann man nicht reden. Vor allem ist die Behauptung, daß Otto für die Durchfuhrung seiner Ostpolitik die Herrschaft über Rom nötig gehabt habe, nicht richtig, und noch weniger läßt sich mit allen den angeführten Gesichtspunkten das Hinausgreifen über Rom nach Süden, die Politik gegen die Griechen begründen und rechtfertigen. Wie weit auf der anderen Seite das Übergreifen nach Italien infolge der langen Abwesenheit des Königs die innerdeutsche Stellung der Krone schwächte, ist schwer zu sagen. Immerhin muß man mit der Möglichkeit rechnen, daß es (zum mindesten in Sachsen) so war, und mit einiger Sicherheit kann man behaupten, daß durch die Kaiserpolitik der deutschen Politik im Osten und Norden Kräfte entzogen wurden, deren Verlust die deutsche Position in diesen Gegenden geschädigt hat. Mit einem Satz wird man also sagen dürfen: die Kaiserpolitik Ottos war für die innere und äußere Sicherung des deutschen Staates nicht notwendig, und sie hat einzelne Bezirke der innerpolitischen Stellung des Königs vielleicht, die deutsche Politik im Osten und Norden höchstwahrscheinlich beeinträchtigt. Dieses Urteil sieht auf den ersten Blick wie eine Verurteilung Ottos des Großen und seiner Politik aus. Aber bedeutet es das wirklich? 2. Ottos R e c h t f e r t i g u n g als „ H e l d " Man hat in der Diskussion über die Kaiserpolitik schon öfters betont, daß man bei ihrer Wertung unterscheiden müsse zwischen den Folgen dieser Politik und der „Schuld" des Mannes, der sie machte. Selbst wenn die Kaiserpolitik den deutschen Staat geschädigt habe, so brauche man Otto deshalb noch nicht zu verdammen. Man dürfe sein Handeln nicht am staatlichen Nutzen oder Schaden messen, da (ganz abgesehen 101
davon, daß der Staat des zehnten Jahrhunderts nach jeder Richtung noch höchst unfertig war) das staatliche Interesse in dieser Zeit gar nicht die Richtschnur für die Entscheidungen der Könige gewesen sei. Der König, hat man gesagt, sei damals weniger Politiker und Staatsmann als Held gewesen. Was er tat, war mehr von den reckenhaften, ritterlichen, wohl auch frommen und kirchlichen Anschauungen der Zeit als von Erwägungen und Zweckmäßigkeiten der Staatsräson bestimmt. An der Art der abenteuernden Wikingerkönige, für die die Rücksicht auf das eigene Volk und den eigenen Staat wenig, die Rücksicht auf Ruhm, Glanz, Macht und Reichtum alles war, müsse auch die Politik Ottos gemessen werden. Messe man sie lediglich am Nutzen des deutschen Staates und des deutschen Volkes, so begehe man einen Anachronismus und tue dem König unrecht. An diesen Erwägungen ist zweifellos etwas Richtiges. Man verbaut sich das Verständnis der Persönlichkeit und der Politik Ottos, wenn man in ihm nur den „Staatsmann" sehen will. Aber ist auf der anderen Seite wirklich alles damit erklärt und gerechtfertigt, daß Otto ein „Held" war? Gewiß, die Völker und Staaten des zehnten Jahrhunderts dürften es ihren Königen in weitem Maße erlaubt haben, Helden zu sein, ja sie mögen es ihnen manchmal verdacht haben, wenn sie es etwa nicht waren. Doch wir wissen, daß es Hinkmar von Reims Karl dem Kahlen gründlich verübelt hat, als er 875 anfing, den Helden zu spielen, indem er seinen Zug nach Italien unternahm; und man wird ganz allgemein sagen dürfen, daß das Recht eines Königs auf die Heldenrolle gewisse Grenzen an den Interessen seines Staates und seines Volkes, d. h. in erster Linie seines Adels, hatte. Einem König, in dessen Reich alles in Ordnung war, dürfte es leichter gefallen sein, auf ritterliche Abenteuer auszugehen als einem König, in dessen Reich das nicht der Fall war. Insofern mag der deutsche König im zehnten Jahrhundert dazu eher in der Lage gewesen sein, als etwa der König von Frankreich. Aber, um gleich ein äußerstes Beispiel zu geben, was hätte die Welt und das deutsche Volk dazu gesagt, wenn es dem deutschen König etwa eingefallen wäre (wie 102
es einem Normannen oder auch einem kleinern deutschen Herrn durchaus erlaubt war) gegen die Sarazenen in Spanien zu kämpfen oder eine mehrjährige Pilgerfahrt nach Jerusalem zu unternehmen? Das bedeutet aber, um es konkreter zu sagen: wenn die deutschen Grafen und Bischöfe den deutschen König in der Heimat gegen die Herzöge, oder wenn ihn die sächsischen Grenzgrafen und Missionare gegen die Slawen brauchten, so werden sie sich schwerlich durch die Erwägung haben beruhigen lassen, daß es für einen Helden rühmlicher war, die Schwellen der Apostel zu schützen und sich mit dem Kaiser der Griechen herumzuschlagen, als die deutschen Herzöge zu dämpfen und die Slawen zu unterwerfen. Tatsächlich haben wir ja gesehen, daß Ottos Politik keineswegs überall Anklang fand: sowohl das Übergreifen nach Italien überhaupt wie die Kaiserkrönung in Rom scheint in Deutschland auf Abneigung gestoßen zu sein. Man mag an Ottos Verhalten noch so viel damit erklären wollen, daß man sagt, er war ein Held; aber man wird damit schwerlich, auch nicht vom Standpunkt des zehnten Jahrhunderts, alles rechtfertigen können. Doch wie sich das auch verhalten und welches auch nach den Gegebenheiten seiner Zeit der angemessenste Maßstab für die Beurteilung Ottos sein mag, wir brauchen nach diesem Maßstab hier nicht weiter zu suchen. Denn für unsere Fragestellung handelt es sich ja gar nicht darum, ob man Otto nach dem, was für seine Zeit gültig war, „schuldig" sprechen soll (und nur danach könnte man ihn natürlich schuldig sprechen), sondern es handelt sich lediglich um die von der wissenschaftlichen Forschung der letzten Jahrzehnte aufgestellte Behauptung, daß Ottos Italienpolitik für den deutschen Staat des zehnten Jahrhunderts, im Innern und an seiner Ostgrenze, nützlich und notwendig gewesen ist. Und allein diese Behauptung haben wir verneint. Aber auch mit dieser Verneinung ist die Beurteilung von Ottos Politik, auch vom politischen und staatlichen Standpunkt her, noch keineswegs erschöpft. Man hat in dem Streit um die Kaiserpolitik meistens vollständig für oder vollständig wider sie Partei ergriffen und sie entweder in jeder Beziehung zu ret103
ten oder in jeder Beziehung zu verwerfen gesucht. Aber könnte man sich nicht denken, daß diese Politik nicht so einseitig gesehen werden darf, daß sie vielmehr mehrere Seiten hatte, und daß, wenn sie an einigen Stellen schädlich war, sie doch an anderen von Nutzen gewesen sein, und daß womöglich dieser Nutzen jenen Schaden überwogen haben könnte ? 3. V o r t e i l e der K a i s e r p o l i t i k Selbst wenn sich noch sicherer, als es der Fall ist, nachweisen ließe, daß durch die Italienpolitik die deutsche Politik im Osten und Norden benachteiligt wurde, (abgesehen davon, ob sie schädliche Folgen im Innern hatte), so wäre damit eine Verurteilung der Ottonischen Expansion im Süden noch nicht ausgesprochen. Der moderne Kritiker ist freilich zunächst geneigt, das zu tun; denn für ihn ist das Land rechts der Elbe wichtiger als das Land südlich der Alpen, und die Politik an der Elbe erscheint ihm als nationaler, deutscher und zweckmäßiger als die Politik am Po. Aber sah man im zehnten Jahrhundert die Dinge auch so, und konnte man sie vom Standpunkt des damaligen Staates so sehen ? Gewiß, für den sächsischen Grafen, der an der Havel und Spree kämpfte, und für den Missionar, der dort das Christentum auszubreiten suchte, mag, was in diesen Gegenden geschah, mehr Wert gehabt haben, als was sich jenseits der Alpen zutrug. Aber für die süddeutschen Grafen und Bischöfe dürfte es sich im allgemeinen umgekehrt verhalten haben; ja man wird sagen dürfen, daß der Sachse leichter nach Italien zu führen war, als der Schwabe oder der Bayer gegen die Slawen an der Elbe und Oder. Freilich, als sächsischem Herzog mußten Otto die Vorgänge an der sächsischen Grenze näherliegen als die an der Alpengrenze. Aber für den deutschen König lagen die Dinge anders. Daß die deutsche Politik gleichmäßig alle Grenzen berücksichtigte und überall alle Interessen befriedigte, war nicht möglich. Sie mußte eine Auswahl treffen und zugunsten dessen, was wichtiger war, das weniger Wichtige zurückstellen. Vom gesamtdeutschen Standpunkt aus war aber im zehnten Jahrhundert (trotz aller Einschränkungen, die wir gemacht 104
haben) wichtiger als die Slawenpolitik die Italienpolitik, und der sächsische Stamm hat dafür, daß sein Herzog deutscher König geworden war, damit zahlen müssen, daß die Politik an seinen Grenzen zurückgesetzt wurde. Daß vom Standpunkt einer gesamtdeutschen Politik im zehnten Jahrhundert der Italienpolitik gegenüber der Slawenpolitik der Vorzug zu geben war, hatte verschiedene Gründe. Einmal ist an alles das zu erinnern, was oben bereits gesagt worden ist. Wenn den deutschen König die eschatologischen Erwartungen der Zeit und ihre universalen Traditionen und Tendenzen auch nicht auf den Weg nach Pavia und Rom zwangen, so wurde dieser Weg doch von diesen Vorstellungen (wenn auch in bescheidenerem Maße als man oft vermutet) begleitet und begünstigt. Wenn der deutsche König auch nicht die Herrschaft über den Papst und Italien brauchte, um die deutsche Kirche zu regieren und den Osten zu bekehren, oder um die deutsche Hegemonie in Europa zu sichern, so wurden die Macht und der Glanz seiner Stellung doch durch die Herrschaft über Rom und Italien erhöht. Wenn er auch nicht im Süden eingreifen mußte, um die süddeutschen Stämme im Reichsverband zu erhalten, so war dies Eingreifen doch dazu angetan, die außenpolitische Führung des Königs bei ihnen zu festigen. Und schließlich wird man sagen dürfen: Wenn es in Deutschland auch an Opposition gegen die Italienpolitik nicht gefehlt hat, so ist doch anzunehmen, daß der Verzicht auf die Italienpolitik auf eine mindestens ebenso starke Opposition gestoßen wäre. Und wenn es vermutlich auch Kreise gab, die statt des römischen ein autonomes Kaisertum wünschten, so haben sicher andere die in Rom erworbene Kaiserkrone für glänzender und für politisch zweckmäßiger gehalten. Davon abgesehen aber gab es noch eine Reihe von Gesichtspunkten, die mindestens die Eroberung des Langobardenreichs als näherliegend und vorteilhafter erscheinen lassen mußten als die des slawischen Ostens. Einmal war, im Gegensatz zur heutigen Auffassung, die Ausdehnung nach Norditalien vom „völkischen" Standpunkt IOJ
aus natürlicher als die nach dem Osten. Die Slawen galten den Deutschen als fast völlig fremde Barbaren mit fremder Sprache, fremder Religion und Kultur, zu denen man so gut wie überhaupt keine Beziehungen hatte. Mit dem langobardischen Adel Italiens aber war man verwandt. Es existierte zwischen ihm und den deutschen Stämmen trotz aller trennenden Momente eine gewisse germanische Interessengemeinschaft, die z. B. bei Liudprand von Cremona recht deutlich hervortritt. Kulturell hatte man vielfache Beziehungen, sprachlich konnte man sich, mindestens auf dem Umweg über das Lateinische, leicht verständigen, und man gehörte der gleichen Religion und der gleichen Kirche an. So wenig die Gegensätze zwischen den Deutschen und den Norditalienern geleugnet werden können und sollen, so muß man doch sagen, daß die beiden Völker gegenüber den Slawen eine große, verhältnismäßig eng verwandte Gemeinschaft bildeten. Wer nach Italien kam, kam in ein immer noch verwandtes Land, wer zu den Slawen kam, kam in die Fremde. Wichtiger noch für eine erobernde Außenpolitik war vielleicht die Tatsache, daß das Slawenland arm, Italien aber reich war. Gewiß waren auch die Gebiete der Slawen wirtschaftlich nicht ganz unergiebig. Wir wissen von Handelsbeziehungen der deutschen Stämme nach dem Osten; und dafür, daß sie nicht unbedeutend waren, spricht schon allein das starke Interesse, das die Wikinger an den slawischen Ländern südlich der Ostsee hatten. Aber verglichen mit dem, was in Italien zu gewinnen war, waren die Erträgnisse des Ostens doch nur dürftig. Wir sahen oben, daß man auch auf friedlichem Wege in Italien den Anschluß an das Mittelmeer und damit an den Welthandel erlangen konnte. Aber es ist doch keine Frage, daß es reizte, eines der reichsten Länder Europas zu erobern. Mit den Steuern, Tributen, Zöllen und Einkünften aller Art, die man hier einzog, ließen sich die Gewinne aus den Slawenländern in keiner Weise vergleichen. Zu dem wirtschaftlichen Reichtum kam der Reichtum an Kunstschätzen und Reliquien, ein für das zehnte Jahrhundert nicht zu unterschätzender Gesichtspunkt, dem die Slawenländer überhaupt nichts an die Seite zu stellen hatten. 106
Wieviel Steine und Säulen und wieviel Reliquien sind nach dem Norden gewandert und haben den Kirchenbauten der Ottonischen Zeit gedient. Vor allem jedoch ist zu beachten, daß sich der beträchtlich größere Gewinn im Süden mit einem beträchtlich kleineren Einsatz, als er bei den Unternehmungen im Osten nötig war, erreichen ließ. Man hat in der letzten Zeit mit Recht betont, daß die Kriegführung zwischen Elbe und Oder außerordentlich schwierig war. Ob man daraus freilich folgern darf, daß sie in, Italien viel leichter war, ist schwer zu sagen. Gewiß waren im Süden die Straßen und die Verproviantierungsverhältnisse erheblich besser als in den unwegsamen und öden Slawenländern. Aber der Anmarsch über die Alpen war nicht leicht, und im Sommer dürfte der Aufenthalt in den meisten italienischen Landschaften nicht viel angenehmer gewesen sein als der im Winter unter den Slawen. Vor allem aber sind die rein militärischen Widerstände in Italien schwerlich leichter zu überwinden gewesen als in den Ländern des Ostens. Die slawischen Befestigungen dürften kaum schwerer zu belagern und zu erobern gewesen sein als die Städte und Burgen der Italiener. Die Kriegsgeschichte der Zeit zeigt, daß die deutschen Heere mit Burgen und Städten nur sehr schwer fertig wurden; Otto der Große ist sowohl vor den französischen wie vor den süditalienischen Städten mit seiner Belagerungskunst im wesentlichen gescheitert. Doch wie sich das auch verhalten mag, entscheidend scheint mir nicht die Frage zu sein, ob im Süden das Kriegführen einfacher war als im Osten, sondern die Tatsache, daß man im Süden, wenigstens im Langobardenreich, im allgemeinen überhaupt nicht Krieg zu führen brauchte. Wir sahen: 951 gingen die Magnaten in Berengars Reich zum großen Teil zu Otto über, und er konnte kampflos in Pavia einziehen. 961 wurde er von einer starken Partei ins Land gerufen; wieder fiel ihm Berengars Krone fast ohne Schwertschlag zu, und auch später ist der Widerstand gegen die deutsche Herrschaft nur ganz gering gewesen. Den italienischen Großen war offensichtlich das deutsche Regiment bequemer und lieber als das 107
eines einheimischen Königs. Auch unter den Slawen hat es Überläufer und Gruppen gegeben, die zu den Deutschen hielten. Aber meistens setzte man ihrem Eindringen einen hartnäckigen und erbitterten Widerstand entgegen. Die Unterwerfung der Slawenländer hat viel mehr Anstrengungen gekostet als die des Langobardenreiches. Kann man sich da wundern, daß der deutsche König nicht auf die reicheren Annexionen im Süden zugunsten der ärmeren im Osten verzichtete ? 4. D i e v e r s c h i e d e n e n Phasen der I t a l i e n p o l o t i k Bei alledem ist jedoch eins zu bedenken. Was wir eben zur Rechtfertigung der Italienpolitik Ottos anführten, bezog sich vor allem auf sein Eingreifen in Norditalien. Die lange A b wesenheit des Königs von Deutschland und der Verbrauch von politischen und militärischen Energien, die dadurch der Innenpolitik und der Ostpolitik entzogen wurden, ist aber weniger durch die Annexion des Langobardenreiches als durch das Vordringen Ottos nach Mittel- und Süditalien bedingt gewesen. Hätte er sich mit dem Norden begnügt, so hätte der zweite Italienzug, der durch den dreimaligen Zug nach Rom verlängert wurde, wahrscheinlich erheblich weniger Zeit und Kraft beansprucht, und der dritte Italienzug, der längste von allen, wäre wohl überhaupt nicht notwendig geworden. Damit kommen wir auf eine Frage, die, soweit ich sehe, bisher in der Diskussion über Ottos Italienpolitik noch kaum eine Rolle gespielt hat. Das ist die schon oben berührte Frage, ob man die Kaiserpolitik Ottos als einheitliche Erscheinung zu werten hat, oder ob es nicht richtiger ist, die verschiedenen Sphären dieser Politik für sich und daher unter Umständen verschieden zu beurteilen. Das heißt, die Frage ist: muß man, wenn man die Eroberung Norditaliens vom Standpunkt der Politik des zehnten Jahrhunderts als zweckmäßig und angebracht beurteilt, auch das Eingreifen in Rom und gegen die Griechen ebenso ansehen ? Wir haben oben schon festgestellt, daß der Besitz von Norditalien für den deutschen König auch ohne den Besitz von Rom 108
und ohne den Krieg gegen die Byzantiner gesichert war. Nun ist es zwar ganz unbestreitbar, daß es für Otto außerordentlich verlockend sein mußte, und es ist also psychologisch ohne weiteres verständlich, daß er, nachdem er bis Pavia gekommen war, nach Rom weiterging. Es ist, wenn auch nicht in demselben Maße, auch verständlich, daß er, nachdem er in Rom die Kaiserkrone gewonnen hatte, sich in Süditalien mit dem Kaiser der Griechen maß. Aber das psychologisch Verständliche braucht nun einmal nicht, das politisch Richtige zu sein. Die Eroberung Norditaliens ließ sich nicht aus den Notwendigkeiten des Ottonischen Staates, sondern lediglich daraus „rechtfertigen", daß sie sich als ein leichter und fruchtbarer Gewinn dem deutschen König anbot. Lagen die Dinge in Rom auch so ? Aus deutschen Notwendigkeiten ließ sich die Eroberung der ewigen Stadt so wenig rechtfertigen wie die von Pavia. Gewiß, auch sie bedeutete einen Machtgewinn. Aber steht diesem Machtgewinn nicht ein erheblicher Machtverlust gegenüber? Die Herrschaft in Rom war nicht so tiefgreifend und nicht so ertragreich wie die im Norden; sie war aber viel unsicherer. Während die Behauptung des Langobardenreiches kaum Schwierigkeiten machte, hat Otto gegen Rom wiederholt ziehen müssen und doch nicht mehr als ein recht labiles Verhältnis erreicht. Und ein Blick auf die folgenden Jahrzehnte und die nächsten anderthalb Jahrhunderte zeigte uns bereits, daß die Situation immer ähnlich geblieben ist. Die Herrschaft in Rom war und blieb schwankend, und sie hat dem deutschen König in steigendem Maße Schwierigkeiten gemacht, die schließlich ihren Gipfel und ihre Katastrophe im Investiturstreit erreichten. Die Stellung in Norditalien dagegen ist im wesentlichen unangreifbar fest gewesen, und sie hat noch in den Anfängen des Investiturstreites ihre Bewährung erfahren. Es gibt, glaube ich, in diesem Zusammenhang sehr zu denken, daß von einigen deutschen Königen vor und nach Otto die römische Politik im Verhältnis zur norditalienischen als weniger wichtig, ja geradezu als nebensächlich behandelt worden ist. Das gilt ganz deutlich für Karl III. und Konrad II., und es gilt in einem gewissen Grade auch für Arnulf von Kärnten und für Heinrich II. 109
Es ist nicht immer möglich, eindeutig zu sagen, ob eine Politik richtig oder falsch ist. Mindestens bei dem augenblicklichen Stande der Diskussion scheint es mir angebracht zu sein, in der Beurteilung der römischen Politik Ottos zurückhaltend zu sein. Als bedenklich muß man dagegen, glaube ich, auf jeden Fall seine süditalienische Politik betrachten. Mag auch sie psychologisch begreiflich erscheinen, so war sie doch weder für die deutschen Belange noch für die Herrschaft in Pavia oder in Rom notwendig. Sie war im wesentlichen ergebnislos und hat den Kaiser eine Reihe von erfolglosen Feldzügen und vier Jahre gekostet, die er an anderen Stellen seines Machtbereiches nützlicher hätte verwerten können. 5. A u s b l i c k Bei der Italienpolitik handelt es sich nach allem, was wir sahen, in erster Linie nicht um Sicherung des deutschen Staates, um Defensive und um Abwehr ihm drohender Gefahren, sondern um Offensive und Eroberung, um die Ausbreitung der Macht über die deutschen Grenzen und über die deutschen staatlichen Notwendigkeiten hinaus. Wer sich daran gewöhnt hat, in der Kaiserpolitik so etwas wie eine Selbstverteidigung zu sehen, wird das bedauern, und wer über Macht und Machtanwendung ähnlich wie Schlosser und Burckhardt denkt, der mag geneigt sein, diese Politik zu verurteilen. Es scheint mir auch wirklich gegenüber Ottos Politik im allgemeinen und ihren ethischen Grundlagen im besonderen etwas mehr Skepsis und Pessimismus am Platze zu sein, als von ihren Verteidigern zugegeben wird — eine Angelegenheit, auf die ich in diesem Zusammenhang nicht weiter einzugehen brauche. Aber trotzdem und auf jeden Fall muß man sich, um nicht ungerecht zu werden, vor Augen halten, daß Otto mit seiner Eroberungspolitik unter den Herrschern und Mächtigen seiner Zeit nicht allein stand. Er tat nur, was die anderen alle (bloß mit weniger Macht und darum mit weniger Erfolg) an den Grenzen ihrer Reiche auch taten oder zu tun versuchten. Außerdem aber wurde er von einer starken langobardischen Partei gerufen und dann dauernd IIO
anerkannt und begünstigt; ebenso wurde er vom Papst oder einer römischen Partei aufgefordert, in Rom einzugreifen, und die Fürsten von Capua und Benevent sind freiwillig zu ihm übergetreten. Alles das läßt sein Eingreifen mehr als eine berechtigte und erwünschte Ordnung der italienischen Verhältnisse, denn als eine eigentliche Annexion erscheinen. Der Frage nach dem Schaden oder Nutzen großer welthistorischer Begebenheiten und noch mehr dem Bestreben, die Antwort darauf auf eine kurze Formel zu bringen, haftet wohl stets etwas von dem fatalen und lächerlichen Beigeschmack der Versuche an, die Quadratur des Zirkels zu lösen. Trotzdem kreist das historische Denken immer wieder um derartige Probleme, und gerade in der Frage der Kaiserpolitik ist das mit unermüdlichem Eifer geschehen. So will ich denn auf die eben angedeutete Gefahr hin den schon oben, in der Einleitung, stehenden banalen Satz noch einmal niederschreiben: In Ottos Kaiserpolitik war weder der Eutzen noch der Schaden so groß, wie die sich widersprechenden Richtungen der modernen Forschung meistens behaupten; im ganzen dürfte die Italienpolitik aber mehr Vorteile als Nachteile gehabt haben. Wenn das letztere nicht der Fall wäre, wäre es ja auch kaum zu verstehen, daß sowohl Ottos Vorgänger Arnulf und Heinrich I. wie seine Nachfolger ähnliche Ziele wie er verfolgt haben. Freilich, politisch „notwendig" war diese Politik nicht. Und wenn man sie auch nicht als schädlich für Ottos Zeit verurteilen kann, so erscheint sie doch in einem wesentlich andern Licht, als sie einer Forschung erscheinen mußte, die von ihrer „Notwendigkeit" überzeugt war. Das gilt für die Zeit Ottos selbst, es gilt aber vor allem für die spätere Entwicklung. Auf diese näher einzugehen, ist hier nicht möglich. Doch man weiß, daß sie schließlich mit einer Katastrophe geendet hat. Wer vom Rathaus kommt, ist immer klüger, und es wäre zweifellos unsinnig, Otto den Großen für diese Katastrophe verantwortlich zu machen. Wie konnte er vorhersehen, was unter veränderten Verhältnissen ein paar Jahrhunderte später geschah ? Und warum haben seine Nachfolger seine Politik nicht aufgegeben, als sie in einem Maße, von dem
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das zehnte Jahrhundert noch nichts ahnen konnte, gefahrlich wurde? Aber soviel bleibt doch sicher: der Weg, den Otto einschlug, lockte und führte schließlich in einen Abgrund. Wenn eine Arznei dem Patienten zunächst das Leben rettet, so nimmt man sie in Kauf, auch, wenn sich später schädliche Folgen herausstellen. Brauchte der Patient aber die Arznei gar nicht, so wird man in ihr nur das Gift sehen und beklagen. Der deutsche Staat war um die Mitte des zehnten Jahrhunderts zweifellos gesund. E r hatte sich seit dem Vertrag von Verdun aus eigenen Kräften entfaltet, er hatte die schwere Krise nach der Wende des neunten Jahrhunderts überwunden und war zur stärksten Macht des Abendlandes aufgestiegen, — er hatte den Weg über die Alpen nicht nötig, um weiter zu leben und zu gedeihen. Gewiß, es mag sein, daß dieser Weg dem Deutschen Reich zunächst ein glanzvolleres Dasein sicherte; aber wenn man auf sein Ende sieht, so muß sich der Eindruck des Glanzes verdunkeln. Doch damit sind wir mitten in Fragen, die eine eigene Behandlung verdienen. (20)
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ANMERKUNGEN Zu Seite
i) Z u r Einleitung
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Wenn ich unter Kaiserpolitik die italienische Politik der deutschen Kaiser verstehe, so entspricht das weder einer ganz allgemein üblichen Definition (früher faßte man den Begriff meistens weiter, heute bisweilen enger), noch meiner eigenen Auffassung vom Kaisertum; es entspricht aber doch wohl der herkömmlichen Terminologie. — Die SybelFickersche Kontroverse wurde in folgenden Schriften ausgefochten: H. v. Sybel, Uber die neueren Darstellungen der deutschen Kaiserzeit (1859); J . Ficker, Das deutsche Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen ( 1 8 6 1 ) ; H. v. Sybel, Die deutsche Nation und das Kaiserreich ( 1 8 6 2 ) ; J . Ficker, Deutsches Königtum und Kaisertum ( 1 8 6 2 ) . Diese Schriften sind neu herausgegeben von Fr. Schneider in dem Band: Universalstaat oder Nationalstaat (1941). Schon vor Sybel und Ficker hat man natürlich nicht selten nach dem Wert der Kaiserpolitik gefragt und sie befehdet oder verteidigt; vgl. über diese ältere Literatur zur Kaiserfrage W. Schieblich, Die Auffassung des mittelalterlichen Kaisertums in der deutschen Geschichtschreibung von Leibniz bis Giesebrecht ( 1 9 3 2 ) . Über die Entwicklung der Kontroverse seit Sybel und Ficker bis zur Gegenwart vgl. M. Braubach, Zur Beurteilung der mittelalterlichen Kaiserpolitik, Vergangenheit und Gegenwart 1 5 ( 1 9 2 5 ) , S. 3 2 1 ff.; H. Hostenkamp, Die mittelalterliche Kaiserpolitik in der deutschen Historiographie seit v. Sybel und Ficker ( 1 9 3 4 ) ; Fr. Schneider, Die neueren Anschauungen der deutschen Historiker über die deutsche Kaiserpolitik des Mittelalters und die mit ihr verbundene Ostpolitik, 5. Aufl. ( 1 9 4 2 ) . Über Fickers spätere Skepsis gegenüber seinem eigenen Standpunkt vgl. die Biographie Fickers von J. Jung (1907) S. 3 5 4 . G. Waitz nahm zu der Kontroverse Stellung in Göttingische Gelehrte Anzeigen 1862, S. 1 2 1 ff., wieder abgedruckt bei Fr. Schneider, Universalstaat oder Nationalstaat S. 2 6 3 ff. G. v. Below hat seine Sybel beipflichtende Stellungnahme vor allen ausgeführt in dem Buch Die italienische Kaiserpolitik des deutschen Mittelalters ( 1 9 2 7 ) ; Fr. Kern äußert sich besonders in dem Aufsatz Der deutsche Staat und die Politik des Römerzuges, Gedächtnisschrift für G. v. Below ( 1 9 2 8 ) S. 32fr.; vgl. weiter F. Schneider, Rom und Romgedanke im Mittelalter (1926) bes. S. 191; ders., Mittelalter, Handbuch für den Geschichtslehrer, hsg. von O.Kende, 3 ( 1 9 2 9 ) , S. 1 7 8 f r . — Ich zitiere hier und im folgenden nur die Literatur, L i n t z e l Die Kaiserpolitik
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die mir besonders wichtig und bezeichnend zu sein scheint; tatsächlich ist das Schrifttum zur Kaiserpolitik kaum übersehbar; wer will, wird sich aber mit Hilfe des Zitierten weiterfinden. 2) Z u K a p i t e l I, 1
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Über den Verlauf der Ereignisse in Norditalien vgl. etwa E. Dümmler, Kaiser Otto der Große, Jahrbücher der deutschen Geschichte (1876); W. v. Giesebrecht, Geschichte der deutschen Kaiserzeit 1, j . Aufl. (1881); Böhmer-Ottenthal, Regesten des Kaiserreichs unter den Herrschern aus dem sächsischen Hause 1 (1893); L . M. Hartmann, Geschichteltaliens im Mittelalter 3,2 (1911) und 4,1 (1915); M. Uhlirz, Die italienische Kirchenpolitik der Ottonen, Mitteilungen des österreichischen Instituts für Geschichtsforschung 48 (1934), S. 201 ff.; R. Holtzmann, Kaiser Otto der Große (1936); ders., Geschichte der sächsischen Kaisetzeit (1941); zum Widerstand gegen die Deutschen in Italien G. Graf, Die weltlichen Widerstände in Reichsitalien gegen die Herrschaft der Ottonen und der ersten beiden Salier (1936). Von Sybel und den Vertretern seiner Anschauungen wird im allgemeinen der italienische Widerstand erheblich überschätzt und die Stabilität des deutschen Regiments unterschätzt. Gewiß, wenn man die deutsche Herrschaft in Italien mit modernen staatlichen Bindungen vergleicht, so findet man sie sehr schwach. Aber es liegt auf der Hand, daß dieser Vergleich anachronistisch und ungerecht ist. An modernen staatlichen Verhältnissen gemessen waren sämtliche staatlichen Organisationen des zehnten Jahrhunderts äußerst dürftig, auch z. B. die Stellung des Königs in Deutschland selbst. Wenn man dagegen, wie billig, mit den Maßstäben des zehnten Jahrhunderts mißt, so kann man im ganzen (in Einzelfragen mag man verschiedener Meinung sein) die Verbindung Norditaliens mit Deutschland in dieser Zeit nur als durchaus gefestigt bezeichnen. 3) Z u K a p i t e l I, 2
15-
Vgl. außer der in Anm. 2 zitierten Literatur A. Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 3, 3. und 4. Aufl. (1920), S. 203 ff.; J . Haller, Das Papsttum 2, 1 (1937). Zu der Einladung Ottos nach Rom 961 vgl. meine Studien über Liudprand von Cremona (1933) S. 22ff. und die dort zitierte Literatur. Die Nachricht, daß die römische Gesandtschaft 965 die Wiederwahl Benedikts V. wünschte, findet sich bei Adam von Bremen, Gesta Hammaburg. eccl. pontificum II cap. 12, hsg. von B. Schmeidler (1917) S. 69. Über die Wahl Johanns XIII., seine Herkunft und seine Stellung zu Otto vgl. A. Brackmann, Die Ostpolitik Ottos des Großen, Histor. Zeitschr. 134 (1926), S. 242fr., wieder abgedruckt in: Gesammelte Aufsätze (1941) S. i4off.; meine Miszelle Johann X i n . , Mitt. d. Österr. Inst. f. Geschichtsforschung 48 (1934) S. 432 fr.; W. Kölmel, Beiträge zur Verfassungsgeschichte Roms im 10. Jahrhundert, Histor. Jahrb. 55 (1935) S. 432fr. Daß Otto trotz seiner anscheinend imponierenden Stellung gegenüber der Kurie nicht völlig über das Papsttum verfugen konnte, ist verständlich. Einmal XI4
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mußte er mit dem immer schwierigen römischen Adel rechnen, und außerdem war seine Macht in Mittelitalien längst nicht so gefestigt, daß er nicht unter Umständen die Römer und den Papst brauchte; er mußte daher Rücksicht auf sie nehmen; vgl auch Kap. III, z, S. 70ff. 4) Z u K a p i t e l I, 3
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Vgl. die in Anm. 2 zitierte Literatur. Der Brief Ottos an die säschsischen Fürsten, geschrieben am 18. Januar 968 in Capua, steht in Widukinds Sachsengeschichte III, cap. 70, hsg. von P. Hirsch und H. E. Lohmann (1935) S. 146f. Die Urkunde, in der Otto seine Absichten auf Süditalien ausspricht: DOI 367 vom 2. November 968; über Liudprands Erklärungen in Byzanz vgl. die Relatio de legatione Constantinopolitana cap. 7, Die Werke Liudprands von Cremona, 3. Aufl., hsg. von J . Becker (1915) S. 179. Die Heirat Ottos II. mit Theophanu müßte man positiver werten, wenn es, wie man oft behauptet, richtig wäre, daß dieser Ausgleich mit den Griechen notwendig war, um mit der damit verbundenen Anerkennnung von Ottos Kaisertum dieses Kaisertum zu sichern, ja geradezu zu legitimieren. Doch diese Ansicht scheint mir nicht richtig zu sein. Einmal ist nicht einzusehen, wieso es für Ottos Stellung als Kaiser etwas Wesentliches ausmachte, ob er von Byzanz anerkannt wurde oder nicht; andere Kaiser haben danach auch nicht gefragt. Und im übrigen ist, wie im Text gesagt, die Kaiserkrönung von 962 im Osten zunächst anstandslos anerkannt worden, oder doch jedenfalls bis 967 unbeanstandet geblieben; vgl. dazu auch unten Anm. 6. Auf jeden Fall geht es viel zu weit, wenn etwa A. Waas, Kaisertum und Staat Ottos des Großen, Deutsche Zeitschr. 49 (1935/36), S. 424 meint, die Heirat mit Theophanu habe die Anerkennung als führende Macht des Abendlandes bedeutet. Darüber, daß die Heirat nach dem Sturz von Theophanus Verwandten im Osten für das Verhältnis der Ottonen zu Byzanz eher schädlich als nützlich war, vgl. auch P. E. Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio 1 (1929), S. 83. Zu der Meinung, ob sich auch ohne Krieg mit den Griechen die Lehnshoheit über Capua und Benevent hätte behaupten lassen, vgl. auch Kap. 1,5. Im übrigen ist, wenn diese Meinung nicht zu bejahen ist, natürlich die Frage, ob die Lehnshoheit über die beiden süditalienischen Fürstentümer wirklich den langen Krieg mit Byzanz wert war. 5) Z u K a p i t e l 1 , 4
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Die Meinung, daß das Kaisertum Weltherrschaft oder doch Hegemonie über das Abendland bedeutet habe, wird mehr oder weniger deutlich z. B. vertreten von J. Bryce, The holy Roman empire (1864), erweiterte deutsche Ubersetzung von A. Winckler (1873); v. Giesebrecht, Gesch. d. Deutschen Kaiserzeit 1, S. 344ff. und S. 458; J. Härtung, Die Lehre von der Weltherrschaft im Mittelalter, Diss. Halle 1909, S. I2f.; E. E. Stengel, Den Kaiser macht das Heer (1910) S. 16; W. Rüsen, Der Weltherrschaftsgedanke und das deutsche Kaisertum im Mittelalter, Diss. Halle 1913; A. Schunter, Der weströmische Kaisergedanke außerhalb 8*
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des einstigen Karolingerteiches im Hochmittelalter, Diss. München 1926 (Masch.chrift.); H. Günter, Das deutsche Mittelalter 1 (1936), S. 42f.; R. Holtzmann, Der Weltherrschaftsgedanke des mittelalterlichen Kaisertums und die Souveränität der europäischen Staaten, Hist. Zeitschr. 159 (1939), S. 251 ff.; ders., Gesch. d. sächs. Kaiserzeit S. 146, 165, 190, 194. Anderer Ansicht vor allem J . Haller, Die Epochen der deutschen Geschichte (Ausgabe von 1941) S. 40ff.; ders., Der Reichsgedanke der staufischen Zeit, Die Welt als Geschichte 5 (1939), bes. S. 416f.; R. Schlierer, Weltherrschaftsgedanke und altdeutsches Kaisertum, Diss. Tübingen 1934, bes. S. 9 ff., denen ich im wesentlichen, vor allem für das zehnte Jahrhundert, zustimme. Die Hauptfehler der Verfechter des „Weltkaisertums" scheinen mir zu sein, daß sie vereinzelte und in ihrer Vereinzelung fiir das Staats- und Völkerrecht der Zeit bedeutungslose Stimmen verallgemeinern und den Widerspruch der überwiegenden Mehrheit aller Zeugnisse ignorieren; daß sie Anschauungen der Hohenstaufenzeit, die sich aber auch in dieser Zeit nicht durchgesetzt haben, und Theorien der Spätantike sowie des späten Mittelalters auf die Ottonenzeit übertragen; und daß sie schließlich die tatsächliche Hegemonie, die Otto in Europa hatte, mit einer sich angeblich aus der Kaiserwürde ergebenden Hegemonie verwechseln. Die einzige Quelle, auf die man zum Beleg für die Hegemoniestellung von Ottos Kaisertum immer wieder hinweist, ist die Sachsengeschichte Widukinds von Korvey; vgl. J . Härtung a. a. O., A. Schunter a. a. O., R. Holtzmann, Histor. Zeitschr. 159, S. 258, Anm. 2. Tatsächlich redet Widukind I, 34, S. 48 von der potentiae maiestas Ottos, die tota fere Europa non sustinet; in der Vorrede zum zweiten Buch (S. 61) spricht er davon, daß Ottos potestas sich auf Europa, Afrika und Asien ausdehne, und III, 12, S. n o f heißt es, der unmrstu orbis erwarte Otto II. als Nachfolger seines Vaters und als dominus und imperator. Doch daraus kann man auf Widukinds Anschauung von dem in Rom erworbenen Kaisertum schlechterdings nichts schließen; dennWidukind kennt in der Fassung, in der diese Sätze stehen, dieses Kaisertum überhaupt nicht. Für ihn wird die Kaiserwürde durch die Herrschaft über andere Völker oder durch Ottos Lechfeldschlacht geschaffen, ist also nichts als der Ausdruck der tatsächlichen Machtstellung Ottos des Großen. Und selbst, wenn es nicht so wäre, wäre es doch unmöglich, in Widukinds Wendungen den Niederschlag der staatsrechtlichen Realitäten der Zeit zu sehen. Diese Wendungen stehen in überschwenglichen Huldigungen an das Kaiserhaus, und daß man sie bloß als panegyrische Phrasen zu werten hat, ergibt sich, abgesehen von der Übertreibung, die Otto nicht bloß in Europa, sondern auch gleich in Afrika und Asien herrschen läßt, schon daraus, daß in ihnen auch die kleine Prinzessin Mathilde als domina totius Europas (S. 61) gefeiert wird. — Eine bemerkenswerte Abwandlung der Anschauung vom Kaisertum als Weltherrschaft findet sich bei R. Holtzmann, Histor. Zeitschr. 159, S. 251 ff. Danach handelt es sich zwar nicht um eine eigentliche Weltherrschaft, wohl aber um eine die anderen Könige und Reiche überragende auctoritas. Il6
Za Was diese höhere auctoritas eigentlich bedeuten soll, ist mir nicht ganz klar. Wenn Holtzmann S. 257 sagt: „Der Kaiser hat einen höheren Rang und keineswegs nur einen höheren Titel als die anderen souveränen Herrscher", so scheint mir das zwar auch richtig zu sein, aber ich kann nichts Besonderes darin sehen; denn ein höherer Titel ist doch nichts anderes als die Bezeichnung für einen höheren Rang. Die entscheidende Frage scheint mir nur zu sein, ob sich aus dem höheren Rang irgendeine Oberhoheit über andere Könige ergab, und davon scheint man mir mindestens für die Ottonenzeit nicht reden zu können. Im übrigen dürfte die Auctoritasstellung des Kaisers keineswegs etwas Singuläres und dem Mittelalter allein Eigentümliches zu sein. Auch in der Neuzeit haben die europäischen Großmächte stets eine größere Autorität gehabt als die Kleinstaaten, ohne daß dadurch deren Souveränität (wenigstens in der Theorie) beeinträchtigt zu werden brauchte. Davon abgesehen kann man die Stellung des ranghöheren Kaisers zu den europäischen Fürsten des Mittelalters vielleicht durch folgendes Beispiel verdeutlichen: der Kaiser von Österreich hatte einen höheren Rang als der König von Rumänien; aber zu sagen hatte er ihm darum nichts. Genau so steht es mit dem Verhältnis des mittelalterlichen Kaisers etwa zum König von Frankreich. Der Ämtertraktat ist herausgegeben von M. Conrat, Zeitschr. f. Rechtsgesch. 29 (1908), S. 239fr. und von G. Baesecke, De gradus Romanorum, Festschr. für R. Holtzmann (1933), S. iff. Uber die nicht aus dem Kaisertum abgeleiteten Begründungen der Eroberung Süditaliens durch Otto vgl. auch W. Rüsen S. 22 sowie Schlierer a. a. O.; die Quellenbelege dazu: Liudprand, legatio cap. 7, S. 179 und DOI 367. 6) Zu Kapitel I, 5
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Zu der Ansicht, daß man Rom brauchte, um Norditalien, und daß man den Süden brauchte, um Rom zu sichern, vgl. etwa K. Lamprecht, Deutsche Geschichte 2, 4. Aufl. (1909), S. Ij9f.; Haller, Epochen S. 49fr.; R. Holtzmann, Sächsische Kaiserzeit S. 192 und 213. Haller meint a. a. O., man habe den Besitz von Rom nötig gehabt, weil die norditalienischen Bischöfe von der Kurie besonders abhängig waren. Davon bemerkt man aber im allgemeinen nichts. Vielmehr haben sich gerade die wichtigsten norditalienischen Episkopate, Mailand und Ravenna, immer von Rom zu emanzipieren versucht, und daß in kleineren norditalienischen Bistümern die Stimmung gegen Rom nicht besser war, lehren die Bemerkungen Liudprands von Cremona zur Genüge. Im übrigen werden, so weit ich sehe, die Thesen von der wechselseitigen Abhängigkeit der verschiedenen Phasen der italienischen Politik nicht weiter begründet. Wenn ich diese Thesen bestreite, so möchte ich nicht mißverstanden werden. Ich halte es für verständlich, daß ein König, der in Pavia stand, nach Rom gehen wollte, und daß er, wenn er in Rom war, nach Unteritalien ging. Es mag auch sein, daß durch den Besitz von Rom der des Nordens, und daß durch den Besitz des Südens der von Rom besser gefestigt wurde, wenn man das auch sehr fraglich l l
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finden kann. Aber Ich bestreite, daß man den Norden ohne Rom und Rom ohne den Süden nicht halten konnte. Doch davon ganz abgesehen, die den Ottonen zugeschriebene Art von Sicherungspolitik hat auf jeden Fall etwas merkwürdige Konsequenzen. Um Pavias sicher zu sein, brauchte man Rom, um Roms sicher zu sein, Benevent, um Benevents sicher zu sein, den Krieg mit den Griechen; d. h. man mußte gegen die Griechen Krieg fuhren, um Pavia zu sichern. Da möchte man doch, wie ähnlich schon Sybel gefragt hat, fragen: ist damit die Reihe wirklich zu Ende ? Mußte man, um Benevent fest in der Hand zu haben, nicht die Griechen aus Süditalien vertreiben ? Mußte man, um Süditalien wirklich zu besitzen, nicht die Sarazenen aus Sizilien verjagen ? usw. Man sieht, man gelangt bei einer derartigen Politik und ihrer Rechtfertigung unschwer nach Afrika und vor die Tore von Byzanz und Bagdad. Die Frage ist nur, ob das Ziel, das man ursprünglich im Auge hatte (und das war doch der Besitz von Pavia), den Einsatz wirklich lohnte, und ob sich andererseits dieses Ziel nicht auch durch andere Mittel als durch eine solche Ausweitungspolitik erreichen ließ. 7) Zu K a p i t e l II, 1
37—41
Die Meinung von dem mehr oder weniger maßgebenden Einfluß der Danielschen Prophezeiung auf die Kaiserpolitik findet sich (ohne daß die Sache bisher genauer untersucht wäre) etwa bei Bryce, a. a. O., besonders S. 65 und 80; Fr. Kampers, Die deutsche Kaiseridee in Prophetie und Sage (1896) passim; Härtung, Die Lehre von der Weltherrschaft, bes. S. i8ff.; Günter, Das werdende Deutschtum und Rom (1934), bes. S. 45 ff.; ders., Das deutsche Mittelalter 1, S. 42; R. Schlierer, Weltherrschaftsgedanke S. 54 fr.; H. Grundmann, Die Grundzüge der mittelalterlichen Geschichtsanschauungen, Archiv f. Kulturgeschichte 24 (1934), S. 326fr., bes. S. 332; H. Heimpel, Deutschlands Mittelalter — Deutschlands Schicksal, Freiburger Universitätsreden 12 (1933), neu gedruckt: Deutsches Mittelalter (1941), S. 13; Reich und Staat im deutschen Mittelalter, Archiv des deutschen Rechts, N.F. 27 (1936) und in Deutsches Mittelalter S. 67; R. Holtzmann, Sächsische Kaiserzeit S. 193; die Ansicht Haimos von Halberstadt über den Antichrist und das Römische Reich findet sich in Haymonis Halberstad. ep. expositio in epp. S. Pauli, Migne, Patrol. Lat. 117, Sp. 78of.; die Ansicht des Monachus Sangallensis in dessen Gesta Karoli I, cap. 1, SS. 2, S. 731; Adsos Traktat bei E. Sackur, Sibyllinische Texte und Forschungen (1898) S. 104fr. Was in diesem Abschnitt über Daniels Traum gesagt ist, gilt mutatis mutandis auch für andere noch bedeutungslosere eschatologische Spekulationen der Zeit. 8) Z u K a p i t e l II, 2
41—43
Vgl. vor allem Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio 1, bes. S. 51 ff.; E. Pfeil, Die fränkische und deutsche Romidee des frühen Mittelalters Il8
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(1929) S. 173 ff. Daß der römische Gedanke Ottos Kaisertum nicht das Gepräge gegeben hat, betont Schramm a. a. O. S. 70. Bezeichnend dafür, wie gering die Kraft der römischenVorstellungen im zehnten Jahr hundert war, scheint mir auch die Tatsache zu sein, daß die Konstantinslanze, die Heinrich I. 926 erworben hatte, im Laufe des Jahrhunderts in eine Mauritiuslanze umgedeutet worden ist. Das wäre schwerlich geschehen, wenn der Gedanke an das Römische Reich und damit an Konstantin den Großen eine überragende Bedeutung gehabt hätte. Über die Lanze und ihre Umdeutung vgl. auch A. Brackmann, Die politische Bedeutung der Mauritiusverehrung im frühen Mittelalter, Sitzungsber. der Preuß. Ak. 1937 bes. S. 15 f.; neu gedruckt in Gesammelte Abhandlungen S. 211 ff.; die Ansicht Hrotwiths, Otto habe das Reich des Augustus erneuert, findet sich in den Gesta Oddonis v. 30, Hrotswithae opera hsg. von P. v. Winterfeld (1902) S. 203; auch sonst ist bei ihr vom Römischen Reich die Rede. Reginos Bemerkung über die Eroberung Roms durch Arnulf: Reginonis abbatis Prumiensis Chronicon 896, hsg. von F. Kurze (1890) S. 144; Widukind über Römer und Sachsen I, cap. 8, S. 9; Liudprands Abneigung gegen die Römer tritt an vielen Stellen seiner Werke hervor; vgl. dazu meine Studien über Liudprand von Cremona S. 7off. Die Urkunde, in der Johann Xin. Otto in eine Reihe mit Konstantin dem Großen stellt: Jaffe-Löwenfeld 3715, Böhmer-Ottenthal 447. 9) Z u K a p i t e l II, 3
43—46
Die Ansicht, daß sich Otto der Große mit seiner Kaiserpolitik bemüht habe, in die Fußstapfen Karls des Großen zu treten, wird oft geäußert; vgl. etwa Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio S. 67®., bes. S. 70, wo es heißt, daß nicht der Romkult, sondern der Karlskult Ottos Kaisertum das Gepräge gegeben habe; Pfeil, Der römische und fränkische Romgedanke S. 188; Th. Mommsen, Studien zum Ideengehalt der deutschen Außenpolitik im Zeitalter der Ottonen und Salier, Diss. Berlin 1930, S. 3of. und S. 62; Waas, Deutsches Jahrbuch 49, S. 419; J . Haller, Das Papsttum II, 1 (1937), S. 194; F. Rörig, Mittelalterliches Kaisertum und die Wende der europäischen Ordnung, Das Reich und Europa (1941) S. 22ff. Die Erwähnung Karls bei Widukind I,cap. 15, S. 25; in der Vita Mathildis antiquior cap. 1, SS. 10, S. 575f.; über die Flucht Karls vor den Sachsen, Liudprand, Antapodosis II, cap. 26, S. 50; Thietmar VII, cap. 75, Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, hsg. von R. Holtzmann (1935) S. 490. Thietmar vergleicht im übrigen Otto den Großen mit Karl dem Großen, vgl. II, Vorrede, S. 36 und II, cap. 45, S. 92f. Wie wenig man aber auf solche Vergleiche zu geben braucht, geht auch daraus hervor, daß nach Liudprand, Antapodosis V, cap. 30, S. 148 die Italiener Berengar von Ivrea über Karl stellten. Die Urkunde Ottos, in der Aachen als vornehmster Königssitz diesseits der Alpen erwähnt wird: DOI 316. Die Urkunde Johanns XIII., die Otto in einer Reihe mit Konstantin und Karl stellt: Jafte-Löwenfeld 3715 und Böhmer-Ottenthal 447. 1X9
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10) Z u K a p i t e l II, 4 . . .
46—jj
Übet das Ostfränkische Reich im Verhältnis zum Karolingerreich und zu den Stämmen vgl. meine Schrift: Die Anfänge des Deutschen Reiches (1942). v. Below, Die italienische Kaiserpolitik S. 8 f., ist bereit, den Einfluß, den die Tradition, d. h. doch wohl in erster Linie die karolingische Tradition, auf den deutschen König ausübte, als schlechthin zwingend anzunehmen; ganz ähnlich Kern, Gedächtnisschrift für v. Below S. 57. Wenn auch nicht immer so stark, so wird die Bedeutung der karolingischen Tradition für die Ottonische Kaiserpolitik doch sehr oft hervorgehoben. Daß die Unterwerfung Italiens durch Otto mit der der süddeutschen Herzogtümer durch Heinrich grundsätzlich auf eine Stufe gestellt werden müsse, sagt schon Ficker, Deutsches Königtum und Kaisertum S. 38; ähnlich Heimpel, Deutsches Mittelalter S. 22. Der Brief Theotmars von Salzburg an den Papst ist gedruckt von H. Breßlau, Der angebliche Brief des Erzbischofs Hatto von Mainz an Papst Johann IX.,Festschr. für Karl Zeumer (1910) S. 22ff. Die Verwendung von nostrates beim Continuator Reginonis zu den Jahren 944, 955, 963, in der Ausgabe der Chronik Reginos von F. Kurze (1890) S. 163, 168, 173. In ähnlichem Sinne wie das Wort „deutsch" werden zur Bezeichnung der Gemeinschaft der deutschen Stämme auch andere Wörter verwandt; vgl. darüber außer der umfangreichen Literatur über das Wort „deutsch" den, soweit ich sehe, nicht immer genügend beachteten Exkurs über Barbari et Teutonici in Dümmlers Jahrb. Ottos des Großen S. 5J7ff. Mir scheint die Frage nach der Bedeutung des Wortes „deutsch" für die Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins in der Literatur oft überschätzt zu werden. Das Gemeinschaftsbewußtsein der deutschen Stämme hat auch in andern Worten seinen Ausdruck gefunden, und im übrigen könnte es wirksam gewesen sein, ohne daß die Gemeinschaft der Stämme einen besonderen Namen hatte. — Das Einwirken der karolingischen Tradition und vor allem der karolingischen Kaiserpolitik auf die deutsche Königspolitik in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts versucht besonders nachdrücklich nachzuweisen A. Schulze, Kaiserpolitik und Einheitsgedanke in den karolingischen Nachfolgestaaten (876—962), Berliner Diss. 1926. Diese Arbeit hat viel Zustimmung gefunden, wie ich glaube, meistens zu Unrecht. Denn sie beweist nicht das, was sie beweisen will. Sie verallgemeinert vereinzelte Symptome und übersieht die Momente, die diesen Symptomen die Beweiskraft nehmen. Vor allem scheint mir ihr Hauptargument, die Tatsache, daß die deutschen Könige von Ludwig dem Kind bis zu Otto dem Großen in ihren Diplomen bisweilen auf ihre kaiserlichen Vorgänger hinweisen, nicht zu besagen, daß diese Könige die Absicht hatten, nun Kaiserpolitik zu treiben. So und so viele Vorgänger der deutschen Könige waren tatsächlich Kaiser gewesen. Wenn die königliche Kanzlei auf Vorurkunden und Verfügungen, die von diesen stammten, zu sprechen kam, warum sollte sie dann verschweigen, daß sie Kaiser waren, und wie kann man daraus, daß sie das nicht tat,
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auf eine beabsichtigte Kaiseipolitik schließen? Mit demselben Recht müßte man etwa daraus, daß ein Präsident der Französischen Republik Napoléon I. erwähnt, schließen, daß er die napoléonische imperialistische Politik fortsetzen will. Aus dem in den Diplomen bisweilen auftretendem Wort tmperialis scheint man mir gleichfalls nichts in Schutzes Sinne entnehmen zu können. Einmal ist es meistens in einer ganz allgemeinen Bedeutung gebraucht, und im übrigen wäre, wenn man es wirklich mit „kaiserlich" zu übersetzen hätte, immer zu fragen, ob dabei an das römische oder an das nichtrömische Kaisertum zu denken wäre; und gerade das letztere scheint mir meistens der Fall zu sein. n ) Z u K a p i t e l II, j
53—J7
V g l . F. Hardegen, Imperialpolitik König Heinrichs II. von England, Heidelberger Abhandlungen 12 (1905), S. 4 9 f r . ; Stengel, Den Kaiser macht das Heer; Schunter, Der weströmische Kaisergedanke; Pfeil, Der fränkische und deutsche Romgedanke S. 169, 176f. und 190; Schramm, Kaiser, Rom und Renovatio, bes. S. 75ff.; Stengel, Regnum und Imperium, Marburger Akad. Reden 49 (1930); Günter, Das werdende Deutschtum und Rom; meine Aufsätze Die politische Haltung Widukinds von Korvey, Sachsen und Anhalt 14 (1938), S. 33fr. sowie Das abendländische Kaisertum im neunten und zehnten Jahrhundert, Die Welt als Geschichte 4 (1938), S. 423ff.; Stengel, Kaisertitel und Souveränitätsidee, Deutsches Archiv 3 (1939), S. iff.; R. Scholz, Germanischer und römischer Kaisergedanke im Mittelalter, Zeitschr. für Deutsche Geisteswissenschaft 3 (1940), S. n 6 f f . , bes. S. i24f. Von Stengels Auffassung, der sich am gründlichsten und fruchtbarsten mit dem Problem befaßt hat, weiche ich in mancher Hinsicht ab (wenn er das auch Deutsches Archiv 3, S. 18, Anm. 2, bestreitet); einmal darin, daß mir das nichtrömische Kaisertum nicht das Produkt des staatsrechtlichen Prinzips „Den Kaiser macht das Heer" zu sein scheint, und weiter darin, daß nach meiner Meinung dieses Kaisertum mit Rom und dem Römischen Reich wirklich gar nichts mehr zu tun hat, während Stengel meint, es habe nicht aufgehört, dasselbe zu sein; vgl. S. 14, Anm. 2. Ich gedenke auf den Fragenkomplex zurückzukommen. Über den Amtertraktat vgl. oben Anm. 5, S. 117. Die Notiz der Ann. Fuldenses zu 869 in der Ausgabe von F. Kurze (1891) S. 69f.; der Monachus Sangallensis I, cap. 26, SS. 2, S. 743; der Libellus de imperatoria potestate SS. 3, S. 719fr. sowie in der Ausgabe von G. Zucchetti, in den Fonti per la stoire d'Italia (Rom 1920) S. 191 ff. ; über Liudprand von Cremona und sein Verhältnis zum Kaisertum vgl. meine Studien über Liutprand von Cremona S. 68ff.; über Widukind die oben zitierte Literatur; Ruotgers Vita Brunonis SS. 4, S. 2$4ff. Widukind weiß übrigens nichts von einem römisch-päpstlichen Kaisertum Karls; für ihn ist Karl zum Kaiser gewählt; vgl. I, cap. 15, S. 25. Die im Text gegebenen Beispiele für das nichtrömische Kaisertum ließen sich noch vermehren; vgl. auch Die Welt als Geschichte 4, S. 432f. und S. 444.
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12) Zu Kapitel m , 1
58—65
Die Ansicht, daß die Herrschaft über die deutsche Kirche die Herrschaft über den Papst zur Voraussetzung hatte, wird oft vertreten; vgl. etwa K. W. Nitzsch, Geschichte des deutschen Volkes, hsg. von G. Matthäi 1, 2. Aufl. (1892), S. 353; K. Hampe, Otto der Große, Meister der Politik 1 (1923), S. 306; Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 3, S. 219; Haller, Papsttum 2, 1, S. 194; ders., Epochen der deutschen Geschichte S. 45; Brackmann, Der Streit um die deutsche Kaiserpolitik, Velhagen und Klasings Monatshefte, Juni 1929, Ges. Aufs. S. 25 ff. bes. S. 29; F. Schneider, Rom und Romgedanke S. 192; ders., Mittelalter S. 184; Waas, Deutsches Jahrbuch 49, S. 426; in vorsichtiger Formulierung auch R. Holtzmann, Sächsische Kaiserzeit S. 193. Anderer Meinung v. Below, Italienische Kaisetpolitik S. 13 und S. 2off. sowie Braubach, Vergangenheit und Gegenwart IJ, S. 332, deren Argumenten ich mich im Text vielfach anschließe, und die außerdem unter anderem mit Recht darauf hinweisen, daß der englische und der französische König auch ohne die Herrschaft über den Papst über ihre Bischöfe verfugten, und daß der deutsche König während des Investiturstreites, als die Verbindung mit Rom zerrissen war, dasselbe tat. Über die politische Ohnmacht des Papsttums vgl. Hauck, Kirchengesch. Deutschlands 3, S. 204& und Haller, Papsttum 2, 1, S. 229ff. Der BriefWilhelms von Mainz an Agapet und die Antwort Johanns XII. sind gedruckt von Ph. Jaffé, Bibl. rer. German. 3, S. 347ff. Über die Stellung der bayrischen Bischöfe vgl. den in Anm. 10 zitierten Brief Theotmars von Salzburg. Die Kurie hat im zehnten Jahrhundert fast überall die Könige gegen die Großen und auch gegen die Bischöfe unterstützt; sie hat sich z. B. für die Bischofsinvestitur durch den König eingesetzt. Wie die Machtverhältnisse einmal waren, konnte sie gar nicht anders handeln. 13) Zu Kapitel III, 2 65—72 Darüber, daß Otto die Herrschaft über die Kurie für die Durchfuhrung seiner Ostpolitik, besonders für die Gründung Magdeburgs gebraucht habe, vgl. vor allem Brackmann, Die Ostpolitik Ottos des Großen, Ges. Aufs. S. i4off.; ders., Der Streit um die deutsche Kaiserpolitik, Ges. Aufs. S. 25ÉF.; ders., Reichspolitik und Ostpolitik im frühen Mittelalter, Sitzungsber. der Preuß. Ak. 1935, 32, Ges. Aufs. S. i88ff.; ders., Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens im frühen Mittelalter (1937), bes. S. 13ff.; Th. Mayer, Die mittelalterliche deutsche Kaiserpolitik und der deutsche Osten, Nachr. der Gießener Hochschulgesellschaft 8, 3 (1931), S. 9ff.; R. Holtzmann, Otto der Große und Magdeburg in: Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser (1936) S. 45ff., bes. S. 6 3 f r . ; ders., Kaiserpolitik und deutsche Grenzpolitik, Zeitschr. f. deutsche Geisteswissenschaft 1 (1938), S. 97f.; ders., Sächsische Kaiserzeit S. 193; Waas, Deutsches Jahrbuch 49, S. 426; Haller, Papsttum 2, 1, S. 194. Die auf S. 66 zitierten Sätze finden sich
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bei Holtzmann, Zeitschr. f. deutsche Geistesw. i, S. 97 und bei Waas a. a. O . Die Meinung, daß vor allem nach Ausweis der liturgischen Gebete der Kaiser und nicht der König zum Heidenbekehrer prädestiniert war, findet sich besonders bei H . Hirsch, Der mittelalterliche Kaisergedanke in den liturgischen Gebeten, Mitt. d. österr. Inst. f. Gesch.forsch. 44 (1930), S. iff.; ihm widerspricht, wie mir scheint, mit Recht C. Erdmann, Der Heidenkrieg in der Liturgie und die Kaiserkrönung Ottos I., ebenda 46 (1932), S. 129ff. Auf den Unterschied zwischen den Plänen von 962 und den Urkunden von 967 und 96g weist Brackmann bes. Ges. Aufs. S. 140ff. hin; dort sind auch die in Frage kommenden Urkunden zitiert. Daß die Kaiserpolitik versagt hat, indem sie Johann XD3. nicht hinderte, Ottos Plänen Widerstand zu leisten, betonen bereits v. Below, Italienische Kaiserpolitik S. 63 f. und Kern, Gedächtnisschrift für v. Below, S. j 8 f . 14) Z u K a p i t e l m , 3
72—76
Die Ansicht, daß die Herrschaft über den Papst zur Festigung der Hegemonie in Europa nötig war, wird, soviel ich sehe, nicht oft geäußert. Doch vgl. die in Anm. 5 zitierte Literatur, bes. v. Giesebrecht 1, S. 460 und S. 484. Daß Otto als mächtigster König des Abendlandes verpflichtet war, dem Papst zu Hilfe zu kommen, wird öfter gesagt oder angedeutet. 15) Z u K a p i t e l H I , 4
76—79
Daß der deutsche Staatsverband durch eine süddeutsche Eroberung Italiens geschwächt werden mußte, betont schon Ficker, Deutsches Königtum \ind Kaisertum S. 54f. Vgl. im übrigen über diese Gefahr und die Notwendigkeit ihrer Verhinderung durch die Kaiserpolitik A. Hofmeister, Die nationale Bedeutung der mittelalterlichen Kaiserpolitik, Greifswalder Universitätsrede 1923 S. 9; Th. Mayer, Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 8, 3, S. i 5 f . ; H . Heimpel, Bemerkungen zur Geschichte König Heinrichs I. S. 45 (mit Beziehung auf die von Heinrich I. geplante Romfahrt) und ders., Das Erste Reich — Schicksal und Anfang, Zeitschr. f. Deutsche Geisteswissenschaft 1 (1938) S . i 3 f . — Deutsches Mittelalter S . i 9 o f . ; R. Holtzmann, Sächsische Kaiserzeit S. 105 und S. 192. Gegen derartige Auffassungen bereits v. Below, Italienische Kaiserpolitik S. 22f., der mit Recht bemerkt, daß ein süddeutscher Herzog in Italien kaum weiter gekommen wäre als der burgundische König, und daß sich bei einem Versuch des Schwaben- oder Bayernherzogs, den Schwerpunkt seiner Macht nach dem Süden zu verlegen, der deutsche Stamm von ihm gelöst hätte.— Zur Verdeutlichung der Situation mag man sich erinnern, daß es z. B. Hugo von Vienne nicht gelang, sich von Italien aus gegen den Willen des deutschen Königs in seinem Stammland Burgund festzusetzen; wie hätte es da einem Schwaben oder Bayern, der in Pavia herrschte, gelingen sollen, sein Herzogtum vom Reich loszureißen. Im übrigen ist es bezeichnend, daß Otto 952 die Mark Verona an Heinrich von 123
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Bayern übertrug, und daß er 965 den Herzog Burchard von Schwaben mit der Säuberung und Verteidigung des Langobardenreichs betraute. Wenn seine eigene Italienpolitik von der Besorgnis vor Absichten der süddeutschen Herzöge auf Italien diktiert gewesen wäre, so hätte er diese Herzöge schwerlich so intensiv daran beteiligt. 16) Z u K a p i t e l III, 5
79—8j
Vgl. im allgemeinen Ficker, Das deutsche Kaiserreich in seinen universalen und nationalen Beziehungen S. 6 j f . ; ders., Deutsches Königtum und Kaisertum S. 5 3; über die Ansicht, daß Italien von den Sarazenen bedroht wurde, vgl. E. Caspar, Handbuch der deutschen Gesch., hsg. von A . O. Meyer 1 (ohne Jahr), S. 153f.; die Meinung, daß ein unter dem Langobardenkönig geeintes Italien dem Deutschen Reich, besonders dem deutschen Handel, gefährlich geworden wäre, vor allem bei J. Haller, Das altdeutsche Kaisertum (ohne Jahr) S.2if.; Papsttum 2, 1, S. 194; Epochen S. 47f.; ähnlich Brackmann, Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens S. 4f. Gegen derartige Auffassungen schon v. Sybel, Die deutsche Nation und das Kaiserreich S. 38£.; v. Below a. a. O . S. 2 j f . ; Kern a. a. O. S. JJ£. 17) Z u K a p i t e l IV, 1
86—89
Man pflegt häufig darauf hinzuweisen, daß eine innerpolitische Schwächung des deutschen Königtums infolge der Italienzüge dadurch eingetreten sei, daß die Könige den Fürsten für ihre Beteiligung an diesen Zügen Konzessionen machten mußten. Davon ist für die Zeit Ottos indessen nichts zu bemerken. — Die Angaben Widukinds über den Aufstand Wichmanns finden sich in der Sachsengeschichte DI, cap. 74ff., S. 1 3 9 f r . ; über die angeblich drohende Empörung der Sachsen im Jahre 972 III, cap. 75, S. 151 f.; Ottos Befehl, die Redarier zu vernichten in dem Brief an die Sachsen aus Capua Widukind III, cap. 70, S. 146f. Ein Anzeichen für Widerstände, die Otto in den nichtsächsischen Stämmen fand, mag man in dem Aufstand des fränkischen Grafen Udo sehen, über den uns freilich alle Einzelheiten fehlen. 18) Z u K a p i t e l IV, 2
89—94
Die Ansicht, daß die Katastrophe von 983 die Folge der Italienpolitik sei, ist vertreten vor allem von v. Sybel, Die deutsche Nation und das Kaiserreich S. 49f.; v. Below, Italienische Kaiserpolitik S. 64f.; Kern, Gedächtnisschrift für v. Below S. 62 f.; doch z. B. auch Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands 3, S. 243 und F. Schneider, Rom und Romgedanke S. 191 betonen die nachteiligen Folgen der Kaiserpolitik für die Ausdehnung im Osten. Von den Verteidigern der Kaiseipolitik wird, wie oben gesagt, diese Auffassung im allgemeinen bestritten, und es wird sogar im Gegenteil die Notwendigkeit der Italienpolitik für die Ostpolitik behauptet. Widukind über Miseko als amicus regis III, cap. 69, S. 143f.; über die geringen Ergebnisse der Mission vgl. vor allem Hauck S. 243 ff.; über Thietmars Angaben über die Verhältnisse bei
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Zu Seite den Slawen zu seiner Zeit W . Füllner, Der Stand der deutsch-slawischen Auseinandersetzung zur Zeit Thietmars von Merseburg (1937), bes. S. 82ff. 19) Z u K a p i t e l I V , 3
9J—99
Die Annahme einer, .kleindeutschen" OppositionLiudolfs und seiner Anhänger Endet sich besonders bei v. Sybel, Die deutsche Nation und das Kaiserreich S. a ß . ; W . Maurenbrecher, Die Kaiserpolitik Ottos I., Histor. Zeitschr. 5 (1861), bes. S. 139; ähnlich auch bei v. Giesebrecht 1, S. 386 sowie bei F. Schneider, Mittelalter S. i78ff. Uber die oppositionelle Haltung Widukinds gegenüber dem römischen Kaisertum Ottos vgl. vor allem Stengel, Den Kaiser macht das Heer, bes. S. z6&. ; ders., Die Entstehungszeit der Res gestae Saxonicae und der Kaisergedanke Widukinds von Korvey, Corona Quernea, Festgabe für K . Strecker (1941) S. 136ff., bes. S. 1 4 7 f r . ; sowie meine beiden Aufsätze, Das abendländische Kaisertum, Die Welt als Geschichte 4, bes. S. 441 ff. und Die politische Haltung Widukinds, Sachsen und Anhalt 14, S. 33 ff. Die Nachricht Widukinds, daß Ottos Reich an seiner Größe zu leiden anfange, steht Sachsengeschichte I, cap. 34, S. 48. Gegen die Meinung, daß es gegen Ottos Kaiserpolitik im zehnten Jahrhundert eine Opposition gegeben habe, wendet sich besonders scharf R. Holtzmann. Doch wenn er Sächsische Kaiserzeit S. I94f. sagt, die Kaiserpolitik habe in Deutschland im hohen Mittelalter nie und nirgends Opposition gefunden, so widersprechen dem mindestens für die Zeit Ottos III. und Heinrichs II. Thangmar und Brun von Querfurt. Und wenn man für die Zeit Ottos des Großen keine Zeugnisse für eine Opposition hätte, so würde ich es doch für sehr bedenklich halten, daraus ein Argumentum e silentio zu machen. Es gibt kaum eine Politik, die nicht auch ihre Gegner hat. Warum es mit der Kaiserpolitik Ottos, gegen die sich durchaus Einwendungen machen ließen, anders gewesen sein soll, ist nicht einzusehen. Wenn die paar höfischen Quellen, die wir haben, davon wirklich nichts sagten, was bewiese das ? Nach Stengels und meiner Uberzeugung finden sich aber tatsächlich Andeutungen für eine oppositionelle Haltung in ihren Äußerungen wie in den Ereignissen der Zeit. Wenn dagegen Holtzmann Widukinds Haltung in der Kaiserfrage damit erklärt, daß er sagt, er habe von den Vorgängen von 962 nichts Rechtes gewußt (vgl. Wattenbach-Holtzmann, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter 1 (1938), S. 29) so scheint mir das eine sehr unwahrscheinliche Auskunft zu sein, die sich mindestens auf keinen Fall beweisen läßt. Ebensowenig scheint mir dadurch, daß Widukind in der Redaktion der Sachsengeschichte von 973 das römische Kaisertum der Ottonen erwähnt, die Hypothese von Widukinds Opposition „bündig widerlegt" zu werden (Wattenbach-Holtzmann S. 29). Es kommt oft genug vor, daß sich die Ansichten im Laufe einiger Jahre ändern, und wenn Widukind 973 das römische Kaisertum hingenommen hat, so ist damit nicht gesagt, daß er das 958 und 968 auch tat; vgl. dazu I2J
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im übrigen Sachsen und Anhalt 14 S. 38 und Stengel in Corona Quemea S. 156. Gegen Stengel, ebenda S. ijöff., halte ich freilich daran fest, daß die Sachsengeschichte zum größten Teil schon 958 geschrieben ist; vgl. dazu einen Aufsatz von mir über Die Entstehungszeit von Widukinds Sachsengeschichte, Sachsen und Anhalt 16, S. iff., der bereits 1941 gesetzt ist, aber bisher nicht erscheinen konnte, da das Papier für den Band noch immer nicht bewilligt ist. — Für die Haltung gegenüber Ottos Kaiserspolitik scheint mir übrigens auch bezeichnend zu sein, daß Brun von Querfurt als Vorbilder eines rechten Missionars wohl Konstantin und Karl den Großen, nicht aber Otto den Großen nennt. — In diesem Zusammenhang scheint mir auch die Tatsache wichtig zu sein, daß Otto in den Diplomen DOI 322, 324, 32J, 326, 329 von 966 als imperator augustus Romanorum et Francorum bezeichnet wird. Daß man das et Francorum hinzusetzte, beweist doch wohl, daß man mit einem „Kaiser der Römer" allein nicht einverstanden war. Uber eine bei den Norditalienern des zehnten Jahrhunderts auftauchende Abneigung gegen das römische Kaisertum vgl. meine Studien über Liudprand von Cremona, bes. S. 72 ff. Übrigens gehört auch der Libellus de imperatoria potestate in gewissem Sinne in diesen Zusammenhang. Ich gedenke auf diese Dinge ausführlich zurückzukommen. 20) Z u K a p i t e l V
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Darüber, daß Otto nicht als Staatsmann sondern als Held zu werten sei, vgl. vor allem Heimpel, Deutsches Mittelalter S. 21 f.; ebenda S. 192 heißt es, man müsse die deutschen Könige mit Alarich oder den Wikingern vergleichen. Ich habe früher, wenn auch vorsichtiger, ähnliche Ansichten geäußert; vgl. meinen Aufsatz König Heinrich I. und die Gründung des Deutschen Reiches, Thür.-Sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 24 (1936), S. 25fr., bes. S. 4 1 f. Daß die Annalen und Chroniken der Zeit den König weniger als Politiker, denn als Helden schildern und werten, scheint mir nicht so viel zu besagen, wie Heimpel annimmt; z. T. beruht es auf Unkenntnis und Unverständnis, z. T. ist es literarischer Stil; jedenfalls sah die Wirklichkeit erheblich anders aus als das Bild, das die Chronisten von ihr geben. — Daß die Herrschaft in Norditalien das Wesentliche an der Kaiserpolitik gewesen ist, und daß sie nicht schwer zu behaupten war und im Gegensatz zur Ostpolitik großen Gewinn bei geringem Einsatz brachte, betont besonders Haller, Epochen S. 37 und S. 53. Der Nachweis, daß die Eroberung des Ostens bis zum 12. Jahrhundert an den militärischen Schwierigkeiten gescheitert ist, findet sich bei K. Schünemann, Deutsche Kriegführung im Osten während des Mittelalters, Deutsches Archiv 2 (1938), S. 54ff. — Die oft aufgestellte Behauptung, daß die Verbindung mit Italien die deutsche Kultur gefördert habe, ja in ihrem Interesse notwendig gewesen sei, ist schon ebenso oft mit vollem Recht widerlegt worden. Einmal war der italienische Kultureinfluß auf Deutschland, besonders im zehnten Jahrhundert, nicht groß; vor allem aber war für seine Wirksamkeit die Eroberung Italiens nicht notwendig.
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Zn S«ite Deutschland hat im Mittelalter von Frankreich viel größere kulturelle Einwirkungen erfahren als von Italien, ohne daß eine politische Verbindung bestand. Ahnlich steht es mit der seit Ficker immer wieder aufgestellten Behauptung, daß die Italienpolitik den Zusammenschluß der deutschen Stämme zur Nation und die Entwicklung des deutschen Nationalbewußtseins gefördert habe. Einmal ist davon, wenigstens im Zehnten Jahrhundert, nicht viel zu bemerken; die Abwehr der Ungarn etwa dürfte damals in dieser Beziehung eine erheblich größere Bedeutung gehabt haben. Und wenn auch in späterer Zeit die Italienpolitik die größte, ja fest die einzige gemeinsame außenpolitische Anstrengung aller Stämme war und insofern zur Festigung des Nationalbewußtseins sicher beigetragen hat, so hat man doch schon oft mit Recht gesagt, daß diesen Dienst der werdenden Nation auch jede andere Außenpolitik (oder Innenpolitik) großen Stils hätte leisten können. In den anderen europäischen Staaten ist das Nationalbewußtsein ohne Italienpolitik kräftiger geworden als in Deutschland, und in Deutschland selbst hatte sich in der Zeit von 843 bis 962 der Zusammenschluß der Stämme und die Entwicklung zum einheitlichen Staat und Volk gleichfalls ohne die Italienpolitik vollzogen. Die öfters, neuerdings besonders etwa bei Heimpel anklingende Ansicht, der deutsche Staat des Mittelalters habe eine erobernde Außenpolitik gebraucht, da er von der Substanz, vom „Kapital" lebte und der König ohne Eroberungen bald sozusagen bankerott gewesen wäre, scheint mir sehr anfechtbar zu sein und zum guten Teil auf einer falschen Einschätzung der Struktur des mittelalterlichen Reiches zu beruhen. Gewiß, eine erobernde Außenpolitik mag oft bequemer gewesen sein als eine intensive Innenpolitik. Aber es scheint mir (ohne daß ich hier diese komplizierten Verhältnisse näher erörtern kann) irrig zu sein, anzunehmen, daß man ohne jene nicht auskam, wenn man die Macht im Innern erweitern wollte. Wie wäre, wenn das richtig wäre, die Geschichte Heinrichs I. oder Heinrichs II., wie wären die innern Kämpfe in der ersten Zeit Ottos I., wie wäre der Ausbau der herzoglichen Gewalten, ja, wie wäre überhaupt die gesamte Geschichte des frühen und hohen Mittelalters zu verstehen, die in sehr vielen Fällen durchaus vonMachtkonzentration nach innen redet ? — Auf die Frage nach der Beurteilung der Kaiserpolitik in der Zeit nach Otto dem Großen gedenke ich in einem anderen Zusammenhang genauer einzugehen.
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DIE ANFÄNGE DES DEUTSCHEN REICHES Über den Vertrag von Verdun und die Erhebung Arnulfs von Kärnten. Von Martin Lintzel. 95 Seiten. Brosch. RM. 2.30 GESCHICHTE DES DEUTSCHEN VOLKES Von Friedrich Stieve. 14. Auflage. 509Seiten. Mit 11 Karten und 6 Stammtafeln der deutschen Kaisergeschlechter. Hlw. RM. 6.20 MACHTSTAAT UND UTOPIE Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus. Von G e r h a r d R i t t e r . 2. Auflage. 173 Seiten. Kart. RM. 4.50 HONOR IMPERII Die neue Politik Friedrich Barbarossas 1x52 — 11J9. Von Peter Rassow. 1 1 1 Seiten. Brosch. RM. 4.20 DER DEUTSCHE BAUERNKRIEG Von Günther Franz. NeueAusgabe. 2. Auflage. 33oSeiten, 13 Abbildungen und 3 Karten. Lw. RM. 8.jo HISTORIK Vorlesungen über Enzyklopädie und Methodologie der Geschichte. Von Johann Gustav Droysen. Im Auftrag der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Herausgegeben von Rudolf Hübner. 463 Seiten. Lw. RM. 16.50 DIE ANFÄNGE DES EUROPÄISCHEN STAATENS Y S T E M S IM SPÄTEN MITTELALTER Von Walter Kienast. 43 Seiten. Brosch. RM. 1.40
R . O L D E N B O U R G • MÜNCHEN 1 UND B E R L I N