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German Pages 367 Year 2014
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 260
Die Haftung der Kartellaufsicht Eine Untersuchung zu staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen bei dem Vollzug des europäischen und deutschen Kartellrechts
Von
David Stadermann
Duncker & Humblot · Berlin
DAVID STADERMANN
Die Haftung der Kartellaufsicht
Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 260
Die Haftung der Kartellaufsicht Eine Untersuchung zu staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen bei dem Vollzug des europäischen und deutschen Kartellrechts
Von
David Stadermann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster hat diese Arbeit im Jahre 2013 als Dissertation angenommen.
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Meinen Eltern
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Wintersemester 2013/2014 als Dissertation angenommen. Sie entstand während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am dortigen Institut für öffentliches Wirtschaftsrecht. Das Manuskript wurde im Frühjahr 2013 abgeschlossen, später veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur konnten bis Anfang 2014 berücksichtigt werden. Viele Personen haben mich bei der Anfertigung dieser Arbeit begleitet. Ganz besonders möchte ich meinem Doktorvater Professor Dr. h. c. Dirk Ehlers danken. Die sechs Jahre, die ich an seinem Institut – zunächst als Studentische Hilfskraft, später dann als Wissenschaftlicher Mitarbeiter – verbringen durfte, waren eine besondere Zeit. Danken möchte ich sodann Professorin Dr. Petra Pohlmann für die umgehende Erstattung des Zweitgutachtens. Ein herzlicher Dank gilt weiterhin meinen ehemaligen Institutskollegen, durch die ich meine Promotionszeit in schöner Erinnerung behalten werde. Namentlich Sarah Watts, Dr. Dennis Sander und Jost-Benjamin Schrooten möchte ich hier erwähnen. Sarah Watts gebührt neben Dr. Christine Elmers und Björn Böttcher besonderer Dank dafür, dass sie das Manuskript kritisch gegengelesen haben. Meine Freundin Dr. Christine Elmers trägt einen großen Anteil am Gelingen dieser Arbeit – ohne ihre Geduld und ihre aufbauenden, aber auch kritischen Worte wäre vieles nicht so, wie es ist. Ein besonderer Dank gilt schließlich meiner Familie, insbesondere meinen Eltern, Anette und Michael Stadermann, die ihre Kinder stets gefördert und immer unterstützt haben. Ihnen widme ich diese Arbeit. Hamburg, im Frühjahr 2014
David Stadermann
Inhaltsübersicht
§1 §2
Einleitung
19
Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20 21
Erster Teil
§3
§4
Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
25
Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht. . . . . . . . . A. Die Kartellaufsicht als Teilgebiet der Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . B. Funktionen, Bedeutung und Ausgestaltung der Staatshaftung im europäischen und deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mögliche Schadenszufügungen auf dem Gebiet der Kartellaufsicht . . . A. Mögliche Schadenszufügungen in der Kartell- und Missbrauchsaufsicht B. Mögliche Schadenszufügungen in der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . C. Mögliche Schadenszufügungen in sonstigen Fällen. . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 52 64 65 68 72 73
Zweiter Teil
§5
§6
§7
§8
Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
75
Rechtswidrigkeit der inkriminierten Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Art der verletzten Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Art des Rechtsverstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Existenz einer Haftung ohne Rechtsverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ersatz des kausalen Schadens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchsetzung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . B. Verhältnis der Schadensersatzklage zum Primärrechtsschutz . . . . . . . . . C. Verjährung des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verzinsung des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . .
76 76 125 179 179 180 180 189 196 196 197 198 200 201 202
10
Inhaltsübersicht Dritter Teil
§9
§ 10
§ 11
§ 12
§ 13 § 14
Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
204
Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Amtspflichten und ihre Drittbezogenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Drittbezogenheit gegenüber Adressaten behördlicher Verfügungen . . . . C. Drittbezogenheit gegenüber Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Drittbezogenheit gegenüber sonstigen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . E. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verschulden und Spruchrichterprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verschulden als Tatbestandsmerkmal der Amtshaftung. . . . . . . . . . . B. Das Spruchrichterprivileg, § 839 Abs. 2 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt des Amtshaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsausschluss und gerichtliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausschluss des Amtshaftungsanspruchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Exkurs: Schadensersatz aus der Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung der Ergebnisses des dritten Teils. . . . . . . . . . . . . . . . . .
206 206 226 232 233 255 256 256 277 291 292 292 297 302 302 302 306 309 311
Vierter Teil Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt § 15 Rechtsnatur des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches . . . . . . . . . . A. In Betracht kommende Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Hinreichend qualifizierter Verstoß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kausaler Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 Vergleich von Amtshaftung und unionsrechtlichem Haftungsanspruch § 18 Zusammenfassung der Ergebnisse des vierten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . .
313 314 316 317 321 324 324 326
Fünfter Teil Zusammenfassung
328
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19
§1
Ausgangslage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
§2
Gang der Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
Erster Teil
§3
Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
25
Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht. . . . . . . . . A. Die Kartellaufsicht als Teilgebiet der Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . I. Das Recht der Aufsicht – Ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Rechtsbegriff der Aufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ziele der Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gegenstände der Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Kartellverbot. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Missbrauchs (und Diskriminierungs-)verbot. . . . . . . . . . c) Die Fusionskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren und Befugnisse der Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . a) Präponderanz der formellen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kartell- und Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse im Verwaltungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse im Bußgeldverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Deutsches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergänzung und Entlastung durch informelle Verfahren . . . . 4. Dualismus der Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 25 25 25 26 28 28 30 30 32 33 34 37 37 37 41 41 43 44 44 45 46 48 49
12
Inhaltsverzeichnis B. Funktionen, Bedeutung und Ausgestaltung der Staatshaftung im europäischen und deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Funktionen und Bedeutung der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz . . 2. Funktionen der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatsächliche Bedeutung der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgestaltung der Staatshaftung im Unionsrecht und im nationalen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Staatshaftung im Unionsrecht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die außervertragliche Haftung der Union . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verletzung des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Staatshaftung im deutschen Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zur Sinnvarianz der Bezeichnung Staatshaftung . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgenorientierte Darstellung der Anspruchsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Reaktion und Restitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
§4
Mögliche Schadenszufügungen auf dem Gebiet der Kartellaufsicht . . . A. Mögliche Schadenszufügungen in der Kartell- und Missbrauchsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Mögliche Schadenszufügungen in der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . C. Mögliche Schadenszufügungen in sonstigen Fällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52 53 53 55 56 57 57 57 58 59 59 60 60 62 63 64 65 68 72 73
Zweiter Teil
§5
Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
75
Rechtswidrigkeit der inkriminierten Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Art der verletzten Rechtsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vom Dienen und Bezwecken – Anforderungen an die Art der verletzten Rechtsnorm im Spiegel der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . 1. Uneinheitliches Bild in der früheren Rechtsprechung . . . . . . . . . 2. Konturierung durch Francovich und die Folgeentscheidungen . 3. Höherrangigkeit der verletzten Rechtsnorm als Schutznormvoraussetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prämissen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendung auf die Kartellaufsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzrichtung der Wettbewerbsregeln und der Eingriffskriterien in der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kein direktes Anknüpfen an die Art. 101 und 102 AEUV . .
76 76 77 78 78 80 82 82 83 83
Inhaltsverzeichnis b) Direktes Anknüpfen an Art. 2 FKVO (i. V. m. Art. 8 FKVO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutzrichtung zugunsten der Entscheidungsadressaten und Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verteidigungsrechte der Adressaten kartell- und fusionsrechtlicher Entscheidungen sowie der Beteiligten in entsprechenden Verfahren als subjektive Verfahrensrechte . . . . aa) Das Recht auf rechtliches Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Verschwiegenheitspflicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Das Recht auf ein faires Verfahren, Art. 6 EMRK . . . ee) Das Begründungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Recht auf eine gute Verwaltung im Kartellverwaltungs- und Fusionskontrollrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung des Rechts auf eine gute Verwaltung . . . . . bb) Geschriebene und ungeschriebene Gewährleistungsinhalte des Rechts auf eine gute Verwaltung . . . . . . . . . (1) Die Ausprägung als Sorgfaltsprinzip . . . . . . . . . . . . (a) Die Pflicht zur sorgfältigen Sachverhaltsprüfung vor belastenden Maßnahmen . . . . . . . . . . (b) Die Pflicht zur sorgfältigen und unparteiischen Behandlung von Beschwerden . . . . . . . (c) Die Pflicht zum Einholen weiterer Informationen im Rahmen der Prüfung von Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Die Pflicht zur Hinzuziehung von Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsprinzip . . . . (3) Das Recht auf eine gute Verwaltung als Schutznorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzrichtung zugunsten sonstiger Personen . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausstattung mit eigenen Verfahrensrechten. . . . . . . . . . . . . . . b) Keine Ausstattung mit Verfahrensrechten . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht . . . . (1) Keine Verpflichtung der Kommission zum Einschreiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Pflichten der Kommission bei der Behandlung von Beschwerden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Im Bereich der Fusionskontrolle. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zur Bedeutung der Wirtschaftsgrundrechte, Art. 15–17 GRCh . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
13
86 88 88
88 90 93 95 96 97 100 100 101 102 103 105
105 106 106 109 111 111 111 112 112 113 118 120 120 123
14
Inhaltsverzeichnis IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Art des Rechtsverstoßes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Entwicklungen in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Differenzierung nach der Handlungsform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des Ermessensspielraums der Legislative – Anfänge in der Rechtssache Schöppenstedt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufgabe der Differenzierung nach der Handlungsform – Die Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Bergaderm . . . . . . 4. Bestimmung des hinreichend qualifizierten Verstoßes . . . . . . . . . II. Prämissen für die weitere Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Anwendung auf die Kartellaufsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermessensspielräume in der Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Voraussetzungen für die Anerkennung von Ermessensspielräumen im Verwaltungsrecht der Europäischen Union . . . . . b) Anwendung der Erkenntnisse auf die Kartellaufsicht . . . . . . aa) Politische Entscheidungsspielräume . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Komplexität der zu regelnden Sachverhalte . . . . . . . . . . (1) Im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht . (2) Im Bereich der Fusionskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Prognoseentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsfolgenermessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ermessensspielräume und Verfahrensvorschriften . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Berücksichtigung weiterer Umstände innerhalb der Kartellaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die „abschreckende Wirkung“ des Haftungsrisikos. . . . . . . . b) Objektive Zwänge im Bereich der Fusionskontrolle – eine Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Ermessensspielraums, des Zeitdrucks sowie der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte . . . . . c) Objektive Zwänge im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht – eine Gesamtwürdigung der Komplexität der zu regelnden Sachlagen, der Schwierigkeiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln und des Ermessens der Kommission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verteidigungsrechte als Gegenstand des hinreichend qualifizierten Verstoßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Existenz einer Haftung ohne Rechtsverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
125 125 125 125 129 134 138 142 142 143 143 145 145 147 149 152 154 155 156 157 157 158 159 162
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171 173 177 179 179
Inhaltsverzeichnis
15
§6
Ersatz des kausalen Schadens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ersatzfähigkeit des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Schwierigkeiten bei der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns III. Ersatzfähigkeit sonstiger Schäden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundsätze der Kausalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtmäßiges Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unterbrochene Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dazwischentreten eines Dritten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dazwischentreten des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
180 180 182 186 188 189 189 189 191 193 193 194 196
§7
Durchsetzung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruches . . . . . . . . . B. Verhältnis der Schadensersatzklage zum Primärrechtsschutz . . . . . . . . . C. Verjährung des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Verzinsung des Schadensersatzanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
196 197 198 200 201
§8
Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 Dritter Teil Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
§9
Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Amtspflichten und ihre Drittbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begriff der Amtspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Funktionen und Bestimmung der Drittbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionen der Drittbezogenheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bestimmung der Drittbezogenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bedeutung eines besonderen Näheverhältnisses. . . . . . . . . . . b) Bedeutung der Deliktstatbestände der §§ 823 ff. BGB . . . . c) Bedeutung der Klagebefugnis im Primärrechtsschutz. . . . . . d) Bedeutung des Vertrauensschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Bedeutung des Schutzzwecks der verletzten Amtspflicht . . f) Bedeutung der Risikoverteilung bei mittelbaren Eingriffen des Staates. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Begrenzung der Drittbezogenheit durch die Subsidiarität der Staatshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Keine Begrenzung der Drittbezogenheit durch eine etwaige Komplexität des Regelungsgegenstandes . . . . . . . . . . III. Verletzung der Amtspflicht durch ein Kollegialorgan . . . . . . . . . . . .
204 206 206 206 208 209 210 211 212 214 214 216 218 219 220 221
16
Inhaltsverzeichnis IV. Richterliche Überprüfbarkeit der Amtspflichtverletzung . . . . . . . . . . 1. Bindungswirkung der Entscheidungen im Primärrechtsschutz . . 2. Reichweite der gerichtlichen Kontrolle im Amtshaftungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittbezogenheit gegenüber Adressaten behördlicher Verfügungen . . . . I. Abschlussverfügungen im Rahmen von Kartell- und Missbrauchsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Einschränkungen im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Freigabe- und Untersagungsverfügungen in der Fusionskontrolle . . Drittbezogenheit gegenüber Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Drittbezogenheit gegenüber sonstigen Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Drittbezogene Amtspflichten im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung der Rechtsprechung zur Staatshaftung in einzelnen Bereichen der Wirtschaftsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung des kartellverwaltungsrechtlichen Primärrechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bedeutung der Subsidiarität der Staatshaftung. . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedeutung der Regelung des § 33 GWB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bedeutung von Grundrechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Drittbezogene Amtspflichten im Bereich der Fusionskontrolle . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
223 224
§ 10 Verschulden und Spruchrichterprivileg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Das Verschulden als Tatbestandsmerkmal der Amtshaftung. . . . . . . . . . . I. Erscheinungsformen des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Verschulden in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . 1. Zugrundelegung eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs. . . . . 2. Fahrlässigkeitsmaßstab bei fehlerhafter Rechtsanwendung . . . . . 3. Verschulden im Kollegialorgan – Bedeutung der Entindividualisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Bedeutung der interdisziplinären Besetzung der Beschlussabteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Bedeutung des Faktors Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bedeutung einer etwaigen Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Beweislastumkehr im Rahmen des Verschuldens . . . . . . . . . . . . . 8. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ausschluss des Verschuldens wegen der Bestätigung durch ein Kollegialgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Herleitung und Inhalt der Kollegialgerichtsrichtlinie . . . . . . . . . .
256 256 257 257 257 260
B.
C. D.
E.
225 226 226 227 228 231 232 233 234 235 240 244 246 248 250 250 254 255
262 265 267 268 268 269 270 270
Inhaltsverzeichnis
17
2. Anwendung dieser Richtlinie . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) . . . auf die Bestätigung im Beschwerdeverfahren durch das Oberlandesgericht Düsseldorf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) . . . auf die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Exkurs: Entschädigung nach dem enteignungsgleichen Eingriff. . . B. Das Spruchrichterprivileg, § 839 Abs. 2 S. 1 BGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Keine direkte Anwendung des Spruchrichterprivilegs. . . . . . . . . . . . II. Analoge Anwendung des Spruchrichterprivilegs . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Voraussetzungen der analogen Anwendung, insbesondere die Vergleichbarkeit der Interessenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Schutz der Unabhängigkeit als Telos des Spruchrichterprivilegs – Bedeutung von Unabhängigkeit in der dritten und zweiten Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen. . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Genetische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Tatsächlicher Befund: Faktische Unabhängigkeit trotz Eingliederung in den Behördenaufbau . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz der Rechtskraft als Telos des Spruchrichterprivilegs . . . III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271
§ 11 Inhalt des Amtshaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Schaden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausschluss der Naturalrestitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ersatzfähigkeit des Vermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Berücksichtigung des Mitverschuldens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Auswirkung der Begehung der Amtspflichtverletzung durch ein Kollegialorgan auf die Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsätze der Kausalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtmäßiges Alternativverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unterbrochene Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Dazwischentreten eines Dritten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dazwischentreten des Geschädigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
271 274 275 275 276 277 277 280 280
280 281 281 283 284 287 289 290 290 291 291 292 292 293 293 296 296 297 298 298 299 300 300 301 302
18
Inhaltsverzeichnis
§ 12 Anspruchsausschluss und gerichtliche Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Ausschluss des Amtshaftungsanspruchs. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Möglichkeit anderweitigen Ersatzes, § 839 Abs. 1 S. 2 BGB . . . . . II. Vorrang des Primärrechtsschutzes, § 839 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . III. Behinderung bei der Aufgabenwahrnehmung durch die Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtsweg und funktionale Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Passivlegitimation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Postulationsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verzinsung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
302 302 302 303 304 306 306 308 308 309 309
§ 13 Exkurs: Schadensersatz aus der Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 § 14 Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
Vierter Teil Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
313
§ 15 Rechtsnatur des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . 314 § 16 Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches . . . . . . . . . . A. In Betracht kommende Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fehlerhafte Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln. . . . . II. Fehlerhafte Nichtanwendung der europäischen Wettbewerbsregeln III. Zuständigkeitsverteilung zwischen Kommission und Bundeskartellamt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Hinreichend qualifizierter Verstoß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Kausaler Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
316 317 317 318 320 321 324
§ 17 Vergleich von Amtshaftung und unionsrechtlichem Haftungsanspruch 324 § 18 Zusammenfassung der Ergebnisse des vierten Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326
Fünfter Teil Zusammenfassung
328
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363
Einleitung In der Praxis erschöpft sich der gerichtliche Rechtsschutz gegen Maßnahmen der Kartellaufsicht regelmäßig in ihrer Anfechtung. Beschlüsse der Europäischen Kommission werden durch ihre Adressaten im Wege der Nichtigkeitsklage angefochten, gegen Verfügungen des Bundeskartellamts gehen diese mit der Beschwerde vor. Die Staatshaftung stellt daher im Kartellrechtsschutz die Ausnahme dar.1 Erst in der letzten Zeit haben wiederholt einige Unternehmen die Träger der Kartellaufsicht auf Schadensersatz verklagt. So hat etwa die dänische GN Store Nord im Dezember 2010 eine Schadensersatzklage gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen eines zu Unrecht untersagten Zusammenschlusses2 erhoben, die das Landgericht Köln mit Urteil vom 26. Februar 20133 abwies. Dabei stand dieses Verfahren nicht nur wegen seiner Singularität4, sondern auch wegen der Höhe des mit rund 1,1 Mrd. Euro 1 s. nur Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 109; Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 303; O. Koch, in: Schulte, Hdb. Fusionskontrolle, 2005, Rn. 2184. 2 Zum Gang des Verfahrens BKartA WuW/E DE-V 1365; bestätigt durch OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 2477; aufgehoben durch BGH WuW/E DE-R 2905; s. ferner FAZ v. 23.12.2010, S. 10; Börsen-Zeitung v. 19.1.2011, S. 2. 3 WuW/E DE-R 3849. Das OLG Düsseldorf hat mit Urt. v. 26.3.2014 (WuW/E DE-R 4230) die Berufung zurückgewiesen. 4 Im Total/OMV-Verfahren, dem ein vom Bundeskartellamt (im Folgenden nur: BKartA) untersagter Zusammenschluss zugrunde lag, erwogen die Beteiligten ebenfalls Amtshaftungsansprüche, s. dazu die Darstellung in BGHZ 192, 18 (20 f.). Aufgrund der Rechtmäßigkeit der Untersagung wurden diese nicht weiterverfolgt. Die vom Vorstandsvorsitzenden der FC Bayern München AG, Karl-Heinz-Rummenigge, im Zusammenhang mit der Zentralvermarktung der beiden deutschen Fußball-Profiligen für die Spielzeiten 2009/2010 bis 2011/2012 angedrohte Schadensersatzklage wurde ebenfalls nicht angestrengt, vgl. FAZ v. 27.1.2009, S. 13, 33. Das KG [WuW/E OLG 2441 (2443 f.)] hatte sich schließlich i. R. einer Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde inzidenter mit einem Amtshaftungsanspruch auseinanderzusetzen, der nicht weiter verfolgt wurde. Im Übrigen befassen sich einige obiter dicta mit der Möglichkeit der Amtshaftungsklage im Kartellrecht, vgl. als Fallgruppe des Fortsetzungsfeststellungsinteresses grundlegend die Weichschaum-III-Entscheidung in BGH WuW/E BGH 1556 (1561); KG WuW/E OLG 1074 (1075 f.); OLG Düsseldorf WuW/E OLG, 1536 (1539); WuW/E DE-R 2462 (2474); Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 54 Rn. 13; als Ausgleich fehlenden Primärrechtsschutzes i. R. der Fusionskontrolle OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1293 (1297); Beschl. v. 30.6.2004, VI-Kart 4/04 (Rn. 29 – juris). Unklar und von BGHZ
20
Einleitung
bezifferten Schadens im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. In den Jahren 2007 bis 2009 entschieden bereits die europäischen Gerichte in zwei Verfahren (Schneider und MyTravel5) über Schadensersatzklagen. Diesen lagen ebenfalls Sachverhalte aus dem Bereich der Zusammenschlusskontrolle zugrunde. Diesem Weg des Rechtsschutzes wurde in der wissenschaftlichen Diskussion bislang kaum Beachtung geschenkt. Ebenso beschränkt sich die Kommentar- und Handbuchliteratur – wenn überhaupt – auf kurze Hinweise.6 Dieser Befund überrascht, da die Tätigkeit der Kartellaufsicht mit „außerordentlich weitreichenden wirtschaftlichen Folgen“7 einhergeht. Die geringe Zahl an Präzedenzfällen8 erschwert zudem die Einschätzung der Erfolgsaussichten staatshaftungsrechtlicher Klagen. Schließlich gehen Kartellverfahren und Zusammenschlussvorhaben mit immensen wirtschaftlichen Risiken einher, so dass auch in der Praxis ein Interesse an der Beleuchtung der Staatshaftung im Zusammenhang mit der Kartellaufsicht besteht.9 Aus diesen Gründen soll die vorliegende Untersuchung durch die Anwendung staatshaftungsrechtlicher Anspruchsgrundlagen auf typische Fallgestaltungen Problemfälle aufzeigen und Lösungen zuführen, um Leitlinien für die Staatshaftung in der Kartellaufsicht herauszuarbeiten. Die Bearbeitung konzentriert sich auf die außervertragliche Haftung im Unionsrecht (Art. 340 Abs. 2 AEUV), die Amtshaftung (§ 839 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG) sowie den unionsrechtlichen Haftungsanspruch. Dabei soll der Versuch unternommen werden, die vorbezeichnete Lücke zu schließen. Zugleich soll das Gebiet der Kartellaufsicht zum Anlass genommen werden, auf neuere Entwicklungen im Recht der Staatshaftung einzugehen. 192, 18 offengelassen ist, ob der Amtshaftungsprozess tatsächlich angestrengt werden muss, bejahend KG WuW/E OLG 2441 (2443 f.); 3839 (3845). 5 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237, teilw. bestätigt durch EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 – Schneider; EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 – MyTravel. Ein weiteres Verfahren, mit dem im Zusammenhang mit einem Kartellverfahren Schadensersatz in Höhe von 1,4 Mio. Euro von der Europäischen Union verlangt wird, ist derzeit am EuG (T-539/12 – Ziegler) anhängig, s. ABl. (EU) v. 23.2.2013, C Nr. 55/16. 6 Exemplarisch Kerse/Kahn, EU Antitrust Procedure, 6. Aufl. 2012, Rn. 8-005. 7 Immer noch gültig Soell, Das Ermessen der Eingriffsverwaltung, 1973, S. 2. 8 Angesichts der absolut betrachtet geringen Zahl kartellaufsichtsrechtlicher Entscheidungen sind auch für den Primärrechtsschutz nur wenige Gerichtsentscheidungen zu verzeichnen. So weist der Jahresbericht des EuGH (2012, S. 192) für das Jahr 2012 34 neu eingegangene Rechtssachen in der Gruppe „Wettbewerb“ aus. In der nationalen Fusionskontrolle ergangen bis Ende 2011 181 Untersagungen, von denen 31 Verfügungen rechtskräftig aufgehoben wurden, s. Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, S. 412, 424. Vgl. auch die Statistiken unter www.bundeskar tellamt.de. 9 Witting/Jäger, WuW 2013, 126; Handelsblatt v. 5.12.2012, S. 16.
§ 1 Ausgangslage
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§ 1 Ausgangslage Grundlinien zur Anwendung staatshaftungsrechtlicher Anspruchsgrundlagen auf die Zusammenschlusskontrolle hat die europäische Rechtsprechung in den eingangs erwähnten Rechtssachen Schneider und MyTravel herausgearbeitet. Als problematisch hat sich dabei insbesondere der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverstoßes erwiesen. Bisweilen war auch der Kausalzusammenhang zwischen diesem Verstoß und dem geltend gemachten Schaden zweifelhaft. Vereinzelt hatten die europäischen Gerichte zudem über staatshaftungsrechtliche Ansprüche in den übrigen Bereichen der Kartellaufsicht zu befinden.10 Dagegen wurde in Deutschland mit Ausnahme des GN-Store-Nord-Verfahrens in den ersten 50 Jahren seit Inkrafttreten des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB)11 kein Staatshaftungsanspruch gerichtlich verfolgt. Anders stellt sich die Situation für die übrigen Bereiche der nationalen Wirtschaftsaufsicht dar. Hier kann auf eine umfängliche Rechtsprechung zur Staatshaftung zurückgegriffen werden. Diese konzentriert sich namentlich auf die Frage der Drittbezogenheit von Amtspflichten. So hat der Bundesgerichtshof in einer Grundsatzentscheidung in Bezug auf die Versicherungsaufsicht festgestellt, dass „die staatliche Aufsicht über private Wirtschaftseinheiten [. . .] grundsätzlich nur dem allgemeinen staatlichen oder öffentlichen Interesse [dient] und [. . .] regelmäßig keine Amtspflichten gegenüber bestimmten Personen [begründet.]“12 Die Anwendbarkeit dieser Rechtsprechung auf die Kartellaufsicht wird zu untersuchen sein. Daneben kann die vorbezeichnete Rechtsprechung der europäischen Gerichte auch für die Haftung der Bundesrepublik relevant werden, da das unionsrechtliche Kartell- und Missbrauchsverbot13 auch vom Bundeskartellamt vollzogen wird. Die Frage nach der Übertragbarkeit stellt sich insbesondere im Rahmen des Verschuldens. Die Prüfung der subjektiven Vorwerfbarkeit machte überdies auch einen Schwerpunkt des GN-Store-Nord-Verfahrens aus. Ob bei Sachverhalten, die sich ausschließlich nach nationalem Recht 10
Zu den insoweit ergangenen Entscheidungen s. im Einzelnen § 4, insb. sind hier EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2967 – Corus; T-28/03, Slg. 2005, II-1357, bestätigt durch EuGH C-282/05 P, Slg. 2007, I-2841 – Holcim, zu nennen. 11 v. 27.7.1957, BGBl. I, 1081, neugefasst durch Bekanntmachung v. 26.6.2013, BGBl. I, 1750, 3245, zuletzt geändert durch Art. 2 Abs. 78 des Gesetzes v. 7.8.2013, BGBl. I, 3154. 12 BGHZ 58, 96 (98). 13 Im Folgenden werden die Kartell- und Missbrauchsverbote, Art. 101 f. AEUV bzw. §§ 1, 18 ff. GWB, auch als „Wettbewerbsregeln“ bezeichnet. Dieser Begriff findet sich auch in der Überschrift des 1. Kapitels des VII. Titels des Dritten Teils des AEUV.
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Einleitung
beurteilen, ebenfalls auf die erwähnte Rechtsprechung zum Unionsrecht zurückgegriffen werden kann, wird noch genauer zu untersuchen sein. Weiterhin ist die normative Ausgestaltung der Kartellaufsicht von Bedeutung für die Staatshaftung. Hier zeigt sich sowohl für das europäische als auch für das nationale Kartellrecht ein ähnliches Bild: Sie stellen in hohem Maße von unbestimmten Rechtsbegriffe geprägten Materien dar, die dem Rechtsanwender die Bewertung komplexer Materien unter regelmäßiger Zuhilfenahme wirtschaftswissenschaftlicher Modelle abverlangt.14 Bei der Prüfung eines Zusammenschlussvorhabens treten strikte Zeitvorgaben hinzu, innerhalb derer mittels Prognoseentscheidungen der angemeldete Zusammenschluss zu beurteilen ist. Zudem werden oftmals Defizite hinsichtlich der Inanspruchnahme des Primärrechtsschutzes konstatiert.15 Diesen Aspekten muss bei der Beantwortung der Frage, ob bestimmte Verhaltensweisen zu Ersatzansprüchen führen können, besondere Beachtung geschenkt werden.
§ 2 Gang der Darstellung Die Bearbeitung wird unter dem Gesichtspunkt der Kartellaufsicht die Voraussetzungen und Rechtsfolgen der unionsrechtlichen und nationalen staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen untersuchen. Hierbei wird in mehrfacher Hinsicht zu differenzieren sein: Zunächst bei den einschlägigen Regelungen und der handelnden Aufsichtsbehörde: Findet Unions- oder deutsches Kartellrecht Anwendung? Wird die Europäische Kommission (im Folgenden nur noch: Kommission) oder das Bundeskartellamt tätig?16 Steht die Bewertung eines Zusammenschlusses in Rede, oder geht es um ein Bußgeld- bzw. Verwaltungsverfahren im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht? Handelt es sich um Verfahrensverstöße, oder sind die Fehler bei der materiellen Beurteilung durch die Kartellbehörden anzusiedeln? Erheben Kartellanten, marktbeherrschende oder fusionswillige Unternehmen Ersatzansprüche? Verlangt im letztgenannten Fall der Veräußerer oder der 14 So nötigt das GWB nach Raiser (BB 1972, 471) „wie kaum ein anderes Gesetz dazu, komplizierte wirtschaftliche Sachverhalte zu erkennen und zu bewerten“. 15 Zu den insoweit bestehenden Hindernissen im Bereich der europäischen Zusammenschlusskontrolle, namentlich die das Verfolgen von Freigabeentscheidungen wirtschaftlich erschwerende Verfahrensdauer sowie die Ungewissheit hinsichtlich der richterlichen Überprüfung, die die Erfolgsaussichten derartiger Rechtsmittel minimieren, statt vieler hier nur Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1742); zur Entwicklung Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, Art. 16 FKVO Rn. 2 f. 16 Ausgeklammert wird die aus § 48 Abs. 2 S. 2 GWB folgende Zuständigkeit der Landeskartellbehörden.
§ 2 Gang der Darstellung
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Erwerber eines Unternehmens Schadensersatz? Wie verhält es sich mit sonstigen Personen, die zwar nicht am Verfahren beteiligt waren, aber von der Entscheidung der Behörde betroffen sind? Hier sind etwa Konkurrenten oder Lieferanten und Abnehmer in den Blick zu nehmen, möglicherweise auch die Eigentümer der Unternehmen. Schließlich gilt es zu untersuchen, welche konkreten Schäden für den jeweiligen Personenkreis in Betracht kommen. Aufgrund der Zuständigkeitsverteilung sind drei verschiedene Haftungskomplexe zu unterscheiden: Die Haftung der Europäischen Union bei Vollzug des Unionsrechts, die Haftung der Bundesrepublik bei Vollzug des Unionsrecht und schließlich die Haftung der Bundesrepublik bei Vollzug des nationalen Rechts. Im Aufbau folgt die Untersuchung dieser Unterscheidung; zunächst wird jedoch im ersten Teil eine Einführung in den Untersuchungsgegenstand und gleichzeitig eine vorläufige Umgrenzung vorgenommen. Zu diesem Zweck werden jeweils für das europäische und das nationale Recht die Bereiche der Kartellaufsicht (§ 3 A.) und des Staatshaftungsrechts (§ 3 B.) dargestellt. Auch wenn sich die unterschiedlichen Anwendungsfälle regelmäßig erst in der Praxis herausstellen lassen werden, werden mögliche Schadenszufügungen im Bereich der Kartellaufsicht im Wege einiger Beispielsfälle herausgearbeitet (§ 4), die an die vorliegende Rechtsprechung anknüpfen und auf die im Hauptteil der Arbeit zurückgegriffen wird. Zu Beginn des Hauptteils wird im zweiten Teil die Haftung der Europäischen Union dargestellt. Einen Schwerpunkt werden insoweit die Ausführungen zum hinreichend qualifizierten Verstoß einnehmen. In diesem Zusammenhang sollen insbesondere neuere Entwicklungen im Staatshaftungsrecht aufgegriffen, auf die in Rede stehenden Fragestellungen angewandt und anschließend bewertet werden. Dabei wird sich an den Beispielsfällen des ersten Teils orientiert. Auf die in Betracht kommenden Schadensposten wird überblicksartig eingegangen. Daran anschließend wird im dritten Teil der Blick auf die Haftung der Bundesrepublik bei Vollzug des nationalen Kartellrechts gerichtet. Hier wird sich die Bearbeitung schwerpunktmäßig der Amtshaftung zuwenden. Auch insoweit werden die einzelnen Tatbestandsmerkmale einer näheren Untersuchung unterzogen, der Schaden wird nur typisierend behandelt. Konzentriert wird sich dabei auf die Bestimmung der Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht sowie auf das Verschulden. Hierbei sollen die Erkenntnisse aus dem zweiten Teil auf das nationale Recht angewandt werden. Daneben soll der Frage der Anwendung möglicher Haftungsbeschränkungen respektive -ausschlüssen nachgegangen werden. Weitere in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen werden nur im Überblick behandelt. Abgeschlossen wird der Hauptteil im vierten Teil mit Ausführungen zur Haftung der Bundesrepublik bei Vollzug des europäischen Kartellrechts. In den beiden vorangegangen Teilen wird insbesondere eine Übertragung der aus dem
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Einleitung
Unionsrecht erzielten Erkenntnisse auf das Haftungsrecht innerhalb der Bundesrepublik angestrebt. Den Schluss- und damit den fünften Teil bilden die Zusammenfassung der erzielten Ergebnisse sowie ein Ausblick.
Erster Teil
Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes Haftungsfragen der Kartellaufsicht sind in der bisherigen Praxis nur selten relevant geworden. Gleichwohl besteht ein Interesse sowohl und gerade bei den potentiellen Adressaten kartellaufsichtsrechtlicher Verfügungen als auch bei den sonstigen Marktteilnehmern an der Klärung dieser Fragen.1 Aus der Warte der Wissenschaft stellt sich die Kartellaufsicht aufgrund ihrer materiell-rechtlichen und institutionellen Ausgestaltung als geradezu prädestiniert für eine Untersuchung unter dem Gesichtspunkt der Staatshaftung dar.2 Dies wurde bereits betont. Da auf Rechtsprechung im Referenzgebiet nur vereinzelt zurückgegriffen werden kann, kommt der Bildung von Beispielsfällen eine erhebliche Bedeutung zu. Nur so können die Vielschichtigkeit und damit auch die Relevanz des zu untersuchenden Themenkomplexes erörtert und begreifbar gemacht werden. Zudem können sie zur Illustrierung der Untersuchung in den folgenden Teilen herangezogen werden. Bevor dieser Versuch unternommen werden kann (§ 4), wird zunächst eine Einführung in die Rechtsgebiete der Kartellaufsicht und der Staatshaftung gegeben (§ 3).
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichtsund Staatshaftungsrecht Im Folgenden wird zunächst die Kartellaufsicht dargestellt (A.). Insoweit wird sich insbesondere mit ihrer Ausgestaltung im europäischen und deutschen Recht sowie mit der Zuordnung zum Aufsichtsrecht beschäftigt. Daran schließt sich ein Überblick über das europäische und deutsche Staatshaftungsrecht an (B.).
1
s. nur Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, Art. 16 FKVO Rn. 115. Neben der Darstellung bei der Ausgangslage (o. § 1) vgl. auch v. Renthe gen. Fink, in: GK, 7. Lieferung, 4. Aufl. 1984, § 87 Rn. 12, wonach „gerade in Amtshaftungsprozessen oft wichtige Fragen des Kartellrechts geklärt werden können“. 2
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
A. Die Kartellaufsicht als Teilgebiet der Wirtschaftsaufsicht I. Das Recht der Aufsicht – Ein Überblick Der Begriff der Kartellaufsicht bezeichnet die in der Überwachung der Einhaltung der Vorschriften des Kartellrechts sowie der Anwendung der Zusammenschlusskontrolle bestehende öffentlich-rechtliche Tätigkeit der mit der Durchsetzung des Kartellrechts betrauten Behörden. Die nachfolgenden Erörterungen werden diese Definition in einen Zusammenhang zum Recht der Aufsicht und insbesondere zur Wirtschaftsaufsicht stellen. Primäres Ziel dieses Abschnitts ist es, die Grundlagen für die nachfolgenden Überlegungen zu schaffen. Darüber hinaus soll der eher ungebräuchliche3 Begriff der Kartellaufsicht greifbar gemacht werden. Abschließend kommt diesem Abschnitt die Funktion zu, die Vergleichbarkeit mit der eingangs erwähnten Entscheidungspraxis zum sonstigen Aufsichtsrecht im Rahmen des nationalen Staatshaftungsrechts zu ermöglichen. 1. Der Rechtsbegriff der Aufsicht
Der allgemeine Sprachgebrauch versteht unter Aufsicht das Achten darauf, dass bestimmte Vorschriften eingehalten werden.4 Triepel hat 1917 in seiner Schrift „Die Reichsaufsicht“ Aufsicht als „ein Hinsehen zu dem besonderen Zwecke, das Objekt der Beobachtung mit irgend einem Richtmaß in Übereinstimmung zu bringen oder zu erhalten“ bezeichnet.5 Sie setzt demnach das Verhalten eines anderen – des Zu-Beaufsichtigenden bzw. des Aufsichtsobjekts – voraus.6 Auf dieses wird dann „von oben herab“7 gesehen. Aufsicht bedingt daher einen gewissen Handlungsspielraum des Aufsichtsobjekts, anderenfalls kann das Verhalten des Aufsichtsobjekts nicht von dem „Richtmaß“ abweichen, eine Aufsicht würde sich erübrigen. Im Unterschied zur Kontrolle erschöpft sich die Aufsicht nicht im bloßen Beobachten, sondern umfasst vielmehr auch „die Einwirkung auf Grund der 3 Anders stellt sich die Lage dar, wenn dieser Begriff zur Abgrenzung der Anwendbarkeit des Kartellrechts von anderen Rechtsgebieten verwandt wird, vgl. z. B. HessLSG NZS 2012, 177 (178); Heise, Das Verhältnis von Regulierung und Kartellrecht im Bereich der Netzwirtschaften, 2008, S. 131 ff. 4 s. etwa www.duden.de/rechtschreibung/Aufsicht [abgerufen am 16.4.2014]. 5 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 111. 6 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 111. 7 Kahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 47 Rn. 12.
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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Beobachtung“.8 Kennzeichnend für die Aufsicht ist folglich neben der Beobachtungs- auch eine Berichtigungsfunktion. Bei der Aufsicht handelt es sich schließlich nicht um ein spezifisches bzw. abgeschlossenes Handlungskonzept, sie umschließt vielmehr ein „ganzes Spektrum behördlicher Einzelaktivitäten unterschiedlichen rechtlichen Zuschnitts“.9 Hinsichtlich der Stoßrichtung dieser Einzelaktivitäten wird regelmäßig zwischen der Staatsaufsicht und der Wirtschaftsaufsicht differenziert:10 Während die Staatsaufsicht jedenfalls verselbstständigte Verwaltungseinheiten erfasst,11 bilden das Aufsichtsobjekt der Wirtschaftsaufsicht Wirtschaftsteilnehmer.12 Unterschieden wird somit nach den Aufsichtsobjekten.13 Mit Blick auf die Instrumente der Aufsicht lassen sich präventive (Information, Beratung, Genehmigungs- und Anzeigevorbehalte) den repressiven Aufsichtsmitteln (Beanstandung, Anordnung, Ersatzvornahme) gegenüberstellen.14
8 Triepel, Die Reichsaufsicht, 1917, S. 118 ff., 120; vgl. ferner Kahl, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 47 Rn. 13, 15. Dies war früher nicht unbestr., s. nur die Nw. bei Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 354 f. 9 Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 14; ähnl. Lühmann, DVBl. 1999, 752 (755: „Ansammlung unterschiedlicher Regelungen mit einem vergleichbaren Ziel“). 10 Zu dieser Dichotomie nur Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 8 Rn. 39; Pieper, Aufsicht, 2006, S. 23; Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 366, 383; Ehlers, Ziele der Wirtschaftsaufsicht, 1997, S. 6. Nicht immer tritt diese Trennung jedoch so deutlich zu Tage, vgl. etwa Wurm, in: Staudinger BGB, 2007, § 839 Rn. 180 f., der unter den Topos „Staatsaufsicht“ auch die Wirtschaftsaufsicht fasst. s. auch die Nw. in Fn. 13. 11 Dies ist im Einzelnen str., für ein weites Verständnis etwa Burgi, in: Erichsen/ Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 8 Rn. 39; enger dagegen Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 30 f.; Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 51 f. 12 Zum (Rechts-)Begriff der Wirtschaft vgl. nur Ehlers, in: ders./Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 1 Rn. 3 f. 13 Diese Auffassung ist nicht unbestr. So wird teilw. von einer Staatsaufsicht über die Wirtschaft gesprochen, so dass Staatsaufsicht von dieser Auffassung nicht i. S. einer Aufsicht über den Staat, sondern einer Aufsicht durch den Staat verstanden wird. So z. B. Lühmann, DVBl. 1999, 752 (754); Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991; Mösbauer, Staatsaufsicht über die Wirtschaft, 1990, S. 3 ff.; E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 19; Bullinger, VVDStRL 22 (1965), S. 264 (285 f.). 14 Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 23 Rn. 20 f.; Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 8 Rn. 45 ff.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 2. Die Wirtschaftsaufsicht
Die Wirtschaftsaufsicht erfasst die Wirtschaftsteilnehmer unabhängig von deren Rechtsform, so dass sie auch als „Jedermannaufsicht“15 bezeichnet wird. Regelmäßig handelt es sich um eine Aufsicht über Privatrechtssubjekte.16 Eine allgemein anerkannte Definition der Wirtschaftsaufsicht existiert nicht. Kritik entzündet sich schon an der Verwendung des Begriffes Wirtschaftsaufsicht, da der Terminus „Aufsicht“ – wie dargestellt – auch staats(organisations)rechtlich belegt ist. Daher wird vorgeschlagen, stattdessen den Begriff der Wirtschaftsüberwachung zu verwenden.17 Versucht man, die vorliegenden Umschreibungen der Wirtschaftsaufsicht zu radizieren, so lässt sich von einer Verwaltungstätigkeit18 sprechen, die der Überwachung der Einhaltung der den Wirtschaftsverkehr erfassende Regeln dient.19 Sie stellt damit eine besondere Form staatlicher Eingriffsverwaltung dar.20 Teilweise wird ein besonderer Gemeinwohlbezug dieser Tätigkeit gefordert.21 Da durch die Wirtschaftsaufsicht das Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer an einem vorhandenen rechtlichen Maßstab gemessen wird und es darum geht, Überschreitungen und Missbräuche zu verhindern, handelt es sich um Gefahrenabwehr.22 Daneben werden Aspekte der Gefahren- und Risikovorsorge verfolgt.23 15 Ehlers, Ziele der Wirtschaftsaufsicht, 1997, S. 6. Zum vom EuGH verwandten funktionalen Unternehmensbegriff nur C-205/03 P, Slg. 2006, I-6295 (Rn. 25) – FENIN; zur nationalen Herangehensweise BGHZ 36, 91 (102 f.). 16 Zur Doppelaufsicht bei gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen Ehlers, Ziele der Wirtschaftsaufsicht, 1997, S. 6. 17 So etwa von Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 17. Aufl. 2011, § 29; Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, S. 122. Krit. etwa Salzwedel, VVDStRL 22 (1965), S. 206 (208). Ehlers (Ziele der Wirtschaftsaufsicht, 1997, S. 3), weist zu Recht darauf hin, dass darin kein Grund zur Meidung dieses Begriffes besteht, da zahlreichen Begriffen des Staats- und Verwaltungsrechts in der heutigen Zeit eine andere Bedeutung als in früheren Jahrhunderten zukommt. 18 Dazu Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 13 f. 19 Vgl. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 22; Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 9; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 16; Bullinger, VVDStRL 22 (1965), S. 264 (285 f.). 20 Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 261. 21 Schliesky, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, S. 121; ähnl. R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, S. 300, 338 f. Da unter der Geltung des Grundgesetzes jede staatliche Tätigkeit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen muss, dürfte diesem Erfordernis keine spezifisch wirtschaftsaufsichtsrechtliche Bedeutung zukommen. 22 Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. 2011, Rn. 207; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 17. Aufl. 2011, § 29 I 1 („Wirtschaftspolizeirecht“); Kahl, Die Staatsaufsicht, 2000, S. 378; Kaulbach, VersR
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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Hinsichtlich der Instrumente der Wirtschaftsaufsicht kann zunächst – wie bei der Staatsaufsicht – zwischen präventiven und repressiven Aufsichtsmitteln differenziert werden.24 Zudem kommen Differenzierungen nach dem Grad der Eingriffsintensität25 oder nach der Dauer der Einwirkung26 in Betracht. Schließlich kann die Wirtschaftsaufsicht allgemein oder speziell ausgestaltet sein. So existieren etwa sektorspezifische Regelungen für Börsen, Banken oder Versicherungen.27 Zur allgemeinen Wirtschaftsaufsicht lässt sich neben der Gewerbeaufsicht insbesondere die Kartellaufsicht zählen.28 II. Die Kartellaufsicht Bevor die Kartellaufsicht unter die Wirtschaftsaufsicht subsumiert wird (III.), soll im Folgenden näher auf dieses Rechtsgebiet eingegangen werden. In diesem Zusammenhang werden die Ziele und Aufgaben (1.), die Gegenstände (2.), die jeweiligen Verfahren und Befugnisse (3.) sowie schließlich die Verteilung der Zuständigkeiten innerhalb der Europäischen Union (4.) dargestellt.
1981, 702 (703); R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, S. 339; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 14. Aus diesem Grund weist Kahl darauf hin, dass es sich bei Wirtschaftsaufsicht in erster Linie um negative Aufsicht handelt, während die Staatsaufsicht (auch) eine positive Zielsetzung verfolgt, da sie nicht nur Verstöße gegen die Rechtsordnung verhindern will, sondern auch auf die Erfüllung der dem Beaufsichtigten obliegenden Aufgaben hinwirkt. 23 Ehlers, in: ders./Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 1 Rn. 22; Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 17. Aufl. 2011, § 29 I 6. 24 Zu ihnen schon o. § 3 A. I. 1.; ferner Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 17. Aufl. 2011, § 29 III. 25 R. Schmidt, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 1990, S. 342; Mösbauer, Staatsaufsicht über die Wirtschaft, 1990, S. 7; Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 35. Ähnl. Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 26; E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 118, 180, 217. 26 Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 14. 27 s. etwa das Börsengesetz (BörsG) v. 16.7.2007, BGBl. I, 1330, 1351, zuletzt geändert durch Art. 10 G v. 4.7.2013, BGBl. I, 1981; das Kreditwesengesetz (KWG) v. 9.9.1998, BGBl. I, 2276, zuletzt geändert durch Art. 8 G v. 28.8.2013, BGBl. I, 3395; das Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG) v. 22.4.2002, BGBl. I, 1310, zuletzt geändert durch Art. 8 G. v. 18.12.2013, BGBl. I, 4318; sowie das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) v. 17.12.1992, BGBl. I, 2, zuletzt geändert durch Art. 6 Abs. 13 G v. 28.8.2013, BGBl. I, 3395. 28 Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 1 Rn. 62; Kaulbach, VersR 1981, 702 (703).
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 1. Ziele der Kartellaufsicht
Das GWB „soll die Freiheit des Wettbewerbs sicherstellen und wirtschaftliche Macht da begrenzen, wo sie die Wirksamkeit des Wettbewerbs, die ihm innewohnenden Tendenzen zur Leistungssteigerung beeinträchtigt und die bestmögliche Versorgung der Verbraucher in Frage stellt.“29 Mit diesen Worten beginnt die Regierungserklärung zum GWB, das zum 1. Januar 1958 in Kraft getreten ist. Während in den Anfangsjahren intensiv diskutiert wurde, ob neben diesem Institutionsschutz auch die Handlungsfreiheit der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer im Sinne eines Individualschutzes vom GWB erfasst ist,30 wird heute vermittelnd darauf hingewiesen, dass das Gesetz sowohl dem Schutz des Wettbewerbs als Institution als auch dem Schutz der einzelnen Teilnehmer dient31 und sich Institutions- und Individualschutz nicht ausschließen.32 Für das europäische Recht ist der Schutz des Wettbewerbs Kernbestandteil des europäischen Einigungsprozesses, der insbesondere zur Öffnung der nationalen Märkte führen (vgl. Art. 3 Abs. 3 und 4 EUV; 26 Abs. 2, 119, 120 AEUV) und die Grundlage für die weiteren politischen Einigungsschritte schaffen soll.33 Zusammen mit den Grundfreiheiten stellen die Wettbewerbsregeln die marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung der Europäischen Union dar.34 Während die Errichtung eines „System[s], das den Wettbewerb vor Verfälschung schützt“ noch in Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG normiert war, verortet der Vertrag von Lissabon diese Aussage nunmehr im Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb.35 Das europäische Recht nimmt neben den Wirtschaftsteilnehmern auch und gerade die Mit29
RegBegr. zum GWB, BT-Drs. II/1158, S. 21. Zusammenfassungen aus jüngerer Zeit finden sich etwa bei Alexander, Schadensersatz, 2010, S. 62 ff.; Bien, Drittschutz, 2007, S. 154 ff. 31 Pointiert BKartA, PM. v. 18.12.2012: „Bundeskartellamt 2012 – Wettbewerbsschutz ist der beste Verbraucherschutz“, abrufbar unter www.bundeskartellamt.de. 32 K. Schmidt, ZWeR 2010, 15 (27), weist in diesem Zusammenhang auf die hinter der Diskussion stehende Frage hin, wie die „Rollen als Normadressaten und Normvollstrecker“ verteilt sind. Allg. hierzu auch E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 9 ff. 33 EuGH Rs. 56 u. a., Slg. 1966, 322 (388) – Consten/Grundig; Thomas, JZ 2011, 485; Rittner, WuW 2007, 967. Zur integrativen Wirkung im Lichte des Binnenmarktziels auch Terhechte, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 37 Rn. 9, 19. 34 Immenga/Mestmäcker, in: dies, EU, Bd. 1/1, 5. Aufl. 2012, Einl. B Rn. 19 m. w. Nwn. 35 ABl. (EU) v. 17.12.2007, C Nr. 306/156. Gem. Art. 51 EU lässt die Verortung in einem Protokoll die Zugehörigkeit zum Primärrecht unberührt; s. dazu EuGH C-496/09, Slg. 2011, I-11483 (Rn. 60) – Kommission/Italien. Zu einer möglichen Herabstufung Thomas, JZ 2011, 485 (486 ff.). 30
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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gliedstaaten in die Pflicht.36 Neben den Schutz der Wettbewerber und Verbraucher37 tritt der „Schutz der Struktur des Marktes und damit [des] Wettbewerb[s] als solchen“.38 Ob durch die verstärkte Orientierung an der Verbraucherwohlfahrt eine Verschiebung hinsichtlich dieser Zielsetzung erfolgt, kann nicht abschließend beantwortet werden.39 2. Gegenstände der Kartellaufsicht
Über seine Bezeichnung hinausgehend befasst sich die Kartellaufsicht nicht nur mit Kartellen. Vielmehr umschreibt dieser Aspekt als pars pro toto nur einen Teil des Rechts gegen Wettbewerbsbeschränkungen (a)). Mit der Missbrauchsaufsicht (b)) und der Fusionskontrolle (c)) existieren insgesamt drei Säulen. Diese werden nachfolgend vorgestellt. a) Das Kartellverbot In einem engeren Sinn erfasst und verbietet das Kartellrecht wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen von Unternehmen40 sowie aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen. Insoweit lässt sich von „mehrseitige[n] Wettbewerbsbeschränkungen“41 sprechen, die der Vertrag von Lissabon in Art. 101 verortet. Das deutsche Recht folgt nunmehr42 fast wörtlich dem europäischen Recht;43 36 Dazu insb. Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 3 Rn. 2, 7 ff., der insoweit vom vorrangigen Ziel der europäischen Wettbewerbsregeln spricht. 37 EuGH Rs. 46/87 u. a., Slg. 1989, 2859 (Rn. 25) – Hoechst. Zur Stellung des Verbraucherschutz vgl. auch Art. 4 Abs. 2 lit. f), 114 Abs. 3 AEUV. 38 EuGH C-501/06 P u. a., Slg. 2009, I-9291 (Rn. 63) – GlaxoSmithKline; C-52/09, Slg. 2011, I-527 (Rn. 24) – TeliaSonera Sverige; C-68/12, EuZW 2013, 438 (Rn. 18) – Slovenská sporitel’nˇa sowie schon EuGH Rs. 6/72, Slg. 1973, 215 (Rn. 26) – Continental Can. Zur „zweifachen Zielsetzung“ Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Bd. II, 47. EL 4/2012, Art. 101 AEUV Rn. 229. 39 Zu dieser insb. unter der Ägide von Neelie Kroes vorangetriebenen Entwicklung Wish/Bailey, Competition Law, 7. Aufl. 2012, S. 19 ff.; Riesenkampff, in: FS Möschel, 2011, S. 489 (490 ff., 496). 40 Zum funktionalen Unternehmensbegriff des EuGH schon o. Fn. 15. 41 Neef, Kartellrecht, 2008, Rn. 16. 42 Vor der mit der 7. GWB-Novelle 2005 vollzogenen Anpassung existierte eine Vielzahl von Ausnahmetatbeständen vom Kartellverbot, die technisch als Verbote mit Erlaubnisvorbehalten oder als Verbietbarkeitstatbestände ausgestaltet waren, dazu nur K. Schmidt, ZWeR 2010, 15 (22 f.); ders., Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 145 ff. 43 Zur gewollten europafreundlichen Auslegung und Anwendung des GWB vgl. die RegBegr. zur 7. GWB-Novelle, BT-Drs. 15/3640, S. 21 f., 23, 44.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
seit der 2. GWB-Novelle aus dem Jahre 1972 sind von § 1 GWB auch abgestimmte Verhaltensweisen erfasst.44 Das Kartellverbot besteht unabhängig davon, ob es sich um Maßnahmen zwischen Wettbewerbern (horizontale Vereinbarungen) oder zwischen Nicht-Wettbewerbern (vertikale Vereinbarungen) handelt.45 Sofern die Voraussetzungen des Art. 101 Abs. 3 AEUV/§ 2 GWB erfüllt sind, sind die von Art. 101 Abs. 1 AEUV/§ 1 GWB erfassten Vereinbarungen, Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot ipso iure freigestellt.46 Zudem existieren sog. Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO), die bestimmte Verhaltensweisen vom Kartellverbot ausnehmen.47 b) Das Missbrauchs (und Diskriminierungs-)verbot Ebenfalls zur klassischen Kartellaufsicht zählt die Missbrauchsaufsicht.48 Hierbei handelt es sich um repressive Aufsicht, die nicht die Marktbeherrschung als solche erfasst, sondern erst deren missbräuchliche Ausnutzung. Einem marktbeherrschenden Unternehmen obliegt daher eine „besondere Verantwortung dafür, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt“.49 Sie richtet sich gegen „einseitige Wettbewerbsbeschränkungen“.50 44 Grund hierfür war insb. die nur auf Verträge anwendbare Fassung des § 1 GWB 1958, was im Teerfarben-Urteil BGHSt 24, 54 zu dem Ergebnis führte, dass das Kartellverbot auf sog. Frühstückskartelle (= nicht-rechtgeschäftliche Wettbewerbsbeschränkungen) nicht anwendbar war. Zusammenfassung der Krit. bei K. Schmidt, AcP 206 (2006) 169 (184 f.). 45 Krit. zur weiten Fassung des § 1 GWB Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 16 Rn. 18, 115 ff. 46 Sog. Legalausnahme, die durch Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 in das europäische Kartellverfahrensrecht und durch die 7. GWB-Novelle in das deutsche Kartellverfahrensrecht eingeführt worden ist, zur historischen Entwicklung nur Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 8 Rn. 8 ff., § 12 Rn. 2 f. Während § 2 Abs. 1 GWB auf die Ausnahmen in Art. 101 Abs. 3 AEUV abzielt, implementiert § 2 Abs. 2 GWB die GVOen. 47 Sie sind abrufbar unter ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/art101_3 _en.html. Zum Aufbau von GVOen vgl. Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 2 Rn. 20. 48 Wessely, in: FK, Bd. II, 57. EL 4/2005, Art. 82, Anwendungsgrundsätze Rn. 2, bezeichnet das Missbrauchsverbot als „Nukleus jeglicher Kartellrechtsordnung“, da es in einigen Rechtsordnungen den Beginn des Kartellrechts markierte. Vgl. jedoch auch Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 19 Rn. 1. 49 So etwa EuGH C-209/10, WuW/E EU-R 2297 (Rn. 23) – Post Danmark. Anders stellt sich die Situation im US-amerikanischen Recht dar, da nach Section 2 des Sherman Acts (26 Stat. 209, 15 U.S.C.) die Monopolisierung an sich verboten ist. Dazu nur Terhechte, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 37 Rn. 41.
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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Im Unterschied zum Kartellverbot unterscheiden sich insoweit das europäische und das deutsche Recht.51 Art. 102 Abs. 1 AEUV normiert die Generalklausel des europäischen Missbrauchsverbotes; Absatz 2 enthält Regelbeispiele. Anders als im deutschen Recht fehlt eine Definition der marktbeherrschenden Stellung, hierzu wird insbesondere auf die Bekanntmachung der Kommission über die Definition des relevanten Marktes im Sinne des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft52 zurückgegriffen. § 19 Abs. 1 GWB verbietet die missbräuchliche Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung durch ein oder mehrere Unternehmen, wobei Absatz 2 einige Regelbeispiele enthält. Die Anforderungen an eine marktbeherrschende Stellung umschreibt das GWB seit der 8. GWB-Novelle 2013 in § 18.53 Neben diesem Allgemeinen Teil enthält das deutsche Recht spezielle Tatbestände:54 So erfasst § 20 GWB derartige Unternehmen, zwischen denen und anderen Marktakteuren ein Abhängigkeitsverhältnis im Sinne von Absatz 2 der Vorschrift besteht. Als relativ marktbeherrschende Unternehmen sind sie Adressaten der in den Absätzen 1–5 normierten Diskriminierungs- und Behinderungsverbote. Zudem enthält § 21 GWB ein Boykottverbot. c) Die Fusionskontrolle Komplettiert werden die Wettbewerbsregeln durch die Fusions- bzw. Zusammenschlusskontrolle als dritter Säule.55 Diesem Bereich kommt in der kartellrechtlichen Praxis zahlenmäßig die größte Bedeutung zu.56 Erwägungsgrund 5 der Fusionskontrollverordnung57 (im Folgenden nur FKVO) 50
Neef, Kartellrecht, 2008, Rn. 144. Terhechte, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 37 Rn. 7. Die Fassung des den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung im europäischen Recht erfassende Art. 102 AEUV geht auf deutsche Formulierungsvorschläge zurück, vgl. Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 19 Rn. 5. 52 ABl. (EG) v. 9.12.1997, C Nr. 372/5. 53 Hierzu Alexander, WuW 2012, 1025. 54 Als Ergänzung bzw. Konkretisierung des Missbrauchsverbots enthielt das deutsche Recht derartige Vorschriften schon immer, s. Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 19 Rn. 11. 55 Die Begriffe Fusions- und Zusammenschlusskontrolle werden synonym verwandt. 56 Die jeweiligen Statistiken sind über den Internetauftritt der Kommission, ec. europa.eu/competition/index_en.html, abrufbar bzw. für das BKartA den Angaben der nach § 53 GWB zu veröffentlichenden Tätigkeitsberichte zu entnehmen. 57 Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates v. 20.1.2004 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen, ABl. (EU) v. 29.1.2004, L Nr. 24/1, die zum 51
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
umschreibt den Zweck der Fusionskontrolle als Verhinderung einer „dauerhaften Schädigung des Wettbewerbs“. Zur Erreichung dieses Zwecks besteht nach der FKVO und den §§ 35 ff. GWB eine präventive Marktstrukturkontrolle, die die Marktverhaltenskontrolle des Kartell- und Missbrauchsverbotes ergänzt.58 Fusionskontrollrecht ist daher präventives Ordnungsrecht.59 Die Zusammenschlusskontrolle wurde 1972 mit der 2. GWB-Novelle in das GWB aufgenommen sowie 1990 sekundärrechtlich in das europäische Recht eingeführt und 2004 durch die jetzige FKVO überarbeitet. Das Recht der Fusionskontrolle folgt in weiten Teilen den gleichen Grundzügen, während im Unterschied zu den anderen beiden Säulen des Kartellrechts keine europarechtliche Angleichung vorgeschrieben ist. Mit der Implementierung des sog. SIEC-Test („significant impediment to effective competition“) in § 36 Abs. 1 GWB hat die 8. GWB-Novelle einen weitestgehenden Gleichlauf der beiden Prüfungsmaßstäbe erreicht.60 3. Verfahren und Befugnisse der Kartellaufsicht
Die Durchsetzung des Kartellrechts kann auf vielfältige Art und Weise erfolgen.61 So ist denkbar, Privaten Schadensersatz-, Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zu gewähren, um ein sog. private enforcement des Kartellrechts durch die Zivilgerichte zu erreichen.62 Diese werden durch „defensive Sanktionen“ (wie etwa der Unwirksamkeit kartellrechtswidriger Verträge) ergänzt.63 Das private enforcement entspricht insbesondere der Situation in den Vereinigten Staaten64 und lag der ursprünglichen Konzeption 18.5.2004 die Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates v. 21.12.1989 über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen (ABl. (EG) v. 30.12.1989, L Nr. 395/1) ablöste. 58 Zu den Begriffen der Marktstruktur- und Marktverhaltenskontrolle vgl. etwa I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und Kartellrecht, 9. Aufl. 2012, S. 26 ff. 59 Pieper, Aufsicht, 2006, S. 53, spricht insoweit von einer „Vorabkontrolle“. 60 Dies ist das erklärte Ziel der 8. GWB-Novelle, s. RegBegr. BT-Drs. 17/9852, S. 28. 61 Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 31; zum internationalen Vergleich Zimmer, in: FIW, Sanktionen, 2011, S. 1. s. auch schon B. Aubin, Staatsaufsicht, 1942, S. 7 f., der zwischen Straf-, Zivil- und Verwaltungsrecht unterscheidet. Für die Ordnung durch Letzteres benutzt er den Begriff „Kartellaufsicht“. 62 Vgl. hierzu Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 40; Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 31. 63 Pohlmann, in: Schulze, Compensation of private losses, 2011, S. 157 (158); K. Schmidt, ZWeR 2007, 394 (397 f.), ders., AcP 206 (2006), 169 (173). 64 Vgl. Wagner-v. Papp, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung, 2010, S. 267 (268 f.); eingehend Hausmann, Kartellrechtsdurchsetzung, 1998, S. 5 ff., 22.
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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des GWB zugrunde65. Auf der anderen Seite kann die Durchsetzung des Kartellrechts einer mit Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Kartellbehörde obliegen, so dass – wie etwa in Frankreich – das Kartellrecht administrativ durchgesetzt wird.66 Dieses public enforcement kann darüber hinaus auch von den Gerichten wahrgenommen werden, so dass die Kartellbehörden der Sache nach als Anklagebehörden tätig werden – dieser Weg entspricht der österreichischen Kartellrechtsdurchsetzung.67 Ferner kann auch das Strafrecht der Durchsetzung der Wettbewerbsregeln dienen.68 Teilweise können die verschiedenen Modi der Kartellrechtsdurchsetzung in einen Konflikt geraten.69 Die Frage nach der konkreten Ausgestaltung der Durchsetzung des Kartellrechts ist vom Gesetzgeber zu entscheiden und daher rechtspolitischer Art.70 Das europäische und das deutsche Kartellrecht verfolgen dabei einen Mittelweg: So stehen in Bezug auf das public enforcement im europäischen und im nationalen Recht den Behörden Feststellungs- und Untersagungsbefugnisse zur Verfügung. Daneben können bei Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln Bußgelder verhängt werden. Das private enforcement, welches auf europäischer Ebene sowohl von der Rechtsprechung als auch von der Kommission71 vorangetrieben wird, wird durch § 33 GWB sowie der 65
s. etwa Roth, in: FK, Bd. V, 49. EL 11/2001, § 33 GWB 1999 Rn. 5. Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 31. Public enforcement kann auch in einer Durchsetzung durch die Mittel des Strafrechts erfolgen, dazu Wagner-v. Papp, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung, 2010, S. 267 (275 ff.). 67 Duijm, ORDO 1999, 323 (326). Ähnl. auch die Situation in den USA und dem Vereinigten Königreich, vgl. Lübking/v. Koppenfels, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 59 (66 mit Fn. 4). 68 Zu der cartel offence in sec. 188 Enterprise Act 2002 des Kartellrechts des Vereinigten Königreichs Wish/Bailey, Competition Law, 7. Aufl. 2012, S. 425 ff. Hingegen stellen Bußgelder gem. Art. 23 Abs. 5 VO 1/2003 keine strafrechtliche Sanktionen dar; krit. hierzu etwa Soltész, E.C.L.R. 2012, 33 (5), 241 (243 f.). 69 Die Frage, ob dem public oder dem private enforcement der Vorzug eingeräumt werden soll, stellt sich insb. bei der Behandlung von Akteneinsicht in Kronzeugenanträge, s. dazu EuGH C-360/09, Slg. 2011, I-5161 – Pfleiderer und nachfolgend AG Bonn WuW/E DE-R 3499; ebenso OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 3662. 70 Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 6 Rn. 73; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, Vorbemerkung vor § 87 Rn. 1, auch zur historischen Entwicklung in Deutschland. 71 Grünbuch der Kommission, Schadenersatzklagen wegen Verletzung des EUWettbewerbsrechts, KOM(2005) 672 end.; Weißbuch der Kommission, Schadensersatzklagen wegen Verletzung des EG-Wettbewerbsrechts, KOM(2008) 165 end.; Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Vorschriften für Schadensersatzklagen nach einzelstaatlichem Recht wegen Zuwiderhandlungen gegen wettbewerbsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union, KOM(2013) 404 end. 66
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
Anordnung der Nichtigkeit das Kartellverbot verletzender Vereinbarungen oder Beschlüsse in § 1 GWB i. V. m. § 134 BGB bzw. Art. 101 Abs. 2 AEUV72 ermöglicht.73 Die konkrete Ausgestaltung des private enforcement bestimmt somit das nationale Recht.74 Flankiert werden diese beiden Modi der Kartellrechtsdurchsetzung durch unternehmensinterne Compliance.75 Die Durchsetzung mithilfe des Strafrechts hat dagegen weder in Deutschland noch in Europa größere Bedeutung erlangen können.76 Der gesamte Bereich der Zusammenschlusskontrolle schließlich ist öffentlich-rechtlich ausgestaltet.77 Insgesamt lässt sich jedoch wegen des Systems der Legalausnahme und der weitestgehenden Statuierung von ipso iure wirkenden Verboten ein „Rückzug des Verwaltungsrechts aus der Kartellrechtsanwendung“ beobachten.78 Nachfolgend soll auf die behördliche Durchsetzung des Kartellrechts in Europa und in Deutschland eingegangen werden. Schwerpunktmäßig handelt es sich um formelle Verfahren (a)), denen die informellen Verfahren (b)) gegenübergestellt werden können.
72 Für das Missbrauchsverbot ist auf § 134 BGB abzustellen, s. etwa Fuchs/ Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/1, 5. Aufl. 2012, AEUV Art. 102 Rn. 415 f. 73 Fuchs, WRP 2005, 1384 (1392 mit Fn. 103) weist auf die ergänzende Funktion des private enforcement bei der Kartellrechtsdurchsetzung hin. Dagegen jedoch Möschel, WuW 2006, 115: „Ein privates Unternehmen agiert nicht als ‚public attorney‘. Es verfolgt eigene Interessen und nichts anderes.“ In diese Richtung auch Ackermann, ZWeR 2012, 3: „Kartellrecht braucht ‚public enforcement‘.“ Zur Funktionalisierung des kartelldeliktischen Schadensersatzes etwa Alexander, Schadensersatz, 2010, S. 312 ff. m. w. Nwn. Nach BVerfG-K WM 2014, 766 (767) trägt das private enforcement „zur wirksamen Kartellbekämpfung“ bei. 74 EuGH C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (Rn. 29) – Courage; Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, EU, 5. Aufl. 2012, Bd. 1/1, AEUV Art. 102 Rn. 423; Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 24 ff., 44 ff. s. auch den Richtlinienentwurf in Fn. 71. 75 Hierunter wird im Allgemeinen das Einhalten von Regelungen, mithin gesetzeskonformes Verhalten, verstanden; vgl. dazu Dreher, ZWeR 2004, 75. 76 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 21; Dreher, WuW 2011, 232; teilw. a. A. Wagner-v. Papp, in: Möschel/Bien, Kartellrechtsdurchsetzung, 2010, S. 267 (275 ff.). Für eine Aufwertung de lege ferenda I. Schmidt, WuW 2012, 223. 77 K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (174), spricht insoweit von dem „einzigen Bereich, in dem Behördentätigkeit im Kartellrecht vollends unentbehrlich ist“; ferner ders., in: FS Selmer, S. 499 (501: „genuines Wirtschaftsverwaltungsrecht“). 78 K. Schmidt, ZWeR 2007, 394 (410 ff.); ders., BB 2003, 1237 sowie schon in Fn. 42.
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a) Präponderanz der formellen Verfahren aa) Kartell- und Missbrauchsaufsicht (1) Unionsrecht Bei dem europäischen Kartellverfahrensrecht handelt es sich um ein herausragendes Gebiet des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union. Diesbezüglich nimmt es die Rolle eines „wichtige[n] Referenzgebiet[es]“79 ein. Es ist nicht in den Verträgen, sondern im Sekundärrecht geregelt; insbesondere stellen die Wettbewerbsregeln des Primärrechts keine Rechtsgrundlagen für ein Einschreiten der Kommission dar.80 Gestützt auf die Ermächtigungsgrundlage des Art. 103 Abs. 1 AEUV respektive ihrer Vorgängerregelungen ist die Kartellverfahrensverordnung („VO 1/2003“)81 erlassen worden. Nach Art. 103 Abs. 2 lit. a) AEUV bezweckt die Kartellverfahrensverordnung die Gewährleistung der Beachtung der in Art. 101 Abs. 1 und Art. 102 AEUV genannten Verbote durch die Einführung von Geldbußen und Zwangsgelder. Ergänzt wird sie durch eine Durchführungsverordnung82 sowie eine Vielzahl von Bekanntmachungen bzw. Mitteilungen der Kommission.83 In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Bekanntmachung der Kommission über bewährte Vorgehensweisen in Verfahren nach Artikel 101 und 102 AEUV84 (sog. Best-Practice-Bekanntmachung) zu erwähnen. 79 v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 358; ähnl. Sedemund, in: Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht im Werden, 1981, S. 45. 80 Immenga/Mestmäcker, in: dies., EU, Bd. 1/1, 5. Aufl. 2012, Einl. B Rn. 77. 81 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates v. 16.12.2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln, ABl. (EG) v. 4.1.2003 L, Nr. 1/1, die die Verordnung (EWG) Nr. 17/1962 des Rates v. 6.2.1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. (EG) v. 21.2.1962, Nr. 13/204, sog. „VO 17“, ablöste. Vgl. etwa die Einführung bei Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 3 ff.; Voet van Vormizeele, in: Schwarze, Rechtsschutz und Wettbewerb, 2010, S. 11. 82 Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission v. 7.4.2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag durch die Kommission, ABl. (EU) v. 27.4.2004, L Nr. 123/18, zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 622/2008 der Kommission vom 30.6.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 hinsichtlich der Durchführung von Vergleichsverfahren in Kartellfällen (ABl. (EU) v. 1.7.2008, L Nr. 171/3). 83 Eine Übersicht findet sich bei de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkung Rn. 3. Sie sind im Übrigen im Internet abrufbar unter ec.europa.eu/competition/antitrust/legislation/legislation.html bzw. ec.europa.eu/ competition/cartels/legislation/index.html. Krit. zu diesem „soft law“ Körber, WuW 2012, 119; zur Bindungswirkung gegenüber den Mitgliedstaaten jüngst EuGH C-226/11, EuZW 2013, 113 (Rn. 29) – Expedia.
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Das zweiphasig ausgestaltete85 Kartellverfahren stellt ein Verwaltungsverfahren und kein Gerichtsverfahren dar.86 Mit Blick auf die Verfahrenseinleitung sind Amts- und Beschwerdeverfahren zu unterscheiden (Art. 7 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003). Zur Einreichung einer Beschwerde im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 sind neben den Mitgliedstaaten natürliche und juristische Personen mit der Einschränkung befugt, dass sie ein berechtigtes Interesse darlegen müssen. Dieser Begriff wird weit ausgelegt.87 Neben dieser förmlichen Beschwerde88 besteht auch die Möglichkeit, die Kommission89 formlos über den Verdacht eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln – etwa im Wege der Übermittlung von Marktinformationen – in Kenntnis zu setzten.90 Das gesamte Verfahren folgt dem Opportunitätsprinzip; es steht daher im Ermessen der Kommission, ob und wie sie auf einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln reagiert.91 Daraus folgt, dass im Falle einer Beschwerde kein Anspruch auf Erlass eines bestimmten Beschlusses besteht.92 In einer 84
ABl. (EU) v. 20.10.2011, C Nr. 308/6. de Bronett, ZWeR 2012, 157 (167); ders., EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkung, Rn. 14. 86 EuGH Rs. 45/69, Slg. 1970, 769 (Rn. 23) – Boehringer Mannheim; de Bronett, ZWeR 2012, 157 (166); ders., EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkungen Rn. 33; Klees, EU-Kartellverfahren, 2005, § 5 Rn. 1. 87 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 12. Zur Behandlung von Beschwerden vgl. auch die Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden durch die Kommission gemäß Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, ABl. (EU) v. 27.4.2004, C Nr. 101/65. 88 s. die Anforderungen des Formblatts C (= Complaint), Art. 5 Abs. 1 Durchführungsverordnung. 89 Innerhalb der Kommission ist die Generaldirektion Wettbewerb (DG COMP) zuständig. Bei den Generaldirektionen handelt es sich um hierarchisch organisierte Einheiten, die aus Referaten (Units), Direktionen und dem Generaldirektor als Dienststellenleitung bestehen. Dazu de Bronett, ZWeR 2012, 157 (167). 90 Kommission, Best-Practice-Bekanntmachung (Fn. 84), Rn. 10. Ein relativ junges Institut, das sich in der Vergangenheit zu einer wichtigen Informationsquelle entwickelt hat, stellt die Kronzeugenregelung (Leniency notice) dar. Hiernach kann Kartellanten, die an der Aufdeckung eines Kartells mitwirken, unter bestimmten Voraussetzungen die Geldbuße erlassen oder ermäßigt werden. Zu den Einzelheiten vgl. die Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, ABl. (EU) v. 8.12.2006, C Nr. 298/17; zum Konflikt mit dem private enforcement s. die Nw. o. in Fn. 69. 91 EuGH Rs. 125/78, Slg. 1979, 3173 (Rn. 18) – GEMA; EuG T-387/94, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 74) – Automec; T-16/91, Slg. 1992, II-2417 (Rn. 98) – Rendo; Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 7; de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Art. 7 Rn. 4. 92 EuGH Rs. 125/78, Slg. 1979, 3173 (Rn. 18) – GEMA; C-234/89, Slg. 1991 I-935 (Rn. 44) – Delimitis; EuG T-24/90, Slg. 1992 II, 2223 (Rn. 77, 83 ff.) – Automec; T-575/93, Slg. 1996 II-1 (Rn. 79) – Koelman. Eingehend u. § 5 A. III. 3. b) aa). 85
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Erstprüfung entscheidet die Kommission, ob sie den Fall weiterverfolgt.93 Hier kann sie schon auf die Ermittlungsbefugnisse aus Kapitel V der VO 1/2003/EG zurückgreifen.94 Ferner kann die Kommission informelle Ermittlungshandlungen vornehmen und einen informellen Meinungs- und Informationsaustausch mit den Unternehmen zur Klärung der Sachlage vornehmen.95 Sie ist auch zur Einstellung eines Verfahrens befugt.96 Soweit die Kommission auf einen Verstoß gegen das Kartell- oder Missbrauchsverbot reagiert, eröffnet sie ein Verfahren gem. Art. 11 Abs. 6 i. V. m. Art. 7 Abs. 1 sowie Art. 2 Abs. 1 der Durchführungsverordnung. Dieses Verfahren folgt dem Offizialprinzip, so dass auch bei Einleitung eines Verfahrens aufgrund einer Beschwerde kein kontradiktorisches Verfahren zwischen Beschwerdeführer und Beschuldigten stattfindet.97 Kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass ein Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln gegeben ist, stehen ihr die in Kapitel III der Kartellverfahrensverordnung normierten Entscheidungsbefugnisse zu; hervorzuheben98 ist dabei Art. 7 VO 1/2003, wonach die Kommission eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 oder 102 AEUV feststellen und die beteiligten Unternehmen und Unternehmensvereinigungen durch Beschluss (Art. 288 Abs. 4 AEUV) verpflichten kann, die festgestellte Zuwiderhandlung abzustellen.99 In der jüngeren Praxis greift die Kommission vermehrt auf die eine Art „Zukunftssteuerung“ vermit93 Kommission, Best-Practice-Bekanntmachung (Fn. 84), Rn. 12. Zur Zweistufigkeit des Kartellverfahrens bereits o. in Fn. 85. 94 Diesen kommt eine große Bedeutung zu, da die Verstöße oftmals im Verborgenen stattfinden, s. Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 18. s. zur Reichweite auch EuG T-293/11 – noch nicht veröffentlicht – Holcim. 95 de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkung Rn. 15. 96 Dies kann auch formlos durch Ablegen der Akte geschehen, s. de Bronett, EUKartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkungen Rn. 15. In den Fällen des Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 ist die Kommission jedoch zur Information der Beschwerdeführers verpflichtet. 97 Weiß, in: Terhechte, Europ. Verwaltungsrecht, 2011, § 20 Rn. 12. 98 Vgl. die relativierende Einschätzung von Podszun, ZWeR 2012, 48 (49 ff.), der auf einen „Paradigmenwechsel“ (49, 54 f.) von der hoheitlichen Rechtsanwendung in Form von Untersagungen hin zu einer aktiver Gestaltung durch die Kartellbehörden hinweist, die insb. auch die Kooperation zwischen Unternehmen und der Kommission umfasst. Auf gegenüber den Unterlassungsentscheidungen „flexiblere Maßnahmen“ in Form von Zusagen, Bedingungen und Auflagen weist auch Immenga [in: ders./Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 9 (14)] hin. s. zu allem auch die Rede „Remedies, commitments and settlements in antitrust“ v. 8.3.2013 des für den Wettbewerb zuständigen Vizepräsidenten der Kommission, Joaquín Almunia [abrufbar unter ec.europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-13-210_en.htm, zuletzt am 16.4.2014]. 99 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 13 Rn. 2; s. auch de Bronett, EUKartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Art. 7 Rn. 1, der vom „Kernstück“ spricht.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
telnde Befugnis zurück, den Adressaten konkrete Abhilfemaßnahmen vorzuschreiben.100 Zudem kann sie gemäß Art. 9 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 von den beteiligten Unternehmen angebotene Verpflichtungen für verbindlich erklären, wenn diese geeignet sind, die Bedenken auszuräumen. Die Anzahl derartiger Verpflichtungszusagen (sog. commitments) nimmt zu.101 Schließlich können Verfahren im Wege eines Vergleichs (sog. settlement) beendet werden.102 Diese Entscheidungsbefugnisse werden flankiert durch die in Kapitel VI der VO 1/2003 geregelten Sanktionen.103 Danach kann die Kommission gegen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen unter bestimmten, enumerativ aufgezählten Voraussetzungen Geldbußen festsetzen.104 Diese Beschlüsse sind nach Art. 30 Abs. 1 VO 1/2003 von der Kommission zu veröffentlichen. Vor Erlass eines Beschlusses nach Art. 7, 8, 23 oder 24 Abs. 2 VO 1/2003 muss die Kommission den Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, gegen die sich das von ihr betriebene Verfahren richtet, schriftlich die Beschwerdepunkte mitteilen, Art. 27 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003. Hierdurch soll den Betroffenen rechtliches Gehör gewährt werden, indem sie die Gelegenheit zur Äußerung zu den Beschwerdepunkten bekommen. Die Kommission stützt nach Satz 2 der Vorschrift ihren Beschluss nur auf diejenigen Beschwerdepunkte, zu denen sich die Parteien äußern konnten.
100 Zur Entscheidungspraxis der Kommission für die Jahre 2009-2011 Podszun, ZWeR 2012, 48 (51). Zur Einordnung als „Zukunftssteuerung“ ders., a. a. O., S. 53. Zur Bezeichnung als „positive[. . .] Tenorierung“ etwa Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 51 Rn. 1. 101 Für Art. 102 AEUV Fuchs/Möschel, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/1, 5. Aufl. 2012, AEUV Art. 102 Rn. 410. Im Jahre 2010 wurden alle Missbrauchsverfahren über die Verpflichtungszusage beendet, s. Podszun, ZWeR 2012, 48 (51). 102 Verordnung (EG) Nr. 622/2008 der Kommission v. 30.6.2008 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 hinsichtlich der Durchführung von Vergleichsverfahren in Kartellfällen, ABl. (EU) v. 1.7.2008, L Nr. 171/3. Sie wird ergänzt durch die Mitteilung der Kommission über die Durchführung von Vergleichsverfahren bei dem Erlass von Entscheidungen nach Artikel 7 und Artikel 23 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates in Kartellfällen, ABl. (EU) v. 27.2008, C Nr. 167/1. Eingehend auch Polley/Heinz, WuW 2012, 14. 103 Zur wichtigen Bedeutung nur de Bronett, ZWeR 2012, 157 (162: „EU-Kartellrecht ist Strafrecht“). Indes haben die Geldbußen gemäß Art. 23 Abs. 5 VO 1/2003 keinen strafrechtlichen Charakter. 104 Die Kommission hat seit 1990 insgesamt Bußgelder wegen der Verletzung von Art. 101 AEUV von rund 22 Mrd. Euro verhängt; die bisher höchste Einzelgeldbuße i. H. v. 0,72 Mrd. Euro erging gegen Saint Gobain (Autoglas), s. ec.euro pa.eu/competition/cartels/statistics/statistics.pdf [Stand: 2.4.2014].
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
41
(2) Deutsches Recht § 48 Abs. 2 GWB bestimmt, dass das Bundeskartellamt – soweit nicht die Landeskartellbehörden zuständig sind – die im GWB der Kartellbehörde übertragenen Aufgaben und Befugnisse wahrnimmt.105 In seinem Dritten Teil (§§ 54–95) differenziert das GWB unter anderem106 zwischen dem Verwaltungs- und dem Bußgeldverfahren. Weitere Verfahrensregelungen enthalten die Mitteilungen, Merkblätter und Leitlinien des Bundeskartellamts.107 Sie stellen zwar keine Gesetze dar (s. auch § 87 Abs. 7 GWB), entfalten wegen der ständigen Verwaltungspraxis i. V. m. Art. 3 Abs. 1 GG indes Außenwirkung und sind daher auch von den Gerichten zu beachten.108 (a) Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse im Verwaltungsverfahren Das Verwaltungsverfahren vor dem Bundeskartellamt ist streng formalisiert und wird mitunter auch als „justizähnlich“ bezeichnet.109 Nach § 54 Abs. 1 S. 1 GWB wird das Verfahren durch die Kartellbehörde von Amts wegen oder auf Antrag eingeleitet. Anregungen, ein Verfahren gegen Dritte einzuleiten, können vom Bundeskartellamt gemäß Satz 2 der Vorschrift aufgenommen werden, wodurch die Anonymität des Hinweisgebers gewahrt wird.110 Die Eröffnung eines Verfahrens von Amts wegen steht dann im Ermessen der Kartellbehörde; auch hier gilt also das Opportunitätsprinzip.111 Die Befugnisse des Bundeskartellamts sind im GWB normiert. Hinsichtlich der Kartell- und der Missbrauchsaufsicht sind diese Befugnisse im 105 Zur historischen Entwicklung der öffentlich-rechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung vor Inkrafttreten des GWB zum 1.1.1958 zusammenfassend etwa K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 112 ff. 106 Daneben finden sich noch Regelungen zum Beschwerdeverfahren, zur Vollstreckung und zu den bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten. 107 Abrufbar über www.bundeskartellamt.de. 108 Hetzel, Kronzeugenregelungen im Kartellrecht, 2004, S. 242 ff., insb. S. 244. Allg. etwa Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 24. 109 Vgl. hier nur Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 42 Rn. 2 sowie näher u. § 10 B. I. Nach Mayen, DÖV 2004, 45 (54) besteht diese Justizähnlichkeit im Wesentlichen „in der Entscheidung durch ein Kollegialorgan sowie in der Durchführung einer mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme in einem formalisierten Verfahren haben“. 110 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 42 Rn. 2. Um die Anonymität der Hinweisgeber vollständig zu gewährleisten, hat das BKartA zum Sommer 2012 ein über ihren Internetauftritt erreichbares Hinweisgebersystem eingerichtet, dazu Schnelle/Kollmann, BB 2012, 1559. 111 Statt aller Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 9.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
sechsten Abschnitt des ersten Teils des GWB, §§ 32–32e und 34 GWB, geregelt: Hierzu zählen die Befugnis, die Abstellung und nachträgliche Feststellung von Zuwiderhandlungen zu verfügen (§ 32 GWB), einstweilige Maßnahmen zu erlassen (§ 32a GWB), Verpflichtungszusagen anzunehmen (§ 32b GWB112), zu erklären, dass kein Anlass zum Tätigwerden besteht (§ 32c GWB), Freistellungen zu entziehen (§ 32d GWB) sowie sog. Sektorenuntersuchungen durchzuführen (§ 32e GWB). Flankiert werden diese Befugnisse von § 34 GWB, wonach die Kartellbehörde zur Vorteilsabschöpfung befugt ist. Rechtliches Gehör ist nach § 56 GWB zu gewähren. Diese Befugnisse sind durch die 7. GWB-Novelle von 2005 teilweise neugeschaffen, teilweise geändert worden: Ursprünglich besaß das Bundeskartellamt – abgesehen von der Befugnis zur Verhängung von Bußgeldern – nur die Kompetenz, Verträge für unwirksam oder nichtig zu erklären.113 Da dieser Zustand im Allgemeinen als „unbefriedigend“114 empfunden wurde, wurde dem Bundeskartellamt durch die 2. GWB-Novelle mit § 37a GWB eine Befugnisnorm eingeräumt, mit der die Behörde wettbewerbswidrige Verhaltensweisen verbieten konnte.115 Daneben bestand eine Vielzahl von Einzelbefugnissen. Erst 1998 wurde der bis dahin in den verschiedenen Missbrauchsverboten des GWB bestehende „Flickenteppich“ durch die eine einheitliche Untersagungsbefugnis vermittelnde Vorschrift des § 32 GWB beseitigt.116 Zudem ist das bis zur 7. GWB-Novelle existente Anmeldeund Genehmigungssystem für wettbewerbsbeschränkende Vereinbarung in Anpassung an das europäische Recht (vgl. Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003) in das System der Legalausnahme überführt worden.117 Nach § 32 GWB kann die Kartellbehörde die Abstellung von Verhaltensweisen, die dem GWB bzw. dem AEUV zuwiderlaufen, verfügen. Auf ein Verschulden kommt es dabei nicht an.118 Neben die Untersagungsbefugnis des Absatzes 1 tritt in Absatz 2 112 Hierdurch wird die Behörde von dem konkreten Nachweis der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen befreit; unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten daher krit. Podszun, ZWeR 2012,48 (62 ff.). Für die Jahre 2009/2010 weist der Tätigkeitsbericht des BKartA 34 Verpflichtungszusagen auf, denen nur drei Entscheidungen nach § 32 GWB gegenüberstehen. Zur ähnl. Tendenz im europäischen Recht schon o. § 3 A. III. 3. a) aa) (1). 113 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 2, ders., in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 32 Rn. 2. Zur bedeutsamen Rolle des private enforcements auch o. in Fn. 65. 114 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 3. 115 Zur Genese auch Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 32 Rn. 1 ff.: Im GWB 1958 bestand lediglich die Befugnis, bei der Statuierung eines Gebotes im GWB dessen Befolgung zu verfügen. 116 Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 32 Rn. 3. 117 Vgl. zur Legalausnahme schon o. bei Fn. 46. 118 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 32 Rn. 5; Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 8 ff.
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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die Befugnis, Abhilfemaßnahmen aufzugeben.119 Gemäß § 61 Abs. 1 GWB ergehen die Maßnahmen als schriftliche Verfügungen und stellen daher Verwaltungsakte im Sinne des § 35 S. 1 VwVfG dar. Schließlich kann das Bundeskartellamt Verfahren auch vergleichsweise beenden.120 Die in diesem „Mittelweg“121 der Kartellrechtsdurchsetzung liegende Verwandtschaft zum europäischen Recht ist offensichtlich.122 (b) Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse im Bußgeldverfahren Eine wichtige Rolle bei der behördlichen Kartellrechtsdurchsetzung nehmen die Bußgeldtatbestände wahr.123 Während § 81 GWB die einzelnen Bußgeldbestände normiert und in den §§ 82 ff. GWB die Zuständigkeit und der Instanzenzug geregelt ist, bestimmt sich das Verfahren nach dem Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG)124. Mit einem Bußgeld bedroht sind insbesondere Verstöße gegen die Wettbewerbsregeln des AEUV (§ 81 Abs. 3 GWB) sowie des GWB (§ 81 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 GWB). § 46 Abs. 2 OWiG bestimmt, dass die Verfolgungsbehörde – hier also das Bundeskartellamt – dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten hat. § 47 Abs. 1 OWiG statuiert die Geltung des Opportunitätsprinzip125 für die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten. Die Höhe der Geldbuße bestimmt sich nach §§ 81 Abs. 4 und 5 GWB i. V. m. 17 Abs. 4 GWB.126 Teilweise wird das Bußgeldverfahren vor dem Bundeskartellamt auch als „Vorverfahren“ bezeichnet, innerhalb dessen 119 Mit der 8. GWB-Novelle hat insoweit eine Anpassung an das Unionsrecht stattgefunden. 120 Zu ihnen Polley/Heinz, WuW 2012, 14. Danach hat das Amt im Zeitraum 2007 bis Anfang 2011 mehr als 20 Fälle im Wege des Vergleichs beendet. Dessen Zulässigkeit wird zumeist auf das Opportunitätsprinzip gestützt, s. Polley/Heinz, a. a. O. (15 f.). s. nun auch das über den Internetauftritt des BKartA abrufbare Merkblatt „Das Settlement-Verfahren des Bundeskartellamts in Bußgeldsachen“ v. 23.12.2013. 121 Mundt, in: FIW, Sanktionen, 2011, S. 17 (19). 122 So war die Anpassung an das europäische Recht ein Ziel der 7. GWB-Novelle, vgl. die RegBegr., BT-Drs. 15/3640, S. 21 ff. Zu dem mit der Angleichung einhergehenden neuen Verwaltungsverständnis vgl. Podszun, ZWeR 2012, 48 (52 f.). 123 Vgl. zu dieser Einschätzung schon die RegBegr. zum GWB, BT-Drs. II/1158, S. 27; ferner Ackermann, ZWeR 2012, 3; Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 104. 124 v. 24.5.1968 i. d. F. der Bekanntmachung v. 19.2.1987, BGBl. I, 602, zuletzt geändert durch Art. 18 G. v. 10.10.2013, BGBl. I, 3786. 125 Dazu Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 26; Herrlinger, ZWeR 2012, 136. 126 Zu damit einhergehenden Problemen Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 43 Rn. 26 ff.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
dem Bußgeldbescheid die Funktion der Anklageschrift vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf zukommt.127 bb) Fusionskontrolle Während es im Ermessen der Kartellbehörden liegt, ein Verfahren im Bereich der Kartell- oder Missbrauchsaufsicht zu eröffnen, ist ein Fusionskontrollverfahren auf Anmeldung durchzuführen und innerhalb bestimmter Fristen abzuschließen. Die Fusionskontrolle, die sowohl im europäischen (1) als auch im deutschen (2) Recht ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt darstellt, gestaltet sich wie Folgt: (1) Unionsrecht Das Verfahren der Fusionskontrolle ist im europäischen Recht in der FKVO geregelt. Weitere Bestimmungen enthält die Durchführungsverordnung zur FKVO.128 Auch dem Verfahren innerhalb der Zusammenschlusskontrolle liegt eine Vielzahl von Mitteilungen und Bekanntmachungen der Kommission zugrunde, unter anderem auch zu den bewährten Vorgehensweisen bei Fusionskontrollverfahren.129 Das Verfahren der Fusionskontrolle ist zweistufig ausgestaltet.130 Zusammenschlüsse (zum Begriff Art. 3 FKVO) von gemeinschaftsweiter Bedeutung131 müssen vor Vollzug bei der Kommission angemeldet werden, Art. 4 Abs. 1 FKVO.132 Durch die Anmeldung wird das Vollzugsverbot des Art. 7 Abs. 1 FKVO ausgelöst und das sog. Vorprüfverfahren des Art. 6 FKVO („Phase I“) in Gang gesetzt. Innerhalb der Fristen des Art. 10 Abs. 1 127
Polley/Heinz, WuW 2012, 14 (15); unter Verweis auf Vollmer, E.C.L.R. 2011, 32 (7), 350 (351). s. auch Bechtold, in: Schwarze, Rechtsschutz und Wettbewerb, 2010, S. 97. 128 Verordnung (EG) Nr. 802/2004 der Kommission v. 7.4.2004 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 139/2004 des Rates über die Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen ABl. (EU) v. 30.4.2004, L Nr. 133/1. 129 Sog. Best Practices on the conduct of EC merger control proceedings. Diese sind jeweils über die Internetseiten der Kommission abrufbar. 130 Regelmäßig geht der Anmeldung eine sog. Prenotifizierungsphase vorweg, um Fragen hinsichtlich der Anmeldung klären zu können, dazu etwa Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 6 Rn. 5 ff. 131 Art. 1 Abs. 1, 4 Abs. 1 FKVO. Näher zu diesen Aufgreifkriterien in Art. 1 Abs. 2 und 3 FKVO; zur Berechnung Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 15 Rn. 11 ff. 132 Vgl. zu den Einzelheiten der Anmeldung die Durchführungsverordnung zur FKVO.
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FKVO gibt die Kommission ein Zusammenschlussvorhaben frei, wenn ihm keine Bedenken gegenüber bestehen, Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 lit. b) FKVO. Maßstab ist nach Art. 2 Abs. 3 FKVO die erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt (nunmehr Binnenmarkt) oder in einem wesentlichen Teil desselben durch den Zusammenschluss, insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung. Der weitaus größte Teil der Anmeldungen wird durch die Freigabe in Phase I erledigt.133 Soweit ernsthafte Bedenken gegen die Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Binnenmarkt bestehen, kann die Kommission das Hauptverfahren bzw. Hauptprüfungsverfahren, die sog. „Phase II“ eröffnen, Art. 6 Abs. 1 lit. c) FKVO. Eine Untersagung kann nur in diesem Stadium erfolgen.134 Insoweit besteht ein „Prinzip der kurzen Fristen“;135 die Kommission hat nach Art. 10 Abs. 3 und 4 FKVO grundsätzlich 90 Arbeitstage Zeit, über das Vorhaben zu befinden und eine abschließende Entscheidung im Sinne des Art. 8 Abs. 1 bis 3 FKVO zu treffen. Sowohl Untersagungsals auch Freigabebeschluss sind zu begründen.136 (2) Deutsches Recht Der Ablauf der nationalen Zusammenschlusskontrolle ist in § 40 GWB geregelt. Im Kern gliedert sich das nationale Fusionskontrollverfahren – ebenso wie das europäische Verfahren – zweistufig. Das Verfahren beginnt mit der Anmeldung des (die Aufgreifschwellen des § 35 GWB erfüllenden und damit kontrollpflichtigen) Zusammenschlusses vor seinem Vollzug beim Bundeskartellamt, § 39 Abs. 1 GWB. Mit der Anmeldung tritt ein Vollzugsverbot ein, § 41 Abs. 1 GWB. Soweit die Anmeldung vollständig ist, beginnt das Vorprüfungsverfahren, in dem das Bundeskartellamt innerhalb eines Monats zu entscheiden hat, ob gegen die Zulässigkeit des Zusammenschlusses Bedenken bestehen. Ist dies nicht der Fall, so kann es entweder die Frist erklärungslos verstreichen lassen oder den Anmeldern vor Ablauf der Frist mitteilen, dass die Untersagungsvoraussetzungen nicht vorliegen.137 133
Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 6 Rn. 3. 134 Weitere Entscheidungsmöglichkeiten in Phase II sind die Freigabe gem. Art. 8 Abs. 1 und 2 FKVO, die Verweisung an einen Mitgliedstaat nach Art. 9 FKVO sowie die Anordnung, einen trotz Vollzugsverbots vollzogenen Zusammenschluss rückgängig zu machen, Art. 8 Abs. 4 FKVO. 135 Wagemann, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 17 Rn. 51. 136 Zu den Schwierigkeiten angesichts der vorgenannten Fristen nur Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 18 Rn. 15.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
Eine Untersagung des Zusammenschlusses kann auch im deutschen Recht nur im Hauptprüfungsverfahren ergehen, vgl. § 40 Abs. 1 S. 1 GWB. Es wird gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 GWB vom Bundeskartellamt eingeleitet, soweit eine weitere Prüfung des Zusammenschlusses erforderlich ist, d. h. Bedenken gegen die Zulässigkeit des Vorhabens bestehen. Dies teilt es den Beteiligten im sog. Monatsbrief138 mit. Der Eintritt in das Hauptprüfungsverfahren ist nach § 43 Abs. 1 GWB im (elektronischen) Bundesanzeiger bekanntzumachen. Nunmehr muss binnen vier Monaten entschieden werden, ob der Zusammenschluss freigegeben oder untersagt wird, § 40 Abs. 2 GWB. Die Freigabe kann unter Bedingungen oder Auflagen ergehen, § 40 Abs. 3 S. 1 GWB. Ergeht binnen der Vier-Monats-Frist keine Entscheidung, gilt das Vorhaben nach § 40 Abs. 2 S. 2 GWB als genehmigt. Sind die Voraussetzungen für die Freigabe eines Zusammenschlusses nicht erfüllt, muss die Kartellbehörde den Zusammenschluss also untersagen, besteht nach § 42 Abs. 1 S. 1 GWB die Möglichkeit einer sog. Ministererlaubnis, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Sind die Voraussetzungen der Freigabe nicht erteilt, muss das Bundeskartellamt das Zusammenschlussvorhaben nach §§ 36 Abs. 1, 40 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GWB untersagen. Ein Ermessensspielraum besteht insoweit nicht.139 b) Ergänzung und Entlastung durch informelle Verfahren Einen Schwerpunkt der kartellbehördlichen Aufgaben macht die Verfolgung von Rechtsverstößen durch Abstellungsverfügungen und Bußgeldentscheidungen und damit das repressive Tätigwerden aus.140 Daneben treten informelle Verfahren.141 Auf den insoweit in jüngerer Zeit zu beobachteten Paradigmenwechsel – von der „klassischen“ öffentlich-rechtlichen Durchsetzung durch Eingriffsverwaltungsakte hin zu einer konsensualen Durchsetzung der Kartellrechtsnormen – wurde schon hingewiesen.142 Deren Vorteile liegen in der Flexibilität sowie in einer kürzeren Verfahrensdauer wegen der geringeren Ressourcenbindung durch die Reduzierung des Ver137 Zur Rechtsnatur nur Kallfaß, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 40 Rn. 28. 138 Riesenkampff/Lehr, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 40 GWB Rn. 5. 139 Statt aller Bechtold, GWB, 7. Aufl. 2013, § 40 Rn. 42; Riesenkampff/Lehr, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 40 GWB Rn. 12. 140 Monopolkommission, 18. Hauptgutachten 2008/2009, Rn. 372. 141 Zusammenfassend etwa Pieper, Aufsicht, 2006, S. 54 f.
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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fahrens- und Begründungsaufwands.143 Hinzu tritt, dass Unternehmen oftmals von kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen nach der informellen Kontaktaufnahme Abstand nehmen.144 Zudem ist es auf diese Weise möglich, Verfahren quasi „geräuschlos“, nämlich ohne Bekanntmachungen oder Pressemitteilungen zu beenden.145 Schließlich können auch neuartige Fragen im Zusammenhang mit dem Wettbewerbsrecht zum Zwecke der Erhöhung der Rechtssicherheit erläutert werden.146 Zu diesen nichtförmlichen Handlungsweisen zählt auch die behördliche Förderung von unternehmensinternen Compliance-Maßnahmen147 oder die Öffentlichkeitsarbeit der Kartellbehörden, wobei letztere auch in Form sog. Strategic PR insbesondere bei großen Kartellverfahren an Bedeutung gewinnt.148 Da angesichts der beschränkten Ressourcen der Kartellbehörden nicht alle Verstöße verfolgt werden können, ergänzt die sog. Competition Advocacy („Anwalt für den Wettbewerb“)149 das Aufgabenfeld der Kartellbehörden. Dies geschieht vor allem durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Veröffentlichung der Tätigkeitsberichte und von Fallberichten, Durchführung von Sektorenuntersuchungen, die Organisation von und die Teilnahme an Fachkonferenzen, die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und nicht zuletzt durch die Abgabe von Stellungnahmen in kartellrechtsrelevanten Gerichtsverfahren zwischen Dritten, aber auch in Gesetzgebungsverfahren.150 142 s. § 3 A. III. 3. a) aa) (1) sowie K. Schmidt, Gerichtsschutz in Kartellverwaltungssachen, 1980, S. 2; für das nationale Recht ferner Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 418. 143 Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 417; aus Behördensicht auch Mundt, in: FIW, Sanktionen, 2011, S. 17 (18). 144 Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 418; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, Vorb. § 54 Rn. 6. Hierunter sind etwa Gespräche der Unternehmen mit dem Amt zu verstehen, um kartellbehördliche Bedenken zu zerstreuen (Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 53 Rn. 37) oder um eine freiwillige Aufgabe oder Änderung des beanstandeten Verhaltens zu erreichen. 145 Vgl. Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 42 Rn. 1; ferner De Maziére, Informelle Verwaltung durch das Bundeskartellamt, 1984, passim. 146 Dazu die Bekanntmachung der Kommission über informelle Beratung bei neuartigen Fragen zu den Artikeln 81 und 82 des Vertrages, die in Einzelfällen auftreten (Beratungsschreiben), ABl. (EU) v. 27.4.2004, C Nr. 101/78; Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2; 5. Aufl. 2012, VO 1/2003 Art. 7 Rn. 9. 147 Dazu schon o. in Fn. 75. 148 Dazu Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 416, 423 ff. Zur Bedeutung der Öffentlichkeitsarbeit gerade bei „aufsehenerregenden“ Kartellverfahren Podszun, ZWeR 2012, 48 (61 f.). 149 Monopolkommission, 18. Hauptgutachten 2008/2009, Rn. 370; Stockmann, in: FS Immenga, 2004, S. 389 (390). 150 Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 419.
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Folglich gehen die Aufgaben der Kartellbehörden über die Untersagung oder Sanktionierung „weit [. . .] hinaus“.151 4. Dualismus der Kartellaufsicht
Während die Überwachung der Wettbewerbsregeln der Union neben der Kommission auch den Mitgliedstaaten obliegt, ist die Kommission für den Vollzug der Vorschriften der FKVO gemäß Art. 21 Abs. 2 FKVO ausschließlich zuständig. Aufgrund der dezentralen Anwendung und Durchsetzung des europäischen Kartellrechts liegt der Schwerpunkt indes bei den mitgliedstaatlichen Kartellbehörden.152 Die insoweit bestehende Zuständigkeit des Bundeskartellamts folgt aus Art. 4, 5 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003, § 22 GWB. Aufgrund des (Anwendungs-)Vorrangs des Unionsrecht153 und der unmittelbaren Wirkung der Art. 101 und 102 AEUV154 sind diese Vorschriften von den mitgliedstaatlichen Behörden stets anzuwenden. Die Anwendbarkeit der europäischen Wettbewerbsregeln richtet sich danach, ob die Maßnahmen geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Diese Zwischenstaatlichkeitsklausel ist erfüllt, wenn das zu untersuchende Verhalten geeignet ist, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.155 Im Anwendungsbereich der Zwischenstaatlichkeitsklausel müssen die nationalen Behörden das Unionsrecht anwenden.156 Art. 3 Abs. 1 VO 1/2003 (bzw. § 22 GWB) lässt daneben die Anwendung des nationalen Rechts zu. Für das Kartellverbot ist jedoch das europäische Recht zwingend; nach Art. 3 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 (bzw. § 22 Abs. 2 GWB) dürfen Vereinbarung bzw. abgestimmte Verhaltensweisen, die entweder wegen Art. 101 Abs. 3 AEUV oder mangels Eignung zur Wettbewerbsbeschränkung nicht nach Art. 101 AEUV verboten sind, auch nicht nach nationalem Recht verboten werden.157 Soweit die Zwischenstaat151
Mundt, in: FIW, Sanktionen, 2011, S. 17 (30). Dazu m. w. Nwn. nur Lübking/v. Koppenfels, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 59 (68 f.). 153 Grundlegend EuGH Rs. 6/64, Slg. 1964, 1253 – Costa/ENEL. 154 Hierzu auch noch § 5 A. III. 1. 155 Zur Anwendung der Zwischenstaatlichkeitsklausel vgl. die Bekanntmachung der Kommission, Leitlinien über den Begriff der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handelns in den Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. (EU) v. 27.4.2004, C Nr. 101/81. 156 Zuletzt etwa EuGH C-226/11, EuZW 2013, 113 (Rn. 18) – Expedia. Die Zwischenstaatlichkeitsklausel lässt sich daher auch als „Anwendungskriterium“ bezeichnen, so W. Kirchhoff, in: MüKo EUWettbR, 2007, Einl. Rn. 437. 157 Vor dem Hintergrund der Rechtsfolgenidentität des europäischen und nationalen Kartellverbots kann § 1 GWB im Anwendungsbereich des Unionsrechts als obsolet erachtet werden, s. Bechtold, GWB, 7. Aufl. 2013, § 22 Rn. 5. 152
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lichkeitsklausel nicht erfüllt ist, ist Art. 101 AEUV nicht anwendbar. In diesem Fall beeinflusst das europäische Recht das nationale Recht nicht. Anders stellt sich die Situation für das Missbrauchsverbot dar: Zwar darf nach § 22 Abs. 3 GWB das Bundeskartellamt die Vorschriften des GWB, also insbesondere die §§ 19 ff. GWB, neben Art. 102 AEUV anwenden. Jedoch stellt das deutsche Recht in Ermangelung einer § 22 Abs. 2 GWB entsprechenden Vorschrift strengere Anforderungen an einseitige Verhaltensformen als das europäische Recht auf. Dies kommt etwa in § 20 GWB zum Ausdruck, der die Ausnutzung relativer Marktmacht erfasst. Für einseitige Verhaltensformen erweist sich das europäische Recht mithin als „Mindeststandard“.158 Aufgrund der parallelen Zuständigkeiten und des dezentralen Vollzuges besteht die Gefahr der Durchführung identischer Verfahren durch unterschiedliche Wettbewerbsbehörden. Da im Mittelpunkt der VO 1/2003 die Entlastung der Kommission bei gleichzeitiger Effektuierung der Durchsetzung des europäischen Kartellrechts steht,159 beschränkt sich die Kommission in der Regel auf die „bedeutenden“ Fälle.160 Solange sie kein Kartelloder Missbrauchsverfahren eröffnet hat, bleiben die mitgliedstaatlichen Kartellbehörden nach Art. 5, 11 VO 1/2003 zuständig. Große Bedeutung kommt im Übrigen dem in Art. 11 VO 1/2003 vorgesehenen European Competition Network (ECN) zu. Die Arbeitsweise und die Zusammenarbeit der verschiedenen Wettbewerbsbehörden innerhalb des ECN wird näher ausgestaltet durch die Gemeinsame Erklärung des Rates und der Kommission zur Arbeitsweise des Netzes der Wettbewerbsbehörden161 sowie die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit innerhalb des Netzes der Wettbewerbsbehörden162. III. Zusammenfassung Die vorangestellten Ausführungen haben gezeigt, dass das Kartellrecht Bezüge zu unterschiedlichen Rechtsgebieten aufweist. Den zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen stehen die Untersagungsmöglichkeiten der Art. 7 VO 1/2003 und § 32 GWB als klassische öffentlich-rechtliche Befugnisnormen gegenüber. Flankiert werden diese Regelungen durch die Bußgeldvorschrif158 Meessen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, Einführung Rn. 86. 159 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 5. Vgl. auch Erwägungsgrund 6 VO 1/2003. 160 Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 461. 161 Dokument des Rates Nr. 15435/02 v. 10.12.2002. 162 ABl. (EU) v. 27.4.2004, C Nr. 101/43.
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ten. Systematisch lässt sich der hier interessierende Bereich des öffentlichrechtlichen Vollzuges des Kartellrechts dem Wirtschaftsaufsichtsrecht zuordnen.163 Zwar sind diese Zuordnung und die damit einhergehende Bezeichnung als Kartellaufsicht nicht sehr verbreitet.164 Auch benutzen weder das europäische Kartellrecht noch das GWB den Begriff der Aufsicht.165 Geläufig ist vielmehr die Auffassung, das Kartellrecht als Teilgebiet des Zivilrechts zu begreifen.166 Damit ist aber nur die rechtliche Einordnung der Wettbewerbsregeln angesprochen. Dass die Regelungen, die den Kartellbehörden Befugnisse einräumen und daher den Vollzug und die Durchsetzung des Kartellrechts betreffen, als Kartellverwaltungsrecht dem öffentlichen Recht zuzurechnen sind, steht außer Frage.167 Da die Aufgabe des 163 Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 243; Dreher, in: FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 713 (716). Die Ausgestaltung der behördlichen Durchsetzung unterliegt einem Wandel: So wurde in der Anfangszeit auf die „klassische“ Verbotsverfügung zurückgegriffen, um die wettbewerblichen Verbotsnormen zu konkretisieren. Daneben stand die – ebenfalls klassisches öffentliches Recht darstellende – Praxis der Einzelfreistellungen. Zur Diskussion aus der Vorzeit des GWB, ob in Deutschland das Kartellrecht durch Kartellverbot oder Kartellaufsicht eingeführt werden soll, den Sammelband BDI, Kartellverbot oder Kartellaufsicht? 1951; zur historischen Präponderanz des public enforcements für den Vollzug des Unionskartellrechts Wish/ Bailey, Competition Law, 7. Aufl. 2012, S. 294 f. Durch die Änderung des europäischen Rechts 2003 und die damit einhergehende Angleichung des deutschen Rechts im Jahre 2005 ist diese Freistellungsmöglichkeit wegefallen. Die Kartellbehörden – sowohl auf europäischer wie auch auf nationaler Ebene – gehen jedoch mehr und mehr dazu über, aktiv und gestaltend, aber auch konsensual mit den potentiellen Verfügungsadressaten, die öffentlich-rechtliche Durchsetzung der Wettbewerbsregeln zu betreiben. Krit. zu diesem „Paradigmenwechsel“ Kühne, WuW 2011, 577; Podszun, ZWeR 2012, 48 (62 ff.). Vgl. auch schon § 3 A. II. 3. b). 164 Pointiert Niederleithinger, WuW 1985, 5 (6: „Wenn ein Kartellrechtler zu einem anderen sagen würde, dieser sei eigentlich Verwaltungsrechtler, dann ist dies eben im Selbstverständnis der Kartellrechtler ein Vorwurf und wird vielleicht sogar als Beleidigung verstanden“). 165 s. auch Pieper, Aufsicht, 2006, S. 49. 166 Vgl. etwa Terhechte, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 37 Rn. 4 m. w. Nwn.; Immenga/Mestmäcker, in: dies., GWB, 4. Aufl. 2007, Einl. Rn. 73 ff. („funktionale [. . .] Zusammenhänge mit dem Privatrecht“); zur Zuordnung zum Zivilrecht statt vieler nur K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (172 ff.). Ders., in: FS Selmer, 2007, S. 499 (500), beklagt ein „offenkundiges Desinteresse der Wissenschaft vom öffentlichen Recht am kartellrechtlichen Verwaltungsverfahrensrecht und am Rechtsschutzkonzept des GWB“. 167 Terhechte, in: Ehlers/Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 37 Rn. 5; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 1; K. Schmidt, in: FS Selmer, 2007, S. 499 (501); v. Köhler, VerwArch 54 (1963), 262; zu dieser Zweiteilung auch Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. 2011, Rn. 272. s. auch die Bezeichnung als „öffentliches Wirtschaftsrecht“ bei Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 1 Rn. 72, § 6 Rn. 53 ff.
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Kartellrechts darin besteht, „die Privatautonomie so zu begrenzen, dass sie sich nicht selbst aufhebt“168 und damit die „Bändigung [. . .] privater Macht“169 umfasst, kann auch die Kartellaufsicht als Gegenstück der Freiheit begriffen werden. Untersucht man die Tätigkeit der Kartellbehörden mit Blick auf die Beobachtungs- und Berichtigungsfunktion, so lässt sich Folgendes konstatieren: Im Rahmen ihrer Zuständigkeiten beobachten die Kartellbehörden das Marktgeschehen. Soweit ein kartellrechtlich relevantes Verhalten bekannt wird, stehen ihnen die o. g. Befugnisse zu. Kartellrechtlich relevant ist im Grundsatz jedes Verhalten, das von den Richtmaßen, wie sie insbesondere in den Verbotstatbeständen des AEUV bzw. des GWB formuliert sind, abweicht. Da die Eingriffsbefugnisse der Kartell- und Missbrauchsaufsicht ein vorher erfolgtes Verhalten voraussetzen, auf das im Nachhinein reagiert wird, sind sie grundsätzlich repressiv.170 Folglich kommt der Kartell- und Missbrauchsaufsicht auch eine Berichtigungsfunktion zu.171 Dagegen werden mit der Ahndung durch Bußgelder präventive Ziele verfolgt.172 Mithin lässt sich die Tätigkeit der Kartellbehörden dem Wirtschaftsaufsichtsrecht zurechnen, so dass die Bezeichnung als Kartellaufsicht angezeigt ist.173 168
Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 7. K. Schmidt, AcP 206 (2006), 169 (173). 170 Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 23, die aus dem Umstand, dass im Kartellrecht die Behörden – mit Ausnahme des Fusionskontrollverfahrens – nur „nachträglich und bei nachgewiesenen Verstößen gegen bestimmte Verhaltenspflichten“ reagieren können, „während das Wirtschaftsverwaltungsrecht primär der präventiven Kontrolle dient“, die Zugehörigkeit des Kartellrechts zum Wirtschaftsaufsichtsrechts verneinen. Dazu, dass durch die Möglichkeit der positiven Tenorierung auch i. R. der Kartell- und Missbrauchsaufsicht proaktiv und zukunftsgerichtet eingegriffen wird, s. dagegen Podszun, ZWeR 2012, 48 (53). 171 Da insoweit keine Lenkungsfunktion verfolgt wird, stellt das Kartellrecht auch kein Regulierungsrecht dar, vgl. Podszun, ZWeR 2012, 48 (65 mit Fn. 80); ähnl. Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 29 Rn. 9, nach denen der Kartellaufsicht eine „präventive Verhaltensaufsicht, die vielfach einen verhaltenslenkenden Charakter annehmen dürfte“, grds. wesensfremd ist. 172 s. dazu etwa Ackermann, ZWeR 2012, 3. 173 So auch Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. 2011, Rn. 209, 272 ff.; Pieper, Aufsicht, 2006, S. 56; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. II, 47. EL 6/2006, Art. 12 Rn. 396, ders., Wirtschaftsaufsicht, 1972, S. 24 ff., 104 f., 172 ff.; B. Aubin, Staatsaufsicht, 1942, S. 8, 70 ff. Vgl. hierzu jedoch auch die unterschiedlichen Bezeichnungen bei Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 29 Rn. 9; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 1; Rodegra, Aufsichtsfreie Verwaltung, 1992, S. 7; Mösbauer, Staatsaufsicht über die Wirtschaft, 1990, S. 186 („wettbewerbsrechtliche Aufsicht“); Weiß, in: Terhechte, Verwaltungsrecht der Europäischen Union, 2011, § 20 („[e]uropäische[n] Wettbewerbsverwaltungsrecht“); Meessen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, Einführung Rn. 3 ff. („Wirtschaftsordnungsrecht“). Ähnl. K. Schmidt, in: FS Schumann, 2001, S. 405 („Ordnungsrecht“); Nolte, Beur169
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In dieses Bild fügt sich auch die Zusammenschlusskontrolle ein, da sie als System der präventiven Erlaubnis die Zulässigkeit eines Zusammenschlusses von der öffentlich-rechtlichen Genehmigung abhängig macht. Derartige Genehmigungsvorbehalte stellen klassische Instrumente der Wirtschaftsaufsicht dar. Zudem handelt es sich bei der in § 34 GWB vorgesehenen Vorteilsabschöpfung durch die Kartellbehörde ebenfalls um ein typisches öffentlich-rechtliches Instrument.174 Zusammenfassend verweist die Bezeichnung Kartellaufsicht in dem hier interessierenden Zusammenhang zum einen auf die Zugehörigkeit dieses Rechtsgebiets zur Wirtschaftsaufsicht.175 Zum anderen soll sie zu den zivilund ordnungswidrigkeitsrechtlichen Elementen des Kartellrechts abgrenzen. Insoweit soll die Arbeit auch einen Beitrag zu einer Betrachtung des Kartellrechts aus einem öffentlich-rechtlichen Blickwinkel leisten.176
B. Funktionen, Bedeutung und Ausgestaltung der Staatshaftung im europäischen und deutschen Recht Ausgehend vom allgemeinen Sprachgebrauch lässt sich eine Haftung als Verantwortlichkeit für ein bestimmtes Verhalten in der Weise bezeichnen, dass dem durch dieses Verhalten Geschädigten vom Schädiger Ersatz oder Ausgleich geleistet wird.177 Haftung umschreibt also eine Ersatz-178 bzw. eine Einstandspflicht179. Die Art oder Ausgestaltung des Ersatzes gibt dieser Begriff indes nicht vor; insbesondere ist der Anwendungsbereich nicht auf rechtswidriges Handeln reduziert.180 teilungsspielräume, 1997, S. 191 („materielles Sonderordnungsrecht“); Fikentscher, WuW 1971, 789 (794 „Wirtschaftskontrolle“). Zur früher verwandten Bezeichnung „Kartellpolizeirecht“ vgl. Isay/Tschierschky, Kartellverordnung, 2. Aufl. 1930, S. 100; krit. B. Aubin, a. a. O., S. 72, 75. Ohne nähere Diff. dagegen vom „Wirtschaftsverwaltungsrecht“ sprechend Lange, in: ders., Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2006, Rn. 21. 174 Vergleichbare Regelungen enthalten § 33 EnWG, § 43 TKG. 175 So auch Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 1; Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 52 ff., 83 ff. 176 K. Schmidt (in: FS Selmer, 2004, S. 499) beobachtet, dass verwaltungs- und verwaltungsverfahrensrechtliche Fragen des Kartellrechts nur selten im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen. 177 Vgl. etwa Looschelders, Schuldrecht Allg. Teil, 11. Aufl. 2013, Rn. 31. 178 BVerfGE 61, 149 (151). 179 Sauer, JuS 2012, 695; Durner, in: BK GG, Bd. 10, 127. EL 2/2007, Art. 74 Nr. 25 Rn. 20. 180 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 1 f. Dies zeigt sich schon an der Existenz einer Gefährdungshaftung wie in § 7 StVG.
§ 3 Einführung in das Kartellaufsichts- und Staatshaftungsrecht
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Als Staatshaftung wird eine Verantwortlichkeit bezeichnet, die als Schuldner den Staat verpflichtet, wobei hierunter in einer funktionalen Betrachtungsweise jeder Hoheitsträger zu verstehen ist.181 Daher kann auch die Europäische Union, bei der es sich zwar nicht um einen Staat handelt,182 die aber gleichwohl Hoheitsgewalt ausübt, erfasst werden.183 Anspruchsverpflichteter kann nur der Träger von Hoheitsgewalt sein, nicht hingegen seine Behörden. Gegenstand dieser Untersuchung ist mithin nicht die Haftung der Kommission oder des Bundeskartellamts, sondern vielmehr die Haftung ihrer Rechtsträger. Staatshaftung umschreibt daher die Ersatzpflicht eines Hoheitsträgers für ein bestimmtes Verhalten. Dieser weiten Definition sollen im Folgenden Funktionen und Bedeutung der Staatshaftung zugeordnet werden (I.), um sodann auf die Ausgestaltung der Staatshaftung im europäischen (II. 1.) und nationalen Recht (II. 2.) näher einzugehen. I. Funktionen und Bedeutung der Staatshaftung 1. Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz
Funktionen und Bedeutung der Staatshaftung werden durch die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz als den beiden Ausprägungen des Individualrechtsschutzes begreifbar gemacht. Der Rechtsstaat verhilft dem Einzelnen zur Durchsetzung seiner Rechte. Dies wird im nationalen Recht neben der objektiven Verpflichtung der Staatsgewalten auf rechtmäßiges Handeln in Art. 20 Abs. 3 GG insbesondere durch den in Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG garantierten Rechtsschutz erreicht.184 Auf Ebene des Unionsrechts normiert Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union185, dass „[j]ede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, [. . .] das 181 Durner, in: BK GG, Bd. 10, 127. EL 2/2007, Art. 74 Nr. 25 Rn. 19; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 1 Rn. 4; zu den Besonderheiten bei der Einschaltung von Beliehenen dies., a. a. O., § 11 Rn. 3. Dagegen hebt der Begriff der Amtshaftung auf die Haftung nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG ab. 182 Zur „Nichtstaatlichkeit“ der Europäischen Union eingehend BVerfGE 123, 267; statt vieler nur Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 4 Rn. 18 ff. 183 Dies folgt nicht zuletzt aus der Existenz des Art. 340 AEUV. s. auch Tietjen, Das System des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsrechts, 2010, S. 17. 184 s. nur Wieland, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 34 Rn. 33; zur Staatshaftung als unmittelbaren Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nur BGHZ 11, 192 (197 f.). 185 ABl. (EG) v. 18.12.2000, C Nr. 364/1, im Folgenden nur: GRCh. Die Europäische Union ist nach Art. 6 Abs. 1 EUV an die GRCh gebunden, sie stellt Primärrecht dar. Zur historischen Entwicklung der GRCh etwa Ehlers, in: ders., EUGrundrechte, 3. Aufl. 2009, § 14 Rn. 24 ff.
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Recht [hat,] bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen“. Im Gegensatz zum nationalen Rechtsschutzsystem wird das europäische Recht nicht in allen Fällen vom Individualrechtsschutz bestimmt, teilweise verfolgt es weitere Ziele.186 So lässt sich für den unionsrechtlichen Haftungsanspruch bei Verletzung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten etwa dem Individualrechtsschutz die integrationsfördernde Wirkung zur Seite stellen.187 Gerichtliche Hilfe bei einer erlittenen oder bevorstehenden Rechtsverletzung in Form von Abwehr, Verhinderung oder Beseitigung vermittelt der Primärrechtsschutz.188 Die Möglichkeit, Entschädigung und Ausgleich für eine erlittene Rechtsverletzung zu verlangen, wird dagegen als Sekundärrechtsschutz bezeichnet.189 Soweit der Rechtsverletzung nicht oder nicht mehr durch Primärrechtsschutz begegnet werden kann, muss sie durch Gewährung von Schadensersatz oder Entschädigung ausgeglichen werden.190 Der Sekundärrechtsschutz ergänzt191 bzw. verlängert192 den Primärrechtsschutz, beide Systeme stellen den rechtmäßigen Zustand her193 und schützen dadurch subjektive Rechte gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt194. Dies führt im Ergebnis zu einer Kongruenz zwischen den beiden Säulen des Individualrechtsschutzes.195 186
s. etwa Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 27 sowie sogleich im
Text. 187 Vgl. etwa v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 9 ff. Zur insoweit bestehenden „funktionalen Subjektivierung“ vgl. nur Ruffert, DVBl. 1998, 69 (71); zusammenfassend Hong, JZ 2012, 380 (381 ff.). 188 Statt vieler Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 3 Rn. 6. 189 Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. 1, 23. EL 1/2012, Einl. Rn. 230; Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 66. 190 So Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 26 Rn. 6. s. auch Schoch, DV 34 (2001), 261; Morlok, DV 25 (1992), 371; für das europäische Recht Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (152). Staatshaftung kann daher als „ultima ratio“ begriffen werden, so schon W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931 (unv. Nachdruck 1966), S. 321. 191 Dazu nur Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 3 Rn. 6. 192 So treffend Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 200; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 107 sprechen von der „Konnexität von Primär- und Sekundärrechtsschutz“. 193 BVerfGE 58, 300 (324); vgl. auch schon Menger, in: GS W. Jellinek, 1955, S. 347 (350 ff.). 194 Statt vieler Höfling, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 51 Rn. 83 ff.; Kümper, in: Kollektivität, 2012, S. 229 (231 ff.); Schoch, DV 2001, 261 (266); eingehend Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 144 ff.; für das Unionsrecht etwa Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 557.
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2. Funktionen der Staatshaftung
Wegen der rechtsstaatlichen Anknüpfung verfolgt die Staatshaftung in erster Linie den Schutz subjektiver Rechte durch Gewährung eines Ausgleichs für erlittene Einbußen. Sie stellt damit „ein wichtiges Mittel zum Schutz des Bürgers vor der öffentlichen Gewalt“ dar.196 Das System der öffentlichen Ersatzleistungen reicht indes weiter, wenn hierunter auch die Entschädigung wegen rechtmäßiger Eingriffe verstanden wird.197 Im Übrigen kann ein auf den Individualschutz begrenztes Verständnis der Staatshaftung nicht in jeder Hinsicht überzeugen.198 Neben dieses Verständnis treten überindividuelle Funktionen wie die Disziplinierung der Verwaltung und daher ein Sanktions- und Präventionsgedanke.199 Daneben wird der Sekundärrechtsschutz als notwendiges Korrelat zu den umfassenden Befugnissen200 verstanden, über die die Behörden insbesondere im Bereich der Eingriffsverwaltung verfügen. Schließlich verfolgt das Staatshaftungsrecht auch das Ziel, die Handlungsfreudigkeit des Amtsträgers bzw. die „Schlagkraft der Verwaltung“201 zu stärken,202 da der handelnde Amtsträger von der persönlichen Haftung befreit wird203. Damit einhergehend wird dem geschädigten Bürger die Inanspruchnahme eines solventen Schuldners ermöglicht.204 195
Vgl. nur Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 103 ff. Krit. wegen der Eigenständigkeit haftungsrechtlicher Wertungen Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 168 ff. m. w. Nwn. 196 Bettermann, Grundrechte III/2, 2. Aufl. 1972, S. 852. Für das Unionsrecht etwa EuGH C-470/03, Slg. 2007, I-2749 (Rn. 88) – A.G.M.-COS.MET; Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (102). 197 Zu diesem dieser Bearbeitung zugrunde liegenden Verständnis näher u. § 3. B. 2. a). 198 So etwa im Falle der Haftung für fehlerhafte Genehmigungen, bei denen der Vertrauensschutz haftungsbegründend wirkt, dazu u. § 9 A. II. 2. d). 199 Dazu Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 52 Rn. 6, 17, 20 (dort die Funktion des Bürgers als Kontrolleur des Staates betonend). Aus der Perspektive einer ökonomischen Analyse des Rechts betont Hartmann [Der Staat 50 (2011), 61 (67)] das Staatshaftungsrecht als Anreiz zu rechtmäßigem Handeln. Einen Zusammenhang zwischen Schadensersatz und Sanktion verneint Bitter, Die Sanktion im Recht der Europäischen Union, 2011, S. 246. 200 Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 572. 201 Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art, 34 Rn. 2; Bettermann, DÖV 1954, 299. 202 Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 52 Rn. 21; s. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 11. 203 s. Art. 34 S. 1 GG bzw. für das europäische Recht Art. 340 Abs. 2 AEUV. 204 Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 2 mit einschränkenden Verweis auf die realiter bestehende „Prozeßlust und Prozesshartnäckigkeit“ sowie die fehlende Zahlungsmoral der öffentlichen Hand.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes 3. Tatsächliche Bedeutung der Staatshaftung
Obgleich das Staatshaftungsrecht somit eine bedeutsame Funktion innerhalb des Rechtsstaats wahrnimmt und auch in tatsächlicher Hinsicht vielfältiges Haftungspotential besteht,205 spiegelt sich die skizzierte Bedeutung in der gerichtlichen Geltendmachung derartiger Ansprüche und damit in den tatsächlichen Fallzahlen nicht wider: So machten Schadensersatzklagen nach dem Jahresbericht des EuGH im Jahre 2012 nur 2,76 % aller neu eingegangenen Rechtssachen aus.206 Die Jahresstatistik des Statistischen Bundesamtes weist für denselben Zeitraum einen Anteil der erstinstanzlich erledigten Staatshaftungsklagen an dem Gesamtvorfall von 1,31 % auf.207 Hinzu tritt, dass Staatshaftungsklagen nur selten erfolgreich sind.208 Bezeichnend ist insofern die Aussage des EuGH in der Rechtssache HNL, wonach die Europäische Union nur „ausnahmsweise und unter besonderen Umständen“ Schadensersatz leisten muss.209 Daher kann die in der Einleitung skizzierte Situation zur Haftung der Kartellaufsicht als charakteristisch für das gesamte Staatshaftungsrecht bezeichnet werden. Für den Fall, dass der Primärrechtsschutz erfolglos bleibt, wird im Regelfall von einer Amtshaftungsklage abzuraten sein.210 Die Bedeutung der Staatshaftung lässt sich daher empirisch nicht bestätigen.
205 C. Stein/Itzel/Schwall, Praxishdb. Amts- und Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 2012, S. VII f.; zu den Forderungsvolumina s. etwa Pflüger, BADK-Information 2001, 87. 206 EuGH, Jahresbericht 2012, S. 193. 207 2012 entfielen von 356.445 erledigten Verfahren 4.669 auf erstinstanzlichen Verfahren in Staatshaftungssachen, vgl. Stat. Bundesamt, Jahresstatistik Zivilgerichte 2012, S. 42. Diese Zahlen lassen sich insb. darauf zurückführen, dass den Schadensersatzklagen primärrechtliche Rechtsbehelfe vorangehen. Soweit diese erfolglos bleiben, wird der Sekundärrechtsweg i. d. R. nicht beschritten. Setzt man diese Zahlen daher in Relation zu den erfolgreichen Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen, dürfte sich ein anderes Bild ergeben. 208 Die vom Bundesministerium der Justiz in Auftrag gegebene Studie „Zur Reform des Staatshaftungsrechts“ (1976, S. 25) kommt für den Berichtszeitraum 1970-1972 zu dem Ergebnis, dass 70 % der untersuchten Haftungsklagen keinen Erfolg hatten. Zum auf europäischer Ebene ähnl. Bild Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 14 Rn. 3; Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (109). 209 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 5). 210 Jeromin/Kirchberg, in: MüAnw.hdB VerwR, 3. Aufl. 2012, § 18 Rn. 2.
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II. Ausgestaltung der Staatshaftung im Unionsrecht und im nationalen Recht 1. Die Staatshaftung im Unionsrecht
Die primärrechtlich in Art. 268, 340 Abs. 2 AEUV geregelte außervertragliche Haftung der Europäischen Union (a)) wird durch das ungeschriebenen Haftungsinstitut der mitgliedstaatlichen Haftung bei Verletzung des Unionsrechts (b)) ergänzt. a) Die außervertragliche Haftung der Union Der Vertrag von Lissabon enthält in Art. 340 haftungsrechtliche Bestimmungen. Während Absatz 1 der Vorschrift die vertragliche Haftung der Union regelt und insoweit auf das auf den betreffenden Vertrag anzuwendende Recht verweist, richtet sich die außervertragliche Haftung der Union für die durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schäden gemäß Absatz 2 der Vorschrift nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Diese Bestimmung ergänzt Art. 268 AEUV, wonach der Gerichtshof der Europäischen Union für Streitsachen über den in Art. 340 Abs. 2 und 3 AEUV vorgesehenen Schadensersatz zuständig ist.211 Schließlich garantiert Art. 41 Abs. 3 GRCh in inhaltlicher Übereinstimmung mit Art. 340 Abs. 2 AEUV den Schadensersatzanspruch grundrechtlich. Da sich die Voraussetzung der Haftung nicht unmittelbar aus dem Wortlaut erschließen, kommt der Rechtsprechung besondere Bedeutung zu. Diese hat die Haftungsvoraussetzung im Wege der wertenden Rechtsvergleichung212 herausgearbeitet.213 Voraussetzung dieses unmittelbaren Staatshaftungsanspruches ist die hinreichend qualifizierte Verletzung einer 211 Nach Art. 19 Abs. 1 UAbs. 1 EU ist Gerichtshof der Europäischen Union der Oberbegriff für den EuGH, das EuG sowie die Fachgerichte. Für die Haftungsklage ist nach Art. 256 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV das EuG in erster Instanz zuständig. 212 Der Begriff geht zurück auf Zweigert, RabelsZ 28 (1964), S. 601 (610 f.), s. Wurmnest, Grundzüge eines europäischen Haftungsrecht, 2003, S. 16. 213 Hervorzuheben sind insb. die Urteile des EuGH in den Rs. Lütticke (4/69, Slg. 1971, 325) und Schöppenstedt (5/71, Slg. 1971, 975); ausf. zu den Haftungsvoraussetzungen im zweiten Teil. Der Haftungstatbestand des Art. 340 Abs. 2 AEUV besteht nach v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 30 „nicht aus denjenigen nationalen Regeln, die als übereinstimmende Minimallösung in allen Mitgliedstaaten [. . .] nachweisbar sind“, aber auch nicht aus einer „Maximallösung, die automatisch das vermeintlich „überlegenste“ nationale Recht als Maßstab anlegt“.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
Norm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, und der Eintritt eines kausalen Schadens.214 b) Die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verletzung des Unionsrechts Die Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Unionsrecht ist in den Verträgen nicht geregelt. Der EuGH hat 1991 in der Sache Francovich215 den ungeschriebenen Schadensersatzanspruch formuliert und sich dabei neben den jetzigen Art. 4 EUV und den effet utile auf das Wesen der mit dem EWGV geschaffenen Rechtsordnung berufen.216 Die Möglichkeit, bei Verstößen gegen entsprechende Regelungen des Unionsrechts von den insoweit rechtswidrig agierenden Mitgliedstaaten Schadensersatz zu verlangen, versteht der EuGH als notwendige Ergänzung der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts.217 Die Francovich-Entscheidung, der die Nichtumsetzung einer Richtlinie durch einen Mitgliedstaat zugrunde lag, wurde durch die Folgeentscheidung Brasserie du Pêcheur, die eine mitgliedstaatliche Verletzung von unmittelbar anwendbaren Unionsrecht zum Gegenstand hatte, bestätigt und fortentwickelt.218 Während die ersten Urteile die Haftung wegen legislativen Unrechts betrafen, betonte der EuGH schon früh, dass es keinen Unterscheid macht, welche nationale Stelle den Schaden verursacht hat.219 Konsequenterweise wurde in der Folgezeit sowohl das exekutive220 als auch das judikative221 Unrecht in den Anwendungsbereich der mitgliedstaatlichen Haftung einbezogen. In den ersten Jahren war diese Rechtsfortbildung teilweise heftiger Kritik ausgesetzt;222 nunmehr wird die Existenz eines derartigen Haftungsinstituts nicht mehr in Frage gestellt. Tatbestandlich orientiert sich die Haftung an der außervertraglichen Haftung der Union.223 Entscheidend ist daher, dass ein Mitgliedstaat eine Norm des Unionsrechts, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, in hinrei214 St. Rspr., s. nur EuGH Rs. 4/69, Slg. 1971, 325 (Rn. 10) – Lütticke; C-221/10 P, EuZW 2012, 545 (Rn. 80) – Artegodan. 215 C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5357. Zur früheren Situation vgl. Tietjen, Das System des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsrechts, 2010, S. 26 ff. 216 EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5357 (Rn. 31 ff.); zusammenfassend etwa Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 14 Rn. 11. 217 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 20, 22 f.) – Brasserie du Pêcheur. 218 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029. 219 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 32) – Brasserie du Pêcheur; s. auch EuGH C-302/97, Slg. 1999, I-3099 (Rn. 62) – Konle. 220 Grundlegend EuGH C-5/94, Slg. 1996, I-2553 – Hedley Lomas. 221 Grundlegend EuGH C-224/01, Slg. 2003, I-10239 – Köbler. 222 Vgl. statt vieler nur Ossenbühl, DVBl. 1992, 993.
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chend qualifizierter Weise verletzt. Auf Rechtsfolgenseite wird der unmittelbar kausal entstandene Schaden ersetzt. Ob dieser vor den nationalen Gerichten zu verfolgende224 Anspruch originär europarechtlich ist oder den nationalen Haftungsvoraussetzungen entnommen werden kann, ist im Einzelnen umstritten.225 2. Die Staatshaftung im deutschen Recht
a) Zur Sinnvarianz der Bezeichnung Staatshaftung Die Bezeichnung des Untersuchungsgebiets als Staatshaftung ist nicht unumstritten; vielfach wird die Enge dieses Begriffes kritisiert.226 Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob die Staatshaftung auf Ersatzansprüche für rechtswidriges Handeln beschränkt ist.227 Die Bearbeitung kann und will diesen Streit nicht lösen, sondern wird, um einen möglichst umfassenden Anwendungsbereich abzudecken, einen weiten Staatshaftungsbegriff zugrunde legen. Danach umfasst die Staatshaftung sowohl die Einstandspflicht des Staates für rechtswidriges als auch für rechtmäßiges Handeln in Form 223
EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 53) – Brasserie du Pêcheur. Insoweit wird auch von einer „Parallelität“ der Haftung gesprochen, statt vieler nur Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 16 ff. 224 EuGH C-224/01, Slg. 2003, I-10239 (Rn. 54) – Köbler. Insoweit dürfte auf § 40 Abs. 2 S. 1 Var. 3 VwGO (und nicht auf Art. 34 S. 3 GG) abzustellen sein, s. Tietjen, Das System des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsrechts, 2010, S. 250. 225 Im Einzelnen dazu u. § 15. 226 So wird stattdessen vom „Recht der staatlichen Ersatzleistungen“ (Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 25 Rn. 1; Tremml/Karger/Luber, Amtshaftungsprozess, 4. Aufl. 2013, Rn. 9; ähnl. Kreft, in: RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839) bzw. vom „Recht der öffentlichen Schadensersatz- und Entschädigungsleistungen“ (Rüfner, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 12. Aufl. 2002, §§ 46 ff.; ähnl. Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 2013, Rn. 1) gesprochen. Ferner finden sich engere Bezeichnungen wie „Haftung für rechtswidriges Behördenhandeln“ (J. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, 8. Aufl. 2012, S. 317 ff.) oder weite Umschreibungen wie „Folgenausgleich“ (Bull/Mehde, Allgemeines Verwaltungsrecht mit Verwaltungslehre, 8. Aufl. 2009, Rn. 1082 ff.) bzw. „Einstandspflichten“ (Höfling, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 51). Ihnen ist zuzugestehen, dass der Begriff der Staatshaftung für sich genommen unterschiedliche Konnotationen aufweist und daher entweder zu eng oder zu weit verstanden werden kann. Da der Streit um Begrifflichkeiten jedoch nur müßig ist, wird im Folgenden einheitlich von der „Staatshaftung“ gesprochen. 227 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 1. Vgl. zu diesem Grundproblem nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 1 f. mit zahlreichen Nwn.
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von Schadensersatz und Entschädigung.228 Daneben werden auch die Reaktionsansprüche der Unterlassung und Folgenbeseitigung erfasst.229 b) Rechtsfolgenorientierte Darstellung der Anspruchsgrundlagen Die Anspruchsgrundlagen der Staatshaftung sind vielfältig und zu einem großen Teil nicht kodifiziert. Dies hat zu einer Bezeichnung als „Trümmerhaufen“230 geführt, bei dem unklar sein soll, ob die einzelnen Anspruchsgrundlagen überhaupt ein System bilden231. Gleichwohl lässt sich eine Darstellung der verschiedenen Institute aus Sicht der Rechtsfolge vornehmen. Insoweit wird mit den monetären Schadensersatz- (aa)) und Entschädigungsansprüchen (bb)) begonnen, um mit den Reaktions- und Restitutionsansprüchen der Folgenbeseitigung und Unterlassung (cc)) zu schließen. aa) Schadensersatz Schadensersatz beschreibt den vollständigen Ausgleich für einen erlittenen Nachteil.232 Auf Schadensersatz gerichtete Ansprüche sind daher die weitestreichenden Ansprüche im Rahmen der Staatshaftung233 und werden zuvorderst durch die Amtshaftung, § 839 BGB i. V. m. Art. 34 S. 1 GG, gewährt.234 Ihre Ursprünge reichen in das 18. Jahrhundert zurück, als das Verhältnis zwischen Landesherrn und Staatsdienern zivilrechtlich eingeordnet und als Mandatskontrakt bezeichnet wurde.235 Nach diesem Verständnis besaß der Staatsdiener nur das Mandat zu rechtmäßigem Handeln und nur dieses Handeln wurde dem Staat zugerechnet. Handelte er dagegen rechtswid228 So auch Ossenbühl, in: FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 887; ders./Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 1 f. 229 Wie hier Bonk, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 34 Rn. 8; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 1 Rn. 9, 15; Ossenbühl, in: FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 887 (889). 230 Thieme, DÖV 1996, 757 (763). 231 Dagegen Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 25 Rn. 1. Vgl. auch Durner, in: BK GG, Bd. 10, 127. EL 2/2007, Art. 74 Abs. 1 Nr. 25 Rn. 2 („unbefriedigendes Mosaiksystem von Anspruchsgrundlagen“); Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 3 Rn. 1 („Flickenteppich“). 232 s. etwa BGHZ 160, 26 (29); näher zu dieser Ausgleichsfunktion Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 249 Rn. 8. 233 Baldus/Grzeszick/Wienhues, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 2013, Rn. 90. 234 Daneben vermitteln die an § 280 Abs. 1 BGB angelehnten Ansprüche aus Pflichtverletzung bei öffentlich-rechtlichen Verträgen, vorvertraglichen Schuldverhältnissen sowie öffentlich-rechtlichen Sonderverbindungen ebenfalls Schadensersatz. 235 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 8.
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rig und somit contra mandatum, galt sein Handeln nur ihm selbst als Privatperson zurechenbar. In diesen Fällen haftete er persönlich aus Delikt.236 Diese Auffassung wurde im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts aufgegeben.237 Aus den unterschiedlichen Begründungen lässt sich als Leitgedanke extrahieren, dass es unbillig sei, den geschädigten Bürger auf den regelmäßig leistungsschwachen Beamten zu verweisen.238 Diese Kritik hat das BGB indes nur für das zivilrechtliche Tätigwerden durch die Normierung einer unmittelbaren Staatshaftung in §§ 31, 89 BGB berücksichtigt; für das hoheitliche Handeln blieb es bei der persönlichen Beamtenhaftung des § 839 BGB. Nach dieser Vorschrift macht sich ein Beamter schadensersatzpflichtig, wenn er vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt. Die Regelung der unmittelbaren Staatshaftung für den hoheitlichen Bereich wurde mangels Gesetzgebungskompetenz des Reichs gemäß Art. 77 EGBGB den Ländern überlassen.239 Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 sah in Art. 131 Abs. 1 eine Überleitung der Haftung auf den Staat vor, die das Grundgesetz in Art. 34 S. 1 übernommen hat.240 Die persönliche Beamtenhaftung des § 839 BGB ist dadurch nicht außer Kraft gesetzt, sondern bei hoheitlicher Tätigkeit kraft Verfassung auf den Staat übertragen. Daraus folgt, dass § 839 BGB die Anspruchsnorm darstellt, während Art. 34 S. 1 GG die Ersatzpflicht auf die hinter dem Beamten stehende öffentlich-rechtliche Körperschaft überleitet.241 Somit haftet im Außenverhältnis nur der Staat, während im Innenverhältnis der Rückgriff offen bleibt.242 Damit stellt die Amtshaftung eine mittelbare Staatshaftung dar.243 236 „Si excessit, privatus est“, s. H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. 285. 237 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 9. Berühmt geworden ist die Kritik bei Zoepfl, Grundsaetze des allgemeinen und des constitutionellmonarchischen Staatsrechts, 1841, S. 252 i. d. Fn., der insoweit von einer „wahrhaft scandalöse[n] Theorie“ spricht, „welche alles öffentliches Vertrauen zerstört“. 238 Zusammenfassend Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 9. 239 Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 10 auch mit Nwn. zu den landesrechtlichen Regelung. 240 Die umfassende Normierung der Staatshaftung in einem Staatshaftungsgesetz (StHG v. 26.6.1981, BGBl. I, 553) wurde vom BVerfG (E 61, 149) mangels Gesetzgebungskompetenz für nichtig erklärt. 241 Allg. Auffassung, vgl. nur BVerfGE 61, 149 (198); aus der jüngeren Rspr. BGHZ 162, 49 (55); BGH VersR 2008, 410 (412); ferner Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 11. Zum Teil wird direkt auf Art. 34 GG als – durch § 839 BGB lediglich konkretisierte – Anspruchsgrundlage abgestellt, vgl. Wieland, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 34 Rn. 36. Dazu krit. m. w. Nwn. Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 106 ff. 242 Art. 34 S. 2 GG. Auf Private ist Art. 34 S. 2 GG nicht anwendbar, s. BVerwGE 137, 377 (381; Beliehene) einerseits, BGHZ 161, 6 (11 f.; Verwaltungshelfer) andererseits.
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bb) Entschädigung Entschädigungsansprüche bilden die zweite Säule des deutschen Staatshaftungsrechts.244 Während die Amtshaftung an das Handlungsunrecht (im Sinne eines Verschuldens) anknüpft, ist bei den der unmittelbaren Staatshaftung zurechenbaren Entschädigungsansprüchen das hoheitlich verursachte Sonderopfer und daher der Erfolg haftungsauslösend.245 Ursprünglich wurde Entschädigung nur bei rechtmäßigen Maßnahmen gewährt, so etwa im Wege der Aufopferung bei Eingriffen in nichtvermögenswerte Rechtsgüter, die gewohnheitsrechtlich im Anschluss an §§ 74, 75 Einleitung zum Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten vom 1. Juni 1794 (Einl PrALR) entwickelt worden ist.246 Bei Eingriffen in vermögenswerte Rechtsgüter vermittelt Entschädigung der enteignende Eingriff, wenn ein rechtmäßiges Verwaltungshandeln eine enteignende Nebenwirkung unmittelbar im Gefolge hat, die dem Betroffenen ein Sonderopfer auferlegt.247 Nunmehr findet auch dieser Anspruch seine Grundlage in §§ 74, 75 Einl PrALR.248 Da Aufopferung und enteignender Eingriff nur rechtmäßige Eingriffe erfassen und die Amtshaftung auf rechtswidrig-schuldhafte Eingriffe beschränkt ist, konnte Entschädigung wegen rechtswidrig-schuldloser Eingriffe innerhalb dieses Systems nicht verlangt werden.249 Durch das Institut des enteig243 Statt aller Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 12. Art. 34 GG steht der Einführung einer unmittelbaren Staatshaftung jedoch nicht entgegen, vgl. BVerfGE 61, 149 (198 f.). 244 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 5; Sauer, JuS 2012, 695 (696). Vgl. auch die Gegenüberstellung in BGHZ (GS) 13, 88 (91 f.). 245 BGHZ (GS) 13, 88 (92); Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 160 f.; Schwerdtfeger, Fallbearbeitung im Öffentlichen Recht, 13. Aufl. 2008, Rn. 327. Zur Unterscheidung Handlungsunrecht/Erfolgsunrecht s. auch H. H. Rupp, Grundfragen des heutigen Verwaltungsrechts, 2. Aufl. 1991, S. 225 ff. 246 Die Aufopferung geht zurück auf die Lehre von den wohlerworbenen Rechten, den iura quaesita, in die nur aus besonderen Gründen des Allgemeinwohls und nur gegen Entschädigung eingegriffen werden darf. Mit der Duldungspflicht korreliert daher ein Entschädigungsrecht, s. Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 27 Rn. 3. Wegen dieser Anknüpfung spielte die Unterscheidung zwischen rechtmäßigem und rechtswidrigem Staatshandeln keine Rolle, s. dazu etwa Luhmann, Öffentlich-rechtliche Entschädigung rechtspolitisch betrachtet, 1965, S. 44. 247 s. etwa Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 27 Rn. 24. 248 Nach der ursprünglichen Konstruktion des BGH [bspw. BGHZ (GS) 6, 270 (277 f.)] wurde der enteignende Eingriff unmittelbar aus Art. 14 GG abgeleitet. Nachdem das BVerfG im Nassauskiesung-Beschluss BVerfGE 58, 300 (324) eine Neudefinition des Eigentumsbegriffs des GG vorgenommen hat, ist die Haftungsgrundlage des enteignenden Eingriffs §§ 74, 75 Einl PrALR, s. nunmehr auch BGHZ 91, 20 (27 f.). Krit. dazu Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (246). Das ursprüngliche Verständnis des BGH kommt hingegen noch in der Bezeichnung zum Ausdruck. 249 Statt vieler Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 260.
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nungsgleichen Eingriffs hat der Bundesgerichtshof250 diese Lücke geschlossen.251 Zwischen dem Schadensersatzanspruch aus Amtshaftung und den ebenfalls vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgenden Entschädigungsansprüchen besteht Anspruchskonkurrenz.252 Im Unterschied zum Schadensersatz gewährt die Entschädigung eine angemessene Kompensation für das dem Betroffenen unmittelbar abverlangte Opfer.253 Den Ausgangspunkt für die Berechnung der Höhe bildet der Wert des „Genommenen“.254 Den entgangenen Gewinn kann der Gläubiger daher grundsätzlich nicht ersetzt verlangen,255 so dass die Entschädigung wertmäßig regelmäßig hinter dem Schadensersatz zurückbleibt.256 cc) Reaktion und Restitution Während die vorgenannten Ansprüche auf Rechtsfolgenseite die Zahlung von Geld – als Schadensersatz oder Entschädigung – gewähren, sind die Reaktions- und Restitutionsansprüche der Unterlassung und Folgenbeseitigung diesen Ansprüchen vorgeordnet.257 Ihr Ziel ist die Wiederherstellung des status quo ante,258 sie gewähren also Naturalrestitution.259 Zunehmend werden sie der Abwehrfunktion der Grundrechte entnommen;260 jedenfalls sind sie gewohnheitsrechtlich anerkannt.261 250 BGHZ (GS) 6, 270 (290); für schuldhafte Eingriffe BGHZ 7, 296 (298). Hierzu bediente sich der BGH eines Erst-Recht-Schlusses; wenn schon bei schuldlosen Eingriffen gehaftet werde, müsse dies erst recht für schuldhafte Eingriffe gelten. 251 Auch hier findet sich im Wortlaut noch die Anlehnung an die ursprüngliche Anknüpfung an die Enteignung. Seit BVerfGE 58, 300 wird jedoch auch dieses Institut dogmatisch entweder aus der Aufopferung abgeleitet oder jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt, dazu Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 272; Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, 54. EL 1/2009, Art. 34 Rn. 40. 252 BGHZ 136, 182 (184); 170, 260 (272). 253 BGHZ 170, 99 (107); 260 (274). 254 Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 478. 255 BGHZ 170, 99 (107); BGH NJW 1994, 3158 (3160); Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 51. 256 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 16 Rn. 68, § 17 Rn. 43. Zur Verfassungsmäßigkeit BVerfG-K NVwZ 1998, 271 (272). 257 Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 25 Rn. 2. 258 BVerwGE 69, 366 (371). 259 Insoweit kommt ihnen eine Lückenschließungsfunktion zu, dazu Detterbeck/ Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 12 Rn. 4. 260 Für den Unterlassungsanspruch nur BVerwGE 131, 171 (173); für den Folgenbeseitigungsanspruch Schoch, DV 44 (2011), 397 (398). s. auch Ehlers, VVDStRL 51 (1992), S. 211 (243).
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§ 4 Mögliche Schadenszufügungen auf dem Gebiet der Kartellaufsicht Zwar ist die Haftung der Kartellaufsicht bislang selten praktisch relevant geworden, auf das gleichwohl bestehende Interesse an der Klärung etwaiger Haftungsfragen wurde indes schon hingewiesen. Die Fallgestaltungen, welche haftungsrechtliches Potential aufweisen, sind äußerst vielgestaltig. Dabei bietet sich eine erste Differenzierung nach den verschiedenen Säulen der Kartellaufsicht an. Daneben wird zu trennen sein zwischen Ansprüchen von Aufsichtsunterworfenen und sonstigen Personen. Diese Dichotomie ist charakteristisch für Sekundäransprüche im Bereich der Wirtschaftsaufsicht.262 Ferner stellen sich Fragen nach dem Kreis der Anspruchsberechtigten: Ist nur das Unternehmen an sich berechtigt, oder können auch Anteilseigner in den Genuss haftungsrechtlicher Ersatzansprüche kommen? Sind als potentielle Schadensersatzberechtigte nur direkte Abnehmer und Konkurrenten zu verstehen, oder kann auch die Marktgegenseite bis hin zu dem einzelnen Kunden ersatzberechtigt sein? Wegen der fortgeschrittenen Angleichung der deutschen an die europäischen Wettbewerbsregeln sind dagegen kaum mehr Situationen vorstellbar, in denen die Nichtanwendung der europäischen Wettbewerbsregeln neben den deutschen Bestimmungen unterschiedliche Ergebnisse hervorbringt.263 Diesen Fragen wird in den folgenden Teilen der Bearbeitung nachgegangen. Damit die Ausführungen nicht im „luftleeren Raum“ stehen, werden nachfolgend Beispielsfälle gebildet, auf die im weiteren Verlauf Bezug genommen werden kann. Die bloße Rechtswidrigkeit einer kartellbehördlichen Verfügung ist als solche nicht ausreichend für die Bejahung von Ersatzansprüchen, vielmehr muss stets ein Schaden hinzutreten.264 In diesem Zusammenhang kann die Bearbeitung nicht sämtliche denkbare Schadenspositionen antizipieren. Vielmehr wird sich auf einige typische Positionen beschränkt, um einen Querschnitt abzubilden. Nicht in diesen Bereich gehören schließlich die zi261 Krit. v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 34 Rn. 11, nach dem die „weithin festzustellenden Gleichgültigkeit“ hinsichtlich der Rechtsgrundlage des Folgenbeseitigungsanspruches „charakteristisch für die Entwicklungsbedingungen des gesamten Staatshaftungsrechts“ sei. 262 Statt vieler Pieper, Aufsicht, 2006, S. 454, 456; Tison, CML Rev. 42 (2005), 639 (641). 263 Anderenfalls wären derartige Situationen Gegenstand des unionsrechtlichen Haftungsanspruches wegen der Verletzung des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten, dazu Klose, Verhältnis, 1998, S. 251 ff. Zu diesem Haftungsinstitut im vierten Teil. 264 Daneben existieren weitere Voraussetzungen, so insb. der hinreichend qualifizierte Verstoß im Unionsrecht sowie das Verschuldenserfordernis der Amtshaftung.
§ 4 Mögliche Schadenszufügungen auf dem Gebiet der Kartellaufsicht
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vilrechtlichen Schadensersatzansprüche von Wettbewerbern oder Kunden gegen Kartellanten bzw. ihre Marktmacht missbräuchlich ausnutzende Unternehmen.265 Ebenfalls wird der Bereich des legislativen Tätigwerdens der Kartellaufsicht ausgespart. Diese Fragen sind zu unterschiedlich, als dass sie in den Untersuchungsgegenstand miteinbezogen werden können.266
A. Mögliche Schadenszufügungen in der Kartellund Missbrauchsaufsicht In Bezug auf Ersatzansprüche der beaufsichtigten Unternehmen kann bereits die Vornahme von Ermittlungshandlungen fehlerhaft sein, ohne dass es zu einer förmlichen Verfahrenseröffnung bzw. -einstellung kommt. So kann ein Unternehmen ein Auskunftsersuchen erhalten, obwohl es an einem Kartell ersichtlich nicht beteiligt ist.267 Von besonderer Bedeutung wird in diesem Zusammenhang sein, ob der Kartellbehörde Rechtswidrigkeit zur Last gelegt werden kann. In diesem Stadium können Rechtsberatungskosten entstehen, die die Unternehmen ersetzt verlangt haben möchten. Ebenfalls denkbar ist, dass zu einem derartigen Zeitpunkt die Kartellbehörde mit einer Pressemitteilung an die Öffentlichkeit tritt, die sich im Nachhinein als unzutreffend herausstellt. Auch insoweit kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, mit denen etwa der Ersatz immaterieller Schäden wegen Reputations- oder Imageeinbußen begehrt wird.268 Es kann jedoch auch während des Verfahrens zu Fehlern kommen, die in der Abstellungsverfügung fortwirken, wie etwa im Falle der Vorenthaltung oder sonstigen Verletzung von Verteidigungsrechten. Hier sind Fallgestaltungen vorstellbar, bei denen die Anhörung nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde. Weiterhin ist an Fehler im Rahmen der materiellen Bewertung und damit der eigentlichen Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der Wettbewerbsregeln zu denken. Fehlerhaft kann des Weiteren nicht nur ein Verwaltungs-, sondern auch ein Bußgeldverfahren sein. Insoweit können den Unternehmen Rechtsberatungs- oder sonstige Verfahrenskosten 265
Dazu aus der jüngeren Lit. etwa Meeßen, Schadensersatz, 2011; Alexander, Schadensersatz, 2010; jeweils mit zahlreichen Nwn. 266 Zur insb. im deutschen Recht bestehenden Problematik i. R. des legislativen Unrechts s. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 104 ff. 267 Vgl. den einer ähnlichen Situation entspringenden inzidenter geprüften Schadensersatzanspruch in KG WuW/E OLG 2441 (2443 f.). Zu einem Schadensersatzverlangen im Zusammenhang mit einem förmlichen Auskunftsverlangen vgl. EuG T-34/93, Slg. 1995, II-547 (Rn. 80 ff.) – Société Générale. 268 Zu diesen Schadensposten näher u. in Fn. 318. Die Reaktionsmöglichkeiten der Unterlassung und Folgenbeseitigung [§ 3 B. II. 2. b) cc)] werden nicht weiter verfolgt.
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entstehen, so etwa im Hinblick auf die Beantwortung von Auskunftsersuchen der Kommission oder in Bezug auf Nachprüfungen in den Geschäftsräumen. Ferner ist an Follow-on-Schadensersatzklagen269 zu denken, die ebenfalls in finanziellen Einbußen der Unternehmen resultieren. Hierbei handelt es sich um zivilrechtliche Schadensersatzansprüche, die im Nachgang an eine bestandskräftige behördliche Entscheidung verfolgt werden. In diesen Fällen ist das Zivilgericht nach § 33 Abs. 4 S. 1 Hs. 2 GWB an die Feststellung des Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln gebunden. Fraglich wird sein, ob derartige Schäden den Aufsichtsbehörden überhaupt noch zugerechnet werden können. Da § 33 Abs. 4 GWB zudem eine bestandskräftige behördliche Entscheidung voraussetzt, dürften staatshaftungsrechtliche Ansprüche entweder in Ermangelung der Rechtswidrigkeit des Behördenhandelns ausgeschlossen oder wegen eines Mitverschuldens des Entscheidungsadressaten infolge der nicht erfolgten Anfechtung erheblich zu kürzen sein.270 Hinsichtlich der Schadensposten sind nach der 8. GWB-Novelle weitere Fälle denkbar: Soweit das Bundeskartellamt in einer rechtswidrigen Abstellungsverfügung gemäß § 32 Abs. 2a S. 1 GWB die Rückerstattung der aus dem vermeintlich kartellrechtswidrigen Verhalten erwirtschafteten Vorteile anordnet271 oder gestützt auf § 34 GWB rechtswidrig den Vorteil abschöpft, kann als entsprechender Schaden die Rückerstattungssumme respektive der abgeschöpfte Vorteil zuzüglich etwaiger Zinsen angesehen werden. Wenn die Kartellbehörde das Verwaltungsverfahren etwa aufgrund einer unrichtigen Begründung der Bußgeldentscheidung oder der unterbliebene Adressierung und Zustellung der Mitteilung der Beschwerdepunkte an spätere Entscheidungsadressaten und damit wegen eines Verfahrensfehlers wiederholen muss, könnten die Kosten des zweiten Verwaltungsverfahrens eine Schadensposition darstellen.272 Für den Fall, dass ein Bußgeldbescheid später aufgehoben wird, stellt sich die Frage nach der Ersatzfähigkeit der Zinsen, da wegen § 81 Abs. 6 GWB und insoweit abweichend vom allgemeinen Ordnungswidrigkeitenrecht die Geldbußen zwei Wochen nach Zustellung des Bußgeldbescheides zu verzinsen sind.273 Da der Nichtigkeitsklage des Art. 263 AEUV wegen Art. 278 S. 1 AEUV kein Suspensiveffekt zukommt, ist eine parallele Si269
Bsp. nach Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1744). Der Gesetzgeber hat derartige Klagen durch die Einführung der § 33 Abs. 4 und 5 GWB erleichtern wollen, vgl. die RegBegr. zur 7. GWB-Novelle, BT-Drs. 15/3640, S. 35, 54. 270 Ausf. zum Vorrang des Primärrechtsschutz, § 839 Abs. 3 BGB, u. in § 7 A. sowie § 12 A. II. 271 Zur de lege lata von einigen Landeskartellbehörden praktizierten Anordnung der Rückzahlungsverpflichtung nach § 32 Abs. 2 GWB und den sich daraus ergebenden Amtshaftungsfragen s. Reher/Haellmigk, WuW 2010, 513 (522). 272 Dazu auch Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1743).
§ 4 Mögliche Schadenszufügungen auf dem Gebiet der Kartellaufsicht
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tuation auf europäischer Ebene denkbar. Mit derartigen Fragen hatten sich die europäischen Gerichte in den Rechtssachen Corus274 und Holcim275 auseinanderzusetzen. Nicht näher konkretisiert hatten die Kläger ihren Schadensersatzanspruch dagegen in der Sache Stichting Certificatie Kraanverhuurbedrijf (SCK).276 Im Zusammenhang mit Bußgeldbeschlüssen ist ferner an die Erstattung der Kosten einer Bankbürgschaft zu denken, die gestellt wurde, um die Zahlung einer von der Kommission verhängten und später vom Gericht für nichtig erklärten Geldbuße aufzuschieben.277 Diese Situation lag den Sachen Atlantic Container Line278 sowie Holcim279 zugrunde. Soweit ein Unternehmen wegen einer vermeintlich wettbewerbswidrigen Verhaltensweise mit einem Bußgeld belegt worden ist, könnte dies Zweifel bei Dritten hinsichtlich der Zahlungsfähigkeit des Unternehmens wecken und insoweit einen Schadensersatzanspruch hervorrufen.280 Daneben kommen Sachverhalte in Betracht, die von einem Untätigbleiben der Wettbewerbsbehörden gekennzeichnet sind. Sollte die Kartellbehörde gegen ein Kartell oder gegen ein Unternehmen, das seine Marktmacht missbräuchlich ausnutzt, nicht einschreiten, könnten Konkurrenten, Lieferanten oder Abnehmer gegebenenfalls Ersatz von der Kartellbehörde wegen überhöhter Preise oder wegen verweigerten Zugangs zu wesentlichen Einrichtungen bzw. Diskriminierung erwägen. In den 1990er-Jahren hatte das EuG in einigen Verfahren im Zusammenhang mit dem Automobilvertrieb in Italien bzw. Frankreich Gelegenheit, sich mit derartigen Fragen auseinanderzusetzen.281 Im Übrigen sind derartige Situationen jedoch verhält273 Zur Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift BVerfG WuW/E DE-R 3765. s. auch den Vorlagebeschluss des OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 3308 sowie die Krit. bei Burrichter, in: FS Bechtold, 2006, S. 97. 274 EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2967 (für den EGKS-Vertrag). 275 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357; bestätigt durch EuGH C-282/05 P, Slg. 2007, I-2841. 276 EuG T-213/95 u. a., Slg. 1997, II-1746. 277 Zu dieser Praxis etwa de Bronett, ZWeR 2012, 157 (197). 278 EuG T-113/04, Slg. 2007, II-171*. 279 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357, bestätigt durch EuGH C-282/05 P, Slg. 2007, I-2841. 280 Hierauf hinweisend de Bronett, ZWeR 2012, 157 (197). 281 EuG T-64/89 Slg. 1990, II-367; T-24/90, Slg. 1992, II-2223 – Automec (für Art. 102 AEUV); T-28/90, Slg. 1992, II-2285 – Asia Motor France (am Bsp. des Art. 101 AEUV); T-195/95, Slg. 1996, II-171; Slg. 1997, II-679 – Guérin Automobiles (Art. 101 AEUV); T-9/96 u. a., Slg. 1999, II-3642 – Européenne automobile (Art. 101 AEUV); T-89/95 u. a., Slg. 1999, II-3591 – Service pour le groupement d’acquisitions (Art. 101 AEUV); T-190/95 u. a., Slg. 1999, II-3617 – Société de distribution de mécaniques et d’automobiles (Sodima; Art. 101 AEUV). Ähnliche Fragen wurden aufgeworfen in EuGH Rs. 289/83, Slg. 1984, 4295 – GAARM (Art. 101 AEUV); Rs. 18/60, Slg. 1962, 397 – Louis Worms (Art. 101
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
nismäßig selten.282 Neben der Frage, ob ein Nichteinschreiten der Wettbewerbsbehörde überhaupt rechtswidrig ist, kommt dem Nachweis der Kausalität in diesen Fällen besondere Bedeutung zu. Anstelle der klassischen Verfahrensbeendigung durch Untersagungsverfügung kommen immer mehr sonstige verfahrensabschließende Entscheidungen wie durch einen Vergleich oder durch die Abgabe von Verpflichtungserklärungen in Betracht. Da bei diesen Entscheidungen die Behörden auch Drittinteressen zu beachten haben, sind auch insoweit haftungsrechtliche Situationen vorstellbar. Von der Haftung des Mitgliedstaates im Rahmen der Kartellaufsicht ist die Haftung des Mitgliedstaates bei Verletzung des materiellen Kartellrechts zu unterscheiden. Eine Situation, innerhalb derer die Haftung der Mitgliedstaaten wegen Verletzung des Unionsrechts relevant werden kann, ist die gegen Art. 102 Abs. 1 i. V. m. 106 AEUV verstoßende Monopolisierung durch öffentliche Unternehmen. Hierdurch können Konkurrenten, Lieferanten oder Verbraucher geschädigt werden. Charakteristisch hierfür ist die Entscheidung Porto di Genova, der die unionskartellrechtswidrige Monopolisierung von Hafenarbeiten zugrunde lag.283 Da in diesen Fällen der Träger der Kartellaufsicht das materielle Kartellrecht verletzt, handelt es sich nicht um einen Anwendungsfall der Haftung der Kartellaufsicht. Als Beispielsfall scheiden derartige Situationen folglich aus.
B. Mögliche Schadenszufügungen in der Fusionskontrolle Auch bei der Fusionskontrolle bietet sich eine Differenzierung nach den verschiedenen Personen an. Im Mittelpunkt stehen hierbei Sachverhalte, in denen ein Zusammenschlussvorhaben zu Unrecht von den Kartellbehörden untersagt wird.284 Es stellt sich dann die Frage, ob die ZusammenschlussAEUV); EuG T-186/05, Slg. 2007, II-94* – SELEX (für Art. 102 AEUV). s. auch EuG T-262/97, Slg. 1998, II-2177 – Goldstein (Art. 101 und 102 AEUV): Schadensersatz wegen nicht erlassener einstweiligen Anordnung durch die Kommission; T-575/93, Slg. 1996, II-1 – Koelman (Art. 101 AEUV, in dieser Sache stützte der Kläger seinen Schadensersatzanspruch auf eine Verletzung des Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung). 282 Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 216. 283 Bsp. nach Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 213 unter Bezugnahme auf die angesprochene Entscheidung EuGH C-179/90, Slg. 1991, I-5929 (Rn. 19). 284 Sog. „over-enforcement“ bzw. „prohibition of a good merger“. Korrespondierend dazu wird der Terminus „Type-I-Error“ verwandt, zum Ganzen Monti, EC Competition Law, 2007, S. 18; Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (7).
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beteiligten die Europäische Union bzw. die Bundesrepublik in Haftung nehmen können, oder ob das Risiko einer derartigen Untersagung bei ihnen verbleibt.285 Soweit das Zusammenschlussvorhaben erneut angegangen wird,286 können die betroffenen Unternehmen an der Liquidation der Kosten für das erneute Verfahren interessiert sein.287 Zudem kann den Unternehmen auch daran gelegen sein, den entgangenen Gewinn zu realisieren. So kann etwa der Veräußerer am Ersatz des entgangenen Kaufpreises interessiert sein.288 Weiterhin sind Schäden im Hinblick auf vereitelte Synergieeffekte und sonstige Effizienzen,289 die durch den Zusammenschluss verfolgt werden sollten und durch die Untersagung unmöglich gemacht worden sind, vorstellbar. Ferner kommen vertraglich bedingte Zahlungen wie sog. Break-up-Fees,290 die wegen des untersagten Zusammenschlusses gezahlt werden mussten, als potentielle Schadenspositionen in Betracht. Daneben sind weitere Kosten vorstellbar, etwa für Rechtsberatung, Treuhänder oder ähnliche Personen.291 Derartige Fragen wurden in den beiden Verfahren Schneider292 und MyTravel293 vor den europäischen Gerichten erörtert. Auch das deutsche Verfahren in der Sache GN Store Nord294 fällt hierunter. Problematisch im Rahmen der Haftung bei rechtswidrig untersagten Zusammenschlussvorhaben ist regelmäßig die starre Bindung an ein bestehendes Zeitfenster. Nach Untersagung eines Zusammenschlussvorhabens ist das Interesse an der Aufrechterhaltung 285 Den Gedanken der Risikoverteilung betonen Klumpp, ZWeR 2008, 441 (456); Seitz, EuZW 2008, 719; ausf. dazu Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 222 ff. 286 Dies ist indes die Ausnahme, s. dazu Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1; Ehlermann/Völcker, EuZW 2003, 1. 287 Zu den gebührenpflichtigen Handlungen i. R. des GWB s. § 80 GWB. Dagegen kennt das Unionsrecht keine Gebührenregelungen, s. Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, Art. 16 FKVO Rn. 48. 288 Diesen Posten machte GN Store Nord im Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend, s. LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3850). 289 Wie etwa Kosteneinsparungen oder Verbesserungen von Produkten etc., s. auch Abschnitt 9 des Formblatt CO zur Anmeldung eines Zusammenschlusses gemäß FKVO. 290 I. R. einer Break-up-Fee-Klausel verpflichtet sich eine der beteiligten Parteien im Fall des Scheiterns der Transaktion zur Zahlung eines bestimmten Geldbetrages (und eventuell weiterer Leistungen) an die andere Partei, vgl. etwa Hilgard, BB 2008, 286. 291 Vgl. zu der sog. „Parklösung“, wonach das Zielunternehmen für die Dauer des gerichtlichen Überprüfungsverfahrens in kartellrechtlich unbedenklicher Weise bei einem Dritten „geparkt“ werden kann, BGHZ 174, 179 (184 f.). 292 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237; bestätigt durch EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413. 293 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967. Für die Fusionskontrolle wurde die Möglichkeit des Schadenersatzes schon angesprochen in EuGH C-68/94 u. a., Slg. 1998, I-1375 (Rn. 74) – Kali & Salz. 294 LG Köln WuW/E DE-R 3849.
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der weiteren Durchführung des Vorhabens oftmals verschwunden oder bedingt durch die Zeitfenster gesellschaftsrechtlich unmöglich.295 In diesen Fällen wird häufig von der Aufrechterhaltung des Zusammenschlussvorhabens Abstand genommen oder das Zusammenschlussvorhaben wird durch die Veräußerung des Zielunternehmens an einen Finanzinvestor anderweitig beendet.296 Der Bundesgerichtshof hat insoweit von „naheliegenden wirtschaftlichen Gründen“ gesprochen, nach denen die Parteien ein Zusammenschlussvorhaben nicht bis zum Abschluss des gerichtlichen Verfahrens „in der Schwebe halten“ können und auf den „besondere[n] Zeitdruck“ verwiesen, der das Verfahren der Zusammenschlusskontrolle beherrscht und seinen Niederschlag in den starren Fristen gefunden hat.297 Insoweit lässt sich das Bestehen eines Rechtsschutzdefizites konstatieren. Diesem soll für das deutsche Recht durch die Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde begegnet werden, während das europäische Recht seit dem 1. Februar 2001 das beschleunigte Verfahren (sog. Fast-Track-Procedure) nach Art. 76a der Verfahrensordnung des EuG298 bereithält. Teilweise wird die Effektivität dieses Verfahrens in Frage gestellt.299 Sofern den Beteiligten infolge der rechtswidrigen Untersagung Schadenspositionen entstanden sind, ist an den Schadensersatzanspruch zu denken. Denkbar sind auch Situationen, in denen die Zusammenschlussvorhaben wegen der insoweit bestehenden wettbewerblichen Bedenken der Kommission aufgegeben werden.300 Soweit sich die wettbewerbliche Einschätzung der Kommission als fehlerhaft erweist, können die Unternehmen ebenfalls an der Liquidierung ihrer Schadensposten interessiert sein.301 In der häufiger auftretenden Situation der Freigabe eines Zusammenschlusses302 sind im Falle ihrer Rechtswidrigkeit Ansprüche der beteiligten 295
s. schon Fn. 286. In diesen Fällen stellt sich für das deutsche Recht in prozessualer Hinsicht oftmals die Frage nach einem entsprechenden Fortsetzungsfeststellunginteresse (§ 72 Abs. 2 S. 2 GWB), so etwa in BGHZ 174, 179 (182 ff.) m. w. Nwn. 296 Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1; Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1742); ferner Ehlermann/Völcker, EuZW 2003, 1, die alternativ zu der Aufgabe des Vorhabens die Akzeptanz weitreichender Auflagen anführen. 297 BGHZ 174, 179 (183 f.). 298 V. 2.5.1991, ABl. (EG) v. 30.5.1991, L Nr. 136/1, zuletzt geändert am 24.5.2011, ABl. (EU) v. 22.6.2011, L Nr. 162/18, im Folgenden nur VerfO EuG. 299 Vgl. Ottaviano, Der Anspruch auf rechtzeitigen Rechtsschutz, 2009, S. 187 ff., insb. S. 188. 300 Vgl. etwa das UPS/TNT-Verfahren (COMP/M.6570), dazu FAZ v. 15.1.2013, S. 16. 301 Bsp. nach Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1743). Als problematisch dürfte sich in diesen Fällen regelmäßig die Kausalität erweisen. 302 In Fällen des sog. „under-enforcements“ wird auch von einem „Type-II-Error“ gesprochen, s. Monti, EC Competition Law, 2007, S. 18, Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (6).
§ 4 Mögliche Schadenszufügungen auf dem Gebiet der Kartellaufsicht
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Unternehmen denkbar, die im Vertrauen auf die Beständigkeit ihres Vorhabens Investitionen getätigt haben. Auf der anderen Seite kann die Stellung von Konkurrenten, Lieferanten oder Abnehmern durch die infolge einer rechtswidrigen Freigabe eingetretene Marktkonzentration verschlechtert werden. Auch hier können Vermögenseinbußen entstehen, für die die Rechtsträger in Anspruch genommen werden sollen.303 Dies gilt umso mehr, als die Freigabe durch das Bundeskartellamt im Vorprüfverfahren nicht anfechtbar ist.304 Insoweit hat das Oberlandesgericht Düsseldorf für diese Fälle hervorgehoben, dass Amtshaftungsansprüche möglich sein müssen, um „einer schuldhaft unzutreffenden oder gar missbräuchlichen Rechtsanwendung“ hinreichend vorzubeugen.305 Hinsichtlich des in Betracht kommenden Schadens könnten Zulieferer etwa geltend machen, dass sie größere Mengen an das fusionierte Unternehmen hätten verkaufen können und ihnen infolgedessen ein Schaden entstanden ist.306 Ein „ungewöhnliche[r]“307 Sachverhalt, der ebenfalls in einem Zusammenhang mit der Freigabe eines Zusammenschlussvorhabens steht, liegt der Entscheidung des EuG in der Sache Communautés de communes de Lacq zugrunde. Eine französische Gemeinde verlangte wegen einer Standortverlagerung des Zielunternehmens aus ihrem Gemeindegebiet nach Vollzug des Zusammenschlusses Schadensersatz von der Kommission, da im Vorprüfungsverfahren eine entsprechende Zusage angeboten wurde, die jedoch nicht für verbindlich erklärt worden ist.308 Hinsichtlich der Rechtwidrigkeit lassen sich – parallel zu der Kartell- und Missbrauchsaufsicht – Fehler auf der formellen Ebene Fehlern auf der materiellen Ebene gegenüber stellen. Während die Entscheidung Schneider309 als Beispiel für die erstgenannte Fallgruppe herangezogen werden kann, machte in der MyTravel-Entscheidung310 die rechtswidrige Bewertung eines Zusammenschlusses durch die Kommission den Vorwurf in der Haftungsklage aus. Schließlich können Schadensersatzansprüche relevant werden, die an Zuständigkeitsfragen anknüpfen. Da die Kommission gemäß Art. 21 Abs. 2 FKVO für die europäische Fusionskontrolle zwar ausschließlich zuständig 303 Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (6 f.). Zu möglichen (Dritt-)Auswirkungen von Zusammenschlüssen auch Soltész/v. Köckritz, BB 2009, 286; Dormann, Drittklagen, 2000, S. 7 f. 304 OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1293 (1297); Beschl. v. 30.6.2004, VI-Kart 4/04 (Rn. 29 – juris); Richter, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 21 Rn. 82. 305 Dazu die Nw. in der vorstehenden Fn. 306 Fall nach Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (7). 307 Hirsbrunner, EuZW 2012, 646 (649). 308 EuG T-132/10, Slg. 2011, II-254*. 309 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237, bestätigt durch EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413. 310 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967.
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ist, den Mitgliedstaaten nach Absatz 4 der Vorschrift jedoch die Befugnis verbleibt, geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer als von der FKVO berücksichtigen Interessen zu erlassen, ist ein Konterkarieren eines von der Kommission freigegebenen Zusammenschluss durch das Bundeskartellamt vorstellbar.311
C. Mögliche Schadenszufügungen in sonstigen Fällen Denkbar sind darüber hinaus Situationen, die nicht unmittelbar an die Spezifika der Kartellaufsicht anknüpfen. So kann das Verwaltungsverfahren eine unangemessene Dauer einnehmen312 oder es wird Akteneinsicht gewährt, ohne dass Geschäftsgeheimnisse geschwärzt worden sind. Auch bei den zu veröffentlichenden Entscheidungen bzw. Beschlüssen könnte es zur Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen kommen. Diese Interna könnten im geschäftlichen Verkehr zum Nachteil des Unternehmens benutzt werden. Gerade die Vielzahl an Dokumenten, die von den Kartellbehörden verlangt werden, birgt hier erhebliches Schädigungspotential. Ein Beispiel hierfür stellt die Sache Belgian Sewing Thread (BST) dar: Hier hat die Kommission irrtümlich interne Preislisten, die im Rahmen einer kartellverwaltungsrechtlichen Untersuchung übermittelt worden sind, verbreitet. Als Schaden verlangte das Unternehmen zum einen als entgangenen Gewinn die Differenz zwischen den Einnahmen, die sie ohne die Verbreitung der Preislisten hätten erzielen können, und zum anderen „strukturelle Kosten“ im Zusammenhang mit dem Ausgleich des Umsatzrückgangs.313 Ähnlich ist die Verwertung von Informationen aus den Sektorenuntersuchungen zu sehen, als auch hier entsprechende Verstöße gegen Geheimhaltungspflichten die Schadensersatzpflicht auslösen können.314 Da Verstöße gegen die Geheimhaltungspflichten nicht mit speziellen Rechtsbehelfen angegriffen werden können, kommt der Schadensersatzklage insoweit eine große Bedeutung zu.315 Ebenfalls denkbar ist die Situation, dass der Name eines Arbeitnehmers, 311 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 21 Rn. 39; Roth, ZHR 172 (2008), 670 (709 f.). 312 Vgl. für einen derartigen Fall EuGH C-385/07 P, Slg. 2009, I-6155 (Rn. 195) – DSD; EuG T-213/95 u. a., Slg. 1997, II-1746 (Rn. 39 ff.) – SCK; T-240/07, Slg. 2011, II-3355 (Rn. 131 ff.) – Heineken. 313 EuG T-452/05, Slg. 2010, II-1373 (Rn. 154 ff.). Die Klage hatte indes keinen Erfolg, da die Voraussetzungen des Kausalzusammenhangs nicht erfüllt waren (Rn. 171 ff.). 314 Burrichter/Henning, in: Immenga/Mestmäcker, EU, 5. Aufl. 2012, Bd. 1/2, VO 1/2003 Art. 17 Rn. 43. Die Situation ist auch für das deutsche Recht vorstellbar. 315 So die Einschätzung bei Hecker, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, VO 139/2004/EG Art. 17 Rn. 1.
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der ein kartellwidriges Verhalten seines Arbeitgebers den Kartellbehörden anzeigt (Whistleblower), durch Unachtsamkeit innerhalb der Kartellbehörde dem Arbeitgeber bekannt gegeben wird. Ein derartiger Sachverhalt lag der Sache Stanley Adams zugrunde.316 Auch hinsichtlich des informellen Handelns der Kartellbehörden lässt sich haftungsrechtliches Potential ausmachen: So ist etwa an die Informationspolitik der Kartellbehörden zu denken, etwa durch Pressemitteilungen oder sonstigen Verlautbarungen. Auch der Bereich der Competition Advocacy317 dürfte haftungsrechtlich relevant sein. Ferner können auch aus einem bloßen kartellbehördlichen Tätigwerden Reputationsverluste der am Verfahren Beteiligten resultieren.318
D. Zusammenfassung Auch wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintritts einiger der angesprochenen Konstellationen als gering bezeichnet werden kann, hat die kurze Auflistung bereits gezeigt, dass staatshaftungsrechtliche Fragestellungen im Rahmen der Kartellaufsicht relevant werden können. Gerade der Umstand, dass die Behörden in diesem Bereich über weitreichende Ermittlungs-, Eingriffs- und Sanktionierungsbefugnissen verfügen, wirft im Falle der Rechtswidrigkeit derartiger Maßnahmen die Frage nach Ersatzansprüchen auf. Eine Systematisierung des Fallmaterials ergibt folgende fünf Anwendungsfälle: – Ansprüche von Adressaten einer Verfügung/eines Bußgeldbescheids; – Ansprüche von Dritten, die ein Einschreiten gegen ein (vermeintliches) Kartell/marktbeherrschendes Unternehmen verlangen; – Ansprüche von Parteien eines Zusammenschlussvorhabens; – Ansprüche von Dritten wegen eines freigegebenen Zusammenschlussvorhabens sowie schließlich – sonstige Fälle. 316 EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539; dazu Hunnings, CML Rev. 24 (1987), 65 (70 ff.). 317 Wish/Bailey, Competition Law, 7. Aufl. 2012, S. 25; Podszun, ZWeR 2012, 48 (61 f.). 318 Zu Image- bzw. Reputationsschäden in Bezug auf das Kartellrecht vgl. B. Kasten, in: Mäger, EU Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 2. Kap. Rn. 26; Karbaum, Compliance, 2010, S. 50; zu derartigen Posten als ersatzfähige Schäden vgl. EuG T-440/03 u. a., Slg. 2009, II-4883 (Rn. 78) – Arizmendi; T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 63) – Idromacchine.
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1. Teil: Einführung und Umgrenzung des Untersuchungsgegenstandes
Während die ersten beiden Fallgruppen klassische Fälle des Gefahrenabwehrrechts behandeln, betreffen die dritte und vierte Situation Haftungsfragen im Zusammenhang mit staatlichen Genehmigungen. Ihnen ist gemeinsam, dass insoweit Fragen der fehlerhaften Aufsicht aufgeworfen werden.319 Unter die sonstigen Fälle lassen sich zudem die aus informellem Verwaltungshandeln resultierenden Sachverhalte subsumieren. Soweit im Folgenden auf diese Beispielsfälle eingegangen wird, konzentriert sich die Bearbeitung auf die Schadenersatzansprüche. Ausgeklammert werden Ansprüche auf Unterlassung und Folgenbeseitigung.
319 Wie hier auch Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 256; anders Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 11 f., der zwischen Genehmigung und Aufsicht differenziert.
Zweiter Teil
Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission Die außervertragliche Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV setzt grundsätzlich ein rechtswidriges Verhalten eines Organs der Union voraus, das einen Schaden kausal verursacht hat.1 Die bloße Rüge der Rechtswidrigkeit reicht nicht aus, erforderlich ist darüber hinaus stets ein Schaden, dessen Ersatz begehrt wird.2 Ob die Rechtswidrigkeit dabei auch eine notwendige Bedingung für die Einstandspflicht der Union ist, ist nicht abschließend geklärt. Wenn jedoch der EuGH ausführt, die außervertragliche Haftung der Union „setzt zumindest die Unrechtmäßigkeit der angeblich schadenstiftenden Handlung voraus“,3 so beschränkt sich die außervertragliche Haftung im Grundsatz auf ein rechtswidriges Verhalten. Nachfolgend sollen die Voraussetzung der außervertraglichen Haftung der Europäischen Union unter dem Gesichtspunkt der kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit der Kommission und mit Blick auf die im ersten Teil der Bearbeitung vorgestellten möglichen Schadenszufügungen untersucht werden. Hierbei wird nicht auf alle Aspekte der außervertraglichen Haftung eingegangen; vielmehr konzentriert sich die Darstellung auf die erörterungsbedürftigen Tatbestandsmerkmale.4 Begonnen wird insoweit mit der Rechtswidrigkeit der inkriminierten Handlung (§ 5). Nach diesem Schwerpunkt der Darstellung wird auf den kausalen Schaden eingegangen (§ 6). Hieran knüpft mit der Verjährung, dem Rechtsweg und dem gerichtlichen Verfahren die Durchsetzbarkeit des Schadensersatzanspruches an (§ 7), bevor eine Zusammenfassung der Ergebnisse den zweiten Teil abschließt (§ 8).
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Diese sog. Lütticke-Formel hat der EuGH erstmals 1971 in der gleichnamigen Rechtssache [4/69, Slg. 1971, 325 (Rn. 10)] herangezogen. 2 EuG T-170/00, Slg. 2002, II-515 (Rn. 36) – Förde Reederei. In diesen Fälle kann Nichtigkeitsklage gem. Art. 263 AEUV erhoben werden, deren Voraussetzungen eine Haftungsklage umginge. 3 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt. 4 So wird etwa der Aspekt des Handelns in Ausübung der Amtstätigkeit regelmäßig zu bejahen sein und daher keine besonderen Probleme aufwerfen. Dazu allg. etwa Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 32 ff.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
§ 5 Rechtswidrigkeit der inkriminierten Maßnahme Der Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV setzt zumindest5 die Rechtswidrigkeit der inkriminierten Maßnahme voraus. Durch die Schadensersatzklage kann daher – wenn auch indirekt – die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme eines Organs der Europäischen Union überprüft werden.6 Ob hingegen jede Rechtswidrigkeit den Tatbestand des Art. 340 Abs. 2 AEUV im hier interessierenden Bereich der Kartellaufsicht erfüllen kann, soll nachfolgendend untersucht werden. Zu diesem Zweck sollen zunächst die in Betracht kommenden Rechtsnormen herausgearbeitet werden (A.), bevor Stellung zur Art des Rechtsverstoßes (B.) bezogen wird.7
A. Die Art der verletzten Rechtsnorm Die Rechtswidrigkeit einer Maßnahme der Verwaltung ist gegeben, wenn sie Vorbehalt oder Vorrang des Gesetzes verletzt.8 Im Rahmen dieser Prüfung ist regelmäßig unbeachtlich, ob die verletzte Norm eine besondere Qualität aufweist oder ob die Rechtswidrigkeit zur Nichtigkeit oder bloß zur Aufhebbarkeit führt.9 Für den Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV stellt sich die Situation indes anders dar. Die an die Art der verletzten Rechtsnorm zu stellenden Anforderungen unterlagen einem Wandel innerhalb der Rechtsprechung. Dieser wird zunächst nachgezeichnet (I.), um sodann Prämissen für den weiteren Gang der Untersuchung aufzustellen (II.). Diese werden unter (III.) auf die Kartellaufsicht angewandt.
5 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt. Die Rechtswidrigkeit stellt sich daher (wohl) als eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Voraussetzung der außervertraglichen Haftung dar. Zur Frage, ob auch eine rechtmäßige Maßnahme die Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV auslösen kann, u. § 5 C. 6 Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 10 Rn. 1. Insofern dient sie auch als Kompensation der nur eingeschränkt gewährten Direktklagemöglichkeiten im AEUV, s. etwa Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 4; krit. Schmahl, ZEuS 1999, 415 (423). 7 Eine derartige Zweiteilung ist wegen der Gefahr von Redundanzen nicht unproblematisch, bietet sich indes zwecks Verständlichkeit an. 8 Vgl. statt vieler Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 2 Rn. 38. Zur Geltung dieser Prinzipien auch im Unionsrecht v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 346 f. 9 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 697.
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I. Vom Dienen und Bezwecken – Anforderungen an die Art der verletzten Rechtsnorm im Spiegel der Rechtsprechung Nach dem Wortlaut des Art. 340 Abs. 2 AEUV bestimmen sich die Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Union nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten. Da in den mitgliedstaatlichen Rechtssystemen nicht jede Rechtsverletzung zu Staatshaftungsansprüchen führt, kann das Abhängigmachen von einer bestimmten Qualität der verletzten Norm als derartiger Rechtsgrundsatz angesehen werden.10 Die Notwendigkeit einer Einschränkung wird insbesondere auf den Ausschluss von Popularklagen gestützt.11 So soll nicht jedermann, der irgendwie durch eine Maßnahme beeinträchtigt worden ist, ersatzberechtigt sein. Der Kreis der Ersatzberechtigten beschränkt sich vielmehr auf diejenigen, die in einer näheren Beziehung zu der Maßnahme stehen, als die ebenfalls am rechtmäßigen Verwaltungsvollzug interessierte Allgemeinheit.12 Nach diesem Verständnis fungiert die bestimmte Qualität der Norm als Bindeglied zwischen Rechtsverstoß und Haftung.13 Nur derjenige, dessen Interessen von einer Norm geschützt werden, soll bei ihrer Verletzung seine Schäden ersetzt bekommen.14 Insoweit besteht eine Parallele zur Klagebefugnis bei der Nichtigkeitsklage.15 Gleichwohl wird mit der Statuierung besonderer Anforderungen an die Art der verletzten Rechtsnorm eine Abgrenzung zur Nichtigkeitsklage erreicht, deren Voraussetzungen anderenfalls unterlaufen werden könnten.16 Ungeachtet dieser Bedeutung wird die Frage nach der Art der verletzten Rechtsnorm oftmals nur am Rande angesprochen und nicht weiter vertieft.17 10 GA Darmon, SchlA zu EuGH C-282/90, Slg. 1992, I-1937 (Rn. 54) – Vreugdenhil; ähnl. Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 716; Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 41. 11 Säuberlich, Die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft, 2005, S. 21 f. Vgl. zu diesem Konzept i. R. der Nichtigkeitsklage nach Art. 263 Abs. 4 AEUV etwa EuG T-259/10, Slg. 2011, II-176* (Rn. 24) – Ax. 12 Fuß, EuR 1968, 353 (359). 13 GA Tesauro, SchlA zu EuGH C-178/94 u. a., Slg. 1996, I-4845 (Rn. 11) – Dillenkoffer. Zu diesen Funktionen auch Held, Haftung der EG, 2006, S. 174 f. 14 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 698 f. 15 Wakefield, Judicial Protection through the Use of Article 288(2) EC, 2002, S. 102; anders Tridimas, EU Law, 2. Aufl. 2006, S. 480 („less stringent“). Die Ermittlung entsprechender Normen nimmt die Rspr. jedoch ohne Rückgriff auf Art. 263 Abs. 4 AEUV vor, s. nur Beljin, Staatshaftung im Europarecht, 2000, S. 149. 16 GA Trabucchi, SchlA zu EuGH Rs. 74/74, Slg. 1976, 551 (561) – CNTA. 17 s. auch Sasserath, Schadensersatzansprüche von Konkurrenten zur Effektivierung der Beihilfenkontrolle?, 2001, S. 140 ff.; für die Kartellaufsicht exemplarisch
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission 1. Uneinheitliches Bild in der früheren Rechtsprechung
In seiner früheren Rechtsprechung behandelte der EuGH – jedenfalls terminologisch18 – die Qualität der Norm uneinheitlich. Teilweise stellte er darauf ab, ob ein Verstoß gegen eine „höherrangige Norm vorliegt, die dem Schutze des Einzelnen dient“19 oder ob die Norm „bezweckt, den Einzelnen zu schützen“20, teilweise wurde – gerade im Bereich der Haftung wegen administrativen Unrechts – zum Rang der Norm und einer etwaigen Schutzrichtung keine Stellung bezogen oder ausdrücklich betont, dass „jede Rechtswidrigkeit“21 ausreiche. In neueren Entscheidungen fordert die Rechtsprechung, dass die verletzte Norm den „Schutz des Einzelnen bezweckt“ oder „dem Einzelnen Rechte verleihen soll“.22 Nunmehr hat das EuG in einer jüngeren Sache klargestellt, dass die vorgenannten Wendungen „lediglich Varianten ein und desselben Rechtsbegriffs“23 darstellen. 2. Konturierung durch Francovich und die Folgeentscheidungen
Die Anforderungen an die Art der verletzten Rechtsnorm hat der EuGH zunächst in dem Urteil in der Rechtssache Francovich konturiert. In diesem, die Haftung eines Mitgliedstaates bei Verletzung des Unionsrechts betreffenden Urteil hat er herausgearbeitet, dass die verletzte Vorschrift bezwecken Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 108; Koenig/Schreiber, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2010, S. 179 f. 18 Dass die Unterschiede nur terminologischer und nicht inhaltlicher Natur sein sollen, betonen etwa Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 21; Beljin, Staatshaftung im Europarecht, 2000, S. 149. 19 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt; Rs. 194/83, Slg. 1985, 2815 (Rn. 22) – Asteris; Rs. 281/84, Slg. 1987, 49 (Rn. 18) – Zuckerfabrik Bedburg; C-119/88, Slg. 1990, I-2189 (Rn. 18) – AERPO; EuG T-120/89, Slg. 1991, II-279 (Rn. 74) – Stahlwerke Peine-Salzgitter. 20 Etwa EuG T-332/00 u. a., Slg. 2002, II-4755 (Rn. 222) – Rica Foods; T-4/01, Slg. 2003, II-171 (Rn. 60) – Renco. 21 So ausdr. in EuG T-390/94, Slg. 1997, II-501 (Rn. 51) – Schröder; s. auch EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 (Rn. 34 ff.) – Stanley Adams; EuG T-213/95 u. a., Slg. 1997, II-1739 (Rn. 39) – SCK; T-54/96, Slg. 1998, II-3377 (Rn. 66) – Oleifici Italiani; T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 29) – New Europe Consulting; T-79/96, Slg. 2000, II-2193 (Rn. 205) – Camar und Tico; Tridimas, EU Law, 2. Aufl. 2006, S. 478 f. Krit. zu der „[m]issverständlich[en]“ Entscheidung des Gerichts in der Sache Schröder Held, Haftung der EG, 2006, S. 173 mit Fn. 102. 22 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 42) – Bergaderm; C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 (Rn. 53) – Camar und Tico; C-198/03 P, Slg. 2005, I-6357 (Rn. 63) – CEVA; EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 87) – Holcim; T-193/04, Slg. 2006, II-3995 (Rn. 117) – Tillack. 23 EuG T-341/07, Slg. 2011, II-7915 (Rn. 33) – Sison.
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muss, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.24 Dieses Verständnis legt er nunmehr auch seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung zugrunde. So hat der EuGH den Vortrag der Kläger, die Kommission habe eine höherrangige, den Einzelnen schützende Rechtsnorm verletzt, in der Sache Bergaderm dahin ausgelegt, dass die verletzte Rechtsnorm bezwecken müsse, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.25 In Camar und Tico hat der EuGH zudem hervorgehoben, dass im Bereich der Haftung wegen administrativen Unrechts dieselben Haftungsvoraussetzungen wie für die Haftung der Mitgliedstaaten gelten und daher insbesondere ein Verstoß gegen eine Rechtsnorm vorliegen muss, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.26 Eine derartige Schutznorm27 ist gegeben, wenn eine Norm zwar nicht unbedingt den Schutz von Rechten, zumindest aber den Schutz der Interessen des Geschädigten bezweckt.28 Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung der verletzten Vorschrift zu ermitteln.29 Bei dieser Feststellung legen die Gerichte einen großzügigen Maßstab an:30 So wurde die Schutznormeigenschaft auch dann anerkannt, wenn der Schutz des Geschädigten einer von vielen Zwecken einer Norm ist.31 Ferner soll ein bloß reflexartiger Schutz des Einzelnen ausreichen, wenn die verletzte Rechtsnorm zwar im Kern allgemeine Interessen schützt, jedoch auch den Schutz von Individualinteressen gewährleistet.32 Ein Bezwecken im engeren Wortsinn wird daher nicht 24 EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5357 (Rn. 40) – Francovich. Dazu auch Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (682). 25 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 62 mit Verweis auf die in dem Urteil o. unter Rn. 42 ff. ausgearbeiteten Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches). 26 EuGH C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 (Rn. 52 f.), anders noch die Vorinstanz EuG T-79/96, Slg. 2000, II-2193 (Rn. 205). 27 Zum Begriff Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 30. 28 EuGH Rs. 5/66 u. a., Slg. 1967, 332 (354) – Kampffmeyer. Zu diesem Verständnis etwa aus jüngerer Zeit Hong, JZ 2012, 380 (382), Kahl/Ohlendorf, JA 2011, 41 (43). Anders GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1230 f.) – HNL. 29 EuGH Rs. 5/66 u. a., Slg. 1967, 332 (354) – Kampffmeyer. 30 Hong, JZ 2102, 380 (381 f.); Ehlers, in: ders./Schoch, Rechtsschutz, 2009, § 10 Rn. 33; v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 457; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 30; Beljin, Staatshaftung in Europa, 2000, S. 149; Arnull, in: Heukels/McDonnell, Damages, 1997, S. 129 (136). Demgegenüber aber Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 44 ff. 31 Statt vieler Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 37. 32 So schon EuGH Rs. 5/66 u. a., Slg. 1967, 332 (355) – Kampffmeyer; s. auch EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 89) – Artegodan; Detterbeck/Windthorst/ Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 30; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungs-
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zu fordern sein. Parallelen lassen sich hierbei mit dem Erfordernis der Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht ausmachen,33 im direkten Vergleich erweisen sich die Voraussetzungen im europäischen Recht allerdings als niedriger.34 3. Höherrangigkeit der verletzten Rechtsnorm als Schutznormvoraussetzung?
Zu klären ist, ob die verletzte Rechtsnorm auch höherrangig sein muss, wie dies insbesondere in älteren Entscheidungen zum Ausdruck gekommen ist.35 Die vom EuGH in der Sache Bergaderm verwandte Formulierung legt nahe, auf dieses Erfordernis zu verzichten. Ebenso hat das EuG in einer jüngeren Entscheidung ausdrücklich ausgesprochen, dass keine Gründe mehr bestehen, an dem Erfordernis einer Verletzung höherrangigen Rechts weiterhin festzuhalten.36 Weite Teile der Literatur tendieren ebenfalls zu einem derartigen Verständnis.37 Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es der Klärung, welche Bedeutung dem Begriff der Höherrangigkeit zukommt. Hierzu verhält sich die Rechtsprechung nur bedingt.38 Nach dem Wortlaut kommt zunächst ein Verständnis in Betracht, das auf eine besondere Qualität der Norm zielt. Höherrangig im Sinne einer derartigen Betrachtungsweise könnten etwa Grundrechte oder Normen des primären Unionsrechts sowie Grundprinzipien des Unionsrechts bzw. fundamentale recht, 6. Aufl. 2013, S. 699. Hier liegt der Unterschied zum deutschen Schutznormverständnis. 33 Trotz des Umstands, dass es sich um eine nach dem Unionsrecht zu bestimmende Voraussetzung handelt, wird in der deutschen Lit. traditionell die sog. Schutznormtheorie bemüht, vgl. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 77; Grabitz, in: Schweitzer, Europ. Verwaltungsrecht, 1991, S. 167 (176), der von einem Entsprechen der Voraussetzungen „in groben Zügen“ spricht. Auch in der englischsprachigen Lit. finden sich Verweise auf die deutsche Schutznormtheorie, s. etwa Tridimas, EU Law, 2. Aufl. 2006, S. 480; Lenaerts/Arts/Maselis, EU Procedural Law, 2. Aufl. 2006, Rn. 11-037; ferner GA Darmon, SchlA zu EuGH C-282/90, Slg. 1992, I-1937 (Rn. 38) – Vreugdenhil. Anders mit Hinweis auf die konstruktiven Unterschiede Maurer, Allg. Verwaltungsrecht, 18. Aufl. 2011, § 31 Rn. 1; für den unionsrechtlichen Haftungsanspruch Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 143. 34 So statt vieler Beljin, Staatshaftung in Europa, 2000, S. 142. 35 Vgl. hierzu die Nw. in Fn. 19. 36 EuG T-47/03, Slg. 2007, II-73* (Rn. 234: „il n’y a plus lieu de distinguer, à cet égard, entre ‚règle de droit‘ et ‚règle supérieure de droit‘“) – Sison. 37 So ausdr. Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (682). Etwas unklar v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 456. 38 M. Nwn. Czaja, Haftung, 1996, S. 79 ff.
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Rechtsprinzipien sein.39 Ebenso kann diese Formulierung lediglich als Verweis auf die Normenhierarchie aufgefasst werden.40 Danach gäbe es im Rahmen des Art. 340 Abs. 2 AEUV kein Recht minderer Qualität, aus dessen Verletzung keine Schadensersatzansprüche resultierten,41 so dass diese Formulierung „irreführend“42 sei. Da Rechtswidrigkeit voraussetzt, dass eine Maßnahme gegen das Recht verstößt, ist letzterer Auffassung der Vorzug einzuräumen.43 Nur wenn die verletzte Norm auf einer höheren Stufe steht als die zu überprüfende Maßnahme, kann von Rechtswidrigkeit gesprochen werden. Diese Voraussetzung beschränkt sich auch nicht auf normatives Unrecht, denn auch bei der Prüfung der Rechtswidrigkeit eines Einzelaktes kann Vergleichsmaßstab nicht ein weiterer Einzelakt, sondern nur höherrangiges Recht sein.44 Da Rechtswidrigkeit stets den Verstoß gegen höherrangiges Recht verlangt,45 hat die Rechtsprechung zu Recht diesen irreführenden und in der Sache redundanten Hinweis aufgegeben. 39 Czaja, Haftung, 1996, S. 79 f. mit Verweis auf die SchlA der GAe Capotori zu EuGH Rs. 238/78, Slg. 1979, 2976 (2993) – Ireks-Arkady und Reischl zu EuGH Rs. 116/78 u. a., Slg. 1979, 3563 (3572) – Amylum, die vom EuGH insoweit jedoch nicht aufgegriffen wurden. In diese Richtung auch Lenaerts/Arts/Maselis, EU Procedural Law, 2. Aufl. 2006, Rn. 11-035; Albers, Die Haftung der Bundesrepublik Deutschland für die Nichtumsetzung von EG-Richtlinien, 1995, S. 39. 40 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 698; v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 77; Hartley, The Foundations of European Union Law, 7. Aufl. 2010, S. 470; Grabitz, in: Schweitzer, Europ. Verwaltungsrecht, 1991, S. 167 (177); Herdegen, Haftung der EWG, 1983, S. 122 ff., 124. 41 Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 4. Aufl. 2010, Rn. 698; Czaja, Haftung, 1996, S. 81; Grabitz, in: FS Kutscher, 1981, S. 215 (225); ferner v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 15, 87: „Die verletze Norm muss keine besondere ‚Wertigkeit‘ aufweisen“. 42 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 698. 43 Castillo de la Torre, in: Smit/Herzog, EU Law, 2007, TEC Art. 288 § 389-23: „Any judicial review of the legality of an act involves checking whether it conflicts with superior law. Therefore, the breach of a superior rule of law is implicit in the concept of unlawfulness.“ 44 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 698; ferner v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 77. Diff. Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 12, 17. In diese Richtung hingegen GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1230) – HNL. 45 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 698; Borchardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 4. Aufl. 2010, Rn. 698; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 28; so auch Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 559 f., die jedoch an dem Erfordernis einer „superior rule of law“ weiterhin festhalten.
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II. Prämissen für die weitere Untersuchung Da die außervertragliche Haftung gerade „nicht den Ersatz des durch jedwede Rechtswidrigkeit verursachten Schaden sicherstellen“46 soll, ist die Verletzung eines beliebigen Rechtssatzes nicht hinreichend. In der weiteren Untersuchung wird zu klären sein, welche Rechtsnormen, die die Kommission im Rahmen ihrer Aufsichtstätigkeit zu beachten hat, bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. III. Anwendung auf die Kartellaufsicht „[B]estimmte Grundsätze und bestimmte Normen, an die sich die wettbewerbliche Analyse zu halten hat, sind ihrem Wesen nach Normen, die dem Einzelnen Rechte verleihen sollen“. Diesen Grundsatz, den das EuG in der Sache Schneider aufgestellt hat, hat es sogleich relativiert, da diese Eigenschaft „nicht sämtlichen Normen des primären oder sekundären oder des aus der Rechtsprechung abgeleiteten Rechts, die die Kommission bei ihren wirtschaftlichen Erwägungen zu beachten hat“, zukommen kann.47 Die Rechtsprechung verfährt – wie oben ausgeführt – großzügig bei der Feststellung entsprechender Normen und stellt maßgeblich darauf ab, ob die in Rede stehende Rechtsnorm nicht ausschließlich im Interesse der Allgemeinheit besteht, sondern zumindest auch dem individuellen Interesse des Betroffenen dient.48 Die Untersuchung beginnt mit einem direkten Anknüpfen an die Wettbewerbsregeln des Vertrages sowie die Eingreifkriterien der Fusionskontrolle (1.). Sodann wird auf diejenigen Normen, die für die kartellaufsichtsrechtliche Tätigkeit zugunsten der Adressaten dieser Beschlüsse maßgeblich sind, eingegangen (2.). Schließlich soll der Blick auf sonstige Personen gerichtet werden (3.).
46 EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 51) – Artegodan; T-341/07, Slg. 2011, II-7915 (Rn. 32) – Sison. 47 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 130) – Schneider. Hirsbrunner [EuZW 2009, 239 (246)] bezeichnet das Urteil insoweit als „etwas überraschend“. 48 EuGH Rs. 5/66 u. a., Slg. 1967, 332 (341) – Kampffmeyer sowie o. § 5 A. I. 2.
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1. Schutzrichtung der Wettbewerbsregeln und der Eingriffskriterien in der Fusionskontrolle
a) Kein direktes Anknüpfen an die Art. 101 und 102 AEUV Eine entsprechende Schutzrichtung ließe sich für die Wettbewerbsregeln des Vertrages möglicherweise unter Hinweis auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit bejahen.49 Die unmittelbare Anwendung einer Norm ist gerade Ausdruck ihres Individualschutzes.50 Darüber hinaus misst der EuGH den Wettbewerbsregeln in ständiger Rechtsprechung eine besondere Bedeutung bei. In der Rechtssache Courage hat er ausgeführt, dass Art. 101 AEUV eine „grundlegende Bestimmung“ darstellt, „die für die Erfüllung der Aufgaben der Gemeinschaft und insbesondere für das Funktionieren des Binnenmarktes unerlässlich ist“.51 In diesem Urteil hat er weiterhin festgestellt, dass Art. 101 und 102 AEUV „in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkungen erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen lassen, die die Gerichte der Mitgliedstaaten zu wahren haben“.52 Es handelt sich daher bei den Wettbewerbsregeln um Rechte, die das Unionsrecht dem Einzelnen verleiht,53 so dass diesen Wettbewerbsregeln insoweit eine drittschützende Wirkung zukommt. Diese drittschützende Wirkung, die insbesondere den Verletzten die Möglichkeit einräumt, zivilrechtlich gegen die Schädiger vorzugehen, ist auch im Zusammenhang mit den verbraucherschützenden Ausprägungen zu sehen, die den Wettbewerbsregeln der Union beigemessen werden.54 Ferner haben EuGH55 und EuG56 – allerdings ohne 49 Grundlegend EuGH Rs. 13/61, Slg. 1962, 97 (111 ff.) – Kledingverkoopbedrijf de Geus en Uitdenbogerd. Vgl. über den Wortlaut der Art. 101 Abs. 1, 102 Abs. 1 AEUV („. . . verboten . . .“) hinaus die Bekanntmachung der Kommission über die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und den Gerichten der EU-Mitgliedstaaten bei der Anwendung der Artikel 81 und 82 des Vertrages, ABl. (EU) v. 27.4.2004, C Nr. 101/54 sowie die (deklaratorische) Anordnung in Art. 1 Abs. 1 und 3 VO 1/2003. 50 Grundlegend EuGH Rs. 26/62, Slg. 1963, 3 (26) – van Gend & Loos. Ob ein subjektives Recht dagegen Voraussetzung für die unmittelbare Anwendbarkeit ist, ist umstr., dazu etwa Sagmeister, ZEuS 2011, 1; ders., Grundsatznormen, 2010, S. 218 ff. 51 EuGH C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (Rn. 20) – Courage. 52 EuGH C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (Rn. 23) – Courage. So auch schon EuGH Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 (Rn. 15/17) – BRT; C-234/89, Slg. 1991, I-935 (Rn. 45) – Delimitis; C-282/95, Slg. 1997, I-1503 (Rn. 39) – Guérin automobiles. 53 EuGH C-453/99, Slg. 2001, I-6297 (Rn. 23 ff.) – Courage. 54 Etwa Pajunk, Konsumentenschutz im Rahmen privater Kartellrechtsdurchsetzung, 2011, S. 124 ff. sowie schon o. § 3 A. II. 1. 55 Für Art. 101 Abs. 1 AEUV s. EuGH Rs. 289/83, Slg. 1984, 4295 (Rn. 21) – GAARM; C-282/05, Slg. 2007, I-2841 (Rn. 47) – Holcim.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
nähere Begründung – als Schutznorm im Sinne der außervertraglichen Haftung unmittelbar auf die Wettbewerbsregeln des Vertrages abgestellt. Diese Rechtsprechung findet innerhalb der Literatur Zustimmung.57 In diesem Zusammenhang sind auch die Schlussanträge des Generalanwalts van Gerven in der Rechtssache Banks beachtenswert. Dieser lag die Vorlagefrage eines englischen Gerichts zugrunde, ob die Wettbewerbsregeln unmittelbare Wirkung aufweisen und infolgedessen vom Einzelnen durchsetzbare Rechte begründen, die von den nationalen Gerichten beachtet werden müssen. Generalanwalt van Gerven stützte sich auch auf Art. 215 Abs. 2 EGV (nunmehr Art. 340 Abs. 2 AEUV) und führte aus, dass die Wettbewerbsregeln genaue und unmittelbar wirkende Verpflichtungen enthalten, die dazu führen, dass für den Einzelnen Rechte entstehen und bei einem objektiven Verstoß gegen diese Bestimmungen eine zivilrechtliche Schadensersatzklage möglich ist.58 Somit könnte von einer drittschützenden Wirkung der Wettbewerbsregeln ausgegangen werden. In Bezug auf die Haftung der Europäischen Union ist aber nach dem vorher Gesagten zu verlangen, dass die verletzte Norm bezwecken muss, dem Einzelnen Rechte zu verleihen. Daher stellt sich die (vorgelagerte) Frage, ob eine Verletzung der Wettbewerbsregeln durch ein Organ der Europäischen Union überhaupt in Betracht kommt. Wenngleich Rechtsprechung und Literatur diesem Problem keine besondere Aufmerksamkeit zuteilwerden lassen,59 erweist sich diese Frage bei näherem Hinsehen als problematisch: Gegen die Möglichkeit der Verletzung durch die Kommission ist zunächst gerade die unmittelbare Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln anzuführen: Die Art. 101 und 102 AEUV sind Wettbewerbsregeln der Union und nor56 Für Art. 101 Abs. 1 AEUV s. EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 – Automec; T-28/90, Slg. 1992, II-2285 – Asia Motor France; T-171/99, Slg. 2001, II-2967 – Corus (für den EGKS-Vertrag); T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 87 ff.) – Holcim; T-186/05, Slg. 2007, II-94* – SELEX. 57 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 79; Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 40; Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 252, 308; ähnl. auch Klose, Verhältnis, 1998, S. 256. Für die Haftung der Mitgliedstaaten ebenso Beljin, Staatshaftung im Europarecht, 2000, S. 151. Gegen ein Abstellen auf Art. 107, 108 AEUV im Beihilfenrecht dagegen Koenig, EuZW 2005, 202. 58 SchlA zu EuGH C-128/92, Slg. 1994, I-1209 (Rn. 53). Hierzu auch Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht EU, Bd. II, 47 EL 4/2012, Art. 101 AEUV Rn. 258: „konsequente[. . .] Anwendung der EuGH-Judikatur bezüglich der Entstehung von im Unionsrecht begründeter Rechte Einzelner und einer starken Präzedenzwirkung des Staatshaftungsurteils [. . .] Francovich“. Zur Kohärenz zwischen Kartelldeliktsrecht und europäischem Haftungsrecht auch Bulst, ZWeR 2012, 70 (74 f.); Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 21 ff., insb. S. 24 ff. 59 s. schon die Nw. o. in Fn. 55 ff.
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mieren als solche unmittelbar wirkende Verbote, die die Adressaten verpflichten. Diese Pflichten sind unmittelbare Folge daraus, dass Art. 101 und 102 AEUV als Verbotsnormen ausgestaltet sind.60 Verstöße gegen diese Normen können daher durch die Kommission kartellverwaltungsrechtlich festgestellt und sanktioniert werden. Hierbei greift die Kommission auf die ihr durch die VO 1/2003 verliehenen Befugnisse zurück.61 Aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln handelt es sich bei diesen um unmittelbar geltendes Recht, was zur Folge hat, dass derartige Beschlüsse der Kommission lediglich deklaratorisch sind.62 Die Wettbewerbsregeln sind jedoch gerade keine Rechtsgrundlagen,63 sie ermächtigen aus sich heraus auch nicht zu ihrer Konkretisierung durch die Kommission. Zwar kann ein Beschluss der Kommission insoweit als Verletzung der Wettbewerbsregeln aufgefasst werden, als dieser den Verstoß verbindlich feststellt. Daher könnte die konkretisierende Bedeutung des Beschlusses im Hinblick auf die Wettbewerbsregeln relevant sein.64 Fraglich ist jedoch, ob die fehlerhafte Konkretisierung der Wettbewerbsregeln durch die Kommission überhaupt als eine Rechtsverletzung angesehen werden kann. Hieran ließe sich zweifeln, da das Verbot bereits unmittelbar aus dem Vertrag folgt. Indes wird die Verbotsverfügung regelmäßig65 durch einen auf Art. 23 Abs. 2 lit. a) VO 1/2003 gestützten Bußgeldbeschluss flankiert, so dass insoweit an der Belastung nicht gezweifelt werden kann.66 Eine fehlerhafte Konkretisierung dieser Vorschriften könnte nach dieser Argumentation einem Verstoß gegen diese Vorschriften gleichzusetzen sein. Wegen des auch im europäischen Recht geltenden Vorbehalts des Gesetzes bedarf es für einen Eingriff insoweit einer Rechtsgrundlage. Derartige Befugnisnormen enthält die VO 1/2003. Eine Verletzung der Art. 101 und 102 AEUV durch die Kommission ist daher nicht vorstellbar; Adressaten dieser Vorschrift und damit potentielle Verletzter sind nur Unternehmen bzw. Unternehmensvereinigungen.67 60 So schon für die Vorgängerbestimmungen H. Schneider, Zivilrecht und praktische Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, 2001, S. 162. 61 Zu den Befugnissen der Kommission schon o. § 3 A. II. 3. a) aa) (1). 62 Im Hinblick auf Art. 101 Abs. 3 AEUV war dies vor dem Inkrafttreten der VO 1/2003 mit dem Übergang auf das System der Legalausnahme anders, s. dazu im ersten Teil in Fn. 46. 63 Ausdr. Immenga/Mestmäcker, in: dies., EU, Bd. 1/1, 5. Aufl. 2012, Einl. B Rn. 78. 64 Vgl. Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 581. 65 Etwas anderes kann sich jedoch bei neuartigen Wettbewerbsverstößen ergeben, s. dazu etwa die Entscheidung der Kommission, COMP/38.096, Rn. 344 f. – Clearstream sowie jüngst COMP/39.986 – Motorola. 66 Hierzu de Bronett, ZWeR 2012, 157 (162). 67 s. auch Badura, Wirtschaftsverfassung und Wirtschaftsverwaltung, 4. Aufl. 2011, Rn. 276: „Die EU-Wettbewerbsregeln enthalten [. . .] Vorschriften für Unter-
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Gegen die hier vertretene Auffassung ließe sich weiterhin anführen, dass die primärrechtlich normierten Wettbewerbsregeln den sekundärrechtlich normierten Eingriffsgrundlagen der Kommission und den Verfahrensregeln im kartellverwaltungsrechtlichen Verfahren gegenüber höherrangig sind. Jedoch ist herausgearbeitet worden, dass die Höherrangigkeit der verletzten Rechtsnorm im Sinne eines die besondere Qualität der Norm in den Blick nehmendes Verständnisses gerade keine Voraussetzung ist, die an die jeweilige Norm gestellt werden muss.68 Daher kann auch dieses Argument nicht überzeugen. Schließlich könnte für eine direkte Anknüpfung an die Wettbewerbsregeln der Gleichlauf mit dem Primärrechtsschutz angeführt werden: Im Rahmen einer Nichtigkeitsklage kann gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV die Verletzung der Verträge gerügt werden. Hierdurch findet eine Rechtmäßigkeitskontrolle anhand des materiellen Primärrechts statt.69 In diesem Zusammenhang geht es jedoch weniger um die Prüfung einer Verletzung der Art. 101 und 102 AEUV durch die Kommission, sondern vielmehr darum, ob die Tatbestandsvoraussetzungen des Kartell- und Missbrauchsverbot erfüllt sind.70 Eine Anknüpfung an die Wettbewerbsregeln als solche ist mithin ausgeschlossen. b) Direktes Anknüpfen an Art. 2 FKVO (i. V. m. Art. 8 FKVO) Auch in der Fusionskontrolle stellt die Rechtsprechung direkt auf das materielle Kartellrecht – hier also die Eingreifkriterien der FKVO – ab und geht bei den Vorschriften der Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO von Schutznormen aus.71 Im Vergleich zu dem Vollzug der Wettbewerbsregeln bestehen bei der Zusammenschlusskontrolle Unterschiede, da die genannten Vorschriften (i. V. m. Art. 8 FKVO) Rechtsgrundlagen darstellen, die der Kommission die ausschließliche Zuständigkeit vermitteln, ein Zusammenschlussvorhaben für vereinbar bzw. für unvereinbar mit dem Binnenmarkt zu erklären. Als Maßstabsnormen der Zusammenschlusskontrolle beinhalten sie die materiellen Voraussetzungen zur Beurteilung eines Zusammenschlussvorhabens. nehmen und bilden insoweit die Grundlage für eine Verhaltenskontrolle der Kommission (Art. 105 AEU)“. 68 s. hierzu schon § 5 A. I. 3. 69 Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 512; Gündisch/Wienhues, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, S. 113. 70 Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 526 ff. 71 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 48 ff.) – MyTravel.
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Hierzu72 hat das EuG ausgeführt: „Im Ganzen betrachtet sollen diese Bestimmungen [Art. 2 Abs. 2 und Abs. 3 FKVO a. F.] dem Einzelnen insofern Rechte verleihen, als die Kommission, wenn sie [. . .] mit einem Zusammenschluss befasst ist, grundsätzlich entweder im Sinne einer Genehmigung des Zusammenschlusses oder im Sinne seiner Untersagung Stellung nehmen muss, und zwar je nachdem, welche wirtschaftliche Entwicklung des Zusammenschlusses sie für die wahrscheinlichste hält. So hat ein Unternehmen, das einen Zusammenschluss von gemeinschaftsweiter Bedeutung angemeldet hat, bei Erfüllung der Voraussetzungen des Art. 2 Abs. 2 [. . .] Anspruch darauf, dass dieser Zusammenschluss für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt wird. Dieses Unternehmen kann den Zusammenschluss nicht ohne eine Genehmigung durch die Kommission vollziehen [. . .], und eine Verbotsentscheidung [. . .] hat schwerwiegende Folgen. Ein derartiger Eingriff der Gemeinschaft in das Geschäftsleben, der es erforderlich macht, dass ein Unternehmen eine Genehmigung erwirkt, bevor es den geplanten Zusammenschluss vollzieht, und der die Kommission verpflichtet, den Vollzug dieses Zusammenschlusses zu untersagen, wenn er mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar ist, bedingt notwendigerweise, dass Unternehmen, denen eine Genehmigung verweigert wird, eine Entschädigung für die nachteiligen Folgen einer solchen Entscheidung verlangen können, wenn sich herausstellt, dass diese Entscheidung auf einem hinreichend qualifizierten Verstoß gegen die materiellen Vorschriften beruht, die die Kommission anwendet, um die Vereinbarkeit des betreffenden Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt zu beurteilen.“73 Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Zugunsten von Adressaten der fusionskontrollrechtlichen Beschlüsse bestehen daher Schutznormen; die Möglichkeit des Schadensersatzes folgt in diesen Fällen als notwendige Konsequenz aus der Ausgestaltung der Fusionskontrolle. Dies gilt sowohl bei der Untersagung als auch im Falle der Freigabe eines Zusammenschlusses. Ob diese Schutzwirkung auch zugunsten anderer Personen als den Anmeldern besteht, wird im weiteren Verlauf der Bearbeitung untersucht.74
72 Der Entscheidung MyTravel lag die Rechtslage nach der VO 4064/90/EWG zugrunde, auf die neue Rechtslage nach der VO 139/2004/EG dürfte jedoch das Gesagte aufgrund der identischen Fassung der Art. 2 Abs. 2 und 3 entsprechend anzuwenden sein. 73 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 48) – MyTravel. Diese Frage konnte das EuG in der Schneider-Entscheidung noch offen lassen, s. T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 129 ff.). 74 Dazu u. § 5 A. III. 3. b) bb).
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c) Zwischenergebnis Während im Rahmen der Kartell- und Missbrauchsaufsicht entgegen der Rechtsprechung auf die Wettbewerbsregeln des Vertrages direkt nicht zurückgegriffen werden kann, sondern vielmehr auf die Befugnisnormen der Kartellverfahrensverordnung abzustellen ist, ist ein Rückgriff auf die materiellen Eingriffsvoraussetzungen in der Zusammenschlusskontrolle auch nach hier vertretener Auffassung zulässig. 2. Schutzrichtung zugunsten der Entscheidungsadressaten und Verfahrensbeteiligten
Im folgenden Abschnitt soll die Schutznormeigenschaft zugunsten von Entscheidungsadressaten und Verfahrensbeteiligten untersucht werden. Begonnen wird mit den Verteidigungsrechten im Kartellverwaltungsverfahren (a)). Näher in den Blick genommen werden soll danach das Recht auf eine gute Verwaltung (b)), insbesondere in seiner Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsprinzip. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse (c)) schließt diesen Abschnitt ab. a) Verteidigungsrechte der Adressaten kartell- und fusionsrechtlicher Entscheidungen sowie der Beteiligten in entsprechenden Verfahren als subjektive Verfahrensrechte Als Verteidigungsrechte lassen sich diejenigen Rechtspositionen bezeichnen, die der Verteidigung bzw. Durchsetzung von Verfahrensrechten Einzelner dienen.75 Ein Beispiel bildet etwa das Recht auf rechtliches Gehör. Diese Rechte stellen subjektive Verfahrensrechte dar. Wegen der den kartellverwaltungsrechtlichen Entscheidungen und Ermittlungen immanenten Auswirkungen auf die Betroffenen kommt ihnen innerhalb des Verwaltungsverfahrens eine überaus große Bedeutung zu.76 Dabei lässt sich ein Spannungsverhältnis zwischen den Befugnissen der Kommission und den Verteidigungsrechten der Betroffenen ausmachen.77 75
Vgl. Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 42. EuGH C-204/00 P u. a., Slg. 2004, I-123 (Rn. 63) – Aalborg Portland; zur Bedeutung der Verteidigungsrechte im Eigenverwaltungsrecht der Europäischen Union auch EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 148 f.) – Schneider; Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (132); Weiß, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, VO 1/2003/EG Art. 27 Rn. 1 ff. Zur gegenüber dem EuG strengeren Kontrolle der Verteidigungsrechte durch den EuGH Freund, EuZW 2009, 839 (843). 77 Pascu, Die Verteidigungsrechte der Unternehmen im europäischen Kartellverfahren, 2010, S. 4. 76
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In den jeweiligen Verfahrensbestimmungen haben die Verteidigungsrechte spezielle Berücksichtigung gefunden: So schreibt Art. 27 Abs. 2 S. 1 VO 1/2003 vor, dass im Kartellverwaltungsverfahren „[d]ie Verteidigungsrechte der Parteien [. . .] während des Verfahrens in vollem Umfang gewahrt werden“. Im Rahmen des Informationsaustausches zwischen der Kommission und den mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden statuiert Art. 12 Abs. 3 Spiegelstrich 2 VO 1/2003 ein Beweisverwertungsverbot, wenn „die Informationen in einer Weise erhoben worden sind, die hinsichtlich der Wahrung der Verteidigungsrechte natürlicher Personen das gleiche Schutzniveau wie nach dem für die empfangende Behörde geltenden innerstaatlichen Recht [nicht] gewährleistet“. Ferner verweist Erwägungsgrund 37 der VO 1/2003 auf die GRCh, nach deren Art. 48 Abs. 2 „jeder angeklagten Person [. . .] die Achtung der Verteidigungsrechte gewährleistet“ wird. Indes sind die Verteidigungsrechte nicht nur im – der Kommission Bußgeldbefugnisse vermittelnden – Kartellverwaltungsverfahren, sondern auch im Verfahren der Zusammenschlusskontrolle von großer Bedeutung: Erwägungsgrund 42 der FKVO besagt, dass diese die „Wahrung der Verteidigungsrechte der beteiligten Unternehmen, insbesondere des Rechts auf Akteneinsicht“ verfolgt. Über diesen normativen Befund hinaus lässt sich in tatsächlicher Hinsicht beobachten, dass im europäischen Kartellverwaltungsverfahren Rechtsmittel häufig auf die Verletzung von Form- und Verfahrensvorschriften gestützt werden:78 So zählt die Rüge einer fehlerhaften Begründung zu den häufigsten Klagegründen.79 Angesichts der Vielschichtigkeit der Form- und Verfahrensvorschriften stellen sie zudem charakteristische Fehlerquellen dar80. Schließlich zeichnet sich das Unionsverwaltungsrecht durch eine starke Betonung des Verfahrensrechts aus,81 insbesondere, soweit in materieller Hinsicht Fragestellungen komplexer wirtschaftlicher Art in Rede stehen.82 Aus diesem Grund stellt sich die Verletzung von Verteidigungsrechte als prädes78 Vgl. Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 239. Dies geschieht nicht zuletzt im Hinblick auf der Kommission zustehende Ermessensfreiräume, die zu einer Aufwertung der Form- und Verfahrensvorschriften i. R. des Rechtsschutzes führen, vgl. dazu ausf. § 5 B. III. 1. c). 79 Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 505. Eine allein hierauf gestützte Nichtigkeitsklage dürfte indes keinen Erfolg haben, s. Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 81. 80 Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (132); Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 416; Gündisch/Wienhues, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, S. 113. Bildlich zu diesem Befund die berühmte Kritik bei Julius v. Kirchmann (Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 22): „Alle Kommentare sind da am dickleibigsten, wo es sich um [. . .] Formalien handelt“. 81 s. nur Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 5 Rn. 42; Rengeling/Szczekalla, Grundrechte, 2005, § 37 Rn. 1096. 82 Hierzu noch eingehend u. § 5 B. III. 1. c).
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tiniert für eine nähere Untersuchung im Rahmen der außervertraglichen Haftung dar. Es bietet sich an, die Analyse der drittschützenden Normen mit der Frage nach Verteidigungsrechten der Adressaten zu beginnen. Die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses wird in diesen Fällen durch die Verletzung dieser Vorschriften begründet. Nachfolgend werden das Recht auf rechtliches Gehör (aa)), das Akteneinsichtsrecht (bb)), das Recht auf einen vertraulichen Umgang mit den Akten (cc)), das Recht auf ein faires Verfahren (dd)) und das Begründungserfordernis (ee)) näher in den Blick genommen. aa) Das Recht auf rechtliches Gehör Die Gewährung rechtlichen Gehörs ist ein „fundamentale[r] Grundsatz“ im Verwaltungsrecht der Europäischen Union.83 Sie ermöglicht dem Betroffenen die Kommunikation mit der Verwaltung und damit eine aktive Mitgestaltung des Verfahrens.84 Daneben kommt diesem „Hauptverteidigungsrecht“ insoweit eine Vorreiterrolle zu, als sich aus ihm weitere Verteidigungsrechte herausgebildet haben.85 Primärrechtlich ist es in Art. 41 Abs. 2 Spiegelstrich 1 GRCh normiert; für das kartellverwaltungsrechtliche Verfahren findet sich eine sekundärrechtliche Entsprechung in Art. 27 Abs. 1 VO 1/2003. Soweit die Kommission erwägt, die in dieser Vorschrift genannten Beschlüsse86 zu erlassen, muss sie den Adressaten Gelegenheit geben, sich zu den Beschwerdepunkten87 zu äußern. Nach Absatz 1 Satz 2 der Vorschrift kann die Kommission den Beschluss nur auf die Punkte stützen, zu denen sich die Parteien äußern konnten,88 die Beschwerdepunkte müssen 83 EuGH Rs. 85/76, Slg. 1979, 461 (Rn. 9) – Hoffman-La Roche; Rs. 46/87 u. a., Slg. 1989, 2859 (Rn. 14) – Hoechst; Rs. 374/87, Slg. 1989, 3283 (Rn. 26) – Orkem; C-288/96, Slg. 2000, I-8237 (Rn. 99 ff.) – Deutschland/Kommission; C-277/11, NVwZ 2013, 59 (Rn. 82) – M. M.: „tragender Grundsatz“. 84 Nehl, Europ. Verwaltungsverfahren, 2002, S. 324. Nach BVerfGE 9, 89 (95) ist die Anhörung „Voraussetzung einer richtigen Entscheidung“. 85 Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (35 ff.); Nehl, Europ. Verwaltungsverfahren, 2002, S. 274. Für das Sorgfaltsprinzip jüngst EuGH C-277/11, NVwZ 2013, 59 (Rn. 88) – M. M. Näher zum Sorgfaltsprinzip u. § 5 A. III. 2. b) bb) (1). 86 Das sind die Aufforderung, die Zuwiderhandlung abzustellen (Art. 7 VO 1/2003), die Anordnung einstweiliger Maßnahmen (Art. 8 VO 1/2003) sowie die Verhängung von Bußgeldern (Art. 23 VO 1/2003) bzw. Zwangsgeldern (Art. 24 Abs. 2 VO 1/2003). 87 Insoweit wird auch vom Statement of Objections gesprochen, allg. auch Dieckmann, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 44 Rn. 9 ff. 88 Obwohl die Mitteilung nur eine vorbereitende Verfahrenshandlung darstellt, legt sie den Gegenstand des Verwaltungsverfahrens fest und hindert die Kommission daher, in ihrer abschließenden Entscheidung andere Beschwerdepunkte in Betracht
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daher alle entscheidungsrelevanten Umstände enthalten.89 Dazu zählen eine klare Angabe der für den Beschluss wesentlichen Tatsachen, ihre rechtliche und tatsächliche Bewertung, Einstufung und Erheblichkeit sowie die zum Beweis herangezogenen Schriftstücke und die aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen. Im Hinblick auf den Erlass einer Geldbuße müssen auch Angaben zur Schwere und Dauer des Verstoßes sowie zur Art der Begehung enthalten sein.90 Die Gewährung rechtlichen Gehörs wird näher ausgestaltet in Kapitel V der Durchführungsverordnung. Danach ist den betroffenen Unternehmen nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte innerhalb einer bestimmten Frist Gelegenheit zu geben, sich zu den einzelnen Punkten zu äußern um somit auf Bedenken der Kommission zu reagieren. Nach Art. 17 der Durchführungsverordnung beträgt die Mindestfrist vier Wochen. Grundsätzlich wird dieses Recht schriftlich wahrgenommen, jedoch kann nach Art. 12 der Durchführungsverordnung auf Antrag der Parteien auch eine mündliche Anhörung stattfinden. Die Erwiderung auf die Beschwerdepunkte kann entweder dazu führen, dass die Kommission die Begründung konkretisiert oder von den Vorwürfen absieht.91 Nach Art. 27 Abs. 3 S. 1 VO 1/2003 kann die Kommission, soweit sie es für erforderlich hält, auch andere natürliche oder juristische Personen anhören. Ferner besteht nach Absatz 3 Satz 2 der Vorschrift die Möglichkeit, einen Anhörungsantrag zu stellen. Diesem muss die Kommission stattgeben, wenn ein ausreichendes Interesse nachgewiesen worden ist. Für die Fusionskontrolle sieht Art. 18 Abs. 1 FKVO vor, dass vor Erlass dort genannter Beschlüsse92 den betroffenen Personen, Unternehmen und Unternehmensvereinigungen Gelegenheit gegeben werden muss, sich in allen Abschnitten des Verfahrens bis zur Anhörung des Beratenden Ausschusses zu äußern. Dieser Grundsatz wird in den Absätzen 2–5 der Vorschrift näher präzisiert. Für dieses Anhörungsrecht differenziert die Durchführungsverordnung zur FKVO in Art. 11 zwischen den Anmeldern93, anderen Beteiligten94, Dritzu ziehen, vgl. EuGH C-413/96, Slg. 2008, I-5285 (Rn. 63) – Bertelsmann und Sony; GA Colomer, SchlA zu EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 50) – Schneider. 89 A. Johans, in: Mäger, EU Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 12. Kap. Rn. 20; de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Art. 27 Rn. 21; Freund, EuZW 2009, 839. 90 Freund, EuZW 2009, 839. 91 Freund, EuZW 2009, 839 (840). 92 Dies sind die Art. 6 Abs. 3, Art. 7 Abs. 3, Art. 8 Abs. 2–6, Art. 14 und Art. 15 FKVO. 93 Personen oder Unternehmen, die eine Anmeldung gemäß Art. 4 Abs. 2 der FKVO unterbreiten, vgl. Art. 11 lit. a) Durchführungsverordnung zur FKVO. 94 An dem Zusammenschlussvorhaben Beteiligten, die keine Anmelder sind, wie der Veräußerer und das Unternehmen, das übernommen werden soll, vgl. Art. 11 lit. b) Durchführungsverordnung zur FKVO.
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ten95 sowie den Beteiligten, bezüglich derer die Kommission den Erlass eines Beschlusses nach Art. 14 oder Art. 15 der FKVO beabsichtigt. Durch die Durchführungsverordnung wird das Anhörungsrecht des Art. 18 FKVO in Art. 14 und 15 für mündliche Anhörungen näher präzisiert sowie in Art. 16 für Dritte geregelt. Darüber hinaus enthalten die Bekanntmachung über bewährte Vorgehensweisen weitere Informationen über das Verfahren in der Fusionskontrolle.96 Die Gewährung rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, muss nach der Rechtsprechung im Übrigen auch dann sichergestellt werden, wenn eine Regelung für das fragliche Verfahren fehlt.97 Durch die Schaffung des Amtes des Anhörungsbeauftragten (Hearing Officer) zum 1. September 198298 hat das Recht auf rechtliches Gehör institutionell eine Aufwertung erfahren. Nach Art. 1 Abs. 2 des Beschlusses des Präsidenten der Europäischen Kommission vom 13. Oktober 2011 über Funktion und Mandat des Anhörungsbeauftragten99 gewährleistet dieser die effektive Wahrung der Verfahrensrechte während des gesamten Verlaufs des Wettbewerbsverfahren der Kommission sowie der Fusionskontrolle. Die Zugehörigkeit des Rechts auf rechtliches Gehör zu denjenigen Normen, die bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, steht außer Frage und ist in der Rechtsprechung ausdrücklich anerkannt.100
95 Natürliche oder juristische Personen einschließlich Kunden, Lieferanten und Wettbewerber, sofern diese ein hinreichendes Interesse i. S. von Art. 18 Abs. 4 S. 2 FKVO darlegen können; was nach Art. 11 lit. c) Durchführungsverordnung zur FKVO insb. der Fall ist für (i) die Mitglieder der Aufsichts- oder Leitungsorgane der beteiligten Unternehmen oder die anerkannten Vertreter ihrer Arbeitnehmer und (ii) Verbraucherverbände, wenn das Zusammenschlussvorhaben von Endverbrauchern genutzte Waren oder Dienstleistungen betrifft. 96 Dazu schon im ersten Teil bei Fn. 129. 97 EuGH C-135/92, Slg. 1994, I-2885 (Rn. 39) – Fiskano; allg. dazu auch v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 358. 98 Mitteilung betreffend die Verfahren zur Anwendung der Wettbewerbsregeln der Verträge (Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag; Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag), ABl. (EG) v. 25.9.1982, C Nr. 251/2. 99 Beschluss des Präsidenten der Europäischen Kommission v. 13.10.2011 über Funktion und Mandat des Anhörungsbeauftragten in bestimmen Wettbewerbsverfahren, ABl. (EU) v. 20.10.2011, L Nr. 275/29. 100 EuG T-481/93 u. a., Slg. 1995, II-2941 (Rn. 102) – Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens; T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 151) – Schneider; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 702; s. auch Corr, 74 Brook. L. Rev. (2008), 159 (185). Mangels Entscheidungserheblichkeit offengelassen bei EuG T-277/97, Slg. 1999, II-1825 (Rn. 105) – Ismeri Europa. A. A. Gellermann, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 41 a. E. Offenbleibend Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 117 f.
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bb) Das Akteneinsichtsrecht In engem Zusammenhang mit der Gewährung rechtlichen Gehörs steht das Akteneinsichtsrecht, das eine effektive Verteidigung durch Kenntniserlangung der Dokumente überhaupt erst ermöglicht.101 Insoweit ist es der Wahrnehmung des Rechts auf rechtliches Gehör vorgelagert. Primärrechtlich hat dieses Recht in Art. 15 AEUV eine Regelung erfahren, wenn in Absatz 1 der Grundsatz der Offenheit angeordnet und in Absatz 3 ein Recht auf Zugang jedes Unionsbürgers sowie jeder natürlichen oder juristischen Person mit Wohnsitz oder satzungsgemäßem Sitz in einem Mitgliedstaat zu Dokumenten der Union normiert wird. Zur Konkretisierung existiert eine Verordnung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Unionsorgane (sog. Transparenzverordnung).102 Als leges speciales gehen die kartellverwaltungs- und fusionskontrollrechtlichen Vorschriften dieser Verordnung vor.103 Mit Blick auf das Akteneinsichtsrecht bestehen zwischen den beiden Verfahren keine Unterschiede.104 Mangels Normierung eines Akteneinsichtsrechts für Dritte im kartellverwaltungs- bzw. fusionskontrollrechtlichen Sekundärrecht105 ist insoweit – insbesondere etwa zur Vorbereitung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche – auf die vorgenannte Verordnung abzustellen.106 Das Recht auf Akteneinsicht wird im Kartellverwaltungsverfahren in Art. 27 Abs. 2 VO 1/2003 und im Fusionskontrollverfahren in Art. 18 Abs. 3 FKVO gewährleistet. Im Rahmen des Kartellverfahrensrechts steht es demjenigen zu, der Adressat einer Mitteilung der Beschwerdepunkte ist. Die Durchführungsverordnung präzisiert das Akteneinsichtsrecht dieser Personen in Art. 15. In Absatz 2 Satz 1 der Vorschrift werden von der Akten101
Zur insoweit herzustellenden „Waffengleichheit“ vgl. EuG T-16/99, Slg. 2002, II-1633 (Rn. 140 ff.) – Lögstör Rör; Nowak, DVBl. 2004, 272 (276). 102 Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 30.5.2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission, ABl. (EG) v. 31.5.2001, L Nr. 145/43. Die Durchführungsbestimmungen dieser Verordnung wurde durch Art. 1 des Beschlusses der Kommission vom 5.12.2001 zur Änderung ihrer Geschäftsordnung, ABl. (EG) v. 29.12.2001, L Nr. 345/94 der Geschäftsordnung der Kommission als Anhang beigefügt. 103 Mitteilung der Kommission über die Regeln für die Einsicht in Kommissionsakten in Fällen einer Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag, Artikel 53, 54 und 57 des EWR-Abkommens und der Verordnung (EG) Nr. 139/2004, ABl. (EU) v. 22.12.2005, C Nr. 325/7, Rn. 2. 104 Dieckmann, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 44 Rn. 21. 105 Dieckmann, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 44 Rn. 33. 106 Zu einem derartigen Fall mit Bezug zu einem Kartellverwaltungsverfahren vgl. EuG T-344/08, WuW/E EU-R 2356, aufgehoben durch EuGH C-365/12 P, EuZW 2014, 311 – EnBW sowie sogleich im Text.
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einsicht Geschäftsgeheimnisse, andere vertrauliche Informationen sowie interne Unterlagen der Kommission und der Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten ausgenommen. Ebenso ist nach Satz 2 die in den Akten der Kommission enthaltene Korrespondenz zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten sowie zwischen den Letztgenannten von der Akteneinsicht ausgenommen. Im Übrigen existiert für die Akteneinsicht innerhalb des Kartellverwaltungsverfahrens eine Mitteilung der Kommission.107 Für die Fusionskontrolle regelt Art. 17 der Durchführungsverordnung das Akteneinsichtsrecht sowie die Verwendung der Schriftstücke. In Übereinstimmung zu Art. 15 Abs. 3 der Durchführungsverordnung zur VO 1/2003 nimmt Absatz 3 der Bestimmung bestimmte Dokumente von der Akteneinsicht aus. Absatz 4 der Vorschrift bestimmt schließlich die Begrenzung der durch die Akteneinsicht erhaltenen Unterlagen auf die Zwecke des Fusionskontrollverfahrens. Dritten steht nach der Kartellverfahrens- und Fusionskontrollverordnung kein Recht auf Akteneinsicht zu. In der Sache Pfleiderer hat der EuGH entschieden, dass die VO 1/2003 einer Auslegung nicht entgegensteht, wonach eine durch einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht geschädigte und Schadensersatz fordernde Person Zugang zu Dokumenten eines Kronzeugenverfahrens erhält.108 Die Bestimmung der Voraussetzungen, nach denen dieser Zugang gewährt wird, obliegt auf der Grundlage des jeweiligen nationalen Rechts und unter Abwägung der unionsrechtlich geschützten Interessen den Gerichten der Mitgliedstaaten.109 Da das Akteneinsichtsrecht als besondere Ausprägung des Rechts auf rechtliches Gehör aufgefasst wird110 und insoweit der Wahrung der Verteidigungsrechte der Betroffenen dient,111 gelten in Bezug auf den Drittschutz die obigen Ausführungen entsprechend. Auch das Recht auf Akteneinsicht bezweckt daher, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.
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s. den Nw. in Fn. 103. EuGH C-360/09, Slg. 2011, I-5161 (Rn. 32); vgl. dazu auch GA Jääskinen, SchlA zu EuGH C-536/11 – noch nicht veröffentlicht – (Rn. 57 ff.) – Donau Chemie. 109 EuGH C-360/09, Slg. 2011, I-5161 (Rn. 32) – Pfleiderer, gegen die Möglichkeit der Akteneinsicht in die Kronzeugenanträge nachfolgend AG Bonn WuW/E DE-R 3499. I. R. der 8. GWB-Novelle wurde ein Ausschluss der Akteneinsicht zwar diskutiert (s. § 81b GWB-Referentenwurf), die 8. GWB-Novelle hat diesen Konflikt indes nicht aufgelöst. Ein vollständiger Ausschluss dürfte unionsrechtswidrig sein, s. EuGH C-536/11, EuZW 2013, 586 (Rn. 49) – Donau Chemie. 110 Creus Carreras/Uriarte Valiente, World Competition 21 (1998), 5 (6). 111 Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Einsicht in Kommissionsakten (Fn. 103), Rn. 1. 108
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cc) Die Verschwiegenheitspflicht Das Akteneinsichtsrecht steht in einem Spannungsverhältnis zum Recht auf einen vertraulichen Umgang mit den Akten, insbesondere auf Wahrung der Geschäftsgeheimnisse und damit auf Verschwiegenheit.112 Auch diesem Recht kommt innerhalb des Kartellverwaltungsrechts eine große praktische Bedeutung zu.113 Das (allgemeine) Recht auf vertrauliche Behandlung von Geschäftsgeheimnissen lässt sich zunächst primärrechtlich in Art. 339 AEUV verorten, die Rechtsprechung versteht es mitunter auch als allgemeinen Rechtsgrundsatz114 oder als Ausprägung des Rechts auf eine gute Verwaltung (Art. 41 GRCh)115. Danach sind die Mitglieder der Organe der Union, die Mitglieder der Ausschüsse sowie die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union verpflichtet, auch nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit Auskünfte, die ihrem Wesen nach unter das Berufsgeheimnis fallen, nicht preiszugeben; dies gilt insbesondere für Auskünfte über Unternehmen sowie deren Geschäftsbeziehungen oder Kostenelemente. Der Begriff des Berufsgeheimnisses erfasst Geschäftsgeheimnisse und andere vertrauliche Informationen und wird damit weit verstanden.116 Sekundärrechtlich enthält Art. 28 Abs. 2 VO 1/2003 einen allgemeinen Vertraulichkeitsschutz.117 Daneben ist die Verschwiegenheitspflicht tertiärrechtlich in Art. 15 Abs. 2, 16 der Durchführungsverordnung und Art. 17 Abs. 3, 18 der Durchführungsverordnung zur FKVO konkretisiert. Schließlich ist die Mitteilung der Kommission über die Einsicht in Kommissionsakten zu beachten.118 Ziel der jeweiligen Regelungen ist die Auflösung des vorbezeichneten Spannungsverhältnisses zwischen Akteneinsicht und damit der Vermittlung rechtlichen Gehörs und dem Schutz von Geschäftsgeheimnissen.119 Eine Verletzung dieses Rechts kommt zum einen durch aktives Handeln in Betracht, wenn die Kommission etwa Informationen öffentlich bekannt macht, insbesondere der Presse zuspielt,120 112
Vgl. Schwarze, 68 Law and Contemporary Problems (2004), 85 (96 f.). A. Johanns, in: Mäger, EU Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 12. Kap. Rn. 26. 114 EuGH C-53/85, Slg. 1986, 1965 (Rn. 28) – AKZO; C-36/92, Slg. 1994, I-1911 (Rn. 36) – SEP; EuG T-30/91, Slg. 1995, II-1775 (Rn. 88) – Solvay. 115 I. d. Sinne EuG T-62/98, Slg. 2000, II-2707 (Rn. 282) – Volkswagen. Zur Ausprägung als „Verleumdungsverbot“ näher Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 268 ff. Zum Recht auf gute Verwaltung näher § 5 A. III. 2. b). 116 Vgl. die Mitteilung der Kommission über die Einsicht in Kommissionsakten (Fn. 103), Rn. 18 ff. 117 Dazu A. Johanns, in: Mäger, EU Kartellrecht, 2. Aufl. 2011, 12. Kap. Rn. 26. 118 Mitteilung der Kommission über die Einsicht in Kommissionsakten (Fn. 103), insb. Rn. 39 ff. 119 Ausf. zu diesem Zielkonflikt Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 166 ff. 120 Vgl. zu einem derartigen Fall EuG T-62/98, Slg. 2000, II-2707 (Rn. 279 ff.) – Volkswagen. 113
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zum anderen ist auch eine Verletzung durch Unterlassen möglich, wenn sie etwa eine gebotene Schwärzung unterlässt. Ob sich das Recht auf Verschwiegenheit als Verteidigungsrecht im herkömmlichen Sinne auffassen lässt, ist umstritten,121 kann aber dahingestellt bleiben, da seine Schutznormeigenschaft jedenfalls anerkannt ist.122 dd) Das Recht auf ein faires Verfahren, Art. 6 EMRK Auch die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)123 stellt Anforderungen an die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens der Europäischen Union, so dass sich aus dieser ebenfalls Verteidigungsrechte ergeben können.124 Nach Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK hat jede Person ein Recht darauf, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb einer angemessener Frist verhandelt wird. Da das Verwaltungsverfahren vor der Kommission kein Gerichtsverfahren darstellt,125 ist Art. 6 EMRK nicht unmittelbar anzuwenden.126 Jedoch ist Art. 6 EMRK neben seinem ausdrücklichen Anwendungsbereich auch beim Tätigwerden der Exekutive zu beachten.127 Das gilt umso mehr, als das Verfahren strafrechtliche Züge trägt. Zwar sind die durch die Kommission zu verhängenden Geldbußen ausweislich Art. 23 121 So etwa die Verortung Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 378; anders dagegen Erwägungsgrund Nr. 32 zur VO 1/2003. 122 EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 57) – Idromacchine. Insoweit kann zwar nicht auf die schon erwähnte Entscheidung EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 (Rn. 44) – Stanley Adams zurückgegriffen werden, da dieser Entscheidung eine frühere Auslegung der Haftungsvoraussetzungen zugrunde lag. Es steht jedoch außer Frage, dass die Verpflichtung, vertraulich mit Geschäftsgeheimnissen umzugehen, Drittschutz bezweckt, s. etwa Barthelmeß/Rudolf, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, VO 1/2003/EG Art. 28 Rn. 36. 123 Gesetz über die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten v. 7.8.1952, BGBl. II, 685, 953; i. d. F. des 14. Zusatzprotokolls BGBl. II 2010, 1198. 124 Nach Art. 6 Abs. 3 EU sind die Grund- und Menschenrechte der EMRK „als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts“. Der in Art. 6 Abs. 2 S. 1 EU vorgesehene Beitritt der EU zur EMRK ist derzeit noch nicht vollzogen. 125 EuGH Rs. 209/78 u. a., Slg. 1980, 3125 (Rn. 81) – van Landewyk; Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 137. s. auch schon o. im ersten Teil bei Fn. 86. 126 EuGH Rs. 209/78 u. a., Slg. 1980, 3125 (Rn. 81) – van Landewyk; Ottaviano, Der Anspruch auf rechtzeitigen Rechtsschutz, 2009, S. 18. 127 Vgl. etwa für das italienische Kartellrecht EGMR, Urt. v. 27.9.2011, Appl. No 43509/08 – Menari. s. dazu auch Nikolic, E.C.L.R. 2012, 33 (12), 583 (584 f.); ferner de Bronett, ZWeR 2012, 157 (172); Kerse/Kahn, EU Antitrust Procedure, 6. Aufl. 2012, Rn. 4-002.
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Abs. 5 VO 1/2003 keine Strafen im materiellen Sinne, jedoch anerkennt die Rechtsprechung gleichwohl eine gewisse Vergleichbarkeit mit dem Strafrecht.128 Die aus Art. 6 EMRK ableitbaren Verfahrensgarantien sind Schutznormen im Sinne des Art 340 Abs. 2 AEUV.129 ee) Das Begründungserfordernis Aus Art. 296 Abs. 2 AEUV folgt ein Begründungserfordernis für Rechtsakte. Bei den Beschlüssen der Kommission handelt es sich ausweislich ihrer systematischen Stellung (Art. 288 Abs. 3 S. 2 AEUV) um Rechtsakte. Aufgrund ihrer Bedeutung für den Primärrechtsschutz130 soll im Folgenden auf die schadensersatzrechtlichen Implikationen einer Verletzung dieses Erfordernisses eingegangen werden. Das Kartellverfahrensrecht enthält spezialgesetzliche Begründungserfordernisse: So verpflichtet Art. 18 Abs. 2 VO 1/2003 zur Begründung von Auskunftsverlangen und Art. 20 und 21 VO 1/2003 zur Begründung der Nachprüfungsbeschlüsse. Für das Verfahren der Fusionskontrolle schreibt Art. 11 FKVO vor, dass die Kommission Auskunftsverlangen begründen muss. Ebenso sind nach Art. 13 FKVO Nachprüfungsbeschlüsse zu begründen. Mit der Nichtigkeitsklage kann die Verletzung der Begründungspflicht gerügt werden, da sie eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Art. 263 Abs. 2 AEUV darstellt.131 Da aus der Begründung darauf geschlossen werden kann, ob sich der Beschluss auf Tatsachen und Umstände stützt, zu denen der Betroffenen nicht gehört wurde, steht die Begründungspflicht im Zusammenhang mit der Gewährung rechtlichen Gehörs.132 Eine Verletzung dieser Vorschrift kommt in Betracht, wenn ein Rechtsakt entweder gar keine Begründung enthält oder wenn die Begründung unzureichend ist.133 128
s. etwa EGMR, Urt. v. 27.9.2011, Appl. No 43509/08 (Rn. 42 f. m. w. Nwn.) – Menari; GA Sharpston, SchlA zu EuGH C-272/09 P, Slg. 2011, I-12789 (Rn. 64) – KME; GA Bolt, SchlA zu EuGH C-352/09 P, Slg. 2011, I-2359 (Rn. 48 ff.) – ThyssenKrupp. Allg. zur Berücksichtigung und zu Ausprägungen des Art. 6 EMRK im Kartellverwaltungsverfahren Kerse/Kahn, EU Antitrust Procedure, 6. Aufl. 2012, Rn. 3-004 ff.; Andreangeli, EU Competition Enforcement and Human Rights, 2008, S. 55 ff. 129 EuG T-193/04, Slg. 2006, II-3995 (Rn. 121) – Tillack; T-48/05, Slg. 2008, II-1585 (Rn. 218) – Franchet und Byk (für Art. 6 Abs. 2 EMRK). 130 s. dazu schon den Nw. im ersten Teil in Fn. 79. 131 Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 296 AEUV Rn. 37. 132 EuG T-234/07, WuW/E EU-R 2149 (Rn. 76) – Grolsch; Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 177 („akzessorisches Recht“). 133 s. auch Krajewski/Rösslein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 296 AEUV Rn. 38 f.
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Ob die Begründungspflicht hingegen eine Schutznorm darstellt, ist umstritten. Nach ständiger Rechtsprechung sollen Form- und Verfahrensvorschriften grundsätzlich keinen Drittschutz vermitteln, da sie nicht im Individualinteresse bestehen.134 Insoweit wird zumeist die dienende Funktion der Verfahrensrechte betont.135 Sie stellen sicher, dass alle „entscheidungsrelevanten Informationen tatsächlicher und rechtlicher Art sowie die notwendige Sachkunde geordnet in den [. . .] Entscheidungsprozess einfließen und dort optimal verarbeitet werden kann, um die Rationalität des ‚outputs‘ zu erhöhen.“136 Der Zweck der Begründungspflicht soll sich in der Ermöglichung der richterliche Überprüfbarkeit erschöpfen.137 Nach dieser Auffassung weist sie nur einen rein objektiv-rechtlichen Gehalt auf. Typischerweise können Verfahrensrechten mehrere Schutzzwecke zugewiesen werden.138 Dass diese Rechte dem reibungslosen Ablauf des Verfahrens und damit der Funktionsfähigkeit der Verwaltung dienen, steht dabei außer Frage. Daneben sollen sie aber auch die Interessen der Beteiligten schützen.139 Für die übrigen Verteidigungsrechte wurde dies schon nachgewiesen.140 Dass eine Norm mehrere Schutzzwecke aufweist, ist im Übrigen auch nicht ungewöhnlich und führt nicht zur Aberkennung der Schutznormeigenschaft. Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach der Rechtsprechung schon der reflexartige Individualschutz ausreicht.141 Die Begründung bezieht sich auf die Interessen des Adressaten, indem sie diesem ermöglicht, die Beweggründe der Behörde nachzuvollziehen. Dadurch soll die 134 St. Rspr. seit EuGH Rs. 106/81, Slg. 1982, 2885 (Rn. 14) – Kind; C-119/88, Slg. 1990, I-2189 (Rn. 20) – AERPO; EuG T-481/93 u. a., Slg. 1995, II-2941 (Rn. 104) – Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens; vgl. auch T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 57) – Nölle; GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1232) – HNL; GA Darmon, SchlA zu EuGH C-282/90, Slg. 1992, I-1937 (Rn. 37 ff.) – Vreugdenhil; GA Kokott, SchlA zu EuGH C-420/11 – noch nicht veröffentlicht – (Rn. 44) – Leth. Relativierend jedoch Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 118, wonach die Gerichte „offenbar nicht allen Verfahrensbestimmungen von vornherein den Schutznormcharakter deswegen absprechen möchten, weil es sich um Verfahrensrechte handelt.“ 135 Für die Anhörung etwa EuGH Rs. 17/74, Slg. 1974, 1063 (Rn. 16) – Transocean Marine Paint; ferner Nehl, Europ. Verwaltungsverfahren, 2002, S. 177 ff. Krit. zu diesem Begriff Quabeck, Dienende Funktion, 2010, S. 8 ff. 136 Nehl, Europ. Verwaltungsverfahren, 2002, S. 177. 137 EuGH Rs. 106/81, Slg. 1982, 2885 (Rn. 14) – Kind; Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 44. 138 Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 416. 139 Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 416. 140 s. für das Recht auf rechtliches Gehör § 5 A. III. 2. a) aa); für das Akteneinsichtsrecht § 5 A. III. 2. a) bb) und für die Verschwiegenheitspflicht § 5 A. III. 2. a) cc). 141 Dazu Fn. 32.
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Akzeptanz des Kommissionsbeschlusses herbeigeführt werden. Im Hinblick auf den Rechtsschutz soll der Betroffene durch die Begründung zudem die Erfolgsaussichten seines Rechtsbehelfs einschätzen können.142 So kann der Begründung etwa entnommen werden, ob das rechtliche Gehör der Adressaten verletzt worden ist, namentlich auf welche Gründe der Beschluss gestützt wird. Andererseits tritt hierdurch gerade die dienende Funktion der Begründung hervor, denn in einem derartigen Fall ist das rechtliche Gehör verletzt. Die Begründung fungiert insoweit als Mittler dieser Verletzung. In einer früheren Entscheidung hat der EuGH ausführt, dass das Begründungserfordernis „nicht lediglich auf formalen Erwägungen beruht, sondern [. . .] den Parteien die Wahrnehmung ihrer Rechte, dem Gerichtshof die Ausübung seiner Rechtskontrolle und den Mitgliedstaaten sowie deren etwa beteiligten Angehörigen die Unterrichtung darüber ermöglichen [will], in welcher Weise die Kommission den Vertrag angewandt hat.“143 Auch in der Rechtsprechung findet sich die Vielschichtigkeit der Zielsetzung der Begründung daher wieder. In einer jüngeren Entscheidung hat der EuGH ausdrücklich das Begründungserfordernis dem „Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte“ entnommen.144 Da die Rechtsprechung die Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren als Grundrechte versteht,145 kann die drittschützende Funktion auch grundrechtlich begründet werden.146 Somit kann das Begründungserfordernis als entsprechende Schutznorm herangezogen werden.
142 Calliess, in: FS Götz, 2005, S. 239 (252 f.). Ausf. zu diesen Funktionen auch Kischel, Die Begründung, 2003, S. 39 ff. s. auch Nehl, Europ. Verwaltungsverfahren, 2002, S. 325 für die demokratische Kontrolle und Legitimation der Verwaltungstätigkeit. 143 EuGH Rs. 24/62, Slg. 1963, 143 (155) – Deutschland/Kommission; in diese Richtung auch EuG T-92/98, Slg. 1999, II-3521 (Rn. 77) – Interporc. 144 EuGH C-277/11, NVwZ 2013, 59 (Rn. 88) – M. M. 145 Etwa EuGH C-204/00 P u. a., Slg. 2004, I-123 (Rn. 64) – Aalborg Portland; zust. Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 503; ferner v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, 2012, Bd. III 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 79; Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 86 ff. 146 Hierzu v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 79. Nach Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 338, sind die Verfahrensrechte „spätestens mit Inkorporation der Grundrechte-Charta Teil des Primärrechts.“ Nach ihm ist eine Verletzung von Verfahrensvorschriften als Verstoß gegen die ordnungsgemäße Verwaltung dann haftungsrelevant, wenn der Entscheidungsspielraum der Behörde ausreichend reduziert ist. Da dieser Punkt die Art des Rechtsverstoßes betrifft, bejaht Mader im Umkehrschluss den Schutzzweck dieser Normen.
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b) Das Recht auf eine gute Verwaltung im Kartellverwaltungsund Fusionskontrollrecht Über die ausdrücklich kodifizierten Verteidigungsrechte hinausgehend sind im Verwaltungsverfahren die verschiedenen Ausprägungen des Rechts auf eine gute Verwaltung zu beachten, das in Art. 41 GRCh geregelt ist. Da es sich bei dem Kartellverwaltungsverfahren vor der Kommission um einen „klassischen“ Bereich des Eigenverwaltungsrechts der Europäischen Union handelt, kommt diesem Grundrecht insbesondere bei der Kartellaufsicht besondere Bedeutung zu. Bevor die Gewährleistungsgehalte dieser „nebulösen Rechtsfigur“147 im Einzelnen vorgestellt werden (bb)), soll zunächst dessen Herleitung nachgezeichnet werden (aa)). Ob die einzelnen Inhalte drittschützend und daher bei ihrer Verletzung Schadenersatzansprüche nach sich ziehen, wird im weiteren Verlauf der Darstellung untersucht. aa) Herleitung des Rechts auf eine gute Verwaltung Jede Verwaltung dürfte das Ziel verfolgen, „gut“ zu verwalten. Die Existenz eines entsprechenden Grundsatzes, den die Unionsorgane bei ihrer Verwaltungstätigkeit zu beachten haben, ist daher seit langem anerkannt.148 Kodifiziert ist er nunmehr in Art. 41 Abs. 1 GRCh. Hiernach hat jede Person ein Recht darauf, dass ihre Angelegenheiten von den Organen und Einrichtungen der Union unparteiisch, gerecht und innerhalb einer angemessenen Frist behandelt werden. Einzelne Gewährleistungsinhalte dieses Rechts werden in Absatz 2 der Vorschrift angeführt. Das Recht auf eine gute Verwaltung ist nach der Rechtsprechung149 bei der gesamten Tätigkeit der Kommission zu beachten. Art. 41 GRCh schützt entgegen der Ansiedlung im Kapitel über die Bürgerrechte auch Drittstaatsangehörige und juristische Personen.150 Neben der primärrechtlichen Implementierung durch Art. 6 Abs. 1 EUV nimmt auch das sekundärrechtliche Kartellverfahrensrecht Bezug auf die GRCh: Nach 147
Nehl/Wurmnest, EuR 2001, 101. Vgl. hierzu vor Inkrafttreten der GRCh etwa Heselhaus, in: ders./Nowak, EUGrundrechte, 2006, § 57 Rn. 1. 149 Dazu EuG T-575/93, Slg. 1996, II-1 (Rn. 85 ff.) – Koelman; T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 38 ff.) – New Europe Consulting. Allg. zum Recht auf gute Verwaltung K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008; speziell zur Kartellaufsicht de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkungen Rn. 38; Gundel, in: Ehlers, EU-Grundrechte, 3. Aufl. 2009, § 20 Rn. 15 ff.; Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (24). 150 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 41 EUGRCharta Rn. 5. 148
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dem Erwägungsgrund Nr. 37 VO 1/2003 „wahrt [die Kartellverfahrensverordnung] die Grundrechte und steht im Einklang mit den Prinzipien, die insbesondere in der Charta der Grundrechte verankert sind. Demzufolge ist [die Kartellverfahrensverordnung] in Übereinstimmung mit diesen Rechten auszulegen.“ Auch die FKVO sieht sich den Europäischen Grundrechten verpflichtet, Erwägungsgrund Nr. 36 statuiert, dass die Union „die Grundrechte und Grundsätze [achtet], die insbesondere mit der Charta der Grundrechte anerkannt wurden. Diese Verordnung sollte daher im Einklang mit diesen Rechten ausgelegt und angewandt werden.“ Schließlich lassen sich einige der oben schon behandelten Verteidigungsrechte ebenfalls aus dieser Vorschrift ableiten und insofern auch primärrechtlich begründen.151 bb) Geschriebene und ungeschriebene Gewährleistungsinhalte des Rechts auf eine gute Verwaltung Nicht zuletzt wegen seiner Vielschichtigkeit152 wurde das Recht auf eine gute Verwaltung in der Literatur als „Supergrundrecht“153 und „Auffangtatbestand für die Anknüpfung an eine Rechtsbeeinträchtigung“154 bezeichnet. Dieser Gefahr hat sich der Rechtsanwender zu vergegenwärtigen, insbesondere auch im Hinblick auf die Frage nach dem Drittschutz dieser Norm. Zu seinen geschriebenen Gewährleistungsinhalten zählen nach Art. 41 Abs. 2 GRCh (i) das Recht einer jeden Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird; (ii) das Rechte einer jeden Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten unter Wahrung des legitimen Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses sowie (iii) die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen. Für die Frage der Schutznormeigenschaft kann in Bezug auf die geschriebenen Ausprägungen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, da diese Rechte sekundärrechtlich in das Kartellbzw. Fusionskontrollverfahrensrecht integriert sind.155 151 Etwa das Anhörungs-, Akteneinsichts- und Begründungsrecht in Art. 41 Abs. 2 GRCh. K.-D. Classen (Gute Verwaltung, 2008, S. 433), spricht bildlich davon, dass die sekundärrechtlichen Ausprägungen von Art. 41 GRCh „aufgesogen“ und dadurch grundrechtlich fundiert werden. 152 Heselhaus (in: ders./Nowak, EU-Grundrechte, 2006, § 57 Rn. 2) bezeichnet das Recht auf eine gute Verwaltung auch als „Sammelgrundrecht[. . .]“; K.-D. Classen (Gute Verwaltung, 2008, S. 429) als „konturlos“. s. auch Laubinger, in: FS Bull, 2011, S. 659 (662 f.). 153 So die Befürchtung von Jarass, EU-Grundrechte, 2005, § 36 Rn. 27. 154 Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 266. 155 Vgl. hierzu eingehend die Ausführungen in § 5 A. III. 2. a). Daneben garantiert Art. 41 Abs. 3 GRCh das Recht auf Schadensersatz und Absatz 4 bestimmt,
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Daneben enthält Art. 41 Abs. 2 GRCh eine Vielzahl ungeschriebener Ausprägungen.156 Hierzu zählt zunächst das Recht, innerhalb einer angemessenen Frist ein Handeln von der Union zu verlangen.157 In dieser Ausprägung schützt Art. 41 GRCh vor überlanger Verfahrensdauer; konkrete Handlungsanweisungen lassen sich aus der Vorschrift nicht ableiten.158 Da für jede Verfahrensphase getrennt zu prüfen ist, ob die Behörde schnell genug gehandelt hat, ist die Angemessenheit der Verfahrensdauer für den jeweiligen Einzelfall festzustellen.159 Diese Pflicht dient dem Schutz der Interessen der Wirtschaftsteilnehmer,160 von unnötigen Belastungen als Folge verzögerten Verwaltungshandelns verschont zu bleiben.161 Die Bedeutung dieses Prinzip für das Verfahren in Kartellsachen ist von der Rechtsprechung mehrfach betont worden.162 Insbesondere ist anerkannt, dass ein Verstoß gegen diese Verpflichtung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann.163 Weitere ungeschriebene Ausprägungen stellen das Sorgfaltsprinzip (1) und der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (2) dar. (1) Die Ausprägung als Sorgfaltsprinzip Das Sorgfaltsprinzip164, das in diesem Zusammenhang als Ausprägung des Rechts auf eine gute Verwaltung verstanden wird,165 verpflichtet zur dass sich jede Person in einer der Sprachen der Verträge an die Organe der Union wenden kann und eine Antwort in derselben Sprache verlangen kann. 156 Fallgruppenartige Aufzählung bei K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 333 ff. 157 EuGH Rs. 120/73, Slg. 1973, 1471 (Rn. 4) – Lorenz; C-270/99 P, Slg. 2001, I-9214 (Rn. 23 f.) – Z; EuG T-305/94 u. a., Slg. 1999, II-931 (Rn. 121) – Limburgse Vinyl Maatschappij. Eingehend K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 334 ff., dort auch m. Nwn. zu anderen Herleitungen. Speziell für das Kartellverwaltungsverfahren de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkungen Rn. 17. 158 EuG T-213/95, Slg. 1997, II-1739 (Rn. 60) – SCK. 159 Vgl. für das Kartellrecht insb. die Nw. bei K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 338 mit Fn. 625. 160 So ausdr. GA Mischo, SchlA zu EuGH C-244/99 P, Slg. 2002, I-8398 (Rn. 96) – DSM; EuGH Rs. 223/85, Slg. 1987, 4617 (Rn. 12 ff.) – RSV; s. auch K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 335; Haibach, NVwZ 1998, 456 (459). 161 K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 335 m. w. Nwn. 162 EuGH C-282/95, Slg. 1997, I-1503 (Rn. 37 f.) – Guérin automobiles; EuG T-213/95 u. a., Slg. 1997, II-1739 (Rn. 56) – SCK.; T-228/97, Slg. 1999, II-2969 (Rn. 276) – Irish Sugar; T-67/01, Slg. 2004, II-49 (Rn. 36) – JCB Service. 163 EuGH C-385/07, Slg. 2009, I-6155 (Rn. 195) – DSD; GA Mischo, SchlA zu EuGH C-244/99, Slg. 2002, I-8398 (Rn. 100, 103, 106) – Limburgse Vinyl Maatschappij. 164 s. zum Begriff auch Nehl/Wurmnest, EuR 2001, 101 (103: „Sorgfalts- und Untersuchungsgrundsatz“).
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sorgfältigen und unparteiischen Untersuchung aller relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls.166 Dies gilt sowohl für die Vorbereitung als auch für den Erlass eines Beschlusses. Insbesondere ist die Kommission verpflichtet, sich mit den Vorschlägen von Verfahrensbeteiligten auseinanderzusetzen sowie ihre Einwände eingehend zu prüfen.167 Soweit diese nicht berücksichtigt worden sind, ist dies ausführlich zu begründen.168 Der allgemeinen Pflicht, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalles zu untersuchen, lassen sich verschiedene Ausprägungen169 zuordnen: Die Pflicht zur sorgfältigen Sachverhaltsprüfung vor belastenden Maßnahmen (a)), zur sorgfältigen und unparteiischen Behandlung von Beschwerden (b)), zum Nachfragen bei Unklarheiten im Rahmen der Prüfung von Unterlagen (c)) sowie die Pflicht zu Hinzuziehung von Sachverständigen (d)). (a) Die Pflicht zur sorgfältigen Sachverhaltsprüfung vor belastenden Maßnahmen Vor dem Erlass belastender Maßnahmen verpflichtet das Sorgfaltsprinzip zur sorgfältigen Sachverhaltsüberprüfung auf der Grundlage aller Informationen, die sich auf das Ergebnis auswirken können.170 Soweit eine Handlung zu schwerwiegenden wirtschaftlichen Folgen bei dem Adressaten führen kann, hat die Kommission dessen Verhalten zu untersuchen und die möglichen Auswirkungen der Untersuchung auf das Ansehen des Unterneh165
Dies ist nicht unbestr., die Rspr. stellt teilw. auf die „Grundsätze[. . .] der ordnungsgemäßen Verwaltung, [die] Rechtssicherheit und [die] Gleichbehandlung“ (EuG T-73/95, Slg. 1997, II-381 (Rn. 32) – Oliveira; T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 41) – New Europe Consulting), teilw. nur auf den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung ab, so z. B. EuGH C-47/07, Slg. 2008, I-9761 (Rn. 92) – Masdar, teilw. werden das Sorgfaltsprinzip und das Recht auf eine gute Verwaltung nebeneinander gestellt, s. etwa EuG T-240/07, Slg. 2011, II-3355 (Rn. 263) – Heineken. s. auch K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 346 f.; wie hier auch Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 264 f. 166 EuGH C-269/90, Slg. 1991, I-5469 (Rn. 14) – TU München; EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 73) – Nölle (wobei EuGH und EuG nicht ausdr. auf das Sorgfaltsprinzip rekurrieren); T-73/95, Slg. 1997, II-381 (Rn. 32) – Oliveira; T-240/07, Slg. 2011, II-3355 (Rn. 268) – Heineken. 167 EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 74 f.) – Nölle. 168 EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 74 f., 76) – Nölle. 169 Nach K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 348 ff. 170 EuG T-73/95, Slg. 1997, II-381 (Rn. 32) – Oliveira; T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 41) – New Europe Consulting; speziell für das Kartellrecht schon EuGH Rs. 56/64 u. a., Slg. 1966, 321 (395 f.) – Consten und Grundig; allg. Bauer, Gute Verwaltung, 2002, S. 51 ff.
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mens zu beachten.171 Insbesondere ist sie verpflichtet, die in Rede stehenden Interessen, insbesondere die der Privatpersonen, gegeneinander abzuwägen.172 Dies gilt zunächst mit Blick auf den Erlass der avisierten Maßnahme.173 Fraglich ist dagegen, ob dieser Grundsatz auch dann Anwendung findet, wenn es nicht zu dem Erlass der Maßnahme oder zur Eröffnung des formellen Verfahrens kommt. Insoweit ist etwa an die Situation zu denken, dass die Kommission im Rahmen eines Auskunftsverlangens nach Art. 18 Abs. 3 VO 1/2003 Fragebögen verschickt, ohne das Verfahren förmlich zu eröffnen.174 Denkbar ist auch, dass ein Ermittlungsverfahren zwar eröffnet, später jedoch wieder eingestellt wird.175 Auch in diesen Fällen muss das Sorgfaltsprinzip gelten;176 ein anderes Ergebnis würde den Anwendungsbereich dieses Grundsatzes erheblich einschränken. Im Übrigen kann in dem gewählten Beispiel auch das Auskunftsverlangen selbst als Maßnahme begriffen werden, die von der Kommission erlassen wird. Folglich findet diese Pflicht unabhängig von dem Ergebnis des Handelns Anwendung, sie stellt nur auf das Handeln an sich ab und verpflichtet hierbei zur Wahrung der erforderlichen Sorgfalt. Schließlich dient das Ermittlungsverfahren auch dazu, der Kommission erst den Sachverhalt darzulegen, damit sie gegebenenfalls ein förmliches Verfahren gemäß Art. 11 Abs. 6 VO 1/2003 eröffnen kann. Insoweit soll sich die Kommission vergewissern, ob sie ein Verfahren eröffnen kann. Dies setzt jedoch voraus, dass sie Kenntnis von den tatsächlichen Umständen hat, die dem Fall zugrunde liegen. Gewisse Einschränkung kann das Sorgfaltsprinzip aus dem jeweils anzuwendenden Recht erfahren. So hat die Kommission im Rahmen von Verpflichtungszusagen (Art. 9 VO 1/2003) nur zu prüfen, ob die vorgeschlagenen Zusagen geeignet sind, ihre Bedenken auszuräumen, und ob das Unternehmen keine weniger belastende Zusage angeboten hat, die diese Bedenken ebenfalls auszuräumen vermag. Dabei ist die Kommission aller171
EuG T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 39 ff.) – New Europe Consulting. EuG T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 39) – New Europe Consulting. 173 EuG T-231/97, Slg. 1999, II-2403 – New Europe Consulting; T-167/94, Slg. 1995, II-2589 – Nölle. 174 Zur Zulässigkeit eines derartigen Vorgehens s. Art. 2 Abs. 3 Durchführungsverordnung: Danach kann die Kommission von ihren Ermittlungsbefugnissen Gebrauch machen, bevor sie ein Verfahren einleitet. s. zum Umfang, insb. zur Begrenzung der Begründungspflicht auch EuG T-293/11 – noch nicht veröffentlicht (Rn. 44 ff.) – Holcim. 175 Vgl. auch die Darstellung des zweistufigen Verwaltungsverfahrens in Kartellund Missbrauchssachen o. § 3 A. II. 3. a) aa) (1). 176 Ebenso für Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV Nehl/Wurmnest, EuR 2001, 101 (104 f.). 172
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dings zur Berücksichtigung der Interessen von Dritten verpflichtet.177 Sie ist indes nicht verpflichtet, selbst nach weniger belastenden oder angemesseneren Lösungen als die ihr vorgeschlagenen Verpflichtungszusagen zu suchen.178 (b) Die Pflicht zur sorgfältigen und unparteiischen Behandlung von Beschwerden Daneben ist die Kommission zur sorgfältigen und unparteiischen Behandlung von Beschwerden verpflichtet.179 Sie muss alle ihr von den Beschwerdeführern zur Kenntnis gebrachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte prüfen.180 Daneben kann die Kommission verpflichtet sein, über die in der Beschwerde enthaltenen Vorwürfe hinausgehend auch solche Umstände zu eruieren, die die Beschwerdeführer nicht ausdrücklich erwähnt haben.181 Dieser Punkt korreliert mit den Anforderungen an die Behandlung von Beschwerden im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003, wie sie die Kommission in ihrer entsprechenden Bekanntmachung konkretisiert hat.182 Durch Art. 41 Abs. 1 GRCh werden diese Anforderungen primärrechtlich verankert. Da diese Ausprägung der Sorgfaltspflicht typischerweise in Bezug zu setzen ist zur Drittgerichtetheit gegenüber sonstigen Personen, wird hierauf erst im Rahmen der diesbezüglichen Ausführungen183 eingegangen. (c) Die Pflicht zum Einholen weiterer Informationen im Rahmen der Prüfung von Unterlagen Die Kommission wird im Rahmen von Kartellverfahren mit einer Fülle von Unterlagen konfrontiert. Neben den Anmeldungen bei den Fusionskontrollverfahren184 ist in diesem Zusammenhang insbesondere an das Auskunftsrecht der Kommission bei Kartellverwaltungsverfahren zu denken: Art. 18 VO 1/2003 vermittelt der Kommission die Befugnis, durch ein177 EuGH C-441/07 P, Slg. 2010, I-5949 (Rn. 41) – Alrosa. Krit. insoweit Klees, EWS 2011, 14 (16 f.); Hennig, ZWeR 2010, 440 (448 ff.). 178 EuGH C-441/07 P, Slg. 2010, I-5949 (Rn. 61) – Alrosa. 179 EuG T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 48) – max.mobil. 180 EuGH C-449/98 P, Slg. 2001, I-3875 (Rn. 45) – International Express Carriers Conference. 181 So EuGH C-367/95, Slg. 1998, I-1719 (Rn. 62) – Sytraval. 182 s. dazu schon o. im ersten Teil in Fn. 87. 183 § 5 A. III. 3. 184 s. etwa im Zusammenhang mit der Anmeldung von Zusammenschlussvorhaben die Anforderungen im Formblatt CO, das der Durchführungsverordnung zur FKVO anliegt.
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faches Auskunftsverlangen oder durch Auskunftsentscheidung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen zu verlangen, dass diese ihr alle erforderlichen Auskünfte erteilen. Ferner ist an im Wege der Ausübung ihrer Nachprüfungsbefugnisse der Art. 20 und 21 VO 1/2003 erlangte Unterlagen zu denken. Die Verpflichtung zum sorgfältigen Umgang mit den Unterlagen und zu ihrer Kenntnisnahme wurde schon angesprochen.185 Aus dem Sorgfaltsprinzip resultiert darüber hinaus auch die Verpflichtung der Kommission, bei der Prüfung von Unterlagen, die ihr vorgelegt werden, bei Unklarheiten und Mehrdeutigkeiten nachzufragen.186 Ebenso folgt aus diesem Grundsatz die Verpflichtung zur Anforderung weiterer Informationen, soweit diese aus den Unterlagen nicht ersichtlich sind.187 (d) Die Pflicht zur Hinzuziehung von Sachverständigen Zum Ausbau des ökonomischen Sachverstandes und zur Unterstützung und unabhängigen Beratung der kartell- und fusionsverwaltungsrechtlichen Tätigkeit hat die Kommission zum 1. September 2003 das Amt des Chefökonomen (Chief Competition Economist) geschaffen.188 Soweit der vorgehaltene Sachverstand nicht ausreicht, ist die Kommission überdies zur Heranziehung von Experten zur Beurteilung eines Sachverhaltes verpflichtet.189 (2) Die Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsprinzip Neben diesen besonderen Gewährleistungen verpflichtet das Sorgfaltsprinzip den Rechtsanwender ganz allgemein, die geltenden Vorschriften korrekt anzuwenden.190 Insoweit erfährt das Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung191 durch das Recht auf eine gute Verwaltung einen subjektivrechtlichen Gehalt und wird dadurch grundrechtlich aufgewertet. Das Sorg185
§ 5 A. III. 2. b) bb) (1) (a). EuG T-211/02, Slg. 2002, II-3781 (Rn. 37) – Tideland Signal. 187 EuG T-105/96, Slg. 1998, I-285 (Rn. 73 ff.) – Pharos. 188 Röller/Buigues, The Office of the Chief Competition Economist at the European Commission, 2005, S. 2. 189 K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 354. 190 EuGH Rs. 33/87, Slg. 1988, 3011 (Rn. 23) – Christianos; in diese Richtung auch EuG T-42/96, Slg. 1998, II-401 (Rn. 165 ff.) – Eyckeler & Malt; K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 363; Bauer, Gute Verwaltung, 2002, S. 67 f. 191 Zum Gesetzmäßigkeitsprinzip im Europarecht etwa v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 346 ff. 186
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faltsprinzip kann in dieser Ausprägung dann als eine Art „Transmissionsriemen“ dazu führen, bei einem Verstoß gegen die nach der hier vertretenen Ansicht nicht als verletzbare Schutznormen in Betracht kommenden192 Wettbewerbsregeln einen Schutznormverstoß zu begründen. Insoweit besteht eine Parallele zum deutschen Staatshaftungsrecht, das ebenfalls die Amtspflicht kennt, nicht rechtswidrig zu handeln.193 Ferner kann eine weitere Parallele zum Primärrechtsschutz gezogen werden, da die Nichtigkeitsklage auf die Verletzung des AEUV oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm gestützt werden kann, Art. 263 Abs. 2 AEUV. Danach findet eine Überprüfung etwa dahingehend statt, ob die Tatbestandsvoraussetzungen der Wettbewerbsregeln erfüllt sind und die Kommission den betreffenden Unternehmen daher zutreffend einen Verstoß zur Last gelegt hat.194 Durch die vorgeschlagene Konstruktion kann diese Überprüfung auch im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes erfolgen. Diese Auffassung könnte sich indes zur vorher vertretenen Auffassung in Widerspruch setzen, wonach die Wettbewerbsregeln als solche nicht geeignet sind, Schutznormen im Rahmen der außervertraglichen Haftung darzustellen. Der subjektive Gehalt der Wettbewerbsregeln stand indes auch bei dieser Feststellung außer Frage. Vielmehr wurden die Ansätze in Rechtsprechung und Literatur, im Rahmen der außervertraglichen Haftung auf die Wettbewerbsregeln als solche abzustellen, deshalb abgelehnt, weil ein Verstoß der Kommission gegen diese Normen mangels Adressatenstellung undenkbar ist. Anders stellt sich jedoch die Situation in Bezug auf den aus dem Sorgfaltsprinzip folgenden Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung dar. Soweit die Verwaltung eine Maßnahme trifft, die mit geltendem Recht unvereinbar ist, verletzt sie dieses Prinzip. Aufgrund der Anknüpfung an das Sorgfaltsprinzip, das sich seinerseits aus Art. 41 GRCh ableitet und daher den Rang eines Grundrechts genießt, kann der Ausprä192
§ 5 A. III. 1. a). s. zu dieser der h. M. entsprechenden Konstruktion im dritten Teil bei Fn. 12. 194 s. nur Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 527. Vgl. in diesem Zusammenhang die Ausführungen bei EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 85) – MyTravel zum Verhältnis der richterlichen Kontrolle i. R. der Schadensersatz- und der Nichtigkeitsklage: Die Prüfung von Schadensersatzansprüchen „ist als solche anspruchsvoller als die Prüfung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, bei der das Gericht innerhalb der Grenzen der vom Kläger vorgetragenen Klagegründe nur die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung prüft, um festzustellen, ob die Kommission die verschiedenen Faktoren richtig beurteilt hat, aufgrund deren ein angemeldeter Zusammenschluss für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt [. . .] erklärt wird. Daher kann [. . .] die Tatsache, dass [. . .] schlichte Beurteilungsfehler und die Nichtvorlage tragfähiger Beweise festgestellt wurden, als solche nicht ausreichen, um eine offenkundige und erhebliche Überschreitung der Grenzen darzutun, denen das Ermessen der Kommission bei der Fusionskontrolle und bei Bestehen einer komplexen Oligopolsituation unterliegt“. 193
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gung als Gesetzmäßigkeitsprinzip die Schutznormeigenschaft nicht abgesprochen werden. Ein derartiger Ansatz ist jedoch nicht unproblematisch. Er birgt die Gefahr, dass das Schutznormerfordernis obsolet wird bzw. in die Nähe der Beliebigkeit rückt, wenn insoweit jeder Verstoß gegen das objektive Recht in der außervertraglichen Haftung der Union resultieren kann. Durch die Hintertür könnte dadurch ein Haftungsrecht geschaffen werden, das die ursprünglich mit dem Schutznormerfordernis verfolgten Zwecke195 nivelliert. Das „Supergrundrecht“ des Art. 41 GRCh könnte dann auch haftungsrechtlich als „Allzweckwaffe“ in Stellung gebracht werden. Einer Umgehung des Schutznormerfordernisses würde Tür und Tor geöffnet. In diese Richtung lassen sich auch einige Entscheidungen der Gerichte verstehen, nach denen dieser Grundsatz für sich genommen nicht drittschützend ist.196 Ebenfalls kritisch wird dieser Ansatz in Teilen der Literatur gesehen.197 Diese Kritik ist jedoch unbegründet: So ist das Erfordernis der Schutznormverletzung nur ein Bestandteil des Schadensersatzanspruches nach Art. 340 Abs. 2 AEUV. Die insoweit festgestellte Rechtswidrigkeit eines Kommissionsbeschlusses kann also nicht mit dem Bestehen von Schadensersatzansprüchen gleichgesetzt werden.198 Vielmehr müssen die übrigen Voraussetzungen des Anspruches vorliegen. Im Übrigen ist daran zu erinnern, dass die Rechtsprechung das Schutznormerfordernis weit auslegt.199 Die hier durch das Gesetzmäßigkeitsprinzip erfolgte Verknüpfung des objektiven Rechts mit dem Sorgfaltsprinzip schafft jedenfalls für die hier interessierenden Fälle der Wettbewerbsregeln des Vertrages erst die Voraussetzungen für die Verletzung des objektiven Rechts durch die Verwaltung. Vorzugswürdig erscheint daher eine Betrachtungsweise, nach der der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung in seiner Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung nur insoweit drittschützend ist, als die verletzte Norm ihrerseits jedenfalls auch einen subjektiven Gehalt aufweist. Insoweit steht diese Auffassung auch mit der Rechtsprechung in Einklang, wonach der Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung zwar als solcher dem Einzel195
Zu ihnen schon § 5 A. I. EuG T-196/99, Slg. 2001, II-3597 (Rn. 43) – Area Corva; T-193/04, Slg. 2006, II-3995 (Rn. 127) – Tillack. 197 Vgl. insb. Wakefield, CML Rev. 41 (2004), 235 (244: „[T]he right to good administration is [. . .] a fundamental right so that its breach will automatically satisfy the requirement of a sufficiently serious breach of law. This would appear to lead to a situation whereby every maladministration causing damage could give rise to a right of recompense.“). 198 EuG T-170/00, Slg. 2002, II-515 (Rn. 36) – Förde Reederei; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 85) – MyTravel; ferner Klumpp, ZWeR 2008, 441 (454). 199 Dazu schon o. bei Fn. 30. 196
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nen keine Rechte verleiht, jedoch, soweit er eine Ausprägung spezifischer Rechte des Einzelnen darstellt.200 An dieser Stelle sollen nicht die Grenzen dieses Ansatzes ausgelotet werden, vielmehr kann er mit Bezug auf die Wettbewerbsregeln des AEUV201 nutzbar gemacht werden. Somit kann das Gesetzmäßigkeitsprinzip i. V. m. Art. 101 bzw. 102 AEUV als Schutznorm verstanden werden. Diese Grundsätze gelten auch für Maßnahmen im Ermittlungsverfahren. Zwar dient es in erster Linie der Aufgabenwahrnehmung durch die Kommission, indem es sie in die Lage versetzen soll, über das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln zu befinden. Jedoch ist die Kommission durch das Sorgfaltsprinzip verpflichtet, auch zugunsten der beteiligten Unternehmen zu ermitteln. Daher sind dessen Interessen von der Kommission jedenfalls zu beachten, was im Ergebnis für die Bejahung eines entsprechenden Schutzzwecks ausreichend ist. (3) Das Recht auf eine gute Verwaltung als Schutznorm? Ob das Recht auf eine gute Verwaltung bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, wurde teilweise schon beantwortet: So kann für die in Art. 41 Abs. 2 GRCh normierten Rechte vollumfänglich auf die jeweiligen spezialgesetzlichen Ausprägungen im Kartellverwaltungsrecht verwiesen werden. Den Schutzcharakter des Sorgfaltsprinzips stellt das EuG „nicht in Frage“202, auch auf das nach hier vertretener Auffassung als Schutznorm fungierende Gesetzmäßigkeitsprinzip wurde schon eingegangen. Im Übrigen kann für die weiteren Ausprägungen eine pauschale Antwort nicht gegeben werden. Ein Rückgriff auf Art. 41 Abs. 3 GRCh zur Bejahung des Drittschutzes des Rechts auf eine gute Verwaltung scheidet hierbei aus, da Absatz 3 insoweit nur die Institution einer unionsrechtlichen Staatshaftung garantiert. Art 41 Abs. 3 GRCh ist daher das grundrechtliche Korrelat zu Art. 340 Abs. 2 AEUV und bei der hier zu untersuchenden Frage nicht zielführend. 200 EuG T-196/99, Slg. 2001, II-3597 (Rn. 43) – Area Voca; T-193/04, Slg. 2006, II-3995 (Rn. 127) – Tillack. Relativierend auch EuGH C-47/07, Slg. 2008, I-9761 (Rn. 93) – Masdar; vgl. auch v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 80. 201 Zum individualschützenden Gehalt dieser Vorschriften schon § 3 A. II. 1. und § 5 A. III. 1. a). 202 EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 76) – Nölle. s. auch EuG T-73/89, Slg. 1990, II-619 (Rn. 35) – Barbi; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 50) – MyTravel; T-333/10 – noch nicht veröffentlicht – (Rn. 93) – Animal Trading Company; dagegen offengelassen in EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 – (Rn. 32 ff.) – Idromacchine.
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Grundsätzlich entfaltet das Recht auf eine gute Verwaltung als solches keinen Drittschutz, soweit es keine Ausprägung spezifischer Rechte darstellt. Tatsächlich sind nur wenige Entscheidungen der europäischen Gerichte ersichtlich, die einer derartig begründeten Haftungsklage stattgaben.203 In der Literatur ist das Meinungsbild nicht eindeutig; während der Drittschutz von manchen bejaht wird,204 streiten andere Stimmen gegen die Anerkennung einer drittschützenden Wirkung dieses Grundsatzes205. Richtigerweise dürfte zu differenzieren sein. Da die Unbestimmtheit des Grundsatzes der ordnungsgemäßen Verwaltung jedenfalls die Ableitbarkeit eines klar erkennbaren Schutzgehalts erschwert, spricht dies zunächst gegen die Schutznormeigenschaft der Norm. Ebenso besteht die Gefahr, dass Art. 41 GRCh zu einer „Allzweckwaffe“ mutiert.206 Dagegen vermittelt die Verortung in der GRCh dem Recht auf eine gute Verwaltung einen besonderen Gehalt. Teilweise wird es auch als Verteidigungsrecht verstanden.207 Vorzugswürdig erscheint daher eine Auffassung, die auf die jeweilige Ausprägung des Grundsatzes abstellt, deren Verletzung gerügt wird.208 In Bezug auf die klassischen Verteidigungsrechte, wie das Recht auf Anhörung oder das Recht auf Akteneinsicht, ist der Drittschutz mit den oben vorgebrachten Argumenten zu bejahen. Soweit geltend gemacht wird, die Kommission habe die Wettbewerbsregeln fehlerhaft angewandt, kann die Verletzung des Sorgfaltsprinzips in seiner Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsprinzip der Verwaltung geltend gemacht werden. Hier kann über diesen Transmissionsriemen die Verletzung einer drittschützenden Norm wie Art. 101 oder 102 AEUV gerügt werden.
203 So in EuG T-73/89, Slg. 1990, II-619 (Rn. 35, 42) – Barbi; T-231/97, Slg. 1999, II-2403 – New Europe Consulting; T-344/00, Slg. 2003, II-229 (Rn. 103) – CEVA. 204 Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 718; Heselhaus, in: ders./Nowak, EU-Grundrechte, 2006, § 57 Rn. 5, 72; Haibach, NVwZ 1998, 456 (462); krit. Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 265 mit Fn. 1291. 205 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 80; Laubinger, in: FS Bull, 2011, S. 659 (663); Wakefield, CML Rev. 41 (2004), 235 (244). 206 Vgl. schon § 5 A. III. 2. b) aa) sowie die Nw. in Fn. 153 f. 207 Kerse/Kahn, EU Antitrust Procedure, 6. Aufl. 2012, Rn. 4-002. 208 In diese Richtung EuG Slg. 2006, II-3995 (Rn. 127) – Tillack; v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 80; Laubinger, in: FS Bull, 2011, S. 659 (663); Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 265.
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c) Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich die Existenz drittschützender Normen in Bezug auf die Adressaten kartellverwaltungsrechtlicher Beschlüsse und Beteiligten derartiger Verfahren der Drittschutz in mehrerer Hinsicht bejahen. Dies gilt zunächst für die Verteidigungsrechte, die die Kommission im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zu berücksichtigen hat. Eine Verletzung dieser Normen ist daher grundsätzlich geeignet, Ansprüche der Geschädigten nach sich zu ziehen. Sekundärrechtliche Ansprüche sind weiterhin auch möglich, soweit ein Beschluss oder eine sonstige Maßnahme aus anderen Gründen rechtswidrig ist. Zwar handelt es sich entgegen der Rechtsprechung bei den Wettbewerbsregeln des Vertrages nicht um Schutznormen. Indes kann der Drittschutz über das Recht auf eine gute Verwaltung in seiner Ausprägung als Gesetzmäßigkeitsprinzip erreicht werden. Daneben ist im Bereich der Fusionskontrolle die drittschützende Funktion der Art. 2 FKVO anerkannt. In einem Haftungsprozess wird dieses Tatbestandsmerkmal daher nur selten Probleme aufwerfen. 3. Schutzrichtung zugunsten sonstiger Personen
Für diejenigen Personen, die am kartell- bzw. fusionskontrollverwaltungsrechtlichen Verfahren mit einigen Rechten beteiligt sind (a)), unterscheidet sich die Situation nicht von derjenigen der Entscheidungsadressaten. Schwieriger ist dagegen die Beurteilung der Schutzwirkung zugunsten sonstiger, nicht am Verfahren beteiligter Personen. Diesen Fällen soll unter (b)) nachgegangen werden. a) Ausstattung mit eigenen Verfahrensrechten Ob insoweit noch eine Bezeichnung als „sonstige Personen“ gerechtfertigt ist, kann mit Recht angezweifelt werden. Jedenfalls sind diese Personen in das Verfahren miteinbezogen und stehen damit näher an der Kommission als die Allgemeinheit. Dies trifft insbesondere auf den Beschwerdeführer eines kartell- bzw. missbrauchsverwaltungsrechtlichen Verfahrens zu.209 Verfahrensrechte, die auch sonstigen Personen zur Verfügung stehen, sind bspw. das Anhörungs- oder das Akteneinsichtsrecht: So besteht im Fusionskontrollverfahren nach Art. 18 Abs. 4 FKVO die Möglichkeit, dass die Kommission auch andere natürliche oder juristische Personen, die ein hinreichendes Interesse darlegen, anhören kann. Ein anderes Beispiel stellt 209 Zu den Pflichten bei der Behandlung einer Beschwerde noch § 5 A. III 3. b) aa) (2).
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
Art. 27 Abs. 3 VO 1/2003 dar, nach der die Kommission ebenfalls andere natürliche oder juristische Personen anhören kann. Soweit diese Personen ein hinreichendes bzw. ausreichendes Interesse nachweisen, verdichtet sich das der Kommission zustehende Ermessen nach Satz 2 der genannten Vorschriften zu einer gebundenen Entscheidung. Art. 27 Abs. 4 S. 2 VO 1/2003 räumt schließlich interessierten Dritten die Möglichkeit der Stellungnahme ein. Diese Rechte sind gerade geschaffen worden, um den Interessen derjenigen Personen Rechnung zu tragen, die zwar nicht Adressaten des Beschlusses sind, gleichwohl von diesem betroffen sind.210 Aus diesem Grund lässt sich auch ein entsprechender Schutzzweck bejahen. Im Zusammenhang mit Verpflichtungszusagen wurde schon angeführt, dass die Kommission auch zur Beachtung von Interessen dritter Personen verpflichtet ist.211 b) Keine Ausstattung mit Verfahrensrechten Für die Fälle sonstiger Dritter wird zunächst zwischen dem Kartell- und Missbrauchs- (aa)) und dem Fusionskontrollverfahren (bb)) differenziert, um abschließend auf die Bedeutung der Wirtschaftsgrundrechte einzugehen (cc)). aa) Im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht In Anlehnung an die vorgestellten Beispielsfälle können haftungsrechtliche Situationen in Betracht kommen, wenn die Kommission es rechtswidrig unterlässt, ein Kartell- oder Missbrauchsverfahren zu eröffnen. Da der Kommission in diesem Bereich ein weites Ermessen zugestanden wird, ist die Rechtswidrigkeit nicht ohne Weiteres zu bejahen.212 Regelmäßig wird es um ein Horizontal- bzw. Vertikalverhältnis gehen, so dass Ansprüche von Konkurrenten oder Abnehmern bzw. Lieferanten in Rede stehen. In derartigen Mehrpersonenverhältnissen bietet sich eine Differenzierung an zwischen der Frage, ob die Kommission überhaupt zum Einschreiten verpflichtet werden kann (1) und der weiteren Frage, inwieweit sie bei der Behandlung von Beschwerden die Interessen der Beschwerdeführer zu berücksichtigen hat (2).213 210 Vgl. Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, VO 1/2003 Art. 27 Rn. 59 ff. 211 Dazu schon § 5 A. III 2. b) bb) (1) (a). 212 Vgl. etwa Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2007, S. 209; Czaja, Haftung, 1996, S. 107; zum Ermessen in diesem Bereich schon o. im ersten Teil bei Fn. 91.
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(1) Keine Verpflichtung der Kommission zum Einschreiten Die Fallgruppen, in denen ein nicht erfolgtes Einschreiten der Kommission zum Gegenstand der außervertraglichen Haftung gemacht werden soll, werfen die Frage der Schutznormverletzung durch Unterlassen auf. Dieses Unterlassen ist nur dann rechtswidrig, wenn eine Pflicht zum Handeln besteht.214 Insoweit kommt der Feststellung der Schutznorm eine doppelte Bedeutung zu. (Öffentlich-rechtliche) Schadensabwendungspflichten, auf die es in dem hier interessierenden Bereich der Mehrpersonenverhältnisse ankommt, sind jedoch in erster Linie objektivrechtliche Pflichten, denn sie bestehen gegenüber der Allgemeinheit.215 Im Vergleich zu den oben angesprochenen Schutzrichtungen zugunsten der Aufsichtsobjekte oder aber sonstiger Verfahrensbeteiligte bedarf es im vorliegenden Bereich daher eines erhöhten Begründungsaufwandes. Die Existenz entsprechender Schutznormen könnte möglicherweise schon wegen der Stellung der Kommission als Verwaltungsbehörde zu verneinen sein: Insoweit wird sie grundsätzlich – wenn auch keineswegs ausschließlich216 – im öffentlichen Interesse tätig.217 Nach Art. 17 Abs. 1 S. 1 EU fördert die Kommission die allgemeinen Interessen der Union; nach Satz 3 der Vorschrift überwacht sie die Anwendung des Unionsrechts. Als „Hüter der Verträge“218 übt sie insbesondere Überwachungsfunktionen aus; ihr obliegt die Durchführung und die Ausrichtung der europäischen Wettbewerbspolitik.219 Mit den Worten des EuGH liegt es darüber hinaus „im Allgemeininteresse, wettbewerbswidrige Verhaltensweisen und Vereinbarungen zu verhindern, aufzudecken und zu ahnden.“220 Dagegen ist schon dar213
Vgl. auch Nehl, Europ. Verwaltungsverfahrensrecht, 2002, S. 345. Statt aller Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 Rn. 15. 215 Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 200. 216 Stockenhuber, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Bd. II, 47. EL 4/2012, Art. 101 AEUV Rn. 229. 217 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 85) – Automec; Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87), Rn. 27; de Bronett, EU-Kartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2011, Allgemeine Vorbemerkungen Rn. 34; Meessen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, Einführung Rn. 32. Dazu, dass die Verwaltung stets im öffentlichen Interesse handelt, nur Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 1 Rn. 33. 218 H. P. Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 361. Dies entspricht dem Selbstverständnis der Kommission, s. ec.europa.eu/eu_law/introduction/com mission_role_de.htm [abgerufen am 16.4.2014]. 219 EuGH C-234/89, Slg. 1991, I-935 (Rn. 44) – Delimitis. Dazu noch u. § 5 B. III 1. b) aa). 220 EuGH C-204/00 P u. a., Slg. 2004, I-123 (Rn. 54) – Aalborg Portland. 214
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
gestellt worden, dass es zur Bejahung einer entsprechenden Schutznorm ausreichend ist, wenn neben den individualschützenden Zweckrichtungen auch anderen Ziele verfolgt werden.221 Folglich kann dieser Grund als solcher der Anerkennung einer Schutznorm nicht entgegenstehen. In der Rechtsprechung der europäischen Gerichte ist im Weiteren auch geklärt, dass eine Schadensersatzklage nicht auf die Nichteinleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission (Art. 258 AEUV) gestützt werden kann.222 Hierfür wird regelmäßig die mangelnde Verpflichtung der Kommission zur Einleitung eines derartigen Verfahrens223 (und damit korrespondierend die fehlende Rechtswidrigkeit einer entsprechenden Weigerung) angeführt. Mangels entsprechender Verpflichtung kann die Nichteinleitung keine Haftungsfolgen nach sich ziehen.224 Insoweit lassen sich Parallelen zur Kartellaufsicht aufzeigen. Während sich die allgemeine Aufsicht der Kommission gemäß Art. 17 Abs. 1, 258 AEUV auf die Mitgliedstaaten bezieht, beschränkt sich Letztere auf die am Wirtschaftsverkehr teilnehmenden Unternehmen. Die kartellaufsichtsrechtliche Tätigkeit der Kommission stellt daher einen Sonderfall der Aufsicht dar.225 Die Frage, ob die Aufgreifvorschriften im Kartell- und Missbrauchsaufsichtsrecht der Kommission insoweit drittschützend sind, als dass bei fehlendem oder unzureichendem Einschreiten Dritte, insbesondere Kunden oder Konkurrenten, Schadensersatzansprüche geltend machen können, ist indes nicht (ausschließlich) durch einen Vergleich mit verwandten Instituten zu beantworten, sondern vielmehr durch Auslegung der jeweiligen Normen, also der Art. 7 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 und Art. 2 Abs. 1 Durchführungsverordnung. Die Einleitung eines Kartellverwaltungsverfahrens steht hierbei 221
s. bereits o. in Fn. 32. EuGH C-72/90, Slg. 1990, I-2181 (Rn. 13 ff.) – Asia Motor France; EuG T-440/03 u. a., Slg. 2009, II-4883 (Rn. 62) – Arizmendi; v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 79 m.Nwn. aus der Rspr. Eingehend dazu Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 208 ff.; Czaja, Haftung, 1996, S. 121 ff. 223 EuGH Rs. 247/87, Slg. 1989, 291 (Rn. 11) – Star Fruit; C-196/97, Slg. 1998, I-199 (Rn. 12) – Intertronic F. Cornelis; Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 258 AEUV Rn. 18 m. w. Nwn. 224 EuGH C-87/89, Slg. 1990, I-1981 (Rn. 6, 17) – Sonito; C-55/90, Slg. 1992, I-2533 (Rn. 23) – Cato; EuG T-440/03 u. a., Slg. 2009, II-4883 (Rn. 62) – Arizmendi; s. auch Karpenstein, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 258 AEUV Rn. 19. Umstr. ist, ob dieser Umstand bereits zur Unzulässigkeit oder erst zur Unbegründetheit der Klage führt. 225 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 74) – Automec; T-77/92, Slg. 1994, II-549 (Rn. 63) – Parker Pen; T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 52) – max.mobil; Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 216. Zum Begriff der Aufsicht bereits § 3 A. I. 1. 222
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im Ermessen der Kommission.226 Infolgedessen verneint die Rechtsprechung sowohl einen Anspruch auf Erlass eines kartellverwaltungsrechtliches Beschlusses gegen Dritte als auch einen Anspruch auf Erlass eines Beschlusses über das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Wettbewerbsbeschränkung.227 Zudem ist die Kommission nicht verpflichtet, überhaupt Untersuchungsmaßnahmen zu ergreifen.228 Angesichts der Weite und Allgemeinheit der in den Art. 101 f. AEUV festgelegten Tatbestandsmerkmalen muss sie bei der Erfüllung ihrer kartellaufsichtsrechtlichen Aufgabe Prioritäten festlegen können.229 Hierbei berücksichtigt sie das „Gemeinschafts[nunmehr: Unions]interesse“230 und ist nicht an schematische Kriterien gebunden.231 Sie hat vielmehr die Bedeutung der behaupteten Zuwiderhandlung für das Funktionieren des Binnenmarktes, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises ihres Vorliegens und den Umfang der notwendigen Ermittlungsmaßnahmen gegeneinander abzuwägen, um ihre Aufgabe der Überwachung der Einhaltung der Wettbewerbsregeln bestmöglich zu erfüllen.232 In der Regel beschränkt sich die Kommission darauf, nur die schwerwiegenden grenzüberschreitenden Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln aufzugreifen.233 Anderenfalls wäre die Erreichung ihrer Aufgabe, die europäische Wettbewerbspolitik gestaltend zu bestimmen, gefährdet.234 226 Art. 2 Abs. 1 Hs. 1 Durchführungsverordnung: „Die Kommission kann jederzeit die Einleitung eines Verfahrens [. . .] beschließen.“ [Hervorhebung nicht im Original]; s. auch statt vieler nur Klees, EU-Kartellverfahren, 2005, § 5 Rn. 2 m. w. Nwn. 227 St. Rspr., s. nur EuGH Rs. 125/78, Slg. 1979, 3173 (3189) – GEMA (noch für Art. 3 VO 17/62/EWG); EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 75) – Automec; Dieckmann, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 47 Rn. 8; Klees, EU-Kartellverfahren, 2005, § 6 Rn. 37; jeweils m. w. Nwn. 228 EuGH C-91/95 P, Slg. 1996, I-5547 (Rn. 30) – Roger Tremblay; EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 76) – Automec; T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 26) – CEAHR. 229 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 77, 84) – Automec; T-575/93, Slg. 1996 II-1 (Rn. 79) – Koelman; T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 27) – CEAHR; Weiß, in: Terhechte, Europ. Verwaltungsrecht, 2011, § 20 Rn. 11; Säuberlich, Die außervertragliche Haftung im Gemeinschaftsrecht, 2005, S. 217. 230 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 84) – Automec; T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 157) – CEAHR; T-119/09 – noch nicht veröffentlicht – (Rn. 34 ff.) – Protégé. s. ferner die einzelnen Fallgruppen in der Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87 im ersten Teil); Rn. 41 ff. sowie – nicht abschließend – die Übersicht bei Kerse/Kahn, EU Antitrust Procedure, 6. Aufl. 2012, Rn. 2-058 ff. 231 EuGH C-119/97, Slg. 1999, I-1341 (Rn. 79) – Ufex. 232 EuG T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 158) – CEAHR. 233 Kommission, Bekanntmachung über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87 im ersten Teil), Rn. 2; Monopolkommission, 19. Hauptgutachten 2010/2011, Rn. 461. 234 Klees, EU-Kartellverfahren, 2005, § 6 Rn. 37.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
Das Ermessen sichert also ihren diesbezüglichen Spielraum. Nur in Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung eine Überschreitung dieses Ermessensspielraums durch die Kommission festgestellt.235 In Ermangelung einer entsprechenden Verpflichtung zum Einschreiten ist das Nichteinschreiten grundsätzlich rechtmäßig. Daher ist die Existenz entsprechender Schutznormen im Regelfall zu verneinen. Zwar ließe sich ein Abstellen auf die herangezogene Rechtsprechung zum Primärrechtsschutz insoweit in Frage stellen, als die Gewährung von Sekundärrechtsschutz im europäischen Recht unter anderem als Kompensation für Defizite im Primärrechtsschutz gewährt wird.236 Da den Unternehmen in den vorgenannten Fällen ein Anspruch auf Einschreiten verwehrt und damit Primärrechtsschutz verwehrt wird, könnte die Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Sekundärrechtsschutz nach dieser Erwägung unzulässig sein. Indes liegt dieser Argumentation insbesondere die Ausgestaltung des Primärrechtsschutzes gegen Legislativakte zugrunde, die aufgrund der restriktiven Interpretation des Art. 263 Abs. 4 AEUV durch den EuGH nur eingeschränkt mit der Nichtigkeitsklage angegriffen werden kann. Bei der Anfechtung von Administrativakten der Union stellt sich dieses Rechtsschutzdefizit nicht. Insoweit kann dieser Gedanke nicht verfangen. Nur scheinbar im Widerspruch hierzu steht, dass nach der Rechtsprechung die Kartellvorschriften ihrer Natur nach geeignet sind, in den Beziehungen zwischen Einzelnen unmittelbare Wirkung zu erzeugen und unmittelbar in deren Person Rechte entstehen zu lassen.237 Diese Rechte bestehen zugunsten der Personen, für die sich die Wettbewerbsbeschränkungen nachteilig auswirken.238 Ein Haftungsrecht, das sich nur vom Schutz der individuellen Rechte leiten lässt, könnte aus diesem Grund den (haftungsrechtlichen) Drittschutz der Art. 101 und 102 AEUV annehmen. Eine derartige Auffassung muss sich jedoch an den übrigen Pfeilern messen lassen, auf denen das Haftungsrecht ruht. Aufgrund der unmittelbaren Anwendbarkeit dieser Vorschriften lässt sich ein Rechtsschutzdefizit nicht ausmachen, denn der Einzelne kann seine Schäden direkt bei den Verursachern liquidieren. Die Frage der Aktivlegitimation bestimmt sich – wie die gesamte Ausgestaltung des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches bei Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln239 – nach nationalem Recht und muss im Hinblick auf den Effektivitätsgrundsatz weit ausgelegt werden.240 Die Möglich235 Zu einer Ausnahme vgl. EuG T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 157 ff.) – CEAHR. 236 s. hierzu schon die Nw. in Fn. 6. 237 Vgl. etwa EuGH Rs. 127/73, Slg. 1974, 51 – BRT. 238 Vgl. Steindorff, ZHR 1986, 222 (230). 239 s. bereits § 3 A. II. 3. 240 Vgl. etwa BGHZ 190, 145 (151 ff.).
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keit der Inanspruchnahme zivilgerichtlichen Rechtsschutzes wird in der Rechtsprechung der europäischen Gerichte als Grund angeführt, Beschwerden zurückzuweisen.241 Ein derartiger Ausschluss des Drittschutzes ist schließlich auch vor dem Hintergrund der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen zu rechtfertigen. Mit der Anerkennung eines Drittschutzes soll auch den Risikosphären Rechnung getragen werden.242 Mit anderen Worten ist daher zu fragen, ob die Schäden (noch) im Verantwortungsbereich der Kommission liegen. Dies ist für die Fälle des unmittelbaren Schädigens durch Dritte zu verneinen, so dass auch vor diesem Hintergrund die Frage nach entsprechenden Schutznormen verneint werden muss. Somit können Konkurrenten, Konsumenten und Zulieferer ein Einschreiten der Kommission wegen vermeintlicher Wettbewerbsbeschränkungen nicht erreichen. In Ermangelung einer entsprechenden Verpflichtung kann auch die Schadensersatzklage nicht mit Erfolg auf ein entsprechendes Unterlassen der Kommission gestützt werden; insoweit stellen Art. 2 Abs. 1 Durchführungsverordnung bzw. Art. 7 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 keine Schutznormen zugunsten Dritter dar. Dieser Befund wird auch von der Rechtsprechung geteilt: So hatte das EuG in den Rechtssachen Automec243, Asia Motor France244, Européenne automobile245, GAARM246, Guérin Automobiles247, Louis Worms248, Service pour le groupement d’acquisitions249,
241 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 88 ff.) – Automec; T-5/93, Slg. 1995, II-185 (Rn. 65 ff.) – Roger Tremblay; T-575/93, Slg. 1996, II-1 (Rn. 75 ff.) – Koelman. Allg. zur Möglichkeit, vor nationalen Stellen Rechtsschutz zu erlangen, EuG T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 173 ff.) – CEAHR. s. auch Nehl, Europ. Verwaltungsverfahrensrecht, 2002, S. 344. 242 Vgl. zur Bedeutung angemessener Risikosphären bei der Haftung nur v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340, Rn. 12, 17 f. sowie o. im ersten Teil in Fn. 285. 243 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (für den Fall des Art. 102 AEUV). 244 EuG T-28/90, Slg. 1992, II-2285 (am Bsp. des Art. 101 AEUV, abgewiesen wegen Unzulässigkeit aufgrund fehlender Darlegung des Schadens). 245 EuG T-9/96 u. a., Slg. 1999, II-3642 (für Art. 101 AEUV, unbegründet wegen fehlender Rechtswidrigkeit). 246 EuGH Rs. 289/83, Slg. 1984, 4295 (für den Fall des Art. 101 AEUV, unbegründet aufgrund fehlender Darlegung eines Wettbewerbsverstoßes durch die Kläger, ohne dass die Schutznormeigenschaft geklärt worden ist). 247 EuG T-195/95, Slg. 1996, II-171 (ebenfalls für das Kartellverbot des Art. 101 AEUV, abgewiesen wegen Unzulässigkeit aufgrund unzureichender Substantiierung der Schadenshöhe). 248 EuGH Rs. 18/60, Slg. 1962, 397 (Art. 65 §§ 1, 5 EGKS, unbegründet wegen fehlenden Nachweises der Voraussetzungen des Wettbewerbsverstoßes). 249 EuG T-89/95 u. a., Slg. 1999, II-3591 (Art. 101 AEUV, unbegründet wegen Rechtmäßigkeit).
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Sodima250 und SELEX251 jeweils Gelegenheit, zu der Frage Stellung zu nehmen, ob das Kartellverbot des Art. 101 AEUV als auch das Verbot des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen aus Art. 102 AEUV bezweckt, den Beschwerdeführern Rechte zu verleihen. In den genannten Entscheidungen lehnte das Gericht Schadenersatzansprüche zumeist aus prozessualen Gründen jeweils ab und behandelte die vorgenannte Frage daher regelmäßig nicht. Hierzu verhielt sich das EuG lediglich in der Sache Automec252 und verneinte eine entsprechende Schutzrichtung.253 (2) Pflichten der Kommission bei der Behandlung von Beschwerden Soweit der Kommission ein Sachverhalt aufgrund einer Beschwerde im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 unterbreitet wurde, treffen diese bestimmte Pflichten;254 ein Anspruch auf Tätigwerden besteht dagegen nicht. Hierauf wurde schon hingewiesen. Diese Pflichten bestehen im Einzelnen in der Untersuchung des ihr zur Kenntnis gebrachten Sachverhaltes sowie in einer sorgfältigen und unparteiischen Prüfung der vom Beschwerdeführer vorgebrachten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte und Argumente.255 Um der Kommission 250 EuG T-190/95 u. a., Slg. 1999, II-3617 (Situation des Art 101 AEUV, abgewiesen als unzulässig wegen unzureichender Klageschrift, aus der sich weder Art und Umfang des Schadens noch der Kausalzusammenhang erkennen ließen). 251 EuG T-186/05, Slg. 2007, II-94* (am Bsp. des Art. 102 AEUV, abgewiesen als teils offensichtlich unzulässig und teilw. offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend). 252 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 75, 109). In der Vorgängerentscheidung T-64/89, Slg. 1990, II-369 (Rn. 72 ff.) wies das Gericht die Klage noch als unzulässig ab, da die Klägerin keine Angaben zur Schadenshöhe machte, sondern diesen nur als „schweren Schaden“ bezeichnete. 253 In der ebenfalls einen Schadensersatzanspruch eines Beschwerdeführers betreffenden Entscheidung EuG T-575/93, Slg. 1996, II-1 (Rn. 85 ff.) – Koelman stützte dieser seinen Anspruch ausschließlich auf eine Verletzung des Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung. 254 Vgl. zu den Einzelheiten de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2011, Art. 7 Rn. 21. Allg. zu den Pflichten der Kommission bei der Behandlung von Beschwerden auch deren Bekanntmachung über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87 im ersten Teil) sowie Bauer, Gute Verwaltung, 2002, S. 55. 255 EuGH Rs. 210/81, Slg. 1983, 3045 (Rn. 19) – Demo-Studio Schmidt; Rs. 142/84 u. a., Slg. 1987, 4487 (Rn. 20) – BAT Reynolds; C-449/98, Slg. 2011 I-3875 (Rn. 45) – IECC; EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2233 (Rn. 79) – Automec; T-95/96, T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 48) – max.mobil; T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 28) – CEAHR; Dieckmann, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 47 Rn. 5; K.-D. Classen, Gute Verwaltung, 2008, S. 351 f. m. w. Nwn. auch zur Gegenansicht insb. in Fn. 698; Nehl, Europ. Verwaltungsverfahrensrecht, 2002, S. 345 f.
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eine möglichst umfassende Prüfung zu ermöglichen, müssen die Beschwerden bestimmten Anforderungen genügen. Die Einzelheiten sind in Art. 5–9 der Durchführungsverordnung und in dem dieser Verordnung als Anhang angefügten Formblatt C enthalten. Zudem besteht eine entsprechende Bekanntmachung der Kommission.256 Soweit die Beschwerde diesen notwendigen Anforderungen nicht genügt, bewertet sie die Kommission als allgemeine Informationen, die dann zu Ermittlungen von Amts wegen führen können.257 Differenzierungen danach, ob es sich um ein Verfahren wegen Verletzung der Art. 101, 102 oder 106 AEUV handelt, sind nicht vorzunehmen.258 Die Rechtsprechung knüpft diese Untersuchungs- und Berücksichtigungspflichten bisweilen auch an das oben näher beschriebenen Recht auf eine gute Verwaltung, Art. 41 Abs. 1 GRCh, in seiner Ausprägung als Sorgfaltspflicht, an.259 Im Übrigen wird auf den Vertrag bzw. die im Sekundärrecht verorteten Verfahrensrechte abgestellt.260 Diese Pflichten müssen die Kommission auch treffen, wenn ihr ein Sachverhalt nicht durch eine formelle Beschwerde im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003, sondern durch formlose Zurverfügungstellung von Marktinformationen zur Kenntnis gebracht worden ist.261 Ein kontradiktorisches Verfahren zwischen dem Kartellgeschädigten und den Kartellanten sieht das Kartellrecht der Union schließlich nicht vor; vielmehr bleibt es bei dem behördlichen Verfahren vor der Kommission. Durch die Stellung als Beschwerdeführer kommt der Geschädigte in den Genuss bestimmter Verfahrenspositionen, die die Kommission bei der Behandlung der Beschwerde zu berücksichtigen hat.262 Schließlich muss die Kommission die Beschwerde bescheiden.263 Insoweit kommt eine Verletzung dieser Pflichten in Betracht, die zu Schadensersatzansprüchen führen 256
s. dazu im ersten Teil, Fn. 87. Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87 im ersten Teil), Rn. 32. 258 EuG T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 53) – max.mobil. 259 EuG T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 48) – max.mobil. So auch vor der max.mobil-Entscheidung Nehl, Europ. Verwaltungsverfahrensrecht, 2002, S. 345. 260 EuG T-24/90, Slg. 992, II-2233 (Rn. 72) – Automec. s. auch die Nw. bei EuG T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 50) – max.mobil. 261 Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87 im ersten Teil), Rn. 4. 262 Insb. Informations- und Anhörungsrechte, vgl. im Einzelnen die Bekanntmachung der Kommission über die Behandlung von Beschwerden (Fn. 87 im ersten Teil), Rn. 64 ff. 263 Insb. muss der Beschwerdeführer unterrichtet werden, wenn die Kommission ein Ermittlungsverfahren nicht einleiten wird, s. Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 12 Rn. 14; Weiß, in: Terhechte, Europ. Verwaltungsrecht, 2011, § 20 Rn. 11. 257
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können.264 Wegen der grundrechtlichen Anknüpfung sind diese Pflichten auch als Schutznormen im vorbeschriebenen Sinne aufzufassen.265 (3) Zwischenergebnis Eine Verpflichtung der Kommission zum Einschreiten gegen ein (vermeintliches) Kartell bzw. ein seine Marktmacht möglicherweise missbräuchlich ausübendes Unternehmen besteht nicht. Hierbei macht es keinen Unterschied, ob es sich bei den Petenten um Kunden oder Konkurrenten handelt. Auch zugunsten von Verbrauchern sind entsprechende Verpflichtungen abzulehnen. Insoweit kommen daher auch keine Schutznormen in Betracht, deren Verletzung Schadensersatzansprüche gegen die Union nach sich ziehen. In Bezug auf den im Primärrechtswege klagebefugten Beschwerdeführer, Art. 263 Abs. 4 AEUV, existieren dagegen Schutznormen als jeweilige Ausprägungen des Rechts auf eine gute Verwaltung. bb) Im Bereich der Fusionskontrolle Bei der Schutzrichtung gegenüber sonstigen Personen im Rahmen der Fusionskontrolle geht es um die Schutznormeigenschaft von Art. 2 Abs. 2 FKVO. Diese Frage wird virulent, wenn ein Zusammenschluss trotz Nichtvorliegen der Freigabevoraussetzungen und daher rechtswidrig freigegeben wird. Nach Art. 7 Abs. 1 FKVO räumt die Freigabe den Zusammenschlussbeteiligten die Möglichkeit ein, den Zusammenschluss zu vollziehen. Der Vollzug führt regelmäßig durch eine neu entstandene bzw. verstärkte Konzentration zu einer Veränderung der Situation auf dem Markt. Den Widerstreit der Interessen der Zusammenschlussbeteiligten an einer zügigen Durchführung ihres Vorhabens und der Interessen betroffener Dritter, die eine Schwächung der eigenen wirtschaftlichen Stellung befürchten und daher eine genaue Prüfung des Zusammenschlusses wünschen, löst das europäische Fusionskontrollrecht tendenziell zugunsten der Zusammenschlussbeteiligten auf.266 Dies äußert sich etwa darin, dass die FKVO kein Antragsrecht Dritter zur Einleitung der behördlichen Kontrolle eines Zusammenschlusses kennt, denn gemäß Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 muss die An264 Für den Bereich der Beihilfenaufsicht, Art. 108 Abs. 2 AEUV, etwa Viegener, Drittschutz staats-, wirtschafts- und gemeinschaftsaufsichtsrechtlicher Bestimmungen, 2007, S. 241 f. Sehr krit. zum insoweit bestehenden Primärrechtsschutz de Bronett, ZWeR 2012, 157 (181); ders., WuW 2011, 441. 265 Zu diesem Ansatz schon o. in Fn. 146. 266 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 18 Rn. 50; K. Schmidt, Drittschutz, Akteneinsicht und Geheimnisschutz im Kartellverfahren, 1992, S. 100 ff.
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meldung von den beteiligten Unternehmen vorgenommen werden.267 Ebenso ist die Kommission insbesondere im Interesse der Zusammenschlussbeteiligten an die in Art. 10 FKVO normierten Fristen gebunden. Die Existenz von Schutznormen kann mit dieser Argumentation jedoch nicht prinzipiell verneint werden, da die Interessen dritter Personen bei der Prüfung der materiellen Voraussetzungen eines Zusammenschlussvorhabens einzubeziehen sind. Dies äußert sich schon in den Maßstabsnormen. So führt Art. 2 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) FKVO zunächst aus, dass die Kommission bei der Frage der Vereinbarkeit des Zusammenschlusses mit dem Gemeinsamen Markt (nunmehr Binnenmarkt) „die Notwendigkeit, im Gemeinsamen Markt wirksamen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, insbesondere im Hinblick auf die Struktur aller betroffenen Märkte und den tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerb durch innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen“ berücksichtigt. Daneben hat sie nach Art. 2 Abs. 1 UAbs. 2 lit. b) FKVO „die Marktstellung sowie die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischenund Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert“ zu berücksichtigen. Insoweit werden jedenfalls die Interessen der Konkurrenten (lit. a) sowie der Lieferanten und Abnehmer (lit. b) in den Blick genommen. Eine Vermutung, dass ein Zusammenschluss mit dem Binnenmarkt vereinbar ist, enthält das europäische Recht nicht.268 Zudem stützen auch die Erwägungsgründe der FKVO diesen Befund, da die FKVO nach Erwägungsgrund Nr. 5 die Verhinderung der dauerhaften Schädigung des Wettbewerbs gewährleisten soll. Die Existenz entsprechender Schutznormen ist daher im Grundsatz anzuerkennen. Fraglich ist, ob dieser Befund auch durch im Rahmen des Primärrechtsschutz anzustellende Erwägungen gestützt werden kann.269 Die Nichtigkeitsklage eines Nichtadressaten setzt nach Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV dessen 267 Vgl. Art. 4 Abs. 2 FKVO, der enumerativ den Kreis der möglichen Anmelder beschreibt. Die DurchführungsVO zur FKVO bezeichnet diese Personen daher auch als „Anmelder“, vgl. Art. 11 lit. a) Durchführungsverordnung zur FKVO. s. auch Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 18 Rn. 50. 268 EuG T-201/01, Slg. 2005, II-5575 (Rn. 61) – General Electric; T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 275 ff.) – Schneider; Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, Art. 16 FKVO Rn. 89. 269 Zur Kongruenz zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz bereits § 3 B. I.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
unmittelbare und individuelle Betroffenheit durch die angegriffene Handlung voraus. Die Rechtsprechung anerkennt im Grundsatz die Klagebefugnis eines Wettbewerbers gegen den freigebenden Beschluss der Kommission.270 Dies gilt jedenfalls für den unmittelbaren Wettbewerber, soweit sich durch die Freigabe die Situation auf dem betroffenen Markt oder den betroffenen Märkten unmittelbar ändert.271 Da Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV auch eine individuelle Betroffenheit voraussetzt,272 wird hingegen die Klagebefugnis von Kunden und Lieferanten der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen und damit der Marktgegenseite nur unter engen Voraussetzungen anerkannt.273 Rein objektive Eigenschaften wie etwa die Eigenschaft als Wirtschaftsteilnehmer auf einem bestimmten Markt sollen nach der Rechtsprechung nicht zur individuellen Betroffenheit führen.274 Für die Beantwortung der Frage, ob Art. 2 Abs. 2 FKVO bezweckt, diesen Personen Rechte zu verleihen, ist jedoch nicht auf Art. 263 Abs. 4 Var. 2 AEUV und damit auf die Einschränkungen des Primärrechtsschutz abzustellen, vielmehr ist Art. 2 Abs. 2 FKVO als insoweit einschlägige Maßstabsnorm in den Blick zu nehmen. Bei der Prüfung der Auswirkungen eines Zusammenschlusses hat die Kommission nach dem Gesagten auch die Interessen der Marktgegenseite zu berücksichtigen. Wegen des weiten Verständnisses der Schutznorm reicht diese Interessenberücksichtigung aus. Zudem sollen durch die außervertragliche Haftung gerade diejenigen Defizite ausgeglichen werden, die sich aus der restriktiven Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage ergeben.275 Überdies setzt die außervertragliche Haftung über die bloße Rechtswidrigkeit hinaus noch eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer drittschützenden Norm sowie einen kausalen Schaden voraus, während bei Bejahung der Klagebefugnis das Gericht in die Prüfung der Begründetheit der Nichtigkeitsklage einsteigt, vgl. Art. 263 Abs. 2 AEUV.276 Insoweit unterscheidet sich die Nichtigkeits- von der Schadensersatzklage, so dass es gerechtfertigt erscheint, zwischen diesen beiden Kla270
EuG T-290/94, Slg. 1997, II-2137 (Rn. 75 f.) – Kaysersberg. EuG T-290/94, Slg. 1997, II-2137 (Rn. 76 f.) – Kaysersberg; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 66 m. w. Nwn. 272 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 47, 54 ff. Hingegen weist das Merkmal der unmittelbaren Betroffenheit regelmäßig keine Probleme auf, da der Vollzug des Zusammenschlusses nach der Freigabe nur noch vom Willen der Parteien abhängt, s. Körber, a. a. O. Art. 16 FKVO Rn. 52 f. 273 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 74 f. 274 So m. w. Nwn. Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 438. 275 Dazu schon o. in Fn. 6. 276 Vgl. i. d. Sinne auch EuG T-21/03 Slg. 2008, II-1967 (Rn. 85) – MyTravel. 271
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gearten hinsichtlich der Position von Nichtentscheidungsadressaten zu differenzieren. Ob die jeweiligen Personenkreise auch am Verfahren beteiligt waren oder dieses aktiv mitgestaltet haben, ist an dieser Stelle irrelevant.277 Im Ergebnis ist daher eine entsprechende Schutzwirkung des Art. 2 Abs. 2 FKVO für sonstige Personen auf der Marktgegenseite bzw. auch auf anderen Marktstufen anzuerkennen. cc) Zur Bedeutung der Wirtschaftsgrundrechte, Art. 15–17 GRCh Bevor die in diesem Teil erzielten Ergebnisse zusammengefasst werden, wird abschließend auf die europäischen Wirtschaftsgrundrechte eingegangen. Diese sind nunmehr278 als Berufs- oder Eigentumsfreiheit, Art. 15 und 17, und als das in Art. 16 gewährleistete Grundrecht auf unternehmerische Freiheit in der GRCh normiert. Neben der Wettbewerbsfreiheit entnimmt die Rechtsprechung ihnen eine Vielzahl weiterer Gewährleistungen.279 Ihre besondere Bedeutung für das Kartellverwaltungsverfahren ist dabei in der Literatur anerkannt.280 Im Gegensatz dazu steht ihre tatsächliche Relevanz im Rahmen des Verfahrens und des gerichtlichen Rechtsschutzes gegen ein wirtschaftsaufsichtsrechtliches Handeln bzw. Unterlassen der Kommission: Dies folgt zunächst aus der Ausgestaltung der Nichtigkeitsklage des Art. 263 AEUV im Rechtsschutzsystem der Europäischen Union. Die Begründetheit der Klage folgt gemäß Art. 263 Abs. 2 AEUV bereits aus der Unzuständigkeit des handelnden Organs, aus der Verletzung wesentlicher Formvorschriften, aus dem Ermessensmissbrauch sowie aus der Verletzung der Verträge oder einer bei ihrer Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm. Dass der Kläger dagegen durch die angegriffene Maßnahme wie im deutschen Recht in seinen Rechten verletzt sein muss, ist im europäischen Recht nicht erforderlich.281 Daher ist die Zahl der Kla277 Die Beteiligung am Verwaltungsverfahren, der eine große Bedeutung für die Bejahung der Klagebefugnis zukommt (etwa Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, Art. 16 FKVO Rn. 23), kann jedoch für sich genommen zur Entstehung von drittschützenden Positionen führen, dazu schon § 5 A. III. 3. a). 278 Zur Situation vor Inkrafttreten der GRCh vgl. Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (28 f.); allg. zur GRCh schon im ersten Teil bei Fn. 185. 279 Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (29). Im Allgemeinen ist die Rspr. jedoch eher zurückhaltend bei der Präzisierung der jeweiligen Schutzbereiche, dazu Nowak, a. a. O., S. 33. 280 Statt vieler Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (24). 281 s. nur Sagmeister, Grundsatznormen, 2010, S. 134 f.; Kahl/Ohlendorf, JA 2011, 41.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
gen, die explizit auf eine Verletzung dieser Normen gestützt wurden, äußerst gering.282 Dass es sich bei den Grundrechten um Schutznormen handelt, steht außer Frage.283 Zu klären bleibt jedoch, ob und inwieweit diese Feststellung für die kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit der Kommission relevant wird. Diese Frage stellt sich zum einen bei Dritten, derentwegen die Kommission ein Einschreiten verweigert, und zum anderen bei Dritten im Zusammenhang mit einem Freigabebeschluss innerhalb der Fusionskontrolle. Während im letzteren Fall auch ohne Rückgriff auf die Grundrechte die Existenz entsprechender Schutznormen begründet werden konnte, ist die Situation innerhalb der ersten Fallgruppe anders. Die vorliegende Frage ist daher nur in diesen Fällen zu beantworten. Indes wird in der Regel nicht eine etwaige Verletzung wirtschaftlicher Grundrechte gerügt, sondern vielmehr Begründungsmängel, Ermessensfehler sowie eine fehlerhafte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes oder eine unrichtige Anwendung bzw. Auslegung der materiell-rechtlichen Wettbewerbsvorschriften durch die Kommission geltend gemacht.284 Soweit ein Nichteinschreiten der Kommission zum Anlass von Schadensersatzansprüchen gegen diese genommen wird, kommt nur eine Verletzung von Schutzpflichten in Betrachten.285 Bei der Ausgestaltung dieser Schutzpflichten kann der Gesetzgeber als hauptsächlicher Adressat dieser Verpflichtung regelmäßig einen weiten Ermessensspielraum für sich in Anspruch nehmen.286 Wegen der Existenz zivilrechtlicher Reaktionsmöglichkeiten287 erscheint das Konzept des Gesetzgebers als vertretbar. Aus den Grundrechten lässt sich daher ein anderes als das oben gefundene Ergebnis nicht herleiten.
282 Vgl. als Ausnahme etwa EuG T-116/01 u. a., Slg. 2003, II-2957 (Rn. 144 ff.) – P&Q European Ferries; T-54/99, Slg. 2002, II-313 (Rn. 48, 56 f.) – max.mobil; ferner Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (26). Zur Bedeutung der Verfahrensvorschriften im Rechtsschutzsystem der EU Rengeling/ Szczekalla, Grundrechte, 2005, Rn. 1096 sowie bereits § 5 A. III. 2. a). 283 EuG T-341/07, Slg. 2011, II-7915 (Rn. 75) – Sison; zum Eigentum EuGH Rs. 63/72 u. a., Slg. 1973, 1229 (Rn. 29 f.) – Wehrhahn; allg. Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 43; Beljin, Staatshaftung im Europarecht, 2000, S. 150; Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, 1997, S. 126 sowie o. in Fn. 146. 284 Nowak, in: Behrens/Braun/Nowak, Wettbewerbsrecht, 2004, S. 23 (40). Vgl. auch Art. 263 Abs. 2 AEUV. 285 Zur Ableitung von Schutzpflichten aus den EU-Grundrechten etwa Ehlers, in: ders., EU-Grundrechte, 3. Aufl. 2009, § 14 Rn. 35 f. 286 Zu aus politischen Gründen bestehenden Ermessensspielräumen § 5 B. III. 1. b) aa). 287 s. hierzu schon die Nw. im ersten Teil in Fn. 71.
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IV. Zwischenergebnis Das Vorliegen einer den Schutz des Einzelnen bezweckenden Norm wird bis auf den Fall des nicht erfolgten Einschreitens der Kommission regelmäßig bejaht werden können.
B. Die Art des Rechtsverstoßes Im vorangegangenen Abschnitt wurde die Entwicklung der an die Rechtswidrigkeit zu stellenden Anforderungen in Bezug auf die Qualität der verletzten Norm innerhalb der Rechtsprechung nachgezeichnet und erläutert sowie auf die Tätigkeit der Kommission im Rahmen der Kartellaufsicht angewandt. Dieser Abschnitt nimmt die Qualität des Rechtsverstoßes in den Blick. Hierfür wird zunächst auf die Entwicklung in der Rechtsprechung eingegangen (I.). Daran anknüpfend werden Prämissen für die weitere Untersuchung aufgestellt (II.), die schließlich auf die Kartellaufsicht angewandt werden (III.). I. Entwicklungen in der Rechtsprechung 1. Differenzierung nach der Handlungsform
Fast drei Jahrzehnte wurde die Beantwortung der Frage, ob die bloße Rechtswidrigkeit eines Verhaltens den Tatbestand der außervertraglichen Haftung erfüllt, von der Handlungsform des Unionsorgans abhängig gemacht:288 Stand mit einem Beschluss289 der Kommission eine administrative Maßnahme in Rede, wurde die bloße Rechtswidrigkeit als ausreichend erachtet.290 Höhere Maßstäbe stellte der EuGH an die Haftung im Zusammenhang mit Maßnahmen der Legislative an, also den Erlass von Richtlinien (Art. 288 Abs. 3 AEUV) oder Verordnungen (Art. 288 Abs. 2 AEUV). Als Leitentscheidung lässt sich insofern die Sache Schöppenstedt 288 Grundlegend EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt. Zur Entwicklung der Rspr. vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 686 f.; Biondi/Farley, Damages in EU Law, 2009, S. 100 ff.; Castillo de la Torre, in: Smit/Herzog, EU Law, 2007, TEC Art. 288, § 389-14 ff.; Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677, jeweils m. w. Nwn. 289 Vor dem Vertrag von Lissabon wurde dieser als Entscheidung bezeichnet, s. Art. 249 Abs. 4 EG; zu mit der neuen Bezeichnung einhergehenden Änderungen Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 288 AEUV Rn. 85 ff. 290 EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 – Stanley Adams; EuG T-390/94, Slg. 1997, II-501 (Rn. 51) – Schröder; statt vieler Tridimas, EU Law, 2. Aufl. 2006, S. 478 f.; Capelli/Nehls, EuR 1997, 132 (135).
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aus dem Jahre 1971 bezeichnen. In dieser Entscheidung hat der EuGH die außervertragliche Haftung für einen Schaden, der durch einen Rechtsetzungsakt verursacht worden ist, der wirtschaftspolitische Entscheidungen einschließt, von der „hinreichend qualifizierten Verletzung einer höherrangigen, den Schutz des einzelnen dienenden Rechtsnorm“ abhängig gemacht.291 Diese Einschränkung fand als „Schöppenstedt-Formel“ Eingang in die Literatur und wurde zur ständigen Rechtsprechung.292 Ihr Geltungsgrund wurde insbesondere im Schutz der Willensbildung der Legislativorgane ausgemacht: So hob der EuGH in der „bahnbrechenden“293 Rechtssache HNL sieben Jahre später diesen Punkt folgendermaßen hervor: „[D]ie gesetzgebende Gewalt[294 darf] selbst dann, wenn ihre Handlungen richterlicher Kontrolle unterworfen sind, bei ihrer Willensbildung nicht jedes Mal durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden [. . .], wenn sie Anlass hat, im Allgemeininteresse Rechtsnormen zu erlassen, welche die Interessen des Einzelnen berühren können.“295 Hieraus folge, „dass es den Einzelnen [. . .] zugemutet werden kann, in vernünftigen Grenzen gewisse schädliche Auswirkungen einer Rechtsvorschrift auf ihre Wirtschaftsinteressen ohne Anspruch auf Entschädigung aus öffentlichen Mitteln hinzunehmen, selbst wenn die Vorschrift für ungültig erklärt worden ist.“296 Gleichzeitig hat der EuGH die hinreichende Qualifikation näher bestimmt: Sie ist gegeben, „wenn das handelnde Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und erheblich“ überschritten hat.297 Eine Haftung der Union wurde folglich nur „ausnahmsweise und unter besonderen Umständen“ angenommen.298 Sowohl in den Folgeentscheidungen als auch in der Rezeption innerhalb der Literatur sind weitere Argumente für die Haftungseinschränkung he291
EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt. Vgl. nur EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 – HNL; Rs. 187/80 u. a., Slg. 1981, 3211 (Rn. 37, 40) – Ludwigshafener Walzmühle; C-390/95 P, Slg. 1999, I-769 (Rn. 57, 67) – Antillean Rice Mills. 293 Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 55; ähnl. Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (679). 294 Unerheblich ist, ob der Legislativakt vom Rat oder einem anderen Organ erlassen worden ist, s. GA Darmon, SchlA zu EuGH C-282/90, Slg. 1992, I-1947 (Rn. 44) – Vreugdenhil mit Verweis auf EuGH Rs. 43/72, Slg. 1973, 1055 (Rn. 8) – Merkur. 295 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 5) – HNL. Der EuGH hat sich hierbei insb. auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten berufen; vgl. auch v. d. Woude, in: Heukels/McDonnell, Damages, 1997, S. 109 (111). 296 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 6) – HNL. 297 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 6) – HNL. 298 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 5) – HNL. Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (683 mit Fn. 43) spricht treffend von „Schöppenstedt protection“. 292
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rausgearbeitet worden. Positiv wurde dabei der rechtsvergleichende Ansatz bewertet, da das europäische Haftungskonzept die mit der Haftung für normatives Unrecht verbundenen Besonderheiten berücksichtigt und daher im Einklang mit den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten steht. Schadensersatz für normatives Unrecht wird in den Mitgliedstaaten nur unter einschränkenden Voraussetzungen gewährt;299 teilweise ist er sogar ganz ausgeschlossen.300 Ferner wurde darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit rechtswidrigen Richtlinien über das Vorlageverfahren des Art. 267 AEUV im Rahmen der Anfechtung nationaler Durchführungsmaßnahmen hinreichender Rechtsschutz erlangt werden kann.301 Eine weitere Argumentation stellte auf die Selbstständigkeit der Haftungsklage gegenüber der Nichtigkeitsklage ab, die dafür streite, an die Begründetheit einer Haftungsklage andere Anforderungen als an die Begründetheit der Nichtigkeitsklage zu stellen.302 Eine reine Unrechtshaftung würde zudem in einem „Versicherungssystem“ resultieren, was dem Sinn einer Staatshaftung zuwider laufe und wegen der erheblichen finanziellen Folgen den Interessen der Union entgegenwirke.303 Schließlich wurde – gerade in Bezug auf existierende Ermessensspielräume304 – die Übertragung der zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolldichte aus dem Primärrechtsschutz auf den Sekundärrechtsschutz hervorgehoben; die Schöppenstedt-Formel sei danach „nichts anderes 299 s. nur GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1227 f.) – HNL; GA Darmon, SchlA zu EuGH C-282/90, Slg. 1992, I-1937 (Rn. 43) – Vreugdenhil; Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 14, 61. Regelmäßig beruht der Ausschluss der Haftung bei legislativem Unrecht darauf, dass Legislativakte keiner richterlichen Rechtmäßigkeitsüberprüfung zugänglich sind, vgl. dazu Czaja, Haftung, 1996, S. 78. Indes wurde die methodische Herangehensweise des EuGH in der Sache HNL, die Beschränkungen aus den mitgliedstaatlichen Haftungssystemen herzuleiten, begrüßt, s. etwa Fuß, EuR 1978, 353 (356). 300 So etwa im Vereinigten Königreich, s. v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/ Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 34 Rn. 46. Zur (restriktiven) Situation in Deutschland etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 104 ff.; Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht?, 1963. 301 EuGH Rs. 143/77, Slg. 1979, 3583 (Rn. 11) – Koninklijke Scholten-Honig; mit Blick auf die Prozessökonomie anders EuGH Rs. 43/72, Slg. 1973, 1055 (Rn. 6) – Merkur. 302 EuGH Rs. 43/72, Slg. 1973, 1055 (Rn. 4) – Merkur; C-390/95 P, Slg. 1999, I-769 (Rn. 67) – Antillean Rice Mills; s. auch Wakefield, CML Rev. 41 (2004), 235 (240). 303 s. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 92. 304 Zum Begriff des Ermessens im europäischen Recht eingehend noch u. bei Fn. 324 ff. Dazu, dass jede Handlung eines Organs Gegenstand der Haftungsklage sein kann, auch wenn sie in Ausübung von Ermessen vorgenommen wurde, EuG T-440/03 u. a., Slg. 2009, II-4883 (Rn. 65) – Arizmendi.
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als die Ausprägung dieser zurückgenommenen gerichtlichen Kontrolldichte auf dem Gebiet der Schadensersatzhaftung.“305 Da in diesen Fällen nicht jeder Fehler zur Rechtswidrigkeit führt, können insoweit auch keine Ersatzansprüche bestehen. Diese Begründungen wurden von der Rechtsprechung durchgehend, wenn auch in abgewandelten Formen,306 verwandt. Dagegen ist diese Einschränkung bei der Haftung für normatives Unrecht auch Gegenstand von Kritik gewesen.307 So wurde in Frage gestellt, ob fiskalische Gründe, die letztlich dem Schutz der Willensbildung des Gesetzgebers zugrunde lägen, überhaupt geeignet seien, eine derartige Haftungsbeschränkung zu rechtfertigen.308 Weiterhin wurde betont, dass der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum schon bei der vorgelagerten Frage Berücksichtigung fände, ob überhaupt eine rechtswidrige Maßnahme vorliegt.309 Schließlich wurde grundsätzlich die Vergleichbarkeit mit den mitgliedstaatlichen Haftungsbeschränkungen für normatives Unrecht wegen der fehlenden bzw. nur eingeschränkten demokratischen Legitimation der europäischen Legislativorgane und der daher fehlenden „privilegierten Stellung der Parlamente“ in Frage gestellt.310 Die Rechtsprechung zeigte sich jedoch von diese Bedenken unbeeindruckt und unterschied insoweit drei Situationen, die jeweils unterschiedliche Anforderungen an die Rechtswidrigkeit stellten: Administrativakte, für die jeder Rechtsverstoß ausreichte; Legislativakte, die keine Ermessensentscheidungen beinhalteten, für die die Verletzung einer höherrangigen Norm erforderlich war, die dem Schutze Individualinteressen diente; und Legislativakte, die Ermessensentscheidungen aufwarfen. Nur für den letzten Fall bedurfte es nach der früheren Rechtsprechung des hinreichend qualifizierten Verstoßes.311 305
Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 713; Baudenbacher/ Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 590. Ossenbühl (Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 594 ff.) hob schon vor Bergaderm den Aspekt der wirtschaftspolitischen Entscheidungen besonders hervor und stellte daher eher auf den Inhalt als auf die Form der Maßnahme ab. Zur nunmehr übereinstimmenden Position der Rspr. ausf. § 5 B. I. 3. 306 Vgl. hierzu Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 703 m. w. Nwn. in Fn. 233. 307 s. den Überblick bei Czaja, Haftung, 1996, S. 77 f. Vgl. auch GA Jacobs, SchlA zu EuGH C-119/88, Slg. 1990, I-2189 (Rn. 24) – AERPO, der insoweit von einem „sehr strenge[n] Kriterium“ spricht, „das der Gerichtshof vielleicht eines Tages zu überdenken wünscht“. 308 P. Aubin, Haftung der EWG, 1982, S. 150; Fuß, EuR 1978, 353 (357). Vgl. auch – in anderem Kontext – v. Danwitz, JZ 2005, 729 (730). 309 Dazu P. Aubin, Haftung der EWG, 1982, S. 150; T. Stein, EuGRZ 1979, 540 (542); Fuß, EuR 1978, 353 (358) sowie noch § 5 B. I. 3. 310 Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 61.
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2. Bedeutung des Ermessensspielraums der Legislative – Anfänge in der Rechtssache Schöppenstedt
Neben Beamtenklagen liegen den Entscheidungen zur außervertraglichen Haftung überwiegend Sachverhalte zugrunde, in denen Schadensersatz wegen rechtswidriger Legislativakte begehrt wird.312 Die Dominanz dieser Klagen rührt aus dem regelmäßig indirekten Vollzug des Unionsrechts durch die Mitgliedstaaten sowie aus der Tatsache, dass die Union hauptsächlich durch Verordnungen und Richtlinien und damit durch Legislativakte handelt.313 Das Abhängigmachen der Haftungsvoraussetzungen von der Handlungsform durch die frühere Rechtsprechung führte dazu, dass oftmals die – mitunter schwierige – Abgrenzung zwischen administrativem und legislativem Handeln im Vordergrund des Haftungsprozesses stand.314 Im Grundsatz orientiert sich die Rechtsprechung bei dieser Abgrenzung nicht an dem äußeren Erscheinungsbild oder dem Urheber der Maßnahme, sondern an ihren Auswirkungen.315 Nach dem weiten Verständnis der Rechtsprechung setzt eine legislative Maßnahme voraus, dass sie allgemeine Geltung beansprucht.316 Da mit Ausnahme der Mitwirkung bei der rechtsetzenden Tätigkeit nach Art. 103 AEUV die kartellaufsichtsrechtliche Tätigkeit der Kommission auf den Erlass einer Maßnahme im Einzelfall gerichtet ist, handelt es sich bei ihr um administratives Handeln.317
311 Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (681) und v. d. Woude, in: Heukels/ McDonnell, Damages, 1997, S. 109 (113, 126) weisen nach, dass Rspr. zur zweiten Kategorie praktisch nicht vorhanden ist und die beiden letztgenannten Fallgruppen von der Rspr. nicht immer klar unterscheiden wurden. 312 s. etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 665, 667, 702; Tridimas, CML Rev. 38 (2001), 301 (327). Die unter eur-lex.europa.eu zugängliche Datenbank der europäischen Rechtsprechung führt mehr als 40 % der Schadensersatzklagen unter „Statut und Beschäftigungsbestimmungen – EG“. 313 v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 233 f. („Rechtsetzungsgemeinschaft“); Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 4 f.; v. d. Woude, in: Heukels/McDonnell, Damages, 1997, S. 109 (111 f., 126). Zum Vollzug des Unionsrechts allg. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 5 Rn. 31 ff. 314 So etwa bei EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 44 ff.) – Nölle. s. auch Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 13; Cauffman, E.C.L.R. 2010, 31 (1), 1 (4 f.). 315 EuGH C-390/95 P, Slg. 1999, I-769 (Rn. 80) – Antillean Rice Mills; EuG T-390/94, Slg. 1997, II-501 (Rn. 54) – Schröder; jeweils m. w. Nwn. 316 Vgl. die Nw. in vorstehender Fn. sowie statt vieler Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 54 m. w. Nwn. Daher könnten auch Beschlüsse – per definitionem Einzelakte – als Rechtsetzungsakt qualifiziert werden, zu einem derartigen Fall EuG T-481/93 u. a., Slg. 1995, II-2941 (Rn. 86 ff.) – Vereniging van Exporteurs in Levende Varkens.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
Nicht zuletzt wegen dieser Abgrenzungsschwierigkeiten ist das Abstellen auf die Art der Handlungsform zunehmend in Frage gestellt worden. Erste Ansätze lassen sich schon in der Sache Schöppenstedt finden, die den Ermessensspielraum des Organs als (mit-)entscheidend zur Bestimmung des Haftungsmaßstabs ansieht. Zwar wird dies nicht ausdrücklich angesprochen, gleichwohl verwies der EuGH auf die den Legislativakt auszeichnenden „wirtschaftspolitische[n] Entscheidungen“.318 Auch in der HNL-Entscheidung stützte er sich explizit auf das weite Ermessen, über das der Gesetzgeber verfügt.319 In dieses Bild fügen sich die Ausführungen des Generalanwalts Darmon in den Schlussanträgen zur Sache Vreugdenhil ein, der im Rahmen der Prüfung der hinreichend qualifizierten Verletzung maßgeblich auf zwei Kriterien abstellte: „zum einen [. . .] der Bereich, zu dem die angefochtene Handlung gehört, also die Frage, ob Wirtschaftspolitik eine Rolle spielt oder nicht, zum anderen der Ermessensspielraum, über den das Gemeinschaftsorgan verfügt. Wenn die angefochtene Handlung nicht Ausdruck einer wirtschaftspolitischen Entscheidung ist und wenn das betreffende Organ nicht über einen weiten Ermessensspielraum verfügte, erscheint es nicht angebracht, das Vorliegen eines [. . .] ‚schweren Fehlers‘ zu verlangen, d.h. eine schwere und offensichtliche Verletzung einer höherrangigen, den Schutz des einzelnen bezweckenden Rechtsnorm.“320 Dieser Rechtsprechung lag ein weites Verständnis der Wirtschaftspolitik zugrunde; thematisch ging es nicht nur um wirtschaftliche Maßnahmen im engeren Sinne, vielmehr waren alle politischen Entscheidungen erfasst, die das Anstellen von Ermessenserwägungen erforderten.321 Entscheidend war, ob sich die Maßnahme als Ergebnis der Ausübung des eingeräumten Ermessens bei der Regelung eines Wirtschaftssektors darstellt.322 In Betracht ka317 Dazu nur Böhm, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 12 Rn. 20; v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 234 ff., 236. 318 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt. 319 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 6) – HNL; dazu auch Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (679). Zum Zusammenspiel der Schöppenstedt- und der HNL-Entscheidung Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 22; Castillo de la Torre, in: Smit/Herzog, EU Law, 2007, TEC Art. 288, § 389-19. 320 GA Darmon, SchlA zu EuGH C-282/90, Slg. 1992, I-1937 (Rn. 45) – Vreugdenhil. Wenige Monate zuvor hat GA Darmon in der Sache Cato noch die Unterscheidung zwischen administrativen und legislativen Handeln wegen der jeweils einschlägigen und unterschiedlichen Haftungsvoraussetzungen betont, s. SchlA zu EuGH C-55/90, Slg. 1991, I-2545 (Rn. 39) – Cato. 321 Vgl. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 712; Castillo de la Torre, in: Smit/Herzog, EU Law, 2007, TEC Art. 288, § 389-20; Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 54 a. E.; Fuß, in: FS v. d. Heydte, 1977, S. 173 (176, 184).
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men etwa Entscheidungen auf dem Gebiet der Agrar-, Verkehrs-, Wettbewerbs- oder Sozialpolitik.323 Im Ergebnis lassen sich die beiden Kriterien, die Generalanwalt Darmon anspricht, der Sache nach als ein einziges Kriterium auffassen, nämlich die Reichweite des der Maßnahme zugrunde liegenden Ermessens. Entscheidend für diesen Zusammenhang und für die weitere Bearbeitung ist die Bedeutung des Ermessens im europäischen Recht. Für die Zwecke dieser Bearbeitung ist daher eine Begriffsbestimmung vorzunehmen, für Einzelheiten muss auf weiterführende Literatur verwiesen werden.324 Grundsätzlich wird mit diesem Begriff ein gewisser Spielraum beschrieben.325 Regelmäßig wird damit die Freiheit der Exekutive bezeichnet, es kann jedoch auch – und gerade im europäischen Recht – die Freiheit des Gesetzgebers gemeint sein.326 Das deutsche Recht differenziert zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum, wobei sich Letzterer auf unbestimmte Rechtsbegriffe bezieht. Das Ermessen im deutschen Verwaltungsrecht beschreibt dabei den Spielraum, der einer Behörde auf Rechtsfolgenebene zugestanden wird. Der Beurteilungsspielraum besteht hingegen auf der Ebene des Tatbestands und wird einer Behörde nur unter besonderen Voraussetzungen eingeräumt.327
322 So GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1230) – HNL. Dazu, dass der Bezug auf die Wirtschaftspolitik nur exemplarisch ist und dieses Erfordernis für alle Ermessensentscheidungen gelten soll, vgl. für den Bereich des Erlasses von Harmonisierungsbestimmungen zur Koordination der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über selbstständige Tätigkeiten EuGH C-63/89, Slg. 1991, I-1799 (Rn. 11 f.) – Assurances du crédit; für das Beamtenrecht EuG T-177 u. a., Slg. 1996, II-2041 (Rn. 152) – Henk Altmann. In beiden Entscheidungen wurde auf HNL zurückgegriffen. Zur Ableitung des Ermessensspielraums aus dem wirtschaftspolitischen Charakter auch T. Stein, EuGRZ 1979, 540 (541). 323 Fuß, in: FS v. d. Heydte, 1977, S. 173 (176); vgl. auch Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 54. T. Stein, EuGRZ 1979, 540 (541), weist daraufhin, dass hierunter die meisten Rechtsetzungsakte der Union zu fassen seien. 324 Monographisch etwa für den europäischen Kontext Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 12 ff.; M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 21 ff.; Rubel, Entscheidungsfreiräume, 2005, S. 159 ff., jeweils m. w. Nwn. 325 Derart weit F. T. Schmidt, Die Befugnis des Gemeinschaftsrichters zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung, 2003, S. 60. Ähnl. Bullinger, JZ 1984, 1001. Zur „doppelten Freiheit [der Verwaltung] von der gesetzlichen Prädetermination und der richterlichen Kontrolle“ Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 12. 326 Vgl. etwa Jestaedt, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 11 Rn. 12 ff.; Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 382 f. 327 Zur insoweit maßgeblichen normativen Ermächtigungslehre etwa Jestaedt, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 11 Rn. 34.
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Diese Trennung ist dem europäischen Recht unbekannt.328 Das Verwaltungsrecht der Europäischen Union ist maßgeblich durch das französische droit administrative beeinflusst,329 dem eine derartige Differenzierung nicht zugrunde liegt: So erfasst der pouvoir discrétionnaire Entscheidungsspielräume der Verwaltung, die sowohl auf Tatbestands- als auch auf Rechtsfolgenseite auftreten.330 Zudem räumt das europäische Recht ebenfalls als Ermessen bezeichnete Gestaltungsräume nicht nur der Administrative, sondern auch und in besonderem Maße der Legislative ein.331 Entscheidend für die Anerkennung entsprechender Freiräume ist daher, inwieweit dem Urheber eines Aktes die Befugnis zur letztverbindlichen Entscheidung eingeräumt wird.332 Diese Letztverbindlichkeit stellt Ermessensspielräume regelmäßig in ein Spannungsverhältnis zur Gewaltenteilung. Indes erschweren die mit den unterschiedlichen Begrifflichkeiten assoziierten dogmatischen Konzepte das Verständnis. Hinzu tritt, dass die Bezeichnungen synonym verwandt werden. So offenbart der Blick in die deutschen Ausführungen der Entscheidungen der europäischen Gerichte Bezeichnungen wie „Entscheidungsspielraum“333, „Gestaltungsspielraum“334,
328 Ausdr. EuGH Rs. 183/84, Slg. 1985, 3351 (Rn. 23 f.) – Rheingold; im Übrigen allg. Ansicht, s. nur Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 644; Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 13; v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 361; M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 21 ff. m. w. Nwn. in Fn. 112; Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 281 f.; Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 103; Pache, DVBl. 1998, 380 (384). Vgl. dagegen auch den Ansatz bei Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (130 f.), der zunächst zwischen „discretion“, verstanden als „freedom to choose between a number of courses of action“, und „margin of assessment“ unterscheidet und Letzteres dabei als „the permissible field of judgement by an administrative body, which the court will not second-guess“ versteht. Hier tritt die im deutschen Recht bekannte Unterscheidung hervor. Diesen „margin of assessment“ umschreibt er sodann als „considerably reduced discretion“, so dass die Diff. wieder hinfällig wird. Ähnl. wie Bailey auch Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (129 ff., 150). 329 M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 21. v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 300, weist allg. auf den romanischen Rechtskreis hin. 330 Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 14; v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 300. 331 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 11) – Schöppenstedt; C-150/10, Slg. 2011, I-6843 (Rn. 76) – Bureau d’intervention et de restitution belge; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 618, 713. 332 v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 300; Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 15; zu Auswirkungen auf die Rspr. s. Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (296). Diese Freiheit besteht auch in Bezug auf die Würdigung des Sachverhalts, s. v. Danwitz, a. a. O., S. 299. Zur Herangehensweise ausf. § 5 B. III. 1. 333 Bspw. EuGH C-444/93, Slg. 1995, I-4741 (Rn. 29) – Megner und Scheffel.
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„Beurteilungsspielraum“335 oder „Wertungsspielraum“336, die neben das Ermessen treten. Diese Vielfalt337 setzt sich in der Literatur fort.338 Im Englischen wird von „discretion“ bzw. „margin of discretion“ oder „margin of appreciation“ gesprochen, während das Französische als Arbeitssprache des Gerichtshofs339 die Bezeichnungen „marge de discretion“ und „pouvoir/ marge d’appréciation“ benutzt. Nicht zuletzt der Umstand, dass das Unionsrecht 24 Amtssprachen340 kennt, macht eine konkrete Begriffsbestimmung unentbehrlich und verbietet einen unreflektierten Rückgriff auf mitgliedstaatliche Konzepte.341 Verfehlt wäre es daher, die mit den deutschen Begrifflichkeiten verbundene Dogmatik ohne Weiteres auf das europäische Recht zu übertragen. Aus diesem Grund kann eine zufriedenstellende Lösung dieser Frage nur in der Festlegung auf einen einheitlich verstandenen Begriff erfolgen. Dies kann etwa durch die Verwendung eines „unverbrauchten“ Begriffes erreicht werden. Andererseits kann versucht werden, dem Begriff des Ermessens eine umfassendere, von der deutschen Dogmatik losgelöste Bedeutung einzuräumen. Diesen Weg schlägt die Darstellung ein, wenn im Folgenden der Begriff des Ermessens ebenfalls in diesem weiten europarechtlichen Verständnis benutzt wird.
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So EuGH C-198/03 P, Slg. 2005, I-6357 (Rn. 65 f.) – CEVA. In Rn. 64 dieser Entscheidung benutzt der EuGH die Bezeichnung „Ermessen“; die terminologische Uneinheitlichkeit tritt daher auch innerhalb einer Entscheidung auf. 335 EuGH Rs. 197/80 u. a., Slg. 1981, 3211 (Rn. 37) – Ludwigshafener Walzmühle; C-269/90, Slg. 1991, I-5469 (Rn. 13) – TU München; C-12/03 P, Slg. 2005, I-987 (Rn. 38 f.) – Tetra Laval. 336 EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 53) – Artegodan. 337 M. w. Nwn. nur Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 280, der von einer „bunte[n] Mischung“ verschiedenster Ausdrücke spricht. Anders Pache, DVBl. 1998, 380 (384), der eine einheitliche Bezeichnung als Ermessen feststellt. 338 Dies führt im Ergebnis dazu, dass entweder feststehenden Rechtsbegriffen neue Definitionen beigegeben werden, oder aber, dass die Uneinheitlichkeit fortgeführt wird. 339 Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012 Rn. 280. 340 Art. 55 Abs. 1 EUV; Art. 1 Verordnung (EWG) Nr. 1 des Rates zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. (EG) v. 6.10.1958, Nr. 17/385. Zur Vielsprachigkeit auch Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 11; F. T. Schmidt, Die Befugnis des Gemeinschaftsrichters zu unbeschränkter Ermessensnachprüfung, 2003, S. 22 f. 341 EuGH Rs. 183/84, Slg. 1985, 3351 (Rn. 23 f.) – Rheingold; Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 280 f.; Burgi, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 103; Pache, DVBl. 1998, 380 (384).
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission 3. Aufgabe der Differenzierung nach der Handlungsform – Die Rechtssachen Brasserie du Pêcheur und Bergaderm
Im Jahre 1996 führte der EuGH in der Sache Brasserie du Pêcheur, einer der beiden Leitentscheidungen zur Haftung der Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen das Unionsrecht, aus, dass „sowohl für die Haftung der Gemeinschaft [. . .] als auch für die der Mitgliedstaaten wegen Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht als hinreichend qualifiziert anzusehen ist, darin [besteht], daß ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat“.342 Diese Linie hat der EuGH in der Sache Bergaderm343 aufgegriffen und insoweit seine Rechtsprechung aufgegeben, die die Anforderungen an die Art des Rechtsverstoßes von der Qualifikation einer Maßnahme abhängig machte und damit die Grundlagen der außervertraglichen Haftung neu definiert.344 Der Gerichtshof führte aus, dass „[d]as System, das der Gerichtshof nach [Art. 340 Abs. 2 AEUV] speziell zur Haftung wegen Rechtsetzungsakten entwickelt hat, [. . .] u. a. der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte, den Schwierigkeiten bei der Anwendung oder Auslegung der Vorschriften und insbesondere dem Ermessensspielraum, über den der Urheber des betreffenden Aktes verfügt, Rechnung [trägt.]“345 Die Frage, ob ein Unionsorgan „die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, offenkundig und erheblich überschritten hat“, ist nach dem EuGH „das entscheidende Kriterium für die Beurteilung der Frage, ob ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht als hinreichend qualifiziert anzusehen ist. Wenn der Mitgliedstaat oder das betreffende Organ nur über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, kann[346] die bloße Verletzung des Gemeinschaftsrecht ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen“.347 „Das Gleiche 342
EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 55). s. auch GA Tesauro, SchlA zu EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 78 ff.) – Brasserie du Pêcheur. Teilw. wird in dieser Entscheidung schon der Rechtsprechungswandel gesehen, vgl. etwa Held, Haftung der EG, 2006, S. 244 m. Nwn. in Fn. 443; Arnull, in: Heukels/ McDonnell, Damages, 1997, S. 129 (148 f.). 343 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291; dazu auch Chalmers/Davies/Monti, European Union Law, 2. Aufl. 2010, S. 432 f.; Cauffman, E.C.L.R. 2010, 31 (1), 1 (4 f.); sowie eingehend Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677. In der Lit. wird daher auch von einer Pre- und Post-Bergaderm-Phase gesprochen, so etwa Tridimas, EU Law, 2. Aufl. 2006, S. 489; Hilson, a. a. O. (678). 344 Vgl. jedoch auch Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (679), der auf die Unterschiede in der Wortwahl in den Entscheidungen Schöppenstedt („measures“) und HNL („choices“) hinweist und in Letzterer schon einen Wandel erkennt. 345 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 40) mit Bezugnahme auf EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 43) – Brasserie du Pêcheur.
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gilt, wenn das beklagte Organ eine allgemeine Sorgfaltspflicht verletzt [. . .] oder einschlägige Sach- oder Verfahrensvorschriften zweckwidrig anwendet“.348 Diese dem Ermessensspielraum beigemessene herausragende Bedeutung kulminiert in der Feststellung, dass „es kein entscheidendes Kriterium zur Bestimmung der Grenzen des dem fraglichen Organ zustehenden Ermessensspielraums ist, ob die Handlung dieses Organs allgemein oder einzelfallbezogen ist“.349 Die Maßgeblichkeit des jeweiligen Ermessensspielraums wird in den Folgeentscheidungen fortgeführt350 und findet innerhalb eines großen Teils des Schrifttums351 Zustimmung: Neben dem zu begrüßenden Gleichlauf mit der mitgliedstaatlichen Haftung wird insbesondere die in materieller Hinsicht bestehende Parallelität zwischen den Ermessensspielräumen der Administrative und denjenigen der Legislative hervorgehoben, da sich oftmals ähnlich gelagerte Schwierigkeiten ergäben.352 Die insoweit geübte Kritik nimmt zum Teil Bezug auf den ursprünglichen Begründungsansatz des EuGH in der Sache Schöppenstedt. Das Erfordernis eines hinreichend quali346
Zur Bedeutung des Wortes „kann“ s. EuGH C-424/97, Slg. 2000, I-5123 (Rn. 41) – Haim. In dieser Entscheidung hat der EuGH betont, dass das Nichtvorliegen von Ermessensräumen nicht automatisch zur Bejahung des insoweit niedrigeren Standards führt. Ausf. hierzu u. § 5 B. II. 2. 347 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43 f.). 348 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 118) – Schneider, m. w. Nwn. aus der Rspr. 349 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 46) – Bergaderm; C-472/00 P, Slg. 2003, I-7541 (Rn. 27) – Fresh Marine. 350 EuGH C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 (Rn. 51 ff., 55) – Camar und Tico; C-472/00 P, Slg. 2003, I-7541 (Rn. 25 ff.) – Fresh Marine; EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 53 ff., insb. Rn. 54) – Artegodan; T-341/07, Slg. 2011, II-7915 (Rn. 33 ff.) – Sison. s. auch EuGH C-198/03 P, Slg. 2005, I-6357 (Rn. 66 ff.) – CEVA, in der der EuGH die Entscheidung des EuG deshalb aufhob, da sich dieses nicht mit einem etwaigen Kommissionsermessen auseinandergesetzt hat. 351 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 22; Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 43 ff.; Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 563; Chalmers/Davies/Monti, European Union Law, 2. Aufl. 2010, S. 433; Cauffman, E.C.L.R. 2010, 31 (1), 1 (4 f.). Vgl. demgegenüber jedoch Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 12; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2010, Art. 340 Rn. 5; Poto, GLJ 9 (2008), 89 (99); Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 10 Rn. 28; Gündisch/Wienhues, Rechtsschutz in der Europäischen Union, 2. Aufl. 2003, S. 147, die an der überkommenen Diff. festhalten. Krit. Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 60 mit Fn. 150, relativierend indes Rn. 61 ff.; ferner Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (695). 352 Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 559; Castillo de la Torre, in: Smit/Herzog, EU Law, 2007, TEC Art. 288, § 389-15.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
fizierten Verstoßes wurde mit der Sicherung der Willensbildung der Legislative begründet, die nicht durch die Möglichkeit von Schadensersatzklagen behindert werden soll.353 Soweit sich kein Legislativ-, sondern ein Exekutivorgan rechtswidrig verhalten hat, könne diese Begründung nicht herangezogen werden.354 Auch sei das legislative Tätigwerden regelmäßig durch einen viel weiteren Ermessensspielraum als das exekutive Tätigwerden geprägt, so dass eine Übertragung auf Einzelfallentscheidungen abzulehnen sei.355 Letztgenannter Auffassung ist insoweit zuzustimmen, als die Frage nach dem jeweiligen Ermessensspielraum für jede Maßnahme gesondert untersucht werden muss und sich eine schematische Betrachtungsweise daher verbietet.356 Zwar wird regelmäßig bei der gesetzgeberischen Tätigkeit der Europäischen Union ein weiter Ermessensspielraum gegeben sein.357 Beispielhaft für dieses Legislativermessen ist etwa das Feld der gemeinsamen Agrarpolitik, auf dem die in Art. 39 Abs. 1 AEUV erwähnten Ziele gegeneinander abzuwägen sind. Indes müssen wegen der Kongruenz des Primärmit dem Sekundärrechtsschutz die der Kommission bei der richterlichen Überprüfung im Rahmen einer etwaigen Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsklage – im Einzelfall – zugestandenen Ermessensspielräume auch im Sekundärrechtsschutz berücksichtigt werden.358 Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung im Falle des Vorliegens eines erheblich verringerten oder auf Null reduzierten Ermessensspielraums die einfache Verletzung des Unionsrechts ausreichen kann, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß zu bejahen.359 Im Gegensatz zum politischen Ermessen des Gesetzgebers sind solche Ermessensreduktionen regelmäßig nur im Bereich der Exekutive denkbar, so dass die Übertragung der hergebrachten Rechtsprechung angezeigt ist.360 Überdies kann das Argument des Schutzes 353
Vgl. o. in Fn. 295. Gilsdorf/Niejahr (in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 60) sprechen insoweit von der Einführung eines neuen Rechtsgrundsatzes in das Unionsrecht sowie von einer Systemänderung. Ähnl. Hix, in: Moreira de Sousa/Heusel, Enforcing Community Law, 2004, S. 199 (205). 355 So Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 590. 356 Vgl. auch GA Stix-Hackl, SchlA zu EuGH C-472/00 P, Slg. 2003, I-7541 (Rn. 78) – Fresh Marine, die vor Generalisierungen bei der Feststellung von Ermessensspielräumen warnt. 357 Hierzu Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 564. s. auch Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 720. 358 Hierzu schon die Nw. o. in Fn. 305. 359 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 44) – Bergaderm; C-282/05 P, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 47) – Holcim. 360 So auch Thiele, in: Terhechte, Europ. Verwaltungsrecht, 2011, § 39 Rn. 34; ähnl. Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 557. 354
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der Willensbildungsfreiheit des Gesetzgebers auch für die Exekutive fruchtbar gemacht werden, denn auch deren Funktionsfähigkeit verdient besonderen Schutzes.361 Zwar lassen sich hierfür keine Überlieferungen aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen der Mitgliedstaaten ins Feld führen. Es ist jedoch zu beachten, dass das Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes unter anderem auch Elemente dessen enthält, was in den Mitgliedstaaten unter dem Topos des Verschuldens diskutiert wird.362 Wenn die Kommission daher unverschuldet einen rechtswidrigen Beschluss erlässt, soll dies nicht zur Haftung führen.363 Eine Einschränkung der Haftung für administratives Unrecht, die letztlich einen wichtigen Anwendungsfall jeglichen Staatshaftungsrechts darstellt, ist daher auch in den Mitgliedstaaten nicht unbekannt. Aus diesem Grund ist der grundsätzlichen Übertragung der Schöppenstedt-Formel auf administratives Handeln zuzustimmen. Ein weiterer Kritikpunkt gegen die Maßgeblichkeit des Ermessens für die Frage der aufzustellenden Haftungsvoraussetzungen ist grundsätzlicher Art. So wird vorgebracht, dass bereits bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme der dem Organ zustehende Spielraum Berücksichtigung findet.364 Da die außervertragliche Haftung von der Rechtsprechung als Rechtswidrigkeitshaftung ausgestaltet worden ist, stellt die Rechtsverletzung eine notwendige Bedingung des Haftungsanspruchs dar.365 Hieraus folgt, dass die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Frage der hinreichenden Qualifikation vorgelagert ist. In den Fällen, in denen das Organ über einen Ermessensspielraum verfügt, ist Rechtswidrigkeit erst anzunehmen, wenn die Maßnahme zur Erreichung des Zieles, das das Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist.366 In den übrigen Fällen, wenn also die Maßnahme nicht offensichtlich ungeeignet ist, kann von Rechtswidrigkeit nicht 361
s. EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 122) – Schneider; Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (115 ff.); Hix, in: Moreira de Sousa/Heusel, Enforcing Community Law, 2004, S. 199 (205). 362 Insoweit sprechen Oppermann/Classen/Nettesheim (Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 14 Rn. 7) von einem „funktionalen Äquivalent“ zum Verschulden. s. auch noch § 5 B. I. 4. 363 Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (138). 364 Vgl. i. d. Sinne EuGH C-331/88, Slg. 1990, I-4023 (Rn. 14) – Fedesa; C-267/88 u. a., Slg. 1990, I-435 (Rn. 14) – Wuidart; C-280/93, Slg. 1994, I-4973 (Rn. 89 f.) – Deutschland/Rat; Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR, Rn. 523 ff. m. w. Nwn. s. auch schon zur ursprünglichen Konzeption der Schöppenstedt-Formel o. bei Fn. 305. 365 s. dazu schon o. bei Fn. 3; zu etwaigen Einschränkungen u. § 5 C. Zur tatsächlichen Herangehensweise auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 713 f. mit Fn. 290. 366 EuGH C-280/93, Slg. 1994, I-4973 (Rn. 90) – Deutschland/Rat.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
gesprochen werden.367 Dies resultiert letztlich aus dem Verständnis des Ermessens als dem Freiraum eines Organes, welcher der Kontrolle durch ein anderes Organ jedenfalls teilweise entzogen ist.368 Es sei „wenig einleuchtend“369, diesen Spielraum über die (notwendigerweise schon erfolgte) Feststellung der Rechtswidrigkeit hinaus auch bei der Frage der hinreichenden Qualifikation diese Rechtsverstoßes zu würdigen.370 Der Ermessensspielraum würde hierdurch „doppelt gewichtet“.371 Diese Kritik, die sich auch gegen das Verhältnis der Schadensersatz- zur Nichtigkeitsklage richtet, verkennt, dass zwischen diesen beiden Klagearten erhebliche Unterschiede bestehen. So kann mit der Schadensersatzklage keine umfassende gerichtliche Kontrolle erreicht werden, die Prüfung ist vielmehr auf die Feststellung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen eine Rechtsnorm beschränkt, deren Zweck es ist, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.372 Die Rechtsprechung hat sich – soweit ersichtlich – zu dieser Kritik bisher nicht positioniert. 4. Bestimmung des hinreichend qualifizierten Verstoßes
Die Bezeichnung als „hinreichend qualifiziert“ ist in der Sache nichts anderes als die Feststellung, dass die bloße Rechtswidrigkeit einer Maßnahme für die Gewährung von Schadensersatz nicht genügt. Ihre Bestimmung ist dagegen „mit erheblichen Unsicherheiten belastet“373 und stellt – so das vielzitierte Wort Ossenbühls – die „Crux“374 des europäischen Haftungsrechts dar. Während die Rechtsprechung gerade in den Anfangsjahren typische Einzelfallentscheidungen getroffen hat,375 zieht der EuGH seit HNL 367 Darauf ausdrücklich hinweisend Köck/Hintersteininger, A.R.I.E.L. 3 (1998), 17 (44). 368 Dazu schon o. bei Fn. 325. 369 Hix, in: Moreira de Sousa/Heusel, Enforcing Community Law, 2004, S. 199 (210). Vgl. auch schon die Nw. o. in Fn. 309. 370 Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (151). In diese Richtung gehen auch schon die Ausführungen des GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1226 (1233) – HNL. Vgl. auch Craig/de Bfflrca, EU Law, 5. Aufl. 2011, S. 564. 371 Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (135: „double counting“). 372 Vgl. dazu GA Jacobs, SchlA zu EuGH C-263/02 P, Slg. 2004, I-3425 (Rn. 44) – Jégo-Quéré. 373 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89. Insb. wegen der flexiblen Handhabung dieses Kriteriums konstatiert Ossenbühl (Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 604), „daß die Gemeinschaft immer dann, wenn ihre Organe überhaupt irgend etwas, und sei es auch ganz ungenügend, mit Rücksicht auf die Geschädigten getan haben, nicht haftet.“ 374 Ders./Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 703.
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einen Katalog an Umständen zur Feststellung des hinreichend qualifizierten Verstoßes heran.376 Die neuere Rechtsprechung stellt hierbei insbesondere den dem Organ zustehenden Ermessensspielraum in den Mittelpunkt: Soweit das betreffende Organ über einen erheblich verringerten oder auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügt, kann die bloße Verletzung des Unionsrechts ausreichen, einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.377 Das Gleiche gilt, wenn das beklagte Organ eine allgemeine Sorgfaltspflicht verletzt, oder einschlägige Sach- oder Verfahrensvorschriften zweckwidrig anwendet.378 Soweit das betreffende Organ indes über einen Ermessenspielraum verfügt, muss es die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, „offenkundig und erheblich überschritten“ haben.379 Diese Voraussetzungen, die der EuGH als „entscheidende[s] Kriterium“380 versteht, sind indes „denkbar unbestimmt“ gefasst.381 Wann ein derartig offenkundiges und erhebliches Überschreien der Ermessensgrenzen zu bejahen ist, kann anhand von einigen in der Rechtsprechung anerkannten Indizien und Leitlinien ermittelt werden.382 Auf der ei375 Dazu nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 616 („Begriffshülse“), 704 f. Von einer „Leerformel“ sprechen daher Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 55. 376 Illustrativ die Herangehensweise von GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1231 ff.) – HNL. 377 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 44) – Bergaderm, unter Berufung auf EuGH C-5/94, Slg. 1996, I-2553 (Rn. 28) – Hedley Lomas; hierzu jedoch auch u. § 5 B. III. 2. 378 Vgl. auch die Formulierung des missbräuchlichen Anwendens derartiger Vorschriften in EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 39) – MyTravel. 379 St. Rspr., s. nur EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-2553 (Rn. 55) – Brasserie du Pêcheur; C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43) – Bergaderm; C-312/00 P, Slg. 2002, I-11355 (Rn. 55) – Camar und Tico; C-198/03 P, Slg. 2005, I-6357 (Rn. 64) – CEVA. Vgl. auch m. w. Nwn. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89; Ruffert, in: Calliess/ Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 19 mit Fn. 74. In der früheren Rspr. ist auf eine offenkundig und erhebliche Überschreitung der Befugnisse des Organs abgestellt worden, vgl. EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 6) – HNL; Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 (Rn. 9) – Ireks-Arkady. Seit Bergaderm steht daher auch begrifflich das Ermessen im Mittelpunkt. 380 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43) – Bergaderm. 381 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89. Krit. auch schon GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1231) – HNL. Die Unbestimmtheit der Begriffe führt zu einer Flexibilität bei der Handhabung, die es den europäischen Gerichten im Ergebnis ermöglicht, jede Schadensersatzklage abzuweisen, s. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 603. 382 Vgl. insb. GA v. Gerven, SchlA zu EuGH C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 16) – Mulder; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 19 a. E.
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nen Seite können die Auswirkungen des Verstoßes und damit die Art des Schadens herangezogen werden, wenn die Rechtsprechung auf die Betroffenheit einer begrenzten und klar umrissenen Gruppe von Geschädigten383 sowie darauf abstellt, ob ein über die wirtschaftlichen Risiken hinausgehender Schaden eingetreten ist384. Auf der anderen Seite kann auf die Art und die Schwere des Rechtsverstoßes abgestellt werden, worunter insbesondere eine besondere Bedeutung der verletzten Schutznorm385 sowie die Frage, ob ein unentschuldbarer und erheblicher Normverstoß ohne annehmbare Begründung386 vorliegt, fällt. Das Berücksichtigen der Auswirkungen des Verstoßes wurde kritisch aufgenommen387 und von der jüngeren Rechtsprechung388 aufgegeben. Für die Kartellaufsicht als Anwendungsfall der Haftung wegen administrativen Unrechts dürfte wegen des adressatenbezogenen Verständnisses dieser Handlungsform die Betroffenheit einer begrenzten und klar umrissenen Gruppe von Geschädigten im Übrigen schon per definitionem gegeben sein. Der Schwerpunkt ist daher auf die Schwere des Rechtsverstoßes zu legen.389 Dabei sind die Umstände, derentwegen ein Beschluss der Kommission für rechtswidrig befunden wurde, einer genauen Analyse zu unterziehen.390 Insbesondere dürfte der Vorwerfbarkeit des Fehlverhaltens, die auch Ausdruck 383 EuGH C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 16) – Mulder. Erforderlich ist die quantitative Begrenzbarkeit der Gruppe, nicht dagegen, dass es sich um eine zahlenmäßig kleine Gruppe handelt. In der Sache Mulder hat der EuGH bei einer Klage von 16.000 Landwirten dieses Kriterium als erfüllt angesehen. Zu den Zahlen Böhm, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 12 Rn. 33. 384 EuGH C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 13) – Mulder. Krit. dazu, dass das Sonderopfer einen Schaden nur begründen, nicht aber begrenzen soll, v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 91. 385 EuGH Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955 (Rn. 10 ff.) – Ireks Arcady; C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 15) – Mulder; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 706, sprechen insoweit von der „Schwere des Rechtsverstoßes“. 386 EuGH C-220/91, Slg. 1993, I-2393 (Rn. 51) – Peine-Salzgitter. 387 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 91, 96; Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 340 AEUV Rn. 22; Herdegen, Haftung der EWG, 1983, S. 129. Zust. Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 64. 388 So ausdr. EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 56) – Artegodan. Zur Entwicklung auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 707 ff., insb. 710 f. 389 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 707 ff.; Detterbeck/ Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 34. s. auch Held, Haftung der EG, 2006, S. 245 ff. mit Verweis auf EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-2553 (Rn. 56) – Brasserie du Pêcheur. 390 Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (151).
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in der Bezeichnung „Willkür“ gefunden haben, eine besondere Bedeutung beizumessen sein.391 Diesen Ansatz verfolgt auch die Rechtsprechung zur Haftung der Mitgliedstaaten bei der Verletzung des Unionsrechts,392 bei der als Indizien im Rahmen des hinreichend qualifizierten Verstoßes das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessenspielraums, den die verletzte Vorschrift gewährt, die Frage, ob der Verstoß oder der Schaden vorsätzlich begangen wurde und die Entschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums oder des Verhaltens bestehen.393 Diese Umstände beziehen sich ebenfalls nur auf die Schwere und nicht auf die Auswirkungen des Verstoßes394. Dieser Befund spiegelt sich letztlich auch in der Herangehensweise der Rechtsprechung wider395 so dass im Ergebnis eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalles anzustellen sein dürfte.396 Mithin lässt sich festhalten, dass hohe Voraussetzungen an die Haftung gestellt werden.397 Schadensersatz soll auch nach der derzeitigen Ausgestaltung nur „ausnahmsweise und unter besonderen Umständen“398 gewährt werden.
391 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 707 f.; ähnl. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89; Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (723); Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (684 f.). 392 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 711; v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89; Held, Haftung der EG, 2006, S. 246. 393 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-2553 (Rn. 56) – Brasserie du Pêcheur. Zur Berücksichtigung i. R. der außervertraglichen Haftung etwa EuGH C-282/05 P, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 50 f.) – Holcim; EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 38 ff.) – MyTravel. 394 Held, Haftung der EG, 2006, S. 246. 395 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43) – Bergaderm. s. auch v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89; Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. LXVIII. 396 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 711 ff.; v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 89, 95, 161; Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (723). Vgl. dazu noch u. § 5 B. III. 2. 397 s. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 719, insb. 721; v. Bogdandy/Jacob (in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 95) weisen darauf hin, dass an dieser Hürde viele Klagen scheitern. 398 EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 5) – HNL. Zu dieser „Funktion“ des hinreichend qualifizierten Verstoßes auch schon GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 83/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (1232) – HNL.
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II. Prämissen für die weitere Untersuchung Für den weiteren Verlauf der Untersuchung kann zunächst festgehalten werden, dass der administrative Charakter der Kartellaufsicht nicht dazu führt, an die Art des Rechtsverstoßes niedrige Anforderungen zu stellen. Ebenso wenig ist die Wirtschaft als Regelungsgegenstand des Kartellrechts für sich genommen geeignet, Prämissen für die weitere Untersuchung aufzustellen. Vielmehr ist dieser Untersuchung das gewandelte Verständnis innerhalb der Rechtsprechung zugrunde zu legen. Nach den bisher herausgearbeiteten Ergebnissen ist daher maßgeblich auf das dem Organ zustehenden Ermessen abzustellen. Von der zu regelnden Materie kann nicht ohne Weiteres auf die Existenz entsprechender Freiräume geschlossen werden. Es sind daher die Voraussetzungen für die Existenz von Ermessensspielräumen zu untersuchen, um in einem zweiten Schritt darauf eingehen zu können, wann der Kommission ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen die oben präzisierten Rechtsnormen399 nachgewiesen werden kann. Bei dieser Untersuchung werden auch die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte sowie die Schwierigkeiten bei der Anwendung oder Auslegung der Vorschriften zu berücksichtigen sein. Ob sich hierbei das von der Rechtsprechung zugrunde gelegte Konzept, das maßgeblich auf das Ermessen abstellt, als überzeugend erweist, wird ebenso zu untersuchen sein. III. Anwendung auf die Kartellaufsicht Für den Prüfungsmaßstab des Rechtsverstoßes ist zunächst der Bestand und der Umfang des Ermessens, über das die Kommission im Rahmen ihrer kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit verfügt, zu bestimmen (1.). Sodann sind die übrigen Kriterien, die nach der Rechtsprechung der europäischen Gerichte bei der Frage nach einem hinreichend qualifizierten Verstoß von Bedeutung sind, namentlich die rechtliche und tatsächliche Komplexität der zu regelnden Sachverhalte sowie die Schwierigkeiten bei der Anwendung oder Auslegung der Vorschriften in den Blick zu nehmen (2.).400 Abgeschlossen wird dieser Abschnitt mit einer Untersuchung der Feststellung des hinreichend qualifizierten Verstoßes im Zusammenhang mit den Verteidigungsrechten (3.).
399 400
§ 5 A. III. Instruktiv etwa EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 62 ff.) – Artegodan.
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1. Ermessensspielräume in der Kartellaufsicht
Zunächst werden die Umstände, unter denen das Verwaltungsrecht der Europäischen Union Ermessensspielräume anerkennt, vorgestellt (a)) und auf die Kartellaufsicht angewandt (b)). Dann wird der Frage nachgegangen, ob die Kommission auch in Bezug auf Verfahrensvorschriften über Ermessensspielräume verfügt (c)). a) Voraussetzungen für die Anerkennung von Ermessensspielräumen im Verwaltungsrecht der Europäischen Union Die Voraussetzungen, unter denen das europäische Verwaltungsrecht Ermessensspielräume anerkennt, werden nicht durch den eingelegten Rechtsbehelf bestimmt.401 Entscheidend ist das materielle Recht. Soweit die Frage nach etwaigen Ermessensspielräumen der Kommission nicht ausdrücklich durch die jeweiligen Vorschriften beantwortet wird,402 ist mit der Auslegung der einschlägigen (Befugnis-)Normen zu beginnen.403 Da Ermessen im hier verwandten weiten Sinne auch auf der Ebene des Tatbestands bestehen kann, können diese Spielräume zudem aus weit gefassten Begriffen und vagen Formulierungen resultieren.404 Im Übrigen kommen derartige Freiräume grundsätzlich immer dann in Betracht, wenn das Gesetz keine bestimmten Ergebnisse präjudiziert oder das Gericht sich nicht an die Stelle der Verwaltung setzen kann.405 Insoweit stehen Ermessensräume in einem Spannungsverhältnis mit der Gewaltenteilung. Sie sollen dazu führen, dass Behörden die Besonderheiten des konkreten Falles würdigen können, um dann über diese bestmöglich entscheiden zu können.406 Dieser Aspekt geht 401
Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (150). So etwa in Art. 31 VO 1/2003; 16 FKVO, wonach die Gerichte einen eine Geldbuße bzw. ein Zwangsgeld festsetzenden Kommissionsbeschluss unbeschränkt überprüfen können. 403 Hierbei ist neben dem Wortlaut insb. die systematische Stellung sowie ihr Sinn und Zweck zu berücksichtigen, vgl. etwa EuG T-300/03, Slg. 2006, II-3911 (Rn. 29) – Moser Baer India; ferner v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 362; Pache, DVBl. 1998, 380 (385). 404 Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (153); Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (123 f.); F. T. Schmidt, Die Befugnis des Gemeinschaftsrichters zu unbeschränkter Ermessensüberprüfung, 2003, S. 60; Everling, in: FS Redeker, 1993, S. 293 (306). 405 Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. 2, EL 5/1997, Vorb. § 113 Rn. 34. Zum Verständnis des Ermessens im europäischen Recht schon o. bei Fn. 324 ff. 406 Etwa GA Tesauro, SchlA zu EuGH C-68/94 u. a., Slg. 1998, I-1375 (Rn. 21) – Kali & Salz. 402
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mit einer Stärkung der Verfahrensökonomie einher, da die Kontrolle durch die Gerichte erleichtert wird.407 Ermessensspielräume können sich im Unionsrecht insbesondere aus dem prognostischen Charakter einer Bewertung sowie aus der besonderen Sachkunde der Verwaltung ergeben.408 Neben der jeweiligen Norm spielt auch die Komplexität der zu behandelnden Sachverhalte eine Rolle.409 Hierbei kann nicht nur die Komplexität wirtschaftlicher Sachverhalte zur Annahme von Ermessensspielräumen führen, vielmehr können sich Ermessensspielräume auch aus der Komplexität von wissenschaftlichen und technischen Umständen ergeben.410 In jüngeren Entscheidungen lassen sich indes Tendenzen innerhalb der Rechtsprechung ausmachen, die Komplexität der Regelungsmaterie neben das Ermessen zu stellen und diese Institute getrennt voneinander zu behandeln.411 Hierauf wird noch einzugehen sein. Schließlich werden der Kommission Ermessensspielräume bei politischen Entscheidungen eingeräumt.412 Anders als das deutsche Verwaltungsrecht anerkennt das europäische Recht Ermessensfreiräume mitunter ohne konkrete Herleitung, sondern vielmehr durch pauschalen Verweis auf die oben angesprochenen Kriterien.413 Teilweise lässt die Rechtsprechung hierbei ein stringentes Vorgehen vermissen, wenn entsprechende Freiräume trotz Vorliegens der vorstehenden Kriterien verneint werden. 407
Pohlmann, in: FS Möschel, 2011, S. 471. Vgl. dazu Schweitzer, in: European Competition Law Annual, 2011, S. 79 (101 ff.); v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 363; Pache, DVBl. 1998, 380 (385); Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997, S. 125 f. 409 St. Rspr., s. nur EuGH C-269/90, Slg. 1991, I-5469 (Rn. 13) – TU München; C-204/00 P u. a., Slg. 2004, I-123 (Rn. 279) – Aalborg Portland. Aus der Lit. etwa v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 363 mit Fn. 313; Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (153); Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 283 f. Wg. der Eingriffsintensität i. R. des Kartellrechts a. A. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. 2, EL 5/1997, Vorb. § 113 Rn. 34. 410 Etwa EuGH C-326/05 P, Slg. 2007, I-6557 (Rn. 75) – Industrias Químicas del Vallés. 411 s. etwa die Nebeneinanderstellung in EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 40) – Bergaderm; EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2972 (Rn. 45) – Corus (für Art. 34, 40 EGKS); T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 116) – Schneider; ferner v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 94; Rubel, Entscheidungsfreiräume, 2005, S. 220 ff. Ähnl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 714 ff. 412 Wahl, in: European Competition Law Annual 2011, S. 285 (289); Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (123); v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 364, 365; ders., Verwaltungsrechtliches System und Europäische Integration, 1996, S. 185; Pache, DVBl. 1998, 380 (385). 413 So die Kritik bei v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 371; ähnl. Gerhardt, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Bd. 2, EL 5/1997, Vorb. § 113 Rn. 34, der den Ansatz des EuGH als „undogmatisch[. . .]“ bezeichnet. 408
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b) Anwendung der Erkenntnisse auf die Kartellaufsicht Es soll nun untersucht werden, in welchen Bereichen der Kartellaufsicht die Kommission über Ermessensspielräume verfügt. Von den anerkannten Fallgruppen soll die Ausgestaltung der Kartellaufsicht einer Untersuchung hinsichtlich der Existenz von politischen Entscheidungen (aa)), der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte (bb)), des Bestehens von Prognosespielräumen (cc)) sowie schließlich des Rechtsfolgenermessens (dd)) unterzogen werden. aa) Politische Entscheidungsspielräume Möglicherweise kann insoweit schon auf die politische Zusammensetzung der Kommission abgestellt werden.414 Ein derart pauschaler Hinweis kann indes nicht ausreichend sein, da anderenfalls in jedem ihrer Tätigkeitsbereiche der Kommission ein Ermessen zugesprochen werden muss. Dies ist jedoch nicht der Fall, ansonsten liefe diese Formel leer. Im Übrigen ist zwischen dem Kollegium der Kommissare auf der einen Seite und den Generaldirektionen auf der anderen Seite zu differenzieren.415 Entscheidend kann daher nicht die Art der Zusammensetzung des Entscheidungsorgans sein, vielmehr ist auf die Art der zu behandelnden Materie abzustellen. Ausweislich Art. 119 Abs. 1 AEUV erstreckt sich die Tätigkeit der Europäischen Union auf die Einführung einer Wirtschaftspolitik, die auf einer engen Koordinierung mit den Mitgliedstaaten, dem Binnenmarkt und der Festlegung gemeinsamer Ziele beruht und dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.416 Da im Gefüge der Institutionen innerhalb der Europäischen Union der Kommission eine herausragende Stellung zukommt,417 könnte insoweit ein politisches Tätigwerden in Betracht zu ziehen sein. Als Teil der Exekutive ist sie indes auf die Rechtsanwendung beschränkt.418 Daher darf sie im Grundsatz schon aus Gründen der Gewaltenteilung nicht eigenständig Wettbewerbspolitik be414 Vgl. auch (relativierend) Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 79, 91. Die Zusammensetzung der Kommission bestimmen Art. 17 Abs. 5 EUV; 244 AEUV. 415 s. schon o. im ersten Teil in Fn. 89. 416 Hierauf hinweisend Immenga, in: ders./Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 9 (12). 417 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 5 Rn. 93, mit Verweis auf Walter Hallstein („Motor, Wächter und ehrlicher Makler“); Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 5 Rn. 34. 418 de Bronett, EU-Kartellverfahren, 2. Aufl. 2012 Allgemeine Vorbemerkungen Rn. 33; Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (131 f.).
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
treiben.419 Dies gilt jedenfalls, soweit die Kommission kartellaufsichtsrechtliche Einzelfallentscheidungen erlässt. Politische Entscheidungsspielräume können im Bereich der Kartellaufsicht daher nur ausnahmsweise bestehen:420 Unstrittig existieren derartige Spielräume zunächst für das Mitwirken der Kommission an der Rechtsetzung. So sind etwa Gesetzesinitiativen der Kommission (vgl. Art. 17 Abs. 2 EUV) diesem politischen Bereich zuzurechnen.421 Hierunter fallen etwa Entwürfe und Vorschläge der Fusionskontroll- oder der Kartellverfahrensverordnungen, s. Art. 103 AEUV. Ferner stellt der Erlass von Durchführungsverordnung als sog. Tertiärrecht422 ein politisches Tätigwerden dar. Ebenso soll die Entscheidung der Kommission, das Hauptprüfverfahren gemäß Art. 6 FKVO zu eröffnen, politische Erwägungen implizieren.423 Gleiches gilt für das Verweisen eines Zusammenschlussvorhabens an einen anderen Mitgliedstaat.424 Auch innerhalb des Aufgreifens von Beschwerden und damit der Bejahung des sog. Unionsinteresse im Rahmen von Art. 7 Abs. 1 VO 1/2003 spielen politische Erwägungen bei der Entscheidungsfindung der Kommission eine Rolle425. Ähnliches gilt für Beschlüsse nach 419
Rittner/Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 14 Rn. 79; Tiili/Vanhamme, 22 Fordham Int’l L.J. (1999), 885; für das deutsche Recht v. Köhler, VerwArch 54 (1963), 262 (262, 274 ff.); allg. für die Wirtschaftsaufsicht auch Bullinger, VVDStRL 22 (1965), S. 264 (289). s. jedoch auch Pohlmann, in: Schulze, Compensation of private losses, 2011, S. 157 (158); M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 127 f.; K. Schmidt, in: FS Selmer, 2004, S. 499: „Kartellrechtspraxis ist zum großen Teil rechtsförmlich praktizierte Wirtschaftspolitik.“ Günther, in: Kartelle, 1961, S. 79 (83), betont, dass dem BKartA „angesichts des weiten Spielraums für kognitives und Handlungsermessen und angesichts der Vielzahl der unbestimmten Rechtsbegriffe eine wahrhaft wirtschaftspolitische Aufgabe übertragen [ist]“. Corr, 74 Brook. L. Rev. (2008), 159 (172 ff.), erkennt wettbewerbspolitisch motivierte Tendenzen auch in der europäischen Rspr. 420 Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (124 f.); Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997, S. 127 f. Wohl a. A. Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 67 f. s. auch Schorkopf, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 37 (53), der bildlich auf die „zwei Körper“ der Kommission hinweist, die sich zum einen in ihrer Funktion als Verwaltungsbehörde, zum anderen aber auch in ihrer Eigenart als „politischer Unternehmer“ bzw. als Vollstrecker einer „politischen Gemeinwohlbürokratie“ ausprägen. Politische Richtungsentscheidungen sollen jedoch nach Schorkopf, a. a. O. (S. 55) im Wettbewerbsrecht „nur am Rande einen Platz finden“. 421 Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 391 ff.; Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (124). 422 Vgl. etwa Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 399. 423 Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (124). 424 Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (124). 425 EuG T-24/90, Slg. 1992, II-2223 (Rn. 80) – Automotec; de Bronett, ZWeR 2012, 157 (181); Wahl, in: European Competition Law Annual, 2011, S. 285 (289). Zum Unionsinteresse schon o. bei Fn. 230.
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Art. 9 VO 1/2003.426 Vor Einführung der Legalausnahme427 verfügte die Kommission schließlich im Bereich der Einzelfreistellungen gemäß Art. 101 Abs. 3 AEUV über ein politisches Ermessen.428 In den angesprochenen Bereichen kann also die Qualifikation der Tätigkeit als Ausübung politischer Entscheidungen zu Ermessensspielräumen der Kommission führen. Darüber hinaus hilft dieser Ansatz hingegen nicht weiter: Der Erlass von Beschlüssen im Einzelfall als typischer Handlungsform der Kommission stellt keine politische Aufgabe dar429 – insoweit handelt es sich um Rechtsanwendung und nicht um Rechtsetzung. bb) Komplexität der zu regelnden Sachverhalte Als zielführender könnte sich das Nachgehen der Frage erweisen, ob die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte zur Annahme von Ermessensspielräumen der Kommission führt. Nach der Rechtsprechung sollen entsprechende Spielräume aus der Würdigung komplexer wirtschaftlicher bzw. wissenschaftlicher oder technischer Gegebenheiten resultieren. Für die Kartellaufsicht stellt jedoch gerade die Wirtschaft die Aufsichtsmaterie dar,430 und den zu untersuchenden kartellrechtlichen Sachverhalten ist häufig eine Komplexität und Vielschichtigkeit inhärent.431 Das bloße und generelle Abstellen auf komplexe wirtschaftliche Gegebenheiten vermag daher einen Ermessensspielraum nicht zu rechtfertigen, ohne sich der Gefahr einer Leer426
de Bronett, ZWeR 2012, 157 (181). Vgl. dazu Art. 1 Abs. 2 VO 1/2003 sowie schon o. im ersten Teil bei Fn. 46. 428 Schweitzer, in: European Competition Law Annual, 2011, S. 79 (102); Nolte Beurteilungsspielräume, 1997, S. 127, unter Berufung auf EuGH Rs. 14/68, Slg. 1969, 1 (14) – Walt Wilhelm. Eingehend etwa M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 79 ff. 429 Lübking/v. Koppenfels, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 59 (65). 430 Vgl. dazu bereits § 3 A. I. 2. 431 s. allg. EuGH Rs. 56/64 u. a., Slg. 1966, 325 (396) – Consten und Grundig, wonach die Kommission „bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu schwierigen Wertungen wirtschaftlicher Sachverhalte gezwungen“ sei. In der englischen Fassung heißt es [Hervorhebung nicht im Original]: „the exercise of the Commission’s powers necessarily implies complex evaluations on economic matters“. Ähnl. auch EuGH C-215/96 u. a., Slg. 1999, I-135 (Rn. 50) – Bagnasco, wonach die Beantwortung der Frage, ob der Tatbestand des Art. 101 AEUV erfüllt ist, grundsätzlich „von komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen“ abhängt. Vgl. demgegenüber jedoch auch EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 [Rn. 100 einerseits (reduziertes Ermessen), Rn. 114 andererseits (besonders komplex)] – Holcim. Zu dieser Beobachtung auch schon o. in Fn. 411. Für die Situation in der Fusionskontrolle nur EuGH C-68/94 u. a., Slg. 1998, I-1375 (Rn. 223) – Kali & Salz. 427
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formel auszusetzen.432 In diesem Zusammenhang sind vielmehr die Worte der Generalanwältin Stix-Hackl zu bedenken, nach denen die Frage nach dem Bestehen von Ermessensspielräumen für jeden Einzelfall gesondert geklärt werden muss.433 Dabei ist sich zunächst der grundsätzlichen Schwierigkeit zu vergegenwärtigen, wirtschaftliche Gegebenheiten als komplex einzustufen.434 Mitunter rückt diese Abgrenzung wegen der Unbestimmtheit und in Ermangelung klarer Abgrenzungskriterien insbesondere in der Rechtsprechung in die „Nähe der Willkür“435. Vielmehr entscheiden die Gerichte im konkreten Fall, ob eine derartige komplexe Bewertung vorzunehmen ist.436 Dieser Befund schmälert nicht zuletzt die Rechtssicherheit.437 Zudem handelt es sich bei den „komplexen wirtschaftlichen Gegebenheiten“ um empirische Begriffe,438 die wegen des Erfordernisses einer Wertung einer juristischen Subsumtion nur eingeschränkt zugänglich sind. Unter Berücksichtigung dieser Feststellungen ist ein normativer Ansatz geboten. Für die Zwecke der Bearbeitung soll daher nun die Rechtsprechung zur Kartell-439 und Missbrauchsaufsicht (1) sowie zur Fusionskontrolle (2) untersucht werden, um 432 Rubel, Entscheidungsfreiräume, 2005, S. 219 f. Vgl. jedoch de Bronett, EUKartellverfahrensrecht, 2. Aufl. 2011, Art. 31 Rn. 4. Krit. in Hinblick auf die Generalisierung dagegen auch Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 526; ähnl. Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 286. 433 GA Stix-Hackl, SchlA zu EuGH C-472/00 P, Slg. 2003, I-7541 (Rn. 78) – Fresh Marine; zust. Lenaerts/Arts, Procedural Law of the European Union, 2. Aufl. 2006, Rn. 11-032. Vgl. auch Rubel, Entscheidungsfreiräume, 2005, S. 219, der mit Verweis auf Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S. 334 f., vor einem „generellen und unreflektierten judicial self-restraint in oeconomics“ warnt. A. A. hingegen bei Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 308. 434 Nikolic, E.C.L.R. 2012, 33(12), 583 (586); Bailey, CML Rev. 41 (2004), 1327 (1336, 1342). 435 Schweitzer, in: European Competition Law Annual, 2011, S. 79 (99); Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 61; Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 590. Tiili/Vanhamme, 22 Fordham Int’l L.J. (1999), 885 (889 f.) weisen darauf hin, dass die Abgrenzung in der Rspr. beliebig erscheint („arbitrary“). 436 Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 119. Vgl. auch J. Koch, ZWeR 2005, 380 (386); Calliess, in: FS Götz, 2005, S. 239 (242, 249 f.); Tiili/Vanhamme, 22 Fordham Int’l L.J. (1999), 885 (889 f.). 437 Zur Rechtssicherheit als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts s. nur EuGH Rs. 42/59 u. a., Slg. 1961, 109 (172 f.) – SNUPAT. 438 Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 119 mit Verweis auf Schlette, Ermessenskontrolle in Frankreich, 1991, S. 291. 439 Lübking/v. Koppenfels, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 59 (83 mit Fn. 58) stellen die Existenz von komplexen wirtschaftlichen Entscheidung für die Kartellaufsicht i. e. S. – anders als für die Missbrauchs- und Fusionskontrolle – generell in Frage.
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in einem Zwischenergebnis (3) die aufgeworfene Frage beantworten zu können. (1) Im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht Die Tatbestandsmerkmale des Kartell- und Missbrauchsverbots werfen „schwierige Fragen tatsächlicher und rechtlicher Art“ auf.440 In der Rechtsprechung zur Kartellaufsicht stellen die europäischen Gerichte daher in vielen Fällen ihrem Prüfungsprogramm die Formel voran, die richterliche Überprüfung sei bei der Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten auf die Frage zu beschränken, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob die Begründung ausreichend ist, ob der Sachverhalt zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.441 Nach ständiger Rechtsprechung nehmen die Gerichte jedoch entgegen dieser Formel grundsätzlich eine umfassende Prüfung der Frage vor, ob die Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsregeln erfüllt sind.442 Eine tatsächliche Kontrolldichtereduktion wegen der wirtschaftlichen Komplexität ist daher die rechtfertigungsbedürftige Ausnahme. Ermessensbejahende Entscheidungen sind nur äußerst vereinzelt auszumachen;443 teilweise wird ihre Existenz ganz verneint.444 1966 stand etwa in der Sache Consten und Grundig die damals noch von der Kommission im Einzelfall vorgenommene Freistellung eines Vertriebssystems vom Kartellverbot nach Art. 85 Abs. 3 EG (nunmehr 440 Vgl. statt vieler für Art. 101 Abs. 1 AEUV Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 347. Zu den insoweit zu beobachtenden Auswirkungen des more economic approach nur Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (305 ff.). 441 EuGH Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (Rn. 34) – Remia. s. auch EuG T-168/01, Slg. 2006, II-2969 (Rn. 57) – GlaxoSmithKline; T-112/99, Slg. 2001, II-2459 (Rn. 114) – Métropole télévision. 442 St. Rspr., s. nur EuGH Rs. 42/84, Slg. 1985, 2545 (Rn. 34) – Remia; C-7/95, Slg. 1998, I-3111 (Rn. 34 m. w. Nwn.) – John Deere; EuG T-65/96, Slg. 2000, II-1885 (Rn. 64) – Kish Glass; T-446/05, Slg. 2010, II-1255 (Rn. 131) – Amann & Söhne; Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 348, 354 (für Art. 101 AEUV), 362 f. (für Art. 102 AEUV); M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 81 ff.; Bailey, CML Rev. 41 (2004), 1327 (1339 ff.); W. A. Adam, Kontrolldichte, 1993, S. 156 f.; Jacobs, in: Fordham Corp. Law Instit., 1988, S. 541 (576). 443 Vgl. hierzu und zum Folgenden auch die Gesamtdarstellungen von Fritzsche, Ermessen, 2008; M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007; Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997; W. A. Adam, Kontrolldichte, 1993, S. 156 ff. sowie die Beiträge in Ehlermann/Marquis, European Competition Law Annual, 2011; Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2011. 444 So etwa – jeweils für die Missbrauchsaufsicht – M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 122 ff.; W. A. Adam, Kontrolldichte, 1993, S. 167 ff. Demgegenüber Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (299 f.).
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Art. 101 Abs. 3 AEUV) in Rede. Der EuGH führte aus, dass die gerichtliche Nachprüfung der „schwierigen Wertungen wirtschaftlicher Sachverhalte, zu denen die Kommission im Verfahren auf Befreiung vom Kartellverbot genötigt ist, [. . .] dem Rechnung tragen und sich deshalb auf die Richtigkeit der diesen Wertungen zugrunde liegenden Tatsachen und deren Subsumtion unter die Begriffe des geltenden Rechts beschränken [muß]. Sie hat sich in erster Linie auf die Begrünung der Entscheidungen zu erstrecken, aus der hervorgehen muß, auf welche Tatsachen und Erwägungen sich jene Wertungen stützen.“445 Fast 20 Jahre später war in der Remia-Entscheidung die kartellrechtliche Zulässigkeit eines Wettbewerbsverbotes in einem Unternehmenskaufvertrag Streitgegenstand. Nachdem die Kommission entschieden hat, dass Wettbewerbsverbote das Kartellverbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV nicht verletzen, soweit sie objektiv zur Erreichung eines kartellrechtsneutralen Zweckes geeignet sind, hat der EuGH die konkrete Dauer des Verbotes als komplexe wirtschaftliche Wertungen erfordernde Frage keiner Überprüfung unterzogen.446 Diese Entscheidung wurde zur vielzitierten Leitentscheidung447 für das Ermessen bei der Anwendung des Kartellverbots erklärt. Ähnlichkeiten zu dem Sachverhalt in Remia weist die Sache Métropole télévision auf, in der ebenfalls die Rechtmäßigkeit einer Nebenabrede auf dem Prüfstand stand.448 Ein weiteres Beispiel für einen vom Gericht nicht näher überprüften Ermessensspielraum findet sich in der Rechtssache BAT & Reynolds, in der es ebenfalls um die kartellrechtliche Bewertung von Nebenabreden ging.449 Ferner hat das EuG in der Sache GlaxoSmithKline Bezug auf Remia genommen und einen Ermessensspielraum der Kommission bejaht.450 In dem Missbrauchsverfahren Kish Glass hat das EuG schließlich entschieden, dass die Marktabgrenzung unvermeidlich mit Unsicherheiten verbunden ist, da die praktizierten Marktabgrenzungstheorien weite Ermessensspielräume offenlassen.451 Inzwischen hat das EuG jedoch klargestellt, 445 EuGH Rs. 56/64 u. a., Slg. 1966, 322 (396). Ähnl. zu Art. 101 Abs. 3 AEUV auch EuG T-39/92 u. a., Slg. 1994, II-49 (Rn. 109) – Groupement des Cartes Bancaires und Europay International; T-29/92, Slg. 1995, II-289 (Rn. 288) – Vereniging van Samenwerkende Prijsregelende Organisaties in de Bouwnijverheid. 446 EuGH 42/84, Slg. 1985, 2545 (Rn. 34). 447 So etwa von Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 60. 448 EuG T-112/99, Slg. 2001, II-2459 (Rn. 114). 449 EuGH Rs. 142/84 u. a., Slg. 1987, 4487 (Rn. 62). 450 EuG T-168/01, Slg. 2006, II-2969 (Rn. 57, sowie Rn. 241 für Art. 101 Abs. 3 AEUV). 451 EuG T-65/96, Slg. 2000, II-1885 (Rn. 64). s. auch EuG T-201/04, Slg. 2007, II-3601 (Rn. 482) – Microsoft; T-301/04, Slg. 2009, II-3155 (Rn. 47) – Clearstream; T-5701, Slg. 2009, II-4621 (Rn. 250) – Solvay; T-321/05, Slg. 2010, II-2805 (Rn. 32) – AstraZeneca; T-427/08, Slg. 2010, II-5865 (Rn. 65 f.) – CEAHR; sowie für die Marktabgrenzung in der Fusionskontrolle T-342/99, Slg. 2002,
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dass die Definition des sachlichen und räumlichen Marktes zwar „komplexe wirtschaftliche Beurteilungen“ erfordere, sich die Kommission jedoch „bei der Ausübung ihres Ermessens an die von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien wie die Angebots- und Nachfragesubstitution halten“ muss.452 Schließlich wurden der Kommission im Rahmen der Prüfung eines Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung Ermessensfreiräume eingeräumt.453 Darüber hinausgehend wurden ihr auf den Topos der Komplexität gestützte Ermessensfreiräume nicht gewährt. Für die Kartell- und Missbrauchsaufsicht lautet der Grundsatz daher, dass die Beschlüsse der Kommission auch dann, wenn komplexe Sachverhalte Gegenstand dieses Beschlusses sind, durch die Gerichte vollständig überprüft werden.454 Der Rekurs auf die Komplexität bringt vielmehr lediglich zum Ausdruck, dass das Gericht seine wirtschaftlichen Überlegungen nicht an Stelle derjenigen der Kommission setzen will.455 In einer jüngeren Entscheidung hat das EuG zwar eingeräumt, dass der Kommission bei der Vornahme vielschichtiger wirtschaftlicher oder technischer Beurteilungen ein gewisser Wertungsspielraum einzuräumen sei, dieser sei jedoch „in keinem Fall unbegrenzt“456. Dieses Verständnis wird auch durch die wenigen Entscheidungen gestützt, die die außervertragliche Haftung im Bereich der Kartellaufsicht zum Gegenstand haben. So bezeichnete das EuG in der Sache Holcim den von der Kommission zu begutachtenden Sachverhalt als komplex.457 Gleichwohl sah er das Ermessen der Kommission als reduziert an458. In der Sache Corus führte das EuG aus, im Bereich der Haftung II-2585 (Rn. 26) – Airtours; T-151/05, Slg. 2009, II-1219 (Rn. 80) – NVV. Zur Komplexität der Marktabgrenzung auch Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (300); Voet van Vormizeele, in: Schwarze, Rechtsschutz und Wettbewerb, 2010, S. 11 (16). 452 EuG T-446/05, Slg. 2010, II-1255 (Rn. 136) – Amann & Söhne. 453 s. etwa Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (300 mit Fn. 45 für den margin squeeze). 454 EuGH C-389/10 P, WuW/E EU-R 2213 (Rn. 121, 136) – KME; Pohlmann, in: FS Möschel, 2011, S. 471 (474 f.); Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (300 ff.); Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997, S. 75. Zum Ausnahmecharakter von Ermessensspielräumen bei Entscheidungen nach Art. 101 und 102 AEUV EuG T-170/06, Slg. 2007, II-2601 (Rn. 108) – Alrosa: „Bei Berücksichtigung der Auswirkung der Entscheidungen nach den Art. 81 EG und 82 EG auf die vom Vertrag garantierten wirtschaftlichen Grundfreiheiten muss die eingeschränkte Kontrolle den Fällen vorbehalten bleiben, in denen die Entscheidung sich auf eine komplexe wirtschaftliche Beurteilung stützt.“ 455 So ausdr. EuG T-168/01, Slg. 2006, II-2969 (Rn. 243) – GlaxoSmithKline. Zur insoweit divergierenden Herangehensweise in der Praxis vgl. Pohlmann, in: FS Möschel, 2011, S. 471 (484). 456 EuG T-446/05, Slg. 2010, II-1255 (Rn. 131) – Amann & Söhne. 457 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 102 ff., 114). Es ging um ein fast den gesamten europäischen Zementmarkt umfassendes Kartell.
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nach Art. 34, 40 EGKS seien „insbesondere die Komplexität der von dem Organ zu regelnden Sachlagen [. . .] und der Beurteilungsspielraum zu berücksichtigen, über den das Organ [. . .] verfügt“.459 Das Gericht stellt also das Ermessen neben die Komplexität wirtschaftlicher Sachverhalte.460 Daher führt die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte als solche nicht zur Annahme von Ermessensspielräumen im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht.461 (2) Im Bereich der Fusionskontrolle Im Unterschied zu der relativ klaren Situation der Ermessensspielräume innerhalb des Kartell- und Missbrauchsaufsichtsrecht unterlag das Anerkennen komplexer wirtschaftlicher Entscheidungen, die sich in Ermessensspielräumen der Rechtsanwender und damit in zurückgenommenen Überprüfungsmaßstäben der Gerichte niederschlagen, im Bereich der Fusionskontrolle einem Wandel. Insoweit wird diese Diskussion auch intensiver als im Zusammenhang mit der Kartell- und Missbrauchsaufsicht geführt. Den Ausgangspunkt markierte 1998 die Kali & Salz-Entscheidung, in der der EuGH feststellte, dass Art. 2 FKVO a. F. „der Kommission ein bestimmtes Ermessen namentlich bei Beurteilungen wirtschaftlicher Art einräum[t]. Daher muß die Kontrolle der Ausübung einer solchen Befugnis, die bei der Beschreibung der Regeln für Zusammenschlüsse wesentlich ist, durch den Gemeinschaftsrichter unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums erfolgen, der den Bestimmungen wirtschaftlicher Art, die Teil der Regelung für Zusammenschlüsse sind, zugrunde liegt.“462 Die richterliche Überprüfung beschränkte sich darauf, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend ermittelt worden ist und ob dieser bei der Bewertung keine „offensichtlichen Beurteilungsfehler“ unterlaufen sind.463
458
EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 100) – Holcim. EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2972 (Rn. 45). 460 Vgl. auch die Nw. bei Rubel, Entscheidungsfreiräume, 2005, S. 220 ff. Näher in § 5 B. III. 2. 461 Den Umfang der richterlichen Überprüfung bestimmt vielmehr der Vortrag der Parteien, s. Pohlmann, in: FS Möschel, 2011, S. 471 (474 f.); Jacobs, in: Fordham Corp. Law Instit., 1988, S. 541 (576). 462 EuGH C-68/94 u. a., Slg. 1998, I-1375 (Rn. 223–225). s. auch EuGH C-12/03, Slg. 2005, I-987 (Rn. 38) – Tetra Laval; EuG T-342/07, Slg. 2010, II-3457 (Rn. 29) – Ryanair. In dem Ryanair-Urteil hat das EuG an dieser Rspr. auch für die FKVO n. F. festgehalten. 463 Etwa Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 83. 459
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Diese Rechtsprechung führte dazu, dass Beschlüsse der Kommission in Fusionskontrollsachen als „nahezu unangreifbar“ galten.464 Im Jahre 2002 ergingen drei Entscheidungen des EuG, in denen das Gericht trotz grammatikalischer Anknüpfung an Kali & Salz die Untersagungsverfügungen der Kommission einer umfassenden Nachprüfung unterzog und schließlich aufhob.465 Die durch diese Entscheidungen eingeleitete Entwicklung ist als „Trendwende“466 bezeichnet worden, mit der eine „spürbare Steigerung der Kontrolldichte“467 einherging. Da die auf das reduzierte Prüfprogramm verweisende Obersätze den Entscheidungen weiterhin vorangestellt werden, sollen im Grundsatz derartige Ermessensspielräume zwar fortbestehen,468 jedoch verlangen die Gerichte eine erschöpfende Würdigung aller relevanten Umstände des Falles.469 In der Sache Tetra Laval hat der EuGH zum Beurteilungsspielraum der Kommission und zum dazu korrespondierenden Prüfungsmaßstab der Gerichte ausgeführt: „Auch wenn der Gerichtshof anerkennt, dass der Kommission in Wirtschaftsfragen ein Beurteilungsspielraum zusteht, bedeutet dies nicht, dass der Gemeinschaftsrichter eine Kontrolle der Auslegung von Wirtschaftsdaten durch die Kommission unterlassen muss. Er muss nämlich nicht nur die sachliche Richtigkeit der angeführten Beweise, ihre Zuverlässigkeit und ihre Kohärenz prüfen, sondern auch kontrollieren, ob diese Beweise alle relevanten Daten darstellen, die bei der Beurteilung einer komplexen Situation heranzuziehen waren, und ob sie die aus ihnen gezogenen Schlüsse zu stützen vermögen.“470 Den letzten Teil hat der Präsident des EuG Jaeger als „vergessenen Ab464 Nothdurft, in: FS Hirsch, 2008, S. 285 (289). Der „vorgeblich weite Ermessenspielraum“ wurde daher auch als Kritikgrund am Primärrechtsschutzsystem innerhalb der Fusionskontrolle ausgemacht, vgl. etwa Steinle/Schwarz, BB 2007, 1741 (1742). Hingegen haben die Gerichte – soweit ersichtlich – wegen eines etwaigen Beurteilungsspielraums entsprechende Angriffe bisher nicht zurückgewiesen, vgl. Pohlmann, in: FS Möschel, 2011, S. 471 (474). 465 EuG T-342/99, Slg. 2002, II-2585 – Airtours; T-310/01, Slg. 2002, II-4071 – Schneider; T-5/02, Slg. 2002, II-4381, Slg. 2002, II-4381 – Tetra Laval. 466 So etwa Völcker, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 153 (169); Nothdurft, in: FS Hirsch, 2008, S. 285 (289). A. A. Ehlermann/Völcker, EuZW 2003, 1. 467 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 84; ähnl. Schohe, WuW 2003, 359 (361). 468 M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 37. 469 Vgl. Nothdurft, in: FS Hirsch, 2008, S. 285 (289); Emmerich, AG 2005, 856 (863). 470 EuGH C-12/03 P, Slg. 2005, I-987 (Rn. 39) – Tetra Laval, seitdem st. Rspr., vgl. EuG T-151/05, Slg. 2009, II-1219 (Rn. 54) – NVV; T-145/06, Slg. 2009, II-145 (Rn. 32) – Omya; T-342/07, Slg. 2010, II-3457 (Rn. 38) – Ryanair. Zur Bedeutung der Tetra-Laval-Entscheidung für die gegenwärtige Rspr. Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, FKVO, Art. 16 Rn. 78.
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satz“471 der Tetra-Laval-Entscheidung bezeichnet, der bei der Kritik an der vermeintlich zurückgenommenen richterlichen Kontrolle oftmals übersehen werde. Insoweit wird auf die faktischen Gegebenheiten und Feststellungen des Sachverhaltes abgestellt, die keinerlei reduzierten Überprüfungen unterliegen.472 Daher rückt die Kontrolle der Einhaltung von Form- und Verfahrensregeln in den Mittelpunkt. Soweit die materielle Beurteilung eines Zusammenschlusses Entscheidungsgegenstand ist, stellen die Gerichte auf offensichtliche Beurteilungsfehler ab. Hierdurch bringt die Rechtsprechung zum Ausdruck, dass sie die wirtschaftliche Bewertung durch die Kommission nicht durch eigene Überlegungen ersetzt.473 Im Übrigen gelten diese Anforderungen nicht nur bei der Überprüfung von Untersagungsverfügungen, sondern ebenso bei der Kontrolle von Freigabebeschlüssen.474 (3) Zwischenergebnis Dass die Anwendung des Kartellrechts komplexe Fragestellungen aufwerfen kann, steht außer Frage. Ein Ermessensspielraum der Kommission folgt daraus nach einer Analyse der Rechtsprechung jedoch nicht. Insoweit entpuppt sich die Formel der Gerichte, wie sie in den Remia- und Kali & SalzEntscheidungen entwickelt wurde, als eine Art Scheinriese.475 Die insbesondere in der Tetra-Laval-Entscheidung des EuGH zum Ausdruck kommende Bedeutung der Form- und Verfahrensregeln hat die Rechtsprechung auch auf die Kartell- und Missbrauchsaufsicht übertragen.476
471
Jaeger, JECLP 2 (2011), 295 (300 f.: „forgotten paragraph“). Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, FKVO Art. 16 Rn. 75, 77. 473 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 87. 474 EuGH C-413/06, Slg. 2008, I-4951 (Rn. 46 ff.) – Impala. Zur Erhöhung der Anforderungen an die Beweisführung durch die Kommission Lübking/v. Koppenfels, in: Immenga/Mestmäcker, Gestaltungsmacht, 2012, S. 59 (83). 475 Pohlmann, in: FS Möschel, 2011, S. 471 (476) erkennt eine Diskrepanz zwischen der Formel und ihrer Anwendung; ähnl. Nikolic, E.C.L.R. 2012, 33 (12), 583 (586 f.); Lübking/v. Koppenfels, in: Immenga/Mestmäcker, Gestaltungsmacht, 2012, S. 59 (83); Nothdurft, in: FS Hirsch, 2008, S. 285 (289); ferner v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 364. s. demgegenüber jedoch Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 117 ff., nach dem die „Ausnahmen vom sog. Grundsatz der vollständigen Überprüfung zahlreicher geworden sind“. 476 EuGH C-389/10 P, WuW/E EU-R 2213 (Rn. 121) – KME; EuG T-168/01, Slg. 2006, II-2969 (Rn. 242) – GlaxoSmithKline; T-446/05, Slg. 2010, II-1255 (Rn. 131) – Amann & Söhne. 472
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cc) Prognoseentscheidungen Fraglich ist, ob der Tätigkeit der Kommission im Bereich der Kartellaufsicht ein prognostizierendes Element zukommt. Auch hieraus können sich Ermessensspielräume ergeben. Insoweit ist zu differenzieren: Prognosespielräume bzw. das Anstellen hypothetischer Erwägungen stehen bei der Untersuchung von Verstößen gegen die Wettbewerbsregeln der Art. 101 und 102 AEUV nicht in Rede, da die Kommission in diesen Fällen regelmäßig in der Vergangenheit liegende Sachverhalte zu würdigen hat.477 Eine Herleitung von Ermessenspielräumen unter dem Gesichtspunkt von Prognoseentscheidungen könnte zwar insoweit angedacht werden, als eine bestimmte Wettbewerbsbeschränkung von den Normunterworfenen nach Art. 101 Abs. 1 AEUV bewirkt werden muss. Jedoch weist die Rechtsprechung kein einheitliches Bild auf, vielmehr werden auch in diesen Fällen die Beschlüsse der Kommission umfänglich überprüft.478 Hinzu tritt, dass die Grenzziehung zwischen der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte sowie der Anstellung von Prognosen nicht immer einfach ist und sich oftmals Friktionen ergeben.479 Im Ergebnis lassen sich in der Kartell- und Missbrauchsaufsicht Ermessensspielräume nicht allein wegen des Erfordernisses hypothetischer Erwägungen und damit wegen des Bestehens von Prognosemöglichkeiten annehmen. Etwas anderes gilt jedoch für die Fusionskontrolle, die mit der Analyse der Auswirkungen eines wettbewerbsrechtlichen Zusammenschlusses einen „zukunftsorientierten Aspekt“ beinhaltet.480 Insoweit stellt Art. 2 Abs. 1 UAbs. 2 lit. a) und b) FKVO auf den „potentiellen Wettbewerb“ ab und verlangt vom Rechtsanwender die Berücksichtigung der „Entwicklung des Angebots und der Nachfrage“ auf den jeweiligen Märkten.481 Im Unterschied zur Kartell- und Missbrauchsaufsicht geht es bei der Zusammenschlusskontrolle auch nicht darum, in der Vergangenheit oder in der Gegenwart begründete Sachverhalte zu untersuchen, vielmehr liegt der Kern der Verwaltungsaufgabe darin „Ereignisse vorherzusehen, die künftig mit mehr oder weniger großer Wahrscheinlichkeit eintreten werden, wenn 477 EuG T-170/06, Slg. 2007, II-2601 (Rn. 110) – Alrosa. s. auch Hartmann-Rüppel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (39). 478 Vgl. Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 106 f. m. Nwn. aus der Rspr. Nolte (Beurteilungsspielraum, 1997, S. 125) weist auf „Widersprüchlichkeiten bei der gerichtlichen Kontrolle prognostischer Erwägungen der Exekutive“ hin. 479 Vgl. W. A. Adam, Kontrolldichte, 1993, S. 155. 480 GA Tesauro, SchlA zu EuGH C-68/94 u. a., Slg. 1998, I-1375 (Rn. 21) – Kali & Salz; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 131) – Schneider; s. auch Karl, in: FS Bechtold, 2006, S. 209 (213 ff.). 481 Vgl. auch Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 112 f.
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keine Entscheidung ergeht, mit der der Zusammenschluss zu den geplanten Bedingungen untersagt wird oder diese näher festgelegt werden.“482 Daher können für die Fusionskontrolle Ermessensspielräume insoweit festgestellt werden, als dass das Anstellen von prognostizierenden Erwägungen erforderlich ist. dd) Rechtsfolgenermessen Ein Rechtsfolgenermessen483 kommt etwa bei der Verfahrenseröffnung in Betracht. So wurde schon herausgearbeitet, dass die Kommission über die Einleitung eines Verfahrens nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet und das Verfahren daher vom Opportunitätsprinzip geprägt ist484. Soweit sie aufgrund einer Beschwerde im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO 1/2003 tätig werden soll, steht ihr – in Ermangelung einer Verpflichtung, überhaupt tätig zu werden – ebenfalls ein Ermessenspielraum zu.485 Dieses Ermessen ist weit und kann nur in Ausnahmefällen verletzt werden,486 so dass in diesen Fällen ein hinreichend qualifizierter Verstoß regelmäßig ausscheidet. Daneben kann sich die Kommission auch in Bezug auf die Verfahrensbeendigung auf ein Ermessen stützen. So hat sie auch die Wahl, ob sie angebotene Verpflichtungszusagen annimmt. Soweit die Kommission ein Auskunftsverlangen nach Art. 11 FKVO bzw. Art. 18 VO 1/2003 erlassen will, verfügt sie ebenso über einen Ermessensspielraum.487 Ferner steht der Erlass von einstweiligen Anordnungen gemäß Art. 8 VO 1/2003 im Ermessen der Kommission.488 Des Weiteren werden der Kommission Ermessensspielräume bei den anzuwendenden ökonomischen Modellen sowie der Wahl geeigneter Vorgehensweisen für ihre Untersuchungen eingeräumt.489 Schließlich ver482
EuGH C-12/03 P, Slg. 2005, I-987 (Rn. 42) – Tetra Laval. Diese auf der Rechtsfolgenseite angesiedelten Freiräume entsprechen dem deutschen Ermessensbegriff und werden daher auch als „echtes Ermessen“ (Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, FKVO Art. 16 Rn. 74) bzw. „real discretion“ [Legal, in: Fordham Corp. Law Instit., 2006, 107 (115)] bezeichnet. Zu Diff. im englischen Sprachgebrauch s. auch Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (130 f.). 484 s. schon im ersten Teil bei Fn. 91. 485 Zur Bedeutung ihres politischen Spielraumes schon § 5 B. III. 1. b) aa). 486 s. dazu schon § 5 A. III. 3. b) aa) (1). 487 Für das Kartellverfahren s. EuG T-48/00, Slg. 2004, II-2325 (Rn. 212) – Corus; ferner Kommission, Best-Practice-Bekanntmachung (Fn. 84 im ersten Teil), Rn. 33. 488 Zu einem Haftungsfall EuG T-184/01, Slg. 2001, II-3193 (Rn. 120) – IMS Health. 489 EuG T-340/03, Slg. 2007, II-107 (Rn. 129) – France Télécom; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 83) – MyTravel. s. auch Dawes/Peci, ECLR 2008, 29 (3), 151, (158); Legal, in: Fordham Corp. Law Instit., 2006, S. 107 (115); sowie Nichol483
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fügt die Kommission bei der Frage, ob die von einem Unternehmen übermittelten Beweismittel einen Mehrwehrt im Sinne der Kronzeugenmitteilung darstellen, über ein weites Ermessen.490 ee) Zwischenergebnis Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass trotz gegenteiliger Verwendung entsprechender Formeln in der Rechtsprechung im Rahmen der Kartellaufsicht im Grundsatz keine Ermessensspielräume bestehen. Vielmehr unterziehen die Gerichte die Beschlüsse der Kommission regelmäßig einer vollständigen Überprüfung. Lediglich vereinzelt kann sich die Kommission auf der richterlichen Kontrolle nur eingeschränkt unterfallende Ermessensspielräume berufen. Dies gilt etwa bei der Überprüfung der inhaltlichen Ausgestaltung einer Nebenabrede oder für das Anstellen von Prognoseerwägungen bei der Zusammenschlusskontrolle. Dieser Umstand verbietet es jedoch, undifferenziert von einem der Kommission im Rahmen der Kartellaufsicht zustehenden „weite[n] Ermessen“491 zu sprechen. Für die Feststellung des hinreichend qualifizierten Verstoßes kann infolgedessen auf den das Ermessen betreffende Teil der Bergaderm-Formel nur eingeschränkt zurückgegriffen werden. c) Ermessensspielräume und Verfahrensvorschriften Nach der Rechtsprechung wird die Einhaltung von Form- und Verfahrensvorschriften umso wichtiger, je weiter die Entscheidungsfreiheit des Organs reicht.492 Aufgrund der dienenden Funktion der Verfahrensvorschriften ermöglichen diese erst das Anstellen von Ermessenserwägungen durch die Kommission.493 Ihre Berücksichtigung ist nicht in das Belieben der Kommission gestellt,494 vielmehr hat sie derartige Regelungen „strikt son/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (131), die insoweit von „administrative discretion“ sprechen. 490 EuG T-110/07, Slg. 2011, II-477 (Rn. 376) – Siemens m. w. Nwn. 491 So aber Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 308. 492 St. Rspr., s. nur EuGH C-269/90, Slg. 1991, I-5469 (Rn. 14) – TU München; EuG T-7/92, Slg. 1993, II-669 (Rn. 34) – Asia Motor France; ferner Fritzsche, Ermessen, 2008, S. 26. 493 s. dazu schon o. bei Fn. 135. 494 EuG Slg. 1995, II-2589 (Rn. 73) – Nölle. Hartmann-Rüpel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (36); M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 110 ff.
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einzuhalten“.495 In dieselbe Richtung sind auch die Urteile der europäischen Gerichte zu verstehen, die die Verletzung allgemeiner Sorgfaltspflichten oder das zweckwidrige Anwenden der einschlägigen Sach- und Verfahrensvorschriften mit den Situationen gleichsetzen, in denen das Unionsorgan nur über ein erheblich verringertes bzw. auf Null reduziertes Ermessen verfügt.496 Ob die bloße Verletzung einer Verfahrensvorschrift oder einer Sorgfaltspflicht ausreicht, einen Haftungsanspruch zu begründen, ist damit noch nicht feststellt. Vielmehr kann bei einem nicht vorhandenen Ermessensspielraum die Rechtswidrigkeit als solche nach der Rechtsprechung ausreichen, sie muss es aber nicht.497 Insoweit können die Besonderheiten der jeweiligen Rechtsgebiete Berücksichtigung finden. Hierauf wird noch einzugehen sein.498 d) Zwischenergebnis Die vorstehende Untersuchung hat gezeigt, dass die Kommission nur ausnahmsweise über Ermessensspielräume verfügt. Im Gegensatz zur Verwendung anderslautender Formeln in der Rechtsprechung ist die Wirklichkeit von einer umfänglichen Überprüfung durch die europäischen Gerichte geprägt. Zu dieser durch eine Analyse der Entscheidungen im Primärrechtsschutz gewonnenen Aussage steht auch die schadensersatzrechtliche Rechtsprechung des EuG nicht im Widerspruch. Zwar wird in der Sache Schneider pauschal das der Kommission als Wettbewerbshüterin der Union im allgemeinen Interesse zustehende Ermessen betont.499 Wenige Randnummern später stellt das EuG jedoch klar, dass sich dieses Ermessen an der jüngeren Rechtsprechung orientiert und daher nur in Bezug auf die Wahl der ökonometrischen Instrumente sowie auf die Wahl eines richtigen Ansat495 Schwarze, Europ. Verwaltungsrecht, 2. Aufl. 2005, S. 354. Vgl. auch EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 166) – Schneider, wonach „die Verpflichtung der Kommission zur hinreichend klaren und deutlichen Formulierung der Verflechtungsrüge, wie die Kommission anerkennt, von einer bloßen Anwendung der einschlägigen Verfahrensregeln abhing, so dass hinsichtlich des Anspruchs von Schneider auf rechtliches Gehör das Ermessen erheblich verringert oder gar auf null reduziert war“. 496 EuGH Rs. 5/66 u. a., Slg. 1967, 332 (353 f.) – Kampffmeyer; C-308/87, Slg. 1990, I-1203 (Rn. 13 f.) – Grifoni/EAG; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 117 f.) – Schneider. 497 Dazu schon o. bei Fn. 346. 498 § 5 B. III. 2. 499 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 125) – Schneider. Zu ähnl. Pauschalisierungen in der Lit. s. o. in Fn. 491.
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zes für die Untersuchung eines Phänomens besteht.500 Uneingeschränkte Ermessensspielräume sind daher abzulehnen. Zudem verfügt die Kommission ebenso wenig in Bezug auf die Verletzung von Verfahrensvorschriften über Ermessensspielräume, da sie an diese Vorschriften strikt gebunden ist. 2. Berücksichtigung weiterer Umstände innerhalb der Kartellaufsicht
Zwar markiert der Ermessensspielraum des Organs nach der neueren Rechtsprechung den „entscheidende[n] Maßstab“501 bei der Beantwortung der Frage, ob die Rechtswidrigkeit eines Beschlusses als hinreichend qualifiziert werden kann. Soweit das jeweilige Organ über Ermessensspielräume verfügt, muss es die diesem Ermessen gezogenen Grenzen offenkundig und erheblich überschreiten, damit ein hinreichend qualifizierter Verstoß im Sinne des Art. 340 Abs. 2 AEUV bejaht werden kann. In Bereichen, in denen diese Spielräume nicht bestehen oder erheblich reduziert sind, kann hingegen die bloße Rechtswidrigkeit zur Bejahung der Ersatzpflicht dem Grunde nach führen.502 Ebenso wurde jedoch dargelegt, dass der Kommission im Rahmen ihrer kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit entgegen anderslautender Formulierungen nur in wenigen Bereichen derartige Ermessensspielräume tatsächlich zugestanden werden.503 Soll also die Haftung wie das vielzitierte Damoklesschwert über der gesamten kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit der Kommission schweben und diese gewissermaßen bei der Wahrnehmung ihrer Aufgabe beeinträchtigen? Ist mit anderen Worten die Feststellung einer Unregelmäßigkeit, die eine durchschnittlich vorsichtige und sorgfältige Verwaltung unter ähnlichen Umständen nicht begangen hätte, stets hinreichend zur Bejahung eines Schadensersatzanspruches gegen die Europäische Union?504 500 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 132) – Schneider; mit Verweis auf EuG T-219/99, Slg. 2003, II-5917 (Rn. 89 ff.) – British Airways (zur Marktabgrenzung). 501 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43) – Bergaderm; EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 24) – Idromacchine; ausf. Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677. 502 Grundlegend EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43) – Bergaderm. 503 § 5 B. III. 1. Für Art. 340 Abs. 2 AEUV ebenso Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (131), Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (129, 135, 150). 504 So die Formulierungen bei EuG T-178/98, Slg. 2000, II-3331 (Rn. 61) – Fresh Marine für den Fall, dass der Kommission auf einem bestimmten Gebiet, das „keine wirtschaftspolitische[n] Entscheidung[en einschließt] und [ihr] nur ein stark eingeschränktes oder überhaupt kein Ermessen“ belässt, ein Fehler unterläuft. Es fehlt hier der Verweis auf das wenige Monate zuvor ergangene Urteil EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 40) – Bergaderm zur Herleitung des Systems
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Hierbei ist zunächst daran zu erinnern, dass eine für den Tatbestand des Art. 340 Abs. 2 AEUV ausreichende Rechtswidrigkeit auch im Rahmen der Haftung für administratives Unrecht505 nicht schon automatisch aus einem auf Null reduzierten bzw. nicht vorhandenen Ermessensspielraum resultiert – nicht zuletzt benutzen die Gerichte bei der Formulierung dieses Satzes den Konjunktiv.506 Hierauf hat der EuGH insbesondere in der Sache Haim ausdrücklich hingewiesen.507 Ebenso betont das EuG in seiner jüngeren Entscheidungspraxis, dass zwischen einem nicht vorhandenen oder auf Null reduzierten Ermessen und der Qualifikation eines Verstoßes als hinreichend „kein automatischer Zusammenhang“ besteht.508 Das Ermessen wird vielmehr als ein Aspekt unter mehreren wahrgenommen, der bei der Frage zu berücksichtigen ist, ob die festgestellte Rechtsverletzung im Einzelfall als hinreichend qualifiziert werden kann.509 Zwar verbleibt dem Ermessen innerhalb dieser Feststellung insoweit eine besondere Bedeutung, als dass der Kommission zustehende Entscheidungsfreiräume, die einer richterlichen Überprüfung im Rahmen des Primärrechtsschutzes nur eingeschränkt zugänglich sind, auch mit Blick auf den Sekundärrechtsschutz berücksichtigt werden müssen.510 Die Rechtsprechung hat jedoch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV ein System der außervertraglichen Haftung entwickelt, das neben dem Ermessen auch „der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte und den Schwierigkeiten bei der Anwendung und Auslegung der Vorschriften“ Rechnung trägt.511 Daher sind im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter der außervertraglichen Haftung der Union nach Art. 340 Abs. 2 AEUV, namentlich zur Komplexität der Sachverhalte und Schwierigkeiten bei der Anwendung und Auslegung der Vorschriften. Vielmehr beschränkt sich das EuG auf das Ermessen. Krit. daher Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 336 ff. Zur Einbettung in die Bergaderm-Rspr. auch u. in Fn. 605 f. 505 Zur früheren Auffassung in der Rspr. vgl. o. in Fn. 290. 506 Auf den Konjunktiv weist auch Bailey [CML Rev. 44 (2007), 101 (133)] hin. Diese grammatische Konstruktion verkennt hingegen Held, Haftung der EG, 2006, S. 245. 507 EuGH C-424/97, Slg. 2000, I-5123 (Rn. 41) – Haim. Die Entscheidung betraf die mitgliedstaatliche Haftung bei Verletzung des Unionsrechts. 508 EuG T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 59) – Artegodan; T-341/07, Slg. 2011, II-7915 (Rn. 36) – Sison; zust. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 715; wohl a. A. bei Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 707, 720. 509 s. die jeweiligen Aufzählungen bei EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 40) – Bergaderm; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 116) – Schneider; T-171/99, Slg. 2001, II-2972 (Rn. 45) – Corus (für Art. 34, 40 EGKS); v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 94; Rubel, Entscheidungsfreiräume, 2005, S. 220 ff. 510 Vgl. schon o. Fn. 305. 511 Für den unionsrechtlichen Haftungsanspruch schon EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 43) – Brasserie du Pêcheur; für die außervertragliche Haf-
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dem Gesichtspunkt des hinreichend qualifizierten Verstoßes alle Gegebenheiten des Einzelfalles zu berücksichtigen, die für den jeweiligen Sachverhalt kennzeichnend sind.512 Im Laufe der Bearbeitung wurde herausgearbeitet, dass die Rechtsprechung Ermessensspielräume in unterschiedlichen Situationen anerkennt und oftmals auf eine nähere Herleitung verzichtet. Die für die Anerkennung derartiger Freiräume relevanten Konstellationen ähneln indes den Umständen, die nach der Rechtsprechung bei der außervertraglichen Haftung zu berücksichtigen sind.513 Aus diesem Grund kann die Sinnhaftigkeit einer derartigen Unterscheidung respektive Herangehensweise, die sich letztlich in einer Fixierung auf das Ermessen offenbart, mit Recht angezweifelt werden.514 So lässt sich Rechtsprechung des EuG ausmachen, in der das Gericht einen Ermessensspielraum der Kommission zwar abgelehnt hat, einen hinreichend qualifizierten Verstoß gleichwohl aufgrund der Komplexität nicht feststellen konnte.515 Ferner prüft das EuG im Rahmen derartiger Fallgestaltungen, ob eine Rechtsverletzung entschuldigt werden kann und berücksichtigt dabei die Besonderheiten des Einzelfalles, worunter auch die Komplexität fällt.516 Bemerkenswert ist daher der Vorschlag des Generalanwalts Léger in den Schlussanträgen im die Haftung der Mitgliedstaaten betreffenden KöblerVerfahren, auf die Feststellung eines weiten Ermessensspielraums ganz zu verzichten.517 Der EuGH ist dem indes nicht gefolgt. Da das Bestehen eines Ermessensspielraumes ebenfalls im Rahmen der Feststellung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes zu berücksichtigen ist und bei entsprechenden Freiräumen eine die Haftung auslösende qualifizierte Rechtswidrigkeit tung der Union vgl. grundlegend EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 40) – Bergaderm; C-282/05, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 50) – Holcim; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 116) – Schneider, T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 60 f.) – Artegodan; ferner Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (716 ff., 721). 512 Für den unionsrechtlichen Haftungsanspruch EuGH C-424/97, Slg. 2000, I-5123 (Rn. 42) – Haim; v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EURecht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 94. 513 Vgl. auch Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (150). Für einen Fall, in der diese Fragen unterschiedlich beantwortet wurden, vgl. EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 98 ff., 102 ff.) – Holcim. 514 So für den Fall der Haftung der Mitgliedstaaten GA Léger, SchlA zu EuGH C-224/01, Slg. 2002, I-10230 (Rn. 134, 136 a. E.) – Köbler. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 716 betonen, dass es weniger auf den „Charakter einer Entscheidung als Ermessensentscheidung“ ankommt, sondern vielmehr darauf, ob der „begangene Rechtsfehler ‚vernünftigerweise erklärt‘ werden kann“. 515 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 98 ff., 102 ff.) – Holcim. 516 EuG T-364/03, Slg. 2006, II-79 (Rn. 82 ff.) – Medici Grimm; T-429/05, Slg. 2010, II-491 (Rn. 60 f., 104 ff.) – Artegodan. 517 GA Léger, SchlA zu EuGH C-224/01, Slg. 2002, I-10230 (Rn. 138) – Köbler. In diese Richtung geht auch Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (insb. 687 ff., 695).
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besonderer Begründung bedarf, erscheint ein vollständiger Verzicht auf die Feststellung von Ermessensspielräumen auch nicht als angezeigt und ist folglich abzulehnen. Im Folgenden werden diejenigen Umstände näher in den Blick genommen, die kennzeichnend für Sachverhalte auf dem Gebiet der Kartellaufsicht sind und daher bei der Frage eines hinreichend qualifizierten Verstoßes Berücksichtigung finden müssen. Hierbei wird zwischen den verschiedenen Säulen differenziert. Gleichwohl wird die Untersuchung dabei notwendigerweise typisieren. Besondere Berücksichtigung erfährt bei dieser Untersuchung die vorliegende Entscheidungspraxis. a) Die „abschreckende Wirkung“ des Haftungsrisikos In der Sache Schneider hat die Kommission die Befürchtung geäußert, dass sich das Risiko einer Schadensersatzpflicht auf die Wahrnehmung ihrer Aufgabe als Wettbewerbshüterin hemmend auswirken könnte. Die potentielle Haftung könnte dazu führen, dass sie ihre Aufgaben nicht mehr voll und ganz wahrnehmen könne.518 Diese „abschreckende Wirkung“519 der potentiellen Schadensersatzpflicht lässt sich noch näher konkretisieren. So sind zum einen weitere Verteidigungsmaßnahmen und Vorkehrungen seitens der Kommission vorstellbar, die zu einer Erhöhung des bürokratischen Aufwand führen: Aus der Praxis werden etwa Befürchtungen geäußert, dass die jeweiligen Unternehmen von der Kommission „noch mehr als bisher mit äußerst umfangreichen Fragenkatalogen überhäuft [. . .] werden“ und dass – für die Zusammenschlusskontrolle – das informelle Voranmeldeverfahren520 längere Zeit in Anspruch nehmen würde, so dass sich die Möglichkeit, die Europäische Union wegen fehlerhafter Kartellaufsicht haftbar zu machen, letztlich als „Bumerang“521 518
EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 121); T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 42) – MyTravel. Ausf. und auch rechtsvergleichend Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (115 f.); s. auch Corr, 74 Brook. L. Rev. (2008), 159 (160 m. w. Nwn., krit. S. 185); krit. Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1743); umfassend zur „Berücksichtigung der Folgewirkung von Staatshaftungsrisiken“ aus deutscher Sicht Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 124 ff. Diese Bedenken ähneln den Überlegungen, die den Verfassungsgeber zur Einführung der Haftungsüberleitung in Art. 34 GG bewogen haben – den Schutz der Entscheidungsfreiheit des handelnden Beamten. Vgl. dazu Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 10 f. sowie schon o. § 3 B. II. 2. b) aa). Krit. zur Gleichsetzung des Schutzes der Entscheidungsfreiheit mit der Verfolgung fiskalischer Interessen in Fn. 308. 519 Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (135: „chilling effect“). 520 Hierzu schon im ersten Teil in Fn. 130. 521 Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1743); ähnl. Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (116).
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erweise. Als anderes Extrem ist vorstellbar, dass die Kommission von einem Tätigwerden gänzlich absieht bzw. vor dem Hintergrund ihrer beschränkten personellen Ressourcen die Prioritäten ihrer Kartellrechtsdurchsetzung neu verteilt.522 Schließlich wird das Dammbruch-Argument vorgebracht, wonach die Kommission im Falle erfolgreicher Präzedenzfälle mit Haftungsklagen überzogen werde.523 Gleichwohl kann die haftungsrechtliche Verantwortung auch positive Auswirkungen nach sich ziehen. Dies ist etwa der Fall, wenn die Sorgfaltsmaßstäbe während der Durchführung des Verfahrens erhöht werden, was letztlich zur Steigerung des Vertrauens der Bevölkerung in die kartellaufsichtsrechtliche Tätigkeit der Kommission und damit auch in die Institution Wettbewerb führen könnte.524 Fraglich ist indes, ob diese Bedenken verfangen können. Angesichts der Weite bzw. Offenheit der Formel der Rechtsprechung hinsichtlich des hinreichend qualifizierten Verstoßes525 erscheint die Berücksichtigung eines derartigen Haftungsrisikos de lege lata grundsätzlich als zulässig.526 Das Abstellen auf ein Risiko der Haftung und deren Auswirkungen auf die Willensbildung der jeweiligen Organe ist zudem in der Rechtsprechung nicht unbekannt und wurde insbesondere in der HNL-Entscheidung527 vom EuGH zur Begründung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes als Haftungsvoraussetzung herangezogen. Zwar stand in dieser Entscheidung die Entscheidungsfreiheit der Legislative in Rede, gleichwohl hat der EuGH in der Entscheidung Bergaderm diesen Gedanke über die Haftung für normatives Unrecht hinaus auch bei der Haftung für administratives Unrecht herangezogen. Nunmehr ist ständige Rechtsprechung, dass das Erfordernis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes dem Schutze der Willensbildung der beteiligten Organe dient, die vor der Gefahr einer Inanspruchnahme geschützt werden sollen.528 Diesem Umstand wird also schon durch das Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes Rechnung getragen, mit dem über die bloße Rechtswidrigkeit hinausgehende Anforderungen an die Haftungsklage gestellt werden. 522
Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101, (116). Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101, (116 f.); Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (6), insb. mit Hinweis auf die im Vergleich zu Art. 263 AEUV niedrigere Zulässigkeitsvoraussetzungen. Für das deutsche Recht aus Anwaltssicht vgl. Süddeutsche Zeitung v. 5.12.2012, S. 17. Angesichts der Schneider-Entscheidung indes krit. Alexiadis/ Moussis, The European Lawyer, October 2007, 2; Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1743). 524 Dazu m. w. Nwn. Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101, (117). 525 s. hierzu schon § 5 B. I. 4. 526 Zur Situation im deutschen Recht dagegen in § 12 A. III. 527 EuGH Rs. 73/76 u. a., Slg. 1978, 1209 (Rn. 5) – HNL. Vgl. zu deren Einbettung in den historischen Kontext o. in § 5 B I. 1. 528 Vgl. zu der Entwicklung innerhalb der Rspr. ausf. schon § 5 B I. 3. 523
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Es stellt sich daher die Frage, ob mit der Berücksichtigung eines potentiellen Haftungsrisikos eine weitere Voraussetzung für die außervertragliche Haftung der Union geschaffen wurde. Aufgrund der textlichen Offenheit der primärrechtlichen Vorgaben an die außervertragliche Haftung ließe sich eine derartige weitere Einschränkung jedenfalls dann rechtfertigen, wenn sie sich den „allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“ entnehmen ließe. Im Sinne einer Einschränkung können die Ausführungen des EuG in der Sache Schneider interpretiert werden: Das Gericht nimmt die auf das Haftungsrisiko zielenden Ausführungen zum Anlass, die Anforderungen an die Rechtswidrigkeit – jedenfalls im Rahmen der Fusionskontrolle – zu verschärfen. Hierzu stellt es fest, „dass sich eine derartige dem allgemeinen Interesse der Gemeinschaft zuwiderlaufende Wirkung einstellen könnte [gemeint ist die Beeinträchtigung der Kommission bei ihrer Arbeit], wenn der Begriff des qualifizierten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht dahin zu verstehen wäre, dass er alle Fehler erfasst, die, auch wenn sie ein gewisses Gewicht haben, dem üblichen Verhalten eines Organs, das damit betraut ist, die Anwendung der – komplexen, schwierigen und Raum für einen weiten Auslegungsspielraum lassenden – Wettbewerbsvorschriften zu überwachen, nach ihrer Art oder ihrem Umfang nicht fremd sind.“529 Um zwischen dem Interesse an einer funktionsfähigen Kartellaufsicht in Abwesenheit der Bedrohung durch etwaige Ersatzansprüche und den Interessen der geschädigten Unternehmen am Ersatz ihres Schadens und damit dem stets bestehenden Zielkonflikt bei der Staatshaftung einen Ausgleich zu finden, differenziert das EuG zwischen zwei verschiedenen Situationen:530 – „[D]er Verstoß gegen eine gesetzliche Verpflichtung, der, so bedauerlich er auch sein mag, mit den objektiven Zwängen erklärt werden kann, denen das Organ und seine Bediensteten aufgrund der Bestimmungen über die Fusionskontrolle ausgesetzt sind, [kann] kein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht sein, der eine außervertragliche Haftung der Gemeinschaft entstehen ließe. – Ein Anspruch auf Schadensersatz besteht jedoch bei Schäden, die sich aus einem Verhalten des Organs ergeben, wenn dieses Verhalten in einem Rechtsakt Ausdruck findet, der offenkundig der Rechtsvorschrift widerspricht und die Interessen von nicht dem Organ angehörenden Dritten schwerwiegend beeinträchtigt, und mit den besonderen Zwängen, denen 529
EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 122) – Schneider; ähnl. T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 42) – MyTravel. 530 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 125) – Schneider; ähnl. T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 43) – MyTravel.
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die Dienststelle im normalen Dienstbetrieb objektiv unterliegt, weder gerechtfertigt noch erklärt werden kann.“531 Die Nichtigerklärung eines Kommissionsbeschlusses ist als solche nicht ausreichend, den hinreichend qualifizierten Verstoß zu bejahen.532 Keinen hinreichend qualifizierten Verstoß im Sinne dieser Rechtsprechung soll ferner ein auch offensichtlicher Beurteilungsfehler oder eine ungenügende Beweisführung der Kommission darstellen, die letztlich zur Aufhebung führen.533 Etwas anderes gilt für „offensichtliche und schwere Fehler der wirtschaftlichen Analyse“, denn diese können einen hinreichend qualifizierten Verstoß im vorgenannten Sinne auslösen.534 Diese Einschränkung, die der EuGH im Rechtsmittelverfahren – indes ohne nähere Begründung – bestätigt hat,535 ist in der Folgezeit auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während sich dem EuG zustimmende Anmerkungen ausmachen lassen,536 lässt sich sein Ansatz auch kritisieren. So kann diese Entscheidung als Verschärfung der Anforderungen an die außervertragliche Haftung verstanden werden, die über die bisherige Rechtsprechung hinausgeht.537 Hinter die hergebrachten Voraussetzungen an die Rechtswidrigkeit, d. h. dem Erfordernis eines offenkundigen und erheblichen als hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, stellt das EuG eine „zusätzliche [. . .] Hürde“538: Als Rechtfertigung bzw. Erklärung des Kommissionsverhaltens verlangt das Gericht eine Untersuchung, ob der Rechtsverstoß mit den objektiven Zwängen erklärt werden kann, denen das Organ ausgesetzt ist. Diese objektiven Zwänge sind ihrerseits wiederum auslegungsbedürftig. Hierfür kann etwa auf die im Rahmen der Fusionskontrolle geltenden Fristen oder aber auf die prognostischen Elemente, wie sie in der Fusionskontrolle zu beachten sind,539 abgestellt werden. Un531
EuG T–351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 123 f.) – Schneider. EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 41) – MyTravel; Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (135); Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (151). Gegen diesen „Automatismus“ auch Seitz, EuZW 2008, 719 (720). 533 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 31, 41, 85) – MyTravel. 534 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 80) – MyTravel. 535 EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 172 ff.) – Schneider. 536 Käseberg, in: Langen/Bunte, EU, 12. Aufl. 2014, Art. 16 FKVO Rn. 117; Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (915 ff.), Klumpp, ZWeR 2008, 441 (451); Seitz, EuZW 2007, 659 (663); Steinle/Schwartz, BB 2007, 1741 (1743). Schon vor der Schneider-Entscheidung für eine Beibehaltung der hohen Haftungsvoraussetzungen Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (6 f.); Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (151). 537 Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (138); Dawes/Peci, ECLR 2008, 29 (3), 151, (158: „establishing a subdivision in the category of manifest errors“); Seitz [EuZW 2008, 719 (720)] spricht insoweit von einem „Zwei-Stufen-System“. 538 Klumpp, ZWeR 2008, 441 (451). 539 Dass diese auch i. R. der Fusionskontrolle zur Anerkennung von Ermessensspielräumen führen, wurde schon dargelegt, s. dazu § 5 B. III. 1. b) cc). 532
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ter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit erscheint eine derartige Herangehensweise jedenfalls bedenklich. In einer späteren Entscheidung in einer Staatshaftungssache hat das EuG dagegen einen derartigen einschränkenden Ansatz nicht verfolgt und den ähnlich gelagerten Interessenausgleich für das Umweltrecht bei der vorgelagerten Frage vorgenommen, ob die Kommission einen Ermessensspielraum für sich beanspruchen konnte.540 Eine derartige Anhebung der Haftungsvoraussetzungen kann dazu führen, dass Art. 340 Abs. 2 AEUV – jedenfalls in Bezug auf die Fusionskontrolle – ein sehr geringer Anwendungsbereich verbleibt, der zu einer Art schadensersatzrechtlicher „Immunität“541 der Kommission führt und ihr bildlich gesprochen eine „kugelsichere Weste“542 einräumt. Über diese in einer Folgenanalyse bestehenden Kritik hinaus kann auch die systematische Stringenz dieser Rechtsprechung angezweifelt werden, da die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte eigentlich dazu führen müsse, dass der Kommission ein Ermessen zuzugestehen ist.543 Würde man die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte darüber hinaus auch im Rahmen der Frage einer objektiven Rechtfertigung eines Rechtsverstoßes berücksichtigen, so führe – auch544 – dies zu einer doppelten Berücksichtigung dieses Umstands.545 Jedoch ist zu beachten, dass bei der Frage des hinreichend qualifizierten Verstoßes die gesamten Umstände des jeweiligen Einzelfalles zu würdigen sind.546 Dies wird durch die textliche Offenheit der Haftungsvoraussetzungen ermöglicht. Die in der Rechtfertigung aufgezeigten „objektiven Zwänge“ erlauben dabei ein Verständnis, nach dem eine Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles innerhalb dieser Würdigung erfolgen muss. Insoweit ließe sich diese Einschränkung in das System der außervertraglichen Haftung integrieren. Ein derartiges Verständnis resultiert auch nicht 540
EuG T-16/04, Slg. 2010, II-211 (Rn. 143) – Arcelor. Dawes/Peci, ECLR 2008, 29 (3), 151, (157, 159: „free action-zone“). 542 Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (140: „bullet-proof vest“). 543 s. schon § 5 B. III. 1. b) bb). Vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit wird die Schneider-Entscheidung auch kritisiert von Biondi/Farley, Damages in EU Law, 2009, S. 138. 544 Dieser Punkt wird auch grundsätzlich als Kritik an dem Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes vorgetragen, s. dazu schon o. bei Fn. 370. 545 Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (151). Vgl. in diese Richtung auch Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 62; Hix, in: Moreira de Sousa/Heusel, Enforcing Community Law, 2004, S. 199 (210); Czaja, Haftung, 1996, S. 92, die auf die Trennung der Überprüfung einer Ermessenentscheidung von der Frage, ob ein hinreichend qualifizierter Rechtsverstoß gegeben ist, hinweist. 546 Vgl. die Nw. o. in Fn. 396. 541
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in der Einführung einer zusätzlichen Haftungsvoraussetzung, sondern richtet mit der Orientierung an „objektiven Zwängen“ vielmehr die Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles an einer Leitschnur aus. Hierdurch wird letztlich Rechtssicherheit erreicht. Ziel dieser Rechtsprechung ist weiterhin nicht, einen etwaigen Ermessensspielraum der Kommission zu schützen.547 Soweit die Kommission ihr Ermessen nicht überschreitet, handelt sie nicht rechtswidrig und eine Haftung scheidet aus.548 Da sich in diesen Fällen die Frage einer „hinreichenden Qualifizierung“ dieses – nicht vorhandenen – Rechtsverstoßes nicht stellen kann, ist die Rechtfertigung dem Rechtsverstoß logisch nachgelagert. Aus diesen Gründen ist dem Vorgehen der Rechtsprechung zu folgen. Insoweit wird der oben geäußerten Gefahr des Damoklesschwertes entgegengetreten. Im Folgenden wird untersucht, ob derartige „objektive Zwänge“ im Bereich der Fusionskontrolle (b)) und im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht (c)) bestehen. b) Objektive Zwänge im Bereich der Fusionskontrolle – eine Gesamtwürdigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles, insbesondere des Ermessensspielraums, des Zeitdrucks sowie der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte Grundsätzlich können offensichtliche und schwere Fehler der wirtschaftlichen Analyse, die den im Rahmen der Wettbewerbspolitik getroffenen Beschlüssen zugrunde liegen, als hinreichend qualifizierte Verstöße aufgefasst werden und insoweit die außervertragliche Haftung der Union auslösen.549 Für den Bereich der Fusionskontrolle ist jedoch anerkannt, dass „der komplexe Charakter der bei der Fusionskontrolle zu erfassenden Situationen, die Umsetzungsschwierigkeiten in Verbindung mit dem Zeitdruck, unter dem die Verwaltung hierbei steht, sowie der Ermessensspielraum, der der Kommission zuzuerkennen ist, [. . .] bei der Beurteilung der Frage zu berücksichtigen [sind], ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß der Kommission bei ihrer Untersuchung der Auswirkungen des Zusammenschlusses [. . .] auf den Wettbewerb vorliegt.“550 Daher können sich in die wirtschaftlichen Analysen „gewisse Unzulänglichkeiten wie Schätzungen, Unstimmig547 Klumpp, ZWeR 2008, 441 (452). A. A. Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (157). 548 Klumpp, ZWeR 2008, 441 (452); vgl. auch Czaja, Haftung, 1996, S. 92. 549 Vgl. EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 129) – Schneider; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 80) – MyTravel. Zu diesem Verständnis der hinreichenden Qualifikation § 5 B. I. 4. 550 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 84) – MyTravel.
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keiten oder gar gewisse Auslassungen einschleichen“.551 Ferner betont die Rechtsprechung, dass die Kommission im Bereich der Fusionskontrolle komplexe, schwierige und mit einem weiten Auslegungsspielraum versehene Wettbewerbsvorschriften anwenden müsse.552 Den so herausgearbeiteten Schwierigkeiten bei der Anwendung und Auslegung derartiger Vorschriften soll durch das System der außervertraglichen Haftung Rechnung getragen werden.553 Neben diese allgemeinen Schwierigkeiten treten prüfungsspezifische Besonderheiten: So erfordert die Fusionskontrolle die zukunftsorientierte Prüfung des Vorliegens einer erhebliche Behinderung des wirksamen Wettbewerbes im Sinne des Art. 2 Abs. 2, 3 FKVO.554 Unter diesen Umständen können Fehler nicht stets als hinreichend im Sinne des Art. 340 Abs. 2 AEUV qualifiziert werden. Während auf die der Kommission im Rahmen der Fusionskontrolle zustehenden Ermessensspielräume schon eingegangen wurde,555 sollen an dieser Stelle die weiteren Kriterien, die das EuG in der Sache MyTravel formulierte, untersucht werden und insoweit die zweite Stufe der Prüfung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes betreten werden. Diese umfasst den Zeitdruck, dem die Kommission unterliegt, die Schwierigkeiten bei der Anwendung der Vorschriften über die Fusionskontrolle sowie das Anstellen von Prognoseerwägungen.556 Hinsichtlich des ersten Kriteriums wurde auf das „Prinzip der kurzen Fristen“, das der Fusionskontrolle zugrunde liegt, bereits hingewiesen. So stehen der Kommission nach Art. 10 Abs. 3 S. 2 FKVO höchstens 105 Arbeitstage (rund vier Monate) zur Verfügung, um über die Auswirkungen eines Zusammenschlussvorhabens zu befinden. Unter diesem Zeitdruck können sich bei der materiellen Beurteilung des Zusammenschlusses „gewisse Unzulänglichkeiten wie Schätzungen, Unstimmigkeiten oder gar Auslassungen einschleichen.“557 Die Geltung dieser Fristen, deren Verlängerung ausgeschlossen ist, sind von der Rechtsprechung als potentieller objektiver Zwang anerkannt, dem die Kommission bei der Fusionskontrolle unterliegt.558 551
EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81) – MyTravel. EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81) – MyTravel. Vgl. hierzu Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (136); Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (125). 553 Vgl. die Nachw. in Fn. 511. 554 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 131) – Schneider; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 82) – MyTravel. Zu Prognosespielräumen schon § 5 B. III. 1. b) cc). 555 § 5 B. III. 1. 556 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81, 84). 557 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 131) – Schneider; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81) – MyTravel. 558 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 131, 155) – Schneider; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81) – MyTravel. 552
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Ebenfalls als objektiven Zwang im Rahmen der Fusionskontrolle und damit als ein bei der Bewertung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes zu berücksichtigender Umstand kann die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte angesehen werden.559 Der Umstand, dass einem Rechtsgebiet eine gewisse Schwierigkeit zukommt, ist in der Rechtsprechung anerkannt.560 Auf eine derartige Komplexität kann jedoch nicht alleine aus der besonderen Länge des Urteils in dem Verfahren auf Nichtigerklärung des Urteils geschlossen werden.561 Vielmehr anerkennt die Rechtsprechung verschiedene Stufen der Komplexität: Zwar führt das EuG sowohl in der Sache Schneider als auch in der Sache MyTravel an, dass die wirtschaftlichen Analysen in der Fusionskontrolle „komplexe und schwierige Denkvorgänge“ umfassen.562 Weiter heißt es dann in der MyTravel-Entscheidung, dass „die betreffende Wirtschaftslage besonders komplex war“563, und führt dies näher aus. Ebenso differenziert das EuG in dieser Entscheidung zwischen den „Unwägbarkeiten und Schwierigkeiten bei der Fusionskontrolle im Allgemeinen und bei komplexen Oligopolstrukturen im Besonderen“ und schafft dadurch die Möglichkeit einer differenzierenden Betrachtung durch eine Abstufung nach der Komplexität.564 In einfach gelagerten Fällen dürften daher Fehler in der materiellen Beurteilung mit größerer Wahrscheinlichkeit zu einem hinreichend qualifizierten Verstoß führen.565 Angesichts der vorbenannten Einschränkungen dürfte gerade im Bereich der materiellen Beurteilung eines Zusammenschlussvorhabens ein Rechtsverstoß im umschriebenen Sinn indes nur ausnahmsweise zu bejahen sein. Im Ergebnis wurde Schneider nur ein Bruchteil der beantragten Summe als Schaden zugesprochen. Hierfür stützte sich das EuG unter anderem auf die Erwägung, die festgestellten Fehler in der Analyse der Auswirkungen des Zusammenschlusses hätten keinen Einfluss auf den Beschluss gehabt.566 559 Relativierend jedoch EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 161) – Schneider: „Gegebenenfalls trägt das System, das der Gerichtshof zur außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft entwickelt hat, der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte Rechnung“ [Hervorhebung nur hier]. Krit. zur „verpassten Möglichkeit“ des EuGH, den hinreichend qualifizierten Verstoß näher zu spezifizieren, Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (915). 560 s. etwa bei EuGH C-63/89, Slg. 1991, I-1799 (Rn. 10 f.) – Assurances du crédit. 561 EuGH C-282/05, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 53) – Holcim. 562 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81). 563 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 81). 564 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 85). Dass die Bewertung einer Begebenheit als komplex mitunter ebenfalls Schwierigkeiten aufweisen kann, wurde schon festgestellt, vgl. dazu § 5 B. III. 1. b) bb). 565 Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (136). 566 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 133 ff.) – Schneider.
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Aus diesem Grunde könnten sie für sich genommen auch nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses und damit einhergehend nicht zur Bejahung eines Schadensersatzanspruches führen.567 Diese Begründung ist in Teilen kritisiert und dahingehend aufgefasst worden, eine erfolgreiche Schadensersatzklage setzte stets voraus, dass die Umstände, aufgrund derer ein „hinreichend qualifizierter Verstoß“ angenommen werden kann, gleichzeitig zur Nichtigkeit des Beschlusses führen müssten.568 Dawes und Peci lehnen eine derartige Interpretation für den Bereich der außervertraglichen Haftung der Union ab, denn die Frage, ob der Fehler zur Nichtigkeit führt, habe keine Auswirkungen auf das Entstehen von Schäden.569 So könnten etwa die Kosten, die Schneider im Zusammenhang mit der Ausräumung der Bedenken der Kommission für diese Märkte entstanden sind, als Schadensposten qualifiziert werden. Darüber hinaus steht eine Gleichsetzung von Fehlern, die zur Aufhebung des Beschlusses führen mit solchen, die einen hinreichend qualifizierten Verstoß im Sinne der außervertraglichen Haftung der Union darstellen, mit dem Verständnis der Haftungsklage als unabhängigen Rechtsbehelf im Widerspruch.570 Vorzugswürdig erscheint eine Verortung dieser Frage auf der Ebene der Kausalität. Nach alledem wird die Kommission für Fehler bei der materiellen Bewertung eines Zusammenschlussvorhabens nur in Ausnahmefällen haften; regelmäßig wird der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes misslingen.571 Für den Geschädigten erscheint daher der Verweis auf die formelle Rechtswidrigkeit eines Beschlusses erfolgversprechender. Hierbei wird zu untersuchen sein, ob die Kommission im Hinblick auf die Entscheidungsfindung rechtswidrig handelte. Solange die Kommission nachweisen kann, dass sie die Umstände, die ihr bekannt waren, sorgfältig gewürdigt hat, dass sie einem kohärenten Verfahren gefolgt ist und dass sie ihre Beurteilungen begründen kann, wird das Ergebnis der wettbewerblichen Analyse irrelevant sein.572 Entscheidender als der Inhalt des Beschlusses dürfte da567
EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 135) – Schneider. Vgl. Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (157). 569 Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (157). 570 Grundlegend zu diesem Verständnis EuGH Rs. 4/69, Slg. 1971, 325 (Rn. 6) – Lütticke. 571 s. auch Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 109; Arts, JECLP 1 (2010), 27 (30); Hartmann-Rüppel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (40); Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (136 ff.); Corr, 74 Brook. L. Rev. (2008), 159 (185); Seitz, EuZW 2008, 719 (720); zur Situation vor Schneider und MyTravel nur Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (116). 572 So ausdr. Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (137). s. auch Venit, in: European Competition Law Annual, 2011, S. 191 (240); Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (3). 568
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her sein Zustandekommen sein.573 Für die Frage der Haftung sind daher insbesondere die vorgenannten „objektiven Zwänge“ zu berücksichtigen, die im Regelfall zu einem Nichtvorliegen des hinreichend qualifizierten Verstoßes führen. Möglicherweise sind daher Alternativen zur Haftung der Kommission im Rahmen der Kartellaufsicht zu erwägen, um den Rechten der beteiligten Unternehmen zur vollen Geltung zu verhelfen.574 c) Objektive Zwänge im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht – eine Gesamtwürdigung der Komplexität der zu regelnden Sachlagen, der Schwierigkeiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln und des Ermessens der Kommission Wie oben bereits ausgeführt, sind Ermessensspielräume im Rahmen der Kartell- und Missbrauchsaufsicht nur äußerst selten auszumachen.575 In Ermangelung einer entsprechenden Entscheidungsfreiheit der Kommission nehmen die Unionsgerichte daher im Grundsatz eine umfassende Prüfung der Frage vor, ob die Tatbestandsmerkmale der Art. 101 oder 102 AEUV erfüllt worden sind. Diese Linie wird vom EuG in der Sache Holcim auch für Klagen im Bereich der außervertraglichen Haftung bestätigt.576 Das EuG hat in dieser Sache das Nichtigkeitsurteil im Hinblick auf ein etwaiges Ermessen der Kommission überprüft und ist zu dem Schluss gekommen, dass „in den einschlägigen Randnummern des [Urteils] nicht von einer Würdigung wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission oder von irgendeinem dieser zustehenden Ermessensspielraum die Rede [ist], wodurch der Umfang der durch das Gericht vorgenommenen Prüfung hätte beschränkt werden können.“577 Weiterhin weist das EuG darauf hin, „dass sich die Antwort auf die Frage, ob das Verhalten der betreffenden Unternehmen ge573
Hierzu noch eingehend u. § 5 B. III. 3. Vgl. hierzu die Vorschläge bei Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151, (159 ff.): Errichtung eines Europäischen Wettbewerbsgerichts, das ausschließlich mit Rechtsmitteln gegen Entscheidungen der Kommission befasst ist, oder die stärkere und frühere Einbindung des Anhörungsbeauftragten bei Entscheidungen der Kommission. Ferner Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (103 ff.); Petit/Rato, GCP 1 (2007), 1 (7 ff.). Zu einem möglichen Verstoß der Rechtsprechung zu Art. 340 Abs. 2 AEUV gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK Cumming, Merger Decisions and the Rules of Procedure of the European Community Courts, 2012, S. 24 ff. mit Bezug auf Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (157); Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (693 ff.). 575 § 5 B. III. 1. Insoweit a. A. Klumpp, ZWeR 2008, 441 (457); Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 308. 576 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357. 577 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 98) – Holcim. 574
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gen [Art. 101 Abs. 1 AEUV] verstieß, hier aus einer einfachen Anwendung des Rechts auf der Grundlage der der Kommission vorliegenden Tatsachen ergab.“578 Hieraus zieht es den Schluss, dass „der Ermessensspielraum der Kommission im betreffenden Fall reduziert war.“579 Sodann nimmt das Gericht die übrigen Faktoren in den Blick, die im Rahmen der außervertraglichen Haftung zu berücksichtigen sind. Die Komplexität des zu regelnden Sachverhalts bejaht das EuG hierbei.580 Es stützt sich zum einen auf die dreijährige Dauer des Verfahrens und auf die große Anzahl von Unternehmen, die teilweise auch aus Drittstaaten stammten. Diese Umstände resultieren in einer großen Anzahl von Erkenntnissen, die die Kommission zusammenzuführen hatte.581 Somit nimmt das Gericht eine originäre Würdigung des Sachverhalts vor. Zum anderen bewertet das EuG das vorangegangene Nichtigkeitsurteil und erkennt in diesem mehrere Aussagen zur Komplexität des Kommissionsverfahrens.582 Schließlich räumt auch die Klägerin die Komplexität ein, indem sie sich unter anderem auf Gegenstand und Art des Rechtsstreits sowie auf dessen Bedeutung im Hinblick auf das Unionsrecht beruft.583 Ferner rekurriert das Gericht auf die Fülle an beweiskräftigen Unterlagen, deren zutreffende Auslegung nicht auf der Hand lag, und auf die komplexe Organisationsform des Kartells.584 Der EuGH hat in der Sache Carlo Bagnasco festgestellt, dass die Beantwortung der Frage, ob der Tatbestand des Art. 101 AEUV erfüllt ist, grundsätzlich „von komplexen wirtschaftlichen Beurteilungen“ abhängt.585 Zu diesen tatsächlichen Schwierigkeiten können auch rechtliche Schwierigkeiten treffen. Das EuG anerkennt insoweit, dass die Anwendung der Wettbewerbsvorschriften auf Absprachen und Kartelle Schwierigkeiten mit sich bringt.586 Diese Anwendungsschwierigkeiten korrelieren mit dem Umfang des zu begutachtenden Sachverhalts. Diese Faktoren sind daher im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht zu berücksichtigen. Für die dritte Säule, die Fusionskontrolle, ist oben herausgearbeitet worden, dass den Prognosespielräumen und dem starren Zeitkorsett der Kommission bei der Frage, ob ein Verstoß hinreichend qua578
EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 99) – Holcim. EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 100) – Holcim. 580 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 102 ff.) – Holcim. 581 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 103) – Holcim. 582 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 104 f.) – Holcim. 583 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 106) – Holcim. 584 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 107) – Holcim. 585 EuGH C-215/96 u. a., Slg. 1999, I-135 (Rn. 50). 586 EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2967 (Rn. 46) – Corus; T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 115) – Holcim (jeweils für die außervertragliche Haftung); s. auch schon Fn. 440. 579
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lifiziert ist, Rechnung getragen werden muss. Eine Übertragung dieser Grundsätze auf die ersten beiden Säulen muss jedoch ausscheiden, da in diesem Bereich Sachverhalte aus der Vergangenheit in Rede stehen, so dass regelmäßig keine Prognoseentscheidungen anzustellen sind.587 Ebenso wenig besteht dort ein derart enges Zeitkorsett.588 Zeitliche Beschränkungen können sich allerdings aus Art. 6 Abs. 1 EMRK ergeben, wonach jede Person ein Recht darauf hat, dass über Streitigkeiten in Bezug auf ihre zivilrechtlichen Ansprüche und Verpflichtungen oder über eine gegen sie erhobene strafrechtliche Anklage jedenfalls innerhalb angemessener Frist verhandelt wird. Diese Vorschrift findet – wie bereits dargestellt589 – keine direkte Anwendung auf das kartellverwaltungsrechtliche Verfahren. Indes ist die „Vorwirkung“ des Fair-Trial-Grundsatzes in der Rechtsprechung anerkannt. Ferner kann auch als ungeschriebene Ausprägung dem Recht auf eine gute Verwaltung ein Beschleunigungsgebot entnommen werden.590 Die genauen Grenzen dieses Rechts müssen jedoch nicht herausgearbeitet werden, da die Kommission hierdurch nicht in ein starres Fristenregime wie im Rahmen der Fusionskontrolle „gepresst“ wird, sondern vielmehr die jeweiligen Umstände des Einzelfalles bei der Frage der „Angemessenheit“ einer Frist Berücksichtigung finden. Im Ergebnis scheidet eine Übertragung dieses Punktes auf die Kartell- und Missbrauchsaufsicht aus. Im Vergleich zur Fusionskontrolle sind die hier zu berücksichtigenden „objektiven Zwänge“ daher weniger stark ausgeprägt. Da jedoch die Komplexität mitberücksichtigt werden muss, sind auch insoweit strenge Anforderungen an den Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes zu stellen. 3. Verteidigungsrechte als Gegenstand des hinreichend qualifizierten Verstoßes
Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass im Bereich der materiellen Bewertung kartellaufsichtsrechtlicher Fragestellungen der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes nur äußerst schwierig zu erbringen ist. Das gilt umso mehr für die Fusionskontrolle, da hier mit dem Erfordernis von Prognoseentscheidungen sowie der Geltung starrer Fristen „objektive Zwänge“ bestehen, die bei der Frage des hinreichend qualifizierten Verstoßes zu berücksichtigen sind und geeignet sind, rechtswidrige Beschlüsse der Kommission regelmäßig zu entschuldigen. Insoweit unterscheiden sich die Situationen in der Fusionskontrolle von der übrigen Kartellauf587
Hierzu schon § 5 B. III. 1. b) cc). Hartmann-Rüppel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (39). 589 § 5 A. III. 2. a) dd). 590 s. dazu schon o. in Fn. 157. 588
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sicht.591 Wenn aber die Ergebnisse der Entscheidungsfindung eines Unionsorgans nur einer zurückhaltenden Überprüfung zugänglich sind, mit anderen Worten ein größerer Entscheidungsfreiraum besteht, kommt der Beachtung der Verteidigungsrechte eine umso größere Bedeutung zu.592 Dies muss auch dann gelten, soweit die Entscheidungsfindung nicht aufgrund von Ermessensspielräumen einer bloß eingeschränkten Überprüfung zugänglich ist, sondern wenn – wie hier – aufgrund der Berücksichtigung von „objektiven Zwänge“ bei der Entscheidungsfindung, insbesondere der Komplexität der zu regelnden Sachverhalte sowie des Zeitdrucks ein reduzierter Rechtmäßigkeitsmaßstab zugrunde zu legen ist. Es besteht dann ein Je-Desto-Verhältnis: Je komplexer ein Sachverhalt ist, desto weniger rückt das Ergebnis, sondern vielmehr die Gewährleistung eines gerechten Verfahrens und damit die Sicherung der Verteidigungsrechte der Beteiligten in den Vordergrund; „‚[g]etting it right‘ is less important than following a procedure by which one should usually ‚get it right‘.“593 Den Verteidigungsrechten kommt daher eine elementare Bedeutung im Eigenverwaltungsrecht der Europäischen Union im Allgemeinen und im Kartellaufsichtsrecht im Besonderen zu. Im Folgenden wird sich daher diesen Rechten zugewandt. Insoweit könnte der Nachweis einer hinreichend qualifizierten Verletzung einfacher gelingen. Wenn etwa einem Unternehmen vor Erlass eines Beschlusses nicht ausreichend rechtliches Gehör gewährt worden ist, so liegt die Verletzung des Anhörungsrechts auf der Hand. Schwierigkeiten bei der Feststellung einer Verletzung bestehen insoweit nicht.594 Auf dieser Linie liegt auch die Schneider-Entscheidung, in der das EuG eine hinreichend qualifizierte Verletzung und damit das Vorliegen der Haftungsvoraussetzungen nur in Bezug auf Art. 18 Abs. 1 und 3 FKVO, also dem (Verteidigungs-)Recht auf Anhörung, erkennen konnte. Die Mitteilung der Beschwerdepunkte wurde von der Kommission unzureichend abgefasst, so dass den Unternehmen keine Möglichkeit mehr verblieb, der Kommission geeignete Maßnahmen zur Zerstreuung ihrer wettbewerblichen Bedenken zu unterbrei591
So auch Hartmann-Rüppel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (39). Etwas undifferenziert Klumpp, ZWeR 2008, 441 (457), der die Maßstäbe der Schneider-Entscheidung auf die übrigen Verfahrensarten wegen der vorhandenen „Ermessensspielräume“ überträgt. Ähnl. Steinle/Schwartz, BB 2007, 1740 (1743). 592 Vgl. aus der Rspr. nur EuGH C-269/90, Slg. 1991, I-5469 (Rn. 14) – TU München; EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 73) – Nölle. In diese Richtung auch Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 404 ff. 593 Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (137); ähnl. M. Adam, Beurteilungsspielraum, 2007, S. 118. s. dazu auch schon § 5 B. III. 3. m. Nwn. aus der Rspr. 594 Dies kann sich allerdings für die übrigen Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung anders darstellen, zur Kausalität etwa u. § 6 B. II.
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ten.595 Das Gericht stellte insoweit einen offensichtlichen und schwerwiegenden Verstoß gegen diese Vorschrift fest.596 Eine Rechtfertigung bzw. Erklärung durch die besonderen Zwänge, denen die Kommission unterliegt, lehnte es ab.597 Gleichwohl ließ das Gericht erkennen, dass eine Berücksichtigung des Zeitdrucks in den Fällen möglich erscheint, in denen es sich um eine schwierige Frage handelt, die eine spezifisch ergänzende Prüfung erfordert.598 Dies gilt jedoch grundsätzlich nur für die materielle Bewertung von Zusammenschlüssen, nicht hingegen für die Beachtung der Verteidigungsrechte. In seinem Urteil differenziert das Gericht ausdrücklich zwischen der Komplexität der Marktanalyse an sich und der „Aussage in der Mitteilung der Beschwerdepunkte und im verfügenden Teil der Unvereinbarkeitsentscheidung, die keine besondere technische Schwierigkeit beinhaltete, keine spezifische ergänzende Prüfung, die aus zeitlichen Gründen nicht hätte vorgenommen werden können, verlangte und deren Fehlen nicht einem zufälligen oder versehentlichen Redaktionsproblem zugeschrieben werden kann, das eine Gesamtbetrachtung der Mitteilung der Beschwerdepunkte hätte ausräumen können.“599 Die Schneider-Entscheidung fügt sich insoweit in die Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung ein: Zwar soll, soweit das Organ eine allgemeine Sorgfaltspflicht verletzt oder einschlägige Sach- oder Verfahrensvorschriften zweckwidrig anwendet, der bloße Unionsrechtsverstoß ausreichen, um einen hinreichend qualifizierten Verstoß anzunehmen.600 In diesem Zusammenhang sind jedoch die gesamten Umstände des Einzelfalles, also insbesondere die Komplexität des zu regelnden Sachverhalts und die Schwierigkeiten bei der Anwendung und Auslegung der verletzten Vorschrift zu berücksichtigen. Das zum Verteidigungsrecht der Anhörung Gesagte muss dabei auch für die übrigen Verteidigungsrechte gelten.601 Im Unterschied zu den oben behandelten Fällen sind in Bezug auf die Verteidigungsrechte die übrigen Umstände des Einzelfalles nur ausnahmsweise ge595
EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 152) – Schneider. EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 152 ff., 156) – Schneider. 597 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 154) – Schneider. 598 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 155) – Schneider. Noch vor Erlass der Schneider-Entscheidung trat Mader (Verteidigungsrechte, 2006, S. 338 f.) ebenfalls für die Beibehaltung der überkommenen Dogmatik im Recht der außervertraglichen Haftung ein. 599 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-237 (Rn. 155) – Schneider; s. auch Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (139). 600 EuGH C-828/05, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 47) – Holcim; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 118) – Schneider. 601 Vgl. in diese Richtung Hartmann-Rüppel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (39 f.), die eine „Aufwertung zentraler Verteidigungsrechte“ durch die Schneider-Entscheidung erkennen. 596
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eignet, den hinreichend qualifizierten Verstoß auszuräumen. Regelmäßig erweist sich ihre Verletzung daher als hinreichend qualifiziert. In einer jüngeren Entscheidung hatte das EuG Gelegenheit, sich zu der Frage der außervertraglichen Haftung bei der Offenlegung der Identität im Rahmen eines Beihilfeverfahrens und damit der Verletzung der Pflicht zur Wahrung von Berufsgeheimnissen (Art. 339 AEUV) zu äußern und stellte fest, dass der Kommission „durch die Verletzung ihrer Pflicht zur Wahrung von Berufsgeheimnissen ein Fehler unterlaufen ist“, der den Tatbestand des Art. 340 Abs. 2 AEUV erfüllt.602 Ob diese Verletzung auch hinreichend qualifiziert ist, wird zwar in den die Prüfung einleitenden Obersätzen angeführt, im Rahmen der eigentlichen Subsumtion hingegen nicht weiter behandelt.603 Vielmehr kann die Verletzung dieser Pflicht als hinreichend angesehen werden. Auch diese Entscheidung bestätigt die These, dass in derartigen Fällen die Rechtsverletzung als solche zur Annahme einer hinreichend qualifizierten Verletzung und damit der Haftung ausreichen dürfte, einer Rechtfertigung durch „objektive Zwänge“ sind derartige Verletzungen nicht zugänglich. Für die Verletzung des Sorgfaltsprinzips ist das Bild in der Rechtsprechung nicht eindeutig: Nach der Nölle-Entscheidung des EuG soll seine Verletzung nur in Ausnahmefällen hinreichend qualifiziert sein. Solange die Unionsorgane ihre Pflicht zur Sorgfalt und zur ordnungsgemäßen Verwaltung nicht völlig verkannt haben, sondern lediglich den Umfang ihrer diesem Grundsatz zu entnehmenden Verpflichtungen im Einzelfall falsch eingeschätzt haben, stuft das EuG diesen Verstoß nicht als hinreichend qualifiziert oder als offensichtlich und erheblich ein.604 In der Sache Fresh Marine wurde Schadensersatz ebenfalls wegen der Verletzung des Sorgfaltsprinzips begehrt. Das EuG hat das Verhalten der Kommission im Unterschied zu der Nölle-Entscheidung dahingehend überprüft, ob diese eine Unregelmäßigkeit begangen hat, die einer durchschnittlich vorsichtigen und sorgfältigen Verwaltung unter den gleichen Umständen nicht unterlaufen wäre.605 An die Qualifizierung einer Sorgfaltspflichtverletzung als hinrei602
EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 57) – Idromacchine, bestätigt durch EuGH, C-34/12 P – noch nicht veröffentlicht –. 603 EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 24, 41 ff.) – Idromacchine, bestätigt durch EuGH, C-34/12 P – noch nicht veröffentlicht –. 604 EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 89); Böhm, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 12 Rn. 35. In Rn. 90 des Urteils vermengt das EuG die Prüfung des hinreichend qualifizierten Verstoßes mit Erwägungen zur Kausalität. 605 EuG T-178/98, Slg. 2000, II-3331 (Rn. 61 f.). Das EuG legte in dieser Entscheidung einen modifizierten Haftungsmaßstab an und verzichtete insb. auf das Prüfen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes.
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chend stellte das EuG in dieser Entscheidung daher niedrige Maßstäbe. In dem Rechtsmittelverfahren hat der EuGH das EuG im Ergebnis bestätigt.606 Daraufhin wurde in der Literatur die Befürchtung geäußert, dass bei Verstößen gegen das Sorgfaltsprinzip wegen dessen primärrechtlichen Verankerung in Art. 41 GRCh eine Haftung ausufern könnte. Jeder Verstoß wäre danach als hinreichend zu qualifizieren.607 Andere Stimmen innerhalb der Literatur teilen diese Bedenken hingegen nicht und verweisen auf die Rechtsprechung zu der Bestimmung des hinreichend qualifizierten Verstoßes.608 Zwar ist letztgenannter Auffassung insoweit zu widersprechen, als dass sie sich zu sehr auf die Ermessensspielräume konzentriert. Für Rechtsverstöße wie die Vorliegenden wurde dagegen die Nichtexistenz derartiger Freiräume herausgearbeitet. Da jedoch die Bestimmung des hinreichend qualifizierten Verstoßes stets unter Berücksichtigung der übrigen Umstände des Einzelfalles vorzunehmen ist, ist ihr gleichwohl im Ergebnis zu folgen. Ein Ausufern der Haftung ist schon wegen der regelmäßig rechtmäßig handelnden Verwaltung nicht zu befürchten. IV. Zwischenergebnis Die vorstehenden Überlegungen haben gezeigt, dass der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes den Geschädigten vor eine schwierige Aufgabe stellen kann. Über die Untersuchung des Referenzgebietes hinaus dürfte für die Feststellung des hinreichend qualifizierten Verstoß eine zweigliedrige Prüfung zugrunde gelegt werden. Den ersten Schritt macht die Untersuchung aus, ob das Organ beim Erlass der inkriminierten Maßnahme über einen Ermessensspielraum verfügt hat. Ist dies der Fall, kommt es darauf an, ob diese Grenzen offenkundig und erheblich überschritten sind. Hier kommt es auf die Art des Rechtsverstoßes an, wobei insbesondere dem subjektiven Element besondere Bedeutung beizumessen ist. Bestehen keine Ermessensspielräume, sind in einem zweiten Schritt die übrigen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, namentlich die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte, die Schwierigkeiten bei der Anwendung oder Auslegung der Vorschriften, das Maß an Klarheit und Genauigkeit der ver606 EuGH C-472/00 P, Slg. 2003, I-7541 (Rn. 26). Der EuGH legte dagegen die „klassische“ Herangehensweise zur Bestimmung der Haftungsvoraussetzungen zugrunde. Vgl. zusammenfassend auch Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 336 ff. 607 Wakefield, CMLRev. 41 (2004), 235 (244: „Under the Constitutional Treaty, the right to good administration is made a fundamental right so that its breach will automatically satisfy the requirement of a sufficiently serious breach of law“). 608 s. Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 338 f., der im Übrigen die Begründungen der Entscheidungen des EuG und EuGH in der Sache Fresh Marine kritisiert.
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letzten Vorschrift und die Frage, ob der Rechtsfehler vorsätzlich begangen wurde oder unentschuldbar ist. Für das Referenzgebiet kann infolge der grundsätzlichen Ermangelung von Ermessenspielräumen sogleich in die zweite Ebene eingestiegen werden: Hier wurde herausgearbeitet, dass hinsichtlich der Haftungsanforderungen zwischen der Rechtswidrigkeit in formeller Hinsicht und der Rechtswidrigkeit in materieller Hinsicht zu differenzieren ist. Während in Bezug auf die Nichtigkeitsklage des Art. 263 AEUV sowohl die formelle als auch die materielle Rechtswidrigkeit jeweils für sich genommen zum Erfolg führen kann, stellt sich die Situation auf der Ebene des Sekundärrechtsschutzes anders dar. Da im Rahmen einer Gesamtbetrachtung die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, werden regelmäßig nur schwerwiegende Fehler die Schadensersatzpflicht der Europäischen Union begründen.609 In Bezug auf eine Verletzung von Verteidigungsrechten und damit bei Verfahrensfehlern kann der Verstoß regelmäßig als entsprechender schwerer Fehler und damit als hinreichend qualifiziert verstanden werden. Nach der im Untersuchungsgebiet ergangenen Rechtsprechung ist im Übrigen mit Blick auf die Fehler auf der Ebene der materiellen Bewertung zu untersuchen, ob der Rechtsverstoß mit objektiven Zwängen erklärt werden kann.610 Diese Prüfung fügt sich in das Konzept der außervertraglichen Haftung ein. Hierdurch wird die Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, auf die die neuere Rechtsprechung bei der Prüfung des hinreichend qualifizierten Verstoßes abstellt, an konkrete Punkte angeknüpft. Diese Prüfung gestaltet sich im Ergebnis als „anspruchsvoller als die Prüfung im Rahmen einer Nichtigkeitsklage, bei der das Gericht innerhalb der Grenzen der vom Kläger vorgetragenen Klagegründe nur die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung prüft, um festzustellen, ob die Kommission die verschiedenen Faktoren richtig beurteilt hat“.611 Gerade mit Blick auf den erforderlichen Rechtsverstoß kann das Kartellrecht als Referenzgebiet eine über die insoweit aufgeworfenen Fragestellungen hinausgehende bedeutende Rolle einnehmen.612 Angesichts des regelmäßig indirekten Vollzugs des Unionsrechts kann das dem direkten Vollzug unterliegende europäische Kartellrecht wichtige Impulse für die Weiterent609 So auch Hartmann-Rüppel/v. Hülsen, in: Weiß, Die Rechtsstellung Betroffener, 2010, S. 29 (35); Seitz, EuZW 2008, 719 (720). 610 Hierzu ausf. o. § 5 B. III. 2. 611 EuG T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 85) – MyTravel. 612 Diese Einschätzung teilend Thiele, in: Terhechte, Europ. Verwaltungsrecht, 2011, § 39 Rn. 37; Böhm, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 2. Aufl. 2010, § 12 Rn. 20; ähnl. schon v. Renthe gen. Fink, in: GK, 7. Lieferung 4. Aufl. 1984, § 87 Rn. 12.
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wicklung des unionsrechtlichen Eigenverwaltungsrechts entfalten. Dies gilt insbesondere für das Recht der außervertraglichen Haftung.
C. Die Existenz einer Haftung ohne Rechtsverstoß Der Wortlaut von Art. 340 Abs. 2 AEUV lässt Raum für eine Auslegung, die auf einen Rechtsverstoß verzichtet.613 Nach der Rechtsprechung wird die Rechtswidrigkeit des Verhaltens eines Organs der Union dagegen regelmäßig vorausgesetzt.614 Fraglich ist daher, ob ausnahmsweise auch rechtmäßiges Verhalten zur außervertraglichen Haftung führen kann. Unter der Voraussetzung eines „außergewöhnlichen und besonderen“ Schadens hat der EuGH dies in einem Fall bejaht.615 In seiner späteren Rechtsprechung hat er jedoch die Singularität dieser Entscheidung hervorgehoben.616 Das EuG hat in einem jüngeren Urteil hingegen die Möglichkeit, bei rechtmäßigem Handeln Schadensersatz zu erlangen, als „ständige[. . .] Rechtsprechung“ bezeichnet.617 Unabhängig davon, ob ein derartiges Institut überhaupt anzuerkennen ist, dürften die im Rahmen der Kartellaufsicht in Betracht kommenden Schadensposten diese Qualität regelmäßig nicht aufweisen.618 Somit wird diese Frage nicht weiterverfolgt.
D. Zusammenfassung Der Nachweis einer hinreichend qualifizierten Schutznormverletzung stellt den Kläger im Haftungsprozess wegen fehlerhafter Kartellaufsicht vor hohe Anforderungen. Zwar gilt dies nicht für die Feststellung derartiger Schutznormen. Schwierigkeiten ergeben sich jedoch bei der Untersuchung des Rechtsverstoßes. So wurde herausgearbeitet, dass Fehler, die zur Aufhebung eines Kommissionsbeschlusses führen, für sich genommen nicht 613
Dazu, dass die Haftung für rechtmäßiges Verhalten anderen Rechtsordnungen nicht fremd ist Castillo de la Torre, in: Smit/Herzog, EU Law, 2007, TEC Art. 288 EC § 389-12, mit Verweis auf das französische und das deutsche Recht. A. A. Wieland, in: Dreier, GG, Bd. II., 2. Aufl. 2006, Art. 34 GG Rn. 16, wonach die Begrenzung auf rechtswidriges Handeln „als selbstverständlich vorausgesetzt“ wird. 614 Dazu schon o. in Fn. 3. 615 EuGH C-237/98, Slg. 2000, I-4549 (Rn. 17 f.) – Dorsch Consult. 616 Vgl. EuGH C-120/06 u. a., Slg. 2008, I-6513 (Rn. 167) – FIAMM; C-47/07, Slg. 2008, I-9761 (Rn. 49 ff.) – Masdar. 617 EuG T-481/08, Slg. 2010, II-117 (Rn. 88) – Alisei. Neben dem Dorsch-Consult-Urteil hat das EuG auf EuGH C-325/06, Slg. 2007, I-44* (Rn. 76) – Galileo International Technology, abgestellt. 618 So auch Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 591. Zu den Schadensposten sogleich in § 6.
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ausreichen, um einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Entscheidend ist die hinreichende Qualifikation dieses Fehlers. Im Bereich der materiellen Fehlerhaftigkeit eines kartellaufsichtsrechtlichen Beschlusses führen die an die hinreichende Qualifikation zu stellenden Anforderungen dazu, dass derartige Klagen nur im Ausnahmefall erfolgreich sein werden. Zwar besteht im Regelfall kein Ermessensspielraum der Kommission. Ein auf derartige Ermessensspielräume begrenztes Verständnis der Bergaderm-Rechtsprechung greift indes zu kurz. Vielmehr sind alle Umstände des Einzelfalles mit zu berücksichtigen. Insbesondere wegen der Komplexität der Sachverhalte, sowie der Schwierigkeiten bei der Anwendung der Wettbewerbsregeln ist die Annahme eines offenkundigen und erheblichen Verstoßes die Ausnahme. Hinzu tritt im Bereich der Fusionskontrolle das enge Zeitkorsett. Anders stellt sich die Situation indes für formelle Fehler dar. Im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Verteidigungsrechte sind hinreichend qualifizierte Rechtsverstöße wahrscheinlicher. Aufgrund ihrer Bedeutung reicht regelmäßig der Verstoß gegen das vorgenannte Recht aus, um dieses Tatbestandsmerkmal des Art. 340 Abs. 2 AEUV zu erfüllen.
§ 6 Ersatz des kausalen Schadens Den Schwerpunkt des zweiten Teils bildeten in § 5 die Ausführungen zur Rechtswidrigkeit und damit den Tatbestandsvoraussetzungen der außervertraglichen Haftung. Die nun folgende Darstellung wird typisierend einige in Betracht kommende Besonderheiten im Rahmen der Ermittlung des kausalen Schadens und damit die Rechtsfolge behandeln. Neben dem Schaden (A.) wird die Kausalität zwischen dem hinreichend qualifizierten Verstoß und diesem Schaden (B.) untersucht.
A. Schaden Auf Rechtsfolgenseite ordnet Art. 340 Abs. 2 AEUV den Ersatz eines Schadens an. Hierunter wird jede Einbuße verstanden, die der Betroffene durch ein bestimmtes Ereignis an seinem Vermögen oder sonstigen Rechten erleidet.619 Zu der Modalität des Schadensersatzes schweigt der Vertrag, in Betracht kommen neben Geldersatz im Grundsatz auch Folgenbeseitigung sowie Naturalrestitution.620 Obwohl die Naturalrestitution der Grundform des Schadensersatzes entspricht (vgl. für das deutsche Recht § 249 Abs. 1 619 Zu diesem weiten Schadensbegriff v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 118 m. Nwn. zu „limitierenden Merkmalen“.
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BGB), wird in der Praxis regelmäßig die Zahlung eines Geldbetrages beantragt.621 Der Schadensumfang ergibt sich im Grundsatz aus einem Vergleich des tatsächlich bestehenden Zustands mit dem Zustand, der bestünde, wäre das schadensstiftende Ereignis nicht eingetreten.622 Nach der Rechtsprechung soll der Ersatz des Schadens soweit wie möglich das Vermögen des Geschädigten wiederherstellen.623 Diese Wiederherstellung muss dem tatsächlich erlittenen Schaden entsprechen.624 Dies gilt zunächst für den materiellen Schaden (Vermögensschaden). Neben der tatsächlichen Reduzierung der Vermögenswerte des Opfers (damnum emergens) lässt sich hierunter auch der entgangene Gewinn (lucrum cessans) subsumieren.625 Daneben ist auch der immaterielle Schaden (Nichtvermögensschaden) ersatzfähig.626 Der Schadensnachweis stellt den Geschädigten oftmals vor ein Darlegungs- und Beweisproblem.627 Art. 44 § 1 lit. c), d) VerfO EuG verlangt, dass die Klageschrift unter anderem den Streitgegenstand und die Anträge enthält. Diese Voraussetzung sind in Bezug auf den Schaden erfüllt, wenn die Klageschrift „Art und Umfang dieses Schadens bezeichnet“.628 Zudem 620 EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 81) – Idromacchine; v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 132 m. w. Nwn.; Burianski, EWS 2004, 546 (551). 621 Berg (in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 68) weist darauf hin, dass Naturalrestitution regelmäßig ausgeschlossen sein dürfte, da dieses Ziel auch mit der Nichtigkeitsklage, deren Zulässigkeitsvoraussetzungen durch die Anerkennung einer derartigen Schadensersatzklage unterlaufen werden würden, verfolgt werden könne. 622 Sog. Differenzhypothese, in EuGH Rs. 29/63 u. a., Slg. 1965, 1198 (1234) – S.A. de Laminoirs als „einzig brauchbare[. . .] Methode“ der Schadensermittlung bezeichnet. 623 EuGH C-308/87, Slg. 1994, I-341 (Rn. 40) – Alfredo Grifoni; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 341) – Schneider. 624 EuGH C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 34) – Mulder, s. auch v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 133. 625 GA Capotorti, SchlA zu EuGH Rs. 238/78, Slg. 1981, 1723 (Rn. 9, 2998) – Ireks-Arkady; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 725 f.; eingehend auch Schousboe, Concept of Damage, 2003, S. 13 ff. Zur Bestimmung des entgangenen Gewinns EuGH C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 26) – Mulder; grds. zur Bestimmung des Vermögensschadens EuG T-203/96, Slg. 1998, II-4239 (Rn. 89, 104) – Embassy Limousines & Services. 626 s. etwa EuGH Rs. 169/83 u. a., Slg. 1986, 2801 (Rn. 18) – Leussink. 627 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 123; Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (156); Ritter, in: Immenga/Mestmäcker, EG, 1997, Verfahren Rn. 120. Zum entgangenen Gewinn § 6 A. II. 628 EuG T-91/05, Slg. 2007, II-245 (Rn. 87) – Sinara Handel.
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muss der Schaden tatsächlich und bestimmt bzw. sicher sein.629 Die fehlende Substantiierung des Schadens führt zur Abweisung der Haftungsklage als unzulässig.630 Indes braucht der Schaden nicht tatsächlich beziffert zu sein, wenn er sich nach Art und Umfang im Wesentlichen aus dem Zusammenhang ermitteln lässt.631 Der Beklagte muss in der Lage sein, den „ungefähren Umfang“ des Schadens abschätzen zu können.632 Steht der Schaden noch nicht fest, gelten niedrigere Anforderungen.633 Regelmäßig entscheidet das EuG über die Haftung nur dem Grunde nach durch Grundurteil.634 In seltenen Fällen stellt das Gericht selbst den konkreten Schaden fest;635 folglich findet auch nur ausnahmsweise eine Beweisaufnahme hierüber statt.636 Im Folgenden werden die von der Rechtsprechung an die Ersatzfähigkeit eines Schadens gestellten Anforderungen nachgezeichnet. Ziel dieser Darstellung ist dabei nicht, alle in Betracht kommenden Schadenspositionen im Vorhinein abschließend aufzuzählen. Soweit möglich, sollen jedoch die jeweiligen Anforderungen durch Beispiele möglicher Schadensposten verdeutlicht werden. I. Ersatzfähigkeit des Vermögensschadens Als Vermögensschaden ist der Schaden anzusehen, der sich in der Vermögensdifferenz nach einem Vergleich des Zustands mit und des Zustandes ohne das schädigende Ereignis widerspiegelt. Der insoweit ermittelte Schaden muss darüber hinaus auch vom Schutzzweck der verletzten Norm erfasst sein.637 629 EuG T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 51 f.) – New Europe Consulting; T-452/05, Slg. 2010, II-1373 (Rn. 165) – BST; T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 25) – Idromacchine. 630 s. nur EuG T-64/89, Slg. 1990, II-367 (Rn. 73 f.) – Automotec; T-387/94, Slg. 1996, II-961 (Rn. 108) – Asia Motor France; T-190/95 u. a., Slg. 1999, II-3617 (Rn. 41 ff.) – Sodima; vgl. auch Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 310 mit Fn. 627 und Rn. 317; Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 572, 576. Zu weiteren Bsp. aus der Rspr. Wägenbaur, EuGH VerfO, 2008, VerfO EuG Art. 44 Rn. 14. 631 Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 18 m. w. Nwn. aus der Rspr. 632 EuG T-149/96, Slg. 1998, II-3841 (Rn. 49) – Coldiretti. 633 Dazu Wägenbaur, EuGH VerfO, 2008, VerfO EuG Art. 44 Rn. 15 m. w. Nwn. 634 Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 78. Zur gerichtlichen Durchsetzung des Schadensersatzanspruches § 7. 635 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 124. 636 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 123 m. Nwn. zur Sachaufklärung in Form der Fragestellung an die Parteien.
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Derartige Vermögensschäden können in vielerlei Hinsicht auftreten. Es könnten z. B. Kosten durch die Umsetzung der Verpflichtung aus einer rechtswidrigen Verfügung entstehen. So ist etwa der Ersatz der Kosten zu erwägen, die für die Anpassung eines Marktinformations- oder eines Vertriebssystems anfallen.638 Auch sind weitere Kosten denkbar, die in Zusammenhang mit den von der Kommission auferlegten Auflagen entstehen. Ferner stellen die Kosten für eine Bankbürgschaft, die ein Unternehmen zur Abwendung der Bußgeldzahlung gestellt hat, Vermögensschäden dar.639 Ebenso verhält es sich mit Zinsen, die für die Aufnahme eines Darlehens entstehen.640 Hingegen kann die Zahlung des Bußgeldes als solche mit der Rechtsprechung nicht als Schaden angesehen werden, da im Falle der Rechtswidrigkeit die Rückzahlung über den Folgenbeseitigungsanspruch des Art. 266 Abs. 1 AEUV verlangt werden kann.641 Da dieser Anspruch wegen einer anderenfalls eintretenden ungerechtfertigten Bereicherung der Union weiterhin die Zinsen umfasst, stellen auch infolge der Bußgeldzahlung entgangene Zinseinnahmen keine ersatzfähigen Schadenspositionen dar.642 Eine gleichwohl erhobene Schadensersatzklage ist daher wegen Umgehung der Voraussetzungen der Nichtigkeits-(bzw. Untätigkeits-)klage als rechtsmissbräuchlich anzusehen.643 Mit Bezug auf die Fusionskontrolle lässt sich die Zahlung von Break-up-Fees und ähnlichen Vertragsstrafen im Zusammenhang mit einer rechtswidrigen Untersagung als Vermögensschaden begreifen. Schließlich fallen unter den Begriff des Vermögensschadens auch Honorare für Rechtsberater, Treuhänder, allgemeine Verwaltungsauslagen sowie generell Kosten für die Rechtsverfolgung.644 Daher handelt es sich etwa bei Kosten für eine durch einen hinreichend qualifizierten Rechtsver637
EuGH Rs. 74/74, Slg. 1975, 533 (Rn. 38) – CNTA. Klose, Verhältnis, 1998, S. 259. 639 Zu einem derartigen Schadensposten EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 119 ff.) – Holcim. Problematisch war in dieser Sache die Kausalität, eingehend § 6 B. 640 EuG T-167/94, Slg. 1995, II-2589 (Rn. 42) – Nölle; vgl. auch EuGH C-271/91, Slg. 1993, I-4367 (Rn. 31) – Marshall. 641 EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2967 (Rn. 40) – Corus. Diese Argumentation ist nicht unproblematisch, da Art. 266 Abs. 1 AEUV nach dem Wortlaut kein Recht des Einzelnen, sondern eine bloße Verpflichtung der Kommission statuiert und insoweit auch keinen Rechtsbehelf kennt, vgl. EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 32, 36) – Holcim mit Verweis auf die abschließende Aufzählung in den Verträgen; zur prozessualen Geltendmachung vgl. Gaitanides, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 233 EG Rn. 17; zur Untätigkeitsklage Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 320. 642 EuG T-171/99, Slg. 2001, II-2967 (Rn. 53 ff.) – Corus. 643 Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 573. Zur Eigenständigkeit der Haftungsklage auch noch § 7 B. 644 Vgl. EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 289 ff., 298 ff.) – Schneider. 638
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stoß645 der Kommission verursachte Wiederholung eines Kartellverfahrens um eine Schadensposition. Dagegen wären die Kosten für das erste Verfahren sowieso entstanden, so dass hierfür der Kausalzusammenhang zu verneinen ist. Ferner kann der Wertverlust eines Unternehmens bzw. der Anteile an einem Unternehmen im Nachgang eines gescheiterten Zusammenschlusses als ersatzfähiger Vermögensschaden begriffen werden. Insbesondere bei börsennotierten Unternehmen lassen sich die Schadenspositionen insoweit nachzeichnen. Da der Schadensersatz soweit wie möglich das Vermögen des Geschädigten wiederherstellen soll, kann der Kläger sog. Ausgleichszinsen ab dem schädigen Ereignis bis zur Verkündung des Urteils ersetzt verlangen.646 Die Verzinsung stellt einen Ausgleich für die erlittene Geldentwertung dar.647 Hier nimmt die Rechtsprechung einen Zinssatz i. H. v. zwei Prozentpunkten über dem Zinssatz der Europäischen Zentralbank (EZB) für wesentliche Hauptrefinanzierungsgeschäfte an.648 Im Rahmen von kartellverwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren stellt sich die Frage, ob es sich etwa im Zusammenhang mit der Beantwortung von Auskunftsersuchen und daraus resultierende Rechtsberatungskosten um die Realisierung des allgemeinen Lebensrisikos handelt, so dass insoweit nicht mehr von Schäden gesprochen werden kann. Eine derartige Einschränkung anerkennt die Rechtsprechung, wenn auf das Vorliegen eines „besonderen Schadens“ abgestellt wird, der dann gegeben ist, wenn der Schaden über das hinausgeht, was „von allen Wirtschaftsteilnehmern gleichmäßig zu 645 Zwar könnte nach dem Schutzweck der Norm insoweit an eine Einschränkung gedacht werden, als der hinreichend qualifizierte Rechtsverstoß auf einem Verfahrensverstoß beruht. Die sich dann stellende Frage, ob die verletzte Norm gerade Schäden dieser Art verhindern wollte, ist in diesen Fällen indes regelmäßig zu bejahen. 646 EuGH C-308/87, Slg. 1994, I-341 (Rn. 40) – Alfredo Grifoni; C-104/89 u. a., Slg. 2000, I-203 (Rn. 220 f.) – Mulder; EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 77) – Idromacchine. Zu den Verzugszinsen § 7 D. 647 Vgl. nur EuGH Rs. 64/76 u. a., Slg. 1979, 3091 (Rn. 25) – Dumortier Frêres; EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 340 ff.) – Schneider. Zum Zeitpunkt der Verkündung des Schadensersatzurteils steht oftmals die Höhe des Schadens noch nicht fest, so dass die Verzinsung erst ab dem Tag der Verkündung des Urteils über die endgültige Schadenshöhe eintritt, vgl. dazu auch EuG (a. a. O., Rn. 344) – Schneider. Anders jedoch EuG T-260/97, Slg. 2005, II-2741 (Rn. 143 f.) – Camar und Tico: Verzinsung ab Verkündung des die grundsätzliche Zahlungspflicht feststellendes Urteils. 648 EuG T-160/03, Slg. 2005, II-984 (Rn. 132) – AFCon; T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 77 f.) – Idromacchine. Vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 727. Soweit ein niedrigerer Zins beantragt wird, spricht das Gericht wegen des Ne-Ultra-Petita-Grundsatzes auch nur einen solchen Zins zu. Der jeweilige Zinssatz [main refinancing operations (fixed rates)] kann dem Internetauftritt der EZB, www.ecb.int/home/html/index.en.html, entnommen werden.
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tragen“ ist.649 Grundsätzlich handelt es sich bei der Konfrontation mit kartellverwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahren um ein Risiko, das der Tätigkeit am Markt inhärent ist. Dies gilt insbesondere auch für Unternehmen, die nicht kartellrechtswidrig agieren, da die Kommission durch die Ermittlungsmaßnahmen erst in die Lage versetzen wird, über den weiteren Verlauf einer Sache zu befinden. In diesen Fällen fehlt es allerdings wegen der Ermessensspielräume der Kommission regelmäßig an der Rechtswidrigkeit der konkreten Ermittlungsmaßnahme, so dass insoweit der Tatbestand des Schadensersatzanspruches nicht erfüllt sein dürfte. Sollte ein rechtswidriges Verhalten der Kommission ausnahmsweise gegeben sein, dürfte schon aus diesem Grund von einem „besonderen“ und damit einem ersatzfähigen Schaden auszugehen sein. Keine über die außervertragliche Haftung ersatzfähigen Vermögensschäden stellen dagegen die Kosten dar, die in Bezug auf die Erhebung und Durchführung der Nichtigkeitsklage entstanden sind.650 Unabhängig davon, dass die vorherige Beschreitung des Primärrechtsweges anders als im deutschen Recht keine notwendige Voraussetzung der Haftungsklage darstellt651 und insoweit an der Kausalität gezweifelt werden könnte, sind diese Kosten schon von der Kostenentscheidung des EuG erfasst:652 Das sechste Kapitel des zweiten Titels der VerfO EuG (Art. 87 ff.) regelt die Prozesskosten. Gemäß Art. 91 lit. b) zählen hierzu die erstattungsfähigen Aufwendungen der Parteien, die für das Verfahren notwendig653 waren, insbesondere Reiseund Aufenthaltskosten sowie die Vergütung der Bevollmächtigten, Beistände oder Anwälte. Über diese Kosten entscheidet gemäß Art. 87 § 1 das EuG. Gemäß § 2 der Bestimmung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Die Kosten, die den Parteien für die Rechtsverfolgung entstanden sind, unterfallen dieser Kostenlast und können daher keinen ersatzfähigen Schaden darstellen.654 Dagegen ist mit Blick auf vorprozessuale Anwaltskosten die Zugehörigkeit zum Vermögensschaden zu bejahen.655 649
EuG T-120/89, Slg. 1991, II-279 (Rn. 127, 131) – Stahlwerke Peine-Salzgitter. EuGH C-334/97, Slg. 1999, I-3402 (Rn. 54) – Comune di Montorio al Vomano. 651 Näher dazu § 7 B. 652 Vgl. im Ergebnis auch EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 297) – Schneider. Vertiefend zu der Ersatzfähigkeit von Kosten Baron, in: Langen/Bunte, EU, 11. Aufl. 2011, Art. 16 FKVO Rn. 48 ff. 653 Zur Bestimmung der Notwendigkeit im Zusammenhang mit der Vergütung von Rechtsanwälten Wägenbaur, EuGH VerfO, 2008, VerfO EuG Art. 91 Rn. 10 ff. m. w. Nwn. 654 EuGH C-334/97, Slg. 1999, I-3402 (Rn. 54) – Comune di Montorio al Vomano; EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 98) – Idromacchine. 655 Wohl a. A. bei v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 119 (kein Schaden) unter Verweis auf EuGH C-331/05, Slg. 2007, I-5475 (Rn. 24) – Internationaler Hilfsfonds. So wie hier je650
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II. Schwierigkeiten bei der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns Nicht nur bereits erlittene Verluste, auch für die Zukunft zu erwartende Einbußen können über die Schadensersatzklage ersetzt werden. Insoweit stellt auch der entgangene Gewinn einen Vermögensschaden dar. Die Quantifizierung dieses entgangenen Gewinns gestaltet sich oftmals als schwierig. Gleichwohl muss er nach der Rechtsprechung erfasst werden, da „bei Rechtsstreitigkeiten wirtschaftlicher oder kommerzieller Natur [. . .] ein [. . .] vollständiger Ausschluß des entgangenen Gewinns geeignet [ist], den Ersatz des Schadens tatsächlich unmöglich zu machen.“656 Entscheidend ist hierbei, ob der entgangene Gewinn zu erwarten und damit realisierbar gewesen ist,657 erforderlich ist mithin der Nachweis, dass sich die jeweiligen Geschäfte bereits hinreichend konkretisiert haben.658 Hypothetische und unbestimmte Schadenspositionen sind insoweit nicht ausreichend, der Gewinn muss vielmehr unmittelbar bevorstehen und mit hinreichender Wahrscheinlichkeit vorausgesehen werden können.659 Dabei lässt die Rechtsprechung auch Schätzungen zu, da der entgangene Gewinn „zwangsläufig eine hypothetische Angabe“ darstellt.660 In Bezug auf den entgangenen Gewinn treten daher oftmals Nachweisund vor allem Berechnungsschwierigkeiten auf.661 Im Rahmen eines rechtswidrigen Kartellverfahrens müsste der Geschädigte etwa darlegen, wie sich die Wettbewerbssituation ohne das Eingreifen der Wettbewerbsbehörden doch ausdr. EuGH Rs. 54/77, Slg. 1978, 585 (Rn. 45/49) – Herpels. Als problematisch dürfte sich in diesem Zusammenhang jedoch der Nachweis der Kausalität darstellen, s. etwa EuGH Rs. 54/77, Slg. 1978, 585 (Rn. 45/49) – Herpels; C-331/05, Slg. 2007, I-5475 (Rn. 24) – Internationaler Hilfsfonds. Näher zu diesem Problem § 6 B. III 2. 656 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 87) – Brasserie du Pêcheur; so auch EuGH C-397 und 410/98, Slg. 2001, I-1727 (Rn. 91) – Metallgesellschaft; C-295/04 u. a., Slg. 2006, I-6619 (Rn. 96) – Manfredi. 657 EuGH C-348/06, Slg. 208, I-833 (Rn. 65 ff.) – Girardot. Vgl. auch EuGH Rs. 5/66 u. a., Slg. 1967, 331 (357) – Kampffmeyer, in der dieser Punkt zur Abweisung der Klage führte, da der entgangene Gewinn auf „wesentlich spekulativen Faktoren“ beruhte und daher nicht ersatzfähig war. Vgl. parallel zur deutschen Regelung des § 252 BGB v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 134 sowie u. in § 11 A. II. 658 So Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 318. 659 Dazu nur v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 121. 660 EuG T-452/05, Slg. 2010, II-1373 (Rn. 168) – BST. 661 EuG T-452/05, Slg. 2010, II-1373 (Rn. 168) – BST; vgl. auch v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 119, 123; Schousboe, Concept of Damage, 2003, S. 12.
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entwickelt hätte. In diesem Zusammenhang kann auch der von der Kommission im Juni 2011 vorgestellte Entwurf eines Leitfadens zur Quantifizierung des Schadens in Schadensersatzklagen wegen Verletzung des Artikels 101 oder 102 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union Berücksichtigung finden.662 Der Geschädigte muss sich ferner diejenigen Einkünfte anrechnen lassen, die er durch Substitutionsmöglichkeiten erzielt hat. Schließlich findet eine Vorteilsanrechnung statt, der Geschädigte hat daher den Nachweis dafür zu erbringen, dass er etwaige Schäden nicht auf seine Abnehmer übergewälzt hat.663 Vergleichbar ist insoweit die Situation der sog. Passing-On-Defence, die im Bereich des private enforcements des Kartellrechts diskutiert wird.664 Soweit indes Schadensersatz wegen eines Nichteinschreitens der Kommission gegenüber Unternehmen, die möglicherweise die Wettbewerbsvorschriften der Union verletzten, begehrt wird, scheitern derartige Schadensersatzansprüche regelmäßig schon auf Tatbestandsebene in Ermangelung einer entsprechenden Schutznorm.665 Ähnliche Beweisprobleme können sich auch im Rahmen der Fusionskontrolle ergeben. So können etwa die Parteien eines zu Unrecht untersagten Zusammenschlussvorhabens vortragen, aus dem Zusammenschluss resultierende Synergieeffekte, Kosteneinsparungen oder andere Effizienzgewinne seien durch die Untersagung nunmehr vereitelt oder unmöglich gemacht.666 Als derartiges Beispiel kann die Sache Schneider herangezogen werden: Hier wurde zunächst der Ersatz eines Schadens von mehr als 1,6 Mrd. Euro beantragt, dem letztlich nur i. H. v. 50.000 Euro entsprochen wurde.667 Unabhängig von Fragen der Darlegung und Beweisbarkeit derartiger Schäden ist hierbei bereits unklar, was unter dem Begriff der Effizienzen überhaupt 662 ec.europa.eu/competition/consultations/2011_actions_damages/draft_guidance_ paper_de.pdf [abgerufen am 16.4.2014]. Der Leitfaden beschränkt sich auf den zivilrechtlichen Schadensersatz. 663 Vgl. EuGH C-192/95 u. a., Slg. 1997, I-165 – Société Comateb; v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 136. 664 Vgl. auch Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 592 ff. m. w. Nwn., zur Behandlung der Passing-On-Defence nach den Grundsätzen der Vorteilsanrechnung vgl. BGHZ 190, 145 (162 ff.) sowie ferner den Leitfaden der Kommission (Fn. 662), Rn. 142 ff. 665 s. dazu § 5 A. III. 3. b) aa) (1). 666 Vgl. etwa die Anträge in EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 86, 287) – Schneider; T-212/03, Slg. 2008, II-1967 (Rn. 25) – MyTravel. Zum Begriff der Effizienz auch Böge/Jakobi, BB 2005, 113 (115). 667 Vgl. den Antrag bei EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 86) sowie die endgültige Schadensfestsetzung EuGH C-440/07 P, Slg. 2010, I-73* (Tenor) – Schneider. Der Unterschied zur Schadensfestsetzung in EuG a. a. O. beruht auf der Kausalität, dazu ausf. Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (916 ff.) sowie § 6 B. II.
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verstanden werden kann. Insoweit kommt dem Vortrag des Geschädigten besondere Bedeutung zu. Zudem kann der Veräußerer an dem Ersatz der Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem derzeitigen Wert des Zielunternehmens interessiert sein.668 Unstreitig handelt es sich schließlich nicht um ersatzfähige Schäden, wenn die Vereitelung eines Gewinnes auf unternehmerischen Entscheidungen oder Veränderungen der Wettbewerbsbedingungen zurückzuführen sind, die nicht Gegenstand des Freigabebeschlusses gewesen sind. Diese Einbußen sind nicht vom Schutzzweck der Norm erfasst. III. Ersatzfähigkeit sonstiger Schäden Als sonstige Schäden kommen schließlich die Nichtvermögensschäden in Betracht. Hierunter sind diejenigen Einbußen zu fassen, die sich in Ermangelung ihrer Quantifizierbarkeit nicht als Vermögensschäden darstellen. Insoweit kann an Reputationsverluste und sonstige „Imageschäden“ gedacht werden.669 Derartige Schäden werden von der Rechtsprechung ebenfalls als ersatzfähig angesehen.670 Die Höhe des Ersatzanspruches wird hierbei nach Billigkeitsgesichtspunkten festgelegt, für gewöhnlich beschränkt er sich auf einen symbolischen Betrag.671 Ein Beispiel für immaterielle Schäden in Bezug auf die Haftung der Kartellaufsicht stellt die Rechtssache Stanley Adams dar, in der der EuGH dem Kläger einen Teil des beantragten Schadensersatzes zusprach, den er aufgrund einer Verletzung der Verschwiegenheitspflicht durch die Kommission geltend machte.672
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s. dazu schon im ersten Teil bei Fn. 288. Zu derartigen Fällen vgl. EuG T-203/96, Slg. 1998, II-4239 (Rn. 90, 108) – Embassy Limousines & Services; T-231/97, Slg. 1999, II-2403 (Rn. 53 ff.) – New Europe Consulting; T-440/03 u. a., Slg. 2009, II-4883 (Rn. 78) – Arizmendi; T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 63) – Idromacchine. 670 Der früheren Rspr. zum immateriellen Schaden lagen im Wesentlichen Beamtenstreitigkeiten zugrunde, vgl. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 12. 671 EuGH Rs. 169/83 u. a., Slg. 1986, 2801 (Rn. 20) – Leussink-Brummelhuis; EuG T-203/96, Slg. 1998, II-4239 (Rn. 109) – Embassy Limousines & Services; v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 135. 672 EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 (Rn. 53). Vgl. zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, der in der Schadenshöhe auch Berücksichtigung gefunden hat, die über die Darstellung im Urteil hinausgehende Chronologie unter www.guardian.co.uk/business/2001/nov/25/businessofresearch.research [abgerufen am 16.4.2014]. 669
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IV. Mitverschulden Schließlich wird im Rahmen der Schadenshöhe auch ein mitwirkendes Verschulden des Klägers berücksichtigt.673 So darf der Kläger der Entwicklung eine Schadens nicht tatenlos zusehen und ihn nachher liquidieren674; der Geschädigte muss sich in angemessener Form um die Begrenzung des Schadensumfangs bemühen, wenn er nicht Gefahr laufen will, den Schaden selbst tragen zu müssen675. Neben der Mitwirkung bei der originären Entstehung des Schadens fällt hierunter auch ein Verstoß gegen die dem Geschädigten obliegende Schadensminderungspflicht.676
B. Kausalität Zwischen dem Schaden und dem gerügten Verhalten muss ein Zurechnungszusammenhang bestehen; für einen Erfolg, der nicht auf dieser Handlung beruht, haftet der Handelnde nicht. Diesen Nachweis muss der Kläger erbringen.677 In der Entscheidungspraxis zur Kartellaufsicht warf die Kausalität oftmals Probleme auf.678 I. Grundsätze der Kausalität Zur Bestimmung der Kausalität ist mit der sog. Conditio-sine-qua-nonFormel zunächst das Handeln des schädigenden Organs hinweg zu denken. Die Kausalität ist danach zu bejahen, wenn der Erfolg (Schaden) mit Hin673
Dazu und m. w. Nwn. zur Kasuistik v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 137. Wegen der Verschuldensunabhängigkeit des unionsrechtlichen Haftungsanspruches wird auch die Bezeichnung „zurechenbares Mitwirken“ vorgeschlagen, so etwa Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 69; ähnl. v. Bogdandy/Jacob, a. a. O., Art. 340 Rn. 137. 674 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 51; zum Verbot des „Duldens und Liquidierens“ im deutschen Recht vgl. grundlegend BVerfGE 58, 300 (324) sowie § 12 A. II. 675 So ausdr. EuGH C-445/06, Slg. 2009, I-2119 (Rn. 61) – Danske Slagterier, unter Bezug auf EuGH C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 33) – Mulder. 676 EuGH C-348/06 P, Slg. 2008, I-833 (Rn. 69) – Girardot. 677 EuGH C-363/88 u. a., Slg. 1992, I-359 (Rn. 25) – Finsider. Statt vieler Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 66. 678 Vgl. die Einschätzung bei Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 109; Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 310; exemplarisch EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 135, 260 ff.) – Schneider.
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wegdenken der Handlung entfällt.679 Da diese Formel zwangsläufig weit greift,680 fordert die Rechtsprechung weiterhin, dass sich der Schaden unmittelbar aus dem gerügten Verhalten ergibt. Diese Einschränkung hat der EuGH erstmals in der Sache Dumortier Frêres angewandt.681 In seiner früheren Rechtsprechung hatte er das Kausalitätskriterium extensiv aufgefasst und Schadensersatz auch bei bloß mittelbar verursachten Schäden zugesprochen.682 Durch die Einführung der Unmittelbarkeit soll der Ersatz für entferntere – mit anderen Worten nur mittelbare – Schäden ausgeschlossen werden; das Unmittelbarkeitskriterium nimmt daher die Aufgabe einer Zurechnungsbegrenzung wahr.683 Unmittelbar sind dabei solche Handlungen, die nach der allgemeinen Lebenserfahrung typischerweise geeignet sind, einen Schaden wie den eingetretenen zu verursachen.684 Insofern wird eine wertende Betrachtung vorgenommen.685 Die Nähe zur deutschen Adäquanzformel liegt hierbei auf der Hand.686 Von der Rechtsprechung wird dieser Unmittelbarkeitszusammenhang etwa in Situationen verneint, in denen nicht nachgewiesen wurde, dass der Schaden die spezifische Folge des Organhandelns war, oder in denen der Schaden auch ohne das Verhalten des Organs oder Bediensteten in gleicher Weise eingetreten wäre.687 Ferner kann der Kausalzusammenhang durch das Dazwischentreten des Geschädigten oder eines Drittens unterbrochen werden.688 Etwas anderes soll jedoch gelten, 679 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 264) – Schneider; Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (916). 680 s. nur Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (916 f.). 681 EuGH Rs. 64/76 u. a., Slg. 1979, 3091 (Rn. 21) – Dumortier Frêres. 682 Vgl. hierzu mit Nwn. aus der Rspr. Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 418 f. 683 EuGH Rs. 64/76 u. a., Slg. 1979, 3091 (Rn. 21) – Dumortier Frêres; C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 (Rn. 53) – Trubowest Handel; Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 62. Krit. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 724: „Worin der Unterschied zwischen mittelbaren und unmittelbaren Zusammenhang und entfernteren und nicht so weit entfernten Schäden bestehen soll, wird nicht gesagt.“ Zur Unbestimmtheit auch Cauffman, E.C.L.R. 2010, 31 (1), 1 (6). 684 s. Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 421. 685 Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 58. 686 Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 64 („vergleichbar“); Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 81 sowie Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 37 m. Nwn. in Fn. 69 zu den SchlA einiger GAe, die explizit die Adäquanztheorie hervorheben. 687 Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 65 m. w. Nwn.; Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 421. 688 Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 66. Ein Bsp. hierfür stellt EuGH Rs. 169/73, Slg. 1975, 117 (Rn. 22/23 ff.) – Compagnie Continentale, dar: In dieser Sache ist der betroffene Wirtschaftsteilnehmer be-
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wenn sich das Dazwischentreten eines Dritten als gewöhnlich oder sonst vorhersehbar darstellt.689 Darüber hinaus muss der Beitrag des Organs für die Entstehung des Schadens „ausschlaggebend“ sein.690 In neueren Entscheidungen fordert die Rechtsprechung, dass sich der Schaden „hinreichend unmittelbar aus dem gerügten Verhalten ergeben“ muss.691 Im Folgenden soll auf einige Sonderprobleme der Kausalität eingegangen und diese in das Verhältnis zu haftungsrechtlichen Fragen der Kartellaufsicht gesetzt werden. Es handelt sich hier um das rechtmäßige Alternativverhalten (II.) sowie die unterbrochene Kausalität (III.). II. Rechtmäßiges Alternativverhalten Soweit der Schaden auch ohne die rechtswidrige Handlung eingetreten wäre, ist die Handlung nicht kausal geworden.692 Einen Anwendungsfall dieser Fallgruppe bildet die Schneider-Entscheidung: Da die Kommission in der Sache Schneider den Zusammenschluss auch ohne den festgestellten hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß untersagen musste, wurde der Kausalzusammenhang für einen großen Teil des beantragten Schadens verneint.693 Als ersatzfähig sah das EuG nur die Kosten für die Wiederaufnahme des Fusionskontrollverfahrens sowie den Preisnachlass694 im Zusammenhang mit der Veräußerung des Zielunternehmens wusst wirtschaftliche Risiken eingegangen, gegen die er sich selbst hätte schützen können. Dazu auch § 6 B. III. 2. 689 Vgl. nur Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 66. 690 Vgl. nur EuGH C-521/04 P (R), Slg. 2005, I-3103 (Rn. 45 f.) – Tillack. 691 EuGH C-440/97 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 186 ff.) – Schneider; EuG T-277/97, Slg. 1999, II-1825 (Rn. 99) – Ismeri; T-452/05, Slg. 2010, II-1373 (Rn. 166) – BST; Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (724); Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 420 f. m. w. Nwn. 692 EuGH C-358/90, Slg. 1992, I-2457 (Rn. 47) – Compagnia italiana alcool; EuG T-572/93, Slg. 1995, II-2025 (Rn. 65) – Odigitria; vgl. auch Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 5 Rn. 37. 693 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 263 ff., insb. 288) – Schneider. 694 Wegen der Besonderheiten des Schneider-Verfahrens – der Zusammenschluss wurde im Einklang mit Art. 7 Abs. 2 FKVO schon vor der Freigabe vollzogen, so dass Schneider infolge der Trennungs- und Untersagungsverfügung das Zielunternehmens veräußern musste – hob der EuGH das Urteil des EuG insoweit auf und verneinte aufgrund des Dazwischentreten des Geschädigten den unmittelbaren Kausalzusammenhang, s. EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 205); mit etwas andere Begründung auch schon GA Colomer, SchlA zu EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 130 ff.). Ausf. dazu Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (916 ff.) sowie § 6 B. III. 2.
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an einen Finanzinvestor an. Insoweit wies das EuG darauf hin, dass der FKVO keine Vermutung dergestalt zu entnehmen sei, dass ein Zusammenschlussvorhaben mit dem Binnenmarkt vereinbar ist.695 Im Übrigen hat die rechtswidrige Untersagung mit anschließender Nichtigerklärung durch das EuG bzw. den EuGH nicht automatisch die Freigabe des Zusammenschlusses zur Folge, sondern führt lediglich zu der Wiederaufnahme des Verfahrens.696 Ein weiterer denkbarer Anwendungsfall des Einwands des rechtmäßigen Alternativverhaltens ist die Situation, dass die Beurteilung eines Zusammenschlusses nur zu einem Teil rechtswidrig war, die verbleibende rechtmäßige Beurteilung aber die Untersagungsverfügung aufrechterhalten lassen kann. In diesen Fällen wäre ein Schaden auch ohne das rechtswidrige Verhalten des Organs in gleicher Weise eingetreten und die Kausalität zu verneinen.697 Das EuG hat schließlich in der Sache Schneider ausgeführt, dass in Bezug auf rechtswidrig versagte Genehmigungen „nicht davon ausgegangen werden [kann], dass der Antragsteller ohne den festgestellten Mangel zwangsläufig in den Genuss der von ihm begehrten Genehmigung oder anderen begünstigenden Maßnahmen gekommen wäre.“698 Insoweit kann der im Rahmen der Kausalität anzustellende Vergleich zwischen den Situationen mit und ohne Rechtsverstoß nicht unter der Prämisse vorgenommen werden, „dass das Organ ohne die rechtswidrige Maßnahme von einer Maßnahme abgesehen oder eine gegenteilige Maßnahme getroffen hätte, was wiederum ein rechtswidriges Verhalten des Organs darstellen könnte“.699 Entscheidend ist vielmehr, wie sich das Organ rechtmäßig verhalten hätte. Ebenfalls ist der Einwand des rechtmäßigen Alternativverhaltens in Bezug auf Verfahrensfehler zu berücksichtigen, insbesondere bei der Verletzung von Verteidigungsrechten im Rahmen von Kartell- bzw. Fusionskontrollverfahren.700 In den Fällen der Verletzung von Verteidigungsrechten 695 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 275 ff.) – Schneider; so schon EuG T-201/01, Slg. 2005, II-5575 (Rn. 61) – General Electric. Zust. Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (726). 696 Art. 10 Abs. 5 FKVO. Vgl. EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 276 f.) – Schneider; Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 110. 697 Krit. Dawes/Peci, E.C.L.R. 2008, 29 (3), 151 (157), die darauf hinweisen, dass das EuG einen Schadensersatz nur zusprechen werde, wenn die Entscheidung der Kommission vollständig aufgehoben wird. Insoweit wird der zugrunde gelegte Kausalitätsmaßstab als zu eng angesehen. 698 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 265) – Schneider. 699 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 264) – Schneider. 700 GA Colomer, SchlA zu EuGH C-440/07, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 153) – Schneider. Vgl. hierzu auch Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 418 ff., der zu dem Ergebnis kommt, dass aus der vorliegenden Rspr. kein „klares Bild von den
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anerkennt die Rechtsprechung nur ausnahmsweise einen Kausalzusammenhang.701 Zwar sind nach dem oben Gesagten an das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß insoweit niedrigere Voraussetzungen anzustellen als an die materielle Bewertung eines Zusammenschlussvorhabens oder das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Kartellverbotes.702 Verfahrensfehler schlagen sich jedoch oftmals nicht im konkreten Ergebnis nieder. In diesen Fällen ist die Kausalität nur für diejenigen Schadensposten anzunehmen, die etwa durch die Wiederaufnahme des Verfahrens entstehen und damit im direkten Zusammenhang mit dem Fehler stehen.703 Im Übrigen ist der Zusammenhang zu verneinen. Da Haftungsklagen in diesen Fällen trotz des Vorhandenseins eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes nur teilweise Erfolg versprechen; würde sich der gelungene Nachweis dieses hinreichend qualifizierte Verstoßes aus Klägersicht als Pyrrhussieg704 darstellen. III. Unterbrochene Kausalität Schließlich ist der Kausalzusammenhang zu verneinen, wenn zwischen der Handlung des Organs der Union und dem Schaden ein Verhalten eines Dritten (1.) oder des Geschädigten selbst (2.) tritt, das die Kausalität unterbricht. In diesen Fällen stellt der Schaden keine spezifische Folge der inkriminierten Maßnahme dar.705 1. Dazwischentreten eines Dritten
Das Dazwischentreten eines Drittens führt zum Ausschluss der Kausalität, wenn dieser ein neues Risiko gesetzt hat, das sich im Erfolg widerspiegelt. Anderenfalls hat das Dazwischentreten keine Auswirkungen auf die Frage der Kausalität.706 Minimalvoraussetzungen des Kausalzusammenhangs für die gemeinschaftsrechtliche Haftung bei Verletzung von Verfahrensfehlern“ abgeleitet werden kann (S. 425). 701 s. instruktiv Mader, Verteidigungsrechte, 2006, S. 421 ff. 702 Dazu eingehend in § 5 B. III. 3. 703 Vgl. EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 298 ff.) – Schneider; insoweit bestätigt durch EuGH C-440/97 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 186 ff.) – Schneider. 704 Vor diesem Hintergrund bezeichnet Hirsbrunner [EuZW 2009, 239 (246)] das Schneider-Urteil des EuG als „salomonisch[. . .]“. 705 Teilw. wird zum Ausschluss der Kausalität in diesen Fällen auch darauf abgestellt, dass der Schaden „zu weit entfernt“ ist, so EuGH C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 (Rn. 59) – Trubowest Handel. 706 EuG T-69/00, Slg. 2005, II-5393 (Rn. 184 f.) – FIAMM.
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Soweit der Schaden daher hauptsächlich durch einen eigenverantwortlich handelnden Dritten verursacht wurde, ist der Kausalzusammenhang zu verneinen. Als Beispiel können die Fälle einer möglichen Schutznormverletzung durch Unterlassung dienen. So ist etwa an die Situation zu denken, dass die Kommission gegen ein Kartell nicht einschreitet. In diesen Situationen ist Schadensersatz im Wege des private enforcements von den Kartellanten als unmittelbaren Schädigern zu verlangen. Im Übrigen wird die Kommission in diesen Situationen regelmäßig keine den Geschädigten gegenüber obliegende Schutznorm verletzt haben,707 so dass dieser Fallgruppe im Bereich der Haftung der Kartellaufsicht bereits aus diesem Grund keine große Bedeutung zukommt. Möglicherweise stellt sich die Situation jedoch anders dar, soweit infolge eines im Sinne des Art. 340 Abs. 2 AEUV rechtswidrigen Kommissionsbeschlusses der Entscheidungsadressat wegen überhöhter Preise bspw. nach § 33 Abs. 3 GWB von seinen Abnehmern in Anspruch genommen wird. Insoweit stellen die Ausgaben für derartige ungerechtfertigte Follow-on-Klagen Schadensposten dar;708 eine entsprechende Schadensersatzzahlung wäre infolge der hoheitlichen Verurteilung insbesondere nicht freiwillig erfolgt. Indes werden derartige Schäden nicht ausschließlich durch den rechtswidrigen Beschluss der Kommission herbeigeführt, sondernd zum einen durch den Entschluss der Abnehmer, das Unternehmen überhaupt in Anspruch zu nehmen, und zum anderen durch die Entscheidung des Gerichts, die beantragte Summe zuzusprechen. Dies spricht gegen das Vorliegen eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs. Zwar kommt der Kommission dadurch eine gewisse Mitverantwortung zu, dass das nationale Gericht wegen § 33 Abs. 4 GWB insoweit an die Feststellung der Kommission gebunden ist, wie sie den Verstoß gegen Art. 102 AEUV festgestellt hat. Jedoch muss die Verantwortung der Union überwiegen, eine bloße Mitverantwortung ist im Ergebnis nicht ausreichend.709 Daher kann dieser Schaden im Rahmen des Art. 340 Abs. 2 AEUV nicht ersetzt werden. 2. Dazwischentreten des Geschädigten
Auch der Geschädigte kann durch sein Dazwischentreten den Schaden verursachen, so dass der unmittelbare Kausalzusammenhang unterbrochen wird. Beispielhaft für diese Situation sind Vermögenseinbußen, die der Geschädigte durch eigenverantwortliche Aufwendungen herbeiführt. So verhält 707 708
Dazu ausf. bereits § 5 A. III. 3. b) aa) (1). Vgl. im ersten Teil Fn. 269, insb. zur Einschränkungen wegen der Bestands-
kraft. 709
s. hierzu schon o. in Fn. 690.
§ 6 Ersatz des kausalen Schadens
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es sich etwa bei vorprozessualen Anwaltskosten. Kosten, die für die vorprozessuale Rechtsberatung aufgewandt werden, stellen als nachteilige Vermögenseinbuße zwar einen Schaden dar.710 Die Rechtsprechung lehnt die Kausalität in diesen Fällen jedoch ab: Zwar kann den „Betroffenen [. . .] nicht untersagt werden [. . .], sich schon in diesem Stadium anwaltlicher Beratung zu bedienen; es handelt sich aber um ihre eigene Entscheidung, die daher dem betreffenden Organ nicht angelastet werden kann“.711 Daher fehlt es an einem Kausalzusammenhang zwischen dem Schaden und dem Verhalten der Kommission. Ein weiteres Beispiel stellen Bankbürgschaften dar, die die Adressaten eines Bußgeldbeschlusses der Kommission aufgenommen haben, um die Zahlung des Bußgeldes aufzuschieben.712 Während die Kosten dieser Bürgschaften mangels Einschlägigkeit von Art. 266 Abs. 1 AEUV als Schaden begriffen werden können, ist aufgrund der eigenen Entscheidung des Klägers, statt der Zahlung des Bußgeldes eine Bankbürgschaft zu bestellen, der Kausalzusammenhang jedoch zu verneinen.713 Ferner ist an die Situation zu denken, dass der Geschädigte Aufwendungen vornimmt, um etwa im Nachgang einer Untersagungsverfügung sein Vertriebssystem (nunmehr vermeintlich) kartellrechtskonform auszugestalten. Hier erweist sich letztlich der eigene Entschluss des Geschädigten als kausal für die Vermögensaufwendung. Darüber hinaus können sich entsprechende Aufwendungen des Geschädigten auch aus der Erfüllung einer Verpflichtung aus einer Verfügung der Kommission ergeben. Diese Fälle sind vor dem Hintergrund sog. positiven Tenorierung durch die Kommission (Art. 7 Abs. 1 S. 2 VO 1/2003), die sich in der jüngeren Vergangenheit zu einer verbreiteten Verwaltungspraxis entwickelt hat, vorstellbar.714 Insoweit liegt aufgrund der behördlichen Verpflichtung kein eigener Entschluss des Geschädigten vor, so dass im Ergebnis in diesen Fällen die Kausalität zu bejahen ist. Bei rechtswidrigen Untersagungen von Zusammenschlussvorhaben kann auch das Dazwischentreten des Geschädigten zum Ausschluss der Kausali710 Vgl. hierzu schon § 6 A. I. Die Kosten im Prozess sind hiervon zu unterscheiden, da sie von Art. 87 § 1 VerfO EuG erfasst sind und sich aus diesem Grund die Frage nach der Ersatzfähigkeit nicht stellt. 711 EuGH C-331/05 P, Slg. 2007, I-5475 (Rn. 24) – Internationaler Hilfsfonds; so auch schon EuGH Rs. 54/77, Slg. 1978, 585 (Rn. 45/49) – Herpels. 712 Zu dieser Vorgehensweise auch de Bronett, ZWeR 2012, 157 (197). 713 Hierzu EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 123) – Holcim; T-113/04, Slg. 2007, II-171* – Atlantic Container Line = WuW/E EU-R 1389 (Rn. 38 ff.). Vgl. auch Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (731 ff.); Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 596. Diese Begründung anzweifelnd, im Ergebnis jedoch aufrechterhaltend GA Mengozzi, SchlA zu EuGH C-282/05 P, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 94 ff.) – Holcim. 714 Vgl. hierzu bereits im ersten Teil bei Fn. 100.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
tät führen: Dies gilt zunächst für die Zahlung von Break-up-Fees, da diese letztlich auf vertraglicher Vereinbarung und daher auf einem eigenen Entschluss des Geschädigten beruhen.715 Ferner führt auch die Veräußerung des Zielunternehmens an einen Finanzinvestor nach der Untersagungsverfügung dazu, dass insoweit entstandene Vermögensnachteile in Ermangelung der Kausalität keine ersatzfähigen Schadenspositionen darstellen: Auch hier beruht die Veräußerung auf dem Entschluss des Geschädigten.716 Die Differenz zwischen dem vereinbarten Kaufpreis und dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis stellt daher keinen kausalen Schaden dar, das Risiko der Untersagung eines Zusammenschlussvorhabens liegt folglich bei den Unternehmen.717
C. Zusammenfassung Die außervertragliche Haftung gewährt den Ersatz des „hinreichend unmittelbar“ durch den hinreichend qualifizierten Verstoß verursachten Schadens. Besonders begründungsbedürftig dürfte vor allem der Nachweis eines entgangenen Gewinns sowie des Kausalzusammenhangs sein. Im Übrigen lassen sich Sonderprobleme im Zusammenhang mit der Kartellaufsicht für die Rechtsfolgenseite nicht feststellen, so dass hinsichtlich dort gelagerter Fragestellungen auf die vorliegende Entscheidungspraxis der Gerichte zurückgegriffen werden kann.
§ 7 Durchsetzung des Schadensersatzanspruches Bevor die Ergebnisse des zweiten Teils in § 8 zusammengefasst werden können, soll nachfolgend der Blick auf die gerichtliche Durchsetzung des Schadensersatzanspruches gerichtet werden. In diesem Zusammenhang wird die gerichtliche Geltendmachung des Anspruches behandelt (A.) und auf das Verhältnis der Schadensersatzklage zum Primärrechtsschutz eingegangen (B.). Schließlich werden Verjährungs- (C.) und Verzinsungsfragen (D.) erörtert.
715 So in einem obiter dictum EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 206) – Schneider. 716 EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 197 ff., insb. 204 f.) – Schneider; GA Colomer, SchlA zu EuGH C-440/07 P, Slg. 2009, I-6413 (Rn. 143) – Schneider; zust. Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (915 ff.). 717 Insb. für den Fall, dass der Zusammenschluss vor Anmeldung schon vollzogen wurde, auch Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (920 f.).
§ 7 Durchsetzung des Schadensersatzanspruches
197
A. Gerichtliche Geltendmachung des Schadensersatzanspruches Für die Schadensersatzklage ist gemäß Art. 268, 256 Abs. 1 UAbs. 1 AEUV in erster Instanz das EuG zuständig. Gegen dessen Entscheidungen ist nach Art. 256 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV ein auf Rechtsfragen beschränktes Rechtsmittel zum EuGH gegeben. Ein Vorverfahren vor der Erhebung der Haftungsklage ist nicht erforderlich.718 Prozessual bieten sich zwei Wege an. Neben der Stellung eines Leistungsantrags kommt auch ein Feststellungsantrag in Betracht.719 Auf diese Möglichkeit wird insbesondere dann zurückgegriffen, wenn der tatsächliche Schaden noch gar nicht eingetreten ist oder die Bestimmung der tatsächlichen Schadenshöhe aus sonstigen Gründen Schwierigkeiten aufwirft. In einem derartigen Verfahren kann das EuG die Haftung dem Grunde nach durch ein Zwischenurteil feststellen.720 In einem zweiten Schritt kann dann die Zahlung eines bestimmten Geldbetrages beantragt werden. Hierüber entscheidet das Gericht durch Endurteil. Statt der gerichtlichen Weiterverfolgung des Leistungsantrages ist auch eine außergerichtliche Einigung möglich, auf die das EuG regelmäßig hinwirkt.721 Letztlich findet diese Herangehensweise ihre Rechtfertigung in der Gewährung effektiven Rechtsschutzes.722 Ferner kann das Gericht in Bezug auf die Substantiierung des Schadens prozessleitende Maßnahmen treffen (vgl. Art. 64 § 2 lit. b) VerfO EuG): So wurde im Schneider-Verfahren den Klägern eine Frist von drei Monaten nach Verkündung des Urteils gewährt, um den Schaden konkret zu beziffern.723 Die endgültige Schadenshöhe stand erst drei Jahre nach dem Urteil des EuG fest.724 718
v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 68. Der Geschädigte kann aber vor Klageerhebung seinen Ersatzanspruch gegenüber dem zuständigen Organ geltend machen. Hierdurch kann insb. die Hemmung der Verjährung erreicht werden, dazu § 7 C. 719 EuG T-344/00 u. a., Slg. 2003, II-229 (Rn. 108) – CEVA; Hackspiel, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 27 Rn. 2; ferner Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 692, 738; Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 10 Rn. 15, 31; Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 578. 720 Vgl. die Nw. in der voranstehenden Fn. 721 s. EuG T-166/98, Slg. 2004, II-3991 (Tenor 2 und 3) – Cantina sociale di Dolianova; Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Aufl. 2011, Rn. 692, 738; Thiele, Europäisches Prozessrecht, 2007, § 10 Rn. 15. 722 Middeke, in: Rengeling/Middeke/Gellermann, Rechtsschutz, 2. Aufl. 2003, § 9 Rn. 4. 723 EuG T-351/03, Slg. 2007, II-2237 (Rn. 320 ff.) – Schneider. Zu einem derartigen Vorgehen auch O. Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 230.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
Ein entsprechendes Leistungsurteil gegen die Europäische Union kann schließlich gemäß Art. 280 i. V. m. Art. 299 AEUV vollstreckt werden.725
B. Verhältnis der Schadensersatzklage zum Primärrechtsschutz Während im deutschen Recht aus § 839 Abs. 3 BGB folgt, dass vor Erhebung einer Amtshaftungsklage regelmäßig der Primärrechtsweg beschritten werden muss, kennt der Vertrag von Lissabon keine derartige Bestimmung. Es stellt sich daher die Frage, ob die zulässige Einlegung der Schadensersatzklage die vorherige Erhebung einer Nichtigkeits- bzw. Untätigkeitsklage voraussetzt. Diese Frage wird vor allem vor dem Hintergrund der durchschnittliche Dauer eines Verfahrens vor dem EuG virulent: Der Jahresbericht des EuGH weist für das Jahr 2012 eine durchschnittliche Verfahrensdauer in Wettbewerbssachen von vier Jahren nach.726 In Art. 76a VerfO EuG ist zwar seit 2001 das beschleunigte Verfahren (Fast-Track-Procedure) geregelt. Diese Verfahren nehmen regelmäßig etwa ein Jahr in Anspruch.727 Es setzt aber eine besondere Dringlichkeit der Rechtssache voraus (Art. 76 § 1 Abs. 1 VerfO EuG). Die in den Jahren 2008 bis 2012 gestellten zwölf Anträge in Wettbewerbssachen wurden allesamt zurückgewiesen.728 Daher ist die Effektivität kartellverwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes angezweifelt worden.729 Soweit indes die Schadensersatzklage auch als Kompensation der Defizite des Primärrechtsschutzes verstanden wird, stellt sich die Frage, ob diese die vorherige Erhebung der Nichtigkeitsklage voraussetzt. Angesichts der vorgenannten Defizite ist dies zweifelhaft.730 Das Verhältnis des unionsrechtlichen Sekundär- zum Primärrechtsschutz hat sich in der Geschichte des Unionsrechts gewandelt.731 In der Plaumann724
EuGH C-440/07 P, Slg. 2010, I-73* – Schneider. Unter Beachtung von Art. 1 S. 3 des Protokolls (Nr. 7) über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union, ABl. (EU) v. 26.10.2012, C Nr. 326/266; s. dazu auch Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 677. 726 EuGH, Jahresbericht 2012, S. 199. 727 Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 92. 728 s. EuGH, Jahresbericht 2012, S. 204; s. auch Völcker, in: Immenga/Körber, Gestaltungsmacht, 2012, S. 153 (172). 729 s. etwa die Nw. im ersten Teil in Fn. 15. 730 Indes stellt das ursprüngliche Verständnis der Schadensersatzklage als Kompensation defizitären Primärrechtsschutzes insb. auf den Rechtsschutz gegen Legislativakte ab, der nach Art. 263 Abs. 4 AEUV nur eingeschränkt möglich ist, s. dazu o. bei Fn. 6. Im hier interessierenden Bereich des administrativen Unrechts kann diese Begründung daher nur bedingt verfangen. 731 Zusammenfassend etwa Gutman, CML Rev. 48 (2011), 695 (703 ff.). 725
§ 7 Durchsetzung des Schadensersatzanspruches
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Entscheidung im Jahre 1963 hat der EuGH noch eine Subsidiarität des Sekundärrechtsschutzes apostrophiert und infolgedessen die Zulässigkeit der Schadensersatzklage von der vorherigen Verfolgung des Primärrechtsschutzes abhängig gemacht.732 Anderenfalls sah der EuGH die Gefahr der Umgehung der besonderen Voraussetzungen der Nichtigkeitsklage.733 Diese Sicht wurde in den Entscheidungen in der Sache Lütticke734 (für das Verhältnis zur Untätigkeitsklage) bzw. Schöppenstedt735 (für das Verhältnis zur Nichtigkeitsklage) aufgegeben. Nunmehr wird die Schadensersatzklage in ständiger Rechtsprechung als selbstständiger Rechtsbehelf mit eigener Funktion im System der Klagemöglichkeiten aufgefasst. Im Unterschied zur Nichtigkeitsklage ist bei der Schadensersatzklage nicht die Beseitigung einer bestimmten Maßnahme, sondern die Gewährung von Schadensersatz das Ziel des Antrags.736 Zwar kann dieser mit dem Nichtigkeitsantrag verbunden werden, dies ist jedoch keine Zulässigkeitsvoraussetzung der Schadensersatzklage.737 In der Praxis wird dagegen relativ häufig ein Schadensersatzantrag an einen Nichtigkeitsantrag „angehängt“.738 Die vorherige Einlegung der Nichtigkeitsklage kann indes auch aus Gründen der Beweislast angezeigt sein, da bei der Nichtigkeitsklage die Kommission die Rechtmäßigkeit ihres Handelns darlegen und beweisen muss.739 Indes wird im Schadensersatzprozess nicht zwangsläufig auf die Rechtswidrigkeit der Maßnahme einzugehen sein, da aus Art. 340 Abs. 2 AEUV keine bestimmte Prüfungsreihenfolge der Schadensersatzvoraussetzungen folgt, so dass sich die Gerichte auf die Prüfung des Merkmals beschränken, das im Ergebnis abzulehnen ist.740 Soweit die Rechtmäßigkeit 732
EuGH. Rs. 25/62, Slg. 1963, 213 (239 f.). EuGH. Rs. 25/62, Slg. 1963, 213 (239 f.) – Plaumann. 734 EuGH Rs. 4/69, Slg. 1971, 325 (Rn. 6). 735 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 2 f.). 736 EuGH Rs. 5/71, Slg. 1971, 975 (Rn. 3) – Schöppenstedt; ferner v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 49. 737 s. etwa EuG T-437/05, Slg. 2009, II-3233 (Rn. 233) – Brink’s Security; T-213/95 u. a., Slg. 1997, II-1746 (Rn. 34 ff.) – SCK. In der Praxis wird dieser Weg häufig gewählt, s. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 49 f. 738 So verzeichnet die unter eur-lex.europa.eu zugängliche Rspr.-Datenbank 83 Schadensersatzklagen aus dem Sachgebiet Wettbewerb [Stand: 16.4.2014]. Von diesen Verfahren, die neben den kartellaufsichts- auch beihilfenrechtliche Sachverhalte erfassen, weisen nur wenige einen staatshaftungsrechtlichen Schwerpunkt auf. 739 EuGH C-407/08 P, Slg. 2010, I-6375 (Rn. 80) – Knauf; Baudenbacher/ Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 598. 740 EuGH C-419/08 P, Slg. 2010, I-2259 (Rn. 40 ff.) – Trubowest Handel; EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 27) – Idromacchine. Gleichwohl kann das Gericht 733
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
im Schadensersatzprozess zu überprüfen ist, beruft sich das EuG regelmäßig auf die Feststellungen in der Nichtigkeitsentscheidung.741 Aufgrund der niedrigeren Zulässigkeitsvoraussetzung einer Schadensersatzklage besteht eine Umgehungsgefahr, so dass deren isolierte Einlegung als verfahrensmissbräuchlich angesehen wird. Dies ist der Fall, wenn der geltend gemachte Schadensersatz genau dem Betrag entspricht, der dem Betroffenen durch die streitige Maßnahme vorenthalten oder entzogen wurde oder die er in Ausführung einer Einzelfallentscheidung gezahlt hat.742 In diesen Fällen sind die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen, denen das für nichtig erklärte Handeln zur Last fällt oder deren Untätigkeit als vertragswidrig erklärt worden ist, aus Art. 266 Abs. 1 AEUV zum Ergreifen der sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen verpflichtet. Um einer Umgehung der Anforderungen der Nichtigkeits- und Untätigkeitsklage vorzubeugen, ist in diesen Fällen auf diese Rechtsbehelfe zurückzugreifen.743 Schließlich ist eine Schadensersatzklage unzulässig, mit der der Kläger die Aufhebung einer bestandskräftig gewordenen Einzelfallentscheidung begehrt.744
C. Verjährung des Schadensersatzanspruchs Die Erhebung der Schadensersatzklage nach Art. 268, 340 Abs. 2 AEUV unterliegt keiner Frist. Jedoch verjährt der Anspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV nach Art. 46 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs745 in fünf Jahren nach Eintritt des Ereignisses, das dem Anspruch zugrunde liegt.746 Die Verjährung wird nach Satz 2 der Bestimmung durch Einreichung der Klaauch nach Verneinung eines Tatbestandsmerkmals die Prüfung fortsetzen, s. etwa EuG T-213/95 u. a., Slg. 1997, II-1746 (Rn. 93 ff.) – SCK. 741 s. etwa Nicholson/Cardell/McKenna, ECJ 1 (2005), 123 (151 mit Fn. 83). 742 EuGH Rs. 175/84, Slg. 1986, 753 (Rn. 33) – Krohn; v. Danwitz, Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 450. 743 EuGH Rs. 97/86 u. a., Slg. 1988, 2181 (Rn. 24, 32 f.); EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 33) – Holcim. Vgl. auch v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/ Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 51; Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 573. 744 Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 40. 745 Protokoll (Nr. 3) über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, ABl. (EU) v. 26.10.2012, C Nr. 326/210. 746 Vgl. Baudenbacher/Buschle, in: MüKo EUWettbR, 2007, VerfahrensR Rn. 584, nach denen die Verjährung „faktisch“ die Aufgabe einer Klagefrist einnimmt. Zur Verjährung vgl. auch Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 313.
§ 7 Durchsetzung des Schadensersatzanspruches
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geschrift beim Gerichtshof747 oder dadurch unterbrochen, dass der Geschädigte seinen Anspruch vorher gegenüber dem zuständigen Unionsorgan geltend macht. Im letzteren Fall muss nach Satz 3 der Bestimmung die Klage innerhalb der in Art. 263 AEUV vorgesehenen Frist von zwei Monaten nach der Geltendmachung erhoben werden; gegebenenfalls findet Art. 265 Abs. 2 AEUV Anwendung. Durch die vorherige Geltendmachung des Schadens besteht die Möglichkeit einer gütlichen Schadensregelung.748 Die Verjährung beginnt, wenn die Entstehungsvoraussetzungen des Anspruchs vorliegen.749 Dies kann schon mit Kommissionsbeschluss gegeben sein, wenn zu diesem Zeitpunkt alle die Ersatzpflicht auslösenden Umstände, insbesondere also auch ein Schaden eingetreten sind.750 Wenn der Geschädigte wegen fehlender Kenntnis keinen angemessenen Zeitraum zur Erhebung der Schadensersatzklage innerhalb der Verjährungsfristen zur Verfügung hatte, kann ihm die Verjährung nicht entgegen gehalten werden.751 Im Übrigen ist ausweislich des Wortlauts des Art. 46 der Satzung sowie der Rechtsprechung der Europäischen Gerichte die Kenntnis des Geschädigten von dem schadensstiftenden Verhalten keine Voraussetzung für den Beginn der Verjährung.752 Die Verjährung des Anspruchs führt zur Unzulässigkeit der Klage und ist auf die prozesshindernde Einrede des Beklagten beachtlich.753
D. Verzinsung des Schadensersatzanspruchs Neben der Zahlung von Ausgleichszinsen754 kann der Kläger für den Zeitraum ab Verkündung des Urteils bis zur vollständigen Zahlung auch 747
Nach Art. 53 Abs. 1 Satzung des Gerichtshof auch durch Klageerhebung beim
EuG. 748 Gilsdorf/Niejahr, in: v. d. Groeben/Schwarze, EU/EG, 6. Aufl. 2004, Art. 288 EG Rn. 100. 749 EuGH C-282/05 P, Slg. 2007, I-2941 (Rn. 29) – Holcim; C-460/09 P – noch nicht veröffentlicht – (Rn. 60) – Inalca und Cremoini; v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 47. 750 EuG T-28/03, Slg. 2005, II-1357 (Rn. 65) – Holcim; Körber, in: Immenga/ Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 106. 751 EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 (Rn. 50) – Stanley Adams; Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 313. 752 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 47; Schütte, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 49 Rn. 313 mit Fn. 635. 753 Vgl. Art. 114 VerfO EuG; v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 47. Im Einzelnen str., s. Nfflñez Müller, EuZW 1999, 611 f. 754 Dazu schon o. i. R. der Erörterung des Vermögensschadens (§ 6 A. I.), insb. Fn. 648.
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2. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch die Kommission
Verzugszinsen beantragen.755 Dieser Zinssatz beträgt ebenfalls zwei Prozentpunkte über dem von der EZB für ihre wesentlichen Refinanzierungsgeschäfte zugrunde gelegten Zinssatz.756
§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils Mit den Entscheidungen Schneider und MyTravel hat das EuG Klarstellungen zur Handhabung der außervertraglichen Haftung im Bereich der Kartellaufsicht im Allgemeinen und der Fusionskontrolle im Besonderen vorgenommen. Ob sich die beiden Entscheidungen als „bahnbrechend“757 erweisen werden, bleibt abzuwarten. Eine Flut an Schadensersatzklagen war bislang nicht zu beobachten. Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Die Tatbestandsmerkmale des Art. 340 Abs. 2 AEUV stellen in der Auslegung durch die europäischen Gerichte hohe Hürden dar.758 Hinzu tritt die absolut betrachtet geringe Zahl an Nichtigkeitsklagen gegen kartellaufsichtsrechtliche Beschlüsse der Kommission. Insoweit besteht wenig Anlass zur Haftungsklage. Trotz der insoweit restriktiven Rechtsprechung der europäischen Gerichte zu Art. 340 Abs. 2 AEUV liegt ein Verstoß gegen das in Art. 6 EMRK normierte Recht auf effektiven Rechtsschutz indes fern.759 Denn die Auslegung und Anwendung von Art. 340 Abs. 2 AEUV ist nachvollziehbar und geeignet, entsprechende Anwendungsfälle der außervertraglichen Haftung zu erfassen. Insbesondere trägt sie den jeweiligen Umständen des Einzelfalls Rechnung.
755 EuGH Rs. 64/76 u. a., Slg. 1979, 3091 (Rn. 25) – Dumortier Frêres; C-104/89 u. a., Slg. 1992, I-3061 (Rn. 35) – Mulder; EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 77, 79) – Idromacchine. 756 s. etwa EuG T-88/09, Slg. 2011, II-7833 (Rn. 79) – Idromacchine. 757 Hirsbrunner, EuZW 2005, 519 (523); ähnl. Seitz, EuZW 2007, 659 (662: „wegweisend“); Kerse/Kahn (EC Antitrust Procedure, 5. Aufl. 2005, Rn. 8-003) räumten ein, dass die Schadensersatzklage im Bereich der Kartellaufsicht bisher ein Schattendasein friste, sich dies angesichts der jüngeren Entscheidungen möglicherweise ändere. A. A. jetzt dies., EU Antitrust Procedure. 6. Aufl. 2012, Rn. 8-005; Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (921); Corr, 74 Brook. L. Rev. (2008), 159 (160, 185). 758 Auf die hohe Misserfolgsquote von Schadensersatzverfahren, die einer bedeutendere Rolle der Schadensersatzklage im europäischen Rechtsschutzsystem entgegenstehen, weist v. Danwitz (Europ. Verwaltungsrecht, 2008, S. 296) hin. 759 Hierzu Cumming, Merger Decisions and the Rules of Procedure of the European Community Courts, 2012, S. 24 ff.
§ 8 Zusammenfassung der Ergebnisse des zweiten Teils
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Als Anwendungsfälle der außervertraglichen Haftung lassen sich in erster Linie Verfahrensfehler festhalten, die zu einem kausalen Schaden führen.760 Dabei erweist sich jedoch die Feststellung der Kausalität mitunter als problematisch. Fehlern bei der materiellen Bewertung steht dagegen mit Blick auf die Erfolgsaussichten im Haftungsprozess regelmäßig der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes entgegen.
760 Ähnl. Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 16 Rn. 109; Arts, JECLP 1 (2010), 27 (30); Halladay, 16 Colum. J. Eur. L. 2009, 131 (138 ff.); Corr, 74 Brook. L. Rev. (2008), 159 (185); Bailey, CML Rev. 44 (2007), 101 (116, 138 f.).
Dritter Teil
Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt Das deutsche Kartellrecht ist in weiten Teilen durch das europäische Recht beeinflusst und teilweise auch durch dieses zwingend geregelt. Hierauf wurde schon im ersten Teil hingewiesen. Diese Beeinflussung beschränkt sich nicht nur auf die Ausgestaltung der Tatbestände der einzelnen Wettbewerbsregeln sowie nunmehr1 auch auf die Untersagungskriterien der Fusionskontrolle, sondern gilt ebenso für die an das europäische Recht angelehnten Befugnisnormen und Verfahrensbestimmungen. Dieser Umstand darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Vollzug des deutschen Kartellrechts durch das Bundeskartellamt die Ausübung nationaler Hoheitsgewalt darstellt. Insoweit kommt nur eine Haftung nach nationalem Recht in Betracht. Dieser wird sich nachfolgend im dritten Teil zugewandt. Der wegen der parallelen Anwendung der Wettbewerbsregeln der Union durch das Bundeskartellamt in Betracht kommenden Haftung nach dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch wird sich der vierte Teil widmen. Das GWB enthält keine staatshaftungsrechtlichen Spezialvorschriften. Ausweislich ihres Wortlautes und ihrer systematischen Stellung betrifft die Schadensersatzpflicht aus § 33 Abs. 3 GWB nur den zivilrechtlichen Schadensersatz. Daneben ist zwar mit Gesetz vom 24. November 20112 zum 3. Dezember 2011 in § 73 Nr. 1 GWB die Geltung der Vorschriften der §§ 169–201 GVG über Öffentlichkeit, Sitzungspolizei, Gerichtssprache, Beratung und Abstimmung sowie über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren für Verfahren vor dem Beschwerdegericht angeordnet worden.3 Nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG wird angemessene Entschädigung gewährt, wenn ein Verfahrensbeteiligter infolge unangemessener Dauer eines 1 s. § 36 GWB i. d. F. der 8. GWB-Novelle. Dieser Anpassung liegt keine Umsetzungspflicht aus dem Unionsrecht zugrunde, s. dazu schon o. im ersten Teil in Fn. 60. 2 BGBl. I, 2302. Dieses Gesetz geht auf zahlreiche Verurteilungen Deutschlands durch den EGMR wegen überlanger Gerichtsverfahren zurück, zur Historie Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 461. 3 Durch das vorbezeichnete Gesetz ist auch der Titel des Dritten Teil des GWB geändert worden, er lautet nunmehr „Verfahren und Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren“.
3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
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Gerichtsverfahrens einen Nachteil erleidet. Dessen Anwendungsbereich beschränkt sich indes auf gerichtliche Verfahren, so dass diesem im Folgenden nicht näher nachgegangen werden muss. Den Schwerpunkt legt die nachfolgende Untersuchung daher auf die Schadensersatzpflicht der Amtshaftung.4 Auf weitere staatshaftungsrechtliche Anspruchsgrundlagen wird nur im Überblick eingegangen. Parallel zu der im zweiten Teil verfolgten Herangehensweise geht die Untersuchung bei der Erörterung der Amtshaftung nicht auf jedes Tatbestandsmerkmal ein, sondern wird die Grundlinien der Amtshaftung im Bereich der Kartellaufsicht und damit einhergehend die problematischen Merkmale aufzuzeigen. Die im zweiten Teil erzielten Ergebnisse werden hierbei eingehend berücksichtigt. Vorangegangen wird in fünf Schritten: Den Anfang markiert die Untersuchung der Drittbezogenheit der verletzen Amtspflicht (§ 9). In diesem Zusammenhang wird typisierend auf unterschiedliche Fallgruppen der Kartellaufsicht eingegangen. Hierbei wird an die Beispielsfälle des ersten Teils angeknüpft. Sodann werden die institutionelle Besonderheiten bei der Ausgestaltung der nationalen Kartellaufsicht in ein Verhältnis sowohl zum Verschuldenserfordernis als auch zu dem in § 839 Abs. 2 S. 1 BGB geregelten Spruchrichterprivileg gesetzt (§ 10). Neben dem Inhalt des Amtshaftungsanspruches (§ 11) wird auf einen möglichen Ausschluss dieses Anspruchs und auf seine Durchsetzung (§ 12) eingegangen. Bevor die Ergebnisse zusammengefasst werden (§ 14), wird in einem Exkurs auf die Schadensersatzpflicht wegen der Verletzung verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse eingegangen (§ 13). 4 Es stellt sich die Frage, ob wegen des Umstands, dass das BKartA als obere Bundesbehörde sowohl mit (Status-)Beamten als auch mit Angestellten, die im Dienste des Bundes stehen, besetzt ist, Art. 34 S. 1 GG zur Haftungsüberleitung heranzuziehen ist. Stattdessen könnte auf (den gem. Art. 123 Abs. 1, 124 GG als Bundesrecht fortgeltenden) § 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Haftung des Reichs für seine Beamten (RBHG v. 22.5.1910, RGBl., 798) abzustellen sein. Nach dieser Vorschrift trifft die in § 839 BGB bestimmte Verantwortlichkeit an Stelle des Beamten das Reich, soweit dieser in Ausübung der ihm anvertrauten öffentlichen Gewalt vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt hat. Im Hinblick auf den Wortlaut weisen § 1 Abs. 1 RBHG und Art. 34 S. 1 GG nur marginale Unterschiede auf. Als Rechtsnachfolger des Reiches ist daher der Bund i. d. Sinne angesprochen. Wegen des Anwendungsvorrangs des einfachen Rechts und wegen der Tatsache, dass das RBHG aufgrund der expliziten In-Bezugnahme der Beamten des Reichs als lex specialis erscheint, erscheint die Anwendung von § 1 Abs. 1 RBHG angezeigt. Dagegen spricht jedoch die Lex-Posterior-Regel, nach der das jüngere dem älteren Gesetz vorgeht. Im Ergebnis dürfte es jedoch keinen Unterschied machen, auf welche Norm die Haftungsüberleitung gestützt wird.
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§ 9 Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht Ziel des nachfolgenden Abschnittes ist es, zunächst die Begriffe der Amtspflicht und der Drittbezogenheit zu konturieren. Dazu werden in der Einleitung (A.) die Herangehensweisen zur Bestimmung von Amtspflichten und ihrer Drittbezogenheit vorgestellt. Zudem soll auf die Möglichkeit einer Amtspflichtverletzung durch Kollegialorgane eingegangen werden, die durch die institutionelle Ausgestaltung der nationalen Kartellaufsicht aufgeworfen wird. Ferner wird Stellung zur gerichtlichen Überprüfung genommen. Nachdem insoweit der Boden für die nachfolgende Bearbeitung bereitet worden ist, können einzelne drittbezogene Amtspflichten im Bereich der Kartellaufsicht herausgearbeitet werden. Differenziert wird hierbei zwischen den Adressaten entsprechender Verfügungen (B.), den Verfahrensbeteiligten (C.) und sonstigen Dritten (D.).
A. Amtspflichten und ihre Drittbezogenheit I. Begriff der Amtspflicht Um den Tatbestand der Amtshaftung zu bejahen, muss Jemand die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzen. Weder § 839 BGB noch Art. 34 S. 1 GG begründen Amtspflichten oder definieren den Begriff, vielmehr setzen sie deren Existenz voraus.5 Nach dem Wortlaut beschreibt die Amtspflicht eine „Pflicht des Amtes“ bzw. eine „Pflicht aus dem Amt“ und damit eine persönliche Verhaltenspflicht des Amtsträgers aus dem Innenverhältnis, die ihm seinem Dienstherrn gegenüber obliegt.6 Diese Pflicht fordert vom Amtsträger ein bestimmtes Verhalten und bezieht sich auf die Ausübung seines Amtes.7 Amtspflichten sind von den im Außenverhältnis bestehenden Rechtspflichten zu unterscheiden, die dem Staat gegenüber den Bürgern ein bestimmtes Verhalten auferlegen.8 Dieses Verständnis lässt sich historisch mit 5 s. nur Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 146; überblicksartig etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 45 ff. Amtspflichten können sich aus (formellen und materiellen) Gesetzen, aus Rechtsgrundsätzen, aus Verwaltungsvorschriften und Weisungen sowie aus Gewohnheitsrecht ergeben; nicht notwendigerweise müssen sie sich aus den besonderen Beamtengesetzen ergeben, vgl. insoweit nur Kreft, a. a. O., Rn. 147. Zur Herleitung aus Amts- oder Diensteiden etwa Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 117. 6 s. nur (mit i. E. abw. Auffassung) Papier, in MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 191. 7 B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 484.
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der ursprünglichen Ausgestaltung der Amtshaftung als Eigenhaftung des handelnden Beamten erklären.9 Da § 839 Abs. 1 S. 1 BGB fordert, dass die verletzte Amtspflicht „einem Dritten gegenüber“ obliegen muss, Amtspflichten jedoch nur im Innenverhältnis existieren, ist insoweit die Verletzung einer im Verhältnis zum Betroffen und daher im Außenverhältnis bestehenden Rechtspflicht entscheidend.10 Die h. M. verweist darauf, dass den Amtsträger im Innenverhältnis die – aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung11 abgeleitete – Pflicht trifft, bei der Amtsausübung Recht und Gesetz zu wahren und unerlaubte Handlungen zu unterlassen.12 Insoweit existiert eine Amtspflicht zum rechtmäßigen Verhalten. Einfachgesetzlich kann diese Amtspflicht auch an §§ 60 Abs. 1 S. 2, 63 Abs. 1 BBG angeknüpft werden. Ihr können einzelne Fallgruppen zugeordnet werden.13 So sind als Unterfall etwa die Pflicht zur pflichtgemäßen Ausübung des Ermessens14 8 So das Verständnis der h. M., statt vieler Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 44 f.; Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 54 Rn. 44; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 487. Krit. Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 192, der für eine Gleichsetzung von Amts- und Rechtspflichten streitet; ebenso Kellner, DVBl. 2010, 799 f.; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 34 Rn. 45; Buschlinger, DÖV 1964, 797 (798). 9 s. dazu bereits o. § 3 B. II. 2. b) aa). 10 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 60 ff. s. auch Fn. 19. 11 Zu diesem dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG entnommenen Grundsatz nur Scherzberg, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 12 Rn. 15. 12 BGHZ 69, 128 (138); 78, 274 (279); 166, 22 (25); BGH NJW-RR 2013, 1490 (1491); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 46 f.; Detterbeck/ Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 63. Ferner – allerdings ohne Herleitung aus dem Gesetzmäßigkeitsprinzip – Pietzcker, AöR 132 (2007), 393 (410); Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 110; ähnl. B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 497. Mit teilw. abweichender Begründung Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 54 Rn. 64, der unter Rekurs auf Art. 34 S. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 3 GG von der Amtspflicht zum grundrechtsgemäßen Verhalten spricht. Ladeur [DÖV 1994, 665 (667 f.)] weist zu Recht darauf hin, dass durch diese Konstruktion die Unterscheidung zwischen Amts- und Rechtspflichten an Bedeutung verloren hat. 13 Zum Charakter einer Generalklausel auch Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 157. 14 Vgl. BGHZ 74, 144 (156); 75, 120 (124). Anders noch die frühere Rspr, nach der eine Ermessensentscheidung nur amtspflichtwidrig war, wenn das Verhalten des Beamten in so hohem Maße fehlsam sei, dass es mit den an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings nicht mehr vereinbar sein konnte, i. d. Sinne etwa BGHZ 4, 302 (313); vgl. Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, 839 Rn. 198.
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oder zur Einhaltung der Zuständigkeiten15 anerkannt.16 Verstöße gegen Vorbehalt oder Vorrang des Gesetzes sind demnach amtspflichtwidrig. Da nur die Verletzung einer Amtspflicht vom Tatbestand und damit die Amtspflichtwidrigkeit der Maßnahme von der Amtshaftung gefordert wird, ist nach ihrer Konstruktion die Rechtswidrigkeit des Handelns kein Tatbestandsmerkmal.17 Ferner existieren Amtspflichten, die sich nicht zwangsläufig unter den Topos der Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln subsumieren lassen. Die Rechtsprechung hat insoweit eine breite Kasuistik entwickelt. Zu diesen Amtspflichten lassen sich etwa die Pflicht, den Sachverhalt zu ermitteln, die Pflicht zur zügigen Sachbearbeitung, die Pflicht zur sachgerechten Entscheidung oder etwa die Pflicht zur Verschwiegenheit zählen.18 II. Funktionen und Bestimmung der Drittbezogenheit Sowohl § 839 Abs. 1 BGB als auch Art. 34 GG verlangen, dass der Beamte eine Amtspflicht verletzt hat, die ihm einem Dritten gegenüber obliegt. Mit der Überwindung des Innen- zum Außenverhältnis durch die Brücke der Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln lässt sich dieses Tatbestandsmerkmal in einen Bezug zu außerhalb der Verwaltung stehenden Personen bringen.19 15 Vgl. hierzu schon RGZ 148, 251 (256); allg. Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 204 f. 16 Zu den verschiedenen aus der Amtspflicht zur rechtmäßigen Ausübung öffentlicher Gewalt abgeleiteten Ausprägungen umfangreich Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 153 ff. 17 BGHZ 34, 375 (380 f.); Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 54 Rn. 45; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 492. A. A. Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 143. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 27, mit Hinweis darauf, dass die Verletzung von Amtspflichten für sich genommen keine unerlaubte Handlung darstellt, sondern erst, wenn ein „Eingriff in den allgemeinen Rechtskreis einer anderen Person“ vorliegt. 18 Mit umfassender Auflistung Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 153 ff. 19 Gleichwohl hat sich hieran die „fast ausweglose Problematik“ (H. H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. 35) des Amtshaftungsrechts gezeigt, da das Verständnis von Amtspflichten als Innenpflichten des Beamten seinem Dienstherren gegenüber die Annahme einer drittbezogenen Wirkung als ausgeschlossen erschienen ließ. s. schon O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 1924 (unv. Nachdruck 1969), S. 186: „Die Amtspflicht [. . .] besteht dem Dienstherrn gegenüber und geht ordentlicherweise den Dritten nichts an“.
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1. Funktionen der Drittbezogenheit
Der Geschädigte kann nur Gläubiger des Schadensersatzanspruches sein, wenn es sich bei ihm um den Dritten im Sinne des § 839 Abs. 1 BGB handelt. Die Formulierung „einem Dritten gegenüber“ fußt auf dem der gesetzlichen Konzeption zugrundeliegenden Drei-Personen-Verhältnis [Beamter/ Dienstherr/Geschädigter (als Dritter)].20 Dieses Merkmal verfolgt sowohl eine haftungsbegründende als auch eine haftungsbegrenzende Funktion:21 Haftungsbegründend ist das Merkmal insoweit, als nur die Amtspflichtverletzung einen Schadensersatzanspruch desjenigen nach sich ziehen kann, dem diese Amtspflicht als Dritten gegenüber besteht. Sie bestimmt mithin, wem gegenüber gehaftet wird.22 Haftungsbegrenzend wirkt sie sich dadurch aus, dass nur demjenigen gegenüber gehaftet wird, der in den Schutzbereich der Amtspflicht einbezogen ist.23 Gegenüber sonstigen Personen besteht daher keine Ersatzpflicht, „selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat“.24 Da im Unterschied zur allgemeinen deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 1 BGB durch die Amtshaftung jeder Vermögensschaden ersetzt werden kann, beugt die Festlegung auf einen bestimmbaren Personenkreis schließlich der Gefahr „uferloser Schadensersatzansprüche“ vor.25 Die Rechtsprechung versteht die Drittbezogenheit dabei trotz ihrer haftungsbegrenzenden Funktion tendenziell eher weit.26 20 Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 168. Das gescheiterte StHG (vgl. im ersten Teil in Fn. 240), dem eine unmittelbare Staatshaftung zugrunde lag, setzte nicht die Verletzung einer einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht voraus, sondern die Verletzung einer Amtspflicht, die einem anderen gegenüber bestand, dazu auch Wurm, a. a. O. 21 BGH NJW 2009, 1207 (1208); statt vieler Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 8 („Grund und Grenze“); Ossenbühl, in: FG 50 Jahre BGH, 2000, S. 887 (892); Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 169; ders., JA 1992, 1. 22 Insoweit besteht eine Parallele zur unerlaubten Handlung: So tritt im Falle des § 823 Abs. 1 BGB die Schadensersatzpflicht nur demjenigen gegenüber ein, der durch die Rechtsgutsverletzung unmittelbar verletzt ist; dazu Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 211 f. Vgl. auch B. Rohlfing, WM 2005, 311 (318), der bei der haftungsbegründenden Funktion der Drittbezogenheit einen Pleonasmus erkennt. 23 BGHZ 129, 17 (19); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 61. Morlok, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle, Grundlagen, Bd. III, 2. Aufl. 2013, § 54 Rn. 59, spricht insoweit von einem „selektiven[n] Effekt“. 24 St. Rspr., s. etwa m. w. Nwn. BGHZ 140, 380 (382). 25 Meister, Amtspflichten, 1982, S. 20; s. auch B. Rohlfing, WM 2005, 311 (318). 26 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 61; Kreft, in: BGBRGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 239; Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (17), mit Hin-
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt 2. Bestimmung der Drittbezogenheit
Grundsätzlich erfolgt jedes Tätigwerden der öffentlichen Hand im öffentlichen Interesse.27 Dies folgt schon aus der Grundrechtsgebundenheit (Art. 1 Abs. 3 GG), der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG) sowie dem damit einhergehenden Verhältnismäßigkeitsprinzip. Einfachgesetzlich kann mit Blick auf Bundesbeamte auf § 60 Abs. 1 S. 2 BBG abgestellt werden. Im Ausgangspunkt besteht jede Amtspflicht daher im öffentlichen Interesse und gegenüber der Allgemeinheit.28 Gleichwohl verlangt das Gesetz einen Drittbezug der verletzten Amtspflicht. Für die Bestimmung dieser Drittbezogenheit muss es daher grundsätzlich unschädlich sein, wenn die öffentliche Hand mit ihrer Tätigkeit neben Privatinteressen auch öffentliche Interessen verfolgt.29 In ständiger Rechtsprechung bestimmt der Bundesgerichtshof die Drittbezogenheit danach, „ob die Amtspflicht – wenn auch nicht notwendig allein, so doch auch – den Zweck hat, das Interesse gerade dieses Geschädigten wahrzunehmen. Nur wenn sich aus den die Amtspflicht begründenden und sie umreißenden Bestimmungen sowie aus der Natur des Amtsgeschäfts ergibt, daß der Geschädigte zu dem Personenkreis gehört, dessen Belange nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt und gefördert sein sollen, besteht ihm gegenüber bei schuldhafter Pflichtverletzung eine Schadensersatzpflicht. Hingegen ist anderen Personen gegenüber, selbst wenn die Amtspflichtverletzung sich für sie mehr oder weniger nachteilig ausgewirkt hat, eine Amtspflicht nicht begründet. Es muß mithin eine besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten ‚Dritten‘ bestehen. Dabei muß eine Person, der gegenüber eine Amtspflicht zu erfüllen ist, nicht in allen Belangen immer als ‚Dritter‘ anzusehen sein. Vielmehr ist jeweils zu prüfen, ob gerade das im Einzelfall berührte Interesse nach dem Zweck und der rechtlichen Bestimmung des Amtsgeschäfts geschützt werden soll. Es kommt danach auf den weis auf „Gerechtigkeitsgründe[. . .]“. Krit. Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 158, insb. 172. 27 So ausdr. BGHZ 162, 49 (56); BGH NJW 1971, 1699 (1700); Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 1 Rn. 33; Blankenagel, DVBl. 1981, 15. 28 BGHZ 35, 44 (46). 29 BGHZ 35, 44 (47); 39, 358 (363); 137, 11 (15); 140, 380 (382). Dazu, dass staatliche Aufsichtstätigkeit das Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen Gesamtwirtschaft schützen soll, nur BVerfGE 124, 235 (247); BGHZ 35, 44 (49). Danach ist die Förderung des Gemeinwohls notwendiges Ziel jeder staatlichen Aktivität. M. Nwn. aus der früheren Rspr. im Bereich der Wirtschaftsaufsicht auch K. Bender, NJW 1978, 622; krit. wegen der Einseitigkeit dieser Aussage Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 87 ff.
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Schutzzweck der Amtspflicht an. Dabei genügt es, daß die Amtspflicht neben der Erfüllung allgemeiner Interessen und öffentlicher Zwecke auch den Zweck verfolgt, die Interessen einzelner wahrzunehmen“.30 Die Rechtsprechung zur Drittbezogenheit ist im Wesentlichen kasuistisch.31 Die nachfolgende Darstellung soll sich daher nicht in Einzelheiten verlieren, sondern vielmehr die Grundlinien nachzeichnen, die in einem zweiten Schritt auf die Kartellaufsicht angewandt werden. Gleichzeitig sollen auch Alternativvorschläge berücksichtigt werden. Im Gegensatz zu ihrer Bezeichnung als „crux der Amtshaftung“32, die für den Bereich der Wirtschaftsaufsicht besonders hervorgehoben wird,33 wirft die Bestimmung der Drittbezogenheit hinsichtlich einer Vielzahl der im ersten Teil vorgestellten Beispielsfälle keine größeren Probleme auf. Zunächst soll jedoch abstrakt auf die maßgebenden Kriterien eingegangen werden. a) Bedeutung eines besonderen Näheverhältnisses Von der Drittbezogenheit einer Amtspflicht ist zunächst immer dann auszugesehen, wenn und soweit eine besondere Beziehung der Verwaltung zum Geschädigten besteht.34 Eine derartige Beziehung kann sich etwa aus 30 BGHZ 39, 358 (363); 137, 11 (15); 140, 380 (382). Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 230, spricht von „gleich bleibenden und gleich lautenden Formulierungen“; Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 8 und Wurm, JA 1992, 1 (2), betonen die Flexibilität dieser Formel. 31 Vgl. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 62; Wieland, in: Dreier, GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 34 Rn. 48. 32 Ossenbühl/Cornils (Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 60) sprechen weiter auch vom „ewige[n] Problem der Staatshaftung“. Ähnl. bezeichnen Detterbeck/ Windthorst/Sproll (Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 94) diese Frage als „Achillesferse“ im Amtshaftungsrecht. Schließlich soll die berühmt gewordene Kritik Kaysers und Leiß’ nicht unerwähnt bleiben, nach denen „‚Dritter‘ in diesem Sinne ist, wen die Rechtsprechung immer seltener mit einläßlicher Begründung, häufig mit dem formelhaften Hinweis darauf, daß es einen ‚Dritten‘ nicht geben könne, wo Ziel und Zweck der hoheitlichen Tätigkeit die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder das Interesse des Staates an einer ordentlichen Geschäftsführung seiner Beamten oder der Schutz seiner vermögensrechtlichen Belange sei, immer öfter aber ohne jede Rechtfertigung als Dritten erklärt“ (Amtshaftung, 2. Aufl. 1958, S. 34). 33 s. etwa Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 25 m. w. Nwn. in Fn. 48. 34 Hierauf stellt insb. die ältere Rspr. ab, s. etwa BGHZ 15, 305; 35, 44 (49 f.); Schwark, JZ 1979, 670 (672). Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (20), spricht insoweit von „‚echter‘ Drittbezogenheit“, wenn eine „Sonderbeziehung zwischen Verwaltung und Bürger hergestellt worden ist“.
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einem Verwaltungsverfahren35 oder einem Verwaltungsakt36, einem öffentlich-rechtlichen Vertrag oder einer sonstigen Sonderbeziehung37 ergeben. Dieses Näheverhältnis wird vorwiegend als eigenes Kriterium zur Bestimmung der Drittbezogenheit herangezogen.38 Ihren Grund findet die Drittbezogenheit in derartigen Näheverhältnissen in der Überschreitung des normalen Staat-Bürger-Verhältnis hin zu einer besonderen Annäherung.39 Insoweit wird auch von „relativen Amtspflichten“40 gesprochen. b) Bedeutung der Deliktstatbestände der §§ 823 ff. BGB Im Gegensatz zu dem vorbezeichneten Näheverhältnis setzt die allgemeine Deliktshaftung nach den §§ 823 ff. BGB keine derartige Sonderverbindung voraus, sondern begründet sie erst. Dennoch wird sie auch zur Ermittlung der Drittbezogenheit hinzugezogen. In Rede steht in diesen Fällen die Amtspflicht zur Unterlassung deliktischer Eingriffe. Sie lässt sich im Unterschied zu der relativen Amtspflicht als absolute Amtspflichten bezeichnen.41 Als lex specialis zu § 823 Abs. 1 BGB schließt der Tatbestand der Amtshaftung unerlaubte Handlungen im Sinne der §§ 823 ff. BGB ein.42 Erfüllt der Beamte mit der Amtspflichtverletzung zugleich den Tatbestand einer unerlaubten Handlung, so ist dem Geschädigten gegenüber von der Drittbezogenheit dieser Amtspflicht auszugehen, wenn dieser nach den §§ 823 ff. BGB vom Schädiger Ersatz verlangen könnte.43 Über die Amtspflicht, sich deliktischer Eingriffe zu enthalten, wird diese Argumentation weitergeführt und die Schutzgesetzeigenschaft im Sinne von 35 Für das auf Antrag vorzunehmende Amtsgeschäft s. BGHZ 162, 49 (56); ferner Schwark, JZ 1979, 670 (672). 36 Der Adressat ist immer Dritter, vgl. Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 151. s. auch noch § 9 A. II. 2. c). 37 Für das Schulverhältnis vgl. BGHZ 13, 25 (26 f.); für das öffentlich-rechtliche Verwahrungsverhältnis BGHZ 1, 369 (372); für das Beamtenverhältnis Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 156 f.; vgl. auch Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (20). 38 Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 208, spricht von einem „Gegenentwurf zur Schutznormtheorie“. 39 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 111; Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (21). 40 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 111. 41 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 61 f., 64 f.; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 113; ferner Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 158. 42 BGHZ 14, 319 (324); 69, 128 (138); Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, Rn. 232. 43 Pietzcker, AöR 132 (2007), 393 (417); Wurm, JA 1992, 1 (2).
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§ 823 Abs. 2 BGB herangezogen: Soweit eine Norm ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten einer bestimmten Person darstellt, geht die Rechtsprechung davon aus, dass die zur Einhaltung dieser Vorschrift ausgeübte öffentlich-rechtliche Aufsicht zugleich auch dem Schutz dieser Person dient.44 Um zur Bestimmung der Drittbezogenheit herangezogen zu werden, muss das Referenzgebiet – hier also die Wirtschafts- bzw. Kartellaufsicht – Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB bereithalten. Daneben müssen zivilrechtliche und öffentlich-rechtliche Schutzgesetze vergleichbar sein; anderenfalls scheidet eine Übertragung aus. Während Schutzgesetze gerade im GWB in großer Zahl existieren45 und somit die erste Voraussetzung regelmäßig erfüllt werden kann, wird einer Übertragung auf das öffentliche Recht kritisch gegenüber gestanden: Zunächst knüpft § 823 Abs. 2 BGB an ein Gesetz (im Sinne des Art. 2 EGBGB) an, während § 839 Abs. 1 BGB eine Amtspflichtverletzung voraussetzt.46 Wegen der Anerkennung der Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln und der damit erfolgten Anknüpfung dieser Pflicht an das Außenverhältnis vermag dieser Unterschied die Vergleichbarkeit nicht grundsätzlich in Frage zu stellen. Daneben wird die Wesensverschiedenheit zivil- und öffentlich-rechtlicher Schutzgesetze betont:47 So habe der von § 823 Abs. 2 BGB geforderte Schutzgesetzcharakter einer Norm, der dann anzuerkennen ist, wenn der Schutz zumindest auch auf bestimmte Rechtsgüter oder Interessen des Einzelnen zielt,48 zunächst nur Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen einzelnen Privatrechtssubjekten. In diesem Verhältnis vermittele § 823 Abs. 2 BGB dem durch die Schutznormverletzung Geschädigten Schadensersatz. Davon zu trennen sei das Verhältnis zwischen Schädiger und Aufsichtsbehörde. Diesen strukturellen Unterschied zwischen der zivilrechtlicher Haftung des § 823 Abs. 2 BGB und der öffentlich-rechtlichen Drittbezogenheit hat in einer jüngeren Entscheidung auch das Bundesverwaltungsgericht hervorgehoben und ausgeführt, dass die „zivilgerichtliche Rechtsprechung zur Qualifikation des § 32 Abs. 1 S. 1 KWG als Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB [. . .] allein das zivilrechtliche Verhältnis der Betreiber von unerlaubten Bankgeschäften oder Finanzdienstleistungen zu ihren Kunden [betrifft]. Zur Frage, welche Funktion dem Ein44
BGHZ 74, 144 (149). s. die Aufzählung bei Roth, in: FK, Bd. V, 49. EL 11/2001, § 33 GWB 1999 Rn. 33 ff. 46 Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht?, 1988, S. 74. 47 Schwark [JZ 1979, 670 (672)] verweist insoweit auf die „Breitenwirkung“ des deliktischen Anspruchs. Insb. sei zu untersuchen, ob sich die Existenz eines entsprechenden Schadensersatzanspruches gerade aus dem Gesamtzusammenhang der gesetzlichen Regelungen ergebe. s. auch Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht, 1988, S. 73 f. A. A. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 66 f. 48 s. nur BGHZ 100, 13 (14 f.); 186, 58 (66). 45
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und Anlegerschutz im Rahmen des aufsichtsrechtlichen Verhältnisses der Beklagten zu den der Bankenaufsicht unterworfenen Unternehmen zukommt, verhält sich diese Rechtsprechung hingegen nicht.“49 Ob sich aus der in § 33 GWB verorteten Spezialvorschrift dennoch Auswirkungen auf die Bestimmung der Drittbezogenheit ergeben, wird im weiteren Verlauf der Bearbeitung noch zu untersuchen sein.50 c) Bedeutung der Klagebefugnis im Primärrechtsschutz Zwar vermitteln subjektiv-öffentliche Rechte in erster Linie Abwehransprüche gegen rechtswidriges Verhalten des Staates. Aufgrund des Umstands, dass der Sekundärrechtsschutz den Primärrechtsschutz verlängert,51 kann zur Bestimmung der Drittbezogenheit jedoch auch die Klagebefugnis (bzw. in den Fällen, in denen der Primärrechtsschutz nicht durch Klage, sondern durch Beschwerde vermittelt wird, die Beschwerdebefugnis) herangezogen werden.52 Verallgemeinernd ist eine Amtspflicht dann drittbezogen, wenn ihre Verletzung zugleich in subjektiv-öffentliche Rechte eingreift;53 Dritter ist daher z. B. „wer durch den Verwaltungsakt oder [. . .] dessen Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt wird“.54 Insofern lässt sich auch von einer Kongruenz der Drittbezogenheit mit der Klagebefugnis sprechen.55 d) Bedeutung des Vertrauensschutzes Das oben genannte Kriterium der Klagebefugnis hilft jedoch nicht in allen Fällen weiter.56 So ist etwa im Falle der rechtswidrigen Genehmigung 49
BVerwG BKR 2011, 208 (210). § 9 D. I. 4. 51 Zur Unterscheidung von Primär- und Sekundärrechtsschutz bereits § 3 B. I. 1. 52 BGHZ 125, 258 (268); Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 107 ff.; Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 152, 156; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 509; Ossenbühl/ Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 62. Eingrenzend Papier (in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 234), der von einem „Indiz“ spricht. Ähnl. Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 BGB Rn. 239. 53 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 228. 54 BGHZ 125, 258 (268). 55 So etwa Wurm, JA 1992, 1 (7); ferner Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 103 ff. 56 Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, 54. EL 1/2009, Art. 34 Rn. 192; ders., DZWiR 1997, 221 (222). Wurm, JA 1992, 1 (2) spricht insoweit auch von einer „Faustregel“. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass es sich nicht bloß um eine Faustregel handelt, sondern um den Ausdruck des Sekundärrechtsschutzes als Ver50
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der Adressat der Genehmigung nicht klagebefugt: Da kein Anspruch auf eine rechtmäßige, sondern nur ein Anspruch auf eine antragsgemäße Entscheidung besteht, ist er in seinen Rechten nicht verletzt.57 Im Übrigen sollen Erlaubnisvorbehalte nur der Wahrung der Gesetzmäßigkeit dienen und damit allgemeinschützend sein.58 Die Drittbezogenheit wird in derartigen Situationen mit dem Merkmal des Vertrauensschutzes begründet.59 Charakteristisch für diese Fälle ist die Situation des Mühlheim-Kärlich-Urteils des Bundesgerichtshofs, das die Amtshaftung wegen einer rechtswidrigen atomrechtlichen (Teil-)Genehmigung betraf.60 In dieser Sache hat der Bundesgerichtshof die aus dem Bereich der Amtshaftung wegen rechtswidrigen Baugenehmigungen bekannten Grundsätze, wonach die Genehmigung eine „Verlässlichkeitsgrundlage“ für die finanziellen Dispositionen des Genehmigungsempfängers darstellt, herangezogen61 und auf Erlaubnisvorbehalte im Allgemeinen ausgedehnt.62 Der Genehmigungsempfänger soll nicht Gefahr laufen, vergebliche Vermögensdispositionen zu tätigen.63 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang die Schutzrichtung der fehlerhaft geprüften Vorschriften, vielmehr ist die Genehmigung als solche als Grundlage des Vertrauensschutzes anzusehen, die dem Empfänger die Drittbezogenheit vermittelt.64 Dieser kann – längerung des Primärrechtsschutzes. Daher ist das Bestehen einer Klagebefugnis zwar keine notwendige Bedingung zur Bejahung der Drittbezogenheit, wohl aber eine hinreichende Bedingung. 57 Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 169; Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 173; de Witt/Burmeister, NVwZ 1992, 1039 (1040). Abl. gegenüber der Anerkennung der Drittbezogenheit in derartigen Fällen daher B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 520. 58 So Papier, DZWiR 1997, 221, der im Ergebnis jedoch die Drittbezogenheit bejaht. 59 BGHZ 60, 112 (117); 105, 52 (54 f.); 144, 394 (396 f.); Küch, Vertrauensschutz durch Staatshaftung, 2003, passim. 60 BGHZ 134, 268 (276 ff.). 61 BGHZ 134, 268 (276 f.). 62 BGHZ 134, 268 (277 f. – zu den Besonderheiten beim atomrechtlichen Genehmigungsverfahren); Vinke, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 2005, § 839 Rn. 154; Ossenbühl, in: GS Burmeister, 2005, S. 289 (291 f.); Papier, DZWiR 1997, 221 (222 f.). Zu einer Berücksichtigung des Vertrauensschutzes über die Fälle der Genehmigung hinausgehend auch Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 92 ff. 63 BGHZ 60, 112 (116 f.). 64 BGHZ 60, 112 (117 f.); Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 26; Küch, Vertrauensschutz durch Staatshaftung, 2003, S. 32. Der BGH spricht a. a. O. von „Amtspflichten, eine den einschlägigen bauordnungsrechtlichen Vorschriften widersprechende Baugenehmigung [. . .] nicht zu erteilen“; Küch, a. a. O., S. 46, verallgemeinernd von der „Amtspflicht, keine ungesicherten Vertrauenstatbestände zu schaffen“. Indes werden diese Fälle schon von der allgemeineren Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln erfasst.
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wenn sich die Genehmigung als rechtswidrig erweist – seine Dispositionen liquidieren. Dies setzt indes voraus, dass diese von der Reichweite der Genehmigung umfasst sind.65 Der Vertrauensschutz, der insoweit zur Begründung einer entsprechenden Drittbezogenheit herangezogen wird, begrenzt diese zugleich. So kommt der Frage, inwieweit das Vertrauen des Genehmigungsempfängers auf die Rechtmäßigkeit der Genehmigung schutzwürdig ist, eine besondere Bedeutung zu. Diese Schutzwürdigkeit ermittelt die Rechtsprechung unter Rückgriff auf die Grundsätze zum allgemeinen Verwaltungsrecht (insbesondere auf § 48 Abs. 2 S. 3 VwVfG), so dass sie etwa zu verneinen ist, wenn die Rechtswidrigkeit dem Genehmigungsempfänger bekannt war oder hätte bekannt sein müssen.66 Somit ist auch im Bereich rechtswidriger Genehmigungen die Existenz drittbezogener Amtspflichten dem Genehmigungsempfänger gegenüber anerkannt. e) Bedeutung des Schutzzwecks der verletzten Amtspflicht Schon das diesen Erläuterungen vorangestellte Zitat des Bundesgerichtshofs zeigt, dass nicht nur das eine Kriterium zur Bestimmung der Drittbezogenheit von Amtspflichten existiert.67 Der hiermit einhergehenden Unsicherheit bei der Bestimmung der Drittbezogenheit im jeweiligen Einzelfall68 steht die Flexibilität in der Handhabung dieses Tatbestandsmerkmals gegenüber.69 Soweit die vorstehenden Kriterien nicht zielführend sind, ist auf den „Zweck“ bzw. „Schutzzweck der Amtspflicht“ abzustellen.70 Dieser Zweck ist durch Auslegung der Norm zu ermitteln, entscheidend ist hierbei, „welche Wertungen und Zielvorstellungen dem betreffenden Gesetz mit den herkömmlichen Auslegungsmethoden zu entnehmen sind.“71 Zum Teil wird dieser „Schutzzweck der Amtspflicht“ mit der sog. Schutznormtheorie, wie sie zur Bestimmung der Klagebefugnis herangezogen wird, ermittelt.72 65
Vgl. die Ansätze zu einer Eingrenzung in BGHZ 134, 268 (276 f., 283 ff.). BGHZ 134, 268 (283 ff.). 67 Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (16) erkennt ein „juristisches Potpourri“. 68 Vgl. statt vieler nur Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 230. 69 Wurm, JA 1992, 1 (2). 70 So auch Papier, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. IV, 54. EL 1/2009, Art. 34 Rn. 183; Böhmer, DÖV 1964, 487. Diese Herangehensweise ist indes nicht Ausdruck einer Systematisierung in Form eines Stufenverhältnisses, vielmehr überschneiden sich die jeweiligen Kriterien regelmäßig, s. Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 9 f. Vgl. jedoch den Versuch einer Systembildung bei Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (19 ff.). 71 BGHZ 162, 49 (56). 66
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Demnach sei zu untersuchen, ob die Amtspflicht zumindest auch die Interessen des Geschädigten zu schützen bestimmt ist.73 Da die Verletzung eines subjektiv-öffentlichen Rechts keine notwendige Bedingung für die Bejahung der Drittbezogenheit ist, ist eine pauschale Gleichsetzung indes abzulehnen.74 Aufgrund der Ausgestaltung der Amtshaftung ist noch nicht einmal die Rechtswidrigkeit der Maßnahme Voraussetzung der Amtspflichtverletzung.75 Auf die Bestimmung eines subjektiv-öffentlichen Rechts zielt die Schutznormtheorie hingegen ab. Jedenfalls aber ist die Ermittlung des Zwecks der verletzten Amtspflicht an die Schutznormtheorie angelehnt.76 Zwar steht insoweit nicht die primärrechtliche Abwehr von Verwaltungsmaßnahmen in Rede, sondern vielmehr die Frage, ob das jeweilige Handeln zu Ersatzansprüchen führt. Da die Amtshaftung den Primärrechtsschutz verlängert, kann eine derartige Orientierung zugrunde gelegt werden. Schließlich wird an dieser Herangehensweise kritisiert, dass eine Trennung zwischen denjenigen Pflichten, die dem Beamten zum Schutze von Individualinteressen obliegen, und solchen Pflichten, die dieser zum Schutze der Allgemeinheit wahrnimmt, nicht möglich sei.77 Der eine Zweck lässt sich daher regelmäßig nicht isoliert ermitteln. So verfolgt die Wirtschaftsaufsicht niemals einen reinen Selbstzweck, sondern dient immer (auch) den Interessen der von der Aufsicht Betroffenen und sonstigen Personen.78 Dieser Kritik ist jedoch die notwendige Differenzierung zwischen dem (regelmäßig bestehenden) objektiven Drittschutz und dem subjektiven Drittschutz entgegenzuhalten.79 Da die Amtshaftung gerade Ausdruck 72
Vgl. hierzu nur Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 103. Zur Relevanz der Klagebefugnis bereits § 9 A. II. 2. c). 73 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 103; Buschlinger, DÖV 1964, 797 (798 f.). 74 BGH DVBl. 1967, 657 (660 ff.); Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 194; Bleibaum, Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982, S. 108, 201; Meister, Amtspflichten, 1982, S. 44; Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 152. Krit. auch Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 90 ff. s. auch Kreft, in: BGBRGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 BGB Rn. 239, mit Hinweis drauf, dass eine Amtspflicht drittgerichtet sein kann, auch wenn der Geschädigte keinen Anspruch auf Vornahme der schädigenden Amtshandlung gehabt hat. 75 s. schon o. bei Fn. 17. 76 B. Rohlfing, WM 2005, 311 (318). s. auch Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 28; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 509. 77 s. schon Bettermann, NJW 1955, 97. Ähnl. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 87 ff.; Martens, DÖV 1976, 457 (461 ff.). Zur Unterscheidung öffentlicher und privater Interessen auch Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 66 ff. 78 Schwark, JZ 1979, 670 (671, 672); krit. auch Esser, BB 1969, 464 (465 f.). Zur Situation im Kartellrecht bereits § 3 A. II. 1. 79 s. hierzu auch noch u. in Fn. 226 sowie im Text bei Fn. 243.
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des subjektiven Rechtsschutzes ist, ist diese Kritik auszublenden, so dass untersucht werden muss, ob dem Amtsträger eine Verhaltenspflicht auferlegt wird, die dieser zumindest auch im Interesse des Einzelnen und nicht allein im Interesse des Staates bzw. der Allgemeinheit ausübt.80 Entscheidend für diese Untersuchung ist nicht die Feststellung des Schutzzweckes für ein gesamtes Regelwerk – also etwa die Klärung der Frage des Schutzzwecks des GWB – sondern vielmehr der Zweck des in Rede stehenden Aufsichtsmittels.81 f) Bedeutung der Risikoverteilung bei mittelbaren Eingriffen des Staates Tragender Gedanke des Schadensersatzrechts ist, dass der Verursacher den Schaden ersetzt.82 Diesem – unbestrittenem – Grundsatz droht Aufweichung, soweit mittelbare Eingriffe des Staates zu Schäden führen, für die dieser in Anspruch genommen werden soll. Charakteristisch sind etwa die Fälle unterlassenen Einschreitens im Rahmen der Gefahrenabwehr oder die Erteilung fehlerhafter Genehmigungen. Daneben ist ebenso unbestritten, dass jedem (wirtschaftlichen) Tätigwerden Risiken inhärent sind. Bei jedem Schadensersatzsystem handelt es sich daher im Kern um Risikoverteilung. Diesen Gedanken hat Kümper als Zurechnungsprinzip formuliert und insoweit einen Vorschlag zur Neubestimmung der Drittbezogenheit von Amtspflichten vorgelegt.83 Im Kern geht es bei diesem Ansatz um die wertende Abgrenzung der Verantwortungs- bzw. Risikosphären zwischen Staat und Bürger.84 In den Fällen der fehlerhaften Aufsicht, Planung und Genehmigung treffen den Staat Gefahrvermeidungspflichten, die unter Rückgriff auf die Verkehrspflichten des Zivilrechts zu entwickeln sind. Zurechnungstatbestand und damit Entstehungsgrund derartiger Pflichten ist die Übernahme einer staatlichen Aufgabe, die Reichweite dieser Pflicht ist durch die Gebotenheit einer Haftung begrenzt.85 Maßgeblich soll insoweit die Größe der 80 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 229. Dazu, dass stets auch im öffentlichen Interesse gehandelt wird, s. schon § 9 A. II. 2. 81 s. auch Brendle, Amtshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht?, 1987, S. 226, 241; Schwark, JZ 1979, 670 (672 f.). 82 Statt aller Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 3. 83 Kümper, Risikoverteilung, 2011, passim, insb. S. 222 ff. 84 Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 143 ff.; vgl. auch schon die Ansätze bei Gratias, Staatshaftung für fehlerhafte Banken- und Versicherungsaufsicht im europäischen Binnenmarkt, 1999, S. 21 ff.; Blankenagel, DVBl. 1981, 15 (22: „Überwachungsmonopol[. . .]“); Kaulbach, VersR 1981, 702 (705); insb. im Bereich staatlicher Genehmigungen Pietzcker, JZ 1985, 209 (210 f.). 85 s. dazu eingehend Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 252 ff.
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drohenden Gefahr, ihre Beherrschbarkeit sowie das Maß des in Anspruch genommenen Vertrauens sein.86 g) Begrenzung der Drittbezogenheit durch die Subsidiarität der Staatshaftung Soweit die öffentliche Hand Schuldnerin eines Ersatzanspruches ist, trifft die Ersatzpflicht im Ergebnis die Allgemeinheit.87 Vor diesem Hintergrund wird teilweise eine Subsidiaritätsthese zu Gunsten der öffentlichen Hand formuliert, nach der die Staatshaftung eine Reservefunktion wahrnimmt.88 Eine als fehlende Erforderlichkeit einer staatlichen Haftung verstandene Subsidiarität soll insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die öffentliche Hand den Schaden nur mittelbar verursacht hat.89 Der Bundesgerichtshof hat in Bezug auf die Bankenaufsicht die Subsidiarität der Staatshaftung betont und auf die Einlagensicherung verwiesen.90 Soweit der Geschädigte von anderen Personen, insbesondere dem unmittelbaren Schädiger, Ersatz verlangen kann, bestehen ihm gegenüber keine drittschützenden Amtspflichten. Obwohl mit dem Verweisungsprivileg in § 839 Abs. 1 S. 2 BGB eine normative Anknüpfung der Subsidiarität vorgenommen werden kann,91 prüft der Bundesgerichtshof die Möglichkeit anderweitigen Ersatzes schon im Rahmen des Tatbestands.92 Diese Herangehensweise ermöglicht die Nichtberücksichtigung einer etwaigen Durchsetzbarkeit des anderweitigen Anspruchs, wie sie von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB vorausgesetzt wird.93 Im 86
Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 254 ff., ausf. S. 270 ff. Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 108, 132; zur Parallele im Versicherungsrecht Gromitsaris, Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, 2006, S. 22 ff.; Rebhahn, Staatshaftung wegen mangelnder Gefahrenabwehr, 1997, S. 177 ff. 88 s. auch schon die Bezeichnung „ultima ratio des Rechtsstaates“ bei W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931 (unv. Nachdruck 1966), S. 321. 89 Gromitsaris, Rechtsgrund und Haftungsauslösung im Staatshaftungsrecht, 2006, S. 27. 90 So insb. BGHZ 74, 144 (149 f.); sowie die Fortführung dieses Gedankens in EuGH C-222/02, Slg. 2003, I-9425 (Rn. 27, 30) – Peter Paul; BGHZ 162, 49 (65 f.). 91 Zu dem in § 839 Abs. 1 S. 2 BGB geregelten Verweisungsprivileg bzw. der Subsidiaritätsklausel allg. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 80; Bülow, DVBl. 1981, 813; zum restriktiven Verständnis dieser Vorschrift ebd. 92 s. die Nw. in Fn. 90. Zust. Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 112 ff.; Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 79, der auf das restriktive Verständnis des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB hinweist. 93 Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 113, weist daher darauf hin, dass somit auch Ersatzansprüche gegen insolvente Unternehmen die Drittbezogenheit ausschließen können. 87
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Übrigen rückt eine derartige Interpretation der Drittbezogenheit die Frage, ob es der staatlichen Haftung auch dann bedarf, wenn Private für den Schaden (mit-)verantwortlich sind, in den Mittelpunkt und unterstreicht somit ihre Bedeutung für das Staatshaftungsrecht.94 Letztlich sieht sich diese Rechtsprechung jedoch dem Vorwurf einer Ergebnisorientierung ausgesetzt.95 Dies ist jedoch der Flexibilität bei der Bestimmung der Drittbezogenheit inhärent. h) Keine Begrenzung der Drittbezogenheit durch eine etwaige Komplexität des Regelungsgegenstandes Es stellt sich schließlich die Frage, ob die Komplexität des Regelungsgehaltes Implikationen für die Anerkennung drittbezogener Amtspflichten entfalten kann. Möglicherweise kann die Existenz drittbezogener Amtspflichten innerhalb der Kartellaufsicht mit dieser Argumentation verneint werden. In der Peter-Paul-Entscheidung, der die Amtshaftung im Bereich der Bankenaufsicht zugrunde lag, hat der Bundesgerichtshof auch diesen Umstand hinzugezogen, um die Drittbezogenheit von Amtspflichten auszuschließen. Insoweit hat er ausgeführt, dass die „Versagung eines amtshaftungsrechtlichen Schutzes für einen solchermaßen nur mittelbar geschützten Personenkreis [. . .] angesichts der Komplexität der Bankenaufsicht und des von ihr zu beaufsichtigenden Bereichs nach Auffassung des Senats verfassungsrechtlich hinreichend legitimiert [ist] und [. . .] der Rechtslage in einer Reihe von Mitgliedstaaten in der Gemeinschaft [entspricht.]“96 Viele Fragestellungen, mit denen sich die Kartellbehörden im Rahmen ihrer Tätigkeiten auseinandersetzen, zeichnen sich durch ihre Komplexität aus.97 Dies liegt nicht zuletzt am Regelungsgegenstand der Wirtschaft sowie an der Dynamik des Wettbewerbs. Ob es sich bei diesem Kriterium um eine verallgemeinerungsfähige Aussage handelt, erscheint zweifelhaft. So können Fragen der Komplexität sowohl auf der Ebene der Rechtswidrigkeit (im Sinne der Amtspflichtwidrigkeit) als auch auf der Ebene der persönlichen Vorwerfbarkeit, also im Rahmen des Verschuldens,98 verortet werden. Ins94 Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 113 f. Dazu, dass das Merkmal der Drittbezogenheit die Haftung sowohl begründet als auch begrenzt, schon § 9 A. II. 1. 95 Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 79; Bleibaum, Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982, S. 98. 96 BGHZ 162, 49 (63). 97 Vgl. hier nur Dreher, ZG 1987, 312 (insb. 320 ff.); für das europäische Recht ausf. – wenngleich mit anderer Verortung – § 5 B. III. 1. b) bb). 98 Hierfür auch Kümper, Risikoentscheidungen, 2011, S. 122, 323 ff.; Ladeur, ZUR 1994, 330 (332); ausf. Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 249 ff.
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besondere letztgenannte Möglichkeit scheint der Konstruktion der Amtshaftung besser zu entsprechen. Die Verortung bei der Drittbezogenheit ist dagegen ungeeignet. Im Übrigen würde dadurch die Vorhersehbarkeit von Amtshaftungsprozessen geschmälert, da die Bewertung einer Sach- und Rechtslage als komplex immer von subjektiven Empfindungen gefärbt ist. Daher scheidet ein Rückgriff auf diesen Umstand bei der Bestimmung der Drittbezogenheit aus. III. Verletzung der Amtspflicht durch ein Kollegialorgan Die Amtshaftung verlangt die Verletzung einer Amtspflicht. Sowohl § 839 BGB als auch Art. 34 GG heben in personeller Hinsicht auf die Verletzung durch einen „Beamten“ bzw. einen „[J]emand“ ab. Insoweit wird die Tathandlung einem konkreten Amtswalter zugeordnet und individualisiert.99 Dies hat neben dem Verschulden100 insbesondere Bedeutung für den Regress (Art. 34 S. 2 GG101) sowie der Bestimmung der haftenden Körperschaft (Art. 34 S. 1 GG). Soweit Entscheidungen des Bundeskartellamts durch die Beschlussabteilungen ergehen (vgl. § 51 Abs. 3 GWB),102 macht es die Organisation des Bundeskartellamts erforderlich, an dieser Stelle die Frage der Amtspflichtverletzung durch ein Kollegialorgan aufzuwerfen. Zunächst soll zu diesem Zweck auf die Organisation der Beschlussabteilungen und die Entscheidungsfindung innerhalb des Bundeskartellamts eingegangen werden. Das Bundeskartellamt ist nach § 51 Abs. 2 S. 1 GWB in Beschlussabteilungen gegliedert. Ihre Anzahl (derzeit zwölf) sowie ihre Geschäftsverteilung wird durch das Gesetz nicht vorgegeben, sondern obliegt der Geschäftsverteilungsautonomie des Präsidenten.103 Während die ersten neun Beschlussabteilungen nach Wirtschaftsbranchen gegliedert sind, nehmen sich die zehnte, elfte und zwölfte Beschlussabteilung branchenübergreifend sog. Hardcore-Kartelle an. § 51 Abs. 3 GWB bestimmt, dass die Beschluss99
s. jedoch relativierend i. R. des Verschuldens § 10 A. II. 3. Eingehend § 10. 101 Dieser Gesetzesvorbehalt [dazu nur BVerwGE 137, 377 (380)] wird für die Bundesbeamten durch § 75 BBG ausgefüllt, für die Tarifbeschäftigten des Bundes verweist § 3 Abs. 7 TVöD auf § 75 BBG. Da der Regress ein vorsätzlich bzw. grob fahrlässiges Handeln voraussetzt, was im Referenzgebiet regelmäßig ausscheidet (§ 10 A. I.), wird hierauf im Folgenden nicht weiter eingegangen. 102 Zur Zuständigkeitsverteilung innerhalb des BKartA Rittner, in: FS Kaufmann, 1974, S. 307 (315). 103 Vgl. hierzu auch das Organigramm des BKartA [Stand: 6.1.2014], abrufbar unter www.bundeskartellamt.de. Allg. zu Aufbau u. Funktion der Beschlussabteilungen Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 87 ff. 100
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abteilungen in der Besetzung mit einem oder einer Vorsitzenden und zwei Beisitzenden entscheiden, § 51 Abs. 4 GWB regelt die Qualifikation der Mitglieder: Sie müssen Beamte auf Lebenszeit sein und die Befähigung zum Richteramt104 oder zum höheren Verwaltungsdienst105 besitzen. Letzteres stellt klar, dass nicht nur Juristen, sondern insbesondere auch Ökonomen in den Beschlussabteilungen vertreten sein können.106 Neben dem Vorsitzenden und bis zu sechs Beisitzenden bestehen die Beschlussabteilungen aus Referenten und Sachbearbeitern.107 Die eigentliche Entscheidung ergeht in der in § 51 Abs. 3 GWB vorgesehenen Besetzung;108 das Bundeskartellamt bezeichnet sie als „Kollegialgremium“109. Der Vorsitzende bestimmt die jeweils am Fall mitarbeitenden Beisitzenden.110 Die Entscheidung wird von einem Beisitzenden – dem Berichterstatter – unter Mitwirkungen der Referenten und Sachbearbeiter selbstständig vorbereitet.111 Sie ergeht nach dem Mehrheitsprinzip und wird in der Regel einstimmig getroffen,112 der Stimme des Vorsitzenden kommt hierbei kein besonderes Gewicht zu.113 Für die Frage der Amtspflichtverletzung kommt zunächst ein am Wortlaut orientiertes Verständnis in Betracht, wonach an die jeweilige Entscheidung des Mitglieds der Beschlussabteilung anzuknüpfen ist.114 Zu fragen wäre 104
Vgl. hierzu §§ 5–7 DRiG. Näher §§ 17 Abs. 5 BBG; 21 Abs. 1 BLV. 106 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 9. Nach der Vorgängerregelung des § 48 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 GWB a. F. sollte der Vorsitz „in der Regel“ einem Juristen obliegen. Dies hat den ersten Jahrzehnten des Amtes dazu geführt, dass „nahezu alle entscheidenden Positionen“ mit Juristen besetzt waren [Griesbach, WuW 1971, 813 (814)]. Erstmals wurde 1999 mit Ulf Böge ein Ökonom PräsBKartA. Von den derzeit etwa 330 Beschäftigten ist die Hälfte juristisch oder ökonomisch ausgebildet, vgl. www.bundeskartellamt.de/DE/UeberUns/Bun deskartellamt/Organisation/organisation_node.html [abgerufen am 16.4.2014]. 107 H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 10; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 9; Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 88 f., 250. 108 Die Entscheidungen werden von den Beschlussabteilungen getroffen und ergehen daher nicht durch deren Vorsitzenden oder den PräsBKartA, s. Nägele, in: FK, Bd. V, 65. EL 4/2008, § 51 Rn. 10. 109 www.bundeskartellamt.de/DE/UeberUns/Bundeskartellamt/Organisation/orga nisation_node.html [abgerufen am 16.4.2014]. 110 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 89. 111 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 250. 112 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 251 f. 113 s. nur Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 108. Daher dürfen die Vorsitzenden in ihrer Funktion als Dienstvorgesetzte keinen Einfluss auf die Entscheidungsfindung ausüben, vgl. H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 15. 114 Für die Haftung von Ethikkommissionen v. d. Sanden, Ethik-Kommissionen, 2008, S. 97 ff., 100. 105
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dann, ob das Mitglied bei seiner Abstimmung amtspflichtwidrig handelte. Eine derartige Auffassung verkennt jedoch, dass nach außen nur die Entscheidung der Beschlussabteilung als solche in Erscheinung tritt. Die auf den einzelnen Amtswalter abstellende Auffassung setzt sich daneben auch in Widerspruch zu der weitestgehenden Entindividualisierung der Amtshaftung.115 Maßgebend kann jedoch auf das Verständnis des handelnden Beamten im Amtshaftungsrecht abgestellt werden. Der Beamtenbegriff wird in ständiger Rechtsprechung funktional verstanden; entscheidend ist hierbei nicht die Person des Handelnden, sondern die nach außen wahrgenommene Funktion.116 Die Funktion der zur Entscheidung berufenen Stelle innerhalb des Bundeskartellamts wird von der Beschlussabteilung wahrgenommen. Insoweit kann die Beschlussabteilung auch funktional als Beamter und damit als Verletzer der Amtspflicht verstanden werden. Auch dieses Verständnis spricht daher für ein Abstellen auf die Beschlussabteilung. Im Übrigen ist nach den Vorgaben des Gesetzes der einzelne Amtswalter gar nicht imstande, eine Amtspflichtverletzung, etwa in Form eines rechtswidrigen Beschlusses, zu begehen, da insoweit § 51 Abs. 3 GWB das Tätigwerden der Beschlussabteilung voraussetzt. Mithin ist für die Prüfung der Amtspflichtverletzung auf die Beschlussabteilung als solche abzustellen.117 IV. Richterliche Überprüfbarkeit der Amtspflichtverletzung Regelmäßig findet bei der Amtshaftung eine Rechtswegspaltung statt: Während der Primärrechtsschutz gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO vor den Verwaltungsgerichten verfolgt werden muss, sind für die sekundärrechtlichen Ersatzansprüche die nach Art. 34 S. 3 GG, § 40 Abs. 2 S. 1 Var. 3 VwGO die ordentlichen Gerichte zuständig.118 Im hier interessierenden Bereich der Haftung der Kartellaufsicht sind die ordentlichen Gerichte dagegen sowohl im Rahmen des Primär- als auch im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes zur Entscheidung berufen. Die insoweit bestehende Zuständigkeit des Oberlandesgericht Düsseldorf für die Beschwerdeverfahren119 115
Vgl. dazu ausf. u. i. R. des Verschuldens § 10 A. II. 3. BGHZ 118, 304 (305); 147, 169 (171); 179, 115 (123); Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 131. 117 Parallelen lassen sich insoweit zu anderen Kollegialorganen aufstellen, für das Kollegialorgan der Ethikkommission ebenso wie hier auch Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 150. A. A. v. d. Sanden, Ethik-Kommissionen, 2008, S. 100. 118 Zur Begründung Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 122. 119 Zur Stellung der Beschwerde im System der gerichtlichen Anfechtung verwaltungsbehördlicher Entscheidungen BVerfGE 74, 78 (79); Bettermann, in: FS Bötticher, 1969, S. 13 (18 ff.). A. A. Kull, JZ 1961, 681 (686: „Gerichtsverfahren sui generis“). 116
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(und nicht des nach § 10 Nr. 3 JustG NRW eigentlich zuständigen Oberlandesgericht Köln) folgt aus §§ 63 Abs. 4 S. 1, 92 Abs. 1 S. 1 GWB i. V. m. § 2 der Verordnung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen über die Bildung gemeinsamer Kartellgerichte und über die gerichtliche Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten nach dem Energiewirtschaftsgesetz (sog. Konzentrationsverordnung)120. Teilweise wird von „funktionell als Verwaltungsgerichte urteilende[n] Zivilgerichte[n]“121 gesprochen. Da sekundärrechtliche Ansprüche ebenfalls vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen sind, besteht insoweit keine Rechtswegaufspaltung. Aufgrund der engen Verzahnung der Amtspflichtwidrigkeit mit der Rechtswidrigkeit kann sich im Rahmen der Feststellung der Amtspflichtverletzung die Frage der gerichtlichen Kontrolle stellen. Da die über den Amtshaftungsanspruch befindenden Gerichte dieselbe Überprüfung wie die Beschwerdegerichte vornehmen können,122 sind Beurteilungsspielräume, die im Rahmen des Primärrechtsschutzes nur einer eingeschränkten richterlichen Überprüfung zugänglich sind, auch im Wege des Sekundärrechtsschutzes nur eingeschränkt justiziabel. 1. Bindungswirkung der Entscheidungen im Primärrechtsschutz
Soweit die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes rechtskräftig durch ein Gericht festgestellt worden ist, ist das mit dem Amtshaftungsanspruch befasste Gericht hieran gebunden.123 Besondere Bedeutung kommt in diesen Fällen der Fortsetzungsfeststellungsklage zu.124 Diese Bindungswirkung besteht indes nur für das Ergebnis (etwa die Rechtswidrigkeit der Freigabe bzw. der Untersagung), nicht hingegen für die dem Ergebnis zugrunde liegende Begründung.125 Die übrigen Tatbestandsmerkmale des Amtshaftungsanspruches, namentlich das Verschulden und der kausale Schaden, obliegen daher der originären Überprüfung durch das Amtshaftungsgericht.126 120 VO v. 30.8.2011, GVBl. NRW, 469; zu den Vorgängerregelungen Dicks, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 92 Rn. 2. 121 Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 262; s. auch m. w. Nwn. Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 24 ff. 122 Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 417; Rinne, in: FS Boujong, 1996, S. 633 (634); ders., in: FS Odersky, 1996, S. 481. 123 BGHZ 118, 263 (268); Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 383; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 420; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 122 f.; Schlick, DVBl. 2010, 1484. 124 Tremml/Karger/Luber, Amtshaftungsprozess, 4. Aufl. 2013, Rn. 471 ff. 125 BGHZ 139, 200 (202); BGH NJW 2005, 748. 126 BGHZ 136, 182 (Rn. 9 – juris; insoweit in BGHZ nicht abgedruckt); BGH NJW 1966, 1356; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 422; Zimmer-
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2. Reichweite der gerichtlichen Kontrolle im Amtshaftungsprozess
Soweit eine derartige Entscheidung nicht vorliegt, obliegt dem Amtshaftungsgericht die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes.127 Dies gilt auch im Falle der Bestandskraft.128 Bei dieser Prüfung ist das Amtshaftungsgericht an die Feststellungen des Bundeskartellamts nicht gebunden. Zwar folgt aus § 33 Abs. 4 GWB, dass das Gericht insoweit an die Feststellung des Verstoßes gegen eine Vorschrift des GWB oder Art. 101 oder 102 AEUV gebunden ist, wie sie in einer bestandskräftigen Entscheidung der Kartellbehörde, der Kommission oder der Wettbewerbsbehörde oder des als solche handelnden Gerichts in einem andern Mitgliedstaat der Europäischen Union getroffen wurde. Diese Tatbestandswirkung gilt jedoch ausweislich des Wortlautes und der systematischen Stellung der Norm nur für den Fall des zivilrechtlichen Schadensersatzes.129 Ob dagegen eine Tatbestandswirkung aus Art. 16 VO 1/2003 anzunehmen ist, kann hier wegen des In-Rede-Stehens des deutschen Kartellrechts offen bleiben.130 Parallel zu der Diskussion im Rahmen des europäischen Kartellrechts131 kann zudem die Frage aufgeworfen werden, ob von Beurteilungsspielräumen des Bundeskartellamts auszugehen ist, die einer richterlichen Überprüfung nur eingeschränkt zugänglich sind. Das GWB stellt sich als „Fundgrube für den Liebhaber in hohem Maße unbestimmter Rechtsbegriffe“132 dar, Beurteilungsspielräume können sich darüber hinaus etwa aus den namentlich bei der Fusionskontrolle anzustellen Prognoseentscheidungen ergeben, aus der Komplexität der Fragen rechtlicher, ökonomischer und tatsächlicher Art bei der materiellen Beurteilung sowie schließlich aus dem Umstand, dass die Entscheidungen durch die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts als Kollegialorgane ergehen.133 Nach allgemeiner Aufling, in: juris-PK BGB Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 839 Rn. 260. Exemplarisch für eine derartige Überprüfung LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3853 ff.). 127 Allg. s. BGHZ 2, 209 (214); 9, 129 (131 ff.); 113, 17 (18 f.) m. w. Nwn. Freilich ist in diesen Fallgestaltungen an § 839 Abs. 3 BGB zu denken, s. dazu § 12 A. II. 128 BGHZ 113, 17 (19 f.). 129 Statt vieler Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 53 Rn. 133. Krit. zur Bezeichnung „Tatbestandswirkung“ Meeßen, Schadensersatz, 2011, S. 133. 130 Hierzu Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 53 Rn. 134 m. w. Nwn. 131 Eingehend dazu § 5 B. III. 1. 132 Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997, S. 135. 133 Zur maßgebenden normativen Ermächtigungslehre schon im zweiten Teil in Fn. 327.
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fassung enthält das GWB jedoch keine Beurteilungsspielräume.134 Die vollständige richterliche Überprüfung wird auch durch § 71 Abs. 5 S. 1 GWB unterstrichen.135 Mit der Erstreckung der richterlichen Überprüfung auf die Zweckmäßigkeit geht diese Vorschrift auch über die §§ 40 VwVfG, 114 S. 1 VwGO hinaus, die im Übrigen auch jünger als das GWB sind.136 Grenzen ergeben sich insoweit aus der „Kontrollsperre“137 des § 71 Abs. 5 S. 2 GWB, die auf die Ministererlaubnis des § 42 GWB abstellt.138 3. Zwischenergebnis
Soweit eine gerichtliche Entscheidung im Primärrechtsschutz nicht vorliegt, unterliegt die Frage der Amtspflichtwidrigkeit der vollständigen Kontrolle durch das Amtshaftungsgericht.139
B. Drittbezogenheit gegenüber Adressaten behördlicher Verfügungen Im Zusammenhang mit der Versicherungsaufsicht hat der Bundesgerichtshof im Jahre 1972 entschieden, dass „die staatliche Aufsicht über private Wirtschaftseinheiten [. . .] grundsätzlich nur dem allgemeinen staatlichen 134 BGHZ 49, 367 (369); im Übrigen allg. Meinung, s. nur Bornkamm, ZWeR 2010, 34 (36); Nothdurft, in: FS Hirsch, 2008, S. 285 (286 f.); Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 54 Rn. 105; K. Schmidt, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 71 Rn. 37; Rittner, in: FS Kaufmann, 1974, S. 307, jeweils m. w. Nwn. Zur insb. in der früheren Lit. abw. A. vgl. die Nw. bei Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 245 m. Nwn. in Fn. 10 f. Teilw. a. A. auch ders., a. a. O., S. 254 ff. 135 Bornkamm, ZWeR 2010, 34 (36); ähnl. Nothdurft, in: FS Hirsch, 2008, S. 285 (286), der insoweit mithilfe eines Erst-Recht-Schlusses § 71 Abs. 5 S. 1 GWB auch für den Beurteilungsspielraum eine umfassende richterliche Kontrolle entnimmt. Zum Kompromisscharakter dieser Norm nur Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S. 340; ebenfalls in den historischen Kontext stellend Döhler, Steuerung, 2007, S. 132. 136 Kühnen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 71 Rn. 50. A. A. Schwippert, Ermessen der Kartellbehörden, 1974, S. 174, 187; Bettermann, in: FS Bötticher, 1969, S. 13 (18 f.). Krit. auch Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997, S. 187, der wegen der Einheit des Rechts für eine Gleichbehandlung aller verwaltungsgerichtlichen Kontrollmechanismen streitet. 137 So die Bezeichnung bei Tettinger, Rechtsanwendung und gerichtliche Kontrolle im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1980, S. 342. 138 Kühnen, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, § 71 Rn. 52. 139 Zu Einschränkungen i. R. der Ermittlungsverfahrens sogleich § 9 B. II.
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oder öffentlichen Interesse [dient]“ und damit „regelmäßig keine Amtspflichten gegenüber bestimmten Personen“ begründet.140 Da es sich bei der Kartellaufsicht um einen Unterfall der Wirtschaftsaufsicht141 handelt, ist eine Übertragung dieses Grundsatzes auf die Tätigkeit des Bundeskartellamts zu erwägen. Die folgende Darstellung nimmt eine Systematisierung anhand der verschiedenen Säulen der Kartellaufsicht vor, um die Bedeutung des vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsatzes für die Kartellaufsicht herauszuarbeiten. Hierbei wird sich parallel zur Herangehensweise im Rahmen der Erörterung der unionsrechtlichen Haftung an den Beispielsfällen des ersten Teils orientiert. Die Drittbezogenheit wird jeweils für die Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln untersucht; zunächst für das Kartell- und Missbrauchsverfahren abschließenden Verfügungen (I.), um sodann etwaige Einschränkungen im Rahmen der Ermittlungsverfahren herauszuarbeiten (II.). Hieran schließen sich Ausführungen zu Freigabe- und Untersagungsverfügungen in der Zusammenschlusskontrolle an (III.). I. Abschlussverfügungen im Rahmen von Kartellund Missbrauchsverfahren Hinsichtlich der Adressaten kartellverwaltungsrechtlicher Abschlussverfügungen ist eine Drittbezogenheit der Amtspflicht, rechtmäßige Entscheidungen zu erlassen, nach den allgemeinen Regeln zu bejahen. So besteht zwischen ihnen und der Behörde ein besonderes Näheverhältnis, das zur Annahme eines derartigen Drittbezuges führt. Überdies sind sie gemäß §§ 63 Abs. 2, 54 Abs. 2 GWB beschwerdebefugt. Die Zuordnung einer 140 BGHZ 58, 96 (98); vgl. auch schon BGHZ 35, 44 (49), wonach die Befugnisse der allgemeinen Staatsaufsicht „zunächst nur Betätigungen im allgemeinen staatlichen Interesse“ sind. Drittbezogene Amtspflichten hat der BGH a. a. O. jedoch demjenigen gegenüber angenommen, der sich mit einer Beschwerde, mit Anträgen, Gesuchen o. ä. an die Behörde gewandt hat, da insoweit eine Sonderverbindung besteht (49 ff.). Dazu auch Wurm, in: Staudinger BGB, 2007, § 839 Rn. 184. Im Übrigen ist dieses Zitat zu allg. gefasst: So steht etwa in Bezug auf die der Aufsicht unterworfenen Wirtschaftstreibenden die Existenz drittbezogener Amtspflichten außer Frage, s. dazu nur Viegener, Drittschutz staat-, wirtschafts- und gemeinschaftsaufsichtsrechtlicher Bestimmungen, 2007, S. 140 ff.; Pieper, Aufsicht, 2006, S. 454. Dies sah auch der Gesetzgeber bei der Formulierung des § 4 Abs. 2 WpHG a. F., wenn der Finanzausschuss des Deutschen Bundestages in BT-Drs. 12/7918, S. 100 ausführt, dass „die Pflicht zu rechtmäßigem Verhalten in bezug auf die von Aufsichtmaßnahmen unmittelbar betroffenen Personen und Unternehmen [unberührt bleibt]. Soweit ihnen gegenüber schuldhaft Amtspflichten verletzt werden, gelten die allgemeinen Grundsätze.“ 141 s. hierzu bereits in § 3 A. III.
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Rechtsgrundlage zum Wirtschaftsaufsichtsrecht steht somit einer diesbezüglichen Drittbezogenheit nicht entgegen.142 Fraglich ist, ob sich parallel zu der auf europäischer Ebene behandelten Situation ebenso für das deutsche Recht die Frage stellt, ob hinsichtlich der Verletzung drittbezogener Amtspflichten auf das Kartell- bzw. Missbrauchsverbot zurückgegriffen werden kann, oder ob vielmehr die Überschreitung der die Verbote konkretisierenden Befugnisnormen den Rechtswidrigkeitsmaßstab der Amtspflichtverletzung markieren. Die Frage ist im letzteren Sinne zu beantworten, denn auch die §§ 1, 19, 20, 21 GWB stellen unmittelbar wirkende Verbotsnormen dar, die sich an die Unternehmen als Normadressaten richten.143 Entscheidend ist daher der Verstoß gegen die Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln, der zur rechtmäßigen Ausübung von Befugnisnormen verpflichtet.144 II. Einschränkungen im Ermittlungsverfahren Auch im Rahmen eines kartellverwaltungsrechtlichen Ermittlungsverfahrens sind Situationen vorstellbar, die die Frage nach staatshaftungsrechtlichen Ansprüchen aufwerfen. Hierauf wurde schon hingewiesen. Die Existenz von Amtspflichten, die gegenüber den am Verfahren Beteiligten als Dritten bestehen, lässt sich auch in diesen Fällen aus dem besonderen Näheverhältnis zwischen ihnen und der Kartellbehörde herleiten. Ferner sind etwa die Adressaten von Auskunftsbeschlüssen im Sinne des § 59 GWB auch beschwerdebefugt. Dass der Zweck kartellverwaltungsrechtlicher Ermittlungen durch das Bundeskartellamt insoweit in der Aufdeckung und Verfolgung von Wettbewerbsverstößen liegt145 und daher grundsätzlich dem 142
Für das Wirtschaftsaufsichtsrecht allg. auch Pieper, Aufsicht, 2006, S. 454; für die Bankenaufsicht Lenz, NVwZ 2010, 29 (30 f.). Für den Primärrechtsschutz im Kartellrecht nur Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 43: „Die Ermittlung eines subjektiven öffentlichen Rechts, in dem der Adressat einer belastenden kartellbehördlichen Verfügung verletzt sein kann, wirft keine Probleme auf.“ 143 Vgl. zu dieser Feststellung i. R. der Frage, ob das GWB private und öffentliche subjektive Rechte vermittelt, auch K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 319: „[S]ubjektive öffentliche Rechte [können] nur auf Normen gestützt werden [. . .], die die Behörde zur Durchsetzung des „Kartellverbots“ verpflichten.“ Ähnl. auch E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 187, wonach „[d]as Einschreiten einer Behörde zum Schutz bestimmter Normen [. . .] nur solche Interessen dienen [kann], die durch die materiellen Normen geschützt werden.“ Das Einschreiten wird also von den zu schützenden Normen unterschieden. A. A. (allerdings mit Blick auf den primären Rechtsschutz) wohl Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 184. 144 Vgl. Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 126. 145 Vgl. etwa AG Bonn WuW/E DE-R 3499 (3501).
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öffentlichen Interesse zuzurechnen ist, vermag dieses Ergebnis nicht in Frage zu stellen.146 Problematisch stellt sich indes die vorgelagerte Frage nach der Verletzung dieser Amtspflicht dar.147 Nach dem zutreffenden Verständnis der h. M. existiert eine Amtspflicht zum rechtmäßigen Verhalten, so dass jedes rechtswidrige Verhalten zugleich amtspflichtwidrig ist. Zwar führt die Tatsache, dass die Eröffnung eines kartellverwaltungsrechtlichen Verfahrens dem Opportunitätsprinzip unterliegt und daher im Ermessen des Bundeskartellamts steht, nicht als solche zur Modifikation des anzulegenden Rechtswidrigkeitsmaßstabs.148 Jedoch legt die Rechtsprechung in Bezug auf die Überprüfung des behördlichen Ermittlungskonzepts nur eine Vertretbarkeitskontrolle an, da die Kartellbehörden „zu Beginn oder während der Ermittlungen in aller Regel nicht wissen, welchen Verlauf die Ermittlungen nehmen und welches Ergebnis sie haben werden.“149 Sie müssen ein schlüssiges Konzept verfolgen, was im Ermittlungsverfahren naturgemäß vorläufig ist und daher noch nicht bis ins Letzte ausgefeilt sein muss.150 Entscheidend ist jedoch, ob dieses Konzept vertretbar ist.151 Aus diesem Verständnis folgt, dass etwa die Befugnis des Bundeskartellamts in § 59 GWB zur Erlangung von Auskünften ihre Grenzen nur im Ermittlungsziel sowie in der Erforderlichkeit findet.152
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s. dazu schon bereits § 9 A. II. 1. Zu den Grundsätzen der richterlichen Überprüfung in der Kartellaufsicht § 9 A. IV. 148 Zur insoweit noch abweichenden älteren Rspr., wonach das Vorliegen von Willkür und/oder Fehlerevidenz erforderlich war, vgl. die Nw. in Fn. 14. Wie hier die ganz h. M., dazu statt aller Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 198. Zum Ermessensspielraum des BKartA nur KG WuW/E OLG 3721 (3722; „notwendigerweise weit gespannt“); OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 545 (546, allg. zum Opportunitätsprinzip); 677 (678); Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 52 Rn. 18. Zur Amtshaftung bei polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen vgl. Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 BGB Rn. 189 ff. 149 OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 3799 (3801); s. auch schon OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 677, (678, 680); WuW/E DE-R 1861 (1862); Beschl. v. 20.5.2010, VI-2 Kart 9/09 (V) (Rn. 12 – juris); Barth, in: MüKo GWB, 2008, § 59 Rn. 6 ff. 150 Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 52 Rn. 18. Die Verortung dieses schlüssigen Ermittlungskonzepts ist str., teilw. wird es der Erforderlichkeit, teilw. der Geeignetheit zugerechnet; dazu ders., a. a. O., § 52 Rn. 18 mit Fn. 55. 151 Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 52 Rn. 16, 18. 152 OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 677 (678); Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 52 Rn. 16, mit Hinweis darauf, dass sie daher nur im Falle des Fehlens jeglicher Plausibilität rechtswidrig sind. Umfassend auch S. Rohlfing, Untersuchungsverfahren und Verteidigungsrechte, 1989, S. 28 ff. 147
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Ähnlichkeiten bestehen zur Bewertung der Amtspflichtverletzungen im Rahmen staatsanwaltlicher Ermittlungsverfahren.153 In diesem Zusammenhang wird auf die „Anonymität der Massengesellschaft“ hingewiesen, in der grundsätzlich jeder „in den Verdachtskreis staatsanwaltlicher Ermittlungen“154 geraten kann. Daher unterliegt nach der Rechtsprechung des Bundegerichtshofs die Bejahung des Anfangsverdachts keiner Richtigkeitskontrolle, sondern lediglich einer Vertretbarkeitsüberprüfung.155 Die Vertretbarkeit darf nur dann verneint werden, wenn bei vollständiger Würdigung auch der Belange einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege die betreffende Entscheidung nicht mehr verständlich ist.156 Der Staatsanwaltschaft wird daher ein Beurteilungsspielraum eingeräumt.157 Zur Begründung stellt der Bundesgerichtshof darauf ab, dass die Anwendung des § 152 Abs. 2 StPO „im Einzelfall die Abwägung aller für die Entscheidung wesentlichen beund entlastenden Umstände in Gestalt einer Gesamtschau [erfordert]. Deren Ergebnis hängt maßgeblich davon ab, welche Umstände der [Staatsanwalt] für wesentlich hält und welches Gewicht er den in die Abwägung einfließenden Sachverhaltselementen in ihrem Verhältnis zueinander beimißt. Diese die Gesamtschau prägenden Akzentuierungen ergeben sich nicht allein aus der Natur der Sache, sondern beruhen regelmäßig auch auf subjektiven, nicht näher verifizierbaren Wertungen des Abwägenden, wobei verschiedene Betrachter, ohne pflichtwidrig zu handeln, durchaus zu unterschiedlichen Lösungen gelangen können.“158 Zwar ist aufgrund der Besonderheiten dieser Rechtsprechung, die sich auf die „Eigenart strafprozessualer Maßnahmen“ zurückführen lässt, eine Übertragung auf andere Rechtsgebiete nur eingeschränkt angezeigt.159 Der Bundesgerichtshof wendet die vorstehenden Grundsätze allerdings auch bei der Überprüfung von Maßnahmen im Bußgeldverfahren nach dem OWiG an.160 Mithin unterlie153
Insoweit handelt das BKartA „quasi staatsanwaltlich[. . .]“, s. Stockmann, ZWeR 2008, 137 (144) mit Fn. 30 sowie § 46 Abs. 2 OWiG. Zur Staatshaftung bei Staatsanwaltschaften ausf. Krieger, Staatshaftung für Staatsanwaltschaften, 2000, passim. 154 Steffen, DRiZ 1972, 153 (154). 155 BGH NJW 1970, 1543 (1544); 1989, 96 (97); 2000, 2672 (2673); OLG Schleswig-Holstein, Urt. v. 14.8.2012, 11 U 128/10 (Rn. 29 – juris); Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 193; Fluck, NJW 2001, 202; Krieger, Staatshaftung für Staatsanwaltschaften, 2000, S. 102 ff.; Rinne, in: FS Odersky, 1996, S. 481; Blomeyer, JZ 1970, 715. Zur Berücksichtigung der Vertretbarkeit eines Ergebnisses i. R. des Verschuldens s. auch BGH NJW 1993, 530; 2003, 3693; sowie § 10 A. II. 2. 156 s. etwa BGH NJW 1989, 96 (97). 157 Dazu die Nachw. in Fn. 155. Krit. etwa Kröpil, Jura 2012, 833. 158 BGH NJW 1989, 96 (97). 159 Rinne, in: FS Odersky, 1996, S. 481 (484). 160 BGH NJW 1994, 3162; Vahle, DVP 1995, 349.
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gen die Verfügungen im Ermittlungsverfahren einer Vertretbarkeitskontrolle, so dass in diesen Fällen eine Amtspflichtverletzung nur bei unvertretbaren Entscheidungen vorliegt. III. Freigabe- und Untersagungsverfügungen in der Fusionskontrolle Die Fusionskontrolle ist als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet. Daher obliegt dem Bundeskartellamt die Prüfung der materiellen Eingreifkriterien des § 36 Abs. 1 GWB gerade den anmeldenden Unternehmen (s. § 39 Abs. 2 GWB) gegenüber.161 Hinsichtlich der rechtswidrigen Untersagung kann auf die durch §§ 63 Abs. 2, 54 Abs. 2 Nr. 1 und 4 GWB vermittelte Beschwerdebefugnis verwiesen werden. Bei der rechtswidrigen Freigabe des Zusammenschlusses ist für die Bestimmung der Reichweite der Drittbezogenheit dagegen der Vertrauensschutz des Anmelders zu eruieren.162 Insoweit steht nicht die Drittbezogenheit der im Rahmen der rechtswidrigen Freigabe verletzten Norm – d. h. regelmäßig § 36 Abs. 1 GWB – in Rede, zu prüfen ist ausschließlich, ob das Vertrauen des Geschädigten schutzwürdig ist. Daher kann ebenfalls auf die allgemeinen Regeln zur Bestimmung der Drittbezogenheit zurückgegriffen werden. Dass es sich bei dem Fusionskontrollverfahren nicht um ein Antragsverfahren im engeren Sinne handelt,163 ist dabei unschädlich. Somit kommt sowohl in Bezug auf die rechtswidrige Untersagung eines Zusammenschlussvorhabens als auch in Bezug auf dessen rechtswidrige Freigabe die Verletzung drittbezogener Amtspflichten gegenüber den anmeldenden Unternehmen in Betracht.
161 LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3853); wie hier auch Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (128). Zur Drittbezogenheit derartiger Vorschriften schon § 9 A. II 2. d); zur grds. Zulässigkeit von Zusammenschlüssen s. die RegBegr. zur 5. GWB-Novelle, BT-Drs. 11/4610. S. 16. 162 § 9 A. II 2. d). 163 s. Mestmäcker/Veelken, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 40 Rn. 5: Die Fusionskontrolle wird vom BKartA von Amts wegen eingeleitet, § 54 Abs. 1 GWB. Die Anmeldung dient in diesem Zusammenhang nur der Vermittlung der Möglichkeit der Kenntnisnahme durch das BKartA. So auch Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 53 Rn. 39; K. Schmidt, in: Immenga/ Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 54 Rn. 3. Anders wohl BGH WuW/E DE-R 2905 (2908); Bechtold, GWB, 7. Aufl. 2013, § 54 Rn. 2.
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C. Drittbezogenheit gegenüber Verfahrensbeteiligten Nicht alle kartellverwaltungsrechtlichen Verfahren enden mit einer Verfügung, die in einem späteren Beschwerdeverfahren angegriffen werden kann. Zudem sind an derartigen Verfahren neben den eigentlichen Adressaten eine Vielzahl von Personen beteiligt. Hierzu zählen die Beigeladenen. In diesen Fällen lässt sich die Drittbezogenheit gegenüber Personen, die an einem kartellverwaltungsrechtlichen Verfahren beteiligt sind, mit Verweis auf die Verfahrensbeteiligung bejahen.164 Diese wird in § 54 Abs. 2 GWB geregelt. Danach sind am Verfahren beteiligt, (i) wer die Einleitung eines Verfahrens beantragt hat; (ii) Kartelle, Unternehmen, Wirtschafts- oder Berufsvereinigungen, gegen die sich das Verfahren richtet; (iii) Personen und Personenvereinigungen, deren Interessen durch die Entscheidung erheblich berührt werden und die die Kartellbehörde auf ihren Antrag zu dem Verfahren beigeladen hat; Interessen der Verbraucherzentralen und anderer Verbraucherverbände, die mit öffentlichen Mitteln gefördert werden, werden auch dann erheblich berührt, wenn sich die Entscheidung auf eine Vielzahl von Verbrauchern auswirkt und dadurch die Interessen der Verbraucher insgesamt erheblich berührt werden sowie (iv) in den Fällen des § 37 Abs. 1 Nr. 1 oder 3 auch der Veräußerer. Mithin lassen sich geborene (ipso iure am Verfahren beteiligt, § 54 Abs. 2 Nrn. 1–2 GWB) und gekorene Beteiligte (§ 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB) unterscheiden.165 Von den genannten Personengruppen ist der Beigeladene als gekorener Beteiligter näher zu betrachten. Die Beiladung setzt gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB zum einen voraus, dass die Interessen durch die Entscheidung der Kartellbehörden erheblich berührt werden, und zum anderen, dass er einen Antrag auf Beiladung gestellt haben.166 Der Begriff des Interesses ist hier in einem weiten Sinn zu verstehen; nach h. M. zählt hierzu auch das wirtschaftliche Interesse.167 Der Beigeladene ist mit eigenen Verfahrensrechten (s. etwa § 56 GWB) ausgestattet. Gemäß § 63 Abs. 2 und 3 GWB ist er auch beschwerdebefugt und kann daher gegen eine Verfügung bzw. 164 BGHZ 35, 44 (49) hat ausgeführt, dass die Befugnisse in der Staatsaufsicht „zunächst nur Bestätigungen im allgemeinen staatlichen Interesse“ darstellen, dann jedoch drittbezogene Amtspflichten demgegenüber angenommen, der sich mit einer Beschwerde, mit Anträgen, Gesuchen o. ä. an die Behörde gewandt hat, da insoweit eine Sonderverbindung besteht (49 ff.). 165 K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 54 Rn. 21. 166 Zu den Voraussetzungen der Beiladung im Einzelnen etwa Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 53 Rn. 71. Zur Unzulässigkeit eines erst nach Abschluss des Verfahren gestellten Antrags BGH WuW/E DE-R 2725 (2726). 167 Vgl. nur K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 54 Rn. 38, der sich jedoch für das Abstellen auf ein „rechtserhebliches Interesse“ i. S. eines Bezuges zum Verfahrensergebnis ausspricht.
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eine unterlassene Verfügung der Kartellbehörden vorgehen.168 Wegen des grundsätzlichen Gleichlaufs des Primär- und des Sekundärrechtsschutzes169 lassen sich drittbezogene Amtspflichten für diesen Personenkreis daher auch mit diesem Begründungsansatz bejahen.170 Ob demjenigen, der zwar in Ermangelung eines Beiladungsantrags nicht an dem Verfahren beteiligt ist, jedoch wegen einer erheblichen Interessenberührung auch als – dann notwendiger – Beigeladener anzusehen ist, ebenfalls drittbezogene Amtspflichten gegenüber bestehen, muss aufgrund fehlender Verfahrensbeteiligung an dieser Stelle171 nicht weiterverfolgt werden.
D. Drittbezogenheit gegenüber sonstigen Dritten In Ermangelung einer Verfahrensbeteiligung oder einer Adressatenstellung ist die Annahme drittbezogener Amtspflichten sonstigen Dritten gegenüber zweifelhaft: In Rede steht in diesen Fällen die Haftung wegen unterlassenen Einschreitens bzw. die Haftung wegen der Erteilung einer fehlerhaften Genehmigung. Vor dem Hintergrund des Umstands, dass in diesen Fällen der unmittelbare Schädiger stets ein Privatrechtssubjekt und nicht der Staat ist, stellt sich die Frage nach einem entsprechenden Bedürfnis an der Einbeziehung in den Schutzbereich der Amtspflichten. Dieser wird nun nachgegangen. Hierfür soll unter (I.) die Situation der Kartell- und Missbrauchsaufsicht nachgezeichnet werden, während unter (II.) die Situation der Fusionskontrolle in den Blick genommen werden soll.
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Der Primärrechtsschutz geht daher über die in § 42 Abs. 2 VwGO normierte Regelung hinaus, vgl. dazu BVerfG-K WuW/E DE-R 2667 (2670); BGH WuW/E DE-R 1163 (1164f.); WuW/E DE-R 1857 (1859); Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 54 Rn. 20; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 63 Rn. 20 ff. 169 Vgl. dazu bereits in § 3 B. I. 1., zur Bedeutung des Primärrechtsschutzes zur Feststellung einer drittbezogenen Amtspflicht o. § 9 A. II. 2. c). 170 Die bereits behandelte Drittbezogenheit gegenüber Adressaten kartellverwaltungsrechtlicher Verfügungen (§ 9 B.) ließe sich zwar auch mit Blick auf die Beschwerdebefugnis i. R. der Anfechtungsbeschwerde bejahen. Dieser Personenkreis ist jedoch als Adressat ohne Weiteres „Dritter“ i. S. der Amtshaftung, so dass es hier auf die Anfechtungsbeschwerde, § 63 Abs. 1, 2 GWB, nicht ankommt. 171 Hierzu noch § 9 D. II.
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I. Drittbezogene Amtspflichten im Bereich der Kartell- und Missbrauchsaufsicht Die Frage nach der Existenz drittbezogener Normen in der Kartellaufsicht kann nicht allgemein mit dem Zweck beantwortet werden, den das GWB als solchen verfolgt.172 Hierauf wurde schon wiederholt hingewiesen. Die ebenfalls schon erwähnte Entscheidung des Bundesgerichtshofs,173 wonach die Wirtschaftsaufsicht grundsätzlich nur dem allgemeinen Interesse dient und regelmäßig keine Amtspflichten gegenüber bestimmten Personen begründet, ist daher zu pauschal und wird über die Versicherungsaufsicht hinausgehend auch für andere Bereiche der Wirtschaftsaufsicht in Frage gestellt.174 Entscheidend ist vielmehr, ob die verletzte Amtspflicht gerade den Dritten schützen will. Dies muss für jede Amtspflicht gesondert festgestellt werden.175 Da es sich sowohl bei dem Kartell- als auch bei dem Missbrauchsverbot um unmittelbar wirkende Verbote handelt, ist die Frage der Drittbezogenheit für die diese Verbote konkretisierenden Aufsichtsbefugnisse zu stellen.176 Hier soll insbesondere § 32 GWB in den Blick genommen werden, wonach das Bundeskartellamt Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen zur Abstellung von kartellrechtswidrigen Verhaltensweisen verpflichten kann.177 Vorstellbar ist etwa, dass die Behörde es entweder unterlässt, zugunsten einer dritten Person einzuschreiten, oder aber ein eröffnetes Verwaltungsverfahren wieder einstellt.178 In diesen Fällen würde 172
Zu den Schutzrichtungen des GWB bereits eingangs in § 3 A. II. 1. BGHZ 58, 96 (98); s. auch BGHZ 35, 44 (49); 135, 354 (358); BGH VersR 1960, 979; Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 61 ff.; Böhme, Staatshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht, 2009, S. 31 ff. 174 s. auch schon E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 191, der aus der Nichtexistenz einer allgemeinen Wirtschaftsaufsichtsbehörde folgert, dass man „in jedem einzelnen Fall sorgfältig prüfen müssen, ob der tätiggewordenen Aufsichtsbehörde gerade gegenüber demjenigen, der Schadensersatzansprüche geltend macht, eine Amtspflicht oblag.“ 175 Für die Wirtschaftsaufsicht auch B. Rohlfing, WM 2005, 311 (313) sowie bereits § 9 A. II. 2. 176 s. auch E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 186 f., der die Diff. zwischen der Aufsichtsbefugnis i. S. eines „formelle[n] Wirtschaftsaufsichtsrecht[s]“ und dem „materiellen Recht, um dessen Schutz es bei der Berichtigung geht“, hervorhebt. Ähnl. auch schon o. in Fn. 143. 177 § 32 GWB stellt eine mit besonderen Sanktionen ausgestaltete Abmahnbefugnis dar, die nur der verbindlichen Konkretisierung eines bereits vorhandenen Verbotstatbestandes dient, s. K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 54 Rn. 8. 178 Die Einstellung des Verfahrens nach § 61 Abs. 2 GWB ist nicht angreifbar, s. Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 54 Rn. 8. 173
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die begehrte kartellbehördliche Verfügung neben ein ipso iure wirkendes Verbot treten.179 Die folgende Untersuchung wird sich zunächst an der Rechtsprechung zu einzelnen Bereichen der Wirtschaftsaufsicht orientieren (1.). Sodann wird ein Vergleich mit dem Primärrechtsschutz vorgenommen (2.), um auf die in der Rechtsprechung aufgestellte Subsidiaritätsthese zur Verneinung der Drittbezogenheit näher einzugehen (3.). Hieran wird sich eine Diskussion der Frage anschließen, ob die zu § 823 Abs. 2 BGB und § 33 Abs. 3 GWB entwickelten Grundsätze in das öffentliche Recht übertragen werden können (4.). Abschließend wird sich der Bedeutung von Grundrechten Dritter innerhalb der Kartellaufsicht zugewandt (5.). 1. Bedeutung der Rechtsprechung zur Staatshaftung in einzelnen Bereichen der Wirtschaftsaufsicht
Nach früherer Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs werden Aufsichtsbefugnisse im Rahmen der Banken- und Versicherungsaufsicht nur im öffentlichen Interesse ausgeübt, so dass drittbezogene Amtspflichten grundsätzlich180 nicht anerkannt wurden.181 Als Grund hierfür wurde insbesondere die fehlende Individualisierbarkeit der Belange der Geschädigten angeführt.182 Ferner wurde die Gefahr betont, dass durch die Anerkennung von drittschützenden Amtspflichten der Staat zum „allgemeinen Ausfallbürgen“ werde und es zur Vergemeinschaftung individueller Risiken käme.183 Schließlich wurde darauf verwiesen, dass nur öffentliche Belange von den aufsichtsrechtlichen Vorschriften erfasst seien und sich daher der Schutz auch nur auf diese Belange beschränke.184 179
Zum insoweit zu beobachtenden Rückzug des Verwaltungsrechts K. Schmidt, ZWeR 2007, 394 (410 ff.). Hiervon sind diejenigen Fallgestaltungen zu unterscheiden, in denen Verbote erst „kraft Verfahrens“ angeordnet werden müssen. Zu den sich aus den früheren Fassungen des GWB stellenden Problemen eingehend ders., Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 616 ff. 180 Zum Ausnahmefall des Bestehens eines besonderen Verhältnisses kraft Stellung eines Antrags oder infolge eines Ersuchens BGHZ 35, 44 (50). 181 Vgl die Aufzählung o. in Fn. 173. 182 s. BGHZ 58, 96 (99), wonach die moderne Versicherung den „Charakter eines Massengeschäfts“ angenommen hat, das sich „weitgehend einer individualistischen Betrachtung entzieht“ und nur das Interesse der „Gesamtheit der Versicherten“ in den Blick nimmt; zusammenfassend Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 61. Zur sog. Repräsentationstheorie, wonach die Allgemeinheit durch den Einzelnen repräsentiert werde, Scholz, NJW 1972, 1217 (1218 f.); ders., Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 152 ff. 183 Papier, JuS 1980, 265 (269), m. w. Nwn. aus der Rspr. Zur vergleichbaren Situation im Unionsrecht schon § 5 B. III. 2. a). 184 Für die Versicherungsaufsicht BGHZ 58, 96 (100).
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Einen – vorläufigen – Rechtsprechungswandel läutete der Bundesgerichtshof im Jahre 1979 mit den Entscheidungen in den Sachen Wetterstein und Herstatt ein, indem er die Existenz drittbezogener Amtspflichten in der Bankenaufsicht ausdrücklich anerkannte.185 In beiden Verfahren ging es um Schadensersatzansprüche von Bankkunden wegen erlittener Einlageverluste: Während in der Entscheidung Wetterstein Wertbriefe ohne das Vorliegen einer entsprechenden bankengeschäftlichen Genehmigung durch eine Münchener Gesellschaft emittiert worden sind, stand in der Herstatt-Entscheidung die Insolvenz des gleichnamigen Kölner Bankhauses im Mittelpunkt. Dem Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen wurde von den Geschädigten in beiden Fällen unterlassenes bzw. verspätetes Einschreiten vorgeworfen. Der Bundesgerichtshof hob die klageabweisenden Entscheidungen der Berufungsgerichte jeweils auf und verwies die Sachen zurück. Die Existenz drittbezogener Amtspflichten stützte er hierbei insbesondere auf die Charakterisierung des Bankenaufsichtsrechts als Gewerberecht und damit als besonderer Form des Gefahrenabwehrrechts.186 Insoweit führte er aus, „daß die Aufsicht in einzelnen Bereichen der Wirtschaft neben der Wahrung allgemeiner Belange teilweise auch drittschützende Wirkung haben soll, vor allem dann, wenn sie dazu bestimmt ist, Gefahren abzuwehren, die den Gläubigern aufsichtsunterworfener einzelner Gewerbetreibender durch deren unlauteres Geschäftsgebaren drohen.“187 Durch diese Anknüpfung konnte er auf die Grundsätze zum Gefahrenabwehrrecht zurückgreifen und diese auf die Bankenaufsicht übertragen. Da die Befugnisnormen des Polizei- und Ordnungsrechts auch im Interesse des Schutzes der einzelnen Bürger bestehen,188 erkannte der Bundesgerichtshof im Ergebnis die Existenz drittbezogener Normen in der Bankenaufsicht an. Daneben stellte der Bundesgerichtshof auf die Entstehungsgeschichte einzelner Vorschriften des KWG ab und hob insoweit die Betonung der Gläubigerbelange in diesen Vorschriften hervor.189 185 BGHZ 74, 144 – Wetterstein; 75, 120 – Herstatt. Diese Rspr. führte der BGH für die Bankenaufsicht fort [BGHZ 90, 310 (313)]; während das BVerwG für den Bereich der Versicherungsaufsicht die Existenz drittbezogener Amtspflichten gegenüber den Kunden weiterhin verneinte [BVerwGE 61, 59 (64 f.)]. Nach Wurm (in: Staudinger BGB, 2007, § 839 Rn. 181) ist die die Existenz drittschützender Amtspflichten in der Wirtschaftsaufsicht grds. verneinende Entscheidung BGHZ 58, 96 „unverändert aktuell“. 186 BGHZ 74, 144 (152 f.); 75, 120 (123, 128 ff.); Rittner, VersR 1982, 205. 187 BGHZ 74, 144 (146). 188 BGHZ 74, 144 (152 f. m. w. Nwn.); 75, 120 (129). Zur Schutznormeigenschaft der polizei- und ordnungsrechtlichen Befugnisnormen nur Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 236 m. w. Nwn. in Fn. 779; aus der älteren Lit. Bachof, DVBl. 1961, 128 (130). 189 BGHZ 74, 144 (148 ff.). Vgl. zu den Entscheidungen aus jüngerer Zeit etwa Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 62 ff.; Böhme, Staatshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht, 2009, S. 32 f.
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Im Nachgang dieser Entscheidungen ist der Gesetzgeber auf den Plan getreten, um den Drittschutz im Wege der Gesetzesänderung auszuschließen.190 Er sah die Gefahr begründet, dass durch die Anerkennung einer Staatshaftung zugunsten dritter Personen, die nicht der Aufsicht unterliegen, die Aufsichtsbehörden zu extensiv von ihren Befugnissen Gebrauch machen würden, wodurch die bisherige den Kreditinstituten einen sehr großen Spielraum für eine eigenverantwortliche wirtschaftliche Betätigung belassende marktwirtschaftliche Aufsichtskonzeption gefährdet sei.191 Diese Änderung wurde in der Literatur mit Kritik aufgefasst und teilweise als verfassungswidrig bewertet.192 Der Bundesgerichtshof hat den Haftungsausschluss hingegen gebilligt.193 In der Literatur wurden staatshaftungsrechtliche Fragestellungen, die die Wirtschaftsaufsicht in ihrer Ausprägung als Banken-, Börsen- und Versicherungsaufsicht betreffen, umfangreich aufgearbeitet.194 Die Möglichkeit der Haftung wegen fehlerhafter Entscheidungen gegenüber den beaufsichtigten Kreditinstituten sowie sonstigen Unternehmen und Pri190 Für die Bankenaufsicht vgl. den inzwischen aufgehobenen § 6 Abs. 3 KWG (v. 20.12.1984, BGBl. I, 1693), wonach die Aufsicht „nur im öffentlichen Interesse“ wahrgenommen wird. Ähnl. Regelungen finden sich nunmehr in § 81 Abs. 1 S. 3 VAG für die Versicherungsaufsicht, in § 1 Abs. 4 BörsG für die Börsenaufsicht sowie für die Tätigkeiten der BaFin in § 4 Abs. 4 FinDAG. Unberührt von diesen Regelungen ist jedoch die Drittbezogenheit gegenüber den beaufsichtigten Unternehmen, vgl. nur BGHZ 162, 49 (58). 191 RegBegr zu § 6 Abs. 3 KWG a. F., BT-Drs. 10/1441, S. 20; Püttner, JZ 1982, 47 (49); vgl. ferner Papier, JuS 1980, 265 (269), der auf die Verstärkung bzw. Intensivierung der Tätigkeit der Aufsichtsbehörden hinweist, um das Haftungsrisiko zu minimieren. 192 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 255; Lenz, NVwZ 2010, 29 (31); Schenke, in: FS Lorenz, 1994, S. 473 (482 ff.); ders./Ruthig, NJW 1994, 2324. 193 BGHZ 162, 49 (59 ff.); zur maßgeblichen Subsidiarität bereits § 9 A. II. 2. g). 194 Monographisch etwa Kümper, Risikoverteilung, 2011; Beninghaus, Staatshaftung für fehlerhafte Aufsicht im Bereich des Kapitalmarkts, 2009; Böhme, Staatshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht, 2009; Gratias, Staatshaftung für fehlerhafte Banken- und Versicherungsaufsicht im europäischen Binnenmarkt, 1999; Wondra, Staatshaftung für fehlsame Wirtschaftsaufsicht?, 1995; Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991; Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht?, 1988; Brendle, Amtshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht?, 1987; Bleibaum, Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982; Meister, Amtspflichten, 1982. Fragen der Haftung der Kartellaufsicht wurden hierbei jedoch regelmäßig ausgespart, soweit ersichtlich stellen Ausnahmen lediglich die Darstellungen von Bleibaum, a. a. O., S. 189 ff., insb. 200 ff.; Habscheid, a. a. O., S. 66 ff. und Meister, a. a. O., S. 129 ff. dar. Einen Anwendungsfall der Staatshaftung im Kartellrecht zeichnet Anschütz, WRP 1975, 198 nach; die Staatshaftung bei der Fusionskontrolle berühren Veelken, WRP 2003, 207 (242 f.) und Dormann, Drittklagen, 2000, S. 164 f.; im Zusammenhang mit dem GN-Store-Nord-Verfahren etwa Witting/Jäger, WuW 2013, 126; Hauser/Auf’mkolk, EWS 2013, 245; Kliebisch, WRP 2013, 742.
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vatpersonen, denen gegenüber Eingriffsbefugnisse bestehen, blieb von der Gesetzesänderung dagegen ausdrücklich unberührt.195 Es stellt sich die Frage, ob die amtshaftungsrechtlichen Aussagen des Bundesgerichtshofs insoweit einer Verallgemeinerung zugänglich sind, als aus ihnen Rückschlüsse zur Drittbezogenheit in anderen Bereichen der Wirtschaftsaufsicht gezogen werden können. Hiergegen spricht zunächst die innerhalb der Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte vorgenommene Differenzierung: Während die den Drittschutz verneinende Entscheidung die Versicherungsaufsicht behandelte, hatten sowohl die Wetterstein- als auch die Herstatt-Entscheidung als den Drittschutz bejahende Entscheidungen die Bankenaufsicht zum Gegenstand.196 Angesprochen sind folglich unterschiedliche Bereiche der Aufsicht. Zudem wurde bereits auf die Sinnvarianz des Rechtsbegriffes der Aufsicht hingewiesen.197 Vor diesem Hintergrund wird einer Gleichsetzung oder auch nur Übertragung der oben angesprochenen Grundsätze auf weitere Gebiete der Wirtschaftsaufsicht kritisch gegenüber gestanden.198 Eine derart pauschale Herangehensweise ruft im Übrigen auch Zweifel hinsichtlich des Gebotes einer Einzelfallprüfung hervor. Gleichwohl ist die Frage der Verallgemeinerungsfähigkeit Gegenstand einer breiten Diskussion199 und lässt sich ungeachtet der Unterschiede in der jeweiligen Ausgestaltung der Aufsicht jedenfalls hinsichtlich der Kernaussagen bejahen. Bezugnehmend auf den Umstand, dass eine Einordnung als Ordnungs- bzw. Gefahrenabwehrrecht auch für andere Bereiche der Wirtschaftsaufsicht vorgenommen werden kann, wird zum Teil die Existenz von drittschützenden Amtspflichten auch in anderen Bereichen der Wirtschaftsaufsicht allgemein bejaht.200 Hieraus lässt sich aber die Möglichkeit drittschützender Amtspflichten ableiten, die tatsächliche Existenz und insbesondere die Reichweite derartiger Pflichten muss freilich für jeden Fall gesondert festgestellt werden.201 Eine pauschale Verneinung entsprechender Amtspflichten ist daher unzulässig. 195
RegBegr zu § 6 Abs. 3 KWG a. F., BT-Drs. 10/1441, S. 20. s. die Nw. in Fn. 185. 197 § 3 A. I. 1. 198 So insb. Starke, WM 1979, 1402 (1404 ff., 1407 f.). Zu den Versuchen, einen allgemeinen Zweck der Wirtschaftsaufsicht zu entwickeln, s. Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 58 ff. 199 Vgl. die Nw. in Fn. 194. 200 So insb. von Meister, Amtspflichten, 1982, S. 129 ff., 144; Rittner, VersR 1982, 205 (209); K. Schmidt, DB 1982, 1044 (1048); Papier, JuS 1980, 265 (267 f., 270). s. auch Schwark, JZ 1979, 670 (671), nach dem die „dogmatischen Verbindungen zwischen KWG und Versicherungsaufsichtsgesetz, aber auch dem Kartellgesetz [. . .] offensichtlich“ sind. Im Übrigen wirft Schwark dem BGH vor, „unzutreffende Parallelen“ zu ziehen und zu wenig zu differenzieren. In diese Richtung auch Starke, WM 1979, 1402 (1407 f.). 196
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Als Wirtschaftsaufsichtsrecht stellt das Kartellaufsichtsrecht einen Sonderfall des allgemeinen Ordnungsrechts dar. Während das allgemeine Ordnungsrecht Gefahren für die allgemeine Sicherheit und Ordnung abwehrt, steht im Kartellrecht die Abwehr von der Wirtschaftsordnung bzw. dem Wettbewerb drohenden Gefahren im Mittelpunkt.202 Ferner bestehen im Rahmen der Kartellaufsicht eine Vielzahl von klassischen Aufsichtsmitteln: So stellt das präventive Verbot mit Erlaubnisvorbehalt im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle eine klassische öffentlich-rechtliche Ausgestaltung dar. Ähnlich verhält es sich mit § 32 GWB, wodurch den Kartellbehörden die Möglichkeit eingeräumt wird, Verstöße gegen das GWB und die Wettbewerbsregeln des AEUV zu untersagen und die Unternehmen zur Abstellung zu verpflichten. Auch die Möglichkeit, gegen gesetzeswidriges Verhalten untersagend einzuschreiten und Bußgelder zu verhängen, ist ebenso ein hergebrachter Bestandteil des Wirtschaftsaufsichtsrechts. Wegen der Ausgestaltung der Wettbewerbsregeln als unmittelbar geltende Verbotsvorschriften ist die Berichtigungsfunktion freilich nicht so stark ausgeprägt wie bei der Zusammenschlusskontrolle. Die Bedeutung der informellen Durchsetzung gesetzlicher Verbote nimmt auch in anderen Bereichen des öffentlichen Rechts zu.203 Daher streitet die Einordnung als Wirtschaftsaufsichtsrecht für die grundsätzliche Anerkennung entsprechender Amtspflichten und somit der Existenz einer staatlichen Verantwortung. Soweit der Bundesgerichtshof die Erwähnung der Verbraucher in den Gesetzen zur Bejahung der Drittbezogenheit heranzieht, kann ebenfalls eine Parallele zur Kartellaufsicht gezogen werden: Insbesondere aufgrund der fortschreitenden Europäisierung des nationalen Kartellrechts, die sich auch an der steigenden Betonung des Verbraucherschutzes durch die Wettbewerbsregeln (und die in diesem Zusammenhang nicht näher interessierende Fusionskontrolle) nachzeichnen lässt, werden auch die Interessen von dritten, nicht der Aufsicht unterworfenen Personen erfasst.204 So finden sich entsprechende Ausführungen etwa in den Regelbeispielen des § 19 Abs. 2 GWB oder in Art. 101 Abs. 3 AEUV, der von § 2 GWB in Bezug genommen wird. 201 s. die Nw. bei Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 65, der schon auf die Relativierung in BGHZ 84, 144 (146) hinweist. 202 Nolte, Beurteilungsspielräume, 1997, S. 191; Schwippert, Ermessen der Kartellbehörden, 1974, S. 126 f.; v. Köhler, DB 1970, 1161; ferner schon Isay/ Tschierschky, Kartellverordnung, 2. Aufl. 1930, S. 100 ff. A. A. B. Aubin, Staatsaufsicht, 1942, S. 72 ff., 75, der jedoch den Begriff der Aufsicht auf positive Maßnahmen (i. S. der Berichtigungsfunktion) beschränkt. 203 Allg. Stober, Allgemeines Wirtschaftsverwaltungsrecht, 17. Aufl. 2011, § 35 II. 204 Vgl. schon o. § 3 A. II. 1.
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Schließlich stellt sich die Frage, ob die besonderen Haftungsrisiken, die der Gesetzgeber für den Bereich der Bankenaufsicht sah und infolgedessen als Grund für den Ausschluss der Staatshaftung ausmachte, in gleichem Maße auch bei der Kartellaufsicht existieren. Im Grundsatz ist die Beliebtheit des Bundes als solventer Schuldner unbestritten.205 Daher ist verständlich, dass der Staat bei Schäden, die entweder im Zusammenhang mit einem Tätigwerden seiner Behörden stehen oder aber auf einem von diesen überwachten Gebiet auftreten, als Schuldner in Anspruch genommen werden soll. Da der öffentlichen Hand die Insolvenzfähigkeit fehlt (§ 12 Abs. 1 InsO), ist dieser Befund charakteristisch und zeichnet als solcher nicht ausschließlich die Bankenaufsicht aus. Ein vollständiger Ausschluss der Amtshaftung lässt sich hiermit nicht rechtfertigen. Überdies unterscheiden sich die Fallgestaltungen, wie sie im Bereich der Amtshaftung bei der Bankenaufsicht auszumachen sind, von den übrigen Feldern der Wirtschaftsaufsicht: Soweit die fehlerhafte Bankenaufsicht zu einer staatshaftungsrechtlichen Verantwortung führt, steht die Bank als unmittelbar Verantwortlicher und damit als originäre Schuldner regelmäßig infolge Vermögenslosigkeit nicht mehr zur Verfügung. Gerade vor diesen Risiken soll die Bankenaufsicht schützen.206 In der Kartellaufsicht steht dagegen nicht die Vermögenslosigkeit von Wirtschaftsunternehmen in Rede, sondern wettbewerbswidrige Verhaltensweisen. Die hierfür Verantwortlichen sind noch greifbar und könnten in Anspruch genommen werden. Insoweit lassen sich die Situationen nicht vergleichen.207 Folglich kann dieser Punkt zur Verneinung der Haftung der Kartellaufsicht nicht herangezogen werden.208 Im Ergebnis lässt sich jedoch das Bestehen einer vergleichbaren Interessenlage festhalten. Mithin ist die Rechtsprechung zur Staatshaftung im Bereich der Wirtschaftsaufsicht grundsätzlich auch für die Kartellaufsicht fruchtbar zu machen. 2. Bedeutung des kartellverwaltungsrechtlichen Primärrechtsschutzes
Soweit amtshaftungsrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit unterlassenem kartellaufsichtsrechtlichem Einschreiten verfolgt werden sollen, 205
Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 2. Dazu auch noch § 12 A. III. 206 s. auch Tilson, CML Rev. 2005, 639 (671 ff.). 207 Bleibaum, Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982, S. 201 f. 208 Im Übrigen kann eine derartige Begründung lediglich die Einführung eines Haftungsausschlusses rechtspolitisch rechtfertigen; de lege lata lässt sich mit dieser Argumentation die Haftung nicht ausschließen. Sehr krit. zu diesem Begründungsansatz auch v. Danwitz, JZ 2005, 729 (730 f.); ähnl. Püttner, JZ 1982, 47, der die Gefahr einer ausufernden „Staatsgarantie“ apostrophiert.
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könnten aus der Rechtsprechung zum Primärrechtsschutz im Kartellrecht Rückschlüsse für den Sekundärrechtsschutz gezogen werden. Der Primärrechtsschutz im Kartellverwaltungsrecht wird durch die Beschwerde zum Oberlandesgericht Düsseldorf vermittelt.209 Soweit dritte Personen die Verpflichtung des Bundeskartellamts auf ein Einschreiten wegen missbräuchlicher Verhaltensweisen oder wegen eines Verstoßes gegen das Kartellverbot im Wege der Verpflichtungsbeschwerde (§ 62 Abs. 3 GWB) ersuchen, sind derartige Beschwerden nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof,210 die von den Beschwerdegerichten211 geteilt wird und breite Zustimmung innerhalb der Literatur212 erfahren hat, regelmäßig unbegründet. Ein Anspruch auf Tätigwerden des Bundeskartellamts besteht folglich im Grundsatz213 nicht. Zur Begründung wird insbesondere auf das mit dem Aufgreifermessen des Bundeskartellamts korrespondierende Opportunitätsprinzip verwiesen.214 209 Zur Einordnung der Beschwerde in das System der Anfechtung verwaltungsbehördlicher Entscheidungen schon o. in Fn. 119. 210 Grundlegend ist die Taxiflug-Entscheidung in BGHZ 51, 61 (67 f.); seitdem st. Rspr., vgl. BGH WuW/E BGH 2058 (2059 f.); 3035 (3036); 3113; ZIP 2001, 807. 211 KG WuW/E OLG 1813 (1815 f.); 4973 (4976); 4988 (4989); OLG Düsseldorf WuW/E OLG 1801 (1802 ff.); WuW/E DE-R 545 (546 f.). In OLG Düsseldorf WuW/E OLG 1536 war ebenfalls ein Nichteinschreiten des BKartA wegen eines vermeintlichen Verstoßes gegen § 22 GWB a. F. Verfahrensgegenstand. In der Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde bejahte der Senat das Rechtsschutzbedürfnis, da die „begehrte Feststellung“ – der Rechtswidrigkeit der Weigerung des Einschreitens – geeignet sein könnte, „die Grundlage für einen von [!] den Zivilgerichten zu verfolgenden Schadensersatzanspruch wegen Amtspflichtverletzung zu bilden“ (1539). 212 Bornkamm, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 32 Rn. 9; Bechtold, GWB, 7. Aufl. 2013, § 32 Rn. 6; Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9; Emmerich, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 32 Rn. 15 (krit. noch ders., Wettbewerbsrecht, 1975, S. 188); Werner, in: FIW, Schwerpunkte des Kartellrechts, 1979, S. 49 (57 ff.). Abl. Soell, in: FS Wahl, 1973, S. 439 (441 ff.); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 86 ff.; wegen der beweisrechtlichen Schwierigkeiten krit. Schwippert, Ermessen der Kartellbehörden, 1974, S. 146 f.; Lipps, WRP 1969, 368. Einschränkend/diff. K. Schmidt, in Immenga/ Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 54 Rn. 9, der für bestimmte Verfügungen im Bereich der Missbrauchsaufsicht – sog. kraft Verfahrens zu konkretisierender Geund Verbote, bei denen also das Einschreiten des BKartA eine zwingende Voraussetzung für das Erlangen des Schutzes darstellt – einen Anspruch auf ein Einschreiten verlangt. Derartige Fälle dürften nach der 7. GWB-Novelle nur noch äußerst selten bestehen. 213 BGH WuW/E BGH 3113 (3114); KG WuW/E OLG 4988 (4989); OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 545 (546, 547 f.). In der Rspr. hat es derartige Ausnahmefälle – soweit ersichtlich – bisher nicht gegeben. Dagegen will Kremer (Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 73) einen Anspruch bejahen, „wenn das Aufgreifen die optimale, die zweckmäßigste Entscheidung darstellt“. 214 Zusammenfassend K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 579 ff., insb. S. 580 f.
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat dazu ausgeführt, dass „die Kartellbehörde zur Erreichung der Zwecke des Kartellrechts und zur Durchsetzung kartellrechtlicher Rechtsvorschriften im öffentlichen Interesse tätig [wird]. Wie bei jeder Kartellbehörde, so liegt es auch beim Bundeskartellamt in seinem – im öffentlichen Interesse auszuübenden – pflichtgemäßen Ermessen, ob es wegen des Verdachts eines kartellrechtlichen Gesetzesverstoßes gegen Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen gemäß § 32 GWB einschreitet oder nicht“.215 Das Bundeskartellamt muss Prioritäten vergeben können, um seiner Aufgabe gerecht zu werden.216 Dies ermöglicht ihm gerade das Opportunitätsprinzip.217 Berücksichtigung finden können hierbei neben den zivilrechtlichen Rechtsschutzmöglichkeiten, die Bedeutung des Einzelfalles, der zu erwartende Arbeitsaufwand, die Erfolgsaussichten des Verfahrens sowie die Frage, ob sich das Verfahren in das Verfolgungskonzept des Bundeskartellamts einfügen lässt.218 Im Übrigen wird zur Verneinung derartiger Ansprüche auf den Wortlaut der Befugnisnorm abgestellt, denn § 32 GWB enthält kein Antragsrecht Dritter.219 Im Gegensatz dazu korrespondiert bei Antragsverfahren mit dem Antrag eine Pflicht der Behörde zum Tätigwerden.220 Zwar ist das Vorliegen eines Anspruches auf Vornahme einer bestimmten Amtshandlung keine notwendige Bedingung des Drittschutzes.221 Für sich 215
OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 545 (546). Werner, in: FIW, Schwerpunkte des Kartellrechts, 1979, S. 49 (60), weist auf die Gefahr einer Überbeanspruchung hin. Zu dem Umstand, dass Behörden im Bereich der Wirtschaftsaufsicht wegen der Gefahr ihrer Überforderung besonders darauf angewiesen sind, durch privat initiierte Rechtsdurchsetzung entlastet zu werden, Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 99, sowie die Nw. dort in Fn. 28 und S. 105; zur „notorischen Überlastung“ schon Emmerich, ZHR 140 (1976), 97 (117). Zur Rolle der informellen Durchsetzung o. S. 46 ff. s. schließlich auch Steindorff, ZHR 138 (1974), 504 (526: „Ein Recht zu Erzwingung von Verfahren könnte die negative Folge haben, daß die Kartellbehörden sich auf eine große Zahl kleiner Wettbewerbsbeschränkungen konzentrieren müssen, statt daß sie eine Schwerpunktpolitik treiben. Das Erzwingungsverfahren ist dort angemessen, wo eine Behörde zur Untätigkeit oder zu schleppender Verfahrensweise neigt.“). 217 Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 51 Rn. 9, § 53 Rn. 39; Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 72 f.; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 614 ff. Allg. zum Opportunitätsprinzip im Bereich der Wirtschaftsaufsicht nur E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 183 ff. 218 Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 72 f. 219 Vgl. BGH WuW/E BGH 2058 (2059 f.). Daher wurde für andere Befugnisnormen im GWB eine entsprechende Verpflichtung des BKartA bejaht, für die ehemaligen Erlaubniskartelle vgl. etwa Werner, in: FIW, Schwerpunkte des Kartellrechts, 1979, S. 49 (58). Derartige Regelungen enthält die nunmehr geltende Fassung des GWB nicht mehr. 220 Statt aller K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 54 Rn. 3, 7. 216
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genommen kann der fehlende Primärrechtsschutz daher nicht zum Verneinen entsprechender sekundärrechtlicher Ansprüche herangezogen werden. Als Hauptargument zur Verneinung eines entsprechenden Anspruchs wird die Subsidiarität öffentlich-rechtlichen Drittschutzes vorgebracht, denn Dritten steht durch die Privatklagemöglichkeiten über § 33 GWB die Möglichkeit offen, sich selbst zur Wehr zu setzen.222 Angesichts des weiten Anwendungsbereichs der jetzigen Fassung von § 33 GWB sowie des Umstands, dass das Kartell- und Missbrauchsverbot jeweils als Verbotsnormen ausgestaltet sind, die von der Behörde konkretisiert werden,223 hat das private enforcement durch die 7. GWB-Novelle eine Aufwertung erfahren.224 Soweit der Primärrechtsschutz in Rede steht, ist nach richtigem Verständnis ausschließlich der zivilrechtliche Rechtsschutz im Wege der Unterlassungsklage (§ 33 Abs. 1 GWB) angesprochen, also die Abwehr des wettbewerbswidrigen Verhaltens. Verallgemeinernd wird diese These auch für weitere Bereiche der Wirtschaftsaufsicht vertreten:225 So weist E. Stein darauf hin, dass die „Staatsaufsicht zum Schutze einzelner nur insoweit gerechtfertigt ist, als die einzelnen nicht in der Lage sind, sich selbst zu schützen, notfalls durch Anrufung der Gerichte.“226 Insoweit wird die „Reservefunktion“ der Wirtschaftsaufsicht betont.227 Insbesondere an diesem Aspekt der Rechtsprechung hat sich Kritik entzündet, da die Gleichwertigkeit zivil- und öf221
BGHZ 35, 44 (46). Allg. zum Drittschutz schon § 9 A. II. 2. s. nur BGHZ 51, 61 (67 f.). Der Verweis auf derartige Möglichkeiten stellt nach der Rspr. folgerichtig keinen Ermessensfehler der Kartellbehörden dar, dazu OLG Düsseldorf, WuW/E DE-R 545 (548). 223 Zum früheren Recht ausf. K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 616 ff. 224 Topel, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 50 Rn. 77. Daher muss der Ansatz der Rspr. nunmehr umso mehr gelten. Seit der 7. GWB-Novelle hat die Rspr. – soweit ersichtlich – derartige Fragen nicht mehr zu behandeln gehabt. Zur Bedeutung im Zusammenspiel mit dem public enforcement schon Roth, in: FK, Bd. V, 49. EL 11/2001, § 33 GWB 1999 Rn. 2. 225 Für ihre Geltung im Wohnungsbindungsgesetz s. BVerwGE 72, 226 (230 f.); für die Einlagensicherung i. R. der Bankenaufsicht BGHZ 162, 49 (60). Zur Subsidiaritätsthese allg. auch Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, 1992, S. 120 ff., 356 f., der diese jedoch im Rechtsschutzbedürfnis verortet (S. 121). 226 Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 192. Krit. hierzu K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 606, der diese These als zu allgemein gefasst erachtet, da die objektivrechtlichen Befugnisse der Kartellbehörden unabhängig von den Möglichkeiten und den Grenzen des zivilrechtlichen Drittschutzes bestünden. Vielmehr habe diese These ihre Berechtigung nur insoweit, als die Abgrenzung zum subjektiv-öffentlichen Recht des Einzelnen in Rede steht, es also darum geht, wie er von der Behörde ein Einschreiten verlangen kann. 227 E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 16, 181 f. Unter der Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips muss sich jede staatliche Maßnahme nach ihrer Erforderlichkeit hin bestimmen lassen, so dass diese Reservefunktion für sich genommen verallgemeinerungsfähig ist. 222
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
fentlich-rechtlichen Schutzes auch mit Blick auf die Verschiedenartigkeit der Ausgestaltung der jeweiligen Verfahren in Frage gestellt wird.228 Auch der Gesetzgeber hat die Vorteile des öffentlich-rechtlichen Schutzes unterstrichen.229 Diesen Überlegungen soll nachfolgend durch eine Diskussion einer etwaigen Subsidiarität des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes nachgegangen werden. 3. Bedeutung der Subsidiarität der Staatshaftung
Die Rechtsprechung verneint einen Anspruch auf kartellverwaltungsrechtliches Einschreiten, soweit zivilrechtliche Abwehransprüche gegen das streitgegenständliche Verhalten in Betracht kommen. Die dort vertretenen Argumentationslinien sind möglicherweise für den Sekundärrechtsschutz fruchtbar zu machen. Als Vehikel kommt insoweit die Gleichsetzung der Drittbezogenheit der verletzten Amtspflicht mit der Klage- bzw. Beschwerdebefugnis in Betracht. Soweit die Subsidiarität des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes im Primärrechtsschutz angesprochen ist, steht nach richtigem Verständnis die Abwehr wettbewerbswidriger Verhaltensweisen durch zivilrechtliche Abwehrund Unterlassungsansprüche im Raum.230 Hierauf wurde schon eingegangen. Diese Differenzierung wird indes nicht in allen Entscheidungen eingehalten, wenn etwa danach gefragt wird, ob sich der Geschädigte „nicht auf andere Weise angemessen vor Verlusten schützen kann.“231 Schadensersatz verfolgt dagegen ein anderes Ziel. Der Verweis auf die Verfolgung seiner Interessen durch die Geltendmachung eines Schadensersatzanspruches (§ 33 Abs. 3 GWB) würde den Primärrechtsschutz ersuchenden Kläger zudem auch belasten, da ein solcher Anspruch neben einem Schaden jedenfalls auch ein 228
So insb. Veelken, WRP 2003, 207 (209); Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, 1992, S. 120 ff., 356 f.; Soell, in: FS Wahl, 1973, S. 439 (441 ff.); Scholz, WiR 1972, 35 (58 f.); ders., Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 96 ff.; Lipps, WRP 1969, 368. Dagegen umfassend Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 74 ff.; K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 610 ff. 229 s. die RegBegr. zur 1. GWB-Novelle, BT-Drs. IV/2564, S. 15, in der von einem „kostenfreie[n] Amtsverfahren“ die Rede ist, durch das „rasch[. . .] und ohne finanziellen Aufwand Hilfe erlang[t]“ werden könne. 230 So ausdr. BGHZ 51, 61 (67: „Deckt sich ein zivilrechtlicher Klaganspruch, der auf die Abwehr rechtswidrigen Verhaltens eines Unternehmens gerichtet ist, nach seinen Voraussetzungen und seinem Inhalt mit den Voraussetzungen und dem Inhalt einer im Verwaltungsverfahren vorgesehenen Maßnahme, so ist in der Regel ein Anspruch auf Durchführung einer solchen Maßnahme ausgeschlossen“ [Hervorhebung nicht im Original]). Zu diesem Verständnis von Primärrechtsschutz auch schon § 3 B. I. 1. 231 BGHZ 74, 144 (149). Vgl. auch Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 74, der ebenfalls auch auf Schadensersatzansprüche abstellt.
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Verschulden voraussetzt. Etwas anderes würde jedoch dann gelten, wenn man den Schadensersatzanspruch im Sinne eines quasinegatorischen Beseitigungsanspruches versteht.232 Dies muss jedoch nicht geklärt werden, da es in Bezug auf den hier interessierenden Sekundärrechtsschutz nur auf Schadensersatzansprüche ankommt. Im Übrigen unterscheiden sich die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruches – abgesehen vom Verschulden – nicht von denen des Unterlassungsanspruches. Insoweit würde mit der Subsidiaritätsthese bei gleichzeitigem Bestehen eines Schadensersatzanspruches gegen den unmittelbaren Schädiger die Drittbezogenheit ausscheiden; der Kläger ist dann an den unmittelbaren Schädiger zu verweisen.233 Bleibaum reduziert dagegen den Anwendungsbereich dieser Subsidiaritätsthese „aus rechtsstaatlichen Gründen“234 auf den Primärrechtsschutz, ohne diese Gründe im Einzelnen dazulegen oder sonst zu präzisieren. Gegner der Subsidiaritätsthese halten dieser These zudem die Repressivität des zivilrechtlichen Schutzes entgegen.235 Unabhängig davon, ob zivilrechtliche Ansprüche tatsächlich nur repressiv wirken – zu denken ist etwa an den vorbeugenden Unterlassungsanspruch –, kann dieses Argument im Sekundärrechtsschutz nicht verfangen, da hier mit dem Schadensersatzanspruch ebenfalls ein – in erster Linie236 – repressiver Anspruch im Raum steht. Für den Sekundärrechtsschutz ist dieser Gedanke daher fruchtbar zu machen. Auf die legislative Aufwertung und die damit einhergehende Effektivität des zivilrechtlichen Schadensersatzanspruches wurde schon hingewiesen,237 so dass sich dieser regelmäßig als „angemessen“ darstellt. Schwieriger ist dagegen die Frage nach der Begründung dieses Befundes zu beantworten. Auf der einen Seite könnte die Subsidiarität öffentlich-rechtlichen Schadensersatzes an die Subsidiaritätsklausel bzw. das Verweisungsprivileg des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB angeknüpft werden.238 Auf der ande232
Dazu Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 51 Rn. 10. In engem Zusammenhang mit der Subsidiarität steht die Kausalität. Zwar lässt sich nicht von der Hand weisen, dass die Kartellbehörden mitursächlich für einen Schaden werden, der während ihres Nichteinschreitens trotz bestehender Möglichkeit entsteht. Jedoch ist unmittelbarer Schädiger in derartigen Fällen regelmäßig derjenige, der den Kartellrechtsverstoß begeht. Da die Möglichkeit der Inanspruchnahme der unmittelbaren Schädiger gegeben ist, scheidet die Inanspruchnahme des BKartA aus. Zur Kausalität § 11 B. 234 Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982, S. 98. 235 Soell, in: FS Wahl, 1973, S. 439 (445 f.); Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 99 f. A. A. Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 74. 236 Zu sonstigen auch präventiven Funktionen der Staatshaftung s. bereits o. in § 3 B. I. 2. 237 s. dazu bereits im ersten Teil in Fn. 71 sowie Fn. 224. 238 So etwa bei Pietzcker, JZ 1985, 209 (214); s. auch Wondra, Staatshaftung für fehlsame Wirtschaftsaufsicht?, 1995, S. 132. 233
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ren Seite könnte – wie dies in Teilen der Literatur diskutiert wird239 – die Subsidiarität bereits im Rahmen der Drittbezogenheit berücksichtigt werden. Nach diesem Verständnis gehören Konkurrenten, Abnehmer und Lieferanten von vornherein nicht in den Kreis derer, die bei rechtswidrigem Verhalten des Bundeskartellamts schadensersatzberechtigt sein können. Letztgenannte Auffassung scheint der Rechtsprechung innerhalb der Wirtschaftsaufsicht zugrunde zu liegen.240 Aufgrund des restriktiven Verständnisses von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB vermag diese Ansicht im Ergebnis auch zu überzeugen.241 Die oben gestellte Frage, ob der – im hier interessierenden Fall durch die Amtshaftung vermittelte – öffentlich-rechtliche Drittschutz neben den zivilrechtlichen Drittschutz tritt, ist daher regelmäßig zu verneinen;242 auch das Kartellrecht gewährt subjektiven243 Drittschutz in der Regel durch das Zivilrecht.244 Damit erweist sich die Frage des Drittschutzes im Kartellrecht in der Regel nicht als eine solche des „Ob“, sondern lediglich als eine solche des „Wie“.245 4. Bedeutung der Regelung des § 33 GWB
Innerhalb des GWB wird der Drittschutz in der Regel also durch das Zivilrecht vermittelt. Anspruchsgrundlage zivilrechtlicher Unterlassungsund Schadensersatzansprüche ist dabei § 33 GWB. In der Literatur wird zum Teil der Versuch unternommen, aus der Existenz dieser Vorschrift Rückschlüsse für den öffentlich-rechtlichen Rechtsschutz zu ziehen: So wurde aus der Vorgängerregelung des § 35 Abs. 1 GWB a. F. auf das Beste239
Vgl. zu diesen Ansätzen schon o. § 9 A. II. 2. g). BGHZ 74, 144 (149); zust. Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 112 ff.; Triantafyllou, Staatsaufsicht in der Wirtschaft, 1991, S. 79. Krit. Bleibaum, Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982, S. 95 f., der diese Rspr. als ergebnisorientiert und „rechtspolitisch motiviert“ krit. und insoweit auch der Verortung i. R. der Drittbezogenheit widerspricht (S. 98). 241 Ein weiterer Ansatz wäre das Verorten erst auf der Ebene der Kausalität, da bei einem derartigen Dazwischentreten der Kausalzusammenhang zu dem behördlichen Nichteinschreiten zu verneinen wäre. 242 Wondra, Staatshaftung für fehlsame Wirtschaftsaufsicht, 1995, S. 132 f. 243 Wegen der Miteinbeziehung individueller Interessen in die Ziele der Kartellaufsicht (dazu § 3 A. II. 1.) wird das BKartA regelmäßig objektiv drittschützend tätig, so auch K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 605 f. 244 Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht?, 1988, S. 70; Bleibaum, Staatshaftung in der Bankenaufsicht, 1982, S. 202; für die insoweit in Rede stehenden Fallgestaltungen auch K. Schmidt, Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 603 ff., 614 f. 245 s. schon o. im ersten Teil in Fn. 32. 240
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hen drittbezogener Amtspflichten im GWB geschlossen.246 Nach dieser – inzwischen in § 33 GWB modifiziert aufgegangenen – Vorschrift machte sich schadensersatzpflichtig, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift des GWB oder eine Verfügung der Kartellbehörde verstößt, sofern die Vorschrift oder die Verfügung den Schutz eines anderen bezweckt. Die von § 35 Abs. 1 GWB a. F. geforderte Schutzgesetzeigenschaft wiesen eine große Anzahl von Vorschriften des GWB auf, so auch das Kartell- und das Missbrauchsverbot.247 Wegen der Anknüpfung an eine Schutznorm bestehen insoweit Parallelen zwischen § 35 Abs. 1 GWB a. F. und § 823 Abs. 2 BGB;248 im Anwendungsbereich des § 35 Abs. 1 GWB a. F. ging diese Vorschrift § 823 Abs. 2 BGB als lex specialis vor.249 Da § 823 Abs. 2 BGB und damit auch der wesensgleiche § 35 Abs. 1 GWB a. F. gleichsam in § 839 BGB aufgehen, sollen im GWB drittbezogene Amtspflichten existieren.250 Die Diskussion um die Schutzgesetzeigenschaft entsprechender Bestimmungen des GWB ist jedenfalls mit Einführung des § 33 GWB durch die 7. GWB-Novelle insoweit verebbt, als die deliktsrechtliche Kartellrechtsdurchsetzung nicht mehr auf die Verletzung entsprechender Schutzgesetze abstellt. Tatbestandsmerkmal der Schadensersatzpflicht ist nunmehr der schuldhafte Verstoß gegen eine Vorschrift des GWB, gegen Art. 101 oder 102 AEUV oder gegen eine Verfügung der Kartellbehörde. Den Kreis der Ersatzpflichtigen bestimmt die Betroffenheit.251 Gegen den Schluss von § 35 Abs. 1 GWB a. F. auf die Existenz drittbezogener kartellaufsichtsrechtlicher Amtspflichten spricht jedoch, dass es auf eine Einzelfallprüfung der in Rede stehenden Amtspflicht ankommt.252 Mit der Feststellung allein, dass derartige Amtspflichten existieren, ist für die Beantwortung der Ausgangsfrage nichts gewonnen. Im Übrigen ist da246 So insb. von Meister, Amtspflichten, 1982, S. 132. Ähnl. Scholz, Wirtschaftsaufsicht, 1971, S. 61; E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 187. 247 Für § 1 GWB vgl. ausf. Roth, in: FK, Bd. V, 49. EL 11/2001, § 33 GWB 1999 Rn. 33 ff., für §§ 19, 20 GWB vgl. Roth, a. a. O., § 33 GWB 1999 Rn. 68 ff. 248 § 35 GWB a. F. war § 823 Abs. 2 BGB nachgeformt, dazu Schmiedel, Deliktsobligationen nach deutschem Kartellrecht, Bd. 1, 1974, S. 3. 249 Schwark, JZ 1979, 670. 250 So ausdr. Meister, Amtspflichten, 1982, S. 132. Im Wetterstein-Urteil hat der BGH ebenfalls – auch – auf § 823 Abs. 2 BGB abgestellt, um den Individualschutz der entsprechenden Vorschriften zu begründen, s. BGHZ 74, 144 (149). 251 Nach der Intention des Gesetzgebers soll eine Begrenzung des Tatbestands durch das Merkmal der Betroffenheit gerade nicht erfolgen, vgl. Topel, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 50 Rn. 85. 252 Hierzu auch Schwark, JZ 1979, 670 (672); ebenfalls krit. Schmidt-Preuß, Kollidierende Privatinteressen, 1992, S. 124. Anders jedoch Meister, Amtspflichten, 1982, S. 132.
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ran zu erinnern, dass sich die Frage nach dem zivilrechtlichen Drittschutz von der Frage nach der Existenz drittbezogener Amtspflichten unterscheidet.253 Während § 823 Abs. 2 BGB die Verletzung des Schutzgesetzes durch den Normadressaten verlangt, steht bei der Amtshaftung ein amtspflichtwidriges Verhalten eines Beamten in Rede. Wie oben schon ausgeführt, kommt insoweit als die Amtspflicht begründende Maßstabsnorm nicht das materielle Kartell- bzw. Missbrauchsverbot in Betracht, sondern es ist auf die jeweilige Befugnisnorm abzustellen.254 Bei der Prüfung von § 823 Abs. 2 BGB steht dagegen das Kartell- bzw. Missbrauchsverbot im Mittelpunkt. Im Ergebnis offenbart die Diskussion bei Meister eine – immer noch vertretene – Reduzierung drittbezogener Amtspflichten auf einen entsprechenden Schutzzweck des gesamten Regelwerks. Ein derartiger Ansatz kann angesichts der Vielschichtigkeit potentieller Haftungssituationen255 nicht überzeugen.256 5. Bedeutung von Grundrechten
Abschließend soll die Bedeutung der Grundrechte bei der Kartellaufsicht untersucht werden. Hier ist schon fraglich, ob überhaupt auf die Grundrechte als subjektiv-öffentliche Rechte Dritter zurückgegriffen werden kann, da das Kartellverwaltungsrecht im Unterschied zu anderen Gebieten des Wirtschaftsaufsichtsrecht nicht auf die Verletzung bzw. die Gefährdung derartiger Rechte abstellt, sondern den Drittschutz vielmehr „formalisiert“ und jedenfalls im Grundsatz257 die Verfahrensbeteiligung als hinreichende Bedingung für die Gewährung des Drittschutzes ansieht, vgl. § 63 Abs. 2 GWB.258 Ein subjektives Recht im Sinne einer dem Einzelnen zustehenden 253
s. § 9 A. II. 2. b). s. auch Schwark, JZ 1979, 670 (671); auf die Unterschiede hinweisend auch K. Schmidt, in: FS Selmer, 2007, S. 499 (507 f.); ders., Kartellverfahrensrecht, 1977, S. 318 f. 255 s. hierzu bereits § 4. 256 Im Ergebnis auch Habscheid, Staatshaftung für fehlsame Bankenaufsicht?, 1988, S. 73 ff., der maßgeblich auf die Lückenschließungsfunktion des § 823 Abs. 2 BGB verweist. 257 s. jedoch auch unten § 9 D. II. 258 Vgl. etwa die Ausführungen in BGHZ 169, 370 (375), wonach durch „die Beschwerdemöglichkeit, die § 63 Abs. 2 GWB auch demjenigen einräumt, der lediglich im Rahmen einer einfachen Beiladung am Verwaltungsverfahren beteiligt ist, [. . .] das Gesetz bereits einen über das Maß des § 42 Abs. 2 VwGO hinausgehenden Rechtsschutz [gewährt]. Denn für die einfache Beiladung ist nicht erforderlich, dass der Beigeladene geltend machen kann, die zu treffende Entscheidung könne ihn in seinen (subjektiven öffentlichen) Rechten verletzen.“ Ähnl. schon BGHZ 155, 214 (216 f.). Zum Begriff der Formalisierung K. Schmidt, DB 2004, 527. A. A. Ruthig/ Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 609 mit Fn. 392, wonach 254
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Rechtsmacht, von einem anderen ein bestimmtes Verhalten zu verlangen, vermittelt daher schon die Verfahrensbeteiligung. Zudem sind wegen des Anwendungsvorrangs des einfachen Rechts subjektiv-öffentliche Rechte im Bereich der Kartellaufsicht zunächst dem GWB zu entnehmen. Erst subsidiär können Grundrechte herangezogen werden.259 Um ein subjektives Recht handelt es sich insbesondere bei § 33 Abs. 1, 3 GWB, der dem Betroffenen einen Schadensersatz- und Unterlassungsanspruch vermittelt.260 Dagegen verpflichtet die Vorschrift statt eines Hoheitsträgers einen Privaten und stellt somit ein subjektiv-privates Recht dar. Subjektivöffentliche Rechte existieren im Kartellverfahren in den Beiladungs- und damit einhergehenden Beteiligungsrechten gemäß § 54 Abs. 2 GWB. Soweit subsidiär auf Grundrechte abgestellt wird, ist daran zu erinnern, dass die Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG bzw. die grundrechtlich geschützte Wettbewerbsfreiheit261 nicht vor Konkurrenz schützt und im Übrigen die Gefährdung der Existenz des Schutzbereichsinhabers voraussetzt.262 Zwar kommt die Wettbewerbsfreiheit in ihrer Ausprägung als Schutzpflicht in Betracht.263 Eine derartige Herangehensweise ist indes aufgrund der Unbestimmtheit des schutzpflichtigen Gehaltes dieser Vorschrift problematisch. Zudem werden Schutzpflichten zumeist im Zusammenhang mit dem Schutz von Leben und Gesundheit anerkannt.264 Daneben verpflichten Schutzdie „eigentliche Frage“ des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes in Kartellverwaltungssachen sei, „ob die Möglichkeit der Rechtsverletzung des Drittens besteht“; ähnl. RegBegr. zur 6. GWB-Novelle, BT-Drs. 13/9720, S. 44; vgl. auch Dormann, Drittklagen, 2000, S. 87 ff. 259 Veelken, WRP 2003, 207 (213 f.); mit ausf. Begründung Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 44 f. Allg. zu diesem Anwendungsvorrang etwa Dreier, DV 36 (2003), 105 (106). 260 I. R. des Kartellaufsichtsrechts wird Drittschutz regelmäßig durch das Zivilrecht vermittelt, dazu schon o. bei Fn. 244. 261 Zu ihrer Herleitung ausf. Tsilotis, Der verfassungsrechtliche Schutz der Wettbewerbsfreiheit und seine Einwirkung auf die privatrechtlichen Beziehungen, 2000, S. 59 ff. 262 BVerfGE 34, 252 (256); 55, 261 (269); 111, 10 (33); Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 12 Rn. 20; Mann, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 12 Rn. 16; Ruthig/Storr, Öffentliches Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2011, Rn. 623; Säcker, in: FS Hirsch, 2008, S. 323 (325 f.). 263 Veelken, WRP 2003, 207 (215); im Bereich der Banken- bzw. Kapitalmarktaufsicht ausf. Benighaus, Staatshaftung für fehlerhafte Aufsicht im Bereich des Kapitalmarkts, 2009, S. 29 ff. Allg. zu grundrechtlichen Schutzpflichten nur Pieroth/ Schlink/Kingreen/Poscher, Grundrechte, 29. Aufl. 2013, Rn. 110 ff. 264 s. die Nw. bei Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 189. Krit. dagegen Schenke, in: FS Lorenz, 1994, S. 473 (493), der darauf hinweist, dass „Eigentum als vergegenständlichte[. . .] Freiheit“ gleichwohl eine Schutzpflicht zu begründen imstande ist.
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pflichten in erster Linie den Gesetzgeber, der für die Kartellaufsicht in Ausübung seiner Einschätzungsprärogative265 dieser Pflicht insoweit nachgekommen ist, dass er in § 33 GWB die Möglichkeit, zivilrechtlich gegen die unmittelbaren Verletzter vorzugehen, geschaffen hat. Schließlich kann auch schon die Einrichtung einer staatlichen Aufsicht die Schutzpflichten ausfüllen.266 Mangels Eröffnung des personellen Schutzbereichs der Berufsfreiheit scheidet eine grundrechtliche Anknüpfung zudem für Nicht-EUAusländer aus, die wegen des territorial umfassenden Anwendungsbereichs der nationalen Kartellaufsicht (s. § 130 Abs. 2 GWB) gleichwohl dem Anwendungsbereich des GWB unterfallen. Im Ergebnis ist daher zur Feststellung drittbezogener Amtspflichten der Kartellaufsicht das einfache Recht heranzuziehen. 6. Zwischenergebnis
Nach dem Gesagten ist die Existenz drittbezogener Amtspflichten gegenüber nicht am Verfahren beteiligter Personen zu verneinen. Vielmehr sind diese auf zivilrechtliche Ansprüche gegen die wettbewerbswidrig Handelnden zu verweisen. II. Drittbezogene Amtspflichten im Bereich der Fusionskontrolle Es stellt sich die Frage, ob auch für die Fusionskontrolle die Existenz drittbezogener Amtspflichten abzulehnen ist. Die hier zu behandelnden Fallgruppen zeichnen sich dadurch aus, dass dritte Personen im Zusammenhang mit rechtswidrig freigegebenen Zusammenschlussvorhaben wegen der Veränderung der Wettbewerbssituation Vermögenseinbußen erleiden, und insoweit den Träger der Kartellaufsicht in Anspruch nehmen. Zu denken ist etwa an die Entstehung eines stärkeren Konkurrenten, an den Wegfall eines wichtigen Abnehmers oder an das Entstehen eines mächtigen Nachfragers. Potentielle Anwendungsfälle wurden bereits im ersten Teil bei den Beispielsfällen aufgezeigt. Nicht behandelt wird dagegen die Situation, dass Dritte wegen einer rechtswidrigen Untersagung Schadensersatzansprüche verfolgen, weil die Untersagung das Entstehen eines größeren Abnehmers vereitelt. Derartige Personen sind von der nicht erteilten Freigabe nicht betroffen. Als wesentlichen Unterschied dieser Sachverhalte zu den oben 265 Zum weiten Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum BVerfGE 77, 170 (214 f.); 92, 26 (46); für die Bankenaufsicht auch BGHZ 162, 49 (63 ff.). 266 Dazu Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 188 ff. Zur Relativierung der grundrechtlichen Schutzpflichten i. R. der Amtshaftung s. auch dens., S. 188 m. w. Nwn. in Fn. 92.
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behandelten Fällen267 lässt sich zunächst das Vorhandensein einer behördlichen Genehmigung268 ausmachen. Während in den oben angesprochenen Fallgruppen die Behörde regelmäßig untätig bleibt, ist in den hier interessierenden Konstellationen das Bundeskartellamt tätig geworden und übernimmt insoweit eine gewisse Verantwortung für die Rechtmäßigkeit der Freigabe. Ein weiterer Unterschied besteht im Fehlen zivilrechtlichen Rechtsschutzes im Bereich der Fusionskontrolle, so dass die Liquidierung erlittener Schäden im Wege des private enforcement nicht in Betracht kommt und Drittschutz daher nicht anderweitig erlangt werden kann.269 Diese Unterschiede müssen bei der Beantwortung der Frage nach dem Bestehen drittbezogener Amtspflichten bei der Fusionskontrolle berücksichtigt werden. Staatliche Genehmigungsvorbehalte sollen grundsätzlich nicht drittbezogen gegenüber Konkurrenten sein.270 Daneben könnte auch der Regelungsgegenstand der Fusionskontrolle gegen die Anerkennung der Drittbezogenheit sprechen. Zwar verändern die Kartellbehörden mit der Freigabe eines Zusammenschlussvorhabens die Wettbewerbssituation auf dem Markt, was sich letztlich auf die dort agierenden Unternehmen auswirkt.271 Unmittelbar verantwortlich für diese Veränderung ist aber erst der tatsächliche Vollzug des Zusammenschlusses. Da nach § 41 Abs. 1 S. 1 GWB dieser Vollzug dessen vorherige Freigabe voraussetzt, kommt der Freigabe ein entscheidendes Moment zu. Aus diesem Grund kann der Drittschutz daher nicht per se verneint werden. Jedoch stellt der Umstand, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, für sich genommen und im Unterschied etwa zum USamerikanischen Kartellrecht272 kein kartellrechtswidriges Verhalten dar; Grenzen werden erst durch die Missbrauchsaufsicht gezogen. Da Gegen267
§ 9 D. I. Indes handelt es sich nur bei der Freigabe im Hauptprüfungsverfahren nach § 40 Abs. 2 GWB um einen anfechtbaren Verwaltungsakt, s. dazu o. im ersten Teil in Fn. 137. 269 Bunte, in: FS Tilmann, 2003, S. 621 (635 f.). Veelken [WRP 2003, 207 (242)] stellt auf den „weitgehenden Ausschluss[. . .] von Privatklagerechten im Fusionskontrollverfahren“ ab. 270 Vgl. BVerwG VersR 1964, 33 f.; Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 256, der insoweit die Genehmigungsvorbehalte der staatlichen Aufsicht gleichstellt. 271 Säcker, in: FS Hirsch, 2008, S. 323 (325). 272 Vgl. Sherman Anti-Trust Act (1890), 26 Stat. 209, 15 U.S.C § 2: „Every person who shall monopolize, or attempt to monopolize, or combine or conspire with any other person or persons, to monopolize any part of the trade or commerce among the several States, or with foreign nations, shall be deemed guilty of a misdemeanor, and, on conviction thereof; shall be punished by fine not exceeding five thousand dollars, or by imprisonment not exceeding one year, or by both said punishments, in the discretion of the court.“ 268
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stand der Fusionskontrolle jedoch gerade die Verhinderung der erheblichen Behinderung des wirksamen Wettbewerbs ausmacht, insbesondere durch die Begründung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung (§ 36 Abs. 1 S. 1 GWB), könnte den fusionskontrollrechtlichen Vorschriften eine drittschützende Wirkung abzusprechen sein. Diese Linie verfolgte auch die frühere Rechtsprechung, die den Individualanspruch auf Untersagung eines Zusammenschlussvorhabens regelmäßig verneint: Insoweit „dienen [die Vorschriften der Zusammenschlusskontrolle] der Sicherung des Wettbewerbs vor einer Vermachtung des Marktes durch marktbeherrschende Unternehmen und damit der Wahrung gesamtwirtschaftlicher Belange, nicht aber den Individualinteressen der unmittelbar oder mittelbar Betroffenen. Das ist Sinn und Zweck dieser Vorschriften zu entnehmen und wird durch ihre Entstehungsgeschichte belegt.“273 Diese den Drittschutz ablehnende Betrachtungsweise wird von der heutigen Rechtsprechung und der h. M. innerhalb der Literatur nicht mehr vertreten. Der Auffassungswandel lässt sich mit dem Tätigwerden des Gesetzgebers erklären. Während bis zur 6. GWB-Novelle 1999 die Freigabe eines Zusammenschlussvorhabens unmittelbar aus dem Gesetz folgte,274 setzt sie nach § 40 Abs. 2 S. 1 GWB nunmehr eine förmliche Verfügung voraus. Mit der Schaffung eines Verwaltungsakts geht die Möglichkeit einher, gegen diesen vorzugehen.275 Fusionskontrollrechtlicher Drittschutz bestand daher jedenfalls seit dem Jahre 1999. Diese theoretische Möglichkeit einer Drittbeschwerde gegen Freigaben in der Zusammenschlusskontrolle hat sieben Jahre später durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in der Sache pepcom eine erhebliche Aufwertung erfahren.276 Da im Rahmen der kartellrechtlichen (Dritt-)Beschwerde anders als im allgemeinen Verwaltungsprozessrecht die Möglichkeit einer Verletzung in subjektiv-öffentlichen Rechten nicht geltend gemacht werden muss, begründet allein die Stellung als Verfahrensbeteiligter (§ 54 Abs. 2 GWB) die Beschwerdebefugnis, vgl. 273 KG WuW/E OLG 1758 (1759). Vgl. auch BGH WuW/E DE-R 1571 (1572); OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 1293 (1296); WuW/E OLG 1644 (1645); KG, WuW/E OLG 5849 (5850 f.); Topel, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 50 Rn. 104; Bien, Drittschutz, 2007, S. 52 ff. Krit. an der Festlegung auf einen reinen Allgemeinschutz Roth, in: FK, Bd. V, 49. EL 11/2001, § 33 GWB 1999 Rn. 84, 108. 274 Insoweit trat die Freigabe ipso iure durch den Ablauf der Untersagungsfristen des § 24 Abs. 2 S. 2 GWB a. F. ein, s. etwa Bunte, in: FS Tilman, 2003, S. 621 (625). 275 Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 36 Rn. 30; Bunte, in: FS Tilman, 2003, S. 621 (622); Dormann, Drittklagen, 2000, S. 18. Einer Beschwerde gegen die Freigabeverfügung kommt indes nach § 64 Abs. 1 GWB keine aufschiebende Wirkung bei. 276 BGHZ 169, 370.
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§ 63 Abs. 2 GWB. Daher entfaltet die Beiladung Auswirkungen auf die Stellung eines Dritten, insbesondere auf seinen Rechtsschutz. Sie hat die Funktion, „den Kreis der Beschwerdeberechtigten zu bestimmen“.277 Insofern folgt schon aus der Verfahrensbeteiligung die Existenz drittbezogener Amtspflichten. Indes dient die Beiladung in erster Linie der Sachaufklärung im Kartellverwaltungsverfahren und verfolgt damit prozessökonomische Ziele.278 Für den Fall, dass ein nicht beigeladener Dritter durch die Freigabe erheblich in seinen Interessen berührt wird, ist er nach dem Bundesgerichtshof analog § 42 Abs. 2 VwGO, § 63 Abs. 2 GWB beschwerdebefugt, ohne eine nachträgliche Beiladung erstreiten zu müssen.279 Insoweit ist die Formalisierung des Drittrechtsschutzes zugunsten einer mit Art. 19 Abs. 4 GG und dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehenden Lösung aufgegeben worden. Da sich die Beschwerdebefugnis eines Nichtbeteiligten an den Beiladungsvoraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB orientiert, muss die Entscheidung des Bundeskartellamts den Dritten in seinen Interessen erheblich berühren.280 Insoweit sind auch wirtschaftliche Interessen ausreichend, entscheidend ist, dass diese rechtserheblich betroffen sind.281 Dies ist der Fall, wenn sich das Verfahrensergebnis unmittelbar oder mittelbar auf die wirtschaftliche Lage des Dritten auswirkt.282 Die Interessen müssen mit der Freiheit des Wettbewerbs oder der Wettbewerbsstruktur im relevanten Markt zusammenhängen; bloß individuelle Einzelinteressen reichen daher nicht aus.283 Dies führt dazu, dass diese Interessen nur ausnahmsweise berührt sein dürften. Wegen des Gleichlaufs der Bestimmung der Drittbezogenheit mit der Beschwerdebefugnis müssen sich derartige Amtspflichten im Grundsatz bejahen lassen. Es stellt sich jedoch die Frage, ob die insbesondere mit dem Gleichheitssatz begründete pepcom-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Anerkennung drittbezogener Amtspflichten führen kann. Zwar spräche der Verweis auf den dadurch eröffneten Primärrechtsschutz für ein derartiges Ergebnis.284 Teilweise wird dies lediglich als Indiz für den Drittschutz 277
BGH WuW/E DE-R 2138 (2141); 2725 (2727). BGHZ 169, 370 (373); BGH WuW/E DE-R 2725 (2726). 279 BVerfG-K WuW/E DE-R 2667 (2670); BGHZ 169, 370 (374 ff.); nunmehr h. M., hierzu statt vieler nur K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 63 Rn. 22. Krit. Bechtold, NJW 2007, 562 (563 f.). 280 BGHZ 155, 214; 169, 370 (375). s. hierzu schon § 9 C. 281 K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, 4. Aufl. 2007, GWB, § 54 Rn. 38 m. Nwn. Krit. zur Unbestimmtheit Säcker, in: FS Hirsch, 2008, S. 323 (328 ff.). 282 OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 523 (525) m.Nwn. aus der Rspr.; Beschl. v. 10.4.2006, VI-3 Kart 164/06 (V), (Rn. 11 – juris). 283 OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 523 (525). 284 Allg. schon § 9 A. II. 2. c). 278
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angesehen.285 Die Erweiterung des Rechtsschutzes auf diesen Personenkreis erfolgte in erster Linie wegen einer anderenfalls erfolgenden Ungleichbehandlung mit den beigeladenen Personen. Dass die Beiladung lediglich auf die erhebliche Interessenberührung abstellt, ist im Übrigen grundgesetzlich nicht geboten.286 Im Falle der kartellrechtlichen Beschwerde ist eine Rechtsverletzung nämlich nicht erforderlich, vielmehr reicht die Verfahrensbeteiligung als solche aus. Die Beiladung ihrerseits führt aber dazu, dass der Beigeladene in das Verwaltungsverfahren mit einbezogen wird mit der haftungsrechtlichen Konsequenz, dass schon insoweit drittbezogene Amtspflichten existieren. Vorauszusetzen ist nach der pepcom-Rechtsprechung daneben eine erhebliche Interessenberührung.287 Da auch die Beiladung nach § 54 Abs. 2 Nr. 3 GWB die erhebliche Interessenberührung voraussetzt, ist auch insoweit die Existenz von drittbezogenen Amtspflichten bei der Prüfung eines Zusammenschlussvorhabens anzuerkennen. Die Reichweite einer derartigen Drittbezogenheit ist mit Blick auf die Interessenberührung festzustellen. Hierzu kann die Rechtsprechung zum Primärrechtsschutz herangezogen werden. Diese die grundsätzliche Existenz von drittbezogenen Amtspflichten im Rahmen der Zusammenschlusskontrolle bejahende Auffassung wird auch in der Literatur vertreten288 und entspricht im Übrigen der Situation im Bereich der europäischen Zusammenschlusskontrolle289. Schließlich setzt auch das Oberlandesgericht Düsseldorf voraus, dass amtshaftungsrechtliche Ansprüche Dritter und damit auch ein dahingehender Drittbezug der Amtspflichten dem Grunde nach bestehen müssen.290 III. Zwischenergebnis Im Ergebnis ergibt die Drittbezogenheit von Amtspflichten gegenüber Personen, die weder Adressaten noch Verfahrensbeteiligte waren, ein gespaltenes Bild: Für die Kartell- und Missbrauchsaufsicht ist die Existenz 285 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 234; Kreft, in: BGBRGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 BGB Rn. 239. 286 Säcker, in: FS Hirsch, 2008, S. 323 (328). 287 Vgl. hierzu die Nw. in Fn. 280 ff. 288 So ausdr. Veelken, WRP 2003, 207 (242); einschränkend Dormann, Drittklagen, 2000, S. 164, die eine drittbezogene Amtspflicht erst annimmt, „wenn ein völliger Ausschluss eines Konkurrenten, Lieferanten oder Abnehmers von einem relevanten Markt aufgrund der marktbeherrschenden Stellung des zusammengeschlossenen Unternehmens erfolgt“. 289 Dazu schon § 5 A. III. 3. b) bb). 290 OLG Düsseldorf Beschl. v. 30.6.2004, VI-Kart 4/04 (V), (Rn. 29 – juris), Beschl. v. 30.6.2004, Kart 9/04 (V), (Rn. 30 – juris).
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drittbezogener Amtspflichten abzulehnen. Hingegen bestehen hinsichtlich der Fusionskontrolle entsprechende Amtspflichten. Diese beschränken sich jedoch auf Ausnahmefälle, in denen ein Zusammenschluss ihre Interessen erheblich berührt. Für die Einzelheiten bietet sich eine Orientierung an der Rechtsprechung zum Primärrechtsschutz an.
E. Zusammenfassung Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Feststellung einer Amtspflichtverletzung keine besonders gelagerten Probleme aufwirft. Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass mit den Beschlussabteilungen des Amtes Kollegialorgane zur Entscheidung berufen sind. Soweit im Primärrechtsschutz die Rechtswidrigkeit einer Verfügung festgestellt worden ist, ist hiermit auch ihre Amtspflichtwidrigkeit bindend festgestellt. Liegt eine solche Entscheidung dagegen nicht vor, hat das Amtshaftungsgericht die Verfügung in Abwesenheit von Kontrolldichtereduktionen wegen etwaiger Beurteilungsspielräume vollumfänglich zu überprüfen. Die Drittbezogenheit der dem Bundeskartellamt obliegenden Amtspflichten kann regelmäßig mit dem hergebrachten Instrumentarium festgestellt werden. Der These, die Bestimmung der Drittbezogenheit stehe „im Mittelpunkt der haftungsrechtlichen Problematik der Wirtschaftsaufsicht“291, ist daher zu widersprechen. Dieses Zitat verkürzt das Verständnis der Drittbezogenheit auf die Situation der Geltendmachung von Ersatzansprüchen wegen eines unterlassenen Einschreitens der Aufsichtsbehörde. Für diesen Fall zeigt sich auch im deutschen Recht ein aus dem Unionsrecht bekanntes Ergebnis: Insoweit sind die Geschädigten auf die unmittelbaren Schädiger zu verweisen; eine Inanspruchnahme des Bundes als Träger der Kartellaufsicht ist ausgeschlossen. Die ungleich häufigere Situation der Geltendmachung von Ersatzansprüchen durch Entscheidungsadressaten oder Verfahrensbeteiligten lässt diese These hingegen außer Acht.292 Letztlich lässt sich diese (zu enge) Betrachtungsweise wohl mit der Bezeichnung Drittbezogenheit erklären.293
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s. dazu o. in Fn. 33. Vgl. dazu auch schon o. in Fn. 140. 293 Die ihrerseits auf der Konstruktion der Amtshaftung beruht, dazu bereits o. bei Fn. 20. 292
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§ 10 Verschulden und Spruchrichterprivileg Die Kartellaufsicht wird im Wege der unmittelbaren Bundesverwaltung durch das Bundeskartellamt als selbstständiger Bundesoberbehörde wahrgenommen. Funktional zur Entscheidung berufen sind hierbei die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts, § 51 Abs. 2 S. 1 GWB. Im Folgenden werden die aus dieser Ausgestaltung resultierenden Besonderheiten in Bezug zu dem Verschulden (A.) sowie zur Anwendbarkeit des in § 839 Abs. 2 S. 1 BGB geregelten sog. Spruchrichterprivilegs (B.) gesetzt.
A. Das Verschulden als Tatbestandsmerkmal der Amtshaftung Die Amtshaftung setzt voraus, dass die Amtspflicht vorsätzlich oder fahrlässig verletzt worden ist. Als verschuldensabhängige Haftung ist ein bloß objektiv-amtspflichtwidriges Handeln daher nicht hinreichend.294 Diese Ausgestaltung fußt auf der Konstruktion der Amtshaftung als übergeleiteter deliktischer Eigenhaftung und bringt die subjektive Vorwerfbarkeit der Amtspflichtverletzung bzw. die persönliche Verantwortung des Amtswalters zum Ausdruck.295 Bezugspunkt des Verschuldens ist entsprechend dem allgemeinen Deliktsrecht ausschließlich die Amtspflichtverletzung und nicht etwa der Schaden oder der Kausalzusammenhang.296 Das Verschuldensprinzip der Staatshaftung ist Gegenstand (teilweise heftiger) rechtspolitischer Kritik297 und war im eine unmittelbare Staatshaftung normierenden und nicht in Kraft getretenen StHG nicht mehr vorgesehen.298 Die Rechtsprechung hat sich dieser Kritik nicht verschlossen und die Verschuldensanforderungen modifiziert. Insoweit hat de lege lata eine gewisse Annäherung der Amtshaftung an eine unmittelbare Staatshaftung stattgefunden.299 294
In diesen Fällen kommt eine Entschädigung nach dem sog. enteignungsgleichen Eingriff in Betracht, hierzu überblicksartig § 10 A. V. 295 Vgl. nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 74 f.; zum Verständnis i. S. einer subjektiven Vorwerfbarkeit nur Medicus/Lorenz, Schuldrecht Allg. Teil, 20. Aufl. 2012, Rn. 359. 296 BGHZ 135, 354 (362); 154, 54 (Rn. 49 – juris; insoweit in BGHZ nicht abgedruckt); B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 563. 297 Zusammenfassend etwa Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 BGB Rn. 24 ff.; Schäfer/Bonk, StHG, 1982, Einführung Rn. 49 f. 298 Vgl. Schäfer/Bonk, StHG, 1982, Einl §§ 1–13 Rn. 2. 299 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 75. Vor dem Hintergrund, dass der Grad des Verschuldens die Anwendbarkeit des Verweisungsprivilegs, § 839 Abs. 1 S. 2 BGB oder das Spruchrichterprivileg, § 839 Abs. 2 S. 1 BGB bedingt, ist ein vollständiger Verzicht auf das Verschulden de lege lata nicht unproble-
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I. Erscheinungsformen des Verschuldens Nach § 276 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 BGB setzt schuldhaftes Handeln entweder Vorsatz oder Fahrlässigkeit voraus. Diese Differenzierung ist auch im Rahmen der Amtshaftung von Bedeutung, da der Regress (vgl. Art. 34 S. 2 GG) und die sog. Subsidiaritätsklausel in § 839 Abs. 1 S. 2 BGB an eine bestimmte Art des Verschuldens anknüpfen. Vorsätzliches Handeln ist gegeben, wenn sich der Amtsträger bewusst über die Amtspflicht hinwegsetzt.300 Dieser Komplex wird im Folgenden ausgespart, so dass die Fahrlässigkeit den alleinigen Gegenstand der Ausführungen bildet. II. Das Verschulden in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 1. Zugrundelegung eines objektiven Fahrlässigkeitsmaßstabs
Fahrlässig handelt nach § 276 Abs. 2 BGB, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt erforderlich ist, bestimmt der jeweilige Verkehrskreis, der Inhalt der erforderlichen Sorgfaltspflicht ist also zu typisieren und objektiv zu ermitteln.301 Dabei stellt die Rechtsprechung regelmäßig auf einen „pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten“ ab.302 Individuelle Stärken oder Schwächen sind für den Sorgfaltsmaßstab nicht maßgeblich, vielmehr hat jeder Amtsträger die zur Ausübung des Amtes notwendigen Rechts- und Verwaltungskenntnisse zu besitzen oder sich diese zu verschaffen.303 Eine erste Konkretisierung erfährt der anzulegende Sorgfaltsmaßstab durch die in Rede stehende Verwaltungsaufgabe, da die jeweils zu beachmatisch. Für eine vollständig auf das Verschuldenserfordernis verzichtende Neuregelung der Amtshaftung bleibt daher der Gesetzgeber zuständig. 300 Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 195. 301 BGHZ 113, 297 (303); BGH NJW-RR 2013, 1490 (1491); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 78; Grundmann, in: MüKo BGB, 6. Aufl. 2012, § 276 Rn. 55. 302 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 78 m. w. Nwn. aus der Rspr. Nach BGHZ 117, 240 (249) „kommt es für die Verschuldensfrage auf die Kenntnisse und Einsichten des Beamten an, die für die Führung des übernommenen Amtes erforderlich sind“. 303 BGHZ 106, 323 (329 f.); 134, 268 (274), wonach an die Bediensteten einer obersten Landesbehörde im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren „hohe Anforderungen“ gestellt werden. Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 289 spricht insoweit von einer „Objektivierung [. . .] in zweierlei Hinsicht“, da zum einen auf den pflichtgetreuen Durchschnittsbeamten abgestellt wird, dessen Qualifikation zum anderen jedem Beamten abverlangt wird.
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tenden Sorgfaltsanforderungen mit der Bedeutung dieser Aufgabe korrelieren. Dies folgt schon daraus, dass die erforderliche Sorgfalt zu beachten ist. Je bedeutsamer eine Aufgabe daher ist, desto höhere Sorgfaltsanforderungen bestehen.304 Bei einer objektiv unrichtigen Maßnahme einer Fachbehörde soll nach der Rechtsprechung fahrlässiges Handeln sogar vermutet werden können, wenn bei ihr die erforderliche Sachkunde vorausgesetzt werden kann.305 Aufgrund der vorauszusetzenden Vertrautheit mit der Materie bei den dort tätigen Amtswaltern sind die Sorgfaltsmaßstäbe jedenfalls im höheren Bereich anzusiedeln.306 So soll etwa die Kenntnis von entsprechender Kommentarliteratur vorauszusetzen sein.307 Im Zusammenhang mit einer Amtspflichtverletzung durch Beamte der Bundesbank hat der Bundesgerichtshof zudem darauf hingewiesen, dass „auf die akademisch vorgebildeten Beamten einer für das Geldwesen und Kreditwesen zuständigen Spezialbehörde“308 abzustellen ist. An die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts, die in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei Beisitzenden entscheiden, die Beamte auf Lebenszeit sind und die Befähigung zum Richteramt oder zum höheren Verwaltungsdienst haben und daher akademisch vorgebildet sind, können diese Maßstäbe ebenfalls angelegt und der Vergleichsmaßstab folglich entsprechend eng gezogen werden. Ebenso können von ihnen vertiefte Kenntnisse in der Anwendung und Auslegung der entsprechenden Normen verlangt werden.309 Daneben kann nicht nur die Art der wahrzunehmenden Aufgabe, sondern auch die Stellung der die Aufgabe wahrnehmenden Behörde innerhalb der Verwaltungsorganisation Auswirkungen auf den Sorgfaltsmaßstab entfalten. Soweit es sich um ein Verfahren auf oberster Ebene handelt, ist eine „besonders gründliche Prüfung“ anzustellen und der Sorgfaltsmaßstab insofern 304
BGHZ 134, 268 (274 f.); B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 587 f. 305 BGH VersR 1969, 539 (541); OLG Düsseldorf VersR 1976, 1180 (jeweils für die Straßenverkehrsbehörde); LG Karlsruhe, Urt. v. 28.4.2009, 2 O 362/08 (Rn. 33– juris; für das Oberschulamt); Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 208. Diese Vermutung dürfte indes nur bei einer besonders krassen Amtspflichtwidrigkeit und daher nur ausnahmsweise anzunehmen sein, da anderenfalls in diesen Fällen eine vom Gesetz nicht vorgesehenen verschuldensunabhängigen Haftung bei der Tätigkeit von Fachbehörden bestünde. Gegen diese Vermutung ausdrückl. OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 4230 (4232 f.). 306 Vgl. BGH VersR 1969, 539 (541). s. auch Oppermann/Tiemann, Verschuldensmaßstäbe bei Amtshaftung der Deutschen Bundesbank, 1983, S. 44 f., mit Blick auf die regelmäßig hinreichende Ausstattung derartiger Behörden in qualitativer und quantitativer Hinsicht. 307 BGH NJW 1984, 168 (Rn. 14 ff., 19 – juris, insoweit in NJW nicht ausgeführt). 308 BGH NJW 1979, 2097 (2098 f.). 309 s. Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (134).
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auch entsprechend zu erhöhen.310 In der Rechtsprechung wurde dies etwa für ein atomrechtliches Genehmigungsverfahren bei einer obersten Landesbehörde im Gegensatz zu sonstigen „Alltagsgeschäften“ festgestellt. Unklar ist, ob hierbei alleine die Stellung der Behörde maßgeblich ist, oder ob die übernommene Aufgabe aus sich heraus zur entsprechenden Erhöhung der Sorgfaltspflichten führt. Insoweit lassen sich auch Parallelen zum Bundeskartellamt ziehen: Zwar handelt es sich nicht um eine oberste Bundesbehörde, sondern gemäß § 51 Abs. 1 GWB um eine obere Bundesbehörde. Indes bezweckt die organisatorische Ausgestaltung als Bundesoberbehörde, dass die Ministerien von denjenigen Aufgaben entlastet werden, die einen speziellen Sachverstand erfordern.311 Ferner weisen Bundesoberbehörden keinen Verwaltungsunterbau auf und sind für das gesamte Bundesgebiet zuständig.312 Insoweit lässt sich von einem Verfahren auf oberster Ebene sprechen.313 Aufgrund der in § 48 Abs. 2 S. 1 GWB angeordneten ausschließlichen Zuständigkeit des Bundeskartellamts handelt es sich bei der kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit gewissermaßen um das „Alltagsgeschäft“ der Behörde. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob insoweit ein quantitatives oder aber ein qualitatives Verständnis dieses Begriffes zugrunde zu legen ist. Während im ersten Fall die Anwendbarkeit der vorerwähnten Rechtsprechung in Zweifel gezogen werden kann,314 ist ihr im letzten Fall zu folgen. Eine konkrete Grenzziehung zwischen den sich aus der Art der Aufgabe und aus der Stellung der Behörde ergebenden Auswirkungen auf den Sorgfaltsmaßstab gestaltet sich als schwierig, da sich ein quantitatives Verständnis in einen Widerspruch zu den Ergebnissen setzt, die sich aus der Art der Aufgabe ergeben: Die Stellung als obere Bundesbehörde und als Fachbehörde bringt es mit sich, dass sich die ihr zugewiesenen Aufgaben quasi als „Alltagsgeschäfte“ darstellen. Ferner führt die Befassung mit zahlreichen Vorgängen dazu, dass sich Spezialisierungen ergeben.315 Da nach dem oben Gesagten schon von erhöhten Sorgfaltspflichten ausgegangen werden muss, muss die Frage nicht entschieden werden. 310 BGHZ 134, 268 (274). Für die – kraft Verfassung über eine herausragende Stellung verfügende – Bundesbank s. Oppermann/Tiemann, Verschuldensmaßstäbe bei Amtshaftung der Deutschen Bundesbank, 1983, S. 39. 311 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 252. s. jedoch auch die Ministererlaubnis in § 42 GWB. 312 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 250. 313 In diese Richtung auch Klose, Verhältnis, 1998, S. 245. 314 Vgl. auch LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3859), das mit Bezug auf die vierstellige Zahl an Zusammenschlusskontrollfällen im Jahr vom „‚Alltagsgeschäft‘ einer staatlichen Genehmigungsbehörde“ spricht. 315 So auch Hauser/Auf’mkolk, EWS 2013, 245 (247); ferner Kliebisch, WRP 2013, 742 (746).
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
Nach alledem lässt sich festhalten, dass für die weitere Untersuchung ein erhöhter Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen ist. 2. Fahrlässigkeitsmaßstab bei fehlerhafter Rechtsanwendung
Bei fehlerhafter Rechtsanwendung ist die Verletzung dieses erhöhten Sorgfaltsmaßstabs besonders begründungsbedürftig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jeder Amtswalter verpflichtet, die Gesetzes- und Rechtslage unter Zuhilfenahme der ihm zur Verfügung stehenden Hilfsmittel sorgfältig und gewissenhaft zu prüfen und sich danach auf Grund vernünftiger Überlegungen eine Rechtsmeinung zu bilden.316 Bei Rechtsfragen, die in der Rechtsprechung und Literatur bisher unbeantwortet sind, handelt der Amtswalter (erst) fahrlässig, „wenn sich Auslegung und Anwendung so weit von Wortlaut und Sinn des Gesetzes entfernen, daß das gewonnene Ergebnis nicht mehr als vertretbar angesehen werden kann“.317 Daher ist nicht jede fehlerhafte Rechtsanwendung geeignet, den Verschuldensvorwurf zu begründen: „Wenn die nach sorgfältiger Prüfung gewonnene Rechtsansicht des Amtsträgers als rechtlich vertretbar angesehen werde kann, dann kann aus der Mißbilligung dieser Auffassung durch die Gerichte ein Schuldvorwurf nicht hergeleitet werden. Die Verneinung des Schuldvorwurfs setzt demnach voraus, daß die letztlich als unzutreffend erkannte Rechtsmeinung nicht nur vertretbar, sondern auch aufgrund sorgfältiger rechtlicher und tatsächlicher Prüfung gewonnen worden war.“318 Insbesondere bei komplexen Sachverhalten soll es darauf ankommen, ob die Entscheidung des handelnden Beamten noch vertretbar ist.319 Voraussetzung ist aber stets, dass die Rechtsmeinung aufgrund sorgfältiger und tatsächlicher Prüfung gewonnen wurde.320 Ein Versehen führt folglich nicht unbe316
BGHZ 36, 144 (148 f.); 119, 365 (369); BGH NJW 2003, 3693 (3696). BGH NJW 2003, 3693 (3696); s. auch BGHZ 161, 305 (309) m. w. Nwn. 318 BGHZ 119, 365 (369 f.); 139, 200 (203); 146, 153 (165); Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 BGB Rn. 198. In BGHZ 150, 172 (181) relativiert der Senat die vorgenannte Rspr. insoweit, dass er auf die Besonderheiten der kassenärztlichen Vereinigung hinweist, bei dem es sich „um ein Gremium handelt, dessen Mitglieder mit dem einheitlichen Bewertungsmaßstab für das Funktionieren der vertragsärztlichen Versorgung auf höchster Ebene grundlegende Normsetzungsentscheidungen zu treffen haben“. 319 Instruktiv für den Wegfall der Bardepotpflicht Oppermann/Tiemann, Verschuldensmaßstäbe bei Amtshaftung der Deutschen Bundesbank, 1983, S. 37 f. Ähnl. für die Zusammenschlusskontrolle Veelken, WRP 2003, 207 (242); Dormann, Drittklagen, 2000, S. 165. 320 Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 198, 204; vgl. auch Witting/ Jäger, WuW 2013, 126 (133), die die Wichtigkeit der „korrekte[n] Feststellung des Sachverhalts“ als Grundlage der rechtlichen Bewertung betonen. 317
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dingt zur Bejahung des Verschuldensvorwurfs. Insoweit ist zwischen der zur objektiven Amtspflichtwidrigkeit führenden Rechtswidrigkeit einer Entscheidung und der subjektiven Vorwerfbarkeit strikt zu trennen. Die Frage, ob dem handelnden Amtswalter Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, ist immer eine solche des Einzelfalls. Hierbei sind die verletzten Bestimmungen des GWB besonders in den Blick zu nehmen. Das Gesetz weist zwar eine Vielzahl offener bzw. unbestimmter Tatbeständen auf. Diese vermitteln dem Amt hingegen keinen der gerichtlichen Kontrolle nur eingeschränkt zugänglichen Beurteilungsspielraum.321 Bei Zweifelsfragen hinsichtlich ihrer Auslegung und Anwendung dürften jedoch entsprechende Modifikationen bei dem Verschulden angezeigt sein.322 Derartige Auslegungs- und Anwendungsfragen sind angesichts der Dynamik des Wettbewerbs und des Aufkommens neuer Märkte auch nach über 50 Jahren Entscheidungspraxis zum GWB denkbar. Das Landgericht Köln hat im GNStore-Nord-Verfahren daher auch die Anwendungsschwierigkeiten bei der sog. Oligopolvermutung in § 18 Abs. 6 GWB n. F. auf die Fusionskontrolle hervorgehoben und infolgedessen ein Verschulden ausgeschlossen.323 Zur Begründung hat es unter anderem auf die notwendige „wertende Gesamtbetrachtung“ abgestellt und dabei betont, dass hierfür ein vorgeschriebenes Regelwerk nicht existiert:324 „Welchen der einzelnen Umstände das jeweilige Entscheidungsgremium dabei ein größeres Gewicht beimisst, ist [. . .] stets auch Gegenstand persönlicher, durch eigene Erfahrungen geprägter Einschätzung. Dass ein Entscheidungsgremium bei einer Vielzahl gegeneinander abzuwägender Gesichtspunkte zu einem anderen Ergebnis kommen kann, als ein anderes Entscheidungsgremium, liegt hierbei in der Natur der Sache. Deshalb kann es bei einer einzelfallbezogenen Gewichtung vielfacher Umstände eine Unterscheidung nach richtig und falsch nicht oder allenfalls nur in Fällen eines evidenten Irrtums geben.“325 Dieses restriktive Verständnis wird auch in der Literatur vertreten. So wird für die in § 36 Abs. 1 GWB geforderte Prognoseentscheidung der Verschuldensvorwurf ebenfalls nur ausnahmsweise angenommen und etwa darauf abgestellt, ob „eine evidente Fehlbeurteilung oder ein bewußtes und mißbräuchliches Ausnutzen der Befugnisse“326 vorliegt. Während im letzten Fall schon nicht mehr Fahrlässigkeit, sondern bereits vorsätzliches Handeln gegeben ist, lässt 321
s. dazu schon o. § 9 A. IV. 2. Ebenso LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3855). Wegen der Behördenpraxis für ein restriktives Verständnis jedoch Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (134). 323 LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3854 f.). 324 LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3855). 325 LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3855 f.); bestätigt durch OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 4230 (4231 ff., insb. 4240 f.). 326 Dormann, Drittklagen, 2000, S. 165; so auch Veelken, WRP 2003, 207 (242). 322
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sich die erstgenannte Feststellung als Beispiel für eine Vertretbarkeitsprüfung begreifen. Soweit Entscheidungen in der Zusammenschlusskontrolle oder aber in Bezug auf das Kartell- bzw. Missbrauchsverbot in Rede stehen, kommt es nach dem oben Gesagten im Kern darauf an, ob das Bundeskartellamt den Sachverhalt ausreichend ermittelt hat und aus dem Sachverhalt vertretbare rechtliche Schlüsse gezogen hat. Diese Reduktion ist indes nur bei entsprechenden Zweifelsfragen angezeigt. In Bezug auf die rechtliche Würdigung kann der Komplexität der Materie entscheidende Bedeutung zukommen: So können bei einer Frage mehrere Lösungsansätze vertretbar sein. Gerade bei einer spezialisierten Behörde muss diesem Punkt besondere Bedeutung beigemessen werden.327 Für die Einordnung einer Entscheidung als sorgfaltswidrig ist schließlich neben der Entscheidung an sich insbesondere auch ihre Begründung heranzuziehen.328 Sodann hat sich das Amtshaftungsgericht mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Entscheidung des Bundeskartellamts vertretbar ist. Zwar ist das Gericht insoweit an die Feststellung der Rechtswidrigkeit durch das Beschwerde- bzw. Rechtsbeschwerdegericht gebunden.329 Dennoch hat es die Subsumtion des Amtes unter die Vorschriften des GWB nachzuvollziehen und vor dem Hintergrund eines Verschuldens zu überprüfen. In dem GN-Store-Nord-Verfahren hat diese Prüfung den Großteil der Entscheidungsgründe des Landgerichts Köln und des Oberlandesgerichts Düsseldorf eingenommen. Bei der Feststellung der Verletzung des nach dem oben Gesagten erhöhten Sorgfaltsmaßstabs kommt es im Ergebnis also darauf an, ob der Entscheidung ein ausreichend ausermittelter Sachverhalt zugrunde gelegt und dieser – soweit Auslegungs- bzw. Anwendungsprobleme bestehen – rechtlich vertretbar gewürdigt worden ist. 3. Verschulden im Kollegialorgan – Bedeutung der Entindividualisierung
Während den Implikationen der Behördenorganisation des Bundeskartellamts auf die Amtspflichtverletzung schon nachgegangen worden ist,330 stellen 327
Bei grenzüberschreitenden Zusammenschlüssen, die der Jurisdiktion verschiedener Wettbewerbsbehörden unterfallen, dürften unterschiedliche Entscheidungen anderer Behörden keine Auswirkungen auf die in Rede stehende Frage des Verschuldens innerhalb des BKartA entfalten. Insoweit folgt diese Auffassung schon aus dem Prüfungsauftrag des BKartA. 328 Vgl. zur rechtsschutzbestimmenden Funktion der Begründung schon o. Fn. 142. 329 § 9 A. IV. 1. 330 Eingehend dazu § 9 A. III. Unkrit. insoweit Anschütz, WRP 1975, 198 (199).
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sich auch bei der Feststellung des Verschuldens – vordergründig – ähnliche Schwierigkeiten. Denn Verschulden impliziert die persönliche Vorwerfbarkeit eines (amts-)pflichtwidrigen Verhaltens.331 Bei der amtspflichtwidrigen Entscheidung eines Kollegialorgans stellt sich das Problem, dass das Verschulden des Kollegialorgans in dieser Form nicht existiert. Einem Kollegialorgan kann dieser Vorwurf nicht gemacht werden, subjektive Verantwortung, etwa im Sinne eines vorwerfbaren falschen Handelns, ist hier fehl am Platz. Daher kennt das an die Amtspflichtverletzung eines Amtswalters anknüpfende mittelbare Staatshaftungsrecht der Amtshaftung auch keine Kollegialhaftung.332 Zur Lösung dieses Problems kann auch nicht der funktionale Beamtenbegriff333 herangezogen werden, da das Verschulden grundsätzlich die individuelle Verantwortung voraussetzt. Ebenso scheidet ein Verweis auf die Amtspflichtverletzung durch das Kollegialorgan aus, da zwischen der (objektiven) Amtspflichtverletzung und dem (subjektiven) Verschulden zu differenzieren ist. Im Übrigen ist die Herausarbeitung der individuellen Verantwortlichkeit auch mit Blick auf einen etwaigen Regressanspruch bedeutsam,334 da nach Art. 34 S. 2 GG bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit der Rückgriff auf den schuldhaft Handelnden vorbehalten bleibt. Nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast muss der Geschädigte darlegen und gegebenenfalls beweisen, welcher Amtsträger im konkreten Falle die jeweilige Amtspflichtverletzung schuldhaft begangen hat.335 Es stellt sich daher die Frage, ob und bejahendenfalls wie in einer derartigen Situation der Verschuldensvorwurf erhoben werden kann. Grundsätzlich kann sich der Staat nicht durch die konkrete Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung von der Haftung freizeichnen;336 eine „Flucht aus der Verantwortung“ ist unzulässig. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der konkret amtspflichtwidrig handelnde Amtsträger vom Geschädigten nicht namentlich bezeichnet werden muss.337 Dieser Erleichterung liegt die Überlegung zugrunde, dass der Geschädigte in Ermangelung eines Einblicks 331
Zu diesem Verständnis bereits o. in Fn. 295. So schon RGZ 89, 13 (15); RG JW 1928, 2534; Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 146, 263; Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 256. Unklar dagegen BGH NZS 2012, 35 (36); OLG München, Urt. v. 21.1.2010, 1 U 5307/08 (Rn. 36 ff. – juris), die jeweils vom „Verschulden des Zulassungsausschusses“ sprechen. 333 Zu seiner Berücksichtigung i. R. der Amtspflichtverletzung jedoch § 9 A. III. 334 Vgl. auch Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 149 sowie schon o. in Fn. 101. 335 s. auch Zimmerling, in: juris-PK BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 839 Rn. 263. 336 Gödicke, MedR 2004, 481 (483). 337 RGZ 100, 102 (103); BGHZ 116, 312 (314 f.); 151, 198 (203 f.); 188, 302 (311). Insoweit wird auch von einer „Anonymisierung“ gesprochen, so z. B. von Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 179. 332
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in die Behördenstruktur den Schädiger oftmals nicht konkret zu bezeichnen vermag, da ihm die öffentliche Hand als Ganze entgegentritt.338 Ob dieses Telos auch für die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts Geltung beanspruchen kann, kann angezweifelt werden: Aufgrund der Bearbeitung durch einen Berichterstatter existiert zumindest ein konkreter Ansprechpartner. Auch ist die personelle Ausgestaltung der jeweiligen Beschlussabteilung letztlich überschaubar. Im Ergebnis ist jedoch die in der Beschlussabteilung getroffene Entscheidung als maßgeblich anzusehen. In den Prozess der konkreten Entscheidungsfindung hat der Geschädigte keinen Einblick. Soweit die Rechtswidrigkeit der Entscheidung eines Kollegialorgans geltend gemacht wird, kommt es darauf an, ob die Abstimmungsmehrheit von einem Beamten getragen wurde, der für die Amtspflichtverletzung verantwortlich gemacht werden kann.339 Voraussetzung ist indes, dass die in Anspruch genommene Körperschaft für alle handelnden Beamten einstandspflichtig ist.340 Für die Situation des Bundeskartellamts ist diese Voraussetzung erfüllt. Eine Einstimmigkeit der Entscheidung ist hierbei nicht erforderlich, jedoch sind nur die die Entscheidung tragenden Mitglieder regresspflichtig.341 Aufgrund dieser Entindividualisierung kann trotz des Umstands, dass das Bundeskartellamt durch Beschlussabteilungen entscheidet, der Verschuldensvorwurf erhoben werden. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit der Rechtsprechung zur Amtshaftung bei Kollegialorganen: So ist anerkannt, dass der Umstand, dass die Amtspflichtverletzung durch die Entscheidung eines Kollegialorgans begangen wurde, den Rechtsträger nicht von seiner Haftung freispricht.342 Aufgrund der Entindividualisierung des Verschuldens reicht es 338 So schon RGZ 100, 102 (103); s. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 79; Link, Das Verschulden in der Amtshaftung, 2006, S. 199. 339 RGZ 89, 13 (15) (für ein Schöffengericht); RG JW 1928, 2534 (für Mieteinigungsämter); BGHZ 106, 323 (329; für die Mitglieder des Stadtrates); 150, 172 (179; für die Mitglieder der kassenärztlichen Vereinigung); 188, 302 (311); BGH DVBl. 2006, 1185 (jeweils für die Mitglieder des kassenärztlichen Zulassungsausschusses); Kühn, Die Amtshaftung der Gemeinden wegen der Überplanung von Altlasten, 1997, S. 93, 97; Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 144. Gleichwohl geht die Rspr. regelmäßig auf diesen Punkt nicht vertiefend ein. Zur Diff. zwischen einem inneren Anknüpfungspunkt (der einzelnen Abstimmung) und einem äußeren Anknüpfungspunkt (dem rechtswidrigen Kommissionsvotum) Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 146 ff. 340 Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 144. 341 Dagtoglou, Ersatzpflicht des Staates bei legislativem Unrecht?, 1963, S. 45. Vgl. für das Verschulden des Stadtrates auch Kühn, Die Amtshaftung der Gemeinden wegen der Überplanung von Altlasten, 1997, S. 97. 342 So schon RGZ 89, 13 (15 ff.); im Übrigen allg. Meinung, vgl. Grzeszick, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 44 Rn. 28; Papier, in:
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vielmehr aus, wenn die Rechtswidrigkeit der Entscheidung und damit eine – gewissermaßen abstrakte – schuldhafte Amtspflichtwidrigkeit feststeht.343 4. Bedeutung der interdisziplinären Besetzung der Beschlussabteilungen
Es stellt sich weiterhin die Frage, ob die personelle Besetzung der Beschlussabteilungen den anzulegenden Sorgfaltsmaßstab beeinflussen kann. Neben Juristen sind auch Personen ohne juristische Ausbildung – bei denen es sich regelmäßig um Ökonomen handelt – in den Beschlussabteilungen vertreten und gemäß § 51 Abs. 3 und 4 GWB an der Entscheidungsfindung beteiligt. Da es sich insoweit um interdisziplinär besetzte Einrichtungen handeln kann, könnte für diese Fälle eine Reduktion des Sorgfaltsmaßstabs erwogen werden.344 Eine derartige Reduktion wirkt sich grundsätzlich für den Betroffenen in doppelter Hinsicht ungünstig aus, zum einen wegen einer rechtswidrigen und damit amtspflichtwidrigen Entscheidung, zum anderen wegen des mit dem reduzierten Sorgfaltsmaßstab einhergehenden fehlenden Verschuldens. Neben diese generellen Bedenken treten die Spezifika des Referenzgebietes. Angesichts der oftmals bei Fragen der ökonomischen Wertung bestehenden Schwierigkeiten ist die Mitwirkung von Ökonomen bei der Entscheidungsfindung gerade gewünscht.345 Ferner handelt es sich bei den Mitarbeitern des Bundeskartellamts um ausgewiesene Experten im Kartellrecht.346 Die Möglichkeit der oben angesprochenen Sorgfaltsreduktion stellt im Übrigen nicht pauschal auf juristische Laien, sondern vielmehr auf Laien in Bezug auf die tatsächliche Aufgabe ab. Der Umstand, dass die Beschlussabteilungen nicht nur mit Juristen besetzt sind, führt daher nicht zu einer Reduktion des Sorgfaltsmaßstabs. Vielmehr gelten die allgemeinen MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 128; Dagtoglou, in: BK GG, Bd. 4, 25. EL 9/1970, Art. 34 Rn. 381 ff. 343 Vgl. auch Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 149. Zum Verhältnis Rechtswidrigkeit/Amtspflichtwidrigkeit bereits § 9 A. I. 344 Der Gedanke der Sorgfaltsreduktion für Rechtsunkundige findet sich etwa in RG JW 1911, 714 (Gemeindevorsteher bei der Beurkundung eines Nottestaments) und wird weiterhin andiskutiert bei Teschner, Die Amtshaftung der Gemeinde nach rechtswidrigen Beschlüssen ihrer Kollegialorgane, 1990, S. 213 ff. Zu – hier nicht in Rede stehenden – haftungsrechtlichen Auswirkungen fehlender Rechts- und Verwaltungskenntnisse etwa Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 290, 293. Gödicke, MedR 2004, 481 (483) sieht es als problematisch an, einen einheitlichen Sorgfaltsmaßstab zu bestimmen. 345 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 249 ff.; Moosecker, GRUR 1978, 517 (Fn. 3: Fragestellungen in der Fusionskontrolle seien „selbst für den Juristen schwer durchschaubar“); Griesbach, WuW 1971, 813 (814 ff.). 346 Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (134); Bornkamm, in: FS BKartA, 2008, S. 36 f.
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Vorschriften, wonach von einem objektivierten Sorgfaltsmaßstab auszugehen ist, der auf die Fertigkeiten des Durchschnittsbeamten abstellt. Möglicherweise wirkt sich dieses Faktum aber umgekehrt aus: In Betracht kommt eine Erhöhung der Sorgfaltsmaßstäbe wegen der Tätigkeit von Experten innerhalb der Beschlussabteilungen. Derartige Modifikationen werden etwa für die Mitglieder von Ethikkommissionen diskutiert.347 Dagegen stellen die Beschlussabteilungen keine Kommissionen von Experten im Sinne derartiger Einrichtungen (professionell-pluralistisch besetzte Kollegialorgane348) dar, sondern lediglich eine besondere Form der funktionalen Organisation der Behörde. Die Zusammensetzung aus Juristen und Ökonomen soll daher – anders als etwa bei Ethikkommissionen oder auch bei den Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten, § 105 Abs. 1 GVG, – nicht dazu führen, „verschiedene Verkehrskreise miteinander zu verbinden, durch eine interdisziplinäre Beratung zu harmonisieren, um schließlich aus der Verkehrskreisvereinigung eine pluralistische Vertretbarkeitsentscheidung zu fällen.“349 Bei der Entscheidungsfindung innerhalb von Ethikkommissionen steht das Finden eines Kompromisses im Mittelpunkt.350 Vielmehr rührt die interdisziplinäre Besetzung der Beschlussabteilungen aus einer Öffnung für andere Disziplinen als die Rechtswissenschaft, deren Absolventen typischerweise historisch bedingt im Staatsdienst eingesetzt werden.351 Da Aufsichtsobjekt bzw. -ziel des GWB der Wettbewerb ist, geht das Gesetz mit einer Vielzahl unbestimmter, an wirtschaftliche Sachverhalte anknüpfenden Tatbestandsmerkmalen und entsprechenden Befugnisnormen einher.352 Durch die Beteiligung von Ökonomen an der Beschlussfassung soll der Gefahr begegnet werden, dass Juristen zur Beurteilung und Bewertung komplizierter wirtschaftlicher Sachverhalte nicht in der Lage sind.353 Im Unterschied zu den angesprochenen Ethikkommissionen 347 Vgl. bspw. Rieck, Staatshaftung für Ethikkommissionen, 2012, S. 138 f. m. Nwn. 348 Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 262. Zur Typologie der Kollegialverwaltung auch Groß, Kollegialprinzip, 1999, S. 51 ff. 349 Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 262. In diese Richtung (jedoch mit Blick auf die Berufung von Ökonomen in die Kartellsenate der Gerichte) auch Raiser, BB 1972, 471 (472). 350 Vgl. bspw. Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 263. 351 Niederleithinger, in: FS BKartA, 2008, S. 63; Raiser, BB 1972, 471 (472). Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 250, spricht insoweit vom „Erbe der Landgerichtsräte“. 352 Statt vieler Raiser, BB 1972, 471 (passim, insb. 473). 353 Nägele, in: FK, Bd. V, 61. EL 10/2006, § 51 GWB Rn. 17; ferner Raiser, BB 1972, 471 (473 f.). Nach Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 250 sind „[e]rhebliche Unterschiede zwischen den Entscheidungsentwürfen von Juristen und Volkswirten nicht mehr festzustellen“. Vgl. zu den Implikationen der Wirtschaft auf das
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soll es dabei nicht um das Finden eines vertretbaren Ergebnisses354 gehen, sondern vielmehr um das Finden einer richtigen Entscheidung.355 Hierzu soll auch die justizähnliche Ausgestaltung der Entscheidungsfindung beitragen, die innerhalb der Beschlussabteilung eine Diskussion vor der eigentlichen Entscheidung ermöglicht.356 Die interdisziplinäre Zusammensetzung der Beschlussabteilungen findet ihren Geltungsgrund daher in der übernommenen Aufgabe. 5. Bedeutung des Faktors Zeit
Die Erforderlichkeit der jeweils anzulegenden Sorgfalt wird auch durch den Faktor Zeit beeinflusst.357 Eine eingehende und sorgfältige Prüfung, wie sie von den Beamten erwartet werden kann, setzt das Vorhandensein eines ausreichenden Zeitkontingents voraus. Für die Kartellaufsicht ergibt sich bei der Beantwortung dieser Frage ein gespaltenes Bild. Bei der Kartell- und Missbrauchsaufsicht existieren keine besonderen Fristen. Insoweit sind die handelnden Beamten durch das allgemeine Beschleunigungsgebot angehalten, innerhalb eines angemessenen Zeitraumes zu entscheiden. Anders stellt sich die Lage bei der Fusionskontrolle dar. Hier bestehen Fristen (s. § 40 GWB), die die Beschlussabteilungen bei der Prüfung der Zusammenschlussvorhaben zu berücksichtigen haben. So muss regelmäßig innerhalb der Vier-Monats-Frist über die Untersagung eines Zusammenschlusses entschieden werden. Dabei können die Beschlussabteilungen nicht während des gesamten Zeitraums auf einen vollständig ausermittelten Sachverhalt zurückgreifen, sondern sind auf die Mitwirkung Dritter angewiesen. Daher steht der Sachverhalt oftmals erst am Ende dieser Frist vollständig fest.358 Eine Verlängerung dieser Frist ist nur unter den engen Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 S. 4 GWB zulässig. Dieses Zeitkorsett ist daher bei der Ermittlung des Sorgfaltsmaßstabs entsprechend zu berücksichtigen.359 Recht allg. auch Ehlers, in: ders./Fehling/Pünder, Bes. Verwaltungsrecht, Bd. I, 3. Aufl. 2012, § 1 Rn. 58 ff. 354 s. Vogeler, Ethik-Kommissionen, 2011, S. 148. 355 H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 17. 356 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 250 f., auch zu der unterschiedlichen tatsächlichen Ausgestaltung innerhalb der einzelnen Beschlussabteilungen. Zu dem in der Praxis häufigen Umlaufverfahren vgl. Ortwein, a. a. O., S. 251 sowie allg. Epping, DÖV 1995, 719 (722 f.). 357 BGH NJW 1953, 941 (943, für den Fall von Sofortmaßnahmen im II. Weltkrieg); NJW 1979, 2097 (2099). 358 Vgl. LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3860). 359 So auch Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (131). Zur insoweit vergleichbaren Lage im Unionsrecht bereits in § 5 B. III. 2. b).
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt 6. Bedeutung einer etwaigen Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen
In der Rechtsprechung wird für Fallgestaltungen, in denen eine bestimmte richterliche Maßnahme nicht in den Genuss der Haftungsprivilegierung des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB kommt, mitunter eine Reduktion des Haftungsmaßstabs auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit vorgenommen.360 Begründet wird dies mit dem Schutz der richterlichen Unabhängigkeit. In jüngeren Entscheidungen wird diese Frage nicht mehr auf Ebene des Verschuldens vorgenommen, sondern schon bei der Frage der Amtspflichtverletzung, so dass eine Maßnahme nicht mehr auf ihre Richtigkeit, sondern auf ihre Vertretbarkeit hin untersucht wird.361 Die Beantwortung dieser Frage setzt indes die Klärung der Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen voraus. Aufgrund ihrer engen Verzahnung mit § 839 Abs. 2 S. 1 BGB soll der tatsächlichen Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen erst in diesem Kontext nachgegangen werden.362 7. Beweislastumkehr im Rahmen des Verschuldens
Nach den allgemeinen Regeln der Darlegungs- und Beweislast ist der Geschädigte für den Nachweis des Verschuldens darlegungs- und beweisbelastet. Indes wird dieser Nachweis im Rahmen des Amtshaftungsprozesses insoweit abgeschwächt, als dass die Rechtsprechung eine Objektivierung und Entindividualisierung bei der Fahrlässigkeit anerkennt. Hierauf wurde schon hingewiesen. Abschließend soll auf die Anwendbarkeit der Beweislastregel des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB eingegangen werden. Da nach dieser Vorschrift das über das Verschulden hinausgehende Vertretenmüssen des Schuldners vermutet und daher die Beweislast umgekehrt wird, könnte insoweit de lege lata das Verschuldenserfordernis über die vorstehend skizzierten Einschränkungen „entschärft“ werden.363 Das von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB vorausgesetzte Schuldverhältnis wird durch die Amtspflichtverletzung regelmäßig erst begründet.364 Ob sich etwas anderes daraus ergibt, dass ein entspre360 BGHZ 155, 306 (309 f.); 187, 286 (292 f.); BGH NJW 2007, 224 (226); krit. Schütter, Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung, 2012, S. 258; Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 239 ff. 361 BGHZ 187, 286 (292 f.); BGH NJOZ 2005, 3987 (3988). Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, s. BVerfG-K NJW 2013, 3630 (3632). 362 Dazu u. § 10 B. II. 1. b). 363 Zur These, nach der die Rechtsprechung das Verschulden innerhalb der Amtshaftung regelmäßig fingiert, s. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 79. 364 Statt vieler zu dieser Unterscheidung Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 403.
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chendes Schuldverhältnis möglicherweise aufgrund eines Zusammenschlusskontroll- oder aber auch eines Kartell- und Missbrauchsaufsichtsverfahren angenommen werden könnte, kann an dieser Stelle noch dahinstehen.365 Vielmehr muss die Anwendbarkeit von § 280 Abs. 1 S. 2 BGB innerhalb der Amtshaftung aus systematischen Gründen ausscheiden: Die Anknüpfung an die „Pflichtverletzung“ und das „Vertretenmüssen“ ist mit der Ausgestaltung des Deliktsrecht und damit auch dem Amtshaftungsrecht grundsätzlich366 nicht vereinbar.367 Mithin ist die auf das Bestehen eines Schuldverhältnisses gemünzte Vorschrift im Rahmen eines Amtshaftungsanspruches nicht anwendbar. 8. Zwischenergebnis
Trotz der institutionellen Ausgestaltung der Kartellaufsicht durch die Einrichtung von Beschlussabteilungen ist an dem Verschuldenserfordernis festzuhalten. Die Verschuldensanforderungen sind ihrerseits an den Regelungsgegenstand sowie an die vorgenannte Ausgestaltung anzupassen. Im Grundsatz ist daher von der Geltung erhöhter Sorgfaltspflichten auszugehen. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass es sich regelmäßig um komplexe Materien handelt und bei der Bewertung eines Zusammenschlussvorhabens innerhalb der Fusionskontrolle dem Faktor Zeit eine große Bedeutung beizumessen ist. Insofern lässt sich ein Vergleich zu der Beurteilung des hinreichend qualifizierten Verstoßes im Unionsrecht ziehen.368 Im Übrigen kann auf die vorliegende Rechtsprechung insbesondere des Bundesgerichtshofs zurückgegriffen werden.369 Eine Haftung kommt daher nur bei unvertretbaren Entscheidungen in Betracht. Das Verschuldenserfordernis stellt – auch und gerade bei der von einer selbständigen Bundesoberbehörde durchgesetzten Spezialmaterie des Kartellrechts – hohe Anforderungen auf, die im Prozess vom Geschädigten dargelegt und bewiesen werden müssen. Bloß objektiv-amtspflichtwidriges Handeln kann keine Haftung nach sich ziehen. 365 s. auch i. R. der Haftung wegen Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses u. § 13. 366 Zu Ausnahmen Tremml/Karger/Luber, Amtshaftungsprozess, 4. Aufl. 2013, Rn. 624 ff. 367 s. auch BGH NJW 2007, 1061 (1062), in der der Senat die Vermengung das Amtshaftungsanspruches mit „konkurrierenden Ersatzansprüchen aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis“ durch das Berufungsgericht kritisiert. Zusammenfassend auch Saule, Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse, 2008, S. 21 ff. 368 Zu ihm bereits o. § 5 B. III. 2., rechtsvergleichend auch noch § 16 B. 369 s. auch OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 4230 (Rn. 66 – juris; insoweit in WuW/E nicht abgedruckt).
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III. Ausschluss des Verschuldens wegen der Bestätigung durch ein Kollegialgericht Weiterhin kann die Feststellung eines Verschuldens auch durch die sog. Kollegialgerichtsrichtlinie modifiziert werden. Danach kommt ein Verschuldensausschluss in Betracht, wenn eine Entscheidung des Bundeskartellamts später durch das Oberlandesgericht Düsseldorf im Beschwerdeverfahren (§§ 63 ff. GWB) bestätigt wird.370 1. Herleitung und Inhalt der Kollegialgerichtsrichtlinie
Nach der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts und des Bundesgerichtshofs sollte der Vorwurf des Verschuldens entfallen, wenn ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Gericht das in Rede stehende Verhalten des Amtsträgers als rechtmäßig erachtet hat.371 Aufgrund des in § 839 Abs. 3 BGB einfachgesetzlich normierten Vorrangs des Primärrechtsschutzes liegt in der Regel eine vorangegangene Entscheidung vor. Der Bundesgerichtshof stützt diese Rechtsprechung insbesondere auf die Erwägung, „dass von einem Beamten, der allein und im Drang der Geschäfte handeln muss, keine bessere Rechtseinsicht erwartet werden kann als von einem Gremium mit mehreren Rechtskundigen, das in voller Ruhe und reiflicher Überlegung entscheidet, nachdem vorher der Prozessstoff in ganzer Fülle vor ihm ausgebreitet worden ist“.372 Voraussetzung für die Anwendung dieser Richtlinie ist jedoch, dass „der Beamte eine zweifelhafte und nicht einfach zu lösende Rechtsfrage zu beantworten hat“.373 Insoweit kann diese Rechtsprechung nicht in allen amtshaftungsrechtlichen Fallgestaltungen Anwendung finden. In neueren Entscheidungen wird die von der früheren Rechtsprechung teilweise als Regel374 bezeichnete Kollegialgerichtsrechtsprechung als „allgemeine Richtlinie“ verstanden, von der in vielen Fällen abgewichen wird.375 370 Eine Bestätigung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes ist hingegen nach der Rspr. des BGH nicht geeignet, einen entspr. Verschuldensausschluss zu begründen, s. etwa BGHZ 117, 240 (250). 371 RGZ 106, 406 (410); BGHZ 27, 338 (343); 97, 97 (108); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 77 f. 372 BGHZ 187, 286 (301 f.). 373 BGHZ 187, 286 (302); Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 BGB Rn. 296. 374 So etwa BGHZ 73, 161 (164). 375 BGHZ 117, 240 (250); 150, 172 (183); Kapsa, in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. 2011, 20. Kapitel Rn. 185. In einer jüngeren Entscheidung hat der
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2. Anwendung dieser Richtlinie . . .
a) . . . auf die Bestätigung im Beschwerdeverfahren durch das Oberlandesgericht Düsseldorf Verfügungen der Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts können gemäß § 40 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 VwGO i. V. m. der abdrängenden Sonderzuweisung des § 63 Abs. 4 S. 1 GWB im Wege der Beschwerde durch das Oberlandesgericht Düsseldorf überprüft werden. Funktionell zuständig sind nach § 91 S. 1 GWB, § 122 Abs. 1 GVG die gegenwärtig fünf376 aus einem Vorsitzenden und zwei Beisitzenden gebildeten Kartellsenate. Daher ist ein Kollegialgericht zur Entscheidung berufen. Die Anwendung der vorgenannten Richtlinie ist in den Fällen zu erwägen, in denen das Oberlandesgericht Düsseldorf377 die Rechtmäßigkeit der Verfügung des Bundeskartellamts bestätigt hat, der Bundesgerichtshof als Rechtsbeschwerdeinstanz sie jedoch aufhebt. Dem Anwendungsbereich der Richtlinie liegt eine umfangreiche Kasuistik zugrunde.378 So ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass eine Maßnahme grundsätzlicher Art, die von einer zentralen Dienststelle auf dem Gebiet eines ihr aus täglicher Anwendung besonders vertrauten Spezialgesetzes getroffen wird, nicht unter diese Richtlinie fällt.379 Dies setzt weiterBGH [NJW 2013, 168 (172)] trotz objektiver Amtspflichtwidrigkeit u. a. mit Verweis auf die insoweit übereinstimmende Rspr. des zuständigen VGH das Verschulden ausgeschlossen. 376 OLG Düsseldorf, Richterlicher Geschäftsverteilungsplan 2014, S. 51 ff., abrufbar über den Internetauftritt des Gerichts. 377 Ob dies auch gelten kann, wenn statt des OLG die Monopolkommission die Rechtmäßigkeit einer entsprechenden Verfügung des BKartA in einem Gutachten festgestellt hat, erscheint zweifelhaft: Zum einen handelt es sich bei der Monopolkommission nicht um ein Gericht, zum anderen sind ihre Stellungnahmen nicht verbindlich, s. auch § 44 Abs. 1 S. 1 GWB. s. jedoch auch OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 4230 (4241). 378 Vgl. etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 77 f. 379 Vgl. BGH NJW 1962, 793 (794; für die Einfuhr- und Vorratsstelle für Getreide- und Futtermittel, einer Anstalt im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten); NJW 1971, 1699 (1701; für eine Maßnahme i. R. der Staatsaufsicht); BGHZ 150, 172 (184; für die kassenärztliche Vereinigung als ein Gremium, das zentral und auf höchster Ebene in der Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen mit dem einheitlichen Bewertungsmaßstab Vergütungsgrundlagen zu entwickeln hat, wobei bereits durch seine Zusammensetzung ein Höchstmaß an Sachkenntnis zu erwarten und die Fähigkeit zu besonders gründlicher Prüfung zu verlangen ist); BGHZ 134, 268 (274 f.) und vorgehend OLG Koblenz ZUR 1995, 326 (330; jeweils für das rheinland-pfälzisches Ministerium für Wirtschaft und Verkehr als Atombehörde).
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hin voraus, dass sie ihre Entscheidung in ruhiger Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Benutzung allen einschlägigen Materials treffen kann und daher wie ein Gericht sach- und rechtskundig das Für und Wider in Ruhe abwägen kann.380 Zudem kommt eine Ausnahme dieser Richtlinie in Betracht, wenn es um die Beurteilung rechtlicher Spezialfragen geht, „die dem Gericht weniger vertraut sein können als den mit der Sache befaßt gewesenen Beamten“.381 Diese Ausnahme stellt auf das in Rede stehende Rechtsgebiet ab. Es stellt sich daher die Frage, ob die Kollegialgerichtsrichtlinie überhaupt für die hier interessierenden Fragestellungen herangezogen werden kann. Hierbei ist zunächst festzuhalten, dass im Bereich der Fusionskontrolle ein strenges Fristenregime besteht, wonach innerhalb feststehender Zeiträume die jeweiligen Entscheidungen ergehen müssen.382 Insoweit kann das dieser Rechtsprechung zugrunde liegende Telos des „im Drange der Geschäfte“ handelnden Beamten herangezogen werden:383 Im Unterschied zu der Entscheidungsfindung des Beschwerdegerichts384 unterliegt das Bundeskartellamt bestimmten Fristen. Das Verstreichenlassen dieser Fristen führt zur Freigabe nach § 40 Abs. 2 S. 2 GWB. Für die Fusionskontrolle streitet daher das Fristenregime für die Anwendbarkeit der Richtlinie. Diesen Umstand hob das Landgericht Köln besonders hervor und stellte insbesondere darauf ab, dass der streitgegenständliche Sachverhalt aufgrund der erforderlichen Mitwirkung dritter Personen oftmals erst zu einem späten Zeitpunkt feststeht.385 Soweit als Rechtfertigung dieser Ausnahme zudem die besondere Sachkunde der Behörden gegenüber den Gerichten herangezogen wird,386 kann diese Argumentation für den Untersuchungsgegenstand nicht überzeugen: Auch bei den nach §§ 91 S. 1, 94 GWB vorgeschriebenen Kartellsenaten des Oberlandesgerichts Düsseldorf bzw. des Bundesgerichtshofs handelt es sich um besonders qualifizierte und spezialisierte Spruchkörper. So sah der Gesetzgeber das Problem, dass sich die kartellverwaltungsrechtlichen Streitigkeiten durch „besondere Schwierigkeiten“ auszeichnen, die sich insbesondere aus der Natur des Kartellrechts ergeben und fordert die
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BGH NJW 1962, 793 (794). BGHZ 73, 161 (164); NJW 1962, 2100; Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 BGB Rn. 297. 382 s. im Einzelnen § 40 GWB. 383 Diese Voraussetzung bezeichnen Oppermann/Tiemann (Verschuldensmaßstäbe bei Amtshaftung der Deutschen Bundesbank, 1983, S. 84) als „sehr wesentlich“. 384 s. aber jetzt auch § 73 Nr. 1 GWB, § 198 Abs. 1 S. 1 GVG. 385 LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3860) sowie schon § 10 A. II. 5. 386 Dazu etwa BGHZ 73, 161 (164); BGH NJW 1962, 2100; Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 215 a. E. 381
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Besetzung der Kartellsenate mit „Richtern besonderer Eignung“.387 Schließlich besteht die grundsätzliche Gefahr, dass bei einem Absehen von der Anwendung der Kollegialgerichtsrichtlinie das Amtshaftungsgericht als eine Art „‚Superinstanz‘ der Fachgerichte“ fungiert.388 Vor der grundgesetzlichen Aufteilung der Rechtswege (Art. 95 Abs. 1 GG) und der einfachgesetzlichen Zuweisung kann ein derartiges Ergebnis nicht gewollt sein. Hiernach wäre die Kollegialgerichtsrichtlinie insoweit einer Ausnahme nicht zugänglich und daher anzuwenden. Fraglich ist jedoch, ob diese Auffassung überzeugen kann. Etwas anderes könnte sich nämlich daraus ergeben, dass das Bundeskartellamt für die ihm zugewiesenen Aufgaben gemäß § 48 Abs. 2 S. 1 GWB ausschließlich zuständig ist. Den Begriff der zentralen Dienststelle im Sinne der oben erwähnten Ausnahme der Kollegialgerichtsrichtlinie sieht die Rechtsprechung als erfüllt an, wenn ein Gebiet einer Behörde als ausschließliche Zuständigkeit zugewiesen ist und das diesbezügliche Verfahren bei dieser Behörde zentralisiert ist.389 Insoweit wird die Stellung der Behörde im Gesamtgefüge angesprochen. Daher kann bei dem Bundeskartellamt von einer „zentralen Dienststelle“ im Sinne der vorbezeichneten Ausnahme gesprochen werden.390 Durch die organisatorische Ausgestaltung als selbstständiger Bundesoberbehörde wurde dem Bundeskartellamt ein eigener gesetzlich abgegrenzter Zuständigkeitsbereich zugewiesen.391 Darüber hinaus stellt das GWB ein Spezialgesetz dar, dessen Durchführung dem Amt besonders anvertraut ist. Aufgrund der branchenspezifischen Einteilung der einzelnen Beschlussabteilungen gilt dies insbesondere für die jeweiligen Industriesektoren und für die einzelnen Märkte.392 Die institutionelle Ausgestaltung durch die Beschlussabteilungen führt dazu, dass sie in diesem Bereich über eine besondere Expertise verfügt. Diese Kenntnisse und Erfahrungen werden durch die Spezialzuständigkeiten der Kartellsenate nicht aufgewo387 RegBegr. zum GWB, BT-Drs. II/1158, S. 29; vgl. auch LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3860); Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 263. 388 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 290; Vinke, in: Soergel, BGB, 13. Aufl. 2005, § 839 BGB Rn. 185. Zur Anwendbarkeit des § 87 GWB auf die Amtshaftung näher § 12 B. I. 389 OLG Koblenz ZUR 1995, 326 (330). Zwar stand in dem dieser Entscheidung zugrunde liegendem Sachverhalt das amtspflichtwidrige Verhalten innerhalb einer obersten Landebehörde auf dem Prüfstand. Es kann aber keinen Unterschied machen, wenn stattdessen das Verhalten einer oberen Bundesbehörde zu begutachten ist. 390 So auch LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3860), das im Ergebnis jedoch die Kollegialgerichtsrichtlinie anwendet. 391 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 1. 392 Hierzu bereits § 9 A. III.; ferner Hauser/Auf’mkolk, EWS 2013, 245 (246 f.); Klose, Verhältnis, 1998, S. 245.
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gen.393 Auch im Übrigen kann die Anwendbarkeit der Richtlinie in Zweifel gezogen werden. Regelmäßig verweist die Rechtsprechung in Bezug auf die Kollegialgerichtsrichtlinie darauf, dass der Beamte im Allgemeinen „auf sich allein gestellt ist und häufig binnen kurzer Zeit im Drange der Geschäfte seine Entschlüsse zu fassen hat“ und betont insoweit den Unterschied zum Kollegialgericht.394 Diesen Erwägungen steht indes die interne Organisation des Bundeskartellamts entgegen. Dessen besondere Organisationsform in Beschlussabteilungen ist gerade geschaffen worden, um eine Diskussion zu ermöglichen, um die rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte, die im Bereich ihrer Tätigkeit zu beachten sind, gemeinsam und im Gespräch lösen zu können.395 Vor diesem Hintergrund ist der Beamte nicht „auf sich allein gestellt“. Zudem handelt es sich bei dieser Richtlinie der Sache nach um eine nochmalige Überprüfung der Amtspflichtverletzung mit Blick auf die Vertretbarkeit.396 Diese Vertretbarkeitsüberprüfung wird jedoch schon bei der Frage vorgenommen, ob überhaupt ein Sorgfaltsverstoß gegeben ist. Wenn ein Kollegialgericht die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung bei einem komplexen Sachverhalt feststellt, handelte der Amtsträger aus diesem Grunde bereits nicht schuldhaft. Für die Durchführung einer weiteren Überprüfung des Verschuldens mittels dieser Richtlinie verbleibt in diesen Fällen kein Raum. Mithin ist die – rechtspolitisch nicht unumstrittene397 – Kollegialgerichtsrichtlinie nicht anzuwenden, so dass das Verschulden vor dem Hintergrund dieses Instituts auch bei einer Bestätigung des Beschlusses durch das Oberlandesgericht Düsseldorf nicht von vornherein ausgeschlossen ist.398 b) . . . auf die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts Ob daneben eine Anwendung dieser Richtlinie aufgrund des Umstands angezeigt ist, dass das Bundeskartellamt justizähnlich aufgebaut ist und 393
Krit. auch Hauser/Auf’mkolk, EWS 2013, 245 (246 f.). BGH NJW 1962, 1700; OLG Koblenz ZUR 1995, 326 (330). 395 § 9 A. III. 396 In diese Richtung auch OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 4230 (4241). Im Unterschied zu dem LG Köln setzte sich das OLG nicht mit der Kollegialgerichtsrichtlinie auseinander, sondern führte die vorangegangene Bestätigung des – n. b.: selben Senats des – OLG Düsseldorf als Beschwerdegericht zur Begründung der Vertretbarkeit der Behördenentscheidung an. 397 s. etwa Kliebisch, WRP 2013, 742 (745 f.); Ehlers, JZ 2000, 1007 (1008 f.); B. Schmidt, NJW 1993, 1630 (insb. 1631). 398 Wie hier auch Hauser/Auf’mkolk, EWS 2013, 245 (246 f.); Kliebisch, WRP 2013, 742 (745 f.). A. A. LG Köln WuW/E DE-R 3849 (3858 ff.); Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (135), soweit die Begründungen des BKartA und des OLG Düsseldorf kongruent sind. 394
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seine Entscheidung gemäß § 51 Abs. 2 GWB durch Beschlussabteilungen und damit kollegial trifft,399 ist fraglich. Telos der Kollegialgerichtsrichtlinie ist gerade der Umstand, dass der einzelne Amtswalter nicht „schlauer“ sein kann als ein mit mehreren Rechtskundigen besetztes Gericht. Sie schützt daher den einzelnen Amtswalter. Dieser Schutz verlangt jedoch nicht, die Richtlinie auch auf die Verwaltung als solche anzuwenden. Zwar ist ihre Anwendbarkeit auch im intrajustiziellen Bereich vorstellbar. Die Ausgestaltung der Beschlussabteilungen als Kollegialorgane soll jedoch gerade zur Gewährung einer erhöhten Richtigkeit der Entscheidungen führen, so dass die Anwendung der Richtlinie aus teleologischen Gründen abzulehnen ist. Im Übrigen ist schon fraglich, an welchem Punkt angesetzt werden kann bzw. was das Ergebnis einer entsprechenden Übernahme auf die Beschlussabteilungen sein soll. Im Ergebnis scheidet daher ein derartiger Ansatz aus. 3. Zwischenergebnis
Allein die Bestätigung einer Fehlentscheidung des Bundeskartellamts im Beschwerdeverfahren vermag den Verschuldensvorwurf vor dem Hintergrund einer Kollegialgerichtsrichtlinie grundsätzlich nicht zu entkräften. Ebenso wenig kann diese innerhalb der Beschlussabteilungen zur Anwendung gelangen. Relevant wird die Bestätigung hingegen für die Frage, ob eine Entscheidung als vertretbar bewertet werden kann. IV. Zusammenfassung Die institutionelle Ausgestaltung der nationalen Kartellaufsicht findet im Rahmen des Verschuldens Berücksichtigung. Zwar führt die Zuständigkeit der Beschlussabteilungen nicht dazu, dass Entscheidungen aufgrund des Kollegialprinzips einer Verschuldensüberprüfung entzogen sind. Vielmehr existieren aufgrund der Stellung des Bundeskartellamts, ihrer spezialgesetzlich vermittelten Zuständigkeiten und ihrer personellen Ausstattung erhöhte Sorgfaltsanforderungen, die bei der Frage der schuldhaften Amtspflichtverletzung Berücksichtigung finden. Indes muss neben dem Faktor Zeit auch eine etwaige Komplexität der zu behandelnden Sachverhalte berücksichtigt werden. In der Praxis sind Probleme hinsichtlich des Nachweises „vorprogrammiert“, wie dies die Entscheidungen des Landgericht Kölns und des Oberlandesgerichts Düsseldorf im GN-Store-Nord-Verfahren exemplarisch verdeutlichen. 399 Dazu BGHZ 43, 307 (314 f.); BGH WuW/E BGH 1982 (1984) und § 10 B. I.
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Ob dieses Ergebnis durch einen Verzicht auf das Verschulden rechtspolitisch abgeändert werden kann und insoweit der Gesetzgeber handeln muss, ist ebenfalls zweifelhaft. Ein Vergleich mit dem Unionsrecht zeigt, dass die Besonderheiten der Kartellaufsicht Berücksichtigung finden müssen. Für das deutsche Recht erscheint das Verschulden insoweit der passende Ort zu sein. V. Exkurs: Entschädigung nach dem enteignungsgleichen Eingriff Wegen der mitunter schwierigen Feststellung des Verschuldens soll kurz auf die Entschädigung aus dem Institut des enteignungsgleichen Eingriffs eingegangen werden. Da diese Anspruchsgrundlage in ihren Einzelheiten viele Zweifelsfragen aufwirft, beschränkt sich die Darstellung auf die Grundzüge. Während das Polizei- und Ordnungsrecht der Länder spezialgesetzliche Entschädigungsvorschriften kennt,400 enthält das GWB (als besonderes Ordnungsrecht) keine entsprechenden Vorgaben. Voraussetzung für die jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannte und auf eine Analogie zu §§ 74, 75 Einl. PrALR gestützte401 Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff ist, dass eine hoheitliche Maßnahme unmittelbar und rechtswidrig in eine von Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Rechtsposition eingreift. Eines Verschuldens bedarf es hierbei nicht.402 Während der Schadensersatz gemäß § 249 S. 1 BGB den Geschädigten so zu stellen hat, als wäre der schädigende Eingriff nicht vorgenommen worden, gewährt der enteignungsgleiche Eingriff lediglich eine Entschädigung in Geld: Durch Ausgleich des erlittenen Substanzverlustes wird eine Kompensation des dem Geschädigten unmittelbar erlittenen Opfers bewirkt.403 Unterschiede zeigen sich insoweit regelmäßig bei der (fehlenden) Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns.404 Der Anspruch steht mit der Amtshaftung in Idealkonkurrenz und wird gemäß § 40 Abs. 2 S. 1 Var. 1 VwGO405 ebenfalls vor den ordentlichen Gerichten verfolgt. 400
So für NRW etwa in § 39 Abs. 1 lit. b) OBG NRW. s. schon o. im ersten Teil in Fn. 251. 402 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 17 Rn. 25 ff. 403 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 17 Rn. 43. 404 s. jedoch auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 320, die insoweit von einer weitestgehenden Einebnung des Unterschiedes zwischen Schadensersatz und Entschädigung sprechen. Zur im Übrigen bestehenden Verfassungsmäßigkeit dieser Ausgestaltung BVerfG-K NVwZ 1998, 271 (272). Das OLG Düsseldorf hat sich im Urt. v. 26.3.2014 [WuW/E DE-R 4230 (4241 f.)] im Gegensatz zum LG Köln kurz mit dieser Anspruchsgrundlage auseinandergesetzt. Wie das OLG Düsseldorf bereits vor dessen Entscheidung Ehlers/Stadermann, WuW 2013, 495 (496). 405 BGHZ 90, 17 (31). 401
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B. Das Spruchrichterprivileg, § 839 Abs. 2 S. 1 BGB Über die Frage der Amtspflichtverletzung und die Feststellung des Verschuldens hinaus kann die institutionelle Ausgestaltung der Kartellaufsicht Bedeutung für die Anwendbarkeit des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB entfalten. Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache eine Amtspflicht, so ist er nach dieser Vorschrift für den daraus entstehenden Schaden nur verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Dieses Spruchrichterprivileg406 könnte zu einer Modifikation des Verschuldensmaßstabs führen. Dies setzt jedoch dessen Anwendbarkeit auf die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts voraus.407 I. Keine direkte Anwendung des Spruchrichterprivilegs Das Spruchrichterprivileg setzt voraus, dass „ein Beamter bei einem Urteil in einer Rechtssache“ amtspflichtwidrig gehandelt hat. Wenngleich nicht ausdrücklich geregelt, wird das amtspflichtwidrige Tätigwerden eines Richters408 vorausgesetzt. Hierbei handelt es sich um eine zur letztverbindlichen Entscheidung berufene Person, die einem organisatorisch verselbstständigten Spruchkörper angehört und über eine juristische Ausbildung verfügt.409 Erforderlich ist weiterhin, dass eine richterliche Entscheidung den Gegenstand der Amtspflichtverletzung darstellt.410 Einigkeit besteht darüber, dass der Wortlaut, der nur auf ein Urteil abstellt, zu eng gefasst ist.411 406 Zur Terminologie vgl. Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 151 ff. s. auch Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 39, die wegen des in dem Schutz des Spruchs des Richters und nicht der Person des Richters bestehenden Telos’ vom „Richterspruchprivileg“ sprechen. So auch Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 323; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 633; Merten, in: FS Wengler, 1973, S. 519 (522 ff.). Smid [Jura 1990, 225 (226)] verwendet die Bezeichnung „Spruchrichterprivileg“ zur Abgrenzung von der sonstigen richterlichen Tätigkeit. 407 Nicht die Unabhängigkeit des BKartA als solchem bildet den Untersuchungsgegenstand, sondern seiner (nach § 51 Abs. 2 GWB zur Entscheidung berufenen) Beschlussabteilungen. 408 Aufgrund des funktionalen Beamtenbegriffs ist der Umstand unschädlich, dass Richter nicht in einem Beamtenverhältnis, sondern in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis eigener Art (vgl. § 46 DRiG) zu ihren Dienstherren stehen, s. etwa Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 246 f.; Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 320. 409 Vgl. Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 52. EL 5/2008, Art. 97 Rn. 19. 410 Vgl. Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 42. 411 Vgl. etwa Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 226 ff.; Zantis, Richterspruchprivileg, 2010, S. 16 f., 62 ff.
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Vor dem teleologischen Hintergrund der Vorschrift, auf den später zurückzukommen sein wird, ist nicht die prozessrechtliche Einordnung der Maßnahme entscheidend, sondern vielmehr, ob die Entscheidung der Rechtskraft fähig ist, ob sie mit anderen Worten ein gerichtliches Verfahren mit bindender Wirkung beendet.412 Daher kommen neben Urteilen auch sog. „urteilsvertretende Erkenntnisse“, also Beschlüsse oder Verfügungen, die ähnlich einem Urteil zustande gekommen und mit Rechtskraftwirkung ausgestattet sind, in Betracht.413 Da der Wortlaut auf die Begehung „bei einem Urteil“ abstellt, sind neben dem eigentlichen Urteil auch diejenigen Maßnahmen erfasst, die die Grundlage für die Entscheidung bilden, so dass mit dem Bundesgerichtshof „die richtige Feststellung des Tatbestands, insbesondere die Trennung des unstreitigen Sachverhalts von streitigen Behauptungen sowie die Prüfung der Erheblichkeit des jeweiligen Vortrags und eines etwaigen Beweisantritts“ in so engem zeitlichen Zusammenhang zu dem Urteil stehen, dass Amtspflichtverletzungen „bei einem Urteil“ im Sinne des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB begangen werden.414 Ausscheiden aus dem Anwendungsbereich muss hingegen die administrative Tätigkeit der Richter.415 Gemessen an diesen Voraussetzungen scheidet eine direkte Anwendung von § 839 Abs. 2 S. 1 BGB auf die Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts aus. Schon der Wortlaut ist insoweit eindeutig.416 Zwar ist das Verfahren innerhalb der Beschlussabteilungen justizähnlich ausgestaltet.417 Ferner lässt sich die Beschwerde in Kartellverwaltungssachen jedenfalls hinsichtlich der Aktivlegitimation, die nach § 62 Abs. 2 GWB grundsätzlich den Verfahrensbeteiligten zusteht, mit der Berufung vergleichen,418 so dass 412 BGHZ 36, 379 (383); Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 325. 413 BVerfG-K NJW 2013, 3630 (3632); BGHZ 36, 379 (382). Vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 103; Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 324 ff. m. w. Nwn. 414 BGHZ 187, 286 (291). 415 Vgl. Smid, Jura 1990, 225 (230 f.). 416 Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 320. A. A. Horn/Graef, NZBau 2002, 142 f., die den Beamtenbegriff in § 839 Abs. 2 S. 1 BGB extensiv verstanden wissen wollen und somit zu einem vom Wortlaut der Vorschrift noch gedeckten Anwendungsbereich kommen. 417 BGHZ 43, 307 (314 f.); BGH WuW/E BGH 1982 (1984). Diese Ausgestaltung lag auch dem Gesetzgebungsverfahren zugrunde, vgl. den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (21. Ausschuß), BT-Drs. II/zu 3644, S. 34. Vgl. aus der Lit. nur Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 42 Rn. 3; Rittner/ Dreher, Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2008, § 23 Rn. 26; Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 87. Krit. gegenüber der Bezeichnung K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, Vorbemerkung vor § 54 Rn. 7. 418 So die ältere Lit., s. etwa Rittner, in: FS Kaufmann, 1974, S. 307 (320 f.); Bettermann, in: FS Bötticher, 1969, S. 13 (20). A. A. die inzwischen h. M., zusam-
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auch mit dieser Argumentation die Justizähnlichkeit der Beschlussabteilungen vertreten werden könnte.419 Die Ähnlichkeit zur richterlichen Organisation erweist sich indes als Kompromiss im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens, der die verfahrensabschließenden Entscheidungen statt den Gerichten mit dem Bundeskartellamt einer Verwaltungsbehörde verantwortete.420 Für die Anwendbarkeit des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB ist jedoch nicht ausreichend, dass die behördliche Entscheidungsfindung justizähnlich ausgestaltet ist, die Entscheidungen mithin in einem „den Vorschriften der Zivil- oder Strafprozeßordnung angenäherten Verfahren ergehen“.421 Vielmehr ist ausschlaggebend, ob es sich um ein „Urteil in einer Rechtssache“ im oben angesprochenen Sinne handelt. Dies ist bei den Entscheidungen der Beschlussabteilungen nicht der Fall. Die Justizähnlichkeit der Verfahrensausgestaltung führt auch nicht dazu, dass die entsprechende Tätigkeit materiell der Rechtsprechung zugerechnet werden kann, vielmehr handelt sich um Verwaltung.422 Das Bundeskartellamt stellt mithin kein Gericht, sondern eine Verwaltungsbehörde dar.423 Seine Entscheidungen mögen das Verwaltungsverfahren beenden, sie stellen jedoch gerichtlich im Wege der Beschwerde und Rechtsbeschwerde überprüfbare Verwaltungsakte dar. Direkt kann § 839 Abs. 2 S. 1 BGB daher nicht angewandt werden.
menfassend Kremer, Die kartellverwaltungsrechtliche Beschwerde, 1988, S. 24, 27 f. 419 Hierauf stellte der BGH für das Deutsche Patentamt (nunmehr Deutsches Patent- und Markenamt, DPMA) im Beschl. v. 29.4.1969, X ZB 14/67, ab: Innerhalb des Beschwerdeverfahren nehme das Beschwerdegericht „die Stellung eines Rechtsmittelgerichts“ ein; es bestehe „eine besondere Vergleichbarkeit der Entscheidungen des Patentamts mit richterlichen Erkenntnissen“. Zur mit § 839 Abs. 2 S. 1 BGB vergleichbaren Situation Kumm, MdPPA 1980, 50, der das Deutsche Patentamt als „rechtsetzendes Institut“ (S. 53) bezeichnet, bei dem es sich nicht um eine „klassische Verwaltungsbehörde“ (a. a. O.) handelt. 420 Hecker, Wirtschaftsaufsicht, 2007, S. 110; Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 87. s. zum Gesetzgebungsverfahren auch noch § 10 B. II. 1. b) bb). 421 BGHZ 36, 379 (382); s. auch ausdr. BGHZ 10, 55 (57) unter Verweis auf RG JW 1928, 2534 (Entscheidungen von Mieteinigungsämtern). s. auch BGHZ 188, 302 (310), in dem trotz des Umstands, dass die Verfahrensausgestaltung innerhalb der Zulassungsausschüsse der Kassenärztlichen Vereinigungen den Gerichten ähnelt, die Anwendung des Spruchrichterprivilegs nicht diskutiert wurde. 422 So für die technischen Mitglieder des DPMA ausdr. BVerfG-K, Beschl. v. 25.2.2003, 2 BvR 281/00, S. 3 der Ausfertigung (unveröffentlicht); s. auch Mayen, DÖV 2004, 45 (54). 423 H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 18; ausdr. auch die RegBegr. zum GWB, BT-Drs. II/1158, S. 49; sowie der schriftliche Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (21. Ausschuß), BT-Drs. II/zu 3644, S. 34.
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II. Analoge Anwendung des Spruchrichterprivilegs Folglich stellt sich die Frage nach der analogen Anwendung dieser Vorschrift. Dies setzt jedenfalls zweierlei voraus: Zum einen ist zu untersuchen, ob die den Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts zuzugestehende Unabhängigkeit mit der richterlichen Unabhängigkeit vergleichbar ist. Zum anderen muss diese Unabhängigkeit das konstituierende Element des Spruchrichterprivilegs ausmachen.424 1. Voraussetzungen der analogen Anwendung, insbesondere die Vergleichbarkeit der Interessenlage
Die Untersuchung beschränkt sich insoweit auf die Vergleichbarkeit der Interessenlagen. Sie ist zu bejahen, wenn der Grund des Spruchrichterprivilegs in dem Schutz der Unabhängigkeit der Justiz liegt (a)) und die Beschlussabteilungen mit Unabhängigkeit ausgestattet sind (b)). a) Schutz der Unabhängigkeit als Telos des Spruchrichterprivilegs – Bedeutung von Unabhängigkeit in der dritten und zweiten Gewalt Nach Art. 97 Abs. 1 GG sind Richter „unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen“. Neben dieser grundgesetzlichen Anknüpfung wird diese Aussage im vierten Abschnitt des Deutschen Richtergesetz (DRiG)425 – „Unabhängigkeit des Richters“ – aufgegriffen und in § 25 DRiG wiederholt und einfachgesetzlich konkretisiert. Die richterliche Unabhängigkeit lässt sich verschiedentlich auffächern, als wichtigste Ausprägung kann die Weisungsfreiheit ausgemacht werden.426 Für ein speziell auf Verwaltungsbehörden abstellendes Verständnis von Unabhängigkeit lässt sich auch die Politikferne der Entscheidungsfindung und damit die Unabhängigkeit vom politischen Tagesgeschehen hervorheben.427 Wie bei der richterlichen Unabhängigkeit steht auch hier die Freiheit von Einzelweisungen im Mittelpunkt.428 424
Gegen die Möglichkeit einer analogen Anwendung von § 839 Abs. 2 BGB wg. ihres Ausnahmecharakters Krieger, Staatshaftung für Staatsanwaltschaften, 2000, S. 187; Steffen, DRiZ 1972, 153 (156). 425 V. 19.4.1972, BGBl. I, 713, zuletzt geändert durch Art. 17 des Gesetzes v. 6.12.2011, BGBl. I, 2515. 426 BVerfGE 12, 91 (88); 14, 56 (69); 60, 175 (214); Bettermann, in: Unabhängigkeit, 1969, S. 46 ff.; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 52. EL 5/2008, Art. 97 Rn. 21 m. Nwn. zur Genese des Art. 97 GG. 427 Duijm, ORDO 1999, 323 (326 f., 328); Möschel, ORDO 1997, 241 (242). Mayen, DÖV 2004, 45, macht drei Ausprägungen der Unabhängigkeit aus, die organisatorische und die prozessuale Unabhängigkeit sowie die Weisungsfreiheit.
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Während sich das Reichsgericht zum Telos des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB noch nicht eindeutig verhalten hat,429 wurde die Sicherung der richterlichen Unabhängigkeit Mitte des letzten Jahrhunderts von der Rechtsprechung430 und Literatur431 als Schutzzweck dieser Vorschrift herausgearbeitet. Ob diese Begründung für sich genommen die Existenz des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB erklären kann,432 braucht dann nicht weiter verfolgt zu werden, wenn den Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts eine entsprechende Unabhängigkeit bereits nicht zukommt. b) Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen Da sich das Gesetz zur Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts enthält, ist diese Frage durch Auslegung zu klären. Hierbei soll auf den Wortlaut des § 51 Abs. 1 S. 1 GWB (aa)), die Genese der die Organisation der Beschlussabteilungen betreffenden Vorschriften (bb)), die systematische Stellung der Vorschriften innerhalb des GWB als auch im Gefüge des grundgesetzlichen Verwaltungsaufbaus (cc)) sowie schließlich das Telos der Vorschriften eingegangen werden (dd)). aa) Grammatikalische Auslegung Die Beantwortung dieser Frage muss mit den Buchstaben des Gesetzes beginnen.433 Das GWB ordnet in § 51 Abs. 1 S. 1 GWB an, dass das Bundeskartellamt eine selbständige Bundesoberbehörde mit Sitz in Bonn ist. In 428
Möschel, ORDO 1997, 241: „Unabhängigkeit des Bundeskartellamts heißt Freiheit von Weisungen im Einzelfall“; ders., Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rn. 1073; Rittner, in FS Kaufmann, 1974, S. 307 (316); Zuck, BB 1973, 20 (21). Vgl. auch die Auslegung bei EuGH C-517/07, Slg. 2010, I-1885 (Rn. 18, 30) – Datenschutzbeauftragter Deutschland: Möglichkeit der Aufgabenwahrnehmung „frei von Weisungen und Druck“ bzw. „ohne äußere Einflussnahme“. 429 s. etwa RGZ 90, 228 (230). 430 So insb. BGHZ 50, 14 (19 f.); s. aber auch nun wieder BGHZ 187, 286 (290 ff.). 431 Vgl. insb. Grunsky, in: FS Raiser, 1974, S. 141 (151 ff.); Leipold, JZ 1967, 737 (739); Ansätze finden sich noch bei Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 514. Wittreck (Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 152 f.) weist darauf hin, dass diese Begründung namentlich von Stimmen aus der Justiz angeführt wurde und wird. 432 Vgl. zur Krit. hier nur Wittreck, Die Verwaltung der Dritten Gewalt, 2006, S. 152 f., mit Hinweis darauf, dass dieses Argument nur im Falle des Regress verfängt. 433 Zum Verhältnis der Auslegungsmethoden zueinander und für den Beginn mit dem Wortlaut s. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 320, 343.
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den Absätzen 2 und 3 werden die Beschlussabteilungen des Amtes näher erläutert, ohne dass jedoch zu einer etwaigen Unabhängigkeit Stellung bezogen wird.434 Die Ausgestaltung des Bundeskartellamts als Bundesoberbehörde im Sinne des Art. 87 Abs. 3 S. 1 GG führt bereits als solche nicht zur Bejahung der Unabhängigkeit der Behörde.435 Diese Organisationsform bringt lediglich zum Ausdruck, dass es sich insoweit um eine einem Bundesministerium nachgeordnete Stelle der unmittelbaren Bundesverwaltung handelt, die ohne eigenen Verwaltungsaufbau im gesamten Bundesgebiet zuständig ist.436 Ebenso wenig kann eine Unabhängigkeit aus der Selbstständigkeit der Bundesbehörde abgeleitet werden.437 Selbstständigkeit bedeutet in diesem Zusammenhang vielmehr, dass das Bundeskartellamt aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie ausgegliedert ist und eigene Aufgaben wahrnimmt.438 Dagegen bezeichnet das Gesetz die Mitglieder der Beschlussabteilungen als Vorsitzende und Beisitzende (vgl. § 51 Abs. 5 GWB) und die die Entscheidungen vorbereitenden Beisitzenden werden „Berichterstatter“ genannt. Mithin werden Begrifflichkeiten verwandt, die der Justiz entstammen.439 Diese Bezeichnungen fügen sich in die justizähnliche Ausgestaltung des Verfahrens der Beschlussfindung ein.440 Eine Klärung der Frage nach der Unabhängigkeit kann daher allein durch die grammatikalische Auslegung nicht herbeigeführt werden.
434 Anders der Entwurf für ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen der Abgeordneten Höcherl, Stücklen, Seidl (Dorfen), Dr. Dollinger und Genossen, BTDrs. II/1253, S. 4, nach dem § 14 Abs. 2 S. 1 GWB folgenden Wortlaut haben sollte: „Das Bundeskartellamt ist Weisungen für den Einzelfall nicht unterworfen.“ 435 Sachs, in: ders., GG, 6. Aufl. 2011, Art. 87 Rn. 66; Becker, in: Löwenheim/ Meessen/Riesenkampff, GWB, 2. Aufl. 2009, § 51 Rn. 1. 436 BVerfGE 14, 197 (211); Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 249. 437 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 254; Jochum, VerwArch 94 (2003), 512 (515); Traumann, Organisationsgewalt, 1997, S. 130; Welz, Ressortverantwortung im Leistungsstaat, 1988, S. 102 f. m. Nwn. zur Entstehungsgeschichte; ähnl. auch schon Doetsch, Die Bundesoberbehörde, 1952, S. 38. Anders Oebbecke, in: HBdStR VI, 3. Aufl. 2008, § 136 Rn. 91 („grundsätzlich ohne Einwirkung des zuständigen Ministeriums“). 438 Vgl. Pfeiffer, in: MüKo GWB, 2008, § 51 Rn. 4; Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 253. Ein Bsp. für unselbstständige (dann: Landes-)Behörden bilden die bei den Landeswirtschaftsministerien angesiedelten Landeskartellbehörden (§ 48 Abs. 1 GWB), s. Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 84. 439 Vgl. hierzu auch Döhler, Steuerung, 2007, S. 170. 440 Hierzu bereits § 10 B. I.
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bb) Genetische Auslegung Ein Mehr an Klarheit könnte sich indes aus der Entstehungsgeschichte des § 51 Abs. 1 GWB ergeben. Während des Gesetzgebungsverfahrens standen dem historischen Gesetzgeber verschiedene Ausgestaltungen der öffentlich-rechtlichen Kartellrechtsdurchsetzung zur Verfügung.441 So hätte etwa auf die institutionelle Ausgestaltung in der Weimarer Republik zurückgegriffen werden können: Als Vorgängereinrichtung des Bundeskartellamts oblag die Kartellrechtsdurchsetzung dem in Berlin angesiedelten Kartellgericht442, das 1938 im Wirtschaftsgericht aufgegangen ist443. Dieses Kartellgericht „vereinigte in sich die Funktionen eines Gerichts und einer Verwaltungsbehörde“.444 In der Regierungsbegründung zum GWB wurde dann aber ausdrücklich klargestellt, dass das „Bundeskartellamt [. . .] eine Verwaltungsbehörde [und] nicht ein Gericht“445 ist. Dieser historische Hintergrund führte dazu, dass in den Anfangsjahren des GWB die Einordnung des Bundeskartellamts als Behörde noch in Frage gestellt wurde.446 Der Bericht des Wirtschaftsausschusses zum Entwurf des GWB ist jedoch eindeutig, wenn er zu § 40a GWB a. F. (nunmehr § 51 Abs. 1 S. 1 GWB) Folgendes ausführt: „Da das Bundeskartellamt obere Verwaltungsbehörde und kein Bundesgericht ist, glaubte man in beiden Ausschüssen das Weisungsrecht des Ministers nicht beschränken zu dürfen, da nur auf diese Weise von ihm die politische Verantwortung für die Entscheidungen der Kartellbehörden getragen werden kann.“447 Somit war sich der historische Gesetzgeber der Weisungsabhängigkeit der Beschlussabteilungen bewusst. Aufgrund der eindeutigen Aussagen in den Gesetzesmaterialien streitet die genetische Auslegung damit gegen die Unabhängigkeit.
441 Rittner, in: FS Kaufmann, 1974, S. 301 (316); Vorbrugg, Unabhängige Organe der Bundesverwaltung, 1965, S. 161. 442 Errichtet durch § 4 KartellVO v. 2.11.1923, RGBl. I, 1067. 443 G. v. 25.2.1938, RGBl. I, 216; Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 58. 444 Ewald, WuW 1958, 317. Vgl. auch Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 55: „[i]n erster Linie [. . .] reine[. . .] Verwaltungsjustiz“. 445 RegBegr. zum GWB, BT-Drs. II/1158, S. 28, 49. 446 So ausdr. Ewald, WuW 1958, 317. 447 Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirtschaftspolitik (21. Ausschuß) über den Entwurf eines Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, BT-Drs. II/zu 3644, S. 34. Krit. Möschel, ORDO 1997, 241 (247), der dieser „juristisch brüchigen Bemerkung“ wenig Gewicht beimessen will.
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cc) Systematische Auslegung Bei der systematischen Auslegung ist der Bedeutungszusammenhang der Regelungen innerhalb des Gesetzes in den Blick zu nehmen.448 Zunächst lässt sich bei der Frage der Unabhängigkeit die systematische Stellung des § 51 GWB im GWB heranziehen. Für die Vergabekammern des Bundes, die ebenfalls am Bundeskartellamt angesiedelt sind, ist in § 105 Abs. 1 und Abs. 4 S. 2 GWB deren Unabhängigkeit ausdrücklich angeordnet.449 Ebenso genießt die Monopolkommission nach § 44 Abs. 2 S. 1 GWB Unabhängigkeit. Derartige Aussagen lässt § 51 GWB indes vermissen. Wollte der Gesetzgeber daher den Beschlussabteilungen die Unabhängigkeit einräumen, so hätte er dies ausdrücklich angeordnet. E contrario ließe sich die Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen daher verneinen. Indes kann die Systematik innerhalb des GWB auch zu dem gegenteiligen Ergebnis herangezogen werden: So regelt § 42 GWB die Ministererlaubnis. Nach dieser Vorschrift erteilt der zuständige Bundesminister auf Antrag die Erlaubnis zu einem vom Bundeskartellamt untersagten Zusammenschluss, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist. Insoweit könnte jedenfalls für die Fusionskontrolle ebenfalls mithilfe eines Umkehrschlusses ein Weisungsrecht des zuständigen Bundesministers verneint werden, da anderenfalls § 42 GWB obsolet wäre.450 Im Übrigen sind nach § 52 GWB „allgemeine Weisungen“ zu veröffentlichen.451 Während hieraus teilweise 448
Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 324 f. Stockmann schlägt „zur Klarstellung“ die Normierung der Unabhängigkeit – entsprechend § 105 Abs. 1, 4 S. 2 GWB – in § 51 Abs. 1 GWB auch für die Beschlussabteilungen vor, vgl. dens., ZWeR 2008, 137 (145: „Die Beschlussabteilungen üben ihre Tätigkeit im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung aus. Die Mitglieder der Beschlussabteilungen entscheiden unabhängig und sind nur dem Gesetz unterworfen.“). Weitere Vorschläge de lege ferenda fasst Jäckering (Die politischen Auseinandersetzungen um die Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), 1977, S. 95 ff.) zusammen. Bemerkenswert Fikentscher [WuW 1971, 789 (796)], der ein „Wirtschaftskontrollamt als verselbstständigten Bestandteil eines Verfassungsgerichts, auch des Bundesverfassungsgerichts“, andenkt. 450 Nägele, in: FK, Bd. V, 61. EL 10/2006, § 51 GWB Rn. 5; H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 11. Aufl. 2011, § 51 Rn. 16. Zu §§ 8, 44 Abs. 2 GWB a. F. Möschel, ORDO 1997, 241 (246). Diese Begründungsansätze werden auch im BKartA verfolgt, s. Markert, in: Blaurock, Institutionen, 1988, S. 1 (17), sowie die PräsBKartA a. D. Böge, in: FS BKartA, 2008, S. 61 (62) und Wolf, in: Handelsblatt v. 10.10.1996, S. 5. 451 Hierzu kommt es nur selten, s. etwa Jochum, VerwArch 94 (2003), 512 (525); Möschel, Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rn. 1073 mit Fn. 11. 449
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der Schluss gezogen wird, das GWB lasse mangels Erwähnung von Einzelweisungen explizit nur allgemeine Weisungen zu,452 versteht die Gegenansicht den Regelungsgehalt von § 52 GWB insoweit auf die Veröffentlichungspflicht und damit das „Wie“ einer Weisung beschränkt. Danach werde die Frage nach dem „Ob“ nicht beantwortet.453 Die systematische Auslegung des einfachen Rechts vermag die Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen folglich nicht zweifelsfrei zu beantworten. Das Nichtbestehen der Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen kann jedoch mit Blick auf die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Behördenorganisation begründet werden.454 Für eine zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie zählende, vgl. § 51 Abs. 1 S. 2 GWB, und sich daher in den hierarchischen Behördenaufbau einfügende Verwaltungseinheit ergibt sich die Weisungsgebundenheit schon „aus der Konstruktion des Gesetzes“.455 An der Spitze dieses Behördenaufbaus steht als (mittelbar) demokratisch legitimierte Person der Minister, der seine Verantwortlichkeit gegenüber dem Parlament nur wahrnehmen kann, wenn ihm hierfür die Steuerungsmöglichkeiten des Behördenapparates zur Verfügung stehen.456 Zu diesen Steuerungsmöglichkeiten zählt insbesondere die Einzelweisung.457 Mit den Steuerungsmöglichkeiten korrespondiert die Folgepflicht der Bundesbeamten, die einfachgesetzlich § 62 Abs. 1 S. 1 BBG entnommen werden kann. Der Wegfall dieser Steuerungsmöglichkeit durch die Anerkennung einer Unabhängigkeit stünde im Konflikt mit der hierarchischen Konzeption der Verwaltung. An dieser Stelle können die sich aus dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG ergebenden Anforderungen nur angerissen werden. Da alle 452
Ewald, WuW 1958, 317 f.; Möschel, ORDO 1997, 241 (246 f.); zweifelnd noch ders., Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rn. 1073. 453 Vorbrugg, Unabhängige Organe der Bundesverwaltung, 1965, S. 160. Krit. auch Finkelnburg, in: FK, 1986, § 49 Rn. 3 [zit. nach Rodegra, Aufsichtsfreie Verwaltung, 1992, S. 35]. 454 Zum Gebot der verfassungskonformen Auslegung Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaften, 6. Aufl. 1991, S. 339 ff. 455 So Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 61 Rn. 11. s. auch Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 254 m. w. Nwn.; Jochum, VerwArch 94 (2003), 512 (517); Kull, JZ 1961, 681; ähnl. Rodegra, Aufsichtsfreie Verwaltung, 1992, S. 34. 456 Vgl. Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. V, 53. EL 10/2008, Art. 65 Rn. 34; Döhler, Steuerung, 2007, S. 94 f.; Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Demokratie) Rn. 124. Die hierarchisch-bürokratische Ministerialorganisation bildet den Regelfall, s. Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 7 Rn. 28. Die Geltung des Hierarchieprinzips innerhalb des BKartA wird dagegen verneint, s. dazu die Nw. u. in Fn. 469. 457 s. etwa ausf. Traumann, Organisationsgewalt, 1997, S. 72 ff.
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Staatsgewalt vom Volke ausgeht, ist mit dem Bundesverfassungsgericht zu verlangen, dass „das Volk einen effektiven Einfluß auf die Ausübung der Staatsgewalt [. . .] hat. Deren Akte müssen sich auf den Willen des Volkes zurückführen lassen und ihm gegenüber verantwortlich werden. Dieser Zurechnungszusammenhang zwischen Volk und staatlicher Herrschaft wird [. . .] durch die grundsätzliche Weisungsgebundenheit der Verwaltung gegenüber der Regierung hergestellt.“458 Für eine hinreichende demokratische Legitimation ist daher erforderlich, „daß die Amtsträger im Auftrag und nach Weisung der Regierung [. . .] handeln können und die Regierung damit in die Lage versetzen, die Sachverantwortung gegenüber Volk und Parlament zu übernehmen“.459 Bei unabhängigen Verwaltungseinheiten ist dieser Zurechnungszusammenhang mangels Weisungsunterworfenheit unterbrochen. Weisungs- bzw. ministerialfreie Räume460 sind daher grundsätzlich unzulässig; Ausnahmen kommen zunächst bei grundgesetzlicher Anordnung in Betracht – für das Energie- und Telekommunikations-461 sowie das Datenschutzrecht462 ist die Unabhängigkeit unionsrechtlich determiniert, für die Bundesbank in Art. 88 Abs. 2 GG, Art. 130 AEUV festgeschrieben –, im Übrigen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur, wenn die verfassungsrechtlich erforderliche demokratische Legitimation anderweitig hinreichend erreicht und sichergestellt werden kann.463 Unabhängig von der Frage, inwieweit europäisches Sekundärrecht das nationale Verfassungsrecht außer Kraft setzen kann,464 determiniert das Unionsrecht nicht die Ausgestaltung der nationalen Kartellaufsicht. Soweit die nationalen Behörden das europäische Kartellrecht vollziehen, enthält die VO 1/2003 keine Anforderungen an ihre Organisationsform oder Ausgestaltung. In Erwägungsgrund 35 werden die in den Mitgliedstaaten existierenden „sehr un458 BVerfGE 93, 37 (66); 107, 59 (87 f.); Böckenförde, in: HBdStR, Bd. I, 1987, § 22 Rn. 21 f. 459 BVerfGE 93, 37 (66), s. auch schon BVerfGE 9, 268 (281 f.). 460 Zum Begriff Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 8 Rn. 47. 461 Regulierungsrechtliche Weisungsfreiheit im Richtlinienpaket aus 2009 für Energie (Art. 35 Abs. 4 S. 2 RL 2009/72/EG, Art. 39 Abs. 4 S. 2 RL 2009/73/EG – sog. Drittes Legislativpaket im Energiesektor) und Telekommunikation (Art. 3 Abs. 3a RL 2002/21/EG), dazu Ludwigs, DV 44 (2011), 41 (44 ff.). 462 Art. 28 Abs. 1 UAbs. 2 RL 95/46/EWG; dazu EuGH C-518/07, Slg. 2010, I-1885 – Datenschutzbeauftragter Deutschland; C-614/10, ZD 2012, 563 – Datenschutzbeauftragter Österreich. 463 BVerfGE 107, 59 (86 ff.); Burgi, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 7 Rn. 29. 464 Mayen, DÖV 2004, 45 (50); mit Verweis auf den Vorrang des Unionsrechts Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2010, § 6 Rn. 7. Aus der Rspr. vgl. dazu EuGH C-518/07, Slg. 2010, I-1885 – Datenschutzbeauftragter Deutschland.
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terschiedliche[n] Systeme“ der behördlichen Kartellrechtsdurchsetzung vielmehr ausdrücklich anerkannt.465 Daher kann das Unionsrecht die Frage der Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen des Bundeskartellamts nicht beantworten. Im Ergebnis überzeugt dieser verfassungsrechtliche Ansatz. Da nicht ersichtlich ist, inwieweit „die verfassungsrechtlich erforderliche demokratische Legitimation anderweitig hinreichend erreicht und sichergestellt werden“466 kann, kann der oben im Rahmen der genetischen Auslegung herausgestellte Befund der Weisungsabhängigkeit der Beschlussabteilungen durch die Systematik gestützt werden. dd) Teleologische Auslegung Abschließend soll sich der Frage der Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen teleologisch genähert werden. Als Sinn und Zweck der Einräumung einer Weisungsfreiheit kommt zum einen das Erreichen einer besondere Ausgestaltung der Binnenorganisation von Verwaltungseinheiten in Betracht, zum anderen die Herstellung der Politikferne bei der Entscheidungsfindung. Beide Ausprägungen gehen ineinander über. § 51 Abs. 2 GWB467 weist die Entscheidungsbefugnis den Beschlussabteilungen zu. Binnenorganisatorisch folgt das Bundeskartellamt daher dem Kollegialprinzip. Wenn ein Gesetz jedoch vorschreibt, dass ein Kollegium entscheidet, soll dieses Kollegium auch selbst entscheiden.468 Ferner beruht der Prozess der Mei465 Vgl. dazu auch die Rede „Developments in EU competition policy“ v. 14.4.2014 des Wettbewerbskommissars Joaquín Almunia, der ein „patchwork of different systems for applying the same rules“ feststellt und de lege ferenda ein System skizziert, „in which every national authority is truly independent“ [abrufbar unter europa.eu/rapid/press-release_SPEECH-14-312_en.htm, zuletzt am 16.4.2014. Hervorhebung nicht im Original]. 466 Klose, in: Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 2. Aufl. 2008, § 53 Rn. 2; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 11 ff.; Mayen, DÖV 2004, 45 (47 ff.); Rodegra, Aufsichtsfreie Verwaltung, 1992, S. 195 ff.; Ewald, WuW 1958, 317; ebenso Kartte, in FS Günther, 1976, S. 47 (54), der darauf verweist, dass die Stellung des Ministeriums als Aufsichtsbehörde unverzichtbare Voraussetzung ist, um die „politisch-parlamentarische Verantwortung für die Tätigkeit des Amtes übernehmen zu können“. A. A. Hausmann, Kartellrechtsdurchsetzung, 1998, S. 59 ff.; Möschel, ORDO 1997, 241 (245), die die verfassungsrechtlichen Anforderungen als erfüllt erachten. 467 Markert, in: Blaurock, Institutionen, 1988, S. 1 (15), spricht insoweit von der „zentralen Regelung“ für den Status des Amtes. Zu diesem Aufbau s. schon § 9 A. III. 468 Döhler, VerwArch 102 (2011), 110 (128 in Fn. 111) mit Verweis auf Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (311); Rittner, in: FS Kaufmann, 1974, S. 307 (317). Ähnl. H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 16 f.
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nungsfindung und -bildung innerhalb der Beschlussabteilungen auf Beratung und Abstimmung, so dass nicht mehr von einem hierarchischen Aufbau gesprochen werden könne.469 Das Heranziehen der Entscheidungskompetenz an das Ministerium durch Einzelweisungen lasse diese Organisation schließlich zu einer „Farce“ werden.470 Entsprechende Weisungsrechte wären demnach abzulehnen.471 Ferner wird auf die Politikferne und die Neutralität des Amtes abgestellt.472 Durch die Zuweisung der Entscheidungsbefugnis an ein Kollegialorgan soll die Abschirmung der Entscheidung von der Tagespolitik erreicht werden.473 Daneben wird die Spezialisierung der Beschlussabteilungen betont, die es schon aus tatsächlichen Gründen verbiete, Weisungen auszusprechen.474 In dem Hervorbringen einer Spezialisierung liegt auch ein Hauptzweck für die Errichtung von Bundesoberbehörden.475 Diese Spezialisierung rührt auch daher, dass die Beschlussabteilungen mit der Kartellaufsicht nur einer Aufgabe verschrieben sind;476 sie müssen bei deren Wahrnehmung keine politischen Abwägungen vornehmen, so dass im Ergebnis eine Weisungsfreiheit der Abteilungen bestehen soll.477 Über Beurteilungs469 Niederleithinger, in: FS BKartA, 2008, S. 63; Jochum, VerwArch 94 (2003), 512 (526 f.); Möschel, Das Recht der Wettbewerbsbeschränkungen, 1983, Rn. 1073. 470 So Markert, in: Blaurock, Institutionen, 1988, S. 1 (17); ähnl. Fichtmüller, AöR 91 (1966), 297 (311). 471 So ausdr. Niederleithinger, in: FS BKartA, S. 63 (64). Ebenso wegen der Binnenorganisation die Weisungsbefugnisse ablehnend H.-H. Schneider, in: Langen/ Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 17; Emmerich, Kartellrecht, 12. Aufl. 2012, § 41 Rn. 4; Pfeiffer, in: MüKo GWB, 2008, § 51 Rn. 9; Würdinger, WuW 1958, 392 (395). A. A. Mayen, DÖV 2004, 45 (54): die Organisationsform diene der Erleichterung der Entscheidungsfindung sowie der Erzielung eines abgewogenen Ergebnisses, zur Frage der Weisungsfreiheit verhalte sie sich nicht. 472 Stockmann, ZWeR 2008, 137 (139); Möschel, ORDO 1997, 241 (242); ähnl. Fikentscher, WuW 1971, 789 (795 f.); ferner E. Stein, Wirtschaftsaufsicht, 1967, S. 263 ff. Misstrauen gegenüber der Tagespolitik auch bei Stockmann, in: FS Immenga, 2004, S. 389 (ff., insb. 395): Günther, in: FS BKartA, 1968, S. 11 (33 f.). 473 s. etwa Groß, Kollegialprinzip, 1999, S. 152; Döhler, VerwArch 102 (2011), 110 (126). Ähnl. Doetsch, Die Bundesoberbehörde, 1952, S. 38. 474 Vgl. Welz, Ressortverantwortung im Leistungsstaat, 1988, S. 115. Nach Jochum, VerwArch 94 (2003), 512 (525) führe dies zwar nicht zur Anerkennung der Unabhängigkeit des Amtes, jedoch lasse sich insoweit die Weisungsbefugnis des Bundesministers verneinen. 475 Ibler, in: Maunz/Dürig, GG, Bd. VI, 64. EL 1/2012, Art. 87 Rn. 252; ähnl. Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 51 Rn. 1. 476 Vgl. Rittner, in: FS Kaufmann, 1974, S. 307 (321). 477 Hierauf weist das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMWi, Anpassung des deutschen Kartellgesetzes, 1996, S. 9, hin. Dort wird jedoch auch festgestellt, dass eine solche Unabhängigkeit in einem parlamentarischen System unüblich ist. Vgl. auch Duijm, ORDO 1999, 323 (327: „Eine Entscheidung zwischen
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spielräume, die charakteristisch für die Anerkennung einer Weisungsfreiheit sind, verfügen die Beschlussabteilungen dagegen nicht.478 ee) Tatsächlicher Befund: Faktische Unabhängigkeit trotz Eingliederung in den Behördenaufbau Der Streit über das Bestehen einer Weisungs(un)abhängigkeit stellt sich weitestgehend als theoretisches Problem dar.479 In der Praxis wird eine Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen jedenfalls akzeptiert; etwaig bestehende Einzelweisungsrechte wurden und werden – möglicherweise bis auf eine Ausnahme480 – nicht ausgeübt.481 Dieser Umstand hat zur besonderen Reputation des Amtes im In- und Ausland beigetragen.482 Im Mittelpunkt der von Verfassungs wegen erforderlichen demokratischen Rückbindung steht daher eine informelle Aufsicht durch das Ministerium,483 für die insbesondere auch die gegenseitige Berichts- und Informationspflichten bedeutsam sind.484 Dies soll jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Versuche gegeben hat, auf die Entscheidungsfindung innerhalb der der Beschlussabteilungen einzuwirken.485 Die Konzeption des konfliktären Zielen kann immer nur einem politisch legitimierten Organ überlassen bleiben“); ferner Möschel, ORDO 1997, 241 (244 f.). 478 Vgl hierzu Traumann, Organisationsgewalt, 1997, S. 244 f.; zu den fehlenden Beurteilungsspielräumen bereits in § 9 A. IV. 2. 479 Pfeiffer, in: MüKo GWB, 2008, § 51 Rn. 6; Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 87; Geberth, AG 1991, 295 (296). Auch Duijm, ORDO 1999, 323 (328), will die Frage nach der Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen von den rechtlichen Bestimmungen losgelöst aus der Rechtsrealität heraus beantwortet wissen. Nach Dreier, in: ders., GG, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 (Demokratie) Rn. 127, ist die Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen „in der Praxis weitgehend anerkannt“. 480 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 85; Kartte, in: FS Günther, 1976, S. 47 (55 mit Fn. 31). A. A. Stockmann, in: FS Immenga, 2004, S. 389 (394): allgemeine Weisung. 481 Vgl. Graf Lambsdorff, in: FS BKartA, 2008, S. 34; Böge, ebd., S. 61; Mayen, DÖV 2004, 45 (46); Geberth, AG 1991, 295 (296). 482 H.-H. Schneider, in: Langen/Bunte, GWB, 12. Aufl. 2014, § 51 Rn. 17; Graf Lambsdorff, in: FS BKartA, 2008, S. 34; Stockmann, in: FS Immenga, 2004, S. 389 (394). 483 Ortwein, Bundeskartellamt, 1998, S. 87, Möschel, ORDO 1997, 241; Stockmann, in: FS Immenga, 2004, S. 389 (395); Kartte, in: FS Günther, 1976, S. 47 (55). 484 Markert, in: Blaurock, Institutionen, 1988, S. 1 (18). 485 Aus jüngerer Zeit ist namentlich die Zentralvermarktung der Fußballbundesligarechte zu erwähnen, s. v. Dietze/Janssen, Kartellrecht in der anwaltlichen Praxis, 4. Aufl. 2011, Rn. 45 mit Fn. 21; Stockmann, ZWeR 2008, 137 sowie FAZ v. 11.4.2008, S. 1, 13; v. 10.5.2008, S. 20; v. 2.7.2008, S. 20.
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Gesetzes und die Einbettung des Bundeskartellamts in das Verfassungsgefüge stehen einer rechtlichen Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen jedenfalls entgegen. c) Zwischenergebnis Unabhängigkeit im Sinne einer Weisungsunabhängigkeit genießen die Beschlussabteilungen daher nicht. Gleichwohl werden die Weisungsbefugnisse des Ministeriums durch dieses nicht ausgeübt. Ob insoweit die Interessenlage mit der richterlichen Unabhängigkeit vergleichbar ist, braucht letztlich nicht entschieden zu werden, wenn das Telos des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB nicht im Schutze dieser Unabhängigkeit besteht. 2. Schutz der Rechtskraft als Telos des Spruchrichterprivilegs
Die herrschende Auffassung lehnt eine derartige Interpretation des Spruchrichterprivilegs ab. Weder greift die amtshaftungsrechtliche Verantwortung in die persönliche Unabhängigkeit des Richters ein, noch werden ihm Weisungen für eine bestimmte Entscheidung gemacht.486 Wegen der Ausgestaltung der Amtshaftung als übergeleitete Ersatzpflicht auf den Staat in Art. 34 S. 1 BGB wird die persönliche Haftung des Richters gar nicht ausgelöst.487 Im Übrigen kann die Gegenauffassung nicht erklären, warum das Spruchrichterprivileg auch Einschränkungen unterliegt: Ein reines Abstellen auf die richterliche Unabhängigkeit müsste jegliches der Unabhängigkeit unterfallendes Verhalten in den Genuss der haftungsrechtlichen Freistellung bringen; dies trifft hingegen nicht zu.488 Als Telos der Vorschrift ist folglich der Schutz gerichtlicher Entscheidungen vor einer erneuten, auf die Amtspflichtwidrigkeit der richterlichen Handlung gestützten gerichtlicher Überprüfung anzusehen.489 Insoweit wird 486
Vgl. zusammenfassend Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 174 ff., 182. Offengelassen bei BVerfG-NJW 2013, 3630 (3632): „Ob das Haftungsprivileg darüber hinaus auch auf Art. 97 Abs. 1 GG gestützt werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung“. 487 Statt vieler Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 179, 180 f. Die BGB-Motive, Bd. 2, 1888, S. 824, wiesen daher in Ermangelung einer derartigen Überleitung noch ausdrücklich auf die Unabhängigkeit des Spruchrichters als Telos der Vorschrift hin. 488 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 322; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 630. 489 BVerfG-K NJW 2013, 3630 (3632); BGHZ 57, 33 (45); 161, 298 (304); Zantis, Richterspruchprivileg, 2010, S. 27 ff.; Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 39. Krit. zu dieser Begründung Grunsky, in: FS Raiser,
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auf den Schutz der Rechtskraft abgestellt.490 Zwar wird durch einen Amtshaftungsprozess das schadenstiftende Urteil nicht aufgehoben, so dass die formelle Rechtskraft durch die Zulassung eines entsprechenden Schadensersatzanspruchs nicht in Frage gestellt werden kann.491 Mangels Identität des Streitgegenstandes gilt dies auch für die materielle Rechtskraft.492 An die Amtshaftung in Bezug auf das judikative Unrecht sind jedoch wegen des weiten Verständnisses der Rechtskraft andere Maßstäbe als in Bezug auf die Exekutive anzulegen. So wird in diesem Zusammenhang auf die dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dienende Funktion richterlicher Entscheidungen abgestellt.493 Der Haftungsprozess soll die Endgültigkeit der Klärung einer Streitfrage zwischen den beteiligten Parteien nicht wieder in Frage stellen.494 Diesem Umstand trägt die in § 839 Abs. 2 BGB geregelte Ausgestaltung der Staatshaftung für judikatives Unrecht Rechnung. Mit diesem Begründungsansatz muss die Frage nach der analogen Anwendung des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB verneint werden, da die Entscheidungen des Bundeskartellamt als Verwaltungsbehörde gemäß §§ 63 ff. GWB der richterlichen Kontrolle unterliegen. Daher vermögen sie allenfalls in Bestandskraft, nicht aber in Rechtskraft zu erwachsen. III. Zusammenfassung Somit kann das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 S. 1 BGB weder direkt noch analog zur Anwendung gelangen.495
C. Zusammenfassung Im Lichte der institutionellen Ausgestaltung der nationalen Kartellaufsicht erfährt das Verschuldenserfordernis keine grundsätzlichen Modifikationen.496 So kennt das Amtshaftungsrecht zwar kein Kollegialverschulden, 1974, S. 141 (150 f.) mit Verweis auf die Ungleichbehandlung zu der Haftung des Rechtsanwaltes. Vgl. zu weiteren Begründungsversuchen die Nw. bei Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 193 ff. 490 Statt vieler nur Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 323 m. w. Nwn. 491 Dazu Zantis, Richterspruchprivileg, 2010, S. 28. 492 Zantis, Richterspruchprivileg, 2010, S. 28. 493 Statt aller Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 188 mit zahlreichen Nw. in Fn. 101. 494 Breuer, Judikatives Unrecht, 2011, S. 188 f. 495 So auch Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (135 f.). 496 s. auch OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 4230 (Rn. 66 – juris, insoweit in WuW/E nicht abgedruckt).
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gleichwohl braucht wegen der Entindividualisierung der handelnde Amtswalter nicht benannt werden. Insoweit kann auf die Beschlussabteilung als solche abgestellt werden. Hierbei wird vorsätzliches Handeln regelmäßig ausscheiden. Bei der Frage, ob die erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen worden ist, sind die Stellung und die Zuständigkeiten des Bundeskartellamts besonders zu berücksichtigen. Dies hat zur Folge, dass den Amtswaltern erhöhte Sorgfaltspflichten obliegen. Wegen der regelmäßig erforderlichen Bewertung komplexer Materien handelt und des Zeitfaktors bei der Fusionskontrolle werden diese regelmäßig nur durch unvertretbare Entscheidungen verletzt. Vor dem Hintergrund einer Kollegialgerichtsrichtlinie führt ihre Bestätigung im Beschwerdeverfahren nicht zu einem Verschuldensausschluss. Ebenso wenig kann der Haftungsausschluss aus § 839 Abs. 2 S. 1 BGB zur direkten oder analogen Anwendung gelangen.
§ 11 Inhalt des Amtshaftungsanspruchs Nachdem sich die vorangegangenen Abschnitte mit der Anwendung der Tatbestandsmerkmale der Amtshaftung auf kartellaufsichtsrechtliche Fragestellungen beschäftigt haben, wird nun überblicksartig der Schaden (A.) und die Kausalität (B.) als Rechtsfolge der Amtshaftung behandelt.
A. Schaden Nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB hat der Beamte dem Dritten den aus der Verletzung ihm einen Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht entstehenden Schaden zu ersetzen. Die Rechtsfolge der Amtshaftung ist also Schadensersatz. Während das „Ob“ des Schadensersatzes durch den Tatbestand der Amtshaftung vorgegeben wird, bestimmt sich das „Wie“ nach den Vorschriften des allgemeinen Schadensrechts in §§ 249 ff. BGB.497 Da sich die Amtshaftung nicht auf die Verletzung enumerativ aufgezählter Rechtsgüter beschränkt, schützt sie das Vermögen als solches.498 Parallel zu den Ausführungen im zweiten Teil499 sollen auch an dieser Stelle nicht alle potentiellen Schadenspositionen aufgezählt werden. Vielmehr beschränken sich die nachfolgenden Ausführungen auf die amtshaftungsrechtlichen Leitlinien und sollen die Besonderheiten der Amtshaftung 497
Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 238. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 73; B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 563. Einschränkungen ergeben sich jedoch aus dem Schutzzweck der verletzten Amtspflicht, s. B. Bender, a. a. O., Rn. 568. 499 Zum Schaden im europäischen Recht schon § 6 A. 498
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aufgreifen und insbesondere die Unterschiede zum europäischen Recht aufzeigen. Im Übrigen kann auf die Ausführungen zum europäischen Recht verwiesen werden. I. Ausschluss der Naturalrestitution Grundsätzlich kann der Geschädigte die Herstellung des Zustands verlangen, der bestünde, wäre der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten. Diese Differenzhypothese500 liegt § 249 Abs. 1 BGB zugrunde. Der Anspruch auf Schadensersatz in Form von Naturalrestitution ist im Rahmen der Amtshaftung indes ausgeschlossen.501 Der Bundesgerichtshof beruft sich dabei auf die Ausgestaltung der Amtshaftung als mittelbare Staatshaftung, so dass „die Haftung grundsätzlich auch nur auf das gehen [kann], was der Beamte selbst zu leisten vermag“.502 Die insoweit bestehende Lücke schließt der Folgenbeseitigungsanspruch.503 Inhalt der Amtshaftung ist folglich nur der Geldbetrag, der zur Herstellung des Zustandes erforderlich wäre, der ohne das schadensstiftende Ereignis bestünde (vgl. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB).504 Die Höhe des Vermögensschadens bestimmt sich nach der Differenzmethode.505 Nach § 252 BGB ist auch der entgangene Gewinn ersatzfähig, eine Beweiserleichterung enthält in diesem Zusammenhang § 287 ZPO. Begrenzt wird die Schadenshöhe durch das Mitverschulden, § 254 BGB. II. Ersatzfähigkeit des Vermögensschadens Als Vermögensschaden ist jede Einbuße an Vermögenswerten anzusehen. Diese Einbuße bestimmt sich nach § 249 Abs. 1 BGB durch einen negativen Saldo nach einem Vergleich der Situation, die vor der Amtspflichtver500
Zum Begriff Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 249 Rn. 18. BGHZ 67, 92 (100); 87, 274 (276); 121, 367 (374); 137, 11 (26) – st. Rspr. 502 BGHZ (GS) 34, 99 (105) – st. Rspr.; Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 240. Die Argumentation, nach der Naturalrestitution aufgrund der Rechtswegfremde der Amtshaftung vor den insoweit nicht zuständigen Zivilgerichten verfolgt wird (s. BGH a. a. O.: ein derartiger Übergriff in den Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsgerichte ist „unhaltbar“), kann vor dem Hintergrund der Sonderzuweisung in § 63 Abs. 4 S. 1 GWB in diesem Zusammenhang nicht herangezogen werden. 503 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 111; hierzu auch schon o. § 3 B. II. 2. b) cc). 504 Statt vieler nur Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 11 Rn. 10. 505 Zu den Einzelheiten Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 249 Rn. 28 ff. 501
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letzung besteht und der Situation nach der Amtspflichtverletzung. Maßgeblich für die Schadensberechnung ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.506 Die Ersatzfähigkeit des Vermögensschadens erfährt jedoch eine wichtige Einschränkung: Da bei der Bestimmung und Begrenzung des Schadensersatzanspruches der Schutzzweck der verletzten Norm heranzuziehen ist, kann der Geschädigte nicht ohne Weiteres den Ausgleich aller ihm durch die Amtspflichtverletzung zugefügten Nachteile verlangen.507 Dies kann insbesondere bei Amtspflichtverletzungen, die im Erlass eines verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakt bestehen, zu einem Ausschluss des entgangenen Gewinns führen. Regelmäßig sind in diesen Fällen nur die Kosten für die Wiederholung des Verfahrens ersatzfähig.508 Soweit die Erteilung einer rechtswidrigen Genehmigung Gegenstand der Amtshaftung ist, ist auf das Vertrauen abzustellen, das der Verwaltungsakt begründet.509 Für die Baugenehmigung führt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung aus, dass „der Schutzzweck der im Baugenehmigungsverfahren wahrzunehmenden Pflicht nicht dahin [geht], den Bauherrn vor allen denkbaren wirtschaftlichen Nachteilen zu bewahren, die ihm bei der Verwirklichung seines Bauvorhabens erwachsen können. Die Baugenehmigung ist aber ausreichende Vertrauensgrundlage für den Bauherrn, unmittelbar mit der Verwirklichung des konkreten Bauvorhabens zu beginnen und zu diesem Zweck konkrete Aufwendungen für die Planung und Durchführung des Vorhabens zu tätigen [. . .]. Das gilt jedenfalls in den Grenzen eines überschaubaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs [. . .]. Der Bauherr hat es aber nicht in der Hand, durch eine besondere Vertragsgestaltung den Schutzbereich der Amtspflichten der Bauaufsichtsbehörde uferlos dahin zu erweitern, dass jedes beliebige Vermögensinteresse darunter fällt“.510 Dass auch die übrigen verwaltungsgerichtlichen Genehmigungsvorbehalte als Vertrauensgrundlage herangezogen werden können, wurde schon nachgewiesen.511 Insofern kann diese Rechtsprechung auch für die Zusammenschlusskontrolle fruchtbar gemacht werden. Bei der rechtswidrigen Freigabe ist der Ersatzanspruch auf das negative Interesse begrenzt. Der Geschädigte ist in diesem Fall so zustellen, wie er bei sofortiger Untersagung stünde.512 Bei der rechtswid506
Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 234. BGH NJW 1986, 2952 (2954); NJW-RR 2002, 307 (308); NJW 2009, 1207 (1208); vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 112. 508 BGH NJW-RR 2002, 307 (308). 509 So bspw. für den Fall der Baugenehmigung BGHZ 125, 258 (269). Zur Berücksichtigung des Vertrauensschutzes i. R. der Drittbezogenheit schon § 9 A. II. 2. d). 510 BGH NJW 2009, 1207 (1208); s. schon BGHZ 60, 112 (116); 134, 268 (277). 511 s. insoweit o. Fn. 62. 507
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rigen Untersagung ist dem Geschädigten der Zustand herzustellen, der bestünde, wenn der Verwaltungsakt rechtzeitig und ordnungsgemäß erteilt worden wäre.513 Als Vermögensschaden ersatzfähig sind etwa die Rechtsverfolgungskosten, die im Rahmen oder zur Vorbereitung514 des Primärrechtsschutzes entstehen. Hierbei ist der Geschädigte auf den Ersatz der zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlichen und zweckmäßigen Rechtsanwaltskosten beschränkt.515 Da es nach der Rechtsprechung maßgeblich ist, ob der Geschädigte „mit diesen Kosten [. . .] rechtswidrig belastet worden ist“, ist unerheblich, ob sie nach den jeweiligen Verfahrensvorschriften ersatzfähig sind.516 Infolgedessen kann auch der Ersatz der Kosten für das gerichtliche Verfahren der Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches gewährt werden.517 Im Übrigen sind ähnliche Schadensposten wie im europäischen Recht denkbar.518 Häufig wird ein entgangener Gewinn im Mittelpunkt einer Amtshaftungsklage wegen fehlsamer Kartellaufsicht stehen.519 In der Praxis dürften sich in diesem Zusammenhang regelmäßig Probleme der Beweisbarkeit stellen.520 Hierbei kommt dem Geschädigten zunächst die Beweiserleichterung des § 252 BGB zugute. Nach Satz 2 der Vorschrift gilt als entgangen „der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte“. Durch die Zulassung einer Typisierung befreit die Vorschrift den Geschädigten insoweit vom Nachweis eines konkret entgangenen Gewinns. Nach § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht indes unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Be512 Für das Baurecht C. Stein/Itzel/Schwall, Praxishdb. Amts- und Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 2012, Rn. 583. 513 Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 243. 514 Dazu m. w. Nwn. BGHZ 166, 22 (27). 515 BGHZ 39, 73 (74); 127, 348 (350); 166, 22 (28); BGH NJW 2006, 1065. 516 BGHZ 166, 22 (28); Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 239, 244. 517 BGHZ 166, 22 (28); unter Verweis auf RG DNotZ 1934, 944 (945). 518 Zu den Schadensposten allg. s. § 4, zur Würdigung bei der außervertraglichen Haftung o. § 6 A. I. 519 So wurde etwa im GN-Store-Nord-Verfahren als Schaden die Differenz des Unternehmenswertes zum Zeitpunkt der Untersagung und zum Zeitpunkt der Aufhebung des Beschlusses durch den BGH beziffert, s. dazu im ersten Teil in Fn. 288. 520 Vgl. zur ähnl. Situation der Beihilfenaufsicht Sasserath, Schadensersatzansprüche von Konkurrenten zur Effektivierung der Beihilfenkontrolle?, 2001, S. 191 ff.; zum europäischen Recht schon o. im zweiten Teil bei Fn. 627.
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hauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Mit Blick auf den entgangenen Gewinn kann diesen strengen Anforderungen regelmäßig nicht genügt werden. Insoweit wird die materiell-rechtliche Vorschrift des § 252 S. 2 BGB durch die prozessuale Vorschrift des § 287 ZPO ergänzt.521 Nach Absatz 1 Satz 1 der Vorschrift kann das Gericht, wenn unter den Parteien die Existenz und die Höhe eines Schadens streitig ist, „unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung“ entscheiden. An die Stelle des Vollbeweises tritt daher die auf richterliche Schätzung beruhende Ermessensentscheidung des Gerichts; insoweit „genügt hinsichtlich des Eintritts und der Höhe des Schadens eine deutlich überwiegende Wahrscheinlichkeit, soweit dieses Wahrscheinlichkeitsurteil auf gesicherten Grundlagen beruht.“522 III. Ersatzfähigkeit des Nichtvermögensschadens Zwar erfasst der Amtshaftungsanspruch gemäß § 253 Abs. 1 BGB auch den Ersatz von Nichtvermögensschäden. Die insoweit relevanten Konstellationen dürften indes äußerst selten sein und werden daher hier nur angedacht. In Betracht kommt der Ersatz von Nichtvermögensschäden etwa in Form eines Schmerzensgeldes für die Verletzung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, so für den Fall der namentlichen Nennung des Whistleblowers.523 Da das Allgemeine Persönlichkeitsrecht auf juristische Personen grundsätzlich nicht anwendbar ist (s. Art. 19 Abs. 3 GG),524 im Anwendungsbereich der Kartellaufsicht jedoch regelmäßig juristische Personen agieren, dürfte insoweit eine ein Schmerzensgeld hervorrufende Verletzung ausscheiden. IV. Berücksichtigung des Mitverschuldens Über § 254 BGB wird ein Mitverschulden des Geschädigten im Rahmen der Schadenshöhe berücksichtigt. Hieran ist etwa zu denken, wenn ein Zusammenschlussvorhaben nach der rechtswidrigen Untersagung aufgegeben wird, da sich diese Aufgabe auf einen eigenen Entschluss des Unterneh521 Zum Verhältnis dieser Vorschriften etwa Oetker, in: MüKo BGB, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, § 252 Rn. 30. 522 Tremml/Karger/Luber, Amtshaftungsprozess, 4. Aufl. 2013, Rn. 635. 523 Zu einem derartigen Fall im europäischen Kartellrecht vgl. EuGH Rs. 145/83, Slg. 1985, 3539 – Stanley Adams. 524 Str., zur Diskussion etwa Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 13. Aufl. 2014, Art. 2 Rn. 52. Auf die Frage, ob statt des Unternehmens die hinter dem Unternehmen stehenden natürlichen Personen entsprechende Ansprüche geltend machen können, kann es insoweit nicht ankommen, da nicht das Ansehen dieser Personen (Gesellschafter), sondern vielmehr das der Gesellschaft in Rede steht.
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mens zurückführen lässt. Zwar liegt den Transaktionen häufig ein enges Zeitfenster zugrunde. Indes ist zu berücksichtigen, dass die Wahl der für den Vollzug des Zusammenschlusses zur Verfügung stehenden Fristen regelmäßig in den Verantwortungsbereich der beteiligten Unternehmen fällt. Da sie insoweit in den Vorteil des Vollzuges eines Zusammenschlusses kommen wollen, müssen sie sich auch den Nachteil eines gescheiterten Zusammenschlusses anrechnen lassen.
B. Kausalität Der Schaden muss schließlich durch die Amtspflichtverletzung verursacht worden sein, er muss ihr mit anderen Worten zugerechnet werden können. Insoweit ist die haftungsausfüllende Kausalität angesprochen, also der Ursachenzusammenhang zwischen der Amtspflichtverletzung und dem Schaden, und nicht der Zusammenhang zwischen der Handlung und der Amtspflichtverletzung.525 Dem Geschädigten kommt auch hierbei die Beweiserleichterung des § 287 ZPO zugute.526 Im Unterschied zum europäischen Recht liegt dem deutschen Recht ein weiter Kausalitätsbegriff zugrunde, wonach der Schaden nicht unmittelbar, sondern lediglich adäquat kausal durch die Amtspflichtverletzung verursacht werden muss.527 Ein derartiger Zusammenhang besteht, wenn die Amtspflichtverletzung im Allgemeinen und nicht nur unter besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen oder nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen zur Herbeiführung des Schadens geeignet war.528 Besondere Kausalitätsprobleme stellen sich im Rahmen der Amtshaftung regelmäßig nicht.529
525 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 164. Diese haftungsbegründende Kausalität muss etwa i. R. der allg. deliktischen Haftung des § 823 Abs. 1 BGB zwischen Handlung und Rechtsgutsverletzung bestehen, vgl. B. Bender, Staatshaftungsrecht, 2. Aufl. 1974, Rn. 557. 526 St. Rspr., BGHZ 135, 354 (365); Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 229. 527 BGHZ 96, 157 (172); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 73. Zum Unionsrecht o. § 6 B. I. 528 BGHZ 57, 137 (141); 137, 11 (19); BGH NVwZ 1994, 825 (827) – st. Rspr. 529 So die Einschätzung bei Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 73.
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I. Auswirkung der Begehung der Amtspflichtverletzung durch ein Kollegialorgan auf die Kausalität Auch für die Kausalität könnten sich aus der Entscheidungsfindung innerhalb eines Kollegialorgans Besonderheiten ergeben. Insoweit wird jedenfalls für das Kollegialorgan der Ethikkommission eine Anwendbarkeit von § 830 BGB diskutiert.530 Nach der hier vertretenen Auffassung führt diese Ausgestaltung weder auf der Ebene des Verschuldens dazu, dass auf den einzelnen Amtswalter abzustellen ist (vielmehr ist das Verschulden entindividualisiert), noch ist bei der Feststellung der Amtspflichtverletzung auf den einzelnen Amtswalter abzustellen (vielmehr ist der Beschluss der Beschlussabteilung maßgeblich). Da bei der Kausalität der haftungsausfüllende Kausalzusammenhang zwischen der Amtspflichtverletzung und dem Schaden in Rede steht und die Amtspflichtverletzung durch die Beschlussabteilung begangen worden ist, ergeben sich für die Kausalität ebenfalls keine Besonderheiten. Für diese Zwecke kann der Beschluss als Einheit aufgefasst werden, die Entscheidung des einzelnen Amtswalters ist daher nicht entscheidend. II. Grundsätze der Kausalität Die Kausalitätsprüfung fächert in einen Verursachungs- und in einen Zurechnungszusammenhang auf.531 Innerhalb des Verursachungszuammenhangs ist mit der Äquivalenztheorie danach zu fragen, ob der Schaden bei Hinwegdenken der Amtspflichtverletzung entfällt.532 Insoweit bestehen keine Unterschiede zum allgemeinen Schadensrecht.533 In einem zweiten Schritt ist die Situation bei einer hypothetischen amtspflichtgemäßen Entscheidung zu untersuchen.534 Entscheidend ist, wie die Behörde – nach Auffassung des über den Ersatzanspruch zu entscheidenden Gerichts – richtigerweise hätte entscheiden müssen.535 Bei dieser Frage kommt der Ausgestaltung der fehlerhaft angewandten Befugnisnorm eine gewisse Besonderheit zu. Während bei gebundenen Entscheidungen die Anwendung der Äquivalenztheorie regelmäßig keine Probleme aufwirft, stellt sich die Situation bei Ermessensentscheidungen anders dar. Insoweit wird gefordert, dass bei rechtmäßiger Ermessensausübung mit an Sicherheit grenzender Wahr530
v. d. Sanden, Ethik-Kommissionen, 2008, S. 107 ff., 112 ff. Vgl. Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 166. 532 BGHZ 96, 157 (170); 129, 226 (232 f.); Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 166. 533 Statt aller nur BGHZ 96, 157 (171) m. w. Nwn. 534 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 166. 535 BGH WM 1966, 1248 (1249); NJW 1986, 1924 (1925); Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 226. 531
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scheinlichkeit anders entschieden worden wäre.536 Kausal geworden ist die Amtspflichtverletzung dann, wenn die Vermögenslage des Verletzten bei amtspflichtgemäßen Verhalten des Amtsträgers günstiger als die tatsächliche Situation ist.537 Bei der amtshaftungsrechtlichen Bewertung werfen diejenigen Fallgestaltungen keine besonderen Kausalitätsprobleme auf, in denen materiell falsche Entscheidungen getroffen werden. So ist in der Situation, dass das Bundeskartellamt eine Verhaltensweise als missbräuchlich einordnet, die in Wirklichkeit mit dem GWB in Einklang steht, oder es einen Zusammenschluss untersagt, obwohl die Untersagungsvoraussetzungen nicht vorliegen, bei Hinwegdenken der amtspflichtwidrigen Entscheidung und unter Zugrundelegung der amtspflichtgemäßen Entscheidung die Kausalität der einzelnen Schadensposten zu bejahen. Schwieriger stellt sich dagegen die Situation dar, wenn das Bundeskartellamt Verfahrensfehler begeht, die für sich genommen rechtswidrig sind, jedoch im Ergebnis keine Auswirkungen auf die endgültige Entscheidung haben. Derartige Fälle werden sogleich diskutiert. III. Rechtmäßiges Alternativverhalten Unter dem Topos des rechtmäßigen Alternativverhaltens wird die Begutachtung eines hypothetischen Kausalverlaufes ermöglicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt es sich um eine der Kausalität im naturgesetzlichen Sinne nachgelagerte Frage, „inwieweit einem Schadensverursacher die Folgen seines pflichtwidrigen Verhalten[s] bei wertender Betrachtung billigerweise zugerechnet werden“ können.538 Träte der Schaden (in der konkreten Form) auch bei einem amtspflichtgemäßen Handeln des Amtsträgers ein, entfällt der Zurechnungszusammenhang.539 Maßgeblich ist der Schutzzweck der verletzten Norm.540 Hauptanwendungsfall des rechtmäßigen Alternativverhaltens sind Fallgestaltungen, in denen sich formelle Fehler auf das Ergebnis nicht auswirken.541 So hat schon das Reichsgericht den Kausalzusammenhang zwischen 536 BGH VersR 1985, 887; vgl. auch Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 166. 537 Vgl. Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 223. 538 BGHZ 96, 157 (172); OLG München, Urt. v. 5.5.2011, 1 U 3829/10 (Rn. 51 ff. – juris); Wurm, in: Staudinger, BGB, 2007, § 839 Rn. 231 m. w. Nwn. 539 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 170. Krit. Ehlers, JZ 2000, 1007 (1008). 540 BGHZ 96, 157 (173); 120, 281 (286). 541 BGHZ 36, 144 (154); 96, 157 (171); 146, 122 (128); BGH NVwZ 2008, 815 (816); vgl. auch Quabeck, Dienende Funktion, 2010, S. 81; Wurm, in: Staudinger,
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Schaden und Amtspflichtverletzung in dem Fall verneint, dass einem mit Verzögerung erledigtem Antrag auch im Falle sofortiger Erledigung nicht hätte entsprochen werden können.542 Der Bundesgerichtshof hat rechtmäßiges Alternativverhalten ferner bei einem formell-rechtswidrigen Steuerbescheid, der bei Vermeidung dieses Fehlers inhaltsgleich erlassen werden musste,543 sowie bei der Verweigerung des behördlichen Einvernehmens im Rahmen eines Baugenehmigungsverfahrens544 berücksichtigt. IV. Unterbrochene Kausalität Ähnlich wie das europäische Recht anerkennt auch das Amtshaftungsrecht einen Zurechnungsausschluss durch Unterbrechung des Kausalzusammenhangs. Dies ist der Fall, wenn der Schaden auf besonders eigenartigen, ganz unwahrscheinlichen, nach dem regelmäßigen Verlauf der Dinge außer Betracht zu lassenden Umständen beruht.545 Unterbrochen wird die Kausalität, wenn ein Dritter oder der Geschädigte selbst in völlig ungewöhnlicher und unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die den Schaden erst endgültig herbeiführt.546 Als Fallgruppen der unterbrochenen Kausalität kommen das Dazwischentreten eines Dritten (1.) oder des Geschädigten (2.) in Betracht. 1. Dazwischentreten eines Dritten
Wenn ein Dritter in völlig ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingreift und eine weitere Ursache setzt, die sich im tatsächlich eingetretenen Schaden realisiert, so wirkt die ursprüngliche Amtspflichtverletzung nicht mehr fort.547 In diesen Fällen ist der Kausalzusammenhang zwischen der Ursprungshandlung und dem Schaden zu verneinen. Auch wenn an dieser Stelle die Situation erwogen werden könnte, dass das Bundeskartellamt ein Einschreiten gegen ein Kartell verweigert und ein Schaden durch die Kartellanten als Dritte unmittelbar verursacht wird, fehlt BGB, 2007, § 839 Rn. 231; Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 303, 305, jeweils m. w. Nwn. aus der Rspr. 542 RG JW 1936, 2707. 543 BGH NJW 1995, 2778 (2780). 544 BGH VersR 2008, 1690 (1691); VersR 2011, 671. 545 Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 9 Rn. 169. 546 BGHZ 137, 11 (19); BGH NJW 1986, 1329 (1331); NJW 1988, 1262 (1263); NJW 1993, 1779 (1780). 547 Hierzu BGH NJW 1989, 1924 (1925).
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es in diesen Situationen regelmäßig an der Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht.548 Daher scheiden diese Fallgestaltungen aus dem Anwendungsbereich der Amtshaftung aus. Bezüglich der Follow-on-Klagen stellt sich die Situation ebenfalls nicht anders als im europäischen Recht dar: Da der Kausalzusammenhang durch den eigenverantwortlichen Entschluss des Dritten unterbrochen worden ist, kann dieser Schaden nicht über die Amtshaftung ersetzt verlangt werden.549 2. Dazwischentreten des Geschädigten
Ebenso wie ein Dritter kann auch der Geschädigte selbst durch sein Dazwischentreten eine neue Ursache für den Schadenseintritt setzen. Auch in diesen Fällen ist die Kausalität zwischen Amtspflichtverletzung und Schaden zu verneinen. Erforderlich ist hierfür nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der Geschädigte selbst in ungewöhnlicher oder unsachgemäßer Weise in den schadensträchtigen Geschehensablauf eingegriffen und eine weitere Ursache gesetzt hat, die den Schaden endgültig herbeiführte.550 Dies gilt nicht, soweit für das Dazwischentreten des Geschädigten ein rechtfertigender Anlass bestand oder dieser durch das haftungsbegründende Ereignis herausgefordert wurde und seine Handlung eine nicht ungewöhnliche Reaktion hierauf darstellt.551 An eine entsprechende Einschränkung der Kausalität könnte in den Fällen gedacht werden, in denen die Geschädigten Aufwendungen treffen, um den Primärrechtsschutz zu verfolgen. Im Grundsatz fällt der Abschluss eines Vertrages und damit auch einer Honorarvereinbarung in den Risikobereich des den Vertrag Abschließenden, also vorliegend des Geschädigten.552 Indes sind derartige Aufwendungen grundsätzlich als sozialadäquates Verhalten anzusehen und daher durch die Amtspflichtverletzung hervorgerufen.553
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s. dazu eingehend § 9 D. I. Zum Unionsrecht § 6 B. III. 1. 550 BGHZ 103, 113 (116); BGH NJW 1989, 99 (100); NJW 1992, 2086 (2087) – st. Rspr. 551 BGH NJW 1988, 1262 (1263); Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 74. 552 Krit. Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 309. 553 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 277. Vgl. zu etwaigen Kürzungen Kreft, in: BGB-RGRK, 12. Aufl. 1989, § 839 Rn. 309, der auf die geringe Höhe der Gebühren verweist, die den Entscheidungen des BGH VersR 1959, 31 (32); 1968, 895 (897) zugrunde lagen. 549
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C. Zusammenfassung Ebenso wenig wie bei der Untersuchung des europäischen Rechts lassen sich für die Amtshaftung kartellaufsichtsrechtliche Sonderprobleme auf der Rechtsfolgenseite ausmachen. Ersetzt werden kann der durch die Amtshaftung kausal verursachte Schaden, wobei die Naturalrestitution ausgeschlossen ist. Hinsichtlich der Ersatzfähigkeit des entgangenen Gewinns kommen dem Geschädigten die Erleichterungen der § 252 BGB, § 287 ZPO zugute.
§ 12 Anspruchsausschluss und gerichtliche Durchsetzung A. Ausschluss des Amtshaftungsanspruchs Mitunter ist der Anspruch aus Amtshaftung ausgeschlossen. Nach geltendem Recht kann dies aus der Möglichkeit anderweitigen Ersatzes nach § 839 Abs. 1 S. 2 BGB (I.) oder dem Vorrang des Primärrechtsschutzes (II.) folgen. In Ermangelung spezifisch kartellaufsichtsrechtlicher Fragestellungen kann sich die Darstellung auf einen Überblick beschränken.554 Ferner soll ein Haftungsausschluss wegen einer möglichen behindernden Wirkung der Amtshaftung (III.) diskutiert werden. I. Möglichkeit anderweitigen Ersatzes, § 839 Abs. 1 S. 2 BGB Gemäß § 839 Abs. 1 S. 2 BGB ist der Amtshaftungsanspruch bei Fahrlässigkeit des Amtswalters ausgeschlossen, wenn der Verletzte auf andere Weise Ersatz zu verlangen vermag. Daher reicht die Möglichkeit des anderweitigen Ersatzes aus, der Anspruch muss lediglich durchsetzbar und zumutbar sein.555 Diese Vorschrift, die auch als Subsidiaritätsklausel oder als Verweisungs- bzw. Fiskusprivileg bezeichnet wird,556 findet ihren Geltungsgrund in der Konzeption der Amtshaftung als persönlicher Deliktshaftung.557 Sie soll den Amtsträger vor den finanziellen Folgen einer Haftung schützen und gleichzeitig seine Entscheidungsfreudigkeit stärken.558 Diese Funktion ist durch die Haftungsüberleitungen in Art. 131 Abs. 1 WRV und nunmehr in Art. 34 S. 1 GG und damit der Ausgestaltung als mittelbarer 554 Vgl. für die Bankenaufsicht die ähnl. Einschätzung bei Brendle, Amtshaftung für fehlerhafte Bankenaufsicht?, 1987, S. 55. 555 Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 317 f. 556 Vgl. nur mit krit. Einschätzung Wöstmann, in: Staudinger, BGB, 2013, § 839 Rn. 259 f. 557 Dazu schon o. § 3 B. II. 2. b) aa). 558 Statt vieler nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 81.
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Staatshaftung obsolet geworden.559 Die Rechtsprechung hat hierauf durch das Herausarbeiten von Fallgruppen reagiert, in denen diese Vorschrift nicht zur Anwendung gelangen soll.560 Daneben berücksichtigt die Rechtsprechung die Subsidiarität der Amtshaftung schon bei der Bestimmung der Drittbezogenheit. Eine derartige Betrachtung erlaubt einen umfassenden Ansatz im Rahmen der Haftungsbegründung und ist gegenüber dem starren und im Übrigen auch überholten Haftungsausschluss des § 839 Abs. 1 S. 2 BGB vorzugswürdig.561 II. Vorrang des Primärrechtsschutzes, § 839 Abs. 3 BGB Nach § 839 Abs. 3 BGB ist der Anspruch ferner ausgeschlossen, „wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden“. In dieser Vorschrift lässt sich der Vorrang des Primärrechtsschutzes verorten,562 der das abgestufte Verhältnis der Rechtsverteidigung zum Ausdruck bringt.563 Ein Wahlrecht des Geschädigten dahingehend, dass er „von einer Anfechtung ihn rechtswidrig belastender Maßnahmen folgenlos absehen und sich auf einen Schadensersatzanspruch [. . .] beschränken darf“564, ist ausgeschlossen, ein „Dulden und Liquidieren“ unzulässig.565 Da § 839 Abs. 3 BGB den Anspruch komplett entfallen lässt und insofern „alles oder nichts“ gewährt, wird die Vorschrift restriktiv aufgefasst.566 Der Geschädigte ist daher gehalten, sich zunächst im Wege des Primärrechtsschutzes zur Wehr zu setzen. Mit einer besonderen Situation hatte sich das Landgericht Köln in der Sache GN Store Nord auseinanderzusetzen: Dort unterließ es die Klägerin, gegen die den Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Gestattung der Vollziehung des Zusammenschlusses abweisende Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf im Eilrechtsweg die 559 BGHZ 42, 176 (181) versteht diese Vorschrift auch als „antiquiert“. Vgl. ferner m. w. Nwn. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 81 f. 560 Zur Kasuistik etwa Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 304 ff.; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 82 f. 561 s. dazu schon § 9 A. II. 2. g). sowie ausf. in § 9 D. I. 3. 562 Axer, DVBl. 2001, 1322 (1330 f.); Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 49. Zu den Unterschieden zwischen Primär- und Sekundärrechtsschutz schon o. § 3 B. I. 1. 563 So Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 50. 564 BGHZ 98, 85; 113, 17 (22). Grundlegend die Nassauskiesungs-Entscheidung in BVerfGE 58, 300 (324). 565 Statt aller Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 50. 566 Vgl. Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 94 f.
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sofortige Beschwerde zum Bundesgerichtshof zu erheben. Stattdessen hat sie wenige Tage nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts von der Weiterverfolgung des Zusammenschlussvorhabens Abstand genommen und insoweit die Beschwerde als Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde weiterverfolgt567. Das Landgericht Köln musste indes zur Zulässigkeit dieses Vorgehens keine Stellung beziehen. Sekundärrechtliche Ersatzansprüche können daher grundsätzlich nur insoweit verfolgt werden, wie der Primärrechtsschutz nicht ausreicht. Soweit der Geschädigte den Primärrechtsweg nicht beschreitet, lässt § 839 Abs. 3 BGB die Ansprüche aus Amtshaftung ausscheiden, wenn der Schaden durch die Einlegung abgewendet worden wäre, und das Nichteinlegen des Rechtsmittels vorsätzlich oder fahrlässig war. Erforderlich ist demnach ein Zusammenhang zwischen der Nichteinlegung des Rechtsmittels und dem Schadenseintritt,568 für den der Kläger darlegungs- und beweisbelastet ist.569 III. Behinderung bei der Aufgabenwahrnehmung durch die Amtshaftung Rechtspolitisch stellt sich schließlich die Frage, ob und inwieweit die Möglichkeit der Amtshaftung die Gefahr einer Behinderung des Bundeskartellamts bei seiner Aufgabenwahrnehmung begründet.570 Einer insoweit vergleichbaren Argumentation steht die europäische Rechtsprechung grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber und berücksichtigt die „abschreckende Wirkung“ des Haftungsrisikos auf die Aufgabenwahrnehmung durch die Kommission.571 Bei dieser Frage bietet sich eine Differenzierung zwischen 567
Vgl. OLG Düsseldorf WuW/E DE-R 2477 (2478). Einzelheiten bei Detterbeck/Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 65 ff. 569 BGH NJW 1986, 1924 (1925). 570 s. bzgl. des GN-Store-Nord-Verfahrens vor dem LG Köln die Berichterstattung in Süddeutsche Zeitung v. 5.12.2012, S. 17, wonach das BKartA im Falle eines erfolgreichen Verfahrens „in die Bredouille“ käme, da es „immer auch potentielle Schadensersatzklagen berücksichtigen“ müsse; Handelsblatt v. 5.12.2012, S. 16, das „tektonische Verschiebungen“ bei der Aufgabenwahrnehmung des BKartA befürchtet sowie plakativ Legal Tribune Online v. 14.3.2103: „Kartellbeamte müssten sonst nach Hause gehen“ [abrufbar unter www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-koeln-ur teil-5-o-86-12-hoergeraete-bundeskartellamt-fusion-untersagung-rechtswidrig-amtshaf tung-schadensersatz/, zuletzt am 16.4.2014]. 571 § 5 B. III. 2. a). Ob diese Diskussion insoweit unter einem möglichen Ausschluss der Amtshaftung angezeigt ist, kann dahinstehen. Soweit die Risiken ein besonderes Maß erreichen, kann ihnen de lege ferenda der Gesetzgeber durch einen Haftungsausschluss begegnen. Zur Verortung eines entsprechenden Haftungsausschlusses vgl. § 4 Abs. 4 FinDAG. s. dazu auch o. bei Fn. 190. 568
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der institutionellen Behinderung im Sinne einer möglichen Belastung des Bundeshaushalts und der individuellen Behinderung im Sinne möglicher persönlicher Auswirkungen auf den handelnden Amtswalter an. Dieser ist jedoch wegen der Haftungsüberleitung des Art. 34 S. 1 GG und des nur eingeschränkt zulässigen Rückgriffs in Art. 34 S. 2 GG persönlich regelmäßig nicht verantwortlich, so dass er durch eine erfolgreiche Haftungsklage wenn überhaupt nur mittelbar betroffen ist. Zwar besteht insoweit kein Verschuldensvorwurf, indes dürfte auch die Verurteilung des Rechtsträgers im Wege des Primärrechtsschutzes Auswirkungen auf den Amtswalter entfalten,572 ohne dass dies als möglicher Ausschluss entsprechender Rechtsmittel diskutiert wird. Eine individuelle Behinderung als möglicher Haftungsausschluss ist daher abzulehnen.573 Eine institutionelle Behinderung im Sinne der Existenz von Folgerisiken (erfolgreicher) Staatshaftungsklagen auf die Staatsfinanzen ist grundsätzlich anerkannt.574 Diese Gefahr für den Haushalt ist jedoch jeder Staatshaftung immanent und muss, um einen etwaigen Haftungsausschluss rechtfertigen zu können, besonders gelagert sein. Ob dies für die Kartellaufsicht der Fall ist, erscheint zweifelhaft. Zwar könnte zunächst die relative Höhe der geltend gemachten Schadensersatzansprüche, insbesondere wie im GN-StoreVerfahren im Zusammenhang mit rechtswidrig untersagten Zusammenschlussvorhaben, für die Besonderheit dieses Rechtsgebietes streiten. Jedoch sind auch in anderen Bereichen derartige Ansprüche vorstellbar,575 zumal die absolute Zahl entsprechender Staatshaftungsklagen gering ist. Dies stellt also kein Alleinstellungsmerkmal dar. Als Behörde ist das Bundeskartellamt weiterhin kein Rechtsträger und verfügt daher auch nicht über einen eigenen Haushalt. Für das Jahr 2012 wurden dem Bundeskartellamt im Kapitel 0917 des Einzelplans 09 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie etwa 27 Mio. Euro zugewiesen, denen allein aus Bußgeldern im gleichen Zeitraum Einnahmen i. H. v. rund 224 Mio. Euro gegenüberstanden.576 Insoweit ließe sich erwägen, ob das Amt angesichts dieser Einnah572 Zu dieser Einschätzung auch Grzeszick, Rechte und Ansprüche, 2002, S. 411 f., der „einen wesentlich stärkeren Einfluß“ als bei staatshaftungsrechtlichen Verurteilungen feststellt. 573 Die Haftungsüberleitung soll gerade die Stärkung der Entschlussfreude des Amtswalters durch die Abwesenheit der persönlichen Haftung herbeiführen, s. im ersten Teil bei Fn. 203. 574 s. Kümper, Risikoverteilung, 2011, S. 124 ff. m. w. Nwn.; v. Danwitz, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. 2, 6. Aufl. 2010, Art. 34 Rn. 26; Fedtke, in: European Tort Law, 2006, S. 42 (48 f.). Zur „Haushaltsprärogative des Parlaments“ nur BGHZ 100, 136 (145 ff.); Ossenbühl, DVBl. 1994, 977 (979). 575 Vgl. etwa Papier, JuS 1980, 265 (269) für die Bankenaufsicht. 576 Vgl. die vom Bundesministerium der Finanzen hrsg. Haushaltsrechnung des Bundes, 2012, S. 641, 646. Zu dem insoweit bestehenden Interesse des Gesetz-
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
men etwaige Schadensersatzansprüche aus diesen Einnahmen zahlen könne. Bei einer derartigen Ausgestaltung bestünde ein nachvollziehbares Risiko der potentiellen Bedrohung durch die Staatshaftung. Da das Amt jedoch nicht über einen eigenen Haushalt verfügt und infolgedessen auch nicht eigenständig in Anspruch genommen werden kann, ist dies mit der Konstruktion als Behörde und damit als Organ des Rechtsträgers Bund de lege lata nicht vereinbar.577 Eine rein fiskalisch motivierte Rechtsschutzverkürzung ist mithin abzulehnen.
B. Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches Da Recht nur insoweit Geltung entfaltet, wie es durchgesetzt werden kann,578 kommt dieser Frage besondere Bedeutung zu. Abschließend soll daher die Durchsetzung des Amtshaftungsanspruches unter Beachtung des Rechtswegs sowie der funktionalen Zuständigkeit (I.), der Passivlegitimation (II.), der Postulationsfähigkeit (III.) und schließlich der Verjährung (IV.) und Verzinsung (V.) betrachtet werden. I. Rechtsweg und funktionale Zuständigkeit Art. 34 S. 3 GG bestimmt, dass der ordentliche Rechtsweg für Ansprüche aus der Amtshaftung nicht ausgeschlossen sein darf. Diese verfassungsrechtliche Garantie wird einfachgesetzlich von § 40 Abs. 2 S. 1 Var. 3 VwGO aufgenommen und ausgefüllt.579 Unabhängig von der Höhe des Streitwertes sind nach § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG die Landgerichte sachlich zuständig. Es stellt sich die Frage, ob wegen des kartellrechtlichen Hintergrunds derartiger Streitigkeiten eine ausschließliche Zuständigkeit des sog. Kartellgerichts in Betracht kommt. Da es sich bei den Kartellgerichten nach § 87 GWB ebenso um Landgerichte handelt, hätte diese Zuständigkeit zwar keine Auswirkungen auf die sachliche Zuständigkeit, möglicherweise aber auf die örtliche Zuständigkeit. Nach den allgemeinen Regeln der §§ 18, 32580 ZPO wäre im Falle der Haftung der Bundesrepublik wegen fehlsamer Kartellaufgebers an den gem. § 82a Abs. 2 S. 2 GWB in den Bundeshaushalt fließenden Geldbußen nur Stockmann, in: FS Immenga, 2004, S. 389 (390). 577 Anders stellt sich die Situation bei der BaFin dar, die als selbstständige Anstalt des öffentlichen Rechts ein Verwaltungsträger ist und die Kosten der Amtshaftung durch die Umlage finanziert, vgl. zur Zulässigkeit dieses Modells BVerwG DVBl. 2012, 353. 578 Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, S. 82. 579 Art. 34 S. 3 GG begründet nicht die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte, s. Papier, in: MüKo BGB, Bd. 5, 6. Aufl. 2013, § 839 Rn. 374; Ehlers, in: Schoch/ Schneider/Bier, VwGO, Bd. 1, 9. EL 9/2003, § 40 Rn. 517.
§ 12 Anspruchsausschluss und gerichtliche Durchsetzung
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sicht das Landgericht Bonn für eine entsprechende Klage zuständig. Etwas anderes könnte sich aus §§ 87, 89 Abs. 1 GWB i. V. m. § 1 Nr. 3 der Konzentrationsverordnung581 ergeben, wonach das Landgericht Köln als Kartellgericht für den – hier gegebenen, s. § 10 Nr. 3 JustG NRW – Bezirk des Oberlandesgerichts Köln fungiert. Ein Anknüpfen an § 87 S. 1 GWB scheidet aus, da es sich bei den dem öffentlichen Recht zuzurechnenden Ansprüchen aus Amtshaftung nicht um „bürgerliche[. . .] Rechtsstreitigkeiten“ im Sinne der Vorschrift handelt.582 Nach § 87 S. 2 GWB gilt die ausschließliche Zuständigkeit des ersten Satzes jedoch auch, „wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits ganz oder teilweise von einer Entscheidung, die nach diesem Gesetz zu treffen ist, oder von der Anwendbarkeit des Artikels 81 oder 82 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft oder des Artikels 53 oder 54 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum abhängt“. Da im Rahmen der Amtspflichtwidrigkeit die Rechtmäßigkeit der kartellverwaltungsrechtlichen Maßnahme regelmäßig inzidenter zu untersuchen ist, besteht eine derartige Vorgreiflichkeit.583 Zwar könnte der Verweis auf die Inzidentprüfung wegen der grundsätzlich bestehenden Bindungswirkung einer vorangegangenen Entscheidung im Primärrechtsschutz584 in Frage gestellt werden. Wegen des Vorrangs des Primärrechtsschutzes hat mit dem Oberlandesgericht Düsseldorf oder mit dem Bundesgerichtshof regelmäßig ein Kartellgericht im Beschwerde- bzw. Rechtsbeschwerdeverfahren entschieden. Hinsichtlich der Amtspflichtverletzung kann das Amtshaftungsgericht auf diese Feststellungen zurückgreifen. Hierin liegt ein „großer Vorteil“ der Verknüpfung des Sekundär- mit dem Primärrechtsschutz.585 Indes ist ebenso herausgearbeitet worden, dass im Bereich des Verschuldens sowohl die Spezifika der institutionellen Ausgestaltung der Kartellaufsicht als auch diejenigen der Materie an sich die Verschuldensprüfung beeinflussen.586 Insoweit bestehen kartellrechtliche Vorfragen, so dass § 87 S. 2 GWB zur Anwendung gelangt. Folglich sind Klagen aus Amtshaftung gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen fehlsamer Kartellaufsicht vor dem Landgericht Köln zu verfolgen. Funktional wird durch § 87 580 Auf § 32 ZPO abstellend OLG Celle, Urt. v. 25.2.2010, 16 U 55/09 (Rn. 19 ff. – juris). 581 s. o. in Fn. 120. 582 Allg. Meinung, s. nur Meyer-Lindemann, in: FK, Bd. VI, 75. EL 10/2011, § 87 Rn. 36; so auch schon zur früheren Rechtslage OLG Saarbrücken VersR 2000, 1237; K. Schmidt, JZ 1976, 304 (307). 583 OLG Köln, Beschl. v. 16.9.2013, 7 U 63/13 (Rn. 5 – zit. nach NRWE); Meyer-Lindemann, in: FK, Bd. VI, 75. EL 10/2011, § 87 GWB Rn. 36; K. Schmidt, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 87 Rn. 25. 584 Dazu schon § 9 A. IV. 1. 585 So Schlick, DVBl. 2010, 1484. 586 Zum Verschulden eingehend § 10 A.
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
GWB nur die Zuständigkeit der Zivilkammern des jeweiligen Landgerichtes begründet. Da es sich bei diesen Sachen gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 1 Var. 6 GVG um Handelssachen handelt, kann nach § 96 GVG vor der Kammer für Handelssachen verhandelt werden.587 Für Staatshaftungssachen besitzt indes am Landgericht Köln die 5. Zivilkammer eine Spezialzuständigkeit, so dass diese Kammer funktional zuständig ist.588 Eine dennoch vor dem Landgericht Bonn erhobene Klage ist unzulässig und auf Antrag des Klägers durch Beschluss an das Landgericht Köln zu verweisen, § 281 Abs. 1 S. 1 ZPO. Da es sich um eine ausschließliche Zuständigkeit handelt, kann die Zuständigkeit des Landgerichts Bonn auch nicht im Wege der rügelosen Einlassung (§ 39 S. 1 ZPO) begründet werden, s. § 40 Abs. 2 S. 1 Nr. 2, 2 ZPO. II. Passivlegitimation Nach Art. 34 S. 1 GG ist „die Körperschaft, in deren Dienst [der Jemand] steht“ passivlegitimiert.589 Eine Haftung der Behörde als Organ dieser Körperschaft sieht das geltende Recht nicht vor.590 Da für das Bundeskartellamt entweder Beamte oder Angestellte des Bundes handeln, ist nach allen insoweit vertretenden Theorien591 die Bundesrepublik Deutschland als haftende Körperschaft passivlegitimiert. Diese wird vertreten durch den Bundesminister für Wirtschaft und Energie, jener durch den Präsidenten des Bundeskartellamts.592 III. Postulationsfähigkeit Da das sog. Behördenprivileg des § 78 Abs. 2 ZPO im Staatshaftungsprozess keine Anwendung findet und auch § 68 S. 1 GWB nicht gilt, ist nach § 78 Abs. 1 S. 1 ZPO die Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts erforderlich.593 587 Meyer-Lindemann, in: FK, Bd. VI, 75. EL 10/2011, Oktober 2011, § 87 Rn. 61. 588 s. die Übersicht über die Spezialzuständigkeiten der Zivilkammern, die auf den Internetseiten des LG Köln abrufbar sind. Die Zuständigkeit des OLG Düsseldorf als Berufungsinstanz dürfte sich aus §§ 93, 92 Abs. 1 S. 1 GWB i. V. m. § 2 der Konzentrationsverordnung ergeben. 589 Zur Frage, ob stattdessen auf § 1 Abs. 1 RBHG zurückgegriffen kann, schon o. in Fn. 4. 590 s. hierzu schon § 12 A. III. Etwas unklar Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (136). 591 Einen Überblick bieten etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 112 ff. 592 Patzina, in: MüKo ZPO, 4. Aufl. 2013, § 18 Rn. 22.
§ 13 Exkurs
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IV. Verjährung Der Anspruch aus Amtshaftung verjährt nach der regelmäßigen Verjährungsfrist des § 195 BGB in drei Jahren. Die Frist beginnt nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Widerspruch und Klage gegen einen amtspflichtwidrig erlassenen Verwaltungsakt hemmen analog § 204 Abs. 1 S. 1 BGB die Verjährung des Amtshaftungsanspruchs.594 Regelmäßig endet die Hemmungswirkung analog § 204 Abs. 2 S. 1 BGB sechs Monate nach der rechtskräftigen Entscheidung oder anderweitigen Erledigung des Verfahrens.595 V. Verzinsung Schließlich besteht nach §§ 291 S. 1, 288 Abs. 1 S. 2, 247 BGB ein Zinsanspruch i. H. v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz596 ab Rechtshängigkeit.
§ 13 Exkurs: Schadensersatz aus der Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses Angesichts der konsensualen Durchsetzung des Kartellrechts ist möglicherweise von einem besonderen Bürger-Staat-Verhältnis auszugehen, das die Annahme eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses und infolgedessen die Anwendbarkeit der schadensersatzrechtlichen Grundsätze rechtfertigt. Daneben könnte ein derartiges Verhältnis auch wegen der verfahrensrechtlichen Ausgestaltung der Zusammenschlusskontrolle oder aber allgemein aufgrund eines Kartellverfahrens anzuerkennen sein. Daher soll zum Abschluss der Erörterung der Haftung der Bundesrepublik wegen fehlerhafter Anwendung des nationalen Kartellrechts auf den Schadensersatz 593
Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass in der Presse das „Wie“ der Beauftragung einer Rechtsanwaltskanzlei durch die Bundesrepublik Deutschland im GNStore-Nord-Verfahren mit einiger Überraschung aufgenommen wurde, s. etwa bei Juve v. 27.2.2013 [www.juve.de/nachrichten/verfahren/2013/02/staatshaftunghogan-lovells-schutzt-bund-vor-milliardenanspruch, abgerufen am 16.4.2014]. 594 BGHZ 181, 199 (217); 188, 302 (314); 189, 365 (378). 595 BGHZ 188, 302 (314). 596 Dieser kann dem Internetauftritt der Bundesbank, www.bundesbank.de, entnommen werden.
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
aus der Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses eingegangen werden. Ein derartiges Schuldverhältnis setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundegerichtshofs indes voraus, dass ein „besonders enges Verhältnis des einzelnen zum Staat oder zur Verwaltung begründet worden ist und mangels ausdrücklicher gesetzlicher Regelung ein Bedürfnis zu einer angemessenen Verteilung der Verantwortlichkeit innerhalb des öffentlichen Rechts vorliegt“.597 Insoweit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass sich Bürger und Staat ausnahmsweise in einem besonderen Näheverhältnis zueinander befinden, aufgrund dessen die (entsprechende598) Anwendung der zivilrechtlichen Haftungsvorschriften angezeigt erscheint.599 Die „klassischen“ verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisse,600 neben den Anstaltsund Benutzungsverhältnissen ist hier insbesondere die öffentlich-rechtliche Verwahrung zu nennen, unterscheiden sich jedoch von den vorliegenden Beziehungen. In der Literatur werden insoweit weitere Fallgruppe derartiger verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse diskutiert: So soll ein „Rechtsverhältnis zur Vorbereitung einer behördlichen Entscheidung“601 oder aber ein „Rechtsverhältnis bei informellen Absprachen“602 bestehen. Ob schon aus der Stellung eines Antrags und damit aus einem auch im Bereich der Kartellaufsicht häufig anzutreffenden Vorgang sich entsprechende Schuldverhältnisses ergeben können, erscheint dagegen zweifelhaft. Angesichts des Umstands, dass insoweit eine typische Situation der Bürger-Staat-Beziehungen angesprochen ist, gestaltet sich eine Analogie zu zivilrechtlichen Vorschriften aus Gründen der Gewaltenteilung als problematisch. In diesen Fällen wäre der Gesetzgeber zum Handeln aufgerufen. Zudem handelt es sich in den vorliegenden Situationen regelmäßig um antragstellende Unternehmen, so dass ein persönliches Bürger-Staat-Verhältnis nicht gegeben ist. Im Übrigen reicht nach der Rechtsprechung auch kein einfaches Bürger-Staat597 Grundlegend BGHZ 21, 214 (218). Krit. zu dieser „Leerformel“ noch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Aufl. 1998, S. 354; zust. dagegen Saule, Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse, 2008, S. 51 ff. 598 Zur methodischen Herangehensweise etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 434 f., die der Frage, ob es sich um eine analoge Anwendung zivilrechtlichen Vorschriften handelt, oder ob die in den zivilrechtlichen Vorschriften enthaltenden Rechtssätze allgemeiner Art sind, keine „große praktische Relevanz“ beimessen. 599 Vgl. nur Saule, Verwaltungsrechtliche Schuldverhältnisse, 2008, S. 25 ff.; Meysen, Die Haftung aus Verwaltungsrechtsverhältnis, 2000, S. 32 ff. 600 Vgl. zu ihnen nur Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 405 ff. 601 Meysen, Die Haftung aus Verwaltungsrechtsverhältnis, 2000, S. 134. 602 Meysen, Die Haftung aus Verwaltungsrechtsverhältnis, 2000, S. 209 ff., der dieses Schuldverhältnis jedoch i. E. ablehnt.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Teils
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Verhältnis aus, vielmehr muss es „besonders eng [. . .]“ sein.603 Zudem ist rechtspolitisch fraglich, ob überhaupt ein entsprechendes „Bedürfnis“ für die Anerkennung eines derartigen Haftungsinstituts im Bereich der Kartellaufsicht besteht: Die voranstehenden Untersuchungen haben gezeigt, dass die institutionellen Besonderheiten der Kartellaufsicht der Amtshaftung im Grundsatz nicht im Wege stehen. Insbesondere die im Bereich der Ausgestaltung der Amtshaftung kritisierten Aspekte wie die Subsidiaritätsklausel werfen im vorliegenden Untersuchungsgegenstand keine unüberwindbaren Probleme auf. In Ermangelung der Existenz verwaltungsrechtlicher Schuldverhältnisse im Referenzgebiet kann deren Verletzung nicht in Betracht kommen, so dass diesbezügliche Schadensersatzansprüche ausscheiden.
§ 14 Zusammenfassung der Ergebnisse des dritten Teils Schadensersatz wegen eines Fehlverhaltens des Bundeskartellamts wird auch nach dem Amtshaftungsrecht nur eingeschränkt und ausnahmsweise gewährt. Insoweit entsprechen die Erkenntnisse der Situation im europäischen Recht. Die Untersuchung typischer Fallkonstellationen hat zwar gezeigt, dass sich die vielfach apostrophierten Probleme hinsichtlich der Bestimmung der Drittbezogenheit von Amtspflichten der Wirtschaftsaufsicht für das Referenzgebiet nicht bestätigen lassen. Mit Ausnahme von Ansprüchen dritter Personen, die ein Einschreiten verlangen, ist dieses Tatbestandsmerkmal regelmäßig zu bejahen. Wegen der Zugrundelegung der Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln wird die Amtspflichtverletzung durch eine entsprechende Entscheidung im Primärrechtsschutz präjudiziert. Im Übrigen kann sie das Landgericht Köln als Amtshaftungsgericht im Prozess feststellen, ohne dass Beurteilungsspielräume bestehen. Dieser Grundsatz gilt dagegen nicht, soweit Maßnahmen im Rahmen von Ermittlungsverfahren in Rede stehen. Hier ist den Kartellbehörden ein Beurteilungsspielraum zu konzedieren. Als schwieriger erweist sich der Nachweis des Verschuldens. Im Unterschied zu der Frage nach der Amtspflichtwidrigkeit entfaltet eine vorangegangene Entscheidung diesbezüglich keine Bindungswirkungen. Während bei der Fahrlässigkeitsprüfung erhöhte Sorgfaltspflichten zugrunde zu legen sind, werden diese regelmäßig nur durch unvertretbare Entscheidungen der 603 Wegen der Konkurrenz zu § 839 BGB ist notwendigerweise ein enges Verständnis des verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses zugrunde zu legen, s. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 431.
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3. Teil: Deutsches Kartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
Beschlussabteilungen verletzt. Daneben hat die Untersuchung gezeigt, dass die Ausgestaltung des Kartellverwaltungsverfahrens und die Wahrnehmung der Kartellaufsicht durch eine Bundesoberbehörde die amtshaftungsrechtliche Rechtsanwendung vor keine besonderen Herausforderungen stellen wird; vielmehr kann der Sekundärrechtsschutz mit dem hergebrachten Instrumentarium vermittelt werden.604 Letztlich bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung mit den einzelnen Tatbestandsmerkmalen verfährt. Den neben der Amtshaftung bestehenden weiteren staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen dürfte keine größere Bedeutung zukommen. Insbesondere dürfte der Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff oftmals schon aufgrund der nur eine Entschädigung gewährenden Rechtsfolge nicht weiterverfolgt werden. Inwieweit die Entschädigung wegen überlanger gerichtlicher Verfahrensdauer zum Rechtsschutz in der Kartellaufsicht beitragen wird, bleibt abzuwarten.
604 Diese Einschätzung auch teilend – für die Amtshaftung i. R. der Fusionskontrolle – Witting/Jäger, WuW 2013, 126 (136 f.). Das OLG Düsseldorf hat im Urt. v. 26.3.2014 [WuW/E DE-R 4230 (Rn. 66 – juris, insoweit in WuW/E nicht abgedruckt)] die Revision im GN-Store-Nord-Verfahren nicht zugelassen. Die Nichtzulassungsbeschwerde wird beim BGH unter dem Az. III ZR 136/14 geführt.
Vierter Teil
Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt Abschließend soll auf die Haftung der Bundesrepublik bei Vollzug des Unionskartellrechts durch das Bundeskartellamt eingegangen werden. Derartige Fragestellungen können sich aufgrund des dezentralen Vollzugs des Unionskartellrechts ergeben, denn das Bundeskartellamt wendet die Art. 101 und 102 AEUV grundsätzlich neben den nationalen Wettbewerbsregeln an.1 Da nach der Rechtsprechung des EuGH der „Schutz der Rechte, die der einzelne aus dem Gemeinschaftsrecht herleitet, [. . .] nicht unterschiedlich sein [kann], je nachdem, ob die Stelle, die den Schaden verursacht hat, nationalen oder Gemeinschaftscharakter hat“,2 tritt in diesen Fällen als weitere Anspruchsgrundlage eine Haftung nach den Grundsätzen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches3 neben die Amtshaftung. Aufgrund der Ausgestaltung der Kartellrechtsdurchsetzung ist der unionsrechtliche Haftungsanspruch bei der Haftung der Bundesrepublik wegen der Tätigkeit des Bundeskartellamts regelmäßig anzudenken. Denn Fallgestaltungen, in denen sich die Anwendung des Bundeskartellamts auf das deutsche (materielle) Kartellrecht erschöpft, sind äußerst selten und neben der Fusionskontrolle nur in Bezug auf das Nichtvorliegen der Zwischenstaatlichkeitsklausel4 denkbar. Zu dem Amtshaftungsanspruch besteht in diesen Fällen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Anspruchskonkurrenz.5
1
Dazu bereits § 3 A. II. 4. EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 42) – Brasserie du Pêcheur. 3 Neben diese, namentlich in der Rspr. des BGH verwandten Bezeichnung [vgl. etwa BGHZ 189, 365 (370)] treten Bezeichnungen wie „europarechtlicher Haftungsanspruch“ (OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 18.10.2011, OVG 4 B 13.11 – juris) oder „mitgliedstaatliche Haftung“ (Schütter, Gemeinschaftsrechtliche Staatshaftung, 2012, S. 143). Für die Weiterverwendung des Terminus „gemeinschaftsrechtliche Haftung“ wegen der Genese dieses Instituts Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 595 f. 4 Zu ihrer Einordnung schon o. im ersten Teil in Fn. 155 f. 5 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 629; C. Dörr, EuZW 2012, 86 (87). 2
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4. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
Mangels unionsrechtlicher Vorgaben bezüglich der Verfahrensregeln6 sowie der Zusammenschlusskontrolle geht es in diesen Fällen regelmäßig um die Anwendung von Art. 101 und 102 AEUV. In Betracht kommt die Haftung zunächst, wenn das Bundeskartellamt die europäischen Wettbewerbsregeln fehlerhaft anwendet. Dies ist zum einen denkbar, wenn das Bundeskartellamt die europäischen Wettbewerbsregeln nicht anwendet, obwohl sie anwendbar sind, zum anderen, soweit es diese zu weit auslegt. Wegen der Angleichung der deutschen an die europäischen Wettbewerbsregeln scheiden dagegen Situationen aus, in denen das Bundeskartellamt wegen der rechtswidrigen Nichtberücksichtigung des europäischen Rechts neben den deutschen Regelungen eine rechtswidrige und schadensstiftende Entscheidung trifft.7 Daneben ist an die Situation zu denken, dass Bestimmungen des Unionsrechts, die das Verhältnis zwischen dem Bundeskartellamt und der Kommission regeln, durch das Bundeskartellamt verletzt werden. Auch in diesen Fällen stellt sich die Frage nach entsprechenden Ersatzansprüchen. Nachfolgend soll diesen Fragestellungen nachgegangen werden. Dabei soll zunächst kurz Stellung zur Rechtsnatur des Haftungsanspruchs genommen werden (§ 15), um sodann die Haftungsvoraussetzungen dieses Anspruchs mit Bezug auf die in Betracht kommenden Fallkonstellationen zu behandeln (§ 16). Einer rechtsvergleichenden Stellungnahme (§ 17) folgt schließlich eine Zusammenfassung der Erkenntnisse dieses Teils (§ 18).
§ 15 Rechtsnatur des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs Der unionsrechtliche Haftungsanspruch ist in den Verträgen nicht verortet, sondern wurde von der Rechtsprechung richterrechtlich entwickelt und spezifiziert. Hierbei hat der EuGH auf verschiedene Begründungen zurückgegriffen:8 In der richtungsweisenden Entscheidung Francovich hat der Gerichtshof im Jahre 1991 zunächst die dem Einzelnen Rechte verleihende neue Rechtsordnung des Europarechts hervorgehoben und den Anspruch insoweit aus dem Unionsrecht entwickelt.9 Über die unmittelbare Anwendbar6
Dazu bereits oben im dritten Teil, Fn. 465. Zu derartigen Fällen noch Klose, Verhältnis, 1998, S. 251 ff. Bildlich spricht er von Situationen, in denen „das BKartA anstelle des ‚erlaubenden‘ europäischen Rechts das ‚verbietende‘ GWB angewendet hat“ (S. 254). 8 Vgl. umfassend zur geschichtlichen Entwicklung sowie zur Herleitung des unionsrechtlichen Haftungsanspruches aus neuerer Zeit Tietjen, Das System des gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftungsrechts, 2010, passim. 9 EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5403 (Rn. 31); s. auch jüngst EuGH C-420/11, NVwZ 2013, 565 (Rn. 42) – Leth: „unmittelbar auf das Unionsrecht gestützt[. . .]“. 7
§ 15 Rechtsnatur des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs
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keit des Unionsrecht hinausgehend hat der EuGH, gestützt auf eine etwaige Beeinträchtigung der vollen Wirksamkeit des Unionsrecht sowie den nunmehr in Art. 4 Abs. 3 EUV verorteten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, den Grundsatz der Haftung des Mitgliedstaates für Schäden, die dem Einzelnen durch Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, vor allem dem „Wesen“ der durch das Unionsrecht geschaffenen Rechtsordnung entnommen.10 Zudem könne der Schutz der Rechte, die der Einzelne aus dem Unionsrecht herleitet, nicht unterschiedlich sein, je nachdem, ob die Stelle, die den Schaden verursacht hat, nationalen oder Unionscharakter hat.11 Während die Sache Francovich die Haftung wegen nicht umgesetzter Richtlinien durch ein Legislativorgan eines Mitgliedstaates betraf, hat der EuGH in weiteren Urteilen den unionsrechtlichen Haftungsanspruch umfassend ausgelegt und auch auf die übrigen Gewalten der Mitgliedstaaten angewandt.12 Über die Anwendbarkeit des unionsrechtlichen Haftungsanspruches auf Unionsrechtsverletzungen durch die jeweiligen Organe der Mitgliedstaaten besteht daher im Grundsatz Einigkeit. Umstritten ist, ob es sich bei diesem Anspruch um ein eigenständiges unionsrechtliches Haftungsinstitut handelt oder ob vielmehr das nationale Staatshaftungsrecht zugrunde zu legen und entsprechend zu modifizieren ist.13 Die Entscheidungsgründe in der Sache Francovich legen ein differenzierendes Verständnis nahe, wonach lediglich der Grundsatz, also das „Ob“ der unionsrechtlichen Haftung, dem Unionsrecht zu entnehmen sei, während sich die konkrete Ausgestaltung der Haftung, mithin das „Wie“, mangels einer unionsrechtlichen Regelung dem mitgliedstaatlichen Recht entnehmen lassen müsse.14 Dieser Ansatz zieht sich durch die gesamte Rechtsprechung des EuGH. In einer neueren Entscheidung hat er diese Ausgestaltung der Haftung nach nationalem Recht hervorgehoben und ausgeführt, dass „der Staat die Folgen des entstandenen Schadens im Rahmen des nationalen Haftungsrechts“ zu beheben habe, und insoweit das Äquivalenz- und das Effektivitätsprinzip betont, wenn er ausführt „wobei die im Schadensersatzrecht der einzelnen Mitgliedstaaten festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen nicht ungünstiger sein dürfen als bei ähnlichen Klagen, die nur nationales Recht betreffen (Grundsatz der Gleichwertigkeit), und nicht so ausgestaltet sein dürfen, dass sie es praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, die Entschädi10
EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5403 (Rn. 33 ff.) – Francovich. EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 42) – Brasserie du Pêcheur; C-352/98 P, Slg. 2000, I-11355 (Rn. 41) – Bergaderm. 12 s. dazu schon o. § 3 B. II. 1 b). 13 Vgl. etwa mit zahlreichen Nwn. Tietjen, Das System des gemeinschaftsrechtlichen Haftungsanspruch, 2010, S. 148 ff. 14 EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5403 (Rn. 35, 42). 11
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4. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
gung zu erlangen (Grundsatz der Effektivität)“.15 In dieser Sache hat der EuGH insbesondere festgestellt, dass sich die Frage der Verjährungsdauer – vorbehaltlich ihrer Äquivalenz und Effektivität – nach nationalem Recht bestimmt.16 Ergänzend wird also auf das nationale Haftungsrecht zurückgegriffen. Der Bundesgerichtshof sieht den Haftungsanspruch im Unionsrecht verortet, indem er auf den „vom Gerichtshof der Europäischen Union entwickelten unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch“ rekurriert.17 Nach seiner ständigen Rechtsprechung tritt dieser Haftungsanspruch neben die Amtshaftung.18 Stimmen in der Literatur erkennen dagegen in den jeweiligen Vorschriften der Mitgliedstaaten die in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, die unionsrechtlich modifiziert werden müssen.19 Da jedenfalls über die zu prüfenden Tatbestandsmerkmale weitestgehend Einigkeit besteht, muss für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung dieser Frage nicht näher nachgegangen werden. Soweit die Bearbeitung die Klärung von Zweifelsfragen erfordert, wird auf diese eingegangen.
§ 16 Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches „Erforderlich und ausreichend“, so der EuGH in der Sache Brasserie du Pêcheur, ist nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung, dass ein Mitgliedstaat eine Norm des Unionsrechts verletzt, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen (A.), dieser Verstoß hinreichend qualifiziert ist (B.) und zwischen diesem Verstoß und dem entstandenen Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht (C.).20
15 EuGH C-445/06, Slg. 2009, I-2119 (Rn. 31) – Danske Slagterier. Der EuGH nimmt Bezug auf die vorangegangenen Rechtssachen C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5403 (Rn. 42 f.) – Francovich; C-261/95, Slg. 1997, I-4025 (Rn. 27) – Palmisani. 16 EuGH C-445/06, Slg. 2009, I-2119 (Rn. 48) – Danske Slagterier. 17 So etwa jüngst BGH ZfWG 2012, 262 (263); s. auch BGHZ 143, 30; 189, 365 (370); BGH EuZW 2013, 194 (195); C. Dörr, EuZW 2012, 86 (87). 18 s. etwa BGHZ 146, 153 (163). 19 So etwa Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 14 Rn. 13; Ehlers, JZ 1996, 776 (777 f.). 20 Vgl. etwa EuGH C-94/10, Slg. 2011, I-9963 (Rn. 33) – Danfoss; C-420/11, NVwZ 2013, 565 (Rn. 41) – Leth; BGHZ 181, 199 (206); grundlegend EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1331 (Rn. 51, Zit. in Rn. 66) – Brasserie du Pêcheur, teilw. noch anders EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5403 (Rn. 40) – Francovich.
§ 16 Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches
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A. In Betracht kommende Rechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen Zunächst muss eine Unionsrechtsnorm, die bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, zurechenbar durch einen Mitgliedstaat verletzt worden sein. Da die Wettbewerbsregeln des Vertrages unmittelbar anwendbar sind und insoweit Geltung zwischen den Beteiligten entfalten,21 ist dies zu bejahen. Der EuGH hat wegen der überragenden Bedeutung, die den Wettbewerbsregeln für den Binnenmarkt zukommt, deren unmittelbare Wirkung wiederholt festgestellt. Zwar gilt diese unmittelbare Wirkung auch und gerade zwischen Privaten, wie etwa die Existenz zivilrechtlicher Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche in § 33 Abs. 1, 3 GWB verdeutlicht. Indes ist dies nur eine Folge der unmittelbaren Anwendbarkeit, kraft derer sich der Einzelne auch gegenüber den Mitgliedstaaten auf die Wettbewerbsregeln berufen kann. Insbesondere ist der Schluss von der unmittelbaren Anwendbarkeit auf eine entsprechende Schutzrichtung zulässig.22 Dass Art. 101 und 102 AEUV entsprechende Rechtsnormen darstellen, steht daher außer Frage.23 Im Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Haftungsanspruches sind drei verschiedene schadenstiftende Situationen vorstellbar. Zum einen schreitet das Bundeskartellamt ein, obwohl die Voraussetzungen der Art. 101 f. AEUV nicht erfüllt sind, es legt mit anderen Worten die europäischen Wettbewerbsregeln unzulässig aus (I.). Zum anderen verweigert das Bundeskartellamt ein Einschreiten, obwohl die Voraussetzungen der Art. 101 f. AEUV vorliegen (II.). Schließlich kann die Ausgestaltung der Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Bundeskartellamt und der europäischen Kommission unter bestimmten Voraussetzungen die Frage nach dem Sekundärrechtsschutz aufwerfen (III.). I. Fehlerhafte Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln Die Behandlung der ersten Fallgruppe wirft keine besonderen Probleme auf. Die fehlerhafte Anwendung des europäischen Rechts durch ein Administrativorgan eines Mitgliedstaates stellt einen klassischen Anwendungsfall 21
Hierzu bereits § 5 A. III. 1. a). s. nur EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 23) – Brasserie du Pêcheur; ausdrücklich auch schon GA Tesauro, SchlA zu C-46/93 u. a., a. a. O. (Rn. 56) – Brasserie du Pêcheur. 23 Im Kontext der mitgliedstaatlichen Haftung wegen Verletzung des Unionsrecht auch Klose, Verhältnis, 1998, S. 256 f. 22
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4. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
des unionsrechtlichen Haftungsanspruches dar.24 Unterschiede zum nationalen Recht stellen sich dabei nicht.25 II. Fehlerhafte Nichtanwendung der europäischen Wettbewerbsregeln Soweit das Bundeskartellamt die europäischen Wettbewerbsregeln nicht anwendet, ist zu differenzieren. Unterlässt es das Amt, neben den nationalen Regelungen parallel die Vorschriften des europäischen Rechts anzuwenden, sind Friktionen mit dem nationalen Recht wegen des Gleichlaufs der beiden Systeme ausgeschlossen. Hierauf wurde schon hingewiesen. Verweigert das Bundeskartellamt dagegen ein Einschreiten gegen ein vermeintliches Kartell bzw. ein seine Marktmacht möglicherweise missbrauchendes Unternehmen, so wird im europäischen und nationalen Kartellrecht ein auf ein Tätigwerden der Kommission bzw. des Bundeskartellamts gerichteter Anspruch des Dritten regelmäßig verneint.26 Maßgeblich hierfür ist die Erwägung, dass der Dritte insoweit auf zivilrechtliche (Abwehr-)Ansprüche gegen die Kartellanten bzw. die marktmissbräuchlich agierenden Unternehmer verwiesen werden kann. Da er sich somit selbst helfen könne, sei für ein behördliches Tätigwerden wegen der insoweit bestehenden Subsidiarität des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes kein Raum. Die Bearbeitung hat herausgearbeitet, dass diese Argumentation auch für den Sekundärrechtsschutz fruchtbar gemacht werden kann. Fraglich ist hingegen, ob sich in der Situation der parallelen Anwendung der europäischen und nationalen Wettbewerbsregeln Unterschiede im Vergleich zu einer isolierten Betrachtung der beiden Haftungsregime ergeben. Das Einschreiten des Bundeskartellamts richtet sich in Ermangelung sekundärrechtlich vorgeschriebener Verfahrensregeln nach dem nationalen Recht. Die Frage, ob das Bundeskartellamt einschreitet, bestimmt sich daher nach dem GWB. Zwar kommt insoweit dem Umstand, ob ein entsprechender Verdacht des Verstoßes gegen die (europäischen) Wettbewerbsregeln vorliegt, besondere Bedeutung zu. Eine Verletzung dieser Vorschriften ist dann auch nur insoweit denkbar, wie sie fehlerhaft ausgelegt werden und daher einen entsprechenden Verdacht nicht begründen können. Aus diesen Grün24 Aus der umfangreichen Rspr. grundlegend EuGH C-5/94, Slg. 1996, I-2553 – Hedley Lomas; C-192/95 u. a., Slg. 1997, I-165 – Comateb u. a.; C-319/96, Slg. 1998, I-5255 – Brinkmann. 25 So auch die Einschätzung bei Wolf, Die Staatshaftung der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik für Verstöße gegen das Europäische Gemeinschaftsrecht (EGV), 1997, S. 164. 26 s. für das europäische Kartellrecht § 5 A. III. 3. b) aa) (1); für das deutsche Kartellrecht o. § 9 D. I.
§ 16 Voraussetzungen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches
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den ließe sich in dieser Situation auch von einer bloß mittelbaren Verletzung der europäischen Wettbewerbsregeln sprechen. Gerade in der Situation der Nichtanwendung von Richtlinien tritt der Sanktionsgedanke als Begründungsansatz des Haftungsanspruches hervor.27 Müssten sich die Dritten in Fällen wie den Vorliegenden bei den Kartellanten bzw. den missbräuchlich agierenden Unternehmen schadlos halten, würden diese in Anspruch genommen und letztlich für ein Fehlverhalten des Mitgliedstaates verantwortlich gemacht.28 Eine derartige Betrachtungsweise würde diesen Sanktionsgedanken konterkarieren. Insoweit lässt sich auch eine weitere Parallele zu der Situation der unmittelbaren Wirkung nicht umgesetzter Richtlinienbestimmungen im Horizontalverhältnis ziehen. Diese wird regelmäßig abgelehnt, da durch die Nicht- oder nur unzureichend erfolgte Umsetzung der Richtlinie durch den Mitgliedstaat Pflichten für Private begründet würden.29 Darüber hinaus führt die Subsidiarität des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes nach der hier vertretenen Auffassung dazu, dass der Drittschutz der entsprechenden Norm fehlt.30 Hiervon ist die Rechtswidrigkeit einer entsprechenden Weigerung des Bundeskartellamts zu unterscheiden. Aufgrund des auch dem Bundeskartellamt zustehenden weiten Ermessensspielraums bei der Frage des Aufgreifens etwaiger Wettbewerbsverstöße dürfte es an der Rechtswidrigkeit des Nichteinschreitens regelmäßig fehlen, wenn dem Dritten zivilrechtliche Möglichkeiten zur Seite stehen. Im Übrigen ist aufgrund der parallelen Anwendung der unionsrechtlichen und nationalen Wettbewerbsregeln eine Situation, in der nur gegen die nationalen Wettbewerbsregeln verstoßen wird, äußerst selten und nur im Falle der fehlenden Erfüllung der Zwischenstaatlichkeitsklausel denkbar. In diesen Fällen steht aber meistens die hier nicht weiter verfolgte Zuständigkeit der Landes27 Vgl. etwa Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 597. Anders aber EuGH C-470/03, Slg. 2007, I-2749 (Rn. 88) – A.G.M.-COS.Met, wonach „die im Gemeinschaftsrecht begründete Haftung eines Mitgliedstaats nicht der Abschreckung oder Sanktion dient, sondern auf den Ersatz der Schäden gerichtet ist, die Einzelnen durch Verstöße der Mitgliedstaaten gegen Gemeinschaftsrecht entstehen“. 28 Zur insoweit vergleichbaren Situation der Nichtanwendung von § 839 Abs. 1 S. 2 BGB im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Unionsrecht Detterbeck/ Windthorst/Sproll, Staatshaftungsrecht, 2000, § 10 Rn. 12 ff. 29 Dazu etwa EuGH Rs. 152/84, Slg. 1986, 723 (Rn. 48) – Marshall; C-91/92, Slg. 1994, I-3325 (Rn. 20) – Faccini Dori. Indes ist umstritten, ob der Gedanke der Sanktion überhaupt geeignet ist, den unionsrechtlichen Haftungsanspruch (mit) zu begründen, s. Bitter, Die Sanktion im Recht der Europäischen Union, 2011, S. 246 ff.; Eilmansberger, Rechtsfolgen und subjektives Recht im Gemeinschaftsrecht, 1997, S. 51 ff. 30 s. dazu o. § 9 D. I. 3.
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4. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
kartellbehörden im Raum. In den übrigen Fällen wird das Unionsrecht neben dem nationalen Recht angewandt. Daher können auch die Ergebnisse nicht divergieren. So hat auch der Bundesgerichtshof in einem Verfahren bezüglich des Nichteinschreitens des Bundeskartellamts auf den Gleichlauf der beiden Rechtsregime hingewiesen und festgestellt, dass die der Kommission zustehende Entscheidungsfreiheit, ob sie einen etwaigen Verstoß gegen die Art. 101 f. AEUV auf Antrag eines Dritten verfolgt, „sinnlos“ wäre, wenn Art. 4 EUV „in einem solchen Fall eine Verpflichtung der nationalen Kartellbehörde zur Einleitung eines Verfahrens begründen würde. Die nationalen Kartellbehörden wären dann nicht nur zu Maßnahmen verpflichtet, die die Kommission wegen des ihr zustehenden Ermessens nicht ergreifen muß, sondern müßten unter Umständen sogar Handlungen vornehmen, von denen die Kommission aus guten Gründen abgesehen hat und die u. U. ihrer Wettbewerbspolitik sogar zuwiderliefen.“31 Daher ist die fehlerhafte Nichtanwendung der europäischen Wettbewerbsregeln durch das Bundeskartellamt grundsätzlich nicht geeignet, haftungsrechtliche Konsequenzen nach sich zu ziehen. III. Zuständigkeitsverteilung zwischen Kommission und Bundeskartellamt Neben einem Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages ist die mitgliedstaatliche Haftung auch in anderen Zusammenhängen denkbar. Dies gilt zunächst für den Umstand, dass nach den sekundärrechtlichen Bestimmungen ein reger Informationsaustausch zwischen der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten stattfindet. Insoweit sind die Mitgliedstaaten nach den jeweiligen Bestimmungen zum Schutz des Berufsgeheimnisses der Unternehmen verpflichtet.32 Auch mit Blick auf die Fusionskontrolle sind Ersatzansprüche denkbar: So ist die Kommission für die europäische Fusionskontrolle ausschließlich zuständig. Nach Art. 21 Abs. 4 FKVO können Mitgliedstaaten jedoch „geeignete Maßnahmen zum Schutz anderer berechtigter Interessen als derjenigen treffen, welche in dieser Verordnung berücksichtigt werden, sofern diese Interessen mit den allgemeinen Grundsätzen und den übrigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vereinbar sind“. Sofern die Mitgliedstaaten gegen die Vorschrift des Art. 21 Abs. 4 FKVO verstoßen, ist an den mitgliedstaatlichen Schadensersatzanspruch zu denken. Insoweit ist in der 31
BGH ZIP 2001, 807 (808). Vgl. auch Barthelmeß/Rudolf, in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff, Kartellrecht, 2. Aufl. 2009, VO 1/2003 Art. 28 Rn. 36 a. E., die indes auf den Amtshaftungsanspruch verweisen. Zur Haftung der Union Bischke, in: MüKo EUWettbR, 2007, Art. 28 VO 1/2003 Rn. 11. 32
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Rechtsprechung anerkannt, dass diese Vorschrift eine „subjektive Funktion“ innehat, „nämlich den Schutz der Interessen der betroffenen Unternehmen in Bezug auf den beabsichtigten Zusammenschluss unter dem Aspekt, die Rechtssicherheit und die in dieser Verordnung vorgesehene Schnelligkeit des Verfahrens sicherzustellen“ und daher dem Schutz der Zusammenschlussbeteiligten zu dienen bestimmt ist.33 Wenn also ein Mitgliedstaat das Zusammenschlussvorhaben vor der Kommission durch ein dem Art. 21 Abs. 4 FKVO entgegenlaufendes Verfahren „torpedier[t]“34, soll ein entsprechender Schadensersatzanspruch in Betracht kommen. Schließlich ist daran zu erinnern, dass nach Art. 35 Abs. 1 S. 1 VO 1/2003 die Mitgliedstaaten die für die Anwendung des Artikel 101 und 102 AEUV zuständigen Behörden bestimmen, „so dass die Bestimmungen dieser Verordnung wirksam angewandt werden“. In Bezug auf diese Vorschrift hat der EuGH entscheiden, dass die nationalen Wettbewerbsbehörden „die wirksame Anwendung der genannten Artikel“ sicherzustellen haben und insoweit auch auf die Erwägungsgründe der Verordnung rekurriert.35 Eine konkrete Aussage bzw. ein konkretes den Bürger schützendes Recht lässt sich hieraus nicht ableiten; die den Mitgliedstaaten obliegende Verpflichtung ist daher keine Rechtsnorm im vorbezeichneten Sinne.36
B. Hinreichend qualifizierter Verstoß Die Verletzung der Norm muss darüber hinaus auch hinreichend qualifiziert sein. Bei dieser Frage orientiert sich der EuGH an seiner Rechtsprechung zur außervertraglichen Haftung der Union (Art. 340 Abs. 2 AEUV)37 und stellt insoweit insbesondere darauf ab, ob der Mitgliedstaat bei der Wahrnehmung seiner Rechtsetzungsbefugnisse die Grenzen, die seinem Ermessen gesetzt sind, „offenkundig und erheblich“ überschritten hat.38 33
EuG T-58/09, Slg. 2010, II-3863 (Rn. 118) – Schemaventotto. Roth, ZHR 172 (2008), 670 (709 f.); ferner Körber, in: Immenga/Mestmäcker, EU, Bd. 1/2, 5. Aufl. 2012, FKVO Art. 21 Rn. 39. 35 EuGH C-439/08, Slg. 2010, I-12471 (Rn. 56) – VEBIC. 36 Zur Bestimmbarkeit der Inhalte einer Rechtsnorm als Voraussetzung des unionsrechtlichen Haftungsanspruches vgl. etwa EuGH C-91/92, Slg. 1994, I-3325 (Rn. 17) – Faccini Dori; ferner Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 83. 37 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1131 (Rn. 53) – Brasserie du Pêcheur; vgl. auch Berg, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 340 AEUV Rn. 88. Zur auch umgekehrt zu beobachtenden Orientierung der außervertraglichen Haftung am unionsrechtlichen Haftungsanspruch schon o. § 5 A. I. 2. und § 5 B. I. 3. 38 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1131 (Rn. 55) – Brasserie du Pêcheur; C-424/97, Slg. 2000, I-5123 (Rn. 44) – Haim. 34
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4. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
Im Übrigen sind nach der Rechtsprechung „das Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift, der Umfang des Ermessensspielraums, den die verletzte Vorschrift den nationalen oder Gemeinschaftsbehörden belässt, die Frage, ob der Verstoß vorsätzlich oder nicht vorsätzlich begangen oder der Schaden vorsätzlich oder nicht vorsätzlich zugefügt wurde, die Entschuldbarkeit oder Unentschuldbarkeit eines etwaigen Rechtsirrtums und der Umstand, daß die Verhaltensweisen eines Gemeinschaftsorgans möglicherweise dazu beigetragen haben, daß nationale Maßnahmen oder Praktiken in gemeinschaftsrechtswidriger Weise unterlassen, eingeführt oder aufrechterhalten wurden“, von Bedeutung.39 Vorzunehmen ist daher eine Berücksichtigung aller Gesichtspunkte des Einzelfalls.40 Der Umfang des Ermessensspielraums hängt dabei „weitgehend“ vom Maß an Klarheit und Genauigkeit der verletzten Vorschrift ab.41 Auch insoweit lassen sich Anknüpfungen an die Herangehensweise bei der Prüfung dieses Tatbestandsmerkmals innerhalb der außervertraglichen Haftung ausmachen. Daher können auch die dort erzielten Ergebnisse herangezogen werden.42 Daneben kommt insbesondere dem dem deutschen Amtshaftungsanspruch inhärenten Element des Verschuldens, das jedenfalls im Grundsatz kein Tatbestandsmerkmal des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs darstellt, in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu.43 Im hier interessierenden Bereich des Verstoßes gegen das primärrechtliche Unionsrecht durch die nationale Exekutive kann der Verweis auf etwaige Ermessensspielräume dagegen nicht weiterführen. Zugrunde zu legen ist zunächst das europäische Verständnis von Ermessensspielräumen.44 In der Rechtsprechung der europäischen Gerichte ist geklärt, dass in Bezug auf Art. 101 und 102 AEUV grundsätzlich keine Ermessensspielräume bestehen.45 Im Übrigen verfängt der auf die Reichweite des Ermessens abstel39
EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1131 (Rn. 56) – Brasserie du Pêcheur. BGH EuZW 2013, 194 (196). 41 BGHZ 189, 365 (Rn. 25 – juris, insoweit in BGHZ nicht abgedruckt). s. auch Tridimas, CML Rev. 38 (2001), 301 (311). 42 Dazu bereits § 5 B. III. 43 Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (689 ff.). Vgl. auch EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1131 (Rn. 78) – Brasserie du Pêcheur. Insoweit relativiert der EuGH a. a. O. (Rn. 79) jedoch, dass „die Verpflichtung zum Ersatz der dem einzelnen entstandenen Schäden nicht von einer an den Verschuldensbegriff geknüpften Voraussetzung abhängig gemacht werden kann, die über den hinreichend qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht hinausgeht“. Gleichwohl können die Elemente, die i. R. des Verschuldens diskutiert werden, auf der Ebene des hinreichend qualifizierten Verstoßes angesprochen werden, vgl. C. Dörr, EuZW 2012, 86 (87 f.). 44 EuGH C-424/97, Slg. 2000, I-5123 (Rn. 49) – Haim; Hilson, CML Rev. 42 (2005), 677 (689). Dazu ausf. o. im zweiten Teil bei Fn. 324 ff. 45 Zu dieser Feststellung schon § 5 B. III. 1. b) bb) (1). 40
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lende Ansatz regelmäßig nur bei der Verletzung des Unionsrechts durch ein mitgliedstaatliches Legislativorgan und den sich daraus ergebenden haftungsrechtlichen Fragestellungen.46 Gerade in diesem Bereich stellt sich die Frage, inwieweit der nationale Gesetzgeber an die unionsrechtlichen Vorgaben – etwa im Rahmen der Umsetzung einer Richtlinie – gebunden ist oder über einen eigenen Umsetzungsspielraum verfügt.47 Soweit der Verstoß der Exekutive eines Mitgliedstaats gegen in diesen Fällen notwendigerweise unmittelbar anwendbares48 Unionsrecht im Raum steht, verbleiben keinerlei Freiräume hinsichtlich der Bindung an dieses Recht. Einem anderen Verständnis steht der Vorrang des (Unions-)Rechts entgegen. In Ermangelung von Ermessen muss die Frage des hinreichend qualifizierten Verstoßes folglich namentlich unter Rückgriff auf das Verschulden beantwortet werden. Insoweit kann auf die Ausführungen zum deutschen Recht zurückgegriffen werden.49 Die erhöhten Sorgfaltsanforderungen müssen auch auf die parallelen Fragen im Rahmen des unionrechtlichen Haftungsanspruches übertragen werden. Daneben ist die konkrete Verletzung dieser Sorgfaltsanforderungen im Lichte der Vertretbarkeit der Rechtsverletzung festzustellen. Soweit eine Auslegungsfrage50 durch den EuGH entschieden worden ist, stellt eine Nichtbeachtung dieser Rechtsprechung durch eine mitgliedstaatliche Behörde, insbesondere soweit die Sach- und Rechtslage des von der Verwaltung zu entscheidenden Verfahrens vergleichbar ist, regelmäßig einen hinreichend qualifizierten Verstoß dar.51
46
C. Dörr, EuZW 2012, 86 (87). Für ein derartiges Verständnis kann auch auf EuGH C-5/94, Slg. 1996, I-2553 – Hedley Lomas, zurückgegriffen werden. Diesem Vorlageverfahren liegt die Haftung wegen Verletzung des Unionsrechts durch die Exekutive zugrunde: In Rn. 28 stellt der EuGH zum hinreichend qualifizierten Verstoß fest, dass insoweit der Mitgliedstaat „nicht zwischen verschiedenen gesetzgeberischen Möglichkeiten zu wählen hatte und über einen erheblich verringerten oder gar auf Null reduzierten Gestaltungsspielraum verfügte“ [Hervorhebung nicht im Original]. 47 Zur korrespondierenden Frage der Anwendbarkeit der nationalen Grundrechte BVerfGE 118, 79 (95 f.); 125, 260 (306 f.). 48 Anderenfalls scheidet ein Verstoß durch den Mitgliedstaat aus. Zu diesem Erfordernis schon o. bei Fn. 22. 49 § 10 A. 50 Zur weiten Fassung der Wettbewerbsregeln der Union und sich daraus ergebenden Auslegungsfragen an dieser Stelle nur Bailey, CML Rev. 41 (2004), 1327 (1328). 51 s. EuGH C-118/00, Slg. 2001, I-5063 (Rn. 43, 45) – Gervais Larsy; BGHZ 189, 65 (Rn. 25 – juris, insoweit in BGHZ nicht abgedruckt).
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C. Kausaler Schaden Hinsichtlich der Kausalität kann vollumfänglich auf die Ausführungen zum Unionsrecht verwiesen werden.52 Hervorzuheben ist, dass der EuGH im Unterschied zu der Situation im nationalen Recht einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen der Rechtsverletzung und dem Schaden verlangt.53 Es bestehen daher keine Unterschiede zum Schadensersatzanspruch aus Art. 340 Abs. 2 AEUV. Bezüglich des Schadensumfangs enthält die Rechtsprechung lediglich einige Hinweise.54 Um einen effektiven Schutz der Rechte des Einzelnen zu gewährleisten, muss der Umfang der Leistung angemessen sein.55 Dem mitgliedstaatlichen Recht obliegt die Feststellung derjenigen Kriterien „anhand deren der Umfang der Entschädigung bestimmt werden kann, wobei diese Kriterien nicht ungünstiger sein dürfen als bei entsprechenden Ansprüchen, die auf nationales Recht gestützt werden; auch dürfen sie keinesfalls so ausgestaltet sein, daß die Entschädigung praktisch unmöglich oder überflüssig erschwert ist“.56
§ 17 Vergleich von Amtshaftung und unionsrechtlichem Haftungsanspruch Da das Bundeskartellamt neben den nationalen Wettbewerbsregeln auch die Wettbewerbsregeln des AEUV anwendet, wird bei der Frage der Staatshaftung im Zusammenhang mit kartell- und missbrauchsaufsichtsrechtlichen Sachverhalten neben die Amtshaftung regelmäßig der unionsrechtliche Haftungsanspruch treten.57 Ein kurzer Vergleich dieser beiden Institute ist daher angezeigt.
52 v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 179. Zur Kausalität i. R. des Art. 340 Abs. 2 AEUV o. § 6 B. 53 Grundlegend EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 51) – Brasserie du Pêcheur. Noch anders EuGH C-6/90 u. a., Slg. 1991, I-5357 (Rn. 40) – Francovich. 54 Statt vieler v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 190. 55 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 82) – Brasserie du Pêcheur. Da der EuGH statt von Schadensersatz in diesem Zusammenhang regelmäßig von Entschädigung spricht, kann davon ausgegangen werden, dass der Umfang der Leistung wertmäßig hinter dem (vollen) Schadensersatz zurückbleiben kann, vgl. v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 190. 56 EuGH C-46/93 u. a., Slg. 1996, I-1029 (Rn. 83) – Brasserie du Pêcheur. 57 Zur Konkurrenz dieser Ansprüche C. Dörr, EuZW 2012, 86 (87) sowie o. bei Fn. 18.
§ 17 Vergleich von Amtshaftung und unionsrechtlichem Haftungsanspruch 325
Hierbei fällt zunächst das nach herkömmlichem Verständnis fehlende Verschuldenserfordernis58 im Rahmen des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs auf. Für die Amtshaftung wurde herausgearbeitet, dass dieses Merkmal oftmals problematisch und daher besonders begründungsbedürftig sein wird. Indes wurde ebenfalls gezeigt, dass schuldhaftes Verhalten der Beamten auch im Rahmen des hinreichend qualifizierten Verstoßes berücksichtigt werden kann.59 Im Übrigen wird das Verschulden zunehmend objektiv verstanden, so dass eine Berücksichtigung der Umstände, die die Prüfung des hinreichend qualifizierten Verstoßes ausmachen, auch bei der Amtshaftung erfolgen kann. Daher lässt sich festhalten, dass die Elemente, die bei der Amtshaftung im Rahmen der Frage nach einer schuldhaften Handlung des Amtsträger zu berücksichtigen sind, bei dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch auf der Ebene des hinreichend qualifizierten Verstoßes angesprochen werden. Diesbezüglich besteht also ein Gleichlauf der Haftungsinstitute.60 Der Sache nach stellt sich die Voraussetzung des hinreichend qualifizierten Verstoß in den Fällen der Verletzung des Unionsrechts durch die Exekutive eines Mitgliedstaates als Verschuldenserfordernis dar.61 Hinsichtlich des Schutznormverständnisses lassen sich zwischen dem unionsrechtlichen Haftungsanspruches und der Amtshaftung Unterschiede ausmachen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass den Schutznormen nach den verschiedenen Haftungsregimen jeweils unterschiedlichen Funktionen beizumessen sind, was sich insbesondere an einem Vergleich der Wettbewerbsregeln zeigt. So lässt sich im Rahmen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches wegen ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit an die Art. 101 und 102 AEUV als solche anknüpfen, während im deutschen Recht mit der in58
Vgl. auch Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, S. 616 f., die hinsichtlich des unionsrechtlichen Haftungsanspruchs einen Wandel von einer Unrechts- hin zu einer Verschuldenshaftung beobachten; ähnl. betonen v. Bogdandy/ Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 163, die Relevanz der „Qualifizierung des Fehlverhaltens“ als hinreichender Haftungsvoraussetzung. s. auch schon Ehlers, JZ 1996, 776 (778). 59 Vgl. o. bei Fn. 43 ff. 60 So auch C. Dörr, EuZW 2012, 86 (90). Relevant wird die Anspruchskonkurrenz zwischen Amtshaftung und unionsrechtlichen Haftungsanspruch regelmäßig, wenn über das letztgenannte Institut ein „Mehr“ erreicht werden kann, wie dies bspw. bei der Haftung wegen legislativen Unrechts der Fall ist (zu einem praktischen Anwendungsfall vgl. etwa BGHZ 181, 199). Im hier interessierenden Fall des administrativen Unrechts wird indes regelmäßig ein Gleichlauf vorliegen. 61 Krit. mit Blick auf die im Vergleich zur Haftung der Mitgliedstaaten höheren Anforderungen im Bereich der Haftung der außervertraglichen Haftung Grzeszick, CML Rev. 48 (2011), 907 (922). Zu den Einschränkungen i. R. der außervertraglichen Haftung ausf. o. § 5 B. III. 2.
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4. Teil: Unionskartellrecht und Vollzug durch das Bundeskartellamt
soweit anzuerkennenden Amtspflicht zum rechtmäßigen Handeln ein entsprechender „Transmissionsriemen“ benötigt wird.62 Schließlich wird die Kausalität im Rahmen des unionsrechtlichen Haftungsanspruches enger als bei der Amtshaftung verstanden. Regelmäßig soll insoweit nur der unmittelbar verursachte Schaden ersatzfähig sein. Indes ist mit dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Sache nach nichts anderes ausgesprochen als ein adäquater Zurechnungszusammenhang, wie er auch der Amtshaftung zugrunde liegt. Im Referenzgebiet der Kartellaufsicht lässt sich daher regelmäßig ein Gleichlauf zwischen dem nationalen Amts- und dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch feststellen.63
§ 18 Zusammenfassung der Ergebnisse des vierten Teils Die Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln durch das Bundeskartellamt fügt sich mit Blick auf den Sekundärrechtsschutz in das Bild ein, das die Anwendung der Amtshaftung für rein nationale Sachverhalte vorgezeichnet hat. Insoweit bestehen keine Unterschiede zwischen den beiden Haftungsregimen. Vielmehr kann auch nach dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch die Bundesrepublik Deutschland nicht für ein unterbliebenes Einschreiten des Bundeskartellamts haftbar gemacht werden. Dagegen ist die fehlerhafte Anwendung der unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln geeignet, Schadensersatzansprüche nach sich zu ziehen. Auch können sich aus der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Kommission und dem Bundeskartellamt entsprechende Fallgestaltungen ergeben. Zu verlangen ist stets ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen diese Bestimmungen, der im Bereich des hier zu untersuchenden administrativen Verstoßes gegen das Unionsrechts regelmäßig eine Verschuldensprüfung erforderlich macht. Wegen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts ist die 62 Nach hier vertretener Auffassung ist allerdings auch im europäischen Recht auf den „Transmissionsriemen“ des Gesetzmäßigkeitsprinzips zurückzugreifen, s. schon o. § 5 A. III. 1. a) und § 5 A. III. 2. b) bb) (2). 63 Aus diesen Gründen kann auch der Auffassung in der Literatur, wonach es sich bei dem unionsrechtlichen Haftungsanspruch um eine Modifikation des nationalen Rechts handelt (dazu o. in Fn. 19), jedenfalls für den hier interessierenden Bereich der Haftung wegen administrativen Unrechts, nicht die Gefolgschaft versagt werden. Virulent wird diese Frage daher nur bei der Haftung für normatives Unrecht, die nach nationalem Recht nicht gewährt wird. So wie hier auch v. Bogdandy/Jacob, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EU-Recht, Bd. III, 45. EL 8/2011, Art. 340 Rn. 194.
§ 18 Zusammenfassung der Ergebnisse des vierten Teils
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Verwaltung verpflichtet, dieses anzuwenden. Daher verbleiben ihr keine Ermessensspielräume, so dass die bloße Rechtswidrigkeit einen Haftungsanspruch nach sich ziehen kann. An die Prüfung des Verschuldens sind dieselben Maßstäbe wie bei der Amtshaftung anzulegen. Hinsichtlich der Rechtsfolge bestehen keine Unterschiede zur außervertraglichen Haftung der Union, soweit daher der Nachweis eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gelingt, erhält der Geschädigte angemessenen Schadensersatz. Wie im nationalen Recht ist hiervon auch der entgangene Gewinn erfasst.
Fünfter Teil
Zusammenfassung Der Ausgleich für Schadenszufügungen durch die öffentliche Hand ist ein wesentlicher Bestandteil des europäischen und nationalen Rechtsschutzsystems. Staatliches Fehlverhalten ist immer dann besonders schadensträchtig, wenn dessen Behörden weitreichende Entscheidungen treffen. Diese Situation kennzeichnet die Kartellaufsicht. Gleichwohl hat sich der gerichtliche Rechtsschutz in der Praxis fast ausschließlich auf die Anfechtung kartellbehördlicher Entscheidungen konzentriert. Erst in den vergangenen Jahren wurden die Gerichte auch mit Staatshaftungsfragen befasst. Virulent wurden derartige Fragen etwa, wenn die Kartellbehörden einen Zusammenschluss untersagt haben und die beteiligten Unternehmen, nachdem die Rechtswidrigkeit der Untersagung festgestellt worden ist, Ersatz des entgangenen Gewinns begehrten. Doch auch die übrigen Säulen der Kartellaufsicht weisen vielfältiges Haftungspotential aus. Dies zeigten die im ersten Teil1 in Anlehnung an die gerichtliche und behördliche Entscheidungspraxis gebildeten Beispielsfälle. I. Da die Haftung des Hoheitsträgers stets zu Lasten der Allgemeinheit geht, muss jede Staatshaftung die „ultima ratio des Rechtsstaates“2 bleiben. Aus diesem Grund enthält das Staatshaftungsrecht besondere Haftungsvoraussetzungen. Im Unionsrecht ist dies das Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes,3 während im Amtshaftungsrecht neben dem Drittbezug der verletzten Amtspflicht4 insbesondere das Verschuldenserfordernis5 zu nennen ist. Im Ergebnis erweisen sich diese Haftungsvoraussetzungen als geeignet, die aus dem Tätigwerden der Kartellbehörden resultierenden Haftungsfälle sachgerecht auf Ausnahmen zu begrenzen.
1 2 3 4 5
s. dazu im Einzelnen § 4. W. Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl. 1931 (unv. Nachdruck 1966), S. 321. § 5 B. § 9 B. § 10.
5. Teil: Zusammenfassung
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II. Die außervertragliche Haftung der Europäischen Union verlangt einen hinreichend qualifizierten Rechtsverstoß, der unmittelbar zu einem kausalen Schaden führt. Dabei muss die verletzte Rechtsnorm bezwecken, dem Einzelnen Rechte zu verleihen.6 Die Untersuchung zeigte auf, dass das letztgenannte Tatbestandsmerkmal bei der kartellaufsichtsrechtlichen Tätigkeit der Kommission regelmäßig bejaht werden kann.7 Etwas anderes gilt lediglich für das unterbliebene Einschreiten der Kommission.8 Unabhängig davon, ob angesichts ihres weiten Entschließungsermessens ein Nichteinschreiten überhaupt rechtswidrig ist, können Dritte in diesen Fällen die unmittelbaren Schädiger direkt in Anspruch nehmen. Einen Schwerpunkt des zweiten Teils nahm die Untersuchung des hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes ein. Bei seiner Bestimmung knüpft die Rechtsprechung – nunmehr9 – im Grundsatz an die Ermessensspielräume an und stellt darauf ab, ob das Organ die Grenzen dieser Spielräume offenkundig und erheblich überschritten hat.10 Anhand der Entscheidungspraxis im Primärrechtsschutz wurde herausgearbeitet, dass die Kommission angesichts der umfassenden gerichtlichen Kontrolle von wenigen Ausnahmen abgesehen nicht über Ermessensspielräume verfügt.11 Gleichwohl besteht kein Automatismus zwischen fehlendem Ermessen und der hinreichenden Qualifikation einer Rechtsverletzung. In diesen Fällen lässt die Rechtsprechung eine Rechtfertigung durch „objektive Zwänge“ zu.12 Insoweit sind namentlich die Komplexität der zu regelnden Sachverhalte, die Anwendungs- und Auslegungsschwierigkeiten der Wettbewerbsregeln sowie der Zeitdruck bei der Durchführung der Zusammenschlusskontrolle zu berücksichtigen. Die Rechtsprechung wurde in diesem Zusammenhang kritisch gewürdigt. Denn die Beantwortung der Frage nach dem Bestehen von Ermessensspielräumen überschneidet sich regelmäßig mit den übrigen im Rahmen der Prüfung des hinreichend qualifizierten Verstoßes zu berücksichtigenden Faktoren. Die bloße Fixierung auf das Ermessen ist daher zu eng. Daraus folgt zugleich, dass im Bereich der materiellen Bewertung von Zusammenschlüssen oder Verhaltensweisen als missbräuchlich die Annahme eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes unwahrscheinlicher ist als etwa bei der Verletzung von Verteidigungsrechten.13 Die 6
Grundlegend EuGH Rs. 4/69, Slg. 1971, 325 (Rn. 10) – Lütticke. § 5 A. III. 8 § 5 A. III. 3. b). 9 Zur Entwicklung der Rspr. s. § 5 B. I. 10 EuGH C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291 (Rn. 43 f.) – Bergaderm. 11 § 5 B. III. 1. 12 § 5 B. III. 2. 13 § 5 B. III. 3. 7
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in der Untersuchung herausgearbeiteten Ergebnisse können darüber hinaus auch unabhängig von der Kartellaufsicht auf die Haftung im Zusammenhang mit administrativem Unrecht angewandt werden.14 III. Die Befassung mit der Haftung der Bundesrepublik Deutschland konzentrierte sich auf die Amtshaftung und den unionsrechtlichen Haftungsanspruch, wobei weitere Anspruchsgrundlagen, wie etwa der enteignungsgleiche Eingriff und die Haftung aus der Verletzung eines verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnisses, ebenfalls berücksichtigt wurden. Der dritte Teil der Untersuchung galt dabei zunächst der Amtshaftung. Nach einer Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung und dem Schrifttum zur Amtshaftung in der Wirtschaftsaufsicht15 konnten einzelne drittbezogene Amtspflichten herausgearbeitet werden, denen die Amtsträger im Bundeskartellamt unterliegen.16 Im Unterschied zu der überkommenen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Wirtschaftsaufsicht,17 die von Stimmen der Literatur geteilt wird, ist die Existenz drittbezogener Amtspflichten für die Kartellaufsicht regelmäßig zu bejahen. Eine Ausnahme stellt auch hier die Haftung wegen Nichteinschreitens dar.18 Insoweit decken sich die aus der Untersuchung der außervertraglichen Haftung erzielten Erkenntnisse mit der Amtshaftung. Größeren Begründungsaufwand wird regelmäßig der Nachweis schuldhaften Handelns erfordern. Dieses rechtspolitisch umstrittene Tatbestandsmerkmal bildete einen Schwerpunkt der Auseinandersetzung mit dem deutschen Recht. Dabei war zunächst festzustellen, dass die Zuweisung der Entscheidungsfindung an Beschlussabteilungen aufgrund der Loslösung des Verschuldensvorwurfes vom konkreten Amtsträger keine spezifischen Probleme aufwirft.19 Im Grundsatz obliegen den Amtsträgern erhöhte Sorgfaltspflichten.20 Dies rührt zum einen aus der Stellung des Bundeskartellamts als Bundesoberbehörde, zum anderen aus der Materie des Kartellrechts und dem insbesondere bei der Prüfung von Zusammenschlüssen bestehenden Zeitdruck. Regelmäßig werden diese Sorgfaltsanforderungen aber nur verletzt, soweit sich die Entscheidung als unvertretbar darstellt. Stets zu fordern ist eine sorgfältige rechtliche und tatsächliche Prüfung im Vorfeld. So14 15 16 17 18 19 20
§ 5 B., insb. § 5 B. III. 2. § 9. A. § 9 B.–D. BGHZ 58, 96 (98). § 9 D. I. § 10 A. II. 3. § 10 A. II.
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fern Entscheidungen des Bundeskartellamts durch das Oberlandesgericht Düsseldorf bestätigt worden sind, steht dies der Annahme eines Verschuldens unter dem Gesichtspunkt der Kollegialgerichtsrechtsprechung grundsätzlich nicht entgegen.21 Gleichwohl kann darin ein Indiz gesehen werden, dass die Entscheidung nicht unvertretbar war. Da die auf Beschlussabteilungen zurückgreifende Organisationsform des Bundeskartellamts (§ 51 Abs. 2 GWB) schließlich nicht dazu führt, dass diese „gerichtsähnlich“ handeln, kann das Spruchrichterprivileg des § 839 Abs. 2 BGB nicht analog angewandt werden.22 Im Ergebnis fügt sich die Verschuldensprüfung in das durch die Rechtsprechung vorgezeichnete System ein.23 IV. Soweit das Bundeskartellamt Unionsrecht vollzieht, findet der richterrechtlich entwickelte unionsrechtliche Haftungsanspruch Anwendung. Nach der hier vertretenen Auffassung unterscheiden sich die Ergebnisse im Anwendungsbereich rechtswidrigen Behördenhandelns regelmäßig nicht von der Amtshaftung.24 V. Die Zahl der tatsächlich verfolgten Staatshaftungsansprüche im Bereich der Kartellaufsicht ist äußerst gering. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur verhältnismäßig wenige Entscheidungen der Kommission oder des Bundeskartellamts überhaupt angefochten werden. Die Zahl derjenigen Entscheidungen, die infolge ihrer Rechtswidrigkeit von den Gerichten aufgehoben werden, ist noch geringer.25 Damit ein Schadensersatzanspruch besteht, muss neben die Rechtswidrigkeit ein quantifizierbarer Schaden treten. Insoweit wird nur ein geringer Bereich der Verwaltungsverfahren überhaupt staatshaftungsrechtliche Ansprüche nach sich ziehen können. Ob sich dagegen aus informellem Handeln ein erhöhtes Haftungspotential ergeben wird, bleibt abzuwarten. Gleiches gilt für die verstärkt zu beobachtende Verfahrensbeendigung im Wege von Verpflichtungszusagen oder Vergleichen. Zu diesen tatsächlichen Bedingungen treten die Schwierigkeiten, die sich etwa im europäischen Recht bei dem Nachweis eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes bzw. in der Amtshaftung beim Verschuldenserfordernis zei21 22 23 24 25
§ 10 A. III. § 10 B. s. bereits § 10 A. II. § 17. Dazu schon die statistischen Nw. o. im ersten Teil in Fn. 8.
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gen. Die Befürchtung, dass „man sich immer zweimal sieht“26 und daher aus Angst vor einer gewissen Voreingenommenheit von einer ein Verschulden und daher eine persönliche Vorwerfbarkeit jedenfalls implizierenden Haftungsklage abgesehen wird, erscheint angesichts der Professionalität der zur Entscheidung berufenen Behörden unbegründet. Zudem ist die Aufhebung einer Entscheidung aus Sicht der Behörden ebenfalls unangenehm.27 VI. Ob der Schadensersatzklage angesichts der jüngeren Gerichtsentscheidungen in Zukunft eine größere Bedeutung bei der Durchsetzung individueller Rechte im Bereich der Kartellaufsicht zukommen wird, bleibt abzuwarten. Jedenfalls haben die im ersten Teil herausgearbeiteten Beispielsfälle das vielfältige Haftungspotential in der Kartellaufsicht aufgezeigt. Soweit die Voraussetzungen der staatshaftungsrechtlichen Anspruchsgrundlagen erfüllt sind, sind diese Institute geeignet, zum Individualrechtsschutz beizutragen. Insbesondere die an den objektiven Zwängen orientierte Rechtsprechung der europäischen Gerichte28 berücksichtigt die Besonderheiten des Kartellrechts und führt zu einem gerechten Interessenausgleich. Für das nationale Recht konnten mit Blick auf die Verschuldensprüfung29 ähnliche Feststellungen getroffen werden. In diesem Zusammenhang kann das GNStore-Nord-Verfahren zur Präzisierung der Staatshaftung im Bereich des Wirtschaftsaufsichtsrechts beitragen. Sowohl durch Rechtsprechungsänderungen als auch durch das Tätigwerden des Gesetzgebers unterlag diese wiederholt Veränderungen.30 Die in diesem Verfahren erfolgte Konzentration auf die Verschuldensprüfung trägt den Besonderheiten der Kartellaufsicht Rechnung. Letztlich ist lediglich objektiv-rechtswidriges Verhalten weder unter dem europäischen noch unter dem nationalen Haftungsrecht geeignet, zu Schadensersatzansprüchen zu führen.
26 27 28 29 30
Handelsblatt v. 5.12.2012, S. 16. § 12 A. III. Dazu § 5 B. III. 2. § 10 A. Vgl. dazu bereits § 9 A. II. 2.
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Wegen der Abkürzungen wird auf das von Hildebert Kirchner herausgegebene Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 7. Aufl., Berlin 2013, verwiesen.
Sachverzeichnis administratives Unrecht 58, 78–79, 125, 137, 163 Akteneinsicht 72, 95 – Dritte 93–94 – Verfahrensbeteiligte 93 Amtspflicht – absolute Amtspflicht 212 – Amtspflicht zum rechtmäßigen Verhalten 207 – Amtspflichtverletzungen im Ermittlungsverfahren 229 – Begriff der Amtspflicht 206 – Bestimmung der Drittbezogenheit 210 – relative Amtspflicht 212 – Richterliche Überprüfbarkeit der Amtspflichtverletzung 223 – Unterschied zur Rechtspflicht 206 Anhörungsbeauftragter 92 Anonymität des Hinweisgebers 41 Aufopferung 62 Auskunftsersuchen 65–66, 97, 105 Ausschluss der Naturalrestitution 293 Automec-Entscheidung 118 Bankbürgschaft 67, 183 Behördenprivileg 308 Bergaderm-Entscheidung 79, 134, 139, 159, 163, 180 Berufsfreiheit 123, 250 Berufsgeheimnis 95, 176, 320 Beschleunigungsgebot 173 Beurteilungsspielraum – Beurteilungsspielräume im europäischen Recht 131 – Beurteilungsspielräume in der deutschen Kartellaufsicht 225 Beweiserleichterung 268, 297
Brasserie-du-Pêcheur-Entscheidung 58, 134, 316 Break-up-Fee 69, 183, 196 Bundeskartellamt – Analoge Anwendung des Spruchrichterprivilegs 280 – Behördliche Beurteilungsspielräume 226 – Ermittlungs- und Entscheidungsbefugnisse im Verwaltungsverfahren 41 – Organisation 221, 282 – Organisationsform 221 – Passivlegitimation 308 – personelle Besetzung der Beschlussabteilungen 265 – Sitz 281 – Unabhängigkeit der Beschlussabteilungen 268, 281 – Vollzug des Unionsrechts 48, 313 – Weisungsgebundenheit 285 Chefökonom 106 Chief Economist Siehe Chefökonom 106 Chilling effect 162, 304 Commitment 40 Corus-Entscheidung 67, 144, 152, 183 dienende Funktion von Verfahrensvorschriften 157 Disziplinierungsfunktion der Staatshaftung 55 Drittbeschwerde 252 Dulden und Liquidieren 189, 303 EMRK 96 Enteignender Eingriff 62
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Sachverzeichnis
Enteignungsgleicher Eingriff 63, 276 entgangener Gewinn 181, 186, 276, 295 Entschädigung 54, 62 Ermessensspielräume – aufgrund Komplexität 147 – aufgrund politischer Entscheidungen 145 – aufgrund Prognoseentscheidungen 155 – Bestimmung im europäischen Verwaltungsrecht 143 – Ermessensbegriff im europäischen Verwaltungsrecht 131 – Ermessensspielräume bei der Einhaltung von Verfahrensvorschriften 157 – in der europäischen Kartellaufsicht 143 – Rechtsfolgenermessen 156 EU-Grundrechte 123 EU-Grundrechtecharta 53 European Competition Network 49 Fair-Trial-Grundsatz 173 Fast-Track-Procedure 70, 198 Fiskusprivileg Siehe Subsidiaritätsklausel 302 Folgenbeseitigungsanspruch 63, 180, 293 Follow-on-Klage 66, 194, 301 Fortsetzungsfeststellungsbeschwerde 70 Fragebögen Siehe Auskunftsersuchen 104 Francovich-Entscheidung 58, 78, 314–315 Funktionaler Unternehmensbegriff 28 Gefahrenabwehrrecht 28, 218, 236, 238 Geschäftsgeheimnis 72, 94–95 GN-Store-Nord-Entscheidung 69, 261, 303, 305
Hauptprüfungsverfahren Siehe Phase II der Fusionskontrolle 45 Hearing Officer Siehe Anhörungsbeauftragter 92 Hedley-Lomas-Entscheidung 58, 318 Herstatt-Entscheidung 236, 238 Hinreichend qualifizierter Verstoß – Bestimmung 138 – Entwicklungen in der Rechtsprechung 125 – unionsrechtlicher Haftungsanspruch 321 HNL-Entscheidung 126, 130, 138, 163 Holcim-Entscheidung 67, 147, 151, 161, 171, 183 Informelle Kartellrechtsdurchsetzung 46, 73–74, 239 judikatives Unrecht 58, 291 Kali & Salz-Entscheidung 152 Kartellaufsicht – Begriff 26 – Gegenstände 31 – Verfahren und Befugnisse 34 – Ziele 30 Kollegialgerichtsrichtlinie 270 Kollegialorgan – Amtspflichtsverletzung 221 – Kausalität 298 – Kollegialgerichtsrichtlinie 274 – Verschulden 262 Kollegium der Kommissare 145 Kompensation Siehe Entschädigung 63 Komplexität 147, 220, 225, 262 Konzentrationsverordnung 224, 307 Kronzeuge 35, 38, 94 Legalausnahme 32, 36, 42, 147 legislatives Unrecht 58, 125, 129 Leniency notice Siehe Kronzeuge 38
Sachverzeichnis lucrum cessans Siehe entgangener Gewinn 181 Ministererlaubnis 46, 226 ministerialfreie Räume 286 Mitteilung der Beschwerdepunkte 40, 90, 93, 174 mittelbarer Eingriff 218–219 Mitverschulden 66, 189, 296 Monatsbrief 46 Mühlheim-Kärlich-Entscheidung 215 MyTravel-Entscheidung 69, 71, 86, 156, 164, 168–169 Nassauskiesungs-Entscheidung 62, 189, 303 Nichtvermögensschaden 181 Nölle-Entscheidung 176 Offizialprinzip 39 Opportunitätsprinzip 38, 41, 43, 156, 229, 241–242 Passing-On-Defence 187 Pepcom-Entscheidung 252–253 Peter-Paul-Entscheidung 219–220 Pfleiderer-Entscheidung 94 Phase I der Fusionskontrolle 44 Phase II der Fusionskontrolle 45 Popularklagen 77 Primär- und Sekundärrechtsschutz 53 private enforcement 34, 187, 194, 243, 251 Prognoseentscheidungen 155, 173, 225, 261 Protokoll über den Binnenmarkt und den Wettbewerb 30 RBHG 205 Recht auf gute Verwaltung 100 – Gesetzmäßigkeitsprinzip 106 – Kodifikation 100 – Schutznorm 109 – Sorgfaltsprinzip 103
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rechtliches Gehör 40, 93, 174 Remia-Entscheidung 150 Richterspruchprivileg Siehe Spruchrichterprivileg 277 Risikoverteilung 69, 117, 218 Schneider-Entscheidung 69, 71, 82, 158, 162, 164, 169, 174–175, 187, 191–192, 197 Schöppenstedt-Formel 126 Schutzpflichten – aus Grundrechten 249 – im Unionsrecht 124 Settlement 40 Spruchrichterprivileg 277 Staatsaufsicht 27 Staatshaftung – Ausgestaltung 57 – Funktionen 55 – Tatsächliche Bedeutung 56 Stanley-Adams-Entscheidung 73, 188, 296 Subsidiarität der Staatshaftung 219, 244, 303 Subsidiarität des öffentlich-rechtlichen Drittschutzes 243–244, 318–319 Subsidiaritätsklausel 219, 257, 302 Suspensiveffekt 66 Taxiflug-Entscheidung 241 Tetra-Laval-Entscheidung 153–154 Transparenzverordnung 93 Type-I-Error 68 Type-II-Error 70 überlange Gerichtsverfahren 204 überlange Verfahrensdauer 102, 272 unmittelbare Wirkung 84, 116, 317 Untätigkeit der Kartellbehörde 67, 113, 234 Unterlassungsanspruch 63
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Sachverzeichnis
Vergleich Siehe Settlement 40 Verjährung – des Amtshaftungsanspruchs 309 – des Anspruchs aus außervertraglicher Haftung 200 Vermögensschaden 182, 293 Verschulden – Bedeutung als Tatbestandsmerkmal 256 – Beweislastumkehr 268 – Erscheinungsformen 257 – Fahrlässigkeitsmaßstab bei fehlerhafter Rechtsanwendung 260 – Interdisziplinäre Besetzung der Beschlussabteilungen 265 – Objektiver Fahrlässigkeitsmaßstab 257 – rechtspolitische Kritik 256 – Verschulden und außervertragliche Haftung 140 – Verschulden und unionsrechtlicher Haftungsanspruch 322 – Zeitkorsett 267 Verteidigungsrechte im europäischen Kartellverfahrensrecht 88 Vertrauensschutz 215, 231
Verwaltungsrechtliches Schuldverhältnis 309 Verweisungsprivileg Siehe Subsidiaritätsklausel 302 Verzinsung – Ausgleichszinsen 184 – des Amtshaftungsanspruchs 309 – des Anspruchs aus außervertraglicher Haftung 201 Vorprüfverfahren Siehe Phase I der Fusionskontrolle 44 Vorrang des Primärrechtsschutzes 198, 303 Weisungsabhängigkeit 283 Wetterstein-Entscheidung 236, 238 Whistleblower 73, 296 Wirtschaftsaufsicht 26, 28 – Drittbezogenheit 235 – Kartellaufsicht als Wirtschaftsaufsicht 49 – Reservefunktion 243 Zeitkorsett in der Fusionskontrolle 172 Zukunftssteuerung 40 Zwischenstaatlichkeitsklausel 48, 313