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German Pages 540 [541] Year 2021
Schriften zum Internationalen Recht Band 227
Die Haftung der Directors und Officers als Verhaltenssteuerung im amerikanischen Recht Ein Vorbild für die deutsche Vorstandsund Aufsichtsratshaftung?
Von
S. Kathrin Schwesinger
Duncker & Humblot · Berlin
S. KATHRIN SCHWESINGER
Die Haftung der Directors und Officers als Verhaltenssteuerung im amerikanischen Recht
Schriften zum Internationalen Recht Band 227
Die Haftung der Directors und Officers als Verhaltenssteuerung im amerikanischen Recht Ein Vorbild für die deutsche Vorstandsund Aufsichtsratshaftung?
Von
S. Kathrin Schwesinger
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Bayreuth hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.
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© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0720-7646 ISBN 978-3-428-15459-3 (Print) ISBN 978-3-428-55459-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Danksagung Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Karl-Georg Loritz, der bereit war, dieses Projekt mit einer Doktorandin, die ausschließlich im USamerikanischen Recht ausgebildet ist, zu unternehmen. Sein Verständnis und seine andauernde Hilfestellung haben mich während der gesamten Bearbeitungsphase begleitet. Für seine stetige Ermutigung und nie endenden Glauben an das Endergebnis kann ich ihm nicht genug danken. Außerdem danke ich Frau Prof. Jessica Schmidt für ihren konstruktiv-kritischen Blick als Zweitberichterstatterin, auch aufgrund ihrer Erfahrung im anglo-amerikanischen Recht. Sind die folgenden Seiten verständlich, vielleicht sogar erbaulich, ist dies den unermüdlichen Anregungen, Fragen und Umgestaltungsvorschlägen meiner Mutter, Frau Dr. iur. Heike Schwesinger, zu verdanken. Gestaltet sich ein Teil der Lektüre schwierig oder gar unbefriedigend, so muss ich ihn ihr vorenthalten haben. Auch Herrn Dr. Hartmut Schwesinger, Dr. Alexander & Eszter Schwesinger, Dr. Birgit Hermann, Hannelore Hermann und Nurmi Schwesinger danke ich aus tiefstem Herzen für die fortwährend fröhliche Unterstützung und gelegentlich noch fröhlichere Ablenkung. Darüber hinaus gilt besonderer Dank Herrn Dr. iur. Matthias Werner (Berlin) und Frau Dr. iur. Stephanie Schmidt-Ehemann (Frankfurt), die jede für deutsche Juristen noch so überraschende Frage zum deutschen Recht nicht nur gestatteten, sondern auch Jahre nach dem Studium noch in beeindruckender Tiefe beantworten konnten. Dem Team der Bibliothek meiner Alma Mater, der Columbia Law School in New York, sowie Frau Koch und ihrem Team in der Bibliothek unserer Partnerinstitution, dem House of Finance an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt, gilt Dank für ihre Gastfreundschaft und den Zugang zu zwei so beeindruckenden Sammlungen zum Gesellschaftsrecht und zur Corporate Governance, ohne die ich zahlreiche Fragestellungen möglicherweise nicht gelöst oder, schlimmer, nie entdeckt hätte. Einen herzlichen Dank auch Herrn Dr. iur. Hansjörg Heppe (Dallas, TX), der sich großzügig als erster Leser für die Gesamtarbeit zur Verfügung gestellt hat und mit seinen „Österberg Seminaren zum Wirtschaftsrecht“ an der Universität Tübingen für Ansporn und regen fachlichen Austausch auf der Zielgeraden gesorgt hat. In addition, I owe a debt of gratitude to David Byeff, formerly of Weil Gotshal & Manges LLP in New York, an expert defender of complex shareholder representative actions, who was never too busy to send me an update from the trenches in Delaware,
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Danksagung
keeping me right up to date on the seismic shifts at the Chancery Court during these turbulent years. His assessments and our spirited discussions have helped inform and sharpen my own views. I thank him and his exquisitely lawyer-tolerant wife Jill for their generous friendship. Finally, I would like to thank my friends and colleagues at White & Case LLP in New York for allowing me to practice law surrounded by such passion for corporate law and by attorneys who wield it as a nuanced tool in the service of true counsel to the client. I am especially indebted to Frank Lupinacci, Oliver Brahmst, Gregory Pryor, Dov Gottlieb, Chang-Do Gong and Dan Kessler for their thoughtful guidance and mentorship, to Dr. iur. Robert Weber, Dr. iur. Alexander Kiefner and Dr. iur. Julia Sitter in Frankfurt for keeping my cross-border governance expertise fresh and relevant, and to my friends and colleagues throughout the firm for their astonishing friendship. After spending an entire doctoral dissertation at once loving the deep dive but also chomping at the bit to return to practicing, I am still in awe at my improbable fortune to have found such a perfect home. New York, NY im Dezember 2019
S. Kathrin Schwesinger
Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung: Der Begriff „Director“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
1. Teil Einführung
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A. Was ist Corporate Governance? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 B. Zielsetzung von Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 C. Haftung als Instrument der Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 D. Relevanz der amerikanischen Corporate Governance für Deutschland . . . . . . . . . . . . 28 E. Haftungskultur der USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 F. Grundlegende Unterschiede zwischen Deutschland und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . 36
2. Teil US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
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A. Rechtsgrundlagen der Corporate Governance im amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . 39 I. State Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Gesellschaftsrechtliche Grundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2. Bedeutung des Staates Delaware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 II. Federal Law . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 III. Satzung der Corporation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 B. Rolle der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 C. Vergleichbarkeit gesellschaftsrechtlicher Strukturen in Deutschland und den USA . . 49 I. Die Corporation im Vergleich zur Aktiengesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 II. Directors und Officers im Vergleich zu Vorstand und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . 50
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Inhaltsverzeichnis 3. Teil Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
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A. Eigenständige Pflichten (Gesellschaftsrecht des Staates Delaware) . . . . . . . . . . . . . . . 54 I. Duty of Care . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 II. Duty of Loyalty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 III. Anwendbarkeit auf Officers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 IV. Eigenständige Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 V. Zwischenergebnis: Vergleich eigenständiger Pflichten in Delaware und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 I. Pflichten gegenüber Aktionären . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 1. Haftung als „Control Person“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Securities Act Section 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 3. Securities Act Section 12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4. Securities Act Section 17(a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 5. Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 a) Die Fraud-on-the-Market Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 b) Scienter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 c) Insider Trading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 6. Exchange Act Section 18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 7. Sarbanes-Oxley Act (zivilrechtliche Elemente) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) . . . . . . . . . . . . . 85 b) Audit Committee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 8. Pflichten gegenüber Aktionären in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 a) Kapitalmarktrechtliche Pflichten und Haftung gegenüber Aktionären in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Unterschiede zu den amerikanischen Kapitalmarktpflichten . . . . . . . . . . . . 102 aa) Eingeschränkte Außenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 bb) Unterschiede im Schadensumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 cc) Ablehnung der Fraud-on-the-Market Vermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 9. Zwischenergebnis: Vergleich der Haftungsprioritäten gegenüber Aktionären in den USA und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 10. Sonderfall ERISA Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 II. Pflichten gegenüber anderen Dritten in den USA und Deutschland . . . . . . . . . . . . 117
Inhaltsverzeichnis
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4. Teil Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
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A. Die Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 I. Anwendung der Business Judgment Rule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 II. Begründung der Business Judgment Rule in Delaware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 III. Bedeutung der Business Judgment Rule für Klagen gegen Directors in Delaware 126 IV. Die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland (§ 93 Abs. 1 Satz 2) . . . 128 1. Verschuldensgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Objektiv/subjektive Beurteilung des Gesellschaftsinteresses . . . . . . . . . . . . . . 132 3. Notwendigkeit des Guten Glaubens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4. Definition von „Wohl der Gesellschaft“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 5. Relevanz der Konsequenzen einer unternehmerischen Entscheidung . . . . . . . 138 6. Gesetzliche Einschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 7. Entscheidungen vs. „actions“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 8. Darlegungs- und Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Zwischenergebnis: Vergleich der Business Judgment Rule mit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 B. Entire Fairness . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 I. Entire Fairness in Controlled Transactions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 II. Umgang mit Interessenkonflikten in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 1. Keine besondere Regel für die richterliche Betrachtung bei Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Bewertung von Interessenkonflikten im Verhältnis zum unternehmerischen Ermessen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 III. Zwischenergebnis: Vergleich der deutschen Rechtslage mit dem Entire Fairness Standard in Delaware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 C. Enhanced Scrutiny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 I. Feindliche Übernahmen und Takeover Defenses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 II. Einvernehmliche Übernahmen und Revlon . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Sonstige Anwendungen von Enhanced Scrutiny . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 IV. Bewertung des Handelns von Vorstand und Aufsichtsrat in Übernahmesituationen in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 1. Pflichten in der Übernahmesituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 2. Mögliche Abwehrmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 V. Zwischenergebnis: Umgang mit Übernahmesituationen in Delaware und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 D. Fazit: Unterschiede in der richterlichen Beurteilung gesellschaftsrechtlicher Pflichteinhaltung in Delaware und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174
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Inhaltsverzeichnis 5. Teil Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten zur Durchsetzung der Innen- und Außenhaftung
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A. Zivilrechtliche Innenhaftung durchgesetzt durch die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 175 I. Die Corporation als Klägerin in Delaware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 II. Verpflichtung deutscher Organe zur Anspruchsverfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 III. Zwischenergebnis: Vergleich der direkt verfolgten Innenhaftung in Delaware und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 B. Zivilrechtliche Innen- und Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre im Rahmen von Shareholder Representative Actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 I. Die Derivative Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 1. Der Demand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 2. Notwendigkeit des Demand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Demand Futility . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 II. Die Class Action . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Securities Class Actions (Federal Law) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 a) Enron und WorldCom als Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. M&A Class Actions (State Law) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 III. Kritik und Weiterentwicklung der Shareholder Representative Actions . . . . . . . . 195 1. Kritik an Shareholder Representative Actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 a) Plaintiffs’ Attorneys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 b) Der Professional Plaintiff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Inzentivierungen der Directors und Officers entgegen dem Unternehmensinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 d) Disclosure-Only Settlements bei nicht-werthaltigen M&A Class Actions 204 2. Reformen der Shareholder Representative Actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Gesetzliche Reformen der Securities Class Actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Regulierung der M&A Class Actions durch die Gerichte . . . . . . . . . . . . . . 210 aa) Festsetzung der Anwaltskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 bb) Ablehnung von Disclosure-Only Settlements . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 cc) Auswahl der Kläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 c) Einschränkung von Derivative und M&A Class Actions per Bylaws . . . . . 216 aa) Zwingende Arbitration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 bb) Festsetzung des Gerichtsstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 cc) Verlagerung der Anwaltskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Entwicklungen der Shareholder Representative Actions . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 IV. Vergleichbare Klagemöglichkeiten für Aktionäre in Deutschland . . . . . . . . . . . . . 227 1. Aktionärsklage in Deutschland gemäß § 148 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 a) Andere Formen der Aktionärsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230
Inhaltsverzeichnis
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b) Praktische Anwendbarkeit des § 148 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 c) Konzeptionelle und praktische Probleme der Aktionärsklage gemäß § 148 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 d) Zwischenergebnis: Vergleich der Aktionärsklage gemäß § 148 AktG mit der Derivative Action in Delaware . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 2. Musterverfahren als Alternative zur Sammelklage in Deutschland . . . . . . . . . 240 a) Entwicklung des KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 b) Kapitalanleger-Musterverfahren gemäß KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Kritik am KapMuG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Konzeptionelle Probleme der Kosten- und Gebührenstruktur . . . . . . . . 247 bb) Schwierigkeit des Schließens von Vergleichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 d) Stichhaltigkeit der Argumente gegen das Vorbild der Class Action . . . . . . 251 e) Zwischenergebnis: Class Actions und Alternativen zum KapMuG in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 V. Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 C. Zivilrechtliche Innenhaftung in der Insolvenz durchgesetzt durch Gläubiger . . . . . . . 259 I. Praktische Auswirkung der Unternehmensinsolvenz auf die Haftung von Directors und Officers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 II. Anspruchsdurchsetzung durch Gläubiger in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261
6. Teil Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche und die Verhängung verwaltungsmäßiger Sanktionen durch staatliche Behörden
263
A. Alternative Ahndungskonsequenzen am Beispiel des Debarment von Directors und Officers durch eine Federal Agency . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 B. Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies am Beispiel der SEC . . . . . . . . . . . . . 265 I. Administrative Proceedings der SEC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 II. Debarments durch die SEC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 III. Clawbacks von diskretionärer Vergütung und Kapitalerträgen . . . . . . . . . . . . . . . . 272 C. Die SEC im Vergleich zur Wertpapieraufsicht der BaFin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 D. Fazit: Besondere Kompetenzen staatlicher Behörden als sinnvolles Mittel zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280
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Inhaltsverzeichnis 7. Teil Strafrechtliche Sanktionierung als Instrument der Corporate Governance
281
A. Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . 285 I. Die Rolle der Staatsanwaltschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 II. Entity Liability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293 1. Folgen der Entity Liability für Corporations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 2. Folgen der Entity Liability für natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 III. Konsequenzen der persönlichen Strafverfolgung für Directors und Officers . . . . . 304 B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz durch Unternehmensaufsicht und -führung 306 I. Verhinderung von gemeingefährlichen Straftaten des Unternehmens (Responsible Corporate Officer Doctrine) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 1. Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . 311 a) Die Responsible Corporate Officer Doctrine in der Rechtsprechung (FDCA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 aa) Grundlegende Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 bb) Aktuelle Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 cc) Debarment . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 b) Die Responsible Corporate Officer Doctrine kodifiziert (Umweltrecht) . . . 321 c) Die Responsible Corporate Officer Doctrine in anderen Rechtsgebieten
324
2. Auslegungen der Responsible Corporate Officer Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . 326 a) Verschuldensunabhängige Sanktionierung für das Handeln Anderer . . . . . 327 b) Verletzung einer vertraglichen Pflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 c) Sanktionierung für fahrlässige eigene Unterlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 333 3. Die Responsible Corporate Officer Doctrine als Instrument der Corporate Governance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 a) Debarment als Corporate Governance Instrument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 338 b) Vergleichbare Instrumente im Kapitalmarktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 c) Einsatz der Responsible Corporate Officer Doctrine . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 d) Keine Ausweitung in das Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 344 II. Verhinderung der Gefährdung der Integrität des Kapitalmarktes . . . . . . . . . . . . . . 346 1. Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) 347 2. Section 10(b) und Securities Fraud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 3. Insider Trading . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 III. Verhinderung von marktverzerrendem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 1. FCPA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 2. Kartellrechtliche Straftatbestände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 IV. Vergleichbare Rechtsinstrumente zum Drittschutz in Deutschland . . . . . . . . . . . . 370 1. Zivilrechtliche Haftung auf Basis verletzter Organisationspflichten . . . . . . . . 373 a) Das Baustoff-Urteil des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375
Inhaltsverzeichnis
13
b) Unklarheit zu den Voraussetzungen der Garantenstellung . . . . . . . . . . . . . . 378 c) Verschärfte Haftung in der Produzentenhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 d) Relevante Schutzgesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 e) Abweichungen im Wettbewerbsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 f) Neuere Rechtsprechung: Garantenstellung nur unter besonderen Umständen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 2. Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten . . . 385 3. Strafrechtliche Sanktionierung als Organ oder Vertreter der Gesellschaft . . . . 389 a) Sanktionierung gemäß § 14 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 b) Sanktionierung gemäß § 13 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 c) Strafrechtliche Sanktionierung des Compliance Officer . . . . . . . . . . . . . . . 397 aa) Grundlage für das Urteil des 5. Strafsenats zum Compliance Officer 398 bb) Ausarbeitung der Sanktionierung des Compliance Officer nach den Annahmen des 5. Strafsenats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 cc) Erfolgsabwendungspflicht gesellschaftsrechtlich nicht haltbar . . . . . . . 401 4. Spezifische Normen der Produktverantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 a) Arzneimittelgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 b) Medizinproduktegesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 c) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch . . . . . . . . 406 d) Produktsicherheitsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409 5. Kritik an der deutschen Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 a) Voraussehbarkeit des Tatbestands oder seiner Folgen im Straf- und Deliktrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 b) Keine Differenzierung der Tatbestände im Straf- und Bußgeldrecht . . . . . . 412 c) Abwägung von allgemeiner Strafbarkeit und der Verfolgung nur von bestimmten, besonderen Gefahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 d) Ausdehnung auf untere Unternehmensebenen insbesondere im Strafrecht 416 e) Die Gesellschaftsorgane als Ausfallbürgen im Deliktrecht . . . . . . . . . . . . . 418 V. Zwischenergebnis: Die Bedeutung der strafrechtlichen Corporate Governance Haftung für den Drittschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 1. Haftung und Sanktionierung außerhalb der Corporate Governance bleiben unberührt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 420 2. Sinnvolle Ansätze zur Anwendung und Neuregelung des Strafrechts zum Drittschutz durch Corporate Governance Verbesserungen . . . . . . . . . . . . . . . . 422 C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 I. Honest Services Fraud und die Skilling-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425 II. Untreue nach § 266 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 1. Grundsätzliche Abgrenzung zum Honest Services Fraud . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 2. Relevante Elemente des § 266 StGB für Organe von Aktiengesellschaften . . 432 a) Notwendigkeit einer „gravierenden“ Pflichtverletzung bei unternehmerischen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433
14
Inhaltsverzeichnis b) Vorsatz im Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen . . . . . . . . . . . . 438 3. Anwendung des § 266 StGB bei Entscheidungen von Organen . . . . . . . . . . . . 440 III. Vergleich von Untreue und Honest Services Fraud als strafrechtliche Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Loyalitätspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 1. Honest Services Fraud und Untreue als teilkongruente Tatbestände . . . . . . . . 442 2. Honest Services Fraud und Untreue als Ersatz für fehlende zivilrechtliche Klagemöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 443 IV. Zwischenergebnis: Eignung des Strafrechts zur Verfolgung von treuwidrigem Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445
D. Fazit: Sinnvolle Nutzung des Strafrechts zur Verbesserung der Unternehmensführung 447 I. Rolle eines Unternehmensstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 II. Sinnvolle Anreize zur Verhinderung von Rechtsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451 III. Sinnvolle Anreize zur Verhinderung von Treupflichtverletzungen . . . . . . . . . . . . . 454
8. Teil Amerikanische und deutsche Impulse für sinnvolle Corporate Governance Haftung zur Verhaltenssteuerung
456
Verzeichnis der amerikanischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531
Abkürzungsverzeichnis Das Adjektiv „amerikanisch“ und verwandte Ausdrücke beziehen sich hier grundsätzlich auf die Vereinigten Staaten von Amerika, nicht den amerikanischen Kontinent oder andere geographisch-amerikanische Länder. Abkürzungen allgemein E § $ Abs. a.F. AG amend. Art. BaFin BasisVO BFH BGH BVerfG CEO CFO cl. CLO Co. Corp. D&O-Versicherung DOJ DPA EG EPA ESOP etc. EU f./ff. FDA FS FTC GmbH Hervorh. d. Verf. Inc.
Euro section; Paragraph (bei amerikanischen bzw. deutschen Normen) US-Dollar Absatz alte Fassung Aktiengesellschaft amendment (Zusatz zur Verfassung der USA) Artikel Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Basisverordnung Bundesfinanzhof Bundesgerichtshof Bundesverfassungsgericht chief executive officer chief financial officer clause (Satz, z. B. einer Norm) chief legal officer Company Corporation director and officer liability insurance (Haftpflichtversicherung) U.S. Department of Justice Deferred Prosecution Agreement Europäische Gemeinschaft U.S. Environmental Protection Agency employee stock ownership plan et cetera Europäische Union folgende/fortfolgende U.S. Food and Drug Administration Festschrift Federal Trade Commission Gesellschaft mit beschränkter Haftung Hervorhebung(en) der Verfasserin Incorporated
16
Abkürzungsverzeichnis
InformationsVO IRS i.V.m. LG LLC LLP L.P. M&A MSLO NPA Nr. OECD OLG plc S./s. SEC U.S. USA USSC VG VO
Informationsverordnung Internal Revenue Service (Steuerbehörde der USA) in Verbindung mit Landgericht Limited Liability Company Limited Liability Partnership Limited Partnership mergers & acquisitions Martha Stewart Living Omnimedia, Inc. non-prosecution agreement Nummer Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Oberlandesgericht public limited company Seite/siehe U.S. Securities and Exchange Commission gehörend zu den Vereinigten Staaten von Amerika (als Adjektiv oder Präfix) oder United States Reporter (Sammlung von Urteilen des U.S. Supreme Court, s. unten) Vereinigte Staaten von Amerika U.S. Sentencing Commission Verwaltungsgericht Verordnung Gesetzestexte (Deutschland)
ADHGB AktG AMG AMWHV BGB BörsG HGB InstVergV KapMuG LFGB LMBG LMIV MAR MitbestG MPG ProdHaftG ProdSG RVG StGB UMAG VorstAG
Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Aktiengesetz Arzneimittelgesetz Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung Bürgerliches Gesetzbuch Börsengesetz Handelsgesetzbuch Institutsvergütungsverordnung Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (abgelöst) Lebensmittelinformationsverordnung europäische Market Abuse Regulation Mitbestimmungsgesetz Medizinproduktegesetz Produkthaftungsgesetz Produktsicherheitsgesetz Rechtsanwaltsvergütungsgesetz Strafgesetzbuch Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung
Abkürzungsverzeichnis WpHG WpPG WpÜG
17
Wertpapierhandelsgesetz Wertpapierprospektgesetz Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Gesetzestexte und -kodizes sowie Urteilssammlungen (USA)
Cal. App. C.F.R. Del. Ct. Ch. R. DGCL
California Appellate Reports Code of Federal Regulations Delaware Court of the Chancery Rules Delaware General Corporation Law, Title 8 des Delaware Code (Teil des Gesetzeskodex des Staates Delaware, der Corporations betrifft) ERISA Employee Retirement Income Security Act of 1974, 29 U.S.C. § 1002 – 1461 und in weiteren Teilen im Internal Revenue Code F.2d Federal Reporter, 2nd Edition (Sammlung von Urteilen der U.S. Courts of Appeals) F.3d Federal Reporter, 3rd Edition (Sammlung von Urteilen der U.S. Courts of Appeals) FCPA Foreign Corrupt Practices Act of 1977 FDCA Federal Food Drugs and Cosmetics Act of 1938 Fed. R. Civ. P. Federal Rules of Civil Procedure (Zivilprozessordnung unter Federal Law) FSLA Fair Labor Standards Act of 1938, 29 U.S.C. §§ 201 ff. F. Supp. Federal Supplement (Sammlung von Urteilen der U.S. District Courts) F. Supp. 2d Federal Supplement 2nd Edition (Sammlung von Urteilen der U.S. District Courts) OFAC Foreign Assets Control Regulations, 12 C.F.R. 500 PSLRA Private Securities Litigation Reform Act of 1995, kodifiziert an verschiedenen Stellen in 15 U.S.C. RICO 18 U.S.C. Chapter 96, das den Titel „Racketeer Influenced or Corrupt Organizations“ trägt S. Ct. Supreme Court Reporter (inoffizielle Sammlung von Urteilen des U.S. Supreme Court) SOX Sarbanes-Oxley Act of 2002 (kodifiziert an zahlreichen Stellen des U.S.C.) U.S. United States Reporter (offizielle Sammlung von Urteilen des U.S. Supreme Court) USA PATRIOT Uniting and Strengthening America by Providing Appropriate Tools Required Act to Intercept and Obstruct Terrorism Act of 2001 (kodifiziert an zahlreichen Stellen des U.S.C.) U.S.C. U.S. Code (Kodex des Federal Law) U.S. Const. United States Constitution (Verfassung der Vereinigten Staaten) State Courts Cal. App. Del. Del. Ch. Ind. La. Md. App. Ct. Mich.
California Court of Appeal (Gericht zweiter Instanz) Delaware Supreme Court (höchste Instanz des Staates Delaware) Delaware Court of the Chancery (Gericht erster Instanz) Indiana Supreme Court (höchste Instanz des Staates Indiana) Louisiana Supreme Court (höchste Instanz des Staates Louisiana) Maryland Appeals Court (höchste Instanz des Staates Maryland) Michigan Supreme Court (höchste Instanz des Staates Michigan)
18 Nev. N.Y. Sup. Ct. Tex. Ct. App.
Abkürzungsverzeichnis Nevada Supreme Court (höchste Instanz des Staates Nevada) New York Supreme Court (Gericht erster Instanz) Texas Court of Appeals (Gericht zweiter Instanz) Federal Courts
1st Cir.
United States Court of Appeals for the First Circuit (umfasst die Staaten Maine, Massachusetts, New Hampshire, Rhode Island sowie Puerto Rico) 2d Cir. United States Court of Appeals for the Second Circuit (umfasst die Staaten New York, Connecticut/Vermont) 3d Cir. United States Court of Appeals for the Third Circuit (umfasst die Staaten Delaware, Pennsylvania, New Jersey sowie die U.S. Virgin Islands) 4th Cir. United States Court of Appeals for the Fourth Circuit (umfasst die Staaten North Carolina, South Carolina, Virginia, West Virginia) 5th Cir. United States Court of Appeals for the Fifth Circuit (umfasst die Staaten Louisiana, Mississippi, Texas) 6th Cir. United States Court of Appeals for the Sixth Circuit (umfasst die Staaten Kentucky, Michigan, Ohio, Tennessee) 7th Cir. United States Court of Appeals for the Seventh Circuit (umfasst die Staaten Illinois, Indiana, Wisconsin) 8th Cir. United States Court of Appeals for the Eighth Circuit (umfasst die Staaten Arkansas, Iowa, Missouri, Minnesota, Nebraska, North Dakota, South Dakota) 9th Cir. United States Court of Appeals for the Ninth Circuit (umfasst die Staaten Alska, Arizona, California, Hawaii, Idaho, Montana, Nevada Oregon, Washington sowie Guam) 10th Cir. United States Court of Appeals for the Tenth Circuit (umfasst die Staaten Colorado, Kansas, New Mexico, Oklahoma, Utah, Wyoming) 11th Cir. United States Court of Appeals for the Eleventh Circuit (umfasst die Staaten Alabama, Georgia, Florida) ARB Administrative Review Board Bankr. D. Del. United States Bankruptcy Court for the District of Delaware Bankr. S.D.N.Y United States Bankruptcy Court for the Southern District of New York D. Alaska United States District Court for the District of Alaska D. Ariz. United States District Court for the District of Arizona D.C. Cir. United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit (umfasst den District of Columbia) D. Colo. United States District Court for the District of Colorado D. Conn. United States District Court for the District of Connecticut D. Mass. United States District Court for the District of Massachusetts D. Md. United States District Court for the District of Maryland D.N.H. United States District Court for the District of New Hampshire D.N.J. United States District Court for the District of New Jersey E.D. Cal. United States District Court for the Eastern District of California E.D. La. United States District Court for the Eastern District of Louisiana E.D. Mich. United States District Court for the Eastern District of Michigan E.D.N.C. United States District Court for the Eastern District of North Carolina E.D.N.Y. United States District Court for the Eastern District of New York
Abkürzungsverzeichnis E.D. Penn. E.D. Wash. E.D. Wisc. Fed. Cir. M.D. Fla. N.D. Al. N.D. Cal. N.D. Ga. N.D. Illinois N.D. Ind. N.D. Iowa N.D.N.Y. N.D. Ohio N.D. Tex. S.D.N.Y. S.D. Ohio S.D. Tex. U.S. Supreme Court W.D. Ark. W.D. Penn. W.D. Tex. W.D. Va.
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United States District Court for the Eastern District of Pennsylvania United States District Court for the Eastern District of Washington United States District Court for the Eastern District of Wisconsin United States Court of Appeals for the Federal Circuit (Gericht zweiter Instanz für verwaltungsrechtliche Verfahren) United States District Court for the Middle District of Florida United States District Court for the Northern District of Alabama United States District Court for the Northern District of California United States District Court for the Northern District of Georgia United States District Court for the Northern District of Illinois United States District Court for the Northern District of Indiana United States District Court for the Northern District of Iowa United States District Court for the Northern District of New York United States District Court for the Northern District of Ohio United States District Court for the Northern District of Texas United States District Court for the Southern District of New York United States District Court for the Southern District of Ohio United States District Court for the Southern District of Texas Supreme Court of the United States (höchste Instanz für Fragen des Federal Law) United States District Court for the Western District of Arkansas United States District Court for the Western District of Pennsylvania United States District Court for the Western District of Texas United States District Court for the Western District of Virginia
Vorbemerkung: Der Begriff „Director“ Um Missverständnissen insbesondere mit dem britischen Gesellschaftsrecht vorzubeugen, sei festgestellt, dass der Begriff „Director“ in dieser Arbeit ausschließlich im Sinne eines Mitglieds des Board of Directors einer Corporation gebraucht wird und mit dem ebenso gebräuchlichen Begriff „board member“ gleichzusetzen ist. Er hat hier ausdrücklich nicht die Bedeutung eines Geschäftsleiters oder leitenden Angestellten und ist nicht mit dem deutschen Wort „Direktor“ gleichzusetzen. Die hierzu vergleichbaren Funktionen werden in den relevanten Teilen des amerikanischen Rechtssystems und somit in dieser Arbeit als „officers“ oder auch als „managers“ oder „executives“ bezeichnet. Obgleich ein Director in den USA, anders als beispielsweise ein Aufsichtsratsmitglied in Deutschland, gleichzeitig eine leitende Position im Unternehmen innehaben kann, ergibt sich diese Rolle nicht aus dem Titel „Director“. Zur Vergleichbarkeit von Board of Directors mit Aufsichtsrat und Vorstand, siehe infra, S. 50.
Einleitung In Deutschland lässt sich eine Tendenz zu intensiverer persönlicher Haftung von Organen, vor allem von Vorständen beobachten. Sie beschäftigt Unternehmen, Anwälte und Gerichte ebenso wie das Schrifttum und den Deutschen Juristentag, der sich in den letzten Jahren immer wieder mit Reformen zur Vorstands- und Aufsichtsratshaftung auseinandergesetzt hat.1 Wie auch in den USA erstrecken sich die Haftungsinstrumente der Corporate Governance in Deutschland vom Zivilrecht über das Verwaltungs- und Ordnungswidrigkeitenrecht bis hin zum Strafrecht. Aus empirischer Perspektive bleibt die Vorstands- und Aufsichtsratshaftung ein relativ datenarmes Gebiet.2 Vereinzelte Teile des Schrifttums halten die Wahrnehmung der gesteigerten Vorstands- und Aufsichtsratshaftung in Deutschland für übertrieben.3 Sie meinen, dass die tatsächlichen Fälle auf eindeutigen Verfehlungen, Nachlässigkeiten oder Inkompetenz im Zusammenhang mit Insolvenz oder Betrug im Unternehmen beruhten, und daher unabhängig von grundsätzlichen Corporate Governance Überlegungen des Gesetzgebers seien.4 Andere stellen fest, dass sich die veröffentlichten Gerichtsentscheidungen zur Vorstands- und Aufsichtsratshaftung in den letzten zwanzig Jahren vervierfacht haben und auch die Inanspruchnahme der D&O Versicherungen deutlich gestiegen ist, geben aber zu bedenken, dass allein die verstärkte Verfügbarkeit dieser Versicherungen diesen Effekt ausgelöst haben
1 s. z. B. Theodor Baums, Empfiehlt sich eine Neuregelung des aktienrechtlichen Anfechtungs- und Organhaftungsrechts, insbesondere der Klagemöglichkeiten von Aktionären? – Gutachten F zum 63. Deutschen Juristentag Leipzig 2000, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 63. Deutschen Juristentages (2000); Mathias Habersack, Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung – Gutachten E. zum 69. Deutschen Juristentag München 2012, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 69. Deutschen Juristentages (2012); Gregor Bachmann, Reform der Organhaftung? Materielles Haftungsrecht und seine Durchsetzung in privaten und öffentlichen Unternehmen – Gutachten E. zum 70. Deutschen Juristentag Hannover 2014, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages (2014). 2 Eine Zusammenfassung der empirischen Erkenntnis bietet z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 12 ff. Vgl. auch Klaus J. Hopt, § 93 AktG – Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder, in: Heribert Hirte/Peter O. Mülbert/Markus Roth (Hrsg.), Großkommentar zum Aktiengesetz, 5. Auflage (2014), Rn. 40. 3 Roderich Thümmel, Aufsichtsratshaftung – Das überschätzte Risiko, Der Aufsichtsrat 2013, S. 10. 4 Thümmel, Aufsichtsratshaftung, AR 2013, S. 10.
Einleitung
23
könnte, da die Gesellschaft Klägerin und Begünstigte der Versicherungen ist.5 Wieder andere sehen einen großen Anstieg und vermuten zum Teil eine noch deutlich höhere Dunkelziffer.6 Viele Faktoren erschweren eine empirische Betrachtung der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung. Der Bereich umfasst ein komplexes Zusammenspiel aus Gesetzgebung und Rechtsprechung zu einer Vielzahl von Themen, darunter die rechtlichen Voraussetzungen zur Haftung und Strafbarkeit der jeweiligen Organe, die Aufsichtspflicht der Organe untereinander, die Durchsetzungsmöglichkeiten der Aktionäre und Gläubiger, zivil- und strafprozessrechtliche Anforderungen, sowie die Verfügbarkeit von Versicherungsschutz und Haftungsfreistellungen durch die Gesellschaft. Hinzu kommen die Ressourcen und Prioritätensetzung der Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden, die wirtschaftlichen Entscheidungen der Versicherer, die Zielsetzungen der Aktionäre und nicht zuletzt die gesamtwirtschaftliche Lage. Selbst bei erfolgreichem Umgang mit all diesen Variablen blieben der Analyse tragfähige Schlussfolgerungen mit großer Wahrscheinlichkeit verwehrt, da Fälle von Vorstandsund Aufsichtsratshaftung häufig durch Einigungen beigelegt werden, die der Wissenschaft nur begrenzt zugänglich sind. Hier soll daher eine andere Methode zur Analyse dienen. Obwohl die Auswertung der Haftung von Directors und Officers in den USA den gleichen Beschränkungen unterliegt, verfügt das dortige Schrifttum doch über eine längere Erfahrung und schon aufgrund der „common law“-Tradition über eine sowohl breitere als auch tiefere veröffentlichte Rechtsprechung zu dem Thema. Die amerikanische Haftung von Directors und Officers, die in dem Ruf steht, besonders harte Konsequenzen für die Betroffenen zu haben, soll hier eingehend bewertet und letztendlich als Vergleichsmaßstab dienen, um eine realistische Einschätzung der deutschen Organhaftung im Vergleich zu ermöglichen. Insbesondere sollen dabei die Vor- und Nachteile von Zivil-, Ordnungswidrigkeiten- und Strafrecht erarbeitet und Impulse für eine mögliche Verlagerung der Schwerpunkte gegeben werden.
5
Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 19. Deutschland hat nach den USA die meisten Inanspruchnahmen der D&O Versicherungen. Eine Kausalität hier aber verwerfend z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 452. 6 Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 40.
1. Teil
Einführung A. Was ist Corporate Governance? Der Begriff „Corporate Governance“ bezeichnet den „rechtlichen und faktischen Ordnungsrahmen für die Leitung eines Unternehmens,“1 sowohl durch interne als auch durch externe Einflüsse.2 Er beschreibt „die Funktionsweise der Leitungsorgane, ihr Zusammenwirken und die Überwachung ihres Verhaltens.“3 Corporate Governance beruht dabei neben dem formell rechtlichen System auch auf Empfehlungen und Anregungen durch den Gesetzgeber, Rechtsprechung, Kommissionen und andere Stakeholder, die auf die Geschäftsleitung von Unternehmen Einfluss nehmen. Auf der Ebene des einzelnen Unternehmens, mit der sich diese Arbeit ganz wesentlich beschäftigt, ist Corporate Governance dann erfolgreich, wenn die Interessen der Unternehmensführung mit denen des Unternehmens möglichst gleichgeschaltet sind. Erfolg hat sie, wenn die Unternehmensführung zuverlässig die „richtigen“ Entscheidungen trifft, wobei die Richtigkeit von Entscheidungen je nach Rechtsphilosophie und externen Umständen unterschiedlich betrachtet werden mag. Die akademische Disziplin der Vergleichenden Corporate Governance bewertet gesetzliche Änderungen häufig als Teil der Rechtsentwicklung verschiedener Länder und quantitativ im Hinblick auf die Entwicklung der Gesamt-Marktkapitalisierung 1 Axel von Werder, Ökonomische Grundfragen der Corporate Governance, in: Peter Hommelhoff/Klaus J. Hopt/Axel von Werder (Hrsg.), Handbuch der Corporate Governance (2003), S. 3. 2 Klaus J. Hopt, Die rechtlichen Rahmenbedingungen der Corporate Governance, in: Peter Hommelhoff/Klaus J. Hopt/Axel von Werder (Hrsg.), Handbuch der Corporate Governance (2003), S. 32. Vgl. auch Stephen M. Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 2 („Corporate governance, broadly defined, consists of the institutional structures, legal rules, and best practices that determine which body within the corporation is empowered to make particular decisions, how the members of that body are chosen, and the norms that should guide decision making.“). 3 Gerald Spindler, Vorbemerkung, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 1. Ähnlich auch Robert Ripin/Christopher Winckler, United States, in: Alexander Loos (Hrsg.), Directors’ Liability: A Worldwide Review (2010), S. 112 („Corporate governance specifies the distribution of rights and responsibilities among different participants in a corporation“); Petra Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht (2014), § 1, Rn. 54 ff.
B. Zielsetzung von Haftung
25
im Vergleich mit anderen Corporate Governance Systemen.4 In der vorliegenden Arbeit geht es stattdessen um das detaillierte Verständnis eines einzelnen Instruments der Corporate Governance (der Haftung bzw. Sanktionierung) in zwei spezifischen Rechtssystemen und um eine direkte, qualitative Beurteilung seines Einflusses auf das Verhalten von Unternehmensführung und -aufsicht, einem wichtigen Faktor für den Wert des Unternehmens und damit letztendlich auch für die Marktkapitalisierung.
B. Zielsetzung von Haftung Das Prinzip der Haftung verfolgt eine Reihe von Zwecken, die in verschiedenen Zusammenhängen unterschiedlich zur Geltung kommen. Zivilrechtliche Haftung verfolgt generell das Ziel des Vermögensausgleichs und der Prävention,5 während bei strafrechtlicher Sanktionierung die Prävention, der Schuldausgleich und die Normverstärkung die größte Rolle spielen.6 Letztere Ziele der strafrechtlichen Verfolgung treffen sowohl in Deutschland als auch in den USA auch im Zusammenhang mit Verhaltenssteuerung und Corporate Governance zu. Bei der zivilrechtlichen Haftung kann jedoch der Vermögensausgleich nicht im Vordergrund stehen, denn der potentielle Schaden, den Unternehmensentscheidungen verursachen können, übersteigt in aller Regel bei Weitem die Ausgleichsmöglichkeiten der einzelnen Beklagten.7 Zudem führt das Potential von so hohen Schadensersatz4
Vgl. z. B. Rafael La Porta/Florencio Lopez-De-Silanes/Andrei Shleifer/Robert W. Vishny, Legal Determinants of External Finance, 52 The Journal of Finance 1131 (1997); Rafael La Porta/Florencio Lopez-De-Silanes/Andrei Shleifer, The Economic Consequences of Legal Origins, 46 Journal of Economic Literature 285 (2008); John Armour/Simon Deakin/Prabirjit Sarkar/Mathias Siems/Ajit Singh, Shareholder Protection and Stock Market Development: An Empirical Test of the Legal Origins Hypothesis, European Corporate Governance Institute Working Papers Series Nr. 108/2008 (2008); Katharina Pistor/Yoram Keinan/Jan Kleinheisterkamp/Mark D. West, The Evolution of Corporate Law: A Cross-Country Comparison, 23 University of Pennsylvania Journal of International Economic Law 791 (2002). s. hierzu auch von Werder, Ökonomische Grundfragen, in Handbuch Corporate Governance (2003), S. 19. 5 Vgl. z. B. Jens Koch, § 93 AktG – Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 1; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 28; Ulrich Seibert, Gesetzliche Steuerungsinstrumente im Gesellschaftsrecht, Zeitschrift für Rechtspolitik 2011, 166, S. 168; Gerhard Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung – Skizze eines Haftungsregimes, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2014, 227, S. 251. 6 Eine Zusammenfassung der empirischen Erkenntnis bietet z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 12 ff. Vgl. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 40; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 245. 7 s. z. B. Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 233 f.; Walter Bayer/Philipp Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung im Recht der aktienrechtlichen Organhaftung – Grundsatzüberlegungen zum 70. DJT 2014, Neue Zeitschrift
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1. Teil: Einführung
zahlungen zu kostenintensiven Ausgleichsversuchen im Vorfeld, beispielsweise durch höhere Vorstandsgehälter und hohe D&O-Versicherungsprämien, die in vielen Fällen unnötig und wirtschaftlich nicht konstruktiv sind.8 In der Corporate Governance soll die Haftung von Unternehmensaufsicht und -führung tatsächlich weitere Rechtsgüter schützen und zu besseren Unternehmensstrukturen und -prozessen führen.9 Insbesondere zur internen Risikoüberwachung soll sie Unternehmensleiter inzentiveren.10 Ihre Grundlage liegt damit im Prinzip der Prävention und Verhaltenssteuerung, denn sie soll eine Motivation schaffen, Fehlverhalten von vornherein zu vermeiden.11 Aufgrund der hervorgehobenen Verantwortung von Organen bzw. Fiduciaries12 für Unternehmen, die eine Rolle in der Gesamtwirtschaft spielen, können die Normverstärkung und der Schuldausgleich dabei eine besonders große Rolle spielen. Als Instrument der Corporate Governance verfolgen somit nicht nur strafrechtliche Sanktionierung sondern auch zivilrechtliche Haftung die Ziele, die in anderen Rechtsgebieten vor allem dem Strafrecht vorbehalten sind.
C. Haftung als Instrument der Corporate Governance Da die Corporate Governance auf den Schutz oder die Verbesserung der Strukturen und Prozesse in Unternehmen abzielt, sind hier auch nur die Haftungsgründe relevant, die ein Organ oder einen Fiduciary zu dem gewünschten Verhalten als Geschäftsleiter inzentivieren. Grundsätzlich sehen sich Organe und Fiduciaries folgenden vier Kategorien von Haftung ausgesetzt:
für Gesellschaftsrecht 2014, 926, S. 928. Vgl. z. B. die Fälle Enron und WorldCom, die an späterer Stelle näher betrachtet werden. s. infra, Haftungskultur der USA (S. 32) und Enron und WorldCom als Ausnahmen (S. 190). Aber vgl. auch Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 21. 8 Vgl. z. B. Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 254. 9 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 32. 10 Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability (transcript of symposium), 31 Delaware Journal of Corporate Law 1011 (2006), S. 1020. Vgl. auch Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 48 f. zur unzureichenden Verantwortlichkeit im Unternehmensumfeld ohne Haftungsmechanismen. 11 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 32 („Aus juristischer Sicht steht neben der Pönalisierung von besonders gravierenden Pflichtverstößen die zivilrechtliche Haftung als Mechanismus der Verhaltenssteuerung im Vordergrund.“). Vgl. auch z. B. Bayer/ Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung, NZG 2014, S. 928. 12 Directors und Officers einer amerikanischen Corporation werden nicht als Organe, sondern als „Treuhänder“ („fiduciaries“) verstanden. Mehr zu diesem Unterschied, s. infra, Eigenständige Pflichten (Gesellschaftsrecht des Staates Delaware) (S. 54).
C. Haftung als Instrument der Corporate Governance
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1. Haftung aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung des Organs bzw. der Fiduciaries, die der Gesellschaft oder Dritten schaden; 2. Haftung für Fehlverhalten Anderer ohne direktes eigenes Handeln, z. B. im Zusammenhang mit mangelnder Aufsicht; 3. Haftung für persönliches Fehlverhalten, z. B. Betrug, insbesondere zur persönlichen Bereicherung; und 4. Haftung für rechtlich gebundene Entscheidungen bzw. die Nicht-Erfüllung einer spezifischen, gesetzlichen Vorgabe, wie sie sich z. B. bei Gründung oder Insolvenz einer Gesellschaft ergeben. Nur die ersten beiden Arten der Haftung inzentivieren ein Verhalten von Organen und Fiduciaries, das zu besseren Strukturen und Prozessen in Unternehmen führt und deshalb sind auch nur sie der Corporate Governance zuzuordnen. Die Regelungen der Corporate Governance zu unternehmerischen Entscheidungen, oben Punkt 1., insbesondere die Business Judgment Rule, die im Weiteren näher betrachtet wird,13 inzentivieren die Organe bzw. Fiduciaries zu guter Unternehmensführung, da sie ihnen Schutz vor Haftungsansprüchen gewährt, solange sie in ihrer Entscheidungsfindung bestimmte Anforderungen erfüllen (z. B. die Beseitigung von Interessenkonflikten und sorgfältige Due Diligence). Auch Haftung für Handlungen Anderer, oben Punkt 2., wirkt als Inzentivierung für eine Verbesserung von unternehmensinternen Abläufen, da nur verlässliche Aufsicht über den eigenen Verantwortungsbereich vor Haftung schützen kann. Die Haftung hat somit in beiden Fällen direkten Einfluss auf die Strukturen, Prozesse und Entscheidungsfindung von an sich redlich handelnden oder „von Verantwortungsbewusstsein getragene[n]“ Geschäftsleitern, die die zentrale Figur dieser Arbeit sind.14 Persönliches Fehlverhalten, z. B. zur eigenen Bereicherung oder durch die Verletzung spezifischer gesetzlicher Vorgaben, oben Punkte 3. und 4., ist nicht als Corporate Governance Verstoß zu werten. Das Fehlverhalten wird in diesen Fällen vielleicht tatsächlich durch die Organstellung oder Funktion des Betreffenden ermöglicht. Doch wird hier unter bewusster Missachtung oder aktiver Umgehung der Prozesse und Strukturen des Unternehmens gehandelt. Organe und Fiduciaries, die beispielsweise trotz Strafandrohung bewusst und eigennützig das Gesetz brechen, werden durch verbesserte Corporate Governance Regelungen oder Inzentivierungen nicht erreicht werden.15 Die Ahndung dieser Verstöße ist deshalb keine Aufgabe der Corporate Governance. Insofern bessere Aufsicht dieses Fehlverhalten hätte ver-
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s. infra, Die Business Judgment Rule (S. 121). Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 22. s. z. B. auch Thümmel, Aufsichtsratshaftung, AR 2013, S. 11 (zu Verhaltensänderungen von Aufsichtsräten als Konsequenz einer übertriebenen Wahrnehmung des Haftungsrisikos). 15 Vgl. auch Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1039; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 32. 14
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1. Teil: Einführung
hindern können, greift allerdings die Corporate Governance Haftung der zur Aufsicht Verpflichteten (oben Punkt 2.).16
D. Relevanz der amerikanischen Corporate Governance für Deutschland Eine Betrachtung der amerikanischen Haftung von Directors und Officers ist aus deutscher Perspektive besonders relevant. Zwar sind zunächst weder die Organhaftung, noch die Corporate Governance an sich neue oder besonders anglo-amerikanische Konzepte im deutschen Gesellschaftsrecht. Bereits das Allgemeine Deutsche Handelsgesetzbuch (ADHGB) in der Fassung von 11. Juni 1870 regelte in Art. 225b detailliert die Haftung des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft und, verweisend auf den nachfolgenden Art. 226 des ADHGB in der Fassung vom 18. Juli 1884, auch die Haftung des Vorstands in Art. 241 Abs. 3 ADHGB 1884.17 Dennoch hat die deutsche Literatur zum Thema Corporate Governance immer wieder das US-amerikanische Beispiel betrachtet. Zahlreiche Konzepte aus der amerikanischen Gesetzgebung und Rechtsprechung haben sich insbesondere in den 1990er und 2000er Jahren immer mehr auch in Deutschland etabliert. Dieses gilt u. a. für die sogenannte Business Judgment Rule, die aus Sicht des deutschen Schrifttums durch den Bundesgerichtshof 1997 in seiner ARAG/Garmenbeck Entscheidung18 den Weg in die Rechtsprechung zu deutschen Aktiengesellschaften fand, bevor eine ihr zunächst ähnelnde Regelung im Jahr 2005 durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) als § 93 Abs. 1 Satz 2 in das Aktiengesetz übernommen wurde und bei unternehmerischen Entscheidungen die bis dahin ausschlaggebende „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ ablöste.19 Ein weiteres Beispiel ist die Geschäftschancenlehre, deren geringe Rolle und Ausarbeitung im deutschen Recht im Vergleich zur hochentwickelten amerikanischen Corporate Opportunity Doctrine im
16 Entsprechend sind beispielsweise die Strafverfolgungen von Jeffrey Skilling und Andrew Fastow, CEO und CFO der Enron, Inc., wegen bewussten Kapitalmarktbetrugs nicht als Teil der Corporate Governance Haftung zu werten, andere als die persönlichen Schadensersatzzahlungen von $ 13 Millionen, die die Outside Directors letztendlich wegen mangelhafter Aufsicht an die Aktionäre gezahlt haben. s. infra, Haftungskultur der USA (S. 32) und Enron und WorldCom als Ausnahmen (S. 190). 17 BGH, Urteil vom 20. September 2010, II ZR 78/09, BGHZ 187, 60 (Doberlug), S. 8, Abs. 17. 18 BGH, Urteil vom 21. April 1997, II ZR 175/95, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck). 19 BGH, Urteil vom 4. November 2002, II ZR 224/00, BGHZ 152, 280. Zu den gravierenden Unterschieden zwischen den deutschen Regelungen und der Business Judgment Rule, s. infra, Die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland (§ 93 Abs. 1 Satz 2) (S. 128).
D. Relevanz der amerikanischen Corporate Governance für Deutschland
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deutschen Schrifttum lange bemängelt wurde,20 bevor sie in abgewandelter Form auch in Deutschland als Rechtsinstitut verankert wurde.21 Die amerikanische Corporate Governance nimmt jedoch auch ganz unmittelbaren Einfluss auf deutsche Unternehmen, ohne den Umweg über deutsche Gerichte oder Gesetzgebung. Ohne Rücksicht auf das Land des Unternehmenssitzes unterliegt jedes Unternehmen, das an einer amerikanischen Börse notiert ist, dem amerikanischen Kapitalmarktrecht und ist somit verpflichtet, bestimmten Corporate Governance Verpflichtungen nachzukommen.22 Zudem unterliegen auch sogenannte „Foreign Private Issuers“ den Auflagen des amerikanischen Kapitalmarktrechts. Sie sind zwar nicht an einer amerikanischen Börse notiert, ihre Wertpapiere sind aber dennoch in den USA registriert oder werden ohne Registrierung gehandelt.23 Sie unterliegen selbst dann dem amerikanischen Recht, wenn der Sitz eines solchen Unternehmens und die Mehrheit seines Vermögens außerhalb der USA liegen, die Unternehmensgeschäfte im Wesentlichen außerhalb der USA betrieben werden und die Mehrheit weder seiner Aktionäre noch seiner Unternehmensführung oder Überwachungsorgane mehrheitlich Bürger oder Einwohner der USA sind.24 Der U.S. Supreme Court hat die Reichweite der wohl wichtigsten amerikanischen Rechtsprechung zum Kapitalmarktbetrug25 zwar im Jahr 2010 insoweit eingeschränkt, dass ausländische Unternehmen wenigstens dann nicht mehr Klagen unter Section 10(b) des Exchange Act26 ausgesetzt sind, wenn es sich bei den Klägern um ausländische Aktionäre handelt, die die Wertpapiere auch außerhalb der USA gekauft haben.27 Dem Urteil und der darauf folgenden Rechtsprechung sind aber keine Tendenzen zu einer deutlich weiteren Einschränkung der Haftung ausländischer Unternehmen zu entnehmen, so dass sich auch deutsche Unternehmen sowie ihre 20
Klaus J. Hopt, Self-Dealing and Use of Corporate Opportunity and Information: Regulating Directors’ Conflicts of Interest, in: Klaus J. Hopt/Günther Teubner (Hrsg.), Corporate Governance and Directors’ Liabilities – Legal, Economic and Sociological Analyses on Corporate Social Responsibility (1985), S. 295. 21 BGH, Urteil vom 23. September 1985, II ZR 246/84, ZIP 1986, 1484 (Druckmittelzylinder). Vgl. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 254 ff. 22 15 U.S.C. § 78c(a)(8). Vgl. z. B. auch Alexander Hellgardt/Wolf-Georg Ringe, Internationale Kapitalmarkthaftung als Corporate Governance, Zeitschrift für das gesamte Handelsund Wirtschaftsrecht 2009, 802; Matthias Lehmann, Eine neue Ära der extraterritorialen Anwendung US-amerikanischen Rechts – Zur Entscheidung des Supreme Courts in der Rechtssache Morrison v. National Australia Bank Ltd., Recht der Internationalen Wirtschaft 2010, 841; Christoph Werkmeister/Frederic Mirza-Khanian, Internationale Pflichtenkollisionen – widersprüchliche Rechtsordnungen und damit einhergehende Haftungsrisiken, Corporate Compliance Zeitschrift 2016, 98. 23 17 C.F.R. § 240.3b-4(c). 24 17 C.F.R. § 240.3b-4(c). 25 Morrison v. National Australian Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010), S. 2883. 26 15 U.S.C. § 78j(b). s. infra, Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 (S. 76). 27 Morrison, 130 S. Ct. 2869 (2010), S. 2875. s. auch Absolute Activist Value Master Fund Ltd. v. Ficeto, 677 F. 3d 60 (2d Cir. 2012); Parkcentral Global HUB Ltd v. Porsche Automobile Holdings SE, 763 F.3d 198 (2d Cir. 2014); Giunta v. Dingman, 2018 WL 3028686 (2d Cir. 2018).
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1. Teil: Einführung
Vorstände und Aufsichtsräte weiterhin zahlreichen ernsten Haftungsrisiken nach amerikanischem Recht gegenüber sehen. Zudem vertritt die SEC in vereinzelter jüngerer Rechtsprechung erfolgreich die Ansicht, dass Morrison aufgrund der gesetzlichen Weiterentwicklung des Exchange Act durch den Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act of 201028 („Dodd-Frank Act“) überholt ist.29 Trotz der großen Reichweite und entsprechend hohen Relevanz der amerikanischen Corporate Governance für deutsche Unternehmen ist kritisch zu betrachten, ob die amerikanischen Regelungen im Hinblick auf mögliche Verbesserungen der deutschen Corporate Governance betrachtet werden können, da sie auch Mängel aufweist. Relevante Kritikpunkte sind unter anderem die hohen Haftungssummen, die große Anzahl der Klagen gegen Unternehmen und einzelne Personen, sowie die Krisen der vergangenen Jahre, bei denen Mängel in der Corporate Governance eine besondere Rolle gespielt haben.30 Das Argument, dass die Vereinigten Staaten aufgrund ihrer eigenen Probleme der deutschen Corporate Governance nicht als Beispiel dienen können, darf einen kritischen Blick über den Atlantik aber nicht verhindern.31 Denn nicht zuletzt aufgrund ihrer Krisen verfügen die USA über eine lange und intensive Erfahrung mit den theoretischen Grundlagen und praktischen Auswirkungen der Corporate Governance, die immer wieder kritisch betrachtet und reformiert worden ist.32 Obwohl auch die amerikanische Gesetzgebung und Rechtsprechung nicht alle Fragen der Unternehmensführung abschließend geklärt haben, bietet die amerikanische Corporate Governance doch einen Rechtsrahmen, in dem diese Fragen immer wieder neu gestellt und beantwortet und zahlreiche mögliche Lösungen implementiert werden.33 28
Kodifiziert an verschiedenen Stellen des U.S. Code. Securities and Exchange Commission v. Scoville, 913 F.3d 1204 (10th Cir. 2010), S. 1212 (das Gericht stellte fest, dass das Urteil sowohl nach Morrison als auch der Theorie der SEC gleich ausgefallen wäre); s. auch Securities and Exchange Commission v. Chicago Convention Center, LLC, 961 F. Supp. 2d 905 (N.D. Ill. 2013), S. 910 Fn. 1; Securities and Exchange Commission v. Ahmed, 308 F. Supp. 3d 628 (D. Conn. 2018), S. 664 Fn. 32. Bisher ist hierzu keine höchstrichterliche Klärung erfolgt. s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Sabrdaran, 252 F. Supp. 3d 866, S. 895 Fn. 6 (N.D. Cal. 2017). 30 Vgl. z. B. Robert C. Clark, Understanding and Resolving Crisis-Generated Corporate Governance Reform, 1 Corporate Governance Law Review 456 (2005); Stephen M. Bainbridge, Dodd-Frank: Quack Federal Corporate Governance Round II, 95 Minnesota Law Review 1779 (2011); David H. Erkens/Mingyi Hung/Pedro Matos, Corporate governance in the 2007 – 2008 financial crisis: Evidence from financial institutions worldwide, 18 Journal of Corporate Finance 389 (2012). 31 Karl-Georg Loritz, Unternehmerische Mitbestimmung in deutschen Großunternehmen und Qualität der Aufsichtsratsarbeit, Zeitschrift für Arbeitsrecht 2009, 477. 32 s. z. B. Erlassen des Sarbanes-Oxley Act of 2002 (s. insb. infra, Sarbanes-Oxley Act (zivilrechtliche Elemente) (S. 82)), der die Anforderungen an die Unternehmensführung deutlich verschärft hat, als Antwort auf die Skandale der frühen 2000er Jahre, und Erlassen des Dodd-Frank Act of 2010, als Antwort auf die Kredit- und Finanzkrise von 2008/2009. 33 Vgl. z. B. Bernard S. Black, The Core Fiduciary Duties of Outside Directors, Asia Business Law Review 3 (2001), S. 11. 29
D. Relevanz der amerikanischen Corporate Governance für Deutschland
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Eine treibende Kraft in der Entwicklung der Corporate Governance ist die enge Verbindung zwischen den Unternehmen und dem Kapitalmarkt, die in den USA schon seit dem 19. Jahrhundert besteht, sich in Deutschland dagegen erst vor Kurzem etabliert hat.34 In den USA führt die damit einhergehende Verteilung des unternehmerischen Risikos an eine breite Basis von Aktionären spätestens seit den 1930er Jahren als Konsequenz des Börsencrashs von 1929 dazu, dass der amerikanische Gesetzgeber durch das Kapitalmarktrecht aktiv in die Unternehmensaufsicht und -führung eingreift. Diese enge Bindung an das dynamische System des Kapitalmarkts zwingt die amerikanische Corporate Governance seit vielen Jahrzehnten immer wieder zu Neuerungen, Reformen und Weiterentwicklungen. Die Corporate Governance, in Deutschland erst seit kurzer Zeit mit dem Aktienrecht verbunden, ist in den USA daher schon seit fast einem Jahrhundert ein fester Bestandteil des Kapitalmarktrechts.35 Die ständige Diskussion der theoretischen Grundlagen der Corporate Governance und dem wirksamen Schutz des Kapitalmarkts bei gleichzeitiger Förderung seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist längst ein prominenter Bestandteil der juristischen Literatur der USA, denn die Verbindung von Recht und Wirtschaft bildet traditionell einen ihrer wichtigen Eckpunkte. Ihre für die Corporate Governance bis heute grundlegenden Werke über die rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Unternehmen, Unternehmensführung und Aktionären verfassten beispielsweise Adolf Berle und Gardiner Means, sowie Ronald Coase in den USA bereits in den 1930er Jahren.36 In der deutschen und europäischen Literatur hat die Disziplin „Law and Economics“ dagegen erst vor relativ kurzer Zeit Fuß gefasst.37 Die amerikanische Corporate Governance ist damit für deutsche Unternehmen zu wichtig, um ignoriert zu werden, und in der rechtlichen Ausgestaltung zu ausgearbeitet, als dass man sie sich nicht für das deutsche System im Hinblick auf mögliche Verbesserungen betrachten müsste.
34 Vgl. z. B. Christian C. Day, Partner to Plutocrat: The Separation of Ownership from Management in Emerging Capital Markets – 19th Century Industrial America, 58 University of Miami Law Review 525 (2004); Deutsches Aktieninstitut, Factbook (2013), S. 1. Vgl. auch z. B. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht (2014), § 1, Rn. 1 zur rasanten Entwicklung des Kapitalmarktrechts seit den 1990er Jahren. 35 Vgl. z. B. Annette Christina Nicklisch, Die Auswirkungen des Sarbanes-Oxley Act auf die deutsche Corporate Governance – Ein Beitrag zur Amerikanisierung des deutschen Aktienwesens (2007), S. 82. 36 Adolf A. Berle/Gardiner C. Means, The Modern Corporation and Private Property (1932). Bei Berle handelte es sich um einen Anwalt, Means und Coase hingegen waren Professoren für Wirtschaftslehre. 37 Vgl. z.V. Petri Mäntysaari, Comparative Corporate Governance – Shareholders as a Rule-Maker (2005), S. 394.
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1. Teil: Einführung
E. Haftungskultur der USA Zudem zeigt der Blick auf die tatsächlichen Corporate Governance Haftungsfälle in den USA, dass einige Kritikpunkte am amerikanischen System auf falscher Wahrnehmung beruhen. Diese Annahme eines hohen persönlichen Haftungsrisikos hält einem Blick auf die Prozesswirklichkeit nicht stand. Zwar werden die USA ihrem Ruf als klagefreundliches Land insbesondere im Wirtschaftsrecht gerecht. Pro Jahr werden durchschnittlich fast 200 Aktionärssammelklagen auf Basis angeblicher Verstöße gegen das Kapitalmarktrecht gegen Directors und Officers eingereicht.38 Bis vor Kurzem hatten über 90 % aller Unternehmenskäufe, -verkäufe oder -zusammenschlüsse Klagen gegen das Board of Directors zur Folge.39 Praktisch ist die tatsächliche, persönliche Zahlung von Schadensersatz in Fällen von Corporate Governance Haftung allerdings äußerst selten. Dies gilt insbesondere für Directors, die nicht zusätzlich eine Funktion innerhalb des Unternehmens bekleiden (sogenannte „outside directors“40). Denn sie gelten durch ihre im Verhältnis zu den Officers des Unternehmens geringe Vergütung, ihren mangelndem Einfluss im Unternehmen und das angenommene hohe Haftungsrisiko als besonders betroffen und werden besonders zur Kritik an dem System herangezogen. Denn tatsächlich kommt es nur bei einem kleinen Bruchteil der eingereichten Klagen zur Verhandlung.41 Laut einer umfassenden Studie, durchgeführt von den renommierten Corporate Governance Professoren Bernard Black, Brian Cheffins und Michael Klausner, gab es in den Jahren 1980 – 2006 in den USA nur ein einziges Urteil (Smith v. Van Gorkom, s. infra) und zwölf Einigungen, die überhaupt zu einer Zahlung seitens eines Outside Director aus dessen Privatvermögen geführt haben.42 38 Cornerstone Research, Securities Class Action Filings – 2014 Year in Review, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2015). s. infra, Die Class Action (S. 185). 39 Matthew D. Cain/Steven M. Davidoff Solomon, A Great Game: The Dynamics of State Competition and Litigation, 100 Iowa Law Review 465 (2015), S. 3; Matthew D. Cain/Jill E. Fisch/Steven M. Davidoff Solomon/Randall S. Thomas, The Shifting Tides of Merger Litigation, 71 Vanderbilt Law Review 603 (2018); Donald F. Parsons, Docket Dividends: Growth in Shareholder Litigation Leads to Refinements in Chancery Procedures, 70 Washington & Lee Law Review 473 (2013), S. 489. s. infra, M&A Class Actions (State Law) (S. 192). 40 Der Begriff „outside director“ ist nicht mit dem spezifischen juristischen Begriff „independent director“ zu verwechseln. Während als Outside Director (häufig auch „non-executive director“) jeder externe Director gilt, der also nicht gleichzeitig Angestellter des Unternehmens ist, muss ein Outside Director, um als Independent Director zu gelten, zusätzliche Maßgaben erfüllen, die seine Unabhängigkeit nicht nur vom Unternehmen sondern auch von den Aktionären garantieren sollen. s. auch infra, Audit Committee (S. 93). 41 Bernard S. Black/Brian R. Cheffins/Michael Klausner, Outside Director Liability, 58 Stanford Law Review 1055 (2006), S. 1063. 42 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1060. Da die Einigungen meist vertraulich sind, lassen sich diese Zahlen nur annähernd belegen. Es wird aber angenommen, dass die Größenordnung, wenn nicht sogar die genaue Zahl, angemessen wie-
E. Haftungskultur der USA
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In einigen dieser Fälle bestand die Zahlung sogar nur in der Übernahme der eigenen Prozesskosten des Directors.43 Vor allem ist die fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten als Haftungsgrund heute praktisch ausgeschlossen. Persönliche Haftung eines Directors kommt überhaupt nur noch in Betracht, wenn er seine Loyalitätspflicht dem Unternehmen gegenüber verletzt oder sich selbst bereichert hat. Die Wurzeln dieser hohen Haftungsschwelle liegen im Fall Smith v. van Gorkom44 aus dem Jahr 1985. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte noch kein Gericht Directors in einem ernstzunehmenden Ausmaß für unternehmerische Entscheidungen haftbar gemacht.45 Dies änderte sich, als die Directors von TransUnion sich von dem langjährigen CEO des Unternehmens, Jerome van Gorkom, der kurz vor der Pensionierung stand, in wenigen, kurzen Sitzungen davon überzeugen ließen, einer Übernahme des Unternehmens durch einen Finanzinvestor zuzustimmen. Die wirtschaftlich sehr erfahrenen Directors, so das Gericht, hatten dabei einen vorgeschlagenen Verkaufspreis als angemessen akzeptiert, ohne durch eine unabhängige, preisoffene Bewertung des Unternehmens den bestmöglichen Preis zu ermitteln.46 Aufgrund dieser groben Fahrlässigkeit stellte das Gericht fest, dass die Business Judgment Rule die Directors nicht vor persönlicher Haftung schützen konnte, und verurteilte sie, den Aktionären die Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert des Unternehmens und dem erhaltenen Preis zu erstatten.47 Das Urteil verursachte große Unruhe in Delaware und einen enormen Anstieg der Versicherungsprämien für die dort ansässigen Unternehmen.48 Der Gesetzgeber reagierte schnell und erweiterte das Delaware General Corporation Law (DGCL) um Section 102(b)7, die den Unternehmen seitdem erlaubt, ihre Directors durch Satzungsbestimmungen von der Haftung dem Unternehmen und seinen Aktionären gegenüber auch bei grober Fahrlässigkeit zu exkulpieren.49 Ein Urteil wie van dergegeben wird. Die hier genannte Studie beruhte auf umfassenden persönlichen Gesprächen mit Directors, Officers, Personen in der D&O-Versicherungsindustrie und anderen Beteiligten, eine vergleichbare Studie ist seit 2006, soweit bekannt, nicht wiederholt worden. Es besteht aber kein Grund zu der Annahme, dass eine heutige Studie zu grundlegend anderen Ergebnissen käme. 43 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1060. 44 Smith v. van Gorkom, 488 A.2d 858 (Del. 1985). 45 Gregory P. Williams/Rudolf Koch/Christopher H. Lyons, Director Liability: From van Gorkom to Southern Peru and Beyond, 26 Insights 1 (2012), S. 1. 46 van Gorkom, 488 A.2d 858 (1985), S. 868. 47 van Gorkom, 488 A.2d 858 (1985), S. 893. 48 Williams, Director Liability, 26 Insights 1 (2012), S. 2; Nancy R. Mansfield/Joan T. A. Gabel/Kathleen A. Mccullough/Stephen G. Fier, The Shocking Impact of Corporate Scandal on Directors’ und Officers’ Liability, 20 University of Miami Business Law Review 211 (2012), S. 228. 49 DGCL § 102(b)(7). Eine Haftung der Directors kann nicht ausgeschlossen werden, wenn sie ihre Loyalitätspflicht verletzt haben, sich wissentlich oder vorsätzlich fehlverhalten bzw. nicht „in good faith“ gehandelt haben oder ihr Handeln zu einer persönlichen Bereicherung geführt hat. Auch bestimmte widerrechtliche Zahlungen von Dividenden oder Aktienkäufe bzw.
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1. Teil: Einführung
Gorkom und die Zahlungen, die es den Outside Directors für eine grob fahrlässige Entscheidung auferlegte, ist seitdem für Directors in Delaware, die im guten Glauben handeln und sich nicht selber bereichern, praktisch kaum noch möglich, denn eine entsprechende Entlastungsklausel ist inzwischen Standard der dortigen Satzungen und bei der großen Mehrheit der Gesellschaften etabliert.50 In den weiteren Fällen, in denen Outside Directors seit 1980 aufgrund von Vergleichen Zahlungen aus ihrem privaten Vermögen leisten mussten,51 handelte es sich um Fälle angeblicher Verletzungen des Kapitalmarktrechts, das von § 102(b)7 nicht erfasst wird. Die Zahlungen konnten sich dennoch nur aufgrund ungewöhnlicher Verkettungen von Gründen realisieren, die jeweils dazu führten, dass die D&OVersicherungen nicht leisten mussten und der Anspruch auf Zahlungsfreistellung gegen das Unternehmen aufgrund von Insolvenz in all diesen Fällen ins Leere griff. Black, Cheffins und Klausner vertreten auf Basis ihrer Analyse die These, dass persönliche Zahlungen von Outside Directors für Haftung in Corporate Governance Fällen praktisch nur bei Insolvenz des Unternehmens und auch dann nur unter ganz besonderen Umständen möglich ist.52 Da viele dieser Fälle zu entsprechenden Anpassungen in den Versicherungspolicen zum Schutze der Directors geführt haben, hat sich auch dieses Risiko stetig weiter verringert.53 Wie konnte also der Eindruck entstehen, dass sich amerikanische Directors einer Haftungswelle gegenüber sehen? -verkäufe verhindern den Schutz gemäß § 102(b)7. Vgl. z. B. Malpiede v. Townson, 780 A.2d 1075 (Del. 2001), S. 1062; Emerald Partners v. Berlin, 787 A.2d 85 (Del. Ch. 2001), S. 91 f. 50 Die Auswirkung von DGCL § 102(b)(7) für die Haftung von Directors und Officers wird im Weiteren näher betrachtet, s. insb. infra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121) und Verschuldensgrad (S. 130). Diese Rechtslage bestätigte der Delaware Supreme Court jüngst in seinem spektakulären $ 2 Milliarden Urteil gegen den Mehrheitsaktionär und die mit ihm verbundenen Directors der Southern Peru Copper Corporation. In den Augen der Richter hatten sich diese Inside Directors von den Interessen des Mehrheitsaktionärs leiten lassen und damit ihre Loyalitätspflicht der Gesellschaft gegenüber verletzt. Die Outside Directors hingegen wurden aber schon vor Beginn der eigentlichen Verhandlung von der Klage ausgenommen, obwohl sie der angefochtenen Transaktion ebenso zugestimmt hatten, da keine Beweise vorlagen, dass sie ihre Entscheidungen nicht im vermeintlich besten Interesse des Unternehmens zu treffen versucht hatten. Ihre grobe Fahrlässigkeit war durch die Entlastungsklausel der Satzung des Unternehmens geschützt. In re Southern Peru Copper Corp. Shareholder Derivative Litigation, 30 A.3d 60 (Del. Ch. 2011). 51 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1060. 52 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1060 f. (sie sprechen hier von einem „perfect storm“). 53 Die Höhe der Zahlungen der Outside Directors konnte bei van Gorkom, WorldCom, Enron, Tyco und in dem weniger bekannten Fall Independent Energy Holdings aus öffentlichen Quellen ermittelt werden. Bei den übrigen acht Fällen, die in die Studie aufgenommen wurden, schließen die Autoren die Höhe der Zahlungen aus einer Vielzahl von Quellen, einschließlich Interviews mit Betroffenen. Obwohl zusätzliche Fälle daher möglich sind, halten die Autoren dies aufgrund der Tiefe ihrer Recherchen für sehr unwahrscheinlich. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1063. Eine Studie etwaiger späterer Fälle ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich.
E. Haftungskultur der USA
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Zwei der Fälle hatten ungewöhnlich große Öffentlichkeitswirkung und beinhalteten sehr hohe Haftungssummen, so dass sie immer wieder als abschreckende Beispiele für die Corporate Governance Haftung in den USAverwendet werden.54 Im Fall zu WorldCom Inc.55 mussten allein die Outside Directors im Zuge eines Vergleichs einen Betrag in Höhe von $ 25 Millionen explizit aus ihrem Privatvermögen leisten;56 für die Outside Directors der Enron Corporation,57 deren Einigung nur zwei Tage später bekannt gegeben wurde, belief sich die Einigungssumme auf $ 13 Millionen oder 20 % ihres Privatvermögens.58 Der Bilanzbetrug und die Insolvenz insbesondere von Enron59 war Auslöser für den Sarbanes-Oxley Act of 200260 (SOX) gewesen, die größte Reform der Corporate Governance der USA seit mehr als 70 Jahren,61 der wesentlich auf die Verschärfung der Haftung von Directors und Officers zielte. Die hohen Vergleichssummen und die damit einhergehenden Bekundungen aus der Politik wurden daher als Zeichen einer deutlichen Haftungsverschärfung für Outside Directors gesehen.62 54 Vgl. auch Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1036. 55 In re WorldCom, Inc. Securities Litigation, 346 F. Supp. 2d 628 (S.D.N.Y. 2004); In re Worldcom, Inc. Securities Litigation, 354 F. Supp. 2d 455 (S.D.N.Y. 2005). 56 Office of the President of the Unversity of California, Presseerklärung, UC reaches $ 168million settlement with Enron directors in securities fraud case (12. Januar 2005). 57 In re Enron Corporation Securities, Derivative & ERISA Litigation, 235 F. Supp. 2d 549 (S.D. Tex. 2002). 58 Office Of The New York State Comptroller, Presseerklärung, Hevesi Announces Historic Settlement – Former WorldCom Directors to Pay From Own Pockets (5. Januar 2005). Dieser Betrag umfasste allerdings nur einen kleinen Teil der Aktiengewinne, die die Directors mit Enron Aktien gemacht hatten, zudem wurden Immobilien und Altersversorgung nicht in die Berechnung des Gesamtprivatvermögens einbezogen. Stephen A. Radin, The Business Judgment Rule (2008), S. 460; Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1017. 59 Das Gesetz stand bereits kurz vor dem Erlass, als der Bilanzbetrug bei WorldCom am 25. Juni 2002 bekannt wurde. s. z. B. Simon Romero, WorldCom Facing Charges of Fraud; Inquiry Expanded, The New York Times (27. Juni 2002). 60 s. infra, Sarbanes-Oxley Act (zivilrechtliche Elemente) (S. 82). 61 In den Worten eines rechtswissenschaftlichen Artikels: „The Sarbanes-Oxley Act was a bombshell.“ John Patrick Kelsh, Section 304 of the Sarbanes-Oxley Act of 2002: The Case for a Personal Culpabiilty Requirement, 59 The Business Lawyer 1005 (2004), S. 1008. 62 Der Hauptkläger im Fall WorldCom war der größte Aktionär des Unternehmens, der New York State Common Retirement Fund („NYSCRF“), treuhänderisch vertreten durch den damaligen Comptroller des Staates New York, einen gewählten Politiker. Die Pressemitteilung seines Büros mit dem politisch wirksamen Titel „Hevesi Announces Historic Settlement – Former WorldCom Directors to Pay From Own Pockets“ lässt keinen Zweifel daran, dass mit dem Vergleich in WorldCom ein neues Zeitalter für die Boards of Directors der USA begonnen haben sollte: „The fact that we have achieved a settlement in which these former outside directors have agreed to pay 20 percent of their cumulative personal net worth sends a strong message to the directors of every publicly traded company that they must be vigilant guardians for the shareholders they represent. We will hold them personally liable if they allow management of
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1. Teil: Einführung
Dieser Eindruck hat sich langfristig gehalten, obwohl es seitdem keine vergleichbaren Zahlungen von Outside Directors oder ähnlich spektakuläre Haftungsfälle gegeben hat. Black et al. sprechen von „Abschreckung durch den gelegentlichen Blitzeinschlag“.63 Tatsächlich beruht die Angst vor persönlicher Haftung insbesondere von Outside Directors in den USA auf einer kleinen Anzahl ganz spezifischer Fällen. Die großen Prozesse der letzten Zeit lagen dagegen im Bereich der Wirtschaftskriminalität, außerhalb der Corporate Governance, z. B. das Ponzi Scheme des Bernard Madoff, das Insider Trading des Raj Rajaratnam.64 Selbst die Finanzkrise der späten 2000er Jahre hat für Outside Directors keine größeren Klagen aufgrund möglicher Verletzungen ihrer Aufsichtspflicht zur Folge gehabt, die zu substantieller persönlicher Haftung hätten führen können.
F. Grundlegende Unterschiede zwischen Deutschland und den USA Jeder Vergleich des deutschen und des amerikanischen Rechtssystems muss selbstverständlich einige grundsätzliche systemische Unterschiede beachten. Am augenfälligsten sind die unterschiedlichen Rechtskulturen des Common Law und des Römischen Rechts. Die historisch fehlende Kodifizierung führt in den USA selbst bei geschriebenen Gesetzen zu häufigerer und zunehmend tief gehender Überarbeitung durch die verschiedenen amerikanischen Gerichte. Die damit einhergehende detaillierte Ausarbeitung rechtlicher Konzepte durch die amerikanische Jurisprudenz65 ist in Deutschland weder vorgesehen noch erforderlich. Denn ein amerikanischer Richter muss auf eine unter Umständen jahrhundertelange Folge spezifischer Entscheidungen zurückblicken, die die Gesetze nicht nur inhaltlich deuten, sondern auch ihre Anwendbarkeit auf konkrete Situationen tatsächlich festlegen. Bestimmte Konzepte, die aus diesem Rechtssystem in ein anderes transplantiert werden, laufen so Gefahr, in ihrem neuen Rechtsumfeld missverstanden zu werden, da sie nur im Wortlaut aber ohne die dazugehörende Tradition der Deutung verpflanzt werden. the companies on whose boards they sit to commit fraud.“ NY Comptroller, Presseerklärung, Hevesi Announces Historic Settlement (5. Januar 2005). Hevesis Glaubwürdigkeit als Kämpfer gegen die Gier hielt nicht lange. Zwei Jahre später hatte er sich nicht nur der privaten Nutzung öffentlicher Mittel des Staates New York schuldig bekannt, sondern war auch der Teilnahme an einem spektakulären Korruptionskomplott um den NYSCRF überführt worden. Er wurde zu einer Haftstrafe verurteilt. John Eligon, Hevesi Sentenced to One to Four Years, The New York Times (15. April 2011). 63 „Deterrence by occasional lightning strike, we might call this.“ Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1140. 64 Vgl. z. B. Jed S. Rakoff, The Financial Crisis: Why Have No High-Level Executives Been Prosecuted?, The New York Review of Books (9. Januar 2014). 65 Der amerikanische Föderalismus kann dabei zu mehr als fünfzig verschiedenen Ausarbeitungen führen, die sich nicht nur nicht decken müssen, sondern die auf ähnliche Fragen gegensätzliche Antworten finden können.
F. Grundlegende Unterschiede zwischen Deutschland und den USA
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Ein solches Rechtsinstitut, das für die Corporate Governance von zentraler Bedeutung ist, ist die Business Judgment Rule, die als Vorbild für § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG diente, der im Jahr 2005 mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) eingeführt wurde.66 Aufgrund der anderen Ausrichtung der deutschen Regelung, der anderen Rahmenbedingungen und fehlenden ständigen richterlichen Feinabstimmung, die die Business Judgment Rule insbesondere im US-Staat Delaware erhält,67 hat die sogenannte „deutsche Business Judgment Rule“ aber nicht nur eine andere Wirkung, sondern schlägt auch eine grundlegend andere dogmatische Richtung ein als das amerikanische Vorbild.68 Ein weiteres Merkmal des amerikanischen Rechtssystems, seine Ausrichtung auf „procedure“ beispielsweise im Vertrags- und Strafprozessrecht, setzt sich auch in der Corporate Governance fort. So beruht die Haftung der amerikanischen Directors oder Officers weitgehend auf dem Prinzip, dass vor allem der Prozess der Entscheidungsfindung relevant ist, und das Ergebnis der getroffenen Entscheidung eine untergeordnete Rolle spielt.69 Auch das einwandfreie Funktionieren des Kapitalmarkts wird, zumindest prinzipiell, nur durch „procedural safeguards“ geschützt, insbesondere in Form von Offenlegungen.70 Konkrete Unterschiede zwischen dem amerikanischen und deutschen Rechtssystem, die nicht minder drastische Folgen für die Organhaftung haben, liegen zudem in der Prozesskultur und dem Ablauf von Zivil- und Strafprozessen des jeweiligen Landes. Hierzu gehören auch die Klagebereitschaft und -berechtigung von Aktionären, die in den USA in der Praxis häufig nicht von der Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche, sondern auch von den Vergütungsstrukturen für die Anwälte der Kläger getrieben werden. Auch im Straf- und Strafprozessrecht bestehen fundamentale Unterschiede von der Anklageerhebung über die Möglichkeiten der Beilegung bis hin zum Strafmaß, die trotz (auf den ersten Blick) ähnlicher Gesetze zu großen Unterschieden in der Haftungspraxis führen können. Haftungsschutzmechanismen wie Haftungsfreistellung und D&O-Versicherungen richten sich in ihrer Entwicklung zwangsläufig nach diesen spezifischen Gegebenheiten, doch sind sie zusätzlich auch von den gesellschafts- und versicherungsrechtlichen Eigenheiten der jeweiligen
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Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), Bundestag Drucksache 15/5092 (2005), S. 11. 67 Zur Bedeutung des Staates für das amerikanische Gesellschaftsrecht, s. infra, Bedeutung des Staates Delaware (S. 41). 68 s. infra, Die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland (§ 93 Abs. 1 Satz 2) (S. 128). 69 s. z. B. Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 7. s. insb. infra, Fazit: Unterschiede in der richterlichen Beurteilung gesellschaftsrechtlicher Pflichteinhaltung in Delaware und Deutschland (S. 174). 70 s. z. B. John C. Coffee/Hillary A. Sale/M. Todd Henderson, Treatise on the Law of Securities Regulation (2015), § 9:96.
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1. Teil: Einführung
Kultur abhängig, die weit über die offensichtlicheren Unterschiede im Gesellschafts-, Kapitalmarkt-, Straf- und Prozessrecht hinausgehen. Diese Unterschiede und ihre Auswirkungen auf das jeweilige System und auf den Vergleich der beiden Systeme werden im Folgenden tiefer erörtert.
2. Teil
US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance Zum Verständnis der amerikanischen Corporate Governance Haftung ist ein grundlegendes Verständnis ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen unabdingbar. An dieser Stelle sollen daher die wichtigsten Quellen der Corporate Governance dargelegt werden. Die in diesem Bereich besonders hervorgehobene Rolle der Rechtsprechung wird ebenfalls erörtert. Schließlich folgt eine Untersuchung der Vergleichbarkeit gesellschaftsrechtlich zentraler Figuren in den beiden Rechtssystemen, erst die Vergleichbarkeit der Corporation mit der Aktiengesellschaft, anschließend die der Directors und Officers mit Vorstand und Aufsichtsrat.
A. Rechtsgrundlagen der Corporate Governance im amerikanischen Recht Die Corporate Governance einer börsennotierten amerikanischen corporation, die der börsennotierten deutschen Aktiengesellschaft am ehesten zu vergleichen ist,1 ergibt sich aus drei wesentlichen Rechtsquellen: 1. dem Recht des US-Staates („state law“), in dem die Corporation ihren Rechtssitz hat, insbesondere dem Gesellschaftsrecht, 2. dem nationalen Recht („federal law“),2 insbesondere dem Kapitalmarkt-, aber auch Strafrecht, 3. der Satzung der Gesellschaft.
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s. infra, Die Corporation im Vergleich zur Aktiengesellschaft (S. 49). Die Haftung von Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft ist mit der Haftung der Directors und Officers einer Corporation zu vergleichen. 2 Obwohl das Präfix „bundes-“ eine geeignete Übersetzung des Adjektivs „federal“ ist, da beide den Kontrast zwischen der Ebene der nationalen Regierung und den einzelnen Staaten/ Bundesländern bezeichnen, wird in dieser Arbeit das Wort „federal“ nicht übersetzt, da es ein so fester und spezifischer Begriff des amerikanischen Rechts ist und Bezüge auf „bundes-“ für einen deutschen Leser möglicherweise zu sehr durch ein deutsches Rechtsverständnis geprägt wären.
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
Alle drei dieser Quellen können die Haftung der Directors und Officers einer Corporation beeinflussen und werden im Folgenden näher erläutert, soweit für die Corporate Governance Haftung relevant.3
I. State Law 1. Gesellschaftsrechtliche Grundsätze Anders als in Deutschland ist nationales Recht in den USA historisch die Ausnahme. Erst im Laufe der Geschichte wurde seine Zuständigkeit durch die Verfassungsrechtsprechung des U.S. Supreme Court immer weiter ausgedehnt.4 Das Gesellschaftsrecht wird in den USA grundsätzlich auf Ebene des einzelnen Staates festgelegt, da es keiner der in der Verfassung festgelegten Regelungskompetenzen des nationalen Rechts zugeordnet werden kann.5 Das „State Law“ liegt nicht nur legislativ, sondern auch im Hinblick auf die Rechtsprechung in der abschließenden Hoheit des einzelnen Staates. Die USA verfügen aus diesem Grund nicht über ein einheitliches Gesellschaftsrecht, das für Unternehmen in unterschiedlichen Staaten die gleichen rechtlichen Rahmenbedingungen schafft. Vielmehr verfügt jeder Staat über sein eigenes Gesellschaftsrecht, das die Gerichte des jeweiligen Staates ggf. schon seit über zweihundert Jahren intensiv interpretieren und erweitern, ohne dabei Rücksicht auf Entwicklungen in anderen Staaten nehmen zu müssen. Von Staat zu Staat bestehen entsprechend große Unterschiede und sogar Widersprüche.6 Da Unternehmen häufig in mehr als einem Staat Geschäfte tätigen und zudem nicht verpflichtet sind, ihren tatsächlichen Unternehmenssitz im Staat ihres Rechtssitzes (ihrem „state of incorporation“) zu haben, könnten somit mehrere Staaten ihre Zuständigkeit für dort tätige Unternehmen geltend machen und widersprüchliche gesellschaftsrechtliche Vorgaben durchsetzen. Um dieser Situation vorzubeugen, hat sich im amerikanischen Recht die sogenannte „internal affairs doctrine“ etabliert. Sie besagt, dass die internen Angelegenheiten einer Corporation, die Beziehungen zwischen der Corporation und ihren Directors, Officers und Aktionären, sowie diesen Gruppen untereinander,7 ausschließlich den Gesetzen des State of Incorporation unterstehen,8 um den Aktionären ein einheitliches Rechts3 Eine weitere, wichtige Quelle in anderen Bereichen der Corporate Governance für börsennotierte Gesellschaften sind die Regeln der jeweiligen Börsen, die hier nicht betrachtet werden. 4 s. z. B. Lawrence M. Friedman, A History of American Law (2005), S. 397 ff. 5 U.S. Const., amend. X. s. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:96. 6 Vgl. z. B. VantagePoint v. Examen, Inc., 871 A.2d 1108 (Del. 2005), S. 1113 ff. 7 Edgar v. MITE Corp., 457 U.S. 624 (1982), S. 645. 8 CTS Corp. v. Dynamics Corp. of America, 481 U.S. 69 (1987), S. 89; The American Law Institute (Hrsg.), Restatement of Conflicts of Laws (Second), The American Law Institute
A. Rechtsgrundlagen der Corporate Governance im amerikanischen Recht
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umfeld zu garantieren9 und verfassungswidrigen Einschränkungen des freien Handels innerhalb der USA vorzubeugen.10 Der U.S. Supreme Court hat die Internal Affairs Doctrine mehrfach bestätigt und als unumstößlichen Grundsatz des amerikanischen Wirtschaftsrechts bezeichnet.11 2. Bedeutung des Staates Delaware Da ein wesentlicher Teil aller in den USA börsennotierten Unternehmen und zwei Drittel der 500 größten amerikanischen Unternehmen (der „Fortune 500“) ihren rechtlichen Sitz im Staat Delaware haben,12 ist das Recht des Staates für eine Betrachtung der amerikanischen Corporate Governance wichtiger, als die irgendeines anderen Staates. Der Staat, der mit knapp 900.000 Einwohnern13 zu den kleinsten Staaten der USA zählt,14 ist bekannt und insbesondere bei Unternehmen auch beliebt für seine Steuerstruktur, seine als wirtschaftsfreundlich bekannte Verwaltung und seine als professionell und wirtschaftlich fachkundig anerkannten Richter, die selbst auf der untersten Instanz, dem Court of the Chancery (oder Chancery Court), so fundierte und ausgearbeitete Urteile erlassen, dass Parteien ihr Verhalten und ihre Verträge in Zukunft so anpassen können, dass sich Klagen weitgehend vermeiden lassen.15 Eine Analyse des Chancery Courts bezeichnete ihn als „an unusual and remarkably effective regulatory machine“, nicht zuletzt aufgrund der großen Zahl und Dichte an Wirtschaftsfällen, die den Chancery Court in die Lage versetzen, die Rechtsprechung zu Wirtschafts- und Gesellschaftsrecht in Delaware ständig weiterzuentwickeln.16 Die Richter des Chancery Courts (ein vorsitzender Chancellor und vier Vice Chancellors) vertiefen und entwickeln das Gesellschaftsrecht so
(1971), §§ 302 – 310 & 313; In re Topps Co. Shareholders Litigation, 924 A.2d 951 (Del. Ch. 2007), S. 953: „The paramount interest is ensuring that the interests of the stockholders in the fair and consistent enforcement of their rights under the law governing the corporation are protected.“ 9 Topps II, 924 A.2d 951 (2007), S. 953. 10 MITE, 457 U.S. 624 (1982), S. 643 f. 11 „No principle of corporation law and practice is more firmly established than a State’s authority to regulate domestic corporations …“. CTS Corp. v. Dynamics Corp. of America, 481 U.S. 69 (1987), S. 89. 12 Delaware Secretary of State, Delaware Division of Corporations 2017 Annual Report (2018). 13 U.S. Census Bureau, 2010 Census Interactive Population Search – Delaware (2011). 14 U.S. Census Bureau, Population Distribution and Change, 2010 Census Briefs (2011), S. 2. 15 Myron T. Steele/J. W. Verret, Delaware’s Guidance: Ensuring Equity for the Modern Witenagemot, 2 Virginia Law & Business Review 189 (2007), S. 207. 16 William Savitt, The Genius of the Modern Chancery System, 2012 Columbia Business Law Review 570 (2012), S. 585.
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
proaktiv, dass sie in ihrer Wirkung fast eher einer Legislative als einer Judikative ähneln.17 Der Chancery Court ist ein Relikt aus dem britischen System, das in die Neue Welt importiert wurde.18 Ein englischer Chancery Court war ein „court of conscience“,19 dessen Richtern die Krone größeren Freiraum gewährt hatte, fair und gerecht zu urteilen, auch über den genauen Wortlaut der damals sehr starren und unveränderlichen Gesetze hinaus.20 Auch in den jungen Vereinigten Staaten hatten Gerichte dieser Art die Aufgabe, Gesetze auf Basis ihres grundlegenden Sinns zu interpretieren.21 So sind die Pflichten, die die Directors und Officers dem Unternehmen schulden, („fiduciary duties“) beispielsweise ein Geschöpf dieses als „equity“ oder „equitable“ bezeichneten Rechtsbereichs, denn sie entspringen dem gesetzfreien Raum zwischen fairen und offenkundig wünschenswerten Ergebnissen auf der einen Seite und den damaligen englischen Treuhändergesetzen auf der anderen. Jene Gesetze sprachen Treuhändern beispielsweise absolute Eigentumsrechte über das ihnen anvertraute Vermögen zu, so dass den Begünstigten keinerlei Rechtsmittel zur Verfügung standen.22 Aus diesem Missstand begannen Richter der damaligen englischen Chancery Courts Fiduciary Duties zu entwickeln, die den Sinn des Treuhänderrechts besser erfüllten als eine rigide Anwendung der einzelnen Gesetze es getan hätte.23 Noch immer ist der Chancery Court für alle Fragen des Gesellschaftsrechts für Unternehmen mit Rechtssitz in Delaware zuständig, insbesondere für Fragen der Fiduciary Duties der Directors und Officers.24 Für die Corporate Governance und die Haftung der Directors und Officers ist er von entsprechend großer Bedeutung.25 17 s. z. B. Jill E. Fisch, Measuring Efficiency in Corporate Law: The Role of Shareholder Primacy, 31 Journal of Corporation Law 637 (2005), S. 667. 18 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 479. 19 J. H. Baker, An Introduction to English Legal History (2005), S. 103. 20 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 481. 21 Clark v. Smith, 38 U.S. 195 (1839), S. 203, Mitchell v. Robert DeMario Jewelry, 361 U.S. 288 (1960), S. 292. 22 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 481. 23 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 481. 24 Der Delaware Superior Court dagegen ist statt „equity“ für Fragen von „law“ zuständig, das alle anderen Fragen des generellen Zivilrechts umfasst. Kläger, die ein Unternehmen mit Rechtssitz in Delaware anders als gesellschaftsrechtlich belangen wollen, könnten dies im Delaware Superior Court tun. Da sie ihre Klage in diesen Fällen allerdings auch in anderen, womöglich als klägerfreundlich bekannten Staaten einreichen können, spielt der Delaware Superior Court nicht die gleiche Rolle für das Wirtschaftsrecht wie der Chancery Court. 25 McMahon v. New Castle Associates, 532 A.2d 601 (Del. Ch. 1987), S. 604: „Among the most ancient of headings under which chancery’s jurisdiction falls is that of fiduciary relationships.“ Zur Entwicklung in Delaware, die zu dieser prominenten Rolle geführt hat, s. auch z. B. William W. Boyer/Edward Ratledge, Delaware Politics and Government (2009), S. 20 ff. Eine Studie aus dem Jahr 2006 fand allerdings, dass die sich die Präferenz für Delaware als Gerichtsstand vor allem aus der Präferenz für Delaware als State of Incorporation ergab.
A. Rechtsgrundlagen der Corporate Governance im amerikanischen Recht
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Die Kammer des Chancery Courts hat keine Jury, da in den Fragen der Equity per Definition keine Jury in der Verfassung des Staates vorgesehen ist.26 Seine Richter entstammen in häufig den erfahrenen Partnerrängen der renommiertesten Kanzleien des Staates.27 Die große Mehrheit der Fälle erhält eine richterliche „opinion“, also ein ausführlich begründetes Urteil, aus dem sich die Auslegung des Rechts klar und gründlich ersehen lässt.28 Im Unterschied zu anderen US-Staaten, ist das Recht des Staates Delaware entsprechend intensiv belegt und bietet ein hohes Maß an Rechtssicherheit. Obwohl es immer wieder zu kontroversen Fragestellungen kommt, lösen die Urteile selten Vorwürfe über ungerechte Behandlung bei den Streitparteien aus, wie dies in den USA, insbesondere bei Jury Prozessen, sonst häufig der Fall ist. Revisionen oder Berufungen von Urteilen des Chancery Courts werden vor dem Delaware Supreme Court verhandelt, dem höchsten Gericht des Staates, das mit ebenfalls fünf erfahrenen Juristen besetzt ist. Anders als sonst üblich, gibt es keine zwischengelagerte Instanz und der gegenseitige juristische Respekt der Gerichte lässt sich aus vielen Urteilen ablesen. Dank der Vorreiterrolle des Staates Delaware müssen der Chancery Court und der Delaware Supreme Court immer wieder die aktuellsten rechtlichen Fragen „straight from the headlines“ beantworten. Sie leisten einen wesentlichen Beitrag dazu, dem amerikanischen Wirtschaftsrecht nach jedem Skandal und jeder Krise wieder eine solide Grundlage zu geben.29 In den letzten Jahren zeichnet sich zunehmend ab, dass die Hegemonie des Staates Delaware in Fragen des Wirtschaftsrechts zu schwanken beginnt und andere USStaaten für Unternehmen zunehmend attraktiv werden.30 Die „Flucht aus DelaWeniger Corporations wählten Delaware, wenn sie den Gerichtsstand für vertragliche Auseinandersetzungen frei wählen konnten, als wenn es um die Wahl des State of Incorporation ging. Theodore Eisenberg/Geoffrey P. Miller, Ex Ante Choices of Law and Forum: An Empirical Analysis of Corporate Merger Agreements, 59 Vanderbilt Law Review 1973 (2006), S. 1982. 26 In re Oakwood Homes Corp., 378 B.R. 59 (Bankr. D. Del. 2007), S. 66. Die Frage der Jury ist in Delaware ungewöhnlich kompliziert, allerdings für Fragen der Fiduciary Duties, die für diese Arbeit relevant sind, endgültig geklärt, solange keine Entschädigungszahlungen gefordert werden. Für die Analyse, ob eine Jury verfassungsrechtlich vorgeschrieben ist, musste das Gericht in Oakwood Homes unter anderem feststellen, ob die vorliegende Klage unter dem englischen Common Law des 18. Jahrhunderts als „legal“ oder „equitable“ bezeichnet worden wäre, eine Unterscheidung, die Juristen seit Jahrhunderten beschäftigt. 27 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 16. Delaware schützt die Exklusivität und Profitabilität seiner Anwaltschaft unter anderem mit protektionistischen Zulassungsbestimmungen, so dass die relativ kleine Gruppe der dort ansässigen Kanzleien an nahezu jedem Prozess vor dem Chancery Court beteiligt ist und über einen entsprechend außerordentlichen Erfahrungsschatz verfügt. 28 Vgl. auch Boyer, Ratledge, Delaware (2009), S. 19. 29 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 477. 30 John Armour/Bernard S. Black/Brian R. Cheffins, Is Delaware Losing Its Cases?, 9 Journal of Empirical Legal Studies 605 (2012); Bainbridge, Corporate Governance after the
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
ware“31 sollte insbesondere für den ausländischen Betrachter des amerikanischen Wirtschaftsrechts nicht überbewertet werden. Die Gerichte des Staates sind nicht grundlos als „the Mother Court of corporate law“ bezeichnet worden32 und insbesondere in Fragen der Corporate Governance werden die Urteile des Chancery Court noch lange wesentliche Antworten geben. Die Gesetze und die Rechtsprechung Delawares werden daher die wesentliche einzelstaatsrechtliche Grundlage für das hier betrachtete amerikanische State Law bilden.
II. Federal Law Das Federal Law, das von der nationalen Legislative (dem U.S. Congress, im Weiteren „Kongress“) erlassen wird, gilt über die Grenzen der Einzelstaaten hinweg, doch da die Verfassung der Vereinigten Staaten den Einzelstaaten ein hohes Maß an Autonomie gewährt, erstreckt sich die Regelungskompetenz des Kongresses dabei über nur wenige Bereiche. Die sogenannte „Commerce Clause“ ermächtigt sie allerdings, alle Sachverhalte gesetzlich zu regeln, die den „interstate commerce“ betreffen.33 Hierzu gehören alle Aktivitäten, die Handel und Kommunikation über die Grenzen der Staaten hinweg betreffen, sowie die „instrumentalities and channels“, die dafür nötig sind („instrumentalities and channels of interstate commerce“).34 Ein klares Beispiel des Interstate Commerce ist der Handel von Wertpapieren, selbst wenn sich Käufer und Verkäufer nicht in verschiedenen Staaten befinden, solange zum Handel national aktive Börsen, die nationalen Telefon- und Datennetze oder andere Instrumentalities and Channels of Interstate Commerce verwendet Crisis (2012), S 21 ff. Zu den jüngsten Entwicklungen s. auch infra, Entwicklungen der Shareholder Representative Actions (S. 223). 31 Eisenberg/Miller, Ex Ante Choices of Law and Forum, 59 Vand. L. Rev. 1973 (2006), S. 1973 („flight from Delaware“). 32 Kamen v. Kemper Financial Services, Inc., 908 F.2d 1338 (7th Cir. 1990), S. 1343. 33 Auch „Public Company Accounting Reform and Investor Protection Act of 2002“, kodifiziert an verschiedenen Stellen des U.S. Code. 34 Dies gilt auch, wenn diese „instrumentalities of interstate commerce“ in einer spezifischen Situation nur innerhalb eines einzigen Staates eingesetzt werden. Benutzt beispielsweise ein Einwohner eines Staates das nationale Telefonnetz, um einen anderen Einwohner des gleichen Staates anzurufen, gelten für diesen Anruf und diesen Abschnitt des Netzes dennoch das Federal Law und die Regelungskompetenzen der nationalen Behörden. Auch Bahnhöfe und Flughäfen, die in nur einem Staat liegen, gelten als Instrumentalities of Interstate Commerce, da sie fest in den Interstate Commerce eingebunden sind. 29 C.F.R. § 776.29. Die Grenzen der Commerce Clause sind noch immer ein verfassungsrechtlich kontroverses Thema. Der U.S. Supreme Court hat in jüngerer Vergangenheit mehrfach Gesetze des Federal Law für verfassungswidrig erklärt, da er ihren Inhalt von der Commerce Clause nicht gedeckt sah. s. z. B. Lopez v. United States, 514 U.S. 549 (1995) (Regulierung von Handfeuerwaffen an Schulen muss den einzelnen Staaten überlassen bleiben); Morrison v. United States, 529 U.S. 598 (2000) (nur die einzelnen Staaten können Gewalt im häuslichen Umfeld ahnden). Ihre Geltung für den Kapitalmarkt ist dagegen unstreitig.
A. Rechtsgrundlagen der Corporate Governance im amerikanischen Recht
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werden.35 Das für die Corporate Governance Haftung im Zusammenhang mit börsennotierten Unternehmen so wichtige Kapitalmarktrecht ist daher ein fest etablierter Bestandteil des Federal Law. Insbesondere seit den 1930er Jahren, als den Skandalen von 1929 mit bahnbrechender Gesetzgebung, dem Securities Act of 193336 („Securities Act“) und dem Securities Exchange Act of 193437 („Exchange Act“), begegnet wurde, ist das Kapitalmarktrecht ein fester Teil des Federal Law. Die einzelnen Staaten verfügen nach wie vor über ihre eigenen Kapitalmarktgesetze (die sogenannten „Blue Sky Laws“), die grundsätzlich mit dem Kapitalmarktrecht des Federal Law koexistieren und nur in spezifischen Fällen dadurch gänzlich ausgeschlossen werden.38 Aufgrund seiner Einheitlichkeit und Bedeutung für den Kapitalmarkthandel in allen Staaten, bietet das Federal Law für die Betrachtung der Corporate Governance insbesondere in einem internationalen Vergleich aber die wesentliche Grundlage. Die Philosophie des nationalen Kapitalmarktrechts beruht auf Offen- statt Festlegung, die das Verhalten von Emittenten im höheren Maße durch Transparenz statt durch Normierung regelt.39 Allerdings haben die verschiedenen Krisen und Skandale der letzten Jahrzehnte verstärkt auch zur Normierung geführt.40 So greift das Kapitalmarktrecht des Federal Law – durchgesetzt vor allem auch durch die SEC – ausgelöst durch die Skandale der frühen 2000er Jahre und dem aus ihnen hervorgegangenen Sarbanes-Oxley Act of 200241 (SOX) erstmalig mit aktiven Verpflichtungen in den Kern der Unternehmensführung und das Gesellschaftsrecht der Einzelstaaten ein,42 beispielsweise durch eine Stärkung des Prüfungsausschusses des Board of Directors und Änderungen einiger Berichtslinien.43 Auch der Dodd-Frank 35 15 U.S.C. § 78c(a)(17). s. z. B. Herman Goralnik, Securities as Subjects of Interstate Commerce, 19 St. Louis Law Review 69 (1933). 36 Kodifiziert unter U.S.C. 15 U.S.C. § 77a ff. 37 Kodifiziert unter U.S.C. 15 U.S.C. § 78a ff. 38 Louis Loss/Joel Seligman/Troy A. Paredes, Fundamentals of Securities Regulation (2011), S. 77. Vgl. auch z. B. CTS Corp. v. Dynamics Corp. of America, 481 U.S. 69 (1987), S. 79. 39 Louis D. Brandeis, Other People’s Money and How the Bankers Use It (1914), S. 92 („Sunlight is said to be the best of disinfectants; electric light the most efficient policeman.“); Huston Thompson, Regulation of the Sale of Securities in Interstate Commerce, 9 American Bar Association Journal 157 (1923). Vgl. auch Loss, Fundamentals of Securities Regulation (2011), S. 46 ff. Aber s. auch Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 35. 40 Roberta Romano, Does the Sarbanes-Oxley Act Have a Future?, 26 Yale Journal on Regulation 229 (2009), S. 231 & 236. 41 Kodifiziert an verschiedenen Stellen des U.S. Code. Vgl. Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:16. 42 Roberta Romano, The Sarbanes-Oxley Act and the Making of Quack Corporate Governance, 114 Yale Law Journal 1521 (2005), S. 1532. Zur Entwicklung von Corporate Governance in State und Federal Law vor SOX, s. auch z. B. Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 28 ff. 43 s. infra, Audit Committee (S. 93).
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
Act verstärkte die durch SOX eingeführten persönlichen Konsequenzen von Fehlverhalten für Directors und Officers in einigen Situationen.44 Auch andere für die Corporate Governance Haftung wichtige Rechtsbereiche werden durch das Federal Law erfasst, viele von ihnen auch durch Strafgesetze. Obwohl die einzelnen Staaten in vielen Fällen über spezifische eigene Gesetze zu diesen Themen verfügen,45 fallen beispielsweise Umwelt- und Produkthaftung, sowie damit verbundene Straftaten, in die Zuständigkeit des Federal Law, da sie nationale Ressourcen und Märkte betreffen. Auch das Kartellrecht ist Bestandteil des Federal Law. Im Steuer- und Strafrecht verfügen sowohl das State Law als auch das Federal Law über ein eigenes Recht, da die Verfassung dem Kongress eine separate Steuerhoheit gewährt.46 Im inzwischen sehr breiten Bereich des Wirtschaftsstrafrechts des Federal Law47 ist die Rechtfertigung der Zuständigkeit des Kongresses, wie beispielsweise durch eine Verbindung zum Interstate Commerce, nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich. Tatsächlich gehören die hier relevanten Straftatbestände entweder einem ohnehin durch das Federal Law geregelten Rechtsbereich wie dem Kapitalmarktrecht an oder die Straftat beruht auf der Nutzung einer Instrumentality of Interstate Commerce, wie des Telefon- bzw. Datennetzwerks. Schließlich ergeben sich einige Straftatbestände des Federal Law, wie Behinderung der Justiz oder Meineid, aus separaten Ermittlungen oder Verfahren, die von den Behörden der US-Regierung („federal agencies“) durchgeführt werden. Vergleichbare Handlungen im Zusammenhang mit einem Verfahren nach State Law würden durch die entsprechenden Gesetze im State Law geahndet.48 Das Federal Law betrifft das Individuum direkt und seine Durchsetzung und die Ahndung von Verstößen obliegt den Federal Agencies.49 Die Behörden der einzelnen 44
s. z. B. infra, Clawbacks von diskretionärer Vergütung und Kapitalerträgen (S. 272). Diese Gesetze dürfen den Interstate Commerce nicht beeinträchtigen und sind im Falle eines Konflikts dem Federal Law nachgeordnet. 46 U.S. Const., art. I, § 8, cl. 1. 47 Vgl. auch infra, Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts (S. 285). 48 Gleiches gilt auch für andere Straftatbestände, die per se keine Verbindung zum Federal Law haben. Für Tötungsdelikte ist beispielsweise generell der Einzelstaat zuständig, da sie nur in einem einzigen Staat verübt werden. Dennoch können sie in die Zuständigkeit der federal Behörden fallen, wenn es sich beispielsweise beim Opfer um ein Mitglied des nationalen Staatsapparats handelt (z. B. ein Mitglied des Kongresses oder der nationalen Strafverfolgungsbehörden), die Tat in einer federal Einrichtung verübt wurde (z. B. ein Regierungsgebäude oder Militärgelände), oder, wie auch im Wirtschaftsstrafrecht, im Zusammenhang mit einer Straftat begangen wurde, die aus anderen Gründen unter das Federal Law fällt (z. B. Drogenhandel oder Entführungen über Staatsgrenzen hinweg). 49 New York v. United States, 505 U.S. 144 (1992), S. 166. Die Gründungsväter der USA entschieden sich bewusst dagegen, das Federal Law durch die Einzelstaaten durchsetzen zu lassen, da sie fürchteten, die nationale Regierung könnte die Staaten nicht ohne Gewalt zur Durchsetzung des Federal Law motivieren. 45
B. Rolle der Rechtsprechung
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Staaten verfügen hier über keine Befugnisse. Umgekehrt haben die Federal Agencies keine Kompetenzen in Fragen des State Law.50 Diese Trennung der Zuständigkeiten schließt die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Behörden selbstverständlich nicht aus, insbesondere bei Verstößen sowohl gegen das State als auch das Federal Law.
III. Satzung der Corporation Über die bereits genannten Gesetze hinaus können viele der im Innenverhältnis relevanten Pflichten auch durch die Satzung eines Unternehmens („charter“ oder „articles of incorporation“) aufgrund der Vertragsfreiheit der Gesellschafter frei geändert werden.51 Die unter dem Aspekt der Haftung von Directors und Officers vielleicht wichtigste Klausel einer Satzung nach Delaware Recht mit Blick auf die Haftung von Directors und Officers beruht auf § 102(b)7 des Delaware General Corporation Law und stellt die Fiduciaries im Innenverhältnis auch von grob fahrlässigen Verletzungen der Sorgfaltspflichten frei.52
B. Rolle der Rechtsprechung Das für die Corporate Governance relevante Gesellschaftsrecht ist in den USA nur im geringen Maße kodifiziert. Die Pflichten der Directors und Officers von amerikanischen Unternehmen werden in geschriebenen Gesetzen, wenn überhaupt, nur sehr generell behandelt.53 Die Rolle der Gerichte ist für die amerikanische Corporate Governance daher von entscheidender Bedeutung. Die Maßgaben des sogenannten „common law“, wie es in den USA praktiziert wird, sehen vor, dass richterliche Interpretationen von Gesetzen aufeinander aufbauen müssen und innerhalb ihrer Jurisdiktionen universale Gültigkeit haben. Die spezifischen Fakten des jeweiligen Falls sind dabei ausschlaggebend. Das ranghöhere Gericht hat bei widersprüchlichen Interpretationen den höheren Präzedenzwert. Urteile von Gerichten aus anderen Jurisdiktionen können zwar in Betracht gezogen werden, müssen die Richter aber nicht beeinflussen oder gar leiten. Die gerichtliche Zuständigkeit folgt der Zuständigkeit des State Law beziehungsweise des Federal Law. Für Fragen des Federal Law sind grundsätzlich nationale Gerichte („federal courts“) zuständig, in erster Instanz die U.S. District 50
Vgl. z. B. John P. Dwyer, The Role of State Law in an Era of Federal Preemption: Lessons from Environmental Regulation, 60 Law and Contemporary Problems 203 (1997), S. 215 ff. 51 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 2. 52 s. supra, Haftungskultur der USA (S. 32) und infra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 53 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 1.
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
Courts, in zweiter Instanz die U.S. Courts of Appeals, die jeweils für eins von zwölf geographischen Gebieten („Circuits“) zuständig sind,54 und in letzter Instanz der Supreme Court of the United States (oder „U.S. Supreme Court“).55 Für gesellschaftsrechtliche Fragen sind hingegen die Gerichte der einzelnen Staaten („state courts“) zuständig und, solange sie nur das Recht des eigenen Staates betreffen, können sie nur unter bestimmten Umständen an die Federal Courts weitergegeben werden.56 In diesen Fällen muss sich der betreffende Federal Court allerdings nach dem Gesetz des Staates und der Rechtsprechung der Gerichte des Staates richten. Den höchsten Präzedenzwert in Fragen des State Law hat der höchste State Court,57 nicht ein Federal Court. Lediglich wenn das Urteil eines höchsten State Courts gegen ein nationales Gesetz oder die Verfassung der USAverstößt, kann es zur Revision („appeal“) am U.S. Supreme Court kommen.58 Es ist dem U.S. Supreme Court überlassen, die Revision anzunehmen oder abzulehnen – in jedem Fall beschränkt sich seine Zuständigkeit ausschließlich auf die Betrachtung der Verletzung des jeweiligen US-Gesetzes durch das Urteil, nicht auf die ursprüngliche Verletzung des State Law. Sollte der U.S. Supreme Court feststellen, dass das State Law und das Urteil kein US-Gesetz verletzt haben, muss das Urteil des State Courts bestehen bleiben.59
54 Der 13th Circuit Court of Appeals für den „Federal Circuit“ hat dabei nicht geographische sondern inhaltliche Zuständigkeit über bestimmte Rechtsbereiche, beispielsweise das Patentrecht. s. z. B. David Schwartz, Two New Federal Courts, 68 American Bar Association Journal 1091 (1982), S. 1091. 55 Der U.S. Supreme Court wird häufig als „Verfassungsgericht“ der USA bezeichnet. Dieser Vergleich ist nicht korrekt, da der U.S. Supreme Court nicht nur Verfassungsklagen behandelt. Gleichzeitig werden Verfassungsfragen, wie alles Federal Law, zunächst von den U.S. District Courts, in zweiter Instanz von den U.S. Circuit Courts of Appeals und erst in letzter Instanz vom U.S. Supreme Court beantwortet. Hierzu gibt es nur einige spezifische Ausnahmen wie Dispute zwischen zwei Staaten, die ohne Umwege direkt vom U.S. Supreme Court entschieden werden können. 56 Hierzu gehören Fälle, in denen die Streitparteien Bürger unterschiedlicher Staaten sind, um einem möglichen „Heimvorteil“ einer Partei vorzubeugen. U.S. Const., art. III, § 2, cl. 1. Vgl. z. B. Henry J. Friendly, The Historic Basis of Diversity Jurisdiction, 41 Harvard Law Review 483 (1928). 57 Der Staat New York benutzt zum Beispiel den Ausdruck „Supreme Court“ für die erste Instanz und „Court of Appeals“ für die höchste. 58 28 U.S.C. § 1257. 59 28 U.S.C. § 1257.
C. Gesellschaftsrechtliche Strukturen in Deutschland und den USA
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C. Vergleichbarkeit gesellschaftsrechtlicher Strukturen in Deutschland und den USA Um die Bedeutung des amerikanischen Beispiels für die deutsche Diskussion beurteilen zu können, bedarf es der Klärung der Vergleichbarkeit der wesentlichen Beteiligten.
I. Die Corporation im Vergleich zur Aktiengesellschaft Das amerikanische Gegenstück der deutschen Aktiengesellschaft („AG“) ist die corporation. Aufgrund ihrer Haftungsbeschränkung für Aktionäre ist sie die Gesellschaftsform der börsennotierten Unternehmen in den USA. Die Gesetze um die Corporation sind allerdings deutlich weniger spezifisch als das Aktiengesetz, auch die deutsche Gesellschaft mit beschränkter Haftung („GmbH“) würde nach amerikanischem Rechtsverständnis als „Corporation“ bezeichnet werden.60 Wie eine AG und eine GmbH zeichnet sich die Corporation vor allem dadurch aus, dass ihre Aktionäre nicht über ihre Investition hinaus für die Schulden der Gesellschaft haften und die Gewinne der Gesellschaft auf der Ebene der Gesellschaft, nicht des Aktionärs besteuert werden.61 Vor allem in diesen zwei Aspekten (Haftungsbeschränkung und Besteuerung) unterscheidet sich die Corporation von anderen amerikanischen Gesellschaftsformen62 wie der limited liability corporation63 oder den verschiedenen Arten der Partnerschaften (z. B. limited partnership, limited liability partnership).64
60 Viele Unterschiede, die das deutsche Recht zwischen AG und GmbH macht, wie die Fungibilität der Anteile, sind im amerikanischen Recht der Satzung und den Gesellschaftern der Corporation überlassen. Ob eine Corporation also eher mit einer GmbH oder einer AG zu vergleichen ist, hängt von der einzelnen Gesellschaft ab. 61 26 U.S.C. § 11(a). 62 Alle hier erwähnten Begriffe beruhen auf den Gesetzen des Staates Delaware. Während viele Staaten ähnliche Gesellschaftsformen vorsehen, können sich deren Namen und genaue Beschaffenheit sehr unterscheiden. Für einen Überblick über die Gesellschaftsformen des Staates, s. State of Delaware, Division of Revenue, Legal Business Structures Table. 63 Diese LLC wird häufig aufgrund der direkten Übersetzung fälschlich einer deutschen „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ gleichgesetzt. Jede Corporation ist haftungsbeschränkt, eine LLC zeichnet sich hingegen unter anderem dadurch aus, dass ihre steuerliche Behandlung und Art der Geschäftsführung denen einer Partnerschaft gleichen können. Die Anteile einer LLC können, wie bei einer GmbH, nicht frei veräußert werden, dies kann, wie bereits erwähnt aber auch für eine Corporation gelten. 64 Der Begriff „Corporation“ bezieht sich hier (wie auch im allgemeinen Sprachgebrauch) auf die sogenannte C-Corporation, nicht beispielsweise auf eine sogenannte S-Corporation. Da der größte Unterschied zwischen der C- und der S-Corporation in Delaware in der direkten Besteuerung der Aktionäre der S-Corporation liegt (die daher auch nicht so zahlreich sein können, wie bei einer C-Corporation), ist die S-Corporation deutlich seltener, für börsennotierte Unternehmen ungeeignet und mit der Aktiengesellschaft in Deutschland nicht vergleichbar.
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
Selbstverständlich bestehen auch wichtige Unterschiede bezüglich der Vergleichbarkeit einer amerikanischen Corporation und einer deutschen Aktiengesellschaft. Neben zahlreichen technischen gesetzlichen Regelungen im jeweiligen System, liegen die zwei wesentlichen Differenzen mit Blick auf die Corporate Governance, in der One-Tier Struktur des amerikanischen Board of Directors im Vergleich zur deutschen Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat als separate Organe und in der deutschen Mitbestimmung bei Aktiengesellschaften. Ungeachtet dieser Unterschiede, die es auch bei der Corporate Governance zu beachten gibt, finden sich unter börsennotierten Unternehmen genügend Gemeinsamkeiten, um einen Vergleich zu ermöglichen.
II. Directors und Officers im Vergleich zu Vorstand und Aufsichtsrat Einer der wesentlichsten Grundsätze des Gesellschaftsrechts in Delaware ist, dass die Directors die Corporation führen.65 Prinzipiell ist das Board of Directors somit zunächst dem Vorstand einer Aktiengesellschaft gleichzusetzen, der ebenfalls nach dem Prinzip der Fremdorganschaft die Gesellschaft „unter eigener Verantwortung leitet.“66 In der Praxis delegiert aber die Satzung, insbesondere der großen börsennotierten Gesellschaften, das Tagesgeschäft der Gesellschaft vom Board of Directors, das in der Regel nur wenige Male im Jahr zusammenkommt und das Mandat als Nebentätigkeit ausübt, an eine Gruppe von Officers, die diese Aufgabe in Vollzeit und in aller Regel für eine deutlich höhere Vergütung übernehmen.67 Das Board of Directors hat in dieser Beziehung Ähnlichkeiten mit dem deutschen Aufsichtsrat, der die Handlungen der Geschäftsführung überwacht.68 Doch obwohl auch der Aufsichtsrat in Sondersituationen wie zum Beispiel Übernahmen erhöhte Verantwortung und sogar Zustimmungspflichten haben kann,69 behält das amerikanische Board of Directors eine Entscheidungsgewalt, die dem deutschen Aufsichtsrat fremd ist.70 65 Aronson v. Lewis, 473 A.2d 805 (Del. 1984), S. 811. Das Delaware General Corporation Law lautet hierzu: „The business and affairs of every corporation organized under this chapter shall be managed by or under the direction of a board of directors, except as may be otherwise provided in this chapter or in its certificate of incorporation.“ DGCL § 141(a). 66 § 76 Abs. 1 AktG. s. z. B. Marcus Lutter/Gerd Krieger/Dirk A. Verse, Die Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (2014), Rn. 3. 67 Vgl. Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 45. 68 Es herrscht aber aufgrund der Geschäftsleitungskompetenz des Board of Directors keine Gleichberechtigung zwischen Directors und Officers, anders als zwischen Vorstand und Aufsichtsrat. Spindler, Vorbemerkung, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42. 69 s. infra, Pflichten in der Übernahmesituation (S. 165). 70 Die Mitbestimmung deutscher Aufsichtsräte steht in den Augen großer Teile des Schrifttums der größeren Einbindung des Aufsichtsrates in die Geschäfte des Unternehmens entgegen, da größerer Einfluss des Aufsichtsrates auch größeren Einfluss für die Arbeitnehmervertreter mit sich bringen würde. Als konkretes Beispiel dient die Beschneidung der
C. Gesellschaftsrechtliche Strukturen in Deutschland und den USA
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Viele Officers sind allerdings auch Mitglied des Board of Directors, sogenannte „inside directors“,71 was diesen Vergleich schwieriger macht. Zwar erfüllen sie diese Aufgabe nebenberuflich, ihr Hauptamt als Officers der Gesellschaft und das damit einhergehende große Informationsmonopol verschaffen ihnen aber eine hervorgehobene und besonders machtvolle Rolle im Board of Directors.72 Lange wurde deshalb vor allem die Macht des Chief Executive Officer im Board of Directors kritisiert.73 Das One-Tier System kann daher als zweistufiger Vorstand ohne Aufsichtsrat betrachtet werden, in dem eine wirksame Überwachung der Geschäftsführung vor allem durch die Behörden oder durch rechtliches Vorgehen der Aktionäre erfolgen muss. Diese Ansicht trifft jedoch heute nicht mehr in vollem Maße zu. Zwar stärken auch zahlreiche deutsche Unternehmen mehr und mehr ihre Vorstandsvorsitzenden nach dem Vorbild eines CEO.74 Doch eine stärkere Annäherung ist von beiden Seiten zu vernehmen, das amerikanische One-Tier System bewegt sich durch die Stärkung der sogenannten „outside directors,“ die nicht Angestellte des Unternehmens sind, zunehmend auf eine Trennung zwischen Geschäftsführung und einer unabhängigen Aufsicht zu.75 Statt sich dabei auf ein separates Gremium zu stützen, findet diese unabhängige Aufsicht jedoch innerhalb des Board of Directors statt. Spätestens seit Anfang der 2000er Jahre und den damaligen Bilanzbetrugsskandalen bekleiden die Outside Directors eine immer größere Rolle in der amerikanischen Corporate
Vollmachten vieler Aufsichtsräte nach Erlass des Mitbestimmungsgesetzes im Jahre 1976. Elmar Gerum/Horst Steinmann/Werner Fees, Der mitbestimmte Aufsichtsrat (1988), S. 92. Vgl. z. B. auch Katharina Pistor, Corporate Governance durch Mitbestimmung und Arbeitsmärkte, in: Peter Hommelhoff/Klaus J. Hopt/Axel von Werder (Hrsg.), Handbuch Corporate Governance – Leitung und Überwachung börsennotierter Unternehmen in der Rechts- und Wirtschaftspraxis (2003), S. 159. 71 Inside Directors werden unter anderem auch „executive directors“ genannt, da sie gleichzeitig als „executives“ des Unternehmens fungieren. 72 Nicht zu vergleichen sind die Inside Directors daher mit Arbeitnehmervertretern in mitbestimmten deutschen Aufsichtsräten, die wiederum in den USA kein Gegenstück haben. 73 Vgl. z. B. Donald C. Langevoort, Resetting the Corporate Thermostat: Lessons from the Recent Financial Scandals About Self-Deception, Deceiving Others and the Design of Internal Controls, 93 Georgetown Law Journal 285 (2004); Troy A. Paredes, Too Much Pay, Too Much Deference: Behavioral Corporate Finance, CEOs, and Corporate Governance, 32 Florida State University Law Review 673 (2005); Steven A. Ramirez, Lessons from the Subprime Debacle: Stress Testing CEO Autonomy, 54 Saint Louis University Law Journal 1 (2009). 74 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), S. 377. 75 Sowohl Rechtsprechung als auch Schrifttum verwenden oder definieren Begriffe wie z. B. „outside director“, „non-affiliated director“, „independent director“ nicht einheitlich. Dies kann hier aber unberücksichtigt bleiben, da für die Corporate Governance Haftung vor allem die Unterscheidung zwischen „Inside Director“ und „Outside Director“ relevant ist, die sich tatsächlich daraus ergibt, dass ein Director auch als Officer im Unternehmen tätig ist, Der Begriff „outside director“ ist allerdings nicht mit dem des „independent director“ gleichzusetzen, da ein Independent Director zwar kein Officer sein darf, aber – je nach Zusammenhang unterschiedliche – zusätzliche Unabhängigkeitskriterien erfüllen muss.
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2. Teil: US-rechtlicher Hintergrund der Corporate Governance
Governance.76 Wie im Weiteren näher ausgeführt werden wird, können Inside Directors heute beispielsweise nicht mehr an allen Entscheidungen des Board of Directors mitwirken, diese obliegen stattdessen allein den Outside Directors.77 Auch die Bedeutung unabhängiger Berater für das Board of Directors und für einzelne Ausschüsse unabhängiger Directors nimmt damit zu.78 Die zunehmende Trennung führt somit zu einer zunehmenden Unabhängigkeit der Aufsicht innerhalb des Board of Directors. Dies bedeutet, dass die Outside Directors in ihrer dem Aufsichtsrat ähnelnden Rolle gestärkt werden, ohne dass ihre exekutive Aufgabe und Verantwortung abnehmen würde. Auch die inzwischen häufigere Trennung der Positionen des CEO und des Chairman dient der zunehmenden Trennung von Geschäftsführung und Aufsicht und verstärkt damit die Ähnlichkeit zu einem Two-Tier System mit einer unabhängigeren Aufsicht.79 Das Board of Directors ist heute als übergeordnetes Aufsichtsgremium zu verstehen, das in bestimmten Situationen, wie zum Beispiel einem Unternehmenszusammenschluss, dennoch die alleinige Verfügungsgewalt innehat. Auch der Vorstand einer deutschen Aktiengesellschaft findet kein direkt vergleichbares Gegenstück in amerikanischen Corporations. Der häufig anzutreffende (und für den Rechtsvergleich oft ausreichende) Vergleich zwischen Officers und Vorstand überzeugt nicht völlig. Grundsätzlich leitet per Gesetz in Delaware das Board of Directors die Geschäfte, nicht der CEO oder andere Officers. Die Gesellschaft ist sogar auch ohne Officers voll geschäftsfähig.80 Allerdings können die Aktionäre oder das Board die Geschäftsleitung grundsätzlich an Officers delegieren.81 Börsennotierte, mit einer deutschen Aktiengesellschaft vergleichbare Gesellschaften werden daher in aller Regel von einem mächtigen Geschäftsführer – in aller Regel einem CEO – geführt, an den die anderen Officers in der Regel berichten.82 Ein dem deutschen Vorstand vergleichbares Gremium bilden die Officers 76
Vgl. z. B. Jeffrey Gordon, The Rise of Independent Directors in the United States, 1950 – 2005: Of Shareholder Value and Stock Market Prices, 59 Stanford Law Review 1465 (2007). 77 Dies gilt sowohl für das Gesellschaftsrecht in Delaware in Form z. B. von Special Litigation Committees (s. infra, Der Demand (S. 181) als auch für das Kapitalmarktrecht im Federal Law (s. infra, Audit Committee (S. 93)). 78 Vgl. z. B. James D. Cox, Managing and Monitoring Conflicts of Interest: Empowering the Outside Directors with Independent Counsel, 48 Villanova Law Review 1077 (2003); Geoffrey C. Hazard Jr./Edward B. Rock, A New Player in the Boardroom: The Emergence of the Independent Directors’ Counsel, 59 The Business Lawyer 1389 (2004). 79 Vgl. z. B. Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 104 ff. 80 DGCL § 142(d). 81 s. DGCL §§ 141 & 142. Lediglich wenn eine Corporation Aktien ausgeben will, muss das Board of Directors zusätzlich zu einem Chairman auch über einen „treasurer“ oder „secretary“ verfügen, um den gesetzlichen Anforderungen für die rechtmäßige Ausgabe von Aktienzertifikaten zu genügen. s. DGCL § 158. 82 Auch hier ist seit den frühen 2000er Jahren eine Tendenz zu einer breiteren Verteilung von Macht zu beobachten. So erhält beispielsweise der CFO zunehmend unabhängige Eigenver-
C. Gesellschaftsrechtliche Strukturen in Deutschland und den USA
53
einer amerikanischen Corporation nicht.83 Insofern entfällt im Übrigen auch die gemeinsame Haftung, der ein deutscher Vorstand als Organ untersteht.84
antwortung und eine direktere Kommunikationslinie zum Prüfungsausschuss. s. infra, Audit Committee (S. 85). 83 Selbst der Titel „Officer“ hat keine direkte rechtliche Bedeutung. Während die Positionen des Chief Executive Officer, Chief Operating Officer oder Chief Financial Officer in ihrer Funktion und Bedeutung für das Unternehmen grundsätzlich einer Vorstandsposition vergleichbar sein werden (mit den bereits erwähnten Einschränkungen, s. supra, Directors und Officers im Vergleich zu Vorstand und Aufsichtsrat (S. 50)), muss dies nicht bei allen Positionen, deren Titel das Wort „Officer“ enthält der Fall sein. Auf der anderen Seite können die gleichen Funktionen von Personen mit anderen Titeln erfüllt werden (z. B. „President“ statt CEO). 84 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 370 ff.
3. Teil
Pflichten im Rahmen der Corporate Governance Ein wesentliches Element der Corporate Governance ist der Pflichtenkanon, dem Verantwortungs- und Entscheidungsträger in beiden Systemen unterliegen. Für Directors und Officers sowie Vorstände und Aufsichtsräte sind insbesondere zwei Pflichtenkomplexe zu unterscheiden: Eigenständige Pflichten der Gesellschaft gegenüber, die zu Innenhaftung führen können, und organschaftliche bzw. unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten, deren Verletzung Außenhaftung zur Folge hat. Pflichten gegenüber Gläubigern werden hier nicht betrachtet.1
A. Eigenständige Pflichten (Gesellschaftsrecht des Staates Delaware) Der Pflichtenkanon, dessen Erfüllung Directors und Officers in Delaware ihrer Corporation schulden, zeichnet sich vor allem durch seine Einfachheit aus. Er beinhaltet nur zwei Pflichten, die „duty of care“, also Pflicht zur Sorgfalt, und die „duty of loyalty,“ also Pflicht zur Treue.2 Der Unterschied, der sich hier zwischen dem amerikanischen und dem deutschen System mit seinen zahlreichen und spezifischen Pflichten abzeichnet, schlägt sich schon in der Sprache nieder: Während für Aufsichtsräte und Vorstände in Deutschland der Begriff „Organ“ verwendet wird, abgeleitet von „organum“ dem lateinischen Begriff für „Werkzeug,“ werden ein Director oder ein Officer im amerikanischen Gesellschaftsrecht als „fiduciary“ bezeichnet, ein Begriff, der im gemeinen Sprachgebrauch als „Treuhänder“ übersetzt würde. Ohne dem semantischen Unterschied eine zu große Bedeutung beimessen zu wollen, zumal auch
1
Zwar hat auch die Haftung Gläubigern gegenüber eine lenkende Wirkung auf das Handeln der Verantwortungsträger, doch sind die Pflichten in diesem Bereich oft sehr spezifisch, technisch und auf die Insolvenz oder Insolvenznähe der Gesellschaft begrenzt, so dass die Führung des Unternehmens von ihnen nicht mehr profitieren kann. 2 In re Gaylord Containers Corp. Shareholders, 753 A.2d 462 (Del. Ch. 2000), S. 474, Fn. 41. s. auch Guttman v. Huang, 823 A.2d 492 (Del. Ch. 2003); Stone v. Ritter, 911 A.2d 362 (Del. 2006); Strougo v. Scudder, Stevens & Clark, Inc., 964 F. Supp. 783 (S.D.N.Y. 1997), S. 801; Strougo, 964 F. Supp. 783 (1997), S. 460, Fn. 9; Gantler v. Stephens, 965 A.2d 695 (Del. 2009), S. 708 f.
A. Eigenständige Pflichten (Gesellschaftsrecht des Staates Delaware)
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deutsche Organmitglieder als Treuhänder für das Gesellschaftsvermögen fungieren,3 so passt diese sprachliche Differenzierung doch zu den unterschiedlichen Pflichten, die den jeweiligen Gruppen typischerweise zugeschrieben werden: Wo das deutsche Recht zahlreiche Pflichten für die „Werkzeuge“ Aufsichtsrat und Vorstand genau definiert, da übernehmen die amerikanischen Fiduciaries nur die zwei grundsätzlichen Pflichten allen treuhänderischen Handelns. Solange ihr Verhalten diesen zwei fundamentalen Grundsätzen entspricht, können sie autonom handeln.4 Alle Pflichtund Rechtsverletzungen der Directors und Officers5 im Innenverhältnis werden von den amerikanischen Gerichten auf der Grundlage dieser zwei Pflichten bewertet.6 Obwohl auch deutsche Organe der Gesellschaft gegenüber zu Sorgfalt und Treue verpflichtet sind,7 ist der unterschiedliche Ansatz in der Rechtsprechung doch deutlich zu spüren. Ein amerikanisches Gericht fragt, ob der „Treuhänder“, dem die Aktionäre die Gesellschaft anvertraut haben, deren Geschicke sorgfältig und loyal geleitet hat. Die „fiduciary duties“ der Directors und Officers sind in dieser gesellschaftsrechtlichen Funktion ein Konzept des richterlichen Common Law.8 Genauere Pflichten können in der Satzung einer Corporation geregelt werden, sind aber 3
Gerald Spindler, § 93 AktG – Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 108. 4 Vgl. z. B. Lyman P. Q. Johnson/David Millon, Recalling Why Corporate Officers Are Fiduciaries?, 46 William & Mary Law Review 1597 (2005); Radin, Business Judgment Rule (2008), s. 1 f. Vgl. infra, Die Business Judgment Rule (S. 121). 5 Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 2; Ryan v. Lyondell Chem. Co., 2008 WL 2923427 (Del. Ch. 2008). Dass für Officers die gleichen Fiduciary Duties gelten wie für Directors ist erst seit 2009 durch den Delaware Supreme Court endgültig geklärt. Gantler, 965 A.2d 695 (2009), S. 708 f. Vorherige Rechtsprechung und die akademische Auseinandersetzung beziehen sich daher häufig nur auf Directors, die auch hier primär erwähnt werden. 6 Teile des Schrifttums betrachten die Unterteilung in nur zwei Pflichten als unzureichend. s. z. B. Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 2. Auch in der Rechtsprechung finden sich andere Begrifflichkeiten, die Entscheidungsfindung gelegentlich verwirren. So haben Gerichte in Delaware wiederholt eine Pflicht zu „duty of due diligence“ oder eine „duty of fair dealing“ festgestellt, die allerdings inzwischen beide als Synonyme für oder Teile der Duty of Care bzw. Duty of Loyalty betrachtet werden. Cede & Co. v. Technicolor, Inc., 634 A.2d 345 (Del. 1993), S. 368, Fn. 36; Gaylord Containers, 753 A.2d 462 (2000), S. 475, Fn. 41; Strougo, 964 F. Supp. 783 (1997), S. 801. Die „duty of good faith“ hatte sich kurzzeitig in Delaware als separate Pflicht etabliert. Cinerama, Inc. v. Technicolor, Inc., 663 A.2d 1156 (Del. 1995), S. 1164; Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 90 (später aus anderen Gründen revidiert); Melvin A. Eisenberg, The Duty of Good Faith in Corporate Law, 31 Delaware Journal of Corporate Law 1 (2005); Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 323. Seit spätestens 2006 wird diese Pflicht aber als Teil der Duty of Loyalty verstanden und wird mit den gleichen Maßstäben gemessen und betrachtet. Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 506, Fn. 34; Stone, 911 A.2d 362 (2006) 362. 7 § 93 und § 116 AktG. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 146; Mathias Habersack, § 116 AktG – Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 43. 8 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 2.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
in Delaware nicht gesetzlich festgesetzt.9 Vor allem bedeutet die Beschränkung auf diese zwei Pflichten, dass Directors und Officers nur für den eigenen Entscheidungsprozess, nicht aber für ihre letztendlichen Entscheidungen haften – spezifische Ge- oder Verbote, die im deutschen Recht zu Innenhaftung führen können, haben (in Delaware) nur dann vergleichbare Folgen, wenn eine Verletzung der Duty of Care oder Duty of Loyalty zugrunde liegt. So können Directors und Officers bei einem Schadenseintritt dennoch für das Zulassen von Rechts- oder Pflichtverstößen der Gesellschaft haften, da nur rechtskonformes Handeln dem Zweck des Unternehmens entspricht, so dass sie vermutlich das Unternehmen entweder fahrlässig unsorgfältig geleitet haben (Verletzung der Duty of Care) oder dem Gesellschaftsinteresse entgegen gehandelt haben (Verletzung der Duty of Loyalty). Ohne diese persönliche Pflichtverletzung ist der Rechtsverstoß aber für ein Haftbarmachen nicht ausreichend.
I. Duty of Care Die Duty of Care, also Pflicht zur Sorgfalt, verlangt, dass ein Director mindestens die Sorgfalt aufbringt, die eine „ordinarily careful and prudent“ Person unter vergleichbaren Umständen anwenden würde10 und bei seinen Entscheidungen alle maßgeblichen Informationen, die ihm zur Verfügung stehen, berücksichtigt.11 Dieser Aspekt der Duty of Care, häufig als Informationspflicht oder Duty of Due Diligence bezeichnet,12 oft durch immer weiter gefasste Mandate an Wirtschaftsprüfer und Anwaltskanzleien erfüllt, ist insbesondere auch im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule relevant, wenn sie Handlungen des Board of Directors, wie zum Beispiel Beschlüsse zu Unternehmenskäufen oder -zusammenschlüssen, betrifft. Die Duty of Care betrifft aber auch die Sorgfalt, mit der ein Director sicherstellt, dass er über die Zustände und Tätigkeiten der Gesellschaft durch Informations- und Berichtslinien ausreichend informiert ist. Während das deutsche Aktiengesetz spe-
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Zusätzliche persönliche Vorgaben für Directors und Officers ergeben sich bei börsennotierten Unternehmen inzwischen beispielsweise aus dem Kapitalmarktrecht des Federal Law, hierbei handelt es sich allerdings nicht um treuhänderische Pflichten dem Unternehmen gegenüber, sondern persönliche, auf den Kapitalmarkt zielende Aufgaben der Directors oder Officers, deren Erfüllung die Behörden oder geschädigte Aktionäre einfordern können. s. infra, Pflichten gegenüber Aktionären (S. 68). 10 Graham v. Allis-Chalmers Manufacturing Co., 188 A.2d 125 (Del. 1963), S. 130, zitiert u. a. in In re Walt Disney Co. Derivative Litigation, 907 A.2d 693 (Del. Ch. 2005), S. 750. s. auch Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. 11 „[C]onsider all material information reasonably available“. Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812; Brehm v. Eisner, 746 A.2d 244 (Del. 2000), S. 259; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 750. 12 Vgl. Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 368, Fn. 36; Gaylord Containers, 753 A.2d 462 (2000), S. 475, Fn. 41.
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zifisch die Einrichtung eines Überwachungssystems fordert,13 regelt das amerikanische Gesellschaftsrecht diese Frage indirekt über die Duty of Care. Eine solche Verletzung der Duty of Care ohne Zusammenhang mit Beschlüssen des Board of Directors (also außerhalb des Einflussbereichs der Business Judgment Rule) ist eine der häufigsten Grundlagen von Haftung von Outside Directors.14 Um haftbar zu sein, muss das Board aber schwerwiegende Hinweise auf Fehlverhalten innerhalb der Corporation ignoriert haben, oder sich anhaltend geweigert haben, die Einhaltung aller relevanten Gesetze systematisch zu überprüfen, und damit zum Schaden der Gesellschaft beigetragen haben.15 Das Board of Directors muss also nicht für jede Handlung, jede Unterlassung und jeden Fehler haften. Entscheidend sind, wie in vielen Bereichen des amerikanischen Rechts, nicht das Ergebnis einer Handlung oder Entscheidung, sondern die Prozesse, die zu der Entscheidung geführt haben.16 Fehlverhalten der Officers oder Schaden an der Corporation legen vielleicht nahe, dass ein Board of Directors seine Duty of Care durch unzureichende Aufsicht verletzt hat. Für die Feststellung einer Pflichtverletzung zählt aber letztendlich einzig die Sorgfalt, die die Directors im Verlauf ihres Handelns oder ihrer Entscheidungsfindung angewendet haben.17
II. Duty of Loyalty Die zweite grundlegende Fiduciary Duty, die Duty of Loyalty, ist für den Director zunächst leichter zu erfüllen. Sie verlangt, dass ein Director die Interessen der Gesellschaft schützt, dabei nichts tut, was ihr schaden könnte, und ihr seine eigene Expertise im vollen Ausmaß zur Verfügung stellt.18 Die Sprache, die der Delaware Supreme Court in diesem Zusammenhang gewählt hat, deutet auf die Priorität hin, mit der ein Director die Interessen der Gesellschaft in den Vordergrund stellen muss.19 Aufgrund der Schwierigkeit, Haftung aus fahrlässig mangelnder Sorgfalt zu erlangen, versuchen Aktionäre daher häufig, Directors und Officers absichtliche Verstöße gegen die Sorgfaltspflichten vorzuwerfen, um ihr Handeln oder Unterlassen 13
§ 91 Abs. 2 AktG. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1060. 15 „[A] sustained or systematic failure of the board to exercise oversight – such as an utter failure to attempt to assure that a reasonable information and reporting system exists“. In re Caremark Int’l Inc., 698 A.2d 959 (Del. Ch. 1996), 970 f. 16 s. insb. infra, Fazit: Unterschiede in der richterlichen Beurteilung gesellschaftsrechtlicher Pflichteinhaltung in Delaware und Deutschland (S. 181). 17 Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 967. 18 Guth v. Loft, Inc., 5 A.2d 503 (Del. 1939), S. 510. s. auch Weinberger v. UOP, Inc., 457 A.2d 701 (Del. 1983), S. 710. 19 Vgl. z. B. Guth, 5 A.2d 503 (1939), S. 510 („[…] a rule that demands of a corporate officer or director, peremptorily and inexorably, the most scrupulous observance of his duty, […]“); Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 710 („an uncompromising duty of loyalty“) (Hervorh. d. Verf.). 14
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nicht als einfache Verletzung der Duty of Care, sondern als Verstoß gegen die Duty of Loyalty darzustellen.20 Solange aber keine Interessenkonflikte vorliegen und entsprechende Satzungsklauseln die Directors von Haftung aus grob fahrlässigen Sorgfaltsverletzungen exkulpieren, haben die Gerichte in Delaware dennoch immer wieder hervorgehoben, dass nur eine „extreme“ Faktenlage zu der Annahme führen kann, dass Directors ihre Pflichten absichtlich verletzt hätten.21 Nur wenn Directors ohne Interessenkonflikt auch nur den Versuch vollkommen unterlassen hätten, ihren Pflichten nachzukommen, könnte das Gericht auf Bad Faith schließen.22 Eine Verletzung der Duty of Loyalty wird hingegen praktisch unausweichlich, wenn die persönlichen Interessen eines Directors oder Officers denen des Unternehmens entgegenstehen23 oder er zwei unterschiedlichen Parteien Loyalität schuldet, deren Interessen nicht vereinbar sind.24 Aktionärsklagen zu derartigen Interessenkonflikten treten allerdings insbesondere bei nicht-börsennotierten Corporations auf, die eher mit einer deutschen GmbH als einer AG zu vergleichen wären.25 Im Zusammenhang mit börsennotierten Unternehmen führen Verletzungen der Duty of Loyalty nur selten zu Gerichtsverfahren. Dies ist unter anderem der grundsätzlich höheren Transparenz geschuldet, die börsennotierte Unternehmen aufweisen. Da viele Konflikte in diesem Zusammenhang nicht nur offensichtlich, sondern auch öffentlich sind, können Directors sie proaktiv beseitigen, indem sie ihren Posten aufgeben oder zumindest für die Dauer der Entscheidung ihr Mandat ruhen lassen.26 20
Vgl. z. B. Brehm, 746 A.2d 244 (2000); Lyondell (Del. Ch.), 2008 WL 2923427 (2008). „In the transactional context, [an] extreme set of facts [is] required to sustain a disloyalty claim premised on the notion that disinterested directors were intentionally disregarding their duties.“ In re Lear Corp. Shareholder Litigation, 967 A.2d 640 (Del. Ch. 2008), S. 654 f., zitiert in Lyondell Chem. Co. v. Ryan, 970 A.2d 235 (Del. 2009), S. 243. s. auch In re Walt Disney Co. Derivative Litigation, 906 A.2d 27 (Del. 2006), S. 67. s. auch Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011) – hier hatte eine äußerst mangelhafte Entscheidungsfindung zu einem Aktionärsschaden von $ 1,3 Milliarden geführt. Das Gericht wies die Klage gegen die Independent Directors dennoch ab, da das Gericht – letztendlich bei gleichem Handeln – keine Verletzung der Duty of Loyalty feststellen konnte. Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 85. Vgl. auch Cal. State Teachers’ Ret. Sys. v. Blankenship, 814 S. E.2d 549, S. 562 (W. Va. 2018); In re Oracle Corp. Deriv. Lit., 2018 Del. Ch. LEXIS 92, at *39 – 40 (Ch. Mar. 19, 2018). 22 Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 244. 23 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 5. 24 Guth, 5 A.2d 503 (1939), S. 510 („The rule that requires an undivided and unselfish loyalty to the corporation demands that there shall be no conflict between duty and self-interest.“); Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 710 („There is no ,safe harbor‘ for such divided loyalties in Delaware.“). Vgl. auch z. B. Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co., 493 A.2d 946 (Del. 1985), S. 710. 25 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 5. 26 s. z. B. Emerald Partners v. Berlin, 2003 WL 21003437 (Del. Ch. 2003), S. *28; aff’d 840 A.2d 641 (Del. 2003). Ein solches Beispiel bot außerdem der renommierte Harvard Professor Robert Clark, der den Boards of Directors der Investmentbank Lazard Ltd. und von Time 21
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Vor allem in Situationen, in denen Mehrheitsaktionäre auf beiden Seiten einer Transaktion wirtschaftliche Interessen haben und eine Mehrheit der Directors von diesen Aktionären ernannt worden ist, sind ein Rücktritt oder auch nur ein Aussetzen dieser Directors nicht realistisch. Auch bei Directors, die als Anwälte, Berater oder Vermittler für das Unternehmen tätig sind oder werden, wären diese Lösungen häufig nicht wünschenswert, da ihre Expertise einen wesentlichen Beitrag zur Kompetenz des Board of Directors leistet.27 In diesen Fällen kann die Duty of Loyalty des Directors gewahrt werden, solange die Entscheidung, an der er beteiligt war, von einer unabhängigen Instanz bestätigt wird. Je nach Situation kann es sich dabei um eine Mehrheit der nicht-befangenen Directors, eine Mehrheit der Minderheitsaktionäre oder ein Gericht handeln.28 Die gleiche Unmöglichkeit, die Duty of Loyalty zu wahren, stellt sich auch den Inside Directors, die gleichzeitig Angestellte des Unternehmens sind, wie der Chief Executive Officer oder der Chief Financial Officer, beispielsweise bei der Verhandlung ihrer Dienstverträge. Der Delaware Chancery Court stellte im Falle des Director und President der Walt Disney Co., Michael Ovitz, fest, dass von keinem „reasonably prudent fiduciary“ erwartet werden könne, Entscheidungen im Sinne des Unternehmens zu treffen, die ihn persönlich so fundamental betreffen wie ein Dienstvertrag oder die Bedingungen einer Kündigung.29 Warner Inc. angehörte. Als Lazard Ltd. begann, den Investor Carl Icahn bei dessen Versuch zur Neustrukturierung und möglichen Spaltung von Time Warner zu beraten, trat er aus dem Board von Lazard zurück, um seine Unabhängigkeit für Time Warner zu wahren. Andrew Ross Sorkin, Lazard director resigns over potential Time Warner conflict, The New York Times (7. Dezember 2005). Ein gegenteiliges Beispiel liegt in Frank Walsh, Outside Director der Tyco International Ltd., der dem Unternehmen eine Vermittlungsprämie von $ 20 Millionen berechnete, ohne diese den Aktionären oder dem Board of Directors offenzulegen. Walsh hatte den Kauf des Unternehmens eines persönlichen Freundes durch Tyco vermittelt. Dies wurde öffentlich, als der Kauf letztendlich zu einem Verlust für Tyco von $ 9 Milliarden führte. Zu einer Zahlung für die Verletzung der Duty of Loyalty kam es letztendlich aus prozess-politischen Gründen nicht, stattdessen musste er sich in einem Strafverfahren für die Verletzung der Kapitalmarktpflichten des Staates New York verantworten. Walsh zahlte die $ 20 Millionen zurück zusätzlich zu einer Strafe von $ 2.5 Millionen. In einem separaten kapitalmarktrechtlichen Zivilverfahren nach Federal Law verpflichtete er sich der SEC gegenüber, nicht wieder als Officer oder Director eines börsennotierten Unternehmens zu fungieren. Andrew Ross Sorkin, Tyco Figure Pays $ 22.5 Million in Guilty Plea, The New York Times (18. Dezember 2002). 27 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 5. 28 s. z. B. infra, Entire Fairness in Controlled Transactions (S. 149). 29 Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 51. Diese Regelung entspricht auch den Regeln der Börsen, die für die dort jeweils notierten Corporations bindend sind. s. z. B. Regeln der New York Stock Exchange, Rule 303 A.05. Zum empirischen Nutzen dieser Regelung, s. z. B. auch Katherine Guthrie, Jan Sokolowsky, Kam-Ming Wan, CEO Compensation and Board Structure Revisited, 67 The Journal of Finance 1149 (2012). Dies steht im Kontrast zur Pflicht deutscher Vorstandsmitglieder, auch im Zusammenhang mit ihrer eigenen Vergütung und Vertragsgestaltung die Interessen der Gesellschaft zu wahren, sobald sie ihre Organfunktion bekleiden. Gerald Spindler, § 87 AktG – Grundsätze für Bezüge der Vorstandsmitglieder, in:
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Die Pflicht, in „good faith“ zu handeln, wird in der aktuellen Delaware Rechtsprechung nicht als separate Pflicht, sondern als Teil der Duty of Loyalty betrachtet,30 obwohl eine „duty of good faith“ insbesondere in den 1990er Jahren in vielen Urteilen zu finden war.31 Obgleich der Begriff im untechnischen Sprachgebrauch geläufig und ohne Weiteres verständlich ist,32 tut sich die Rechtsprechung mit einer klaren Definition des Good Faith schwer. Es bedarf, so heißt es, aufrichtiger Absichten und ehrlicher Fürsorge für das Unternehmen.33 Verletzungen des Good Faith (solche Verletzungen finden sich auch unter dem Begriff „bad faith“) sind allerdings sicher dort zu finden, wo Fiduciaries geltendem Recht bewusst zuwider handeln oder sich von anderen Beweggründen als dem Unternehmensinteresses leiten lassen.34 Ein Director, der in Bad Faith gehandelt hat, muss den Pflichtverstoß also bewusst begangen haben. Sofern es bei dem angeblichen Verstoß um einen Rechtsverstoß geht, können Gutachten von Anwaltskanzleien oder Wirtschaftsprüfern als Schild gegen Klagen dienen, da sich die Directors, solange sie es selber nicht tatsächlich besser wissen, „in good faith“ auf Experten verlassen dürfen.35
Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 136. 30 Diese Einsicht begann mit Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 506, Fn. 34 und wurde endgültig geklärt in Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 370. s. Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 323 ff. 31 Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 361; Cinerama (Del.), 663 A.2d 1156 (1995), S. 1164; Malone v. Brincat, 722 A.2d 5 (Del. 1998), S. 10; Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 90. 32 Das Prinzip des Good Faith ist im deutschen Recht dem Rechtsbegriff des Treu und Glauben am ehesten zu vergleichen. 33 Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 753. In Delaware besteht eine Grundannahme, dass jeder Director in Good Faith handelt als Teil der Business Judgment Rule, so dass ein Beweis in dieser Richtung in aller Regel nicht nötig ist. s. infra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 34 Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 753. Die Gründe des Directors, sich der Gesellschaft gegenüber illoyal zu verhalten, sind dabei unerheblich, seine Motive müssen nicht moralisch verwerflich sein. Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 754. 35 DGCL § 141(e). s. z. B. In re Emerging Communications, Inc. Shareholders Litigation, 2004 LEXIS 70 (Del. Ch. 2004), S. *40, ein Fall in dem der Chancery Court urteilte, die Expertise eines der Directors in der relevanten Industrie sei „equivalent, if not superior“ verglichen mit der des Finanzexperten, der das Special Committee beriet. Anders als die anderen Directors, denen die relevante Expertise fehlte, hätte er sich also nicht auf den (letztendlich schlechten) Rat des Experten verlassen dürfen. Die einzigen Erklärungen, die das Gericht für sein Verhalten sah, waren ein starkes persönliches Interesse an der Transaktion (auf das es Hinweise gab) oder eine bewusste und vorsätzliche Entscheidung, seine Pflichten den Minderheitaktionären gegenüber nicht wahrzunehmen. In jedem Fall, so das Gericht, musste auf eine Verletzung der Duty of Loyalty und/oder eine Handlung in Bad Faith geschlossen werden. s. auch Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 734 f.
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III. Anwendbarkeit auf Officers Die Fiduciary Duties eines Officers (in Delaware) decken sich mit denen eines Directors – auch er ist der Gesellschaft gegenüber nur zu Sorgfalt und Loyalität verpflichtet, sofern die Satzung nicht weitere Pflichten vorsieht.36 Gesellschaftsrechtliche Innenhaftung und Schadensersatzansprüche der Gesellschaft ergeben sich auch für Officers selbst komplexer börsennotierter Unternehmen ausschließlich aus Verletzungen der Duty of Care und der Duty of Loyalty.
IV. Eigenständige Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat Entsprechungen der Duty of Care und Duty of Loyalty bestehen auch für den Vorstand und den Aufsichtsrat einer deutschen Aktiengesellschaft. § 93 S. 1 Abs. 1 AktG verpflichtet den Vorstand und, in Verbindung mit § 116 AktG, gegebenenfalls auch den Aufsichtsrat, zur Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsmannes. Eine Treuepflicht ergibt sich aus ihrer Stellung als Organ und Treuhänder des Gesellschaftsvermögens.37 Sie schulden der Gesellschaft damit, ähnlich den amerikanischen Directors und Officers, Sorgfalt und Treue38 und sind ihr zu Ersatz verpflichtet, wenn ihr aus einer Verletzung dieser Pflichten ein Schaden entsteht.39 Doch erweitert sich dieses Pflichtengefüge in Deutschland insbesondere auch in Verbindung mit § 91 Abs. 2, der die Einrichtung eines Überwachungssystems vorsieht, zur sogenannten Legalitätspflicht, nach der der Vorstand und ggf. auch der Aufsichtsrat,40 nicht nur für die Einhaltung ihrer eigenen Innen- und Außenpflichten verantwortlich sind,41 sondern auch haftbar sein können, wenn die Gesellschaft aufgrund von ihr zu verantwortenden Rechtsverstöße einen Schaden erleidet, solange diese durch eine Pflichtverletzung der Organe ermöglicht wurden.42 Zum Teil unterscheidet das Schrifttum zutreffend zwischen der Legalitätspflicht, die sich ausschließlich auf die eigene Pflichterfüllung der Organmitglieder bezieht, und der 36
Gantler, 965 A.2d 695 (2009), S. 708 f. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 108. 38 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 52. Darüber hinaus definiert der deutsche Gesetzgeber eine Vielzahl von weiteren spezifischen Pflichten, wie beispielsweise das Wettbewerbsverbot (§ 88 AktG) und die Einrichtung eines Frühwarnsystems (§ 91 Abs. 2 AktG). Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 108 & 146; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 52; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 43. 39 § 93 Abs. 2 S. 1, ggf. i.V.m. § 116. 40 Vgl. z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 68. 41 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 54 & 153 ff. 42 Vgl. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 74; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 183; LG München I, Urteil vom 10. Dezember 2013, 5HK O 1387/10, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger), Rn. 108. 37
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Legalitätskontrollpflicht, die sich als Aufsichts- und Organisationspflicht zur Verhinderung von Rechtsverstößen durch andere Agenten der Gesellschaft realisiert.43 Diese Verantwortlichkeit für Rechtsverstöße der Gesellschaft ist der wohl zentralste Aspekt der Corporate Governance Haftung in Deutschland, da Organe bereits bei fahrlässigen Fehleinschätzungen in Bezug auf Compliancemaßnahmen in vollem Maße für die hierdurch entstandenen Kosten der Gesellschaft aufkommen müssen. Hierzu können Ansprüche Dritter ebenso zählen wie der Gesellschaft auferlegte Strafzahlungen und Geldbußen und auch die entstandenen Verteidigungskosten.44 Besonders in den Fokus rückte dieser Aspekt der Organhaftung im Jahr 2013, als das Landgericht München Heinz-Joachim Neubürger, den früheren Finanzvorstand der Siemens AG, zu Schadensersatz der Gesellschaft gegenüber in Höhe von E 15 Millionen mit der Begründung verurteilte,45 er sei gegen die Rechtsverstöße und das System „schwarzer Kassen“ im Konzern durch die Einrichtung eines nicht ausreichend effektiven Compliance-Systems schuldhaft (mindestens fahrlässig) nicht unterbunden.46 Die Siemens AG konnte einen Schaden von E 1,6 Milliarden geltend machen, den sie im Zuge der Schmiergeldverfahren in Form von Strafzahlungen, Bußgeldern, Gewinnabschöpfungen und insbesondere auch Beraterhonoraren zur Aufarbeitung der Affäre erlitten hatte.47 Auch einige Schmiergeldzahlungen selber wurden dem Beklagten angelastet.48 Nachdem sich Siemens mit den anderen beklagten früheren Vorstandsmitgliedern außergerichtlich geeinigt hatte, galt zwar eine Ersatzsumme von E 250 Millionen als abgegolten.49 Doch als einziges verbleibendes Mitglied eines gesamtschuldnerisch haftenden Organs, mit dem kein Vergleich zustande gekommen war,50 konnte Neubürger für die verbleibende Summe 43
s. z. B. Holger Fleischer, Aktienrechtliche Compliance-Pflichten im Praxistest: Das Siemens/Neubürger-Urteil des LG München I, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2014, 321, S. 322; Nikolaus Bunting, Rechtsgrundlage und Reichweite der Compliance in Aktiengesellschaft und Konzern (2012), S. 7. Aber s. z. B. LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/ Neubürger, 2013), Rn. 103. 44 s. z. B. LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013). Vgl. auch Daniel Möritz, Haftung des Managements und Drittschutz (2011), S. 57; Fleischer, CompliancePflichten im Praxistest, NZG 2014, S. 326 f.; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 235 f. 45 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 1. 46 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 105 ff. 47 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 75. Im Schrifttum bestehen allerdings Zweifel daran, ob die Abschöpfungssummen als Schaden geltend gemacht werden können, da das Unternehmen die abgeschöpften Gewinne ohne die Rechtsverstöße per definitionem nicht erlangt hätte. Fleischer, Compliance-Pflichten im Praxistest, NZG 2014, S. 326. 48 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 126 f. 49 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 76. s. auch Siemens AG, Einberufung zur Hauptversammlung mit Tagesordnung (Dezember 2014), S. 40. 50 Laut Angaben der Siemens AG hatte Neubürger einen Vergleich in Höhe von E 4 Millionen abgelehnt. Siemens, Einberufung Hauptversammlung (Dezember 2014), S. 41.
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verantwortlich erklärt werden.51 Die Siemens AG forderte einen Betrag von E 15 Millionen,52 dem das Gericht in voller Höhe mit der Begründung stattgab, der Vorstand und der Beklagte haben durch mangelhafte Aufsicht und Kontrolle ihre Pflichten verletzt.53 Es war das erste Urteil, in dem ein Vorstandsmitglied für eine fahrlässige Verletzung der Aufsichts- und Organisationspflichten des Gesamtvorstands zu einer derartigen Zahlung von Schadensersatz verurteilt worden war.54
V. Zwischenergebnis: Vergleich eigenständiger Pflichten in Delaware und Deutschland Anders als in Delaware treffen Ansprüche im Innenverhältnis die Organmitglieder in jedem Fall auch tatsächlich persönlich.55 Selbst umfassender Versicherungsschutz durch eine D&O-Versicherung entfällt beispielsweise bei wissentlichen Pflichtverletzungen, die von der Deckung ausgenommen sind,56 doch vor allem besteht per Gesetz ein Selbstbehalt von mindestens 10 % des Anspruchs.57 Auch jenseits des Selbstbehalts ist die Deckung durch die Versicherung bei Weitem nicht
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LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 117. LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 78. 53 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 127 ff. Nachdem Neubürger Berufung eingelegt hatte, einigte sich die Siemens AG mit ihm im August 2014 außergerichtlich auf eine Vergleissumme von E 2,5 Millionen. Siemens, Einberufung Hauptversammlung (Dezember 2014), S. 19. Wenige Tage nachdem die Siemens-Hauptversammlung dem Vergleich zugestimmt hatte, beging Neubürger am 5. Februar 2015 Suizid. Frankfurter Allgemeine Zeitung, Heinz-Joachim Neubürger – Ehemaliger Siemens-Finanzchef gestorben (6. Februar 2015). 54 Gregor Bachmann, Anmerkung zum Siemens/Neubürger Urteil des LG München I, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2014, 579, 579. 55 Allerdings haften alle Organmitglieder, die schuldhaft gehandelt haben, als Gesamtschuldner. s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 144; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 461 ff. 56 § 103 Versicherungvertragsgesetz (VVG). Vgl. z. B. auch Stefan Thomas, Bußgeldregress, Übelszufügung und D&O Versicherung, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2015, 1409, S. 1417; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 453; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 249; Stefan Thomas, Die Haftungsfreistellung von Organmitgliedern (2010), S. 358 ff.; Peter Ruttmann, Die Versicherbarkeit von Geldstrafen, Geldbußen, Strafschadensersatz und Regressansprüchen in der D&O-Versicherung (2014). 57 § 93 Abs. 2 Satz 3 AktG. Der Selbstbehalt darf zwar gedeckelt werden, der Höchstbetrag darf aber nicht weniger als das Eineinhalbfache der festen jährlichen Vergütung des Organmitglieds betragen. Vgl. auch Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 39 f.; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 235. Der Selbstbehalt gilt für die Innen- und Außenhaftung, schließt aber nicht die Rechtsverfolgungskosten ein. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 457. 52
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so selbstverständlich wie in Delaware.58 Ein Verzicht auf alle oder auch nur einen Teil der Ansprüche im Rahmen eines Vergleichs mit dem Organmitglied ist dabei erst drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs und nur mit Zustimmung der Hauptversammlung möglich.59 Verschärft wird diese Haftung durch den zwingend geltenden Fahrlässigkeitsmaßstab,60 auf den an späterer Stelle näher eingegangen wird.61 Das Landgericht München bestätigte im Fall Neubürger ausdrücklich, dass bereits „leichte Fahrlässigkeit“ für eine Verurteilung zu Schadensersatz gemäß § 93 Abs. 2 ausreicht.62 Derartige Klagen der Gesellschaft gegen die eigenen Organe sind in Deutschland zudem deutlich wahrscheinlicher als in Delaware, denn die Prüfung von Schadensersatzansprüchen im Innenverhältnis gehört explizit zu den Aufgaben der Organe. So ist der Aufsichtsrat im Rahmen seiner Überwachung des Vorstands gemäß § 111 AktG ständig verpflichtet, Ansprüche gegen den Vorstand zu prüfen und ggf. zu verfolgen.63 Bei der Beurteilung der Verfolgungsmöglichkeiten bestehender Ansprüche hat der Aufsichtsrat nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nur einen geringen Entscheidungsspielraum und darf nicht die allgemeinen unternehmerischen Ermessensmaßstäbe anlegen.64 Nur wenn „gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen“, darf der Aufsichtsrat von ihrer Verfolgung absehen.65 Tut er dies ohne eine ange58 Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 453 (eine Studie aus dem Jahr 2007 fand in weniger als der Hälfte aller relevanten Fälle eine Deckung der Ansprüche durch die D&OVersicherung). 59 § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Vgl. auch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 503 ff. & 518 ff. Die Zustimmung der Hauptversammlung kann nicht erfolgen, wenn Aktionäre, die mindestens 10 % des Grundkapitals halten, den Verzicht ablehnen. § 93 Abs. 4 Satz 3 AktG. Vgl. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 514 ff. 60 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 27. 61 s. infra, Verschuldensgrad (S. 130). 62 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 120. 63 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 20. Vgl. auch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 178; Roderich C. Thümmel, Zu den Pflichten des Aufsichtsrats bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen gegenüber dem Vorstand einer AG, Der Betrieb 1997, 1117; Kai Hasselbach, Der Verzicht auf Schadensersatzansprüche gegen Organmitglieder, Der Betrieb 2010, 2037; Mathias Habersack, § 111 AktG – Aufgaben und Rechte des Aufsichtsrats, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 18; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42; Christian Brand/Stefan Petermann, Die Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“ auf die Untreuehaftung des Aufsichtsrates, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2012, 62, S. 63; Jan Helmrich/Lutz Eidam, Untreue durch Verzicht auf Schadensersatzforderungen gegen (ehemalige) Führungskräfte einer Aktiengesellschaft?, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2011, 257, S. 259. 64 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 25. Näher zum unternehmerischen Ermessen s. infra, Die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland (§ 93 Abs. 1 Satz 2) (S. 128). 65 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 25. Kritisch zu den „Inkonsequenzen“ der Entscheidung an dieser Stelle z. B. Thümmel, Pflichten des Aufsichtsrats bei der
A. Eigenständige Pflichten (Gesellschaftsrecht des Staates Delaware)
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messene Rechtfertigung im Unternehmensinteresse, riskiert er eine Strafverfolgung wegen Untreue gemäß § 266 StGB, die an späterer Stelle näher betrachtet wird.66 Gesetz und Rechtsprechung schaffen also ein Umfeld, in dem ein Rechtsverstoß des Unternehmens aufgrund „leichter Fahrlässigkeit“67 in der Kontrolle der ComplianceSysteme sowohl zu einem Schadensersatzanspruch im Innenverhältnis gegen den Vorstand als auch zu einem Strafverfahren gegen den Aufsichtsrat führen kann. Dieses Pflichtengefüge ergibt einen sehr viel schärferen Maßstab für die Pflichteinhaltung als in Delaware. Eine explizite Legalitätskontrollpflicht besteht in Delaware nicht. Zwar sind auch amerikanische Directors und Officers zu rechtmäßigem Handeln verpflichtet, denn widerrechtliches Handeln kann per definitionem nicht im Unternehmensinteresse liegen.68 Doch in seiner grundlegenden Entscheidung zur Überwachungspflicht des Board of Directors, In re Caremark Int’l Inc.,69 bestätigte der Chancery Court, dass das Board of Directors zwar zur Einrichtung eines geeigneten Überwachungssystems zur Entdeckung von Rechtsverstößen der Gesellschaft verpflichtet sei, dass die Ausgestaltung dieses Systems aber dem Freiraum des unternehmerischen Ermessens unterliege und ausdrücklich nicht erwartet werden könne, dass alle Rechtsverstöße auf diese Weise entdeckt würden.70 Die Erfüllung dieser „duty to monitor“, deren Existenz das Gericht mit größter Zurückhaltung feststellte,71 gilt als Teil der Duty of Loyalty.72 Der Verschuldensmaßstab, der für eine schuldhafte Verletzung nötig wäre, Verfolgung von Haftungsansprüchen, DB 1997. s. z. B. auch Holger Fleischer, Handbuch des Vorstandsrechts (2006), § 11, Rn. 110; Walter G. Paefgen, Die Inanspruchnahme pflichtvergessener Vorstandsmitglieder als unternehmerische Ermessensentscheidung des Aufsichtsrats, Die Aktiengesellschaft 2008, 761; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42; Brand, Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012, S. 63; Klaus R. Wagner/Thomas F. Spemann, Organhaftungs- und Strafbarkeitsrisiken für Aufsichtsräte, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2015, 945, S. 946; Hasselbach, Verzicht auf Schadensersatzansprüche, DB 2010, S. 2040. 66 s. infra, Untreue nach § 266 StGB (S. 430). 67 LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), Rn. 120. 68 DGCL § 102(a)(3). Vgl. z. B. Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 506, Fn. 34; Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 755; Desimone v. Barrows, 924 A.2d 908 (Del. Ch. 2007), S. 934. s. auch Andrew S. Gold, A New Concept of Loyalty in Corporate Law, 43 University of California at Davis Law Review 457 (2009), S. 475 ff.; Kent Greenfield, Ultra Vires Lives! A Stakeholder Analysis of Corporate Illegality (with Notes on How Corporate Law Could Reinforce International Law Norms), 87 Virginia Law Review 1279 (2001), S. 1314 ff. 69 Caremark, 698 A.2d 959 (1996). 70 Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 970. Zum unternehmerischen Ermessen, s. auch infra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 71 Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 970 („Obviously, the level of detail […] is a question of business judgment.“; „[…] failure to do so under some circumstances may, in theory at least, render a director liable […]“, Hervorh. d. Verf.). Die Duty to Monitor trifft dennoch auch außerhalb von Delaware auf breite Zustimmung. s. z. B. McCall v. Scott, 239 F.3d 808 (6th Cir. 2001), S. 819; Dellastatious v. Williams, 242 F.3d 191 (4th Cir. 2001), S. 196. 72 Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 369 f.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
ist entsprechend hoch, da die Duty of Loyalty nicht fahrlässig verletzt werden kann.73 Nur wenn das Board of Directors die Einrichtung eines Überwachungssystems völlig unterlassen74 oder ein existierendes System bewusst ignoriert hat,75 kann die Überwachungspflicht als verletzt gelten. Ein bewusster Pflichtverstoß muss in jedem Fall vorliegen.76 Anders als in Deutschland bedeutet ein fahrlässig zugelassener Rechtsverstoß der Gesellschaft daher ausdrücklich noch keinen Schadensersatzanspruch gegen die Directors oder Officers.77 Begeht die Gesellschaft selbst einen Rechtsverstoß, der kausal auf eine ausreichend schuldhafte Verletzung der Duty of Care oder Duty of Loyalty eines Directors oder Officers besteht und durch den der Gesellschaft selbst ein Schaden entsteht, kann dies selbstverständlich auch in Delaware zu Haftung der Directors und Officers im Innenverhältnis führen. Darüber hinaus genießt das Board of Directors einen deutlich größeren Freiraum bei der Entscheidung zur Anspruchsverfolgung. Denn, wie im Weiteren ausführlich erläutert, liegt die Entscheidung zur Klage in ihrem unternehmerischen Ermessen, solange sie bei der Entscheidungsfindung zu dieser Frage nicht ihre Duty of Loyalty oder (in aller Regel bedingt vorsätzlich) ihre Duty of Care verletzen.78
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Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 370 f. „The directors utterly failed to implement any reporting or information systems or controls“, Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 370. 75 „Consciously failed to monitor or oversee its operations“, Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 370. 76 Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 370. Handelt es sich bei den Beklagten allerdings nicht um Outside Directors sondern um Officers, kann der der Court of the Chancery in besonders gravierenden Fällen geneigt sein, auf ein solches Bewusstsein auch ohne klare dahingehende Beweise zu schließen. s. z. B. American Continental Group, Inc. v. Greenberg, 965 A.2d 763 (Del. Ch. 2009), S. 799. 77 Eine Legalitätspflicht in Bezug auf privatrechtliche Verträge, wie sie in Deutschland zum Teil gefordert wird, wäre in Delaware, einem Staat, der für den außerordentlichen Schutz der Vertragsfreiheit bekannt ist, kaum vorstellbar. Vgl. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 17. Aber s. auch Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 88. 78 Wie auch in Deutschland können die Aktionäre das Recht erlangen, die Klage selbst durchzusetzen (s. infra, Die Derivative Action (S. 179)). Gesteht ihnen ein Gericht dieses Recht zu, hat dies aber keine haftungsrechtlichen Auswirkungen für die Directors oder Officers, die sich gegen die Klage entschieden haben (solange sie ihre Fiduciary Duties gewahrt haben). Ein deutsches Organ hingegen darf rechtswidriges Handeln des anderen Organs generell nicht dulden, ohne dabei selber pflichtwidrig zu handeln. s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 99; Lutter, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (2014), Rn. 986. 74
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten Neben den gesellschaftsrechtlichen eigenständigen Pflichten, die amerikanische Fiduciaries der Gesellschaft selber schulden, besteht eine Reihe von Konstellationen, in denen Directors und Officers verantwortlich gemacht werden können, wenn die Gesellschaft ihren Pflichten gegenüber Dritten nicht nachkommt. Sie unterliegen zunächst dem jeweiligen State Law, in vielen relevanten Bereichen besteht aber auch im Federal Law inzwischen maßgebliche Gesetzgebung. Die Durchsetzung kann je nach Gesetz durch direkte Haftung den Geschädigten gegenüber, aber auch per Strafrecht oder von den Behörden angestrengten Zivil- oder Verwaltungsrechtsverfahren erfolgen. Außenhaftung eines Director oder Officer kann sich prinzipiell aus drei verschiedenen Konstellationen ergeben: 1. Der Director oder Officer schädigt einen Dritten direkt. 2. Die Gesellschaft schädigt einen Dritten, doch der Director oder Officer hat die Schädigung gebilligt oder war indirekt an ihr beteiligt (beispielsweise durch Abstimmungsverhalten). 3. Die Gesellschaft schädigt einen Dritten ohne Beteiligung oder Kenntnis des Director oder Officer, doch das Gesetz macht ihn als Garanten für diesen Schaden dennoch persönlich verantwortlich. Obwohl je nach Rechtsgebiet und spezifischem Verstoß direkte persönliche Haftung eines Director oder Officer in jeder dieser Situationen möglich ist, ist nicht in jedem Fall von der hier relevanten Corporate Governance Haftung auszugehen. Doch die Grenzen zwischen diesen drei Konstellationen sind fließend und oft unklar, insbesondere wenn die primäre pflicht- und schadensbegründende Beziehung des Dritten mit der Gesellschaft, nicht mit den Directors oder Officers besteht, wie zum Beispiel im Kapitalmarkt- oder Produkthaftungsrecht. Widersprüchliche Rechtsprechung verstärkt die Uneinigkeit, wie eine Schädigung und die Rolle des Director oder Officer einzuordnen sind.79 Als Corporate Governance Haftung ist Außenhaftung für Schädigungen durch die Gesellschaft vor allem dann zu verstehen, wenn der Director oder Officer für sie als Garant haftet. Dies ist insbesondere in Situationen der Fall, in denen der betroffene Dritte schweren Schaden erleiden kann, dessen er sich nicht wirksam erwehren kann. Beispiele hierfür, die im Weiteren näher betrachtet werden, sind in Fällen von Kapitalmarktbetrug, kontaminierten Lebens- oder Arzneimitteln und im Umweltschutz zu finden. In einigen Fällen ist diese Garantenpflicht so fest im Gesetz verankert, dass sich daraus eine eigenständige Pflicht des Director oder Officer dem Dritten gegenüber ergibt (wie zum Beispiel durch den Bilanzeid im Kapitalmarktrecht), die 79
s. z. B. infra, Auslegungen der Responsible Corporate Officer Doctrine (S. 344).
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
aber nur scheinbar unabhängig von den primären Rechtsverstößen der Gesellschaft wirkt.80 Häufig wird die Kategorisierung als Corporate Governance Haftung daher nicht von einer formalen Analyse der Pflichten, sondern vom subjektiven Tatbestand abhängen – im hier verwendeten Sinn liegt Corporate Governance Haftung nur dann vor, wenn der Director oder Officer die Verstöße nicht bewusst fördert oder ermöglicht und dennoch haftbar gemacht werden kann. An dieser Stelle sollen vor allem die organschaftlichen Pflichten der Directors und Officers gegenüber Aktionären betrachtet werden. Anschließend folgt eine kurze Einführung in die Pflichten gegenüber außenstehenden Dritten, die an späterer Stelle noch einmal vertieft betrachtet werden.81 Besondere Pflichten bestehen auch gegenüber anderen Gruppen wie beispielsweise Arbeitnehmern, unter anderem im Zusammenhang mit Diskriminierung,82 Nicht-Zahlung von Löhnen oder Vergeltung von Whistleblowing, doch mangelt es der über zahlreiche Quellen verteilten amerikanischen Gesetzgebung und Rechtsprechung hier an der Einheitlichkeit und Stringenz, die für eine sinnvolle Bewertung zur Corporate Governance nötig wären. Sie werden im Rahmen dieser Arbeit daher nicht behandelt.
I. Pflichten gegenüber Aktionären Deutliche Corporate Governance Haftung begründen die Informationspflichten, die sich aus dem Kapitalmarktrecht ergeben. Neben den eigenständigen gesellschaftsrechtlichen Pflichten bilden sie zweifellos den wichtigsten Pflichtenkomplex für Directors und Officers börsennotierter Corporations. Sie können hier sowohl zivilrechtlich als auch verwaltungs- und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Da das amerikanische Kapitalmarktrecht auf Offenlegung beruht,83 gehen für Directors und Officers besondere Risiken von Aussagen zum Unternehmen oder zu seinen Wertpapieren aus, da falsche oder nur an Teile des Markts weitergegebene Aussagen diese Grundlage des amerikanischen Kapitalmarkts untergraben.84 Anders 80
s. z. B. infra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). s. infra, Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz durch Unternehmensaufsicht und -führung (S. 306). 82 Vgl. z. B. City of Chicago v. Matchmaker Real Estate Sales Center, Inc., 1992 WL 362 (7th Cir. 1992), S. 383. 83 s. z. B. Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:96. 84 s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Capital Gains Research Bureau, Inc., 375 U.S. 180 (1963), S. 186 (der U.S. Supreme Court bezeichnet die Kapitalmarktgesetze hier als Ausdruck einer „philosophy of full disclosure“, die das Ziel gehabt hätten, den Kapitalmarkt mit einem „high standard of business ethics“ zu erfüllen). „Full disclosure“ bedeutet aber nicht, dass Unternehmen tatsächlich eine vollständige Offenlegung betreiben müssen. Es gilt generell, dass sie dem Kapitalmarkt nur dann Offenlegung schulden, wenn entweder (1) ein Gesetz diese Offenlegung verlangt, oder (2) eine Offenlegung selektiv nur an einzelne Marktteilnehmer erfolgt ist, oder (3) sie unwahre Schlüsse aus bereits erfolgten Offenlegungen korrigiert oder verhindert. Basic, Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224 (1988), S. 239, Fn. 17; s. auch z. B. In re Time 81
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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als in Deutschland, wo im Bereich des Kapitalmarktrechts in aller Regel mindestens bedingter Vorsatz für persönliche Haftung vorliegen muss,85 müssen amerikanische Directors und Officers zum Teil auch schon bei einfacher Fahrlässigkeit, oder sogar ohne Nachweis irgendwelchen persönlichen Fehlverhaltens, erheblichen Schadensersatz leisten. Informationssysteme, die zu ausreichender Informationstiefe für Directors und Officers führen, sind daher eine Corporate Governance Konsequenz dieser Gesetze. Die grundlegenden Kapitalmarktgesetze der USA,86 der Securities Act of 1933 („Securities Act“)87 und der Securities Exchange Act of 1934 („Exchange Act“),88 entspringen einer Zeit in der amerikanischen Geschichte, in der ein unregulierter Kapitalmarkt als potentiell große Gefahr für die Wirtschaft und die Gesellschaft des Landes erkannt worden war. Ihr Zweck war daher primär die Disziplinierung des Marktes. Auch der Sarbanes-Oxley Act of 2002 („SOX“)89 beinhaltet wichtige kapitalmarktrechtliche Pflichten für spezifische Officers und Directors, die direkten Einfluss auf die Corporate Governance der Corporations haben.90 Für Directors und Officers haben Section 15 des Securities Act und Section 20 des Exchange Act besondere Bedeutung, da sie sie als „control persons“ für bestimmte kapitalmarktrechtliche Verletzungen der Gesellschaft persönlich verantwortlich machen. Neben zahlreichen eher technischen (und somit hier nicht relevanten) Vorgaben des Kapitalmarktrechts des Federal Law, beeinflussen außerdem die Normen zum Kapitalmarktbetrug Directors und Officers in der Ausübung ihrer Aufgaben. Sie befinden sich in Sections 11, 12 und 17 des Securities Act sowie Sections 10 und 18 des Exchange Acts, wobei insbesondere Section 10(b) des Exchange Act und im geringeren Maße Section 11 des Securities Act für die tatsächliche Haftung relevant sind.
Warner Inc. Securities Litigation, 9 F. 3d 259 (2d Cir. 1993), S. 267 („… a corporation is not required to disclose a fact merely because a reasonable investor would very much like to know that fact“); Resnik v. Swartz, 303 F. 3d 147 (2d Cir. 2002), S. 154; Caiola v. Citibank, N.A., New York, 295 F. 3d 312 (2d Cir. 2002), S. 331; In re Bristol Myers Squibb Co. Securities Litigation, 586 F. Supp. 2d 148 (S.D.N.Y. 2008), S. 160. 85 s. infra, Pflichten gegenüber Aktionären in Deutschland (S. 96). Ein geringerer Verschuldensmaßstab gilt, wie an späterer Stelle näher betrachtet, für Ausgleiche von Schädigungen gegen die Aktiengesellschaft, die im Innenverhältnis ausgeglichen werden. s. infra, Verschuldensgrad (S. 130). 86 Wie bereits erwähnt, wird das Kapitalmarktrecht der einzelnen Staaten hier nicht näher erörtert. 87 Kodifiziert unter U.S.C. 15 U.S.C. § 77a ff. 88 Kodifiziert unter U.S.C. 15 U.S.C. § 78a ff. 89 Kodifiziert an verschiedenen Stellen des U.S. Code. Vgl. Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:16. 90 Viele der SOX Normen sind Zusätze und Änderungen insbesondere des Exchange Act, sie werden hier aber aus Gründen der besseren Übersicht mit ihren SOX Nummerierungen wiedergegeben und besprochen.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
Unter dem Gesichtspunkt der persönlichen Haftung von Directors und Officers sind außerdem Sections 302 und 906 des Sarbanes-Oxley Act von Bedeutung, da sie spezifische Pflichten bestimmter Officers betreffen. Außerdem beinhalten die den Prüfungsausschuss („audit committee“) betreffenden Abschnitte des Gesetzes nicht nur Vorgaben für die Gestaltung und Aufgabenverteilung innerhalb des Board of Directors, sondern belegen bestimmte Outside Directors mit spezifischen Rechten und Pflichten und greifen damit ganz konkret in die Gestaltung der Corporate Governance von börsennotierten Unternehmen ein. 1. Haftung als „Control Person“ Unter Section 20(a) des Exchange Act91 können geschädigte Dritte und die SEC jede „control person“ eines Unternehmens als Gesamtschuldner mit dem Unternehmen und allen anderen Control Persons für Verstöße des Unternehmens gegen den Exchange Act haftbar machen.92 Wer als Control Person gilt, hängt von den Umständen ab. Generell sind es jedoch solche Personen, die direkt oder indirekt die Richtung einer Gesellschaft bestimmen können.93 Bevor eine Control Person haftbar sein kann, muss aber der Verstoß des Unternehmens erwiesen sein.94 Für Verstöße gegen Sections 11 und 12 des Securities Act können Control Persons unter der sehr ähnlichen Section 15 des Securities Act95 ebenfalls von Geschädigten haftbar gemacht werden. Da Section 15 allerdings nur für diese zwei Sections des Securities Act gilt, gegen die Verstöße vergleichsweise schwierig zu beweisen sind, nutzen
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15 U.S.C. § 78 t(a). Auch die SEC kann mit Hilfe dieser Norm Klagen gegen Control Persons anstrengen. Dodd-Frank Act § 929P(c). s. auch z. B. Alexander Marton, Dodd Frank’s Impact on SEC Enforcement Actions in Light of Janus Capital Group Inc. v. First Derivative Traders, 19 Fordham Journal of Corporate and Financial Law 639 (2014), S. 673; Coffee, Securities Regulation (2015), S. 1526. 93 „The term control […] means the possession, direct or indirect, of the power to direct or cause the direction of the management and policies of a person, whether through the ownership of voting securities, by contract, or otherwise.“ 17 C.F.R. § 230.405. 94 Aldridge v. A.T. Cross Corp., 284 F. 3d 72 (1st Cir. 2002), S. 84. Der Kläger muss aufgrund des eigentlichen Verstoßes keine rechtlichen Schritte eingeleitet haben. s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Savoy Industries, Inc., 587 F.2d 1149 (D.C. Cir. 1978), S. 1170, Fn. 47. 95 15 U.S.C. § 77k. Obwohl sie sich im Wortlaut unterscheiden, werden die Voraussetzungen für eine Haftung als Control Person der beiden Normen generell gleich interpretiert, der wesentliche Unterschied liegt lediglich in den Gesetzen, auf die sie sich beziehen, gegen die der primäre Verstoß der Corporation erfolgt ist. Vgl. z. B. Michael A. Bednarz, Let’s Be Frank: The Future Direction of Controlling Person Liability Remains Uncertain, 46 Suffolk University Law Review 551 (2013), S. 555. 92
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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Kläger vor allem Section 20(a) des Exchange Act, die auf den gesamten Exchange Act bezogen werden kann.96 Die Interpretation des Begriffs „Control Person“ ist unter den U.S. Circuit Courts of Appeals nicht einheitlich. In einer Mehrheit der Circuits reicht der Nachweis einer allgemeinen Entscheidungsbefugnis für das Unternehmen.97 Solange sie also nicht tatsächlich nachweisen können, dass sie in Good Faith gehandelt und die Verstöße nicht herbeigeführt haben,98 haften Control Persons allein auf Basis ihrer Beziehung zur Gesellschaft verschuldensunabhängig. Insbesondere im Second und Third Circuit gilt dagegen der „culpable participation approach,“ nach dem ein Kläger darlegen muss, dass die mutmaßliche Control Person tatsächlich an den spezifischen rechtswidrigen Vorgängen „in some meaningful way“ beteiligt war.99 Die Gerichte berufen sich dabei häufig darauf, dass es nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen sei, bestimmte Officers nur aufgrund ihrer Positionen verschuldensunabhängig als „Versicherer“ für Verstöße des Unternehmens zu betrachten.100 Da Control Person Haftung dem Beklagten aber die Verteidigung offen lässt, in Good Faith gehandelt zu haben, wäre sie allerdings nur bedingt als Versicherung tauglich und ist eher als Abschreckung zu werten, die Control Persons motivieren soll, ihren Einfluss im Unternehmen geltend zu machen und Verstöße ex-ante zu verhindern. Im Hinblick auf die Corporate Governance Haftung bedeutet die richterliche Uneinigkeit darüber, wer unter Sections 20(a) und 15 als Control Person zu betrachten ist, große Unsicherheit. Sollte es hier aber zu höchstrichterlicher Klärung durch den U.S. Supreme Court kommen, könnte dies exzellente Möglichkeiten zur empirischen Untersuchung ihrer Wirksamkeit als Corporate Governance Instrument bieten. 96 Lewis D. Lowenfels/Alan R. Bromberg, Controlling Person Liability Under Section 20 (a) of the Securities Exchange Act and Section 15 of the Securities Act, 53 The Business Lawyer 1 (1997), S. 4; Bednarz, Let’s Be Frank, 46 Suffolk U. L. Rev. 551 (2013), S. 551. 97 s. z. B. In re Cylink Securities Litigation, 178 F. Supp. 2d 1077 (N.D. Cal. 2001), S. 1089 (N.D.Ca. 2001); Hollinger v. Titan Capital Corp., 914 F.2d 1564 (9th Cir. 1990), S. 1575. Vgl. z. B. auch Lisa M. Fairfax, Form over Substance?: Officer Certification and the Promise of Enhanced Personal Accountability under the Sarbanes-Oxley Act, 55 Rutgers Law Review 1 (2002), S. 29; Marton, Dodd Frank’s Impact, 19 Fordham J. Corp. & Fin. L. 639 (2014), S. 661 f.; Brian A. Melhus, Control Person Liability: A Repudiation of Culpable Participation, 37 Journal of Corporation Law 929 (2012), S. 935 ff. 98 15 U.S.C. § 78 t(a); s. auch z. B. Hollinger (9th Cir.), 914 F.2d 1564 (1990), S. 1575. Der vergleichbare Haftungsausschluss unter Section 15 setzt den Nachweis von Nichtwissen voraus. 15 U.S.C. § 77k(b)(2). 99 Securities and Exchange Commission v. First Jersey Securities, Inc., 101 F.3d 1450 (2d Cir. 1996); ATSI Communications, Inc. v. Shaar Fund, Ltd., 493 F. 3d 87 (2d Cir. 2007), S. 108; s. auch z. B. Rochez Brothers, Inc. v. Rhoades, 527 F.2d 880 (3d Cir. 1975), S. 890; Marton, Dodd Frank’s Impact, 19 Fordham J. Corp. & Fin. L. 639 (2014), S. 661; Fairfax, Form over Substance?, 55 Rutgers L. Rev. 1 (2002), S. 35; Melhus, Control Person Liability, 37 J. Corp. L. 929 (2012), S. 937 f. 100 s. z. B. Rhoades, 527 F.2d 880 (1975), S. 890; Paul F. Newton & Co. v. Texas Commerce Bank, 630 F.2d 1111 (5th Cir. 1980), S. 1115.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
2. Securities Act Section 11 Section 11 des Securities Act101 erlaubt einem Käufer von Wertpapieren, der sich beim Kauf auf wesentlich („material“) falsche oder wesentlich unvollständige Angaben („material misstatement“) in einem Prospekt verlassen hat, gegen das emittierende Unternehmen und seine Officers und Directors zu klagen,102 selbst wenn er die Wertpapiere nicht direkt vom Emittenten erworben hat.103 Generell bestimmt im Kapitalmarktrecht ein durch den U.S. Supreme Court festgelegter Standard, ob Informationen als „material“ einzustufen sind: „There must be a substantial likelihood that the disclosure of the omitted fact would have been viewed by the reasonable investor as having significantly altered the ,total mix’ of information made available.“104 Dies gilt sowohl für falsche, als auch für unvollständige Informationen, die geeignet sind bei Anlegern aufgrund ihrer Unvollständigkeit einen falschen Eindruck hinterlassen.105 Section 11 ist eine häufige Anspruchsgrundlage für Klagen aufgrund falscher oder mangelhafter Informationen, weil sie es dem Kläger am einfachsten macht, einen Director haftbar zu machen oder zumindest zu einem Vergleich zu drängen, da der Kläger keinerlei Verschulden darlegen muss.106 Auch einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten und dem Wertverlust des Wertpapiers muss der klagende Aktionär nicht beweisen (wobei die Widerlegung einer Kausalität als Verteidigung dienen kann).107 Dass er sich auf die falschen oder unvollständigen 101
15 U.S.C. § 77k. Section 11 betrifft all jene, die an der Erstemission beteiligt waren, neben dem Unternehmen sind das vor allem seine Directors, die Officers, die den Prospekt unterschrieben haben und die beteiligten Banken, aber im Maße ihrer Beteiligung auch Wirtschaftsprüfer und andere Experten, die für Teile des Prospekts verantwortlich waren. 15 U.S.C. § 77k(a). 103 Krim v. PCOrder.com, 402 F. 3d 489 (5th Cir. 2005), S. 495. Dass die betroffenen Wertpapiere aus der spezifischen Emission stammen, die mit dem Material Misstatement einherging, muss dabei vom Kläger allerdings nachgewiesen werden. Vgl. In re Century Aluminum Co. Securities Litigation, 729 F. 3d 1104 (9th Cir. 2013), S. 1106. 104 TSC Industries, Inc. v. Northway, Inc., 426 U.S. 438 (1976), S. 449. Vgl. auch Omnicare, Inc. v. Laborers District Council Construction Pension Fund, 135 S. Ct. 1318 (2015), S. 1327. 105 Vgl. Omnicare (U.S. Supreme Court), 135 S. Ct. 1318 (2015). Auch vage Aussagen, die als Meinungsäußerungen zu erkennen sind, werden nicht als falsche Informationen gewertet, wenn einem Reasonable Investor zuzutrauen ist, den Unterschied zu erkennen. S. 1328. Da dieser falsche Eindruck zumindest beim hypothetischen Reasonable Investor nicht entsteht, wenn die Wahrheit am Markt bekannt ist, lassen einige Gerichte in derartigen Fällen die sogenannte „truth-on-the-market defense“ gelten. Vgl. Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 248 f.; Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:189. 106 Herman & MacLean v. Huddleston, 459 U.S. 375 (1983), S. 382. s. auch Joseph A. Grundfest, Morrison, the Restricted Scope of Securities Act Section 11 Liability, and Prospects for Regulatory Reform, 41 Journal of Corporation Law 1 (2015), S. 3; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1074; Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:22. 107 15 U.S.C. § 77k(e). Vgl. McMahan & Co. v. Wherehouse Entertainment, Inc., 65 F. 3d 1044 (2d Cir. 1995), S. 1048; In re Adams Golf Inc. Securities Litigation, 381 F. 3d 267 (3d Cir. 2004), S. 277; In re Constar International Securities Litigation, 585 F. 3d 774 (3d 102
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Informationen verlassen hat, muss er nur dann darlegen, wenn das Unternehmen inzwischen Ergebnisse für eine Spanne von mindestens zwölf Monaten seit Veröffentlichung des Prospekts bekannt gegeben hat.108 Die Erfolgschancen solcher Klagen sind so hoch, dass nur sehr wenige Section 11 Fälle die eigentliche Prozessphase erreichen, weil sie per Vergleich beigelegt werden.109 Ein beklagter Director oder Officer kann der Haftung allerdings durch den Nachweis entgehen, dass er die Grundlagen des Prospektes entweder selber mit vertretbarer („reasonable“) Gründlichkeit untersucht hat (die „reasonable investigation defense“ oder „due diligence defense“), oder sich vertretbarerweise auf Experten, wie zum Beispiel Wirtschaftsprüfer, verlassen hat (die „reasonable reliance defense“).110 Gegebenenfalls obliegt es dem Beklagten zu beweisen, dass die falsche Angaben im Prospekt nicht auf seine eigene Fahrlässigkeit zurückzuführen sind.111 In der Konsequenz ist Section 11 also als eine Verpflichtung der Directors und Officers zu einer pro-aktiven Prüfung der Prospekte zu verstehen.112 Der Fall WorldCom,113 in dem auch die Outside Directors auf der Basis von Section 11 haftbar gemacht werden sollten, hat die Rechtsprechung zu diesem
Cir. 2009), S. 783. Die Beklagten können die Schadensersatzansprüche des Klägers allerdings durch den Nachweis anderer Faktoren, die für den Wertverlust verantwortlich sind, begrenzen. Ausschlaggebend für das Vorliegen eines Schadens ist ein Verlust im Wert des Unternehmens, nicht zwangsläufig des Verkehrswerts der Wertpapiere. NECA-IBEW Health & Welfare Fund v. Goldman Sachs & Co., 693 F. 3d 145 (2d Cir. 2012), S. 166. 108 15 U.S.C. § 77k(a). Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:20. 109 David I. Michaels, An Empirical Study of Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers Law Journal 319 (2009), S. 331. 110 15 U.S.C. § 77k(b)(3)(A) und (C). s. Escott v. Barchris Construction Corp., 283 F. Supp. 643 (S.D.N.Y. 1968). Vgl. auch Feit v. Leasco Data Processing Equipment Corporation, 332 F. Supp. 544 (E.D.N.Y. 1971), S. 76 ff.; WorldCom (Securities I), 346 F. Supp. 2d 628 (2004), S. 672; Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:30 ff.; Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 331; William K. Sjostrom Jr., The Due Diligence Defense under Section 11 of the Securities Act of 1933, 44 Brandeis Law Journal 549 (2006). Darüber hinaus besteht eine „,whistle-blowing‘ defense“, derer sich möglicherweise die Person bedienen kann, die geeignete Schritte („appropriate steps“) einleitet, um die Situation zu berichtigen. 15 U.S.C. § 77k(b)(1). Vgl. Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:27. 111 15 U.S.C. § 77k(b)(3)(A) und (C). Das Unternehmen selber kann sich und seine potentiell Mit-Beklagten außerdem durch Warnhinweise in den Prospekten schützen, die Anleger klar auf die Unsicherheit bestimmter Angaben und Aussagen hinweisen (die sogenannte „,bespeaks caution‘ doctrine“). s. z. B. Halperin v. EBanker USA. com, Inc., 295 F. 3d 352 (2d Cir. 2002), S. 357. Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), §§ 7:15 & 12:90. Gleiches gilt für prognostische Aussagen, die als solche erkennbar sind. 15 U.S.C. § 77z–2; § 78u-5. s. auch Omnicare (U.S. Supreme Court), 135 S. Ct. 1318 (2015), S. 1328. 112 Vgl. Feit, 332 F. Supp. 544 (1971), S. 580. Dem Unternehmen selbst stehen keine der Verteidigungsgründe zur Verfügung, hier wirkt Section 11 verschuldensunabhängig („strict liability“). Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:28. 113 WorldCom (Securities I), 346 F. Supp. 2d 628 (2004).
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Thema deutlich verschärft114 und gilt als der wichtigste Fall zum Thema Haftung von Directors für Material Misstatements in Prospekten der letzten 50 Jahre.115 Die proportionale Anzahl der Klagen under Section 11 des Securities Act ist seit WorldCom deutlich angestiegen.116 Wenn es Hinweise darauf gibt, dass die im Prospekt enthaltenen Aussagen über die Finanzen des Unternehmens nicht korrekt sein könnten, dürfen sich nun auch die Outside Directors nicht auf eine lediglich generelle „angemessen gründliche Prüfung“ oder den Rat eines Experten verlassen, um sich vor Haftung zu schützen. Stattdessen müssen alle Warnzeichen („red flags“) gründlich untersucht und ausgeräumt werden.117 Auch Outside Directors erhalten so eine aktive Rolle bei Wertpapieremissionen des Unternehmens, wenn sie sich vor Klagen schützen wollen.118 Dieser neue Standard ist insbesondere problematisch für „shelf offerings“, da das Board of Directors in diesen schnellen Emissionsprozess nicht eingebunden ist, häufig nicht einmal weiß, dass ein Shelf Offering bevorsteht.119 3. Securities Act Section 12 Section 12 des Securities Act120 ähnelt Section 11 weitgehend, hat aber für die Corporate Governance Haftung eine deutlich untergeordnete Bedeutung.121 Auch Section 12 schützt Käufer von Wertpapieren vor wesentlich falschen, unvollständigen oder irreführenden Informationen, richtet sich allerdings nicht spezifisch gegen den Emittenten, sondern gegen den Verkäufer der Wertpapiere, der für den Kauf geworben hat.122 Die genauen Bedingungen, unter denen Personen, die die 114
Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 333; für Fälle vor WorldCom, die den Outside Directors deutlich geringere Pflichten auferlegen, vgl. Weinberger v. Jackson, 1990 WL 260676 (N.D. Cal. 1990), S. 4 (N.D. Cal. 1990); Lake v. Flanagan, 695 F. Supp. 800 (D. N.J. 1988), S. 812. 115 Gordon, The Rise of Independent Directors, 59 Stan. L. Rev. 1465 (2007), S. 1486, Fn. 2. Bis dahin war der letzte bedeutende Fall zur Interpretation von Section 11 Escott, 283 F. Supp. 643 (1968). Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:31. 116 Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 338 ff. 117 WorldCom (Securities I), 346 F. Supp. 2d 628 (2004), S. 672. An Inside Directors werden hierbei dennoch höhere Anforderungen gestellt als an Outside Directors, da bei der gerichtlichen Bewertung der Reasonable Investigation Defense eines Directors die Enge seiner Verbindung zum Unternehmen eine Rolle spielt. Vgl. z. B. Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:35. 118 Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 334. 119 Sjostrom Jr., Due Diligence Defense, 44 Brandeis L.J. 549 (2006), S. 560 ff.; Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 334. 120 15 U.S.C. § 77 l. 121 Weitere als die hier erwähnten Unterschiede sind im Rahmen dieser Arbeit nicht relevant. 122 Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:7. Auch Emittenten und Unterwriter können unter Section 12 haftbar sein, wobei das genaue Feld der möglichen Beklagten nicht höchstrichterlich geklärt ist. Paul Vizcarrondo, Liabilities under the Federal Securities Laws (2013),
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Wertpapiere nicht aus ihrem eigenen Eigentum direkt an den Käufer verkauft haben, wie ein Verkäufer haften können, sind nicht höchstrichterlich geklärt.123 Statt mit Schadensersatz enden Klagen unter Section 12 häufig mit einer Rückabwicklung des Kaufvertrags.124 Die Rechtsprechung erlaubt Beklagten, sich der Haftung aus Section 12 zu entziehen, sofern sie nachweisen, dass sie nicht fahrlässig gehandelt haben.125 4. Securities Act Section 17(a) Auch Section 17(a) des Securities Act126 dient dem Schutz der Käufer. Sie erstreckt sich dabei allerdings über den Zusammenhang der Erstemission hinaus und bezieht sich auf Betrug bei jeder Art Kauf von Wertpapieren.127 Die Rechtsprechung zu Section 17(a) ist allerdings sporadisch und viele Details des Gesetzes entsprechend unklar, da die Gerichte in aller Regel auf andere, klarer etablierte Normen ausweichen, insbesondere auf Section 10(b) des Exchange Act.128 Die Anforderungen an das Verschulden des Beklagten sind durch den U.S. Supreme Court nach langer Unklarheit schließlich für viele Klagen unter Section 17(a) so niedrig ausgelegt worden, dass Verkäufer schon bei einfach fahrlässigen Unwahrheiten wegen Betrugs haftbar wären.129 Um diesem zu begegnen, haben die Gerichte die bis dahin offene Frage, ob Section 17(a) Aktionären ein Recht auf Schadensersatz einräumt, seitdem eher verneint.130 Primär dient die Norm also der SEC und der amerikanischen Staatsanwaltschaft zur Verhinderung und Ahndung von Betrug sowie zum Erwirken von Unterlassungsverfügungen.131 S. 44 f. Sowohl Section 11 als auch Section 12 regeln außerdem Ansprüche für Käufer von nicht rechtmäßig registrierten Wertpapieren. Die Registrierung von Wertpapieren fällt aber unter die technischen Pflichten, nicht in den Bereich der Corporate Governance Haftung, und wird hier deshalb nicht weiter betrachtet. 123 Vizcarrondo, Liabilities under the Federal Securities Laws (2013), S. 44 ff. 124 15 U.S.C. § 77 l(a). Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:9. Zinsen werden dabei ebenso berücksichtigt wie mögliche Auszahlungen, die der Kläger durch die Wertpapiere in der Zwischenzeit erhalten hat. 125 Vgl. Dennis v. General Imaging, Inc., 918 F.2d 496 (5th Cir. 1990), S. 507; Gilbert v. Nixon, 429 F.2d 348 (10th Cir. 1970), S. 357. 126 15 U.S.C. § 77q(a). 127 Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:64. Teile von Section 17(a) ahnden Betrug auch dann, wenn er sich nicht gegen einen Käufer richtet, sondern beispielsweise einen Broker. United States v. Naftalin, 441 U.S. 768 (1979), S. 772. Wichtig ist der Zusammenhang mit dem Kauf von Wertpapieren. 128 Vizcarrondo, Liabilities under the Federal Securities Laws (2013), S. 52. 129 Aaron v. Securities and Exchange Commission, 446 U.S. 680 (1980), S. 702. Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), §§ 7:65 & 12:50. 130 Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:65. Solche Ansprüche können dennoch bestehen, wenn sie auch unter der im Folgenden näher erörterten, sehr ähnlichen Section 10(b) des Exchange Act Bestand hätten, die einen höheren Grad des Verschuldens fordert. 131 Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:65.
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5. Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 Section 10(b) des Exchange Act132 und die zu ihr erlassene Rule 10b-5133 gelten als die wichtigste und breiteste Haftungsgrundlage des amerikanischen Kapitalmarktrechts.134 Sie verbieten die widerrechtliche Täuschung und Manipulation im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren und sind das am weitesten gefasste Verbot.135 Anders als Section 11 des Securities Act schützen sie also nicht nur Käufer, sondern auch Verkäufer, beziehen weitere mögliche Beklagte ein und erstrecken sich auch auf Wertpapiere, die nicht mehr einer bestimmten Emission zugeordnet werden können.136 Obwohl Section 10(b) an sich keine Klagerecht für Geschädigte vorsieht,137 hat sie sich durch den Erlass von Rule 10b-5 und intensive Rechtsprechung auch durch den U.S. Supreme Court zu einer der wichtigsten Grundlagen für Aktionärsklagen entwickelt.138 Zusätzlich dienen sie als Basis für zivil- und verwaltungsrechtliche Klagen durch die SEC sowie für Strafverfahren. Abschnitte (a) und (c) der Rule 10b-5 betreffen Betrug im weiteren Sinne,139 Abschnitt (b) betrifft Betrug durch falsche Angaben und Weglassungen. Um Schadensersatz auf dieser Basis durchzusetzen, muss ein Kläger vor Gericht sechs Elemente nachweisen:140
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15 U.S.C. § 78(j). 17 C.F.R. § 240.10b-5. 134 s. z. B. Chiarella v. United States, 445 U.S. 222 (1980), S. 226. Zwischen 1996 (nach grundlegenden Reformen im Jahr 1995) und 2014 kam es zu 1.102 Vergleichen von Klagen, die ausschließlich auf Section 10(b) basierten und weiteren 253 Klagen aufgrund von Verstößen gegen Section 10(b) und Section 11 und/oder Section 12, aber nur von 83 Klagen, die ausschließlich auf Section 11 und/oder Section 12 aufbauen. Cornerstone Research/Ellen M. Ryan/Laura E. Simmons, Securities Class Action Settlements – 2014 Review and Analysis, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2015), S. 13. Als Zeichen sowohl ihrer andauernden Wichtigkeit als auch der Komplexität ihrer Auslegung mag außerdem gelten, mit welch hoher Frequenz sich der U.S. Supreme Court mit der Klärung ihrer Anwendbarkeit beschäftigt. Vgl. Joseph A. Grundfest, Damages and Reliance Under Section 10(b) of the Exchange Act, 69 The Business Lawyer 307 (2014), S. 310. 135 Section 10(b) gilt für registrierte und unregistrierte Wertpapiere, sowie security-based swap agreements. 136 Vgl. Herman & MacLean, 459 U.S. 375 (1983), S. 382. s. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:64; Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 331. 137 Vgl. z. B. Securities and Exchange Commission v. Materia, 745 F.2d 197 (2d Cir. 1984), S. 202; Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014), S. 311 ff. 138 Ernst & Ernst v. Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976), S. 196; Herman & MacLean, 459 U.S. 375 (1983), S. 380. 139 Abschnitt (a) richtet sich gegen „any device, scheme, or artifice to defraud,“ Abschnitt (c) gegen „any act, practice, or course of business which operates or would operate as a fraud or deceit upon any person“, wobei in jedem Fall ein Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren bestehen muss. 17 C.F.R. § 240.10b-5. 140 Halliburton Co. v. Erica P. John Fund, Inc., 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 341. 133
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(1) eine wesentliche („material“) Falschdarstellung oder Weglassung,141 (2) schuldhaftes Handeln („scienter“),142 (3) einen Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers,143 (4) Vertrauen („reliance“) des Klägers beim Kauf bzw. Verkauf der Wertpapiere auf die Darstellung („transaction causation“)144 (5) einen wirtschaftlichen Schaden („economic loss“) und (6) einen kausalen Zusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und diesem Schaden („loss causation“).145 Zahlreiche dieser Elemente werden an späterer Stelle noch einmal insbesondere im Kontrast zur Rechtslage in Deutschland betrachtet.146 Während Section 11 des Securities Act nur gegen die falschen Aussagen bestimmter Personen zum Tragen kommt, kann ein Kläger Section 10(b) des Exchange Act in der gleichen Situation gegen ein breiteres Spektrum von Beklagten anwenden, solange er zu einer anspruchsvolleren Beweisführung fähig ist. Haftbar sind die Personen, die für die Kommunikation und den Inhalt der falschen oder irreführenden Aussagen verantwortlich waren.147 Dabei muss es sich nicht um den Emittenten oder
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Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 231 f.; eine Darstellung gilt dann als „material“, wenn sie mit erheblicher („substantial“) Wahrscheinlichkeit einen Aktionär bei einer Abstimmung beeinflusst hätte. TSC Industries, 426 U.S. 438 (1976), S. 449. Eine nicht-wesentliche Falschdarstellung deren Aufdeckung dennoch zu einem wesentlichen Kurswertverlust führt, beispielsweise weil die Aktionäre dem Management nicht mehr vertrauen, kann nicht als Basis für eine Betrugsklage gemäß Section 10(b) dienen. Securities and Exchange Commission v. Reyes, 491 F. Supp. 2d 906 (N.D. Cal. 2007), S. 912, Fn. 6. Vgl. auch z. B. Allen Ferrell/Atanu Saha, The Loss Causation Requirement for Rule 10B-5 Causes of Action: The Implications of Dura Pharmaceuticals v. Broudo, 63 The Business Lawyer 163 (2007), S. 163; Frederick C. Dunbar/ Arun Sen, Counterfactual Keys to Causation and Damages in Shareholder Class-Action Lawsuits, 2009 Wisconsin Law Review 199 (2009), S. 237 ff. 142 Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976), S. 193 & 197 ff.; Aaron, 446 U.S. 680 (1980), S. 691. Vgl. auch infra, Scienter (S. 79). 143 Blue Chip Stamps v. Manor Drug Stores, 421 U.S. 723 (1975), S. 730 f. 144 Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 231 f.; geht es um wesentliche Weglassungen, ist dieser Nachweis nicht nötig, s. Affiliated Ute Citizens of Utah v. United States, 406 U.S. 128 (1972), S. 153. Die Bespeaks Caution Doctrine und die Truth-on-the-Market Defense gelten hier. s. infra, Die Fraud-on-the-Market Vermutung (S. 78). Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 248 f.; Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:73. 145 Dura Pharmaceuticals, Inc. v. Broudo, 544 U.S. 336 (2005), S. 341 f.; Halliburton II, 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 2407. s. auch 15 U.S.C. § 78u-4(b)(4). Aber s. auch Jacob M. Kantrow, Dura Pharmaceuticals, Inc. v. Broudo: Not Really a Loss Causation Case, 67 Louisiana Law Review 257 (2007) (unterscheidend zwischen Loss Causation und „loss existence“). 146 s. insb. infra, Unterschiede zu den amerikanischen Kapitalmarktpflichten (S. 102). 147 Janus Capital Group v. First Derivative Traders, 131 S. Ct. 2296 (2011), S. 2302.
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Verkäufer der Wertpapiere handeln. Es reicht, dass die falschen Angaben die Allgemeinheit beim Kauf bestimmter Wertpapiere beeinflussen sollten.148 Inwieweit sich Kläger auf Rule 10b-5 berufen können, um Verletzungen der gesellschaftsrechtlichen Fiduciary Duties anzugreifen, ist unter den verschiedenen U.S. Circuit Courts of Appeals nicht geklärt. In einigen Circuits kann das Kapitalmarktrecht des Federal Law auf diese Weise verwendet werden, um Unternehmenskäufe, -verkäufe und -zusammenschlüsse anzugreifen, die in anderen Circuits nur vor den State Courts verhandelt werden können.149 a) Die Fraud-on-the-Market Vermutung Der U.S. Supreme Court hat die „fraud on the market“ Vermutung in der Rechtsprechung zu Rule 10b-5 etabliert, nach der ein Gericht zunächst davon ausgehen kann, dass maßgebliche falsche Informationen in einem effizienten Markt Einfluss auf den Preis von Wertpapieren haben, und weiterhin, dass jede Person, die die betroffenen Wertpapiere in einem solchen effizienten Markt ge- oder verkauft hat, sich auf die fraglichen Informationen verlassen hat.150 Beide Teile der Vermutung sind widerlegbar.151 Die Kläger müssen somit zwar zur Zulassung des Verfahrens die Effizienz des Marktes darlegen, sowie die öffentliche Verfügbarkeit der Informationen und dass sie während des relevanten Zeitraumes in den betroffenen Aktien gehandelt haben,152 aber nicht, dass ihnen die Informationen überhaupt bekannt waren, noch weniger, dass sie ihre Kaufentscheidung beeinflusst haben.153 148 Securities and Exchange Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833 (2d Cir. 1968), S. 862 im Zusammenhang mit Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 235. Vgl. McGann v. Ernst & Young, 102 F. 3d 390 (9th Cir. 1996), S. 392 ff. 149 Vgl. z. B. Vizcarrondo, Liabilities under the Federal Securities Laws (2013), S. 70 f.; Robert B. Thompson, Federal Corporate Law: Torts and Fiduciary Duty, 31 Journal of Corporation Law 877 (2006), S. 881 ff. 150 Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 153 und 250. s. auch z. B. Halliburton II, 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 2414. 151 Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 248 f. Dies kann beispielsweise geschehen, wenn neben den Fehlinformationen auch wahrheitsgemäße Informationen den Markt erreicht haben. s. z. B. auch Semerenko v. Cendant Corp., 223 F.3d 165 (3d Cir. 2000), S. 181; Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:189. Die Widerlegung gelingt aber nur in Ausnahmefällen. Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014), S. 360 ff.; A. C. Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke Journal of Constitutional Law & Public Policy 27 (2015), S. 44. Vgl. auch Ark. Teachers Ret. Sys. v. Goldman Sachs Group., Inc., 879 F.3d 474 (2d Cir. 2018). 152 Halliburton Co. v. Erica P. John Fund, Inc., 131 S. Ct. 2179 (2011), S. 2185; Amgen Inc. v. Connecticut Retirement Plans and Trust Funds, 133 S. Ct. 1184 (2013), S. 1199. Die Frage, ob die Wesentlichkeit der Informationen bereits vor Zulassung der Klage gezeigt werden muss, hat der U.S. Supreme Court immer wieder verneint. Amgen, 133 S. Ct. 1184 (2013), S. 1199; Halliburton II, 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 2414. 153 Bei der fehlerhaften Information im Fall Affiliated Ute, in dem der U.S. Supreme Court erstmalig die Vermutung von Marktvertrauen basierend nur auf der Wesentlichkeit der Informationen gelten ließ, handelte es sich allerdings um unterlassene Informationen, nicht um eine
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Das umstrittene Konzept hat enorme praktische Bedeutung, da durch die einheitliche Behandlung aller Anleger an demselben effizienten Markt Klägern der Zusammenschluss zur Sammelklage („class action“) möglich wird.154 Selbstverständlich steht aber jedem Aktionär eine individuelle Klage offen, auch wenn die Bedingungen für die Fraud-on-the-Market Vermutung nicht gegeben sind.155 Im Jahr 2005 stellte der U.S. Supreme Court klar, dass der angenommene Einfluss der Informationen auf den Aktienwert sich auf den Zeitpunkt der Kaufentscheidung bezieht – er entbindet den Kläger nicht von der Pflicht darzulegen, dass die anspruchsbegründenden Wertverluste auf die Fehlinformationen der Beklagten (bzw. deren Aufdeckung) zurückzuführen sind und nicht durch andere Faktoren begründet sind („loss causation“).156 Da Loss Causation aber nicht zu Beginn einer Class Action dargelegt werden muss und die überwältigende Mehrheit aller Class Actions in einem Vergleich endet, steht diese Anforderung dieser Art von Prozessführung nicht im Wege.157 Näheres zu Class Actions und dem Schadensverständnis im amerikanischen Kapitalmarktrecht folgt im Weiteren.158 b) Scienter Scienter, der subjektive Tatbestand für Verstöße gegen Rule 10b-5, ist in der Rechtsprechung kein fest umrissener Begriff. Der U.S. Supreme Court schloss Fahrlässigkeit als ausreichendes Verschulden aus159 und definierte Scienter als
falsche Aussage, so dass der Nachweis der Kenntnis unmöglich gewesen wäre. Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 153. Erst Basic übertrug die Fraud-on-the-Market Vermutung auf falsche statt unterlassene Informationen. Basic, 485 U.S. 224 (1988), S. 247. s. Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015), S. 32 f. 154 In einer mit Spannung erwarteten Entscheidung eines Falles, der die Grundannahme des effizienten Marktes hinterfragt hatte, hielt der U.S. Supreme Court 2014 an der Fraud-on-theMarket Annahme fest. Halliburton II, 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 2414. Die durchschnittliche Zahl der monatlich eingereichten Class Action Klagen, die während der Verhandlungen deutlich zurückgegangen waren, stiegen nach Verkündung der Entscheidung um 25 %. NERA Economic Consulting/Renzo Comolli/Svetlana Starykh, Recent Trends in Securities Class Action Litigation: 2014 Full-Year Review (2015), S. 6. Vgl. auch Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015); Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014), S. 327: „The entire economics of the section 10(b) class action securities fraud litigation industry hinges essentially on Basic’s rebuttable presumption of reliance.“ 155 Vgl. z. B. Amgen, 133 S. Ct. 1184 (2013), S. 1199. 156 Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 343 f.; Halliburton I, 131 S. Ct. 2179 (2011), S. 2186. Vgl. auch z. B. Ferrell/Saha, Loss Causation Requirement, 63 163 (2007); Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015), S. 42. 157 Halliburton I, 131 S. Ct. 2179 (2011), S. 2186. Vgl. z. B. Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015), S. 45. 158 s. infra, Die Class Action (S. 185) und Unterschiede im Schadensumfang (S. 104). 159 Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976), S. 214.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
„intent to deceive, manipulate, or defraud“,160 doch inwieweit bedingter Vorsatz („recklessness“)161 eine Verurteilung nach Rule 10b-5 begründen kann, ist nicht höchstrichterlich geklärt.162 Damit eine Klage auf Basis von Section 10(b) zugelassen werden kann, muss sie sowohl das Fehlverhalten der Beklagten substantiiert („with particularity“)163 darlegen als auch Tatsachen, die stark darauf hindeuten („strong inference“), dass die Beklagten mit Scienter handelten.164 Aufgrund der weiten Reichweite von Section 10(b) wurden unter anderem im Jahr 1995 Klagen durch den Private Securities Litigation Reform Act of 1995 („PSLRA“)165 erschwert.166 Das Gericht muss die Wahrscheinlichkeit des verschuldeten Handelns sorgfältig gegen die Möglichkeit eines unverschuldeten Fehlers abwiegen.167 Einige Gerichte akzeptieren die sogenannte „group pleading doctrine,“ nach der Prospekte und ähnliche Dokumente als von allen Directors und Officers gemeinsam erstellt gelten, so dass die Rolle und das Verschulden Einzelner nicht dargelegt werden müssen, um eine Klage aufrecht zu erhalten (und die Beklagten möglicherweise zu einem Vergleich zu motivieren).168 160
Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976), S. 193. Bedingter Vorsatz ist eine ungefähre Übersetzung für recklessness, die die rechtsdogmatische Einordnung erleichtert und daher hier verwendet wird. Während der bedingte Vorsatz im deutschen Recht die Inkaufnahme schädlicher Konsequenzen des Handelns in den Vordergrund stellt, ist das wesentliche Element von Recklessness im amerikanischen Recht die vollkommene Gleichgültigkeit („utter disregard“) den Risiken gegenüber. BGH, Urteil vom 22. April 1955, 5 StR 35/55, BGHSt 7, 363 (Lederriemen); Kimberly Kessler Ferzan, Opaque Recklessness, 91 Journal of Criminal Law & Criminology 597 (2001), S. 597 f. 162 Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976), S. 193, Fn. 12; Tellabs, Inc. v. Makor Issues & Rights, Ltd., 551 U.S. 308 (2007), S. 2507, Fn. 3. Einige Circuit Courts lassen Recklessness allerdings ausreichen. s. z. B. Breard v. Sachnoff & Weaver, Ltd., 941 F.2d 142 (2d Cir. 1991), S. 144; Securities and Exchange Commission v. Big Apple Consulting USA, Inc., 783 F.3d 786 (11th Cir. 2015), S. 800 f. Vgl. auch Ann Morales Olazabal, Behavioral Science and Scienter in Class Action Securities Fraud Litigation, 44 Loyola University Chicago Law Journal 1423 (2013), S. 1441; Jed S. Rakoff, Conjoining „Recklessness“ in Securities Fraud Cases to Moral Culpability, 44 Loyola University Chicago Law Journal 1447 (2013), S. 1456; Susan L. Pilcher, Ignorance, Discretion and the Fairness of Notice: Confronting Apparent Innocence in the Criminal Law, 33 American Criminal Law Review 1 (1995), S. 4 (Scienter im Strafrecht). 163 s. Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 313 f. Vgl. auch z. B. International Data Bank, Ltd. v. Zepkin, 812 F.2d 149 (4th Cir. 1987); Goldstein v. MCI WorldCom, 340 F. 3d 238 (5th Cir. 2003), S. 245. 164 15 U.S.C. § 78u-4(b)(2). s. auch Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 2509 f. 165 Kodifiziert an verschiedenen Stellen in 15 U.S.C. 166 s. z. B. Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 2504; Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 346. Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:110 ff.; Michaels, Securities Litigation after WorldCom, 40 Rutgers L.J. 319 (2009), S. 329. Die Rolle des PSLRAwird an späterer Stelle noch einmal betrachtet, s. infra, Gesetzliche Reformen der Securities Class Actions (S. 207). 167 Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 322 f. 168 Einige Stimmen in Schrifttum und Rechtsprechung meinen, der U.S. Supreme Court habe die Group Pleading Doctrine im Jahr 2011 durch seine Entscheidung im Fall Janus Capital 161
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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Directors und Officers haben daher besonderes Interesse an der Richtigkeit der für den Kapitalmarkt bestimmten Unterlagen ihres Unternehmens und an der Aufrichtigkeit ihrer Kollegen. Klagen gegen Outside Directors unter Section 10(b) sind allerdings deutlich schwieriger durchzusetzen, wenn keine konkreten Hinweise darauf bestehen, dass sie sich der Unrichtigkeit der betreffenden Aussagen bewusst waren.169 c) Insider Trading Als Betrug im Sinne von Rule 10b-5 gilt auch der Handel auf der Basis von wesentlichen, nicht-öffentlichen Informationen, getätigt von bestimmten eingeweihten Personen, das sogenannte „insider trading“.170 Ein Insider kann sich dabei entweder durch eigenen Handel haft- und strafbar machen, aber auch durch die Weitergabe an andere Personen, die anschließend auf Basis dieser Informationen handeln, solange der Insider durch diesen Tipp einen persönlichen Vorteil erwartet.171 Nach Section 20 A des Exchange Act haftet außerdem jede Person, die Wertpapiere kauft oder verkauft, während sie im Besitz von wesentlichen, nicht-öffentlichen Informationen ist, gegenüber jeder anderen Person, die zur gleichen Zeit die gleichen Wertpapiere ge- oder verkauft hat.172 Insider Trading Vorwürfe haben im Zusammenhang mit anderen Betrugsvorwürfen unter Section 10(b) aber auch den Effekt, dass sie Klägern die Beweisführung zu Scienter erleichtern können, da der Schluss naheliegt, das ein Officer oder Director, der zu einem verdächtigen Zeitpunkt mit den Wertpapieren des Unternehmens gehandelt hat, sich der falschen Informationen am Kapitalmarkt bewusst war.173
Group v. First Derivative Traders abgelehnt, andere beziehen diese Ablehnung aber nur auf die Ausdehnung der Haftung auf separate juristische Personen, so dass sei vor einigen Gerichten weiterhin Bestand hat. Vgl. z. B. Matthew Aglialoro, The New Group Pleading Doctrine, 99 Cornell Law Review 457 (2014), S. 459 ff. 169 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1079. 170 Matter of Cady, Roberts & Co., 40 S. E.C. 907 (1961), S. 912; s. auch Texas Gulf, 401 F.2d 833 (1968), S. 848. 171 s. Chiarella, 445 U.S. 222 (1980), S. 230; Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646 (1983), S. 659, 662; Securities and Exchange Commission v. Obus, 693 F. 3d 276 (2d Cir. 2012), S. 286. Bei einer verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Beziehung mit der Person, die den Tipp erhält, wird ein immaterieller Vorteil angenommen. Salman v. United States, 137 S. Ct. 420 (2016). s. auch United States v. Martoma, 894 F.3d 64 (2d Cir. 2017) (berichtigt am 25. Juni 2018); United States v. Pinto-Thomaz, 352 F. Supp. 3d 287 (S.D.N.Y. 2018). 172 15 U.S.C. § 78 t-1(a). 173 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1079.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
6. Exchange Act Section 18 Auch Section 18(a) des Exchange Act wendet sich gegen falsche oder irreführende Aussagen, allerdings ist ihr Wirkungsbereich auf Dokumente beschränkt, die gemäß dem Exchange Act der SEC eingereicht werden müssen.174 Eine Klage unter Section 18(a) ist schwieriger als unter Section 10(b) des Exchange Act, da der Kläger nachweisen muss, dass er sich auf die falschen Aussagen verlassen hat. In der Rechtsprechung hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass der Kläger sich direkt auf das betreffende Dokument verlassen haben muss, also belegen muss, es selbst gelesen zu haben (der „eyeball-test“).175 Es kann sich um eine Kopie des Dokuments handeln, aber nicht um ein lediglich ähnliches Dokument.176 Auch die Fraud-on-the-Market Vermutung steht dem Kläger unter Section 18 nicht zur Verfügung, er muss den Einfluss beweisen, den die falschen Informationen auf den Preis der betroffenen Wertpapiere hatte.177 Scienter oder anderes Verschulden muss der Kläger nicht darlegen, doch kann sich ein Beklagter durch den Nachweis entlasten, dass er in Good Faith und im Unwissen darüber gehandelt hat, dass die Aussagen falsch oder irreführend waren.178 Das nötige Verschulden entspricht damit Section 10(b), allerdings liegt die Beweislast hier beim Beklagten. Da Section 10(b) Klägern daher eine unkompliziertere Klage, in den meisten Fällen mit leichter zu erbringenden Beweisen, ermöglicht, sind erfolgreiche Klagen unter Section 18 sehr selten.179 7. Sarbanes-Oxley Act (zivilrechtliche Elemente) Mit dem Sarbanes-Oxley Act (SOX)180 verabschiedete der amerikanische Kongress die seinerzeit grundlegendste Reform des amerikanischen Wirtschaftsrechts seit den 1930er Jahren.181 In kapitalmarkt- und gesellschaftsrechtlicher Hinsicht war
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15 U.S.C. § 78r. Heit v. Weitzen, 402 F.2d 909 (2d Cir. 1968), S. 916, insbesondere Fn. 6. s. auch z. B. Jacobson v. Peat, Marwick, Mitchell & Co., 445 F. Supp. 518 (S.D.N.Y. 1977), S. 525. Vgl. Halliburton II, 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 2049. Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:174; Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014), S. 313. 176 Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:174. 177 s. z. B. Jacobson, 445 F. Supp. 518 (1977), S. 525. 178 Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976), S. 211, Fn. 31. 179 Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:174. 180 Auch „Public Company Accounting Reform and Investor Protection Act of 2002“, kodifiziert an verschiedenen Stellen des U.S. Code. 181 s. z. B. George W. Bush (President Of The United States), Statement on Signing the Sarbanes-Oxley Act of 2002, The White House, Washington, D.C. (30. Juli 2002); Kelsh, Personal Culpabiilty Requirement, 59 Bus. Law. 1005 (2004), S. 1008; John Paul Lucci, Enron 175
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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das Gesetz die Reaktion auf eine Situation, in der das Drohen Haftung nicht als ausreichende Abschreckung gewirkt hatte,182 obwohl die bereits existierenden Gesetze letztendlich reichten, um die massiven Bilanzbetrugsfälle bei Enron, WorldCom etc. nachträglich zu ahnden. Viele der beschuldigten Officers wurden zu langen Haftstrafen verurteilt und Aktionäre setzten historische Vergleichssummen durch.183 Selbst die Outside Directors von Enron und WorldCom mussten die Anleger entschädigen.184 Obwohl das Recht, nach denen die Officers dieser Unternehmen schließlich verurteilt wurden, bei Begehen der Taten bereits lange in Kraft war, hatte seine Existenz weder das Verhalten des Managements noch die Aufsicht der Outside Directors ausreichend beeinflusst. Das Ungleichgewicht und die Abhängigkeiten zwischen auf der einen Seite den Personen, die aggressives Wachstum des Unternehmens erreichen wollten, und auf der anderen Seite jenen, die für die Aufsicht und, falls nötig, das Bremsen dieser Entwicklung verantwortlich hätten sein müssen, waren als wesentliche Ursache für das Ausmaß der Betrugsfälle identifiziert worden.185 Unter SOX sollte eine stärkere, unabhängigere Aufsicht und ein steter Fluss korrekter Informationen innerhalb des Unternehmens und an den Kapitalmarkt als Gegenmaßnahme dienen, so dass kein CEO behaupten könnte, er habe von Missständen im Unternehmen nichts gewusst.186 Ken Lay, Gründer und zum Zeitpunkt der Bilanzfälschungen Chairman von Enron, behauptete bis zu seinem Tod, dass er keine Kenntnis von den betrügerischen Vorgängen und Unterschlagungen in seinem Konzern hatte.187 Selbst kritische Kommentatoren und die ihn verurteilende Jury hielten dies für möglich.188 Da das Ausmaß der Vergehen aber deutlich gemacht – The Bankruptcy Heard Around the World and the International Ricochet of Sarbanes-Oxley, 67 Albany Law Review 211 (2003), S. 215. 182 Daneben handelte es sich vor allem um eine grundlegende Reform der Wirtschaftsprüfungsindustrie, die zahlreichen neuen gesetzlichen Vorgaben und der Aufsicht des mit SOX gegründeten Public Accounting Oversight Boards unterstellt wurde. 183 s. infra, Enron und WorldCom als Ausnahmen (S. 190). 184 s. infra, Enron und WorldCom als Ausnahmen (S. 190). 185 Geoffrey P. Miller, Catastrophic Financial Failures: Enron and More, 89 Cornell Law Review 423 (2004), S. 425 ff. 186 Vgl. z. B. Bush, Statement on SOX (2002); Securities and Exchange Commission v. Jenkins, 718 F. Supp. 2d 1070 (D. Ariz. 2010), S. 1077. 187 s. z. B. O. C. Ferrell/Linda Ferrell, The Responsibility and Accountability of CEOs: The Last Interview with Ken Lay, 100 Journal of Business Ethics 209 (2011), S. 210. Verurteilt wurde er letztendlich nicht auf der Basis des Betruges selber, sondern aufgrund positiver Aussagen am Kapitalmarkt, die dem tatsächlichen Zustand des Unternehmens bereits nicht mehr entsprachen. Seine Verurteilung ist unter Juristen umstritten und wäre allem Anschein nach zumindest in Teilen vom U.S. Supreme Court kassiert worden, wäre Lay nicht kurz nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils verstorben. Mehr zu diesem Fall, s. infra, Honest Services Fraud und die Skilling-Entscheidung (S. 425). 188 Ferrell/Ferrell, Last Interview with Ken Lay, 100 J. Bus. Ethics 209 (2011), S. 210.
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hatte, dass die drohenden Strafen für schweren Betrug und Diebstahl als Abschreckung nicht immer ausreichen, setzten die Verfasser mit SOX bei eben dieser „head in the sand“ Einstellung an und versuchten Anreize für eine bessere Überwachung und Aufdeckung von Unregelmäßigkeiten zu schaffen, so dass betrügerische Strukturen vielleicht nicht von vornherein verhindert, aber früh erkannt und beendet werden könnten. Die für die Aufsicht über die Unternehmens- und Bilanzführung verantwortlichen Personen sollten in Zukunft nicht mehr in der Lage sein, Bilanzfälschungen dieser Größenordnung zu übersehen, weder durch vorsätzliches Ignorieren, noch durch fahrlässig flüchtige Betrachtung.189 SOX sollte aktive Transparenz, Aufsicht und Prüfung als festen Wert der amerikanischen Wirtschaftskultur etablieren.190 Obwohl das Androhen einer persönlichen Haftung für die Directors und Officers bei Enron und WorldCom offensichtlich keinen ausreichend abschreckenden Effekt gehabt hatte, bediente sich auch SOX wieder ihrer als Instrument. So versucht das Gesetz, die Unabhängigkeit des Prüfungsausschusses („audit committee“) und der Abschlussprüfer sicherzustellen, indem es dort die für die Prüfung der Bilanzen zuständigen Personen persönlich haftbar macht.191 Frühere organschaftliche Pflichten von CEO und CFO zur Richtigkeit von Jahresabschlüssen werden mit der Zertifizierung unter SOX Sections 302 und 906 zu unmittelbaren persönlichen Pflichten, die sie selbst, nicht nur die Gesellschaft, den Aktionären schulden. Zudem verpflichtet SOX Section 304 sie unabhängig von möglicher anderer Haftung zur Rückzahlung ihrer Boni und Equity-basierten Vergütung eines ganzen Jahres, sollte das Unternehmen eine Bilanzberichtigung vornehmen müssen, die auf Verletzungen des Kapitalmarktrechts beruht192. Selbst Anwälte sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unternehmens können persönlich in der Verantwortung stehen, wenn sie Missstände im Unternehmen beobachten, ohne diese zu melden.193 Lediglich Outside Directors erleben durch SOX formal keine Änderung in ihren Haftungsrisiken, weder von Seiten der Aktionäre noch der Behörden.194 Durch die expliziten Pflichten, die das Gesetz insbesondere dem Audit Committee auferlegt, und die insgesamt 189
Vgl. z. B. Jenkins II, 718 F. Supp. 2d 1070 (2010), S. 1077. Bush, Statement on SOX (2002). 191 Vgl. z. B. SOX § 105(c); 15 U.S.C. § 7215(c). 192 15 U.S.C. § 7243. 193 Personen, die als Anwälte eines börsennotierten Unternehmens der SEC gegenüber auftreten und Kenntnis von wesentlichen Pflicht- oder Gesetzesverstößen („material violations“) haben, müssen dies dem Chief Legal Officer und/oder dem Chief Executive Officer der Gesellschaft, oder sogar dem Audit Committee, dem Board of Directors, oder einem für den Empfang solcher Meldungen geschaffenen Ausschuss melden. 17 C.F.R. §§ 205.3(b), 205.4, 205.5. Verletzen sie ihre Meldepflichten, müssen sich die Anwälte allerdings nur der SEC gegenüber verantworten, Aktionäre haben kein Recht zur Klage auf Basis dieser Pflichten. 17 C.F.R. § 205.6 f. 194 s. z. B. John C. Coates, The Goals and Promise of the Sarbanes-Oxley Act, 21 The Journal of Economic Perspectives 91 (2007), S. 92. s. auch infra, Enron und WorldCom als Ausnahmen (S. 190). 190
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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strengere Kultur der Aufmerksamkeit und Compliance sind allerdings die allgemeinen Anforderungen an die Sorgfalt und der Nachdruck gestiegen, mit denen insbesondere Outside Directors ihren Pflichten nachkommen müssen. a) Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) Unter Section 302 des Sarbanes-Oxley Act195 sind der CEO und CFO des Unternehmens persönlich und unmittelbar verpflichtet, Jahres- und Quartalsgeschäftsberichte durch eine Unterschrift zu zertifizieren, mit der sie jeweils bestätigen, dass sie den Bericht durchgesehen haben, dass er ihres Wissens keine wesentlichen Tatsachen falsch darstellt (auch nicht durch Auslassungen, die zu falschen Schlüssen verleiten)196 und dass die enthaltenen Bilanzen und Finanzinformationen die wirtschaftliche Situation und die Ergebnisse des Unternehmens für den Zeitraum des Berichts angemessen widerspiegeln.197 Die Zertifizierung richtet sich an die SEC.198 Das Gesetz beschränkt sich allerdings nicht nur auf den Inhalt des Geschäftsberichts, sondern betrifft auch den Prozess, der seiner Erstellung zugrunde liegt und zu verlässlicher Finanzberichterstattung führen soll. SOX Section 404(a) macht die Unternehmensführung verantwortlich für die Einrichtung und Pflege angemessener interner Kontrollstrukturen und -prozesse, und verpflichtet sie, jedem Jahresbericht eine Einschätzung über ihre Wirkung beizulegen.199 Unter Section 302 bestätigen CEO und CFO zusätzlich mit jedem Jahres- und Quartalsbericht, dass sie dieser Verantwortung nachkommen und Sorge tragen, dass ihnen sämtliche für wahrheitsgemäße Finanzberichterstattung nötigen Informationen zukommen, einschließlich Informationen über alle relevanten Transaktionen des gesamten Konzerns. Sie bestätigen weiterhin, dass sie die internen Kontrollen regelmäßig prüfen und dem Audit Committee des Board of Directors sowie dem Abschlussprüfer alle wesentlichen Informationen über wesentliche Schwächen („material weaknesses“)200 und Probleme der internen Kontrollen zur Verfügung stellen.201 Weiterhin bestätigen sie, dass die dem Abschlussprüfer und dem Audit Committee jeden Fall von Betrug gemeldet, den ein leitender Angestellter verübt hat (oder ein anderer 195
15 U.S.C. § 7241. Section 302 umfasst nicht nur die Bilanzen und Finanzinformationen, sondern alle Teile des Geschäftsberichts. 15 U.S.C. § 7241(a)(2). 197 15 U.S.C. § 7241(a). 17 C.F.R. §§ 240.13a-14 & 15d-14. 198 Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:26. 199 15 U.S.C. § 7262(a). 200 Exchange Act Rule 12b-2 (17 CFR 240.12b-2) und Rule 1 – 02 der Regulation S-X (17 CFR 210.1 – 02), definieren eine „material weakness“ als Mängel in den internen Kontrollen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit („a reasonable possibility“) dazu führen, dass wesentliche falsche Angaben im Geschäftsbericht nicht rechtzeitig verhindert oder entdeckt werden. SEC Release No. 34 – 55928. 201 Dazu gehören auch Informationen über Änderungen ihrer Funktion oder Verstöße. 15 U.S.C. § 7241(a)(5) & (6). 196
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Mitarbeiter, der für die internen Kontrollen eine erhebliche Rolle spielt), pflichtgemäß gemeldet haben.202 Unter Section 404(b) muss jedem Jahresbericht zusätzlich eine Bewertung dieser Einschätzungen des Managements durch den Abschlussprüfer beiliegen.203 Die Regelungen zu den internen Kontrollen wurden nach Verabschiedung des Sarbanes-Oxley Act besonders stark kritisiert. Insbesondere die Kosten aufwändiger Compliance-Strukturen und die überproportionale Belastung kleinerer Unternehmen durch das Gesetz bildeten den Kern scharfer Kritik.204 Die erhöhte Transparenz wurde zudem als Grundlage für mehr Aktionärsklagen gesehen.205 Der Foreign Corrupt Practices Act of 1977206 (FCPA) hatte Unternehmen schon seit über zwanzig Jahren verpflichtet, wirkungsvolle interne Kontrollen zu schaffen, doch während dieser Zeit wurde der FCPA von den Behörden so selten herangezogen, dass Unternehmen eine Untersuchung ihrer internen Kontrollen auf Grundlage des FCPA durch die SEC oder das Department of Justice als höchstgradig unwahrscheinlich betrachten konnten, solange es keine Hinweise auf Bestechungstatbestände gab. Anders als der FCPA verlangt SOX auch nicht nur, dass Unternehmen über interne Kontrollen und ein einwandfreies Rechnungswesen verfügen, sondern dass dieses jedes Quartal wieder geprüft und von Management und Abschlussprüfer beurteilt und jede wesentliche Schwäche offengelegt wird. Die Zertifizierung unter Section 302 ändert die bestehende Rechtslage dennoch nicht maßgeblich:207 Bereits seit 1980 wurde jeder Jahresbericht von CEO, CFO und
202
15 U.S.C. § 7241(a)(4)-(6). 15 U.S.C. § 7262(b). Angesichts nachhaltiger Kritik ist diese Vorgabe seit Erlass des Sarbanes-Oxley Act angepasst worden, insbesondere um kleinere Unternehmen auszunehmen. Dodd-Frank Act § 989G; Jumpstart Our Business Startups Act of 2012 („JOBS Act“) § 103. Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:15. 204 s. z. B. Romano, Does the Sarbanes-Oxley Act Have a Future?, 26 Yale J. on Reg. 229 (2009); Romano, Sarbanes-Oxley and Quack Corporate Governance, 114 Yale L.J. 1521 (2005); Henry N. Butler/Larry E. Ribstein, The Sarbanes-Oxley Debacle – What We’ve Learned; How to Fix It (2006), S, 36 ff.; Joseph A. Grundfest/Steven E. Bochner, Fixing 404, 105 Michigan Law Review 1643 (2007); Charles W. Murdock, Sarbanes-Oxley Five Years Later: Hero or Villain, 39 Loyola University Chicago Law Journal 525 (2008), S. 539 & 548 f.; Cheryl L. Wade, Sarbanes-Oxley Five Years Later: Will Criticism of SOX Undermine Its Benefits?, 39 Loyola University Chicago Law Journal 595 (2008), S. 595 ff. 205 Butler/Ribstein, Sarbanes-Oxley Debacle (2006), S. 75 ff. 206 s. infra, FCPA (S. 355). 207 Dies stellte sogar die SEC in dem Begleittext zu den entsprechenden Regeln fest. Disclosure Certification, 67 Fed. Reg. 41878. So verletzten Directors und Officers, die ohne ausreichende Prüfung falsche oder gar betrügerische Geschäftsberichte hatten veröffentlichen lassen, auch vor SOX ihre Fiduciary Duties dem Unternehmen gegenüber. Sie konnten auch auf Grundlage der Kapitalmarktgesetze oder verschiedener allgemeiner Betrugstatbestände von der SEC und dem Department of Justice zivil- und strafrechtlich verfolgt werden. (s. infra, Section 10(b) und Securities Fraud (S. 350)). s. auch Fairfax, Form over Substance?, 55 Rutgers L. Rev. 1 (2002), S. 12. Vgl. auch Lawrence A. Cunningham, The Sarbanes-Oxley Yawn: Heavy 203
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mindestens einer Mehrheit der Directors des Unternehmens unterschrieben.208 Leistete ein Mitglied dieser Gruppe eine Unterschrift in dem Wissen, dass der Geschäftsbericht in wesentlichen Aspekten unwahr oder irreführend war, machte es sich nicht nur zivilrechtlich haftbar, sondern auch strafbar.209 SOX enthält in Section 906 ein explizit strafrechtliches Gegenstück zu Section 302,210 außerdem kann auch eine Zertifizierung unter Section 302 gegebenenfalls als „false statement“ strafrechtlich geahndet werden.211 Auch hatte bereits vor SOX die Pflicht für Directors und Officers bestanden, gravierende Probleme in ihren internen Kontrollen, die einen wesentlichen Einfluss auf die Offenlegungen des Unternehmens haben könnten, zu beheben und gegebenenfalls in demselben unterschriebenen Geschäftsbericht offenzulegen.212 Insbesondere mit Hilfe der Betrugstatbestände nach Section 10(b) des Exchange Act und Rule 10b-5 hatten diese Unterschriften in der Vergangenheit als Grundlage für erfolgreiche Klagen der SEC oder der Anleger gedient. Für größere Banken war im Jahr 1991 durch den Federal Deposit Insurance Corporation Improvement Act (FDICIA) außerdem eine verpflichtende Bewertung der internen Kontrollen eingeführt worden, die zwar nicht veröffentlicht, aber an die Audit Committees und Aufsichtsbehörden kommuniziert werden musste.213 Zudem waren
Rhetoric, Light Reform (And It Might Just Work), 35 Connecticut Law Review 915 (2003); Butler/Ribstein, Sarbanes-Oxley Debacle (2006), S. 26 ff. 208 Die Ausdehnung dieser Anforderungen auf das Board of Directors wurde scharf kritisiert. Die SEC entschied sich dennoch dafür, um Officers und Directors gleichermaßen zu motivieren, sich mit den Geschäftsberichten inhaltlich auseinanderzusetzen. U.S. Securities and Exchange Commission, The Regulation of Securities, 17 C.F.R. §§ 200, 202, 210, 228, 229, 230, 239, 240 & 249, Release No. 33 – 7606 A; 34 – 40632 A; IC-23519 A, File No. S7 – 30 – 98, 1998., Fn. 554. 209 s. z. B. Howard v. Everex Systems, 228 F.3d 1057 (9th Cir. 2000), 1961 ff. Vgl. z. B. Fairfax, Form over Substance?, 55 Rutgers L. Rev. 1 (2002), S. 22 & 46. Obwohl die betroffenen Personen für die Corporation unterschrieben, vertreten die SEC und Gerichte die Auffassung, dass der Unterzeichnende sich auch persönlich haftbar machen kann. Geschäftsberichte, in denen Directors oder Officers die Unterschriftenzeile verändert oder ihre Unterschrift verweigert haben, um der Haftung so aus dem Weg zu gehen, werden von der SEC grundsätzlich nicht akzeptiert. S. 22. All diese Unterschriften müssen noch immer zusätzlich zu den Zertifizierungen unter SOX Sections 302 und 906 geleistet werden. s. U.S. Securities and Exchange Commission, Form 10-K (gültig bis 31. März 2018). Der einzig relevante Unterschied, der die Haftung unter dem Sarbanes-Oxley Act zumindest für den CEO ausweitete, bestand in der nun nötigen Zertifizierung des Quartalsberichts aller Unternehmen (Form 10-Q), den für Unternehmen mit einem Jahresumsatz von weniger als $ 1,2 Milliarden zuvor nur der CFO und eine weitere ordnungsgemäß autorisierte Person hatte unterschreiben müssen. Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 111. 210 s. infra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 211 18 U.S.C. § 1001. Vgl. auch Christian Mixter, United States v. Simon and the New Certification Provisions, 76 St. John’s Law Review 699 (2002), S. 700. 212 Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 102. 213 FDICIA § 36.
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insbesondere Officers auch vor SOX durch ihre mögliche Haftung als Control Persons persönlicher Haftung für die Verstöße des Unternehmens ausgesetzt.214 Die klaren Vorschriften des Sarbanes-Oxley Act machten also zwar das Konstrukt aus mehreren Gesetzen und Rechtstheorien überflüssig, die Directors und Officers schon bisher aufgrund ihrer Unterschrift unter dem Geschäftsbericht möglicher Haftung ausgesetzt hatten. Die Rechtswirklichkeit hat sich durch die neue Rechtsgrundlage allerdings nicht substantiell geändert. Auch der nötige Grad des Verschuldens hat sich nicht verschärft, denn persönliche Haftung ergibt sich unter SOX Section 302 für einen Director oder Officer nur dann, wenn er zur Zeit der Unterschrift wusste,215 dass der Geschäftsbericht falsch ist oder zu wesentlich falschen Annahmen verleitet.216 Kein CEO oder CFO ist in den Jahren seit Inkrafttreten des Sarbanes-Oxley Act nur aufgrund einer Unterschrift „without more“ persönlich haftbar gemacht worden.217 Eine verschuldensunabhängige Verantwortung für die falschen Geschäftsberichte ergibt sich für CEO und CFO lediglich durch SOX Section 304, in deren Rahmen die SEC bei einer Bilanzberichtigung bestimmte Teile der Vergütung des letzten Jahres zurückfordern kann.218 Die Begründung dieser Haftung beruht zwar zum Teil auf Section 302, doch, wie an späterer Stelle erläutert, hat aufgrund der sehr zurückhaltenden Anwendung durch die SEC auch Section 304 nur eine kaum merkbare Änderung der Haftungsrisiken bewirkt.219 Da die Zertifizierung unter Section 302 zudem nicht als „filing“ gilt und somit nicht Teil des Geschäftsberichtes selbst wird, kann sie Aktionären nicht als Basis für eigene Klagen dienen.220 Es lässt sich also feststellen, dass SOX Section 302 eine bestehende organschaftliche Pflicht in eine unmittelbare persönliche Pflicht verwandelt hat, ohne die Haftungsrealitäten substantiell zu ändern. Ob diese Aufbereitung bereits existierender Haftungsgrundlagen in einem neuen Gesetz ohne substantielle Erweiterungen eine unnötige Verkomplizierung der ohnehin komplexen amerikanischen Rechtslandschaft oder aber eine effektive Erinnerung an wichtige Pflichten ist, wird umstritten bleiben. Obwohl die Zertifizierung unter SOX wenig Neues brachte, ist dem Gesetz, vielleicht im Zusammenhang mit 214
s. supra, Haftung als „Control Person“ (S. 70). Vgl. z. B. Howard v. Everex Systems, 228 F.3d 1057 (2000), S. 1961 ff.; Garfield v. NDC Health Corp., 466 F.3d 1255 (11th Cir. 2006), S. 1266; Central Laborers’ Pension Fund v. Integrated Electrical Services, Inc., 497 F.3d 546 (5th Cir. 2007), S. 554 f. 216 15 U.S.C. § 7241(a)(2) („to the officer’s knowledge“). Vgl. auch Murdock, Hero or Villain, 39 Loy. U. Chi. L.J. 525 (2008), S. 542. 217 In re OCA, Inc. Securities and Derivative Litigation, 2006 WL 3747560 (E.D. La. 2006), S. *22. Vgl. auch Central Laborers’, 497 F.3d 546 (2007), S. 554 f. 218 s. infra, Clawbacks von diskretionärer Vergütung und Kapitalerträgen (S. 272). 219 s. infra, Clawbacks von diskretionärer Vergütung und Kapitalerträgen (S. 272). 220 Srebnik v. Dean, 2006 WL 2790408 (D. Colo. 2006), *5; In re Intelligroup Securities Litigation, 468 F. Supp. 2d 679 (D.N.J. 2006), S. 707. Vgl. auch Erin Massey Everitt, SarbanesOxley Officer Certification Requirements – Has Increased Accountability Equaled Increased Liability?, 6 DePaul Business & Commercial Law Journal 225 (2008), S. 235 f. 215
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der damaligen Gesamtsituation, ein Effekt auf die Unternehmensführung nicht abzusprechen.221 Das Zusammenspiel von Offenlegung und Haftung setzt die Unternehmensführung unter Zugzwang, offengelegte wesentliche Schwächen auch zu beheben.222 Und aufgrund der Verpflichtung, die internen Kontrollen persönlich zu prüfen, die ihnen die Möglichkeit nimmt, sich mit Nichtwissen zu exkulpieren, haben CEO und CFO ein hohes persönliches Interesse an gründlichen Prüfungen.223 So kamen nach Erlass des Sarbanes-Oxley Act bei einigen Unternehmen unerwartet Unregelmäßigkeiten im Rechnungswesen zum Vorschein, als sich CEOs und CFOs weigerten, ihre Geschäftsberichte zu zertifizieren.224 Sofern es sich hierbei nicht um wissentliches Fehlverhalten handelte, auf das die Enron und WorldCom Verfahren abschreckend wirkten (auch dies wäre ein Erfolg aus Sicht des Gesetzgebers), ist die Häufung der Offenlegungen mit großer Wahrscheinlichkeit darauf zurückzuführen, dass CEOs und CFOs erstmals ihre Verantwortung für die Richtigkeit der Berichte erkannt und ernstgenommen haben und dass ihnen aufgrund neuer ComplianceSysteme erstmals eine ausreichende Menge an Informationen zur Verfügung stand. In dem darauffolgenden Jahrzehnt ist die Kritik an SOX zurückgegangen. Die hohen Kosten der Implementierung in den ersten Jahren haben die betroffenen Unternehmen inzwischen abschreiben können und die laufenden Kosten der Compliance sind deutlich geringer.225 Vor allem lassen sich viele positive Veränderungen inzwischen mit großer Wahrscheinlichkeit auf SOX zurückführen, seine 221 Vgl. z. B. Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:31; Lucci, Bankruptcy Heard Around the World, 67 Alb. L. Rev. 211 (2003), S. 230; Cunningham, Sarbanes-Oxley Yawn, 35 Conn. L. Rev. 915 (2003), S. 955. Selbst einige Kritiker bestätigen einen positiven Effekt des Gesetzes, sehen lediglich ein nachteiliges Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen. s. z. B. Butler/Ribstein, Sarbanes-Oxley Debacle (2006), S. 4. Die Prämien für D&O-Versicherungen stiegen nach Schätzungen aus der Versicherungsindustrie innerhalb eines Jahres auf ein Vielfaches ihres Niveaus von Anfang 2001. Walter Hamilton, CEOs Are Diving for Legal Cover, Los Angeles Times (22. Juli 2002). Nur ein Teil dieses Anstiegs war auf die Welle von Untersuchungen und Klagen im Zuge der Bilanzskandale zurückzuführen, vielmehr hat sich der Eindruck eines erhöhten Haftungsrisikos auch in der Versicherungsindustrie durchgesetzt. 222 Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 103. 223 Cunningham, Sarbanes-Oxley Yawn, 35 Conn. L. Rev. 915 (2003), S. 955 f.; Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 103; Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:29. Vgl. auch Jenkins II, 718 F. Supp. 2d 1070 (2010), S. 1077. 224 s. z. B. Jonathan D. Glater, Corporate Certifications Don’t Alone Lift Shares, The New York Times (20. August 2002); Fairfax, Form over Substance?, 55 Rutgers L. Rev. 1 (2002), S. 49. 225 s. z. B. Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 107; Jeffrey Cohen/Colleen Hayes/Ganesh Krishnamoorthy/Gary S. Monroe/Arnie Wright, The Effectiveness of SOX Regulation: An Interview Study of Corporate Directors, 25 Behavioral Research in Accounting 61 (2013), S. 32. Obgleich die SEC ursprünglich davon ausgegangen war, dass sich die Kosten der Compliance mit den Vorgaben zur internen Kontrolle auf weniger als $ 100.000 belaufen würde, ergaben spätere Studien Kosten in Millionenhöhe für die Unternehmen. Romano, Does the Sarbanes-Oxley Act Have a Future?, 26 Yale J. on Reg. 229 (2009), S. 241; Grundfest/Bochner, Fixing 404, 105 Mich. L. Rev. 1643 (2007); Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:23.
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positiven Effekte lassen sich zunehmend quantifizieren.226 Auch blieb ein großer Anstieg an Aktionärsklagen aus.227 Zahlreiche andere Länder führten ähnliche Kontrollen in ihre Aktiengesetze ein, ein Zeichen, dass SOX letztendlich positive Effekte zugeschrieben wurden.228 Zudem legt die empirische Literatur inzwischen nahe, dass sich die hemmenden Effekte des Gesetzes im Wesentlichen auf kleinere börsennotierte Unternehmen beschränken, die die hohen Kosten weniger gut verkraften konnten und daher ihre amerikanische Börsennotierung aufgaben.229 Allerdings wird bei vielen der Unternehmen, die ein „delisting“ vollzogen, angenommen, dass sie sich den verschärften Anforderungen an die Corporate Governance und der potentiellen Organhaftung nicht aussetzen wollten, und daher von vornherein für den amerikanischen Kapitalmarkt weniger attraktiv waren.230 Das Vertrauen in das Rechnungswesen von Unternehmen ist so weit gestiegen, dass der Vertrauensverlust nach Bilanzberichtigungen fast völlig verschwand.231 Bei den nach wie vor in den USA gelisteten Unternehmen wurde die Rechnungslegung konservativer.232 Auch Directors, die im Hinblick auf Kosten und den Aufwand zur Compliance kritisch sind, bestätigen, dass die Zertifizierung zu besseren Ge-
226 s. z. B. Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 106; U.S. Securities and Exchange Commission, Office Of Economic Analysis, Study of the Sarbanes-Oxley Act of 2002 Section 404 Internal Control over Financial Reporting Requirements (2009). 227 s. z. B. Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 109. 228 Vgl. z. B. Lucci, Bankruptcy Heard Around the World, 67 Alb. L. Rev. 211 (2003), S. 244 f. 229 Joseph D. Piotroski/Suraj Srinivasan, Regulation and Bonding: The Sarbanes-Oxley Act and the Flow of International Listings, 46 Journal of Accounting Research 383 (2008); Romano, Does the Sarbanes-Oxley Act Have a Future?, 26 Yale J. on Reg. 229 (2009), S. 255; Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 109; Lucci, Bankruptcy Heard Around the World, 67 Alb. L. Rev. 211 (2003), S. 237. Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:23. 230 Vgl. z. B. Piotroski/Srinivasan, Regulation and Bonding, 46 J. Acct. Res. 383 (2008), S. 414 ff. 231 Mark Hirschey/Kevin R. Smith/Wendy M. Wilson, Financial Reporting Credibility After SOX: Evidence from Earnings Restatements, Working Paper (2012), S. 6. Inwieweit dieser Effekt ausschließlich SOX zuzurechnen ist und inwieweit andere Ereignisse wie beispielsweise die verschärften Regulierungen der Börsen nach 2001 einen Einfluss auf das Vertrauen der Anleger hatten, wird nicht abschließend zu klären sein. S. 8. 232 Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 93; Gerald J. Lobo/ Jian Zhou, Did Conservatism in Financial Reporting Increase after the Sarbanes-Oxley Act? Initial Evidence, 20 Accounting Horizons 57 (2006). Insgesamt wurde ein Rückgang in der Risikobereitschaft der Unternehmen belegt. S. 4; s. auch Leonce Bargeron/Kenneth Lehn/Chad Zutter, Sarbanes-Oxley and Corporate Risk-Taking, 49 Journal of Accounting and Economics 34 (2009). Angesichts der Erkenntnisse nach dem Jahr 2007 erscheinen die dabei verwendeten Parameter (z. B. Forschungsausgaben) allerdings nicht mehr aussagefähig genug, um daraus generalisierende Schlüsse zur Risikobereitschaft aller Unternehmen zu ziehen.
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schäftsberichten geführt hat.233 Wirtschaftsprüfer, deren Industrie durch SOX die vielleicht größten Änderungen erfahren hat, sprachen zehn Jahre später von einem „substantial benefit“ für Anleger und den US-Kapitalmarkt.234 Eine Studie ermittelte 2009, dass Unternehmen, die die Vorgaben des Gesetzes zu internen Kontrollen nicht erfüllen, eine erheblich höhere Rate an Bilanzberichtigungen verzeichnen, als Unternehmen, die sich danach richten.235 Trotz einer stetig steigenden Rate an Bilanzberichtigungen nach dem Erlass von SOX,236 ist die Zahl der Fälle von ernstem Bilanzbetrug seit SOX deutlich zurückgegangen: Während Betrug im Jahr 1997 noch in 29 % aller Bilanzberichtigungen eine Rolle spielte, war dieser Anteil im Jahr 2006 auf lediglich 2 % zurückgegangen.237 Vielleicht ist es daher auch als Erfolg des Gesetzes zu werten, dass die SEC trotz größerer Aggressivität in den Jahren nach Sarbanes-Oxley keine wesentlich höhere Zahl an Manipulationen von Rechnungslegung verzeichnen konnte.238 Die Breite des Sarbanes-Oxley Act selber und die vielen anderen Ereignisse, die die amerikanische Wirtschaft 2001 und 2002 erschütterten, machen es letztendlich unmöglich, bestimmte Effekte einem bestimmten Aspekt des Gesetzes zuzuordnen.239 Gespräche mit Directors und Officers können Anhaltspunkte dafür geben, 233 68 % der Befragten in der bereits erwähnten Interview-Studie stimmten dieser Aussage zu. Cohen, Effectiveness of SOX Regulation, 25 Behav. Res. Acct. 61 (2013), S. 26. Allerdings stimmen 89 % zu, dass SOX insgesamt zu einer höheren Qualität der Geschäftsberichte geführt hat, ein kleinerer Teil der Befragten sieht also einen positiven Effekt durch den Rest des Gesetzes, aber keinen durch die Zertifizierung. S. 29. 234 Ernst & Young LLP, The Sarbanes-Oxley Act at 10: Enhancing the reliability of financial reporting and audit quality (2012). 235 Audit Analytics ermittelte eine Differenz von 46 %. Audit Analytics, Restatements Disclosed by the Two Types of SOX 404 Issuers (2009). s. auch z. B. Sarah Johnson, Does Sarbox Reduce Restatements?, CFO.com (2. Dezember 2009); Tammy Whitehouse, Data Says Audits Reduce Restatements, Speed Disclosures, Compliance Week (3. Dezember 2009). Vgl. auch Audit Analytics, 2009 Financial Restatements – A Nine Year Comparison (2010) (Unternehmen, die die Vorgaben von SOX besonders intensiv treffen, melden deutlich weniger Bilanzberichtigungen). 236 Der Anstieg begann bereits vor SOX, wahrscheinlich im Zuge der wirtschaftlichen Schwäche um das Jahr 2001, ein Großteil des Anstiegs betraf allerdings Unternehmen, die nicht an den wichtigsten Börsen notiert sind. U.S. Department Of The Treasury, Susan Scholz, The Changing Nature and Consequences of Public Company Financial Restatements 1997 – 2006 (2008), S. 2. 237 U.S. Treasury, Changing Nature and Consequences of Financial Restatements (2008), S. 3. s. auch Cohen, Effectiveness of SOX Regulation, 25 Behav. Res. Acct. 61 (2013), S. 35. 238 Denton Collins/Adi Masli/Austin L. Reitenga/Juan Manuel Sanchez, Earnings Restatements, the Sarbanes-Oxley Act and the Disciplining of Financial Officers, 24 Journal of Accounting, Auditing & Finance 1 (2009), S. 16. Die Zahl der Bilanzberichtigungen insgesamt stieg nach dem Jahr 2010 allerdings wieder leicht an, hierfür wurden weitere Verschärfungen in der Aufsicht verantwortlich gemacht. s. z. B. Lisa Proulx, SOX 404 Disclosures: ATwelve Year Review, Audit Analytics (1. September 2016). 239 s. z. B. Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 106; Butler/ Ribstein, Sarbanes-Oxley Debacle (2006), S. 26 ff.
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inwieweit die Drohung von Haftung einen Einfluss auf Verhalten gehabt hat, doch sind, wie erläutert, auch hier die tatsächlichen gesetzlichen Regelungen nicht von der Berichterstattung und öffentlichen Wahrnehmung der Gesetze zu trennen, die die bereits existierende Gesetzeslage zum Teil überhaupt nicht ändern. Tatsache ist allerdings, dass sich die innerbetrieblichen Abläufe der Unternehmen, insbesondere mit Hinblick auf die Rechnungslegung seit 2002 enorm geändert haben. Es ist sehr wahrscheinlich, dass selbst die Konkretisierung bereits vorhandener Pflichten und die Spezifizierung persönlicher Haftung für die Verantwortlichen einen direkten oder indirekten Effekt gehabt haben. Letztendlich haben sich die neuen Prozesse positiv in erhöhter Transparenz des Kapitalmarktes niedergeschlagen. Für eine theoretische Betrachtung der Haftung bietet SOX die Möglichkeit, die Effekte von als erhöht empfundener persönlicher Haftung zu beobachten. Officers, die selber einen hohen Preis zahlen, wenn sie Schwächen im Rechnungswesen nicht wahrnehmen oder nicht beheben, haben ein hohes und vor allem persönliches Interesse daran, absolut jeden möglichen Mangel in den Bilanzen aufzudecken. Diese zum Teil sehr aufwändige Gründlichkeit belastet die Bilanzen des Unternehmens und ist daher bei objektiver Betrachtung nicht immer in seinem kurzfristigen wirtschaftlichen Interesse, da sie kein relevanter Bestandteil seiner Marktkapitalisierung ist.240 Deshalb würde ein nicht persönlich betroffener Entscheidungsträger sie vielleicht nicht im nötigen Maße fördern.241 Die Verfasser des Sarbanes-Oxley Act entschieden sich im Interesse der Integrität des Marktes daher, teure und möglicherweise übertriebene Compliance dem Risiko zu geringer Compliance vorzuziehen und bauten die entsprechenden Haftungsmechanismen in das Gesetz ein. Mit Section 302 vergleichbare unmittelbare persönliche Pflichten für Organmitglieder sind dem deutschen Recht (noch) fremd. Es gilt der Grundsatz der Gesamtverantwortung des jeweiligen Organs, der zwar die Zuordnung von Kompetenzen an Vorstandsressorts und Aufsichtsratsausschüsse zulässt, nicht aber eine entsprechende Beschränkung der letztendlichen Verantwortung auf einzelne Mitglieder.242 Spätestens mit dem amerikanischen Beispiel des Sarbanes-Oxley Act ist auch in Deutschland verstärkt die Frage gestellt worden, ob dieses Festhalten an der Gesamtverantwortung den modernen Unternehmensrealitäten gerecht wird, auch wenn die Vorzüge der horizontalen Überwachung innerhalb der Gremien, insbesondere des Vorstands, für das Kollegialprinzip wichtig sind.243 240
Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 104. Coates, Goals and Promise of SOX, 21 J. Econ. Persp. 91 (2007), S. 103. 242 Vgl. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 149. 243 s. z. B. Barbara Grunewald/Joachim Hennrichs, Haftungsrisiken für Vorstandsmitglieder insolvenzgefährdeter Vereine, in: Stefan Grundmann/Brigitte Haar/Hanno Merkt/Peter O. Mülbert/Marina Wellenhofer (Hrsg.), Festschrift für Klaus J. Hopt zum 70. Geburtstag am 24. August 2010 – Unternehmen, Markt und Verantwortung (2010), S. 101; Hartmut Wicke, Der CEO im Spannungsverhältnis zum Kollegialprinzip – Gestaltungsüberlegungen zur Leitungskultur der AG, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3755; Michael Hoffmann-Becking, Vorstandsvorsitzender oder CEO?, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2003, 745; Jan von 241
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b) Audit Committee Der Prüfungsausschuss des Board of Directors („audit committee“), über den seit SOX jedes in den USA notierte Unternehmen verfügen muss,244 wird durch das Gesetz gestärkt, aber auch stärker in die Verantwortung genommen. Der Sarbanes-Oxley Act stellt die Autonomie des Audit Committee in den Vordergrund und regelt, dass nur vom Unternehmen unabhängige („independent“) Mitglieder des Board of Directors Teil des Ausschusses werden können, die mit Ausnahme ihrer Vergütung als Directors keine Gelder vom Unternehmen beziehen und nicht „affiliated persons“ des Unternehmens sind, wie beispielsweise Officers, Angestellte oder größere Aktionäre.245 Das Committee erhält die ausdrückliche Befugnis, seine eigenen Anwälte und andere Berater zu beschäftigen, deren Unabhängigkeit von der Unternehmensführung so gesichert werden soll.246 Das Audit Committee ist aufgrund der größeren Distanz zur Unternehmensführung tiefer in die Prüfung eingebunden. Der Abschlussprüfer berichtet seit SOX nicht mehr an das Management sondern an das Audit Committee, der über Auswahl und Vergütung des Abschlussprüfers entscheidet und seine Arbeit überwacht.247 Der Prüfer erstattet dem Audit Committee regelmäßig Bericht, so dass er Informationen über Rechnungslegungsstandards und bilanzpolitische Maßnahmen, die bei der Prüfung angewendet werden sollen, unabhängig von der Unternehmensführung erhält und sich eine eigene Meinung zu alternativen bilanziellen Abbildungsmöglichkeiten bilden kann, die der Abschlussprüfer vielleicht bevorzugen würde. Auch über Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Abschlussprüfer und der Unternehmensführung berichtet der Prüfer an das Audit Committee.248 Neben der eiHein, Vom Vorstandsvorsitzenden zum CEO?, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2002, 464. 244 SOX verlangt ein Audit Committee gar nicht explizit, vielleicht weil viele der amerikanischen Börsen, darunter auch die New York Stock Exchange (NYSE) und die American Stock Exchange (AMEX), sowie die damalige National Association of Securities Dealers (NASD, heute aufgegangen in der Financial Industry Regulatory Authority, Inc., FINRA) Audit Committees schon seit den 1970er und ‘80er Jahren verlangten. Stuart D. Buchalter/Kristin L. Yokomoto, The Audit Committee’s New Job Description, 73 The CPA Journal No. 3 (2003); Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 141 ff. Compliance gemäß SOX ist ohne ein Audit Committee oder ein vergleichbares Gremium allerdings nicht möglich. 245 SOX § 301; 15 U.S.C. § 78 f(m)(3)(A). SOX verwendet die Definition von „affiliated person“ des Investment Company Act of 1940 unter 15 U.S.C. § 80a-2(a)(3) (i.V.m. 15 U.S.C. § 78c(a)(19)). Sie beinhaltet unter anderem Aktionäre, die mindestens 5 % der stimmberechtigten Aktien des Unternehmens halten, sowie die Vertreter juristischer Personen, deren stimmberechtigten Aktien das Unternehmen zu mindestens 5 % hält. In anderen Zusammenhängen, beispielsweise mit spezifischen Börsenregeln, können sich die Definitionen der Ausdrücke „independent director“ oder „affiliated person“ leicht unterscheiden. Vgl. auch Bainbridge, Corporate Governance after the Crisis (2012), S. 77 ff. 246 15 U.S.C. § 78 f(m)(5). 247 15 U.S.C. § 78 f(m)(2). 248 SOX § 204; 15 U.S.C. § 78j-1(k).
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gentlichen Prüfung muss das Audit Committee auch alle anderen Dienste der an ihr beteiligten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften genehmigen.249 SOX soll somit sicherstellen, dass das Audit Committee einen möglichst ungetrübten Einblick in die Bilanzierungsentscheidungen des Unternehmens hat und dass das Management sich einer umfassenderen Aufsicht sowohl seitens der Prüfer als auch des Board of Directors gegenüber sieht. Diese Aufsicht soll ebenfalls aus dem Unternehmen selber erfolgen, denn es obliegt dem Audit Committee, Prozesse für Beschwerden aus der Belegschaft zu Rechnungslegung und -prüfung und den Schutz von Whistleblowers einzuführen, so dass es unabhängige Informationen auch von Angestellten erwarten kann.250 Auch Anwälte des Unternehmens, die in Erfüllung ihrer eigenen Pflichten unter SOX die Unternehmensführung auf eine wesentliche Verletzung des Kapitalmarktrechts oder von Fiduciary Duties aufmerksam gemacht haben, müssen sich direkt an das Audit Committee wenden, wenn die Unternehmensführung keine angemessenen Schritte einleitet.251 Die direkte Berichtslinie von den externen Prüfern zu einem nur aus Independent Directors bestehenden Aufsichtsgremium ohne Einbeziehung der Unternehmensführung soll auch die Unabhängigkeit der Abschlussprüfer weiter fördern. Dies wird verstärkt durch die von SOX vorgenommene Umstrukturierung der Wirtschaftsprüfungsindustrie erreichen sollte, die den Prüfungsgesellschaften das Anbieten von lukrativen aber offenbar zu Interessenkonflikten verleitenden Zusatzdienstleistungen untersagte. Um eine verantwortungsvolle Erfüllung all seiner Aufgaben zu gewährleisten, empfiehlt SOX, dass jedes Audit Committee mindestens einen Finanzexperten („financial expert“ oder „audit committee financial expert“252) als Mitglied hat. Fehlt ein solcher Experte, muss das Unternehmen dies offenlegen.253 Der Bezug auf einen solchen Experten, vor allem die explizite Bezeichnung als solcher, stellte nach Inkrafttreten von SOX die Frage der Expertenhaftung in den Vordergrund. Generell gilt, dass ein Director mit spezifischer Expertise einen höheren Sorgfaltsmaßstab 249 SOX § 201; 15 U.S.C. § 78j-1(h). Hierzu gehören Steuerdienstleistungen oder zusätzliche Prüfungen, die das Unternehmen gemäß State Law durchführen muss. SOX enthält eine Liste von „prohibited activities“, die Wirtschaftsprüfungsgesellschaften aufgrund des Potentials für Interessenkonflikte überhaupt nicht mehr anbieten dürfen, darunter Unternehmensbewertungen, Rechts- und Unternehmensberatung, und Finanzdienstleistungen. Diese Genehmigung wird Anlegern in der periodischen Berichtserstattung des Unternehmens offengelegt. SOX § 202; 15 U.S.C. § 78j-1(i). 250 15 U.S.C. § 78 f(m)(4). 251 SOX § 307; 15 U.S.C. § 7245. 252 Die Regel der SEC verwendet den Begriff „audit committee financial expert“, um den Bezug zu Bilanzführung und Wirtschaftsprüfung zu betonen, da ihrer Auffassung nach der Begriff „financial expert“, den der Gesetzgeber gewählt hatte, eine andere Expertise nahelege. U.S. Securities and Exchange Commission, Disclosure Required by Sections 406 and 407 of the Sarbanes-Oxley Act of 2002, Final Rule, Request for Comment, 17 C.F.R. §§ 228, 229 & 249, Release No. 33 – 8177 & 34 – 47235, File No. S7 – 40 – 02, 2003., II.A.I. 253 SOX § 406; 15 U.S.C. § 7265. Zur offenlegungsbasierten Strategie des Gesetzgebers unter SOX s. auch z. B. Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:96.
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schuldet, dass er also einem höheren Haftungsrisiko unterliegt.254 Angesichts des hohen Schadenspotentials hatten mögliche Audit Committee Financial Experts also ein großes Interesse an der Feststellung, ob sie allein persönlich haften könnten, wenn das gesamte Audit Committee einen Finanzbetrug fahrlässig nicht bemerkt hätte. Um ihr Ziel, die Unternehmensaufsicht zu stärken, nicht zu untergraben, kommentierte die SEC bei Erlass der entsprechenden Regeln, dass der Audit Committee Financial Expert in Bezug auf Haftungsfragen nicht als Experte gewertet werden sollte und dass für ihn keine höheren Due Diligence Auflagen gelten sollten.255 Obwohl Kommentare der SEC großen Einfluss haben, sind Gerichte an diese Interpretation der SEC aber nicht gebunden. Ein Audit Committee Financial Expert kann eine schärfere Haftung daher nicht völlig ausschließen.256 Inwieweit sich die erhöhte Verantwortung also auch durch erhöhte Haftung durchsetzen lässt, ist nicht abschließend geklärt. Wie bei SOX Section 302 kann aber auch im Falle des Audit Committee das Haftungsempfinden einen Einfluss auf das Verantwortungsempfinden und letztendlich das Verhalten haben. In einer Umfragenstudie machen aktive Directors SOX und das Gefühl eines höheren Haftungsrisikos direkt für verschärfte Aufmerksamkeit unter Board Mitgliedern und eine Stärkung des Board of Directors verantwortlich.257 Diese Entwicklung ist nur zum Teil mit den tatsächlichen gesetzlichen Vorgaben zu erklären: Obwohl das Gesetz nicht verlangt, dass jedes Audit Committee einen Finanzexperten als Mitglied haben muss, sondern die Unternehmen andernfalls lediglich zur Offenlegung verpflichtet, besetzten die Unternehmen ihre Audit Committees nach den Bilanzskandalen und dem Erlass von SOX mit solchen Experten um das erschütterte Vertrauen der Aktionäre wieder herzustellen. Eine Qualifikation als Wirtschaftsprüfer oder vergleichbare Expertise hat sich inzwischen zu einer de facto Bedingung für die Mitgliedschaft im Audit Committee entwickelt: Eine Untersuchung im Jahr 2017 ergab, dass ca. die Hälfte der 500 größten börsennotierten Unternehmen in den USA drei oder mehr Financial Experts in ihren Audit Committees hatten.258 Bei der Ernennung 254
s. z. B. Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 7:7. Gleiches gilt auch in Deutschland, s. z. B. Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 28; Lutter, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (2014), Rn. 1011. 255 SEC, Disclosure under SOX Sec. 406 and 407, Final Rule, 17 C.F.R. §§ 228, 229 & 249., II.A.5. 256 Wie bereits detailliert dargelegt, ist es aber höchst unwahrscheinlich, dass ein Director für Haftungsansprüche tatsächlich aus dem eigenen Vermögen aufkommen muss, dies gilt nicht minder für Audit Committee Financial Experts. s. supra, Haftungskultur der USA (S. 32). 257 Cohen, Effectiveness of SOX Regulation, 25 Behav. Res. Acct. 61 (2013). 258 s. z. B. Boardroom Resources, LLC, What’s the Magic Number of Financial Experts?, Audit Committee Trends (23. August 2016). s. auch Cohen, Effectiveness of SOX Regulation, 25 Behav. Res. Acct. 61 (2013), S. 20, Fn. 7. Auch die Regeln der einschlägigen Börsen verlangen höchstens einen Experten im Audit Committee. Vgl. z. B. Intercontinental Exchange, Inc., New York Stock Exchange Listed Company Manual (2009), § 303 A.07(a); Nasdaq, Inc., NASDAQ Stock Market Rules (2009), Rule 5605(c)(2)(A).
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
mehrerer Experten pro Ausschuss können auch Überlegungen zur Expertenhaftung eine Rolle gespielt haben, die weniger wahrscheinlich wird, wenn die Expertise durch mehrere Experten größer wird und sich die Verantwortung auf mehrere Personen verteilt. Insbesondere vor dem Hintergrund der nicht völlig auszuschließenden Expertenhaftung werden die Finanzexperten in Audit Committees die Anwesenheit weiterer im eigenen Interesse fördern. 8. Pflichten gegenüber Aktionären in Deutschland Auch die deutsche Gesetzgebung sieht eine Vielzahl von kapitalmarktrechtlichen Informationspflichten vor. Anders als in den USA sind die Organe aber in viele dieser Pflichten nicht direkt eingebunden, sie betreffen stattdessen primär die Gesellschaft.259 Eine Außenhaftung der Organe gegenüber Aktionären sowie straf- und bußgeldrechtliche Ahndung für falsche Angaben am Kapitalmarkt können dennoch ein ernstes Risiko insbesondere für Vorstände deutscher Aktiengesellschaften darstellen. a) Kapitalmarktrechtliche Pflichten und Haftung gegenüber Aktionären in Deutschland Aus Sicht der emittierenden Gesellschaft sind insbesondere zwei spezialgesetzlich geregelte Sachverhaltskomplexe den amerikanischen Informationspflichten vergleichbar, die für die Aktionäre explizit Schadensersatzansprüche vorsehen. Im Primärmarkt regelt § 21 des Wertpapierprospektgesetzes (WpPG) die Prospekthaftung wegen fehlerhafter Wertpapierprospekte,260 im Sekundärmarkt begründet § 15 des Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) die Pflicht des Emittenten, Insiderinformationen (auch „Ad-Hoc“ Mitteilungen) unverzüglich mitzuteilen. §§ 37b und 37c WpHG sehen Schadensersatzansprüche wegen unterlassener bzw. unwahrer Mitteilungen vor, § 39 WpHG regelt verschiedene Bußgeldvorschriften, die sich aus der Ad-Hoc Publizitätspflicht ergeben. Die Organmitglieder betreffen sie aber nur indirekt, denn bei einem Verstoß führt die Organstellung einer Person unter keiner dieser Normen zu einer Außenhaftung den Aktionären gegenüber. Organmitglieder kommen unter § 21 WpPG zwar als sogenannte Prospektveranlasser und damit möglicherweise Anspruchsgegner in Frage, allerdings in aller Regel nur dann, wenn sie ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Emission haben und auf die Veröffentlichung des fehlerhaften Prospekts hingearbeitet
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Vgl. auch Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 116; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 623. 260 § 22 WpPG übernimmt die Regelungen des § 21 WpPG für Prospekte, die nicht der Einführung von Wertpapieren an einer inländischen Börse dienen.
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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haben.261 Da nur der Emittent die Mitteilung von Insiderinformationen gemäß § 15 WpHG schuldet, sehen §§ 37b und 37c WpHG auch ausschließlich den Emittenten als Haftenden vor. Die beiden Normen verweisen lediglich auf die sich möglicherweise ergebenen zwingenden Ansprüche des Emittenten gegen seine Vorstandsmitglieder.262 Vereinbarungen zu Minderung oder Erlass der Innenhaftungsansprüche erklären sowohl das WpPG als auch das WpHG für unwirksam.263 Für deutsche Organe birgt diese Gesetzgebung also zwar Anreize, Prospekte und Ad-Hoc Mitteilungen gründlich zu prüfen und verlässliche Informationssysteme zu instituieren, so dass Insiderinformationen rechtzeitig mitgeteilt werden. Haftungsanreize ergeben sich aus den erwähnten Pflichten allerdings nur indirekt aus Pflichtverletzungen des Unternehmens in Verbindung mit § 93 Abs. 2 AktG,264 eine direkte Corporate Governance Haftung begründet weder § 21 WpPG, noch §§ 37b und 37c WpHG. Im Zusammenhang mit der Börsennotierung einer deutschen Aktiengesellschaft bestehen allerdings zahlreiche weitere Pflichten zu wahrheitsgemäßen Aussagen, die ähnliche Anreize schaffen und zum Teil die Organmitglieder auch persönlich treffen. Einige Verstöße gelten dabei als Straftaten, andere als Ordnungswidrigkeiten. Bei einigen kann sich auch, insbesondere in Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB oder auch § 826 BGB, direkte Außenhaftung gegenüber geschädigten Aktionären oder Gläubigern ergeben.265 Eine besonders breite Haftungsgrundlage bietet § 400 AktG.266 Die Norm droht Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren, wenn sie der Hauptversammlung durch eine unrichtige Darstellung ein
261 Wolfgang Groß, Kapitalmarktrecht, in: Carsten Thomas Ebenroth/Karlheinz Boujong/ Detlev Joost/Lutz Strohn (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Auflage (2015), Rn. IX 772; Christoph Kumpan, § 21 WpPG – Haftung bei fehlerhaftem Börsenzulassungsprospekt, in: Klaus J. Hopt/Adolf Baumbach (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 36. Auflage (2014), Rn. 5. Vgl. auch BGH, Urteil vom 18. September 2012, XI ZR 344/11, BGHZ 195, 1; Klaus J. Hopt, Die Haftung für Kapitalmarktinformationen – Rechtsvergleichende, rechtsdogmatische und rechtspolitische Überlegungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2013, 101, S. 103. 262 § 37b Abs. 5 WpHG; § 37c entsprechend. s. auch z. B. Christoph Kumpan, § 37b WpHG – Schadenersatz wegen unterlassener unverzüglicher Veröffentlichung von Insiderinformationen, in: Klaus J. Hopt/Adolf Baumbach (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 36. Auflage (2014), Rn. 2. 263 s. § 25 Abs. 1 WpPG und § 37b Abs. 5 WpHG; § 37c entsprechend. 264 s. supra, Eigenständige Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat (S. 61). 265 Eine eingehende Betrachtung von Straftatbeständen, Ordnungswidrigkeiten und Delikten im Zusammenhang mit Schädigungen außenstehender Dritter folgt an späterer Stelle. s. infra, Vergleichbare Rechtsinstrumente zum Drittschutz in Deutschland (S. 370). Zu den Einschränkungen der Verwendung von § 823 BGB als Anspruchsgrundlage für Aktionäre, s. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 626. 266 Vgl. z. B. Hans-Jürgen Schaal, § 400 AktG – Unrichtige Darstellung, in: Wulf Goette/ Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage (2011), Rn. 3.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
falsches Gesamtbild über den Vermögensstand der Gesellschaft vermitteln267 oder den Prüfern der Gesellschaft gegenüber bestimmte falsche Angaben machen.268 Insbesondere in Verbindung mit seiner Berichtspflicht an die Hauptversammlung gemäß § 171 Abs. 2 ergibt sich hieraus möglicherweise auch ein seltenes, von Handlungen des Vorstands unabhängiges Haftungspotential für den Aufsichtsrat.269 Das Organmitglied muss allerdings vorsätzlich oder mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben, um eines Verstoßes schuldig zu sein.270 § 400 AktG gilt als Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB und steht Aktionären entsprechend zur Durchsetzung von Ansprüchen zur Verfügung.271 Tateinheit kann beispielsweise272 bestehen zwischen § 400 AktG und Artikel 15 der europäischen Marktmissbrauchsverordnung („Market Abuse Regulation“ oder MAR),273 die durch das Erste Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FinMaNoG) in Deutschland umgesetzt wurde.274 Artikel 15 MAR verbietet Marktmanipulation und deren Versuch, Artikel 12 MAR wiederum definiert Marktmanipulation unter anderem als die Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen zu Angeboten, Kurswerten oder Referenzwerten.275 Vorsätzliche, aber auch leichtfertige Verletzungen dieses Verbots stellen eine Ordnungswidrigkeit gemäß § 39 Abs. 3d Nr. 2 WpHG dar, die mit einer Geldbuße von bis zu E 5 Millionen geahndet werden kann.276 Der relativ geringe Verschuldensmaßstab der Leichtfertigkeit bedeutet eine besondere Gefahr auch für ansonsten sorgfältige Organmitglieder, insbesondere, da 267 § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist beschränkt auf Materialien, die einen „Gesamtüberblick“ über die wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft erlauben, wie insbesondere Bilanzen, die das gesamte Unternehmen erfassen. BGH, Urteil vom 19. Juli 2004, II ZR 402/02, BGHZ 160, 149 (Infomatec), Rn. 37. 268 § 400 Abs. 1 Nr. 2 AktG. 269 Schaal, § 400 AktG, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 23; Roland Hefendehl, § 400 AktG – Unrichtige Darstellung, in: Gerald Spindler/Eberhard Stilz (Hrsg.), Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage (2015), Rn. 59. 270 Schaal, § 400 AktG, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 46 & 71; Hefendehl, § 400 AktG, Komm. AktG (Spindler/Stilz) (2015), Rn. 93. 271 Hierzu s. z. B. Hefendehl, § 400 AktG, Komm. AktG (Spindler/Stilz) (2015), Rn. 76 ff.; Schaal, § 400 AktG, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 3; Gerhard Wagner, § 823 BGB – Schadensersatzpflicht, in: Franz Jürgen Säcker/Roland Rixecker/Hartmut Oetker/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Auflage (2017), Rn. 424. 272 Tateinheit kann außerdem bestehen mit verschiedenen Betrugstatbeständen und Urkundenfälschung (§§ 263, 264a, 265b, 267 StGB), Untreue (§ 266), sowie strafbarer Werbung (§ 16 UWG). Hefendehl, § 400 AktG, Komm. AktG (Spindler/Stilz) (2015), Rn. 127. 273 VO (EU) Nr. 596/2014. 274 Abgelöst wurde dadurch § 20a WpHG a.F., das Verbot der Marktmanipulation. Vgl. z. B. Thomas Giering, Das neue Kapitalmarktmissbrauchsrecht für Emittenten, Corporate Compliance Zeitschrift 2016, 214, S. 218; Dörte Poelzig, Insider- und Marktmanipulationsverbot im neuen Marktmissbrauchsrecht, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2016, 528. 275 Art. 12 (1)(c) & (d) MAR. 276 § 39 Abs. 4a WpHG.
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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die Angaben möglicherweise formlos, auch mündlich, erfolgen können, sofern sich die Rechtsprechung an der Rechtslage zur Vorgängernorm (§ 20a WpHG a.F.) orientiert.277 Bei einer vorsätzlichen oder bedingt vorsätzlichen Handlung, die tatsächlich einen Effekt auf den Preis der Wertpapiere bewirkt hat, kann es nach den Strafvorschriften des § 38 WpHG sogar zu einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren kommen.278 Subsidiär ist § 400 AktG den engeren Vorgaben des § 331 HGB, sofern sich die Tatbestände überschneiden,279 der unrichtige Darstellungen in bestimmten Zusammenhängen mit Bilanzen und Rechnungslegung der Gesellschaft ebenfalls mit einer maximalen Freiheitsstrafe von drei Jahren belegt. In Verbindung mit § 823 Abs. 2 BGB können Aktionäre Ersatzansprüche für durch Verstöße gegen § 331 HGB entstandenen Schaden durchsetzen,280 für einen Verstoß müssen die Organmitglieder aber auch hier mindestens bedingt vorsätzlich gehandelt haben.281 Neben dem Verbot der Bilanzfälschung und Bilanzverschleierung enthält § 331 HGB seit dem Jahr 2006 unter Nr. 3a aber auch den strafbaren Tatbestand der unrichtigen Abgabe eines von Versicherungen zu bestimmten Abschlüssen und Berichten (häufig als „Bilanzeid“ bezeichnet).282 Er ähnelt SOX Section 906, dem 277 Ulrich Sorgenfrei, §§ 20a, 38 Abs. 2, 39 Abs. 1 Nr. 1 – 2, Abs. 2 Nr. 11, Abs. 4 WpHG Verbot der Marktmanipulation, in: Tido Park (Hrsg.), Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 80. 278 § 38 Abs. 1 Nr. 2 WpHG. Zum subjektiven Tatbestand unter der Vorgängernorm § 20a WpHG a.F. vgl. z. B. Sorgenfrei, § 20a – § 39 WpHG, in Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 274. 279 Schaal, § 400 AktG, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 104; Hefendehl, § 400 AktG, Komm. AktG (Spindler/Stilz) (2015), Rn. 125. 280 Hans-Joachim Böcking/Marius Gros/Dirk Rabenhorst, § 331 HGB – Unrichtige Darstellung, in: Carsten Thomas Ebenroth/Karlheinz Boujong/Detlev Joost/Lutz Strohn (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Auflage (2015), Rn. 8; Dietrich Quedenfeld, § 331 HGB – Unrichtige Darstellung, in: Karsten Schmidt (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Auflage (2013), Rn. 1; Gerhard Wagner, § 826 BGB – Sittenwidrige, vorsätzliche Schädigung, in: Franz Jürgen Säcker/Roland Rixecker/Hartmut Oetker/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Auflage (2017), Rn. 77. 281 Quedenfeld, § 331 HGB, Münch. Komm. HGB (2013), Rn. 89. Sind die unrichtigen Angaben gemacht worden, um eine Befreiung zu erreichen, genügt bereits Leichtfertigkeit. § 331 Abs. 1a & 3 HGB. Dem Zweck der Befreiung wohnt ein Maß an Vorsatz allerdings bereits inne, das mit einer reinen Corporate Governance Haftung nicht zu vereinen ist. 282 § 331 Nr. 3a HGB. Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2004/109/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2004 zur Harmonisierung der Transparenzanforderungen in Bezug auf Informationen über Emittenten, deren Wertpapiere zum Handel auf einem geregelten Markt zugelassen sind, und zur Änderung der Richtlinie 2001/34/EG (Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz – TUG), Bundestag Drucksache 16/2498 (2006), S. 23. Die unterschriebene Versicherung selbst richtet sich nach § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB (Jahresabschluss), § 289 Abs. 1 Satz 5 HGB (Lagebericht), § 297 Abs. 2 Satz 4 HGB (Konzernabschluss), § 315 Abs. 1 Satz 6 HGB (Konzernlagebericht). Zum Begriff „Bilanzeid“, s. z. B. Karsten Altenhain, Der strafbare falsche Bilanzeid, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2008, 1141, S. 1141 f.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
strafrechtlichen Gegenstück zu SOX Section 302, die sich ebenfalls an den CEO und CFO des Emittenten richtet,283 insbesondere, da auch § 331 Nr. 3a HGB nur zur Abgabe eines richtigen Bilanzeides „nach bestem Wissen“ verpflichtet.284 Der deutsche Bilanzeid erstreckt sich dabei über ein breiteres Spektrum von Veröffentlichungen285 und muss von allen Vorstandsmitgliedern abgegeben werden.286 Er verfolgt also aus Corporate Governance Sicht nicht nur das Ziel, dass der Vorstandsvorsitzende und der Finanzvorstand über genug Informationen und Kontrolle über die Vorgänge innerhalb des Unternehmens unterrichtet sind, wie dies in den USA der Fall ist, sondern inzentiviert auch die übrigen Vorstandsmitglieder, genug Informationen und Kontrolle über die Tätigkeiten und Informationen von Vorstandsvorsitzendem und Finanzvorstand zu haben.287 Allen diesen präventionsgerichteten Normen ist gemein, dass sie für die Verantwortlichen ein Eigeninteresse an verlässlichen Informationsströmen innerhalb des Unternehmens bedeuten. Doch das in der Praxis wohl wichtigste Haftungsrisiko für Organmitglieder in Bezug auf Handlungen am Kapitalmarkt geht von der Informationsdelikthaftung unter § 826 BGB aus, die auf den bereits besprochenen kapitalmarktrechtlichen Pflichten aufbauen kann, aber den Ersatz aller entstandenen Schäden anordnet. Bei mindestens bedingt vorsätzlichem Handeln288 kommt hier auch, im Zweifel in Verbindung mit § 830 BGB, eine direkte Außenhaftung nicht nur für Vorstandssondern auch für Aufsichtsratsmitglieder in Betracht.289 § 826 BGB gilt auch für die 283 s. infra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). Die Regierungsbegründung bezieht sich nur auf Section 302 des Sarbanes-Oxley Act („Ebenso sieht der US-amerikanische Sarbanes-Oxley Act in Section 302 eine entsprechende, auch als Bilanzeid bezeichnete Erklärung der verantwortlichen Personen vor.“), dies mag der größeren Prominenz der zivilrechtlichen Norm geschuldet sein. Deutsche Bundesregierung, Entwurf TUG, BT Drs. 16/2498 (2006), S. 55. 284 Vgl. z. B. Quedenfeld, § 331 HGB, Münch. Komm. HGB (2013), Rn. 89; Bernard Südbeck, § 331 HGB Unrichtige Darstellung, in: Tido Park (Hrsg.), Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 83. 285 Vgl. z. B. Quedenfeld, § 331 HGB, Münch. Komm. HGB (2013), Rn. 73; Südbeck, § 331 HGB, in Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 82 f. 286 Ulrich Sorgenfrei, § 331 HGB – Unrichtige Darstellung, in: Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage (2015), Rn. 38 f.; Südbeck, § 331 HGB, in Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 79. 287 Allerdings waren, wie auch das Board of Directors in den USA, auch in Deutschland bereits vor dieser Gesetzesneuerung alle Vorstandsmitglieder verpflichtet, die Jahresberichte zu unterschreiben. § 245 HGB. Wie auch SOX Sections 302 und 906 ist § 331 Nr. 3a HGB daher vor allem als eine explizite Erinnerung an die ohnehin bestehenden Pflichten der Geschäftsleiter zu werten. So z. B. Holger Fleischer, Der deutsche „Bilanzeid“ nach § 264 Abs. 2 Satz 3 HGB, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2007, 97, S. 105. Vgl. auch supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 288 Vgl. z. B. BGH, BGHZ 160, 149 (Infomatec, 2004), Rn. 59. 289 s. Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 72. Teile des Schrifttums vertreten die Ansicht, dass der Aufsichtsrat die sittenwidrigen Handlungen bewusst veranlasst
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verpflichtenden Mitteilungen, die durch die Spezialtatbestände des WpPG und des WpHG geregelt werden und für die Organmitglieder sonst keine Außenhaftung zu erwarten haben,290 aber auch für freiwillige, formlose, sogar mündliche Mitteilungen.291 Für die Feststellung der Sittenwidrigkeit sind dabei nicht nur subjektive Faktoren, sondern auch die eingetretenen Folgen relevant,292 so dass die Anwendbarkeit von § 826 BGB zum Zeitpunkt des Handelns unter Umständen nicht unbedingt vorhersehbar ist. Im Falle von Ad-Hoc Mitteilungen kann bereits deren Unrichtigkeit die für eine Feststellung der Sittenwidrigkeit nötige Verwerflichkeit anzeigen.293 Da Kenntnis oder bewusste Unkenntnis der Unwahrheit der mitgeteilten Informationen bereits ausreichen kann, um den Vorsatz des Handelnden zu beweisen,294 sind die Verschuldensmaßstäbe und die Beweisführung der Kläger weniger hoch, als zu vermuten wäre.295 Dieses persönliche Haftungsrisiko sollte Vorstands-
oder unterstützt haben muss, bevor Aktionäre Ansprüche auf dieser Basis gegen ihn geltend machen können. s. z. B. Hartwig Sprau, § 826 BGB – Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung, in: Otto Palandt/Peter Bassenge/Gerd Brudermüller/Jürgen Ellenberger/Isabell Götz/Christian Grüneberg/Hartwig Sprau/Karsten Thorn/Walter Weidenkaff/Dietmar Weidlich (Hrsg.), Palandt Bürgerliches Gesetzbuch, 73. Auflage (2014), Rn. 35a. 290 Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 78; Stefan Grundmann, Das Wertpapier- und Effektengeschäft, in: Carsten Thomas Ebenroth/Karlheinz Boujong/Detlev Joost/Lutz Strohn (Hrsg.), Kommentar zum Handelsgesetzbuch, 3. Auflage (2015), Rn. VI 378; Sprau, § 826, Palandt BGB (2014), Rn. 35a. Vgl. z. B. § 15 Abs. 6 Satz 1 i.V.m. BGH, BGHZ 160, 149 (Infomatec, 2004), Rn. 55; Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 77. 291 s. z. B. OLG Braunschweig, Urteil vom 12. Januar 2016, 7 U 59/14, NZG 2016, 465 (Porsche/VW), Rn. 56. Vgl. z. B. Petra Buck-Heeb, Neuere Rechtsprechung zur Haftung wegen fehlerhafter oder fehlender Kapitalmarktinformation, Neue Zeitschrift für das Gesellschaftsrecht 2016, 1125, S. 1125 f.; Werner Wellhöfer/Martin Peltzer/Welf Müller (Hrsg.), Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer mit GmbH-Geschäftsführer (2008), Rn. 52. Grundsätzlich erwartet die Rechtsprechung von Anlegern allerdings, dass sie formlosen Nachrichten wie Pressemitteilungen weniger Vertrauen entgegen bringen, als formalen Kapitalmarktinformationen. s. z. B. OLG Braunschweig, NZG 2016, 465 (Porsche/VW, 2016), Rn. 66. 292 Vgl. z. B. BGH, BGHZ 160, 149 (Infomatec, 2004), Rn. 61; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 334. 293 Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 78; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 334. § 15 WpHG ist aufgrund der spezifischen Schadensersatznormierung in §§ 37b und 37c WpHG zwar kein Schutzgesetz im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB, eine Haftung gemäß § 826 BGB ist aber nicht ausgeschlossen. § 15 Abs. 6 Satz 1. Vgl. auch BGH, BGHZ 160, 149 (Infomatec, 2004), Rn. 55; Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 77. 294 BGH, Urteil vom 4. Juni 2007, II ZR 147/05, ZIP 2007, 1560 (ComROAD IV), S. 17. Vgl. auch z. B. BGH, Urteil vom 4. Juni 2013, VI ZR 288/12, NZG 2013, 992, Rn. 22; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 334; Stefan Klöckner, Informationspflichten und Haftung der Organmitglieder börsennotierter Aktiengesellschaften – Ein Vergleich USA/ Deutschland (2009), S. 243; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. 117. 295 Vgl. auch Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 117. Die Vorsatzanforderungen gelten zum Teil als so gering, dass „keine wirkliche Divergenz“ zum subjektiven Tatbestand der groben Fahrlässigkeit gemäß zum Beispiel §§ 37b und 37c gesehen
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mitglieder also zu gründlicher Kenntnis und besonderer Vorsicht bei Mitteilungen an den Kapitalmarkt disziplinieren.296 Zusätzlich enthält § 91 AktG eine explizite Buchführungspflicht und die Pflicht zur Einrichtung von Überwachungssystemen. Die Norm ist in Deutschland zwar dem Gesellschaftsrecht zuzuordnen, die amerikanischen Gegenstücke dieser Pflichten ist aber vor allem im US-Kapitalmarktrecht zu finden.297 Trotz ihres zunächst eher technischen Charakters, bilden sie elementare Corporate Governance Pflichten, da sie den Vorstand nicht nur inzentivieren, sondern zwingen, über die Vorgänge innerhalb des Unternehmens informiert zu sein, so dass er sich bei Missständen oder Verstößen nicht ohne Weiteres durch Unkenntnis exkulpieren kann. In Verbindung mit den entsprechenden Haftungs- oder Sanktionierungsvorschriften inzentivieren Vorgaben wie § 91 AktG die Verantwortlichen also zu aktiverer Unternehmensführung und zur Verhinderung von Verstößen durch einen tieferen Eingriff in die Geschicke der Gesellschaft. Sie bilden eine wichtige Grundlage für Corporate Governance Haftung. Wie auch in den USA ergeben sich auch in Deutschland zahlreiche weitere spezifische Pflichten aus dem Kapitalmarktrecht, viele von ihnen eher technischer Natur, bei deren Verletzung Organmitglieder ebenfalls persönlich haftbar sein können. Da diese Pflichten aber die Qualität der Unternehmensführung, beispielsweise durch Inzentivierungen zu besseren Informationssystemen, nicht maßgeblich über den Gesetzestext hinaus beeinflussen, werden sie an dieser Stelle nicht näher betrachtet. b) Unterschiede zu den amerikanischen Kapitalmarktpflichten Im Bereich der kapitalmarktrechtlichen Organhaftung fällt im Vergleich zwischen dem deutschen und dem amerikanischen Rechtssystem insbesondere die verhältnismäßig geringe Rolle auf, die die Außenhaftung der Organe in Deutschland (vielleicht noch) spielt. Im großen Unterschied zu den USA haben Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder in Deutschland den Aktionären gegenüber nur ausnahmsweise direkte Pflichten, von den Sondertatbeständen des Kapitalmarktrechts sind sie kaum direkt betroffen. Hat eine Verletzung ihrer Pflichten im Innenverhältnis zu einem Verstoß der Gesellschaft geführt, durch den diese einen Schaden erlitten hat, so sind die Organmitglieder lediglich der Gesellschaft zum Ausgleich verpflichtet.298 wird. Gregor Bachmann, Anmerkung zum IKB-Urteil des II. Zivilsenats des BGH, JuristenZeitung 2012, 578, S. 781. 296 So z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 334. 297 s. z. B. 15 U.S.C. §§ 78 m(b)(2) 7262(a). In Delaware ergibt sich eine Informationspflicht im Zweifel aus der Duty of Care, s. supra, Duty of Care (S. 56). 298 Gleichzeitig bedeutet diese weitreichende Beschränkung auf die Innenhaftung aber, dass die Beweislastregelung des § 93 AktG Abs. 2 AktG zu Lasten der Vorstandsmitglieder und der niedrige Verschuldensmaßstab der einfachen Fahrlässigkeit in diesen Fällen greift. Vgl. auch Werner Wellhöfer, § 1 Allgemeine Grundlagen, in: Werner Wellhöfer/Martin Peltzer/Welf
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Obgleich der Anlegerschutz in Deutschland in den letzten Jahren verschärft worden ist, sind die Möglichkeiten geschädigter Aktionäre, mit Hilfe des Kapitalmarktrechts auch durch das Unternehmen überhaupt Ausgleich für erlittenen Schaden zu erhalten, bei Weitem nicht so ausgeprägt wie in den USA.299 aa) Eingeschränkte Außenhaftung Selbst wenn es überhaupt zu durchsetzbaren Ansprüchen der Aktionäre kommt, können die Organmitglieder in aller Regel nur dann zu Anspruchsgegnern werden, wenn der Schaden auf vorsätzlich betrügerischem Handeln beruht. Es bestehen beispielsweise zunächst keine Ersatzansprüche nach § 823 Abs. 2 BGB für Vermögensschädigungen durch Wertverluste der Anteile einer Gesellschaft, selbst wenn diese schuldhaft durch ein Organ herbeigeführt wurden,300 denn §§ 93 und 116 AktG gelten nicht als Schutzgesetze, aus denen sich im Zusammenhang mit § 823 Abs. 2 BGB Ansprüche für Aktionäre, Gläubiger oder Dritte ergeben könnten.301 Insbesondere bei Prospekthaftung und Haftung für fehlerhafte oder unterlassene Ad-Hoc Publizität, zwei der wichtigsten Anspruchsgrundlagen für geschädigte Aktionäre, reicht die bloße Organstellung eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds nicht aus, um eine Haftung zu begründen.302 Auch die Einbeziehung der Organmitglieder in kapitalmarktrechtliche Zivilverfahren, die Kläger in den USA häufig aus verfahrensstrategischen Gründen verfolgen, ist in Deutschland weniger leicht möglich. Vor diesem Hintergrund ist verständlich, dass die Einführung und Kriminalisierung des Bilanzeides im Jahr 2006 von kontroversen Diskussionen geprägt war.303 Da es aber mit durch das Tatbestandsmerkmal „nach bestem Wissen“ letztendlich zu einem geringeren Verschuldensmaßstab kam als teils gefordert, und die wissentliche Abgabe eines falschen Abschlusses oder Lageberichts auch ohne den expliziten Tatbestand des falschen Bilanzeids als Verstoß gegen § 331 HGB zu werten wäre, ist die rechtstatsächliche Bedeutung der Zertifizierung von Geschäftsberichten, wie Müller (Hrsg.), Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer mit GmbH-Geschäftsführer (2008), Rn. 9. 299 Zu den wichtigen prozessrechtlichen Unterschieden s. infra, Zwischenergebnis: Vergleich der Aktionärsklage gemäß § 148 AktG mit der Derivative Action in Delaware (S. 239) und Zwischenergebnis: Class Actions und Alternativen zum KapMuG in Deutschland (S. 257). 300 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 303 ff. 301 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 309. Zusätzlich zu den hier genannten Normen kann es in Übernahmesituationen zu Corporate Governance Haftung für Organmitglieder kommen, die dem Kapitalmarktrecht zugeordnet sind. Diese finden an anderer Stelle nähere Betrachtung. 302 s. supra, Kapitalmarktrechtliche Pflichten und Haftung gegenüber Aktionären in Deutschland (S. 96). 303 s. z. B. Fleischer, Der deutsche „Bilanzeid“, ZIP 2007; Ulrich Sorgenfrei, Zweifelsfragen zum „Bilanzeid“ (§ 331 Nr. 3a HGB), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2008, 329; Altenhain, Der strafbare falsche Bilanzeid, WM 2008; Südbeck, § 331 HGB, in Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 73 ff.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
auch in den USA, gering geblieben.304 Zu erwarten ist allerdings, dass alleine ihre Einführung und die damit einhergehende Berichterstattung zu einem Sensibilisierungseffekt geführt haben, insbesondere, da der gesamte Vorstand den Bilanzeid abgeben muss. bb) Unterschiede im Schadensumfang Besteht aber eine Anspruchsgrundlage für einen geschädigten Aktionär, so bestehen doch signifikante Unterschiede im Hinblick auf die Berechnung des Schadensumfangs, den das deutsche und das amerikanische System vorsehen. Da es sich um Haftung in Sekundärmarkt handelt, leistet allerdings in jedem Fall der Emittent Ausgleich für einen Verkauf, an dem er selbst nicht beteiligt war.305 In Deutschland kann ein Aktionär in Fällen der Kapitalmarktinformationshaftung auf Basis unrichtiger Kapitalmarktinformationen entweder den Differenzschaden oder Naturalrestitution (auch Vertragsabschlussschaden) geltend machen.306 Zur Berechnung des Differenzschadens berechnet das Gericht den „wahren“ Preis der Aktie, den der Anleger ohne die falschen oder unterlassenen Angaben hätte bezahlen müssen.307 Erstattet wird dem klagenden Aktionär die Differenz zwischen dem von ihm gezahlten Preis und diesem „wahren“ Preis zum Zeitpunkt seines Kaufes, ohne Rücksicht auf weiteren Kursverfall aufgrund der Aufdeckungen.308 Zur Naturalrestitution verkauft der Anleger hingegen dem Emittenten seine Anteile zurück. Naturalrestitution kann ein Anleger im Rahmen der Prospekthaftung gemäß § 21 WpPG geltend machen, sofern er die Wertpapiere innerhalb von sechs Monaten nach der Erstemission erworben hat.309 Allerdings erhält er beim Rückverkauf höchstens den ursprünglichen Ausgabepreis, selbst wenn dieser unter dem von ihm gezahlten Erwerbspreis liegt.310 Kommt es bei Forderungen im Sekundär304 s. z. B. Südbeck, § 331 HGB, in Kapitalmarktstrafrecht (2013), Rn. 73. s. auch supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 305 Vgl. hierzu z. B. Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014). 306 BGH, Urteil vom 9. Mai 2005, II ZR 287/02, WM 2005, 1358 (EM.TV), Rn. 40; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2011, XI ZR 51/10, BGHZ 192, 90 (IKB), Rn. 67. Vgl. z. B. Hefendehl, § 400 AktG, Komm. AktG (Spindler/Stilz) (2015), Rn. 9; Bachmann, Anmerkung IKB, JZ 2012, S. 580 f.; Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), S. 79 f.; Hopt, Haftung für Kapitalmarktinformationen, WM 2013, S. 106 f.; Lars Klöhn, Die Haftung wegen fehlerhafter Ad-hoc-Publizität gem. §§ 37b, 37c WpHG nach dem IKB-Urteil des BGH, Die Aktiengesellschaft 2012, 345, S. 352; Stefan Richter, Schadenszurechnung bei deliktischer Haftung für fehlerhafte Sekundärmarktinformation – Zur Exegese des § 826 BGB (2012), S. 84. 307 s. z. B. BGH, BGHZ 160, 149 (Infomatec, 2004), Rn. 53; BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 67. Vgl. auch z. B. Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 79; Bachmann, Anmerkung IKB, JZ 2012, S. 580. 308 Kritisch hierzu z. B. Klöhn, Haftung wegen fehlerhafter Ad-hoc-Publizität, AG 2012, S. 357. 309 § 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG. 310 § 21 Abs. 1 Satz 1 WpPG.
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markt zu Naturalrestitution, so erhält der Anleger im Austausch für die Rückübertragung der Anteile auf den Emittenten den von ihm im Sekundärmarkt gezahlten Kaufpreis.311 Naturalrestitution stützt sich dabei auf den vom Kläger bewiesenen Umstand, dass er den Kauf bei korrekter Informationslage nicht getätigt hätte und stellt ihm den entsprechenden Zustand gemäß § 249 BGB wieder her.312 Ob bei Klagen, die sich aus dem Sekundärmarkt ergeben, Differenzschaden oder Naturalrestitution geltend gemacht werden kann, ergibt sich aus der Anspruchsgrundlage und der Beweislage. So gibt die Rechtsprechung dem Kläger für Klagen basierend auf § 823 Abs. 2 oder § 826 BGB und auf §§ 37b oder 37c die Wahl, welchen Anspruch er geltend machen will, solange er die für die Naturalrestitution nötige Kausalität zwischen der unrichtigen Information und seiner Kaufentscheidung beweisen kann.313 Scheitert dieser Beweis, so scheitert auch ein Anspruch auf Naturalrestitution.314 In den USA bestehen ebenfalls alternative Berechnungsmethoden des Schadensumfangs, den geringeren derer der Kläger gegebenenfalls beanspruchen kann. Die sogenannte „out-of-pocket rule“ entspricht weitgehend der Berechnung des Differenzschadens in Deutschland, der Aktionär kann hier die Differenz („inflation“) zwischen seinem (zu hohen) Kaufpreis und dem „richtigen“ Preis zum Zeitpunkt des Kaufs geltend machen.315 Es bestehen allerdings geteilte Meinungen dazu, ob die Out-of-Pocket Rule in dieser Form noch angewandt werden kann, seitdem der U.S. Supreme Court im Jahr 2005 in seiner Entscheidung zu Dura Pharmaceuticals, Inc. v. Broudo316 entschied, dass der Schaden nicht im Moment des Kaufs eintritt, sondern erst im Moment des Wertverlusts bzw. der Veräußerung.317 Das Gericht begründet dies damit, dass der 311
BGH, WM 2005, 1358 (EM.TV, 2005), Rn. 40. BGH, BGHZ 160, 149 (Infomatec, 2004), Rn. 53; BGH, WM 2005, 1358 (EM.TV, 2005), Rn. 40. 313 BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 67. Aber s. auch Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 79 f. (ohne Begründung davon ausgehend, dass das IKB-Urteil nicht für Klagen basierend auf § 826 gelten sollte, eine solche Geltung allerdings befüwortend); Klöhn, Haftung wegen fehlerhafter Ad-hoc-Publizität, AG 2012, S. 353 (kritisch der Naturalrestitution gegenüber, da sie dem Emittenten das gesamte Kursrisiko übertrage); Fabian Hannich, Quo vadis, Kapitalmarktinformationshaftung? Folgt aufgrund des IKB-Urteils nun doch die Implementierung des KapInHaG?, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2013, 449, S. 453 (Naturalrestitution für Kapitalmarktinformationshaftung ablehnend). 314 So z. B. BGH, NZG 2013, 992 (2013). 315 Ute, 406 U.S. 128 (1972), S. 155; Herman & MacLean, 459 U.S. 375 (1983), S. 555 f.; Robbins v. Koger Properties, Inc., 116 F.3d 1441 (11th Cir. 1997), S. 1447. 316 544 U.S. 336 (2005). 317 Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 342 f. Vgl. auch Halliburton II, 134 S. Ct. 2398 (2014), S. 2410; In re Petrobras Securities Litigation, Opinion and Order, No. 14cv-9662 (JSR) (S.D.N.Y., 1. Februar 2016) („[…] the Supreme Court has explained that it is not the accuracy of a price as a reflection underlying value but instead the sensitivity of the price to false statements that underlies the Basic presumption.“). Vgl. auch z. B. Dunbar/Sen, Coun312
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Kurswert der Aktie zur Zeit des Kaufs doch den tatsächlichen Wert der Aktie reflektiert, denn der Anleger könnte sie im Moment seines Kaufs zum gleichen Preis auch verkaufen.318 Zu diesem Zeitpunkt hat er also keinen Verlust erfahren.319 Da sich Dura nur mit dem Element der Loss Causation, also dem Nachweis einer kausalen Verbindung zwischen den fehlerhaften Informationen und dem tatsächlichen wirtschaftlichen Schaden des Klägers,320 und nicht mit der Höhe der Verluste beschäftigte, hält die Rechtsprechung daher zum Teil an der Out-of-Pocket Rule zur Berechnung der Schadenshöhe fest.321 Andere Meinungen sehen in Dura eine „explizite Ablehnung“322 der Out-of-Pocket Rule in ihrer ursprünglichen Form.323 Alternativ und der Urteilsbegründung in Dura näher ist eine Schadensberechnung nicht auf Basis des „richtigen“ Preises zum Zeitpunkt des Kaufs, sondern des tat-
terfactual Keys, 2009 Wis. L. Rev. 199 (2009), S. 221; Cornerstone Research/Kristin M. Feitzinger, Estimating Recoverable Damages In Rule 10b-5 Securities Class Actions, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2015), S. 4. 318 Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 342. Vgl. auch die in Dura zitierte Entscheidung von Judge Richard Posner in Bastian v. Petren Resources Corp., 892 F.2d 680 (7th Cir. 1990): „No hurt, no tort.“ 319 Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 342. Kritiker bemerken, dass diese Sichtweise möglicherweise dieser Form von Aktionärsklage ihren abschreckenden Effekt nimmt, da einige Fälle von Betrug nie den nötigen Effekt auf den Kurswert haben werden. s. z. B. James C. Spindler, Why Shareholders Want Their CEOs To Lie More After Dura Pharmaceuticals, 95 Georgetown Law Journal 653 (2007), S. 658. Dies ist zutreffend, doch werden in den meisten Fällen auch bußgeldrechtliche und strafrechtliche Verfahren anhängig sein (s. infra, Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies am Beispiel der SEC (S. 265) und Section 10(b) und Securities Fraud (S. 350)), so dass ausreichende Abschreckung besteht, ohne dass die Aktionäre über die von ihnen erfahrenen Verluste hinaus kompensiert werden müssten. 320 Aber s. auch Kantrow, Not Really a Loss Causation Case, 67 La. L. Rev. 257 (2007) (sieht hier nur die Notwendigkeit von „loss existence“, nicht aber Loss Causation). 321 s. z. B. Acticon A.G. v. China North East Petroleum Holdings Ltd., 692 F.3d 34 (2d Cir. 2012); In re BP PLC Securities Litigation, Opinion, No. 14 – 20420 (5th Cir., 8. September 2015); Allen Ferrell, Atanu Saha, Forward-Casting 10b-5 Damages: A Comparison to Other Methods, 37 Journal of Corporation Law 365 (2012). Für die Bedeutung des Elements der Loss Causation ist die Argumentation der Entscheidung in Dura allerdings notwendig, denn wäre der Schaden bereits beim Kauf zu einem verzerrten Preis und nur aufgrund dieser Verzerrung eingetreten, wäre ein Nachweis der Loss Causation gar nicht notwendig, denn ein kausaler Zusammenhang zwischen der fehlerhaften Information und der Preisverzerrung wird durch die Fraud-on-the-Market Vermutung bereits angenommen. 322 Spindler, Lie More After Dura, 95 Geo. L.J. 653 (2007), S. 662. 323 Vgl. z. B. James M. Alexander, Second Circuit Accepts Rule 10b-5 Pleading of Economic Loss After Share-Price Recovery, 46 Suffolk University Law Review 1249 (2013), S. 1255; Spindler, Lie More After Dura, 95 Geo. L.J. 653 (2007); John Arganbright, No Loss, No Problem: How the Second Circuit Altered Dura and the Concept of Economic Loss in Securities Fraud Cases in Acticon AG v. China North East Petroleum Holdings, Ltd., 44 Seton Hall Law Review 279 (2014).
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sächlichen Preises nach der Aufdeckung.324 Haben andere Faktoren, beispielsweise die generelle Marktentwicklung, zum Kursverlauf beigetragen, werden diese hierbei abgezogen, so dass sie auf die Ansprüche der Kläger keinen Einfluss nehmen.325 Dem Aktionär wird mit dieser Methode sein tatsächlich durch die fehlerhaften Informationen bedingter Schaden ausgeglichen, inklusive ihrer unweigerlichen Konsequenzen, die sich nicht aus dem Inhalt, sondern der Tatsache der fehlerhaften Information für den Aktienwert ergeben, wie ein Verlust des Anlegervertrauens in die Geschäftsleitung.326 Nicht ausgeglichen werden dabei aber Kursbewegungen, die auch mit korrekten Informationen nicht hätten vermieden werden können: Versäumt es eine Gesellschaft, ein Risiko zum vorgeschriebenen Zeitpunkt offenzulegen, so besteht der Betrug am Aktionär lediglich in dieser mangelnden Offenlegung eines noch nicht realisierten Risikos, denn nichts anderes hätte den Aktienwert zum Zeitpunkt seiner Kaufentscheidung bei korrekter Offenlegung beeinflusst.327 Realisiert sich dieses Risiko später, so besteht hierin kein Kapitalmarktbetrug, der den Aktionären gegenüber ausgeglichen werden könnte, sondern höchstens eine Pflichtverletzung der Geschäftsleiter, die zu Ansprüchen im Innenverhältnis führen könnte.328 Der Unterschied zwischen dieser Methode und der klassischen Out-of-Pocket Methode mit Bezug auf den „wahren“ Preis am Kauftag wird somit in den meisten Fällen deutlich geringer sein, als auf den ersten Blick scheinen könnte, da nur die Konsequenzen der Tatsache, dass es eine fehlerhafte Information gegeben hat, zusätzlich in die Berechnung aufgenommen werden.329 Andere Faktoren, die den Kurs positiv oder negativ beeinflusst haben, müssen herausgerechnet werden.330 Die Konsequenzen der Tatsache der Fehlinformation dürfen dabei nicht in Betracht gezogen werden, wenn auf diese Weise an sich unwesentliche fehlerhafte Informationen als Anspruchsgrundlage dienen könnten, da ihre Aufdeckung trotz ihrer 324 Vgl. Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 345. s. z. B. Cornerstone Research, Class Action Settlements 2014 (2015), S. 4 ff.; Richard A. Booth, What Counts as Price Impact for Securities Fraud Purposes?, 10 Virginia Law & Business Review 37 (2015), S. 48. 325 Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 345. In jedem Fall müssen die Kläger nachweisen, dass ihr Verlust tatsächlich von der fehlerhaften Information ausgelöst wurde und nicht primär durch andere Ereignisse bedingt ist. Halliburton I, 131 S. Ct. 2179 (2011), S. 2186. Spielen mehrere Faktoren eine Rolle, so werden bei der Schadensberechnung nur der Teil des Schadens berücksichtigt, den die fehlerhaften Informationen begründet haben. 326 Vgl. z. B. Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 344; Ferrell/Saha, Loss Causation Requirement, 63 163 (2007), S. 176 ff.; Dunbar/Sen, Counterfactual Keys, 2009 Wis. L. Rev. 199 (2009), S. 234 ff.; Booth, What Counts as Price Impact, 10 Va. L. & Bus. Rev. 37 (2015), S. 50. 327 In re BP (5th Cir.), Opinion (5th Cir., 2015), S. 23. 328 In re BP (5th Cir.), Opinion (5th Cir., 2015), S. 23. Vgl. auch z. B. Booth, What Counts as Price Impact, 10 Va. L. & Bus. Rev. 37 (2015), S. 40. 329 Dies für gering haltend z. B. Dunbar/Sen, Counterfactual Keys, 2009 Wis. L. Rev. 199 (2009), S. 231. 330 Vgl. Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005), S. 345.
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Unwesentlichkeit zu einem Vertrauensverlust in die Geschäftsleitung und damit einem Kurswertverlust geführt hat.331 Unter Rule 10b-5 müssen die falsch dargestellten oder unterlassenen Informationen selbst „material“ gewesen sein.332 Hält man aber an dieser Wertung fest, so ist diese Abwandlung der Out-of-Pocket Rule, die den Preis nach der Aufdeckung statt des „wahren“ Preises am Kauftag in Betracht zieht, dem Zweck des Ausgleichs deutlich näher.333 Auch entspricht der Blick auf den Kurswert bei Aufdeckung dem gesetzgeberischen Ansatz. Denn per Gesetz besteht in jedem Fall eine Grenze, gemäß derer der zur Berechnung der Verluste verwendete Kurswert den Durchschnittspreis der Aktie in den 90 Tagen nach Verkündung der Aufdeckung nicht unterschreiten darf.334 Mit dieser „bounce-back“ Regelung soll kurzfristigen Reaktionen des Marktes Rechnung getragen werden, die extreme Preisschwankungen auslösen.335 Zwar dient sie nicht der Berechnung der Ansprüche sondern ihrer Limitierung,336 dennoch verdeutlicht sie den natürlichen Zusammenhang zwischen dem Betrug und dem Kurswert nach Aufdeckung, der die Aktionäre, wie vom U.S. Supreme Court in Dura festgestellt, überhaupt erst zur Klage befugt. cc) Ablehnung der Fraud-on-the-Market Vermutung Neben der eingeschränkten Außenhaftung der Organe liegt einer der ganz wesentlichen Unterschiede zwischen der deutschen und der amerikanischen kapital331
Dunbar/Sen, Counterfactual Keys, 2009 Wis. L. Rev. 199 (2009), S. 240 f. 17 C.F.R. § 140.10b-5(b). 333 Vgl. z. B. auch Alexander, Rule 10b-5 Pleading of Economic Loss, 46 Suffolk U. L. Rev. 1249 (2013), S. 1257. 334 PSLRA § 21D(e), 15 U.S.C. § 78u-4(e)(1). Sollte der Aktionär die Wertpapiere bereits vor Ablauf der 90 Tage verkauft haben, so gilt der Durchschnittspreis für den Zeitraum zwischen der Aufdeckung und dem Verkauf. § 78u-4(e)(2). 335 Vgl. z. B. Acticon, 692 F.3d 34 (2012), S. 38 f.; Laurence A. Steckman/Robert E. Conner/ Kris Steckman Taylor, Loss Causation, Economic Loss Rules and Offset Defenses – Dismissal Motion Practice after Acticon A.G. v. China North East Petroleum Holdings Ltd., 31 501 (2015), S. 507 ff. 336 Nach wohl herrschender Meinung beeinträchtig es die Ansprüche des Aktionärs nicht, wenn er die Aktie auch nach Aufdeckung hält, denn diese Entscheidung wird wie eine zweite, von der ersten Kaufentscheidung unabhängigen Transaktion behandelt. Harris v. American Investment Co., 523 F.2d 220 (8th Cir. 1975), S. 228; Acticon, 692 F.3d 34 (2012), S. 41. Vgl, auch Steckman, Dismissal Motion Practice after Acticon, 31 Touro L. Rev. 501 (2015), S. 513 ff. Zur Frage, in wie weit Erholung des Aktienkurses während der 90 Tage nach Aufdeckung das Element der Loss Causation negieren kann, besteht aber aktuell widersprüchliche Rechtsprechung, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden kann. s. z. B. zusammenfassend Tammy P. Bieber/Sarah Mendola, Second Circuit Limits Use of Post-Disclosure Share Price Recovery, American Bar Association, Section of Litigation (11. Dezember 2012); Arganbright, No Loss, No Problem, 44 Seton Hall L. Rev. 279 (2014), S. 286 ff. Maßgeblich sollte aber auch gemäß Dura in jedem Fall die Beurteilung sein, ob sich die Erholung tatsächlich auf die Aufdeckung bezieht, oder auf andere Faktoren zurückzuführen ist. Vgl. Acticon, 692 F.3d 34 (2012), S. 41. 332
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marktrechtlichen Haftung in der deutschen Ablehnung der Fraud-on-the-Market Vermutung. Der Bundesgerichtshof hat die Theorie im Zusammenhang mit Ad-Hoc Informationen wiederholt explizit abgelehnt, aus Bedenken vor einer sonst befürchteten „uferlosen Ausweitung“ der Tatbestände.337 Die Kläger sollen den kausalen Zusammenhang sowohl zwischen der falschen Information und ihrer Kaufentscheidung (haftungsbegründende Kausalität oder auch Transaktionskausalität) als auch zwischen der falschen Information und einer Schädigung ihres Vermögens (haftungsausfüllende Kausalität) entsprechend in jedem einzelnen Fall nachweisen müssen.338 Letzteres steht im Gegensatz zur (widerlegbaren) Fraud-on-the-Market Annahme in amerikanischen Klagen gemäß Section 10(b) und Rule 10b-5, die widerlegbar vermutet, dass wesentliche Informationen zum Unternehmen in einem effizienten Markt den Kurswert der Aktien beeinflussen und dass sich Anleger hierauf verlassen. Loss Causation, also die haftungsausfüllende Kausalität zwischen den fehlerhaften Informationen und dem Wertverlust der Aktien, müssten die Aktionäre letztendlich auch in den USA nachweisen,339 wenn die Prozesse nicht fast ausnahmslos vorher per Vergleich beigelegt würden.340 Eine Ablehnung der Fraud-on-the-Market Vermutung beschränkt nicht nur die Prozesschancen jedes einzelnen Aktionärs. Der zu erbringende Beweis der Beeinflussung beschränkt dazu von vorn herein das Feld der möglichen Kläger vor allem auf fachkundige, aktive Anleger, die sich von individuellen Ad-Hoc Informationen leiten lassen.341 Doch vor allem macht der in jedem Einzelfall zu erbringende Beweis zur haftungsbegründenden Kausalität die Class Actions, die die amerikanische Rechtslandschaft in diesem Bereich beherrschen, praktisch unmöglich und nimmt insbesondere kleineren Aktionären die möglicherweise einzige wirtschaftlich sinnvolle Möglichkeit der Anspruchsdurchsetzung. Mehr hierzu folgt an späterer Stelle.342 337 BGH, Urteil und Versäumnisurteil vom 28. November 2005, II ZR 246/04, ZIP 2007, 680 (ComROAD I), Rn. 8. s. auch BGH, Hinweisbeschluss vom 28. November 2005, II ZR 80/ 04, ZIP 2007, 681; BGH, ZIP 2007, 1560 (ComROAD IV, 2007), Rn. 16; BGH, Urteil und Versäumnisurteil vom 7. Januar 2008, II ZR 229/05, ZIP 2008, 407 (ComROAD VI), Rn. 20; BGH, Urteil vom 3. März 2008, II ZR 310/06, ZIP 2008, 829 (ComROAD VIII), Rn. 20. 338 Vgl. auch Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 79; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 335; Grundmann, Wertpapier- und Effektengeschäft, Komm. HGB (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn) (2015), Rn. 370. Auch die der Fraud-on-themarket Vermutung zugrundeliegende Theorie der Markteffizienz wird zunehmend kritisch gesehen. s. z. B. Katja Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht (2014), § 1, Rn. 30. 339 Dura Pharmaceuticals, 544 U.S. 336 (2005); Halliburton I, 131 S. Ct. 2179 (2011), S. 2186 f. s. auch supra, Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 (S. 76). 340 Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015), S. 45. 341 Klöhn, Haftung wegen fehlerhafter Ad-hoc-Publizität, AG 2012, S. 354 (nicht nur würden fachkundige Anleger bevorteilt, die erwünschte Diversifizierung von Portfolien werde desinzentiviert). Vgl. auch Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015), S. 36. 342 s. infra, Kritik am KapMuG (S. 245).
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
Trotz der grundsätzlichen Ablehnung der Fraud-on-the-Market Theorie durch den BGH bestehen für Kläger aber Ausnahmen von der Beweislastregelung zur Kausalität, deren Effekt dem der Fraud-on-the-Market Vermutung zum Teil gleichen. So bestehen beispielsweise im Rahmen der Prospekthaftung gemäß §§ 21 und 22 WpPG widerlegbare Kausalitätsvermutungen, sowohl zur Kursbeeinflussung durch die Informationen als auch zur Kaufentscheidung, zu Gunsten aller Aktionäre, die die betroffenen Wertpapiere innerhalb von sechs Monaten nach Veröffentlichung des Prospekts erworben haben.343 Da beide Elemente der Fraud-on-the-Market Vermutung somit gegeben sind, ist hier kein relevanter Unterschied festzustellen. Diese zwei widerlegbaren Vermutungen gelten allerdings nur für Käufe innerhalb eines kurzen Zeitfensters und berechtigen Kläger nicht zu potentiell hohen Schadensersatzsummen wie eine Klage unter Section 10(b) des Exchange Act, sondern lediglich zur Rückabwicklung des Wertpapiererwerbs höchstens zum Ausgabepreis,344 der weit unter dem tatsächlich gezahlten Kaufpreis liegen kann.345 Die Attraktivität einer solchen Klage und somit auch der Nutzen der widerlegbaren Kausalitätsvermutungen, sind entsprechend begrenzt.346 Unter der Maßgabe einer noch weiteren Begrenzung ihrer Ansprüche auf den Differenzschaden, können Anleger diese allerdings ohne Beweise der haftungsbegründenden Kausalität auch im Sekundärmarkt bei Verletzungen der Informationspflichten gemäß § 15 WpHG sowohl mit Hilfe von §§ 37b bzw. 37c WpHG (nur gegen den Emittenten) oder von § 823 Abs. 2 oder § 826 BGB durchsetzen.347 Zur Durchsetzung dieser Differenzschadensansprüche muss der Kläger lediglich beweisen, dass eine rechtzeitige, korrekte Mitteilung zum Zeitpunkt des Erwerbs oder Verkaufs zu einem anderen Kurs geführt hätte.348 Da sie nicht fordern, dass ihr Kauf wie nicht geschehen behandelt wird, müssen sie nicht nachweisen, dass er bei korrekter Informationslage nicht geschehen wäre.349 Der XI. Zivilsenat, der diese Regelung mit seinem IKB-Urteil im Jahr 2011 etablierte, folgte dabei der Begründung, dass einem Kläger, der den Kauf möglicherweise auch bei einer korrekten Informationslage getätigt hätte, dennoch Ersatz des bei Kauf der Aktien entstan-
343 Groß, Kapitalmarktrecht, Komm. HGB (Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn) (2015), Rn. 808; Kumpan, WpPG § 21, Komm. HGB (2014), Rn. 7. 344 Kumpan, WpPG § 21, Komm. HGB (2014), Rn. 12. 345 Kumpan, WpPG § 21, Komm. HGB (2014), Rn. 12. 346 Kumpan, WpPG § 21, Komm. HGB (2014), Rn. 12. 347 BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 67. Vgl. auch Bachmann, Anmerkung IKB, JZ 2012, S. 581. 348 BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 67. Vgl. auch Bachmann, Anmerkung IKB, JZ 2012, S. 581. Die Übertragung auf §§ 823 und 826 BGB ist noch nicht höchstrichterlich ergangen und wird entsprechend nicht unbedingt als gegeben anerkannt, vgl. z. B. Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 79. 349 Vgl. BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 67. s. auch z. B. Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 80.
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denen Schadens zusteht, wenn sein Kaufpreis künstlich und widerrechtlich erhöht war.350 Da ein kausaler Zusammenhang zwischen der falschen Information und der Kaufentscheidung in diesem Fall entsprechend nicht als haftungsbegründend zu werten wäre, da nicht die Kaufentscheidung sondern nur ihr Preis in Frage steht, ist diese Beurteilung des BGH nicht als teilweise Akzeptanz der Fraud-on-the-Market Vermutung zu werten.351 Dennoch ist ihr praktischer Effekt ein ähnlicher, denn sie bedeutet eine erhebliche Erleichterung der Anspruchsverfolgung für Aktionäre.352 Darüber hinaus ist sie für alle geschädigten Aktionäre gleichermaßen anwendbar, so dass zumindest unter diesem Gesichtspunkt keine Einzelverfahren zur Kausalität nötig wären, die Massenverfahren wie der amerikanischen Securities Class Action im Wege stünden.353 Dies gilt umso mehr, da der BGH bei der Berechnung des Einflusses, den die fehlerhafte Information auf den Kurs gehabt haben soll, Schätzungen gemäß § 287 ZPO explizit zulässt.354 Reduziert wird die Wirkung dieser Klagemöglichkeit aber vor allem durch die Begrenzung auf den Differenzschaden, der nur einen kleinen Teil des tatsächlich erlittenen Schadens darstellen kann, beispielsweise wenn der Wert der Anteile nach der Aufdeckung der fehlerhaften Informationen sich nicht nur auf den „richtigen“ 350 BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 67. Vgl. auch Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 80. Im Schrifttum wird dieser Aspekt des Urteils teilweise missverständlich vernachlässigt, so dass der Eindruck einer gegenteiligen Aussage des BGH entsteht. So z. B.: „[…der XI. Zivilsenat], der in seiner IKB-Entscheidung dem Anleger bei § 37b WpHG den vollen Kausalitätsnachweis aufbürdet und eine Beweiserleichterung ablehnte.“ Buck-Heeb, Neuere Rechtsprechung, NZG 2016, S. 1131. Dies ist zwar nicht falsch, da der Beweis der Transaktionskausalität nicht nötig ist, wenn es bei der Anerkennung von Differenzschaden tatsächlich nur um den Preis geht und dieser bewiesen werden muss, so dass es keine „Beweiserleichterung“ darstellt wenn ein irrelevanter Zusammenhang nicht dargelegt werden muss. Dennoch kann der Eindruck entstehen, jeder Kläger müsste für alle Ansprüche auch nachweisen, das die Informationen ursächlich für seine Kaufentscheidung waren. Dies ist nach der IKB-Rechtsprechung ausdrücklich nicht der Fall. Vgl. auch Wagner, § 826 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 79 („Die schadensersatzrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrags über die Wertpapiere setzt indessen den Nachweis der sog. Transaktionskausalität voraus[.] Dies gilt nicht nur für den Anspruch auf Naturalrestitution durch Erstattung des Kaufpreises, sondern nach der Rechtsprechung genauso auch für den Anspruch auf Wertersatz in Höhe der Differenz zwischen dem Tatsächlich gezahlten Kaufpreis und dem Preis, der sich bei pflichtgemäßem Informationsverhalten gebildet hätte.“ Die hierzu zitierten Quellen liegen alle zeitlich vor der IKB-Entscheidung, die in der folgenden Randnummer des Kommentars diskutiert wird. Rn. 80.). 351 So z. B. Klöhn, Haftung wegen fehlerhafter Ad-hoc-Publizität, AG 2012, S. 356. 352 Vgl. z. B. Hopt, Haftung für Kapitalmarktinformationen, WM 2013, S. 108; Klöhn, Haftung wegen fehlerhafter Ad-hoc-Publizität, AG 2012, S. 351. 353 Dies gilt nur, solange die Anspruchsgegner die Vermutung zur Kaufentscheidung nicht zu widerlegen versuchen und sich der „richtige“ Kurs nicht in Einzelverfahren festgestellt werden muss. 354 BGH, BGHZ 192, 90 (IKB, 2011), Rn. 68. Vgl. auch z. B. Hopt, Haftung für Kapitalmarktinformationen, WM 2013, S. 108.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
Kurs zum Zeitpunkt des Kaufes korrigiert, sondern tief fällt (dieser weitere Verfall wird bei der Berechnung des Differenzschadens nicht berücksichtigt). Ob die Verfolgung von Differenzschadensansprüchen zukünftig Bedeutung erlangen wird, bleibt abzuwarten.
9. Zwischenergebnis: Vergleich der Haftungsprioritäten gegenüber Aktionären in den USA und Deutschland Eine Gemeinsamkeit der Systeme liegt in der gleichen Gewichtung der Haftung im Primärmarkt und im Sekundärmarkt, wobei auch hier die amerikanische Rechtslage den Aktionären mehr entgegenkommt als die deutsche. Sowohl der amerikanische als auch der deutsche Gesetzgeber räumen dem Anleger, der aufgrund eines fehlerhaften Prospekts Schaden erlitten hat, vorteilhaftere Beweislastverteilungen und Kausalitätsvermutungen ein.355 Von der fast automatischen Haftung unter Section 11 des Securities Act, nach der ein Kläger zunächst weder Verschulden noch Kausalität darlegen muss, ist § 21 WpPG dennoch weit entfernt. Auch die mangelnde Angreifbarkeit der Organmitglieder nach § 21 WpPG steht im Kontrast zur Einbeziehung sogar von Outside Directors unter Section 11 des Securities Act. Section 10(b) des Exchange Act und Rule 10b-5, die (unter anderem) eine ähnliche Anspruchsgrundlage wie §§ 37b und 37c WpHG im Sekundärmarkt bieten, sind im Vergleich zur Prospekthaftung nachteiliger für den Kläger. Doch auch hier ist die amerikanische Regelung wesentlich umfassender als die deutsche, denn nicht nur Insiderinformationen sondern jede Falschdarstellung oder Weglassung im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren kann hier zu Haftung führen.356 Die Erschwerung der Anspruchsdurchsetzung im Vergleich zur Prospekthaftung besteht zudem, anders als in Deutschland, nicht in einem Wegfall der Kausalitätsvermutung, denn auch die teilweise Akzeptanz der Fraud-on-the-Market Vermutung erlässt dem Kläger in Deutschland nicht den Nachweis der haftungsausfüllenden Kausalität. Doch eine höhere Darlegungslast zum Verschulden der Beklagten sowie ein höherer Verschuldensmaßstab erschweren den Aktionären eine Klage nach Section 10(b) im Vergleich zu einer Klage nach Section 11 des Securities Act. Ein ungefähres Äquivalent zu Section 10(b) und Rule 10b-5 lässt sich in § 826 BGB sehen. Trotz der unklaren Definition des Scienter im amerikanischen Recht ist von einem vergleichbaren Verschuldensmaßstab auszugehen, da Kenntnis von dem relevanten Verstoß bereits das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit gemäß § 826 erfüllt. Beide Normen dienen als Sammeltatbestand für betrügerische Fehlinformationen am Kapitalmarkt und inzentivieren Directors und Officers bzw. Or355
Vgl. auch Hopt, Haftung für Kapitalmarktinformationen, WM 2013, S. 102 („Prospekthaftung am Primärmarkt als gemeinsame Rechtstradition“ der westlichen Industriestaaten). 356 s. supra, Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 (S. 76).
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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ganmitglieder zu erhöhter Vorsicht. Ohne eine Kausalitätsvermutung zugunsten der Aktionäre oder Fraud-on-the-Market Vermutung scheitern nicht nur viele Klagen nach § 826 BGB regelmäßig an der Beweisführung zur Kausalität, sondern es entsteht auch eine abschreckende Wirkung, die geschädigte Aktionäre davon abhält, überhaupt eine Klage einzureichen.357 In seiner Bedeutung für die Corporate Governance Haftung steht § 826 BGB dementsprechend weit hinter Section 10(b) zurück. Inwieweit die Erleichterungen, die klagende Aktionäre im amerikanischen System erfahren, aus Sicht der guten Unternehmensführung wünschenswert sind, soll an anderer Stelle erörtert werden.358 Dabei soll außerdem hinterfragt werden, ob die Selbstverständlichkeit, mit der Directors und Officers als Anspruchsgegner in amerikanischen Aktionärsklagen genannt werden, tatsächlich eine Verbesserung der Unternehmensführung bewirken können, oder ob Normen wie Section 10(b) des Exchange Act ihre abschreckende Wirkung verlieren, wenn sie zu einer alltäglichen Erscheinung werden. Auf diese Fragen wird unter Berücksichtigung auch der verfahrenstechnischen Unterschiede zwischen den Rechtssystemen im Weiteren näher eingegangen.359 10. Sonderfall ERISA Haftung Eine besondere Quelle der kapitalmarktrechtlichen Haftung für viele amerikanische Directors und Officers begünstigt nicht das breite Aktionärspublikum, sondern die Arbeitnehmer. Sie liegt im Employee Retirement Income Security Act of 1974360 (ERISA), der die betrieblichen Altersversorgungen („pension plans“361) und Sozialleistungen der Unternehmen („welfare plans“,362 zusammen mit Pension Plans auch „employee benefit plans“363) für amerikanische Unternehmen regelt. Unternehmen unterliegen keiner Pflicht, ihren Angestellten einen Employee Benefit Plan gewähren. Wird allerdings ein Employee Benefit Plan zugesagt, so muss er ERISA entsprechen.364 Die Personen, die mit der Aufsicht über die Altersversorgung betraut sind, unterliegen Fiduciary Duties, also treuhänderischen Pflichten, die entweder von den Begünstigten der Altersversorgung oder durch das U.S. Department of Labor, 357
s. auch infra, Konzeptionelle Probleme der Kosten- und Gebührenstruktur (S. 247). s. infra, Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland (S. 258). 359 s. infra, Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland (S. 258). 360 29 U.S.C. § 1002 – 1461 und in weiteren Teilen im Internal Revenue Code. 361 ERISA § 3(2); 29 U.S.C. § 1002(2). 362 ERISA § 3(1); 29 U.S.C. § 1002(1). 363 ERISA § 3(3); 29 U.S.C. § 1002(3). 364 William E. Knepper/Dan A. Bailey, Liability of Corporate Officers and Directors (2014), § 9.02. 358
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
dem Arbeitsministerium der USA, in einem Zivilprozess durchgesetzt werden können.365 Officers und vor allem das Board of Directors erfüllen häufig diese Funktion als Fiduciaries und haften für Verletzungen ihrer Fiduciary Duties persönlich.366 Die Haftung unter ERISA kann besonders problematisch sein, zum einen aufgrund der Höhe der möglichen Schadensersatzforderungen,367 zum anderen, da sie gesamtschuldnerisch statt anteilig haften, wie dies unter Section 10(b) des Exchange Act oder Section 11 des Securities Act der Fall ist.368 Um dieser Haftung zu entgehen, muss ein ERISA Fiduciary nicht nur mit der Sorgfalt einer normalen Person handeln, sondern mit einer der Situation angemessenen Sorgfalt eines Experten.369 Dieser Sorgfaltsmaßstab, begründet in dem besonderen Vertrauen, das den Fiduciaries entgegen gebracht wird, ist ein höherer als der, den ein Director oder Officer der Corporation selbst schuldet – ein U.S. Circuit Court nannte ihn einmal „the highest known to law“.370 Aufgrund der Komplexität dieser Aufgabe und des hohen erforderlichen Sachverstands, delegieren die Boards of Directors börsennotierter Corporations diese Aufgabe in aller Regel an externe Verwalter, die auch einen Großteil der Haftung übernehmen.371 Das Board of Directors bleibt für die regelmäßige Überwachung der
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ERISA § 404, 29 U.S.C. § 1104; ERISA § 502(a), 29 U.S.C. § 1132(a). ERISA Interpretative Bulletin 75 – 8, 29 C.F.R. § 2509.75 – 8 (1983); Leigh v. Engle, 727 F.2d 113 (7th Cir. 1984), S. 135 f.; In re Enron Corporation Securities, Derivative & ERISA Litigation, 284 F. Supp. 2d 511 (S.D. Tex. 2003), S. 567 ff.; vgl. auch Knepper, Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.03. 367 Selbst wenn durch die Pflichtverletzung kein Schaden entstanden ist, müssen Fiduciaries, die den Employee Benefit Plan beispielsweise zur Stärkung ihrer eigenen Investitionen missbraucht haben, ihre Gewinne aus diesem Missbrauch an den Employee Benefit Plan abtreten. ERISA § 409(a); 29 U.S.C. § 1109(a). Vgl. z. B. Leigh, 727 F.2d 113 (1984), S. 122. s. auch ERISA § 406; 29 U.S.C. § 1106. 368 ERISA § 405(a), 29 U.S.C. § 1105(a); vgl. z. B. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1137. Bei Arbeitsteilung ist die Haftung eines jeden Fiduciary allerdings auf den eigenen Bereich beschränkt. 369 ERISA § 404(a)(1)(B), 29 U.S.C. § 1104(a)(1)(B); s. z. B. Katsaros v. Cody, 744 F.2d 270 (2d Cir. 1984), S. 279; Eyler v. Commissioner of Internal Revenue, 88 F.3d 445 (7th Cir. 1996), S. 454; Laborers National Pension Fund v. Northern Trust Quantitative Advisors, 173 F.3d 313 (5th Cir. 173), S. 317; Jenkins v. Yager, 444 F.3d 916 (7th Cir. 2006), S. 924; Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 547. Vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.05; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1137. 370 Donovan v. Bierwirth, 680 F.2d 263 (2d Cir. 1982), S. 272, Fn. 8. s. auch z. B. LaScala v. Scrufari, 479 F.3d 213 (2d Cir. 2007), S. 219 ff.; Tatum v. RJR Pension Inv. Committee, 761 F.3d 346 (4th Cir. 2014), S. 356; Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 549. 371 ERISA Interpretative Bulletin 75 – 8, 29 C.F.R. § 2509.75 – 8 (1983); Leigh, 727 F.2d 113 (1984), S. 133 ff.; vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.09. s. auch ERISA § 405; 29 U.S.C. § 1105. 366
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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Verwalter und gegebenenfalls ihrer Demission verantwortlich,372 kann das Risiko einer persönlichen Haftung auf diese Weise allerdings beschränken.373 Eine Art des Employee Benefit Plans, der sogenannte employee stock ownership plan (ESOP), investiert stark in die Wertpapiere des eigenen Unternehmens.374 Für Arbeitnehmer bedeutet dies aufgrund der fehlenden Diversifikation ein höheres Investitionsrisiko, doch auch Directors und Officers sind hierdurch erheblichen Haftungsrisiken ausgesetzt, da Konflikte zwischen den Fiduciary Duties dem ESOP und der Corporation gegenüber praktisch unausweichlich sind.375 Zwar werden die „zwei Hüte“, die Directors und Officers tragen, in der Rechtsprechung streng getrennt und unternehmerische Entscheidungen, die sie als Directors oder Officers der Corporation treffen, werden nicht als Entscheidungen in ihrer Funktion als Fiduciaries des ESOP gewertet.376 Doch müssen sie davon ausgehen, dass Gerichte Transaktionen zwischen dem ESOP und der Corporation kritisch begutachten, sollten diese per Klage hinterfragt werden.377 Auch müssen die Directors und Officers in ihrer Funktion als Fiduciaries des ESOP rechtswidrige Handlungen des Unternehmens notfalls gerichtlich anfechten, die zu unrechtmäßigen Verlusten des ESOP geführt haben (zum Beispiel durch Bilanzfälschung).378 Außerdem kann es zu Offenlegungspflichten kommen, wenn der jeweiligen Person in ihrer Funktion als Director oder Officer der Corporation beispielsweise Informationen vorliegen, die auch den Employee Benefit Plan wesentlich betreffen,379 wenngleich der U.S. Supreme Court diese Pflichten mit einer Entscheidung aus dem Jahr 2014 etwas eingeschränkt hat, um Konflikte mit dem Kapitalmarktrecht zu vermeiden.380 Vor allem sind diese Fiduciaries aber verpflichtet, keine falschen oder irreführenden
372 Vgl. z. B. Leigh, 727 F.2d 113 (1984), S. 135; Jenkins, 444 F.3d 916 (2006), S. 925; Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 553 f. 373 Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.09. 374 ERISA § 407(d)(6); 29 U.S.C. § 1007(d)(6). s. z. B. In re Citigroup ERISA Litigation, 662 F.3d 128 (2d Cir. 2011), S. 136 ff.; Lanfear v. Home Depot, Inc., 679 F.3d 1267 (11th Cir. 2012), S. 1278 f. 375 s. z. B. Citigroup (ERISA), 662 F.3d 128 (2011), S. 136 ff.; Lanfear v. Home Depot, Inc., 679 F.3d 1267 (2012), S. 1278 f.; vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.11; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1136. 376 Curtiss-Wright Corp. v. Schoonejongen, 514 U.S. 73 (1995), S. 78; Pegram v. Herdrich, 530 U.S. 211 (2000), S. 226 f.; s. auch Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 550 f.; In re Worldcom, Inc., 263 F. Supp. 2d 745 (S.D.N.Y. 2003), S. 765. 377 Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.11. 378 David H. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Arizona Law Review 201 (2015), S. 232 ff.; Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.11; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1136. 379 Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 554 ff. & 562 ff.; vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.04. 380 Fifth Third Bancorp v. Dudenhoeffer, 134 S. Ct. 2459 (2014), S. 2474. s. auch Knepper/ Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.14.
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
Aussagen zu machen.381 Aussagen, mit denen sie in ihrer Funktion als Directors und Officers den Wert der Corporation falsch darstellen, können bei Verlusten zur persönlichen Haftung als Fiduciary unter ERISA führen.382 Um die Fiduciaries vor möglicherweise erheblichen Ansprüchen bei hohen Verlusten zu schützen, darf der Employee Benefit Plan seinen Fiduciaries zwar eine Haftpflichtversicherung zur Verfügung stellen, diese muss aber bei Verletzungen der Fiduciary Duties eigene Ansprüche gegen den Fiduciary geltend machen können.383 Da Ansprüche unter ERISA von regulären D&O-Policen in aller Regel ausgeschlossen sind384 während eine Haftungsfreistellung durch den Plan unzulässig und durch die Corporation nur beschränkt möglich ist,385 kann wirksamer Schutz der Directors und Officers daher nur durch eine separate ERISA Haftpflichtversicherung erfolgen, die der Director oder Officer persönlich oder die Corporation bezahlt.386 Durch die Mitwirkung des Department of Labor ergibt sich im Zusammenhang mit ERISA das Risiko der Vorbildhaftung: Obwohl die ERISA Class Action der Berechtigten des Enron Pension Plan durch einen Vergleich beendet worden war, der die ERISA Versicherung der Outside Directors mit $ 85 Millionen voll ausschöpfte, setzte das Department of Labor eine zweite Zahlung von $ 1,5 Millionen durch, die aus dem Privatvermögen der Outside Directors geleistet werden musste.387 Die damalige Arbeitsministerin („U.S. Secretary of Labor“) Elaine Chao begründete diese zusätzliche, private Zahlung damit, dass amerikanischen Angestellten so das Vertrauen in ihre Altersvorsorge zurückgegeben werden könnte.388 Sie brachte damit den Zweck der Generalprävention zum Ausdruck, der der persönlichen Haftung von Directors und Officers innewohnt und der für von der US-Regierung geführten Prozessen eine wichtige Rolle spielt. Für Directors und Officers bedeutet das Anliegen des Staates, das Vertrauen in die betriebliche Altersversorgung wieder hohe Motivation, ihre Aufsichtspflichten über die Altersversorgung der Angestellten des Unternehmens mit der höchsten Sorgfalt wahrzunehmen.
381 Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 554 ff. & 657 ff.; vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.04. 382 Enron 2003, 284 F. Supp. 2d 511 (2003), S. 554 ff. & 657 ff.; Worldcom (ERISA), 263 F. Supp. 2d 745 (2003), S. 765; vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.14. Dies gilt auch für andere Arten des Employee Benefit Plan (nicht-ESOP). 383 ERISA § 410(b)(1); 29 U.S.C. § 1110(b)(1). 384 Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.16[1]. 385 ERISA § 410(a); 29 U.S.C. § 1110(a); vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.16[2]. 386 Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.07. 387 Ralph C. Ferrara/Kevin T. Abikoff/Laura Leedy Gansler, Shareholder Derivative Litigation: Besieging the Board (2013), § 16.06. 388 „This action will strengthen the American workforce’s confidence in their retirement savings.“ Chicago Tribune, Enron, ex-officials, charged with U.S. pension law abuses (27. Juni 2003).
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Es ist aber zu beachten, dass seit der Entscheidung im Fall Enron im Jahr 2003 keine weiteren Fälle von persönlicher Haftung eines Outside Directors für Verluste unter ERISA bekannt sind, weder durch eine Klage des Employee Benefit Plan oder der Arbeitnehmer, noch in einem Prozess des Arbeitsministeriums.389 Es ist auch nicht zu erwarten, dass politisch gewollt ist, die Altersversorgung, die eine freiwillige Leistung der Unternehmen ist, so kostspielig oder riskant für ihre Directors und Officers werden zu lassen, dass sie sie ihren Angestellten nicht länger anbieten.390 Während das Haftungspotential für Directors und Officers unter ERISA dem Schutz der bestehenden Einlagen daher eine sehr hohe Priorität einräumt, reflektiert die Haftungsrealität eine feinere Abstimmung von Motivationen und Inzentivierungen im Sinne der langfristigen Sicherstellung der Altersversorgung.
II. Pflichten gegenüber anderen Dritten in den USA und Deutschland Auch außerhalb des Kapitalmarktrechts ist direkte Außenhaftung von Directors und Officers in zahlreichen Rechtsbereichen möglich. Wie jede natürliche Person haften sie persönlich, wenn sie ein Delikt persönlich begehen, selbst wenn dies im Rahmen ihrer Aufgaben für die Gesellschaft geschieht.391 Die Regressmöglichkeiten Dritter gegen Directors und Officers für Delikte392 der Gesellschaft können sich hingegen je nach der spezifischen Tatsachenlage und dem Recht des Einzelstaats sehr unterscheiden. Nur eine generelle, außenstehenden Dritten geschuldete Überwachungspflicht, die zu Außenhaftung ohne persönliche Beteiligung an einer schädigenden Handlung führen könnte, besteht zunächst nicht.393 389
Vgl. auch Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 9.14[2]. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1138. 391 Nach dem Prinzip „respondeat superior“, das in vielen Staaten Anwendung findet, haftet die Gesellschaft ebenfalls, solange die Handlung ihr einen Vorteil verschaffen sollte. s. The American Law Institute (Hrsg.), Restatement of the Law of Agency (Third), The American Law Institute (2006), § 2.04. 392 Das deutsche „Delikt“ ist mit dem amerikanischen „tort“ zwar nicht vollkommen kongruent, eine tiefere Differenzierung würde in diesem Zusammenhang aber zu weit führen. Sie werden hier auf ihre Gemeinsamkeit reduziert – beide fügen einem Dritten unrechtmäßig Schaden zu, der durch Schadensersatz ausgeglichen werden kann. 393 Martin Petrin, The Curious Case of Directors’ and Officers’ Liability for Supervision and Management: Exploring the Intersection of Corporate and Tort Law, 59 American University Law Review 1661 (2010), S. 1670. The American Law Institute (Hrsg.), Restatement (Third) of Agency (2006), § 7.02). Dennoch kommt es immer wieder zu persönlicher Delikthaftung von Directors und Officers ohne direktes persönliches Handeln. Die Rechtsprechung hierzu betrifft allerdings ganz wesentlich nicht-börsennotierte Corporations. Petrin, Curious Case, 59 Am. U. L. Rev. 1661 (2010), S. 1663. Zudem besteht weder bei den Gerichten der Einzelstaaten noch unter den Federal Courts Einigkeit, welche Faktoren hier für eine Außenhaftung maßgeblich sind. S. 1667. Dieser Bereich bietet zahlreiche sinnvolle Ansatzpunkte zur Analyse unter Corporate Governance Gesichtspunkten, die im amerikanischen 390
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3. Teil: Pflichten im Rahmen der Corporate Governance
Die Rechtslage ist in diesem Bereich von großer Unsicherheit geprägt, sowohl aufgrund maßgeblicher Unterschiede im State Law der Einzelstaaten als auch aufgrund inkonsequenter Interpretationen wesentlicher Begriffe im Federal Law durch die verschiedenen Gerichte. Häufig ergeben sich die Ansprüche dabei aus Normen, die die Corporation als handelnde Person haftbar machen, so dass geklärt werden muss, ob auch Directors und Officers als haftbare Person im Sinne eines Gesetzes gelten können.394 Da dabei weder der gleiche Begriff in verschiedenen Gesetzen einheitlich interpretiert werden muss, noch die verschiedenen Federal Courts in Ermangelung höchstrichterlicher Klärung zur gleichen Interpretationen des gleichen Gesetzes kommen müssen, bestehen hier erhebliche Differenzen.395 Aufgrund dieser hohen Heterogenität der Rechtslage innerhalb der USA ist dieser Bereich nur bedingt geeignet für eine rechtsvergleichende Betrachtung der Corporate Governance Haftung. Auf Garantenpflichten, die Officers im Produkthaftungs- und Umweltrecht treffen können, wird an späterer Stelle im Zusammenhang mit dem Strafrecht und der Responsible Corporate Officer Doctrine ausführlich eingegangen.396 Sie haben einen klaren Nexus zur Corporate Governance, da Directors und Officers zur Vermeidung von Haftung Strukturen innerhalb des Unternehmens anpassen und eine Kultur der Compliance fördern müssen. Rechtsbereiche wie beispielsweise das Bankrecht, in denen zahlreiche eher technische Pflichten ebenfalls zu Außenhaftung führen können, sind hingegen für die Corporate Governance Haftung nicht relevant und werden, wie bereits erwähnt, hier nicht betrachtet. Auf der anderen Seite bestehen in Deutschland Organisationspflichten des Vorstands, deren Verletzung möglicherweise auch zu Außendelikthaftung führen kann. Diese werden im Zusammenhang mit der dem Strafrecht zugehörigen amerikanischen Responsible Corporate Officer Doctrine und anderen Rechtsinstrumenten zum Drittschutz erörtert.397 In beiden Fällen geht es um die für die Corporate Governance so wichtige Frage, wann die Mitglieder der Geschäftsleitung persönlich für Schaden verantwortlich gemacht werden können, den die Gesellschaft einem Dritten zugefügt hat.
Schrifttum noch kaum verfolgt worden sind. S. 1662. Für den Rechtsvergleich an dieser Stelle ist er aber in Ermangelung einer klaren Systematik ungeeignet, insbesondere für den Vergleich börsennotierter Gesellschaftsformen. 394 So muss beispielsweise geklärt werden, ob ein Director oder Officer als „employer“ eines geschädigten Angestellten oder als „operator“ einer umweltschädigenden Einrichtung gelten kann. 395 s. z. B. Erik Gerding, United States of America, in: Helen Anderson (Hrsg.), Directors’ Personal Liability for Corporate Fault – A Comparative Analysis (2008), S. 318 ff. zur Entwicklung der Interpretationen des Comprehensive Environmental Response, Compensation, and Liability Act of 1980 (CERCLA). 396 s. infra, Verhinderung von gemeingefährlichen Straftaten des Unternehmens (Responsible Corporate Officer Doctrine) (S. 307). 397 s. infra, Vergleichbare Rechtsinstrumente zum Drittschutz in Deutschland (S. 370).
B. Organschaftliche und unmittelbare Pflichten gegenüber Dritten
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Beide Systeme kommen hier über grundsätzlich unterschiedliche Wege auch zu grundsätzlich unterschiedlichen Ergebnissen. Eine klare Linie längerfristiger Rechtssicherheit ist aber weder auf deutscher noch auf amerikanischer Seite festzustellen. Die Debatte, die beide Rechtssysteme im Zusammenhang mit der Corporate Governance Haftung auslösen, ist vielleicht in keinem Bereich deutlicher. Bestimmte Umstände, unter denen ein Director oder Officer bzw. Organmitglied Dritten gegenüber persönlich haften kann, sind zwar gesetzlich fixiert, doch ist dies bei unzähligen anderen ungeklärt oder umstritten. Diese erhebliche Rechtsunsicherheit für den Einzelnen in Fällen mit möglicherweise enormen persönlichen Konsequenzen scheint einer grundlegenden Uneinigkeit in der politischen Meinungsfindung zur Rolle persönlicher Verantwortung im Zusammenhang mit haftungsbeschränkten Gesellschaftsformen zu entspringen. Sie soll nach einer eingehenden Erklärung der Responsible Corporate Officer Doctrine an späterer Stelle näher betrachtet und bewertet werden.398
398 s. infra, Zwischenergebnis: Die Bedeutung der strafrechtlichen Corporate Governance Haftung für den Drittschutz (S. 419).
4. Teil
Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung Inwieweit sich aus den genannten Pflichten tatsächliche Haftungsrisiken ergeben, bestimmen zum einen die prozessrechtlichen Gegebenheiten, die an späterer Stelle näher erörtert werden. Zum anderen aber haben die Maßgaben für die gerichtliche Betrachtung des Handelns und der Entscheidungen von Directors und Officers einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Haftungsrealität. Deswegen sollen im Folgenden zunächst die gesellschaftsrechtlichen Freiräume unternehmerischen Handelns untersucht werden, die nicht gerichtlich überprüft werden können. Sie betreffen in dieser Form zwar nur die gesellschaftsrechtliche Innenhaftung, sollen aber aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Corporate Governance Haftung hier eingehend betrachtet werden. Die Freiräume des unternehmerischen Ermessens sind das vielleicht wichtigste Konzept für die Corporate Governance Haftung in den USA, denn, wie im Weiteren näher erörtert, wird den Entscheidungsträgern das Handeln innerhalb dieser Freiräume als unternehmerisches Ermessen uneingeschränkt zugestanden. Statt diese Freiräume inhaltlich festzulegen, beurteilen die Gerichte in Delaware die unternehmerischen Entscheidungen durch eine Bewertung der Entscheidungsfindungsprozesse. Findet das Gericht, dass die Entscheidungsfindung bestimmten formalen Maßgaben genügt hat, kann es die Entscheidung selbst nicht hinterfragen. Diese Maßgaben ändern sich, wie im Weiteren zu sehen, entsprechend dem Potential für Interessenkonflikte der Entscheidungsträger in der jeweiligen Situation. Das Potential der möglichen Konflikte bestimmt auch die Kriterien, nach denen das Gericht die fragliche Entscheidung beurteilen muss, wenn die größtmöglichen Freiräume nicht eingeräumt werden können. Es folgt eine Besprechung des zentralen Rechtsinstituts in diesem Bereich, der Business Judgment Rule, sowie zweier Abwandlungen, die in bestimmten Transaktionen zum Tragen kommen, in denen Interessenkonflikte kaum vermeidbar sind.1 Da diese Diskussion ausschließlich die Innenhaftung und das Gesellschaftsrecht betrifft, ist auch sie auf das Recht des Staates Delaware beschränkt. 1
Kann die Business Judgment Rule aus anderen Gründen als aus Interessenkonflikten nicht angewandt werden, so gilt nach wohl herrschender Meinung ein Sorgfaltsmaßstab von grober Fahrlässigkeit. s. Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 748; In re Baxter Int’l, Inc. Shareholders Litigation, 654 A.2d 1268 (Del. Ch. 1995); Seminaris v. Landa, 662 A.2d 1350 (Del. Ch. 1995). s. auch Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 971.
A. Die Business Judgment Rule
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A. Die Business Judgment Rule Die zentrale Annahme des Gesellschaftsrechts in Delaware ist, dass die Directors die Geschäfte der Gesellschaft leiten.2 Die Business Judgment Rule soll diese Geschäftsleitungskompetenz im größtmöglichen Maße wahren.
I. Anwendung der Business Judgment Rule Der Begriff „business judgment rule“ bezeichnet die Grundannahme, dass ein Board of Directors seine Entscheidungen gut informiert und mit den besten Absichten für das Unternehmen handelt, und daher in einer besseren Position ist, die Richtigkeit von Entscheidungen zu beurteilen, als ein Gericht das wäre.3 In Delaware können Richter der Business Judgment Rule zufolge die unternehmerischen Entscheidungen der Directors, also deren „business judgment“ oder unternehmerisches Ermessen, im Nachhinein nicht in Frage stellen oder die Board Members für Fehlentscheidungen haftbar machen, solange nicht spezifische Hinweise vorliegen, dass ein fehlerhafter Entscheidungsfindungsprozess, unlautere Absicht („bad faith“) oder unternehmensfremde Interessen zu dieser Entscheidung geführt haben.4 Dieses gilt selbst dann, wenn das Ausmaß der unternehmerischen Fehlentscheidung den Richtern die Zurückhaltung schwer macht.5 Ein Gericht muss ohne 2
DGCL § 141(a). s. auch Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 811. Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. Vgl. auch In re J. P. Stevens & Co. Shareholder Litigation, 542 A.2d 770 (Del. Ch. 1988), S. 780; Paramount Communications v. QVC Network Inc., 637 A.2d 34 (Del. 1994), S. 41 f; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 746. Die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule auf Officers, die nicht gleichzeitig auch als Directors dienen, ist offen. Palmer v. Reali, 211 F. Supp. 3d 655 (2016), S. 666, Fn. 8; Chen v. Howard-Anderson, 87 A.3d 648 (2014), S. 666, Fn. 2. 4 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. Wie bereits erwähnt, wird die Duty of Good Faith heute allgemein nicht mehr als separate Pflicht, sondern als Teil der Duty of Loyalty betrachtet. Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 506, Fn. 34; Stone, 911 A.2d 362 (2006), S. 370. s. Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 323 ff. Zahlreiche ältere und weiterhin viel zitierte Urteile zur Business Judgment Rule beinhalten „good faith“ bzw. das Fehlen von „bad faith“ als separate Bedingung für ihre Anwendung, die Trennung ist aber überholt. 5 s. z. B. Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 697. In einem der umstrittensten Fälle zur Business Judgment Rule machte der Delaware Supreme Court deutlich, dass trotz der Klarheit der Business Judgment Rule, die als solche keinen Unterschied zwischen großen und kleinen Fehlern machen kann, einige kolossale Fehler auch für Richter nur schwer nachzuvollziehen sind: „… the sheer size of the payout to [Walt Disney Company’s president Michael] Ovitz, as alleged, pushes the envelope of judicial respect for the business judgment of directors in making compensation decisions.“ Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 249. Ovitz hatte das Unternehmen nach nur einem Jahr an seiner Spitze wieder verlassen müssen – mit einer Abfindung im Wert von $ 138 Millionen. Das Gericht erklärte den Trennungsvertrag im Rahmen einer Aktionärsklage für gültig. Aber s. auch Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1015 („it didn’t cost them any more than a movie gone bad“, Vice-Chancellor Leo Strine). 3
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Rücksicht auf das Ergebnis der unternehmerischen Entscheidung davon ausgehen, dass die Directors ihre zwei Pflichten (die Duty of Care und die Duty of Loyalty) ordnungsgemäß erfüllt haben. Es kann die vorgebrachten Vorwürfe nicht weiter verfolgen,6 solange kein Kläger substantiiert darlegen kann („pleading with particularity“7), dass ein Director seine Pflichten mindestens grob fahrlässig verletzt hat, und eine mögliche Verbindung zwischen der Handlung und einem für die Gesellschaft sinnvollen Zweck („rational business purpose“) auch nur denkbar ist.8 Ist kein Rational Business Purpose auch nur vorstellbar, so müssen die Directors in Bad Faith gehandelt haben (wenn die Entscheidung so weit außerhalb aller rationalen Gedanken ist, dass sie anders nicht zu erklären ist), oder sie haben Gesellschaftsvermögen sinnlos verschwendet („waste“).9 Die Business Judgment Rule dient als Schutz des unternehmerischen Ermessens vor den Ideen und Korrekturen, die ein Richter (oder, für Directors noch unberechenbarer, eine Jury) ex post haben mag, und beschränkt die Gerichte daher darauf, die Prozesse der Entscheidungsfindung, nicht aber die Entscheidung selbst, zu bewerten.10 Die Business Judgment Rule an sich ist also keine Regel für das Verhalten von Directors, sondern für die Frage, ob dieses Verhalten vor Gericht überprüft werden darf.11 Sie greift bei allen „actions“ des Board of Directors und dient dem Gericht 6 Beam ex rel. Martha Stewart Living Omnimedia, Inc. v. Stewart, 845 A.2d 1040 (Del. 2004), S. 1048 f. Vgl. auch Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 40. 7 In re Citigroup Inc. Shareholder Derivative Litigation, 964 A.2d 106 (Del. Ch. 2009), S. 125; Louisiana Municipal Police v. Pyott, 46 A.3d 313 (Del. Ch. 2012), S. 340. In Fällen von Aktionärsklagen s. auch: Chancery Rule 23.1; Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 808; Grimes v. Donald, 673 A.2d 1207 (Del. 1996), S. 1217; Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 254. 8 Sinclair Oil Corporation v. Levien, 280 A.2d 717 (Del. 1971), S. 720; Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954. s. auch z. B. J. P. Stevens, 542 A.2d 770 (1988), S. 780 f.; Kahn v. M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (Del. 2014), S. 654. Weder müssen diese Ziele näher beschrieben, noch das tatsächliche Bestehen einer solchen Verbindung bewiesen werden. Vgl. auch Stephen M. Bainbridge, The Business Judgment Rule as Abstention Doctrine, 57 Vanderbilt Law Review 83 (2004), S. 100; Robert T. Miller, Wrongful Omissions by Corporate Directors: Stone v. Ritter and Adapting the Process Model of the Delaware Business Judgment Rule, 10 University of Pennsylvania Journal of Business and Employment Law 911 (2008), S. 930. 9 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 264; White v. Panic, 783 A.2d 543 (Del. 2001), S. 554; Parnes v. Bally Entertainment, 722 A.2d 1243 (Del. 1999), S. 1246; In re RJR Nabisco, Inc. Shareholders Litigation, 1989 WL 7036 (Del. Ch. 1989), S. 13, Fn. 3; White (Del.), 783 A.2d 543 (2001), S. 554, Fn. 36; Desimone, 924 A.2d 908 (2007), S. 916; Sample v. Morgan, 914 A.2d 647 (Del. Ch. 2007), S. 670. Vgl. auch Bainbridge, Business Judgment Rule as Abstention Doctrine, 57 Vand. L. Rev. 83 (2004), S. 100; Miller, Wrongful Omissions, 10 U. Pa. J. Bus. & Emp. L. 911 (2008), S. 923 ff. 10 Gagliardi v. TriFoods International, Inc., 683 A.2d 1049 (Del. Ch. 1996), S. 1053; Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954. Vgl. auch z. B. Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 13 & 19; Miller, Wrongful Omissions, 10 U. Pa. J. Bus. & Emp. L. 911 (2008), S. 913 11 Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954; Zapata Corp. v. Maldonado, 430 A.2d 779 (Del. 1981), S. 782; Cinerama (Del.), 663 A.2d 1156 (1995), S. 1162; Omnicare v. NCS Healthcare, Inc., 818 A.2d 914 (Del. 2003), S. 928; Vgl. auch Bainbridge, Business Judgment Rule as Abstention Doctrine, 57 Vand. L. Rev. 83 (2004). s. auch Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 782 (die Business Judgment Rule bezieht sich auf den Zeitraum nach der Entscheidung).
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nicht zur Beurteilung, ob eine Entscheidung richtig oder falsch war – solange das Business Judgment der Directors nicht durch Interessenkonflikte oder mangelnde Sorgfalt beeinträchtigt ist, sind sie für diese Frage ausdrücklich selber verantwortlich.12 Damit ist die Business Judgment Rule in erster Linie Grundlage nicht für Haftung, sondern für die Ablehnung von Haftung und von Aktionärsklagen, in denen Gerichte diese Grenzen der richterlichen Kompetenzen immer wieder bestätigen – eine einfache Fehleinschätzung der Directors allein ist keine Basis für eine richterliche Evaluierung einer unternehmerischen Entscheidung, auch wenn die Entscheidung im Nachhinein unvertretbar riskant erscheint13 oder die daraus resultierenden Konsequenzen für das Unternehmen sehr negativ sind.14 Dennoch bietet die Business Judgment Rule den Board Members einer Corporation Leitlinien für korrektes Verhalten. Denn der Prozess der Entscheidungsfindung darf keine Mängel aufweisen, wenn die Entscheidung als valides Business Judgment geschützt sein soll. Um einer Entscheidung und damit den Directors den Schutz der Business Judgment Rule zu sichern, dürfen dem Board bei der Entscheidungsfindung keine grob fahrlässigen Fehler unterlaufen sein.15 Ausreichende Informationen und der gute Glaube an die Wahrung des Unternehmensinteresses müssen stets gegeben sein.16 Wenn ein Kläger substantiiert darlegt, ein Director habe mindestens grob fahrlässig seine Duty of Care oder Duty of Loyalty verletzt, beispielsweise durch das Handeln ohne eine ausreichende Informationsgrundlage, durch die Verfolgung unternehmensfremder Interessen oder gar Bad Faith, so muss das Gericht die Entscheidungsfindung der Beklagten hinterfragen und die Directors zum Nachweis auffordern, dass die Entscheidung ohne Pflichtverletzungen getroffen wurde und entsprechend als Business Judgment geschützt werden muss.17 Erst wenn die Directors diesen Beweis nicht erbringen können und die Business Judgment Rule somit keine Anwendung findet, darf das Gericht die Substanz und die Konsequenzen der Entscheidung näher betrachten und diese selber bewerten, statt sich auf das Urteil der Directors zu verlassen.18 Einfach fahrlässige Pflichtverletzungen reichen dabei nicht, um das Business Judgment der Directors außer Kraft zu setzen.19 Erst wenn die Pflichtverletzung mindestens grob fahrlässig erfolgt ist, kann ihnen das unternehmerische Ermessen nicht mehr zugestanden werden. 12
van Gorkom, 488 A.2d 858 (1985), S. 872. Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 36. s. z. B. White (Del.), 783 A.2d 543 (2001), S. 554. 14 s. z. B. Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 249; Trenwick America Litigation Trust v. Ernst & Young, 906 A.2d 168 (Del. Ch. 2006), S. 169. 15 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. 16 van Gorkom, 488 A.2d 858 (1985), S. 872. 17 s. auch Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 93; Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 52. 18 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 264; Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 360 f. 19 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812 f.; van Gorkom, 488 A.2d 858 (1985), S. 873. 13
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Die Rechtsprechung sieht einen Verschuldensmaßstab von grober Fahrlässigkeit vor. Da aber nahezu alle Delaware Corporations ihren Directors heute per Satzungsregelung nach DGCL § 102(b)7 zusichern, dass sie auch bei grob fahrlässigen Verletzungen der Duty of Care nicht haftbar gemacht werden können, gilt in der Praxis, dass die Business Judgment Rule die meisten Directors auch bei grob fahrlässigen Pflichtverstößen schützt. Die Duty of Care ist in diesen Fällen nicht mehr relevant, da bei mangelnder Sorgfalt, die über grobe Fahrlässigkeit hinausgeht, von bedingtem Vorsatz und damit von einer Verletzung der Duty of Loyalty ausgegangen werden muss.20
II. Begründung der Business Judgment Rule in Delaware Die Prinzipien der Business Judgment Rule reichen tief in die anglo-amerikanische Rechtstradition hinein. Der Unwille der englischen Gerichte, die Entscheidungen von Managern zu hinterfragen kann in England bereits vor über 250 Jahren belegt werden.21 Auch in den USA wurde sie spätestens im frühen 19. Jahrhundert formuliert – in Percy v. Millaudon stellte der Louisiana Supreme Court im Jahr 1829 fest, dass es unmöglich werden würde, Mitglieder für Boards of Directors zu werben, wenn ihnen unter Androhung von Schadensersatz eine Pflicht zu richtigen Entscheidungen auferlegt würde, da kein Mensch zu solcher Perfektion fähig wäre.22 Die potentielle Haftung gilt als eine wichtige Überlegung bei der Übernahme von Board Positionen in den USA und gibt der Business Judgment Rule damit praktische Bedeutung auch aus Sicht der Aktionäre.23 Eine weitere Rechtfertigung der Business Judgment Rule findet sich in der These, dass Directors nur durch ihren Schutz dazu motiviert werden können, Risiken einzugehen, die die Aktionäre, und damit letztendlich auch die Gerichte und die Gesellschaft als positiv und schützenswert betrachten.24 So hat der Delaware Court of the Chancery die Business Judgment Rule häufig auch mit der Begründung aufrechterhalten, dass Directors aufgrund ihrer geringen Beteiligungen an den Unternehmen, die sie überwachen aber ihrer verhältnismäßig großen Haftungsrisiken als rationale Menschen alle unternehmerischen 20 Chancellor William T. Allen, der zwölf Jahre als oberster Richter des Court of the Chancery diente, nannte die Duty of Care daher einmal „possibly the most difficult theory in corporation law upon which a plaintiff might hope to win a judgment.“ Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 967. Vgl. z. B. auch Mapiede, 780 A.2d 1075 (2001), S. 1062; Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 91 f.; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 750; Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 506. 21 Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 26. 22 Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 26; Percy v. Milaudon, 8 Mart. 68 (La. 1829), S. 75 ff. 23 Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 971. Vgl. auch Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1018. 24 s. z. B. Gagliardi, 683 A.2d 1049 (1996), S. 1058; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005); Trenwick, 906 A.2d 168 (2006), S. 174.
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Entscheidungen, die mit einem Risiko verbunden sind, vermeiden müssen, da sie sonst an deren Erfolg höchstens geringfügig und indirekt beteiligt wären, sie für deren Scheitern aber in vollem Maße und persönlich haftbar gemacht werden könnten.25 In börsennotierten Unternehmen mit großem Streubesitz ist dieses Risiko für Directors besonders unberechenbar. Ohne die Business Judgment Rule, so also eine verbreitete These, wären Geschäftsleiter nicht bereit, wirtschaftlich sinnvolle Risiken einzugehen. In besonders hohem Maße gilt dies für Unternehmenskäufe oder -zusammenschlüsse, deren Komplexität eine restlos sichere Vorhersage der Konsequenzen unmöglich macht, und denen daher kein rationaler Director zustimmen könnte, wenn die Business Judgment Rule ihn nicht vor diesem Risiko in Schutz nähme – denn auch ein einwandfreier Prozess und intensive Überlegungen fähiger, dem Unternehmensinteresse dienender Directors können das Risiko komplexer Geschäftsentscheidungen, in der es keine vollständige Informationssicherheit geben kann, nie restlos ausschließen. Praktisch beruht die Business Judgment Rule aber auch auf der Erkenntnis, dass ein Director, der mit dem Unternehmen intensiv vertraut ist, die Richtigkeit einer Entscheidung besser beurteilen können sollte als ein Gericht.26 Hinzu kommt die Erkenntnis, dass auch das Gericht in seiner Entscheidungsfindung nicht unfehlbar wäre. Selbst in der ex-post Betrachtung können erfahrene Personen zu unterschiedlichen Auffassungen über den richtigen Weg kommen. Die Richter, die die schwerwiegende Entscheidung über die Richtigkeit einer Entscheidung und Haftung der Directors treffen müssten, verfügen in aller Regel weder über eine wirtschaftswissenschaftliche Ausbildung, noch über Geschäftserfahrung, erst recht nicht in allen relevanten Industrien.27 Selbstverständlich trägt die Regel damit auch der Realität Rechnung, dass die Board Members ihre Entscheidungen unter enormem Druck, in Echtzeit und mit allen damit einhergehenden Unsicherheiten fällen müssen.28
25
s. z. B. Gagliardi, 683 A.2d 1049 (1996), S. 1058; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 747. 26 s. z. B. Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 360; Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954; J. P. Stevens, 542 A.2d 770 (1988), S. 780; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 746. 27 Darüber hinaus, so der für seine offene Meinungsäußerung bekannte Richter Frank Easterbrook, tragen Richter keinerlei persönliche Konsequenzen falscher Einschätzungen, sonst ein wichtiger Faktor in der Entscheidungsfindung: „However weak competition may be at weeding out errors, the judicial process is worse – for judges can’t be turned out of office or have their salaries cut if they display poor business judgment.“ Jones v. Harris Associates L.P., 527 F.3d 627 (7th Cir. 2008), S. 633. 28 s. z. B. Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 698; Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1023.
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Schließlich würde eine regelmäßige Entscheidungsfindung durch die Gerichte eine Entmachtung nicht nur des Board of Directors, sondern auch der Aktionäre und eine Entdemokratisierung der gesellschaftsrechtlichen Struktur bedeuten, da Richter nicht von den Aktionären abbestellt werden können29 und der Weg eines Unternehmens so von einer Minderheit bestimmt werden könnte, solange diese Minderheit einen Prozess anstrengen kann.30 So kann die Business Judgment Rule auch als Mechanismus betrachtet werden, der nicht, wie vielleicht anzunehmen, vor allem die Directors vor den Aktionären schützt, sondern auch die Aktionäre und das Unternehmen an sich vor Minderheiten, die über den Köpfen der Directors ein DamoklesSchwert in der Form von Prozessen positionieren, das Directors allen Willen für Risiko und Entscheidungsfindung nähme.31
III. Bedeutung der Business Judgment Rule für Klagen gegen Directors in Delaware Wie bereits eingehend beschrieben, darf nach der Business Judgment Rule ein Gericht die Entscheidungen des Board of Directors nicht hinterfragen, da es davon ausgehen muss, dass die Directors sich pflichtgerecht verhalten haben. Erst wenn ein Kläger spezifische Hinweise darauf vorbringt, dass die beklagten Directors eine ihrer zwei Pflichten, die Duty of Care oder die Duty of Loyalty, in der Entscheidungsfindung mehr als fahrlässig verletzt haben (oder mehr als grob fahrlässig bei einer entsprechenden Satzungsklausel), darf ein Gericht beginnen, Fragen über den Entscheidungsprozess zu stellen.32 Die Duty of Care bedeutet für Directors ganz wesentlich die Pflicht, sich vor einer Entscheidung ausreichend zu informieren.33 Fahrlässige Fehler (im Falle einer Haftungsausschlussklausel auch grob fahrlässige Fehler), sind den Directors hier erlaubt, selbst wenn dem Unternehmen durch den Fehler ein Schaden zugefügt worden ist.34 Die Duty of Loyalty erlegt den Directors hingegen die Pflicht auf, stets
29 So z. B. Granada Investments, Inc. v. DWG Corp., 823 F. Supp. 448 (N.D. Ohio 1993), S. 455. 30 Michael P. Dooley, E. Norman Veasey, The Role of the Board in Derivative Litigation: DE Law and the Current ALI Proposals Compared, 44 The Business Lawyer 503 (1989), S. 522. s. auch Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 40. 31 Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 40 (zitiert In re Consumers Power Co. Derivative Litigation, 132 F.R.D. 455 (E.D. Mich. 1990), S. 464). 32 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. 33 Shoen v. SAC Holding Corp., 137 P. 3d 1171 (Nev. 2006), S. 1178; Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. 34 s. z. B. Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 249; White (Del.), 783 A.2d 543 (2001), S. 554; Trenwick, 906 A.2d 168 (2006), S. 169.
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in Good Faith und im ehrlichen Glauben zu handeln, dass sie ihre Entscheidungen im Interesse des Unternehmens treffen.35 Die Business Judgment Rule führt also dazu, dass Directors auch im notorisch klagefreudigen Aktionärsumfeld der USA36 ihre Aufgabe in aller Regel erfüllen können, ohne um ihr persönliches Vermögen fürchten zu müssen. Zwar liegt das Potential für unzureichende Informationen oder Fehlinformationen in der Natur der komplexen Unternehmensentscheidungen, die ein Board of Directors treffen muss. Aufgrund des Erfordernisses mindestens grober Fahrlässigkeit ist es allerdings für Aktionäre nicht einfach, die Directors auf Basis eines solchen Fehlers tatsächlich haftbar zu machen. Verstärkt wird diese Schwierigkeit durch die Entlastungsklauseln, die die Directors fast aller Corporations in Delaware von möglicher Haftung selbst bei grob fahrlässigem Fehlverhalten freistellen.37 Auch die Annahme, dass ein Director seine Duty of Loyalty eingehalten hat, ist nicht leicht zu erschüttern, obwohl Kläger regelmäßig versuchen, Directors auf diesem Wege haftbar zu machen.38 Um unseriösen Klagen vorzubeugen, verlangen die Gerichte aber auch hier, Vorwürfe, ein Director habe sich dem Unternehmen gegenüber illoyal oder untreu verhalten, mit großer Spezifität vorgebracht werden müssen, bevor ein Gericht die Klage zulässt.39 Einfache Argumente, eine Entscheidung sei nur durch persönliche Beweggründe eines Directors zu erklären, reichen also regelmäßig nicht aus, um eine Klage zu begründen, selbst wenn solche persönlichen Gründe in der vorliegenden Situation naheliegen.40 Erst wenn klare, substantielle Hinweise bestehen, dass ein Director seine eigenen Interessen über die des Unternehmens gestellt hat oder sich in einem Interessenkonflikt befand, der ein Handeln im Interesse der Corporation tatsächlich unmöglich gemacht hat, sind die Gerichte bereit, ihm den Schutz der Business Judgment Rule auf dieser Basis zu versagen. Auch wenn konkret deutlich gemacht werden kann, dass ein Director sich kontinuierlich weigert, relevante Informationen zur Kenntnis zu nehmen, oder wenn Directors den Aktionären wissentlich wesentliche Informationen vorenthalten haben, um eine Aktionärsentscheidung zu beeinflussen, können die Gerichte zu Zwecken der Klagezulassung Bad Faith annehmen.41 35 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812; Caremark, 698 A.2d 959 (1996), S. 971; Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 506. 36 s. infra, Kritik an Shareholder Representative Actions (S. 196). 37 s. supra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 38 s. z. B. Mapiede, 780 A.2d 1075 (2001), S. 1085; Sample, 914 A.2d 647 (2007); In re Trados Inc. Shareholder Litigation, 28 A.3d 457 (Del. Ch. 2013); In re Rural Metro Corp., 88 A.3d 54 (Del. Ch. 2014). 39 Citigroup (Del. Ch.), 964 A.2d 106 (2009), S. 125; Luoisiana Municipal Police, 46 A.3d 313 (2012), S. 340. Vgl. auch Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 808; Grimes, 673 A.2d 1207 (1996), S. 1217; Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 254. 40 s. z. B. Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 54; Mapiede, 780 A.2d 1075 (2001), S. 1085. 41 Vgl. z. B. Sample, 914 A.2d 647 (2007).
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IV. Die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland (§ 93 Abs. 1 Satz 2) In Deutschland findet sich eine Regelung, die oft als „Business Judgment Rule“42 nach amerikanischem Vorbild bezeichnet wird,43 in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, der im Jahr 2005 mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) in Kraft trat. Dort heißt es: „Eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, wenn das Vorstandsmitglied bei einer unternehmerischen Entscheidung vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ Spätestens seit dem ARAG/Garmenbeck Urteils des BGH im Jahr 1997 war die Ablehnung von Erfolgshaftung für Vorstände auch in Deutschland ein fester Bestandteil der Rechtslandschaft.44 Wie in Delaware gilt als Zweck dieser sogenannten Business Judgment Rule in Deutschland, dass die Einhaltung sauberer interner Prozesse den Entscheidungsträgern Schutz vor Haftung, insbesondere vor einer etwaigen Erfolgshaftung, gewähren soll.45 Dennoch unterscheiden sich die Rechtsinstitute in den beiden Systemen in so zahlreichen, grundlegenden Aspekten, dass die Verwendung des englischen Begriffes in Deutschland die Rechtssicherheit in diesem ohnehin komplexen Rechtsgebiet möglicherweise zusätzlich behindert. Die häufig unrichtige, veraltete oder zumindest undifferenzierte Darstellung der amerikanischen Business Judgment Rule im deutschen Schrifttum führt dabei außerdem dazu, dass möglicherweise 42 Im deutschen Schrifttum, insbesondere älteren Datums, ist zum Teil auch die Schreibweise „Business Judgement Rule“ verbreitet, sowohl für die deutsche als auch die amerikanische Regelung. Für diese Verwendung der abweichenden britischen Schreibweise für ein amerikanisches Rechtsinstitut wird generell keine Begründung gegeben, sie beruht daher aller Wahrscheinlichkeit nach auf einem lexikalischen Fehler, möglicherweise unter dem Eindruck des an deutschen Schulen traditionell wohl eher England-geprägten Englisch-Unterrichts, der sich von Beitrag zu Beitrag ohne Rückgriff auf die amerikanischen Primärquellen fortgesetzt hat. 43 s. z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 59; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 18. Aber s. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 65 („[§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG] ist keine bloße Übernahme aus den USA, sondern systematisch und dogmatisch eigenständig als Teil von § 93 kodifiziert.“) 44 Vgl. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 8. Vgl. auch Mathias Habersack, Perspektiven der aktienrechtlichen Organhaftung, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2013, 782, S. 786. 45 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 36; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016) Rn 26; Andreas Cahn, Aufsichtsrat und Business Judgment Rule, ILF Working Paper Series 2013, S. 31; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 49 & 63 ff. Der Schutz vor Rückschaufehlern durch Richter, den Geschäftsleiter durch die Business Judgment Rule erfahren, sei in Ländern wie Deutschland besonders wichtig, so der amerikanische Corporate Governance Experte Prof. Bernard Black, da der Beruf des Richters hier ohne vorherige Erfahrung als Anwalt aufgenommen wird, wie dies beispielsweise in den USA üblich ist. Dies führe besonders leicht dazu, dass die Gerichte mit den wirtschaftlichen Analysen überfordert seien, die für ein faires Hinterfragen von unternehmerischen Entscheidungen nötig wären. Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 15.
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hilfreiche Erkenntnisse aus der amerikanischen Erfahrung und Rechtsprechung in der deutschen Rechtsdiskussion nicht zur Verfügung stehen. Während die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland den Vorstandsmitgliedern Schutz vor Haftung zuspricht, solange sie sich an einen bestimmten Sorgfalts- und Treuemaßstab halten, hält die Business Judgment Rule in Delaware die Annahme fest, dass die Organe den nötigen Sorgfalts- und Treuemaßstab tatsächlich eingehalten haben. § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG hingegen gilt der „Bestimmung eines Sorgfaltsmaßstabs“46 oder der „gesetzlichen Konkretisierung der dem Vorstand abverlangten objektiven Pflichten.“47 Er macht keinerlei Annahme dazu, ob diese Pflichten eingehalten worden sind. Die Business Judgment Rule in Delaware ist kein Sorgfaltsmaßstab, sondern eine richterliche Grundannahme zur Pflichteinhaltung der Directors, die die Behandlung (oder, häufiger, Abweisung) bestimmter Klagen bestimmt. Stark vereinfacht lassen sich die beiden Prinzipien fassen als „eine Pflichtverletzung liegt nicht vor, solange eine spezifische Sorgfalts- und eine spezifische Treuepflicht eingehalten worden sind“ (Deutschland) und „das Gericht muss davon ausgehen, dass alle relevanten Sorgfalts- und Treuepflichten eingehalten worden sind“ (Delaware).48 Aus diesem grundsätzlich anderen Ausgangspunkt für Binnenhaftung in den beiden Systemen ist die tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit den Entscheidungen von Organen abzulesen, die deutschen Gerichten im Vergleich zu Gerichten in Delaware zugestanden wird. Da der deutsche Umgang dem Wesen der amerikanischen Business Judgment Rule im hohen Maße widerspricht, ist fraglich, ob § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG tatsächlich als „Business Judgment Rule“ bezeichnet werden sollte.49 Für ein Verständnis der Haftung in beiden Corporate Governance Systemen ist eine Erörterung der Unterschiede zwischen den Voraussetzungen für die Binnenhaftung im Lichte der Business Judgment Rule in Delaware und § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in Deutschland daher unerlässlich.
46 Joachim v. Falkenhausen, Die Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2012, 644, S. 648. 47 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 39. Vgl. auch Bayer/Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung, NZG 2014, S. 927 („Konkretisierung des allgemeinen Sorgfaltsmaßstabs“). 48 Zu diesem Unterschied s. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 22 („Rechtsfigur einer gerichtlich nicht kontrollierbaren Pflichtverletzung“). 49 Rein sprachlich träfe der Begriff möglicherweise sogar eher auf die deutsche als auf die amerikanische Regel zu, denn § 93 Abs. 1 Satz 2 definiert, welches Verhalten als „Business Judgment“ zu werten ist. Angesichts der grundlegenden Unterschiede zwischen den beiden Regeln sollte die Benutzung eines amerikanischen Begriffs hier aber möglicherweise überhaupt vermieden werden.
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1. Verschuldensgrad Der vielleicht offensichtlichste Unterschied zwischen der Business Judgment Rule in Delaware und § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG wird in Deutschland vielfach kritisiert: Anders als ein Delaware Director verliert ein deutsches Organmitglied laut herrschender (aber nicht unbestrittener50) Meinung bereits bei einfach fahrlässiger Verletzung seiner Pflichten den Schutz der sogenannten Business Judgment Rule.51 Rufe im Schrifttum, Aktionären die Möglichkeit zu geben, per Satzung wie in Delaware hier einen weiteren Spielraum festzulegen, sind bisher gescheitert.52 Dies bedeutet, dass § 93 Abs. 1 Satz 2 in Deutschland einen Freiraum ausschließlich für unschuldige Irrtümer schafft – Organe dürfen das Falsche tun, sie dürfen dabei aber keine Fehler machen. In der Rechtsrealität ist es nur unter sehr spezifischen Umständen zu erwarten, dass nach einer unternehmerischen Fehlentscheidung, die zum Schaden für die Gesellschaft geführt hat, ex post keinerlei Fehler gefunden werden kann.53 Dies ist ein fundamentaler Unterschied zu Delaware, wo das Wesen der Business Judgment Rule in eben diesem Raum für (fahrlässige) Fehler besteht. Laut Delaware Rechtsprechung zur Business Judgment Rule kann ein Gericht, sofern keine Anzeichen von Bad Faith vorliegen, die Handlung eines Board of Directors nur dann hinterfragen, wenn es seine Duty of Care bei der Entscheidungsfindung grob fahrlässig verletzt hat. Wie bereits erwähnt, verfügen fast alle Delaware Corporations darüber hinaus über Satzungsklauseln, die Directors sogar bei grob fahrlässiger Verletzung der Duty of Care von Haftung freistellen, so dass es erst bei bedingtem Vorsatz zur Haftung kommen kann. Die Anwendung des allgemein schärferen Verschuldensmaßstabs in Deutschland ist in der Praxis allerdings enger begrenzt. Zum einen sind die Möglichkeiten der Aktionärsklagen insgesamt weniger ausgeprägt.54 Zum anderen kann sie nicht für Aktionärsklagen nach § 148 AktG gelten, da § 148 Unredlichkeit oder eine „grobe Verletzung des Gesetzes oder der Satzung“ voraussetzt.55 Auch Gläubigern gegen-
50 s. z. B. Gregor Bachmann, Zehn Thesen zur deutschen Business Judgment Rule, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2015, 105, S. 106. 51 Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 392 ff.; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 176. 52 s. z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 58 ff.; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 393. 53 Vgl. auch Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 232. 54 s. infra, Vergleichbare Klagemöglichkeiten für Aktionäre in Deutschland (S. 227). 55 § 148 Abs. 1 AktG. Vgl. auch Roderich C. Thümmel, Shareholder deriviative suits im deutschen Aktienrecht? – Rechtsvergleichende Anmerkungen zu §§ 148, 149 AktG, in: Peter Gottwald (Hrsg.), Europäisches Insolvenzrecht – Kollektiver Rechtsschutz (2008), S. 244.
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über müssen Organmitglieder erst bei groben Pflichtverletzungen Schadensersatz leisten.56 Der Unterschied wird also nur dann bedeutsam, wenn die Gesellschaft selbst, vertreten durch Aufsichtsrat oder Vorstand, ein Organmitglied in Anspruch nimmt.57 Diese Möglichkeit ist bei allgemein steigender Anspruchsverfolgung58 allerdings nicht zu vernachlässigen. Auch könnte eine Verschärfung insbesondere der Klagemöglichkeiten der Aktionäre hier eine enorme Verschärfung der Haftung für Vorstände und Aufsichtsräte zur Folge haben. Zudem kann der geringe nötige Verschuldensgrad direkte Konsequenzen haben, wenn Handeln eines Organs außerhalb des unternehmerischen Ermessensfreiraums beispielsweise eine Strafbarkeit begründen kann und für die Bestimmung dieses Freiraums die Business Judgment Rule im Sinne von § 93 Abs. 1 Satz 2 als Referenz dient. Dies ist beispielsweise relevant bei Fragen der an späterer Stelle eingehend behandelten Untreue gemäß § 266 StGB.59 Zwar mag der nötige Verschuldensgrad für eine zivilrechtliche Haftung dabei nicht auch die strafrechtliche Schuld begründen, doch ist davon auszugehen, dass er in die Definition des objektiven Tatbestandselements der Pflichtverletzung einfließt.60 Eine alternative Sichtweise61 versteht den Ausdruck „vernünftigerweise“ des § 93 Abs. 1 Satz 2 als „ohne grobe Fahrlässigkeit“ unter Bezug auf die ARAG/Garmenbeck Entscheidung des BGH.62 Auch der Referentenentwurf zum UMAG hatte noch vorgesehen, dass der Handelnde „ohne grobe Fahrlässigkeit annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln“, bevor „ohne grobe Fahrlässigkeit“ durch den Ausdruck „vernünftigerweise“ 56
§ 93 Abs. 5 Satz 2 AktG. Bei den Sondertatbeständen nach § 93 Abs. 5 sieht das Aktiengesetz auch für Gläubiger und Aktionäre Haftung bereits für leichte Fahrlässigkeit vor. s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 223. 58 Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 12 ff. 59 s. infra, Untreue nach § 266 StGB (S. 430). 60 s. infra, Relevante Elemente des § 266 StGB für Organe von Aktiengesellschaften (S. 432). 61 Bachmann, Zehn Thesen, WM 2015, S. 106. 62 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 22. Dieser hatte geurteilt, eine Schadensersatzpflicht könne erst dann gegeben sein, „wenn die Grenzen, in denen sich ein von Verantwortungsbewußtsein getragenes, ausschließlich am Unternehmenswohl orientiertes, auf sorgfältiger Ermittlung der Entscheidungsgrundlagen beruhendes unternehmerisches Handeln bewegen muß, deutlich überschritten sind, die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt worden ist oder das Verhalten des Vorstands aus anderen Gründen als pflichtwidrig gelten muß.“ Die zahlreichen erforderlichen unspezifischen Einschätzungen wie „deutlich überschritten“ verwehren den betroffenen Organen die Rechtssicherheit, die in der Anwendung der amerikanischen Business Judgment Rule von so zentraler Bedeutung ist. Aber vgl. auch Bayer, Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung, NZG 2014, S. 929 (verfassungsrechtliche Bedenken zur Absenkung des Sorgfaltsmaßstabs auf grobe Fahrlässigkeit). 57
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ersetzt wurde.63 Tatsächlich wäre die Formulierung des Referentenentwurfs, sofern sie tatsächlich auf die Informationsgrundlage und das Wohl der Gesellschaft bezogen wird,64 der Business Judgment Rule in Delaware deutlich näher gekommen, wobei das dort fremde objektive Element (im Weiteren näher besprochen) durch das Wort „durfte“ auch hier Einzug gefunden hätte.65 2. Objektiv/subjektive Beurteilung des Gesellschaftsinteresses Neben dem Verschuldensgrad besteht ein weiterer Unterschied, der zu einer grundlegend anderen „Business Judgment Rule“ in Deutschland im Vergleich zu Delaware führt, darin, dass deutsche Gerichte bei der Feststellung der Wahrung des Gesellschaftsinteresses einen objektiven Maßstab anwenden dürfen. Nach Delaware Recht muss ein Gericht einzig den ehrlichen Glauben des Directors feststellen, im Unternehmensinteresse gehandelt zu haben.66 Solange dieser subjektive Glaube zum Zeitpunkt der Entscheidung festgestellt ist, kann ein Gericht diese Beurteilung nicht inhaltlich, etwa auf Wert oder Vernunft hinterfragen.67 Dies ist der Grundsatz der Business Judgment Rule: Solange der Fiduciary sorgfältig und 63 Bundesministerium der Justiz, Entwurf eines Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) (19. Januar 2004), S. 1 & 17. s. auch Bachmann, Zehn Thesen, WM 2015, S. 106; Walter G. Paefgen, Dogmatische Grundlagen, Anwendungsbereich und Formulierung einer Business Judgment Rule im künftigen UMAG, Die Aktiengesellschaft 2004, 245, S. 246. Die soll dem Versuch geschuldet gewesen sein, den Wortlaut mit der amerikanischen Business Judgment Rule in Einklang zu bringen. Weshalb dies in der deutschen Formulierung „vernünftigerweise annehmen durfte“ nicht gelungen ist, wird im Folgenden näher erläutert. s. infra, Objektiv/subjektive Beurteilung des Gesellschaftsinteresses (S. 132). Die Verbindung zwischen „vernünftigerweise“ und „rational“, die als Begründung für diesen Wechsel genannt wird (Bachmann, Zehn Thesen, WM 2015, S. 106), verfängt nicht, zum einen da „vernünftigerweise“ in diesem Fall mit „reasonably“ übersetzt werden müsste und zum anderen da das Wort „rational“ für die Business Judgment Rule nur im Zusammenhang mit dem Rational Business Purpose eine Rolle spielt. Die Erfordernis eines Rational Business Purpose bedeutet aber gerade nicht, dass die Handelnden vernünftigerweise annehmen durften, im Unternehmensinteresse zu handeln, sondern nur, dass irgendein sinnvoller Zweck denkbar gewesen sein muss. s. supra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). Zutreffend wird dies auch als „Irrationalitätstest“ beschrieben. Paefgen, Dogmatische Grundlagen, AG 2004, S. 255. Wäre es dem Gesetzgeber also um eine Annäherung an die Business Judgment Rule in Delaware gegangen, wäre die Formulierung des Referentenentwurfs vorzuziehen gewesen. 64 Abweichend Bachmann, Zehn Thesen, WM 2015, S. 106. 65 In der Praxis gilt für die meisten Delaware Corporations, wie bereits erwähnt, ein Verschuldensmaßstab von bedingtem Vorsatz aufgrund von Satzungsklauseln gemäß DGCL § 102(b)(7). 66 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812. 67 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 264: „As for the plaintiffs’ contention that the directors failed to exercise ,substantive due care,‘ we should note that such a concept is foreign to the business judgment rule. Courts do not measure, weigh or quantify directors’ judgments. We do not even decide if they are reasonable in this context.“
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im guten Glauben handelt, kann er seine Entscheidungen in der sicheren Gewissheit treffen, dass kein Gericht sie später hinterfragen und ihn in die persönliche Erfolgshaftung nehmen kann. Er schuldet der Gesellschaft Sorgfalt und Loyalität – solange er diese Grundvoraussetzungen erfüllt, ist die schärfste Konsequenz, die ihn für eine Fehlentscheidung treffen kann, die Abberufung. Dieser Grundsatz wird nur dann außer Kraft gesetzt, wenn es den Klägern gelingt darzulegen, dass es für die Handlungen des Board of Directors keinen auch nur denkbaren für die Gesellschaft sinnvollen Zweck (oder Rational Business Purpose) gegeben haben kann.68 Eine solche Anschuldigung beinhaltet entweder den Vorwurf von Waste oder von Bad Faith bei einer rational absolut nicht erklärbaren Entscheidung.69 Zur Entkräftung dieser Vorwürfe reicht für den beklagten Director aber bereits die Darlegung der bloßen Möglichkeit eines Rational Business Purpose, die Directors müssen nicht nachweisen, dass dieser mögliche Rational Business Purpose tatsächlich ihr Beweggrund war.70 Die Entscheidung eines deutschen Organs hingegen wird neben der subjektiven ex-ante Einschätzung des Handelnden zum Gesellschaftsinteresse auch an der objektiven ex-post Feststellung des Gerichts gemessen, ob die Einschätzung „vernünftigerweise“ getroffen werden konnte.71 Dies führt zu der vielleicht schwerwiegendsten Einschränkung des unternehmerischen Ermessens durch die deutsche Abwandlung der Business Judgment Rule, da sich ein Organmitglied trotz bester 68
Sinclair Oil, 280 A.2d 717 (1971), S. 720; Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954. s. auch z. B. J. P. Stevens, 542 A.2d 770 (1988), S. 780 f.; M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 654. 69 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 264; Parnes, 722 A.2d 1243 (1999), S. 1246; RJR Nabisco, 1989 WL 7036 (1989), S. 13, Fn. 3; White (Del.), 783 A.2d 543 (2001), S. 554, Fn. 36; Desimone, 924 A.2d 908 (2007), S. 916; Sample, 914 A.2d 647 (2007), S. 670. Vgl. auch Bainbridge, Business Judgment Rule as Abstention Doctrine, 57 Vand. L. Rev. 83 (2004), S. 100; Miller, Wrongful Omissions, 10 U. Pa. J. Bus. & Emp. L. 911 (2008), S. 923 ff. 70 Sinclair Oil, 280 A.2d 717 (1971), S. 720; Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954. s. auch z. B. J. P. Stevens, 542 A.2d 770 (1988), S. 780 f.; M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 654. Vgl. auch Bainbridge, Business Judgment Rule as Abstention Doctrine, 57 Vand. L. Rev. 83 (2004), S. 100; Miller, Wrongful Omissions, 10 U. Pa. J. Bus. & Emp. L. 911 (2008), S. 930. 71 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 21; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 59; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 101. Die Notwendigkeit einer objektiven ex-post Betrachtung hat sich trotz der Begründung des Gesetzgebers durchgesetzt, die offenbar eine rein subjektive Beurteilung vorsah. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 59. Der Münchener Kommentar geht sogar so weit, der Norm letztendlich eine rein objektive Beurteilung zu entnehmen: Die objektive Feststellung, so der Kommentar, übertrifft den subjektiven guten Glauben, wenn die Handlung dem Gesellschaftsinteresse nicht entspricht, so dass die subjektive ex-ante Beurteilung keinen Einfluss auf die Anwendung der Business Judgment Rule hat. Ist der Handelnde aber subjektiv bösgläubig, obwohl das Gericht später urteilt, dass kein Konflikt mit dem Gesellschaftsinteresse bestand, so ist auch diese subjektive Einschätzung für die Anwendung der Business Judgment Rule nicht relevant. In jedem Fall ist es letztendlich ausschließlich das Urteil des Gerichts, nicht die in den USA allein relevante Einschätzung der handelnden Person, die für diesen Aspekt der Business Judgment Rule entscheiden ist. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 66. s. auch infra, Notwendigkeit des Guten Glaubens (S. 135).
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Absichten und ehrlichen Glaubens im Gesellschaftsinteresse zu handeln, nicht darauf verlassen kann, dass ein Gericht diese Absichten und diesen Glauben im Nachhinein anerkennt.72 Die § 93 Abs. 1 Satz 2 erweitert die mögliche persönliche Haftung damit auf Organmitglieder, die wirtschaftliche Entwicklungen falsch eingeschätzt haben oder bei Verhandlungen nicht stark genug aufgetreten sind, da das Gericht, anders als in Delaware, auch gutgläubige wirtschaftliche Einschätzungen und Verhandlungsstrategien hinterfragen kann.73 Zwar weist das Schrifttum zum Teil auf die Gesetzesbegründung hin, die eine Ablehnung der Einschätzung zum Unternehmensinteresse nur dann vorsehe, wenn das Risiko „in völlig unverantwortlicher Weise falsch beurteilt“ worden sei, sowie die ARAG Entscheidung, die Haftung nur vorsah, wenn die Grenzen verantwortungsvollen unternehmerischen Handelns „deutlich überschritten“ wären oder „die Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen, in unverantwortlicher Weise überspannt“ worden war.74 Doch selbst diese Differenzierung, sofern sie vertreten wird, bedeutet eine inhaltliche Bewertung des Risikos durch das Gericht, die dem Verständnis in Delaware widerspricht.75 Die Frage, ob eine Entscheidung im Interesse des Unternehmens liegt, muss nach amerikanischem Verständnis den Kern allen treuhänderischen Handelns bilden und wird in Delaware dementsprechend dem Business Judgment der Geschäftsleiter unterstellt. Solange sie sorgfältig und gutgläubig vorgehen, genießen Directors absolute Autorität über die Beurteilung von Risiken und Chancen für ihre Corporation. Ausschließlich ihre Einschätzung des Gesellschaftsinteresses ist hierfür maßgeblich. Die objektiv/subjektive Beurteilung durch die Gerichte in Deutschland und die damit einhergehende mögliche Substitution des „Business Judgment“ der Geschäftsleitung durch das ex-post „Judgment“ des Gerichts widersprechen somit der Business Judgment Rule in Delaware im Kern. Sie bedeutet den dogmatisch wohl wichtigsten Unterschied zwischen den beiden Rechtsinstituten.76 72 Aber vgl. z. B. Walter G. Paefgen, Die Darlegungs- und Beweislast bei der Business Judgment Rule, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2009, 891, S. 892, der auf einen ähnlichen „Irrationalitätstest“ wie die amerikanische Frage nach „any rational business purpose“ im ARAG-Urteil des BGH hinweist. 73 Vgl. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 67. 74 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 22; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 113; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 23. 75 s. auch infra, Relevanz der Konsequenzen einer unternehmerischen Entscheidung (S. 138). 76 Die Beschreibungen der amerikanischen Business Judgment Rule im deutschen Schrifttum beziehen sich häufig auf die Version des American Law Institute (ALI). Das ALI veröffentlicht sogenannte „model codes“ als mögliche Vorlagen für zukünftige Gesetzgebung der einzelnen Staaten. The American Law Institute (Hrsg.), Principles Of The Law, Corporate Governance: Analysis And Recommendations, The American Law Institute (2008). Die ALI Formulierung der Business Judgment Rule (§ 4.01), die laut Münchener Kommentar als Vorbild für die deutsche Business Judgment Rule diente (Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 37; abweichend z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 22), entspricht der Delaware Rechtsprechung in vielerlei Hinsicht, doch darf sie nicht mit der tatsächlichen Rechtslage verwechselt werden. Allein eine Kodifizierung der Business Judgment
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3. Notwendigkeit des Guten Glaubens Inwieweit hingegen die subjektive Beurteilung, ob die Entscheidung dem Wohl der Gesellschaft diene, überhaupt Teil richterlicher Untersuchung sein kann, ist im deutschen Schrifttum indes nicht endgültig geklärt. Für Teile des Schrifttums ist eine positive Feststellung der Gutgläubigkeit Voraussetzung für die Anwendung der Business Judgment Rule.77 Andere sehen hingegen keine praktische Anwendung, da ein Organmitglied, das fälschlich davon ausgeht, entgegen dem Wohl der Gesellschaft zu handeln, keine Pflichtverletzung begehe.78 Widerspreche eine Entschei-
Rule widerspricht Verständnis und Praxis in Delaware und die American Bar Association (ABA), die ebenfalls Modell-Gesetze erarbeitet, weigert sich seit Jahren, die Business Judgment Rule in ihre Gesellschaftsrechtsvorlagen aufzunehmen, da sie eine Kodifizierung der Regel für unangebracht hält. American Bar Association, Section Of Business Law, Committee On Corporate Laws (Hrsg.), Model Business Corporation Act Annotated, American Bar Association (2008), § 8.30, offizieller Kommentar 8 – 189 (bestimmte Regelungen zur persönlichen Haftung von Directors und Officers, die der Business Judgment Rule nahe kommen, behandelt der Model Business Corporation Act dennoch in § 8 – 31; vgl. auch Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 405 ff.). Die häufige Vermischung in der deutschen Rechtsliteratur des Textes der ALI Business Judgment Rule mit Delaware Urteilen, die sich nicht auf das ALI Modell einer Business Judgment Rule, sondern auf Jahrzehnte tatsächlicher, vielschichtiger Rechtsprechung in Delaware beziehen, verschärft die Gefahr der Verwirrung. Insbesondere bei Übersetzung und Verwendung von Formulierungen, die im deutschen Rechtsverständnis bereits eigene Konnotationen haben, kann es dabei zu Missverständnissen kommen. So heißt es beispielsweise im Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, die amerikanische Business Judgment Rule gelte, wenn der Beklagte „nachvollziehbar nach seiner Überzeugung im besten Interesse des Unternehmens gehandelt hat.“ Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 37, Hervorh. d. Verf.). Der Ausdruck „nachvollziehbar nach seiner Überzeugung“ soll offenbar als Übersetzung von „rationally believes“ im Text des ALI Modells dienen. Aufgrund des deutschen Rechtshintergrundes verleitet diese Übersetzung den Leser aber leicht dazu, auch in den USA ein aktives Nachvollziehen des Gerichts und die Notwendigkeit einer objektiven Einschätzung zum Unternehmensinteresse zu vermuten. Klarer wären vielleicht die Übersetzungen „objektiv“, „sachlich“ oder auch „rational“. Für den Rechtsvergleich der Corporate Governance ist aber vor allem wichtig, dass es sich bei dem hier herangezogenen Vorbild für die Business Judgment Rule nicht um Delaware Rechtsprechung handelt. „Nachvollziehbar“ muss eine Überzeugung zur Wahrung des Unternehmensinteresses in Delaware nur insofern sein, als dass ein Director im Falle einer zugelassenen Klage beweisen muss (also für das Gericht nachvollziehbar machen), dass er die ehrliche Überzeugung hatte, im Unternehmensinteresse zu handeln. Das Gericht muss und darf diese Überzeugung nicht ex-post objektiv beurteilen, wie es dies in einem vergleichbaren Fall in Deutschland täte. 77 s. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 24; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 115; Nikolaus Bosch/Knut Werner Lange, Unternehmerischer Handlungsspielraum des Vorstandes zwischen zivilrechtlicher Verantwortung und strafrechtlicher Sanktion, JuristenZeitung 2009, 225, S. 231. 78 So z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 66.
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dung hingegen objektiv dem Gesellschaftswohl, so sei die subjektive Auffassung irrelevant.79 Sollte sich letztere Sichtweise durchsetzen, bestünde hier ein weiterer gravierender Unterschied zum amerikanischen Recht. Denn ein Fiduciary, der meint, entgegen dem Gesellschaftswohl zu handeln, verletzt dort seine Duty of Loyalty und kann von der Business Judgment Rule keinen Gebrauch machen. Im Falle einer Klage kann und muss ein Gericht dann seine Handlungen und Entscheidungen intensiv, auch inhaltlich prüfen.80 Die Kriterien für mögliche Haftung ändern sich in diesem Fall maßgeblich zu Ungunsten des Director, so dass selbst eine Entscheidung, die dem Wohl der Gesellschaft entsprach, dennoch zu Haftung führen kann, wenn beispielsweise ein intensiveres Verfolgen des Gesellschaftsinteresses zu einem noch besseren Ergebnis hätte führen können.81 Die Forderung, Fiduciaries oder Organen einen unternehmerischen Ermessensspielraum einzuräumen, der von keinem Gericht geprüft werden kann, obwohl sie bereit waren, Entscheidungen entgegen dem Gesellschaftswohl zu treffen, widerspricht zumindest dem amerikanischen Verständnis der Business Judgment Rule. 4. Definition von „Wohl der Gesellschaft“ Die Freiheit der Organe, das Gesellschaftsinteresse zu definieren, erfährt dabei in Deutschland eine zusätzliche Einschränkung: Spätestens seit Verabschiedung des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG), ist deutlich, dass der Gesetzgeber unter dem Wohl der Gesellschaft die langfristige Ertragsstärkung und Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens bzw. des Konzerns versteht.82 Der Fokus auf die langfristige Entwicklung findet auch in den USA breite Zustimmung, ist dabei aber nicht unkontrovers, denn bestimmte Aktionärsgruppen haben kein Interesse an langfristiger Wertschöpfung und versuchen, diese konträren, kurzfristigen Interessen und eine aktionärszentrische Sicht durchzusetzen.83 79 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 66. Dies explizit ablehnend z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 24. 80 Die sogenannte „entire fairness review“, s. infra, Entire Fairness (S. 148). 81 Vgl. z. B. Kahn v. Tremont Corp., 694 A.2d 422 (Del. 1997), S. 432. 82 Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 11. s. auch Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 46; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 23. Vgl. auch z. B. Kristina Nattkemper, Die Untreuestrafbarkeit des Vorstands einer Aktiengesellschaft (2013), S. 193; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 99 (mit dem Hinweis, dass nicht alles Handeln langfristig ausgerichtet sein muss, um dem Unternehmensinteresse zu entsprechen). 83 s. z. B. Nelson Peltz und Trian Partners als Aktionäre bei DuPont (Alana Semuels, Can America’s Companies Survive America’s Most Aggressive Investors?, The Atlantic (18 November 2016)); Carl Icahn als Investor bei Netflix (Richard Lee/Jason D. Schloetzer, The Activism of Carl Icahn and Bill Ackman, Harvard Law School Forum on Corporate Governance
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Der Unterschied zwischen dem als „amerikanisch“ betrachteten monistischen oder „shareholder-Modell“ der Corporate Governance und dem in Deutschland vorgezogenen pluralistischen oder „stakeholder-Modell“, das nicht nur die Ziele der Aktionäre, sondern auch die von Arbeitnehmern, Gläubigern und Zivilgesellschaft mit denen des Unternehmens verknüpft,84 ist schon angesichts der Aktionärsraten der beiden Länder nicht überraschend – in Deutschland waren 2015 nur 14 % der Bevölkerung im Besitz von Aktien,85 in den USA waren es mehr als die Hälfte der Bevölkerung.86 Eine gesetzliche Ausrichtung auf die Interessen der Aktionäre in Deutschland würde also der breiten Mehrheit der Bevölkerung keinen direkten Vorteil bringen. Die Grenzen zwischen Shareholder- und Stakeholder-Modell können aber fließend sein und auch das amerikanische System verfolgt eine deutlich weitreichendere Zielsetzung als die einfache Maximierung des Aktionärsvermögens.87 Die aktuellen rechtspolitischen Auseinandersetzungen zu diesem Thema betrachten nicht nur den Konflikt zwischen langfristiger Wertsteigerung und kurzfristiger Wertsteigerung,88 sondern auch die Frage zum Wert der Unternehmensidentität und -kontinuität, und inwieweit Aktionäre andere Ziele der monetären Wertsteigerung vorziehen und diese Ziele auf den Gesellschaftszweck übertragen dürfen.89 Immer wieder stellt die and Financial Regulation (29. Mai 2014)); Jeff Smith und Starboard Value als Aktionäre bei DSP Group (Yvan Allaire/Francois Dauphin, The game of „activist“ hedge funds: Cui bono?, 13 International Journal of Disclosure and Governance 279 (2016)) oder bei Wauwau Paper (Michael Kranish, Rise of activist investing is felt at century-old firm, The Boston Globe (15. August 2015)). Die langfristige Wertschöpfung ist in den meisten Fällen intensiv umstritten. Vgl. auch z. B. John C. Coffee/Darius Palia, The Wolf at the Door: The Impact of Hedge Fund Activism on Corporate Governance, 41 Journal of Corporation Law 545 (2015); Martijn Cremers/Ankur Pareek/Zacharias Sautner, Short-Term Investors, Long-Term Investments, and Firm Value, Working Paper (2016); Martin Lipton, The New Paradigm for Corporate Governance, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (9. März 2016); Lucian A. Bebchuk/Alon Brav/Wei Jiang, The Long-Term Effects of Hedge Fund Activism, 115 Columbia Law Review 1085 (2015); sowie Mark J. Roe, Corporate ShortTermism – In the Boardroom and in the Courtroom, 68 The Business Lawyer 977 (2013) (den Trend in Richtung Kurzfristigkeit insgesamt bestreitend). 84 Dies entspricht der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung in Deutschland, s. Spindler, Vorbemerkung, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 51. 85 Die Zählung beinhaltet auch Aktienbesitz über Fondsbeteiligungen. Deutsches Aktieninstitut, Aktionärszahlen des Deutschen Aktieninstituts 2015 (2015), S. 3. Gezählt werden nur Aktienbesitzer, die älter sind als 14 Jahre. 86 Im Jahr 2015 hielten 55 % aller Amerikaner Aktien, vor der Finanzkrise im Jahr 2008 waren es sogar 62 %. Gallup, Little Change in Percentage of Americans Who Own Stocks, Gallup Poll Social Series (22. April 2015). 87 s. bereits Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 955. 88 s. z. B. Lipton, New Paradigm, Harvard Forum (2016); Bebchuk, Long Term Effects, 115 Colum. L. Rev. 1085 (2015); Coffee, Palia, Wolf at the Door, 41 J. Corp. L. 545 (2015). 89 Burwell v. Hobby Lobby Stores, Inc., 134 S. Ct. 2751 (2014), S. 2769 f.; Lyman P. Q. Johnson, David Millon, Corporate Law after Hobby Lobby, 70 The Business Lawyer 1 (2014); eBay Domestic Holdings, Inc. v. Newmark, 16 A.3d 1 (Del. Ch. 2010), S. 34; Lyman P. Q.
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Rechtsprechung allerdings fest, dass das Gesellschaftsinteresse ausdrücklich nicht in allen Fällen mit dem Aktionärsinteresse gleichzusetzen ist.90 Die kontroverse Debatte verdeutlicht, wie weit das amerikanische Gesellschaftsrecht noch von einer klaren Definition des Gesellschaftsinteresses entfernt ist. Im Einzelfall obliegt die Definition des Interesses der einzelnen Gesellschaft aber ausschließlich ihrem Board of Directors. 5. Relevanz der Konsequenzen einer unternehmerischen Entscheidung In Deutschland kann eine inhaltliche Bewertung der strittigen Entscheidung außerdem unter dem Aspekt der Bestandsgefährdung stattfinden. Trifft ein Vorstand eine Entscheidung, die den Bestand des Unternehmens gefährden könnte, „so liegt es nahe“, zumindest für Teile des Schrifttums, dass er seine Pflicht, im Interesse des Unternehmens zu handeln, verletzt hat.91 Diese ex-post inhaltliche Betrachtung, selbst (oder gerade) im Rahmen einer Einzelfallbetrachtung,92 wäre in Delaware nicht mit der Business Judgment Rule zu vereinen. Obwohl das deutsche Recht Unsicherheit als wesentlichen Bestandteil unternehmerischer Entscheidungen betrachtet,93 können nach verbreiteter Interpretation des ARAG-Urteils all solche Entscheidungen, die sich als bestandsgefährdend herausstellen, trotz aller Sorgfalt den Schutz der Business Judgment Rule verlieren.94 Dies ist insbesondere problematisch in risikoaffinen Industrien.95 Marktzusammenbrüche in Folge von Blasen haben beispielsweise in der Vergangenheit regelmäßig dazu geführt, dass Unternehmen aufgrund von Investitionen in die Insolvenz gehen mussten, die in Good Faith, mit klarer Gewinnabsicht und auf der Basis soweit
Johnson, Unsettledness in Delaware Corporate Law: Business Judgment Rule, Corporate Purpose, 38 Delaware Journal of Corporate Law 405 (2013). 90 Vgl. z. B. Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdings, Inc., 506 A.2d 173 (Del. 1986), S. 182. 91 Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 7. Aber s. auch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 88 & 195; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 27. 92 Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 7; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 54 f. Auch ein strengerer Maßstab „in besonders kritischen Fällen“ wird gesehen. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 114. 93 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 41. 94 Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 27; Holger Fleischer, Aktuelle Entwicklungen der Managerhaftung, Neue Juristische Wochenschrift 2009, 2337, S. 2342. Aber s. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 88; Stephan Balthasar/Uwe Hamelmann, Finanzkrise und Vorstandshaftung nach § 93 Abs. 2 AktG: Grenzen der Justiziabilität unternehmerischer Entscheidungen, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2010, 589, S. 590. 95 Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 27.
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ausreichender Informationen getätigt worden waren, wie sie nach derzeitigem Marktverständnis nötig waren.96 Selbst bei einer Abkehr von dieser Meinung, die Vorständen und Aufsichtsräten bei existenzgefährdenden Entscheidungen den Schutz der Business Judgment Rule verwehren will, müssten Organmitglieder aber befürchten, dass ein Gericht nach dem Zusammenbruch des Unternehmens die fragliche Entscheidung als Überschreitung des verantwortbaren Risikos betrachten würde. Zweifelsohne ließe sich eine Linie zwischen verantwortbaren und unverantwortbaren Risiken ziehen und der Wert, den das Schrifttum hier auf die Einzelfallbetrachtung und die Rolle von Maßnahmen zur Risikobeherrschung legt,97 ließe einen differenzierten Umgang mit der Ergebnisbetrachtung erwarten. Nach aktuellem Meinungsstand muss ein Vorstandsmitglied dennoch in der Unsicherheit leben, dass seine Entscheidung nicht auf Basis seiner unsicheren Einschätzung, sondern des ex-post sicheren Ergebnisses beurteilt wird. Eben dies soll die Business Judgment Rule nach amerikanischen Verständnis verhindern. Organen bzw. Fiduciaries den Schutz der Business Judgment Rule aufgrund des Ergebnisses ihrer Entscheidungen zu verwehren, bedeutet, dass sie Erfolgshaftung ex-ante nie vollkommen ausschließen können, denn sie können im Nachhinein doch für das Ergebnis, nicht nur für den Prozess verantwortlich gemacht werden.98 Wenn die Business Judgment Rule die freie Entscheidungsfindung und Risikobereitschaft unternehmerischen Handelns fördern soll, ist dies das Gegenteil des gewünschten Effekts.99 In jedem Fall widerspricht diese Handhabung dem amerikanischen Verständnis grundlegend. 6. Gesetzliche Einschränkungen Weitere Einschränkung erfährt die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland im Vergleich zu Delaware durch die spezifischen gesetzlichen Pflichten, die den Entscheidungsspielraum der Organe entweder spezifisch begrenzen oder bestimmte Bereiche ganz oder zumindest weitgehend vom unternehmerischen Ermessen ausnehmen.100
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Dies gilt insbesondere, da die Business Judgment Rule fahrlässige Verletzungen der Duty of Care gestattet. 97 Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 27. 98 Vgl. Miller, Wrongful Omissions, 10 U. Pa. J. Bus. & Emp. L. 911 (2008), S. 913. 99 s. z. B. Gagliardi, 683 A.2d 1049 (1996), S. 1052; Air Line Pilots Association, International v. UAL Corp., 717 F. Supp. 575 (N.D. Illinois 1989), S. 582; Trenwick, 906 A.2d 168 (2006), S. 193. 100 Vgl. z. B. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 75. Unternehmerisches Ermessen gilt aber für die Art und Weise der Befolgung. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 76.
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So hat § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG beispielsweise keinen Einfluss auf Entscheidungen zur Vorstandsvergütung,101 die sich insbesondere seit Erlass des Gesetzes zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) im Jahr 2009 als Bereich gefürchteter Haftungsrisiken für den Aufsichtsrat entwickelt hat.102 Die Erfüllung der Maßgaben des VorstAG durch den Aufsichtsrat wird an einem Maßstab gemessen, der über die gewöhnlichen Sorgfalt- und Treuepflichten, die die sogenannte Business Judgment Rule voraussetzt, hinausgeht. Er muss innerhalb strenger aber ungenauer gesetzlicher Maßgaben eine Ermessensentscheidung treffen, ohne sicher sein zu können, wie ein Gericht diese Maßgaben später mit Blick auf die spezifische Faktenlage deuten könnte.103 Somit kann auch ein Aufsichtsrat der Gesellschaft gegenüber haftbar sein, der alle sonstigen Bedingungen für die Anwendung der sogenannten Business Judgment Rule erfüllt hat, der also auf Basis aller nötigen Informationen und in voller, nachvollziehbarer Überzeugung gehandelt hat, die Interessen des Unternehmens zu verfolgen. Angesichts der hohen Komplexität dieser Bewertung und der Vielzahl der möglichen Meinungen, die je nach Prioritäten, Hintergrund und Perspektive vertreten werden können, betrachtet Delaware die Vergütung der Officers unumstößlich als Frage des unternehmerischen Ermessens der zuständigen Directors.104 Ausgenommen von der deutschen Business Judgment Rule sind auch die Sondertatbestände in § 93 Abs. 3 AktG. Anders als bei Fragen der Vorstandsvergütung ist hier aber von vornherein kein unternehmerisches Ermessen möglich, da die darin 101 Hier bestehen geteilte Meinungen, s. Uwe Hüffer, § 116 AktG – Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Aufsichtsratsmitglieder, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 19. Keine unternehmerische Entscheidung im Sinne des § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG sieht Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 41. 102 Vgl. z. B. Hans-Christoph Ihrig/Andre P. H. Wandt/Jonas Wittgens, Die angemessene Vorstandsvergütung drei Jahre nach Inkrafttreten des VorstAG – Grundsätze, Leitlinien und Zweifelsfragen in der Praxis – eine Bestandsaufnahme, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2012, Beilage zu Heft 40, 1, S. 29 f.; Arthur Waldenberger/Jörg Kaufmann, Nachträgliche Herabsetzung der Vorstandsvergütung: Vermeidung von Haftungsrisiken für den Aufsichtsrat, Betriebs-Berater 2010, 2257; Thorsten Keiser, Die Herabsetzung von Managergehältern in der Krise als Organpflicht des Aufsichtsrats, Recht der Arbeit 2010, 280. Vgl. auch z. B. Thomas Rönnau/Kristian Hohn, Die Festsetzung (zu) hoher Vorstandsvergütungen durch den Aufsichtsrat – ein Fall für den Staatsanwalt?, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2004, 113. 103 Die Schwierigkeit dieser Feststellung ergibt sich schon aus der Schwierigkeit der Schadensermittlung im Falle einer zu hohen Vergütung. Vgl. Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 69. 104 s. z. B. Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 58 & 73. Auch in der Relevanz der Zuständigkeit liegt ein großer Unterschied zu Deutschland, wo ggf. der gesamte Aufsichtsrat zu Schadensersatz verpflichtet ist, selbst wenn nur ein Ausschuss an der inhaltlichen Festsetzung der Vergütung beteiligt war. Spindler, § 87 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 126. Die Satzung einer Delaware Corporation kann die Vertrags- und Vergütungsverhandlungen mit Officers beispielsweise einem Compensation Committee übertragen. DGCL § 141(c). Nur die für die Entscheidung verantwortlichen Directors kommen für anschließende Haftung überhaupt in Frage. s. z. B. Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 53 f.
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aufgezählten Handlungen zu Schadensersatz führen, wenn sie „entgegen diesem Gesetz“ ausgeführt werden.105 Da Gesetzesverstöße weder in Delaware noch in Deutschland unter den Schutz der Business Judgment Rule fallen, hätte sie auf diese Sachverhalte also in keinem der beiden Rechtssysteme einen Einfluss. Selbstverständlich gibt es auch in den USA rechtlich gebundene Entscheidungen, in denen das Gesetz den Directors gar keinen Entscheidungsfreiraum zubilligt, wie bestimmte Offenlegungs- oder Insolvenzpflichten. Seit Erlass des Sarbanes-Oxley Act im Jahr 2002 bestehen darüber hinaus im Kapitalmarktrecht des Federal Law zahlreiche spezifische Pflichten für Directors, die höchstens einen geringen Ermessens- und Einschätzungsspielraum zulassen.106 Die Einschränkungen beziehen sich dabei allerdings in aller Regel auf den Umgang mit dem Kapitalmarkt oder den relevanten Behörden, nicht auf die Führung der Gesellschaft. Das Gesellschaftsrecht in Delaware hingegen sieht nur wenige rechtlich-gebundene Entscheidungen vor, die meisten davon eher technisch und gründungs- oder insolvenzbezogen. Sie bestehen gegenüber dem Staat bzw. den Gläubigern, nicht der Gesellschaft. Aus der Rechtsprechung haben sich zwar einige Verhaltensvorgaben für bestimmte Situationen herausgebildet, wie beispielsweise die sogenannten „Revlon duties“, die Directors verpflichten, sich im Falle eines Unternehmensverkaufs um den höchstmöglichen Gegenwert für die verkaufenden Aktionäre zu bemühen.107 Hierbei handelt es sich aber nicht um rechtlich gebundene Entscheidungen, sondern um die höchstrichterliche Auslegung der existierenden Duty of Care und Duty of Loyalty in bestimmten Situationen.108 Die insofern ungenau betitelten Revlon „Duties“ sind also nicht eigenständige „Pflichten“, sondern Verhaltensvorlagen, durch deren Befolgung Directors und Officers sicherstellen können, dass ein Gericht ihre Fiduciary Duties als erfüllt erachten wird. Dies bedeutet aber nicht, dass es nicht auch andere Wege geben kann, der Duty of Care und Duty of Loyalty in vergleichbaren Situationen nachzukommen.
7. Entscheidungen vs. „actions“ Bei getrennter Betrachtung der beiden Rechtsinstitute in ihren eigenen Rechtssystemen und insbesondere durch Übersetzung, kann der Unterschied zwischen den „Entscheidungen“ der Organe, die von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG geschützt werden, und den „actions“ des Board of Directors, die im Zentrum der amerikanischen Business Judgment Rule stehen, leicht verloren gehen. Dies gilt umso mehr, als der deutsche Begriff trotz eingehender Behandlung im Schrifttum noch immer mit einem 105
§ 93 Abs. 3 Satz 1 AktG s. supra, Pflichten gegenüber Aktionären (S. 68). 107 Revlon, 506 A.2d 173 (1986). s. infra, Einvernehmliche Übernahmen und Revlon (S. 162). 108 s. z. B. McMillan v. Intercargo Corp., 768 A.2d 492 (Del. Ch. 2000), S. 502; Dent v. Ramtron International Corp., C.A. No. 7950-VCP (Del. Ch. 2014). 106
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gewissen Maß von Definitionsunsicherheit behaftet bleibt.109 In der Delaware Rechtsprechung ist hingegen bereits seit Beginn der modernen Rechtsprechung zur Business Judgment Rule fest etabliert, dass jedes Handeln und jedes Unterlassen, das auf einer bewussten Entscheidung beruht, als „board action“ gilt.110 Die deutsche Definition bietet somit eine weitere Einschränkung der sogenannten Business Judgment Rule in Deutschland im Vergleich zu ihrem amerikanischen Vorbild. Viele der Unterschiede dürften wenig praktische Bedeutung haben. So wäre der große Wert, den das deutsche Schrifttum auf die Zukunftsbezogenheit der unternehmerischen Entscheidungen legt,111 vielleicht in Delaware zunächst nicht nachzuvollziehen, doch wird eine Board Action, die ausschließlich auf die Vergangenheit bezogen ist und keinerlei Einfluss auf zukünftige Entscheidungen, das Ansehen oder die Strategie der Gesellschaft hat, auch nach amerikanischer Business Judgment Rule kaum zu rechtfertigen sein, da ihr kein Rational Business Purpose zugewiesen werden kann.112 Beide Rechtssysteme gelangen also auf verschiedene Weise zum gleichen Ergebnis.113 Gleiches gilt für die Bedeutung der Unsicherheit, unter der eine Entscheidung fallen muss um als unternehmerische Entscheidung zu gelten114 – besteht keine Unsicherheit in dem Sinne, dass ohne Zweifel nur eine spezifische Entscheidung „richtig“ ist, wäre das Treffen einer anderen, „falschen“ Entscheidung mit großer Wahrscheinlichkeit nur durch eine Verletzung der Duty of Loyalty zu erklären.115 Damit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG zum Tragen kommen kann, muss sich ein deutsches Organ aber nicht nur bewusst, sondern auch nachvollziehbar für ein Handeln oder Unterlassen entschieden haben.116 Fahrlässiges, unbedachtes Handeln oder 109
s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 41; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 43. 110 s. z. B. Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 813. Vgl. auch z. B. Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 748. 111 s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42; aber s. auch Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 18; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 84. 112 Die Definition der unternehmerischen Entscheidung in Deutschland als zukunftsgerichtet hat besondere Relevanz mit Hinblick auf den Aufsichtsrat, da sie die Business Judgment Rule für ihn auf die wenigen Situationen beschränkt, in denen er nicht rückschauend überwacht, sondern in laufende Entscheidungen eingebunden ist. Vgl. Hüffer, § 116 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 5 f. 113 Hierzu s. auch den Vergleich zwischen zwei nur auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Entscheidungen zur Geschäftsleitervergütung, infra, Zwischenergebnis: Eignung des Strafrechts zur Verfolgung von treuwidrigem Verhalten (S. 445). 114 s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 41. 115 Aus den gleichen Gründen hat dieses Merkmal auch in Deutschland wenig praktische Bedeutung. s. z. B. Falkenhausen, Haftung außerhalb der Business Judgment Rule, NZG 2012, S. 646. 116 s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 44; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 80.
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Unterlassen ist somit auch auf diesem Weg, nicht nur alleine aufgrund des Verschuldens, von dem Schutz gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 ausgeschlossen. Die erforderliche Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsfindung, die laut einem Teil der Literatur sogar intuitive Entscheidungen ausschließt,117 bedeutet einen weiteren Aspekt des Organhandelns, der der richterlichen ex-post Prüfung unterliegt, bevor die Business Judgment Rule überhaupt in Betracht kommt, und somit eine weitere Unsicherheit für Entscheidungsträger. Ein Gericht in Delaware dürfte in einer vergleichbaren Situation lediglich prüfen, ob das Handeln oder das Unterlassen auf einer bewussten Entscheidung zu handeln oder nicht zu handeln beruht.118 Solange ausreichende Informationen als Basis der Intuition dienten, gibt es keinen Grund zu glauben, dass die bewusste Entscheidung, einer Intuition folgend zu handeln, hiervon ausgeschlossen sein sollte. Auch dieses Beispiel verdeutlicht die tiefere Analyse und Bewertung von Organhandlungen, die deutsche Gerichte trotz der Implementierung der deutschen Version der Business Judgment Rule vornehmen können und müssen, sowie die erheblich größere Einschränkung, die das unternehmerische Ermessen unter § 93 AktG im Vergleich zur amerikanischen Rechtsprechung erfährt. 8. Darlegungs- und Beweislastverteilung Das deutsche Schrifttum sieht eines der entscheidenden Unterscheidungsmerkmale zwischen der Rechtslage in Deutschland und der Business Judgment Rule in Delaware in einer unterschiedlichen Beweislastverteilung.119 Während in Delaware der Kläger eine Pflichtverletzung beweisen müsse, obliege es nach § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG dem beklagten Vorstand, die Einhaltung seiner Pflichten und fehlendes Verschulden nachzuweisen.120 Hier heißt es: „Ist streitig, ob [die Vorstandsmitglieder]
117 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 44; Hanjo Hamann, Reflektierte Optimierung oder bloße Intuition? – Eine verhaltenswissenschaftliche Erwiderung zur Auslegung von § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2012, 817, S. 825 ff. Aber abweichend Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 80. 118 s. z. B. Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 813. Vgl. auch Miller, Wrongful Omissions, 10 U. Pa. J. Bus. & Emp. L. 911 (2008). 119 s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 182; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 65 & 449; Markus Roth, Das unternehmerische Ermessen des Vorstands, Betriebs-Berater 2004, 1066, S. 1067; Martin Kock/Renate Dinkel, Die zivilrechtliche Haftung von Vorständen für unternehmerische Entscheidungen – Die geplante Kodifizierung der Business Judgment Rule im Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts, Neue Zeitschrift für das Gesellschaftsrecht 2004, 441, S. 445. Vgl. auch Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 32 ff.; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 53 ff. 120 s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 182; Roth, Das unternehmerische Ermessen des Vorstands, BB 2004, S. 1067; Kock/Dinkel, Zivilrechtliche Haftung von Vorständen, NZG 2004, S. 445.
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die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewandt haben, so trifft sie die Beweislast.“ Der Schutz unternehmerischen Entscheidungen durch die Business Judgment Rule ist in Delaware nicht kodifiziert und daher nicht wie in Deutschland an eine Norm gebunden, die eine bestimmte Art der Haftung regelt. Die Delaware Gerichte betrachten sie als eine grundsätzliche Annahme für die richterliche Betrachtung unternehmerischen Handelns.121 Entsprechend wird sie unter unterschiedlichen prozessrechtlichen Bedingungen angewendet. Die Beweislast ergäbe sich also nicht aus der Business Judgment Rule. In den wesentlichen prozessrechtlichen Zusammenhängen lässt sich aus der Rechtsprechung zur Business Judgment Rule aber keine Beweislast der Kläger ersehen, sondern lediglich eine Darlegungslast, ausreichend substantiierte Tatsachen vorzutragen („pleading with particularity“).122 Die Beweislast liegt hier nach Zulassung der Klage, wie auch in Deutschland, bei den Beklagten.123 In der Rechtsprechung ausführlich nachzuvollziehen ist dies im Zusammenhang mit aktionärsgeführten Klagen gegen Officers und Directors im Namen der Corporation („derivative action“),124 die unter den hier relevanten Umständen den wichtigsten Vergleich zur Klage gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG darstellt.125 Üblicherweise, und wie an späterer Stelle näher dargelegt,126 beginnt eine Derivative Action mit einem Antrag des klageführenden Aktionärs, dass er berechtigt sein soll, eine Aktionärsklage gegen die Directors und Officers im Namen der Corporation direkt anzustrengen, ohne zunächst das Board of Directors hierzu aufzufordern („demand futility“). Aus dem Pleading with Particularity des Klägers127 muss vertretbarerweise der Schluss gezogen werden können, dass entweder die Directors bei der Entscheidung zur Klage nicht ihr Business Judgment hätten anwenden können, oder das Board of Directors für die Entscheidung zur Klage nicht ausreichend unabhängig gewesen wäre oder die Business Judgment Rule auf die anspruchsbe-
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s. z. B. Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954; Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 782. Citigroup (Del. Ch.), 964 A.2d 106 (2009), S. 125; Luoisiana Municipal Police, 46 A.3d 313 (2012), S. 340. In Fällen von Aktionärsklagen s. auch: Chancery Rule 23.1; Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 808; Grimes, 673 A.2d 1207 (1996), S. 1217; Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 254. 123 Vgl. z. B. Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 361. 124 s. infra, Die Derivative Action (S. 179). 125 Wie im Weiteren näher betrachtet, ist aufgrund prozess- und materiell-rechtlicher Bedingungen die Derivative Action in Delaware das häufigste Durchsetzungsvehikel für Ansprüche aus Binnenhaftung, während in Deutschland Aktionärsklagen dieser Art praktisch gar nicht vorkommen. s. infra, Aktionärsklage in Deutschland gemäß § 148 AktG (S. 229). 126 s. infra, Der Demand (S. 181). 127 Chancery Rule 23.1; Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 808; Grimes, 673 A.2d 1207 (1996), S. 1217; Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 254. 122
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gründenden Handlungen nicht anwendbar ist.128 Hierfür ist ausdrücklich nur ein Pleading with Particularity und noch keine Beweisführung nötig.129 Sofern das Gericht den Vortrag der Kläger als ausreichend konkret erachtet und ihnen das Recht zur Klage einräumt130 (und es nicht bereits zu diesem Zeitpunkt zu einem Vergleichsangebot der Beklagten kommt), folgt hierauf in aller Regel ein Antrag der Beklagten, die Klage abzuweisen („motion to dismiss“). Im nun folgenden Verfahren, in dem über die Abweisung der Klage entschieden wird, muss das Gericht alle vertretbaren logischen Schlüsse zu Gunsten der Kläger ziehen.131 Erhalten die Aktionäre also das Recht, Klage einzureichen, geht die Beweislast damit auch in Delaware auf die beklagten Directors über. Der Unterschied zwischen den beiden Rechtssystemen liegt also höchstens in den Anforderungen, die an die Klagezulassung bzw. Berechtigung zur Klage gestellt werden. Denn während der Aktionär einer Delaware Corporation überzeugend Hinweise auf die Pflichtverletzungen der Directors substantiiert vorbringen muss, bevor er die Klage einreichen und den Director zu einem Nachweis seiner Pflichteinhaltung zwingen kann,132 muss der Kläger in Deutschland lediglich die Möglichkeit einer Pflichtverletzung darlegen, damit die Beweislast auf den Vorstand übergeht.133 Der amerikanischen Rechtsprechung zum Thema „Pleading with Particularity“ steht im deutschen lediglich der Ausdruck „Ist streitig, …“ entgegen.134 Die Anforderungen an diese anspruchsbegründende Darlegung sind in Deutschland zumindest in der Praxis sicherlich geringer,135 wobei auch hier inzwischen eine 128 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 814; Rales v. Blasband, 634 A.2d 927 (Del. 1993), S. 934; White (Del.), 783 A.2d 543 (2001), S. 551; Guttman, 823 A.2d 492 (2003), S. 500 f.; In re infoUSA Shareholders Litigation, 2007 WL 2419611 (Del. Ch. 2007), S. *13; Postorivo v. AG Paintball Holdings, 2008 WL 343856 (Del. Ch. 2008), S. *13. 129 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 254. 130 s. z. B. White (Del.), 783 A.2d 543 (2001). 131 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 253 („Plaintiffs are entitled to all reasonable factual inferences that logically flow from the particularized facts alleged“). Vgl. auch z. B. White (Del.), 783 A.2d 543 (2001), S. 549. 132 Chancery Rule 11(b)(3). s. z. B. Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 249. 133 Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 34; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 53. Vgl. auch BGH, Urteil vom 18. Juni 2013, II ZR 86/11, BGHZ 197, 304; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 433 ff. Für das Aktionärsklage gemäß § 148 AktG (s. infra, Aktionärsklage in Deutschland gemäß § 148 AktG (S. 229)), das einem geringen Quorum von Aktionären erlaubt, eine Klage im Namen der Gesellschaft gegen die Unternehmensleitung einzuleiten, reicht zur Zulassung der Klage bereits „jeder Verdacht“ einer Pflichtverletzung. Henning Schröer, § 148 AktG – Klagezulassungsverfahren, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage (2013), Rn. 38. 134 § 93 Abs. 2 Satz 2. 135 Weitere Senkungen werden gefordert, s. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 55. Das Oberlandesgericht Nürnberg hingegen erschwerte einer klagenden Gesellschaft die Darlegungslast im Jahr 2014, als es urteilte, dass bei einer „wertneutralen Handlung“, die „als solche keinen ausreichenden Anhaltspunkt“ für eine mögliche Pflicht-
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substantiierte Darlegung der Möglichkeit einer Pflichtverletzung als notwendig gesehen wird.136 Die Kläger müssen den Schaden beweisen, sowie ein „möglicherweise pflichtwidriges Verhalten des Vorstandsmitglieds in seinem Pflichtenkreis“137 und „adäquate Kausalität“.138 Die praktische Konsequenz dieser geringen Anforderungen ist für deutsche Organe tatsächlich ein direkteres Einsetzen der Beweislast. Eine begründete Darlegung der Kläger, die pflichtwidriges Verhalten als Ursache eines belegbaren Schadens wahrscheinlich macht, ist aber dennoch nötig.139 Die verbreitete Ansicht, die auch im Rechtsvergleich die prozessrechtliche Abfolge von primärer Darlegung und Beweis durch die Kläger und sekundärer Darlegung und Beweis der Beklagten lediglich auf Letztere reduziert, ist somit irreführend, denn auch in Delaware liegt die Beweislast für die Pflichterfüllung bei den beklagten Directors, sobald die Kläger ihrer primären Darlegungslast in Form einer begründeten Klage entsprochen haben.140 Die beiden Rechtsinstitute unterscheiden sich daher in der Intensität der Darlegungslast der Kläger, die die Zulassung der Klage erwirken soll, nicht der Beweislastverteilung im Prozess.141 Da die Festlegung der Intensität dieser Darlegungslast allerdings den verletzung bietet, die klagende Gesellschaft weitere Indizien oder Umstände darlegen muss, bevor die Beweislast auf das beklagte Organmitglied übergeht. Bei der Handlung, die das OLG in diesem Fall als „wertneutral“ bezeichnete, handelte es sich um die Erstattung von Reisekosten eines Vorstandsmitglieds ohne weitere Hinweise darauf, dass die Reisen gegen seine Pflichten verstießen. OLG Nürnberg, Beschluss vom 28. Oktober 2014, 12 U 567/13, ZIP 2015, 427, Rn. 17. 136 BGH, Urteil vom 22. Februar 2011, II ZR 146/09, NZG, 549, Rn. 17; BGH, Beschluss vom 18. Februar 2008, II ZR 62/07, NZG 2008, 314, Rn. 11. Vgl. auch BGH, BGHZ 152, 280 (2002), Rn. 11; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 34; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 435; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 53. 137 BGH, NZG, 549 (2011), Rn. 17. Vgl. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 438. 138 s. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 53. Vgl. auch BGH, NZG, 549 (2011), Rn 17. 139 s. z. B. Paefgen, Darlegungs- und Beweislast, NZG 2009, S. 893; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 34. 140 Das Missverständnis ist verständlich, denn die Gerichte in Delaware sprechen in aller Regel von „proof“, wobei es hier oft um die Klagezulassungsverfahren geht. s. z. B. Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 812; Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 361; Cinerama (Del.), 663 A.2d 1156 (1995), S. 1162 (hier ist sogar von der Beweislastumkehr der Kläger die Rede); Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 91. 141 So auch Paefgen, Darlegungs- und Beweislast, NZG 2009, S. 894. In der Begründung des Unterschieds verweisen deutsche Betrachter zu Recht auf die geringeren prozessrechtlichen Möglichkeiten zur Beschaffung von Beweismitteln, die Aktionären und Gläubigern einer deutschen AG im Vergleich mit denen einer amerikanischen Corporation zur Verfügung stehen. s. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 182. Wäre die im Aktiengesetz als Normalfall vorgesehene Klage der Gesellschaft gegen ein pflichtverletzendes Organmitglied tatsächlich die Norm, hätte dieser Punkt bei Weitem nicht die Bedeutung, die ihm im Schrifttum zugesprochen wird, denn das die Gesellschaft vertretende Organ hätte problemlosen Zugriff auf Unternehmensinterna.
A. Die Business Judgment Rule
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Gerichten obliegt, sind haftungsbefördernde oder haftungshemmende Veränderungen hier jederzeit möglich.142 Für die betroffenen Directors oder Organe bedeutet dies zweifellos einen großen praktischen Unterschied zwischen den beiden Systemen. Aus dogmatischer Sicht sollte die Gleichstellung von Pleading with Particularity zur Klagezulassung und Beweislast im Prozess allerdings vermieden werden, denn sie verzerrt den Vergleich und führt zu unrichtigen Schlüssen zur amerikanischen Rechtslage. Eine verschärfte Darlegungslast der Kläger erscheint beispielsweise weniger als eine grundlegend andere Auffassung der Business Judgment Rule, sondern vielmehr als Teil der Hindernisse, die das amerikanische Recht für Kläger an vielen Stellen im Wirtschaftsprozessrecht aufstellt.143 Wenn von der Beweislastverteilung fälschlich als „dem einzigen grundsätzlichen Unterschied“ gesprochen wird,144 verringert sich darüber hinaus der verfügbare Raum für den Diskurs über jene Unterschiede, die § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG in Deutschland von der Business Judgment Rule in Delaware wirklich grundlegend unterscheiden, wie die Unterschiede im Verschuldensgrad, die Möglichkeit einer objektiven ex-post Betrachtung durch das Gericht und die potentielle richterliche Würdigung der Konsequenzen einer unternehmerischen Entscheidung.145 Ähnelten sich die Rahmenbedingungen der beiden Rechtsinstitute in diesen Aspekten, wären die prozessrechtlichen Unterschiede in der Darlegungslast wahrscheinlich kaum wahrzunehmen.
V. Zwischenergebnis: Vergleich der Business Judgment Rule mit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Sowohl die Business Judgment Rule in Delaware als auch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG sollten dem Schutz unternehmerisch sinnvoller Risiken dienen. Im Ergebnis kann die deutsche Regelung ihrem amerikanischen Vorbild aber aufgrund zahlreicher Einschränkungen nicht folgen. Allein schon der Verschuldensmaßstab, der unternehmerische Entscheidungen bereits bei einfach fahrlässigen Pflichtverletzungen dem Schutz der sogenannten Business Judgment Rule in Deutschland entzieht, und die objektive Beurteilung des Gerichts, ob das Organmitglied vernünftigerweise annehmen durfte, im Unternehmensinteresse zu handeln, führen zu einer vollkommen anderen Rechtssituation in 142 Vgl. z. B. BGH, BGHZ 152, 280 (2002), Rn. 11; BGH, NZG, 549 (2011), Rn. 17; BGH, NZG 2008, 314 (2008), Rn. 11. 143 s. z. B. infra, Der Demand, (S. 181). 144 Roth, Das unternehmerische Ermessen des Vorstands, BB 2004, S. 1067. 145 s. supra, Verschuldensgrad (S. 130); Objektiv/subjektive Beurteilung des Gesellschaftsinteresses (S. 132); Relevanz der Konsequenzen einer unternehmerischen Entscheidung (S. 138).
148
4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
Deutschland, die dem Prinzip der Business Judgment Rule in Delaware grundlegend widerspricht. Denn die Business Judgment Rule in Delaware schützt Directors und Officers nicht nur bei falschen Entscheidungen, sondern auch bei fahrlässigen Fehlern in der Entscheidungsfindung. Für die überwältigende Mehrheit der Corporations in Delaware, die über eine entsprechende Satzungsklausel verfügen, ist sogar grobe Fahrlässigkeit ausgenommen. Dies beschränkt die Haftungsgefahr auf Verletzungen der Duty of Loyalty. Da für diese aber nur die subjektive Einhaltung im Moment der Entscheidung relevant ist, besteht für Directors eine hohe Rechtssicherheit bei unternehmerischen Entscheidungen. Diese kann durch § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG nicht gewährleistet werden. Inwieweit § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG die Rechtslage also tatsächlich ändert und dem in Satz 1 festgelegten Sorgfaltsmaßstab des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters etwas hinzufügt, ist daher zurecht umstritten. Eine realistische Einschätzung der Wirksamkeit von § 93 Abs. 1 Satz 2 und seiner möglichen Bedeutung als Instrument der Corporate Governance Haftung sollte aber auf jeden Fall von der Business Judgment Rule in Delaware klar differenziert werden.
B. Entire Fairness Sollte ein Gericht feststellen, dass ein Board of Directors einem tatsächlichen Interessenkonflikt unterlag, bedeutet dies aber nicht unbedingt, dass die Directors oder Officers tatsächlich haftbar sind. Vielmehr hat das Gericht in dieser Situation die Möglichkeit und die Aufgabe, die Entscheidungsfindung und das Handeln mit Hinblick auf möglichen Schaden und mögliche Haftung zu untersuchen. Dies gilt insbesondere auch für Transaktionen, bei denen der „controlling shareholder“ der Gesellschaft auf beiden Seiten steht, also ein Aktionär, der entweder eine absolute Mehrheit der Anteile der Gesellschaft hält oder aus anderen Gründen Kontrolle über die Geschäfte der Gesellschaft ausübt.146 Da die Business Judgment Rule aufgrund der Interessenkonflikte des Board of Directors bei einer solchen „controlled transaction“ nicht greifen kann, müssen die Beklagten nun beweisen, dass die Board Action den Minderheitsaktionären gegenüber „entirely fair“ ist und dem sogenannten „entire fairness“ Standard entspricht.147
146 Vgl. Kahn v. Lynch Communication System, 638 A.2d 1110 (Del. 1994), S. 1113 ff.; In re Cysive, Inc. Shareholders Litigation, 836 A.2d 531 (Del. Ch. 2003), S. 551 f.; In re PNB Holding Co. Shareholders’ Litigation, 2006 WL 2403999 (Del. Ch. 2006), S. *9. s. außerdem Americas Mining Corporation v. Theriault, 51 A.3d 1213 (Del. 2012), S. 1240. 147 Sterling v. Mayflower Hotel Corporation, 93 A.2d 107 (Del. 1952), S. 110; Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 710 f.; Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 91. Vgl. auch Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 52; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1239; M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 642.
B. Entire Fairness
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I. Entire Fairness in Controlled Transactions Entire Fairness ist der anspruchsvollste der drei relevanten Standards of Review in Delaware.148 Sie hat zwei Elemente, „fair dealing“ und „fair price“.149 Fair Dealing bezieht sich dabei auf die strukturellen Aspekte und die Entscheidungsfindungsprozesse der strittigen Transaktion und deren Verhandlungen, während die wirtschaftlichen und finanziellen Elemente zusammen den Fair Price ergeben sollen.150 Beide Elemente müssen zusammen betrachtet werden, allerdings kommt dem Fair Price eine größere Bedeutung zu, denn generell geht das Gericht davon aus, dass Fair Dealings auch zu einem Fair Price führen, „unfair dealings“ hingegen einen „unfair price“ zur Folge haben.151 Dass selbst von offensichtlichen Interessenkonflikten geprägte Verhandlungen zu einem angemessenen Preis führen, gilt als eher selten.152 Die Beweislast trifft bei Anwendung des Entire Fairness Standards die beklagten Directors.153 Auch wenn das Gericht das strittige Handeln inhaltlich überprüft, werden doch zunächst die Entscheidungsfindungsprozesse betrachtet, die ihm zugrunde liegen. Waren beispielsweise bei der Zustimmung zur Transaktion bestimmte Bedingungen erfüllt, geht die Beweislast wieder auf die Kläger über, die ihrerseits zeigen müssen, dass ihnen trotz der Einhaltung dieser Prozesse durch die Transaktion Entire Fairness versagt worden ist.154 So kann in Delaware der Übergang der Beweislast erfolgen, wenn entweder ein mit den Verhandlungen betrautes „special committee“ des Board of Directors, das ausschließlich aus Directors ohne Interessenkonflikt besteht,155 eine Empfehlung für die Transaktion ausgesprochen hat, oder unter bestimmten Umständen durch Zustimmung einer Mehrheit der Minderheitsaktionäre („majority of the minority“).156 Haben beide Gremien der Transaktion zugestimmt, gelten die Interessenkonflikte
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Vgl. z. B. Reis v. Hazelett Strip-Casting Corp., 2011 WL 303207 (Del. Ch. 2011), S. 459. Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 711. Auch nach mehr als dreißig Jahren ist Weinberger das wichtigste Urteil für die Konturen des Entire Fairness Standards in Delaware. 150 Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 711. 151 Vgl. Tremont, 694 A.2d 422 (1997), S. 432; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1244. 152 Vgl. z. B. Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 711; Emerging Communications, 2004 LEXIS 70 (2004), S. *102. 153 Emerging Communications, 2004 LEXIS 70 (2004), S. *111, aber s. auch M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 644 ff. 154 Lynch, 638 A.2d 1110 (1994), S. 1117; Emerging Communications, 2004 LEXIS 70 (2004), S. *120 ff.; vgl. M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 642. 155 Lynch, 638 A.2d 1110 (1994), S. 1117; Tremont, 694 A.2d 422 (1997), S. 429 ff. Vgl. auch Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 789. 156 Lynch, 638 A.2d 1110 (1994), S. 1117; vgl. M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 642; Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 793 ff. 149
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
der betroffenen Directors als definitiv unschädlich und die Transaktion fällt unter den Schutz der Business Judgment Rule („dual protection merger structure“).157 Um wirksam zu sein, muss die Entscheidungsfindung beider Gremien bestimmten Anforderungen entsprechen, die eine tatsächlich unabhängige Entscheidung sicherstellen sollen. Das Special Committee muss nicht nur frei von Interessenkonflikten sein und seinen Sorgfaltspflichten nachkommen,158 sondern auch alle nötigen Befugnisse haben, um seine Aufgabe zu erfüllen, wie beispielsweise das Hinzuziehen eigener, unabhängiger Berater.159 Es muss die Transaktion frei und ergebnisoffen verhandeln können – diese Ergebnisoffenheit gilt nur dann als gegeben, wenn die Transaktion explizit von der Zustimmung des Special Committees abhängt und sich der Controlling Shareholder vor Beginn aller substantiellen Diskussionen zu wirtschaftlichen Verhandlungspunkten verpflichtet, das Ergebnis der Verhandlungen zu akzeptieren.160 Es reicht also nicht, dass das Special Committee formal unabhängig ist und auf Basis ausreichender Informationen handelt, es muss die Verhandlungen „at arm’s length“ führen und im Zweifel bereit und in der Lage sein, die Transaktion auch abzulehnen.161 157 M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 644 ff. Der Delaware Supreme Court hat diese Regel erst mit M&F Worldwide im Jahr 2014 fest etabliert (der Chancery Court hatte sie zuvor angewendet in In re CNX Gas Corp. Shareholders Litigation, 4 A.3d 397 (Del. Ch. 2010)). Dass die Transaktion die entsprechenden Anforderungen erfüllt, muss bereits vor Prozessbeginn erwiesen sein, sonst gilt der Entire Fairness Standard. S. 646. Die Business Judgment Rule als Folge der Dual Protection Merger Structure soll ihren wesentlichen Effekt nicht auf gerichtliche Urteile in den betreffenden Fällen, sondern auf das Einigungsverhalten der Parteien haben. Vor M&F Worldwide konnten selbst Klagen gegen Controlled Transactions, die allen Ansprüchen des Minderheitenschutzes genügten, nicht auf Antrag abgewiesen werden, da Entire Fairness durch das Gericht festgestellt werden musste. Dies inzentivierte Minderheitsaktionäre dazu, auch gegen solche Controlled Transactions Klage einzureichen, in denen ihnen nach tadellosen Verhandlungen ein vollkommen fairer Preis geboten worden war. Da der Controlling Shareholder einen aufwändigen Prozess nur durch einen Vergleich hoffen konnte beizulegen, nicht aber durch Antrag auf Abweisung, bot die bestehende Regelung den Minderheitsaktionäre vielfältige Gelegenheit für Missbrauch. Durch die Einführung der Business Judgment Rule an dieser Stelle nimmt ihnen die Rechtsprechung dieses Druckmittel und erlaubt Controlling Shareholders, das Prozessrisiko durch entsprechend fehlerfreie Abläufe und Abstimmungen zu minimieren, da die Anwendbarkeit der Business Judgment Rule zum Abweisen der Klage führt. In re Cox Communications, Inc., 879 A.2d 604 (Del. Ch. 2005), S. 606 ff. 158 M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 644. 159 Lynch, 638 A.2d 1110 (1994), S. 1119 ff.; M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 644. Vgl. auch Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 789 ff. 160 s. Flood v. Synutra International, Inc., 195 A.3d 754 (Del. 2018), S. 766; vgl. auch Lynch, 638 A.2d 1110 (1994), S. 1119, ff. („the power to say no“). Das Special Committee in Lynch hatte zwar die Kaufangebote des Controlling Shareholders zwei Mal abgelehnt, aber letztendlich ein drittes angenommen. Der Controlling Shareholder hatte gedroht, bei weiterer Ablehnung ein feindliches Übernahmeangebot zu einem geringeren Preis abzugeben, so dass sich das Special Committee gezwungen sah, einen unzureichenden Preis zu akzeptieren. Vgl. auch Rosenblatt v. Getty Oil Co., 493 A.2d 929 (Del. 1985), S. 937. 161 Tremont, 694 A.2d 422 (1997), S. 429; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1241. Die Gerichte in Americas Mining Corp. (eine fortführende Berufung zu Southern Peru,
B. Entire Fairness
151
Damit die Zustimmung der Majority of the Minority anerkannt wird, müssen die abstimmenden Minderheitsaktionäre unabhängig von den kontrollierenden Interessen und vor einer Abstimmung ausreichend über die Transaktion informiert sein.162 Nach der „ratification doctrine“ kann eine Mehrheit unabhängiger und vollständig informierter Aktionäre grundsätzlich alle Entscheidungen des Board of Directors genehmigen und sie damit unter den Schutz der Business Judgment Rule bringen.163 Hierzu gehören prinzipiell auch grundsätzliche, über das Tagesgeschäft hinausgehende Entscheidungen, wie Unternehmenskäufe und -verkäufe. Lediglich Controlled Transactions können nicht durch eine Majority of the Minority allein ratifiziert werden. Die Gerichte erachten hier das Risiko von Einflussnahme des Controlling Shareholders als zu groß, insbesondere, wenn die Beziehung der Minderheitsaktionäre mit dem Controlling Shareholder mit dem Abschluss der Transaktion nicht endet.164 Das Gericht muss annehmen, dass Minderheitsaktionäre einem unfairen Preis zustimmen könnten, da sie zukünftige Gegenreaktionen des Controlling Shareholders fürchten. Die Rechtsprechung wendet bei Controlled Transactions daher selbst nach Zustimmung durch die Majority of the Minority die Entire Fairness Analyse an, wenn nicht die erwähnte Empfehlung durch das Special Committee hinzukommt. Fehlt also eines dieser Elemente der Dual Protection Merger Structure, muss das Gericht zusätzlich zu der vorhandenen wirksamen Zustimmung (durch die Majority of the Minority oder das Special Committee) entscheiden, ob die Transaktion „entirely fair“ war, oder ob die Minderheitsaktionäre benachteiligt wurden.165 In diesem Stadium der Bewertung einer Transaktion sind die Motive, die Sorgfalt und die Entscheidungsfindungsprozesse der Akteure nicht mehr rechtlich relevant, sondern ausschließlich die Fairness bzw. die mangelnde Fairness der Transaktion als Ganzes. Die größte Bedeutung hat dabei die objektive Angemessenheit des gezahlten oder erzielten Preises, wobei dem Gericht hier ein großer Ermessensspielraum eingeräumt wird.166 Der Preis kann auch dann als fair gelten, wenn er nicht der höchste ist, der 30 A.3d 60 (2011)) hatten festgestellt, dass die Mitglieder des Special Committees von Southern Peru Inc. zwar formal allen Anforderungen an Unabhängigkeit genügten, sich aber von den Ausführungen und Forderungen des Mehrheitsaktionärs zu sehr hatten beeindrucken lassen. Dies führte schließlich zu einem Preis, den die Gerichte als der Gesellschaft und den Minderheitsaktionären gegenüber als „unfair“ erachteten. S. 1242. 162 M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 644. Vgl. auch Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 704. 163 In re PNB Holding Co. Shareholders’ Litigation, 2006 WL 2403999 (2006), S. *14. 164 Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn Minderheitsaktionäre im Austausch für ihre Anteile an der zu verkaufenden Gesellschaft Anteile an der kaufenden Gesellschaft des Controlling Shareholders erhalten und die Machtverhältnisse somit langfristig unverändert bleiben. Citron v. E.I. Du Pont de Nemours & Co., 584 A.2d 490 (Del. Ch. 1990), S. 502; s. auch Lynch, 638 A.2d 1110 (1994), S. 1116. 165 Vgl. Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1243. 166 Vgl. z. B. Nixon v. Blackwell, 626 A.2d 1366 (Del. 1993), S. 1381; Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 361; Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 709, Fn. 7.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
möglicherweise hätte erzielt werden können, solange er im Rahmen einer fairen Bewertung des Unternehmens liegt.167 Die richterliche Beweisaufnahme kann dabei je nach Art der Transaktion und Hinzuziehung von Gutachtern zu sehr umfangreichen Verfahren führen.168 Dabei können eine erfolgte Zustimmung der Minderheitsaktionäre oder Empfehlung eines Special Committees dem Gericht nur als Indiz dafür gelten, dass es sich beim Ergebnis tatsächlich um einen fairen Preis handelt.169 Sein Urteil muss sich an objektiven, eigenständig ermittelten Fakten orientieren.170 Kommt das Gericht zu dem Schluss, dass Entire Fairness gegeben ist, haften die beklagten Directors und Officers selbst bei Pflichtverletzungen nicht.171 Nur besonders gravierende Pflichtverletzungen können das Gericht hier beeinflussen. Zwar befindet sich ein fairer Preis innerhalb einer gewissen Bandbreite, trotzdem wird das Gericht, bei eklatanten Pflichtverletzungen, Bad Faith oder einem hochgradig fehlerhaften Entscheidungsfindungsprozess, selbst wenn der Preis sich innerhalb dieser Spanne befindet, nicht von einem fairen Preis ausgehen, da ein besserer Prozess mit großer Wahrscheinlichkeit zu einem besseren Preis innerhalb der angenommenen Preisspanne hätte führen können.172 Sollte das Gericht finden, dass Aktionäre unangemessen benachteiligt wurden, müssen die beklagten Directors und Officers Schadensersatz leisten. Das Gericht muss sich dabei nicht auf die Differenz zwischen dem gezahlten oder erzielten Preis und einem ermittelten fairen Preis beschränken, es kann zu weiteren Zahlungen verurteilen, beispielsweise zum Ausgleich und zur Ahndung von betrügerischen Absichten.173 Insbesondere wenn die Satzung des Unternehmens über eine Haftungsfreistellungsklausel nach DGCL § 102(b)7 verfügt, haften die Directors aber anders als beispielsweise ein deutscher Vorstand174 nicht gemeinschaftlich.175 Das Gericht muss 167 Vgl. z. B. Cinerama (Del.), 663 A.2d 1156 (1995), S. 1143 („A fair price does not mean the highest price financeable or the highest price that fiduciary could afford to pay. At least in the non-self-dealing context, it means a price that is one that a reasonable seller, under all of the circumstances, would regard as within a range of fair value; one that such a seller could reasonably accept.“). s. auch In re Orchard Enterprises, Inc., 88 A.3d 1 (Del. Ch. 2014), S. 30. 168 s. z. B. Cinerama (Del.), 663 A.2d 1156 (1995), S. 1177 f.; Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 97 ff. (der Chancery Court signalisiert hier seine Bereitschaft, die Analysen von Finanzberatern im Zuge einer Entire Fairness Untersuchung auch dann zu hinterfragen, wenn deren Unabhängigkeit nicht in Frage steht. s. hierzu auch Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 8). 169 Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1244. 170 Vgl. Gesoff v. IIC Industries, Inc., 903 A.2d 1130 (Del. Ch. 2006), S. 1145. 171 Vgl. z. B. Cinerama (Del.), 663 A.2d 1156 (1995), S. 1143. 172 Tremont, 694 A.2d 422 (1997), S. 432. 173 s. Weinberger, 457 A.2d 701 (1983), S. 714; Cede & Co. v. Technicolor, Inc., 542 A.2d 1182 (Del. 1988), S. 1187; Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 371. Vgl. auch Reis, 2011 WL 303207 (2011), S. 462. 174 s. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 370.
B. Entire Fairness
153
die Pflichtverletzung jedes einzelnen beklagten Directors feststellen und beurteilen, ob er durch die DGCL § 102(b)7 Klausel exkulpiert ist, bevor es ihn zu Entschädigungszahlungen verurteilen kann.176 Directors, die ein persönliches Interesse an der Transaktion haben, sind bei der Feststellung eines unfairen Preises per se haftbar, selbst wenn sie subjektiv in Good Faith handelten.177 Die Anwendung der Entire Fairness Analyse vereinfacht es also nicht nur Minderheitsaktionären, Ausgleich für ihre unangemessene Benachteiligung zu erlangen, vielmehr soll sie auch abschreckend wirken. Ihre Mechanismen zielen darauf, eine Einflussnahme von Mehrheitsaktionären und Directors mit einem Interessenkonflikt auf Transaktionen zu verhindern und stattdessen die Boards of Directors zu inzentiveren, die Verhandlungen einschließlich aller nötigen Ressourcen und Befugnisse von vornherein in die Hände eines starken, unabhängigen Special Committees zu legen, dessen Entscheidungen anschließend von jenen Aktionären bestätigt werden, deren Schutz in dieser Situation besonders sicher gestellt sein soll. Jedes Urteil in Delaware, in dem Directors verurteilt werden, die nicht alles Nötige getan haben, um Entire Fairness für die Minderheitsaktionäre zu erlangen, fördert daher stärkere Special Committees und saubere Transaktionen.178
II. Umgang mit Interessenkonflikten in Deutschland Ein der Entire Fairness Analyse vergleichbares weiteres richterliches Vorgehen für Fälle, in denen der Schutz der Business Judgment Rule nicht greift, ist im deutschen Aktienrecht nicht vorgesehen.179
175 Vgl. z. B. Emerald Partners, 787 A.2d 85 (2001), S. 92 ff.; Emerging Communications, 2004 LEXIS 70 (2004), S. *140. In Reis begründete Vice Chancellor Laster die Feststellung gemeinschaftlicher Haftung („joint and several liability“) spezifisch mit dem Fehlern einer Klausel nach § 102b(7) DGCL. Reis, 2011 WL 303207 (2011), S. 479. 176 Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 748; vgl. z. B. Venhill Ltd. Partnership v. Hillman, 2008 WL 2270488 (Del. Ch. 2008); Emerging Communications, 2004 LEXIS 70 (2004), S. *140. Vgl. auch Darian M. Ibrahim, Individual or Collective Liability for Corporate Directors?, 93 Iowa Law Review 929 (2008). 177 Venhill Ltd. Partnership v. Hillman, 2008 WL 2270488 (2008), S. *22; vgl. auch In re PNB Holding Co. Shareholders’ Litigation, 2006 WL 2403999 (2006), S. 22, Fn. 17. 178 Vgl. Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 618; M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014), S. 643 f. (Zitate der unteren Instanz); Williams, Director Liability, 26 Insights 1 (2012), S. 5. 179 Vgl. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 105; Klaus J. Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme nach dem Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2002, 383, S. 328.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
1. Keine besondere Regel für die richterliche Betrachtung bei Interessenkonflikten Findet § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG keine Anwendung, kann gerichtlich im vollen Umfang geprüft werden, ob ein Organmitglied mit der „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters“ bzw. -überwachers gehandelt hat.180 Ein Vorstand, der sich eines relevanten Interessenkonflikts bewusst ist und ihn pflichtgemäß dem Aufsichtsrat offenlegt, muss entsprechend kritisch durch den Aufsichtsrat überwacht werden.181 Wird die Frage der Haftung aber vor Gericht entschieden, muss das Gericht feststellen, ob eine Pflichtverletzung vorliegt, sollte ein Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglied die Bedingungen zur Anwendung von § 93 Abs. 1 Satz 2 nicht erfüllen.182 Ist eine Pflichtverletzung gegeben, muss der Beklagte darlegen, dass keine Kausalität zwischen dem Pflichtverstoß und dem Schaden vorliegt, insbesondere, dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten eingetreten wäre.183 Dieses Vorgehen (Pflichtverletzung und Kausalität) kann im Ergebnis einer Erörterung der Entire Fairness ähneln, denn durch das zwingende Erfordernis der Kausalität kann das Organmitglied darlegen, dass die Pflichtverletzung nicht zu tatsächlichem Schaden geführt hat, und es damit nicht zur Haftung kommt. Dies kann der Darlegung eines fairen Preises vergleichbar sein. Während ein deutsches Organmitglied hier beweisen muss, dass das Verhandlungsergebnis ohne seine Pflichtverletzung das gleiche gewesen wäre, muss ein amerikanischer Fiduciary anhand der angewandten Prozesse in der Entscheidungsfindung und Ratifizierung darlegen, dass die Pflichtverletzung keinen Einfluss auf die Entscheidung hatte. Die Feststellung, dass der Preis trotz Pflichtverletzung der bestmögliche ist, kommt der Feststellung gleich, dass den Aktionären kein Schaden entstanden ist. Hiermit entfiele die Haftung auch in Deutschland.
180 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 64; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 67; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 53 & 124 ff. (die volle Prüfbarkeit allerdings erst in besonderen, beispielsweise Krisensituationen einsetzen sehend, Rn. 126). 181 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 65. Bei Übernahmeangeboten gemäß WpÜG muss der Vorstand Interessenkonflikte zudem in seiner Stellungnahme veröffentlichen. § 27 WpÜG. Vgl. z. B. Ulrich Wackerbarth, § 27 WpÜG – Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2016), Rn. 6. 182 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 40. 183 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 174; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 67.
B. Entire Fairness
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2. Bewertung von Interessenkonflikten im Verhältnis zum unternehmerischen Ermessen in Deutschland Anders als in Delaware führt ein Interessenkonflikt für ein deutsches Organmitglied allerdings auch nicht automatisch zum Verlust des Schutzes des unternehmerischen Ermessens gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. Stattdessen wird zunächst die Wichtigkeit des Interessenkonfliktes festgestellt, da „unbedeutende Eigeninteressen nicht schaden.“184 Der Blick auf die Wichtigkeit des Interessenkonflikts ist dem deutschen Recht eigen, eine ähnliche Feststellung findet in Delaware nicht statt. Ein Teil diese Unterschiedes mag sich allerdings darin auflösen, dass ein so unwichtiges eigenes oder fremdes Interesse, das die Entscheidung des Organmitglieds nicht beeinflussen könnte, von den Richtern schlicht nicht als Interessenkonflikt gewertet würde.185 Auf der anderen Seite sieht das deutsche Schrifttum bereits in einigen häufigen Situationen per se einen Interessenkonflikt, der die Anwendung der deutschen Version der Business Judgment Rule verhindert. Hierzu gehören Vergütungspakete mit Aktienoptionen von einer anderen Gesellschaft innerhalb des Konzerns,186 oder Übernahmesituationen, wenn Vorstandsmitglieder bei geglückter Übernahme der Gesellschaft dem Verlust ihres Mandats entgegen sehen.187
III. Zwischenergebnis: Vergleich der deutschen Rechtslage mit dem Entire Fairness Standard in Delaware Trotz einiger Ähnlichkeiten unterscheidet sich der deutsche Umgang mit nichterfüllten Pflichten maßgeblich vom Entire Fairness Standard in Delaware, da dieser ausdrücklich eine Spanne akzeptabler Preise definiert und großen Wert auf die angewandten Entscheidungsfindungsprozesse legt. Um Entire Fairness festzustellen oder auszuschließen, ignoriert der Chancery Court dabei zunächst die Pflichtverletzungen der Entscheidungsträger und betrachtet allein die Entscheidung, im Hinblick auf ihre Entstehung und ihre Folgen. Der amerikanische Director muss dabei den Beweis erbringen, dass ein fairer Prozess zu einem fairen Preis geführt hat, anstatt ex-post einen hypothetischen Preis zu ermitteln. Dieses Vorgehen erlaubt dem 184
Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 62. Vgl. Cede & Co. (1993), 634 A.2d 345 (1993), S. 362 ff. 186 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 64. 187 s. z. B. Andreas Cahn, Pflichten des Vorstandes beim genehmigten Kapital mit Bezugsrechtsausschluß, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 1999, 554, S. 591; Jens Ekkenga/Josef Hofschroer, Das Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (Teil 1), 2002 Deutsches Steuerrecht 724 (2002), S. 732; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 105. Aber vgl. auch Michael Schlitt/Christian Ries, § 33 WpÜG – Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage (2011), Rn. 147. 185
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
Gericht gegebenenfalls die Feststellung, dass der erzielte Preis vielleicht nicht das höchstmögliche, aber dennoch ein akzeptables Verhandlungsergebnis ist. Es respektiert damit auch bei Nichtanwendbarkeit der Business Judgment Rule trotzdem die Einschätzungen der Entscheidungsträger. Auch hier liegt der Gedanke zugrunde, dass die ex-post Betrachtung eines Gerichts, insbesondere bei der Festsetzung des richtigen Preises, den wirtschaftlichen Realitäten nicht gerecht wird. So baut die Entire Fairness Review auf denselben Prinzipien wie die Business Judgment Rule. In Deutschland hingegen werden der Preis und die Transaktion allein durch das Gericht bewertet, wenn die Voraussetzungen für den Schutz des unternehmerischen Ermessens nicht erfüllt sind.
C. Enhanced Scrutiny Zwischen den konfliktfreien Szenarien, in denen die Business Judgment Rule zum Tragen kommt, und den klaren Konfliktsituationen, die Entire Fairness nötig machen, bestehen Situationen, die zwar keinen expliziten Konflikt für den Einzelnen beinhalten, aber dennoch von subtilen Präferenzen der Directors geprägt sein können. Insbesondere im Falle eines möglichen „change of control“, also dem Übergang einer Stimmrechtsmehrheit an einen neuen Mehrheitsaktionär, liegt es in der Natur der Transaktion, dass auch unabhängige Directors durch Faktoren wie einer damit bevorstehenden Neubesetzung des Board of Directors und der Unternehmensführung bewusst oder unbewusst beeinflusst sein können.188 Das uneingeschränkte Ermessen der Business Judgment Rule kann ihnen hier daher nicht ungeprüft zugestanden werden.189 Doch auch eine vollständige, inhaltliche Überprüfung gemäß dem Entire Fairness Standard wäre ohne Hinweise auf Handeln im Eigeninteresse („self dealing“) unangemessen und widerspräche den Rechtsprinzipien des Staates Delaware190. Seine Gerichte wenden in solchen Situationen daher den „enhanced scrutiny“ Standard an, der es den Directors auferlegt zu zeigen, dass sie aus uneigennützigen Motiven handelten und dass ihr Handeln „reasonable“ war, hier ungefähr zu
188 Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954. s. auch z. B. Unitrin, Inc. v. American General Corp., 651 A.2d 1361 (Del. 1995), s. Chesapeake Corp. v. Shore, 771 A.2d 293 (Del. Ch. 2000), S. 629; Reis, 2011 WL 303207 (2011), S. 459; Trados, 28 A.3d 457 (2013), S. 43 („Enhanced scrutiny applies to specific, recurring, and readily identifiable situations involving potential conflicts of interest where the realities of the decision making context can subtly undermine the decisions of even independent and disinterested directors.“). Andere Faktoren, die das Board of Directors beeinflussen können, sind potentielle Haftungsansprüche beispielsweise von Gläubigern oder spezifische Versprechen eines potentiellen Käufers, die das Board oder die Unternehmensführung betreffen. Vgl. Revlon, 506 A.2d 173 (1986). 189 Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954. s. auch z. B. QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 42. 190 Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 180. Vgl. auch Stephen M. Bainbridge, The Geography of Revlon-Land, 81 Fordham Law Review 3277 (2013), S. 3296 f.
C. Enhanced Scrutiny
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verstehen als „vernünftigerweise vertretbar“,191 im Verhältnis zu ihren rechtmäßigen Zielen.192 Die Grundlage des Enhanced Scrutiny Standard in seiner heutigen Form ist der Fall Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co.,193 den der Delaware Supreme Court im Jahr 1985 entschied. Hier versuchte sich das Board of Directors der Unocal Corp. gegen die feindliche Übernahme („hostile takeover“) durch die Mesa Petroleum Co. zur Wehr zu setzen. Mesa Petroleum hielt bereits 13 % der Anteile an Unocal und hoffte, die verbleibenden durch eine öffentliche Offerte („tender offer“) zu erwerben.194 Das Board of Directors der Unocal Corp. kam zu dem Schluss, dass der angebotene Preis inadäquat sei und die Struktur des Angebots die Aktionäre unter einen unangemessenen Druck zur Zustimmung setze.195 Um eine Übernahme unter diesen Umständen zu verhindern, gab Unocal ein eigenes Tender Offer ab, das allen Aktionären die Möglichkeit gab, ihre Anteile zu einem höheren Preis als dem von Mesa gebotenen an Unocal selbst zu verkaufen.196 Lediglich Mesa war als Aktionär von diesem Tender Offer ausgenommen und ging hiergegen gerichtlich vor.197 Der Delaware Supreme Court stellte keine Pflichtverletzung der Directors fest und urteilte, dass ein Board of Directors in einer solchen Abwehrsituation, in der seine Unbefangenheit bezweifelt werden kann, darlegen muss, dass es aus vertretbaren Gründen von einer Gefahr für die grundlegende Geschäftsstrategie („corporate
191 Der Begriff „reasonable“ muss hier als Steigerung des Begriffs „rational“ gesehen werden, denn Entscheidungen, die der Business Judgment Rule unterliegen, werden lediglich daraufhin überprüft, ob sie irgendeine „rational basis“ haben. s. supra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). Gilt Enhanced Scrutiny, so reicht eine „rational decision“ nicht, sie muss „reasonable“ gewesen sein. 192 „[…] that their motivations were proper and not selfish“ und, darüber hinaus, „[that] their actions were reasonable in relation to their legitimate objective“. Mercier v. Inter-Tel (Delaware) Inc., 929 A.2d 786 (Del. Ch. 2007), S. 810. Vgl. Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 955; Moran v. Household International, Inc., 599 A.2d 1346 (Del. 1985), S. 1356; Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1373. Statt von „enhanced scrutiny“ ist manchmal auch von einem „intermediate standard of review“, „reasonableness standard“ oder „heightened scrutiny“ die Rede. s. z. B. Air Products and Chemicals, Inc. v. Airgas, Inc., 16 A.3d 48 (Del. Ch. 2011), S. 58, Bainbridge, Revlon-Land, 81 Fordham L. Rev. 3277 (2013), S. 3313. 193 Unocal, 493 A.2d 946 (1985). 194 Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 949. 195 Es handelte sich um ein zweistufiges Angebot, das den ersten verkaufenden Aktionären einen bereits als zu gering bewerteten Preis sichern würde, die restlichen Aktionäre würden ihre Anteile dann lediglich gegen Wertpapiere, die das Gericht als „junk bonds“ bezeichnete. Das Gericht bezeichnete diese Struktur als eine „classic coercive measure designed to stampede shareholders into tendering at the first tier, even if the price is inadequate, out of fear of what they will receive at the back end of the transaction“. Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 956. 196 Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 950 f. 197 Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 951.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
policy and effectiveness“) ausgegangen war198 und dass sein Vorgehen in diesem Fall eine verhältnismäßige Reaktion auf diese Gefahr darstellte.199 Der damit ins Leben gerufene Enhanced Scrutiny Standard erlegt dem Board of Directors damit die Beweislast dafür auf, dass es (1) aus rechtmäßigen, nicht eigennützigen Motiven („proper and not selfish“) (2) angemessen gehandelt hat („reasonable in relation to their legitimate objective“).200 Können diese beiden Anforderungen belegt werden, wendet das Gericht wiederum die Business Judgment Rule an.201 Eine Feststellung, dass die Entscheidung fraglich gewesen sei, ist dann aber praktisch kaum vorstellbar, da eine Entscheidung, die unter der Business Judgment Rule keinen Bestand gehabt hätte, einer Bewertung des Sachverhalts gemäß Enhanced Scrutiny kaum hätte Stand halten können.202 Es entspricht der ständigen Rechtsprechung der Gerichte in Delaware, dass das Handeln der Directors nicht einer nachträglichen spezifischen Vorstellung des Gerichts entsprochen haben muss, sondern zunächst bestimmten Anforderungen an den Entscheidungsprozess entsprechen und zusätzlich innerhalb eines akzeptablen Spektrums liegen muss. Für den Enhanced Scrutiny Standard liegt das Spektrum zwischen den beiden Extremen, „rational“ (Business Judgment Rule) und „entirely fair“, und umfasst „reasonable“ Entscheidungen – das Recht gibt den Gerichten damit einen größeren Spielraum, Entscheidungen zu hinterfragen, gesteht dem Board of Directors aber noch immer eine breite Handlungsspanne zu.203 Eine Mehrheit von Outside Directors oder die Zustimmung durch ein Independent Committee erhöhen die Glaubwürdigkeit des Board of Directors, führen ein entsprechendes Urteil aber nicht zwingend herbei.204 198 „[…] reasonable grounds for believing that a danger to corporate policy and effectiveness existed.“ Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 955. s. auch Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1373. 199 „[…] reasonable in relation to the threat posed.“ Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 955. s. auch Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1373. 200 Mercier, 929 A.2d 786 (2007), S. 810. Vgl. auch QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 45; Chesapeake, 771 A.2d 293 (2000), S. 327; In re Del Monte Foods Co. Shareholders Litigation, 25 A.3d 813 (Del. Ch. 2011), S. 830; William T. Allen/Jack B. Jacobs/Leo E. Strine, Function over Form: A Reassessment of Standards of Review in Delaware Corporation Law, 26 Delaware Journal of Corporate Law 859 (2001), S. 882 ff. 201 Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 180. 202 Vgl. z. B. Allen, Function over Form, 26 Del. J. Corp. L. 859 (2001), S. 883. 203 Vgl. z. B. QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 45; Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 931 f.; Stroud v. Grace, 606 A.2d 75 (Del. 1992), S. 82; Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1373; Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 243. s. auch J. Travis Laster, The Effect of Stockholder Approval on Enhanced Scrutiny, 40 William Mitchell Law Review 1443 (2014), S. 1450, Allen, Function over Form, 26 Del. J. Corp. L. 859 (2001), S. 883. Eine alternative Sicht macht die Anwendung des Enhanced Scrutiny Standards nicht an dem Potential für Interessenkonflikte für die Directors fest, sondern an den Einschränkungen, die die Aktionäre durch das Handeln des Board in der jeweiligen Situation erfahren können. s. QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 45. 204 s. z. B. Paramount Communications, Inc. v. Time Inc., 571 A.2d 1140 (Del. 1989), S. 1154; Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 932; In re Dollar Thrifty Shareholder
C. Enhanced Scrutiny
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Lediglich die freie, auf allen nötigen Informationen basierende Zustimmung einer Mehrheit jener Aktionäre, die keine eigenen Interessenkonflikte haben, kann eine Entscheidung des Board of Directors in einer Enhanced Scrutiny Situation wirksam dem Schutz der Business Judgment Rule unterstellen.205 Obwohl das Gericht in jedem Fall nur das Handeln des Board of Directors beurteilen muss,206 ist es unter Enhanced Scrutiny oft unvermeidbar, dieses Handeln im Licht des Ergebnisses zu betrachten, so dass viele der richterlichen Entscheidungen auch eine Bewertung der jeweiligen Transaktionen enthalten.207
I. Feindliche Übernahmen und Takeover Defenses Gesellschafts- und aktienrechtliche Verteidigungsmaßnahmen gegen feindliche Übernahmen („takeover defenses“) wie das selektive Tender Offer in Unocal werden in Delaware grundsätzlich mit Hilfe von Enhanced Scrutiny beurteilt.208 Insbesondere, wenn das Board of Directors einen Unternehmensverkauf bereits abgelehnt hat und sich der Kaufinteressent anschließend direkt an die Anteilseigner wendet, ist davon auszugehen, dass das Board den Verkauf weiter zu verhindern versuchen wird.209 Zwar ist die Zustimmung des Board of Directors des Zielunternehmens im Falle eines Tender Offer nicht notwendig, da der Käufer nicht das Unternehmen als Ganzes, sondern lediglich die frei-verkäuflichen Anteile der einzelnen Aktionäre erwirbt.210 Seit den 1970er Jahren, und vor allem seit den von Hostile Takeovers geprägten 1980er Jahren machen Boards aber von Takeover Defenses Gebrauch, um solche Übernahmen dennoch zu verhindern.211 Da das Gesellschaftsrecht in Delaware dem Board of Directors ein hohes Maß an Gestaltungsfreiheit einräumt, auch frei von Einmischung durch die Aktionäre, kann die Abwehr von Übernahmever-
Litigation, 14 A.3d 573 (Del. Ch. 2010), S. 600. Besonders überzeugend wirken die Outside Directors, wenn sie vom unerwünschten Käufer selbst nominiert worden waren und sich dennoch gegen den Verkauf stellen. Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 123. 205 Williams v. Geier, 671 A.2d 1368 (Del. 1996); Corwin v. KKR Financial Holdings LLC, 125 A.3d 304 (Del. 2015). S auch Morrison v. Berry, 191 A.3d 268 (Del. 2018), S. 274 f.; Appel v. Berkman, 180 A.3d 1055 (Del. 2018). 206 Vgl. z. B. Bainbridge, Revlon-Land, 81 Fordham L. Rev. 3277 (2013), S. 3337. 207 Vgl. z. B. Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1153; Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 110. 208 Vgl. z. B. Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 954; Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 930. Neben dem Wunsch, die eigene Position nicht zu verlieren, kann auch schlichte persönliche Antipathie einem Käufer gegenüber eine Rolle spielen. Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 176; Bainbridge, Revlon-Land, 81 Fordham L. Rev. 3277 (2013), S. 3309. 209 Bainbridge, Revlon-Land, 81 Fordham L. Rev. 3277 (2013), S. 3286. 210 s. z. B. Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 95. 211 Bainbridge, Revlon-Land, 81 Fordham L. Rev. 3277 (2013), S. 3280.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
suchen ein legitimes Mittel sein, die langfristige Strategie des Unternehmens zu schützen.212 Zu den gebräuchlichen Takeover Defenses gehören vor allem sogenannte „shareholder rights plans“, auch als „poison pills“ bezeichnet, die bei Eintreten eines bestimmten Ereignisses, häufig das Erreichen eines bestimmten Schwellenwertes an Stimmrechten durch einen einzigen Aktionär, dem unerwünschten Käufer den Kauf der übrigen Anteile entweder praktisch unmöglich oder zu unattraktiv machen.213 Dies kann zum Beispiel durch ein Rückkaufangebot für alle anderen Aktionäre zu einem höheren Preis bewirkt werden, das dem unerwünschten Käufer die Stimmenmehrheit verwehrt,214 durch ein Neuemission von Aktien zu einem günstigen Preis unter Ausschluss des Bieters, die die von ihm gekauften Anteile verwässert,215 oder durch eine andere Restrukturierung der Kapitalstruktur.216 Poison Pills enthalten grundsätzlich eine Klausel, die die Bedingungen ihrer Aufhebung („redemption“) regelt. Auch die gezielte Suche nach alternativen Käufern („white knights“ oder „white squires“)217 oder der Versuch einer feindlichen Übernahme des unerwünschten Käufers („Pac-Man defense“)218 können wirksame Takeover Defenses 212 Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 180; Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1154; TW Services, Inc. v. SWT Acquisition Corp., 1989 WL 20290 (Del. Ch. 1989), S. *8; Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1376; Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 95 & 101 f. 213 s. z. B. Moran, 599 A.2d 1346 (1985); Versata Enterprises, Inc. v. Selectica, Inc., 5 A.3d 586 (Del. 2010); Airgas, 16 A.3d 48 (2011); Hollinger International, Inc. v. Black, 844 A.2d 1022 (Del. Ch. 2004), S. 1083. Vgl. auch z. B. Lucian Ayre Bebchuk, The Case for Facilitating Competing Tender Offers, 95 Harvard Law Review 1028 (1982); Ronald J. Gilson, A Structural Approach to Corporations: The Case Against Defensive Tactics in Tender Offers, 33 Stanford Law Review 819 (1981); Frank H. Easterbrook/Daniel R. Fischel, Takeover Bids, Defensive Tactics, and Shareholders’ Welfare, 36 The Business Lawyer 1733 (1981); Martin Lipton, Takeover Bids in the Target’s Boardroom, 35 The Business Lawyer 101 (1979); Martin Lipton, Pills, Polls and Professors, Redux, 69 University of Chicago Law Review 871 (2002). 214 Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 180 f. 215 s. z. B. Moran, 599 A.2d 1346 (1985), S. 1349. 216 Z. B. Aktiensplits oder Beteiligungsprogramme für Mitarbeiter. 217 Ein White Knight (also „weißer Ritter“) ist ein alternativer Käufer, den das Board of Directors für die „Rettung“ des Unternehmens vor dem unerwünschten Käufer durch die Übernahme eines Mehrheitsanteils hat gewinnen können, während ein White Squire („weißer Knappe“) das Board of Directors mit dem Kauf einer ausreichend großen Minderheitsbeteiligung unterstützt, so dass sich eine Sperrminorität ergibt und der unerwünschte Käufer keine absolute Mehrheit mehr erlangen kann. Patrick A. Gaughan, Mergers, Acquisitions, and Corporate Restructurings (2015), S. 215 & 222 ff.; William M. Lafferty/Lisa A. Schmidt/Donald J. Wolfe Jr., A Brief Introduction to the Fiduciary Duties of Directors Under Delaware Law, 116 Penn State Law Review 837 (2012), S. 870. 218 Benannt nach dem phänomenal beliebten Computerspiel aus den Spielhallen der 1980er Jahre, in dem ein hungriger gelber „Pac-Man“ sich durch ein Labyrinth frisst und dabei auch seine Feinde verspeist, sofern diese ihn nicht zuerst verputzen, funktioniert auch die Pac-Man Defense nach dem Motto „fressen oder gefressen werden“ – das Board of Directors des Zielunternehmens startet seinerseits einen Hostile Takeover gegen den unerwünschten Käufer. s. z. B. Martin Marietta Corp. v. Bendix Corp., 549 F. Supp. 623 (D. Md. 1982); Cities Service Co. v. Mesa Petroleum Co., 541 F. Supp. 1220 (D. Del. 1982). Vgl. auch z. B. Moran, 599 A.2d
C. Enhanced Scrutiny
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sein.219 Zusätzlichen Schutz können Änderungen der Corporate Governance Strukturen bieten, die eine feindliche Übernahme erschweren (sogenannte „shark repellents“), beispielsweise, wenn sie den Bieter davon abhalten, den Widerstand des Board of Directors durch eine schnelle Ablösung dieser Directors zu neutralisieren.220 Als rechtmäßige Gründe für eine Takeover Defense können ein zu niedriger Preis oder ungünstige Verkaufskonditionen gehören, vor allem, wenn diese durch Strukturen, die den Aktionären keine Alternativen offen ließen wie im Fall Unocal, durchgesetzt werden sollen oder sich an eine Gruppe von Aktionären richtet, die ihre Anteile spezifisch mit Blick auf einen schnellen Gewinn durch das Tender Offer erworben hat („merger arbitrage“).221 Aber auch einen Käufer, der eine grundlegend andere Strategie für das Unternehmen verfolgen oder eine Gefahr für dessen Assets bedeuten würde, kann das Board of Directors ablehnen.222 Als verhältnismäßig gilt eine Takeover Defense aber nur dann, wenn sie nicht ihrerseits den Aktionären gezwungenermaßen das Recht zur Selbstbestimmung nimmt.223 Die Aktionäre müssen daher die Möglichkeit haben, das feindliche Angebot dennoch anzunehmen, beziehungsweise die Mandate der Directors bei der nächsten Wahl nicht zu erneuern,
1346 (1985), S. 1350, Fn. 6; Deborah A. de Mott, Pac-Man Tender Offers, 1983 Duke Law Journal 116 (1983); Gaughan, Mergers, Acquisitions (2015), S. 245; Liz Hoffman, Back to the 80’s: The Pac-Man Defense, The Wall Street Journal (26. November 2013). 219 Für weitere Beispiele, s. z. B. Moran, 599 A.2d 1346 (1985), S. 1350. Vgl. auch Martin Lipton, Andrew R. Brownstein, Takeover Responses and Directors’ Responsibilities – An Update, 40 The Business Lawyer 1403 (1985), Gaughan, Mergers, Acquisitions (2015), S. 245. 220 Vgl. z. B. Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1377. So können beispielsweise die Amtsperioden der Directors geändert und gestaffelt werden, Abstimmungsregeln können auf Zwei-Drittel Mehrheiten umgestellt werden. s. z. B. Chesapeake, 771 A.2d 293 (2000), S. 305; Selectica, 5 A.3d 586 (2010), S. 604. Auch die Stimmrechte der Aktionäre können umstrukturiert werden, beispielsweise durch zusätzliche Stimmrechte für langfristige Aktionäre. Williams, 671 A.2d 1368 (1996). 221 s. auch Moran, 599 A.2d 1346 (1985), Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 108 f. Vgl. Ronald Gilson, Reinier Kraakman, Delaware’s Intermediate Standard for Defensive Tactics: Is There Substance to Proportionality Review?, 44 The Business Lawyer 247 (1989), S. 260; Leo E. Strine, The Professorial Bear Hug: The ESB Proposal as a Conscious Effort to Make the Delaware Courts Confront the Basic „Just Say No“ Question, 55 Stanford Law Review 863 (2002), S. 875 ff. s. auch Lafferty, A Brief Introduction to the Fiduciary Duties of Directors Under Delaware Law, 116 Penn St. L. Rev. 837 (2012), S. 861. 222 Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1154; Chesapeake, 771 A.2d 293 (2000). S. 327 f. s. auch Lafferty, A Brief Introduction to the Fiduciary Duties of Directors Under Delaware Law, 116 Penn St. L. Rev. 837 (2012), S. 861. 223 Unitrin, 651 A.2d 1361 (1995), S. 1387. Vgl. auch Blasius Industries, Inc. v. Atlas Corp., 564 A.2d 651 (Del. Ch. 1988), S. 662 f.; Williams, 671 A.2d 1368 (1996), S. 1382 f.; AC Acquisitions v. Anderson, Clayton & Co., 519 A.2d 103 (Del. Ch. 1986), S. 113; Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 615; Allen, Function over Form, 26 Del. J. Corp. L. 859 (2001), S. 893.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
sollten diese mit der Strategie nicht einverstanden sein.224 Die Chance, dass die Gerichte eine Takeover Defense als berechtigt und verhältnismäßig akzeptieren, ist höher, wenn sie bereits vor Erhalt eines spezifischen Angebots in den Bylaws oder dem Certificate of Incorporation etabliert war.225 Das Gericht prüft die Verhältnismäßigkeit der Handlungen ganzheitlich sowie im Hinblick auf die spezifische Situation.226
II. Einvernehmliche Übernahmen und Revlon Eine Sondersituation, die den Einsatz einer besonderen Form der Enhanced Scrutiny erfordert, ergibt sich bei einer „freundlichen“, vom Board of Directors kooperativ verhandelten Übernahme des Unternehmens. Ist der Verkauf oder die Auflösung des Unternehmens einmal vom Board of Directors als richtiger nächster Schritt im Unternehmensinteresse beschlossen („the corporation has been put in play“), so schwenken die Pflichten der Directors vom Unternehmen auf die Aktionäre um und sie sind verpflichtet, für die Aktionäre den bestmöglichen Preis für das Unternehmen zu erlangen.227 In Anlehnung an die hier grundlegende Entscheidung des Delaware Supreme Court, Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdings, Inc.228 aus dem Jahr 1987, werden diese Pflichten auch als „Revlon duties“ bezeichnet.229 Letztendlich geht es auch hier häufig um Takeover Defenses, denn es obliegt dem Board of Directors das bestmögliche („reasonably available“)230 Angebot für die Aktionäre zu finden und ohne Verteidigung anzunehmen. 224 s. z. B. Moran, 599 A.2d 1346 (1985), S. 1354. Vgl. auch Blasius, 564 A.2d 651 (1988); Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 930 & 936; Selectica, 5 A.3d 586 (2010), S. 604; Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 113 ff. 225 s. z. B. Moran, 599 A.2d 1346 (1985), S. 1350; Mills Acquisition Co. v. Macmillan, Inc., 559 A.2d 1261 (Del. 1988); Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1152; Stroud, 606 A.2d 75 (1992), S. 82. 226 s. z. B. Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1153; QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 45; Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 933. 227 Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 182 („The directors’ role changed from defenders of the corporate bastion to auctioneers charged with getting the best price for the stockholders at a sale of the company.“). s. auch Macmillan, 559 A.2d 1261 (1988), S. 1285; Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1150; QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 46; Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 242; Reis, 2011 WL 303207 (2011), S. 457. 228 Revlon, 506 A.2d 173 (1986). 229 Der Delaware Supreme Court bemühte sich zwar zunächst, diese Bezeichnungen zu unterbinden, dennoch sind sie im heutigen Schrifttum gänzlich übernommen. Vgl. Laster, Effect of Stockholder Approval, 40 Wm. Mitchell L. Rev. 1443 (2014), S. 1490 f.; s. auch Arnold v. Society for Society Bancorp, Inc., 650 A.2d 1270 (Del. 1994), S. 1289, Fn. 40. 230 s. z. B. Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 602; Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 244; Golden Cycle, LLC v. Allan, 24 Del. J. Corp. L. 593 (Del. Ch. 1999), S. 714 f. Vgl. auch z. B. Lafferty, A Brief Introduction to the Fiduciary Duties of Directors Under Delaware Law, 116 Penn St. L. Rev. 837 (2012), S. 853; Allen, Function over Form, 26 Del. J. Corp. L. 859 (2001), S. 895.
C. Enhanced Scrutiny
163
Revlon Duties greifen erst dann, wenn die Corporation selbst beginnt, eine Auflösung oder einen Kontrollwechsel („change of control“) zu verfolgen, sei es auf eigene Initiative oder angestoßen durch ein Angebot von einem Dritten.231 Ist dieser Punkt erreicht, darf sich das Board of Directors, nicht mehr von langfristigen Erwägungen, sondern nur vom kurzfristigen Vorteil der Aktionäre leiten lassen.232 Hierzu ist es nötig, dass das Board of Directors sich einen ergebnisoffenen Überblick über die möglichen Alternativen zu einem erhaltenen Angebot verschafft, beispielsweise durch eine aktive Auktion oder eine Aufforderung zur Abgabe von Angeboten vor der Aufnahme von Verhandlungen mit dem ursprünglichen Bieter, oder aber durch einen „market check“, nachdem bereits eine Einigung zum Verkauf unterschrieben ist.233 Vereinbarungen enthalten in diesen Situationen oft Klauseln, die dem Board of Directors die Erfüllung seiner Revlon-Duties erlauben sollen.234 Gegen seine Revlon Duties verstoßen kann ein Board of Directors hingegen, wenn es die verschiedenen Bieter ohne Rechtfertigung ungleich behandelt235 oder einem potentiellen Käufer eine zu hohe Zahlung im Falle eines Abbruchs der Verhandlungen zusichert, die die Rückabwicklung der Vereinbarung für einen anderen Käufer zu teuer machen würde,236 oder wenn es ihm eine „no-shop“- oder „no-talk“Klausel zugesteht, die es dem Board ausdrücklich verbietet, mit anderen Interessenten zu sprechen.237
231 Macmillan, 559 A.2d 1261 (1988); Time, 571 A.2d 1140 (1989), S. 1150; Arnold, 650 A.2d 1270 (1994), S. 1289 f.; Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 242. Bleibt die Kontrolle über die überlebende Corporation nach einem Merger im Streubesitz, so gilt dies nicht als Change of Control und Revlon ist nicht anwendbar. Arnold, 650 A.2d 1270 (1994), S. 1289 f. 232 „In such a setting, for the present shareholders, there is no long run“. TW Services, 1989 WL 20290 (1989), S. *8. s. auch z. B. QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 50; Airgas, 16 A.3d 48 (2011), S. 101 ff. 233 s. z. B. In re Fort Howard Corp. Shareholders Litigation, 1988 WL 83147 (Del. Ch. 1988); Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 243; Chen v. Howard-Anderson, 87 A.3d 648 (Del. Ch. 2014), S. 675; Barkan v. Amsted Industries, Inc., 567 A.2d 1279 (Del. 1989), S. 1287 (aktiver Market Check ist nicht nötig, wenn das Board of Directors bereits einen ausreichenden Überblick über den Markt hat). Vgl. auch Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 613 (Intensität des Market Check ist situationsabhängig, ein Board ohne Interessenkonflikte kann hier weites Ermessen genießen). 234 s. z. B. In re Topps Co. Shareholders Litigation, 926 A.2d 58 (Del. Ch. 2007), S. 86; Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 938. Vgl. auch z. B. Lafferty, A Brief Introduction to the Fiduciary Duties of Directors Under Delaware Law, 116 Penn St. L. Rev. 837 (2012), S. 853 ff. 235 s. z. B. Macmillan, 559 A.2d 1261 (1988), S. 1286 f. 236 Break-Up Fees unter 4 % akzeptiert der Chancery Court regelmäßig als vertretbar. s. z. B. Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 614; Topps I, 926 A.2d 58 (2007), S. 86; Del Monte, 25 A.3d 813 (2011), S. 840; Golden Cycle, 24 Del. J. Corp. L. 593 (1999), S. 716. 237 s. Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 182 ff.; QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 42. Vgl. auch Omnicare (Del.), 818 A.2d 914 (2003), S. 936 ff.; QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 48 & 50; Lafferty, A Brief Introduction to the Fiduciary Duties of Directors Under Delaware Law, 116 Penn St. L. Rev. 837 (2012), S. 867 ff.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
Der Vergleich der letztendlich erhaltenen Angebote darf sich nicht nur auf die absolute Höhe des Verkaufspreises beschränken, sondern muss alle Aspekte des Angebots mit einbeziehen.238 Bestehen Bedenken, ob der Bieter beispielsweise die Finanzierung oder nötige Behördengenehmigungen erhalten wird, oder bietet er in anderer Hinsicht schlechtere Verkaufskonditionen, so liegt es im Ermessen des Board of Directors, einen geringeren Preis als Teil eines vorteilhafteren Gesamtangebots zu akzeptieren.239 Allerdings muss ein deutlicher qualitativer Unterschied zwischen den Angeboten bestehen, um Takeover Defenses zu rechtfertigen.240 Verstößt ein Board of Directors gegen seine Revlon Duties, hat dies in aller Regel eine Unterlassungsverfügung gegen die geplante Transaktion mit dem bevorzugten Bieter zur Folge. Kommt es zu Schadensersatzzahlungen, könnten die Directors in diese miteingeschlossen sein, doch werden diese Verstöße in aller Regel als Verstöße gegen die Duty of Care, nicht gegen die Duty of Loyalty behandelt.241 Dies bedeutet, dass Directors, deren Corporation über eine Freistellungsklausel gemäß DGCL § 102(b)7 verfügen, keine persönliche Haftung zu fürchten haben, solange sie nicht mindestens bedingt vorsätzlich gegen ihnen bewusste Pflichten verstoßen haben.242
III. Sonstige Anwendungen von Enhanced Scrutiny Außerdem zählen zu den Transaktionen, die in der Regel zur Anwendung des Enhanced Scrutiny Standard führen, beispielsweise Kampfabstimmungen der Aktionäre (in ihrer typischen Form sogenannte „proxy contests“)243 und „final-stage transactions“ direkt vor der Auflösung des Unternehmens beispielsweise durch Insolvenz oder Verkauf (hier wird auch von Transaktionen in der „last period of play“ gesprochen).244 Die grundsätzliche Anwendung auf Final-Stage Transactions ist
238
Vgl. z. B. QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 45; Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 602; Topps I, 926 A.2d 58 (2007), S. 86; Golden Cycle, 24 Del. J. Corp. L. 593 (1999), S. 714 f. Vgl. auch Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 603 ff. (das Board of Directors hatte so schlechte Erfahrungen mit zwei potentiellen Käufern gemacht, dass der Chancery Court seine Entscheidung für legitim befand, bei einem erneuten Versuch nur mit dem stabiler wirkenden der beiden zu verhandeln um den Verkauf des Unternehmens in wirtschaftlichen Schwierigkeiten sicher abzuschließen). 239 Vgl. z. B. QVC, 637 A.2d 34 (1994), S. 45; Dollar Thrifty, 14 A.3d 573 (2010), S. 602; Golden Cycle, 24 Del. J. Corp. L. 593 (1999), S. 714 f. 240 Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 184. 241 Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 243. 242 Lyondell (Del.), 970 A.2d 235 (2009), S. 243. 243 Vgl. z. B. Aprahamian v. HBO & Co., 531 A.2d 1204 (Del. Ch. 1987); Blasius, 564 A.2d 651 (1988), Mercier, 929 A.2d 786 (2007). s. auch Laster, Effect of Stockholder Approval, 40 Wm. Mitchell L. Rev. 1443 (2014), S. 1464. 244 s. z. B. Reis, 2011 WL 303207 (2011), S. 458 f. Vgl. auch z. B. Sean J. Griffith, Deal Protection Provisions in the Last Period of Play, 71 Fordham Law Review 1899 (2003),
C. Enhanced Scrutiny
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noch umstritten, sie wird insbesondere von Vice Chancellor Laster des Chancery Courts vertreten.245 In aller Regel ist diese Trennung allerdings hinfällig, da es in beiden Fällen um Change-of-Control Situationen geht, so dass Enhanced Scrutiny in jedem Fall greift.
IV. Bewertung des Handelns von Vorstand und Aufsichtsrat in Übernahmesituationen in Deutschland Eine der Enhanced Scrutiny vergleichbare Anpassung der richterlichen Bewertung von Organhandeln in Übernahmesituationen besteht in Deutschland nicht. Ausschlaggebend für die Frage der Pflichteinhaltung bei einer bevorstehenden Übernahme ist daher nicht die gerichtliche Bewertung sondern die Vielzahl der inzwischen zum Großteil kodifizierten Pflichten und Gebote, denen die Organe (insbesondere Vorstände) deutscher Aktiengesellschaften in Übernahmesituationen unterliegen. Die Rechtslage geht von neutralen Entscheidungsträgern aus, die ausschließlich im Unternehmensinteresse handeln können. Unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance Haftung ist die Situation eines deutschen Vorstands daher eine schwierigere als die eines Board of Directors in Delaware, da er die gleichen Entscheidungen treffen muss mit dem gleichen Potential für Interessenkonflikte, die durch die deutschen Übernahmegesetze noch verschärft werden, und dabei davon ausgehen muss, dass diese Entscheidungen auch inhaltlich in vollem Maße richterlich überprüft werden können. Die Organmitglieder schulden zahlreiche dieser Pflichten den Aktionären und nicht der Gesellschaft. Eine Darstellung der besonderen Pflichten und Gebote im Übernahmekontext soll hier verkürzt und nur insoweit geschehen, als sie für einen Vergleich der gerichtlichen Beurteilung der Pflichteinhaltung in Deutschland mit dem Standard der Enhanced Scrutiny in Delaware nötig ist. 1. Pflichten in der Übernahmesituation § 33 Abs. 1 S. 1 WpÜG verbietet nach Bekanntgabe eines Übernahmeangebots Handlungen des Vorstands, die geeignet sind, die Übernahme zu vereiteln.246 Die Norm beschränkt den Vorstand somit auf ein normales business as usual Handeln im Unternehmensinteresse, wie es ein gewissenhafter Geschäftsführer auch außerhalb S. 1942 ff.; Laster, Effect of Stockholder Approval, 40 Wm. Mitchell L. Rev. 1443 (2014), S. 1464 ff. 245 John Mark Zeberkiewicz/Blake Rohrbacher/Jillian G. Remming, Reviewing the Standards of Review in Delaware, 25 Insights (2011). 246 Barbara Grunewald, § 33 WpÜG – Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, in: Theodor Baums/Georg Thoma (Hrsg.), Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 11. Aktualisierung (2015), Rn. 24; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 54 ff.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
einer Übernahmesituation vornähme.247 Gleiches gilt für den Aufsichtsrat, sofern er als Geschäftsleitungsorgan handelt.248 Pflichtverletzungen der Geschäftsleitung können nicht nur Schadensersatzansprüche gegenüber der Gesellschaft sondern gegebenenfalls auch Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche der Aktionäre zur Folge haben.249 Verstößt der Vorstand vorsätzlich oder auch nur fahrlässig gegen § 33 Abs. 1 S. 1, kann dies neben regulären zivilrechtlichen Folgen250 auch als Ordnungswidrigkeit ein Bußgeld von bis zu E 1 Million nach sich ziehen.251 In diesem „Vereitelungs-“ oder auch „Verhinderungsgebot“252 spiegeln sich die gesellschaftsrechtliche Ablehnung der Einmischung des Vorstands in die Zusammensetzung des Aktionärskreis wider,253 die kapitalmarktrechtliche Ablehnung einer Einschränkung der Dispositionsrechte der Aktionäre,254 sowie eine Anerkennung des Interessenkonflikts des Vorstands in Übernahmesituationen.255 Eine direkte Pflicht den Aktionären gegenüber oder sogar ein Wechsel vom Unternehmensinteresse zum 247 s. z. B. Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 130. Vgl. auch Tim Oliver Brandi, § 33 WpÜG – Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, in: Lutz Angerer, Stephan Geibel/Rainer Süssmann (Hrsg.), Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 3. Auflage (2017), Rn. 42. 248 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 60 ff. 249 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), S. 235 ff. 250 Vgl. z. B. Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 93 ff. 251 § 60 Abs. 1 Nr. 8 WpÜG. Den Aufsichtsrat kann dieses Bußgeld nicht treffen. Schlitt/ Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 250. 252 Zahlreiche Stimmen im Schrifttum stellen zutreffend fest, dass der ursprünglich etablierte Ausdruck der „Neutralitätspflicht“ ungeeignet ist, da der Vorstand gemäß § 27 WpÜG sogar verpflichtet ist, sich zur Übernahme zu positionieren. So z. B. Heribert Hirte, § 33 WpÜG – Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, in: Heribert Hirte, Christoph von Bülow (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2. Auflage (2010), Rn. 26; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 56; Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 10. 253 Nimmt ein Vorstand Einfluss auf den Aktionärskreis, beeinflusst er auch die Besetzung des Aufsichtsrats, einen Verstoß gegen die Grundsätze des deutschen Gesellschaftsrechts. Gerrit Hellmuth Stumpf, Der sachliche und zeitliche Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG – Zur übernahmerechtlichen Neutralitätspflicht von Zielgesellschaften vor und während eines öffentliches Angebots, in: Jutta Wollersheim/Isabell Welpe (Hrsg.), Forum Mergers & Acquisitions 2014 (2015), S. 68. Aber s. auch, differenzierend, Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 9; Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 20 ff.; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht (2014), § 18, Rn, 94 ff. 254 Vgl. z. B. Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 13; Jens Koch, § 53a AktG – Gleichbehandlung der Aktionäre, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 4; Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 70. 255 Georg Maier-Reimer, Verhaltenspflichten des Vorstands der Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmen, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2001, 258, S. 260; Peter Mülbert/Max Birke, Das übernahmerechtliche Behinderungsverbot – Die angemessene Rolle der Verwaltung einer Zielgesellschaft in einer feindlichen Übernahme, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2001, 705, S. 709; Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 69.
C. Enhanced Scrutiny
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Aktionärsinteresse bei bevorstehender Übernahme, wie in Delaware gemäß Revlon vorgesehen, gibt es für Vorstände entsprechend nicht. Dennoch vertreten Teile des Schrifttums die Ansicht, der Vorstand müsse konkurrierenden Angeboten proaktiv nachgehen.256 Die wohl herrschende Meinung lehnt eine solche Pflicht allerdings ab.257 Angesichts dieser Auflagen und Unsicherheiten liegt die vielleicht haftungskritischste Pflicht des Vorstands einer Zielgesellschaft in der Veröffentlichung einer Stellungnahme zum Angebot eines Bieters.258 Auch der Aufsichtsrat ist zu einer solchen Stellungnahme verpflichtet, die mit der des Vorstands nicht übereinstimmen muss.259 Hier bietet sich die Möglichkeit, die Aktionäre mit Hilfe sachlicher Argumente von der Unangemessenheit des Angebots im Vergleich zur Strategie der aktuellen Unternehmensführung zu überzeugen.260 Doch muss die Stellungnahme sich ausschließlich nach dem Unternehmensinteresse richten, persönliche Interessen der Organe dürfen sie nicht beeinflussen.261 So wird eine ablehnende Stellungnahme nicht vom Vereitelungsverbot erfasst, der Vorstand muss sie aber fundiert im Sinne des Unternehmensinteresses begründen, um anschließenden Angriffen begegnen zu können.262 Gleiches gilt für etwaige Werbemaßnahmen, mit denen der Vorstand die Aktionäre von der Ablehnung des Angebots überzeugen will. Sie müssen den Maßnahmen des Bieters und der Situation angemessen sein.263
256
Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 154. Lars Röh, § 33 WpÜG – Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, in: Wilhelm Haarmann/Matthias Schüppen (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 3. Auflage (2008), Rn. 76; Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 76; Thorsten Pötzsch/Hartmut Krause, § 33 WpÜG – Handlungen des Vorstands der Zielgesellschaft, in: Heinz-Dieter Assmann/Thorsten Pötzsch/Uwe Schneider (Hrsg.), Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz Kommentar, 2. Auflage (2013), Rn. 167; Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 48 ff. 258 § 27 WpÜG. 259 Christoph Louven, § 27 WpÜG – Stellungnahme des Vorstands und Aufsichtsrats der Zielgesellschaft, in: Lutz Angerer/Stephan Geibel/Rainer Süssmann (Hrsg.), Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 3. Auflage (2017), Rn. 4. 260 Vgl. z. B. Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 122. 261 Heribert Hirte, § 27 WpÜG – Stellungnahme des Vorstands und des Aufsichtsrats der Zielgesellschaft, in: Heribert Hirte/Christoph von Bülow (Hrsg.), Kölner Kommentar zum Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz, 2. Auflage (2010), Rn. 31. 262 Louven, § 27 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 9. 263 Vor allem darf es hier nicht zu einer Verschwendung von Gesellschaftsvermögen kommen. Schlitt, Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 120; Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 63; Pötzsch/Krause, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Assmann/Pötzsch/Schneider) (2013), Rn. 122. 257
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
2. Mögliche Abwehrmaßnahmen Ein begrenzter Spielraum für Abwehrmaßnahmen besteht auch in Deutschland, wenngleich ihnen in den meisten Fällen ein Hauptversammlungsbeschluss zugrunde liegen muss.264 Der Vorstand darf nach Bekanntgabe eines Angebotes nur seinen ordentlichen Geschäftsführungsaufgaben nachgehen, die von der Übernahme nicht betroffen sind.265 Der Aufsichtsrat kann den Vorstand zwar zu Handlungen ermächtigen, die über diese Geschäftsführungsaufgaben hinausgehen,266 doch kann er den Handlungsspielraum angesichts der Bindung an das Unternehmensinteresse, das Vereitelungsverbot und den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht wesentlich erweitern.267 Poison Pills nach amerikanischem Vorbild sind mit geltendem Recht in Deutschland in keinem Fall vereinbar.268 Uneinigkeit besteht im Schrifttum allerdings über zahlreiche andere Maßnahmen, die eine Übernahme erschweren können. Kapitalerhöhungen269 und die Ausgabe von Wandel- oder Optionsanleihen270 können beispielsweise in unwesentlichen Mengen im Verhältnis zum Grundkapital laut herrschender Meinung mit dem legitimen Unternehmensinteressen begründbar sein, obwohl sie einem unerwünschten Bieter die Übernahme dennoch zumindest in einem entsprechend geringen Maße erschweren.271 Keine Einigkeit besteht allerdings über die Menge, über die hinaus nicht mehr von einer unwesentlichen Ausgabe ausgegangen werden kann.272
264
Walter Bayer, § 202 AktG – Voraussetzungen, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2016), Rn. 73 ff.; Walter Bayer, Vorsorge- und präventive Abwehrmaßnahmmen gegen feindliche Übernahmen, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2002, 588, S. 605; Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht (2014), § 18, Rn. 101 ff.; Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 59 ff.; Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 88 ff. 265 § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG. 266 Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 68; Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 78; Röh, § 33 WpÜG, Frankf. Komm. WpÜG (2008), Rn. 90. 267 Vgl. z. B. Bayer, Vorsorge- und präventive Abwehrmaßnahmmen, ZGR 2002, S. 614; Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 52; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 177; Röh, § 33 WpÜG, Frankf. Komm. WpÜG (2008), Rn. 84; Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 84. 268 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 285. 269 §§ 182, 183, 186, 202, 203 AktG. 270 § 221 AktG. Vgl. z. B. Pötzsch/Krause, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Assmann/Pötzsch/ Schneider) (2013), Rn. 99 ff. 271 s. z. B. Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 60; Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 29 ff.; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 86 & 95. 272 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 86.
C. Enhanced Scrutiny
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Beide Methoden sind besonders effektiv, wenn das Bezugsrecht der bestehenden Aktionäre ausgeschlossen wird.273 Dies ist insbesondere bei der Ausgabe von bereits durch die Hauptversammlung genehmigtem Kapital bzw. Schuldverschreibungen relevant, da der Vorstand hier lediglich die Genehmigung des Aufsichtsrats einholen muss, sofern der Hauptversammlungsbeschluss ihn zur Entscheidung über einen Ausschluss des Bezugsrechts ermächtigt hat.274 Der BGH hat einen solchen Bezugsrechtsausschluss anerkannt, solange sich der Vorstand bei seinem Einsatz vom Unternehmensinteresse und nicht dem Zweck der Übernahmevereitelung leiten lässt.275 Der Vorstand muss aber auf Verhältnismäßigkeit und sachliche Rechtfertigung achten.276 Zum spezifischen Zweck der Übernahmeabwehr kann beides gegeben sein, wenn von der bevorstehenden feindlichen Übernahme nachweisbar eine konkrete Gefahr der Schädigung oder Vernichtung der Gesellschaft ausgeht.277 Auch der Rückkauf eigener Aktien278 kann, je nach Zusammensetzung des Aktionärskreises, eine wirksame Strategie sein, wobei in den hier relevanten Situationen in aller Regel ein Hauptversammlungsbeschluss vorliegen muss, sofern der Rückkauf nicht das Abwenden schweren und unmittelbar bevorstehenden Schadens bezweckt.279 Da die Gesellschaft aber kein Stimmrecht im Zusammenhang mit den zurückerworbenen Aktien ausüben kann und sich der Aktionärskreis und die Zahl der für eine Übernahme nötigen Wertpapiere entsprechend verkleinert, kann diese Strategie die Übernahme nur verhindern, wenn eine Mehrheit der übrigen Aktionäre ihr entgegensteht. Die Suche nach alternativen Investoren, die die Rolle eines White Knight oder White Squire übernehmen, steht dem Vorstand ausdrücklich offen,280 wobei er bei der 273
s. z. B. Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 60. §§ 202 Abs. 3 & 203 Abs. 2 AktG i.V.m. § 186 Abs. 3 AktG; § 221 Abs. 2 AktG i.V.m. § 186 Abs. 3 AktG. Vgl. auch z. B. Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 141 ff. 275 BGH, Urteil vom 13. März 1978, II ZR 142/76, BGHZ 71, 40 (Kali + Salz), S. 49; BGH, Urteil vom 19. April 1982, II ZR 55/81, BGHZ 83, 319 (Holzmüller), S. 325. 276 Jan Schürnbrand, § 186 AktG – Bezugsrecht, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2016), Rn. 88 ff.; Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 29 ff.; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 183. 277 Schürnbrand, § 186 – AktG, Münch. Komm. AktG (2016), Rn. 120; Jens Koch, § 186 AktG – Bezugsrecht, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 25. 278 § 71 AktG. 279 § 71 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Vgl. Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 61; Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 36; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 92. Die Hauptversammlung kann darüber hinaus eine fünf Jahre geltende Ermächtigung zum Rückkauf von nicht mehr als 10 % des Grundkapitals erteilen, so lange die Aktien innerhalb eines definierten Preisspektrums liegen. § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG. 280 § 33 Abs. 1 S. 2 WpÜG. Vgl. auch Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), S. 148 ff.; Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 48 ff. 274
170
4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
Suche nach einem White Squire auf die Gleichbehandlung der Bieter und das Vereitelungsgebot achten muss.281 Da das WpÜG darüber hinaus nur ein enges Zeitfenster für eine Übernahme vorsieht,282 ist die Verhinderung eines unerwünschten Bieters mit Hilfe eines White Knight oder White Squire deutlich weniger wahrscheinlich als in Delaware.283 Die Genehmigung des Aufsichtsrats kann dem Vorstand das Vornehmen von Abwehrmaßnahmen gemäß § 33 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 ermöglichen, die ein Geschäftsleiter außerhalb einer Übernahmesituation nicht vornähme.284 Doch kann sich hieraus kein grundlegend weiterer Handlungsspielraum ergeben, als der Vorstand ohne das Vereitelungsverbot hätte.285 Da aber auch der Aufsichtsrat an das Unternehmensinteresse gebunden ist und ebenso wenig in die Zusammensetzung des Aktionärskreises eingreifen darf wie der Vorstand, ergibt sich hieraus praktisch nur eine geringfügig breitere Basis für die Abwehr feindlicher Übernahmen.286 Darüber hinaus kann die Hauptversammlung den Vorstand explizit zur Abwehr feindlicher Angebote auch mit eingreifenden Methoden und gegebenenfalls ohne einen konkreten Bezug zum Unternehmensinteresse ermächtigen.287 Erfolgt diese Ermächtigung per Vorratsbeschluss vor Veröffentlichung eines spezifischen Übernahmeangebots,288 so müssen diese Beschlüsse allerdings mit einer DreiviertelMehrheit des anwesenden Grundkapitals beschlossen werden, sie gelten für nur 18 Monate und müssen die Art der genehmigten Maßnahmen spezifisch festlegen.289 Eine anschließende Implementierung kann der Vorstand nur mit der Zustimmung des Aufsichtsrates vornehmen.290 Schon aufgrund der hohen Anforderungen an die
281
Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 88. §§ 14 Abs. 1 S. 1 & 16 Abs. 1 S. 1 WpÜG. 283 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 155. 284 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 163. 285 s. z. B. Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 68; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011) Rn. 137; Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 82. 286 s. z. B. Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 177; Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 83. 287 Vgl. z. B. Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn. 46 & 90 ff.; Pötzsch/ Krause, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Assmann/Pötzsch/Schneider) (2013), Rn. 80; Schlitt/ Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 205. Lediglich den Gleichbehandlungsgrundsatz kann auch die Hauptversammlung nicht außer Kraft setzen. Koch, § 53a AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 12; Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 72. 288 § 33 Abs. 2 WpÜG. 289 § 33 Abs. 2 WpÜG. Hirte, § 33 WpÜG, Kölner Komm. WpÜG (2010), Rn 121 ff; Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 197 ff. 290 § 33 Abs. 2 S. 4 WpÜG. Brandi, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Geibel/Süßmann) (2017), Rn. 55. 282
C. Enhanced Scrutiny
171
qualifizierte Mehrheit ist diese Regelung von geringer praktischer Relevanz im Übernahmerecht.291 Auch nach der Verkündung eines Angebots kann eine Hauptversammlung einberufen werden, die den Vorstand im Rahmen der generellen aktienrechtlichen Bedingungen für Hauptversammlungsbeschlüsse zur Vornahme von Abwehrmaßnahmen ermächtigen kann.292 Obwohl das Gesetz Einberufungserleichterungen vorsieht293 und keine besonderen Mehrheitsanforderungen stellt,294 haben diese AdHoc Beschlüsse in der Praxis, insbesondere im Zusammenhang mit der Übernahme von Mehrheitsbeteiligungen, kaum Relevanz, sowohl aufgrund des kurzen Zeitfensters und der Möglichkeit der Anfechtung,295 als auch, da eine erfolgreiche Übernahme unwahrscheinlich ist, wenn eine Mehrheit der Hauptversammlung das Angebot nicht nur in seiner aktuellen Form ablehnt, sondern den Vorstand zur endgültigen Abwehr ermächtigt.296 In jedem Fall sind die eng umgrenzten Handlungsspielräume des Vorstands einer deutschen Aktiengesellschaft weit entfernt von den Freiheiten eines amerikanischen Board of Directors zur Abwehr einer Übernahme auch gegen den Willen der Aktionäre.
V. Zwischenergebnis: Umgang mit Übernahmesituationen in Delaware und Deutschland Das deutsche Recht schützt die Entscheidungskompetenz der Aktionäre in hohem Maße,297 in deutlich höherem Maße als die Delaware Rechtsprechung die dortigen Aktionäre. Dies widerspricht augenscheinlich der grundsätzlich geltenden Priorität, die die Aktionäre in Delaware genießen. Doch obwohl grundsätzlich die „stockholders“ in Delaware deutlich den übrigen „stakeholders“ gegenüber bevorzugt werden, darf ein Board of Directors in einer Abwehrsituation die Interessen von Gruppen wie Gläubigern, Kunden oder Angestellten des Unternehmens „and perhaps even the community generally“ in Betracht ziehen, wenn es sich zur Vertei291 s. auch z. B. Ralf Thaeter, Zur Abwehr feindlicher Übernahmeversuche im RegE eines Gesetzes zur Regelung von öffentlichen Angeboten zum Erwerb von Wertpapieren und von Unternehmensübernahmen, Neue Zeitschrift für das Gesellschaftsrecht 2001, 789, S. 590; Hartmut Krause, Die Abwehr feindlicher Übernahmen auf der Grundlage von Ermächtigungsbeschlüssen der Hauptversammlung, Betriebs-Berater 2002, 1053, S. 1057. 292 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 189 ff. 293 § 16 Abs. 4 WpÜG. 294 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 193 f. 295 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 191. 296 Selbstverständlich kann ein solcher Ad-Hoc Beschluss aus Sicht des Vorstands in zahlreichen Szenarien dennoch sinnvoll sein kann. 297 s. z. B. Röh, § 33 WpÜG, Frankf. Komm. WpÜG (2008), Rn. 26; Pötzsch/Krause, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Assmann/Pötzsch/Schneider) (2013), Rn. 8.
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4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
digung gegen ein Angebot entscheidet.298 In Deutschland hingegen hat der Vorstand, mit Ausnahme bestimmter Extremsituationen, keinerlei Entscheidungsgewalt über eine Abwehr. Ein Grund mögen die traditionell aktiveren und zum Teil sehr kurzfristig orientierten Aktionäre in den USA sein. Insbesondere im Zusammenhang mit der „Takeover-Ära“ der 1980er Jahre gelangten die Gerichte in Delaware zu der Überzeugung, dass die Unternehmensführung einen gewissen eigenen Spielraum zur Abwehr von Übernahmen auch gegen den Willen der Aktionäre erhalten musste. Zahlreiche gesunde Unternehmen drohten sonst beispielsweise der spekulativen M&A-Arbitrage von Aktionären zum Opfer zu fallen, deren Anlagestrategien ausschließlich auf kurzfristigem Gewinn, nicht auf langfristigen Unternehmensentwicklungen beruhen, die aber – ohne Weiteres – als Aktionäre die gleichen Rechte genießen wie langfristige Investoren.299 Das deutsche Übernahmerecht hingegen beruht eher auf der Annahme, dass die Aktionäre noch eher als die Unternehmensführung langfristiges Interesse an einem prosperierenden Unternehmen haben.300 Die richterliche Betrachtung des Handelns von Vorstand und Aufsichtsrat in Übernahmesituationen entspricht in Deutschland dabei allerdings tatsächlich § 93 Abs. 1 Satz 2.301 Das „omnipresent specter“ der Eigeninteressen der Geschäftsleitung in diesem Zusammenhang werden zwar anerkannt,302 doch eine Einschränkung des unternehmerischen Ermessens ergibt sich aus den Geboten und Verboten, die Gesetzgebung und Rechtsprechung den Gesellschaftsorganen klar auferlegt haben303 (widerrechtliches Handeln liegt in jedem Fall außerhalb des unternehmerischen Ermessens),304 nicht aus einer grundlegend anderen Beurteilung durch das Gericht.305 298 In Unocal bezog der Delaware Supreme Court diese Stakeholder-Interessen explizit in die Beurteilung des Effekts auf das Unternehmen mit ein. Unocal, 493 A.2d 946 (1985), S. 955. Dies ändert sich lediglich, wenn ein Verkauf des Unternehmens beschlossen ist – unter Revlon sind alle anderen Interessen, auch die der Gläubiger, explizit den Interessen der Aktionäre untergeordnet. Revlon, 506 A.2d 173 (1986), S. 182. Vgl. auch Bainbridge, Revlon-Land, 81 Fordham L. Rev. 3277 (2013), S. 3315. 299 Vgl. z. B. Mark Mitchell/Lasse Heje Pedersen/Todd Pulvino, Slow Moving Capital – Working Paper 12877, National Bureau Of Economic Research (2007). 300 s. z. B. Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 70. 301 Diese Sicht deckt sich mit der wohl überwiegenden Meinung im Schrifttum, dass § 93 Abs. 1 Satz 2 in Übernahmesituationen anwendbar ist. Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 147; Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 105; Pötzsch/Krause, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Assmann/Pötzsch/Schneider) (2013), Rn. 185. 302 Vgl. z. B. Maier-Reimer, Verhaltenspflichten, ZHR 2001, S. 266; Mülbert/Birke, Übernahmerechtliches Behinderungsverbot, WM 2001, S. 716 f.; Kay-Michael Schanz, Feindliche Übernahmen und Strategien der Verteidigung, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2000, 337, S. 338; Grunewald, § 33 WpÜG, Komm. WpÜG (Baums/Thoma) (2015), Rn. 10; Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 69. 303 Schlitt/Ries, WpÜG § 33, Münch. Komm. AktG (2011), Rn. 147. 304 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 74.
C. Enhanced Scrutiny
173
Die Faktoren, die das Recht in Deutschland und in Delaware in Übernahmesituationen voneinander unterscheiden, spiegeln grundsätzliche Differenzen zwischen den beiden Rechtssystemen wider, die sich auch im Zusammenhang mit der Business Judgment Rule und Entire Fairness zeigen: Das Recht in Delaware versucht den möglichen Interessenkonflikten durch eine Verengung des Spektrums akzeptablen Handelns gerecht zu werden, erlaubt den Gerichten nach einer Betrachtung der Entscheidungsfindungsprozesse aber nach wie vor lediglich die Feststellung, ob die Directors innerhalb dieses Spektrums gehandelt haben. Alles Handeln innerhalb des Spektrums liegt im freien unternehmerischen Ermessen des Board of Directors. Das deutsche Recht hingegen beruht auch an dieser Stelle auf einer tieferen inhaltlichen Beurteilung und Bewertung der Entscheidungen des Vorstands durch das Gericht und auf festen Regeln für dieses Handeln, deren Einhaltung das Gericht konkret überprüfen kann. Möglichen Interessenkonflikten des Vorstands kann dabei lediglich ex-ante durch die spezifische Gesetzgebung zu Übernahmesituationen, sowie durch die generellen gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Organmitglieder begegnet werden. Durch die Beschränkung der Befugnisse des Vorstands und seinem Zwang zur Passivität scheint der Gesetzgeber sicherstellen zu wollen, sich auf die Erfüllung dieser Pflichten verlassen zu können.306 Er verstärkt die Einhaltung der Pflichten durch die Möglichkeit der Ahndung ihrer auch nur fahrlässigen Verletzung als Ordnungswidrigkeit. Das Vertrauen des Gesetzgebers in die Eignung dieser Regeln äußert sich zum Beispiel auch darin, dass zwar der Vorstand bei der Durchführung von per Vorratsbeschluss zuvor genehmigten Abwehrmaßnahmen die Zustimmung des Aufsichtsrats einholen muss (da der Vorstand Interessenkonflikten unterliegen könnte),307 die möglichen Interessenkonflikte des Aufsichtsrats in seiner Kontrollfunktion aber unbeachtet bleiben. Doch gerade in Übernahmesituationen ist zweifelhaft, dass Aufsichtsratsmitglieder ihre Neutralität vollständig wahren können, denn sowohl für Anteilseigner- als auch insbesondere für Arbeitnehmervertreter kann der Verkauf der Gesellschaft von großer persönlicher Relevanz sein. Das „omnipresent specter“ des Selbstschutzes findet in der deutschen Rechtslage somit kaum Beachtung. 305 Aber vgl. auch z. B. Heribert Hirte, Verteidigung gegen Übernahmeangebote und Rechtsschutz des Aktionärs gegen die Verteidigung, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2002, 623, S. 642; Hopt, Grundsatz- und Praxisprobleme, ZHR 2002, S. 428; Martin Winter/Stephan Harbarth, Verhaltenspflichten von Vorstand und Aufsichtsrat de Zielgesellschaft bei feindlichen Übernahmeangeboten nach dem WpÜG, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2002, 1, S. 9. 306 s. z. B. Stumpf, Anwendungsbereich von § 33 I WpÜG, in Forum M&A (2015), S. 69 („Damit führt letztendlich die persönliche Betroffenheit des Vorstands dazu, dass seine Einschätzungsprärogative eingeschränkt und er durch die gesellschaftsrechtliche Neutralitätspflicht dazu angehalten wird, dem zumindest latent bestehenden Interessenkonflikt durch ein Höchstmaß an Passivität zu begegnen.“). 307 Vgl. z. B. Ralf Thaeter/Daniel Barth, RefE eines Wertpapier- und Übernahmegesetzes, Neue Zeitschrift für das Gesellschaftsrecht 2001, 545, S. 549.
174
4. Teil: Richterliche Beurteilung der gesellschaftsrechtlichen Pflichteinhaltung
§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG ist besser zur Entdeckung von Interessenkonflikten geeignet als die Business Judgment Rule in Delaware, da sie eine objektive Betrachtung des Unternehmensinteresse durch das Gericht vorsieht.308 Doch können es die geringen Anforderungen an die Darlegungslast der Kläger vor der Beweislastumkehr gemäß § 93 Abs. 2 Satz 2 den Vorstandsmitgliedern fast unmöglich machen, zu beweisen, dass kein Konflikt besteht, denn der Verdacht des impliziten Interessenkonflikts in einer Übernahmesituation erschwert den Beweis des sorgfältigen Handelns. Dies gilt umso mehr, da jedes Handeln, das zur Vereitelung geeignet wäre, in der Regel bereits als Pflichtverletzung zu werten ist, eine Anwendung von § 93 Abs. 1 Satz 2 somit verhindert und das Handeln des Vorstands damit vollständig, inhaltlich gerichtlich überprüfbar wird.
D. Fazit: Unterschiede in der richterlichen Beurteilung gesellschaftsrechtlicher Pflichteinhaltung in Delaware und Deutschland Zur Business Judgment Rule und ihren zwei wesentlichen Abwandlungen, Entire Fairness und Enhanced Scrutiny, bestehen in Deutschland letztendlich keine vergleichbaren Rechtsinstrumente. Das Ergebnis ist vor allem ein Mangel an Rechtssicherheit für die verantwortlichen Entscheidungsträger, die sich nicht durch sorgfältige Entscheidungsfindungsprozesse vor möglicher Haftung schützen können. Eine derartige Unvorhersehbarkeit der Haftungsrisiken kann ihr Verhalten nicht sinnvoll steuern und wird ihre Aufmerksamkeit vor allem auf die Vermeidung möglicher Haftung lenken. Die klaren Vorgaben zum Treffen von unternehmerischen Entscheidungen in Delaware bringen die Haftungsvermeidungsinteressen der Entscheidungsträger mit den Interessen des Unternehmens und der Minderheitsaktionäre in Einklang, so dass diese besser geschützt werden können.
308
s. supra, Objektiv/subjektive Beurteilung des Gesellschaftsinteresses (S. 132).
5. Teil
Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten zur Durchsetzung der Innen- und Außenhaftung Neben dem rechtlichen Rahmen für die gerichtliche Betrachtung von unternehmerischen Entscheidung hat die prozessrechtliche Ausgestaltung einen maßgeblichen Einfluss auf die tatsächliche Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aufgrund von Pflichtverletzungen von Directors oder Officers. Aus beiden Faktoren ergibt sich erst die Haftungsrealität, die die Wirksamkeit der Corporate Governance Haftung weitgehend bestimmt. So nützen dem Aktionär in Deutschland seine Ansprüche oft wenig, da ihm der Weg zur Aktionärsklage so erschwert ist, dass er sie letztendlich nicht nutzen kann. In den USA hingegen stehen den Aktionären prozessrechtliche Möglichkeiten zur Durchsetzung von Ansprüchen gegen Directors und Officers zunächst unkompliziert zur Verfügung, einem unangemessenen Haftungsumfang wird hier aber durch die bereits besprochenen Beschränkungen in der gerichtlichen Beurteilung von unternehmerischen Entscheidungen vorgebeugt. Als Beklagte können Directors und Officers einer Vielzahl von Parteien in einem Zivilprozess gegenüber stehen. Insbesondere gesellschaftsrechtliche Ansprüche im Rahmen der Innenhaftung stehen häufig im Mittelpunkt von Klagen durch die Corporation selbst, ihre Aktionäre oder Gläubiger. Doch auch Außenhaftung, insbesondere gegenüber Aktionären, ist ein wesentlicher Teil der Corporate Governance Haftung mit spezifischen prozessrechtlichen Eigenheiten. Während dieser Ausschnitt nicht die Gesamtheit aller Prozessrisiken für Directors und Officers wiedergibt, soll er die für die Corporate Governance Haftung wichtigsten Prozesstypen mit ihren besonderen Merkmalen, Herausforderungen und Vorteilen für die Verbesserung der Corporate Governance beleuchten.
A. Zivilrechtliche Innenhaftung durchgesetzt durch die Gesellschaft Zwar können die Directors und Officers ihrer Corporation gegenüber zu Schadensersatz verpflichtet sein, wenn sie ihre Pflichten ihr gegenüber verletzt haben und der Corporation daraus ein Schaden entstanden ist. Doch verfügt das Board of Directors über einen weiten Ermessensspielraum zur Einleitung dieser Verfahren.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
I. Die Corporation als Klägerin in Delaware Die Corporation kann die ihr von den Directors und Officers geschuldeten Pflichten jederzeit einklagen.1 Das Board of Directors kann zivilrechtliche Schritte gegen Officers und andere Angestellte einleiten, sowie gegen einzelne Directors, wenn diese der Corporation geschadet haben.2 Die Aktionäre des Unternehmens können eine Verfolgung der Ansprüche durch die Corporation nicht erzwingen, das Board of Directors kann über einen Antrag im freien unternehmerischen Ermessen entscheiden.3 Um möglichen Interessenkonflikten vorzubeugen, fällt diese Entscheidung häufig ein unabhängiger Ausschuss des Boards.4 Nur wenn die Directors bei der Entscheidung über die Klage ihr unternehmerisches Ermessen überschreiten (beispielsweise indem sie sich von Fremdinteressen leiten lassen), können die Aktionäre das Recht erlangen, die Klage gegen die Officers im Namen der Corporation selbst anzustrengen.5 Die Gefahr einer Klage durch die Corporation ist daher in Fällen von Corporate Governance Haftung sehr gering.
II. Verpflichtung deutscher Organe zur Anspruchsverfolgung In Deutschland sind Aufsichtsräte spätestens seit der ARAG/Garmenbeck Entscheidung des BGH wesentlich stärker verpflichtet, gegen pflichtwidrig handelnde Vorstände vorzugehen und Ansprüche der Gesellschaft geltend zu machen. Diese Pflicht zum Innenregress bedeutet in der Praxis eine ernstere Gefahr für Vorstände in Deutschland als für Directors und Officers in den USA, zumal dem Aufsichtsrat ein deutlich geringerer Ermessensspielraum bei der Entscheidung eingeräumt wird.6 So muss der Aufsichtsrat eine Abwägung der Aussicht auf Erfolg, des Gesellschaftswohls und anderer relevanter Umstände vornehmen, die bei fundierten Ansprüchen nur „ausnahmsweise“ und „aus übergeordneten Gründen“ zu einer Ablehnung der
1
Schoon v. Smith, 953 A.2d 196 (Del. 2008), S. 201. Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 782 3 Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 782. 4 s. infra, Der Demand (S. 181). 5 s. infra, Demand Futility (S. 183). 6 Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42; BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 25. s. z. B. auch Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht (2006), § 11, Rn. 110; Paefgen, Inanspruchnahme pflichtvergessener Vorstandsmitglieder, AG 2008; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42; Brand/Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012, S. 63; Wagner/Spemann, Organhaftungs- und Strafbarkeitsrisiken, NZG 2015, S. 946; Hasselbach, Verzicht auf Schadensersatzansprüche, DB 2010, S. 2040. Unter bestimmten Umständen kann ein Aufsichtsratsmitglied sogar verpflichtet sein, gegen das eigene Gremium vorzugehen. Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 35. 2
A. Zivilrechtliche Innenhaftung durchgesetzt durch die Gesellschaft
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Geltendmachung der Ansprüche führen soll.7 Im Zweifel kann es hier zu einem Regressanspruch gegen die Aufsichtsratsmitglieder kommen.8 Zudem kann ein deutscher Aufsichtsrat durch einen Beschluss der Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit verpflichtet werden, Schadensersatz gegen Vorstandsmitglieder geltend zu machen.9 Kommt der Aufsichtsrat dieser Pflicht nicht nach, kann er durch eine außerordentliche Hauptversammlung abberufen werden.10 Wie an anderer Stelle betrachtet, laufen deutsche Vorstandsmitglieder entsprechend größere Gefahr, für Fehlverhalten des Unternehmens aufkommen zu müssen, wenn dieses Fehlverhalten auf die unzureichende Erfüllung ihrer Pflichten zurückzuführen ist und dem Unternehmen daraus Schaden entstanden ist, beispielsweise durch Bußgelder oder Schadensersatzpflichten Dritten gegenüber.11 Zudem zählen zum Schaden des Unternehmens neben sehr hohen Strafzahlungen auch die Kosten für aufwändige interne Untersuchungen komplexer Entscheidungs- und Verantwortungskanäle.12 Besonders gefährlich ist der Innenregress für das Vorstandsmitglied, wenn sich der Schaden für das Unternehmen aus Gesetzesverstößen in Bereichen wie dem Bestechungs- oder Kartellrecht ergibt, da die Verstöße häufig auch auf mangelnde Aufsichtsstrukturen, falsche Anreizsysteme oder ähnliche Kompetenzen zurückzuführen ist, für die der Vorstand verantwortlich ist und entsprechende Schadensersatzansprüche enorme Höhen erreichen können.13
III. Zwischenergebnis: Vergleich der direkt verfolgten Innenhaftung in Delaware und Deutschland In den USA ist ein solcher Regressmechanismus zwar grundsätzlich möglich, doch wird er dem Board of Directors nur in sehr ungewöhnlichen Situationen als sinnvoll erscheinen. Tatsächlicher Ausgleich des Schadens durch das Vorstandsmitglied selbst ist in aller Regel nicht denkbar, zu hoch sind die auszugleichenden Kosten, um deren Ausgleich es dem Unternehmen geht. Ein Ausgleich durch den D&O-Versicherer wäre zwar oft denkbar, doch erhöht die Gesellschaft durch das weitere Verfahren, das zur Feststellung der Schuld nötig ist, auch die Gesamtkosten. Je nach Struktur des Versicherungsschutzes können diese den Anteil der Versiche7
Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 255. Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 8. 9 § 147 Abs. 1. s. auch z. B. Lutter, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (2014), Rn. 1026. 10 § 103 AktG. Vgl. auch Mathias Habersack, § 103 AktG – Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 39. 11 s. infra, Vergleichbare Rechtsinstrumente zum Drittschutz in Deutschland (S. 370). 12 s. LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013). 13 s. supra, Eigenständige Pflichten von Vorstand und Aufsichtsrat (S. 61). Zur Diskussion zur Regressreduzierung beispielsweise durch eine Satzungsänderung s. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 398 ff. 8
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
rungszahlung verringern, der der Gesellschaft überhaupt zur Verfügung steht. Zudem müssen im Zweifel Prämienerhöhungen durch die Gesellschaft getragen werden. Letztendlich trägt die Corporation also in jedem Fall die Kosten des Rechtsverstoßes, ein zusätzlicher Schritt über den Regress erhöht diese ohne zusätzliche Vorteile.14 Das Board of Directors wird daher insbesondere bei an sich redlich handelnden Vorstandsmitgliedern in den meisten Fällen zu der Überzeugung kommen, dass die Verfolgung von Regressansprüchen nicht dem Gesellschaftswohl entspricht, und stattdessen Haftungsalternativen verfolgen, die sich beispielsweise in der Entlassung oder Kürzung der variablen Vergütung der verantwortlichen Entscheidungsträger niederschlagen können.
B. Zivilrechtliche Innen- und Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre im Rahmen von Shareholder Representative Actions Aufgrund dieser fehlenden Verpflichtung des Board of Directors, werden Ansprüche gegen Directors oder Officers am häufigsten von den Aktionären, nicht der Corporation durchgesetzt. Die wichtigsten Wege zur Durchsetzung dieser Ansprüche sind zwei Verfahrensarten, in denen ein einzelner Aktionär die Interessen der Corporation bzw. aller anderen gleichgestellten Aktionäre vertritt: die „derivative action“ und die „class action“ angestrengt durch Aktionäre (zusammen auch „shareholder representative actions“ oder „shareholder representative litigation“). In beiden Fällen fungiert ein Aktionär als Hauptkläger oder „lead plaintiff“, dem eine Art Klagevollmacht zugesprochen wird, die Klage im Namen Anderer durchzuführen (im Namen der Corporation im Falle einer Derivative Action, im Namen gleichgestellter Aktionäre bei einer Class Action). Spezielle Vergütungsstrukturen spezialisierter Anwälte führen dazu, dass Einzelaktionäre, die Shareholder Representative Actions einleiten, die Kosten der Prozesse nicht selbst tragen müssen.15 Shareholder Representative Actions sollen nicht primär dem Schadensausgleich im jeweiligen Fall dienen, sondern durch den Einsatz einzelner Aktionäre als „privatrechtliche Staatsanwälte“ („private attorney generals“), Unternehmen und ihre Directors und Officers zu besserer Unternehmensführung und -aufsicht inzentivie14
Der zwingende Selbstbehalt, den Vorstandsmitglieder in Deutschland gemäß § 93 Abs. 2 Satz 3 selbst leisten müssen, ändert diese Rechnung möglicherweise. Angesichts der Diskrepanz zwischen der Höchstgrenze dieses Selbstbehalts, die in den meisten Fällen bei der gesetzlichen Mindestgrenze von anderthalb festen Jahresgehältern liegen wird, und der Höhe des Schadens in vielen Fällen, wird dieser mögliche Beitrag nicht zu einem grundlegend anderen Ergebnis führen. Vgl. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 40. 15 Institutionelle Investoren, die als Lead Plaintiffs fungieren, bedienen sich in aller Regel nicht dieser Anwälte und Vergütungsmodelle. s. infra, Entwicklungen der Shareholder Representative Actions (S. 223).
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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ren.16 Sie führen die Gerichte als Kontrollorgan in das Gesellschaftsrecht ein, denn sie sichern Minderheitsaktionären das Recht, die Corporate Governance eines Unternehmens von einem Gericht prüfen zu lassen.17 In den USA haben dieses Recht sogar Einzelaktionäre, die sonst keinerlei Schutz vor Missbrauch des Unternehmens durch seine Directors oder Officers genießen.18 Auch Vergleiche zur Beilegung von Shareholder Representative Actions müssen von einem Gericht genehmigt werden, um die Wahrung der Interessen der nur indirekt beteiligten Parteien sicherzustellen, so dass die richterliche Kontrolle der rechtlichen Fragestellungen auch ohne ein gerichtliches Urteil gewahrt bleibt.19 Obwohl Derivative Actions die Innenhaftung und Class Actions die Außenhaftung betreffen, haben beide zahlreiche strukturelle Gemeinsamkeiten und betreffen häufig dieselben Sachverhalte und Rechtsfragen. Entsprechend werden sie hier gemeinsam betrachtet.
I. Die Derivative Action Sollte das Board of Directors seiner Pflicht nicht nachkommen, einen Director oder Officer auf Schadensersatz zu verklagen, können die Aktionäre der Corporation das Recht erlangen, die Interessen der Corporation von denen der Directors und Officers zu trennen und einen solchen Prozess an Stelle der Corporation selber anzustrengen. Der Schaden, um den es in einer solchen Derivative Action geht, muss der Corporation zugefügt und die verletzte Pflicht der Corporation geschuldet gewesen sein. In Delaware geht es also um Verletzungen der Duty of Care und der Duty
16 Associated Industries of New York State v. Ickes, 134 F.2d 694 (2d Cir. 1943), S. 704; John C. Coffee, Rescuing the Private Attorney General: Why the Model of the Lawyer as Bounty Hunter Is Not Working, 42 Maryland Law Review 215 (1983), S. 215. Vgl. z. B. Mayer v. Executive Telecard, Ltd., 705 A.2d 220 (Del. Ch. 1997), S. 222, Fn. 3; In re Fuqua Industries, Inc. Shareholder Litigation, 752 A.2d 126 (Del. Ch. 1999), S. 133; Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 2504. Vgl. z. B. auch John C. Coffee, Reforming the Securities Class Action: An essay on deterrence and its implementation, 106 Columbia Law Review 1534 (2006), S. 1536; Sean J. Griffith, Correcting Corporate Benefit: How to Fix Shareholder Litigation by Shifting the Doctrine on Fees, 56 Boston College Law Review 1 (2015), S. 26 (Abschreckung wichtiger als Ausgleich). 17 Seinfeld v. Coker, 847 A.2d 330 (Del. Ch. 2000), S. 333. 18 s. z. B. Surowitz v. Hilton Hotels Corp., 383 U.S. 363 (1966), ein Fall, in dem auch eine Frau mit begrenzten Englischkenntnissen und wirtschaftlichem Verständnis als Hauptklägerin zugelassen wurde, mit der Begründung: „… it is not easy to conceive of anyone more in need of protection against such schemes than little investors like Mrs. Surowitz.“ S. 371. s. auch In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), in dem eine Klägerin zugelassen wurde trotz Bedenken über ihre kognitiven Zustand nach langer, schwerer Krankheit im Laufe des damals bereits acht Jahre andauernden Verfahrens. S. 12. Vgl. auch Daniel J. Morrissey, Shareholder Litigation after the Meltdown, 114 West Virginia Law Review 531 (2011), S. 561. 19 Fed. R. Civ. P. 23(e); Del. Ct. Ch. R. 23(c) & (e).
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of Loyalty.20 Alle Ansprüche, die sich aus einem Urteil ergeben, stehen der Corporation zu.21 Es handelt sich dabei häufig nicht um Zahlungen, sondern um „therapeutische“ Maßnahmen, beispielsweise in Form von Corporate Governance Reformen.22 Da der Aktionär in diesem Fall an sich keine eigene Klageberechtigung („standing“) hätte, sondern seine Rechte als Kläger aus den Rechten der Corporation abgeleitet sind, im Englischen „to derive“, werden solche Prozesse als „derivative actions“ bezeichnet.23 Dieses Recht der Aktionäre, die Interessen der Corporation auch vor Gericht durchzusetzen, ist im englischen Recht schon Anfang des vierzehnten Jahrhunderts dokumentiert.24 Im Laufe der Jahrhunderte, insbesondere im Zuge der Veränderungen der Gesellschaftsstrukturen durch die industrielle Revolution, gewann dieses Standing der Aktionäre immer größere Bedeutung, um Unternehmen vor Missbrauch durch das Management zu schützen.25 Bis heute wird sie als eine solche Notlösung betrachtet, „to prevent an otherwise complete failure of justice“.26 Da bei einer Derivative Action die Gesellschaft die geschädigte Partei ist, kann sie auch bei etwaigen Entlastungsvereinbarungen mit ihren Directors und Officers nicht für Entschädigungen aufkommen. D&O-Versicherungen können die Directors und Officers aber grundsätzlich schützen.
20 Production Resources Group, LLC v. NCT Group, Inc., 863 A.2d 772 (Del. Ch. 2004), S. 797. 21 Bokat v. Getty Oil Company, 262 A.2d 246 (Del. 1970), S. 249 f.; Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 811; Levine v. Smith, 591 A.2d 194 (Del. 1991), S. 200. 22 Vgl. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 10; Deborah A. Demott, Shareholder Derivative Actions – Law and Practice (2016), § 7:6. 23 Kläger ist dabei aber der Aktionär selber, nicht die Corporation. Die Fälle haben daher Namen wie z. B. „Brehm v. Eisner“ statt „Disney v. Eisner“, obwohl die von William Brehm angeführten Aktionäre in diesem Fall im Namen von The Walt Disney Company klagten. Die Corporation gilt dabei zusätzlich zu den Beklagten als „nominal defendant“. s. z. B. Brehm, 746 A.2d 244 (2000). Der Begriff „double derivative action“ bezeichnet eine Klage, in der ein Aktionär des Mutterunternehmens eine Klage im Namen eines Tochterunternehmens führt, wobei die Regeln für die Zulässigkeit einer solchen Klage von Staat zu Staat sehr unterschiedlich sind. 24 Schoon, 953 A.2d 196 (2008), S. 201. In den USA ist die Derivative Action spätestens seit dem Jahr 1855 fest etabliert. Vgl. Lawrence A. Hamermesh, A Most Adequate Response to Excessive Shareholder Litigation, 45 Hofstra Law Review 147 (2016), S. 152. 25 Schoon, 953 A.2d 196 (2008), S. 201. 26 Schoon, 953 A.2d 196 (2008), S. 201, zitiert John Norton Pomeroy, A treatise on equity jurisprudence as administers in the United States of America: adapted for all the states and to the union of level and equitable remedies under the reformed procedure (1941), § 1095, S. 278.
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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1. Der Demand Eine Derivative Action besteht aus zwei „Phasen“, zwei unabhängigen rechtlichen Schritten:27 Zunächst müssen die Aktionäre das Recht erlangen, die Corporation vor Gericht zu vertreten, da dieses Recht gesetzlich den Directors und Officers vorbehalten ist28. Erst der zweite Schritt besteht aus dem eigentlichen Prozess der Corporation gegen die Beklagten. Eine Derivative Action greift drastisch in das gesellschaftsrechtliche Grundrecht (und die Grundpflicht) des Board of Directors ein, die Geschäfte der Corporation zu leiten, da die Entscheidung über ein Gerichtsverfahren, insbesondere gegen einen Director oder Officer der Corporation, eine schwerwiegende ist.29 Den Aktionären steht ein solches Recht gewöhnlich ausdrücklich nicht zu. Bevor die Gerichte diese Grundsätze des Gesellschaftsrechts derart einschränken, müssen sie daher überzeugt werden, dass der Eingriff gerechtfertigt ist. Dieser erste Schritt stellt eine signifikante Hürde dar, da Aktionäre zunächst das Board of Directors selber zur Klage auffordern müssen (die Aufforderung zur Klage der „demand“, diese Pflicht der Aktionäre das „demand requirement“).30 In etwa der Hälfte der amerikanischen Staaten, darunter auch Delaware, können die Aktionäre das Demand Requirement umgehen, indem sie belegen, dass eine solche Aufforderung nutzlos gewesen wäre (die Nutzlosigkeit der Aufforderung wird als „demand futility“ bezeichnet).31 Sowohl zur Klärung der internen Frage, ob einem Demand von Seiten der Aktionäre stattgegeben werden sollte, als auch für die Verteidigung vor Gericht gegen einen Klageantrag auf Basis von Demand Futility setzen Boards of Directors in aller Regel ein eigens für den Umgang mit Aktionärsklagen bestelltes „special litigation committee“ ein, das nur aus unabhängigen Outside Directors besteht.32 Ein solches 27
Vgl. Cantor v. Sachs, 162 A. 73 (Del. Ch. 1932), S. 76. Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 782. Vgl. auch Demott, Shareholder Derivative Actions (2016), § 5:9. 29 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 811. Vgl. auch Demott, Shareholder Derivative Actions (2016), § 5:9. 30 Im amerikanischen Wirtschaftsrecht wird das Demand Requirement häufig als „Rule 23.1 Requirement“ bezeichnet, da es sowohl im Zivilprozessrecht des Federal Law als auch in dem vieler Staaten (darunter Delaware) als Zivilprozessregel 23.1 zu finden ist. Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 3796. s. auch Fed. R. Civ. P. Rule 23.1. 31 McKee v. Rogers, 156 A. 191 (Del. Ch. 1931), S. 193; Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 784. 32 Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 788 f. Aufgrund der schwierigen persönlichen Situation, die ihre Rolle für die Mitglieder des Special Litigation Committees bedeutet, wenn sie einer Klage der Corporation gegen die anderen Directors zustimmen müssen, sollten sie, so der vielzitierte Ausdruck des Chancery Courts, nicht nur formal unabhängig, sondern „like Caesar’s wife“ über jeden Verdacht erhaben sein. Lewis v. Fuqua, 502 A.2d 962 (Del. Ch. 1985), S. 967. s. auch z. B. Tremont, 694 A.2d 422 (1997), S. 430; Martha Stewart Living, 845 A.2d 1040 (2004), S. 1055; Walt Disney (Del. Ch.), 907 A.2d 693 (2005), S. 711 Fn. 106. Vgl. In re Oracle Corp. Derivative Litigation, 824 A.2d 917 (Del. Ch. 2003), S. 940. Ob ein Gericht den Ent28
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
Special Litigation Committee soll nicht nur im Sinne guter Corporate Governance sicherstellen, dass die Entscheidungsfindung tatsächlich unabhängig von Interessenkonflikten erfolgt, sondern auch bewirken, dass dies einem Gericht gegenüber offensichtlich ist.33 Eine Studie der Jahre 1993 bis 2006 ergab, dass sich Special Litigation Committees börsennotierter Unternehmen in knapp 10 % für eine Verfolgung der Klage entschieden, in gut 30 % einen Vergleich einleiteten und nur in knapp 60 % der Fälle eine Abweisung des Antrags der Kläger beantragten.34 Sie fungieren also nicht lediglich als Schutzschild für die übrigen Directors.35
2. Notwendigkeit des Demand Sofern die zur Klage entschlossenen Aktionäre entweder verpflichtet sind oder sich freiwillig entscheiden, einen Demand an das Board of Directors zu richten, liegt das weitere Vorgehen in den Händen der Directors. Auch hierfür ist in aller Regel ein Special Litigation Committee verantwortlich.36 Sollte das Board of Directors der Klageaufforderung der Aktionäre Folge leisten, so strengt das Unternehmen unter der Führung seiner Directors und Officers (oder des Special Litigation Committee des Board of Directors) den jeweiligen Prozess selber an.37 Die Aktionäre haben in Folge kein Recht, die Corporation in der gleichen Sache zu vertreten.38 Die Derivative Action erstickt damit im Keim, der Prozess wird von der Corporation und in ihrem Namen direkt geführt.39 Doch auch, wenn das Board of Directors die Aufforderung zur Klage zwar erwägt, aber im Rahmen seines unternehmerischen Ermessens ablehnt (also ohne dabei die Duty of Care oder Duty of Loyalty zu verletzen), können die Aktionäre die Klage nicht weiterverfolgen, da die Directors von der Business Judgment Rule geschützt scheidungen eines Special Litigation Committees letztendlich zustimmt, liegt aber selbst bei erwiesener Unabhängigkeit der Mitglieder im freien Ermessen des Richters. Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 789. 33 Für eine detaillierte Beschreibung der Faktoren, die der Chancery Court in der Beurteilung eines Special Litigation Committees und dessen Entscheidungen aufnimmt, s. z. B. London v. Tyrrell, 2010 WL 877528 (Del. Ch. 2010), S. *30 ff.; s. auch Oracle, 824 A.2d 917 (2003), S. 938 ff. 34 Minor Myers, The Decisions of the Corporate Special Litigation Committees: An Empirical Investigations, 84 Indiana Law Journal 1309 (2009), S. 1320. Zur Kritik an Special Litigation Committees s. z. B. Hamermesh, Adequate Response, 45 Hofstra L. Rev. 147 (2016), S. 160 ff. 35 Vgl. Myers, Decisions of Special Litigation Committees, 84 Ind. L.J. 1309 (2009), S. 1320. 36 s. z. B. Thorpe v. CERBCO, Inc., 611 A.2d 5 (Del. Ch. 1991), S. 8; Scattered Corp. v. Chicago Stock Exchange, Inc., 701 A.2d 70 (Del. 1997) S. 71. 37 s. z. B. Black v. Hollinger International, Inc., 872 A.2d 559 (Del. 2005), S. 562. Vgl. auch Demott, Shareholder Derivative Actions (2016), § 5:14 ff. 38 Scattered, 701 A.2d 70 (1997) S. 74 f. 39 Grimes, 673 A.2d 1207 (1996), S. 1216.
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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sind.40 Nur wenn es den Klägern gelingt, darzulegen, dass die Business Judgment Rule beispielsweise aufgrund eines Interessenkonflikts nicht greift, und die Ablehnung der Klage erfolgreich anfechten, kann es trotz der Ablehnung durch das Board of Directors zur Derivative Action kommen.41 Das Demand Requirement stellt für das Gericht somit in erster Linie sicher, dass das Board of Directors von den Beschwerden der Aktionäre weiß und, soweit sie gerechtfertigt sind, eine Klage entweder selber verfolgen kann (die effizienteste Lösung) oder auch andere Lösungsansätze beispielsweise durch interne Reformen bemühen kann, die der Corporation einen teuren Prozess ersparen können.42 Eine Entmachtung des Board of Directors und Klageführung durch die Aktionäre und das damit einhergehende Außerkraftsetzen gesellschaftsrechtlicher Grundsätze wird von den Gerichten nur in Ausnahmefällen zugelassen. 3. Demand Futility Es gibt jedoch viele Fälle, in denen die Beschwerde eines Aktionärs zwar gerechtfertigt erscheint, aber nicht zu erwarten ist, dass das Board of Directors sie weiterverfolgen wird, beispielsweise weil die Klage die Directors selber betrifft, oder aufgrund anderer Interessenkonflikte. In diesen Fällen können die Aktionäre in vielen Staaten das Demand Requirement umgehen.43 Um das Recht zur Klage ohne vorherigen Demand zu erhalten, müssen die klagenden Aktionäre zeigen, dass eine Aufforderung zur Klage voraussichtlich vergeblich gewesen wäre („demand futility“). Hierfür müssen sie substantiiert darlegen („plead with particularity“), dass ein vertretbarer Zweifel („reasonable doubt“) entweder daran besteht, dass die Directors unabhängig und unvoreingenommen („independent“ und „disinterested“) sind, oder daran, dass die strittige Transaktion unter den Schutz der Business Judgment Rule fällt, da die Klage dann zu einer persönlichen Haftung der Directors führen könnte und damit ein natürlicher Inter-
40 Stotland v. GAF Corp., 469 A.2d 421 (Del. 1983), S. 423; Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 813. 41 s. z. B. Rales, 634 A.2d 927 (1993), S. 932; Grimes, 673 A.2d 1207 (1996), S. 1218 f.; Scattered, 701 A.2d 70 (1997) S. 74 f.; Martha Stewart Living, 845 A.2d 1040 (2004), S. 1048; Wood v. Baum, 953 A.2d 136 (Del. 2008), S. 140; Rich ex rel. Fuqi International, Inc. v. Chong, 66 A.3d 963 (Del. Ch. 2013), S. 978. Zur Schwierigkeit dieses Nachweises s. z. B. George S. Geis, Shareholder Derivative Litigation and the Preclusion Problem, 100 Virginia Law Review 261 (2014), S. 274. 42 Grimes, 673 A.2d 1207 (1996), S. 1216. Da die meisten zugelassenen Derivative Actions, nicht zu Ausgleichszahlungen sondern zu Transaktions- oder Strukturreformen führen, bieten derartige Alternativen häufig eine besonders effiziente Art der Beilegung. Vgl. auch Demott, Shareholder Derivative Actions (2016), § 5:9. 43 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 814.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
essenkonflikt vorläge.44 Besteht ein begründbarer Zweifel an der Unabhängigkeit der Directors, z. B. aufgrund eines persönlichen Konflikts, so liegt die Vermutung nahe, dass ihre Entscheidung zu klagen (oder nicht zu klagen) von Fremdinteressen beeinflusst sein könnte. Können die klagenden Aktionäre Demand Futility darlegen, so sind sie von der Auflage befreit, zunächst das Board of Directors zu einer Klage zu bewegen und können die Klage zur Derivative Action direkt selbst einreichen.45 Die Gerichte vertreten somit die Ansicht, dass Directors und Officers nicht mit einem Prozess im Namen der Corporation betraut werden können, wenn es Einflüsse gibt, die ihr unternehmerisches Ermessen „sterilisieren“.46 Mehr und mehr Staaten stehen der Demand Futility inzwischen kritisch gegenüber und setzen das Demand Requirement in jedem Fall voraus, um die ordentliche Gesellschaftsstruktur und Entscheidungshoheit der Directors vor klagefreudigen Minderheiten zu schützen.47 In diesen Staaten wird eine Klage also entweder vom Board of Directors übernommen, oder das Board of Directors weigert sich, die Klage zu verfolgen. Die Aktionäre müssen dann ein Gericht überzeugen, dass diese Weigerung unrechtmäßig erfolgt ist, um eine Derivative Action einleiten zu können. Noch erlaubt eine knappe Mehrheit der Staaten, darunter auch Delaware, den Ak-
44
Die Delaware Rechtsprechung zu diesem Thema beruht ganz wesentlich auf Zapata, 430 A.2d 779 (1981), S. 779 und Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 805. Vgl. Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 256; Martha Stewart Living, 845 A.2d 1040 (2004), S. 1048. 45 Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 257. Auch nachdem das Gericht der Klage der Aktionäre stattgegeben und sie vom Demand Requirement befreit hat, kann das Board of Directors diese Einschätzung durch ein Special Litigation Committee prüfen lassen. Stimmt das Special Litigation Committee dem Gericht und den Aktionären zu, würden die Directors ihre Pflichten verletzen, wenn sie der Klage nicht ebenfalls zustimmen. Kommt es aber zu dem Schluss, dass die Klage ungerechtfertigt oder nicht im Interesse des Unternehmens ist, so müssen die Aktionäre ihr Recht zur Derivative Action ein weiteres Mal gerichtlich durchsetzen, indem sie darlegen, dass das Special Litigation Committee seine Aufgabe nicht pflichtgemäß erfüllt hat oder erfüllen konnte, beispielsweise durch mangelnde Unabhängigkeit. Zapata, 430 A.2d 779 (1981) 779; s. auch Oracle, 824 A.2d 917 (2003), S. 939 f.; Martha Stewart Living, 845 A.2d 1040 (2004), S. 1055; London, 2010 WL 877528 (2010), S. *30. 46 Aronson, 473 A.2d 805 (1984), S. 814. Sofern die Begründung der Demand Futility darin liegen soll, dass die strittige Transaktion nicht von der Business Judgment Rule geschützt war, muss diese Frage zum Teil bereits in diesem frühen Stadium des Verfahrens vorverhandelt werden, wenn auch mit geringeren Anforderungen an die Beweisführung. 47 s. z. B. Boland v. Engle, 113 F.3d 706 (7th Cir. 1997), S. 712; In re Guidant Shareholders Derivative, 841 NE 2d 571 (Ind. 2006), S. 574; Boland v. Boland, 31 A.3d 529 (Md. 2011), S. 550, Fn. 25. Das Gericht stellte hier auch fest, dass klagende Aktionäre, solange die Möglichkeit von Demand Futility besteht, mit Einreichen eines Demands eingestehen, dass sie der Entscheidungsfindung des Board of Directors vertrauen. Gäbe es offensichtliche Gründe an seiner Unbefangenheit zu zweifeln, hätten sie Demand Futility beantragen können. Sollte das Board dem Demand nicht nachkommen, müssten sie nun den deutlich schwierigeren Nachweis erbringen, dass diese Entscheidung nicht den Schutz der Business Judgment Rule genießen könne. Vgl. auch Radin, Business Judgment Rule (2008), S. 3799 & 4556 ff. Auch das American Law Institute sieht in seinen Mustergesetzen keine Demand Futility vor. The American Law Institute (Hrsg.), Principles of Corporate Governance (2008), § 7.03.
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tionären allerdings, sich direkt mit einem auf Demand Futility beruhenden Antrag an das Gericht zu wenden, ohne dem Demand Requirement nachzukommen.48
II. Die Class Action Geschädigte Aktionäre können auch im eigenen Namen gegen die Corporation und ihre Directors und Officers klagen, um Schadensersatz zu fordern, wenn sie selber durch falsches Handeln der Corporation oder ihrer Führung Schaden erlitten haben. Die von den Directors und Officers einer Corporation wohl gefürchtetste Form der Klage neben der Derivative Action ist eine von Aktionären geführte Class Action aufgrund von Aktienkursverlusten. Sie beruht auf der Annahme, dass selbst bei einem erheblichen Gesamtschaden kein Einzelaktionär, der nur einen kleinen Teil dieses Schadens persönlich erlitten hat, die Kosten eines Verfahrens auf sich nähme, so dass die Aktionäre den Schaden nicht nur akzeptieren müssten, sondern das Fehlverhalten aus Sicht des Unternehmens womöglich als effizient und wirtschaftlich sinnvoll wirken könnte.49 Durch das Zusammenfassen aller Ansprüche und die im Weiteren dargelegten Vergütungsmodelle der Anwälte,50 sollen Class Actions diesem sowohl ausgleichend als auch generalpräventiv entgegenwirken.51 Anspruchsberechtigte Geschädigte können in den meisten Fällen selbst entscheiden, ob sie sich an der Class Action beteiligen wollen, oder ob sie austreten („opt out“) und mögliche Forderungen stattdessen eigenständig verfolgen können wollen (in einer sogenannten „opt-out action“).52 In einigen Fällen kann diese Wahl noch bis nach Bekanntgabe der verhandelten Einigung ergehen.53 Als Instrument der Aktionäre ist die Class Action im Gegensatz zur Derivative Action noch ein relativ neues Verfahren. Erst seit den 1960er Jahren können einzelne Aktionäre ihre persönlichen Forderungen gegen das Unternehmen und seine Di48 Vgl. Demott, Shareholder Derivative Actions (2016), § 5:9; The American Law Institute (Hrsg.), Principles of Corporate Governance (2008), § 7.03. 49 In diese Berechnung müssen allerdings Kollateralschäden wie beispielsweise die Reputation am Kapitalmarkt sowie die Möglichkeit von straf- und verwaltungsrechtlichen Sanktionen einbezogen werden. 50 s. infra, Plaintiffs’ Attorneys (S. 196). 51 Vgl. z. B. Barbara Black, Eliminating Securities Fraud Class Actions under the Radar, 2009 Columbia Business Law Review 802 (2009); Brian T. Fitzpatrick, The End of Class Actions?, 57 Arizona Law Review 161 (2015), S. 196. 52 Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797 (1985), S. 812. s. z. B. auch David Betson/ Jay Tidmarsh, Optimal Class Size, Opt-Out Rights, and „Indivisible“ Remedies, 79 George Washington Law Review 542 (2011). Vgl. auch Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014), S. 382 ff.; Cornerstone Research/Amir Rozen/Joshua B. Schaeffer/Christopher Harris, Opt-Out Cases in Securities Class Action Settlements, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2013). 53 Fed. R. Civ. P. Rule 23(e). Vgl. z. B. Rhonda Wasserman, The Curious Complications with Back-End Opt-Out Rights, 49 William & Mary Law Review 373 (2007).
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
rectors und Officers in Class Actions zusammenfassen.54 Im Unterschied zur Derivative Action ist die Gesellschaft aber bei einer Class Action nicht anspruchsberechtigt – im Gegenteil, sie ist in aller Regel die primäre Gegnerin der Klage. Der Anwendungsbereich der Class Action ist nicht auf die Aktionärsklage beschränkt. Directors, Officers und Corporations können ihnen in anderen Zusammenhängen ausgesetzt sein, zum Beispiel im Zusammenhang mit Produkt- oder Umwelthaftung, Arbeitnehmerschutz und ERISA. An dieser Stelle soll aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Corporate Governance Haftung aber die von Aktionären angestrengte Class Action im Vordergrund stehen. Class Actions angestrengt durch Aktionäre basieren häufig auf dem Kapitalmarktrecht, zumeist unter Bezugnahme auf das Federal Law.55 Sie sind unter amerikanischen Directors insbesondere aufgrund der beispiellosen Zahlungen aus den Privatvermögen der Outside Directors in den zwei Securities Class Actions WorldCom und Enron besonders gefürchtet.56 Obgleich sich solche Zahlungen in den folgenden Jahren nicht wiederholt haben, verfolgen Aktionäre ihre Ansprüche noch immer auf diesem Weg: In den letzten Jahren wurden jährlich zwischen 150 und 200 solcher Sammelklagen bei den Federal Courts eingereicht.57 Doch auch Klagen auf Basis des Gesellschaftsrechts und angeblichen Verletzungen der Fiduciary Duties werden häufig in der Form von Class Actions geführt.58 Obwohl die Directors und Officers auch in den USA ihre Fiduciary Duties dem Unternehmen und nicht den Aktionären schulden, können diese eigene Ansprüche einklagen, wenn sie durch eine Pflichtverletzung persönlich geschädigt worden sind.59 Solche gesellschaftsrechtlichen Ansprüche spielen vor allem im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen eine Rolle, die lange ausnahmslos Class Actions
54 Vgl. z. B. Morrissey, Shareholder Litigation after the Meltdown, 114 W. Va. L. Rev. 531 (2011), S. 574; Hamermesh, Adequate Response, 45 Hofstra L. Rev. 147 (2016), S. 163. 55 Securities Class Actions nach State Law werden hier nicht betrachtet, zumal sie aufgrund der im Weiteren beschriebenen Reformen im Federal Law ihre Bedeutung fast vollkommen verloren haben. s. infra, Reformen der Shareholder Representative Actions (S. 207). Vgl. auch Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489; Jennifer Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 University of Cincinnati Law Review 349 (2012), S. 373. 56 s. infra, Enron und WorldCom als Ausnahmen (S. 190). 57 Cornerstone Research, Class Action Filings 2014 (2015), S. 4. Mehrere Klagen gegen das gleiche Unternehmen, die auf denselben Anschuldigungen beruhen, werden hier nur als eine Klage gezählt. Der Durchschnitt von 189 bezieht sich auf die Jahre 1997 – 2014, wobei er seit 2009 mit jedem Jahr weiter gesunken ist. 58 Eine vergleichbare Klage ist in Deutschland auch auf individueller Basis nicht möglich, da Verletzungen der dem Unternehmen geschuldeten Pflichten ausschließlich im Innenverhältnis ausgeglichen werden. Die geschädigten Aktionäre erhalten Wiedergutmachung also nur indirekt über ihre Beteiligung an der Gesellschaft. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 298 & 300. 59 Blue Chip Stamps, 421 U.S. 723 (1975).
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zur Folge hatten.60 Minderheitsaktionäre greifen insbesondere Transaktionen zwischen der Gesellschaft und einem Mehrheitsaktionär oft mit Hilfe von Class Actions an.61 In diesen Fällen lautet die Klagebegründung in aller Regel, dass die Pflichtverletzung der jeweiligen Directors zur Minderung des Wertes der Unternehmensanteile oder, im Fall von Verkäufen, zur Minderung des Kaufpreises geführt haben, so dass die Aktionäre ihre Klage auf einen eigenen wirtschaftlichen Schaden stützen können.62 Der Hauptkläger („lead plaintiff“) einer Class Action und ein Anwalt („plaintiffs’ attorney“) vertritt die sogenannte „class“, eine Gruppe gleichgestellter geschädigter Personen, die ebenso betroffen und ebenso anspruchsberechtigt sind wie der Hauptkläger. Tatbestände und mögliche Verteidigungen müssen sich so weit gleichen, dass ein Gericht sie nicht einzeln betrachten muss.63 Außerdem muss die Zahl der Geschädigten so groß sein, dass ein gemeinsames Auftreten vor Gericht nicht praktikabel wäre.64 Selbst wenn einzelne Geschädigte vielleicht nicht identische Klagen vorgebracht hätten, darf das Gericht der Zusammenfassung als Class zustimmen („class certification“), wenn die gemeinsamen Fragestellungen von überwiegender Bedeutung für alle Verfahren sind.65 In Securities Class Actions zeichnen sich die Mitglieder der Class in aller Regel unter anderem dadurch aus, dass sie im für die Klage relevanten Zeitraum (in der „class period“) die betroffenen Wertpapiere des Unternehmens erworben haben und dadurch zur Klage berechtigt sind.66 60 s. infra, M&A Class Actions (State Law) (S. 192). Vgl. auch Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 13; Jill E. Fisch/Sean J. Griffith/Steven M. Davidoff Solomon, Confronting the Peppercorn Settlement in Merger Litigation: An Empirical Analysis and a Proposal for Reform, 93 Texas Law Review 557 (2015), S. 579; Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489; Cornerstone Research/Olga Koumrian, Shareholder Litigation Involving Acquisition of Public Companies – Review of 2014 M&A Litigation, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2015), S. 1. 61 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1089. Aber s. auch Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 13. 62 Blue Chip Stamps, 421 U.S. 723 (1975). 63 Fed. R. Civ. P. Rule 23(a)(2) & (3). Die Delaware Court of the Chancery Rules entsprechen den Federal Rules of Civil Procedure hier weitgehend. 64 Fed. R. Civ. P. Rule 23(a)(1). 65 Fed. R. Civ. P. Rule 23(b)(3). 66 Ein Kritikpunkt großer Securities Class Actions gilt der unbeabsichtigten aber häufig unverhältnismäßigen Benachteiligung der Angestellten der beklagten Gesellschaft, die oft eine der größten Aktionärsgruppen bilden, aber, wenn überhaupt, nur in geringem Maße der Class der klagenden Aktionäre angehören. Da sie ihre Unternehmensanteile in regelmäßigen Abständen erhalten, wird ein großer Teil davon insbesondere bei langjährigen Mitarbeitern außerhalb der Class Period in ihren Besitz übergegangen sein, da diese im Durchschnitt weniger als ein Jahr beträgt. Vgl. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1560. Obwohl sie daher einen höchstens geringen Anteil am positiven Ausgang der Class Action haben können, tragen sie die Kosten nicht nur als Aktionäre außerhalb der Class, sondern sind dem wirtschaftlichen Schaden, den das Unternehmen durch die Class Action erleiden kann, als Arbeitnehmer ausgesetzt. Im Falle einer Insolvenz, die auf ein Fehlverhalten der Directors oder Officers zurückgeht, haben Plaintiffs’ Attorneys begonnen, separate Class
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Die Mitglieder selber müssen vor Beginn der Class Action nicht handeln, bei großen und anonymen Gruppen von Geschädigten erfahren sie beispielsweise durch Zeitungsanzeigen von der Class Action, so dass sie bei Bedarf aus der Class austreten können.67 Gleiches gilt bei der in Shareholder Representative Actions üblichen Beilegung der Class Action durch einen Vergleich, den einzelne Mitglieder der Class allerdings nicht akzeptieren müssen, wenn sie es vorziehen, ihre Ansprüche einzeln durchzusetzen.68 Da der Vergleich auf die Mitglieder der Class bindend wirkt, steht er unter dem Genehmigungsvorbehalt des Gerichts, das ihn auf Angemessenheit und Fairness prüft.69 Da bei einer Class Action, anders als bei einer Derivative Action, die Aktionäre im eigenen Namen und nicht in dem des Unternehmens klagen, sind hier auch die Haftungsfreistellungsklauseln anwendbar, mit denen die Unternehmen ihre Directors und Officers von möglichen Schadensersatzleistungen freistellen.70 Sollte ein Director im Board of Directors einen Aktionär vertreten, so ist es üblich, dass dieser Aktionär den Director ebenfalls von der Haftung im Zusammenhang mit seinem Mandat freistellt, so dass der Director auch bei Zahlungsausfall der Gesellschaft nicht mit seinem eigenen Vermögen haften muss.71 Außerdem besteht in aller Regel Schutz durch eine D&O-Versicherung, solange der Director sich nicht tatsächlich selber bereichert hat oder die Bereicherung eines anderen wissentlich geduldet und ihr zugestimmt hat.72 Zahlungen aus dem Privatvermögen für Fälle von Corporate Governance Haftung sind daher eine absolute Ausnahme.73 1. Securities Class Actions (Federal Law) Class Actions im Bereich des kapitalmarktrechtlichen Federal Law beruhen meistens entweder auf Section 11 des Securities Act oder Section 10(b) des Exchange Act in Verbindung mit Rule 10b-5.74 Die klassische Schadensersatzforderung beruht dabei auf dem Wertverlust der Anteile, den das Fehlverhalten der Directors
Actions aufgrund der vernichteten Pensionswerte der Angestellten zu führen. s. supra, Sonderfall ERISA Haftung (S. 113). Vgl. auch Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1560. 67 Fed. R. Civ. P. Rule 23(c)(2)(B). 68 Fed. R. Civ. P. Rule 23(e)(4). 69 Fed. R. Civ. P. Rule 23(e)(2). Ein gerichtliches Urteil hingegen ist bindend für alle Mitglieder der Class, die nicht bereits zu Beginn der Class Action aus der Class ausgetreten sind. Fed. R. Civ. P. Rule 23(c)(3)(B). 70 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1090. 71 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1090. 72 Vgl. z. B. John C. Coffee, Entrepreneurial Litigation (2015). 73 s. supra, Haftungskultur der USA (S. 32). 74 s. supra, Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 (S. 76).
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und Officers bzw. der Rechtsverstoß der Corporation ausgelöst haben soll.75 Inside Directors und Officers, insbesondere der Chief Executive und der Chief Financial Officer, werden in beiden Fällen regelmäßig zusammen mit der Gesellschaft als Beklagte benannt.76 Outside Directors werden in ungefähr der Hälfte aller Section 11 Class Actions als Beklagte aufgenommen, aber in einem deutlich kleineren Teil der Section 10(b) Klagen.77 Aufgrund ihrer breiteren Ausrichtung bleibt Section 10(b) allerdings die bei weitem häufigste Basis für Securities Class Actions, so dass Outside Directors nur von einem verhältnismäßig kleinen Teil der Securities Class Actions betroffen sind.78 Da Outside Directors unter Section 11 des Securities Act schon für bloße Fahrlässigkeit haftbar gemacht werden können, sofern eine wesentliche Falschdarstellung im Prospekt festgestellt worden ist, bietet diese Grundlage den Klägern die Möglichkeit, substantielle Zahlungen aus den D&O-Versicherungspolicen der Outside Directors zu erhalten, sofern ihr möglicher Anspruch auf der relativ eng gefassten Grundlage von Section 11 beruht. Häufig lassen Kläger ihre Klagen vor allem gegen Outside Directors aber fallen, bevor es überhaupt zum Prozess kommt, da Corporations, anders als natürliche Personen, unter Section 11(b) des Securities Act verschuldensunabhängig haften79 und ihre Haftung somit um ein Vielfaches einfacher festzustellen ist. Mögliche Schadensersatzforderungen werden entsprechend durch die Corporation vollständig ausgeglichen, ohne dass die D&O-Versicherungen der Directors einspringen müssten.80 Ist die Corporation insolvent, so fängt die D&O-Versicherung die Forderungen gegen die Directors und Officers auf.81 Klagen gegen Outside Directors spielen also eher eine strategische Rolle für die Prozesstaktik gegen das Unternehmen (z. B. zusätzliche Zeugenaussagen, Druck auf die Unternehmen zu einem Vergleich bevor es zur öffentlichen Verhandlung kommt).82 Eine erhebliche Gefahr für das Privatvermögen eines Outside Directors, 75 In ihrer klassischen Form werden diese Fälle daher auch als „stock drop cases“ bezeichnet. Vgl. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 384. 76 Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1549; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1077. 77 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1077, Fn 64. Vgl. auch Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1549. 78 s. z. B. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1550. Rule 10b-5 lag ca. 85 % aller Securities Class Actions zugrunde, die zwischen 2011 und 2014 eingereicht wurden. Section 11 hingegen spielte eine Rolle in nur 9 % bis 14 % der Fälle. Cornerstone Research, Class Action Filings 2014 (2015), S. 8. 79 15 U.S.C. § 77k(b). 80 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1080, Fn. 77. 81 Die wenigen Fälle in den letzten 30 Jahren, in denen der Versicherungsschutz der beklagten Directors unvorhergesehen nicht anwendbar war, wurden bereits erläutert. s. supra, Haftungskultur der USA (S. 32). 82 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1081.
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der sich nicht vorsätzlich fehlverhält oder bereichert, geht von Federal Securities Class Actions entsprechend nur sehr selten aus. Die Rolle von Inside Directors und anderen Officers als Beklagten in einer Securities Class Action ist weniger sicher als die der Outside Directors. Da ein Officer im Tagesgeschäft des Unternehmens aktiv ist, kann er sich weniger leicht durch „angemessene Prüfungen“ oder Due Diligence vor einer Fahrlässigkeitsbeschuldigung nach Section 11 schützen und ist auch von Klagen unter Section 10(b) häufiger betroffen (CEOs von nahezu jeder Klage, CFOs von der überwiegenden Mehrheit).83 Vorwürfe von vorsätzlicher oder zumindest wissentlicher Bilanzfälschung wird ein verantwortlicher Officer weniger leicht von sich weisen können, als ein Outside Director. Doch aufgrund ihres Versicherungsschutzes und der Position der Gesellschaft als Beklagte, die den Großteil möglicher Zahlungen übernimmt, müssen auch Inside Directors und Officers in Securities Class Actions kaum mit ihrem eigenen Privatvermögen haften. Häufig übernehmen Unternehmen die Zahlungen möglicherweise unter dem Eindruck, dass sie eigene Zahlungen der Directors oder Officers gemäß ihrer Freistellungsklauseln ohnehin übernehmen müssten.84 Inwieweit diese Ansicht mit den Regeln der SEC vereinbar ist, ist unklar. Da aber die Unternehmen die Zahlungen in aller Regel von vornherein übernehmen, so dass es nicht zur Freistellung kommen muss, wird sie kaum getestet.85 Eine Studie in den 1990er Jahren aller Vergleichszahlungen in Federal Securities Class Actions ergab, dass nach Zahlungen durch die Versicherer und die beklagten Gesellschaften weniger als ein halbes Prozent der Gesamtsumme übrig blieben, die von beklagten Directors und Officers und weiteren Beklagten hätte gezahlt werden können.86 Solange Inside Directors und Officers nicht beispielsweise durch strafbares Verhalten zum Schaden beigetragen haben, ist ihr Privatvermögen in Securities Class Actions also in aller Regel nicht bedroht.87 a) Enron und WorldCom als Ausnahmen Diese sehr seltene Gefahr für Outside Directors verwirklichte sich in den Ausnahmefällen WorldCom und Enron. Die jeweiligen Kläger erklärten sich erst zum 83 s. z. B. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1549; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1081. 84 Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1568. 85 Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1567 f. Vgl. auch Globus v. Law Research Services, Inc., 418 F.2d 1276 (2d Cir. 1969), S. 1288 f. 86 Donald C. Langevoort, Capping Damages for Open-Market Securities Fraud, 38 Arizona Law Review 639 (1996), S. 648; vgl. auch Coffee, Entrepreneurial Litigation (2015), Kap. 7, Fn. 50. 87 Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1550; Janet Cooper Alexander, Rethinking Damages in Securities Class Actions, 48 Stanford Law Review 1487 (1996), S. 1498.
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Vergleich bereit, als sich auch die Outside Directors der beiden Corporations zu persönlichen Zahlungen aus ihren Privatvermögen verpflichteten. Dies ist aber den besonders gravierenden Umständen und – möglicherweise – den bereits erwähnten persönlichen politischen Motivation der Vertreter der Hauptkläger in diesen Fällen zuzuschreiben.88 Im Normalfall darf sich ein Lead Plaintiff in einer Class Action auf eine solche Strategie nicht einlassen, da es seine Pflicht ist, die Klage im Interesse der gesamten Klägerschaft zu führen – dies misst sich in einer Class Action vor allem am finanziellen Ergebnis.89 Da die Kläger im Normalfall eine größere oder zumindest sicherere Summe erhalten, wenn die Zahlung im Zuge eines Vergleiches vor Beginn des Verfahrens durch die D&O-Versicherung erfolgt,90 kann ein Hauptkläger diese nicht ausschlagen, um sich stattdessen öffentlichkeitswirksam oder aus anderen subjektiven Gründen auf das Privatvermögen der Directors oder Officers zu konzentrieren. Im Fall einer insolventen Gesellschaft konnte es auch keine Motive der Abschreckung mehr geben.91 Eine solche Strategie würde möglicherweise sogar seine Fiduciary Duties dem Rest der Class gegenüber verletzen.92 Doch Enron und WorldCom waren außergewöhnliche Fälle im Hinblick nicht nur auf ihre wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Bedeutung, sondern auch auf die Schadenshöhe. Die Schadensersatzforderungen von $ 25 Milliarden im Fall Enron waren mehr als siebzig Mal so hoch wie die D&O-Police, die die Directors und Officers bis zu einem Schadensbetrag von $ 350 Millionen versichert hätte.93 Im Fall WorldCom blieb die geschuldete Versicherungsleistung zwischen dem Versicherungsunternehmen und den Directors lange umstritten, es war nicht klar, ob die Versicherung überhaupt gezahlt hätte – die Police über $ 100 Millionen hätte die Forderungen von $ 11 Milliarden gegen die Directors aber nicht annähernd abge88 Vgl. z. B. Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1012 ff. 89 Vgl. Amy M. Koopmann, A Necessary Gatekeeper: The Fiduciary Duties of the Lead Plaintiff in Shareholder Derivative Litigation, 34 Journal of Corporation Law 895 (2009), S. 907 (in einer Derivative Action, die zum Wohl der Gesellschaft geführt wird, könnte hingegen auch eine geringere Zahlung das vorzuziehende Ergebnis sein, wenn die Directors sich persönlich an ihr beteiligen müssen, da der größere Abschreckungseffekt die Unternehmensführung langfristig verbessern könnte). 90 Vgl. z. B. Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1031. In beiden Fällen war die Gesellschaft insolvent und stand für Entschädigungszahlungen nicht mehr zur Verfügung. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1125. 91 Vgl. Koopmann, Necessary Gatekeeper, 34 J. Corp. L. 895 (2009), S. 907. 92 In re Cendant Corp. Securities Litigation, 404 F.3d 173 (3d Cir. 2005), S. 199. Vgl. auch Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1061; Koopmann, Necessary Gatekeeper, 34 J. Corp. L. 895 (2009), S. 904. 93 Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1031; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1125.
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deckt.94 Die Kläger hätten also nicht sicher sein können, dass sie nach einem Urteil größere Summen von den Versicherungen bekommen hätten, zumal die Prozesskosten mit den Zahlungen aus derselben Police verrechnet worden wären und die Gesamtleistung weiter gemindert hätten – im Fall Enron beliefen sich die Verfahrenskosten der Beklagten auf $ 6,5 Millionen pro Monat.95 In beiden Fällen war es für die Kläger sinnvoll, auf das Privatvermögen der Directors zu zielen, das dazu in beiden Fällen beachtlich war.96 Ein Vergleich, der persönliche Zahlungen der Directors einschloss, war also eine rationale Entscheidung sowohl für die Beklagten, die ein Verfahren und Jury-Urteil hätte finanziell ruinieren können, als auch für die Kläger. Die politische Wirkung des Vergleichs war dabei zweifellos ein erwünschter Nebeneffekt.97 Im Regelfall wird ein Hauptkläger das Beharren auf einer persönliche Zahlung der Directors aber nicht rechtfertigen können, da es für die Class am Ende mit großer Wahrscheinlichkeit eine geringere Gesamtsumme bedeuten würde.
2. M&A Class Actions (State Law) Praktisch jede M&A-Transaktion unter Beteiligung eines börsennotierten Unternehmens wird inzwischen durch eine M&A Class Action in einem State Court hinterfragt.98 Beklagt wird dabei vor allem das Board of Directors der zu kaufenden Gesellschaft, das die Transaktion verhandelt und beschlossen bzw. den Aktionären empfohlen hat.99 Einige dieser Fälle betreffen tatsächlich grobe Verletzungen der Duty of Loyalty (oft im Zusammenhang mit Derivative Actions) und das Eingreifen der Kläger führt zu substantiellen Verbesserungen für die Aktionäre. In der Mehrheit der Fälle führen 94 Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), s. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1119. 95 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1125, Fn 126. Vgl. auch Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1022 & 1031. 96 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1125. 97 s. auch z. B. Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1012 & 1014. 98 Zwischen 2010 und Ende 2015 hatten mehr als 90 % aller Transaktionen mit einem Wert von mehr als $ 100 Millionen eine Aktionärsklage zur Folge. Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 3; Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 579; Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489; Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 1. 99 Dies liegt zum einen an dem direkteren Schaden, den die Aktionäre dieses Unternehmens bei einem Unternehmensverkaufs erleiden und der eine Class Action möglich macht, zum anderen an den zahlreichen besonderen Pflichten, die ein Board of Directors in einer Verkaufssituation beachten muss. Vgl. Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 563 Fn. 21.
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Anfechtungsklagen von M&A-Transaktionen aber nicht zu direktem pekuniärem Ausgleich, zu Unterlassungsverfügungen oder zur Anpassung der Transaktionsbedingungen bzw. des -preises sondern, in der großen Mehrheit der Fälle, nur zu zusätzlichen Offenlegungen.100 Diese Einigungen werden als „disclosure-only settlements“ (oder seltener auch als „coupon settlements“) bezeichnet.101 Neben den kapitalmarktrechtlichen Offenlegungsanforderungen gemäß Federal Law bei einer M&A-Transaktion unter Beteiligung eines börsennotierten Unternehmens, verlangt das State Law in Delaware weitere Offenlegungen, beispielsweise eine ehrliche Empfehlung zur Transaktion des Board of Directors den Aktionären gegenüber und alle wesentlichen Information, die zur Bewertung nötig sind.102 Es handelt sich dabei oft um zusätzlichen Hintergrund zum Entscheidungsfindungsprozess, entweder wesentliche Informationen wie beispielsweise die Vergütung oder mögliche Konflikte der externen Berater oder um weniger wichtige Informationen oder Korrekturen.103 Selbst wenn die Kläger in der Klageschrift noch Ausgleichszahlungen oder fundamentale Änderungen der Transaktion gefordert hatten, waren es lange in der großen Mehrheit der Fälle ausschließlich solche Disclosure-Only Settlements, die Aktionäre in M&A Class Actions erreichten.104 Im Gegenzug erhalten die Beklagten eine Freistellung von möglichen weiteren Ansprüchen auf Basis der gleichen Transaktion.105 Da diese Freistellung auch die Aktionäre bindet, die sich der Class Action nicht angeschlossen haben, muss die
100 Vgl. Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489 f.; Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 572; Joel Edan Friedlander, How Rural/ Metro Exposes the Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Delaware Journal of Corporate Law 877 (2015), S. 878. 101 Der Begriff bezieht sich hier auch auf solche Einigungen, die unwesentliche weitere Zugeständnisse beinhalten. Vgl. z. B. Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 878, Fn. 2. 102 s. z. B. In re Trulia, Inc. Shareholder Litigation, 129 A.3d 884 (Del. Ch. 2016), S. 900. Diese Pflicht leitet sich zum Teil aus dem Gesetz ab (DGCL § 251(b)), zum Teil aus den Fiduciary Duties der Directors. In re Primedia, Inc. Shareholder Litigation, 67 A.3d 455 (Del. Ch. 2013), S. 495; s. auch Stroud, 606 A.2d 75 (1992), S. 84 („directors of Delaware corporations are under a fiduciary duty to disclose fully and fairly all material information within the board’s control when it seeks shareholder action.“). Offenlegungen gemäß Federal Law werden vor den Federal Courts als kapitalmarktrechtliche Fälle verhandelt und unterliegen den im Weiteren besprochenen Reformen der Shareholder Representative Actions gemäß Federal Law. 103 Vgl. z. B. In re Sauer-Danfoss Inc. Shareholders Litigation, 65 A.3d 1116 (Del. Ch. 2011), S. 1129; Brinckerhoff v. Texas Eastern Products, 986 A.2d 370 (Del. Ch. 2010); In re BEA Sys., Inc. Shareholders Litigation, 2009 WL 1931641 (Del. Ch. 2009); Augenbaum v. Forman, 2006 WL 1716916 (Del. Ch. 2006). 104 Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 566. 105 s. z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 16. Vgl. Nottingham Partners v. Dana, 564 A.2d 1089 (Del. 1989), S. 1106; Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010), S. 385.
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Einigung zwar von einem Gericht bestätigt werden,106 Ablehnungen waren aber bis zu einer grundlegenden Neukalibrierung der Rechtsprechung im Jahr 2016 selten.107 Aufgrund des Zeitdrucks der Beklagten, die eine M&A-Transaktion zum Abschluss bringen wollen, werden M&A Class Actions häufig sehr schnell im gegenseitigen Einvernehmen beigelegt.108 Sie bieten daher hohes Potential für Missbrauch (das im Weiteren nähere Betrachtung findet), da das Gericht den Anwälten der Kläger auch für Disclosure-Only Settlements ein von der Corporation zu zahlendes Honorar zusprechen kann.109 Class und Derivative Actions, die zu DisclosureOnly Settlements führen, haben einen entsprechend schlechten Ruf als „frivolous lawsuits“ (auch „nuisance suits“ oder „strike suits“.110 Erfolgreiche M&A Class Actions hingegen, die substantielle Änderungen in der Transaktion oder Ausgleichszahlungen bewirken, werden häufig im Zusammenhang mit Controlled Transactions eingereicht und beruhen auf Verletzungen der Duty of Loyalty.111 Die M&A Class Action kann der Derivative Action in Fragestellung und Ergebnis sehr ähneln, insbesondere, wenn sie nicht zu pekuniärem Ausgleich für die Aktionäre führt. Da die Kläger im Unterschied zu einer Derivative Action bei einer Class Action aber keinem Demand Requirement nachkommen oder Demand Futility durchsetzen müssen, ist die Class Action das häufigere Vehikel für Aktionärsklagen, insbesondere im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen.112
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Del. Ct. Ch. R. 23(c) & (e). Vgl. z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 20. s. auch Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 887. 108 Häufig kommt es bereits innerhalb von drei Monaten zu einer Einigung. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 384 f. s. auch Cornerstone Research/Ravi Sinha, Shareholder Litigation Involving Acquisition of Public Companies – Review of 2015 and 1H 2016 M&A Litigation, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2016), S. 4 (zwischen 2009 und 2014 waren ca. drei Viertel der M&A Class Actions bereits vor Abschluss der Transaktion beendet, zwischen 80 – 90 % davon durch eine Einigung); Robert B. Thompson/Randall S. Thomas, The New Look of Shareholder Litigation: Acquisition-Oriented Class Actions, 57 Vanderbilt Law Review 133 (2004), S. 176. 109 s. infra, Disclosure-Only Settlements bei nicht-werthaltigen M&A Class Actions (S. 204). 110 s. z. B. Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 605. 111 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1091. Da diese Verfahren häufig zeitgleich mit Bemühungen des Special Committees angestrengt werden, ist ein Erfolg allerdings auch hier wahrscheinlich nicht immer auf die Bemühungen der Anwälte und Kläger zurückzuführen. Vgl. z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 13. 112 s. z. B. Thompson/Thomas, New Look of Shareholder Litigation, 57 Vand. L. Rev. 133 (2004), S. 174 f. 107
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III. Kritik und Weiterentwicklung der Shareholder Representative Actions Viele prozessrechtliche Aspekte der Shareholder Representative Actions laden zu Missbrauch ein. Einigkeit über das Ausmaß dieses Missbrauchs besteht nicht, ebenso wenig wie über den Schaden, der durch ihn entsteht, wer diesen Schaden trägt und wie dem Missbrauch am besten begegnet werden kann.113 Ein näherer Blick auf die wesentliche Kritik und Verbesserungsversuche ist nötig um beurteilen zu können, inwieweit Shareholder Representative Actions einen sinnvollen Beitrag zur Haftung und Corporate Governance leisten könne, oder ob sie ihrem Ruf gerecht werden als „the evil stepsister of modern corporate governance: worthless and expensive to keep around“.114 Ein zentraler Kritikpunkt gilt aber der geringen Qualität einer Großzahl der Vergleiche, die schnell geschlossen werden, aber lediglich Gebühren der Plaintiffs’ Attorneys und keinen fassbaren Nutzen für die Kläger bzw. das Unternehmen bedeuten. Dabei tragen die Unternehmen (und somit indirekt die Aktionäre) die Kosten der Verfahren, sei es in Form von Anwalts- und ggf. Expertengebühren, oder in Form von D&O-Versicherungsprämien.115 Die Rede ist hier von einer „deal tax“ – einer einem Wegezoll ähnelnden Zahlung, die die Unternehmen einer Plaintiffs’ Attorney Kanzlei zahlen muss, entweder für eine mögliche Falschdarstellung unter Federal Law oder für jede M&A-Transaktion.116 Die Deal Tax wird in den Preis von Transaktionen heute wie selbstverständlich mit eingerechnet.117 Aus im Weiteren näher betrachteten Gründen besteht im amerikanischen Schrifttum weitgehend Einigkeit, dass die Inzentivierungen der Beteiligten und die geringen Anforderungen, die Gerichte für die Bestätigung von Vergleichen stellen, zu einer zu hohen Zahl an aufwändigen und zum Großteil unnötigen Verfahren führten. Die Corporate 113 Neben den im Folgenden zitierten Quellen bietet Professor John C. Coffee, Jr. einen guten Überblick über verschiedene Studien und Aufsätze zu diesem Thema, die sich in ihren Ergebnissen zum Teil stark unterscheiden. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1534 ff. Fn. 1 – 5. Vgl. auch Hamermesh, Adequate Response, 45 Hofstra L. Rev. 147 (2016), S. 152 ff. für einen geschichtlichen Überblick zu Reformbemühungen. 114 Thompson/Thomas, New Look of Shareholder Litigation, 57 Vand. L. Rev. 133 (2004), S. 207 (die Autoren kommen selbst zu einem differenzierteren Ergebnis). 115 In Fällen von Securities Class Actions, in denen das Unternehmen Zahlungen leisten muss, werden diese Zahlungen letztendlich aus dem Vermögen aller Aktionäre in das Vermögen einiger weniger umgeleitet, auch wenn erstere keinerlei Vorteil von den Rechtsverstößen hatten, die zu der Class Action geführt haben. Vgl. z. B. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1550; Jill E. Fisch, Confronting the Circularity Problem in Private Securities Litigation, 2009 Wisconsin Law Review 333 (2009). Aber vgl. auch Black, Eliminating Securities Fraud Class Actions, 2009 Colum. L. Rev. 802 (2009), S. 812 ff. 116 s. z. B. Sean J. Griffith, Private Ordering Post-Trulia: Why No Pay Provisions Can Fix the Deal Tax and Forum Selection Provisions Can’t (Entwurf Oktober 2016), S. 2. 117 Vgl. z. B. Giuseppe Dari-Mattiacci/Eric Talley, Do Disclosure-Only Settlements in Merger Objection Lawsuits Harm Shareholders? (Entwurf 2016).
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Governance kann hiervon nicht profitieren. Vor allem schwächt sich die durch Shareholder Representative Actions durchgesetzte Haftung (soweit überhaupt von Haftung zu sprechen ist) zu einer akzeptierten, in die Kostenkalkulation des Geschäftsbetriebs einkalkulierten Ausgabe („cost of doing business“) ab, so dass ihr Wert als Abschreckungsmechanismus sinkt.118 Gesetzliche Reformen der Federal Securities Class Actions zwischen 1995 und 2003 haben die vielleicht systematischsten Änderungen auf dem Gebiet gebracht, doch die Entwicklung neuer Regeln ist keinesfalls abgeschlossen.119 In den Jahren 2015 und 2016 hat der Delaware Chancery Court seinerseits begonnen, den Disclosure-Only Settlements bei M&A Class Actions Einhalt zu gebieten.120 Auch von den Unternehmen selber kommen Impulse für Reform durch Änderungen ihrer Satzungen oder Bylaws. Wie im Folgenden gezeigt werden wird, sind die Verfügbarkeit und Wirkung von Shareholder Representative Actions, ihr Potential für Missbrauch auf der einen und als wichtiger Corporate Governance Mechanismus auf der anderen Seite, permanent auf dem Prüfstand. 1. Kritik an Shareholder Representative Actions a) Plaintiffs’ Attorneys Die vehementeste Kritik gilt seit jeher den Anwälten der Kläger.121 Representative Shareholder Actions sind dadurch gekennzeichnet, dass der Hauptkläger lediglich als Vertreter anderer auftritt und sein eigenes finanzielles Interesse am Ausgang des Verfahrens die Kosten oft nicht rechtfertigen kann. Anwälte, die ausschließlich Kläger vertreten und mit besonderen Vergütungsstrukturen arbeiten, sogenannte „plaintiffs’ attorneys“, sind daher ein wesentlicher Bestandteil dieser Prozesse.
118 s. z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 26 („This is a system in crisis.“). Vgl. auch Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000), S. 333. s. z. B. auch In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 133; Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1536. 119 s. z. B. infra, Regulierung der M&A Class Actions durch die Gerichte (S. 210). 120 s. infra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 121 Vgl. z. B. Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:125; Hamermesh, Adequate Response, 45 Hofstra L. Rev. 147 (2016), S. 153 ff.; Lisa L. Casey, Class Action Criminality, 34 Iowa Journal of Corporation Law 153 (2008), S. 154 ff.; Stephen J. Choi/Jill E. Fisch/A. C. Pritchard, Do Institutions Matter? The Impact of the Lead Plaintiff Provision of the Private Securities Litigation Reform Act, 83 Washington University Law Quarterly 869 (2005), S. 884 f.; Browning Jeffries, The Plaintiffs’ Lawyer’s Transaction Tax: The New Cost of Doing Business in Public Company Deals, 11 Berkeley Business Law Journal 55 (2014); Hamermesh, Adequate Response, 45 Hofstra L. Rev. 147 (2016), S. 148; Pritchard, Halliburton II: A Loser’s History, 10 Duke J. Const. L. & Pub. Pol’y 27 (2015), S. 38 f.; Elliott J. Weiss/Lawrence J. White, File Early, Then Free Ride: How Delaware Law (Mis)Shapes Shareholder Class Actions, 57 Vanderbilt Law Review 1797 (2004), S. 1852.
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Generell und im Unterschied zu Deutschland gilt im amerikanischen Prozessrecht die „amerikanische Regel“ („American rule“), nach der jede Partei unabhängig vom Ergebnis ihre eigenen Prozesskosten tragen muss.122 Die amerikanische Regel greift allerdings nicht, wenn die erfolgreiche Partei eine Summe errungen hat, von der nicht nur sie selber, sondern auch Dritte profitieren, die am Prozess nicht direkt beteiligt sind, wie dies in Derivative und Class Actions der Fall ist. In diesem Fall ist der Anwalt zu einem Honorar aus dem erstrittenen Geldbetrag berechtigt, das Honorar wird also nicht vom Kläger, sondern von allen durch das Urteil Begünstigten getragen.123 Diese Regel ist als sogenannte „common fund doctrine“ bekannt.124 Erzielt aber ein Aktionär ein Ergebnis, von dem auch die Corporation und die anderen Aktionäre profitieren, sei es durch monetären Ausgleich oder nicht-monetäre Maßnahmen wie Strukturreformen oder Offenlegungen,125 so muss nach der „corporate benefit doctrine“ die Corporation das Honorar der obsiegenden Plaintiffs’ Attorneys zusätzlich übernehmen.126 Da Plaintiffs’ Attorneys in diesen Fällen typischerweise nicht nur auf Basis von unsicheren Erfolgshonoraren arbeiten, sondern sogar die Kosten des Verfahrens tragen,127 soll diese Konstruktion das Einreichen von Klagen erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen, die für das Allgemeinwohl als wichtig erachtet werden.128 Anwaltskosten in Shareholder Representative Actions werden durch das Gericht festgesetzt und sind gelegentlich Anlass intensiver ge122 Vgl. z. B. In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 133; Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 26; Peter T. Hurst, Thoughts on the American Rule and Contingency Fees, 23 European Business Law Review 25 (2012). 123 Goodrich v. E. F. Hutton Group, Inc., 681 A.2d 1039 (Del. 1996), S. 1039; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1253. Hurst, Thoughts on the American Rule, 23 Eur. Bus. L. Rev. 25 (2012). 124 Janet Cooper Alexander, Contingent Fees and Class Actions, 47 DePaul Law Review 347 (1998), S. 348; John C. Coffee, Understanding the Plaintiff’s Attorney: The Implications of Economic Theory for Private Enforcement of Law through Class and Deriviative Actions, 86 Columbia Law Review 669 (1986), S. 670, Fn. 2. s. auch US Airways, Inc. v. McCutchen, 133 S. Ct. 1537 (2013), S. 1547; Sprague v. Ticonic Nat. Bank, 307 U.S. 161 (1939), S. 164 ff.; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1253. Einen Überblick zur Entstehungsgeschichte der American Rule und der Common Fund Doctrine bietet beispielsweise Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 37 ff. 125 Mills v. Electric Auto-Lite Co., 396 U.S. 375 (1970), S. 392. 126 Vgl. auch z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 23. Während die Corporate Benefit Doctrine im Zusammenhang mit einer Derivative Action den Prinzipien der Common Fund Doctrine entspricht, da die Corporation die Begünstigte des Verfahrens ist, wird sie im Zusammenhang mit Class Actions als systemfremde Fehlentwicklung kritisiert. S. 41. 127 Vgl. z. B. Alexander, Contingent Fees, 47 DePaul L. Rev. 347 (1998), S. 348. 128 s. z. B. Smolowe v. Delendo Corporation, 136 F.2d 231 (2d Cir. 1943), S. 241; In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 133; Coffee, Understanding the Plaintiff’s Attorney, 86 Col. L. Rev. 669 (1986), S. 670, Fn. 2; Hurst, Thoughts on the American Rule, 23 Eur. Bus. L. Rev. 25 (2012); Alexander, Contingent Fees, 47 DePaul L. Rev. 347 (1998), S. 351 f. (weist auf das Potential einzelner institutioneller Investoren hin, Securities Class Actions selbst zu finanzieren – deren Anreiz, andere Aktionäre an erzielten Summen teilhaben zu lassen, ist allerdings fraglich).
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richtlicher Auseinandersetzungen zwischen den Anwälten und der zur Zahlung verpflichteten Corporation.129 Obgleich ein jeder Anwalt selbstverständlich die Pflicht hat, nur im Interesse seines Mandanten zu handeln, ist in der Praxis das Gericht ein unerlässlicher Kontrollfaktor der Plaintiffs’ Attorneys. Tatsächlich legen zahlreiche Studien nahe, dass Representative Shareholder Actions historisch in hohem Maße im Interesse der Anwälte verfolgt wurden, nicht zum Nutzen der Aktionäre.130 Dieser Missbrauch ist möglich, da es für beklagte Unternehmen aus reinen Kostenerwägungen oft sinnvoller ist, selbst offensichtlich unbegründete Klagen mit relativ geringem finanziellen Aufwand durch eine Einigung vorzeitig zu beenden, als das Risiko einer langen, aufwändigen Beweiserhebung einzugehen.131 Für Plaintiffs’ Attorneys bedeuten also auch unbegründete Klagen eine sichere und, insbesondere im Zusammenhang mit zeitkritischen Transaktionen, eine schnelle Einkommensquelle.132 Die Inzentivierung und Rolle, die die Plaintiffs’ Attorneys in Shareholder Representative Actions spielen, wird von Teilen des Schrifttums und sogar vom Chancery Court dennoch prinzipiell als explizit positive Privatisierung der Kontrolle über die Corporate Governance bewertet. In der Entscheidung zur Derivative Action Seinfeld v. Coker133 im Jahr 2000 schrieb der damalige Chancellor des Chancery Court, dass das Gericht es Plaintiffs’ Attorneys bewusst leicht mache, auch nach kurzen Prozessen relativ hohe Anwaltshonorare zu erhalten, da ein so hohes ge129 s. z. B. Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005); Nottingham, 564 A.2d 1089 (1989); Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010); Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011); Stroud, 606 A.2d 75 (1992); Primedia, 67 A.3d 455 (2013); Sugarland Industries, Inc. v. Thomas, 420 A.2d 142 (Del. 1980). 130 Weiss, White, File Early, 57 Vand. L. Rev. 1797 (2004), S. 1852; Carolyn Berger, Darla Pomeroy, Settlement Fever: How a Delaware court tackles its cases, 2 Business Law Today 7 (1997); Elizabeth Chamblee Burch, Governing Securities Class Actions, 80 University of Cincinnati Law Review 299 (2012) S. 304; Grundfest, Damages and Reliance, 69 Bus. Law. 307 (2014), S. 309 (die Gesamtsumme, zwischen 1997 und 2013 jedes Jahr an Plaintiffs’ Attorneys im Zusammenhang mit Securities Class Actions gezahlt wurde, belief sich auf durchschnittlich mehr als $ 800 Millionen pro Jahr). s. auch Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 621 f.; Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 887. Aber vgl. auch Herbert M. Kritzer, Seven Dogged Myths Concerning Contingency Fees, 80 Washington University Law Quarterly 739 (2002), S. 773 ff. 131 Aber s. z. B. Kritzer, Seven Dogged Myths Concerning Contingency Fees, 80 Wash. U. L. Q. 739 (2002), S. 773 ff. 132 s. Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 622; In re Revlon, Inc. Shareholders Litigation, 990 A.2d 940 (Del. Ch. 2010), S. 959; Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 887; Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489. Eine aktuelle Studie der zahlreichen Plaintiffs’ Attorneys Kanzleien in den USA legt nahe, dass sich hier einige wenige Kanzleien durch besonders intensive Arbeit und besonders gute Ergebnisse mit einem hohen Anteil begründeter Klagen von den zahlreichen anderen absetzen, die Shareholder Representative Action als „Gelddruckmaschine“ missbrauchen. CNV Krishnan/Randall S. Thomas/ Steven M. Davidoff Solomon, Who are the Top Law Firms? Assessing the Value of Plaintiffs’ Law Firms in Merger Litigation, 18 American Law and Economics Review 122 (2016), S. 20. 133 Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000).
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sellschaftliches Interesse an effizient geführten, begründeten Derivative Actions bestehe, dass man Plaintiffs’ Attorneys sogar motivieren möchte, sich insbesondere der Derivative Actions anzunehmen.134 Denn diese ex-post Kontrolle des Verhaltens der Directors und Officers durch begründete Derivative Actions solle vor allem auch eine abschreckende Wirkung haben.135 Erfolgshonorare und großzügige Honorierung auch bei Vergleichen gäbe mit den Plaintiffs’ Attorneys wenigstens eine Gruppe einen wirtschaftlichen Anreiz, die Kosten und das Risiko eines Verfahrens auf sich zu nehmen, denn kein anderer Prozessbeteiligter könne sich einen finanziellen Vorteil durch eine Derivative Action erhoffen.136 Der eigene Profit, den diese das Gemeinwohl erhöhenden „Private Attorney Generals“ durch diese Verfahren haben, mindert nicht die positiven Effekte, den sie auf die Unternehmen und deren Corporate Governance haben.137 Sofern die Derivative Action als anerkanntes Mittel zur Durchsetzung berechtigter Interessen gilt, also als positiv anerkannt wird, ist die Inzentivierung durch Erfolgshonorare ein wichtiger Faktor, um diese Klagen zu ermöglichen.138 Der Chancery Court wies allerdings in der gleichen Entscheidung darauf hin, dass die Inzentivierung der Anwälte nur bis zu einer gewissen Grenze effizient ist und alle Zahlungen darüber hinaus als „windfall“ betrachtet werden müssen.139 Representative Shareholder Actions laufen dann Gefahr, von Anwälten als Umsatzquelle missbraucht zu werden und Unternehmen ohne Nutzen finanziell zu schaden.140 Eine solche eigene Agenda der Anwälte gefährdet nicht nur die Effektivität der Shareholder Representative Action, sondern ihre Legitimität als Instrument der Corporate Governance.141 Wo die Grenzen zwischen Motivierung und falschen Anreizen zu 134 Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000), S. 333 f. s. auch Morrissey, Shareholder Litigation after the Meltdown, 114 W. Va. L. Rev. 531 (2011), S. 561. 135 Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000), S. 333. s. z. B. auch In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 133; Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1536. 136 Black, Core Fiduciary Duties, Asia Bus. L. Rev. 3 (2001), S. 11. 137 In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 133. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1536 (Abschreckung allein kann die hohen Kosten von Securities Class Actions rechtfertigen, wenn sie funktioniert); Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 26 (Abschreckung wichtiger als Ausgleich). 138 Der Court of Chancery ist, wie bereits beschrieben, eine der anerkanntesten Autoritäten des amerikanischen Wirtschaftsrechts und steht nicht im Verdacht, blind die Interessen der „plaintiffs’ lobby“ zu vertreten, die als unternehmensfeindlich gilt. Selbst wenn einzelne Aktionäre wie Hedgefonds oder Mutual Funds ausreichend hohe Anspruchsforderungen haben, so dass eine Klage wirtschaftlich sinnvoll wäre, stehen sie aus anderen, im Weiteren erörterten Gründen häufig nicht als Hauptkläger zur Verfügung. Zudem hat generell kein Aktionär ein Interesse daran, auf eigene Kosten eine Klage zu führen, an der alle anderen Aktionäre ohne eine Beteiligung an den Kosten teilhaben dürften. 139 Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000), S. 334. 140 s. z. B. In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 133: „[T]he mere fact that lawyers pursue their own economic interest in bringing derivative litigation cannot be held as grounds to disqualify a derivative plaintiff“. 141 Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000), S. 336.
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ziehen sind, ist eine der Abwägungen, die der Gesetzgeber, vor allem aber auch die Gerichte durch das Abweisen von Frivolous Lawsuits und die sorgfältige Begrenzung der Anwaltshonorare bei Derivative und Class Actions ständig vornehmen müssen, um die Effektivität dieser Klagen zu erhalten und den betroffenen Unternehmen nicht stattdessen zu schaden.142 b) Der Professional Plaintiff Mindestens so kritisch wie unseriöse Plaintiffs’ Attorneys werden unseriöse Kläger, insbesondere der sogenannte „professional plaintiff“, gesehen.143 Ein Professional Plaintiff hält eine geringe Zahl von Wertpapieren an einer sehr großen Zahl von börsennotierten Corporations, um in dem Moment, in dem eine M&A-Transaktion oder ein fallender Kurs eine Klage gegen ein Unternehmen möglich machen könnte, klageberechtigt zu sein. Einige Plaintiffs’ Attorneys arbeiten eng mit bestimmten Professional Plaintiffs zusammen und nutzen regelmäßig deren Klageberechtigung.144 Bis zu den Reformen der 1990er Jahre konnten Lead Plaintiffs unter Federal Law eine Bonuszahlung in Anerkennung ihrer Mühen für die anderen Geschädigten erwarten.145 Da die Plaintiffs’ Attorneys die Kosten der Prozesse übernahmen, standen diese Zahlungen oft in einem sehr unbalancierten Verhältnis zu dem Aufwand und dem finanziellen Risiko, die der Kläger tatsächlich hatte. Grundsätzlich haben Personen, die sich absichtlich haben schädigen lassen, als Hauptkläger im amerikanischen Rechtssystem historisch eine wichtige Rolle zur Verbesserung des Rechts gespielt, wenn sie als „Private Attorney Generals“ gesetzwidriges Verhalten, beispielsweise ethnischen Minderheiten gegenüber, durch Class Actions strafen.146 Auch im Wirtschaftsrecht sind die Namen berühmter 142 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489. Vgl. auch Topps II, 924 A.2d 951 (2007), S. 961. Konstruktive Vorschäge zur Reform des Systems beispielsweise bei Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 46 ff. Die Rechtsprechung in Delaware begann im Jahr 2016, diesen Vorschlägen zu folgen, s. infra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 143 s. z. B. Brandon Murrill, The Business Of Suing: Determining When A Professional Plaintiff Should Have Standing To Bring A Private Enforcement Action, 52 William & Mary Law Review 261 (2010), S. 263 („Among the characters that occupy the modern legal landscape, the professional plaintiff is one of the most despised.“). 144 Vgl. z. B. Coffee, Understanding the Plaintiff’s Attorney, 86 Col. L. Rev. 669 (1986), S. 681; Thompson/Thomas, New Look of Shareholder Litigation, 57 Vand. L. Rev. 133 (2004), S. 186 ff. 145 Jonathan R. Macey/Geoffrey P. Miller, The Plaintiffs’ Attorney’s Role in Class Action and Derivative Litigation: Economic Analysis and Recommendations for Reform, 58 University of Chicago Law Review 1 (1991), S. 65, Fn. 194. 146 Ähnlich wie bei Derivative Actions haben Gerichte solche Hauptkläger bei Class Actions außerhalb des Unternehmensrechts explizit als Mittel zum Schutz von Minderheiten anerkannt, zum Beispiel bei Rassendiskriminierung bei der Vermietung oder dem Verkauf von Wohnraum oder zur Durchsetzung von Gesetzen, die behindertengerechte öffentliche Ein-
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Professional Plaintiffs mit einigen grundlegenden Urteilen und Fortschritten in der Rechtsentwicklung verbunden.147 Insgesamt wurde der Professional Plaintiff aber als ein so negativer Einfluss auf Shareholder Representative Actions gewertet, weil der Anreiz für Frivolous Lawsuits als so groß galt, dass sein Einfluss zumindest auf Federal Securities Class Actions durch gesetzliche Reformen in den 1990er Jahren enorm reduziert wurde.148 c) Inzentivierungen der Directors und Officers entgegen dem Unternehmensinteresse Doch weder die Vergütungsstrukturen der Anwälte noch klagefreudige Kläger allein könnten mit unbegründeten Klagen erfolgreich lukrative Vergleiche erlangen. Im Gegenteil, insbesondere die finanzierenden Anwälte sollten Interesse ausschließlich an begründeten Klagen haben, denn kommt es nicht zum Erfolg, sind ihre Investitionen in den Prozess verloren. Die Attraktivität jeder auch noch so unbegründeten Klage ergibt sich in Kombination mit einer weiteren Besonderheit der Shareholder Representative Action: Auch die Beklagten, insbesondere Directors und Officers, haben ein hohes Interesse an schnellen Einigungen und wollen das Prozessrisiko nicht eingehen. Zunächst bedeuten Vergleiche, dass den Beklagten ein aufwändiger Prozess erspart bleibt, der den Klägern und der Öffentlichkeit Zugriff auf Unternehmensinterna gewähren könnte, immense Anwaltshonorare verursachen und die Unternehmensführung über lange Zeit unnötig ablenken und belasten würde. Bei M&A-bezogenen Klagen kommt die Verzögerung der Transaktion hinzu. In Fällen tatsächlichen Fehlverhaltens können die Beteiligten mit einer schnellen Einigung einer Aufdeckung vorgreifen. Doch auch für Directors und Officers, die sich pflichtgemäß verhalten haben und keine Enthüllungen fürchten, beinhaltet ein langer Prozess das Potential ernster Reputationsschäden für sie selber und das Unternehmen. Die Gesamtkosten eines Prozesses sind für das Unternehmen sehr hoch, so dass Directors und Officers das Risiko wirtschaftlich kaum rechtfertigen könnten, wenn es eine günstigere Alternative gibt, auch wenn diese Alternative beispielsweise in Form eines Disclosure-Only Settlements bei M&A Class Actions nicht aus einer werthaltigen Verbesserung für die Aktionäre, sondern schlicht aus einer „Deal Tax“ für
richtungen sicherstellen sollen. s. Havens Realty Corp. v. Coleman, 455 U.S. 363 (1982), S. 373; Molski v. Evergreen Dynasty Corp., 500 F.3d 1047 (9th Cir. 2007), S. 1062. 147 s. z.B: Alan R. Kahn in M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (2014); Tremont, 694 A.2d 422 (1997); Lynch, 638 A.2d 1110 (1994); Kahn v. Sullivan, 594 A.2d 48 (Del. 1991); oder Frank D. Seinfeld in Seinfeld, 847 A.2d 330 (2000); Seinfeld v. Slager, A.2d (Del. Ch. 2012); Seinfeld v. Verizon Communications Inc., 909 A.2d 117 (Del. 2006); oder Vern Mercier in Revlon (2010), 990 A.2d 940 (2010); Yahoo! Shareholder Litigation, 2008 WL 2268354 (Del. Ch. 2008); Mercier, 929 A.2d 786 (2007); Vgl. auch Revlon (2010), 990 A.2d 940 (2010), S. 943, Fn. 3. 148 s. infra, Gesetzliche Reformen der Securities Class Actions (S. 207).
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den Plaintiffs’ Attorney besteht.149 Sie vergleichen sich, so der damalige Delaware Chancellor William Allen, „for a peppercorn and a fee“, also das geringste „Pfefferkorn“, das als Corporate Benefit gewertet werden kann, und die Anwaltsgebühren, die dieser Corporate Benefit rechtfertigt.150 Somit müssen auch unbegründete Klagen für Anwälte profitabel und für Aktionäre und Unternehmen schädlich sein, denn sie stellen die Unternehmensführung vor die Wahl eines teuren und eingreifenden Prozesses mit einem hohen Prozessrisiko auf der einen Seite und einem begrenzten Schaden in Form eines Vergleichs auf der anderen. Letzterer schadet zwar dem System durch das Fördern falscher Anreize, ist für das einzelne Unternehmen unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten aber zweifellos die bessere Wahl. Dieses Entscheidungsdilemma kann nur durch Rechtsprechung und Gesetzgebung geändert werden – beispielsweise durch die Ablehnung von unzureichenden Vergleichen durch die Gerichte. Doch nicht nur der Gesichtspunkt der Unternehmensressourcen spricht aus Sicht der Directors und Officers für schnelle Einigungen. Vielmehr erhalten die Directors und Officers auch im Austausch für nahezu wertlose Offenlegungen Freistellungen, die zukünftige Klagen auf Basis der gleichen Tatsachengrundlage im Namen aller Aktionäre ausschließen (eine solche Freistellung auch „global release“).151 Directors und Officers haben also ein dringenden, persönliches Interesse an einem DisclosureOnly Settlement, insbesondere wenn es schnell geschieht, bevor tatsächliche Untersuchungen möglichen Fehlverhaltens möglich sind. Diese Einigungen schaffen zwar Rechtssicherheit für Unternehmen, Directors und Officers, doch können sie Aktionärsrechte radikal beschneiden und zu Missbrauch einladen.152 Sollte ein anderer Aktionär später, vielleicht nach eingehenderen Recherchen, in einer überzeugenden Klageschrift darlegen, dass die Directors und Officers ihre Pflichten tatsächlich signifikant verletzt haben und zu erheblichem Ausgleich verpflichtet werden können, muss ein Gericht diese Klage auf Antrag abweisen, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen mit denen der ursprünglichen Einigung zusammenhängen.153 Die 149 Solomon v. Pathe Communications Corp., 20 Del. J. Corp. L. 1123 (Del. Ch. 1995), S. 1131. Hierfür spricht auch, dass bereits vor der Flut von M&A Class Actions börsennotierte Unternehmen häufiger zu Einigungen bereit waren als nicht-börsennotierte Unternehmen, obwohl zumindest die Vermutung bestehen könnte, dass M&A-Transaktionen dort von vorn herein aufgrund der zusätzlichen kapitalmarktrechtlichen Aufsicht sorgfältiger aufgesetzt und geprüft werden. Vgl. Thompson, Thomas, New Look of Shareholder Litigation, 57 Vand. L. Rev. 133 (2004), S. 178. 150 Solomon, 20 Del. J. Corp. L. 1123 (1995), S. 1131. 151 Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 16 ff.; Leo E. Strine/ Lawrence A. Hamermesh/Matthew C. Jennejohn, Putting Stockholders First, Not the First-Filed Complaint, 69 The Business Lawyer 1 (2013), S. 51 f.; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015). 152 s. z. B. Geis, Preclusion Problem, 100 Va. L. Rev. 261 (2014), S. 303. 153 Dabei kommt es auf den genauen Wortlaut der Einigung an, doch die typische Freistellung bezieht sich auf „all possible claims, known or unknown, asserted or unasserted, arising out of or relating to the events that were the subject of the litigation.“ Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010). Der U.S. Supreme Court hat festgestellt, dass eine entsprechend for-
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Rechte der Aktionäre wären in einer hastigen Einigung nach einer übereilten Klage für Offenlegungen zweifelhaften Werts verkauft worden.154 Doch auch bei tatsächlich begründeten Klagen, die nicht mit einem DisclosureOnly Settlement sondern mit substantiellen Zahlungen beendet werden, haben die Directors und Officers ein persönliches Interesse an einer schnellen Einigung, da sie nur auf diese Weise die Kontrolle über den zu zahlenden Betrag behalten und sicher sein können, dass er sich innerhalb der durch ihre D&O-Police versicherten Haftungshöchstgrenze bewegt.155 Da Directors und Officers (anders als deutsche Organe) keine gesetzliche Selbstbeteiligung tragen müssen, werden sie von den zu leistenden Ausgleichszahlungen in diesem Fall nicht persönlich getroffen.156 Die Kosten der Versicherungen, auch in Form von höheren Prämien nach einer Inanspruchnahme, tragen die Unternehmen. Shareholder Representative Actions, insbesondere Derivative Actions, wirken aus dieser Perspektive wie ein Transfer aus dem Unternehmensvermögen, durch seine Zahlung der Kosten beider Seiten sowie der Versicherungsprämien, zurück in das Unternehmensvermögen (bzw. das Vermögen der Aktionäre im Falle einer Class Action) mit hohen Transferkosten an
mulierte Freistellung in einer Delaware Einigung auch Ansprüche unter dem Federal Securities Law ausschließen kann. Matsuhita Electric Industrial Co., Ltd. v. Epstein, 516 U.S. 367 (1996), S. 386. Die Beklagten hoffen sich auf diese Weise, in den Worten des Delaware Supreme Court, „complete peace“ zu sichern. In re Philadelphia Stock Exchange, Inc., 945 A.2d 1123 (Del. 2008), S. 1137. 154 Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010), S. 385; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 897; Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 2 (Professor Griffith spricht hier vom „Faustischen Pakt“, der den Anwälten auf beiden Seiten zu viel, den Aktionären systematisch zu wenig Vorteil bringt). Vgl. auch Del Monte, 25 A.3d 813 (2011), S. 617 (ernste Interessenkonflikte und Manipulationen des Finanzberaters waren auch für die bereits klagenden Aktionäre nicht sichtbar, „until discovery disturbed the patina of normalcy surrounding the transaction“ – eine frühe Einigung hätte hier die Chance zur Aufklärung zunichte gemacht); Rural Metro I, 88 A.3d 54 (2014), S. 79; In re Rural Metro Corp., 102 A.3d 205 (Del. Ch. 2014) (Forderungen, die letztendlich zu einem Urteil von über $ 75 Millionen gegen einen Finanzberater führten, wären beinahe in einem Disclosure-Only Settlement aufgegangen, hätte ein sogenannter „objector“ sich nicht erfolgreich durchgesetzt). s. auch Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 880 ff. & 887; Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 25 f. s. infra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 155 Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1578. Weiterer Druck auf die Directors und Officers wird durch die Möglichkeit der Freistellung durch das Unternehmen erzeugt, die entfallen könnte, wenn Pflichtverletzungen des Directors oder Officers im Zuge des Verfahrens festgestellt werden. S. 1578, Fn. 164. 156 In der Auswahl der Versicherungskonditionen liegt bereits ein vom Unternehmen finanzierter Vorteil für Directors und Officers, da D&O-Versicherungen, anders als andere Arten der Haftpflichtversicherung, die Verteidigungskosten übernehmen, die Beklagten aber die Kontrolle über das Verfahren behalten können. Das hierdurch erhöhte Prozess- und Kostenrisiko schlägt sich in höheren Prämien nieder. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1546.
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Plaintiffs’ Attorneys und D&O-Versicherungen.157 Erhält das Unternehmen gar keinen monetären Ausgleich, ist dieses Ungleichgewicht noch ausgeprägter. Shareholder Representative Actions, die dem Aktionärsschutz dienen sollen, sind daher in vielen Fällen nicht im Aktionärsinteresse. Wenn es weder zu Abschreckung der handelnden Fiduciaries durch mögliche eigene Zahlungen, noch zu substantiellen Ausgleichszahlungen an die Aktionäre, noch zu werthaltigen Corporate Governance Reformen oder Änderungen in Transaktionsbedingungen kommt, sind diese Kosten kaum zu rechtfertigen. d) Disclosure-Only Settlements bei nicht-werthaltigen M&A Class Actions Angesichts dieser Strukturen und Inzentivierungen der Beteiligten und der Bindung aller Aktionäre ist die Gefahr missbräuchlicher Einigungen zur Beilegung von Verfahren groß. In nur vier Jahren stieg die Zahl der durch eine Shareholder Representative Action angegriffenen M&A-Transaktionen mit einem Transaktionswert von über $ 100 Millionen auf mehr als das Doppelte, von ca. 40 % bis einschließlich 2007 auf ca. 90 % im Jahr 2010 an.158 Bis Ende 2015 hatte sich das Niveau bei über 90 % gehalten.159 Die große Mehrheit dieser Verfahren endete mit Disclosure-Only Settlements.160 Der enorme Anstieg innerhalb kurzer Zeit lässt die Anzahl der Klagen besonders suspekt erscheinen, denn es liegen keine Gründe nahe, weshalb die Directors und Officers sich so plötzlich und über mehrere Jahre in so viel größerem Maße fehlverhalten hätten.161 Bestärkt wird der Verdacht, dass die Plaintiffs’ Attorneys der wesentliche Treiber dieser Entwicklung gewesen seien, auch dadurch, dass die Zeit des plötzlichen Anstiegs der M&A-Klagen kurz auf den Ausfall oder die Spaltung 157 Vgl. z. B. Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1558; Fisch, Confronting the Circularity Problem, 2009 Wis. L. Rev. 333 (2009); Tom Baker/ Sean J. Griffith, The Missing Monitor in Corporate Governance: The Directors’ & Officers’ Liability Insurer, 95 Georgetown Law Journal 1795 (2006), S. 1814. Aber s. auch z. B. Black, Eliminating Securities Fraud Class Actions, 2009 Colum. L. Rev. 802 (2009), S. 812 ff. 158 Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 3; Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 579; Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489; Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 1. 159 Verschiedene Studien kommen aufgrund unterschiedlicher Zählungskriterien zu leicht abweichenden Zahlen, die an den Größenordnungen aber nichts ändern. Die Generalisierung „praktisch jede Transaktion“ wird von allen Studien getragen. 160 Zur genauen Anzahl bestehen im Schrifttum unterschiedliche Angaben aufgrund abweichender Parameter. s. z. B. Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 5; Cain/ Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 478. Zur Geschichte der Disclosure-Only Settlements s. z. B. Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 884 ff. (der Autor ist selbst Plaintiffs’ Attorney und war an einigen relevanten Fällen persönlich beteiligt). 161 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 489.
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einiger großer Kanzleien von Plaintiffs’ Attorneys folgte, die den Markt wieder öffneten und mit zahlreichen neuen Marktteilnehmern besiedelte.162 Eine alternative Erklärung, dass nur der Aufdeckungserfolg der Kläger so stark zugenommen habe und Directors und Officers schon vor dem Anstieg in neun von zehn Fällen ihre Pflichten verletzt haben sollten, erscheint unwahrscheinlich angesichts der vorherrschenden Disclosure-Only Settlements, die kein wesentliches Fehlverhalten aufdecken.163 In Schrifttum und Rechtsprechung besteht sogar der Verdacht, dass Boards of Directors bei M&A-Transaktionen inzwischen bestimmte, unwichtige Offenlegungen zurückhalten, so dass sie den Klägern einen schnellen Erfolg bescheren und die Klage in kurzer Zeit beilegen können.164 Im Jahr 2015 belegte eine empirische Studie, dass die zusätzlichen Offenlegungen, die Aktionäre in Disclosure-Only Settlements erhalten, für die Aktionäre in aller Regel keinen Wert bringen, da sie keinen Einfluss auf ihre Zustimmung zu oder Ablehnung einer Transaktionen haben.165 Im Gegenzug für diese wertlosen Offenlegungen und die Zahlung der Anwaltshonorare stellen die Aktionäre allerdings, wie bereits erwähnt, die Directors und Officers von allen weiteren möglichen Ansprüchen im Zusammenhang mit der Transaktion mit einem Global Release frei.166 Aufgrund der Eile, die bei diesen Einigungen oft herrscht, besteht eine echte Gefahr, dass tatsächlich bestehende Fehler oder Pflichtverletzungen nicht aufgedeckt, von zukünftigen Ansprüchen aber ausgeschlossen werden.167 Die Genehmigung des Gerichts ist für die Beilegung von Shareholder Representative Actions per Vergleich zwar nötig,168 und eine Vergütung der Plaintiffs’ Attorneys dürfte nur bei einer werthaltigen Einigung für die Aktionäre erfolgen,169 doch eine kritische richterliche Prüfung blieb selbst in Delaware bis in das Jahr 2015 162 Vgl. z. B. Randall S. Thomas, What Should We Do About Multijurisdictional Litigation in M&A Deals?, 66 Vanderbilt Law Review 1925 (2013), S. 1937; Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 10 f. 163 Vgl. Thompson/Thomas, New Look of Shareholder Litigation, 57 Vand. L. Rev. 133 (2004), S. 176. 164 Vgl. z. B. auch Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 572 (nachlässige Arbeit so hochbezahlter Anwälte und Investment Banker über so viele Jahre als ein unwahrscheinliches Alternativszenario); Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 915. 165 Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 585. Vgl. auch z. B. Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010), S. 385; Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 892; Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 2. 166 Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 16 ff.; Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 51 f.; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015). 167 Vgl. z. B. Del Monte, 25 A.3d 813 (2011), S. 617; Rural Metro II, 102 A.3d 205 (2014); Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 880 ff. s. infra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 168 Fed. R. Civ. P. 23(e); Del. Ct. Ch. R. 23(c) & (e). 169 Vgl. z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 23.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
fast vollständig aus.170 Sie war dem Gericht schon daher erschwert, da die Streitparteien beide ausschließlich Argumente für die Genehmigung des Vergleichs vorbringen.171 Dies ist eine außergewöhnliche Situation in einem Rechtssystem, das auf dem Streit entgegengesetzter Interessen und Argumente aufbaut und Richtern ein Urteil nur auf Basis des Vorgebrachten erlaubt.172 Insbesondere bei M&A Shareholder Litigation wird die Einigung dazu oft so schnell geschehen, dass noch keine substantielle Darlegung der Fakten stattgefunden haben und der Richter sich auf wenig andere Informationen stützen könnte, um den Vergleich abzulehnen.173 Dritte können zwar als „objectors“ weitere Argumente gegen die Einigung und die Gebühren vorbringen, dies geschah aber selten.174 170 Vgl. auch Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015). Für Beispiele von Fällen, in denen das Gericht Vergleiche aufgrund des Verdachts unerlaubter Absprachen zwischen Plaintiffs’ Attorneys und Beklagten besonders gründlich geprüft hat, s. Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 570 ff. Die richterliche Rolle wird hier, wie bereits im Zusammenhang mit Anwaltshonoraren erwähnt, unter anderem dadurch erschwert, dass zwischen den Parteien Einigkeit zugunsten des Vergleichs herrscht. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 20. 171 Vgl. z. B. Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 902, Fn. 64 (Das Gericht stellte fest, dass eine der von den Klägern geforderten Offenlegungen bereits in den ursprünglichen Offenlegungen enthalten war, und bemerkte, dass dieser Fehler bei einer streitigen Auseinandersetzung von der anderen Seite gefunden worden wäre. Wäre er dem Gericht nicht aufgefallen und wäre die Einigung akzeptiert worden, so wären die Plaintiffs’ Attorneys auf diese Weise für eine Offenlegung vergütet worden, die bereits in den ursprünglichen Transaktionsdokumenten enthalten war). Vgl. auch Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 895. 172 Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011), S. 1137; Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 897. Eine weitere Komplikation liegt in der Beweislastverteilung für den Corporate Benefit, da das Gericht vermuten muss, der Kläger bzw. Plaintiffs’ Attorney habe ihn durch die Klage verursacht, solange das Gegenteil nicht dargelegt wird. Da beide Seiten ein Interesse an der Einigung haben, werden Plaintiffs’ Attorneys so auch für positive Veränderungen belohnt, die beispielsweise in parallelen verwaltungs- oder strafrechtlichen Verfahren durchgesetzt wurden. Dies motiviert Plaintiffs’ Attorneys zusätzlich, auf den Beginn solcher Verfahren mit eigenen Klagen zu reagieren. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 54. 173 s. z. B. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 20; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 915. Vgl. auch Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 892 f. 174 Vgl. z. B. Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 887. Eine Ausnahme ist der Fordham Law School Professor Sean Griffith, der seit einigen Jahren gezielt gegen Disclosure-Only Settlements in Delaware sowohl mit akademischer Arbeit als auch mit gezielten „objections“ gegen solche Einigungen vorgeht. Die wegweisende Entscheidung, mit der der Chancery Court seine praktisch automatische Anerkennung von Disclosure-Only Settlements einstellte, benennt seine Arbeit als Grund für diese Umkehr. Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 890. Vgl. z. B. auch Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 18; Weiss/White, File Early, 57 Vand. L. Rev. 1797 (2004), S. 1801. s. auch Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010), S. 397. Auch ein wegweisendes Urteil zur Beihilfe zu Pflichtverletzungen in M&A-Transaktionen durch Dienstleister ist möglicherweise den Bemühungen von Objectors zu verdanken, die ein Disclosure-Only Settlement verhinderten. Rural Metro I, 88 A.3d 54 (2014), S. 79; Rural Metro II, 102 A.3d 205 (2014). Vgl. auch
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Genehmigt ein Richter die Einigung, muss er rechtlich einen Corporate Benefit in ihr sehen – damit steht den Anwälten ein Honorar zu.175 Sähe er keinen Corporate Benefit, so hätte er die Einigung nicht genehmigen dürfen. Solange der Chancery Court bereit war, einen Corporate Benefit in Disclosure-Only Settlements zu sehen, das sprichwörtliche „Pfefferkorn“ der Offenlegungen also als Wert zu betrachten, der die Bezahlung der Anwälte rechtfertigt, entwickelte sich trotz Bemühungen zur Einschränkung der Honorare176 ein unguter Zyklus. Denn ohne relevanten Widerstand war es im Interesse der Plaintiffs’ Attorneys, stetig weitere Klagen einzureichen und in ihrem gemeinsamen Interesse mit den Directors und Officers der Unternehmen möglichst schnelle Vergleiche, insbesondere in Form einfacher Disclosure-Only Settlements mit einem Global Release zu schließen. Jegliche verhaltenssteuernde Wirkung zur Verbesserung von Corporate Governance und M&ATransaktionen geht damit verloren.177 Durch die durch den Delaware Chancery Court im Jahr 2016 begonnene intensivere Prüfung des Corporate Benefit und konsequentere Ablehnung von Einigungen soll diesem Automatismus Einhalt geboten werden.178 Sie wird im Weiteren näher betrachtet. 2. Reformen der Shareholder Representative Actions a) Gesetzliche Reformen der Securities Class Actions Beginnend in den 1990er Jahren ist der amerikanische Gesetzgeber gegen die als stetig steigend empfundene Belastung der Unternehmen durch unbegründete Klagen von Professional Plaintiffs und unseriösen Plaintiffs’ Attorneys bei Federal Securities Class Actions vorgegangen. Der Private Securities Litigation Reform Act of 1995179 (PSLRA) machte die Klagen aufwändiger und ausführlicher.180 So fordert er von Klägern zum Beispiel bereits in der Klageschrift, also noch vor der genehmigten Beweisaufnahme, stichhaltige Anhaltspunkte, dass die beklagten Directors oder Officers tatsächlich und mit dem nötigen Scienter181 eine wesentliche falsche Behauptung gemacht oder
Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 880 ff. & 887 (der Autor war einer der Objectors und später Lead Plaintiff’s Attorney). 175 Vgl. z. B. Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 568 & 600. 176 s. infra, Festsetzung der Anwaltskosten (S. 210). 177 Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 910 ff. 178 s. infra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 179 Kodifiziert an verschiedenen Stellen in 15 U.S.C. 180 Für eine eingehende Besprechung des PSLRA und seiner Entstehungsgeschichte, s. z. B. Joel Seligman, The Private Securities Litigation Reform Act (1995), 38 Arizona Law Review 717 (1996). 181 Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 2509 f.
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Unterlassung begangen haben.182 Die Phase der „discovery“, in der die Beklagten umfangreichen und aufwändigen Offenlegungsforderungen der Kläger nachkommen müssen, darf nun erst beginnen, nachdem das Gericht Anhörungen zur Abweisung des Verfahrens geführt hat.183 Im Falle einer Verurteilung muss das Gericht feststellen, wie groß der anteilige Beitrag des jeweiligen Beklagten zum Schaden des Klägers war, die Beklagten haften nicht mehr gesamtschuldnerisch.184 Darüber hinaus enthält der PSLRA (unter der Überschrift „Restrictions on Professional Plaintiffs“) die Beschränkung, dass eine Person zeitgleich nur in fünf Class Actions als Lead Plaintiff auftreten darf,185 und verlangt von den Lead Plaintiffs bestimmte eidesstattliche Versicherungen über ihre Motivation, die den Missbrauch der Class Actions vermeiden oder zumindest strafrechtlich verfolgbar machen sollen.186 Auch besondere Vergütung für den Lead Plaintiff in Class Actions verbietet der PSLRA.187 Nach dem PSLRA müssen die Gerichte von der (widerlegbaren) Annahme ausgehen, dass der Aktionär mit dem höchsten Schaden der geeignetste Lead Plaintiff ist, so dass diese Rolle häufiger institutionellen Investoren zukommt, denen eine verantwortungsvolle Prozessführung eher zugetraut wird.188 Als nach Erlass des PSLRA mehr und mehr Kläger ihre Klagen in den State Courts einreichten,189 um so das Federal Law und seinen Wirkungsbereich zu vermeiden, folgte der Securities Litigation Uniform Standards Act of 1998190 (SLUSA). SLUSA zwingt Kläger, sich den Bestimmungen des PSLRA zu unterwerfen, indem den Federal Courts die ausschließliche Zuständigkeit für Class Actions zu Wertpapier-
182 15 U.S.C. § 78u-4(b)(1) und (2). Vgl. z. B. Hillary Sale, Heightened Pleading and Discovery Stays: An Analysis of the Effect of the PSLRA’s Internal-Information Standard on ‘33 and ‘34 Act Claims, 76 Washington University Law Quarterly 537 (1998), S. 552 ff. 183 15 U.S. Code § 78u-4(b)(3)(B). Vgl. z. B. Sale, Pleading and Discovery Stays, 76 Wash. U. L. Q. 537 (1998), S. 576 ff.; Wendy Gerwick Couture, The PSLRA Discovery Stay Meets Complex Litigation: Five Questions Answered, Securities Regulation Law Journal 2014, 243. 184 15 U.S.C. § 78u-4(f)(2). Beklagte, die den Betrug bewusst begangen haben, können nach wie vor als Gesamtschuldner haften. Vgl. auch Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006), S. 1573; Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005). S. 875. 185 15 U.S.C. § 77z–1(a)(3)(B)(vi) und § 78u-4 entsprechend. 186 15 U.S.C. § 77z–1(a)(2)(A) und § 78u-4 entsprechend. 187 15 U.S.C. § 77z-1(a)(4). 188 15 U.S.C. § 77z-1(a)(3)(B)(iii). Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:126; Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 876. In Delaware gelten ähnliche Regeln. Vgl. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 218. Kritisch hierzu z. B. Burch, Governing Securities Class Actions, 80 U. Cin. L. Rev. 299 (2012), S. 300 ff. 189 s. z. B. Cecilia A. Glass, Sword or Shield: Setting Limits on SLUSA’s Ever-Growing Reach, 63 Duke Law Journal 1337 (2014), S. 1342. 190 Kodifiziert an verschiedenen Stellen in 15 U.S.C.
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betrug übertragen wird, selbst wenn die Kläger sich auf das entsprechende Betrugsgesetz des einzelnen Staates berufen hatten.191 Ein zusätzlicher Schutz der Unternehmen sowie ihrer Directors und Officers folgte, als der Class Action Fairness Act of 2005192 (CAFA) verabschiedet wurde. Er unterstellt die meisten Class Actions jeglicher Art ab einer gewissen Größe von vornherein der Zuständigkeit der Federal Courts.193 SLUSA und CAFA sichern den Beklagten zu, dass sie nicht der Unsicherheit der Gerichte und Juries der einzelnen Staaten ausgesetzt werden, und den Schutz des PSLRA vor einem Federal Court unter Anwendung des Prozessrechts gemäß Federal Law genießen.194 Alle drei Gesetze waren heftig umstritten und wurden erlassen, als die Republikanische Partei beide Kammern des Kongress beherrschte.195 Der PSRLA erfuhr sogar ein Veto des Demokraten und damaligen Präsidenten Bill Clinton, das der republikanische Kongress überstimmte.196 Was auf der einen Seite als Schutz der Unternehmen vor unberechtigten Klagen und unseriösen Anwälten und Klägern gesehen wurde, galt auf der anderen als Entmündigung der Anleger und carte 191 Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 355; 15 U.S.C. § 77p(b). Eine Ausnahmeregelung gilt für Class Actions, in denen Kläger M&ATransaktionen anfechten, der sogenannte „Delaware carve-out“. 15 U.S.C. § 77p(d)(1)(A),(B) und § 78bb(f)(3)(A)(i),(ii) entsprechend; vgl. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 354 & 372; Glass, Sword or Shield, 63 Duke L.J. 1337 (2014), S. 1345. In diesem Fall darf zwar nur das Recht des State of Incorporation angewendet werden, die Class Action kann aber auch vor einem anderen möglichen State Court verhandelt werden. Auf diese Weise können Kläger, die das Recht des Staates Delaware anwenden, sich dennoch einen Staat relativ frei auswählen, solange sich in diesem Staat Zuständigkeit begründen lässt. s. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 375. Für eine eingehendere Beschreibung des SLUSA mit seinen zahlreichen Einschränkungen und Ausnahmen s. z. B. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 353; Glass, Sword or Shield, 63 Duke L.J. 1337 (2014), S. 1342 ff. 192 Kodifiziert an verschiedenen Stellen in 28 U.S.C. 193 Eine Class Action muss Ansprüche von mindestens $ 5 Millionen und von mindestens 100 Personen betreffen, solange eine einzige anspruchsberechtigte Person ihren Wohn- oder Gründungssitz in einem anderen Staat als mindestens eine der beklagten Personen hat. 28 U.S.C. § 1332(d)(2). Vgl. z. B. Adam N. Steinman, Kryptonite for CAFA?, 32 Review of Litigation 649 (2013) (zu den strategischen Aspekten dieser Regelung). Es gelten bestimmte Ausnahmen, wenn es eine klare Verbindung zwischen einer Vielzahl der Anspruchsberechtigten und den Beklagten mit dem Staat gibt, in dem die Klage eingereicht wurde. Für eine detailliertere Behandlung des CAFA, s. z. B. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 356. 194 Vgl. z. B. Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 10; Samuel Issacharoff/Catherine M. Sharkey, Backdoor Federalization, 53 University of California Los Angeles Law Review 1353 (2006), S. 1415 ff.; Steinman, Kryptonite for CAFA?, 32 649 (2013), S. 650. Unter anderem aufgrund der Reformen werden Securities Class Actions seitdem ganz wesentlich bei den Federal Courts eingereicht. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 373. 195 Für einen politischen Hintergrund zum PSLRA, s. z. B. Seligman, The PSLRA, 38 Ariz. L. Rev. 717 (1996); Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 874 ff. 196 Seligman, The PSLRA, 38 Ariz. L. Rev. 717 (1996), S. 725.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
blanche für Fehlverhalten und Gier in Unternehmen. Zufriedenheit mit dem System herrschte aber auch im Anschluss auf keiner der beiden Seiten.197 b) Regulierung der M&A Class Actions durch die Gerichte Trotz positiver Entwicklungen bei Federal Securities Class Actions werden Shareholder Representative Actions zu M&A-Transaktionen nach State Law, die von den Reformen des Federal Law nicht betroffen sind, noch immer im hohen Maße missbraucht. Die Gerichte spielen bei Shareholder Representative Actions eine besonders wichtige Rolle, da sie sicherstellen müssen, dass die Geschädigten, die nicht selbst erscheinen (sei es die Gesellschaft oder die nicht anwesenden Aktionäre), adäquat vertreten sind. Sie müssen zum Beispiel beurteilen, ob die Aktionäre das Recht auf eine Derivative Action erhalten sollen, die Class Certification vornehmen, und letztendlich den Vergleichen und Anwaltshonoraren zustimmen, sofern diese durch die Geschädigten oder die Corporation getragen werden sollen. Sie können daher großen Einfluss nicht nur auf den Verlauf der Verfahren, sondern auch auf die Inzentivierungen der Beteiligten nehmen. aa) Festsetzung der Anwaltskosten In Shareholder Representative Actions, in denen die Corporation einen Corporate Benefit erfahren hat, steht den Anwälten der Kläger, wie bereits erwähnt, rechtlich ein Honorar zu, das die Beklagten zusätzlich zu möglichen Zahlungen an die Kläger leisten müssen.198 Es handelt sich dabei zwar um ein Honorar, das ihnen nur bei Erfolg zukommt, doch beruht es, im Gegensatz zu klassischen Erfolgshonoraren bei Schadensersatzklagen beispielsweise wegen Körperverletzung, in aller Regel nicht auf einem Vertrag mit den Klägern oder einem bestimmten Prozentsatz.199 Die Höhe dieses Honorars liegt stattdessen in Delaware im freien Ermessen des Gerichts, wobei die Rechtsprechung einige Faktoren erarbeitet hat, die es bei dieser Beurteilung leiten.200 Hat die Klage zu monetärem Ausgleich geführt, so kann das 197 Vgl. auch z. B. Joseph A. Grundfest, Disimplying Private Rights of Action under the Federal Securities Laws: The Commission’s Authority, 107 Harvard Law Review 961 (1994); Joel Seligman, The Merits Do Matter: A Comment on Professor Grundfest’s „Disimplying Private Rights of Action Under the Federal Securities Laws: The Commission’s Authority“, 108 Harvard Law Review 438 (1994); Coffee, Reforming the Securities Class Action, 106 Col. L. Rev. 1534 (2006); Black, Eliminating Securities Fraud Class Actions, 2009 Colum. L. Rev. 802 (2009), S. 816 ff. 198 s. z. B. Sugarland, 420 A.2d 142 (1980), S. 149 f.; Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011), S. 1123; Goodrich, 681 A.2d 1039 (1996), S. 1039; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1253. 199 Alexander, Contingent Fees, 47 DePaul L. Rev. 347 (1998), S. 348. 200 Sugarland, 420 A.2d 142 (1980), S. 149. s. auch Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011), S. 1135. Zusätzlich kann die bereits erfolgte Zustimmung der Beklagten den Chancery Court zu
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Honorar als Prozentsatz des errungenen Betrags errechnet werden, wobei die sogenannte „lodestar method“ inzwischen häufiger verwendet wird, die den Anwälten einen angemessenen Stundensatz einräumt und diesen dann mit einem Faktor multipliziert, der Aspekte wie das wirtschaftliche Risiko mit einbezieht.201 Der wichtigste Faktor, insbesondere bei nicht-monetären Urteilen, liegt aber im Wert des Ergebnisses für die Corporation und die Aktionäre.202 Delaware zeichnet sich traditionell dadurch aus, dass es nicht fundierte Klagen schnell erkennt und abweist, für sinnvolle Klagen allerdings deutlich höhere Honorare für die Plaintiffs’ Attorneys zulässt.203 Der Chancery Court sieht sich dabei explizit dazu berufen, Plaintiffs’ Attorneys durch die Belohnung herausragender Leistung als „Private Attorney Generals“ zu inzentivieren, sinnvolle Beschwerden ernst zu nehmen und vorzutragen.204 Umgekehrt wurden Klagen, die höchstens geringfügigen Wert für die Corporation geschaffen haben, vor allem DisclosureOnly Settlements mit Offenlegungen von zweifelhafter Wichtigkeit mit geringeren Anwaltshonoraren bedacht, die die Unternehmen nicht übermäßig belasten und Anwälte nicht weiter motivieren sollen. So setzte der Court of the Chancery beispielsweise im Fall In re Sauer-Danfoss Inc. Shareholders Litigation, in dem die Kläger und ihre Anwälte elf zusätzliche Offenlegungen errungen hatten, die Anwaltsvergütung von den geforderten $ 750.000 auf lediglich $ 75.000 herunter, da das Gericht das Disclosure-Only Settlement als schwach und nur eine der elf Offenlegungen als ansatzweise „material“ betrachtete.205
einem etwas höheren Honorar bewegen, als das Gericht es sonst für gerechtfertigt hielte. s. z. B. Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 642. 201 Goodrich, 681 A.2d 1039 (1996), S. 1046; s. auch Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 640 ff.; Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1253. Die Lodestar Method wird ebenso für Federal Securities Class Actions verwendet. Alexander, Contingent Fees, 47 DePaul L. Rev. 347 (1998), S. 348 ff. 202 s. z. B. Brinckerhoff, 986 A.2d 370 (2010), S. 396; Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011), S. 1136. 203 Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 4; Joseph A. Grundfest, The History and Evolution of Intra-Corporate Forum Selection Clauses: An Empirical Analysis, 37 Delaware Journal of Corporate Law 333 (2012), S. 374. Anwaltshonorare für Plaintiffs’ Attorneys in Delaware fallen durchschnittlich $ 400.000 bis $ 500.000 höher aus als in anderen Staaten, es werden aber im Schnitt mehr Klagen abgewiesen. 204 Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1252; Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011), S. 1141 („By granting minimal fees when deal litigation confers minimal benefits, this Court seeks to align counsel’s interests with those of their clients and encourage entrepreneurial plaintiffs’ lawyers to identify and litigate real claims.“) s. auch S. 1137 und Appendices mit einer in Reihe von Delaware Entscheidungen, die je nach Werthaltigkeit der Offenlegungen Anwaltshonorare unterschiedlicher Höhe zulassen. 205 s. z. B. Sauer-Danfoss, 65 A.3d 1116 (2011), S. 1116. Vgl. auch Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 888. Die Gerichte in Delaware haben ihre Handhabe von Disclosure-Only Settlements in den Jahren 2015 und 2016 grundlegend geändert, s. infra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213).
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
Die Zuerkennung eines Anwaltshonorars von $ 300 Millionen in In re Southern Peru Copper Corp. Shareholder Derivative Litigation im Dezember 2011, dem zu dem Zeitpunkt höchsten Anwaltshonorar in der Geschichte des Chancery Court,206 ist ein Beispiel für dieselbe aktive richterliche Strategie am anderen Ende des Spektrums. Unternehmen in Delaware, die diese Anwaltskosten im Klagefall tragen müssten, könnten hierin zunächst Grund zur Besorgnis sehen. Bei Southern Peru handelte es sich allerdings um eine in hohem Maße begründete Klage gegen einen Mehrheitsaktionär, der seine Rolle ausgenutzt hatte um das Unternehmen ohne ausreichende Kompensation vollständig übernehmen zu können, und einen Prozess, der von den klageführenden Anwälten deutlich im Unternehmens- beziehungsweise Aktionärsinteresse geführt wurde.207 Am Ende stand eine Ausgleichszahlung von $ 2 Milliarden.208 Der Chancery Court und der Delaware Supreme Court sahen das hohe Honorar (15 % der Urteilssumme) als „gesunden Ansporn“ (a „healthy incentive“) für Plaintiffs’ Attorneys, echten Mehrwert durch die Verfolgung gerechtfertigter Shareholder Representative Actions zu schaffen.209 Dieser Fall und das Anwaltshonorar sollten das Board of Directors also motivieren, auf die gründliche Ausübung ihrer Fiduciary Duties zu achten. Er ist ein Beispiel einer Derivative Action mit richtig gesetzten Anreizen als wirksames expost Instrument und ex-ante Inzentivierung aller Parteien zu besserer Corporate Governance.
206
Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1218; Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 2. 207 Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1255 ff. Obwohl Chancellor Strine die verantwortlichen Directors in Southern Peru als „competent, well-qualified individuals with business experience“ beschreibt, hatten sie es, so Strine, in diesen Verhandlungen an jedem Business Judgment fehlen lassen. Er betitelte ein Abschnitt des Urteils: „The Special Committee Gets Lost In The Perspective-Distorting World Of Dealmaking With A Controlling Stockholder“. Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 97. s. auch Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 494. 208 Southern Peru, 30 A.3d 60 (2011), S. 120. Die Klage war ausgelöst worden, als der Mehrheitsaktionär der Southern Peru dem Unternehmen seinen ca. 99 %igen Anteil an einem mexikanischen Minenunternehmen im Austausch für Southern Peru Aktien verkaufen wollte. Im Zuge der Verhandlungen, so der Chancery Court, wurde das mexikanische Unternehmen zu hoch und die Anteile an Southern Peru deutlich zu tief bewertet, so dass sich bei einem Kaufpreis von $ 3,75 Milliarden eine Differenz von $ 1,3 Milliarden ergab, die der Mehrheitsaktionär nunmehr erstatten musste. Hinzu kamen zum Zeitpunkt der Zahlung Zinsen in Höhe von über $ 700 Millionen. 209 Americas Mining Corp., 51 A.3d 1213 (2012), S. 1252. Ein weiteres Beispiel ist Del Monte, ein Fall in dem das Gericht dank eines Prozessgewinns von $ 90 Millionen in einem komplexen Fall ein Anwaltshonorar von $ 22 Millionen gerechtfertigt fand. Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 567.
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bb) Ablehnung von Disclosure-Only Settlements Die Inzentivierung zu konstruktiven Klagen, die sich die Gerichte von Southern Peru erhofften, hatte allerdings keinen merkbaren Einfluss auf die Zahl der Klagen und anschließenden Vergleiche ohne offensichtlichen Wert für die Unternehmen, die weiterhin als ernstes Problem gesehen wurden. Die zahlreichen Disclosure-Only Settlements und der mangelnde Effekt, den sie auf die Entscheidung der Aktionäre haben, für oder gegen die Transaktion zu stimmen, war ein wesentlicher Grund für den Chancery Court, im Jahr 2016 in seiner Entscheidung in In re Trulia Shareholder Litigation die Ablehnung von Disclosure-Only Settlements zu beginnen, solange diese nicht eine Offenlegung beinhaltet, deren Wesentlichkeit offensichtlich ist („plainly material“).210 Das Gericht hatte dies in einigen Entscheidungen Ende des Jahres 2015 bereits klar angekündigt.211 Im Vorfeld waren in einigen Fällen ernste Pflichtverletzungen nach Ablehnung eines Disclosure-Only Settlement zu Tage gekommen, die durch das Disclosure-Only Settlement abgegolten worden wären.212 Dazu war die bereits erwähnte Studie zur Wertlosigkeit der Offenlegungen veröffentlicht worden und einer ihrer Autoren, Rechtsprofessor Sean Griffith, war in zahlreichen Verfahren als Objector aufgetreten, um auf diese Wertlosigkeit hinzuweisen.213 In seiner Entscheidung zu Trulia nannte Chancellor Andre Bouchard zwei alternative Möglichkeiten zur gerichtlichen Überprüfung von Transaktionen und den dazugehörigen Offenlegungen, die die Disclosure-Only Settlements betreffen. Zunächst können Aktionäre eine einstweilige Unterlassungsverfügung gegen die Transaktion durchsetzen.214 Dies erfordert eine aufwändigere Darlegung von Seiten der Kläger, die das Gericht von der wesentlichen Fehlerhaftigkeit der Offenlegungen
210 Trulia, 129 A.3d 884 (2016). „[…] practitioners should expect that disclosure settlements are likely to be met with continued disfavor in the future unless the supplemental disclosures address a plainly material misrepresentation or omission, and the subject matter of the proposed release is narrowly circumscribed to encompass nothing more than disclosure claims and fiduciary duty claims concerning the sale process, if the record shows that such claims have been investigated sufficiently.“ S. 898. Vgl. auch z. B. Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 585 f. 211 s. z. B. Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 4; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 884 & 899 ff. 212 Vgl. z. B. Del Monte, 25 A.3d 813 (2011), S. 617; Rural Metro I, 88 A.3d 54 (2014); Rural Metro II, 102 A.3d 205 (2014). Vgl. auch Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 880 ff. & 887 (der Autor war einer der Objectors und später Lead Plaintiff’s Attorney). 213 Vgl. z. B. Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 878 f. Wie bereits erwähnt, wies der Chancery Court spezifisch auf die Beiträge des Fordham Law School Professors Sean Griffith als Objector hin, um seine Kursänderung zu erklären. Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 890. Vgl. auch Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 18; Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015). 214 Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 896.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
überzeugen müssen,215 beugt aber gänzlich unberechtigten Klagen vor. Die zweite von Bouchard genannte Möglichkeit besteht aus freiwilligen Offenlegungen des Unternehmens als Antwort auf die Klage und ein darauf folgender Antrag der Plaintiffs’ Attorneys für eine Prämie, sofern das Gericht die Offenlegungen für wertvoll erachtet.216 In diesem Szenario wäre die Klage nicht mehr begründet, es bestünde aber keine Absprache zwischen den beiden Parteien und keine Freistellung der Directors und Officers von zukünftigen Ansprüchen, so dass das Unternehmen bei der Entscheidung über die Anwaltsprämie Argumente gegen eine zu hohe Zahlung vortragen könnte und würde.217 Die Entscheidung des Gerichts über den Wert der Offenlegungen und eine angemessene Entlohnung der Anwälte wäre damit besser fundiert.218 Bestünde Einigkeit über eine angemessene Vergütung der Anwälte, könnten sich die Parteien sogar ohne gerichtliche Zustimmung einigen,219 wobei das Potential einer Deal Tax hier nicht auszuschließen wäre. Nur durch Ablehnung von Vergleichen, die aus Sicht der Richter für die Corporation und ihre Aktionäre keinen Wert haben, also die Verneinung eines Corporate Benefit, ist es ihnen möglich, von einem Honorar für die Plaintiffs’ Attorneys gänzlich abzusehen und die Inzentivierung für derartige Klagen von vorn herein zu reduzieren.220 Sie gehen dabei zwar das Risiko ein, dass die Kläger ihren Forderungen in einem Ressourcen verschwendenden Verfahren weiter nachgehen,221 ein ebenfalls unerwünschtes Ergebnis222 – doch ist davon auszugehen, dass die Plaintiffs’ Attorneys, die das Kostenrisiko der Verfahren tragen, hieran wenig Interesse haben. Dies gilt umso mehr, da die Ablehnung des Vergleichs durch das Gericht einen Hinweis zu seiner Einschätzung der Klage enthalten wird. Die Bestätigung von Vergleichen und die damit verbundene gerichtliche Festsetzung des Anwaltshonorars ist also ein Instrument mit großer potentieller Wirkung für das System von Haftung und Corporate Governance, im Positiven wie im Negativen. Selbst der Chancery Court, der sich dieser Verantwortung bewusst ist, hat eine unzulängliche, systemschädigende Situation viele Jahre lang existieren lassen, bevor er einen wichtigen Schritt zu einer besseren Balance tätigte. Die Reaktion sowohl der Kläger als auch der Unternehmen war zunächst nicht überwiegend po215
Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 896. Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 896 f. 217 Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 897. 218 Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 897 („Hence, the adversarial process would remain in place and assist the Court in its evaluation of the nature of the benefit conferred (i. e., the value of the supplemental disclosures) for purposes of determining the reasonableness of the requested fee.“). 219 Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 898. 220 Vgl. z. B. Fisch, Peppercorn Settlement, 93 Tex. L. Rev. 557 (2015), S. 568 & 600. 221 Von der Klage abzusehen würde für die Plaintiffs’ Attorneys den Verlust des bereits Investierten bedeuten. Nur durch die weitere Verfolgung bleibt ihnen die Chance auf Kostenerstattung und Vergütung erhalten. 222 Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 21. 216
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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sitiv, wie im Weiteren dargelegt.223 Doch obwohl davon auszugehen ist, dass diese Entwicklung zunächst Instabilität und möglicherweise höhere Kosten und Komplexität bei M&A-Transaktionsverhandlungen bedeutet,224 ist aus der Perspektive der Corporate Governance zu hoffen, dass andere Staaten und die Federal Courts Delaware und den anderen Staaten folgen.225 Zum Teil sind dort in Honoraranträge nach Disclosure-Only Settlements in den letzten Jahren entsprechend neu erlassener Gesetze abgewiesen worden.226 cc) Auswahl der Kläger Eine weitere Methode, mit der das Gericht unbegründeten Klagen entgegenwirken kann, ist die Abweisung von Klagen, wenn die einreichenden Aktionäre ihre Ansprüche zuvor nicht ausreichend geprüft haben.227 Die Abweisung richtet sich dabei gegen den Lead Plaintiff, der seine eigenen Fiduciary Duties verletzt hat und sich offenkundig nicht an den Interessen des Unternehmens bzw. der Aktionäre, sondern denen seines Anwalts orientiert, der ihn zur Eile drängt, um eine Chance auf die Lead Plaintiff Position nicht zu verlieren.228 Delaware legt Aktionären eindringlich nahe, vor dem Beginn einer Derivative Actions, von ihrem Informationsrecht gemäß DGCL § 220 Gebrauch zu machen und Akteneinsicht bei der Corporation durchzuführen, um die Stichhaltigkeit ihres Verdachts auf Fehlverhalten
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s. infra, Entwicklungen der Shareholder Representative Actions (S. 223). s. z. B. Dari-Mattiacci/Talley, Disclosure-Only Settlements in Merger Objection Lawsuits (Entwurf 2016). 225 So auch Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 899. Chancellor Bouchard weist in seiner Urteilsbegründung allerdings auch darauf hin, dass Delaware Corporations das Ausweichen auf andere Staaten durch Forum Selection Bylaws unterbinden können. Vgl. infra, Festsetzung des Gerichtsstands (S. 219). Inwieweit Unternehmen dies aber tatsächlich nutzen wollen, ist zunächst noch fraglich. Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 6 ff. Den Ablehnungen in Delaware gingen mehrere in New York voraus, an denen Professor Griffith ebenfalls mit Objections beteiligt gewesen war. s. Gordon v. Verizon Communications, Inc., 2014 NY Slip Op 33367 (U) (Sup. Ct. N.Y. Cnty. 2014); City Trading Fund v. Nye, 2015 NY Slip Op 50008 (N.Y. Supreme Court 2015). 226 s. z. B. Kazman v. Frontier Oil Corp., 398 S.W. 3d 377 (Tex. Ct. App. 2013). In Texas existiert mit Rule 42(i)2 der Texas Rules of Civil Procedure eine zivilprozessrechtliche Norm, die pekuniäre Honorare an Anwälte in Shareholder Class Actions nur dann zulässt, wenn auch die Aktionäre pekuniären Ausgleich erhalten haben. Die Ablehnung eines Anwaltshonorars von mehr als $ 600.000 wurde von einem Objector in zweiter Instanz durchgesetzt.); Pipefitters Local No. 636 Defined Benefit Plan v. Oakley, Inc., 180 Cal. App. 4th 1542 (Cal. App. 4th 2010), S. 1545 ff.; Abouab v. City and County of San Francisco, 46 Cal. Rptr. 3d 206 (Cal. App. 1st 2006), S. 231. Vgl. auch Sean J. Griffith/Alexandra D. Lahav, The Market for Preclusion in Merger Litigation, 66 Vanderbilt Law Review 1053 (2013), S. 1079. 227 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 522. s. z. B. Brehm, 746 A.2d 244 (2000), S. 266 f. 228 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 522. 224
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
bei der Gesellschaft zu prüfen.229 In der schnellen Welt der Aktionärsklagen reicht aber häufig eine einfache Transaktion schon als „suspicious event“ – eine Prüfung ihrer Vorwürfe nehmen viele Plaintiffs’ Attorneys, wenn überhaupt, erst nach Einreichen der Klage vor.230 c) Einschränkung von Derivative und M&A Class Actions per Bylaws Neben den gesetzlichen Reformen und dem richterlichen Eingreifen können gesellschaftsrechtliche Entwicklungen der letzten Jahre einen potentiell großen Einfluss auf die Zukunft von Derivative und Class Actions haben. Viele Fragen, die das inner-gesellschaftliche Verhältnis betreffen, werden auf der Ebene des einzelnen Unternehmens durch Änderungen seiner „bylaws“ geregelt, die das Board of Directors, je nach Satzung, eigenständig ändern kann.231 Da die Änderungen häufig dem direkten Aktionärsinteresse entgegenstehen, muss nach entsprechender Klage gerichtlich geklärt werden, ob das Board of Directors sie ohne Zustimmung beschließen durfte.232 aa) Zwingende Arbitration Aktuelle Rechtsprechung in Delaware klärt zwar nicht endgültig, legt aber nahe, dass Klauseln in den Bylaws, die Schiedsgerichtsbarkeit („arbitration“) durch jeden einzelnen Geschädigten als einziges Mittel der Konfliktlösung zwischen Aktionären und der Corporation festlegen, als rechtmäßig anerkannt werden könnten, selbst wenn sie nur durch das Board of Directors, nicht die Aktionäre verabschiedet werden.233 Die Unternehmen versprechen sich enorme Ersparnisse von diesen Klauseln, da sie teure Class Actions ersetzen könnten.234 229 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 522; Geis, Preclusion Problem, 100 Va. L. Rev. 261 (2014), S. 295. DGCL § 220 gibt jedem Aktionär das Recht, die Bücher und Aufzeichnungen der Corporation einzusehen, solange er den Zweck dieser Einsicht unter Eid angibt. 230 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 517. 231 DGCL § 109 (a). 232 s. z. B. Boilermakers Local 154 Retirement Fund v. Chevron Corporation, 73 A.3d 934 (Del. Ch. 2013), S. 954 ff.; ATP Tour, Inc. v. Deutscher Tennis Bund, 91 A.3d 554 (Del. 2014), S. 557 ff. Zur formalen Rechtmäßigkeit dieser Bedenken s. z. B. auch Ann M. Lipton, Manufactured Consent: The Problem of Arbitration Clauses in Corporate Charters and Bylaws, 104 Georgetown Law Journal 583 (2016), S. 603 ff.; Barbara Black, Arbitration of Investors’ Claims Against Issuers: An Idea Whose Time Has Come?, 75 Law and Contemporary Problems 107 (2012), S. 110 ff.; Grundfest, History and Evolution, 37 Del. J. Corp. L. 333 (2012), S. 342. 233 Die Fälle AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 131 S. Ct. 1740 (2011) und American Express Co. v. Italian Colors Restaurant, 133 S. Ct. 2304 (2013) vor dem U.S. Supreme Court waren keine Securities Class Actions, doch werden sie als Hinweis darauf gewertet, dass ähnliche Arbitration-Klauseln ohne Zustimmung der Aktionäre auch bei Unternehmen anerkannt würden. Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit den Delaware Entscheidungen
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Sollten Gesellschaften tatsächlich die Möglichkeit haben und nutzen, Shareholder Class Actions auf diese Weise auszuschließen,235 müsste jeder geschädigte Aktionär seine Forderungen selbst durchsetzen, so dass sich das Verfahren eines Schadensausgleichs für Personen mit geringen Ansprüchen nicht lohnen würde.236 Selbst Corporations, Officers und Directors, die einen hohen Gesamtschaden verursacht haben, würden bei ausreichend breiter Streuung der Unternehmensanteile nicht belangt.237 Corporate Governance Reformen und Verbesserungen von unzureichenden Transaktionen würde ein Einzelkläger weder durchsetzen können noch wollen, da er allein die Kosten trüge, während alle anderen Aktionäre profitierten.238 Noch bedenklicher wären Arbitration-Klauseln in Fällen, in denen einige wenige Einzelaktionäre im Besitz einer so großen Anzahl der Anteile sind, dass sich die Arbitration ihrer Ansprüche lohnte. Sie erhielten einen Ausgleich, der den kleineren Aktionären nicht nur verwehrt bliebe, sondern den diese kollektiv durch die Minderung des Unternehmenswerts durch die Kosten tragen müssten.239
Chevron, 73 A.3d 934 (2013) und ATP Tour, 91 A.3d 554 (2014), in denen der Delaware Supreme Court Klauseln anerkannt hatte, die den Gerichtsstand für interne Dispute mit den Aktionären auf einen einzigen Staat festlegte, obgleich diese nicht von den Aktionären verabschiedet worden waren. Frühere U.S. Supreme Court Entscheidungen werteten Arbitration Klauseln wie Forum-Selection Klauseln, da sie das Arbitration-Tribunal als Forum sahen. Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506 (1974), S. 519; Mitsubishi Motors Co. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985), S. 630. Vgl. auch Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 112. Eine wesentliche Frage zur Anwendung der Entscheidungen des U.S. Supreme Court auf das Gesellschaftsrecht in Delaware ist, ob die Charter und die Bylaws einer Corporation als Vertrag gewertet werden. Vgl. auch Claudia Allen, Bylaws Mandating Arbitration of Stockholder Disputes?, 39 Delaware Journal of Corporate Law 751 (2015); Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 206 ff.; Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 113 ff. 234 Ob Arbitration, falls sie im größeren Umfang genutzt wird, tatsächlich kostengünstiger ist als Class Actions, ist umstritten. Vgl. z. B. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 241. 235 Zur Unattraktivität der Möglichkeit von Class Action Arbitration s. z. B. Concepcion, 131 S. Ct. 1740 (2011), S. 1752. Vgl. auch z. B. Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 124. 236 Vgl. z. B. Concepcion, 131 S. Ct. 1740 (2011), S. 1761 (Justice Breyer, Minderheitsvotum). 237 Vgl. z. B. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 210; Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 792; Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 125; Fitzpatrick, End of Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 161 (2015), S. 166 („a class action waiver is not only a change in procedure, but also a change in liability“). 238 Vgl. z. B. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 226. 239 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 259; Fitzpatrick, End of Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 161 (2015), S. 191.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
Für die Beklagten hat Arbitration außerdem den Vorteil, dass sie vertraulich bleibt, Vorwürfe und Enthüllungen also nicht öffentlich bekannt werden müssen.240 Damit einher geht der Nachteil, dass Schiedssprüche in jeder Arbitration erneut zeitund kostenintensiv erarbeitet werden müssen und bei mehreren Verfahren zum gleichen Sachverhalt ebenso viele verschiedene Ergebnisse möglich sind.241 Nicht nur im einzelnen Fall wäre bei zunehmender Arbitration von weniger Rechtssicherheit auszugehen, sondern im Rechtssystem insgesamt, da keine (oder zumindest weniger) Rechtsprechung veröffentlicht würde, die für Rechtssicherheit und Rechtsentwicklung unabdingbar sind.242 Da es bei den bisherigen höchstrichterlichen Urteilen zu zwingender Arbitration nicht um Aktionärsklagen ging, ist angesichts dieser Verzerrungen des Kapitalmarkts, die Arbitration in dem Zusammenhang verursachen würde, und der Einschränkung der Aktionärsrechte nicht klar, dass solche Klauseln tatsächlich anerkannt würden.243 Die SEC und prominente Investoren haben sich gegen solche Klauseln ausgesprochen,244 so dass sie bei börsennotierten Unternehmen bisher kaum vorkommen.245 Außerdem ist letztendlich nicht klar, ob es wirklich im Interesse der Unternehmen wäre, sich für so eingreifende Verfahren wie Securities Class Actions auf ein Instrument zu beschränken, das ihnen kaum Möglichkeiten zur Berufung ließe.246 Wie viele Fragen im Zusammenhang mit Class Actions sind auch zwingende Arbitration-Klauseln ein polarisierendes politisches Thema in den USA, da sie als wirtschaftsfreundlich erachtet und den Republikanern zugeschrieben werden.247 Ein genauerer Blick auf ihre wahrscheinlichen Konsequenzen legt aber nahe, dass sie 240 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 242; Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 119. 241 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 241. 242 Vgl. z. B. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 242. Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 128; Armour, Is Delaware Losing Its Cases?, 9 J. Empirical Legal Stud. 605 (2012), S. 606. Auch die Mehrheit der Shareholder Representative Actions, die durch Vergleiche beigelegt werden, tragen durch Entscheidungen beispielsweise zur Klagezulassung, Abweisung bestimmter Klageelemente und der Genehmigung eines Vergleichs zur Rechtsprechung bei. 243 Vgl. z. B. Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 771; Lipton, Manufactured Consent, 104 Geo. L.J. 583 (2016), S. 596 ff.; Fitzpatrick, End of Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 161 (2015), S. 191. 244 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 209; Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 116 ff.; Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 775 ff. & 792. 245 Fitzpatrick, End of Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 161 (2015), S. 182. Zuvor auch Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 108. 246 Vgl. z. B. Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 795; Black, Arbitration of Investors’ Claims, 75 Law & Contemp. Probs. 107 (2012), S. 119 f. 247 s. z. B. Fitzpatrick, End of Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 161 (2015), S. 193.
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keinesfalls nur Negatives für Aktionäre und Positives für Unternehmen bedeuten, sondern zu ungewollten Verzerrungen am Kapitalmarkt und in der Corporate Governance führen würden, da Unternehmen im breiten Streubesitz weniger stringenten Kontrollen durch ihre Aktionäre unterlägen als Unternehmen mit einer höheren Aktionärskonzentration. Indem sie auch gerechtfertigte Securities Class Actions größtenteils ausräumen, würden sie auch deren positiven Aspekte wie Abschreckung und Wiedergutmachung negieren. Es ist also zweifelhaft, ob die Gerichte und der Gesetzgeber diese Klauseln uneingeschränkt zulassen werden. bb) Festsetzung des Gerichtsstands Die Inzentivierung der Plaintiffs’ Attorneys und die Veröffentlichungen der Vorkommnisse, durch die Shareholder Representative Actions generell ausgelöst werden, führen traditionell zu Klagen von mehreren möglichen Hauptklägern und Anwälten, oft vor verschiedenen Gerichten in verschiedenen Staaten. In den Jahren 2010 bis 2014248 hatte jede M&A-Transaktion mit einem Wert von über $ 100 Millionen im Durchschnitt zwischen 4,5 und 5,5 Aktionärsklagen zur Folge, wobei in der Spitze mehr als 20 Klagen für eine Transaktion nicht ungewöhnlich waren.249 Nicht nur die Anzahl der Verfahren sondern auch deren geographische Streuung über zahlreiche Staaten und Jurisdiktionen für die Unternehmen bedeuten zusätzliche Kosten und Unsicherheit, vor allem in Fällen, die dem State Law unterliegen, und daher schlimmstenfalls zu einem Verfahren vor einer unberechenbaren Jury in einem abgelegenen State Court führen könnten.250 Selbst wenn jedes der von den Klägern ausgewählten Gerichte dasselbe materielle Recht anwenden muss, kann es doch erhebliche Unterschiede in seiner Auslegung und im anzuwendenden Prozessrecht geben.251 Zudem verlangt jeder Staat eigene Anwälte mit der nötigen Zulassung. Insbesondere bei noch nicht abgeschlossenen Transaktionen kann diese zusätzliche Komplexität und Rechtsunsicherheit die Unternehmen zu besonders schnellen (und entsprechend höheren) Vergleichen motivieren.252 Insbesondere 248 Aufgrund der Änderungen in der Akzeptanz von Disclosure-Only Settlements kam es hier zu Verzerrungen ab Ende des Jahres 2015, die an dieser Stelle entsprechend nicht aussagekräftig wären. Vgl. supra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 249 Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 2. 250 Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 382. Vgl. auch Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 58 ff. 251 Vgl. Joseph A. Grundfest/Kristen A. Savelle, The Brouhaha Over Intra-Corporate Forum Selection Provisions: A Legal, Economic, And Political Analysis, 68 The Business Lawyer 325 (2013), S. 342. 252 Vgl. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 384 f.; Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 52; Grundfest/Savelle, Brouhaha, 68 Bus. Law. 325 (2013), S. 342 f.; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 896. Zu den Motivationen für das Aufrecht-
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weniger seriöse Plaintiffs’ Attorneys sind daher besonders motiviert, ihre Klagen bei Gerichten einzureichen, von denen die Unternehmen unberechenbare Ergebnisse erwarten müssen. Doch nicht nur die Unternehmen haben Interesse daran, dieses „forum shopping“ (die Auswahl des für den Kläger vorteilhaftesten Gerichtsstands) einzudämmen. Auch der Staat Delaware und seine Gerichte müssten um ihre Identität als Zentrum des fortschrittlichsten Gesellschaftsrechts fürchten, wenn ein Gesellschaftssitz in Delaware den Unternehmen nicht mehr die Vorteile der schnellen und kompetenten Rechtsprechung des Staates zusichern würde.253 Bis die Unternehmen im Jahr 2013, wie im Folgenden beschrieben, selbst die Initiative ergriffen, waren mehr und mehr transaktionsbezogene Klagen in anderen Staaten eingereicht worden – zwischen 2009 und 2013 wurden durchgehend für mehr als die Hälfte der angefochtenen Transaktionen mit einem Wert von mehr als $ 100 Millionen Klagen in mehreren Staaten eingereicht.254 Auch aus Perspektive der Corporate Governance lässt sich ungezügeltes Forum Shopping nicht befürworten. Zunächst besteht ein Interesse an konsequenter, geltender Rechtsprechung – Urteile zu Delaware State Law von anderen Gerichten sind dabei kaum werthaltig.255 Zudem führt diese Wahlfreiheit in vielen Fällen nicht zu einem reflektierten Auswahlprozess, sondern zu einem „race to the courthouse“ verschiedener Plaintiffs’ Attorneys in verschiedenen Staaten, jeder in der Hoffnung, er könne der Erste sein, und sich auf diese Weise wenigstens einen Teil des Honorars sichern, selbst wenn die Klage letztendlich an ein anderes Gericht übergeben wird.256 Überstürzt eingereichte Klagen in Staaten, die mit der angefochtenen Transaktion möglicherweise kaum eine Verbindung und mit dem anzuwendenden Recht wenig Erfahrung haben, sind nicht das wirksamste Mittel zur Ahndung möglicher Pflichtverletzungen. Im Gegenteil, da sie so offensichtlich eher den Anwälten als der erhalten von Klagen nach Abschluss der Transaktion, s. z. B. Grundfest/Savelle, Brouhaha, 68 Bus. Law. 325 (2013), S. 337. 253 Nach herrschender, wenn auch nicht unumstrittener Meinung, sehen sich auch andere Staaten im Wettbewerb um diese Prozesse. s. z. B. Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015); Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013). Eine empirische Klärung würde an dieser Stelle zu weit führen – sicher ist aber das hohe Interesse des Staates Delaware, der sich besonders stark über sein Gesellschaftsrecht und seine Judikative definiert. Vgl. auch Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 757 ff. 254 In der Spitze galt dies für 70 % aller Transaktionen mit einem Wert von mehr als $ 100 Millionen, eine deutliche Steigerung von weniger als 10 % im Jahr 2005. Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 3; Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 12 & 15. 255 Vgl. z. B. Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 55 ff.; Grundfest, History and Evolution, 37 Del. J. Corp. L. 333 (2012), S. 370. 256 Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 517; Grundfest/ Savelle, Brouhaha, 68 Bus. Law. 325 (2013), 333; Strine, Putting Stockholders First, 69 Bus. Law. 1 (2013), S. 50 f. Vgl. z. B. Cox Communications, 879 A.2d 604 (2005), S. 608.
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Corporate Governance dienen, schaden sie der Shareholder Representative Action als Instrument. Zudem behindern und verlangsamen sie Prozesse, in denen es um die rechtliche Bewertung möglichen Fehlverhaltens von Directors und Officers gehen sollte, nicht um die Klärung der Klageberechtigung. Um sich gegen das Forum Shopping zu wehren, begannen Delaware Corporations mit Ermunterung durch den Chancery Court im Jahr 2010,257 Aktionärsklagen zu gesellschaftsrechtlichen Vorwürfen durch Klauseln in ihren Bylaws auf die Gerichte eines spezifischen Staates zu beschränken (sogenannte „forum selection bylaws“ oder „exclusive forum bylaws“).258 Der Chancery Court erklärte die Klauseln, die Delaware als Gerichtsstand festlegten, in mehreren Entscheidungen für bindend.259 Nachdem er ihnen aber auch das Recht zugestanden hatte, sich an die Gerichte anderer Staaten exklusiv zu binden und Aktionären somit den Zugang zum Chancery Court zu verweigern,260 verabschiedete das Parlament des Staates im Jahr 2015 ein Gesetz, das Forum Selection Bylaws für rechtmäßig erklärte, solange sie Delaware als einzigen möglichen Gerichtsstand definieren, jedoch für ungültig, wenn sie Delaware ausschließen.261 Forum Selection Klauseln sind kein zwingender Bestandteil der Bylaws einer Delaware Corporation, doch werden sie insbesondere im Zusammenhang mit M&A-Transaktionen zunehmend gebräuchlich, so dass Derivative und Class Actions, die die Transaktion anfechten, nur in Delaware oder nur in Delaware und in einem anderen spezifisch designierten Staat eingereicht werden können.262 Inwieweit diese Forum Selection Bylaws allerdings von anderen Staaten anerkannt werden, ist noch nicht abschließend geklärt,263 zudem bestehen Zweifel darüber, ob das Gesetz mit Federal Law vereinbar ist.264 257 Revlon (2010), 990 A.2d 940 (2010). Vgl. auch Hamermesh, Adequate Response, 45 Hofstra L. Rev. 147 (2016), S. 166. 258 s. z. B. Chevron, 73 A.3d 934 (2013). Vgl. Grundfest, History and Evolution, 37 Del. J. Corp. L. 333 (2012), S. 339 (zum enormen Anstieg in der Nutzung solcher Klauseln im Anschluss an die Entscheidung des Chancery Court). 259 Revlon (2010), 990 A.2d 940 (2010), S. 960; Chevron, 73 A.3d 934 (2013), S. 934. Es besteht die Vermutung, dass der Chancery Court auch durch die tendenzielle Bevorzugung von Klagen, die auch in anderen Staaten eingereicht werden könnten, versucht hat, sich für Plaintiffs’ Attorneys attraktiver zu machen. s. z. B. Parsons, Docket Dividends, 70 Wash. & Lee L. Rev. 473 (2013), S. 494; Cain/Davidoff Solomon, A Great Game, 100 Iowa L. Rev. 465 (2015), S. 27. 260 City of Providence v. First Citizens BancShares, Inc., 99 A.3d 229 (Del. Ch. 2014), S. 235 f. 261 DGCL § 115. 262 Robert B. Little, „Exclusive Forum“ Bylaws Fast Becoming an Item in M&A Deals, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (13. Mai 2015). 263 Vgl. z. B. Grundfest, History and Evolution, 37 Del. J. Corp. L. 333 (2012), S. 349; Maria Slobodchikova, Forum Selection Bylaws in Delaware, 34 Review of Banking and Financial Law 466 (2014), S. 475. Aber s. auch Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 763 f. 264 Lipton, Manufactured Consent, 104 Geo. L.J. 583 (2016), S. 596 ff.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
Aufgrund der weiten Verbreitung dieser Forum Selection Clauses wurden im Jahr 2014 erstmals wieder die meisten M&A-Aktionärsklagen in nur einem Gerichtsstand eingereicht.265 Delaware war Gerichtsstand in fast 90 % dieser Klagen, in ungefähr der Hälfte dieser Fälle der exklusive. Im Jahr 2011, als die Streuung ihr maximales Ausmaß erreicht hatte, hatten 20 % aller M&A-Transaktionen Aktionärsklagen in drei oder mehr Staaten zur Folge. 2014 waren es noch 4 %.266 Möglicherweise haben die Forum Selection Bylaws allerdings mit dem Beginn der Ablehnung von Disclosure-Only Settlements für die Unternehmen an Attraktivität verloren. Im Jahr 2015 setzte sich die Entwicklung zu Klagen mit nur einem Gerichtsstand zunächst weiter fort, allerdings verlor der Chancery Court gegen Ende des Jahres schlagartig an Bedeutung, als sich die bereits erwähnten Änderungen in der Behandlung von Disclosure-Only Settlements konkretisierten.267 Im ersten Halbjahr 2016 wurden nur noch 36 % aller M&A-Klagen zu Delaware Corporations in Delaware eingereicht. Ein großer Teil von ihnen wurde anschließend in einem anderen Staat durch ein Disclosure-Only Settlement beigelegt, das in Delaware wahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen wäre.268 Chancellor Bouchard hatte in seiner Entscheidung in Trulia explizit auf die Verfügbarkeit von Forum Selection Bylaws hingewiesen, um den Unternehmen die Vorteile der neuen Delaware Rechtsprechung zu sichern.269 Die Tatsache, dass offensichtlich kein großflächiger Gebrauch von ihnen gemacht wird, lässt vermuten, dass die Unternehmen, oder zumindest ihre Entscheidungsträger, sie zumindest nach Trulia nicht als Vorteile sehen.270 cc) Verlagerung der Anwaltskosten Eine weitere Innovation, die kurzzeitig viele Delaware Corporations in ihre Bylaws aufnahmen, war die Verlagerung der Gerichts- und Anwaltskosten der Beklagten auf den Kläger bei gesellschaftsrechtlichen Klagen gegen die Corporation oder ihre Officers und Directors, sofern die Klage nicht zu einem Urteil zu Gunsten der Kläger geführt hatte.271 Der Delaware Supreme Court hatte im Jahr 2014 das Signal gesetzt, dass solche Klauseln möglicherweise gültig sein könnten, auch wenn sie nur durch das Board of Directors erlassen worden waren.272 265
Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 3. Cornerstone Research, 2014 M&A Litigation (2015), S. 3. 267 Cornerstone Research, 2015 M&A Litigation (2016), S. 3. s. supra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213). 268 Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 11. 269 Trulia, 129 A.3d 884 (2016), S. 899. 270 Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 13. 271 Delaware Corporate Law Council, Explanation of Council Legislative Proposal (6. März 2015), S. 2. 272 ATP Tour, 91 A.3d 554 (2014), S. 554. Der Fall betraf eine Form der Corporation, die sich durch einen engen Gesellschafterkreis auszeichnet und die keine handelbaren Anteile 266
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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Diese sogenannten „fee-shifting bylaws“ wurden durch eine Gesetzesänderung in Delaware ein Jahr später für ungültig erklärt, da Bedenken bestanden, dass diese Abkehr von der American Rule auch Kläger mit begründeten Klagen abschrecken würde.273 Das Gesetz ist eine Anerkennung der positiven Seiten der Shareholder Representative Action in Delaware, die sonst faktisch stark erschwert, wenn nicht gar unmöglich geworden wäre.274 3. Entwicklungen der Shareholder Representative Actions Shareholder Representative Actions sind in den letzten Jahrzehnten verschiedene Phasen der Rechtsentwicklung durchlaufen, mit wechselnden Schwerpunkten und Widerständen. Dabei haben sich zahlreiche positive Entwicklungen der Shareholder Representative Actions im Zuge der hier angesprochenen Reformen ergeben, die die Wirkung des Instruments als Verhaltenssteuerung verbessern. Dennoch ist zu hinterfragen, inwieweit die Shareholder Representative Action als solche haltbar ist und inwieweit sie, in den Fällen, in denen sie nicht dem Schadensausgleich dient, tatsächlich ein effizientes Instrument zur Verhaltenssteuerung bietet. Zwei Entwicklungen legen nahe, dass bei sorgfältig gesetzten Rahmenbedingungen und Anreizen Kläger und Plaintiffs’Attorneys ihre Rolle als Private Attorney Generals ernst nehmen und sinnvoll ausfüllen. So haben die Reformen sowohl im Federal Law als auch in Delaware zu einer gesteigerten Teilnahme von institutionellen Investoren, insbesondere „public pension funds“, als Lead Plaintiffs an Class Actions geführt.275 Seit dem Jahr 2006 werden jedes Jahr mehr als die Hälfte aller abgeschlossenen Securities Class Actions von institutionellen Investoren geführt.276 Innerhalb von zehn Jahren stieg die Zahl der abgeschlossenen Securities Class ausgibt, es war also nicht klar, ob das Gericht im Fall von börsennotierten Unternehmen ähnlich urteilen würde. Vgl. z. B. Allen, Bylaws Mandating Arbitration, 39 Del. J. Corp. L. 751 (2015), S. 764 ff. 273 DGCL § 109(b); Del. Corp. L. Council, Explanation of Council Legislative Proposal (6. März 2015). Die Norm gilt nicht für alle Gesellschaftsformen, betrifft aber alle börsennotierten Corporations. 274 Die Fee-Shifting Bylaws hätten nicht nur eine gesetzlich festgesetzte Gebühr wie in Deutschland, sondern die vollen Anwalts-, Gerichts- und Beweisführungskosten verlagert, das Prozessrisiko wäre also immens gewesen. Unter diesen Umständen, so ein amerikanischer Rechtswissenschaftler, „only a shareholder with a very large stake or a very hot temper would bother to take action“. Geis, Preclusion Problem, 100 Va. L. Rev. 261 (2014), S. 291. 275 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 218; Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 889; Michael Perino, Institutional Activism Through Litigation: An Empirical Analysis of Public Pension Fund Participation in Securities Class Actions, 9 Journal of Empirical Legal Studies 368 (2012). Aufgrund von Konflikten und potentiellen Wettbewerbsnachteilen stehen Investoren wie beispielsweise Mutual Funds, Hedge Fonds oder Banken für diese Rolle in aller Regel nicht zur Verfügung. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 219 f. Vgl. auch Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 880 f. 276 s. Cornerstone Research, Class Action Settlements 2014 (2015), S. 16.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
Actions, in denen allein ein Public Pension Fund als Lead Plaintiff fungiert, von 6 % auf fast 46 % im Jahr 2012 (seitdem ist der Anteil wieder etwas zurückgegangen).277 Von Public Pension Funds geführte Securities Class Actions führen zu signifikant besseren Ergebnissen für die Geschädigten, sowohl durch deutlich höhere Schadensersatzsummen als auch durch geringere Anwaltskosten.278 Auch die institutionellen Investoren, die sich aus verschiedenen Gründen nicht an Class Actions oder den Vergleichen beteiligen, erzielen regelmäßig höhere eigene Vergleiche als der Rest der Class, möglicherweise aufgrund einer besseren Beziehung zu der beklagten Corporation, möglicherweise aufgrund größerer Expertise und Professionalität in der Zusammenarbeit mit den eigenen Anwälten.279 Sofern sie die Rolle des Lead Plaintiff übernehmen, sind sie also am besten positioniert, die Interessen der Aktionäre zu vertreten.280 Bei der Qualität der Anwälte lässt sich eine deutliche Spaltung des Marktes erkennen. Zahlreiche Studien haben belegt, dass eine kleine Gruppe renommierter Plaintiffs’ Attorneys werthaltige Ergebnisse im Sinne der Corporate Governance für Aktionäre erzielt, sowohl bei Securities Class Actions als auch bei M&A Class Actions, während die überwiegende Mehrheit der anderen Kanzleien vornehmlich ihre eigenen Interessen verfolgt, ohne Mehrwert für Aktionäre zu schaffen.281 Re277 Cornerstone Research/Ellen M. Ryan/Laura E. Simmons, Securities Class Action Settlements – 2012 Review and Analysis, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2013), S. 14; Cornerstone Research/Ellen M. Ryan/Laura E. Simmons, Securities Class Action Settlements – 2015 Review and Analysis, Stanford Law School Securities Class Action Clearinghouse (2016), S. 16 (im Jahr 2015 lag der Anteil bei 39 %). 278 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 221; Cornerstone Research, Class Action Settlements 2015 (2016), S. 16; Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 878 & 891; C.S. Agnes Cheng/Henry He Huang/Yinghua Li/Gerald J. Lobo, Institutional Monitoring Through Shareholder Litigation, 95 Journal of Financial Economics 356 (2010); Perino, Institutional Activism Through Litigation, 9 J. Empirical Legal Stud. 368 (2012). Im Jahr 2015 errangen Public Pension Funds im Mittel $ 18 Millionen pro Vergleich, in Fällen ohne einen Public Pension Fund als Lead Plaintiff lag der entsprechende Betrag bei $ 3 Millionen. In den vorigen Jahren waren die Unterschiede z. T. noch gravierender. Cornerstone Research, Class Action Settlements 2015 (2016), S. 16. 279 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 240. 280 Aber kritisch s. auch z. B. David H. Webber, Is „Pay-to-Play“ Driving Public Pension Fund Activism in Securities Class Actions? An Empirical Study, 90 Boston University Law Review 2031 (2010). 281 Krishnan, Who are the Top Law Firms?, 18 Am. L. & Econ. Rev. 122 (2016); Cheng, Institutional Monitoring, 95 J. Fin. Econ. 356 (2010). Vgl. auch Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 878 & 893; Thompson/Thomas, New Look of Shareholder Litigation, 57 Vand. L. Rev. 133 (2004), S. 97; Friedlander, Systemic Problem of Disclosure Settlements, 40 Del. J. Corp. L. 877 (2015), S. 882 (der Autor ist selber Plaintiffs’ Attorney). In wieweit bessere Ergebnisse für die Aktionäre hier in jedem Fall ein besseres Ergebnis für die Corporate Governance bedeuten, ist noch nicht abschließend geklärt und bedürfte tieferer Untersuchung der einzelnen Vergleiche, sowie der ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte, als im Rahmen dieser Arbeit möglich ist. Es ist jedoch anzunehmen, dass diese Kanzleien (und
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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formen, die Anreize für unseriöse Anwälte mindern, sind daher besonders geeignet, den Shareholder Representative Actions ihre Rolle in der Corporate Governance zu sichern.282 Findet sich hier die richtige Balance, so sind die Plaintiffs’ Attorneys auf Grund ihres rechtlichen Verständnisses und ihrer Erfahrung am besten positioniert, um werthaltige Klagen von Frivolous Lawsuits zu unterscheiden. Solange sie das Prozessrisiko tragen, haben sie darüber hinaus das höchste Interesse daran, die Unterscheidung zwischen erfolgreichen und weniger erfolgreichen Klagen sorgfältig zu treffen. Den Gerichten ist dies bewusst. Um Plaintiffs’ Attorneys die richtigen Anreize zu setzen, bemüht sich der Chancery Court bereits seit Jahren, wenn auch möglicherweise erst seit dem Jahr 2016 mit der nötigen Konsequenz, offensichtlich unbegründete Klagen abzuweisen, und macht die Höhe der festgesetzten Anwaltskosten ausdrücklich von der Qualität der Zugeständnisse abhängig. Es bleibt abzuwarten, wie sich die konsequentere Prüfung und Ablehnung von Disclosure-Only Settlements in Delaware auf die Klagewirtschaft auswirkt. Hier wird insbesondere auch die Akzeptanz dieser Strategie in anderen Staaten bzw. die Nutzung und Akzeptanz von Forum-Selection Clauses in den Bylaws der Gesellschaften eine große Rolle spielen. Im ersten Jahr nach der Entscheidung in Trulia hatten sich hier noch nicht die erwünschten Berichtigungen eingestellt, so dass eine große Zahl von Vergleichen außerhalb von Delaware geschlossen wurden.283 Die Mehrheit der Unternehmen nutzt die ihnen zu Verfügung stehenden Forum Selection Bylaws nicht, um sich vor diesen Klagen und Einigungen schützen.284 Dies weist darauf hin, dass die Inzentivierung der Anwälte nicht der einzige Faktor ist, der Disclosure-Only Settlements begünstigt.285 Freistellungen in Form von Global Releases, die sich die Unternehmen und ihre Geschäftsleiter mit Disclosure-Only Settlements gegen geringen Aufwand sichern können, bedeuten wertvolle Rechts-
institutionelle Investoren) besonders werthaltige Klagen auswählen, um diese besonders guten Ergebnisse zu ermöglichen. 282 Eine Studie macht für diesen Erfolg zumindest teilweise die aktivere Verfolgung der Klagen verantwortlich, sie arbeiten also auch mit etwas höheren Kosten. Krishnan, Who are the Top Law Firms?, 18 Am. L. & Econ. Rev. 122 (2016), S. 17. Die Beziehungen zwischen institutionellen Investoren und ihren Plaintiffs’ Attorneys beruhen seit Erlass des PSLRA gelegentlich auf regulären Vergütungsmodellen, so dass die Investoren, nicht die Anwälte, die Kosten der Verfahren tragen und Anwälte für ihre Arbeit, nicht nur für Erfolge bezahlt werden. Da eine Kanzlei aber aus praktischen Gründen für alle von ihr betreuten Fälle nur unter einem der beiden Vergütungsmodelle arbeiten kann, hat sich das Erfolgsmodell gehalten. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 253. 283 Vgl. z. B. Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 2. Im Federal Law hatte die Rechtsprechung jedoch bereits einige Monat nach Trulia Einzug gehalten. In re Walgreen Co. Stockholder Litigation, 832 F.3d 718 (7th Cir. 2016), S. 725. 284 Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 11. 285 Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016), S. 13.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
sicherheit für die jeweilige Transaktion, und Unternehmen (bzw. deren Geschäftsleiter) sind offenbar bereit, den Plaintiffs’ Attorneys eine Deal Tax dafür zu zahlen.286 Viele der Plaintiffs’ Attorneys, deren Profit und Rolle im System bisher durch ihre Funktion als „gatekeeper“ gerechtfertigt wurden, da sie berechtigte Ansprüche der Aktionäre finden und verfolgen sollten, haben also die Allianzen gewechselt und dienen im Moment nicht den Aktionären, sondern den Unternehmen und deren Directors und Officers.287 Die vor Kurzem noch von den Unternehmen als einem Schutzgeld gleichend beklagte Deal Tax hat sich nun zu einer von den Anwälten erhobene Gebühr für Transaktionssicherheit und Immunität gewandelt, die die Unternehmen und ihre Directors und Officers bereit sind zu zahlen. Inwieweit die Freistellung der Geschäftsleiter vor späteren Aufdeckungen tatsächlicher Pflichtverletzungen ein zu hoher Preis für diese Rechtssicherheit aus Sicht der Unternehmen und Aktionäre ist und inwieweit die Bezahlung von Plaintiffs’ Attorneys als Verwalter dieser Immunität eine sinnvolle Verwendung von Unternehmensressourcen bedeutet, wird in den nächsten Jahren ein vielfaches Thema von Schrifttum und Rechtsprechung insbesondere in Delaware sein, wo über weitere Möglichkeiten nachgedacht werden wird, die Corporate Governance regulierenden Vorteile der Shareholder Representative Action zu erhalten.288 Gesetzgebung zur Eindämmung von Disclosure-Only Settlements, in Delaware oder unter Federal Law, ist nicht auszuschließen.289 Gegen den Widerstand der Plaintiffs’ Attorneys und der Unternehmen ist dies aber eine nur schwer durchzusetzende Priorität. Möglicherweise werden Shareholder Representative Actions in ihrer aktuellen Form aber unabhängig von ihrer Ausgestaltung an Bedeutung verlieren. Denn es ist fraglich, inwieweit sie für die aktuellen Entwicklungen in der Aktionärsstruktur überhaupt noch zeitgemäß sind. Der Streubesitz der Vergangenheit weicht zunehmend großen institutionellen Investoren, die Änderungen im Unternehmen direkt mit aktivistischen Methoden durchsetzen können.290 Viele von ihnen nehmen an Shareholder Representative Actions bereits jetzt nicht teil, sondern verfolgen ihre Ansprüche oder ihre Vorstellungen von Änderungen im Unternehmen separat.291 Es 286 Vgl. Dari-Mattiacci/Talley, Disclosure-Only Settlements in Merger Objection Lawsuits (Entwurf 2016). 287 Wie bereits erwähnt, erfüllen einige Plaintiffs’ Attorneys ihre Funktion als Gatekeeper nach wie vor erfolgreich. 288 Vgl. Griffith, Private Ordering Post-Trulia (Entwurf 2016); Dari-Mattiacci/Talley, Disclosure-Only Settlements in Merger Objection Lawsuits (Entwurf 2016). 289 Vgl. z. B. Johnson, Securities Class Actions in State Court, 80 U. Cin. L. Rev. 349 (2012), S. 385. 290 James D. Cox/Randall S. Thomas, Corporate Darwinism: Disciplining Managers in a World with Weak Shareholder Litigation, 95 North Carolina Law Review 19 (2016), S. 23. 291 Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015), S. 219 f. Vgl. auch Choi, Do Institutions Matter?, 83 Wash. U. L. Q. 869 (2005), S. 880 f.; Harvard Law School Program on Corporate Governance, Director Liability, 31 Del. J. Corp. L. 1011 (2006), S. 1035.
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wird sich zeigen müssen, ob diese Verschiebung gemeinsam mit den Reformen der Shareholder Representative Actions zu einem sinnvolleren System der Corporate Governance Inzentivierung führt und ob damit der erwünschte Schutz von Kleinaktionären gewehrt werden kann. Für Directors und Officers, die durch Derivative und Class Actions in der Rechtsrealität kaum einem Haftungsrisiko ausgesetzt waren, bedeutet diese haftungsalternative Entwicklung aber zunächst ein sehr viel direkteres Risiko durch Amtsenthebung oder Vergütungskürzungen, als sie bisher zu befürchten hätten.
IV. Vergleichbare Klagemöglichkeiten für Aktionäre in Deutschland Trotz ihrer Verbesserungsnotwendigkeit in den USA sind die positiven Aspekte der Shareholder Representative Actions offenbar reizvoll genug, dass sie immer wieder auf ihre Anwendbarkeit und Eignung für das deutsche Rechtssystem geprüft werden.292 Im deutschen Aktienrecht standen Aktionären traditionell weder Instrumente, die der Derivative Action ähnlich sind, noch der Shareholder Class Action vergleichbare Sammelklagen zur Durchsetzung von Ansprüchen zur Verfügung. Zu den vielen spezifischen, positiven Aspekten der Shareholder Representative Action gehören der Schutz auch kleiner Aktionärsminderheiten, dank der Verteilung des Prozessrisikos und der finanziellen Inzentivierung der Anwälte. Zudem binden sie die Gerichte als unabhängige Instanz in die Kontrolle und Weiterentwicklung der Corporate Governance ein, ohne sie mit einzelnen Klagen zu überlasten. Institutionelle Investoren fördern dies seit einiger Zeit verstärkt mit der Auswahl werthaltiger Klagen. Urteile und vor allem Vergleiche, die bei Shareholder Representative Actions zumindest den anderen betroffenen Aktionären gegenüber offengelegt werden müssen und daher häufig veröffentlicht werden,293 schaffen Rechtssicherheit 292 s. z. B. Peter Ulmer, Die Aktionärsklage als Instrument zur Kontrolle des Vorstands- und Aufsichtsratshandeln – Vor dem Hintergrund der US-Erfahrungen mit der shareholders’ derivative action, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 1999, 290; Theodor Baums, Haftung wegen Falschinformationen des Sekundärmarktes, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2003, 139, S. 145; Mathias M. Siems, Welche Auswirkung hat das neue Verfolgungsrecht der Aktionärsminderheit? – Eine rechtsvergleichende Folgeanalyse des § 148 AktG n.F., Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft 2005, 376, S. 378 ff.; Klaus Ulrich Schmolke, Die Aktionärsklage nach § 148 AktG – Anreizwirkungen de lege lata und Reformanregungen de lege ferenda, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2011, 398, S. 11; Brigitte Haar/Kristoffel Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht bei der Aktionärsklage – Bessere Corporate Governance durch Abschaffung der Beteiligungsschwelle gem. § 148 Abs. 1 Satz 1 AktG, Die Aktiengesellschaft 2013, 653; Tobias Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2015, 453, S. 472 ff.; Axel Halfmeier/Peter Rott/Eberhard Feess, Evaluation des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes – Forschungsvorhaben im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz – Abschlussbericht (2009). 293 F.R.C.P. Rule 23(e)(1); Del. Ct. Ch. R. 23.1(c).
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
für die Unternehmen und können, wie erwünscht, abschreckend wirken. Ihre Leitbildfunktion erlaubt anderen Unternehmen eine Justierung ihrer eigenen Corporate Governance Strukturen. Unter den richtigen Bedingungen haben Shareholder Representative Actions also eine signifikante Rolle in der positiven Entwicklung der Corporate Governance im gesamten Rechtssystem. Das deutsche Schrifttum betrachtet die Shareholder Representative Action jedoch eher im Licht ihrer negativen Aspekte und lehnt die amerikanischen Ansätze überwiegend ab. Insbesondere ein Instrument wie die Shareholder Class Action, das bei Massen- bzw. Streuschäden Aktionären die effiziente Anspruchsverfolgung durch Zusammenschluss effektiv möglich machen würde, stößt in Deutschland auf Ablehnung, zumal Sammelklagen im Konflikt mit dem Leitbild des Zwei-Parteien Prozesses294 und den individualistisch geprägten Rechtsschutzgrundsätzen295 gesehen werden. Zusätzlich macht die Ablehnung der Fraud-on-the-Market Annahme durch den Bundesgerichtshof eine dem amerikanischen Vorbild vergleichbare Zusammenfassung von Klagen im Kapitalmarktrecht praktisch unmöglich.296 Auch der potentielle Eingriff eines einzelnen Aktionärs in die Entscheidungen der Verwaltungsorgane im Rahmen einer der Derivative Action ähnlichen actio pro societate wird mit der im Aktienrecht vorgesehenen Aufgabenteilung als nicht vereinbar gesehen.297 Auch die derzeitigen deutschen Kosten- und Gebührenstrukturen eignen sich nicht für Representative Actions, da der Kläger ein erhebliches Prozessrisiko trägt, das in den USA für Klagen dieser Art unbekannt ist. Um insbesondere Rufen nach verbessertem Minderheitenschutz und höherer Effizienz nachzukommen, hat sich der Gesetzgeber im Jahre 2005 mit § 148 AktG zur Durchsetzung der Ansprüche der Gesellschaft für eine der Derivative Action im Ansatz ähnliche Form des Verfahrens, lediglich mit einer deutlich höheren Quorumsvoraussetzung an den Kläger entschieden. § 148 AktG, der das Klagezulassungsverfahren für eine solche Anspruchsdurchsetzung betrifft, ergänzt die Möglichkeit zur Bestellung eines besonderen Vertreters, die unter bestimmten Umständen auch Aktionärsminderheiten bereits offen standen.298 Für eigene Ansprüche der Aktionäre besteht, ebenfalls seit 2005, die Möglichkeit eines Kapitalanleger-Musterverfahrens, dessen Form und Mechanismus allerdings noch intensiv debattiert 294
Burkhard Hess, Einleitung KapMuG, in: Burkhard Hess/Fabian Reuschle/Bruno Rimmelspacher (Hrsg.), Kölner Kommentar zum KapMuG, 2. Auflage (2014), Rn. 4. 295 Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von KapitalanlegerMusterverfahren, Bundestag Drucksache 15/5091 (2005), S. 16. 296 s. z. B. BGH, ZIP 2008, 829 (ComROAD VIII, 2008), S. 820. Vgl. auch Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014); Baums, Haftung wegen Falschinformationen des Sekundärmarktes, ZHR 2003, S. 181; Holger Fleischer, Das Vierte Finanzmarktförderungsgesetz, Neue Juristische Wochenschrift 2002, 2977, S. 2980. 297 s. z. B. Henning Schröer, § 147 AktG – Geltendmachung von Ersatzansprüchen, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage (2013), Rn. 12 & 31. 298 Dieses Recht findet sich heute in § 147 AktG Abs. 2.
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werden und trotz einer Gesetzesnovelle im Jahre 2012 möglicherweise mittelfristig noch weitere grundlegende Änderungen erfahren werden. Weder die Aktionärsklage gemäß § 148 AktG noch das Musterverfahren werden bisher von Aktionären signifikant genutzt.299 Die Einschränkungen der beiden Modelle der Aktionärsklage in Deutschland mögen unter vielen Gesichtspunkten gerechtfertigt sein, dennoch begrenzt ihre mangelnde Nutzung den Beitrag, den Aktionäre und die Gerichte in der Weiterentwicklung von Corporate Governance Vorgaben leisten können.300 Das Argument, die Vorstandshaftung sei momentan so streng, dass Aktionärsklagen zu ihrer Durchsetzung überhaupt nicht erwünscht sein können,301 ist zwar einleuchtend, ihm sollte allerdings mit einer Reform des materiellen Rechts und nicht dessen Umgehung durch prozessrechtliche Hintertüren begegnet werden.302 Gleichzeitig führt sie zu hohen, wahrscheinlich nicht beabsichtigten Kosten durch die überproportionale Rolle, die der strafrechtlichen Verfolgung von Vorständen und Aufsichtsräten auf diese Weise zukommt.303 Wie im Weiteren näher betrachtet, hat dies nicht nur eine ineffiziente Allokation von Ressourcen und eine übermäßige Belastung der Justiz zur Folge, es verzerrt auch die Rolle, die das Strafrecht in der Corporate Governance spielen sollte und führt zur Vernachlässigung des Ausgleichs von Aktionärsinteressen. 1. Aktionärsklage in Deutschland gemäß § 148 AktG Das der Derivative Action ähnlichste Instrument im deutschen Aktienrecht findet sich erst seit dem Jahr 2005 in § 148 AktG (i.V.m. § 147 AktG). Die Norm sieht ein Klagezulassungsverfahren für eine Aktionärsminderheit vor, sofern diese 1 % oder 299 Vgl. Habersack, Perspektiven, ZHR 2013, S. 785 & 790; Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 50 ff.; Habersack, Gutachten, in 69. Deutscher Juristentag (2012), S. E. 92; Jens Koch, § 148 AktG – Klagezulassungsverfahren, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 3; Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 654 ff.; Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011; Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 464, Fn. 58; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 241. 300 Vgl. z. B. Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 239. 301 s. z. B. Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 3. 302 Vgl. z. B. auch Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 251 („Die deutsche Vorstandshaftung erntet nicht die Früchte beider Welten, sondern vereint deren Nachteile: Der Leerlauf der Vorstandshaftung im Normalfall durchkreuzt die verhaltenssteuernde Wirkung, und die unbeschränkte persönliche Haftung im exorbitanten Ausnahmefall generiert Anreize zu risikoaversem Verhalten, die weder im Interesse der betroffenen Gesellschaft noch der Volkswirtschaft liegen“). 303 Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht der Regierungskommission „Corporate Governance“: Unternehmensführung – Unternehmenskontrolle – Modernisierung des Aktienrechts (2001), Rn. 188.
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E 100.0000 des Grundkapitals hält.304 § 148 AktG sieht eine Klagezulassung vor, sofern ein Verdacht besteht, dass die Gesellschaft durch Unredlichkeit oder eine grobe Verletzung von Gesetz oder Satzung einen Schaden erlitten hat und die Aktionäre die Gesellschaft vergeblich selbst zur Verfolgung der Ansprüche aufgefordert haben.305 Dies ist dem Prinzip des Demand in Delaware vergleichbar,306 wobei die Klagezulassung gemäß § 148 AktG, anders als die Derivative Action in Delaware, nicht für alle Ansprüche der Gesellschaft zur Verfügung steht – während die Gesellschaft bereits bei leicht fahrlässigen Pflichtverstößen gegen Organmitglieder vorgehen kann bzw. muss, kommt eine Klagezulassung für eine geringe Aktionärsminderheit unter § 148 AktG nur bei groben oder unredlichen Pflichtverletzungen in Frage.307 Das Gericht muss die Klage ablehnen, wenn ihr überwiegende Gründe des Gesellschaftsinteresses entgegenstehen.308 Das Prinzip einer Aktionärsklage durch eine geringe Aktionärsminderheit hat bisher in Deutschland keinen nennenswerten Erfolg gehabt.309 Dies mag an der häufig sehr grundsätzlichen Ablehnung des amerikanischen Vorbilds in Deutschland liegen.310 Offenbar geleitet von negativen Beobachtungen in den USA, legen das Schrifttum und die Politik einen so hohen Wert auf die Vermeidung von Missbrauch der Aktionärsklage,311 dass das mit § 148 AktG eingeführte Instrument auch für legitime Klagen keine Anreize schafft und entsprechend bedeutungslos geblieben ist. a) Andere Formen der Aktionärsklage Andere im deutschen Recht vorgesehene Instrumente, mit denen Aktionäre die Durchsetzung von Gesellschaftsansprüchen auch Vorstands- und Aufsichtsratsmit304
§ 148 Abs. 1 AktG. § 148 Abs. 1 Nr. 3 & 2 AktG. Darüber hinaus müssen die Aktionäre ihre Anteile vor Bekanntwerden der angeblichen Pflichtverletzung oder dem angeblichen Schaden erworben haben. § 148 Abs. 1 Nr. 1 AktG. 306 s. supra, Der Demand (S. 181). 307 Vgl. auch Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 464; Siems, Das neue Verfolgungsrecht der Aktionärsminderheit, ZVglRWiss 2005, S. 386. In Delaware bestehen bei einfacher Fahrlässigkeit allerdings grundsätzlich keine Ansprüche der Gesellschaft, der Unterschied relativiert sich entsprechend. s. supra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 308 § 148 Abs. 1 Nr. 4 AktG. 309 Das Schrifttum geht von drei Klagezulassungsverfahren gemäß § 148 AktG in den zehn Jahren nach Erlass des UMAG aus. Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 464, Fn. 58. 310 Vgl. z. B. Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht (2001), Rn. 187; Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 34; Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 11, Fn. 53; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 79. 311 Vgl. z. B. Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 19 f.; Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 4. 305
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gliedern gegenüber bewirken können, übernehmen nicht die Rolle, die die Derivative Action in der amerikanischen Corporate Governance spielt, denn sie sind keine wirksamen Mittel des Minderheitenschutzes.312 Die in § 147 Abs. 1 AktG vorgesehene Klage, die die Hauptversammlung durch mehrheitlichen Beschluss erzwingen kann, wird entweder durch Vorstand bzw. Aufsichtsrat oder durch einen besonderen Vertreter durchgeführt, das Kostenrisiko trägt dabei die Gesellschaft.313 Die zentrale Fragestellung des Prozessrisikos, das bei der Durchsetzung von Gesellschaftsinteressen sonst von hoher Bedeutung wäre, spielt hier entsprechend keine Rolle. Die Vorgabe eines mehrheitlichen Beschlusses macht die Klage nach § 147 Abs. 1 AktG aber ungeeignet für die Wahrung von Minderheiteninteressen. Gleiches gilt auch für die Klagen durch einen besonderen Vertreter, den eine Aktionärsminderheit, die mindestens 10 % bzw. E 1 Million des Grundkapitals halten muss, gemäß § 147 Abs. 2 gerichtlich bestellen lassen kann. Beide in § 147 AktG vorgesehenen Klagemöglichkeiten haben entsprechend geringe Gemeinsamkeiten mit der Derivative Action, zumal auch ein Quorum von 10 % bei Streubesitz nicht den schutzbedürftigsten Aktionärsminderheiten dienen wird.314 Die der Derivative Action sehr viel ähnlichere actio pro societate, die im Rahmen anderer deutschen Gesellschaftsformen den Gesellschaftern eine Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft ermöglicht,315 ist ein dem Aktienrecht – außerhalb des Konzerns – fremdes Instrument, da sie den Eingriff einzelner Aktionäre in die Verwaltung der Gesellschaft zulässt.316 Ein solcher Eingriff ist den Aktionären in den USA durch die Derivative Action zwar nur in besonderen Fällen, dann aber explizit gewährleistet.317 Minderheitsaktionären deutscher Aktiengesellschaften stehen daher gemäß § 147 AktG kaum Möglichkeiten zur Verfügung, Ansprüche der Gesellschaft gegen Aufsichtsräte und Vorstände über den Rechtsweg geltend zu machen. Auch das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) brachte mit seinem Erlass im Jahr 1998 nur geringfügige Verbesserungen.318 Diese 312
Vgl. z. B. auch Roderich C. Thümmel, Organhaftung nach dem Referentenentwurf des Gesetzes zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) – Neue Risiken für Manager?, Der Betrieb 2004, 471, S. 472 f. 313 Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 76. Vgl. auch z. B. Thümmel, Neue Risiken für Manager?, DB 2004, S. 474. 314 Vgl. z. B. Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 5. 315 § 46 Nr. 8 GmbHG. s. z. B. Holger Altmeppen/Günter H. Roth (Hrsg.), Kommentar zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 8. Auflage (2015), Rn. 60 ff. 316 Vgl. z. B. Thümmel, Shareholder deriviative suits im deutschen Aktienrecht?, in Europäisches Insolvenzrecht (2008), S. 236. Eine Ausnahme besteht bei Abhängigkeit, s. § 309 Abs. 4 AktG. Vgl. auch Baums, Gutachten, in 63. Deutscher Juristentag (2000), S. F 258. Hierzu vergleichend s. auch Habersack, Perspektiven, ZHR 2013, S. 791. 317 s. supra, Demand Futility (S. 183). 318 Vgl. z. B. Ulmer, Aktionärsklage als Instrument, ZHR 1999; Thümmel, Neue Risiken für Manager?, DB 2004, S. 472 f.; Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 6 ff.
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„Achillesferse der deutschen Corporate Governance“319 zu beheben war eine der Zielsetzungen des UMAG, das am 1. November 2005 in Kraft trat. b) Praktische Anwendbarkeit des § 148 AktG Doch auch das durch das UMAG ins Leben gerufene Instrument des Klagezulassungsverfahrens und damit der Aktionärsklage für geringe Aktionärsminderheiten gemäß § 148 AktG entspricht der Derivative Action nur im Ansatz und leistet bisher keinen merkbaren Beitrag zum Schutz von Aktionärsminderheiten am deutschen Kapitalmarkt.320 Zunächst setzt auch § 148 AktG noch immer ein Quorum von Aktionären voraus, selbst wenn dies mit 1 % bzw. E 100.000 des Grundkapitals deutlich unter den Schwellen von 10 % bzw. 5 % lagen, die in den verschiedenen Ausführungen des Aktiengesetzes zur Bestellung eines besonderen Vertreters vorgesehen waren.321 Einzelne Aktionäre, die die Vorgaben des § 148 AktG nicht erfüllen, haben jedoch ausdrücklich nicht das Recht, Ansprüche im Namen der Gesellschaft zu verfolgen.322 Bei entsprechender Konstellation kann dieser Ausschluss des Einzelaktionärs sogar zur ausdrücklichen Benachteiligung von Minderheiten führen.323 Die Anwendung von § 148 AktG kommt überhaupt nur in Ausnahmefällen in Frage, wenn nämlich der Verdacht dargelegt werden kann, die beklagten Organe hätten der Gesellschaft durch Unredlichkeit oder grobe Verletzung von Gesetz oder Satzung einen Schaden zugeführt.324 Deren Nachweis bedeutet für die antragsstellenden Aktionäre außerdem Probleme der Informationsbeschaffung.325 Außerdem dürfen der Geltendmachung des Anspruchs „keine überwiegenden Gründe des Gesellschaftswohls entgegenstehen.“326 Im Unterschied zur amerikanischen Rechtspraxis, in der Plaintiffs’ Attorneys die Derivative Actions vorfinanzieren, tragen die klagenden Aktionäre in Deutschland zudem das Kostenrisiko des Klagezulassungsverfahrens und müssen möglicherweise
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Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 2. Vgl. Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 464, Fn. 58. 321 Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 4 ff. 322 Vgl. Lutter, Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (2014), Rn. 1028. 323 Vgl. z. B. Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 657 f. 324 § 148 Abs. 1 Nr. 3 AktG. Vgl. auch Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 8; Thümmel, Neue Risiken für Manager?, DB 2004, S. 473; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 95. Die Hauptversammlung kann hingegen gemäß § 147 Abs. 1 bereits Schadensersatzansprüche verfolgen, die sich aus leichter Fahrlässigkeit ergeben haben. Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 22. Vgl. auch Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 464. 325 Siems, Das neue Verfolgungsrecht der Aktionärsminderheit, ZVglRWiss 2005, 376 ff. 326 § 148 Abs. 1 Nr. 4 AktG. 320
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in Vorleistung treten.327 Der einzige Vorteil, den sie sich von der Klage erhoffen können, liegt dabei im reflexiven Ausgleich durch eine (mögliche) Wertsteigerung ihrer Unternehmensanteile im Falle des Obsiegens.328 Die wesentliche Konsequenz dieser Schwierigkeiten und Risiken für die antragsstellenden Aktionäre ist die praktische Irrelevanz des § 148 AktG.329 Aufgrund der Pflicht zur Anspruchsverfolgung, der deutsche Vorstände und Aufsichtsräte unterliegen, lässt sich das Argument vertreten, dass eine Art der Derivative Action in Deutschland weniger nötig ist als in den USA, wo die Anspruchsverfolgung im unternehmerischen Ermessen des Board of Directors liegt.330 Solange der Entscheidung, Ansprüche nicht zu verfolgen, saubere Entscheidungsfindungsprozesse im Sinne der Business Judgment Rule zugrunde liegen, muss ein amerikanischer Director keine eigene Haftung befürchten, wenn er die Verfolgung möglicher Ansprüche ablehnt. Es ist daher zu befürchten, dass sie eine Neigung zur Schonung ihrer Kollegen sowie der Schonung von Unternehmensressourcen und -reputation zeigen. Eine zweite Instanz in Form der Aktionäre, die diese Entscheidungsfindung hinterfragen können und somit die Einhaltung der Fiduciary Duties gewähren, ist daher ein sinnvoller Kontrollmechanismus. Diese Bedeutung kommt der Aktionärsklage möglicherweise nicht zu, wenn den Entscheidungsträgern wie in Deutschland ein sehr viel geringerer Entscheidungsspielraum zur Klageerhebung zugestanden wird.
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§ 148 Abs. 6 AktG. Hier können allerdings gemäß Satz 5 Erstattungsansprüche gegen die Gesellschaft bestehen. Vgl. auch z. B. Tobias Kahnert, Quo vadis § 148 AktG – Neukonzeption oder kontinuierliche Fortentwicklung?, Die Aktiengesellschaft 2013, 663, S. 664; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 242 ff.; Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 486. 328 Vgl. z. B. Siems, Das neue Verfolgungsrecht der Aktionärsminderheit, ZVglRWiss 2005, S. 390; Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 244. Der Wertsteigerung durch den finanziellen Ausgleich, sofern dieser überhaupt in voller Höhe erfolgt, stehen die Kosten des Verfahrens gegenüber, die die Gesellschaft auch unabhängig von direkten Verfahrenskosten zu tragen hat. Hierzu können höhere Prämienzahlungen der D&OVersicherungen gehören, aber auch verlorene Arbeitszeit der Geschäftsleitung und Reputationsschäden. Vgl. z. B. die Gründe gegen die Anspruchsverfolgung durch Minderheiten bei Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 11. Vgl. auch z. B. Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 465. 329 Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 464, Fn. 58; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 17; Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 3; Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 655; Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 401 ff. 330 Wie bereits erwähnt, wird die Entscheidung an ein unabhängiges Special Committee delegiert, wenn das Ermessen der anderen Directors durch ihre Nähe zu den möglichen Ansprüchen beeinflusst sein könnte. s. supra, Der Demand (S. 181).
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c) Konzeptionelle und praktische Probleme der Aktionärsklage gemäß § 148 AktG Doch scheint das Vertrauen von Gesetzgeber und Schrifttum in die Pflicht zur Anspruchsverfolgung nicht ausreichend ausgeprägt, um auf Klagemöglichkeiten für Aktionärsminderheiten gänzlich zu verzichten.331 Zahlreiche konzeptionelle Unstimmigkeiten führen aber dazu, dass § 148 AktG diese Klagemöglichkeiten nicht effektiv geschaffen hat.332 Bedenken gelten nach wie vor den befürchteten „räuberischen Aktionären“, die zum Teil das Schreckensbild des amerikanischen Professional Plaintiffs zur Grundlage haben, aber auch auf Erfahrungen im deutschen Beschlussmängelrecht beruhen.333 In der aktuellen Fassung der Norm ist nicht klar, worin die räuberischen Absichten der Aktionäre liegen könnten, da ihnen kein Honorar zusteht und jeder Vorteil, den sie erlangen, durch die Wertsteigerung des Unternehmens auch alle anderen Aktionäre betrifft. Zudem tragen sie das Kostenrisiko des Klagezulassungsverfahrens. Die erfolgreiche Erpressung von privaten Zuwendungen von den Beklagten an die klagenden Aktionäre334 scheint angesichts der Transparenz moderner börsennotierter Aktiengesellschaften, des Kostenrisikos335 und der Hindernisse, die einer Beilegung per Vergleich bei der Verfolgung von Gesellschaftsorganen im Wege stehen,336 nicht sehr wahrscheinlich. Auch möglichen Nebenabreden, die zu anderen spezifischen Vorteilen nur für die klagenden Aktionäre führen, ist mit Transparenz und gegebenenfalls mit gerichtlicher Aufsicht beizukommen. Ver331 s. z. B. Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 1; Baums, Gutachten, in 63. Deutscher Juristentag (2000), S. F 22. Vgl. auch Ulmer, Aktionärsklage als Instrument, ZHR 1999, S. 290 f. 332 In diesem Zusammenhang wird zu Recht darauf hingewiesen, dass eine stärkere Inzentivierung der Aktionärsklage die als zu streng betrachtete Organhaftung in der Rechtsrealität verstärken würde, und daher ohne grundlegende Reformen der Organhaftung nicht wünschenswert ist. s. z. B. Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 3; Habersack, Gutachten, in 69. Deutscher Juristentag (2012). Angesichts der zahlreichen positiven Aspekte der Derivative Action bei richtigen rechtlichen Vorgaben, gehen die Betrachtungen hier aber von einem sinnvollen Haftungsmaß aus, das im Rahmen einer entsprechend reformierten Aktionärsklage einen wertvollen Beitrag zur Corporate Governance leisten könnte. Gedanken zu diesem sinnvollen Haftungsmaß folgen an anderer Stelle. s. infra, Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland (S. 258). 333 Vgl. z. B. Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 19 f.; Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 3 f. & 43; Baums, Gutachten, in 63. Deutscher Juristentag (2000), S. F 54; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 78. 334 Vgl. z. B. Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 658; Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 467 f. Vgl. auch Schröer, § 148 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 55. 335 Vgl. z. B. Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 269. 336 §§ 93 Abs. 4 Satz 3 & 116 Satz 1 AktG. Vgl. auch Habersack, Gutachten, in 69. Deutscher Juristentag (2012), S. E. 95.
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gleichsweise Beendigung einer Klage gemäß § 148 AktG ist momentan überhaupt nur mit Zustimmung der Hauptversammlung möglich.337 Für Minderheiten bedeutet dies eine effektive Entmachtung insbesondere in den Situationen, in denen sie durch die Kollusion von Mehrheitsaktionären und Geschäftsleitung besonders schutzbedürftig sind338 – gleichzeitig können sich die übrigen Aktionäre und die Organe auf diese Weise aber auch vor einer räuberischen Minderheit schützen, die das Klagezulassungsverfahren passiert hat.339 Der räuberische Aktionär erscheint daher bei aktueller Rechtslage als eine so unwahrscheinliche Erscheinung, dass er im Diskurs zur Aktionärsklage höchstens eine untergeordnete Rolle spielen sollte.340 Im Gegenteil, als größeres Hindernis zur Effektivität von § 148 AktG erweisen sich die mangelnden, nicht die übermäßigen Anreize für Aktionäre, von der Aktionärsklage Gebrauch zu machen.341 Hier weist die amerikanische Erfahrung die Richtung zu einem sorgfältig geschaffenen Finanzierungsmodell, das Anwälten die Motivation zur Auswahl, Verfolgung und Finanzierung von werthaltigen Ansprüchen bietet. Um die negativen Entwicklungen des amerikanischen Modells zu vermeiden, müsste die richterliche Prüfung von Vergleichen auf Angemessenheit, wie sie im Rahmen des KapMuG bereits vorgesehen ist,342 auch für Aktionärsklagen gemäß § 148 AktG möglich und entsprechend rigoros sein, so dass unbegründete Klagen grundsätzlich nicht zur Zahlung von Honoraren führen können. Solange nur die Durchsetzung werthaltiger Ansprüche als „Erfolg“ gewertet und vergütet wird, wäre ein Erfolgshonorar für Anwälte hier ein sinnvoller Schritt.343
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Gemäß § 148 Abs. 6 Satz 4 gilt § 93 Abs. 4 Satz 4 (mit Ausnahme der Sperrfrist), die Zustimmung der Hauptversammlung ist also unwirksam, wenn ihr eine Aktionärsminderheit in Besitz von 10 % der Gesellschaftsanteile widerspricht. 338 Die Entmachtung kann entweder durch die Ablehnung eines Vergleichs durch die Aktionärsmehrheit erfolgen, oder durch Übernahme des Verfahrens durch die Gesellschaft und anschließende Zustimmung zum Vergleich durch die Aktionärsmehrheit. Aufgrund des sehr viel höheren Quorums von 10 % des Grundkapitals zum wirkungsvollen Widerspruch gegen diese Zustimmung, ist unwahrscheinlich, dass die ursprünglich klagende Aktionärsminderheit, die möglicherweise nur 1 % der Anteile vertritt, sich gegen diesen Vergleich wehren kann. Hierzu s. auch Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 21; Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 657 ff. 339 Aufgrund der Benachteiligung berechtigter Minderheiteninteressen ist allerdings die primäre Kontrolle durch das Gericht, wie sie in Delaware erfolgt, der primären Kontrolle durch die Mehrheit vorzuziehen. Hierzu auch Ulmer, Aktionärsklage als Instrument, ZHR 1999, S. 332; Vgl. auch Baums, Gutachten, in 63. Deutscher Juristentag (2000), S. F 562; Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 434 ff. 340 Vgl. auch Habersack, Gutachten, in 69. Deutscher Juristentag (2012), S. E. 93; Habersack, Perspektiven, ZHR 2013, S. 791; Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 660. 341 Vgl. z. B. Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 465. 342 § 15 KapMuG. 343 s. auch infra, Stichhaltigkeit der Argumente gegen das Vorbild der Class Action (S. 251).
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In diesem Zusammenhang besteht allerdings auch der Ruf nach Fangprämien, die die Inzentivierung der Aktionäre durch einen Anteil an den für das Unternehmen erstrittenen Beträgen verbessern sollen.344 Angesichts der amerikanischen Erfahrung mit tatsächlichen „räuberischen Aktionären“ sollte diesem Ruf nicht entsprochen werden.345 Die Abschaffung ähnlicher Vergütung von Lead Plaintiffs im Federal Securities Law erfolgte im Rahmen des PSLRA, und bedurfte eines enormen politischen Kraftakts, da sie als Grund für viele Nuisance Suits identifiziert worden war.346 Gerade mit einer ebenfalls diskutierten Abschaffung der Vorbesitzerfordernis347 oder des Quorums348 würden solche Fangprämien Professional Plaintiffs die Tür öffnen, die auch mit geringen Einzelprämien nach wenig werthaltigen Klagen zufrieden wären, solange sie sie von ausreichend vielen Gesellschaften erhalten. Während von den Befürwortern einer Fangprämie vorgebracht wird, dass Kläger hohe Prämien den kleineren so sehr vorziehen würden, dass sie nur sehr werthaltige Klagen anstrengen würden,349 lässt die amerikanische Erfahrung hier die Gefahr einer Klageflut vermuten. Hier akzeptieren zahlreiche Einzelaktionäre, vertreten durch weniger renommierte Anwälte, noch immer relativ wertlose Disclosure-Only Settlements mit geringen Anwaltshonoraren, während angesehene Plaintiffs’ Attorneys und institutionelle Aktionäre sehr viel werthaltigere Einigungen mit hohen Honoraren erlangen.350 Die Verfügbarkeit hoher Vergleichssummen in einigen Fällen kann Bagatellklagen in vielen anderen also nicht ausschließen.351 Eine Abschaffung des Quorums hingegen könnte die Aktionärsklage als Corporate Governance Instrument stärken. Der wesentliche Zweck des Quorums ist der Schutz vor missbräuchlichen Klagen.352 Dieser Begründung geht beispielsweise in der Gesetzesbegründung die Annahme voraus, dass nur Aktionäre, die ein wirtschaftliches Interesse einer bestimmten Höhe an der Gesellschaft haben, werthaltige Klagen einreichen werden.353 Diese Sicht verfängt allerdings nicht, denn die Un344
Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 434 ff. Vgl. auch z. B. Tröger, Durchsetzung der Vorstandshaftung, ZHR 2015, S. 467 f. 346 s. supra, Gesetzliche Reformen der Securities Class Actions (S. 207). Der PSLRA bezieht sich auf Class Actions, nicht auf Derivative Actions. Angesichts des geringen Ausgleichs, den einzelne Professional Plaintiffs bei Securities Class Actions erwarten können, ist der voraussichtliche Effekt einer Fangprämie hier aber ähnlich. 347 Vgl. z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 93 f.; Kahnert, Quo vadis § 148 AktG, AG 2013, S. 666. 348 Vgl. z. B. Habersack, Gutachten, in 69. Deutscher Juristentag (2012), S. E. 95; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 89 ff.; Haar/Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013. 349 s. z. B. Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 434. 350 s. supra, Entwicklungen der Shareholder Representative Actions (S. 223). 351 Einige Stimmen hoffen, Bagatellklagen durch eine Fangprämie zu vermeiden, die sich am Wert des erstrittenen Schadensersatzes bemessen würde. So z. B. Kahnert, Quo vadis § 148 AktG, AG 2013, S. 670. 352 Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 20. 353 Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 20. 345
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terscheidung zwischen werthaltigen und unseriösen Klagen ergibt sich nicht aus dem Anteil eines Aktionärs am Grundkapital.354 Solange nicht beispielsweise durch Fangprämien Anreize für Aktionäre zum Missbrauch der Aktionärsklage gesetzt werden, verzerrt dieser willkürliche Schwellenwert nicht nur die Aktionärsrechte am Kapitalmarkt.355 Sie blockiert auch mögliche werthaltige Klagen, über die die Gerichte somit nicht entscheiden können, so dass die Organe der Gesellschaft solche Klagebegehren nicht ernst nehmen müssen.356 Besser geeignet für eine Rolle als „gatekeeper“, der werthaltige von unseriösen Klagen trennen kann, wären beispielsweise die Anwälte der Kläger, insbesondere wenn sie durch die Einführung von Erfolgshonoraren ein höheres Interesse an werthaltigen Klagen als an wahrscheinlich erfolglosen hätten.357 Auch ohne Erfolgshonorare könnten Reputationsanreize hier eine Rolle spielen. In jedem Fall verfügen sie eher über die Erfahrung, das rechtliche Verständnis und die Unab-
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Die Bundesregierung machte diese Unterscheidung in der Gesetzesbegründung unter anderem an dem unternehmerischen Interesse fest, das sie in den Motivationen der Großaktionäre sah. Sie unterschied hier das als rein wirtschaftlich gesehene Interesse der Kleinaktionäre, die ihre Beteiligung nur unter Anlagegesichtspunkten tätigten. Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 22. Ob es Letzteren verwehrt sein sollte, berechtigte Ansprüche des Unternehmens durchzusetzen, sollte eine kontroverse Frage sein. Zudem entspricht die Aussage aber nicht dem heutigen Anlegerprofil, in dem zahlreiche Großaktionäre ausschließlich unter Gesichtspunkten des kurzfristigen Profits investieren. Dieser Grund für die Einrichtung des Quorums ist damit heute nicht relevant. 355 Vgl. auch Baums, Gutachten, in 63. Deutscher Juristentag (2000), S. F 258. Die Willkür ist schon in den Schwankungen zwischen 10 % und 5 % zu erkennen, die der Gesetzgeber als Quorum für die Bestellung eines besonderen Vertreters im Laufe der Jahre vorgesehen hatte. Haar, Grechening, Minderheitenquorum und Mehrheitsmacht, AG 2013, S. 656. Zudem kann das nötige Grundkapital auf einen einzigen oder mehrere Tausend Aktionäre verteilt sein, es geht dem Gesetzgeber also offensichtlich nicht um die Prüfung der Ansprüche durch möglichst viele, voneinander unabhängige Anteilseigner. 356 Das wirtschaftliche Interesse an der Gesellschaft ist weder die einzige denkbare Motivation für eine Klage, noch ist es unbedingt eine sinnvolle. Denn ist der Schaden, den die Gesellschaft durch die Pflichtverletzung erlitten hat, groß genug, dass ein einzelner Kleinaktionär einer großen Aktiengesellschaft ihn tatsächlich im Wert seiner Anteile spürt, so ist praktisch ausgeschlossen, dass ein einzelner Beklagter ihn im vollen Maße ausgleichen kann. Auch müssen jedem Ausgleich die Kosten des Verfahrens für die Gesellschaft entgegengestellt werden, nicht nur in Form von Prozesskosten, die über die erstatteten Gebühren hinausgehen, sondern beispielsweise auch in verlorener Arbeitszeit und Reputation. Unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist eine Klage also oft möglicherweise gar nicht sinnvoll. Doch andere Motivationen zur Klage sind nicht an den Aktienwert der Gesellschaft gebunden. Der Aktionär, der zur Übernahme eines Prozessrisikos bereit ist, um die Corporate Governance zu verbessern oder treuwidrige Organmitglieder zur Verantwortung zu ziehen, ist vielleicht nicht die Norm, doch sollte ihm der Weg zur Klage auf jeden Fall ermöglicht werden. Vgl. auch z. B. Webber, Shareholder Litigation without Class Actions, 57 Ariz. L. Rev. 201 (2015). 357 Vgl. Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 48. Die aktuelle Vergütungsordnung setzt hier die falschen Anreize, da Anwälte sowohl bei großem Erfolg als auch bei großem Misserfolg die gleiche Vergütung erwartet. s. auch Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 438.
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hängigkeit, um die von Aktionären vorgebrachten Anschuldigungen sinnvoll einordnen zu können. In der besten Position, als Gatekeeper den Missbrauch der Aktionärsklage zu verhindern, sind im Moment die Gerichte, die unseriöse Klagezulassungsanträge stringent ablehnen können.358 Die Höhe der Investition der antragsstellenden Aktionäre mag dabei für das Gericht eine Rolle spielen, ebenso ob der Antrag von lediglich einem einzelnen Aktionär gestellt wird, oder ob er zahlreiche andere von der Ernsthaftigkeit der Ansprüche hat überzeugen können. Diese Einschätzung sollte jedoch dem zuständigen Richter überlassen bleiben, der die spezifischen Umstände des einzelnen Unternehmens und seiner Aktionärsstruktur besser beurteilen kann. Bleibt es bei der momentanen Verteilung des Prozessrisikos, wirkt ein Zulassungsantrag möglicherweise umso ernsthafter, wenn ein einzelner Aktionär bereit ist, das Kostenrisiko des Zulassungsverfahrens alleine zu übernehmen. Ein Quorum, ob es bei 10 %, 5 % oder auch nur 1 % liegt, nimmt diesem Aktionär aber undifferenziert die Möglichkeit, der Corporate Governance als Private Attorney General oder „zweite Spur“ der Aufsicht zu dienen. Ein weiterer Grund für die mangelnde Nutzung des § 148 AktG unter Aktionären mag in dem vergleichsweise einfachen Zugang zum Strafrecht liegen, den auch Einzelaktionäre in Deutschland haben. Angesichts der Schwere der Verstöße wie „ins Kriminelle reichende Treuepflichtverstöße“, die von § 148 AktG umfasst sind,359 und dem höchstens geringen finanziellen Vorteil, den sich Einzelaktionäre nach allen Verfahrens- und Vollstreckungsschwierigkeiten in diesen Fällen von einer Aktionärsklage selbst indirekt erhoffen können, könnte die Anzeigenerstattung eine häufig gewählte Alternative sein. Sie setzt kein Quorum voraus und bedeutet für den Aktionär nur einen vergleichsweise geringen zeitlichen Aufwand, ohne jedes Kostenrisiko. Auch hat er die Gewissheit, dass mögliche Straf- oder Ausgleichszahlungen nicht von der D&O-Versicherung des Unternehmens gezahlt werden.360 Unter den formalen rechtlichen Möglichkeiten, die Kleinaktionären zur Verfügung stehen, liegt die Staatsanwaltschaft also in der aktuellen deutschen Rechtslandschaft möglicherweise näher als eine Klageaufforderung an die zuständigen Gesellschaftsorgane. Eine zusätzliche Komplikation des deutschen Aktienrechts, die dem amerikanischen Recht in dieser Form fremd ist, liegt in der Pflicht zur Anspruchsverfolgung durch Vorstand bzw. Aufsichtsrat, die sich möglicherweise sogar verschärft, wenn das Gericht dem Klagezulassungsantrag der Aktionäre gegen den Widerstand der Unternehmensführung bzw. -aufsicht stattgegeben hat. Statt die Klage an dieser Stelle fest in die Hände der klagenden Aktionäre oder eines Vertreters zu legen, sieht 358 Sollte sich bei höherem Gebrauch von § 148 AktG hier Verbesserungsbedarf ergeben, könnte dieser durch eine Erhöhung der inhaltlichen Anforderungen erfüllt werden. 359 Deutsche Bundesregierung, Entwurf UMAG, BT Drs. 15/5092 (2005), S. 22. 360 Lediglich die Kosten der Verteidigung können durch eine sogenannte Industrie-StrafRechtsschutzversicherung gedeckt werden. s. Thomas, Haftungsfreistellung (2010), S. 498 ff. Vgl. auch Ruttmann, Versicherbarkeit in der D&O Versicherung (2014).
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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die herrschende Meinung nun erst recht die Pflicht des zuständigen Organs, die Klage zu übernehmen und selbst zu verfolgen.361 Die Entscheidung des Gerichts im Klagezulassungsverfahren wird dabei als Urteil zur Werthaltigkeit der Ansprüche und zur Abwägung ihrer Verfolgung mit dem Gesellschaftsinteresse gewertet. Diese Wertung erlaubt dem zuständigen Landgericht einmal mehr, die Einschätzung der zuständigen Organe des Gesellschaftsinteresses durch seine eigene zu ersetzen, obgleich es hier in einem summarischen Verfahren eigener Art ausschließlich den Verdacht beurteilt, nicht den tatsächlichen Anspruch.362 Ob es in diesem Zusammenhang sinnvoll ist, Personen zur Klageerhebung zu zwingen, die ihr bis zum Abschluss des Klagezulassungsverfahrens (vermutlich mit Nachdruck) widersprochen haben, ist zu bezweifeln. Es ist dabei unerheblich, ob ihr Widerstand in einem persönlichen Interessenkonflikt oder einer ausgewogenen, objektiven Einschätzung der Ansprüche oder des Gesellschaftsinteresses liegt, die von der des Gerichts beispielsweise durch eine andere Prioritätensetzung abweicht.363 In jedem Fall ist ein Aktionär oder besonderer Vertreter, der die Anspruchsverfolgung für richtig und werthaltig hält, zu ihrer Durchführung deutlich besser geeignet als Gesellschaftsorgane, die zur Übernahme der Klage praktisch gezwungen werden.364 d) Zwischenergebnis: Vergleich der Aktionärsklage gemäß § 148 AktG mit der Derivative Action in Delaware Ohne eine grundlegende Novellierung der Klagemöglichkeiten bleibt deutschen Aktionären und der deutschen Corporate Governance die Nutzung eines der Derivative Action ähnelnden Instruments somit vorerst verwehrt. Aktionäre haben keine Anreize, Pflichtverletzungen von Organen zivilrechtlich zu verfolgen, da sie ein eigenes Kostenrisiko ohne direkten Vorteil im Falle des Obsiegens tragen. Auch für Anwälte besteht kein Interesse daran, Aktionärsklagen dieser Art zu finanzieren. Verloren gehen damit auch die positiven Aspekte der Derivative Action, die zu besserer Corporate Governance führen können. So könnte die Klageaufforderung an 361 s. z. B. Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 16. Dem entgegen aber Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 14. 362 Koch, § 148 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 10; Schröer, § 148 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 40. 363 Aufgrund der derzeitigen sehr hohen Ansprüche an das Verschulden der Beklagten sind weit divergierende Auffassungen des Gesellschaftswohls hier im Moment unwahrscheinlich (wenngleich es nur aufgrund einer Divergenz überhaupt zum Klagezulassungsverfahren kommen kann). s. z. B. Kahnert, Quo vadis § 148 AktG, AG 2013, S. 668. Bei einer möglichen Senkung des nötigen Verschuldens bei einer Reformierung des Gesetzes wären Meinungsverschiedenheiten zwischen Organen und Gericht wahrscheinlicher. 364 Gleiche Kritik sollte gegenüber Klagen gelten, die die Hauptversammlung mehrheitlich beschlossen hat, die aber von den zuständigen Organen selbst durchgeführt werden sollen. Vgl. Schröer, § 147 AktG, Münch. Komm. AktG (2013), Rn. 25.
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die Gesellschaft gemäß § 148 AktG zu einer intensiveren Beschäftigung des Aufsichtsrats mit den Forderungen und Vorwürfen der Aktionäre zur Folge haben, den in Delaware durch einen Demand ausgelösten Untersuchungen eines unabhängigen Special Litigation Committee vergleichbar.365 Weder die Aufdeckung von Corporate Governance Verstößen, noch eine Verbesserung der Strukturen ist so zu erwarten. Die alternative Nutzung der Staatsanwaltschaft ist in den meisten Fällen weder aus Sicht der Unternehmen, noch aus Sicht der Kläger, noch für Justiz und Steuerzahler sinnvoll. 2. Musterverfahren als Alternative zur Sammelklage in Deutschland Noch weiter als von der Derivative Action distanzierte sich die deutsche Gesetzgebung von der Securities Class Action. Trotz der vielen Vorteile, die sie in den amerikanischen Modellen für die kollektive Geltendmachung von Ansprüchen sahen, ließen die Bundesregierung und die Regierungskommission sowie die herrschende Meinung des Schrifttums bei der Erörterung von Möglichkeiten zum kollektiven Rechtsschutz in Deutschland keinen Zweifel an ihrer Ablehnung der amerikanischen Class Action.366 Die Gründe dieser Ablehnung liegen zum einen in der im amerikanischen Modell gesehenen Kommerzialisierung der Prozesse durch sich an ihnen bereichernde Anwälte,367 zum anderen in ihrer Unvereinbarkeit mit den individualistisch geprägten Rechtsschutzgrundsätzen des deutschen Verfahrensrechts.368 Weiterhin wird die „Entrechtlichung“ der Class Actions kritisiert, die in aller Regel durch Vergleich beendet werden, ohne dass es zu einer Schlüssigkeits-
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s. supra, Der Demand (S. 181). Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht (2001), Rn. 187. An anderer Stelle heißt es hierzu, die Diskussion um Methoden des kollektiven Rechtsschutzes würden von der „Wahrnehmung“ der Class Actions „dominiert“. Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 34. Vgl. auch Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 100; Stefan Smid/Nathalie Mohr, Die Novelle des KapMuG, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 2013, 343, S. 344; Volkert Vorwerk/Christian Wolf, Einleitung KapMuG, in: Volkert Vorwerk (Hrsg.), Kommentar zum Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2008), Rn. 3; Andreas W. Tilp/Thomas A. Roth, The German Capital Market Model Proceedings Act as Illustrated by the Example of the Frankfurt Deutsche Telekom Claims, in: Willem H. van Boom/Gerhard Wagner (Hrsg.), Mass Torts in Europe – Cases and Reflections (2014), S. 131; Astrid Stadler, Die Bündelung von gleichgerichteten Ansprüchen durch Inkassozession – Geschäftsmodelle für Prozessfinanzierung auf dem Prüfstand, JuristenZeitung 2014, 613, S. 613 & 619. s. auch Janet Walker, Who’s Afraid of U.S.-Style Class Actions?, 19 Southwestern Journal of International Law 509 (2012), S. 509. 367 Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht (2001), Rn. 190. 368 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 16. Das KapMuG umgeht eine als unzulässig betrachtete Bindungswirkung auf Dritte, indem es den gebundenen Kläger der Ausgangsprozesse als Beigeladene Einfluss auf das Musterverfahren gibt. § 22 Abs. 1 KapMuG i.V.m. § 14 KapMuG; Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 17. 366
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prüfung, genauen Berechnung der tatsächlichen Ansprüche oder Nachweis der Kausalität gekommen wäre.369 Statt daher das Modell der Sammelklage im Sinne der Class Action weiter zu verfolgen, verabschiedete der Deutsche Bundestag im Jahr 2005 das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz (KapMuG), um Aktionären im Zusammenhang mit fehlerhaften Kapitalmarktinformationen die Möglichkeit zu geben, bestimmte Ansprüche, die einzeln gering sind aber einen großen Gesamtschaden ergeben, effizient und kostengünstig mit Hilfe eines Musterverfahrens geltend zu machen.370 Im Jahr 2012 folgte eine Novellierung des Gesetzes, das nun zunächst bis Ende Oktober 2020 gültig ist.371 Es gilt für mittelbare und unmittelbare Ansprüche aufgrund falscher Kapitalmarktinformationen und von Prospekthaftung.372 a) Entwicklung des KapMuG Das KapMuG sollte eine zivilprozessrechtliche Unzulänglichkeit berichtigen, da bei Betrug durch fehlerhafte Kapitalmarktinformationen bis zu dem Zeitpunkt kein zufriedenstellender Weg zur Anspruchsverfolgung existierte, der die verhältnismäßig geringen Einzelansprüche, die verstreute Geographie und die mangelnde Möglichkeit zur aktiven Kooperation unter den Aktionäre berücksichtigte.373 Nicht nur aus Sicht der Anspruchsverfolgung, sondern auch im Hinblick auf die Effizienz der Justiz und auf die Widerspruchsfreiheit einzelner Urteile zum Aktionärsschutz wurde diese Ausgangslage als unhaltbar gesehen.374 Der Zusammenbruch des Neuen Markts und der 2. und 3. Börsengang der Deutsche Telekom AG in den Jahren 1999 und 2000, die letztendlich eine Welle von mehr als 2.000 Klagen durch ursprünglich 19.000 Anleger auslösten,375 gaben dem Gesetzgeber Anlass zum Handeln.376 369
Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 40. s. z. B. Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 344; Christoph Leser, Die Bindungswirkung des Musterentscheids nach dem Kapitalanlegermusterverfahrensgesetz (2013), S. 25. 371 § 28 KapMuG. Vgl. z. B. Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 343. 372 § 1 KapMuG. Vgl. auch Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetzes, Bundestag Drucksache 17/8799 (2012), S. 16. 373 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 13 f. Vgl. auch Brigitte Haar, Investor Protection Through Model Case Procedures – Implementing Collective Goals and Individual Rights Under the 2012 Amendment to the German Capital Markets Model Case Act (KapMuG), 15 European Business Law Review 83 (2014), S. 85. 374 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 16. 375 Andreas W. Tilp, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz: Stresstest für den Telekom-Prozess, in: Uwe Blaurock (Hrsg.), Festschrift für Achim Krämer zum 70. Geburtstag am 19. September 2009 (2009), S. 333. Verschiedene Quellen enthalten unterschiedliche Angaben zur Anzahl der Kläger (14.000 – 17.000), die sich wahrscheinlich aus unterschiedlichen Momentaufnahmen ergeben. Nach Zählung eines der Klägeranwälte waren von ursprünglich 19.000 Klägern im Jahr 2009 bereits nur noch 17.000 geblieben. Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 332. Vgl. auch Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 32, Fn. 27. 370
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Vor Erlass des KapMuG hätten Anleger zum Beispiel mit Hilfe einer Streitgenossenschaft377 kapitalmarktrechtliche Ansprüche gegen Emittenten verfolgen können.378 Für Wertpapiere im Streubesitz scheiterte dieses Modell allerdings bereits an dem Erfordernis, dass alle Klagen vor dem selben Gericht eingereicht werden müssten.379 Auch andere bereits existente Rechtsinstitute wie Nebeninterventionen,380 Prozessverbindungen381 und das Aussetzen von Prozessen382 waren aufgrund spezifischer prozessrechtlicher Vorgaben für Massenverfahren in der Größenordnung einer kapitalmarktrechtlichen Aktionärsklage ebenfalls nicht geeignet.383 Die Eignung von Interessengemeinschaften384 durch Abtretung oder Einzugsermächtigung lehnte der Gesetzgeber ebenfalls ab, da diese im Zusammenhang mit Kapitalanlegermassenverfahren möglicherweise als widerrechtlich geschäftsmäßig gewertet werden müssten.385 Die in den letzten Jahren für einige prominente Massenverfahren – auch zur Durchsetzung von kapitalmarktrechtlichen Forderungen386 – genutzten Rechtsverfolgungsgesellschaften haben aufgrund der geschäftsmäßigen Tätigkeit und der fehlenden Aktivlegitimation noch keine gesicherte Rechtsgrundlage.387
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Vgl. z. B. Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 30 ff. §§ 59 & 60 ZPO. 378 Vgl. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 13; Markus Heitzig, Das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz als Lösung zur Bewältigung von Massenverfahren (2010), S. 6 ff.; Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 71 ff. 379 Vgl. z. B. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 13; Heitzig, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2010), S. 8. Das KapMuG revidierte diese Schwierigkeit durch die Einführung von § 32b ZPO. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 17. 380 § 66 Abs. 1 ZPO. 381 § 147 ZPO. 382 § 148 ZPO. 383 Vgl. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 14; Heitzig, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2010), S. 20 ff.; Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 74 ff. 384 § 185 BGB. 385 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 14. Vgl. auch LG Düsseldorf, Urteil vom 17. Dezember 2013, 37 O 200/09 (Kart.) U., JZ 2014, 635, S. 637 f.; Heitzig, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2010); Stadler, Bündelung von gleichgerichteten Ansprüchen, JZ 2014, S. 615; Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 79 ff. Timo Fest, Rechtsverfolgungsgesellschaften: Hindernisse bei der zivilrechtlichen Lösung eines prozessrechtlichen Problems, Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft 2016, 173. Zur mangelnden Eignung von Verbandsklagen, s. z. B. Heitzig, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2010), S. 67 ff. 386 s. z. B. Fest, Rechtsverfolgungsgesellschaften, ZfPW 2016, S. 174. 387 s. z. B. LG Düsseldorf, JZ 2014, 635 (2013), S. 637 f. (Abtretungen wurden als sittenwidrig und damit nichtig erachtet). Vgl. auch Stadler, Bündelung von gleichgerichteten Ansprüchen, JZ 2014, S. 619 ff.; Fest, Rechtsverfolgungsgesellschaften, ZfPW 2016. 377
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Da Anlegern somit kein geeignetes Rechtsinstrument zur Anspruchsverfolgung zur Verfügung stand, orientierte sich der Gesetzgeber bei der Schaffung des KapMuG daher an den bereits in der Verwaltungsgerichtsordnung vorgesehenen Regelungen zum Musterverfahren388 mit dem Ziel, klagenden Aktionären die zeitweise Bündelung ihrer Verfahren gegen die selben Beklagten zu ermöglichen, so dass gemeinsame Rechtsfragen in nur einem einzigen Musterverfahren vor einer einzigen Kammer eines Oberlandesgerichts geklärt werden müssen, bevor die Einzelverfahren mit Hilfe dieser Klärung vor den einzelnen zuständigen Prozessgerichten abgeschlossen werden. b) Kapitalanleger-Musterverfahren gemäß KapMuG Das KapMuG erlaubt es den Prozessgerichten dabei, mindestens zehn rechtlich gleich gelagerte Ausgangsverfahren389 (zum Teil sind es in der Praxis mehrere Hundert oder sogar Tausend390) gegen die selben Beklagten und basierend auf den gleichen Lebenssachverhalten391 zu bündeln und den Verfahren gemeinsame Rechtsund Tatsachenfragen dem zuständigen OLG vorzulegen, das das Musterverfahren zur Klärung dieser vorgelegten Feststellungsziele aufnimmt.392 Der durch das KapMuG eingefügte § 32b ZPO sieht für Verfahren gegen einen inländischen Emittenten wegen fehlerhafter Kapitalmarktinformationen das Gericht am Sitz des Emittenten als ausschließlichen Gerichtsstand vor, so dass hier eine klare Zuständigkeit besteht.393 Die Ausgangsverfahren sind für die Dauer des Musterverfahrens ausgesetzt,394 doch können auf Antrag eines Beteiligten weitere Feststellungsziele in das Musterverfahren mit aufgenommen werden.395 Ergeht am Ende des Musterverfahrens ein Beschluss („Musterbescheid“) oder einigen sich die Parteien auf einen 388
Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 14. § 6 Abs. 1 Satz 1 KapMuG. Zum Verlauf eines Musterverfahrens s. z. B. auch Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 348 f.; Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 345 f. 390 s. z. B. Oberlandesgericht Frankfurt Am Main, Presseerklärung, Oberlandesgericht Frankfurt am Main entscheidet erneut im Kapitalanleger-Musterverfahren anlässlich des 3. Börsengangs der Deutschen Telekom AG (30. November 2016); Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 333. 391 Hier relevant sind Emittenten und ihre Organe. § 9 Abs. 5 KapMuG. Hier nicht relevant sind Musterverfahren gegen Anlagevermittler und -berater. 392 § 2 Abs. 3 & § 6 KapMuG. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/ 5091 (2005), S. 17. 393 In der ersten Instanz sind dennoch mehrere Gerichte denkbar, vgl. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 18. 394 § 5 KapMuG. Die Frage, ob ein Ausgangsverfahren die Voraussetzung der identischen Lebenssachverhalte erfüllt, muss vom Prozessgericht für jedes Verfahren einzeln festgestellt werden, was zu erheblichen Verzögerungen führen kann. Vgl. z. B. Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 352; Brigitte Hanisch, Das KapitalanlegerMusterverfahrensgesetz (KapMuG) – Anwenderfragen und Rechtsdogmatik (2011), S. 258 ff. 395 § 15 KapMuG. 389
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Vergleich, der vom Gericht als angemessen erachtet und genehmigt wird,396 so sind diese grundsätzlich bindend für alle ausgesetzten Ausgangsverfahren.397 Diese werden anschließend einzeln beendet, wobei das Gesetz Ausgangsklägern die Möglichkeit gibt, sich von einem Vergleich ausschließen zu lassen, wie im Weiteren näher erörtert.398 Aufgrund der bereits erwähnten Ablehnung der Fraud-on-theMarket Vermutung in Deutschland399 muss die haftungsbegründende Kausalität anschließend in jedem einzelnen Verfahren festgestellt werden.400 Die Beklagten werden im Zusammenhang mit dem Musterverfahren als „Musterbeklagte“ bezeichnet.401 Kläger und potentielle Kläger unterteilen sich in drei Gruppen: Den vom OLG nach billigem Ermessen gewählten „Musterkläger“, der die Klage führt,402 die übrigen Kläger der Ausgangsverfahren, die dem Musterverfahren als „Beigeladene“ beiwohnen,403 und sogenannte „Anmelder“, die in der gleichen Sache noch keine Klage eingereicht haben, durch die Anmeldung ihrer Ansprüche beim zuständigen OLG aber eine ausgesetzte Verjährung ihrer Ansprüche bis zur Beendigung des Musterverfahrens erreichen.404 Der Beschluss des OLG („Musterentscheid“) bzw. mögliche Vergleiche sind für lediglich angemeldete Ansprüche nicht bindend.405 Kläger und Anmelder müssen durch eigene Anwälte vertreten werden, um zu vermeiden, dass sie „durch einen gemeinsamen Vertreter völlig mediatisiert werden“.406 Die Kosten des Verfahrens werden gegebenenfalls zwischen Musterkläger und Beigeladenen anteilig verteilt.407
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§ 18 KapMuG. §§ 22 & 23 KapMuG. Vgl. Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 153 ff. 398 §§ 22 & 23 KapMuG. s. auch infra, Schwierigkeit des Schließens von Vergleichen (S. 249). Vgl. z. B. auch Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 69 f. 399 s. supra, Ablehnung der Fraud-on-the-Market Vermutung (S. 108). 400 § 22 KapMuG. Vgl. auch Haar, Model Case Procedures, 15 Eur. Bus. L. Rev. 83 (2014), S. 100. 401 § 9 Abs. 5 KapMuG. 402 § 9 Abs. 2 KapMuG. 403 § 9 Abs. 3 & § 14 KapMuG. 404 § 10 Abs. 2 KapMuG. Vgl. auch Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 348. 405 §§ 22 & 23 i.V.m. § 9 KapMuG. Vgl. auch Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 348; Hanisch, KapMuG (2011), S. 384 f. (zur Rechtskraftwirkung des Musterentscheids über die Ausgangsverfahren hinaus, verfasst vor Einführung der Anmeldung mit der Gesetzesnovelle im Jahr 2012). 406 Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 73. Ein Anwalt kann mehrere Kläger vertreten, doch hat nach herrschender Meinung der Anwalt des Musterklägers den Beigeladenen gegenüber, die er nicht selbst vertritt, keine Sorgfaltspflicht. Rn. 76. s. auch Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 31. 407 § 24 KapMuG. 397
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c) Kritik am KapMuG Der Gesetzgeber bezweckte mit dem KapMuG explizit Rechtsverfolgung und Abschreckung, individuellen Rechtsschutz (Wiedergutmachung), die Entlastung der Justiz und eine daraus resultierende Erhöhung der Attraktivität des „Börsen- und Justizplatzes Deutschland“.408 Den Aktionären sollte durch diese Klagemöglichkeit eine Rolle als Private Attorney General zukommen – die Bundesregierung sah im KapMuG ausdrücklich eine „zweite Spur“ zur Ergänzung der behördlichen Aufsicht über den Finanzmarkt.409 Das Ergebnis löst allerdings nicht nur unter Rechtswissenschaftlern,410 sondern auch unter KapMuG-Praktikern sowohl auf der Kläger-411 als auch auf der Verteidigungsseite412 Kritik aus. Es ist deutlich, dass eine signifikante Entlastung der Justiz nicht erfolgt, und aufgrund der Systematik des Gesetzes auch nicht zu erwarten ist.413 Das Verfahren zur Aktie der Deutsche Telekom AG wird im Jahr 2017 voraussichtlich ein fünftes Mal vor dem BGH verhandelt werden, mehr als zehn Jahre nachdem das Landgericht Frankfurt im Juli 2006 die Mustervorlage beschlossen hatte.414 Selbst wenn es nun zu einem rechtskräftigen Musterentscheid kommt, verbleibt die Beendigung von mehr als 2.000 Einzelverfahren und der von den verbliebenen Tausenden von Aktionären zu erbringende Nachweis, dass die vom OLG festgestellten und vom BGH dann gegebenenfalls bestätigten Prospektfehler415 ihren Kauf von Telekom-Aktien kausal herbeigeführt haben. Letztendlich ist hier 408 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 16 f. Vgl. auch Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 45 ff. 409 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 16. 410 s. z. B. Christian Wolf/Sonja Lange, Wie neu ist das neue Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz?, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 3751; Michael Halberstam, The American Advantage in Civil Procedure? An Autopsy of the Deutsche Telekom Litigation, 48 Connecticut Law Review 817 (2016); Haar, Model Case Procedures, 15 Eur. Bus. L. Rev. 83 (2014); Thomas M. J. Möllers/Bernhard Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz im Wirtschaftsrecht, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2012, 176. 411 s. z. B. Vorwerk/Wolf, Einleitung KapMuG, Komm. KapMuG (Vorwerk) (2008); Volkert Vorwerk, KapMuG – Erfahrungen, Fazit, Ausblick, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht 2011, 817; Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 360; Tilp/ Roth, German Capital Market Model Proceedings Act, in Mass Torts in Europe (2014), S. 141. 412 s. z. B. Bernd-Wilhelm Schmitz/Jörn Rudolf, Entwicklungen der Rechtsprechung zum KapMuG, Neue Zeitschrift für das Gesellschaftsrecht 2011, 1201. 413 s. z. B. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 87; Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 349. § 15 KapMuG. Vgl. auch Haar, Model Case Procedures, 15 Eur. Bus. L. Rev. 83 (2014), S. 100; Schmitz/Rudolf, Rechtsprechung zum KapMuG, NZG 2011, S. 1206. 414 LG Frankfurt, Beschluss vom 11. Juli 2006, 3/7 OH 1/06, ZIP 2006, 1730 (Mustervorlage Telekom); OLG Frankfurt, vom 30. November 2016, 23 Kap 1/06 (Musterbescheid Telekom). Eine Verfassungsbeschwerde wurde vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 2010 abgelehnt. BVerfG, Beschluss vom 14. September 2010, 1 BvR 2494/09, 1 BvR 1257/10. 415 OLG Frankfurt (Musterbescheid Telekom, 2016).
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also mit einer gesamten Verfahrensdauer von mindestens zwölf oder dreizehn Jahren zu rechnen.416 Bei einem neuen Rechtsinstrument wie dem Kapitalanleger-Musterverfahren sind Verzögerungen über mehrere Instanzen zu erwarten, da unvermeidbare Auslegungsfragen höchstrichterlich geklärt werden müssen. Abgesehen davon lassen die auf den Fall Deutsche Telekom folgenden Verfahren allerdings nicht erwarten, dass die Effizienz durch Musterverfahren zunimmt.417 Dies dürfte kaum überraschen, denn das KapMuG ist von vielen praktischen Hindernissen gekennzeichnet, die einen schnellen Abschluss der Verfahren unwahrscheinlich machen. Hierzu gehören zum Beispiel die Möglichkeit, dass Beteiligte eine Erweiterung des Musterverfahrens um weitere Feststellungsziele beantragen können,418 oder die „stets grundsätzliche Bedeutung“, die das Gesetz der Rechtsbeschwerde zuerkennt419 und die zu aufwändigen Rechtsbeschwerdeverfahren vor dem BGH einlädt, die das Verfahren verzögern.420 Wichtiger für die weitere Rechtsentwicklung sind allerdings die grundlegenden Probleme in der Kosten- und Gebührenstruktur des KapMuG, sowie die Schwierigkeit von Vergleichen, die im Weiteren näher betrachtet werden. Das Erreichen der von der Bundesregierung gesteckten Ziele (Rechtsverfolgung und Abschreckung, individueller Rechtsschutz, Entlastung der Justiz und Stärkung des „Börsen- und Justizplatzes Deutschland“)421 ist ohne weitere grundsätzliche Reformen des KapMuG oder einen grundlegend neuen Lösungsansatz zur Frage von Massenschäden durch fehlerhafte Kapitalmarktinformationen nicht zu erwarten.422
416 Die ursprünglichen Klagen wurden bereits im Jahr 2001 eingereicht, bevor das KapMuG die Bündelung zu einer Musterklage ab November 2005 ermöglichte. LG Frankfurt, ZIP 2006, 1730 (Mustervorlage Telekom, 2006). Vgl. auch Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 332. Die Deutsche Telekom erreichte in den verschiedenen zwischenzeitlich ergangenen Entscheidungen die Abweisung einiger strittiger Feststellungen, beispielsweise zur Fehlerhaftigkeit des Prospekts im Hinblick auf das Immobilienvermögen der Beklagten. s. z. B. BGH, Beschluss vom 21. Oktober 2014, XI ZB 12/12, NJW 2015, 236, Rn. 75 ff. 417 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 50 ff. 418 § 15 KapMuG. Vgl. auch z. B. Schmitz/Rudolf, Rechtsprechung zum KapMuG, NZG 2011, S. 1205 f. („[d]ie vielleicht pikanteste Facette des KapMuG“, „das wahrscheinlich größte Hindernis auf dem Weg zu einem zügigen Verfahrensablauf“). 419 § 20 Abs. 1 Satz 2 KapMuG. 420 Vgl. z. B. Wolf/Lange, Wie neu ist das neue KapMuG?, NJW 2012, S. 3752. 421 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 16 f. Vgl. auch Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 45 ff. 422 Vgl. z. B. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 23 & 86 f.; Hanisch, KapMuG (2011), S. 196.
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aa) Konzeptionelle Probleme der Kosten- und Gebührenstruktur Zwei grundsätzliche, insbesondere im Rechtsvergleich mit den USA relevante Defizite des KapMuG liegen in der Kosten- und Gebührenstruktur und der Schwierigkeit, Verfahren per Vergleich gütlich beizulegen. Sie sind ein wesentlicher Grund dafür, dass das KapMuG die in es gesetzten Erwartungen, insbesondere den Schutz der Kleinanleger nicht erfüllen kann. In Verbindung mit dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) führt das KapMuG dazu, dass Kleinaktionäre ein unverhältnismäßig höheres Risiko eingehen als Großaktionäre.423 Sollte ihre Klage über drei Instanzen erfolglos bleiben, können ihnen auch im Zusammenhang mit einem Musterverfahren Anwalts- und Gerichtskosten entstehen, die den Streitwert übersteigen.424 Dies führt zu einer Verzerrung des Rechtsschutzes zu Ungunsten der Kleinaktionäre. Verschärft wird das Ungleichgewicht durch das Potential von Trittbrettfahrern in Form von anmeldenden potentiellen Klägern, die vom Musterverfahren profitieren, aber Risiko und gegebenenfalls Kosten nicht teilen.425 Das Risiko kann dabei zu Beginn der Verfahren nur schwer zuverlässig bewertet werden. Zunächst können Geschädigte bei Einreichen ihrer Klage noch nicht mit Sicherheit absehen, ob es zu einem Musterverfahren kommen wird, bzw. wie viele Kläger sich daran beteiligen werden.426 Selbst bei der Koordinierung mehrerer Kläger durch einen einzigen Anwalt steht nicht fest, dass alle Anträge zum Musterverfahren zugelassen werden, zumal die Aussetzungsvoraussetzungen für jedes Ausgangsverfahren einzeln geprüft werden müssen und die Musterbeklagten oft die Zulassung jedes einzelnen zu verhindern versuchen, insbesondere in Fällen mit einer geringeren Anzahl Kläger.427 Die Ausgangsklage ist also mit einem entsprechenden Prozessrisiko verbunden.428 Rechtsschutzversicherungspolicen schließen Ansprüche 423
Vgl. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 79. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 40; abweichend in re Betrag s. Vorwerk, KapMuG, WM 2011, S. 823; Frank Wardenbach, KapMuG 2012 versus KapMuG 2005: Die wichtigsten Änderungen aus Sicht der Praxis, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht 2013, 35, S. 37. Vgl. auch Hanisch, KapMuG (2011), S. 404 ff. 425 Vgl. Wolf H. von Bernuth/René M. Kremer, Das neue KapMuG: Wesentliche Änderungen aus Sicht der Praxis, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2012, 890, S. 891. 426 Vgl. z. B. Felix Bergmeister, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) – Bestandsaufnahme und Reformempfehlung aus der Perspektive von Recht und Praxis der USamerikanischen Securities Class Action (2008), S. 305; Alexander Schilling, Das Kapitalmarktanleger-Musterverfahrensgesetz und die class action im Rechtsvergleich – Untersuchung zur Übernahme von Elementen der securities class action für das deutsche KapMuG (2010), S. 206. 427 § 7 Abs. 1 Satz 1 KapMuG; Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 28; Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 58. 428 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 40 f. & 85 f. Die genaue Berechnung des Erwartungswerts der Klage (s. S. 40) wird für viele Kleinaktionäre irrelevant sein, da sie sich schlimmstenfalls den höchstmöglichen Betrag leisten können müssen (zusätzlich zu ihren 424
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aus fehlerhaften Kapitalmarktinformationen inzwischen generell aus, der Kläger ist dem Prozessrisiko also in vollem Maße persönlich ausgesetzt.429 Da jedes Ausgangsverfahren nach Erlass des Musterentscheids einzeln beendet werden muss, bleibt ein gewisses Risiko bis zur endgültigen, individuellen Entscheidung. Das Musterverfahren erleichtert also nur die Last der (allerdings potentiell sehr hohen) Kosten der Beweisaufnahme, die jeder Kläger im Falle des Unterliegens nach dem Musterverfahren nur anteilig tragen muss.430 Aufgrund der degressiven Anwalts- und Gerichtskostenstruktur des RVG ist dieses Risiko für Großaktionäre, die einen hohen Schaden erlitten haben, verhältnismäßig geringer.431 Die Abschreckung kleinerer Klagen aufgrund des Kostenrisikos entlastet zwar die Justiz, allerdings zum Preis des Rechtsschutzes. Denn im Zusammenhang mit den kapitalmarktrechtlichen Ansprüchen hat sie eine Benachteiligung von Einzelaktionären im Verhältnis zu Großanlegern und institutionellen Investoren zur Folge, die insbesondere angesichts der zentralen Bedeutung, die die Verbesserung des individuellen Rechtsschutzes bei Erlass des KapMuG a.F. im Jahr 2005 hatte,432 besonders überrascht. Verstärkt wird das Ungleichgewicht im Hinblick auf das Kostenrisiko unter den Aktionären und möglichen Klägern darüber hinaus durch die Möglichkeit der Anmeldung eines Anspruchs ohne Beteiligung am Musterverfahren zum Zwecke der Verjährungshemmung.433 Durch die Ausdehnung der Kosten auf die Beigeladenen434 ist das KapMuG zwar den ursprünglichen Bedenken begegnet, die Kostenverteilung könnte nur zwischen Musterkläger und -beklagten vorgesehen sein, was zu einem signifikanten Trittbrettfahrerproblem geführt hätte.435 Die in der Novellierung des Gesetzes vorgesehene Anspruchsanmeldung436 erlaubt Geschädigten als Anmeldern aber darüber hinaus, von der Führung des Musterverfahrens und den darin getroffenen Feststellungen zu profitieren, ohne sich am Risiko bzw. den Kosten zu beteiligen.437 Obwohl der Musterentscheid für Anmelder in zukünftigen Verfahren nicht bindend ist, ist abzusehen, dass er für ein späteres Gericht einen hohen Präzedenzwert hätte.438 Somit erlaubt er ihnen eine realistischere Einschätzung ihres ursprünglichen Verlusten) und in aller Regel ihre Prozessrisiken nicht wie ein institutioneller Aktionär über zahlreiche Prozesse verteilen können. 429 s. z. B. Vorwerk, KapMuG, WM 2011, S. 823; Bergmeister, KapMuG (2008), S. 306. 430 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 40 & 55. 431 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 79. 432 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 16. 433 § 10 Abs. 2 KapMuG. 434 § 24 KapMuG. 435 Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 15; Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht (2001), Rn. 189. 436 § 10 Abs. 2 KapMuG. 437 § 24 KapMuG. 438 Vgl. Bernuth/Kremer, Das neue KapMuG, NZG 2012, S. 891; Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 348.
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eigenen Prozessrisikos, sowie möglicherweise ein kostengünstigeres Verfahren, da der Musterbescheid für die Parteien und das Gericht als Vorlage zur Verfügung steht. Diese substantiellen Vorteile laden zum Missbrauch der Anmeldung ein.439 Insbesondere für Großaktionäre, deren hohe Beteiligung zu einem hohen Streitwert führt, ist die Möglichkeit attraktiv, den Musterentscheid angemeldet abzuwarten, ohne dabei ein Kostenrisiko zu tragen.440 Sofern Erfolgshonorare für Anwälte weiterhin ausgeschlossen sein sollen,441 könnten eine Entlastung der Kleinaktionäre und dadurch höhere Klagebereitschaft Finanzierungsmodelle durch gewerbliche Prozessfinanzierer bringen, die mehrere Ausgangsprozesse bündeln und im Austausch für einen Anteil am möglichen Erfolg finanzieren.442 Gewerbliche Prozessfinanzierer haben sich in Deutschland seit dem ersten Angebot im Jahr 1998 zunehmend etabliert.443 Sie übernehmen so zumindest zum Teil die Rolle eines Plaintiffs’ Attorneys bei einer amerikanischen Class Action. Die Ungleichheit zwischen Groß- und Kleinaktionären setzt sich aber auch hier durch, denn Prozessfinanzierer stellen ihre Dienstleistung erst ab einem bestimmten Streitwert zur Verfügung und bieten bessere Konditionen, je höher der Streitwert ist.444 Dabei profitieren die Kläger nicht von einer Bündelung mehrerer Klagen durch den gleichen Finanzierer, da sie nicht eine Bündelung der Streitwerte aus Sicht des Gerichts bedeutet, so dass die Finanzierung nicht zum Vorteil der Kleinaktionäre angepasst wird445 – Kleinaktionäre müssen Prozessfinanzierern einen entsprechend höheren Prozentsatz ihrer geltend gemachten Ansprüche zahlen.446 bb) Schwierigkeit des Schließens von Vergleichen Eine wesentliche Schwachstelle in der Gegenüberstellung mit der amerikanischen Class Action ist die mangelnde Attraktivität von Vergleichen in Musterverfahren, 439
Wardenbach, KapMuG 2012, GWR 2013, S. 37. Dies gilt vor allem, wenn die Großaktionäre der Prozessführung der Kleinaktionäre und ihrer Vertreter vertrauen, bei zunehmender Spezialisierung von Klägerkanzleien ein mögliches Szenario. Da der Musterentscheid allerdings für die Anmelder zwar praktisch Präzedenzwirkung hat, sie aber nicht rechtlich bindet, ist ihnen die Chance nicht genommen, sich in einem möglichen eigenen, späteren Verfahren um ein besseres Ergebnis zu bemühen. 441 s. auch infra, Stichhaltigkeit der Argumente gegen das Vorbild der Class Action (S. 251). 442 Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 11; Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 80. 443 s. z. B. Matthias Kilian, Das Verbot der Finanzierung fremder Rechtsverfolgungskosten – Ein neues Verbot im Berufsrecht der Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Patentanwälte, Neue Juristische Wochenschrift 2010, 1845, S. 1845. 444 Vgl. z. B. Stadler, Bündelung von gleichgerichteten Ansprüchen, JZ 2014, S. 614, Fn. 26; Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 43; Bergmeister, KapMuG (2008), S. 306 f.; Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012, S. 173; Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 84. 445 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 81. 446 Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 11. 440
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denn damit fehlt das wesentliche Mittel zur schnellen und für die Justiz effizienten Beilegung von Verfahren.447 Die Beendigung der Verfahren durch Vergleich ist zwar mit der Novellierung grundsätzlich ermöglicht worden, da der Vergleich nicht mehr von allen Beigeladenen getragen werden muss.448 Doch bleibt der Vergleich ein schwieriger und langwieriger Vorgang, nicht zuletzt, weil jedes der Ausgangsverfahren letztendlich einzeln beendet werden muss.449 Die Möglichkeit der Verjährungshemmung durch Anmeldung von Ansprüchen verkompliziert die taktischen Aspekte des Vergleichs weiter, da den Musterbeklagten möglicherweise eine große Zahl weiterer Verfahren durch diese Aktionäre droht, die an den Vergleich nicht gebunden sind.450 Ein besonders großzügiger Vergleich im Musterverfahren könnte für diese weiteren Verfahren somit aus Sicht der Beklagten die falschen Signale senden. Auch dass der Vergleich an die Kopfzahl der Beigeladenen, die dem Vergleich zustimmen, und nicht an die Höhe ihrer Ansprüche gekoppelt ist, bedeutet für Musterbeklagte Rechtsunsicherheit und geringe Motivation, sich auf einen Vergleich einzulassen,451 denn bei Abschluss des Vergleichsvorschlags ist nicht klar, ob am Ende womöglich zwar 70 % der Beigeladenen dem Vergleich verpflichtet bleiben, aber möglicherweise eine kleine Zahl Beigeladener austritt, denen ein ungleich höherer Anteil der Ansprüche zukommt. Das Gesetz, das ursprünglich als verbindliches „opt-in“ Modell alle beigetretenen Kläger an den Ausgang des Verfahrens band,452 sieht für den Musterbeklagten keine Rückzugsmöglichkeit vor, sollte der Vergleich nach Austritt der Beigeladenen plötzlich weniger attraktiv sein als noch bei seiner Verhandlung.453 Jedes Vergleichsangebot des Musterbeklagten muss dieses Risiko also in Kauf nehmen. Strategisch ist daher, wenn überhaupt, aus Sicht der Musterbeklagten entweder ein ungerechtfertigt großzügiger Vergleich denkbar, der auch den Großaktionären unter den Beigeladenen so weit entgegenkommt, dass ein Austritt irrational wäre. Hier riskieren die Musterbeklagten, sich zu hoch zu verpflichten, und möglicherweise den Austritt dennoch nicht verhindern zu können. Auch wäre ein großzügiger Vergleich möglicherweise ein (aus Sicht der Musterbeklagten) schlechtes Vorbild für angemeldete Ansprüche, die nach Abschluss des Musterverfahrens zur Klage ge447 Vgl. z. B. Halberstam, American Advantage in Civil Procedure, 48 Conn. L. Rev. 817 (2016), S. 864. 448 § 17 Abs. 1 Satz 4. Vgl. auch z. B. Hess, Einleitung KapMuG, Köln. Komm. KapMuG (2014), Rn. 24. 449 Wardenbach, KapMuG 2012, GWR 2013, S. 37. 450 s. z. B. Bernuth/Kremer, Das neue KapMuG, NZG 2012, S. 892; Wardenbach, KapMuG 2012, GWR 2013, S. 37. 451 Wardenbach, KapMuG 2012, GWR 2013, S. 38; Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 349. 452 § 16 KapMuG a.F. 453 Deutsche Bundesregierung, Entwurf Reform KapMuG, BT Drs. 17/8799 (2012), S. 15.
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bracht werden können.454 Alternativ können sie ein zurückhaltendes Angebot machen, das den Austritt der großen Aktionäre einkalkuliert (und wahrscheinlich herbeiführt). Die Verhandlungsposition des Musterklägers ist dabei in jedem Fall geschwächt, wenn die von ihm vertretenen Aktionäre nur einen kleinen Teil der Ansprüche verfolgen können, so dass für den Musterkläger die Weiterführung des Verfahrens möglicherweise die Wahrscheinlichkeit eines zufrieden stellenden Ergebnisses erhöht.455 Es ist also von möglicherweise zweifelhaft, dass ein Vergleich, der aus Sicht des Justizsystems zu begrüßen wäre, tatsächlich im Interesse der Parteien wäre. Zuletzt können die Musterbeklagten das Gericht vollständig umgehen, und sich mit einem Teil der Parteien außerhalb des Verfahrens einigen, die daraufhin ihre Klagen zurückziehen.456 Dies ist in Deutschland eine für die Beklagten möglicherweise sinnvolle Alternative, da das Ergebnis des Musterverfahrens in jedem Fall (und im Gegensatz zu einer Class Action in den USA) für diejenigen Aktionäre gültig ist, die bereits ein Verfahren eingeleitet haben. Da jedes dieser Verfahren als Einzelnes bestehen bleibt, steht jedem Kläger die Disposition seiner Ansprüche frei. Keine dieser beiden Alternativen entspricht dem Zweck eines Vergleichs, der den Abschluss eines Verfahrens schnell und ressourcenschonend herbeiführen soll. d) Stichhaltigkeit der Argumente gegen das Vorbild der Class Action Die rigorose Ablehnung der amerikanischen Class Action als Vorbild für Deutschland erscheint voreilig, nicht nur vor dem praktischen Hintergrund, dass die Klagen gegen die Deutsche Telekom AG zu deren 3. Börsengang, die in den USA Ende des Jahres 2000 und in Deutschland im Jahr 2001 eingereicht worden waren, in den USA bereits Anfang 2005 mit einem rechtskräftigen Vergleich abgeschlossen waren, während der Musterverfahrensprozess in Deutschland Anfang des Jahres 2017 noch immer nicht beendet war.457 Die drei wesentlichen dogmatischen Kritikpunkte, die im deutschen Schrifttum gegen das amerikanische Modell genannt werden – die Class Action verstoße gegen den Dispositionsgrundsatz, inzentiviere unbegründete Klagen und Vergleiche und kommerzialisiere die Klage – haben bei näherer Untersuchung wenig Bestand.458 454
Vgl. Bernuth/Kremer, Das neue KapMuG, NZG 2012, S. 891 f. Wardenbach, KapMuG 2012, GWR 2013, S. 37. 456 Vgl. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 38. 457 Halberstam, American Advantage in Civil Procedure, 48 Conn. L. Rev. 817 (2016), S. 820; Tilp, Stresstest für den Telekom-Prozess, in Festschrift Krämer (2009), S. 338 ff. Vgl. auch BGH, NJW 2015, 236 (2014), Rn. 18 ff. Zur Frage, ob die unterschiedlichen materiellrechtlichen Rahmenbedingungen eine Rolle gespielt haben könnten (dies verneinend), s. auch Halberstam, American Advantage in Civil Procedure, 48 Conn. L. Rev. 817 (2016), S. 842. 458 Vgl. auch Walker, Afraid of Class Actions, 19 Sw. J. Int’l L. 509 (2012), S. 5, S. 563 (Vermutung, dass „the hostility and anxiety of those who would resist reforms that might bring a legal system closer to the U.S. model was borne largely of ignorance.“). Ein weiterer zweifellos 455
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Der auf den ersten Blick vielleicht überzeugendste Kritikpunkt, eine Version der Class Action in Deutschland würde einzelnen Geschädigten ihr Dispositionsrecht und Recht auf Gehör versagen,459 überzeugt nicht. Der Abschlussbericht der Evaluierung des ursprünglichen KapMuG im Auftrag des Bundesministeriums für Justiz nennt mehrere Zusammenhänge, in denen nach deutschem Recht schon jetzt über die Ansprüche Einzelner verfügt wird, ohne dass diese persönlich am Verfahren beteiligt wären, darunter das aktienrechtliche Spruchverfahren und das Insolvenzplanverfahren.460 Insbesondere im Zusammenhang mit einer Opt-Out Möglichkeit, mit der auch die Class Action explizit jedem Anspruchsinhaber das Recht auf Gehör (bzw. auf das amerikanische Gegenstück, „his day in court“) bewahrt, wären Bedenken zur Verfassungswidrigkeit einem der Class Action ähnlichen Vehikel wahrscheinlich unnötig. Auch der zweite Vorwurf der Inzentivierung unbegründeter Klagen461 muss kein Hemmnis sein, denn Gesetzgeber und Gerichte können im hohen Maße beeinflussen, ob unbegründete Klagen und Vergleiche zugelassen werden. Eine höhere Darlegungslast, wie der PSLRA sie in den USA instituierte, und schärfere richterliche Prüfung bis hin zur konsequenten Ablehnung unzulänglicher Vergleichen, wie sie seit 2016 der Delaware Chancery Court bei M&A Class Actions vornimmt,462 können unbegründete Klagen für Anwälte und Kläger wenig lohnend machen. Sie sind kein grundsätzliches Problem der Class Action sondern der als zu einfach oder gar selbstverständlich erachteten Möglichkeit nicht-werthaltige Vergleiche schließen zu können. Diesen spezifischen Aspekten der amerikanischen Rechtslandschaft könnte in Deutschland von vornherein vorgebeugt werden. Entsprechend sollten sie nicht als grundsätzliches Argument gegen die Einführung eines der Class Action ähnlichen Vehikels für den kollektiven Rechtsschutz in Deutschland herangezogen werden. wichtiger Unterschied zwischen der amerikanischen Class Action und dem deutschen Zivilrecht wird in den Möglichkeiten der wechselseitigen Untersuchung („discovery“) vor Beginn des eigentlichen Verfahrens gesehen. Halberstam, American Advantage in Civil Procedure, 48 Conn. L. Rev. 817 (2016), S. 823. Dieser Unterschied betrifft aber weder das KapMuG noch die amerikanische Class Action spezifisch und wird daher an dieser Stelle nicht als grundlegende dogmatische Differenzierung betrachtet. 459 s. z. B. Deutsche Bundesregierung, Entwurf KapMuG, BT Drs. 15/5091 (2005), S. 14; Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 25; Vorwerk/Wolf, Einleitung KapMuG, Komm. KapMuG (Vorwerk) (2008), Rn. 36 ff.; Heitzig, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2010), S. 292 ff. Vgl. auch z. B. Leser, Bindungswirkung des Musterentscheids (2013), S. 94 ff. & 290. 460 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 108. Vgl. auch z. B. Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012; Heitzig, Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (2010), S. 20 ff. 461 s. z. B. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 83; Vorwerk/Wolf, Einleitung KapMuG, Komm. KapMuG (Vorwerk) (2008), Rn. 3; Schilling, Das KapitalmarktanlegerMusterverfahrensgesetz und die class action im Rechtsvergleich – Untersuchung zur Übernahme von Elementen der securities class action für das deutsche KapMuG (2010), S. 104 f.; Bergmeister, KapMuG (2008), S. 308. 462 s. supra, Ablehnung von Disclosure-Only Settlements (S. 213).
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Gleiches gilt auch für den dritten, mit dem zweiten verwandten Vorwurf der „Kommerzialisierung des Klagewesens“.463 Er richtet sich gegen die als falsch erachteten Anreize, die die bei Class Actions üblichen Erfolgshonorare den Plaintiffs’ Attorneys setzen. Sie widersprächen, so die häufige Kritik, dem „traditionellen Verständni[s] des Anwalts als Organ der Rechtspflege“464 und führten zum Einreichen haltloser Klagen, die der Justiz und den Unternehmen nur schaden ohne den Klägern dabei große Vorteile zu bringen, Anwälte dabei aber unverhältnismäßig bereichern.465 Die Finanzierung von Prozessen ist Rechtsanwälten in Deutschland gesetzlich verboten – eine Ausnahme besteht nur im Einzelfall, wenn der Rechtsuchende sonst aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation von der Rechtsverfolgung abgehalten werden könnte.466 Obwohl die Kritik der Bereicherung auch im amerikanischen Raum Anhänger findet,467 verfängt sie nicht. Das Erfolgshonorar an sich kann kein Anreiz für unbegründete Klagen sein. Im Gegenteil – da die Klägeranwälte, wenn sie auf Erfolgsbasis arbeiten, das volle Prozessrisiko tragen und ihre Zeit, Mühe und zum Teil beachtliche Investitionen nicht vergütet oder auch nur erstattet werden, wenn sie den Prozess verlieren, können sie nur an erfolgsversprechenden Klagen Interesse haben.468 Das Erfolgshonorar ist also der vielleicht wesentlichste Faktor, der die vielen genannten positiven Aspekte der amerikanischen Class und Derivative Actions möglich macht.469 463
s. z. B. Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht (2001), Rn. 190. Schmolke, Aktionärsklage nach § 148 AktG, ZGR 2011, S. 438. Vgl. auch z. B. Matthias Kilian, Das Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren, Neue Juristische Wochenschrift 2008, 1905. 465 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 80; Bergmeister, KapMuG (2008), S. 310; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 100. Aber vgl. Kritzer, Seven Dogged Myths Concerning Contingency Fees, 80 Wash. U. L. Q. 739 (2002), S. 772. 466 § 49b Abs. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO); BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2006, 1 BvR 2576/04, BeVerfGE 117, 163. Aufgrund der Einzelfallbetrachtung macht diese Regelung Erfolgshonorare für Kapitalanleger-Musterverfahren in der Praxis äußerst unwahrscheinlich. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 42. Vgl. auch Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren, Bundestag Drucksache 16/8384 (2008); Kilian, Finanzierung fremder Rechtsverfolgungskosten, NJW 2010; Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012, S. 172. Das Verbot der Finanzierung fremder Rechtsverfolgungskosten gilt ebenso für Wirtschaftsprüfer (§ 55a Wirtschaftsprüferordnung (WPO)) Steuerberater (§ 9 Steuerberatungsgesetz (StBerG)) und Patentanwälte (§ 43b Patentanwaltsordnung (PAO)). 467 s. supra, Plaintiffs’ Attorneys (S. 196). Aber s. auch Walker, Afraid of Class Actions, 19 Sw. J. Int’l L. 509 (2012), S. 511. 468 Vgl. auch z. B. Carmen Wolf, Rechtsweggarantie + Erfolgshonorar = Justizgewähr für Jedermann?, Deutsche Richterzeitung 2011, 29, S. 30; Kritzer, Seven Dogged Myths Concerning Contingency Fees, 80 Wash. U. L. Q. 739 (2002), S. 754; In re Fuqua, 752 A.2d 126 (1999), S. 135. 469 Vgl. auch z. B. Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012. Der Geschädigte selbst mag zwar einen höheren Anreiz haben, auch Klagen mit geringem Erfolgspotential zu verfolgen, wenn er die Kosten der Gegenseite unter keinen Umständen tragen muss (solange ihm nicht Bad Faith bei der Klageerhebung nach464
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Hier findet sich ein grundlegender Unterschied zum deutschen Vergütungssystem, in dem jedem Anwalt mindestens sein Honorar gemäß RVG zusteht. Sein Erfolg oder Misserfolg für seinen Mandanten entscheidet nur darüber, welche der Parteien für sein Honorar aufkommen muss, hat aber keinen Einfluss auf die Höhe seines Anspruchs.470 Es ist also das deutsche System, das seine Anwälte finanzielle inzentiviert, möglichst viele Klagen für möglichst viele Kläger ungeachtet ihrer Erfolgsaussichten und Werthaltigkeit einzureichen. Wenn eine exzellente anwaltliche Leistung ebenso vergütet wird wie eine mittelmäßige oder sogar schlechte, wäre dies der sicherste Weg zur eigenen finanziellen Optimierung (zumindest, wenn extrinsische Faktoren wie Reputation vernachlässigt werden können). Dies ist eine Erklärung dafür, dass insbesondere im Zusammenhang mit dem KapMuG, wo die Versuchung zum Sammeln von Klägern besonders groß und der Arbeitsaufwand der Beigeladenenvertreter relativ gering sein kann, der Ruf nach Erfolgshonoraren in Deutschland lauter wird.471 Es ist daher für die weitere Betrachtung des kollektiven Rechtsschutzes in Deutschland unerlässlich klarzustellen, dass nicht das Erfolgshonorar oder die Kostenverteilung472 für die falschen Inzentivierungen bei amerikanischen Class Actions und die vielen unbegründeten Klagen verantwortlich sind. Vielmehr entspringen diese Inzentivierungen in den USA der Systemeigenart, dass auch unbegründete Klagen zu „Erfolg“ führen und als solcher vergütet werden können. Entschiede sich der Gesetzgeber in Deutschland (wie inzwischen der Chancery Court in Delaware) für striktere Vorgaben für Richter bei der Genehmigung von Vergleichen und Anwaltsgebühren, so dass der Erfolg und entsprechend das Honorar der Klägeranwälte klar von der Qualität des Ergebnisses abhingen, wäre Anwälten das Interesse an Frivolous Lawsuits genommen und das Erfolgshonorar könnte seinen Zweck erfüllen.473 Auch mögliche Interessenkonflikte, die durch die Prozessfinanzierung durch die Anwälte entstehen können,474 können durch aktivere richterliche gewiesen wird) und das Kosten- und Prozessrisiko der Klage bei seinem Anwalt liegt. Doch ist kein Anwalt verpflichtet, eine Klage zu finanzieren – ist ein Plaintiffs’ Attorney tatsächlich der Meinung, die Klage habe keine attraktive Chance auf Erfolg, wird er dem Geschädigten eine Vergütung auf Stundenbasis anbieten (sofern er ihn nicht überzeugen kann, von der Klage abzusehen). Die Kostenverteilung inzentiviert daher selbst in diesem Fall das Einreichen ausschließlich erfolgsversprechender Klagen. 470 Die RVG sieht eine geringfügige zusätzliche Gebühr aus der Staatskasse vor, dem das Gericht dem Musterklägervertreter bewilligen kann, sie wird allerdings mit einem Gebührensatz von nur 0,3 bemessen. § 41a Abs. 1 RVG. Vgl. auch z. B. Smid/Mohr, Novelle des KapMuG, DZWir 2013, S. 351. 471 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 60; Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012, S. 172 f. 472 Verantwortlich für Missbräuche macht diese beiden Faktoren zum Beispiel das Gutachten zur Gesetzesnovellierung. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 80. 473 Vgl. z. B. die Reformvorschläge in Griffith, Correcting Corporate Benefit, 56 B.C. L. Rev. 1 (2015), S. 1. 474 Ein klassisches Beispiel ist das Vergleichsangebot, das für den rational handelnden Anwalt in aller Regel das attraktivere Ergebnis ist als ein besseres Urteil für den Kläger nach
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Aufsicht gehemmt werden. In den USA bestehen, wie bereits erwähnt, Reformbemühungen von verschiedenen Seiten, die durch lange Rechtstraditionen und verhärtete politische Fronten erschwert werden.475 Auf diesen Erfahrungen aufbauend sollte der Gesetzgeber in Deutschland einen Vorstoß zur Erfolgshonorierung der Anwälte aber nicht negativ beeinträchtigen. Auch verfängt die grundsätzliche Ablehnung der „Kommerzialisierung des Klagewesens“ in Deutschland nicht, denn große Teile des Schrifttums stehen kommerziellen Anbietern durchaus positiv gegenüber.476 Es scheint also ein gewisses Maß an Einigkeit darüber zu bestehen, dass eine Risikofinanzierung mit Gewinnmöglichkeit nötig ist, um Einzelaktionären den kollektiven Rechtsschutz zur Verfügung zu stellen. Die Auslagerung des Risikos auf kommerzielle Prozessfinanzierer, die keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen können bzw. dürfen, ist ein Mittelweg, der Geschädigten die risikofreie Klage nach amerikanischem Beispiel ermöglicht ohne explizit in die Inzentivierung der Anwälte einzugreifen. Doch liegt nahe, dass diese Finanzierungsmodelle der eingehenden Regulierung und Beobachtung bedürfen, um sicherzustellen, dass sie die Interessen der Prozessbeteiligten, inklusive derer Vertreter, nicht negativ beeinträchtigen. Werden Prozessfinanzierer in ein der Class Action ähnliches Modell eingebunden, sollte auch die Wahrung der Interessen der Kleinaktionäre gesichert sein, da es bei Kollektivklagen ohne Einzelverfahren keinen Grund gäbe, diese aufgrund ihrer niedrigen Ansprüche zu benachteiligen. Die positive Grundhaltung des Schrifttums den Prozessfinanzierern gegenüber verdeutlicht aber, dass die entsprechenden Bedenken zur Class Action ihren Grund nicht in der Aussicht kommerziellen Profits durch Klagen hat. Doch selbst bei einer Auslagerung des Prozessrisikos auf kommerzielle Anbieter ist die mangelnde Inzentivierung der Klägeranwälte unter dem KapMuG zu überdenken. Aktuell scheint die vergleichsweise geringe Vergütung bei hoher Komplexität und enormem Zeitaufwand zwar bei ihnen nicht zu Zurückhaltung zu führen,477 doch mag dies an der Vorläufigkeit des KapMuG liegen. Wird die Vergütung der Klägervertreter in späteren Ausführungen des Gesetzes erhöht, so möglicherweise die Überlegung der Anwälte, profitieren diejenigen Kanzleien am meisten, die bereits zu weniger profitablen Zeiten einen herausragenden Namen als Musterklägervertreter erworben haben. Zum Teil hat sich diese Prognose mit der neuen, beeinem arbeitsintensiven Prozess, selbst wenn dieses Urteil auch für den Anwalt ein höheres Honorar vorgesehen hätte. 475 s. supra, Reformen der Shareholder Representative Actions (S. 207). 476 s. z. B. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 80 f.; Niklas Rahlmeyer/ Burkhard Fassbach, Vorstandshaftung und Prozessfinanzierung, Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht 2015, 331 (Prozessfinanzierer auf Unternehmensseite als „werthaltige ,second opinion‘“); Kilian, Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren, NJW 2008, S. 1907; Kilian, Finanzierung fremder Rechtsverfolgungskosten, NJW 2010. Aber kritisch s. auch Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012, S. 173. 477 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 62 & 96.
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
sonderen Gebühr gemäß § 41a RVG bereits bewahrheitet.478 Sollte aber einmal deutlich sein, dass das KapMuG langfristig keine bessere Vergütung vorsieht, könnte dieser Elan wieder verloren gehen. Da die Argumente gegen das Modell der amerikanischen Securities Class Action bei näherer Betrachtung keinen Bestand haben, überrascht es vielleicht nicht, dass Halfmeier et al. dem Justizministerium in ihrem Abschlussbericht das der Class Action in vielerlei Hinsicht sehr ähnliche Modell des niederländischen Wet collectieve afwikkeling massaschade (WCAM) vorschlagen.479 Es kommt einem unkomplizierteren, durchdachteren Idealbild der Class Action sehr nahe.480 Der vielleicht wesentlichste Vorteil des WCAM liegt laut Halfmeier in dem relativ direkten Weg zum abschließenden Vergleich ohne eine Überlastung der Justiz mit Einzelklagen, die den Parteien mit relativ geringem Aufwand die Rechtssicherheit gibt, die viele Beklagte auch an der Class Action schätzen und die dem Musterverfahren in Deutschland noch fehlt. Sowohl das WCAM als auch die Class Action sehen eine Opt-Out Möglichkeit vor, die verfassungsrechtlichen Bedenken vorgreift.481 Im großen Unterschied zur Class Action verfolgt das WCAM einen nicht-konfrontativen Ansatz, der auf konstruktive Wiedergutmachung zielt, so dass es zu einer aufwändigen Prozessphase nicht kommen kann.482 Zu einem tatsächlichen Prozess kommt es auch bei einer Securities Class Action nur selten, doch allein die Androhung eines Prozesses und mit ihm verbundenen Zwang zu umfangreichen Offenlegungen können den Vergleichswert beeinflussen und zu zahlreichen prozessrechtlichen Komplikationen führen, die bei einem reinen Vergleichsmodell wie dem WCAM ausgeschlossen sind.483 Auch unter dem WCAM muss der Vergleich aber von einem Richter genehmigt werden, so dass der Schutz der Minderheiten gewährleistet werden kann. Gleiches gilt bei der Genehmigung des Anwaltshonorars. Die Kriterien, die ein amerikanischer Richter bei der Genehmigung anwendet, unterscheiden sich möglicherweise von denen eines niederländischen Richters. Der
478 Vgl. z. B. Peter Fölsch, Die besondere Gebühr für den Rechtsanwalt des Musterklägers, Neue Juristische Wochenschrift 2013, 507; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht (2014), § 23, Rn. 911. 479 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 106. 480 Vgl. auch z. B. Haar, Model Case Procedures, 15 Eur. Bus. L. Rev. 83 (2014), S. 93 f.; Walker, Afraid of Class Actions, 19 Sw. J. Int’l L. 509 (2012), S. 523 f. & 560. 481 Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 106; Shutts, 472 U.S. 797 (1985), S. 812. 482 So z. B. Walker, Afraid of Class Actions, 19 Sw. J. Int’l L. 509 (2012), S. 524 & 560. 483 Andererseits führt ein reines Vergleichsmodell dazu, dass sich keine Rechtsprechung entwickeln kann, die die gesetzlichen Normen weiter klären und entwickeln könnte. Dies ist in einer Common Law Kultur wie den USA allerdings ein größeres Problem als in Deutschland. Dennoch könnte über die Veröffentlichung bestimmter Aspekte der Vergleichsgenehmigung nachgedacht werden.
B. Zivilrechtliche Innen-/Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre
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deutsche Gesetzgeber könnte hier wiederum andere Prioritäten vorsehen.484 Die grundsätzliche Anwendbarkeit des Vehikels der Kollektivklage bzw. des Kollektivvergleichs scheitert daran aber nicht.485 e) Zwischenergebnis: Class Actions und Alternativen zum KapMuG in Deutschland Wie im Vorangegangenen dargestellt, wäre das KapMuG ein unzureichender Ansatz zum Ausgleich von Massenschäden unter Kapitalanlegern, selbst wenn den Argumenten gegen die Class Action im deutschen Schrifttum vollständig zuzustimmen wäre. Eine dem niederländischen WCAM ähnelnde Lösung als Alternative zum KapMuG könnte die positiven Aspekte der Class Action bewahren, ohne die gleichen Nachteile in Kauf zu nehmen, unter denen die amerikanische Class Action leidet. Bisher ist die deutsche Gesetzgebung den Empfehlungen des Abschlussberichts, dem Vorbild des WCAM zu folgen, nicht nachgekommen. Nur die Opt-Out Möglichkeit bei Vergleichen ist aufgenommen worden,486 die allerdings im deutschen KapMuG, wie bereits erörtert, nicht den gewünschten Effekt entfalten kann487 (auch zumal das KapMuG als Opt-In Modell strukturiert ist). Angesichts der zahlreichen ungelösten Probleme, die auch das novellierte KapMuG für Geschädigte, Beklagte und Justiz aufwirft, ist eine grundsätzliche Überarbeitung des kollektiven Rechtsschutzes bei kapitalmarktrechtlichen Klagen absehbar, eine Abkehr vom Musterverfahren zumindest denkbar. Eine ergebnisoffene Betrachtung auch der positiven Aspekte der Class Action und die Möglichkeit ihrer konstruktiven Integration in das deutsche Rechtssystem, beispielsweise wie im niederländischen Beispiel, wäre hier wünschenswert.
484 So räumt das amerikanische System der Vertragsfreiheit der Parteien beispielsweise einen höheren Stellenwert ein, als dies in Deutschland oder in den Niederlanden wahrscheinlich der Fall wäre. 485 Das WCAM sieht keinerlei besondere Kostenverteilung vor, es folgt also in dieser Hinsicht eher dem deutschen als dem amerikanischen Modell, allerdings sind die Kosten eines WCAM Verfahrens sehr gering. Walker, Afraid of Class Actions, 19 Sw. J. Int’l L. 509 (2012), S. 543. Ein tatsächliches Problem für jede Art von kollektiver Beilegung von kapitalmarktrechtlichen Ansprüchen liegt aktuell in der Beweislastverteilung für die haftungsbegründende Kausalität bei falschen oder unterlassenen Ad-Hoc Mitteilungen, die im Schrifttum aber ohnehin breit kritisiert wird. Vgl. z. B. Halfmeier, Abschlussbericht KapMuG (2009), S. 77. 486 s. Deutsche Bundesregierung, Entwurf Reform KapMuG, BT Drs. 17/8799 (2012), S. 15. Hier heißt es, die Vergleichsregelung in der Gesetzesnovelle „orientiert sich am erfolgreichen niederländischen Modell“. Dieser Einschätzung ist kaum zuzustimmen. Vgl. z. B. auch Haar, Model Case Procedures, 15 Eur. Bus. L. Rev. 83 (2014), S. 103. 487 s. supra, Schwierigkeit des Schließens von Vergleichen (S. 249).
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
V. Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland Mit diesem Blick auf das amerikanische und das deutsche Zusammenspiel von Haftungsbeschränkungen und prozessrechtlicher Anwendung ist allerdings zu hinterfragen, ob die zivilrechtliche Haftung tatsächlich ein sinnvolles Instrument zur Verhaltenssteuerung von Geschäftsleitung und -aufsicht bieten kann. Denn die Durchsetzung von zivilrechtlicher Haftung verursacht enorm hohe Kosten, die letztendlich von Aktionären und Konsumenten getragen werden müssen. Die Kosten für Anwälte und Experten auf beiden Seiten, sowie die Zeit, die die Geschäftsleiter mit Abwehr der Klage verbringen müssen, bringen dem Unternehmen häufig keinerlei Mehrwert. Eine konsequente Durchsetzung von Ansprüchen gegen Organe oder Fiduciaries besteht trotz dieser hohen Kosten in keinem der beiden Rechtssysteme – in den USA werden umfangreiche prozessrechtliche Möglichkeiten durch eine umfassende Business Judgment Rule sowie Versicherungs- und Freistellungsstrategien aufgefangen, in Deutschland verliert sich die sehr scharfe Haftung weitgehend in der praktischen Fast-Unmöglichkeit von Aktionärsklagen. Selbst wenn eine intensivere Anspruchsverfolgung durch die Aufsichtsräte erfolgen sollte, ist zu vermuten, dass solche Tendenzen, wie auch in den USA, nicht langfristig haltbar sein werden, da das deutsche System der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung, wäre es ungezügelt, die persönliche Existenz der Organmitglieder selbst bei kleinen Fehlern bereits gefährden könnte. Umgehungsstrategien sind daher absehbar und es ist zu erwarten, dass die Organhaftung, der „Haifisch ohne Zähne“488 zumindest langfristig auch in Deutschland nicht fester zubeißen wird. Die zivilrechtliche Haftung von Directors und Officers bzw. Vorständen und Aufsichtsräten in den hier relevanten Situationen, in denen kein Vorsatz oder Selbstbereicherung vorliegt, wird also ihren abschreckenden Zweck kaum erfüllen können. Auch zum Ausgleich der Geschädigten sind sie nicht geeignet, denn nur in seltenen Ausnahmesituation wird ein Director, Officer oder Organmitglied tatsächlich einer Schadensersatzpflicht nachkommen können, die weder das Unternehmen noch der relevante Versicherer erfüllen können. Diese Ausnahmesituationen, beispielsweise eine unsorgfältig abgeschlossene Versicherungspolice, hängen darüber hinaus größtenteils vom Zufall ab, nicht von einem für die Corporate Governance relevanten Handeln der Fiduciaries oder Organe. Zum Zeitpunkt des Handelns lässt sich daher nicht absehen, ob es zu gar keinen oder zu existenzgefährdenden Konsequenzen kommen kann, so dass keine klaren Signale für die Verhaltenssteuerung gesetzt werden.
488 Johannes Semler, Überlegungen zur Praktikabilität der Organhaftungsvorschriften, in: Mathias Habersack/Peter Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag (2011), S. 500.
C. Zivilrechtliche Innenhaftung in der Insolvenz durchgesetzt durch Gläubiger
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Ein besser kalibriertes Prozessrecht, das Aktionären beispielsweise Securities Class Actions gegen Unternehmen ermöglicht, mag ein wichtiges Instrument für den Ausgleich von werthaltigen Schadensersatzansprüchen sein. Auch die richterliche Überprüfung der Pflichteinhaltung in Konfliktsituationen sollte nicht ohne Weiteres aufgegeben werden. Doch legen die Entwicklungen der persönlichen Haftung von Geschäftsleitern in den USA und Deutschland nahe, dass der wesentliche Effekt der Einbeziehung von Directors und Officers bzw. Organmitgliedern in Schadensersatzklagen, die sich primär gegen das Unternehmen richten, in zusätzlichen Kosten der Verfolgung und der Enthaftung liegt, nicht in einer tatsächlich verbesserten Corporate Governance. Die im Weiteren besprochenen Ahndungsmöglichkeiten von Behörden und Staatsanwaltschaft bieten eine feiner abgestimmte Basis für die wirksame Verhaltenssteuerung.
C. Zivilrechtliche Innenhaftung in der Insolvenz durchgesetzt durch Gläubiger Obwohl eine eingehende Betrachtung der spezifischen insolvenzbezogenen Pflichten und Haftung hier nicht erfolgen kann, stellt die Insolvenz des Unternehmens, wie bereits erwähnt, auch mit Blick auf gesellschafts- und kapitalmarktrechtliche Haftung eine besondere und besonders gefährliche Situation für Directors und Officers dar. Hierauf soll daher ein kurzer Blick geworfen werden.
I. Praktische Auswirkung der Unternehmensinsolvenz auf die Haftung von Directors und Officers Mit Ausnahme des Sonderfalls van Gorkom betrafen alle Fälle von Zahlungen aus dem Privatvermögen der letzten dreißig Jahre insolvente Unternehmen.489 Auf der einen Seite versuchen Aktionäre, die ihre Kapitaleinlagen durch die Insolvenz des Unternehmens verloren haben, ihre Verluste durch eine Klage gegen jene Personen, die für das Unternehmen und somit zunächst auch für die Insolvenz verantwortlich waren, zu minimieren. Zum anderen steht das Unternehmen im Falle einer Haftung mangels Masse nicht mehr zur Freistellung zur Verfügung, so dass das Vermögen der Directors für Kläger interessanter sind. Ein dritter Grund für die besondere Gefahr bei Insolvenz liegt in dem Interesse der geschädigten Gläubiger des Unternehmens, eine zivilrechtliche Verantwortung der Directors und Officers für die Insolvenz feststellen zu lassen. So lässt sich eine möglichst große Summe aus dem Vermögen der Directors, Officers oder deren D&O489 Damit es zu persönlicher Haftung kommt, muss allerdings auch der Versicherungsschutz der Directors versagt haben, die Insolvenz des Unternehmens alleine reicht nicht. s. supra, Haftungskultur der USA (S. 32).
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
Versicherungen in die Insolvenzmasse umschichten und der Verlust minimieren. Auch diese Klagen beruhen in aller Regel auf angeblichen Verletzungen der Duty of Care und der Duty of Loyalty dem Unternehmen gegenüber. Sobald die Insolvenz des Unternehmens festgestellt ist und die Gläubiger die Rolle der Aktionäre als Eigentümer des Unternehmens übernehmen, steht den Gläubigern das Recht zu, die Klage als Derivative Action im Namen der Corporation zu führen.490 Entsprechend gelten in Delaware seit einer Entscheidung im Jahre 2004 die gleichen Grundsätze der Business Judgment Rule und der Möglichkeit der Entlastungsklauseln nach Section 102(b)(7) für Derivative Actions durch Gläubiger.491 Das Gericht begründete diese Regelung zum Teil damit, dass die Business Judgment Rule und Section 102(b)(7) unternehmerische Entscheidungen möglich machen sollen, so dass Directors in dem Moment das Risiko eingehen, in dem sie die Entscheidung treffen. 492 Die Business Judgment Rule kann ihren Zweck also nur erfüllen, wenn sich die Directors darauf verlassen können, geschützt zu sein, auch wenn später klar wird, dass die Entscheidung ein Fehler war.493 Doch es betonte auch, dass Gläubiger nicht nur bereits durch zahlreiche Gesetze besonderen Schutz genießen, sondern dass sie zudem in einer ungleich besseren Position sind, sich ex-ante vor nachteiligen Entwicklungen zu schützen, da sie dem Unternehmen ihre Kredite generell im Rahmen von Verträgen zur Verfügung stellen, die sie frei verhandeln können.494 Dies ist ein Grund dafür, dass Gläubiger unter normalen Umständen nicht gegen Directors oder Officers aufgrund von Verletzungen der Duty of Care und der Duty of Loyalty vorgehen dürfen – die Directors und Officers üben ihre Pflichten der Unternehmensführung für die Aktionäre aus, die das Risiko dieser Unternehmensführung in erster Linie tragen.495 Die Fiduciary Duties dienen dem Schutz der Aktionäre, die, insbesondere als Minderheitsaktionäre, nicht über vertragliche Schutzmechanismen oder gesetzliche Absicherung ihrer Einlagen verfügen, die mit denen eines Gläubigers vergleichbar wären. Im Moment der Insolvenz liegt der einzige wesentliche Unterschied zu einer Derivative Action durch Aktionäre darin, dass Gläubiger das Recht zu einer Klage im Namen des Unternehmens direkt wahrnehmen können. Anders als die Aktionäre haben sie dieses Recht nicht nur dann, wenn die Directors ihre Pflicht an dieser Stelle
490 s. z. B. Big Lots Stores, Inc. v. Bain Capital Fund VII, LLC, 922 A.2d 1169 (Del. Ch. 2006), S. 1172; In re RNI Wind Down Corp., 348 B.R. 286 (Bankr. D. Del. 2006), S. 293; In re WorldCom, Inc., 323 B.R. 844 (Bankr. S.D.N.Y. 2005), S. 846; Production Resources, 863 A.2d 772 (2004), S. 777. 491 Production Resources, 863 A.2d 772 (2004), S. 792. s. auch Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006) S. 1093. 492 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006) S. 1093. 493 Production Resources, 863 A.2d 772 (2004), S. 778. 494 Production Resources, 863 A.2d 772 (2004), S. 778. 495 Production Resources, 863 A.2d 772 (2004), S. 778.
C. Zivilrechtliche Innenhaftung in der Insolvenz durchgesetzt durch Gläubiger
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absichtlich ignorieren.496 Auch müssen sie nicht das Eingreifen eines speziellen Ausschusses des Board of Directors oder die Ablehnung eines Klagezulassungsantrags durch ein Gericht fürchten, wie es bei einer Derivative Action sonst der Fall wäre. Sobald die Insolvenz festgestellt worden ist, sind die Directors dem Unternehmen gegenüber zwar unverändert zu Sorgfalt und Loyalität verpflichtet. Das Ermessen, einen Prozess gegen das Board of Directors und die Officers anzustrengen oder abzulehnen wird ihnen allerdings aufgrund der besonderen Umstände abgenommen.497
II. Anspruchsdurchsetzung durch Gläubiger in Deutschland Auch für deutsche Vorstände birgt die Zahlungsunfähigkeit ihrer Gesellschaft besondere Gefahren. Solange kein Insolvenzverfahren gegen eine Gesellschaft eingeleitet ist, die ihre Ansprüche nicht mehr decken kann, so können Gläubiger nach § 93 Abs. 5 direkt im eigenen Namen gegen die Organmitglieder vorgehen, deren Pflichtverstöße zu den Ersatzansprüchen geführt haben.498 Im Vergleich zu Delaware Directors sind deutsche Organe hier deutlich weniger geschützt. Zwar können sie Gläubigern gegenüber generell499 nur zu Ersatz verpflichtet sein, wenn die Pflichtverletzung mindestens auf grober Fahrlässigkeit beruht,500 dies ist allerdings nur eine Erleichterung im Vergleich zu deutschen Verfahren, die von der Gesellschaft gegen die Organe geführt werden.501 In Delaware liegt der gesetzliche Mindestanspruch für alle Klagen dieser Art bei grober Fahrlässigkeit, per Satzung kann er auf bedingten Vorsatz erhöht werden. Eine eingehende Prüfung von Hauptversammlungsbeschlüssen ist ebenfalls nötig, um spätere Inanspruchnahme durch Gläubiger zu vermeiden.502 Darüber hinaus haben Verzichte und Vergleiche mit der Gesellschaft weder Wirkung auf die direkten Ansprüche von Gläubigern noch auf mögliche Forderungen des Insolvenzverwalters, so dass sich ein Organmitglied nach Vergleich oder Verzicht der Gesellschaft nicht darauf verlassen
496
Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006) S. 1092. Production Resources, 863 A.2d 772 (2004), S. 796. 498 § 93 Abs. 5 Satz 1. Vgl. auch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 552. Ob Haftung den Gläubigern gegenüber als Innenhaftung, also Anspruch der Gesellschaft, oder Außenhaftung, also Anspruch des Gläubigers selber, zu werten ist, ist im Schrifttum umstritten. Vgl. z. B. Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 267 & 272. Zumindest im nötigen Verschuldensgrad unterscheidet sie sich jedenfalls von reiner Innenhaftung, da der Gesellschaft für die Durchsetzung von Ansprüchen bereits einfache Fahrlässigkeit reicht. Das amerikanische Modell sieht deutlich Innenhaftung als gegeben. 499 Dies gilt nicht für Verstöße gegen die Sondertatbestände aus § 93 Abs. 3. 500 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 269. 501 s. supra, Verschuldensgrad (S. 130). 502 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 280. 497
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5. Teil: Zivilrechtliche Prozessmöglichkeiten
kann, dass die Ansprüche abschließend geklärt sind.503 Aus diesen Abweichungen ist eine fundamental andere Auffassung der Rolle und Schutzwürdigkeit des Gläubigers in den USA und Deutschland abzulesen. Eine eingehende Betrachtung der Anspruchsverfolgung durch Gläubiger in Deutschland kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erfolgen.
503 Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 281; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 84.
6. Teil
Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche und die Verhängung verwaltungsmäßiger Sanktionen durch staatliche Behörden Neben den bereits genannten möglichen Klägern gegen Directors und Officers hat auch der Staat Möglichkeiten, zivilrechtliche Ansprüche durchzusetzen und verwaltungsmäßige Sanktionen zu verhängen, häufig durch eine für die jeweiligen Geschäftsaktivitäten zuständige Behörde. Zahlreiche Zuständigkeiten bestehen hier sowohl auf Ebene der Behörden der US-Regierung („federal agencies“) als auch bei den Einzelstaaten.1 Die Gesetzgebung sieht für die Behörden oft breite Kompetenzen zum Erlass von Regulierungen vor („rule making“), so dass die Schaffung der Rechtslage und die Rechtsdurchsetzung oft in derselben Hand liegen.2 Im Unterschied zu Deutschland kann es hier zu mehreren parallelen Verfahren kommen, in denen Strafverfahren, verwaltungsrechtliche Verfahren („administrative proceedings“) und zivilrechtliche Klagen durch mehrere verschiedene Behörden, Aktionäre oder Verbraucher zeitgleich stattfinden. Aufgrund der unterschiedlichen zeitlichen Abläufe und abweichenden prozessrechtlichen Bestimmungen stellen diese Situationen die Beklagten vor besondere Herausforderungen.3 Eine Zusammenarbeit zwischen mehreren Behörden sowie den Behörden mit der Staatsanwaltschaft ist üblich, so dass sich aus Ermittlungen in einem Bereich Verfahren in weiteren Gebieten und Strafverfahren ergeben können.4 Neben Geldbußen können staatliche Behörden auch zahlreiche andere Sanktionen durchsetzen. Eine der wichtigsten Sanktionen für die Verhaltenssteuerung der Unternehmensführung, das Berufsverbot, wird im Folgenden näher betrachtet. An1 Vgl. z. B. Margaret H. Lemos, State Enforcement of Federal Law, 86 New York University Law Review 698 (2011), S. 717 ff. Viele Verstöße, deren Ahndung nach Federal Law einer Federal Agency unterstünde, werden auf Ebene des Einzelstaates durch das Justizministerium des einzelnen Staates, das Office of the Attorney General, verfolgt. Lemos, State Enforcement, 86 N.Y.U. L. Rev. 698 (2011), S. 719 ff. 2 Vgl. z. B. Jill E. Fisch, The Long Road Back: Business Roundtable and the Future of SEC Rulemaking, 36 Seattle University Law Review 695 (2013); Kathryn A. Watts, Rulemaking as Legislating, 103 Georgetown Law Journal 1003 (2015). 3 Vgl. z. B. Christopher A. Wray/Robert K. Hur, Corporate Criminal Prosecution in the PostEnron World: The Thompson Memo in Theory and Practice, 43 American Criminal Law Review 1095 (2006), S. 1134. 4 s. z. B. infra, Die Rolle der Staatsanwaltschaft (S. 286).
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
schließend folgt ein Überblick über die Kompetenzen zur Ahndung von Directors und Officers für Corporate Governance Verstöße durch die vielleicht wichtigste Federal Agency aus Sicht börsennotierter Unternehmen, die SEC.
A. Alternative Ahndungskonsequenzen am Beispiel des Debarment von Directors und Officers durch eine Federal Agency Zahlreiche Federal Agencies können Berufsverbote in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich verhängen oder vor einem Gericht beantragen. Die rechtliche Grundlage für ein solches „debarment“ (auch „removal“, „exclusion“ oder, insbesondere für befristete Verbote, „suspension“) ist von Bereich zu Bereich verschieden. Entsprechend unterscheiden sich auch die Handlungen oder Verstöße, die zu einem Debarment führen können, und der Mechanismus, der zu dem Tätigkeitsverbot führt.5 In vielen Fällen kann oder muss es nach einer Verurteilung für einen relevanten Rechtsverstoß zu einem Debarment kommen, doch nicht in jedem Fall ist eine solche Verurteilung nötig.6 Beispielsweise wird ein Debarment unter dem Federal Food, Drugs and Cosmetics Act (FDCA), das Personen in der Pharmaindustrie betrifft, direkt durch die U.S. Food and Drug Administration (FDA) verhängt.7 Die FDA verbietet den betroffenen Personen dabei nicht, in der Pharmaindustrie zu arbeiten – dies wäre nicht nur aufwändig zu prüfen, sondern würde die freie Berufswahl des Einzelnen empfindlich beschneiden. Stattdessen sieht der FDCA vor, dass Unternehmen, die „debarred persons“ beschäftigen (auch als externe Berater), keine neuen Medikamente bei der FDA zur Zulassung anmelden können, und dass bereits erteilte Zulassungen zurückgenommen werden.8 Auf diesem Weg verwandelt sich das
5 Die spezifischen Regeln, Anforderungen und Mechanismen, die für die verschiedenen Debarmentmöglichkeiten und -pflichten der unterschiedlichen Behörden gelten, sind von großer Komplexität. Das Debarment unter dem Social Security Act allein richtet sich nach mehr als zwanzig Einzelnormen. U.S. Department of Health & Human Services, Office of Inspector General, Exclusion Authorities (2015). 6 s. z. B. 12 U.S.C. § 1818(e)(2)(A)(ii) (die FDIC kann gegen Directors und Officers der von ihr beaufsichtigten Banken ein Debarment aussprechen, wenn sie von Verstößen lediglich Kenntnis hatten); 21 U.S.C. § 335a(b)(2)(B)(iii) & (iv) (die FDA kann unter bestimmten Bedingungen natürliche Personen auch ohne eine Verurteilung aus der Lebensmittel- bzw. Pharmaindustrie ausschließen, wenn die Person Anteil an oder Kenntnis von einem erwiesenen Rechtsverstoß hatte); 12 U.S.C. § 2264 (für Directors und Officers von Kreditinstituten, die der Farm Credit Administration unterliegen, reicht für ein Debarment bereits die Auffassung der Behörde, dass er beispielsweise gegen geltendes Recht verstoßen hat, seine Handlungen „unsafe or unsound“ waren oder er seine Fiduciary Duties verletzt hat). 7 21 U.S.C. 335a. Sowohl der FDCA als auch die FDA und die von ihr verhängten Debarments werden an späterer Stelle noch eingehend betrachtet. 8 21 U.S.C. 335a(a) & (b).
B. Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies
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Debarment in der Praxis in ein völliges Berufsverbot in der gesamten Pharmaindustrie. Eine anderer Weg führt über große staatliche Abnehmer von Gütern und Dienstleistungen, wie die staatlichen Krankenversicherungen Medicare und Medicaid oder das Verteidigungsministerium („U.S. Department of Defense“), deren Vertragspartnern es untersagt ist, Personen zu beschäftigen, gegen die in bestimmten Zusammenhängen ein Debarment verhängt worden ist.9 Zwar steht es den Debarred Persons frei, ihrem Beruf weiter nachzugehen, doch wird kaum ein Unternehmen derart wichtige Verträge aufgeben wollen, um ihnen diese Möglichkeit zu geben. Debarments, deren Rolle an späterer Stelle im Zusammenhang mit dem Strafrecht noch einmal besprochen wird, haben den maßgeblichen Vorteil aus Sicht der Behörden, dass sie nur eine spezifische Person treffen und dass diese Person die Pönale nicht an das Unternehmen oder eine Versicherung weitergeben kann. Das Unternehmen hat durch das Debarment keinen Schaden (mit Ausnahme des Verlusts des als ungeeignet beurteilten Director oder Officer). Zudem sind Verfahren zum Debarment einer Person für die Behörde in aller Regel weniger aufwändig, da oft kein spezifischer Tatbestand, sondern nur ein begründeter Vertrauensverlust vorliegen muss. In vielerlei Hinsicht ist das Debarment also ein sehr geeignetes Instrument zur Ahndung von Directors und Officers. Für den Einzelnen ist das Debarment zwar eine große Einschränkung, doch wirkt es weniger einschneidend als eine Haftstrafe. Lediglich die häufig sehr starke Einschränkung von Prozessrechten in Verfahren ohne wirksame richterliche Beteiligung ist ein ernstzunehmendes Manko für die Betroffenen.
B. Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies am Beispiel der SEC Obwohl in den USA tätige Unternehmen in aller Regel einer Vielzahl von behördlichen Aufsehern unterstehen, soll das Augenmerk an dieser Stelle vor allem auf die U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) gerichtet sein. Diese gehört nicht nur zu den wichtigsten Behörden des Landes, sie ist für die Überwachung und Durchsetzung der Kapitalmarktregeln und damit für alle der hier besprochenen börsennotierten Corporations zuständig. Die SEC kann sowohl gegen die Corporation als auch gegen ihre Directors und Officers in Zivilprozessen in den Federal Courts zivilrechtliche Bußgelder („civil penalties“) und Unterlassungsverfügungen durchsetzen.10 Darüber hinaus stehen der SEC interne „administrative proceedings“ oder „administrative actions“, verwaltungsrechtliche Verfahren, zur Verfügung, die vor einem designierten „administra9 10
s. z. B. 42 U.S.C. §§ 1320a–7 & 1320c–5; 10 U.S.C. §§ 2393 & 2408. 15 U.S.C. § 78u(d).
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
tive law judge“, einem bei der SEC angestellten Verwaltungsrichter, geführt werden.11 Ob sie überhaupt ein Verfahren anstrengt, ist dem Ermessen der SEC überlassen.12 Die Aufgaben der SEC reichen von der Umsetzung der verabschiedeten Kapitalmarktgesetze durch das Erlassen spezifischer Regeln bis hin zur Verfolgung derer, die diese Regeln nicht einhalten, mit Mitteln des Zivil- und Verwaltungsrechts.13 Sie versteht sich daher selber vor allem als „law enforcement agency“.14 Im Vergleich zur Staatsanwaltschaft verfügt sie allerdings über deutlich eingeschränktere Möglichkeiten und ist ausdrücklich nicht befugt, mit aller Staatsgewalt zu ermitteln.15 Wenn sie es für nötig erachtet, kann sie strafrechtlich relevante Fälle an das Department of Justice weitergeben.16 Gegenüber Directors und Officers hat die SEC zwei besondere Befugnisse. Zum einen kann sie Debarments verhängen, die es den Betroffenen verbieten, bei börsennotierten Unternehmen als Director oder Officer tätig zu sein.17 Zum anderen ermächtigt Section 304 des Sarbanes-Oxley Act die SEC, variable Vergütung von CEOs und CFOs zurückzufordern, deren Unternehmen in den vorangegangenen zwölf Monaten aufgrund von Rechtsverstößen ihre Bilanz haben berichtigen müssen (die Rückforderung wird als „clawback“ bezeichnet). Im Rahmen von Zivilverfahren und Administrative Proceedings setzt die SEC zudem regelmäßig sehr hohe zivile Civil Penalties und Abschöpfungen („disgorgements“) sowohl gegen Unternehmen als auch gegen natürliche Personen durch.18 Die Höhe der Civil Penalties richtet sich dabei nicht primär nach dem etwaigen Schaden, wie man es in einem zivilrechtlichen Verfahren erwarten würde, sondern nach der Schwere des Verstoßes.19 Gegen Outside Directors geht die SEC generell nur dann vor, wenn diese persönlich an einem Verstoß beteiligt waren oder kontinuierlich Warnzeichen ignoriert haben.20 11 15 U.S.C. § 78u(d). Vgl. auch Alexander I. Platt, SEC Administrative Proceedings: Backlash and Reform, 71 The Business Lawyer 1 (2015), S. 4. 12 Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821 (1985), S. 831. 13 Die SEC ist auch befugt, Verstöße gegen die Regeln der einzelnen Börsen zu ahnden. 15 U.S.C. § 78u(a)(1). 14 U.S. Securities and Exchange Commission, How Investigations Work. 15 Das U.S. Department of Justice darf in strafrechtlichen Ermittlungen durch Durchsuchungsbefehle oder durch Abhören erhaltene Beweismaterialien auch nicht an die SEC weitergeben. s. z. B. Alexandra Mogul, Behind Enemy Phone Lines: Insider Trading, Parallel Enforcement, and Sharing the Fruits of Wiretaps, 84 Fordham Law Review 1247 (2015). 16 15 U.S.C. § 78u(d)(1). 17 s. infra, Debarments durch die SEC (S. 270). 18 U.S. Securities and Exchange Commission, Presseerklärung, SEC Announces Enforcement Results for FY 2016 (11. Oktober 2016). 19 s. z. B. 15 U.S.C. §§ 77 h-1(g) & 78u-2(a). 20 Vgl. z. B. Matteo Tonello, SEC Enforcement Actions Against Outside Directors Offer Reminder for Boards, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (16. July 2011); Luis A. Aguilar (Commissioner, U.S. Securities and Exchange Commission), The Important Work of Boards of Directors, Rede, 12th Annual Boardroom Summit and Peer Exchange, New York, NY (14. Oktober 2015).
B. Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies
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I. Administrative Proceedings der SEC Administrative Proceedings unterliegen nicht dem regulären Prozessrecht, sondern dem Administrative Procedure Act of 194621 und den Regeln, die die SEC selbst erlässt.22 Dies führt auf der einen Seite zu sehr viel schnelleren und weniger aufwändigen Verfahren,23 auf der anderen Seite klagen viele Beklagte über geringere Möglichkeiten, sich wirksam zu verteidigen.24 Die zeitliche Länge des Verfahrens ist auf wenige Monate begrenzt.25 Dies kann ein Vorteil für die SEC sein, die mit der Vorbereitung des Verfahrens bereits lange im Voraus beginnt.26 Die Verfahren werden von einem bei der SEC angestellten Administrative Law Judge geleitet. Ein Verfahren vor einem ordentlichen Gericht und einer Jury steht dem Beklagten nicht zu.27 Eine mögliche zweite Instanz wird von den fünf „commissioners“ der SEC selber entschieden,28 die das Urteil des Administrative Law Judge aber in aller Regel bestätigen.29 Der Beklagte kann dieses Urteil vor einem U.S. Circuit Court of Ap-
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Kodifiziert (mit Erweiterungen) unter 15 U.S.C. §§ 500 – 596. 17 C.F.R. §§ 201.100–.1106. Der Administrative Procedure Act gilt für die Administrative Proceedings aller Behörden, die jeweils ihr eigenes Regelwerk erlassen. 23 Vgl. z. B. Andrew Ceresney (Director, Division of Enforcement, U.S. Securities and Exchange Commission), Remarks to the American Bar Association’s Business Law Section Fall Meeting, Washington, D.C. (21. November 2014). 24 s. z. B. Hill v. U.S. Securities and Exchange Commission, 2015 WL 4307088 (N.D. Ga. 2015), S. 1302 f. (später aufgehoben, Hill v. U.S. Securities and Exchange Commission, Nos. 15 – 12831, 15 – 13738 (11th Cir. 2016)). Vgl. auch z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 4 ff.; Thomas S. Glassman, Ice Skating up Hill: Constitutional Challenges to SEC Administrative Proceedings, 16 Journal of Business & Securities Law 1 (2016), S. 8. 25 17 C.F.R. § 201.360. Je nach gesetzlicher Grundlage der Vorwürfe belief sich dieser Zeitraum auf 120, 210 oder 300 Tage, wobei ein großer Teil dieses Zeitrahmens für die Urteilsvorbereitung des Richters vorgesehen ist. Änderungen, die die SEC im Jahr 2015 vorschlug, sehen flexiblere Fristen zur Entlastung der Beschuldigten vor. U.S. Securities and Exchange Commission, Amendments to the Commission’s Rules of Practice, 17 C.F.R. § 201, Release No. 34 – 75976, File No. S7-18-15, 2015. 26 s. z. B. Barry Goldsmith/Joel Cohen/Marc J. Fagel/Monica K. Loseman/Mark Schonfeld, SEC Proposed Amendments to Rules for Administrative Proceedings, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (15. Oktober 2015). Auch der Beklagte erhält in aller Regel die Möglichkeit zur Stellungnahme, wenn die SEC die Verfahrenseröffnung erwägt, dennoch liegt die zeitliche Gestaltung in den Händen der SEC. 17 C.F.R. § 202.5. 27 Zu den verfassungsrechtlichen Problemen, s. z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 17 f. 28 17 C.F.R. § 201.410. Die fünf Commissioners hatten dem Administrative Proceeding allerdings bei Beginn des Verfahrens zustimmen müssen, es besteht also möglicherweise bereits eine gewisse Vorprägung. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 6. 29 David Zaring, Enforcement Discretion at the SEC, 94 Texas Law Review 1155 (2016), S. 1168. 22
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
peals anfechten.30 Ein Kassieren des Urteils ist aber schon daher außerordentlich selten, da der Court of Appeals den Fall nicht von Neuem betrachten kann, wie es in vielen Zivilverfahren möglich wäre, sondern in aller Regel an die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanzen gebunden ist.31 Nur in Sondersituationen, in denen der Administrative Law Judge und die Commissioners die gesetzlichen Grenzen des Verfahrens klar überschritten haben oder wesentliche Beweise keinen Eingang in die Urteilsfindung gefunden haben, kann das Gericht zu einem abweichenden Urteil kommen.32 Mit dem Erlass des Dodd-Frank Act sind auch die Kompetenzen der SEC wesentlich erweitert worden, insbesondere steht es bei fast allen Verfahren im freien Ermessen der SEC zu entscheiden, ob das Verfahren vor einem ordentlichen Gericht oder einem Administrative Law Judge geführt wird.33 Dieser Befugnis, den Rechtsweg frei bestimmen zu können, gilt scharfe Kritik.34 Ursprünglich konnte die SEC gegenüber Emittenten in Administrative Proceedings ausschließlich Unterlassungsverfügungen durchsetzen, die geringeren Prozessrechte hatten daher eine höhere Rechtfertigung.35 Mit allen früheren Erhöhungen des möglichen Strafmaßes durch den Gesetzgeber waren auch die Prozessregeln zugunsten der Beklagten angepasst worden.36 Diese Anpassung fand nach Erlass des Dodd-Frank Act in sehr viel geringerem Maße und mit größerer zeitlicher Verzögerung statt, möglicherweise, da die SEC aufgrund des tiefen Misstrauens der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der Finanzkrise und dem Skandal um Bernard Madoff im Jahr 2008 um ihre Rechtfertigung fürchten musste.37 30 15 U.S.C. § 78y(a). s. auch Jarkesy v. Securities and Exchange Commission, 803 F.3d 9 (D.C. Cir. 2015), S. 15 ff. 31 15 U.S.C. § 78y(a). Vgl. auch Universal Camera Corp. v. NLRB, 340 U.S. 474 (1951), S. 478 f. 32 5 U.S.C. § 706; 15 U.S.C. § 78y(a). Vgl. auch z. B. Seghers v. Securities and Exchange Commission, 548 F.3d 129 (D.C. Cir. 2008), S. 134. 33 Vgl. z. B. Securities and Exchange Commission v. Citigroup Global Markets Inc., 827 F. Supp. 2d 328 (S.D.N.Y. 2011); Jed S. Rakoff (District Judge, U.S. District Court For The Southern District Of New York), Is the S. E.C. Becoming a Law unto Itself?, Rede, PLI Securities Regulation Institute (5. November 2014); Russell G. Ryan, The SEC as Prosecutor and Judge, The Wall Street Journal (4. August 2014) (Ryan ist früherer Assistant Director of Enforcement der SEC); William McLucas/Matthew Martens, How to Rein In the SEC, The Wall Street Journal (2. Juni 2015) (McLucas ist früherer Direktor der Enforcement Division der SEC, Martens war einige Jahre Chief Litigation Counsel der Enforcement Division); Gretchen Morgenson, At the S. E.C., a Question of Home-Court Edge, The New York Times (5. Oktober 2013); Jean Eaglesham, SEC Is Steering More Trials to Judges It Appoints, The Wall Street Journal (21. Oktober 2014); Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015); Glassman, Ice Skating up Hill, 16 J. Bus. & Sec. L. 1 (2016), S. 17. 34 Vgl. z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 36 f. 35 s. z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 36 f.; Glassman, Ice Skating up Hill, 16 J. Bus. & Sec. L. 1 (2016), S. 4. 36 Vgl. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 36. 37 Vgl. z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 39.
B. Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies
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Die SEC nutzte ihre neuen Kompetenzen daher in hohem Maße – insbesondere, nachdem sie im Jahr 2013 einige prominente Niederlagen in den Federal Courts erlitten hatte, erhöhte sich die Anzahl der Administrative Proceedings deutlich.38 Sie gewinnt eine deutlich höhere Rate ihrer Verfahren vor Administrative Law Judges als vor ordentlichen Gerichten, seit einigen Jahren hat sie kaum Niederlagen in Administrative Proceedings mehr hinnehmen müssen.39 Dieses Ungleichgewicht bestärkt Vorwürfe der Benachteiligung der Beklagten in Administrative Proceedings. Kritik gilt der Nähe der Administrative Law Judges zur Klägerin, deren Angestellte sie sind, wonach die SEC Ankläger und Richter zugleich sei,40 sowie den als zu schwach empfundenen Prozessrechten der Beklagten.41 Durch das sehr hohe Prozessrisiko für viele der Beklagten in Administrative Proceedings werden diese Vorwürfe inzwischen sehr ernst genommen.42 Einige Gerichte haben bereits verfassungsrechtliche Zweifel an der Vorgehensweise der SEC signalisiert.43 Im Dezember 2016 erklärte ein U.S. Court of Appeals ein Administrative Proceeding sogar für verfassungswidrig, mit der Begründung, dass Administrative Law Judges
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s. z. B. McLucas/Martens, How to Rein In the SEC, WSJ (2015). Vgl. auch Rakoff, Law unto Itself (2014); Ceresney, Remarks ABA Business Section (2014); Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 8; Zaring, Enforcement Discretion, 94 Tex. L. Rev. 1155 (2016), S. 1174. 39 Vgl. z. B. Morgenson, Home-Court Edge, NYT (2013); Eaglesham, SEC Steering Trials, WSJ (2014); Kent Barnett, Against Administrative Judges, 49 University of California at Davis Law Review 1 (2015), S. 3, Fn. 4; Glassman, Ice Skating up Hill, 16 J. Bus. & Sec. L. 1 (2016), S. 9. Ein Grund für die hohe Erfolgsrate vor Administrative Law Judges könnte allerdings auch darin liegen, dass es sich bei den dort verhandelten Fällen eher um Routineangelegenheiten handelt. Zaring, Enforcement Discretion, 94 Tex. L. Rev. 1155 (2016), S. 1176 f. 40 So z. B. Ryan, Prosecutor and Judge, WSJ (2014). 41 Vgl. z. B. Barnett, Against Administrative Judges, 49 U.C. Davis L. Rev. 1 (2015), S. 3 f.; Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 37. Gewisse Abweichungen von der Zivilprozessordnung können allerdings auch Vorteile für den Beklagten bedeuten; so ist die SEC verpflichtet, den Beklagten vor Beginn des Verfahrens Einblick in ihre Akte zu gewähren, inklusive allen entlastenden Materials. Ein solches Recht besteht vor den Federal Courts nur im Strafrecht. Vgl. z. B. Zaring, Enforcement Discretion, 94 Tex. L. Rev. 1155 (2016), S. 1169. Mehr Prozessrechte führen aber nicht immer zu einem anderen Ausgang des Verfahrens: Im Jahr 2011 focht Rajat K. Gupta die Administrative Action an, in der die SEC ihm die unrechtmäßige Offenlegung von Unternehmensinterna im Zusammenhang mit dem Insider Trading des Hedge Fond Gründers Raj Rajaratnam vorgeworfen hatte. Der gleiche Richter, der die Befugnisse der SEC mit einem Administrative Proceeding in diesem Fall für überschritten hielt, verurteilte den Beklagten in dem von der SEC daraufhin angestrengten Zivilprozess zu einer zivilrechtlichen Strafzahlung („civil penalty“) von $ 13,9 Millionen. U.S. Securities and Exchange Commission, Presseerklärung, SEC Obtains $ 13.9 Million Penalty Against Rajat Gupta (17. Juli 2013). 42 s. z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 36 ff. 43 Gupta v. U.S. Securities and Exchange Commission, 796 F.3d 503 (S.D.N.Y. 2011), S. 513 f.; Hill, 2015 WL 4307088 (2015), S. 19 (später aufgehoben, Hill, Nos. 15 – 12831, 15 – 13738 (2016)); Duka v. Securities and Exchange Commission, 2015 WL 4940083 (S.D.N.Y. 2015).
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
nicht verfassungsgemäß berufen werden.44 Der U.S. Supreme Court bestätigte diese Sicht im Jahr 2018 in einer Entscheidung45, die diese Prozesse, aber auch das System der Administrative Proceedings in anderen Behörden, beenden oder grundlegend verändern wird.46 Für Directors und Officers, die sich um eine sorgfältige Amtsausübung bemühen, haben Administrative Proceedings der SEC gegenüber einem großen zivilrechtlichen Fall in einem Federal Court trotz allem auch Vorteile. Die öffentliche Aufmerksamkeit ist oft geringer, schon bedingt durch die kürzere Dauer der Verfahren. Zudem handelt es sich bei dem größten Teil der von der SEC durchgesetzten Zahlungen in Administrative Proceedings um Abschöpfungen,47 diese sind in Corporate Governance Fällen, bei denen persönliche Bereicherung keine Rolle gespielt hat, aller Wahrscheinlichkeit nach nicht relevant. Ein Administrative Proceeding kann für einen Director oder Officer also einen schnellen, kostengünstigen Weg zu größerer Rechtssicherheit bedeuten.
II. Debarments durch die SEC Für Directors und Officers sind neben möglichen Geldstrafen vor allem die Debarments relevant, die die SEC gegen sie erwirken kann.48 Durch Urteil entweder in einem Administrative Proceeding (in Fällen von Kapitalmarktbetrug)49 oder vor 44 Bandimere v. Securities and Exchange Commission, Decision on Petittion for Review of an Order of the Securities and Exchange Commission, No. 15 – 9586 (SEC No. 3 – 15124) (10th Cir., 27. Dezember 2016). Vgl. auch z. B. Hill, 2015 WL 4307088 (2015). Die sogenannte „appointments clause“ der Verfassung sieht vor, dass bestimmte Ämter durch den Präsidenten mit Zustimmung des Senats besetzt werden, wobei Ämter auf niedrigeren Hierarchiestufen durch den Präsidenten allein oder durch die Leiter der jeweiligen Ministerien oder Behörden bestimmt werden können, sofern dies gesetzlich vorgesehen ist. U.S. Const., art. II, § 2, cl. 2. Administrative Law Judges der SEC werden hingegen von einer Abteilung der SEC angestellt. Vgl. auch Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 14 f. Auch die Verfassungsmäßigkeit des Prozesses, der zur Entlassung eines Administrative Law Judge führen kann, ist umstritten. Vgl. Zaring, Enforcement Discretion, 94 Tex. L. Rev. 1155 (2016), S. 1191 ff.; David Markewitz, The SEC’s Appointment Problem & Its Likely Solution, Columbia Business Law Review (21. Oktober 2015); Free Enterprise Fund v. Public Company Accounting Oversight Board, 561 U.S. 477 (2010), S. 586. 45 Lucia v. Securities and Exchange Commission, 138 S Ct. 2044 (2018). Vgl. auch Hill, Nos. 15 – 12831, 15 – 13738 (2016). 46 Vgl. z. B. Platt, SEC Administrative Proceedings, 71 Bus. Law. 1 (2015), S. 17 f. 47 Zaring, Enforcement Discretion, 94 Tex. L. Rev. 1155 (2016), S. 1172. 48 Mary Jo White, zu dem Zeitpunkt Chair der SEC, nannte das Debarment „[o]ne of the most potent tools the SEC has“. Mary Jo White (Chair, U.S. Securities and Exchange Commission), Deploying the Full Enforcement Arsenal, Rede, Council of Institutional Investors fall conference in Chicago, IL (26. September 2013). 49 Der Betroffene muss sich des Kapitalmarktbetruges unter Section 10(b) des Exchange Act oder Section 17(a)(1) des Securities Act schuldig gemacht haben. Sarbanes-Oxley Act § 1105; 15 U.S.C. §§ 78u-3(f) & 77h-1(f).
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einem U.S. District Court können ihnen die Ausübung einer Funktion als Director oder Officer eines börsennotierten Unternehmens befristet oder sogar unbefristet entzogen werden.50 Um ein Debarment auszusprechen, muss der Administrative Law Judge bzw. das Gericht urteilen, dass der Director oder Officer ungeeignet („unfit“) ist, als Director oder Officer eines börsennotierten Unternehmens zu dienen. Mit SOX setzte der Gesetzgeber in einer Zeit großen Misstrauens in den Kapitalmarkt die Schwelle der mangelnden Eignung für ein Debarment von „wesentlich ungeeignet“ („substantially unfit“) auf „ungeeignet“ („unfit“) herunter.51 Ein wesentlicher Faktor ist hierbei vor allem die Wiederholungsgefahr.52 Das Debarment gilt nicht als eine punitive Maßnahme gegen den Einzelnen, sondern als Mittel für den Schutz des Kapitalmarktes vor ungeeigneten Teilnehmern. Für das Urteil ist die Schwere des Verstoßes und das Ausmaß der persönlichen Schuld des Beklagten daher vor allem als Indiz für die Wiederholungsgefahr relevant.53 In einem reinen Corporate Governance Fall, in dem die Duty of Loyalty nicht verletzt worden ist, ist nur schwer vorstellbar, dass ein Gericht die Voraussetzungen für ein Debarment als gegeben sehen wird.54 Dennoch ist ein solches Verbot, das den Betroffenen von Positionen als Director oder Officer industrieübergreifend bei allen börsennotierten Unternehmen ausschließt, eine ausreichend düstere Perspektive, mit der die SEC den Directors und Officers persönlich, unabhängig vom Unternehmen drohen kann, dass in vielen Fällen mit einer Verhaltensanpassung wenigstens in Form von Kooperation mit der SEC zu rechnen ist.
50 Exchange Act § 21(d)(2); 15 U.S.C. § 78u(d)(2). s. auch Securities and Exchange Commission v. Patel, 61 F.3d 137 (2d Cir. 1995), S. 141; Securities and Exchange Commission v. Bankosky, 716 F.3d 45 (2d Cir. 2013), S. 48; Jayne W. Barnard, Rule 10b-5 and the Unfitness Question, 47 Arizona Law Review 9 (2005). Anders als bei den Debarments anderer Behörden ist ein durch die SEC beantragtes Debarment nicht auf eine bestimmte Industrie beschränkt, sondern gilt für alle börsennotierten Unternehmen. 51 Sarbanes-Oxley Act of 2002 § 305; 15 U.S.C. 78u(d)(2) und 15 U.S.C. § 77 t(e). s. z. B. Barnard, Rule 10b-5 and Unfitness, 47 Ariz. L. Rev. 9 (2005), S. 20 ff. 52 s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Blatt, 583 F.2d 1325 (5th Cir. 1978), S. 1334; Securities and Exchange Commission v. Patel, 61 F.3d 137 (2d Cir. 1995), S. 141; Securities and Exchange Commission v. Yang, 795 F.3d 674 (7th Cir. 2015), S. 681; Securities and Exchange Commission v. Benger, 931 F. Supp. 2d 901 (N.D. Illinois 2015), Part D. Aber s. auch Barnard, Rule 10b-5 and Unfitness, 47 Ariz. L. Rev. 9 (2005), S. 29 ff. 53 s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Drexel Burnham Lambert, 837 F. Supp. 587 (S.D.N.Y. 1993), S. 611 und Securities and Exchange Commission v. Posner, 16 F.3d 520 (2d Cir. 1994), S. 521 f. 54 Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1135.
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III. Clawbacks von diskretionärer Vergütung und Kapitalerträgen Section 304 des Sarbanes-Oxley Act55 gibt der SEC das Recht, bestimmte diskretionäre Vergütung und Kapitalerträge von CEO und CFO eines börsennotierten Unternehmens zurückzufordern, wenn es aufgrund von Fehlverhalten eine Bilanzberichtigung hat vornehmen müssen.56 Nach Rechtsprechung, herrschender Meinung und Praxis der SEC müssen der CEO und CFO das Fehlverhalten nicht selbst begangen haben, es handelt sich also um eine verschuldensunabhängige („strict liability“) Regelung.57 Die Rückzahlung (der „clawback“) kann alle variable und aktienbasierte Vergütung der zwölf Monate nach Veröffentlichung der später berichtigten Bilanzen umfassen, sowie alle Kapitalerträge, die der Betroffene im gleichen Zeitraum durch den Verkauf von Unternehmensaktien realisiert hat.58 Aktionäre oder das Unternehmen selbst haben kein selbstständiges Recht, gegen den CEO oder CFO vorzugehen.59 Die Zahlung erfolgt an das Unternehmen.60 Mit Section 304 hat die SEC eine scharfe Waffe, die sie nach ihrem freien Ermessen einsetzen kann.61 Dennoch findet sie kaum Anwendung. Bis zum Jahr 2008 hatte die SEC nur in fünf Fällen die variable Vergütung zurückgefordert.62 In jedem 55
15 U.S.C. § 7243. Das Fehlverhalten muss zu einem wesentlichen Verstoß gegen die kapitalmarktrechtlichen Berichtspflichten geführt haben („If an issuer is required to prepare an accounting statement due to the material noncompliance of the issuer, as a result of misconduct, with any financial reporting requirement under the securities laws, […]“). 15 U.S.C. § 7243. 57 s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Jenkins, Order, Case No. CV 09 – 110PHX-JWS (D. Ariz., 2009); Securities and Exchange Commission v. Baker, Order, Case No. A12-CA-285-SS (W.D. Tex., 13. November 2012); U.S. Securities and Exchange Commission, Presseerklärung, Former CEO to Return $ 2.8 Million in Bonuses and Stock Profits Received During CSK Auto Accounting Fraud (15. November 2011); Coffee, Securities Regulation (2015), § 9:36; Rachael E. Schwartz, The Clawback Provision of Sarbanes-Oxley: An Underutilized Incentive to Keep the Corporate House Clean, 64 The Business Lawyer 1 (2008), S. 17. Vgl. auch Kelsh, Personal Culpabiilty Requirement, 59 Bus. Law. 1005 (2004), S. 1022 ff. 58 15 U.S.C. § 7243(a). 59 In re Digimarc Corp. Derivative Litigation, 549 F.3d 1223 (9th Cir. 2008), S. 1233; Cohen v. Viray, 622 F.3d 188 (2d Cir. 2010), S. 193. s. auch Pirelli Armstrong Tire Corporation Retiree Medical Benefits Trust ex rel. Federal Mortgage Association v. Raines, 534 F.3d 779 (D.C. Cir. 2008), S. 793; J. Royce Fichtner/John Rozycki/Patrick Heaston, The Unfulfilled Promise of Sarbanes-Oxley Section 304: A Call for Pervasive Enforcement, 14 DePaul Business & Commercial Law Journal 49 (2015), S. 56 ff.; Jesse Fried/Nitzan Shilon, Excess-Pay Clawbacks, 36 Journal of Corporation Law 721 (2011), S. 731; Schwartz, Clawback Provision of Sarbanes-Oxley, 64 Bus. Law. 1 (2008), S. 13. 60 15 U.S.C. § 7243(a). s. auch Schwartz, Clawback Provision of Sarbanes-Oxley, 64 Bus. Law. 1 (2008), S. 29. 61 15 U.S.C. § 7243(b). Vgl. auch Baker, Order (W.D. Tex., 2012). 62 Allison List, The Lax Enforcement of Section 304 of Sarbanes-Oxley: Why is the SEC Ignoring Its Greatest Asset in the Fight Against Corporate Misconduct?, 70 Ohio State Law Journal 195 (2009), S. 216. Vgl. auch Fried/Shilon, Excess-Pay Clawbacks, 36 J. Corp. L. 721 (2011), S. 730 ff. 56
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einzelnen dieser Fälle war der betroffene Officer persönlich an den Rechtsverstößen beteiligt gewesen.63 Im Jahr 2009 verlangte die SEC erstmals eine Rückzahlung von einem CEO, dem kein persönliches Fehlverhalten angelastet wurde.64 Der Bilanzbetrug, der zu den zwei falschen Geschäftsberichten der CSK Auto Corporation geführt hatte, wurde anderen Officers des Unternehmens vorgeworfen, darunter dem CFO, die sich in separaten Strafverfahren schuldig bekannten.65 Das Gericht, dem keine Präzedenzfälle zur Verfügung standen, entschied basierend sowohl auf dem Gesetzestext als auch auf dem Gesetzeszweck, dass ein Fehlverhalten des betroffenen CEO oder CFO keine Voraussetzung für einen Clawback unter Section 304 ist.66 Da sich die Norm auf die Verantwortung der beiden Officers für die Bilanzen stützen kann, die unter anderem bereits durch Section 302 des Sarbanes-Oxley Act festgelegt worden war,67 sei auch der Nachweis nicht notwendig, dass CEO oder CFO Kenntnis von den Missständen gehabt hatten.68 Weitere Rechtsprechung hat diese Sicht seitdem bestätigt.69 Section 304 bietet damit eines der wenigen Instrumente der Corporate Governance, das verantwortliche Officers mit einer persönlichen Sanktionierung zu einer besseren ex-ante Kontrolle von Aufsichtsmechanismen inzentivieren soll. Das Basisgehalt stellt im Durchschnitt nur einen kleinen Teil der Gesamtvergütung amerikanischer Officers dar – es ist daher nicht ungewöhnlich, dass ein Clawback bei
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List, Lax Enforcement of Section 304, 70 Ohio St. L.J. 195 (2009), S. 220, Fn. 145. Jenkins I, Order (D. Ariz., 2009); U.S. Securities and Exchange Commission, Presseerklärung, SEC Seeks Return of $ 4 Million in Bonuses and Stock Sale Profits from Former CEO of CSK Auto Corp. (22. Juli 2009). Der Zeitpunkt dieser Änderung in der Strategie der SEC hat möglicherweise politische Gründe. Nach Erlass des Sarbanes-Oxley Act wurde eine solche Interpretation noch intensiv kritisiert und im Schrifttum zum Teil als nahezu unvorstellbar betrachtet. s. z. B. Kelsh, Personal Culpabiilty Requirement, 59 Bus. Law. 1005 (2004). Strict Liability hätte die SEC möglicherweise politisch und auch vor Gericht nicht durchsetzen können, wenn die Betroffenen Strict Liability als rechtswidrige Enteignung ohne Tatbeitrag hätten darstellen können. Mit der Finanzkrise und der Entdeckung mehrerer Ponzi-Schemes stand die SEC aber 2008 und 2009 eher in der Kritik, nicht hart genug gegen Missstände vorgegangen zu sein. Zeitweise musste sie sogar, wie bereits erwähnt, um ihre Stellung als unabhängige Behörde fürchten. Die plötzliche Ausnutzung ihrer bereits existierenden gesetzlichen Möglichkeiten zur Durchsetzung besserer Corporate Governance geschah also zu einem opportunen Moment, in dem weniger Kritik ihrer Härte zu erwarten war. 65 SEC, Presseerklärung, SEC Seeks Return of $ 4 Million (22. Juli 2009). 66 Jenkins I, Order (D. Ariz., 2009). 67 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). Vgl. auch List, Lax Enforcement of Section 304, 70 Ohio St. L.J. 195 (2009), S. 200 („Section 304 is one of many enforcement provisions designed to increase internal investigation and create a penalty for inaccurate or incomplete reports. In that respect, Section 302 and Section 304 are two sides of the same coin.“). 68 Jenkins I, Order (D. Ariz., 2009). 69 s. z. B. Securities and Exchange Commission v. Microtune, Inc., 783 F. Supp. 2d 867 (N.D. Tex. 2011); Baker, Order (W.D. Tex., 2012). 64
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einem CEO über 80 % der erhaltenen Vergütung betreffen kann.70 Hinzu kommen Kapitalerträge aus Verkäufen von Unternehmensaktien während des entsprechenden Jahres.71 Die Norm folgt dabei einer überzeugenden Ratio: Der CEO und CFO tragen die Verantwortung nicht nur für die Richtigkeit der Geschäftsberichte des Unternehmens, sondern auch für die internen Kontrollsysteme, die zur Garantie dieser Richtigkeit erforderlich sind.72 Mit ihrer Unterschrift gemäß 302 signalisieren sie den Aktionären, dass sie diese Verantwortung ernst nehmen. Da aber Section 302 (und ihr strafrechtliches Gegenstück SOX Section 90673) die Verletzung dieser Verantwortung nur dann mit tatsächlichen Konsequenzen versehen, wenn der jeweilige Officer Kenntnis von den Missständen hatte, soll Section 304 ihn inzentivieren, unrichtigen Bilanzen aktiv entgegenzuwirken.74 Gleichzeitig soll die Norm sicherstellen, dass er einerseits von seinem Versagen und andererseits von dem Anlegervertrauen, das er mit seiner Unterschrift selbst bestärkt hat, nicht profitiert. Ein solcher Gewinn aufgrund seines eigenen Übersehens kapitalmarktrechtlicher Verstöße, während die Aktionäre des Unternehmens die Konsequenzen seiner Fehler alleine tragen müssen, wäre dogmatisch nicht zu rechtfertigen.75 Verantwortungsvolle Zurückhaltung der SEC im Umgang mit einer so mächtigen Waffe ist sicherlich wünschenswert.76 Dass die SEC dieses Instrument aber erst so spät und dann in so geringem Maße eingesetzt hat, ist insbesondere bedauerlich, da dies eine Einschätzung seiner Effektivität erschwert. Wie bereits festgestellt, än-
70 Der durchschnittliche Anteil des Basisgehalts an der Gesamtvergütung von CEOs ist in den Jahren von 2010 bis 2014 von 18 % auf 14 % gefallen. The Wall Street Journal/Hay Group, Cooking Up a Better Pay Mix: Active Shareholders Emerge as a New Ingredient (The Wall Street Journal/Hay Group 2014 CEO Compensation Study) (2015), S. 5. Erhöhungen des proportionalen Anteils des Basisgehalts können den Officer allerdings vor Clawbacks schützen. 71 15 U.S.C. § 7243(a)(2). Dieser Aspekt der Gesetzgebung war geprägt von Personen wie dem CEO des Telekommunikationsunternehmens Global Crossing, der vor der Insolvenz des Unternehmens im Jahr 2002 mehr als $ 700 Millionen durch den Verkauf von Unternehmensaktien verdient hatte. Kelsh, Personal Culpabiilty Requirement, 59 Bus. Law. 1005 (2004), S. 1006. 72 Sarbanes-Oxley Act § 302(a); 15 U.S.C. § 7241(a). 73 s. infra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 74 Vgl. z. B. List, Lax Enforcement of Section 304, 70 Ohio St. L.J. 195 (2009), S. 208. 75 Vgl. z. B. List, Lax Enforcement of Section 304, 70 Ohio St. L.J. 195 (2009), S. 203. 76 Vgl. auch infra, Die Responsible Corporate Officer Doctrine als Instrument der Corporate Governance (S. 335). s. auch Kelsh, Personal Culpabiilty Requirement, 59 Bus. Law. 1005 (2004), S. 1009; List, Lax Enforcement of Section 304, 70 Ohio St. L.J. 195 (2009), S. 207. Dies gilt insbesondere auch, da selbst nach enormen Rückgängen seit dem Erlass des Sarbanes-Oxley Act jedes Jahr noch immer eine große Zahl der Unternehmen wesentliche Bilanzberichtigungen veröffentlicht – der Anteil der „non-reliance restatements“, die die zuvor veröffentlichten Bilanzen so stark berichtigen, dass diese nicht mehr aussagekräftig sind, sank zwischen 2005 und 2014 von 67 % auf immer noch 24 %. Audit Analytics/Olga Usvyatsky, Clawbacks after Financial Statements (2015).
B. Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies
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derten SOX Section 302 und 906 die Rechtslage nicht maßgeblich,77 bei Section 304 handelt es sich hingegen um eine tatsächliche Neuerung.78 Es ist gut vorstellbar, dass sie einen Teil zu den zahlreichen Verbesserungen der Corporate Governance nach dem Erlass des Sarbanes-Oxley Act79 beigetragen hat. Seit 2010 wird die Anwendung von Section 304 des Sarbanes-Oxley Act zudem häufig unnötig. Die gemäß Section 954 des Dodd-Frank Act dem Exchange Act hinzugefügte Section 10D80 führt letztendlich zu einer Pflicht börsennotierter Unternehmen, Clawback-Regelungen für ihre Officers einzurichten, die diese in Fällen von Bilanzberichtigungen zur Rückzahlung variabler Vergütung verpflichtet.81 Ob diese Regel tatsächlich erlassen wird, bevor es zu weitergreifenden Gesetzesänderungen kommt, ist zum Zeitpunkt dieser Arbeit unklar,82 doch auch vor Erlass der endgültigen Regel zur Umsetzung der Norm haben bereits eine große Mehrheit börsennotierter Unternehmen freiwillig eine Clawback Regelung eingeführt.83 Seitdem hat die SEC in einigen Fällen, in denen SOX Section 304 hätte Anwendung finden können, von der Durchsetzung eines Clawbacks abgesehen, da die betroffenen Officers entsprechende Rückzahlungen bereits aufgrund der von Section 10D geforderten internen Regelungen an das Unternehmen geleistet hatten.84 Die spezifischen Anforderungen an diese Clawback Regelungen der Unternehmen werden per Regel der SEC festgelegt, doch selbst aus dem Gesetzestext ergeben sich bereits einige wesentliche Unterschiede zu SOX Section 304. So beschränkt sich Dodd-Frank Section 954 nicht auf CEO und CFO, sondern bezieht sich auf jeden „current and former executive officer“, der eine entsprechende Vergütung erhalten 77 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85) und infra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 78 Vgl. List, Lax Enforcement of Section 304, 70 Ohio St. L.J. 195 (2009), S. 204. 79 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 80 15 U.S.C. § 78j–4. 81 Der Gesetzgeber fordert mit dieser Norm die SEC auf, ihrerseits wiederum die einzelnen Börsen anzuhalten, die Notierung von Unternehmen zu verbieten, die über keine solchen Regeln verfügen. 15 U.S.C. § 78j–4(a). 82 Bisher besteht nur ein Vorschlag für eine Rule 10D-1. U.S. Securities and Exchange Commission, Listing Standards for Recovery of Erroneously Awarded Compensation, Proposed Rule, 17 C.F.R. §§ 229, 240, 249, 274, Release No. 33 – 9861; 34 – 75342; IC-31702, File No. S7 – 12 – 15, 2015. 83 Equilar, 2013 Clawback Policy Report (2013); Dan Marcec, Engage to Advance, C-Suite (2016). Vgl. z. B. auch Fried/Shilon, Excess-Pay Clawbacks, 36 J. Corp. L. 721 (2011), S. 735 ff. (unternehmenseigene Clawback-Regelungen vor Dodd-Frank); Stuart Lombardi, Interpreting Dodd-Frank Section 954: A Case for Corporate Discretion in Clawback Policies, 2011 Columbia Business Law Review 881 (2011); Joseph A. Hall, Accountability and the Pursuit of SEC Clawback Actions, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (2. März 2016). 84 s. z. B. U.S. Securities and Exchange Commission, Presseerklärung, Monsanto Paying $ 80 Million Penalty for Accounting Violations (9. Februar 2016); Hall, Pursuit of SEC Clawback Actions, Harvard Forum(2016).
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
hat.85 Auch beträgt der relevante Zeitraum nicht nur ein Jahr, sondern die drei Jahre, die der Bilanzberichtigung vorausgehen.86 In anderer Hinsicht sieht Section 954 des Dodd-Frank allerdings deutlich weniger aggressive Clawbacks vor als SOX Section 304, denn sie bezieht sich nicht auf die gesamte variable oder aktienbasierte Vergütung, sondern nur auf den Teil, der der verfälschten Darstellung des Unternehmens zuzuschreiben ist.87 Auch Kapitalerträge aus dem Verkauf von Unternehmensaktien während des Clawback-Zeitfensters werden von Dodd-Frank Section 954 nicht berührt. Zwar können Unternehmen über die gesetzlich vorgesehenen Mindestanforderungen hinaus bindende Vereinbarungen mit ihren Officers treffen, doch bleibt SOX Section 304 zunächst eine potentiell wirkungsvolle Norm in den Händen der SEC.
C. Die SEC im Vergleich zur Wertpapieraufsicht der BaFin Die mit der SEC am ehesten verglichene deutsche Institution ist die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die entstand, als im Jahr 2002 die damaligen Bundesaufsichtsämter für das Kreditwesen, den Wertpapierhandel und das Versicherungswesen zusammengeführt wurden.88 Die Kompetenzen der zwei Behörden sind allerdings nicht deckungsgleich. Denn als „securities“ und „exchange“ Aufsicht, ist die SEC vor allem für den börslichen und nicht-börslichen Wertpapierhandel sowie die Börsen selbst zuständig. Sie überwacht Brokers, Dealers und Investment Advisers als „regulated entities“, sowie die Emittenten.89 Die SEC ist deshalb nicht mit der BaFin sondern vielmehr mit einem ihrer Geschäftsbereiche, der Wertpapieraufsicht,90 zu vergleichen. Die BaFin selbst überwacht als Allfinanz85
15 U.S.C. § 78j–4(b)(2). 15 U.S.C. § 78j–4(b)(2). 87 15 U.S.C. § 78j–4(b)(2). Dies ist ein sinnvoller Unterschied, da Clawbacks unter Section 954 durch das Board of Directors bzw. die Aktionäre im Rahmen einer Derivative Action durchgesetzt werden, die in der Praxis nicht wie die SEC im freien Ermessen und mit Augenmaß abschätzen können, ob eine volle Gewinnabschöpfung tatsächlich gerechtfertigt ist, oder ob andere, positive Entwicklungen, die dem betroffenen Officer in der gleichen Zeit zuzurechnen sind, einen mildernden Einfluss haben sollten. Der Gesetzgeber trug dem freien Ermessen der SEC in SOX Section 304 explizit Rechnung. 15 U.S.C. § 7243(b). 88 s. z. B. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht (2014), § 17, Rn. 835; Nikita Litsoukov, BaFin und SEC: Aufsichtspraxis im internationalen Vergleich, Bafin Journal (2015); Fabian Walla, Die Konzeption der Kapitalmarktaufsicht in Deutschland (2012), S. 152 ff.; Maximilian Ott, Die Eingriffsbefugnisse der BaFin in der Wertpapieraufsicht: eine vergleichende Analyse insbesondere mit Blick auf die SEC, sowie Kartell- und Finanzbehörden (2011); Grit Beecken, BaFin sieht sich mit SEC auf Augenhöhe (24. Oktober 2015). 89 17 C.F.R. § 200.1. 90 § 1 Organisationsstatut für die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (OsBaFin). Einen Überblick über Vergleichbarkeit und Unterschiede von SEC und BaFin bietet z. B. Litsoukov, BaFin und SEC, BaFin J.(2015). 86
C. Die SEC im Vergleich zur Wertpapieraufsicht der BaFin
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aufsicht neben dem Wertpapierhandel (Direktoriat Wertpapieraufsicht/Asset Management) auch das Kreditwesen (Direktoriat Bankenaufsicht) und Versicherungswesen (Direktoriat Versicherungs- und Pensionsfondaufsicht) in Deutschland.91 Zahlreiche Gebiete, die in Deutschland zu den Kernkompetenzen der BaFin gehören, werden in den USA nicht von der SEC, sondern von anderen Institutionen wie Federal Reserve92 (unter anderem zuständig für wesentliche Teile der Bankenaufsicht und -regulierung),93 oder Behörden wie zum Beispiel der U.S. Commodity Futures Trading Commission (CFTC, zuständig insbesondere für Derivate),94 der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC, zuständig für bestimmte Aspekte der Bankenaufsicht und -regulierung)95 und der National Credit Union Administration96 ausgeführt. Für viele dieser Bereiche bestehen zusätzliche Aufsichts- und Regulierungsbehörden auf Ebene der einzelnen Staaten. Insbesondere die Versicherungsindustrie untersteht trotz der Etablierung des Federal Insurance Office (FIO) als Teil des Treasury Department durch den Dodd-Frank Act im Jahr 201097 noch immer in erster Linie den Behörden der Einzelstaaten.98 In einem wesentlichen Unterschied zur SEC im Hinblick auf den Umgang mit Unternehmensführung und -aufsicht hat die deutsche Wertpapieraufsicht keine Möglichkeit, Vorstände oder Aufsichtsräte ihrer Ämter zu entheben oder das Äquivalent eines Debarment auszusprechen. Nur die Banken- und die Versicherungsaufsicht können die Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsrats oder der Geschäftsleitung von Gesellschaften verlangen, die dem Gesetz über das Kreditwesen (KWG)99 bzw. dem Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG)100 unterliegen. Die Wertpapieraufsicht hat eine solche Kompetenz nicht, Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen in Deutschland unterliegen keiner staatlichen Kontrolle, die der der SEC vergleichbar wäre.
91 Die Aufsicht über die Börsen obliegt in Deutschland hingegen vorwiegend den Ländern. § 3 BörsG. Die BaFin kontrolliert allerdings die börsliche Einhaltung des WpHG. Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht (2014), § 17, Rn. 838. 92 Die Institution, die oft als „Federal Reserve“ bezeichnet wird, ist das „Board of Governors of the Federal Reserve System“. 93 Die regulatorischen und Aufsichtskompetenzen ergeben sich aus dem Federal Reserve Act, 12 U.S.C. §§ 221 – 522. 94 Die CFTC beruht auf dem Commodity Exchange Act, 7 U.S.C. §§ 1 – 27 f. 95 Die FDIC beruht auf dem Federal Deposit Insurance Act und weiterer Gesetzgebung kodifiziert in 12 U.S.C. §§ 1811 – 1835a. 96 12 U.S.C. § 1752a. 97 31 U.S.C. § 313. Die Aufgaben des FIO beinhalten vor allem „monitoring“, also „Beobachtung“ statt eingreifender Aufsicht. 98 Vgl. z. B. Elizabeth F. Brown, Will the Federal Insurance Office Improve Insurance Regulation?, 81 University of Cincinnati Law Review 551 (2012). 99 § 36 Abs. 3 KWG. 100 § 87 Abs. 8 VAG.
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
Auch Clawbacks kann die Wertpapieraufsicht nicht durchsetzen. Die nachträgliche Minderung der Vergütung des Vorstands kann in Deutschland stattdessen nur der Aufsichtsrat durchsetzen.101 Sie ist aber nur für noch nicht verdiente Vergütung möglich (sog. „Malus“-Regelung).102 Eine tatsächliche Clawback-Regelung für die bereits ausgezahlte Vergütung ist in Deutschland aufgrund des Schutzes des Vorstandsmitglieds, das in diesem Fall vor allem als angestellter Manager gesehen wird, nicht möglich.103 Eine Pflicht, Clawback-Vereinbarungen mit Risikoträgern zu treffen, besteht für Institute, die dem KWG unterliegen, besteht seit August 2017 als Teil der zweiten Novelle der Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) im Rahmen der Umsetzung der „Guidelines on sound remuneration policies and disclosures“ der European Banking Authority (EBA).104 Eine solche Pflicht ist aber eher mit den unter Section 954 des Dodd-Frank Act geschaffenen Anforderungen zu vergleichen als mit SOX Section 304, da es sich nicht um eine direkte Rückforderung durch die Bankenaufsicht handelt, sondern durch das betroffene Institut.105 In jedem Fall wäre eine solche ex-post Anpassung bereits verdienter Vergütung an das KWG und die InstitutsVergV gebunden und träfe Unternehmen nicht aufgrund ihrer Börsennotierung. Eine SOX Section 304 entsprechende Befugnis für die Wertpapieraufsicht ist in Deutschland in absehbarer Zukunft nicht zu erwarten und wiche von der aktuellen gesetzlichen Ausrichtung ab. Doch auch ohne diese direkten Maßnahmen hat die Wertpapieraufsicht einen eher größeren Einfluss auf die Corporate Governance von Unternehmen in der Prävention schwerer Verstöße als die SEC. Die BaFin ist nicht auf separate Verfahren angewiesen, weder vor einem ordentlichen Gericht noch vor dem Äquivalent eines Administrative Law Judge, denn dank des Verwaltungszwanges verfügt sie über eigene Vollstreckungsgewalt.106 Diese Verbindung von Aufsicht und Sanktionierung in einer Hand fördert konstruktive Beziehungen zwischen der Behörde und den 101 § 87 Abs. 2 AktG. Vgl. auch Spindler, § 87 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 179. 102 § 87 Abs. 2 AktG. Vgl. auch Spindler, § 87 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 173 ff. 103 Vgl. z. B. Spindler, § 87 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 202; Steve Noack, Bonusbanken und Clawbacks als Instrumente für eine nachhaltige Gestaltung von Anreizsystemen (2014), S. 54. Geteilte Meinungen bestehen im Schrifttum zur Rechtmäßigkeit der Einhaltung bereits verdienter aber noch nicht ausgezahlten Bonuszahlungen. Vgl. Spindler, § 87 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 202. 104 Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, Internationale Meldungen – Vergütung, Bafin Journal (2016), S. 8; European Banking Authority, Guidelines on sound remuneration policies under Articles 74(3) and 75(2) of Directive 2013/36/EU and disclosures under Article 450 of Regulation (EU) No 575/2013 (2015). 105 Bundesanstalt Für Finanzdienstleistungsaufsicht, Vergütung, Bafin Journal (2016), S. 8. 106 § 6 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz (VwVG). Vgl. auch Litsoukov, BaFin und SEC, BaFin J.(2015). Der gegen die Administrative Proceedings der SEC gerichtete Vorwurf, die Behörde fungiere als Ankläger und Richter zugleich, ließe sich also auch gegen die BaFin richten.
C. Die SEC im Vergleich zur Wertpapieraufsicht der BaFin
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Emittenten,107 da diese nicht hoffen können, in einem Prozess zu obsiegen.108 Durch ihre uneingeschränkte Autorität gewinnt die BaFin ein Maß an Flexibilität in der Verhinderung von Verstößen, das der SEC möglicherweise verwehrt bleibt.109 Ein für die Erörterung der Corporate Governance Haftung wichtige gesetzliche Entwicklung begann für die Wertpapieraufsicht im November 2015 mit Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes der am 27. November 2013 in Kraft getretene EU-Transparenzrichtlinie,110 die unter anderem die zwingende Veröffentlichung von Maßnahmen vorsieht, die die BaFin aufgrund bestimmter Verstöße gegen das Wertpapierhandelsgesetz vorgenommen hat, verbunden mit der Nennung der verantwortlichen Personen („naming and shaming“).111 Die Bankenaufsicht veröffentlicht bereits seit 2013 Maßnahmen aufgrund von Verstößen gegen das KWG.112 Es ist zu erwarten, dass die Aussicht einer Veröffentlichung einen präventiven Effekt hat zu einer erhöhten Kooperationsbereitschaft der betroffenen Unternehmen und Einzelpersonen führt.113 Die neuen Veröffentlichungen der Wertpapieraufsicht gehen noch weiter als die der Bankenaufsicht, da sie Maßnahmen schon vor Bestands- bzw. Rechtskraft veröffentlichen muss.114 Es ist zu erwarten, dass die Ausweitung des 107
Vgl. z. B. Litsoukov, BaFin und SEC, BaFin J.(2015) (die „Prüfungen und Aufsichtsgespräche der BaFin“ haben eine „wichtige präventive Wirkung [und] tragen dazu bei, Verstöße gegen Rechtsvorschriften frühzeitig zu erkennen und abzustellen“). 108 Auch in den USA werden die meisten Verfahren mit der SEC beigelegt, doch ändert dies nichts an dem Eindruck von „Gewinnen“ oder „Verlieren“, der amerikanische Zivil- und Strafprozesse prägt. 109 Sie ähnelt sogenannter „dialogischer“ Regulierung, die auf Flexibilität und Dialog zwischen Regulator und Akteur beruht und als eine besonders effektive Abschreckungsstrategie gilt. John Braithwaite, On Speaking Softly and Carrying Big Sticks: Neglected Dimensions of a Republican Separation of Powers, 47 University of Toronto Law Journal 305 (1997), S. 323 f. 110 Richtlinie 2013/50/EU; Art. 1 Gesetz zur Umsetzung der Transparenzrichtlinie-Änderungsrichtlinie vom 20. November 2015 (BGBl. I S. 2029). 111 § 40c WpHG. Die BaFin kann die Veröffentlichung nur dann unterlassen oder aufschieben, wenn sie die Stabilität des Finanzsystems oder laufende Ermittlungen ernsthaft gefährden würde oder den Beteiligten einen unverhältnismäßigen Schaden zufügen würden. Darüber hinaus kann sie von der Veröffentlichung der personenbezogenen Daten absehen, wenn diese unverhältnismäßig wäre. § 40c Abs. 3 WpHG. Vgl. z. B. Rüdiger Veil, The Reform of the Transparency Regime in European Capital Markets Laws, European Company and Financial Law Review 18 (2013), S. 21 f.; Urszula Nartowska/Michael Knierbein, Ausgewählte Aspekte des „Naming and Shaming“ nach § 40c WpHG, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2016, 256. 112 § 60b Abs. 1 KWG. Vgl. auch § 37 Abs. 1 Satz 3 KWG. 113 Veil, Reform of the Transparency Regime, ECFR 18 (2013), S. 22; John Armour/Colin Mayer/Andrea Polo, Regulatory Sanctions and Reputational Damage in Financial Markets, Oxford Legal Studies Research Paper No. 62/2010 (2011); John Braithwaite, Corporate Crime in the Pharmaceutical Industry (1984), S. 336; Möllers/Pregler, Zivilrechtliche Rechtsdurchsetzung und kollektiver Rechtsschutz, ZHR 2012, S. 160. Vgl. auch z. B. John Braithwaite/ Peter Drahos, Zero Tolerance, Naming and Shaming: Is There a Case for it with Crimes of the Powerful?, 35 The Australian and New Zealand Journal of Criminology 269 (2002); David A. Skeel Jr., Shaming in Corporate Law, 149 University of Pennsylvania Law Review 1811 (2001). 114 § 40c Abs. 2 Satz 2 WpHG; § 60b Abs. 1 KWG.
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6. Teil: Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche
Naming and Shaming auf einen neuen Kreis von Unternehmen einen positiven Einfluss auf das Verhalten und die Corporate Governance der Emittenten haben wird.
D. Fazit: Besondere Kompetenzen staatlicher Behörden als sinnvolles Mittel zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland Die wesentliche Stärke staatlicher Behörden wie der SEC und der BaFin in der Ahndung von Corporate Governance Verstößen von Geschäftsleitern liegt in ihrer Flexibilität. Statt sich in jedem Fall auf das grobe Instrument von Schadensersatzoder Strafzahlungen verlassen zu müssen, stehen ihnen zahlreiche Möglichkeiten zur Abschreckung und Würdigung von Verstößen zur Verfügung, die ihrer Schwere und der persönlichen Beteiligung der Verantwortlichen angemessen sind. Auch die Befugnis, im eigenen Ermessen von der Verfolgung abzusehen, kann sich positiv auf die Abschreckung auswirken, wenn die Behörde sich bei dieser Entscheidung von nachvollziehbaren Prioritäten leiten lässt, beispielsweise für die Ahndung von Geschäftsleitern, die sich von Eigeninteressen haben leiten lassen oder an der internen Aufdeckung von Missständen besonders wenig interessiert schienen. Eine konstruktive Beziehung zwischen Geschäftsleitern und den Behörden kann darüber hinaus zur besonders frühen Aufdeckung und Behebung von Rechtsverstößen in Unternehmen führen, wenn der Geschäftsleiter auf diese Weise persönliche Konsequenzen vermeiden kann. Selbstverständlich kann Ermessen für staatliche Behörden auch zu Missbrauch führen, der sich auch auf die Corporate Governance negativ auswirken könnte, wenn die Prioritäten der Behörde nicht mehr im Zeichen guter Unternehmensführung stehen. Die bußgeldrechtliche Ahndung von Vorständen und Aufsichtsräten durch deutsche Behörden wird an späterer Stelle näher betrachtet.115
115 s. infra, Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten (S. 385).
7. Teil
Strafrechtliche Sanktionierung als Instrument der Corporate Governance Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich, dass zivilrechtliche Ansprüche gegen Directors und Officers in den USA für Corporate Governance Verletzungen nur in Ausnahmefällen zu tatsächlicher persönlicher Haftung aus dem Privatvermögen führen. Die Einschränkung des gerichtlichen Spielraums zur Beurteilung des Handelns der Directors und Officers und zunehmend auch prozessrechtliche Regelungen erlauben in aller Regel keine Durchsetzung substantieller Ansprüche gegen Directors und Officers. Selbst wenn sie durch Urteil oder Vergleich zu Geldzahlungen verpflichtet werden, werden diese in fast allen Fällen durch das Unternehmen oder eine D&O-Versicherung aufgefangen. Ein konkretes, hohes persönliches Risiko ergibt sich hingegen aus dem Strafrecht, wie im Folgenden zu untersuchen sein wird. Das amerikanische Strafrecht lässt den Betrachter leicht erschrecken. Die möglichen Straftatbestände allein im Federal Law sind inzwischen so vielzählig und so weit über die verschiedenen Bereiche des U.S. Code und die zahllosen Regeln und Regulierungen verteilt, dass Versuche der Zählung regelmäßig scheitern. Einige Quellen beschränken sich auf wenige Tausend, eine akademische Schätzung beläuft sich hingegen auf rund 40.000, eine andere sogar auf mehr als 300.000 verschiedene Straftatbestände im Federal Law allein.1 Unzählige dieser Straftaten können auch Directors und Officers betreffen. Die Durchsetzung dieser Gesetze gegen Einzelpersonen im Unternehmensumfeld ist im Moment allerdings eher zurückhaltend. Der amerikanischen Staatsanwaltschaft gilt insbesondere seit der Finanzkrise des Jahres 2008 enorme Kritik für die 1 Harry First, Business Crime and the Public Interest: Lawyers, Legislators and the Administrative State, 2 University of California Irvine Law Review 871 (2012), S. 881; Ellen S. Podgor, Overcriminalization: New Approaches to a Growing Problem, 102 Journal of Criminal Law & Criminology 529 (2013); Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 32; John C. Coffee, From Tort to Crime: Some Reflections on the Criminalization of Fiduciary Breaches and the Problematic Line Between Law and Ethics, 19 American Criminal Law Review 117 (1981), S. 216, Fn. 94. s. auch Robert Quigley, The Impulse towards Individual Criminal Punishment after the Financial Crisis, 22 Virginia Journal of Social Policy & the Law 103 (2015), S. 156. Diese Zahl ist um so bemerkenswerter, da große Teile des Strafrechts primär in die Zuständigkeit der einzelnen Staaten, nicht des Federal Law fallen. Ein Straftatbestand muss also besondere verfassungsrechtliche Anforderungen erfüllen, um vom Federal Law überhaupt berührt werden zu können.
282
7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
geringe Zahl von Strafverfahren gegen die von der Öffentlichkeit als verantwortlich erachtete Einzelpersonen.2 Obwohl sie öffentlich immer wieder die besondere Priorität betont, die der Verfolgung von Individuen gelte,3 kommt es nur bei etwa einem Drittel der per Vergleich beigelegten Strafverfahren gegen Unternehmen4 auch zur Strafverfolgung von Einzelpersonen.5 Trotz der hohen Haftstrafen, die viele der einschlägigen Gesetze vorsehen, werden weniger als die Hälfte dieser Personen zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.6 Als einer der wichtigsten Gründe hierfür gilt der verhältnismäßig sehr viel höhere Aufwand, den die Strafverfolgung einer Einzelperson in diesem Zusammenhang für die Staatsanwaltschaft bedeutet, da sie für viele Straftatbestände anhand voluminöser und komplexer Dokumentation von internen Unternehmensvorgängen den Beweis für das Wissen oder sogar den Vorsatz des Beschuldigten antreten muss.7 Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass eine Einzelperson im Unternehmensumfeld eine Haftstrafe unter allen Umständen vermeiden wollen wird und sich gegen die Vorwürfe (auch angesichts der schwierigen Beweisführung der Staatsanwaltschaft) entsprechend rigoros verteidigen wird.8 Unternehmen hingegen ziehen es in aller 2 s. z. B. Rakoff, Why Have No Executives Been Prosecuted?, NY Rev. Books (2014); Todd Haugh, The Most Senior Wall Street Official: Evaluating the State of Financial Crisis Prosecutions, 9 Virginia Law & Business Review 153 (2015); Melanie Gray/Vanessa Chandis/ Kristen M. Echemendia, Striking the Right Balance: Public Versus Private Enforcement Laws – What Will We Learn from this Financial Meltdown?, 60 Syracuse Law Review 449 (2010); Andrew Chinsky, How Can We Smartly Fight Financial Crimes?, 8 Harvard Law and Policy Review Online 12 (2014); David Zaring, Litigating the Financial Crisis, 100 Virginia Law Review 1495 (2014); Quigley, Impulse towards Individual Criminal Punishment, 22 Va. J. Soc. P. 103 (2015), S. 128 ff. Aber vgl. auch Daniel C. Richman, Corporate Headhunting, 8 Harvard Law and Policy Review 265 (2014); Quigley, Impulse towards Individual Criminal Punishment, 22 Va. J. Soc. P. 103 (2015); Michael Klausner/Jason Hegland, SEC Practice In Targeting and Penalizing Individual Defendants, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (3. September 2013); Edward Greene/Caroline Odorski, SEC Enforcement in the Financial Sector: Addressing Post-Crisis Criticism, 16 Business Law International 5 (2015). 3 s. z. B. Sally Quillian Yates (Deputy Attorney General), Memorandum: Individual Accountability for Corporate Wrongdoing, U.S. Department of Justice (2015); Eric H. Holder (U.S. Attorney General), Remarks on Financial Fraud Prosecutions, New York University School of Law, New York, NY (17. September 2014); Marshall L. Miller (Principal Deputy Assistant Attorney General, Criminal Division, U.S. Department Of Justice), Remarks at the Global Investigation Review Program, New York, NY (17. September 2014). 4 Zum Unternehmensstrafrecht in den USA s. infra, Entity Liability (S. 293). 5 s. z. B. Brandon L. Garrett, The Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Virginia Law Review 1987 (2015), S. 1802 ff. 6 Garrett, Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Va. L. Rev. 1987 (2015), S. 1802 ff. 7 s. z. B. Haugh, Most Senior Wall Street Official, 9 Va. L. & Bus. Rev. 153 (2015), S. 159. Vgl. auch z. B. Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 272 ff. 8 Vgl. z. B. Garrett, Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Va. L. Rev. 1987 (2015), S. 1805 ff.; Ezekiel K. Rediker, The Foreign Corrupt Practices Act: Judicial Review, Jurisdiction, and the „Culture of Settlement“, 53 Seton Hall Legislative Journal (2015), S. 81 f. Dies gilt spezifisch im Bereich der unternehmensverbundenen Straftaten, insgesamt ist sonst auch im
7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
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Regel vor, möglichst schnell eine Einigung zu finden, um die Kosten der Ermittlungen und den durch sie verursachten Schaden gering zu halten.9 Doch verdeutlicht die nicht nachlassende Kritik in Schrifttum und Presse an der mangelnden Verfolgung Einzelner, sowie der Konflikt zwischen der staatsanwaltlichen Rhetorik und den tatsächlichen Tendenzen in der Strafverfolgung, dass die richtige Balance wahrscheinlich noch nicht gefunden ist. Wie im Folgenden beschrieben, setzt die amerikanische Staatsanwaltschaft das Unternehmensstrafrecht aktiv und bewusst als Instrument zur Verbesserung von Corporate Governance ein.10 Dabei darf, wie im Weiteren untersucht, das Potential, das die Strafverfolgung von Directors und Officers als solches Instrument birgt, nicht vernachlässigt werden. Denn sie allein können die Unternehmenskultur nachhaltig formen, die, wie immer wieder belegt und zunehmend anerkannt, einen ausschlaggebenden Einfluss auf die Häufigkeit von unternehmensbezogenen Rechtsverstößen hat.11 Eine Unternehmenskultur, die Compliance und rechtstreues Handeln wertschätzt und als Bedingung für Erfolg achtet, vermittelt und festigt die Normen und moralischen Standards,
Individualstrafrecht der Anteil der per Plea Bargain beigelegten Verfahren enorm hoch. U.S. Sentencing Commission, Guilty Plea and Trial Rates, Interactive Sourcebook Of Federal Sentencing Statistics (2015). s. auch Garrett, Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Va. L. Rev. 1987 (2015), S. 1805; Albert W. Alschuler, Implementing the Criminal Defendant’s Right to Trial: Alternatives to the Plea Bargaining System, 50 University of Chicago Law Review 931 (1983); Ronald Wright/Marc Miller, The Screening/Bargaining Tradeoff, 55 Stanford Law Review 29 (2002). Als weiteren Grund für das spezifische Ausbleiben von Strafverfolgungen Einzelner im Zusammenhang mit der Finanzkrise identifiziert Judge Rakoff die größere Attraktivität der Ahndung der „Ponzi schemes“ und der Fälle von Insider Trading, die um die Zeit der Finanzkrise bekannt wurden, da diese der Staatsanwaltschaft die Beweisführung leichter und die Verurteilung sicherer machen. Verschärft sieht Radoff diese Situation durch die Umverteilung vieler Ressourcen der Ermittlungsbehörden zu Gunsten der Terrorismusbekämpfung seit dem Jahr 2001. Rakoff, Why Have No Executives Been Prosecuted?, NY Rev. Books (2014), S. 5. 9 s. z. B. Rakoff, Why Have No Executives Been Prosecuted?, NY Rev. Books (2014), S. 8; Cindy R. Alexander/Mark A. Cohen, The Evolution of Corporate Criminal Settlements: An Empirical Perspective on Non-Prosecution, Deferred Prosecution, and Plea Agreements, 52 American Criminal Law Review 537 (2015), S. 543 f. Zu den nicht-finanziellen Kosten gehören beispielsweise Reputationsschäden, aber auch das Risiko, dass die Staatsanwaltschaft im Zuge längerer Ermittlungen Zugang zu belastenden Materialien erhält, die andernfalls möglicherweise nicht angefordert worden wären. 10 s. insb. infra, Folgen der Entity Liability für natürliche Personen (S. 301). 11 s. z. B. John Braithwaite, Crime, Shame and Reintegration (1989), S. 54 ff.; Sally S. Simpson/Carole Gibbs/Melissa Rorie/Lee Ann Slocum/Mark A. Cohen/Michael Vandenbergh, An Empirical Assessment of Corporate Environmental Crime-Control Strategies, 103 Journal of Criminal Law & Criminology 231 (2013), S. 238; Mei Feng/Weili Ge/Shuqing Luo/ Terry Shevlin, Why do CFOs Become Involved in Material Accounting Manipulations?, Journal of Accounting and Economics (2011). Vgl. auch Robert A. Prentice, Beyond Temporal Explanations of Corporate Crime, 1 Virginia Journal of Criminal Law 397 (2013), S. 401 ff.; Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 276; Haugh, Most Senior Wall Street Official, 9 Va. L. & Bus. Rev. 153 (2015), S. 181.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
die Kriminalität zuverlässig reduzieren.12 Verstöße werden für den Einzelnen unattraktiv, wenn sie von seinem Umfeld nicht geduldet, sondern als negativ oder sogar schädlich betrachtet und entsprechend aufgedeckt werden.13 Durch die Schaffung von Vergütungssystemen und die Definition von Umsatzzielen, die ohne Rechtsverstöße realistisch zu erreichen sind, kann die Wahrscheinlichkeit von Rechtsverstößen messbar gesenkt werden.14 Diese Hierarchie der Prioritäten muss von Directors und Officers in das Unternehmen weitergegeben werden,15 denn sie sind für die konkreten Maßnahmen und Rahmenbedingungen verantwortlich, die Anreize zu Rechtsverstößen schaffen oder vermeiden können. Vor allem sind sie aber in der Lage, durch die Betonung und das Vorleben ethischer und moralischer Prinzipien eine Unternehmensnorm zu schaffen, die Rechtsverstöße verstärkt in ein Tabu verwandelt. Um diesen Einsatz von Seiten der Directors und Officers sicherzustellen, kann der Gesetzgeber durch die gezielte Anwendung des Strafrechts Anreize schaffen, die zu einer rechtskonformen Unternehmenskultur führen. Da das Strafrecht hier nur unter dem Aspekt der Corporate Governance betrachtet wird, werden nur einige grundsätzliche Straftatbestände untersucht, die einen regelnden Einfluss auf die Unternehmensaufsicht und -führung haben sollen. Dabei wird deutlich, dass das Strafrecht in der Corporate Governance vor allem als Mittel zur Generalprävention eingesetzt wird, das Directors und Officers zur Verhinderung von Schaden motivieren soll, den oft nur sie zu verhindern in der Lage sind.16 12 s. z. B. John Braithwaite, Shame and criminal justice, 42 Canadian Journal of Criminology 281 (2000); Larry D. Thompson, The Blameless Corporation, 46 American Criminal Law Review 1323 (2009), S. 1327; Brent Snyder (Deputy Assistant Attorney General, Antitrust Division, U.S. Department Of Justice), Compliance is a Culture, Not Just a Policy, Rede, International Chamber of Commerce/United States Council of International Business Joint Antitrust Compliance Workshop (9. September 2014); Murdock, Hero or Villain, 39 Loy. U. Chi. L.J. 525 (2008), S. 552. 13 Eine Studie zum Umweltstrafrecht aus dem Jahr 2013 zeigte wieder, dass verpflichtendes Ethiktraining für Angestellte ihre Bereitschaft, Rechtsverstöße zu begehen, senken kann. Auch ein hohes Aufdeckungsrisiko und die Sanktionierung anderer Angestellter für ähnliches Verhalten wirkten hemmend. Verspricht sich der Angestellte allerdings berufliche Vorteile, so steigt die Bereitschaft wieder. Simpson, Empirical Assessment, 103 J. Crim. L. & Criminology 231 (2013), S. 257. Vgl. auch U.S. Department Of Justice, Securities And Exchange Commission, A Resource Guide to the U.S. Foreign Corrupt Practices Act (14. November 2012), S. 57. 14 Simpson, Empirical Assessment, 103 J. Crim. L. & Criminology 231 (2013), S. 261. 15 s. z. B. Simpson, Empirical Assessment, 103 J. Crim. L. & Criminology 231 (2013), S. 244; John Braithwaite, White-Collar Crime, Competition, and Capitalism: Comment on Coleman, 94 The American Journal of Sociology 627 (1988), S. 630; DOJ & SEC, FCPA Resource Guide (14. November 2012), S. 57 ff. 16 s. z. B. Darryl K. Brown, Street Crime, Corporate Crime, and the Contingency of Criminal Liability, 149 University of Pennsylvania Law Review 1295 (2001), S. 1296; Amy Deen Westbrook, Enthusiastic Enforcement, Informal Legislation: The Unruly Expansion of the Foreign Corrupt Practices Act, 45 Georgia Law Review 489 (2011), S. 526.
A. Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts
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Zahlreiche der dabei als Straftaten erachteten Handlungen erlangen ihre Strafwürdigkeit nicht allein durch ihre eigene Schwere oder moralische Verwerflichkeit, sondern vor allem durch die exponentiell größeren Möglichkeiten und Schadenspotentiale, die die zu bestrafenden Handlungen durch die Rechtspersönlichkeit der Corporation erhalten. Die Steuerung des Verhaltens von Directors und Officers steht daher im Vordergrund. Entsprechend orientiert sich dieser Teil weniger an der Dogmatik der Straftatbestände als an dem Verhalten, das sie verhindern bzw. fördern sollen. Nach einem kurzen Überblick über die relevanten Mechanismen des amerikanischen Strafrechts folgt hier daher eine Betrachtung von Rechtsinstituten und Straftatbeständen, deren Verfolgung dem Drittschutz dienen soll, indem sie insbesondere die Officers einer Corporation zu größerer Sorgfalt bei der Überwachung von Vorgängen innerhalb des Unternehmens inzentivieren. Diese Strategien werden verglichen mit den zivil-, bußgeld- und strafrechtlichen Mechanismen der Organhaftung, die in Deutschland zum Drittschutz verwendet werden. Anschließend wird die strafrechtliche Verfolgung von treuwidrigem Verhalten in Form des Honest Services Fraud in den USA und der Untreue gemäß § 266 StGB erläutert, für das im Zivilrecht zum Teil keine ausreichenden Ahndungsmöglichkeiten bestehen.17 Auf amerikanischer Seite wird hier nur das Strafrecht des Federal Law betrachtet, sowohl aufgrund seiner besonderen Bedeutung für das Wirtschaftsrecht und der hervorgehobenen Rolle der US-Strafverfolgungsbehörden im amerikanischen Wirtschaftsleben, als auch aufgrund der großen Vielfalt im Strafrecht der Einzelstaaten, der hier keine Rechnung getragen werden könnte. Die Strafverfolgungsbehörden einiger Staaten, beispielsweise die des Staates New York, können dennoch eine enorme Rolle für Unternehmen spielen und sind auch für einige wegweisende strafrechtliche Ermittlungen, Aufklärungen und Verbesserungen der Corporate Governance der letzten Jahre verantwortlich.18
A. Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts Wie auch in der zivil- und verwaltungsrechtlich durchgesetzten Corporate Governance Haftung sind für die Haftungs- bzw. Sanktionierungsrealität der Directors und Officers nicht nur die Pflichten und Verbote, sondern auch die straf- und prozessrechtlichen Rahmenbedingungen ausschlaggebend. Diese werden im Folgenden erläutert, beginnend mit einem Überblick über die behördlichen Zuständigkeiten und Strukturen. Darauf folgt eine kurze Einführung in die Strafbarkeit von 17
s. infra, Honest Services Fraud und Untreue als Ersatz für fehlende zivilrechtliche Klagemöglichkeiten (S. 443). 18 Vgl. z. B. Renee M. Jones, Dynamic Federalism: Competition, Cooperation and Securities Enforcement, 11 Connecticut Insurance Law Journal 107 (2005).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Corporation, eine Besonderheit des amerikanischen Strafrechts im Vergleich zu Deutschland, die für die strafrechtliche Verfolgung von Directors und Officers im Zusammenhang mit Corporate Governance von großer Bedeutung ist.
I. Die Rolle der Staatsanwaltschaft Strafrechtliche Verfahren auf Federal Ebene werden durch das U.S. Department of Justice (DOJ) eingeleitet und geführt.19 Das DOJ fungiert also nicht nur als Ministerium der Justiz sondern auch als Staatsanwaltschaft der USA und ist für alle Strafverfolgungen unter Federal Law zuständig. Der U.S. Attorney General ist nicht nur der Minister der Justiz, sondern auch der oberste Staatsanwalt der Nation.20 Die Strafverfolgung erfolgt zum einen durch regionale Dependancen, die über das ganze Land verteilt sind und deren Staatsanwälte mit Federal Kompetenz jeweils von einem sogenannten U.S. Attorney geleitet werden, ernannt vom Präsidenten.21 Zum anderen erfolgt sie durch oder unter Beteiligung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die ihren Sitz im DOJ in Washington haben und sich auf bestimmte Straftaten thematisch, also Geographie-übergreifend spezialisiert haben (z. B. die auf Kartellrecht spezialisierte Antitrust Division oder die steuerrechtliche Tax Division). Anklage können nur das Department of Justice und seine U.S. Attorneys erheben, bzw. von einer „grand jury“ beantragen.22 Doch Ermittlungen, insbesondere im Bereich der Wirtschaftskriminalität, laufen häufig über andere Behörden, wie die SEC oder die IRS, die über die spezifische Expertise zur Entdeckung und Untersuchung bestimmter Straftaten verfügen.23 Ermittlungen werden sowohl vom DOJ an 19
Act to Establish the Department of Justice, ch. 150, § 1, 16 Stat. 162 (1870). Das DOJ ist nicht nur die höchste Staatsanwaltschaft des Landes, sondern auch das Justizministerium und die zivilrechtliche Vertretung der USA. Sein Verantwortlichkeitsbereich erstreckt sich über zahlreiche einzelne Organisationen, die staatliche Kernaufgaben wahrnehmen, wie das gesamte nationale Gefängniswesen (jeder Staat verfügt parallel über sein eigenes), die Drug Enforcement Administration (DEA) oder das Federal Bureau of Investigation (FBI), bis hin zu spezifischen Förderprogrammen und politischen Initiativen wie dem „Office on Violence Against Women“ oder dem „Community Relations Service“. Einen Überblick bietet: U.S. Department of Justice, Agencies. 21 Das Wort „Staatsanwalt“ ist hier nicht als Einschränkung auf das Strafrecht zu lesen, denn die U.S. Attorneys vertreten die USA auch in zivilrechtlichen Prozessen. 22 s. z. B. Joan E. Jacoby/Edward C. Ratledge, The Power of the Prosecutor: Gatekeepers of the Criminal Justice System (2016), S. 61 ff.; Ronald Jay Allen/William J. Stuntz/Joseph L. Hoffman/Debra A. Livingston/Andrew D. Leipold, Comprehensive Criminal Procedure (2011), S. 989 ff. s. auch z. B. Charles E. Whitebread/Christopher Slobogin, Criminal Procedure – An Analysis of Cases and Concepts (2015), 489 ff.; Roger Anthony Fairfax Jr. (Hrsg.), Grand Jury 2.0 – Modern Perspectives on the Grand Jury, Carolina Academic Press (2011); Kenneth W. Starr, Truth and Truth-Telling, 30 Texas Tech Law Review 901 (1999), S. 903 ff. 23 s. z. B. Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 546. Anders als andere spezialisierte Ermittlungs- und Vollzugsbehörden, die dem DOJ unterstehen, wie das FBI und die DEA, haben Federal Agencies wie die SEC und 20
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die jeweiligen Behörden weitergegeben, als auch umgekehrt,24 häufig mit dem Effekt, dass in der gleichen Sache nicht nur ein Strafverfahren, sondern auch zivil- und verwaltungsrechtliche Verfahren zur gleichen Zeit angestrengt werden. Diese Mehrgleisigkeit birgt besondere Herausforderungen und Gefahren für die Beschuldigten, da für die verschiedenen Verfahren unterschiedliche und zum Teil widersprüchliche prozessrechtliche Rahmenbedingungen gelten. So muss beispielsweise eine zivilrechtlich klagende Behörde für eine Verurteilung lediglich beweisen, dass die Schuld des Beklagten wahrscheinlicher ist als seine Unschuld (der in Zivilprozessen meistens geltende „more likely than not“ oder „preponderance of the evidence“ Standard), während ein strafrechtlich Angeklagter erst dann verurteilt werden kann, wenn seine Schuld über alle vertretbaren Zweifel hinaus bewiesen ist („beyond a reasonable doubt“).25 Dies führt dazu, dass die selben Tatsachen zu einem Freispruch im Strafverfahren, aber einer Verurteilung im Zivilprozess führen können.26 Doch kann die Kombination der zwei Verfahren auch konkrete, negative Auswirkungen für den Beschuldigten und Beklagten haben. So darf es in einem Strafprozess zum Beispiel keine Auswirkungen auf die Beurteilung der Schuld haben, wenn ein Angeklagter sein Aussageverweigerungsrecht in Anspruch nimmt.27 In einem Zivilprozess hingegen kann dies als belastendes Indiz gewertet werden.28 Ein Beschuldigter, der diesen Nachteil vermeiden will und in einem Zivilprozess aussagt, hat damit das Grundrecht der Aussageverweigerung auch in einem Strafprozess zum gleichen Sachverhalt verwirkt und muss sich dort nun auch anderen Fragen stellen.29 Amerikanische Staatsanwälte stehen häufig in der Kritik, Beschuldigte und Verurteilungen mit zu großem Nachdruck und ohne das erforderliche Augenmaß zu die IRS zwar besondere Ermittlungsrechte als Exekutivorgane, haben aber keine Strafverfolgungskompetenzen. s. z. B. Elizabeth Drews, Agency Investigations and Enforcement Proceedings, 12 Texas Tech Administrative Law Journal 91 (2010), S. 93. 24 s. z. B. 15 U.S.C. § 78u(d). 25 In re Winship, 397 U.S. 358 (1970). Vgl. auch United States v. Taylor, 464 F.2d 240 (2d Cir. 1972), S. 242; United States v. Stewart, Opinion (partial verdict), 03 Cr. 717 (MGC) (S.D.N.Y., 27. February 2004); J. P. McBaine, Burden of Proof: Degrees of Belief, 32 California Law Review 242 (1944), S. 245 f. 26 Das wahrscheinlich berühmteste Beispiel dieses Prinzips sind die Verfahren gegen den American Football Star und Schauspieler O.J. Simpson, der zwar im Jahr 1995 in einem Strafprozess vor einer Jury des Mordes an seiner geschiedenen Frau und deren Freund für nicht schuldig befunden wurde, aber anschließend zu einer Zahlung von über $ 33,5 Millionen an deren Familien verurteilt wurde, nachdem ihn ein Zivilgericht dennoch für ihren Tod haftbar gemacht hatte – seine Schuld hatte zwar nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden können, doch hielt die Jury des Zivilgerichts sie für wahrscheinlicher als seine Unschuld. Jacoby, Ratledge, Power of the Prosecutor (2016), S. 171 ff.; Drummond Ayres Jr., Jury Decides Simpson Must Pay $ 25 Million in Punitive Award, The New York Times (11. Februar 1997). 27 Griffin v. California, 380 U.S. 609 (1965). 28 Baxter v. Palmigiano, 425 U.S. 308 (1976), S. 318. 29 Baxter, 425 U.S. 308 (1976), S. 316 ff. Vgl. z. B. auch Richard L. Scheff/Scott A. Coffina/ Jill Baisinger, Taking the Fifth in Civil Litigation, 29 Litigation 34 (2002).
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verfolgen, um Verurteilungen zu erreichen und die Klärung des Schuldvorwurfs dabei aus den Augen zu verlieren.30 Dieses Bild entspricht nicht dem Ideal des Vertreters des Volkes, dem der Staatsanwalt entsprechen sollte, so der U.S. Supreme Court, als „servant of the law, the twofold aim of which is that guilt shall not escape or innocence suffer.“31 Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung sollte es nicht das Ziel des Staatsanwalts sein, Prozesse zu „gewinnen“, sondern der Gerechtigkeit zu dienen.32 Dennoch werden Verurteilungen unter Staatsanwälten häufig mit „Siegen“ gleichgesetzt und entsprechend ambitioniert verfolgt.33 Hierzu trägt auch der dialogische („adversarial“) Aspekt des amerikanischen Rechtssystems bei, der auch im Strafprozess die zwei Parteien, also Staatsanwaltschaft und Angeklagten, als Gegner betrachtet, deren Streit von einem (neutralen) Richter begleitet wird.34 Dieser ist lediglich für die Einhaltung der Prozessordnung 30 s. z. B. Daniel S. Medwed, The Prosecutor as Minister of Justice: Preaching to the Unconverted from the Post-Conviction Pulpit, 84 Washington Law Review 37 (2009), S. 38 ff.; Daniel S. Medwed, Prosecution Complex: America’s Race to Convict and its Impact on the Innocent (2012), S. 123 ff.; Jacoby/Ratledge, Power of the Prosecutor (2016). Vgl. auch Marvin E. Frankel, The Search for Truth: An Umpireal View, 123 University of Pennsylvania Law Review 1031 (1975), S. 1039 („It is worth stressing, therefore, that the gladiator using the weapons in the courtroom is not primarily crusading after truth, but seeking to win.“ Judge Frankel bezieht sich dabei auf Anwälte beider Seiten.) 31 Berger v. United States, 295 U.S. 78 (1935), S. 88. Vgl. auch American Bar Association, Rule 3.8: Special Responsibilities Of A Prosecutor, Model Rules Of Professional Conduct (2013); Medwed, Prosecutor as Minister of Justice, 84 Wash. L. Rev. 37 (2009), S. 42. 32 „The United States wins its point whenever justice is done its citizens in the courts.“ Inschrift am Gebäude des DOJ, zitiert u. a. in Brady v. Maryland, 373 U.S. 83 (1963), S. 87. Vgl. auch Berger, 295 U.S. 78 (1935), S. 88 („[…] whose interest, therefore, in a criminal prosecution is not that it shall win a case, but that justice shall be done.“); United States v. Agurs, 427 U.S. 97 (1976), S. 110 f.; Connick v. Thompson, 563 U.S. 51 (2011), S. 71; United States v. Maloney, 755 F.3d 1044 (9th Cir. 2014). 33 Catherine Ferguson-Gilbert, It is Not Whether You Win or Lose, It is How You Play the Game: Is the Win-Loss Scorekeeping Mentality Doing Justice for Prosecutors?, 38 California Western Law Review 283 (2001), S. 293; Judith Goldberg/David M. Siegel, The Ethical Obligations of Prosecutors in Cases Involving Postconviction Claims of Innocence, 38 California Western Law Review 389 (2002), S. 409; Medwed, Prosecutor as Minister of Justice, 84 Wash. L. Rev. 37 (2009), S. 46; Samuel J. Levine, Judicial Rhetoric and Lawyers’ Roles, 90 Notre Dame Law Review 1989 (2015), S. 1992. Zu beachten ist hier auch die Rolle, die Wähler im Leben eines amerikanischen Staatsanwalts spielen können, da insbesondere die Rolle des U.S. Attorney als Sprungbrett für eine weitere politische Laufbahn dienen kann. Vgl. z. B. John W. Suthers, No Higher Calling, No Greater Responsibility – A Prosecutor Makes His Case (2008), S. 123 ff. In fast allen Staaten werden die leitenden Staatsanwälte sogar direkt vom Volk gewählt. Vgl. z. B. Jacoby/Ratledge, Power of the Prosecutor (2016), S. 2; Ronald Wright, How Prosecutor Elections Fail Us, 6 Ohio State Journal of Criminal Law 581 (2009), S. 589; Michael J. Ellis, The Origins of the Elected Prosecutor, 121 The Yale Law Journal 1528 (2012). Eine hohe Zahl von Verurteilungen ist im Wahlkampf leicht als hohe Erfolgsquote zu vermarkten. 34 s. z. B. Gerard E. Lynch, Our Administrative System of Criminal Justice, 66 Fordham Law Review 2117 (1998); Marvin E. Frankel, The Adversary Judge, 54 Texas Law Review 465 (1976). Vgl. auch z. B. Escobedo v. Illinois, 378 U.S. 478 (1964), S. 490; Michigan v. Tucker, 417 U.S. 433 (1974), S. 455, Fn. 2; United States v. Ash, 413 U.S. 300 (1973), S. 308.
A. Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts
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und die Verwaltung des Prozesses verantwortlich, nicht aber für die Wahrheitsermittlung.35 Dem Richter oder einer Jury obliegt zwar die Feststellung von Tatsachen, doch ist diese in enge prozessrechtliche Grenzen gefasst, die einen Blick über die vorgetragenen Indizien, Beweise und Theorien hinaus grundsätzlich nicht zulässt.36 Da die Wahrheitsfindung für den Staatsanwalt bei Erhebung der Anklage bereits abgeschlossen sein und er nicht nur überzeugt sein sollte, dass der Angeklagte die betreffende Straftat schuldhaft begangen hat, sondern auch, dass er dies vor Gericht durch den Vortrag von Tatsachen beweisen können wird, ist eine entsprechend energische Strafverfolgung die Norm.37 Dabei haben U.S. Attorneys auch in der Frage, welche Vorwürfe sie unter welchen Bedingungen zur Anklage bringen, beilegen oder fallen lassen einen großen Ermessensspielraum.38 Dieses Ermessen, das dem Staatsanwalt eine besondere 35
Vgl. z. B. William W. Schwarzer, The Trial Judge’s Role, 9 The Brief 15 (1980), S. 16; Elizabeth Thornburg, The Managerial Judge Goes to Trial, 44 University of Richmond Law Review 1261 (2010). Im Gegensatz zum Untersuchungsgrundsatz gem. § 244 Abs. 2 StPO. Vgl. auch Volker Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur (2008), S. 7 ff. & S. 14 ff.; Halberstam, American Advantage in Civil Procedure, 48 Conn. L. Rev. 817 (2016), S. 828 (Unterschiede im zivilrechtlichen Zusammenhang). 36 Vgl. z. B. Frankel, Adversary Judge, 54 Texas L. Rev. 465 (1976); Bruce L. Hay/Kathryn E. Spier, Burdens of Proof in Civil Litigation: An Economic Perspective, 26 The Journal of Legal Studies 413 (1997), S. 414 f. Vgl. auch Richard E. Myers, Adversarial Counsel in an Inquisitorial System, 37 North Carolina Journal of International Law and Commercial Regulation 411 (2012); Nathan M. Crystal, Limitations on Zealous Representation in an Adversarial System, 32 Wake Forest Law Review 671 (1997), S. 713 ff. (zur Abwägung zwischen der Wahrheitsfindung und der Wahrung von verfassungsrechtlich garantierten Prozessrechten). 37 U.S. Department Of Justice, 9-27.220 – Grounds for Commencing or Declining Prosecution, U.S. Attorneys’ Manual (2008). Zur umstrittenen Einordnung des Staatsanwalts zwischen Strafverfolgung und Wahrheitsfindung, s. z. B. Haas, Strafbegriff (2008), S. 11 ff. 38 Vgl. Eric H. Holder (U.S. Attorney General), Memorandum to All Federal Prosecutors: Department Policy on Charging and Sentencing, U.S. Department of Justice (2010) („Decisions about whether to initiate charges, what charges and enhancements to pursue, when to accept a negotiated plea, and how to advocate at sentencing, are among the most fundamental duties of Federal prosecutors.“) Das Ermessen der Staatsanwälte wird durch Richtlinien aus dem Department of Justice sowie durch das U.S. Attorneys Manual bestimmt. Zwar müssen Anklagen für bestimmte schwere Straftaten auf Antrag der Staatsanwaltschaft noch in einem Vorverfahren durch eine sogenannte „grand jury“ genehmigt werden (U.S. Const., amend. V), doch bevorteilt die Prozessordnung für Grand Jury Verfahren die Staatsanwaltschaft so enorm, dass die Grand Jury in aller Regel kein ernstzunehmendes Hindernis bedeutet. s. z. B. Andrew D. Leipold, Why Grand Juries Do Not (and Cannot) Protect the Accused, 80 Cornell Law Review 260 (1995); Lynch, Our Administrative System, 66 Fordham L. Rev. 2117 (1998), S. 2124 f.; R. Michael Cassidy, Toward a More Independent Grand Jury: Recasting and Enforcing the Prosecutor’s Duty to Disclose Exculpatory Evidence, 13 Georgetown Journal of Legal Ethics 361 (2000); David M. Uhlmann, Deferred Prosecution and Non-Prosecution Agreements and the Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Maryland Law Review 1295 (2013), S. 1341. Vgl. auch z. B. First, Business Crime and the Public Interest, 2 U.C. Irvine L. Rev. 871 (2012), S. 878 ff. Vgl. auch Andrew D. Leipold, Prosecutorial Charging Practices and Grand Jury Screening: Some Empirical Observations, in: Roger Anthony Fairfax Jr. (Hrsg.), Grand Jury 2.0 – Modern Perspectives on the Grand Jury (2011), S. 195 ff.; Roger Anthony Fairfax Jr., Remaking the
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Machtposition im Justizsystem beschert,39 erhält besondere Bedeutung bei Ermittlungen gegen komplexe Organisationen, seien sie legitime Unternehmen oder kriminelle Strukturen, da es den Staatsanwälten ein breites Arsenal an ernsthaften Drohungen bzw. Versprechungen eröffnet, um wenigstens einige der oft sehr zahlreichen beteiligten Personen zur Kooperation zu motivieren.40 Richtlinien des DOJ legen Staatsanwälten zwar nahe, bei ihren Entscheidungen zur Anklageerhebung auch die Gerechtigkeit in Betracht zu ziehen.41 Doch greifen Staatsanwälte insbesondere bei Ermittlungen im Rahmen von Wirtschaftskriminalität in der Praxis häufig auf die Androhung der Anklage zurück, um Aussagen und Preisgabe von Informationen zu erreichen, da sie in komplexen Organisationen, in denen Fehlverhalten aus der Außensicht häufig schlecht von legitimen Geschäftspraxen zu unterscheiden ist, auf eine Offenlegung der Hintergründe in besonders hohem Maße angewiesen sind.42 Sie bedienen sich hierfür auch einer Palette weit gefasster Betrugsstraftatbestände wie „mail fraud“ und „wire fraud“43 oder sekundärer Straftatbestände wie Behinderung der Justiz („obstruction of justice“)44 oder Verschwörung („conspiracy“).45 Diese Hilfsstraftatbestände können unabhängig von den Haupttatbeständen bestehen
Grand Jury, in: Roger Anthony Fairfax Jr. (Hrsg.), Grand Jury 2.0 – Modern Perspectives on the Grand Jury (2011), S. 323 ff.; Wright, Prosecutor Elections, 6 Ohio St. J. Crim. L. 581 (2009), S. 587. 39 s. z. B. Angela J. Davis, Arbitrary Justice: The Power of the American Prosecutor (2009); Michelle Alexander, The New Jim Crow: Mass Incarceration in the Age of Colorblindness (2010), S. 115, für eine eingehende Erklärung der besonderen Machtstellung des Staatsanwalts (hier im Zusammenhang mit Drogendelikten). Vgl. auch Erik Paulsen, Imposing Limits on Prosecutorial Discretion in Corporate Prosecution Agreements, 82 New York University Law Review 1434 (2007), S. 1454 ff.; Wright, Prosecutor Elections, 6 Ohio St. J. Crim. L. 581 (2009), S. 587; John A. Rapping, Who’s Guarding the Henhouse? How the American Prosecutor Came to Devour Those He Is Sworn to Protect, 51 Washburn Law Journal 514 (2012). 40 s. infra, Folgen der Entity Liability für natürliche Personen (S. 301). 41 Holder, Memorandum (2010). Dieses Memorandum stellte eine Neuorientierung dar im Vergleich zu den Vorgaben unter John Ashcroft, Holders Vorgänger, der den U.S. Attorneys aufgab, in jedem Fall die schwerste Tat zur Anklage zu bringen, die bewiesen werden konnte. Eric Tirschwell, „Holder Memorandum Presents New Opportunities for Defense Advocacy“, New York Law Journal, 16. Juni 2010, S. 4. 42 s. infra, Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 295). 43 18 U.S.C. §§ 1341 & 1343. Diese Normen stellen jede Absicht zum Betrug unter Strafe, wenn zu seiner Verwirklichung die Infrastruktur der Post (Mail Fraud) oder der Telekommunikation (Wire Fraud) im amerikanischen Inland benutzt wurde. s. auch Kyle Boynton/Anna Majestro, Mail and Wire Fraud, 53 American Criminal Law Review 1505 (2016). 44 18 U.S.C. §§ 1501 – 1521. s. auch Leigh Ainsworth/Joe Albano/Sean Coleman/Kelly Mcdonnell, Obstruction of Justice, 53 American Criminal Law Review 1551 (2016). 45 18 U.S.C. § 371 (Conspiracy to commit offense or to defraud United States). Weitere Verschwörungstatbestände bestehen verbunden mit den jeweiligen Hauptstraftaten. s. auch Connor Curtin/Rebecca English/Marissa Moshell, Federal Criminal Conspiracy, 53 American Criminal Law Review 1257 (2016).
A. Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts
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bleiben46 und sind mit schweren Strafen belegt.47 Sie umfassen dabei ein so breites Spektrum von Handlungen,48 dass eine erfolgreiche Beweisführung wahrscheinlich ist.49 Insbesondere Obstruction of Justice50 und Mail und Wire Fraud51 können dabei zu Anklagen in Fällen führen, in denen Ermittlungen keine ausreichenden Beweise für den zentralen untersuchten Tatbestand zu Tage gebracht haben. Strafverschärfend wirkt darüber hinaus „RICO“, ein Kapitel der amerikanischen Strafgesetze mit dem 46 Vgl. z. B. Salinas v. United States, 522 U.S. 52 (1997) (Verschwörung). Mail und Wire Fraud existieren als eigene Betrugstatbestände. Die verschiedenen Tatbestände der Behinderung der Justiz bedürfen keiner weiteren Straftat, sie ist insbesondere dann für die Staatsanwaltschaft von Interesse, wenn sie aufgrund der Behinderung die ursprünglich vermutete Straftat nicht mehr nachweisen kann. s. z. B. Arthur Andersen LLP v. United States, 544 U.S. 696 (2005); United States v. Stewart, 433 F.3d 273 (2d Cir. 2006), S. 280. 47 Das Höchststrafmaß für Mail und Wire Fraud umfasst eine Haftstrafe von zwanzig Jahren. 18 U.S.C. §§ 1341 & 1343. Obstruction of Justice kann je nach Sachverhalt ebenfalls eine Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren nach sich ziehen. s. z. B. 18 U.S.C. §§ 1512(c). Das Höchststrafmaß für Verschwörung richtet sich nach dem Höchststrafmaß des Hauptstraftatbestands. s. z. B. 18 U.S.C. § 371. 48 Vgl. z. B. United States v. von Barta, 635 F.2d 999 (2d Cir. 1980) („two seemingly limitless provisions“). Zum Beweis von Mail oder Wire Fraud muss neben der Nutzung der Post bzw. Telekommunikationskanäle keine tatsächliche Handlung stattgefunden haben. Pereira v. United States, 347 U.S. 1 (1954); Baders v. United States, 240 U.S. 391 (1916). Das Kapitel „Obstruction of Justice“ des U.S. Code umfasst 19 Kapitel, die jeweils zahlreiches Tatbestände als Obstruction of Justice definieren. 18 U.S.C. §§ 1501 – 1521. Der zweite Teil von § 1503 wird dabei aufgrund ihrer Breite als „omnibus provision“ bezeichnet. Vgl. Ainsworth, Obstruction of Justice, 53 Am. Crim. L. Rev. 1551 (2016), S. 1553. Den Verschwörungstatbestand beschrieb U.S. Supreme Court Justice Jackson einmal als „so vague that it almost defies definition.“ s. z. B. Krulewitch v. United States, 336 U.S. 440 (1949), S. 446. 49 Vgl. z. B. Susan R. Klein, Enhancing the Judicial Role in Criminal Plea and Sentence Bargaining, 84 Texas Law Review 2023 (2006), S. 2024. Ein Staatsanwalt nannte das Mail Fraud Gesetz einmal „our true love – we always come home to the virtues of [the mail fraud statute], with its simplicity, adaptability and comfortable familiarity“. Jed S. Rakoff, The Federal Mail Fraud Statute (Part I), 18 Duquesne Law Review 771 (1979), S. 771. Auch Verschwörung ist als „that darling of the modern prosecutor’s nursery“ bezeichnet worden. Harrison v. United States, 7 F.2d 259 (2d Cir. 1925), S. 263. Anders als bei der „Bildung krimineller Vereinigungen“ in Deutschland (§ 129 StGB) genügt dabei bereits die Verständigung zweier Personen, eine Straftat zu begehen, und ein einziger „overt act“, der der Richtung dieser Absprache folgt (wie z. B. ein einziger Telefonanruf), den der Gesetzgeber nicht einmal in allen Jurisdiktionen verlangt. Vgl. Pinkerton v. United States, 328 U.S. 640 (1946). 50 Eine solche Anklage wegen Obstruction of Justice hat Arthur Andersen LLP die Existenz gekostet, obwohl keine Beweise für eine Beteiligung der Gesellschaft am Bilanzbetrug bei Enron gefunden wurden. s. infra, Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 295). Vgl. auch Wendy Gerwick Couture, White Collar Crime’s Gray Area: The Anomal of Criminalizing Conduct Not Civilly Actionable, 72 Albany Law Review 1 (2009), S. 5. 51 Mail und Wire Fraud dient Staatsanwälten insbesondere gegen neue, von den bisherigen Gesetzen nicht vorgesehenen Arten des Betrugs als „first line of defense,“ da er durch ihre weit gefasste Sprache zahllose Aktivitäten einschließt, die zwar betrügerisch und intuitiv „kriminell“ sind, aber nicht gegen existierende Gesetze verstoßen. s. United States v. Maze, U.S. 395 (1974), S. 405, Sondervotum des Chief Justice Warren Burger. Vgl. auch Boynton/Majestro, Mail and Wire Fraud, 53 Am. Crim. L. Rev. 1505 (2016), S. 1505. Beide Normen verlangen den Beweis des Vorsatzes, wobei vorsätzliche Blindheit den subjektiven Tatbestand erfüllt. S. 1511 f.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Titel „Racketeer Influenced or Corrupt Organizations“,52 das mehrfaches strafbares Handeln mit Hilfe der Strukturen einer geschäftlichen Organisation (z. B. einer Corporation) zu einem eigenen Straftatbestand erklärt53 und mit schweren zusätzlichen Strafen belegt.54 Ursprünglich erdacht als Mittel gegen das organisierte Verbrechen, hat sich auch RICO zu einem „all-purpose prosecutorial tool“ entwickelt,55 das die Drohgewalt der Staatsanwälte deutlich stärkt. Angesichts dieser starken Position der Staatsanwaltschaft sind daher Durchsuchungsbefehle und die gefürchtete „Razzia“ mit ihrer hohen Öffentlichkeit in den USA häufig unnötig. Personen, insbesondere Unternehmen, die sich Ermittlungen gegenübersehen, ziehen es stattdessen häufig vor, schon zu einem frühen Zeitpunkt außergerichtliche Lösungen mit der Staatsanwaltschaft zu verhandeln, um eine möglichst vorteilhafte Einigung zu erzielen.56 Aufgrund der hohen potentiellen Kosten und Reputationsschäden sind Unternehmen, wie auch bei Shareholder Representative Actions, oft zu Einigungen besonders bereit, ohne dass ihre Schuld bewiesen oder auch nur eingehend untersucht worden wäre. Dieser Umstand wird verfassungsrechtlich kritisiert.57 Das Schrifttum spricht zum Teil von einem „administrative“, also verwaltungsrechtlichen, System der Strafverfolgung,58 in dem sich Staatsanwalt und Angeklagter nicht auf Augenhöhe vor Gericht gegenüber52
18 U.S.C. §§ 1961 – 1968. Es müssen dafür zwei oder mehr bestimmte Straftaten mit Hilfe der Strukturen begangen worden („a pattern of racketeering activity“) oder durch kriminell erwirtschaftete Geldmittel finanziert worden sein. 18 U.S.C. § 1962(c) & (a). Die Handlungen können bis zu zehn Jahre auseinander liegen, müssen aber in Verbindung miteinander stehen und Teile „fortlaufender“ krimineller Aktivität sein („relationship plus continuity“). H. J. Inc. v. Northwestern Bell Telephone Co., 492 U.S. 229 (1989), S. 239. 54 Zusätzlich zu einer Haftstrafe von bis zu zwanzig Jahren werden die widerrechtlich getätigten Investitionen und sämtliche Erlöse aus den relevanten Straftaten beschlagnahmt. 18 U.S.C. § 1963(a). Außerdem eröffnet RICO Geschädigten die Möglichkeit einer zivilrechtlichen Klage, die unabhängig von einer strafrechtlichen Verfolgung zu Unterlassungsansprüchen und Schadensersatz in bis zu dreifacher Höhe des Schadens führen kann. 18 U.S.C. § 1964(c). Auch die Vereinigten Staaten selber können zusätzliche zivilrechtliche Klagen anstrengen. 18 U.S.C. § 1964(b). 55 Gerard E. Lynch, RICO: The Crime of Being a Criminal, 87 Columbia Law Review 661 (1987), S. 663. Judge Lynch bezeichnet RICO als eines der umstrittensten Strafgesetze der USA. S. 661. 56 Dies gilt sowohl für natürliche als auch für juristische Personen. s. z. B. Lynch, Our Administrative System, 66 Fordham L. Rev. 2117 (1998), S. 2121. s. insb. infra, Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 295). 57 s. z. B. Nancy Jean King, Priceless Process: Nonnegotioable Features of Criminal Litigation, 47 UCLA 113 (1999); Brandon L. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Virginia Law Review 853 (2007), S. 856; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1328; Wulf A. Kaal/Timothy A. Lacine, The Effect of Deferred and NonProsecution Agreements on Corporate Governance: Evidence from 1993 – 2013, 70 The Business Lawyer 61 (2015), S. 82 ff.; Mike Koehler, The Façade of FCPA Enforcement, 41 Georgetown Journal of International Law 907 (2010), S. 933 f. 58 s. z. B. Lynch, Our Administrative System, 66 Fordham L. Rev. 2117 (1998). 53
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stehen, sondern in dem die Beschuldigten sich freiwillig einer übermächtigen Staatsanwaltschaft ergeben ohne ihre zahlreichen in der Verfassung verankerten Rechte wahrzunehmen.59 Das DOJ und andere ermittelnde Behörden müssen den Nutzen dieser hohen Einigungsbereitschaft in Strafverfahren abwägen mit möglichen zivil- und verwaltungsrechtlichen Verfahren, die sich auf dieselben Vorgänge beziehen. Ein Strafverfahren bietet der Anklage zwar die weitesten Ermittlungsbefugnisse, doch hat es auf Grund der hohen Beweisanforderungen insbesondere für die subjektiven Tatbestände oft deutlich geringere Aussichten auf Erfolg. Zudem verspricht ein Strafverfahren im Vergleich zu anderen juristischen Optionen den geringsten Wiedergutmachungswert für Opfer und das größte Risiko für Kollateralschäden, wie z. B. die Insolvenz eines angeklagten Unternehmens.
II. Entity Liability Eine große Besonderheit des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts besteht aus deutscher Perspektive darin, dass Unternehmen in den USA selbst straffähig sind. Dieses Prinzip der „entity liability“ etablierte der U.S. Supreme Court im Jahr 1909 durch sein Urteil im Fall New York Central & Hudson River Railroad Co. v. United States60 mit der Begründung, dass insbesondere Vorsatz und Wissen auf den von außen in der Regel schwer nachvollziehbaren Entscheidungswegen innerhalb der Unternehmen nicht bewiesen und zu viele wirtschaftliche Straftaten somit nicht geahndet werden könnten, wenn die Strafbarkeit nicht auf Ebene des Unternehmens angesiedelt werden könnte.61 Unternehmen können seitdem für Fehlverhalten ihrer Angestellten oder Vertreter auch strafrechtlich belangt werden.62 Dies gilt selbst dann, wenn die strafbaren Handlungen gegen explizite Anweisungen von Vorgesetzten oder Weisungsbefugten verstoßen haben.63 Da die Sanktionierung somit auch einsetzen kann, wenn die 59
Klein, Enhancing the Judicial Role, 84 Tex. L. Rev. 2023 (2006), S. 2030. Aber s. auch Lynch, Our Administrative System, 66 Fordham L. Rev. 2117 (1998), S. 2123. s. auch supra, Administrative Proceedings der SEC (S. 267). 60 New York Central & Hudson River Railroad Co. v. United States, 212 U.S. 481 (1909). 61 New York Central, 212 U.S. 481 (1909), S. 495. Zu den normverstärkenden Effekten der Unternehmensstrafbarkeit, s. z. B. auch auch Gerald E. Lynch, The Role of Criminal Law in Policing Corporate Misconduct, 60 Journal of Law & Contemporary Problems 23 (1997), S. 50 f. 62 New York Central, 212 U.S. 481 (1909), S. 494. Vgl. z. B. auch Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), 877 f.; Knepper, Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 8.01; Thompson, Blameless Corporation, 46 Am. Crim. L. Rev. 1323 (2009), S. 1324. 63 United States v. Hilton Hotels Corp., 467 F.2d 1000 (9th Cir. 1972), S. 1007. Der Supreme Court hatte den Weg für dieses Urteil geebnet, indem er sich in New York Central auf den Grundsatz der Haftung für fremdes Verschulden (vicarious liability) gestützt hatte, die die
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Corporation ihre Pflichten zunächst erfüllt hat und nicht „schuldhaft“ gehandelt hat, liegt der Zweck der Entity Liability, wie auch der hier besprochenen Sanktionierung von Directors und Officers, somit vor allem in der Generalprävention, die zur tatsächlich wirksamen Verhinderung von Straftaten führen soll.64 Doch können Unternehmen Straftaten auch direkt begehen, ohne dass diese einer einzelnen handelnden Person zugeordnet werden können. Wenn ein Straftatbestand beispielsweise Wissen voraussetzt, aber die einzelnen handelnden Mitarbeiter jeweils nur über unzureichende Teilkenntnisse verfügen, werden dem Unternehmen alle diese einzelnen Teilkenntnisse zugerechnet, so dass das Unternehmen den subjektiven Tatbestand durch das Aggregat der Kenntnisse mehrerer Personen erfüllen kann (unter der sogenannten „collective knowledge doctrine“).65 Eine Corporation kann somit selbst dann strafbar handeln, wenn keine einzelne natürliche Person strafbar gehandelt hat. Die internen Compliance-Prozesse, die zunächst seit Erlass der Organizational Sentencing Guidelines im Jahr 199166 und verschärft seit Erlass des Sarbanes-Oxley Act im Jahr 2002 in praktisch allen Unternehmen etabliert sind,67 schützen nicht vor strafrechtlicher Verfolgung. Stattdessen muss das Unternehmen durch tatsächliche Kontrollen sicherstellen, dass sich seine Mitarbeiter Corporation im Zivilrecht bereits für ihre Angestellten und Erfüllungsgehilfen trägt, selbst dann, wenn die handelnde Person unstreitig gegen Anweisungen verstoßen hatte. New York Central, 212 U.S. 481 (1909), S. 293. s. auch z. B. Paul H. Robinson/Michael T. Cahill, Criminal Law (2012), S. 271. Wird die Corporation durch die Handlung aber selbst unmittelbar geschädigt, kann sie in vielen Jurisdiktionen nicht für das schädigende Handeln belangt werden. s. Official Committee of Unsecured Creditors v. R.F. Lafferty & Co. Inc., 267 F. 3d 340 (3d Cir. 2001), S. 359. 64 Vgl. z. B. Reinier H. Kraakman, Corporate Liability Strategies and the Costs of Legal Control, 93 The Yale Law Journal 857 (1984), S. 866. Je nach Ausgestaltung des jeweiligen Falles kann es auch zu spezialpräventiven Elementen kommen, beispielsweise durch die explizite Verpflichtung zu rechtmäßigem Verhalten oder den Einsatz eines Beobachters. Auch die Normverstärkung und Wiederherstellung des Rechtsfriedens kann eine Rolle spielen, wobei die Rechtsverstöße hierfür innerhalb des Unternehmens weit verbreitet gewesen sein müssen. 65 Nach der Collective Knowledge Doctrine wird der Corporation die Summe des Wissens aller einzelnen Mitarbeiter angelastet, auch wenn keiner der Mitarbeiter über dieses Gesamtwissen verfügt. Sie beruht auf United States v. Bank of New England, 821 F.2d 844 (1st Cir. 1987). s. auch Amy J. Sepinwall, Guilty by Proxy: Expanding the Boundaries of Responsibility in the Face of Corporate Crime, 63 Hastings Law Journal 411 (2012), S. 431. (Sepinwall nennt u. a. das Beispiel der Explosion der Deepwater Horizon Plattform der BP plc im dem Jahr 2010, bei dem relativ geringfügige Fehlentscheidungen und Nachlässigkeiten zu einem katastrophalen Gesamtergebnis führten, das weit über den Tatbeitrag der Einzelnen hinausgeht). 66 U.S. Sentencing Commission, Guidelines Manual 2016 (2016), Chapter 8, „Sentencing of Organizations“. s. z. B. Diana E. Murphy, The Federal Sentencing Guidelines for Organizations: A Decade of Promoting Compliance and Ethics, 87 Iowa Law Review 697 (2002), S. 710. Zu den Organizational Sentencing Guidelines, s. auch infra, Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 295). 67 Vgl. z. B. SOX § 404(a), s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). Vgl. auch Murphy, Federal Sentencing Guidelines for Organizations, 87 Iowa L. R. 697 (2002), S. 703.
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rechtskonform verhalten.68 Die Organisationspflichten, die in Deutschland vom Vorstand getragen werden, betreffen in den USA also auch die Gesellschaft selber.69 Die Entity Liability hat somit zwei primäre präventive Effekte: Zunächst hat das Unternehmen ein eigenes Interesse daran, seine Mitarbeiter und Agenten ausreichend zu überwachen, um das Begehen von individuellen Straftaten auszuschließen. Daneben besteht die Inzentivierung zur Verhinderung von Handlungen, die nicht für sich, aber im Aggregat strafrechtlich relevant sein können. Beide Ziele erreicht das Unternehmen vor allem durch Training und Überwachung von Mitarbeitern und internen Prozessen, sowie die Anpassung interner Inzentivierungen. Doch New York Central führt nicht nur zu einer Verlagerung der Abschreckung vom Einzelnen zur Corporation, sondern auch zur Verlagerung der Ahndung. Der Supreme Court hatte in New York Central die Schwierigkeiten identifiziert, Einzelnen innerhalb des Unternehmens strafbares Verhalten nachzuweisen. Durch das Schadenspotential der Entity Liability erhält die Corporation eine eigene Motivation, ihre Mitarbeiter zu überwachen und bei Rechtsverstößen gegen sie vorzugehen.70 Wie im Weiteren zu sehen, wird sie so zum „Hilfssheriff“ der Staatsanwaltschaft. 1. Folgen der Entity Liability für Corporations Mit Freiheitsstrafen, zu denen natürliche Personen in Fällen schwerer Verstöße verurteilt werden können, kann ein Unternehmen nicht belegt werden. Dennoch kann eine strafrechtliche Verurteilung auch für eine juristische Person ernste Konsequenzen haben. Das Strafmaß für juristische Personen richtet sich seit dem Jahr 1991 nach den Organizational Sentencing Guidelines.71 Sie legen die Strafzahlungen des Unternehmens zunächst anhand der Schwere des Verstoßes, gemessen entweder an der Höhe der unrechtmäßigen Gewinne bzw. Verluste oder an einer festgelegten Skala fest.72 Diesen Wert modifiziert das Gericht anhand des „culpability score“ des Unternehmens,73 der sich erhöht, wenn das Unternehmen die Verstöße geduldet hat,74 ihre Aufklärung behindert75 oder es sich um wiederholte Verstöße76 oder Verstöße 68
Hilton Hotels, 467 F.2d 1000 (1972), S. 1007. Vgl. auch Larry D. Thompson (Deputy Attorney General), Memorandum: Principles of Federal Prosecution of Business Organizations, U.S. Department of Justice (2003), S. 7. 69 Vgl. z. B. Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 8.01. 70 s. z. B. Robinson, Cahill, Criminal Law (2012), S. 272; John Hasnas, Trapped – When Acting Ethically is Against the Law (2006), S. 26. 71 USSC, Sentencing Guidelines (2016), Chapter 8, „Sentencing of Organizations“. 72 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.4. 73 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5. 74 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5(b). 75 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5(e). 76 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5(c).
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gegen spezifische behördliche Auflagen77 handelt. Dieses Verhalten hat eine größere negative Auswirkung für größere Unternehmen als für kleinere.78 Gesenkt wird der Culpability Score des Unternehmens durch ein wirksames Compliance-Programm79 und durch Kooperation mit den Behörden (zum Beispiel durch Selbstanzeige und Übernahme der Verantwortung).80 Der so errechnete Culpability Score kann die zu zahlenden Strafen um bis zu 400 % erhöhen, oder auf lediglich 5 % des ursprünglichen Wertes senken.81 Zusätzlich zu diesen Geldstrafen sehen die Organizational Sentencing Guidelines Wiedergutmachung gegenüber geschädigten Personen82 sowie eine Abschöpfung von illegitimen Gewinnen vor, sollten diese durch die übrigen Zahlungen nicht bereits erfasst sein.83 Der Culpability Score soll nicht nur dazu dienen, eine angemessene Strafe zu errechnen, sondern auch einen Einfluss auf die Unternehmensstrukturen und das Unternehmensverhalten haben.84 Der Wert eines Compliance-Programms besteht nicht nur in seiner strafmildernden Wirkung, sondern vor allem auch in seinem Potential zur Vermeidung oder frühzeitigen Aufdeckung von Verstößen, so dass es im Interesse nicht nur des Unternehmens, sondern auch der Behörden ist.85 Insbesondere die Aussicht auf Strafmilderung durch Kooperation mit der Staatsanwaltschaft (durch den sogenannten „cooperation credit“) hat im Idealfall einen positiven, verhaltenssteuernden Effekt, da allein die zeitige Selbstanzeige zu einer Minderung des Strafmaßes um 95 % führen kann. Die Organizational Sentencing Guidelines inzentivieren Unternehmen daher, die Staatsanwaltschaft schon in einem frühen Stadium zu informieren und die Vorwürfe nicht abzustreiten.86 Weniger Beurteilungsspielraum hingegen gibt es bei einigen außerhalb der Oganizational Sentencing Guidelines gesetzlich vorgesehenen kollateralen Konsequenzen, die einem Unternehmen bei einer Verurteilung drohen können.87 Je nach Art und Schwere der Straftat, insbesondere bei moralisch besonders verwerflichen 77
USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5(d). s. auch USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5, Background. 79 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5(f). Gegen die Wirksamkeit eines Compliance-Programms besteht eine widerlegbare Vermutung, wenn ein hochrangiger Angestellter, Officer oder Director an dem Verstoß beteiligt war oder ihn gebilligt hat. § 8C2.5(f)(3)(B). 80 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.5(g). 81 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.6. 82 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8B1. 83 USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 8C2.9. 84 USSC, Sentencing Guidelines (2016) Chapter 8, Introductory Commentary; Paula Desio, An Overview of the Organizational Guidelines, U.S. Sentencing Commission. Vgl. auch z. B. Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 71 f.; Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 330 ff. 85 Desio, Overview of the Organizational Guidelines. 86 Vgl. z. B. Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 927. 87 Vgl. z. B. Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 278 f. 78
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Straftaten („crimes of moral turpitude“) wie Betrug oder Meineid, kann das Unternehmen (wie auch eine verurteilte natürliche Person) beispielsweise die Erlaubnis verlieren, Verträge mit der Regierung oder bestimmten, mit der Regierung verbundenen Unternehmen und Institutionen einzugehen.88 Auch bestimmte kapitalmarktrelevante Funktionen können einer verurteilten juristischen Person untersagt werden, wie beispielsweise der Wertpapierhandel an einer Börse89 oder das Auftreten vor der SEC, beispielsweise als Anwalt oder Wirtschaftsprüfer.90 Es war diese automatische Folge ihrer Verurteilung für Obstruction of Justice, ein Crime of Moral Turpitude, die im Jahr 2005 die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen LLP in die Insolvenz führte,91 obwohl das Gericht sie lediglich zu einer Geldstrafe von $ 500.000 verurteilt hatte. Obwohl Enron lediglich der letzte und spektakulärste in einer Reihe von immer größeren Betrugsfällen war, derer Arthur Andersen in den 1990er Jahren überführt worden war,92 wurden die Konsequenzen für die Gesellschaft als besonders hart empfunden.93 Die Strafverfolgung von Unternehmen hatte sich erst nach dem Erlass der Organizational Sentencing Guidelines und den Skandalen um Enron und WorldCom intensiviert.94 Die Insolvenz von Arthur Andersen und der damit verbundene Verlust von 28.000 Arbeitsplätzen95 löste nun ein Umdenken im Department of Justice aus, 88 Hierzu gehören insbesondere das Militär, zahllose Unternehmen und Einrichtungen, die Einnahmen beispielsweise im Gesundheitssystem erzielen, und viele mehr. s. z. B. 10 U.S.C. § 2408; 42 U.S.C. § 1320a-7. Eine ausführliche Liste ist enthalten in U.S. Department of Justice, Office of the Pardon Attorney, Federal Statutes Imposing Collateral Consequences upon Conviction (13. November 2006). Vgl. auch American Bar Association, Criminal Justice Section, Collateral Consequences of Conviction Project (2013); Thompson, Blameless Corporation, 46 Am. Crim. L. Rev. 1323 (2009), S. 1326. 89 15 U.S.C. § 78c(39)(F). 90 17 C.F.R § 201.102(e)(2). Ein automatischer Entzug der Börsennotierung erfolgt nicht, allerdings können Registrierungsauflagen bestehen, von denen der Emittent ohne die Verurteilung ausgenommen gewesen wäre. s. z. B. 17 C.F.R. § 230.262. 91 17 C.F.R § 201.102(e)(2). Bei Arthur Andersen LLP handelt es sich nicht um eine Corporation sondern um eine „limited liability partnership,“ die Konsequenz des Schuldspruchs wäre für eine Corporation in dieser Hinsicht aber nicht anders gewesen. 92 s. z. B. Harry First, Branch Office of the Prosecutor: The New Role of the Corporation in Business Crime Prosecutions, 89 North Carolina Law Review 23 (2010), S. 93 ff.; Murdock, Hero or Villain, 39 Loy. U. Chi. L.J. 525 (2008), S. 527. 93 Dies umso mehr, da die Verurteilung letztendlich durch den U.S. Supreme Court kassiert wurde. Arthur Andersen LLP v. United States, 544 U.S. 696 (2005). Der Grund war allerdings ein Verfahrensfehler in Form möglicherweise unklarer Belehrungen an die Jury, eine Verurteilung wäre auch mit klareren Instruktionen vorstellbar gewesen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine neue Verhandlung, da sich die Gesellschaft inzwischen in der Insolvenz befand. Carrie Johnson, U.S. Ends Prosecution Of Arthur Andersen, The Washington Post (23. November 2005). 94 Brandon L. Garrett, Too Big to Jail: How Prosecutors Compromise with Corporations (2014), S. 5. 95 Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1311. Ein Großteil dieser Arbeitsplätze war allerdings nicht langfristig verloren, da die verbleibenden
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mit dem Ergebnis, dass Verfahren insbesondere gegen börsennotierte Unternehmen inzwischen in höherem Maße außergerichtlich beigelegt werden, ohne dass es zur Anklage kommt.96 Auf Grundlage eines hierfür verwendeten „non-prosecution agreement“ (NPA) oder „deferred prosecution agreement“ (DPA) stellt die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung entweder gänzlich ein (NPA) oder setzt sie aus (DPA) unter der Auflage, dass die Gesellschaft für einen bestimmten Zeitraum der Bewährung keine weiteren Verstöße begeht, ihre internen Prozesse und Kontrollmechanismen verbessert, die bestehenden Vorwürfe auf eigene Kosten selbst untersucht und die Ergebnisse an die Staatsanwaltschaft weitergibt.97 Häufig wird für die Bewährungszeit ein Beobachter bestellt, der die angeordneten Verbesserungen der Corporate Governance beaufsichtigen soll.98 Mehr noch als die reine Drohung von ex-post Bestrafung soll diese Strategie zur Prävention von Wirtschaftsstraftaten durch Unternehmen und ihre Angestellten führen.99 Auch bei den Verhandlungen zu einem NPA oder DPA spielen die Grundsätze der Organizational Sentencing Guidelines eine große Rolle, da der Culpability Score und die bei einer Verurteilung zu
Wirtschaftsprüfungsgesellschaften die früheren Arthur Andersen Partner und Angestellte (und Kunden) schnell aufnahmen. First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 95. 96 Vgl. First, Business Crime and the Public Interest, 2 U.C. Irvine L. Rev. 871 (2012), S. 876; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1315 ff.; Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 566 ff.; Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1136 ff.; Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 70 (zur Nutzung von verhandelten Schuldgeständnissen („plea agreements“), bei denen es zwar zunächst eine Anklage gibt, die kollateralen Konsequenzen aber besser kontrolliert werden können). 97 s. z. B. Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015); Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 895; Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1103 ff.; First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 47 & 62 ff. (zur Effizienz dieses Arrangements); Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 63; Chinsky, Smartly Fight Financial Crimes, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 12 (2014), S. 14. Vgl. auch Thompson, Thompson Memorandum (2003), S. 5 ff. 98 s. z. B. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 897; Kathleen M. Boozang/Simone Handler Hutchinson, „Monitoring“ Corporate Corruption: DOJ’s Use of Deferred Prosecution Agreements in Health Care, 35 American Journal of Law & Medicine 89 (2009); Kaal, Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 72 f.; Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 552. 99 s. z. B. Thompson, Thompson Memorandum (2003); David Hess/Cristie L. Ford, Corporate Corruption and Reform Undertakings: A New Approach to an Old Problem, 41 Cornell International Law Journal 307 (2008), S. 311; Chinsky, Smartly Fight Financial Crimes, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 12 (2014), S. 24; Thompson, Blameless Corporation, 46 Am. Crim. L. Rev. 1323 (2009). Vgl. First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 90, zur mangelnden empirischen Basis für die Präferenz von entweder Prävention durch die Androhung teurer Bestrafung („rational actor theory“) oder Prävention durch interne Verbesserungen der Organisation („organization theory“).
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erwartende Strafe eine Basis für die Verhandlungen bietet.100 Der Cooporation Credit kann für die Unternehmen daher auch hier ein entscheidungs- und verhaltensbestimmendes Kriterium sein. Doch NPAs und DPAs werden sowohl wegen eines zu harten Vorgehens gegen rechtstreue Unternehmen kritisiert, als auch wegen mangelnder Härte gegen rechtswidrig handelnde Unternehmen. Die Verfolgung von Unternehmen und die durchschnittlichen Strafzahlungen haben sich unter Anwendung von NPAs und DPAs allerdings rapide vervielfacht.101 Das DOJ kann durch die Androhung hoher Strafen für mangelnde Kooperation die Verhandlungen zu einem NPA oder DPA dazu nutzen, auch Unternehmen, die sich möglicherweise gar nicht rechtswidrig verhalten haben, ohne richterliche Prüfung zur Herausgabe von Dokumenten und zu Einschränkungen in ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit zu zwingen, da sie eine solche Einigung dem Risiko einer Anklageerhebung vorziehen werden.102 Hierin wird zum Teil eine möglicherweise sogar verfassungswidrige Ausübung von Macht durch die Exekutive gesehen.103 Auch bei eingestandenem strafwürdigen Handeln gilt oft der Schwere der durchgesetzten Sanktionen Kritik, die in Ermangelung eines Gerichtsverfahrens und aufgrund der asymmetrischen Verhandlungspositionen häufig als disproportional hoch im Vergleich zur Schuld des Unternehmens gesehen wird.104 Zudem wird in Frage gestellt, ob die Staatsanwälte zur Bewertung und Gestaltung von Corporate Governance- und Compliance-Programmen ausreichend qualifiziert sind.105 100 Vgl. auch Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 556 ff.; Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 71. 101 Garrett, Too Big to Jail (2014), S. 5 ff. 102 s. z. B. Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1342; William S. Laufer/Alan Strudler, Corporate Crime and Making Amends, 44 American Criminal Law Review 1307 (2007), S. 1310; Thompson, Blameless Corporation, 46 Am. Crim. L. Rev. 1323 (2009), S. 1325 f. 103 s. z. B. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 856; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1328; Kaal/ Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 82 ff.; Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 933 f.; George Ellard, Making the Silent Speak and the Informed Wary, 42 American Criminal Law Review 985 (2005), S. 991 f. Vgl. auch United States v. Stein, 541 F. 3d 130 (2d Cir. 2008); Garrity v. New Jersey, 385 U.S. 493 (1967), S. 497. 104 s. z. B. Mike Koehler, A Foreign Corrupt Practices Act Narrative, 22 Michigan State International Law Review 961 (2014), S. 978. Eine empirische Analyse von NPAs und DPAs legt allerdings nahe, dass sich die so erwirkten Einigungssummen nicht grundlegend von den Strafzahlungen unterscheiden, die die Organizational Sentencing Guldens für die jeweils angelasteten Straftaten vorsehen würden. Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 585. 105 s. z. B. Jennifer Arlen, Limiting Prosecutorial Discretion to Impose Structural Reform, in: Anthony E. Barkow, Rachel S. Barkow (Hrsg.), Prosecutors in the Boardroom: Using Criminal Law to Regulate Corporate Conduct (2011), S. 63; Preet Bharara, Corporations Cry
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Von anderer Seite lautet der Vorwurf wiederum, dass NPAs und DPAs nicht mit der nötigen Härte gegen rechtswidrig handelnde Unternehmen vorgehen.106 Auch mit Arthur Andersen hatte die Staatsanwaltschaft vor 2001 eine Reihe ähnlicher Einigungen getroffen, um verschiedene Betrugsvorwürfe beizulegen.107 Spätestens mit dem Betrug bei Enron unter Mitwirkung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft des Unternehmens wurde deutlich, dass diese nicht den erhofften verhaltensregelnden Effekt auf die Geschäftspraktiken bei Arthur Andersen gehabt hatten.108 Um diese Ergebnisse zu vermeiden, legt das DOJ heute daher größeren Wert auf ComplianceAuflagen und solche Verhaltensvorgaben, die zukünftige Verstöße verhindern sollen.109 Dennoch wird befürchtet, dass die Zurückhaltung der Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung diese Auflagen ins Leere laufen lässt.110 Das Department of Justice scheint in NPAs und DPAs allerdings weiterhin viele Vorteile zu sehen. Die Konsequenzen für das Unternehmen lassen sich gut kontrollieren und es steht eine große Breite von Maßregelungen, von Geldstrafen über Wiedergutmachung bis zu Reform,111 zur Verfügung. Dabei spart das DOJ aber einen Uncle and Their Employees Cry Foul: Rethinking Prosecutorial Pressure on Corporate Defendants, 44 American Criminal Law Review 53 (2007), S. 112; Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 926 f.; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1327; Wray, Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1185; Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 66. In vielen Fällen werden die Reformaufgaben daher verstärkt in den Händen der Unternehmen gelassen. s. z. B. Hess/Ford, Corporate Corruption, 41 Cornell Int’l L.J. 307 (2008), S. 312. 106 s. z. B. Ralph Nader/Robert Weissman, Brief an Alberto Gonzales, U.S. Attorney General (5. Juni 2006); Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1301; Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 853; Chinsky, Smartly Fight Financial Crimes, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 12 (2014), S. 23; Laufer/ Strudler, Corporate Crime and Making Amends, 44 Am. Crim. L. Rev. 1307 (2007), S. 1318. Vgl. auch United States v. WakeMed, 2013 WL 5011784 (E.D.N.C. 2013); Citigroup Global Markets, 827 F. Supp. 2d 328 (2011) (betreffend ein vergleichbares Instrument der SEC). 107 First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 94 f. 108 First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 95. Vgl. auch Citigroup Global Markets, 827 F. Supp. 2d 328 (2011), S. 333 f. (Citigroup Global Markets, Inc. als Wiederholungstäter); Greene/Odorski, SEC Enforcement in the Financial Sector, 16 Bus. L. Int’l 5 (2015), S. 7 (andere Wiederholungstäter in der Finanzindustrie); U.S. Department Of Justice/ Office Of Public Affairs, Presseerklärung, Justice Department Announces Largest Health Care Fraud Settlement in Its History (2. September 2009) (Pfizer, Inc. als Wiederholungstäter); Kathleen M. Boozang, Responsible Corporate Officer Doctrine: When is Falling Down on the Job a Crime, 6 St. Louis University Journal of Health Law & Policy 77 (2012), S. 86 & 90 ff.; Katrice Bridges Copeland, The Crime of Being in Charge: Executive Culpability and Collateral Consequences, 51 American Criminal Law Review 799 (2014), S. 801. 109 s. z. B. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007); Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 86. 110 Vgl. z. B. First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 97. 111 Diese Konsequenzen sind allerdings nicht auf NPAs und DPAs beschränkt, Geldstrafen und Wiedergutmachung sind durch die Organizational Sentencing Guidelines festgelegt und auch Plea Agreements beinhalten häufig Compliance- oder Corporate Governance-Auflagen. s.
A. Relevante Grundlagen des amerikanischen Wirtschaftsstrafrechts
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Großteil der Kosten, die eine gerichtliche Strafverfolgung verursachen würde.112 Corporate Governance Reformen und der Einsatz von Beobachtern, die weitere Verstöße verhindern sollen, lassen sich so leichter durchsetzen. Darüber hinaus sind kooperierende Unternehmen häufig zur Zahlung von höheren Geldstrafen und weiterreichenden Zugeständnissen bereit, als sich vor Gericht durchsetzen ließen, um die Anklage zu vermeiden.113 Obwohl es nach wie vor für zahlreiche Corporations zur weiteren Strafverfolgung und Anklage kommt, ohne dass daraus spektakuläre Konsequenzen wie bei Arthur Andersen resultieren,114 ist davon auszugehen, dass das Department of Justice auf absehbare Zeit an der Nutzung von NPAs und DPAs festhalten wird.115 2. Folgen der Entity Liability für natürliche Personen Diese Entwicklungen in der Praxis des Unternehmensstrafrechts hat konkrete Auswirkungen auf die Verfolgung von Einzelpersonen. Unabhängig davon, ob der Rechtsverstoß der Corporation selbst, oder nur einem einzelnen Mitarbeiter angelastet werden kann bzw. soll, setzt die Staatsanwaltschaft für den Abschluss eines NPA oder DPA grundsätzlich voraus, dass die Corporation sie bei den Ermittlungen gegen einzelne Angestellte oder andere Vertreter unterstützt.116 Da die Directors und Officers verpflichtet sind, die Corporation vor Schaden zu schützen, müssen sie in deren bestem Interesse handeln, selbst wenn sich dies zu Ungunsten einzelner
z. B. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007) S. 893; Gabriel Markoff, Arthur Andersen and the Myth of the Corporate Death Penalty: Corporate Criminal Convictions in the Twenty-First Century, 15 University of Pennsylvania Journal of Business Law 797 (2013), S. 830; Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1104 ff. Jedoch finden sich Reformauflagen und Ähnliches verstärkt in NPAs und DPAs. Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 587 ff. 112 Vgl. z. B. First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 60 ff.; Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 544. 113 Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1324 f.; Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 861. 114 s. z. B. Markoff, Myth of the Corporate Death Penalty, 15 U. Pa. J. Bus. L. 797 (2013); Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1321; Wray/ Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1145 f.; Kaal/Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 70; Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 888. 115 So z. B. auch First, Business Crime and the Public Interest, 2 U.C. Irvine L. Rev. 871 (2012), S. 877; Kaal, Lacine, Effect of Deferred and Non-Prosecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 110. 116 s. z. B. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 883. Vgl. auch Thompson, Thompson Memorandum (2003), S. 5; Yates, Yates Memorandum (2015), S. 3; Garrett, Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Va. L. Rev. 1987 (2015) S. 1797 f.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Mitarbeiter auswirkt.117 Durch die Zwänge der Organizational Sentencing Guidelines wird die Corporation somit zum „part of the prosecutorial team“118 in Ermittlungen gegen ihre eigenen Angestellten. Aufgrund des hohen Wertes von Selbstanzeigen gilt dies auch schon bevor die Staatsanwaltschaft auf die Rechtsverstöße überhaupt aufmerksam geworden ist.119 Doch der Wert der Kooperation mit der Staatsanwaltschaft liegt nicht nur in der Senkung des Culpability Score. Denn selbst, wenn der Corporation selbst kein Rechtsverstoß vorgeworfen wird, kann mangelnde Kooperation beispielsweise zu einer Anklage wegen Obstruction of Justice führen, wenn sie der Staatsanwaltschaft nicht umgehend alle potentiell relevanten Unterlagen und Mitarbeiter zugänglich macht.120 Eine große Besonderheit ist dabei das fehlende Recht der Corporation, die Aussage zu verweigern.121 Die ursprüngliche Rechtsprechung hierzu stammt aus den Jahren vor der Anerkennung der Entity Liability, als es eine verfassungsrechtliche Basis für ein Recht zur Aussageverweigerung entsprechend nicht geben konnte.122 Trotz der Einführung der Entity Liability wenige Jahre später bleibt diese Rechtsprechung bis heute bestehen.123 Ein Recht zur Aussageverweigerung würde sich nicht nur auf die Herausgabe von Dokumenten im Besitz des Unternehmens beziehen, sondern auch die Aussagen aller seiner Mitarbeiter und Berater einschließen, selbst wenn diese andernfalls als Zeugen hätten aussagen müssen,124 so dass der Staatsanwaltschaft die Aufklärung komplexer Wirtschaftskriminalität andernfalls oft unmöglich sein könnte.125 Auch ohne eigenes Fehlverhalten werden Unterneh117
Thompson, Thompson Memorandum (2003); Yates, Yates Memorandum (2015), S. 3. Hasnas, Trapped (2006), S. 62; auch „investigative partner“ (Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 899), „branch office of the prosecutor“ (First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010)) oder „its agent“ (Stein, 541 F. 3d 130 (2008), S. 151). 119 Vgl. z. B. Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1181 ff. 120 18 U.S.C. §§ 1501 – 1521, in diesem Zusammenhang insb. §§ 1512(c) & 1519. Vgl. z. B. Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1146 ff. 121 Hale v. Henkel, 201 U.S. 43 (1906). 122 U.S. Const., amend. V (das „Fifth Amendment“ der US-Verfassung) verbietet der Staatsgewalt, Personen zu zwingen, in einem Strafverfahren als Zeuge gegen sich selber auszusagen und sich somit durch die eigene Aussage einer Strafverfolgung auszusetzen. Da dieser Schutz nicht gilt, wenn die möglichen Straftaten, zu denen sich der Zeuge nicht äußern muss, beispielsweise aufgrund von Immunität oder Verjährung nicht geahndet werden können, kann er auch nicht solche Personen schützen, die dem Strafrecht aus anderen Gründen nicht unterliegen, so der Supreme Court im Jahr 1906. Hale, 201 U.S. 43 (1906), S. 67. 123 United States v. White, 322 U.S. 694 (1944); United States v. Doe, 465 U.S. 605 (1984); Braswell v. United States, 487 U.S. 99 (1988); United States v. Insurance Consultants of Knox, Inc., 187 F.3d 755 (7th Cir. 1999). Vgl. Brandon L. Garrett, The Constitutional Standing of Corporations, 163 University of Pennsylvania Law Review 95 (2014), S. 128 ff. 124 White (U.S. Supreme Court), 322 U.S. 694 (1944), S. 700; Braswell, 487 U.S. 99 (1988), S. 108; Ins. Cons. of Knox, 187 F.3d 755 (1999), S. 760. 125 Vgl. auch Garrett, Constitutional Standing, 163 U. Pa. L. Rev. 95 (2014), S. 129 f. 118
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men aber durch die Androhung von strafrechtlichen Folgen bei mangelnder Kooperation gezwungenermaßen zum Erfüllungsgehilfen der Justiz. Die Rechtsprechung hat das Ausmaß der Kooperation, die die Staatsanwaltschaft einfordern kann, in den letzten Jahren etwas reduziert. So kann darf es keinen Einfluss auf den Culpability Score und die dem Unternehmen angerechnete Kooperation haben, wenn es die Zahlung von Verteidigungskosten für Angestellte übernimmt,126 oder seine Anwälte nicht von der Schweigepflicht entbindet.127 Auch Ergebnisse und Aufzeichnungen von interner Untersuchungen, die der anwaltlichen Schweigepflicht unterliegen, können vertraulich bleiben, ohne negative Auswirkungen auf die Kooperation des Unternehmens zu haben.128 Im September 2015 verschärfte das Department of Justice mit dem sogenannten „Yates Memorandum“ seine offiziellen Richtlinien allerdings wieder, um dennoch die im Rahmen der Rechtsprechung weitest mögliche Offenlegung zu erreichen.129 Ob das Yates Memorandum einen bleibenden Effekt auf die Strafverfolgung haben wird, ist noch nicht deutlich, eine weitere Klärung der verfassungsrechtlichen Grenzen durch die Gerichte ist jedoch wahrscheinlich.130 Die Verpflichtung zur Aussage und die Androhung von Obstruction of Justice Vorwürfen, sowie die Inzentivierungen der Organizational Sentencing Guidelines werden weiterhin eine enge Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Ermittlungsbehörden erzwingen. Für betroffene Einzelpersonen bedeutet dies einen erheblich vereinfachten Zugriff durch die Strafverfolgungsbehörden.131
126 Stein, 541 F. 3d 130 (2008), S. 338; Paul J. McNulty (Deputy Attorney General), Memorandum: Principles of Federal Prosecution of Business Organizations, U.S. Department of Justice (2007); U.S. Department of Justice, 9 – 28.730 – Obstructing the Investigation, U.S. Attorneys’ Manual (2008). Vgl. z. B. First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 50 ff. Sollte der Angestellte später für schuldig befunden werden, müssen diese Kosten allerdings zurückgezahlt werden. 127 McNulty, McNulty Memorandum (2007); Mark Filip (Deputy Attorney General), Memorandum: Principles of Federal Prosecution of Business Organizations, U.S. Department of Justice (2008); U.S. Department of Justice, 9 – 28.710 – Attorney-Client and Work Product Protections, U.S. Attorneys’ Manual (2008). s. auch Kaal, Lacine, Effect of Deferred and NonProsecution Agreements, 70 Bus. Law. 61 (2015), S. 74 ff & 110; Chinsky, Smartly Fight Financial Crimes, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 12 (2014), S. 18. 128 Vgl. In re Kellogg Brown & Root, 756 F.3d 754 (D.C. Cir. 2014). 129 Yates, Yates Memorandum (2015). 130 Michael P. Kelly/Ruth E. Mandelbaum, Are the Yates Memorandum and the Federal Judiciary’s Concerns About Over-Criminalization Destined to Collide?, 53 American Criminal Law Review 899 (2016). 131 Vgl. z. B. Garrett, Structural Reform Prosecution, 93 Va. L. Rev. 853 (2007), S. 883.
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III. Konsequenzen der persönlichen Strafverfolgung für Directors und Officers Kommt es letztendlich zu einem Strafverfahren gegen Directors oder Officers im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für das Unternehmen, führt dies zu einer grundlegend anderen Situation mit potentiell wesentlich gravierenderen Folgen als eine zivilrechtliche Klage für ihr persönliches Vermögen und ihre Möglichkeiten zur zukünftigen Berufsausübung, möglicherweise sogar für ihre Freiheit. So kommen D&O-Versicherungen und die Unternehmen selber für die Verteidigungskosten und verhängten Geldstrafen häufig nur auf, wenn der Director oder Officer nicht wissentlich rechtswidrig oder in schädigender Absicht gehandelt hat.132 In vielen Fällen verpflichtet sich die Corporation zwar zur Übernahme der Verteidigungskosten, wird der Director oder Officer aber verurteilt, muss er diese an die Corporation erstatten.133 Hat der Director oder Officer mit seinem Handeln eine Pflicht der Gesellschaft gegenüber verletzt und ihr einen Schaden zugefügt, kann es sogar zu Ausgleichsansprüchen des Unternehmens gegen den Director oder Officer kommen.134 Diese finanziellen Risiken sowie mögliche Freiheitsstrafen, Einschränkungen in der Berufsausübung und andere negative Konsequenzen können nicht wie Geldstrafen gegen die Corporation an Aktionäre oder Verbraucher weitergegeben werden.135 Dazu lastet das „Odium des Unwerturteils, sich sozialschädlich verhalten zu haben,“136 auf einem verurteilten oder als schuldig erkannten Director oder Officer.137 Berufsverbote, auch zeitlich begrenzte, können die wirtschaftliche Existenz des Einzelnen in Frage stellen. Doch insbesondere Freiheits-
132 Vgl. DGCL 145(a) & (b). s. auch z. B. Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 8.15; Lawrence J. Trautman/Kara Altenbaumer-Price, D&O Insurance: A Primer, 1 American University Business Law Review 33 (2012), S. 352 ff. 133 Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 20.14. s. auch DGCL § 145(e). 134 Vgl. z. B. DGCL § 145(b); Wilshire Oil Company of Texas v. Riffe, 409 F.2d 1277 (10th Cir. 1969), S. 1283 f.; Knepper/Bailey, Liability of Officers and Directors (2014), § 8.14. 135 Die einzige, indirekte Ausnahme ist die „Risikoprämie“, die ein Director oder Officer im Falle eines erhöhten positionsbedingten Risikos ex-ante über sein Gehalt einfordern wird. 136 Volkmar Mehle/Michael Bärlein, Aufsichtsrat und Strafrecht, Der Aufsichtsrat 2014, 8, S. 8. 137 s. auch z. B. Robinson/Cahill, Criminal Law (2012), S. 277; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1299. Zudem kann aufgrund des mangelnden Beschuldigtenschutzes im amerikanischen Presserecht allein schon der Verdacht einer schweren Wirtschaftsstraftat den Ruf einer Person schwer und unwiderruflich schädigen, selbst wenn sich die Beschuldigungen später als falsch oder nicht haltbar erweisen. Für eine Betrachtung der vielen Rollen der Presse in White Collar Fällen, s. z. B. Kathleen F. Brickey, From Boardroom to Courtroom to Newsroom: The Media and the Corporate Governance Scandals, in: F. Scott Kieff/Troy A. Paredes (Hrsg.), Perspectives on Corporate Governance (2010).
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strafen, die für in den USA verurteilte Wirtschaftsstraftäter die Realität amerikanischer Gefängnisse mit sich bringen, sind gefürchtet.138 Der Gesetzgeber erhofft sich aus dieser persönlichen Sanktionierung vor allem Abschreckung, die Directors und Officers dazu inzentivieren soll, Missstände im Unternehmen zu entdecken und zu beheben.139 Wer fürchten muss, dass ihn Verstöße das persönliche Vermögen oder sogar die Freiheit kosten können, hat eine hohe Motivation, Verstöße zu verhindern und Missstände nicht zuzulassen. Die juristische Person der Corporation, aber auch ihre Aktionäre und Verbraucher, die im Falle der Entity Liability für die Strafen letztendlich finanziell aufkommen müssen, haben diese Möglichkeit nicht und können auf abschreckende Strafandrohungen.140 Das abschreckende Potential des Strafrechts geht hier entsprechend verloren. Die Motivation zu Verbesserungen der Corporate Governance des Unternehmens durch die Anwendung des Strafrechts gegen Directors und Officers, lässt sich auch aus der nur geringfügigen Verbindung ablesen, die die einzelne Person oft zu dem rechtswidrig schädlichen Handeln hat. Das Strafrecht beurteilt Handlungen prinzipiell nicht nur anhand ihres Ergebnisses, sondern auch der ihnen zugrunde liegenden subjektiven Einstellung.141 Für die meisten „white collar crimes“142 ist es daher erst die „mens rea“ (wörtlich der „schuldige Geisteszustand“) des Beschuldigten, die eine Handlung zu einer Straftat macht.143 Um sich persönlich mit einer White Collar Straftat strafbar zu machen, muss ein Director oder Officer daher in den meisten Fällen bewusst oder sogar vorsätzlich gesetzwidrig gehandelt haben. Sie fallen damit nicht in den Bereich der Corporate Governance.
138 s. z. B. Michael Chertoff (Assistant Attorney General, Criminal Division, U.S. Department Of Justice), „Penalties for White Collar Crime“, Aussage vor dem Committee on the Judiciary, Subcommittee on Crime and Drugs, U.S. Senate, 10. Juli 2002. s. auch First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 83; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1298 f. 139 s. z. B. Robinson/Cahill, Criminal Law (2012), S. 275 f. 140 Selbstverständlich können sowohl Aktionäre als auch Verbraucher durch ihr Marktverhalten Einfluss auf die Prioritätensetzung eines Unternehmens nehmen, zum Beispiel im Hinblick auf Verstöße gegen Gesetze zum Umweltschutz, doch ist es zu diesem Zeitpunkt in aller Regel zu spät, um die Verstöße und den mit ihnen verbundenen Schaden noch zu verhindern. Solche Beeinflussung kann nicht verglichen werden mit dem Einfluss derer, die das Unternehmen von Tag zu Tag führen. 141 s. z. B. Robinson/Cahill, Criminal Law (2012), S. 153 ff. 142 Der Begriff „white collar crime“ hat viele unscharfe Definitionen, heute wird er aber insbesondere gebraucht, um Wirtschaftsstraftaten zu bezeichnen, die Angestellte und Organe nur im Zusammenhang mit ihrer Position oder im Namen des Unternehmens begehen können. 143 In den Worten eines früheren Staatsanwalts: „Criminal intent is at the heart of the whitecollar case.“ Kurt Eichenwald, Analysis: Reversal of Andersen Conviction, The New York Times (1. Juni 2005). s. auch z. B. Morissette v. United States, 342 U.S. 246 (1952), S. 250 f.; Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1131; Maurice E. Stucke, Morality and Antitrust, 2006 Columbia Business Law Review 443 (2006), S. 489 ff.; Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 7.
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Zu dieser Regel gibt es allerdings, wie im Weiteren betrachtet, wichtige Ausnahmen, in denen ein Director oder Officer strafrechtlicher Sanktionierung ausgesetzt sein kann, ohne sich bewusst fehlverhalten zu haben. Spätestens seit 1962 steht aufgrund höchstrichterlicher Rechtsprechung fest, dass auch Personen, die eine Straftat ausschließlich als Agent des Unternehmens und in dessen Namen begehen, ohne dabei einen direkten persönlichen Vorteil zu erfahren, persönlich strafbar handeln.144 Bei vielen der im Folgenden betrachteten Straftatbestände kann der Anteil, den der Director oder Officer an der eigentlichen Tat hat, dabei sehr gering sein.
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz durch Unternehmensaufsicht und -führung Die Androhung der Sanktionierung von Directors und Officers im Zusammenhang mit der Corporate Governance dient unter anderem dazu, die Unternehmensführung zu einer gründlicheren Überwachung der Vorgänge und Abläufe innerhalb des Unternehmens sowie zur Strukturierung sinnvoller Inzentivierungen zu motivieren, um besonders schädliche Rechtsverstöße des Unternehmens zu verhindern. In einigen Fällen müssen Officers damit rechnen, dass ihnen Straftaten des Unternehmens auch ohne unmittelbare Beteiligung direkt zugerechnet werden können, so dass sie ein hohes Interesse an der Verhinderung haben.145 In anderen Fällen hat die Gesetzgebung ihnen eine eigene strafbewährte Pflicht auferlegt (beispielsweise die Abgabe eines Bilanzeides), die sie nur dann rechtmäßig erfüllen können, wenn auch das Unternehmen seinen Pflichten nachgekommen ist. Auch hier haben sie also ein hohes eigenes Interesse an der Verhinderung von Gesetzesverstößen durch das Unternehmen.146 Angesichts des tiefen Einschnitts, den eine Strafverfolgung für den Einzelnen bedeutet, sieht die amerikanische Corporate Governance strafrechtliche Sanktionen vor allem dann zur Durchsetzung von Überwachungspflichten vor, wenn die zu verhindernden Straftaten des Unternehmens besonders schädliche Konsequenzen für Dritte oder die Allgemeinheit hätten. Hierzu gehören sowohl gemeingefährliche Straftaten im Lebensmittel-, Medizin- und Umweltrecht als auch Straftatbestände, die die Integrität des Kapitalmarktes ernsthaft gefährden können, und marktverzerrende Straftatbestände wie Bestechung oder Preisabsprachen, die ein einwandfreies Funktionieren der Marktwirtschaft verhindern können. Der Einsatz des
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United State v. Wise, 370 U.S. 405 (1962). Vgl. auch S. 417 (Justice Harlan, Sondervotum). 145 s. infra, Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz durch Unternehmensaufsicht und -führung (S. 306). 146 s. z. B. infra, Verhinderung der Gefährdung der Integrität des Kapitalmarktes (S. 346).
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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Strafrechts gegen Directors und Officers zur Verhinderung all dieser Verstöße wird im Folgenden untersucht.
I. Verhinderung von gemeingefährlichen Straftaten des Unternehmens (Responsible Corporate Officer Doctrine) Eine für die Corporate Governance besonders relevante Anwendung des Strafrechts besteht im Zusammenhang mit bestimmten Rechtsverstößen des Unternehmens, die das Allgemeinwohl stark gefährden („public welfare offenses“).147 Wird durch das Unternehmen oder einen Angestellten eine Public Welfare Offense begangen, erlaubt die sogenannte „responsible corporate officer doctrine“ der Staatsanwaltschaft, relevante Entscheidungsträger für diese Verstöße verantwortlich zu machen, ohne ihnen eine persönliche Beteiligung an oder Kenntnis der relevanten Handlungen nachweisen zu müssen. Hierbei kann es nicht nur zu Geld- sondern auch zu Gefängnisstrafen kommen. Trug ein Officer oder leitender Angestellter Verantwortung für den betroffenen Bereich und hätte er die Möglichkeit gehabt, den Verstoß zu verhindern, kann er als „responsible corporate officer“ persönlich strafrechtlich verantwortlich gemacht werden.148 Directors, die keine verantwortliche Rolle innerhalb der Unternehmen haben, sind von der Responsible Corporate Officer Doctrine entsprechend nicht betroffen. Die Responsible Corporate Officer Doctrine gilt insbesondere für Rechtsverstöße im Zusammenhang mit Lebensmitteln, Medikamenten, Medizintechnik oder Giftmüll, die bei falschem Umgang ein hohes und offensichtliches Gefahrenpotential für eine breite Öffentlichkeit haben.149 Ihre Ursprünge hat sie in der Rechtsprechung
147 Der Begriff „public welfare offenses“ hat keine einheitliche Definition, zum Teil wird er zur Beschreibung von Verstößen verwendet, die ihrer Natur nach, wenn auch nicht im Strafmaß, deutschen Ordnungswidrigkeiten vergleichbar wären (diese wiederum werden auch als „regulatory offenses“ bezeichnet). s. z. B. John C. Coffee, Does „Unlawful“ Mean „Criminal“?: Reflections on the Disappearing Tort/Crime Distinction in American Law, 71 Boston University Law Review 193 (1991), S. 206 („a special category of subcriminal offenses“). Hier verwendet ist die starke Gefährdung der Allgemeinheit ein wesentliches Merkmal der Public Welfare Offenses. 148 Ausschlaggebend ist dafür, ob die Person die Verantwortung und die Befugnis hatte, die Handlungen, die zum Verstoß führten, zu überwachen, und den Verstoß zu verhindern oder zeitnah zu korrigieren, dies aber nicht getan hat. Welche Individuen in der Unternehmensstruktur als Responsible Corporate Officer gelten, ist in jedem Einzelfall eine Tatsachenfrage für die Jury. Vgl. United States v. Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 280 & 285; United States v. Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672 & 674. Vgl. z. B. auch Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 334 ff. 149 s. z. B. Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 253 ff.; s. auch United States v. International Minerals & Chemicals Corp., 402 U.S. 558 (1971), S. 565; United States v. Freed, 401 U.S. 601 (1971), S. 609. Der Begriff „Public Welfare Offenses“ ist aber keinesfalls ein eindeutig umrissener, es kann insbesondere in verschiedenen Circuits zu unterschiedlichen Auslegungen der
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nach der Reformierung des Verbraucherschutzes bei Nahrungsmitteln, Arzneimitteln und Medizintechnik im Jahr 1938.150 In den 1970er Jahren wurde sie durch Gesetzgebung auf bestimmte Verstöße im Umweltschutz ausgeweitet. Ob sie auch in anderen Rechtsgebieten Anwendung findet, ist umstritten.151 Das amerikanische Schrifttum ist, wie im Weiteren zu sehen, von großer Uneinigkeit zur rechtlichen Zulässigkeit der Responsible Corporate Officer Doctrine geprägt. Kritiker sehen in ihr eine verfassungswidrige Verfolgung unbeteiligter und unschuldiger Entscheidungsträger, da das rechtswidrige Handeln sich weit unterhalb der Führungsebene abgespielt haben kann und die Responsible Corporate Officers weder daran beteiligt gewesen, noch davon Kenntnis gehabt haben müssen. Dabei besteht Dissens auch über die rechtssystematische Einordnung der Responsible Corporate Officer Doctrine. Klare Parallelen finden sich aber sowohl zur „command responsibility“ im Militärrecht, nach der ein Befehlshaber für die Handlungen seiner Untergebenen strafrechtlich verantwortlich sein kann,152 als auch zur möglichen Strafverfolgung von CEOs und CFOs unter dem Sarbanes-Oxley Act und dem Foreign Corrupt Practices Act, die keine direkte Beteiligung an der primären Straftat (Bilanzbetrug bzw. Bestechung) voraussetzt.153 Zugrunde liegt der Responsible Corporate Officer Doctrine die Überzeugung, dass Abschreckung durch Androhung strafrechtlicher Sanktionen gegen Entscheidungsträger zu gesetzestreuerem Verhalten ihrer Unternehmen führt.154 Auf diese Weise sollen solche Gesetzesverstöße von Unternehmen verhindert werden, die zum Beispiel durch Nahrungsmittel, Arzneimittel oder gefährlichen Giftmüll ein besonders großes Gefahrenpotential verursachen, vor dem sich Kunden und Bürger
Rechtsprechung kommen. Vgl. auch Kirby D. Behre/Morgan J. Miller, Responding to Corporate Criminal Investigations (2013), S. 62. 150 s. infra, Grundlegende Rechtsprechung (S. 313). 151 Obwohl Gerichte den Begriff verwenden, stellt sich bei näherer Betrachtung vieler dieser Fälle heraus, dass die Responsible Corporate Officer Doctrine zur Verurteilung nicht nötig gewesen wäre, da der Verurteilte beispielsweise Kenntnis von oder sogar Anteil an den strafwürdigen Handlungen hatte. s. infra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 152 s. z. B. Todd S. Aagaard, A Fresh Look at the Responsible Relation Doctrine, 96 Journal of Criminal Law & Criminology 1245 (2006), S. 1254, Fn. 43. 153 s. infra, Verhinderung der Gefährdung der Integrität des Kapitalmarktes (S. 346) und Verhinderung von marktverzerrendem Verhalten (S. 354). 154 s. z. B. Noël Wise, Personal Liability Promotes Responsible Conduct: Extending the Responsible Corporate Officer Doctrine to Federal Civil Environmental Enforcement Cases, 21 Stanford Environmental Law Journal 283 (2002), S. 285; Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1298 f. & 1332; Rakoff, Why Have No Executives Been Prosecuted?, NY Rev. Books (2014). s. auch z. B. Richard A. Posner, Antitrust Law (2001), S. 271; Snyder, Compliance is a Culture (2014); Haugh, Most Senior Wall Street Official, 9 Va. L. & Bus. Rev. 153 (2015), S. 184 (zum unternehmensübergreifenden Kulturwandel, nachdem Officers verschiedener Unternehmen im Zusammenhang mit der Rückdatierung von Optionen strafverfolgt worden waren).
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nicht wirksam schützen können, da es für sie nicht erkennbar ist.155 Monetärer Schadenersatz kann den entstandenen Schaden an Leib, Leben oder Umwelt nicht adäquat ausgleichen, deshalb muss das Recht hier Anreize zur Prävention setzen. Entscheidungs- und Verantwortungsträger sind in der besten Position, diesen Verstößen und Gefahren vorzubeugen. Da Officers bei strafrechtlichen Verurteilungen weder durch eine Versicherung noch durch Freistellung durch das Unternehmen geschützt sind, zielt die Responsible Corporate Officer Doctrine darauf, dass sie ihre Überwachungsaufgabe aktiv ernst nehmen, um gesundheitsgefährdende oder gar tödliche Produktfehler und irreparable Umweltschäden von vornherein zu verhindern.156 Obwohl es sich bei den Public Welfare Offenses um Straftaten des Unternehmens handelt, beruht die Sanktionierung der Responsible Corporate Officers auf der Überzeugung, dass eine Strafverfolgung des Unternehmens alleine diesen generalpräventiven Zweck nicht erfüllen könnte. Drastische Strafen können, wie oben erwähnt, unverhältnismäßig negative Konsequenzen für das Unternehmen und seine Mitarbeiter haben, mildere Strafen haben aber als Cost of Doing Business keinen wesentlichen Einfluss auf das Handeln des Unternehmens. Insbesondere in der Pharma- und Medizintechnikindustrie sind Verurteilungen der Unternehmen nicht wünschenswert, da ein Unternehmen hier nach einer Verurteilung für eine „felony“, also eine Straftat mit einem Höchststrafmaß von mehr als einem Jahr Freiheitsentzug,157 nicht mehr an den beiden großen staatlich unterhaltenen Krankenversiche155
„[…] touch phases of the lives and health of people which, in the circumstances of modern industrialism, are largely beyond self-protection.“ Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 280. Zu dem gleichen Schluss kommt z. B. auch LG Aachen, Beschluss vom 18. Dezember 1970, 4 KMs 1/68, JZ 1971, 507 (Contergan-Beschluss), S. 515 f. (Arzneimittelhersteller hat, anders als der Patient, die Möglichkeit zur eingehenden Prüfung der von ihm hergestellten Medikamente, darüber hinaus ist das Risiko für ihn ein rein finanzielles, wenn das Mittel erst nach eingehender Prüfung auf den Markt kommen kann. Das Gericht hält es daher für „zwingend geboten […], während des aufgezeigten Schwebezustandes das Risiko dem Arzneimittelhersteller aufzuerlegen“). 156 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 285. s. auch Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672. 157 Der Begriff „felony“ ähnelt dem des deutschen „Verbrechen“, wobei eine Straftat im amerikanischen Recht bereits dann als Felony bezeichnet wird, wenn das Höchststrafmaß eine Freiheitsstrafe von einem Jahr überschreitet. 18 U.S.C. § 3559 (1)-(5). Nach § 12(1) StGB gilt eine Straftat als Verbrechen, wenn sie mit einem Mindeststrafmaß von mindestens einem Jahr Haft belegt ist. Bei einer maximalen Freiheitsstrafe von bis zum einem Jahr ist im amerikanischen Federal Law von einem „misdemeanor“ oder (wenn keine Freiheitsstrafe oder nicht mehr als fünf Tage autorisiert sind) einer „infraction“ die Rede. 18 U.S.C. § 3559 (6)-(9). Im Recht der Einzelstaaten kann Anderes gelten. Bei der Nachvollziehung des amerikanischen Rechts ist aber daher zu beachten, dass der deutsche juristische Ausdruck „Verbrechen“ sein Pendant nicht etwa im englischen „crime“ findet, wie dies umgangssprachlich geschieht, da „crime“ im juristische Gebrauch unspezifisch „Straftat“ bedeutet. Der Unterschied zwischen Felony und Misdemeanor ist in der amerikanischen Wirtschaftskriminalität auch über das Strafmaß hinaus relevant, da einige übergeordnete Gesetze und Strafverfolgungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft erst dann zur Verfügung stehen, wenn es sich bei der zugrunde liegenden Straftat um eine Felony handelt. Auch bringt eine Felony eine größere Beschneidung der
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rungsprogrammen Medicare und Medicaid teilnehmen könnte. Dem Markt und den Patienten gingen mit der praktisch unausweichlichen Insolvenz des Unternehmens möglicherweise wichtige Produkte verloren.158 Staatsanwälte legen Verfolgungen mit diesen Unternehmen daher ausschließlich durch DPAs oder sogenannte „Corporate Integrity Agreements“ bei. Sie enthalten zwar in aller Regel neben Geldstrafen auch Auflagen, die zukünftige Verstöße verhindern sollen, da diese aber letztendlich aus den gleichen Gründen wieder nur mit Geldstrafen bewährt sein können, erhöhen sie wiederum lediglich die Cost of Doing Business. Angesichts der enormen Profitabilität von erfolgreichen Produkten insbesondere in diesem Bereich ist zu erwarten, dass wirtschaftliche Abwägungen eher zu Risikobereitschaft als Zurückhaltung führen.159 Dies gilt umso mehr, da Bürgerrechte nach Absolvierung der Strafe mit sich als ein Misdemeanor (z. B. Verlust des Wahlrechts, Verlust bestimmter Sozialleistungen). Vgl. z. B. Gabriel J. Chin, The New Civil Death: Rethinking Punishment in the Era of Mass Conviction, 160 University of Pennsylvania Law Review 1789 (2012). 158 Vgl. z. B. Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 800 f.; Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S 86 f.; Lewis Morris (Chief Counsel, Office Of The Inspector General, U.S. Department Of Health And Human Services), „Improving Efforts to Combat Heath Care Fraud“, Aussage vor dem Committee on Ways and Means, Subcommittee on Oversight, U.S. House of Representatives, 2. März 2011. Morris erwähnt an dieser Stelle auch, dass nicht nur Hersteller medizinischer Produkte betroffen sind, für die es unter Umständen keinen Ersatz am Markt gibt, sondern auch Krankenhäuser und Kliniken, deren Schließung aufgrund einer Verurteilung für behebbare Verstöße unnötig schwere Folgen hätte. Heute vermeiden die Corporations diese „Todesstrafe“ unter anderem durch die Aufteilung ihres operativen Betriebs auf Tochtergesellschaften, so dass die Konzernmutter von diesem Teil der Strafe nicht getroffen werden kann. s. z. B. Pharmacia & Upjohn Company, Inc., eine Tochter von Pfizer, Inc., die 2009 die OffLabel Vermarktung des Schmerzmittels Bextra zugeben musste. Im Zuge der Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft verpflichtete sich zwar auch Pfizer zur Übernahme der $ 2,3 Milliarden Straf- und Ausgleichszahlungen, doch obwohl Pfizer fast zeitgleich noch mehrere andere Medikamente aus ähnlichen Gründen vom Markt hatte nehmen müssen, trafen das Unternehmen nur die finanziellen Konsequenzen des Rechtsverstoßes. Department of Justice, Presseerklärung, Largest Health Care Fraud Settlement (2. September 2009). s. auch WakeMed, 2013 WL 5011784 (2013); Patrick O’Leary, Credible Deterrence: FDA and the Park Doctrine in the 21st Century, 68 Food and Drug Law Journal 137 (2013), S. 146; Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 822; Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 279; Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the PostEnron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1168. 159 Viele der FDCA Fälle betreffen „off-label marketing“, also die Vermarktung von Arzneimitteln oder Medizintechnik zu einem Zweck oder für eine Bevölkerungsgruppe, für die die FDA das betreffende Produkt nicht zugelassen hat. Da die Produktentwicklung zu dem Zeitpunkt abgeschlossen ist, steht zwischen dem Unternehmen und einem ganzen neuen Marktsegment nur die Vermarktung, ein vergleichsweise zu vernachlässigender Kostenpunkt im Vergleich zu den potentiellen Gewinnen. Die Gefahr einer Strafe kann daher in das wirtschaftliche Kalkül einfließen, ohne die Entscheidung zu ändern. s. z. B. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 81 ff. Die Inzentivierung der Entscheidungsträger wirkt hier also umgekehrt zur Responsible Corporate Officer Doctrine, da die hohen Gewinne aus den widerrechtlichen Aktivitäten mit persönlichen Vorteilen in Form von hohen Boni, Aktienpaketen und einer Aufwertung der persönlichen Reputation einhergeht.
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rechtstreues Verhalten möglicherweise zu Verzögerungen und prekären Verlusten von Marktanteilen an rechtswidrig agierende Wettbewerber führt. Reputationsschäden durch Rechtsverstöße stellen außerdem in der Pharma- und Medizintechnikindustrie möglicherweise eine geringere Abschreckung dar, da Unternehmen hier so regelmäßig sanktioniert werden, dass Einzelfälle auf die Entscheidungen von Ärzten, Patienten oder auch Aktionären keinen maßgeblichen Einfluss haben werden.160 Zudem werden Strafzahlungen, wie auch zivilrechtliche Ansprüche, letztendlich von den Aktionären getragen, die in aller Regel keinen Anteil an oder direkten Einfluss auf das Fehlverhalten haben.161 Diese Allokation des Risikos ist zur Prävention zukünftigen Fehlverhaltens nicht sinnvoll. Gesetzgeber und Rechtsprechung verwenden die Responsible Corporate Officer Doctrine daher, um Unternehmensprioritäten in Einklang mit den Interessen der Allgemeinheit zu bringen und die Überwachung von internen Prozessen zu gewährleisten.162 So soll verhindert werden, dass Entscheidungsträger Strafzahlungen der Unternehmen für diese Verstöße als Cost of Doing Business in profit-maximierende Strategien einrechnen, zumal ein Wettbewerb zwischen rechtstreuen und rechtswidrig handelnden Unternehmen die Einhaltung der Gesetze zum Verbraucherschutz letztendlich unwirtschaftlich machen könnte.163 Somit dient die Responsible Corporate Officer Doctrine bereits heute in den Bereichen, in denen sie angewandt werden kann, als wichtiges Instrument der Corporate Governance. An dieser Stelle folgt zunächst ein Überblick in die zwei wesentlichen Formen der Responsible Corporate Officer Doctrine, die eine basierend ausschließlich auf Rechtsprechung (im Bereich von Lebensmitteln, Arzneimitteln und Medizintechnik), die andere auf Gesetzgebung (im Umweltrecht). Auch empirische Erfahrungswerte zu ihrer Effektivität finden Betrachtung. Es folgt eine Bewertung ihrer rechtssystematischen Auslegungen und der Kritik im amerikanischen Schrifttum. Anschließend soll ihre Eignung als Corporate Governance Instrument über ihren aktuellen Anwendungsbereich hinaus dargelegt werden. 1. Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine Ihre Bewertung wird unter anderem verkompliziert durch die Koexistenz der Responsible Corporate Officer Doctrine in der Rechtsprechung zum einen und in der Gesetzgebung zum anderen. Um die Legitimation und mögliche Effektivität der Responsible Corporate Officer Doctrine begründet bewerten zu können, sollen hier 160
S. 92. 161
So z. B. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012),
Zur Diskussion über Schadensersatzzahlungen der Unternehmen s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 162 Vgl. auch Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 351. 163 Vgl. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 91.
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beide Varianten des Rechtsinstituts betrachtet werden. Auch Rechtsprechung aus anderen Rechtsgebieten wird erörtert, die sich auf die Responsible Corporate Officer Doctrine bezieht. a) Die Responsible Corporate Officer Doctrine in der Rechtsprechung (FDCA) Responsible Corporate Officers, die für Unternehmen tätig sind, deren Produkte dem Federal Food, Drugs and Cosmetic Act (FDCA)164 aus dem Jahr 1938 unterliegen, können von der U.S. Food and Drug Administration (FDA) und dem Department of Justice bei einem Verstoß des Unternehmens gegen Section 301 des FDCA für ein „misdemeanor“165 verfolgt werden.166 Um als Misdemeanor geahndet zu werden, ist dieser Verstoß verschuldensunabhängig (eine „strict liability offense“).167 Haben bei dem Verstoß betrügerische Handlungen eine Rolle gespielt oder wird die gleiche Person zum zweiten Mal verurteilt, so kann es sogar zu einer Verurteilung für eine Felony kommen.168 Neben Strafzahlungen und möglichen Haftstrafen ist insbesondere das Berufsverbot („debarment“ oder auch „exclusion“), das die FDA bei einer Verurteilung verhängen kann, von großer Bedeutung für den Responsible Corporate Officer.169 Auf diese Weise sollen die Personen, die den 164 s. z. B. United States. v. Purdue Frederick Co., Inc., 495 F. Supp. 2d 569 (W.D. Va. 2007), S. 576 („The defendants voluntarily accepted responsibility over this business enterprise, for which they were generously rewarded.“). 165 Ein „misdemeanor“ ist dem „Vergehen“ im deutschen Recht vergleichbar. Wie bereits erläutert, unterscheidet sich die Trennung zwischen Misdemeanor und Felony aber von der Trennung zwischen Vergehen und Verbrechen, da eine Straftat im amerikanischen Federal Law bereits dann als Felony bezeichnet wird, wenn das Höchststrafmaß eine Freiheitsstrafe von einem Jahr überschreitet. 18 U.S.C. § 3559 (1)-(5). Nach § 12 Abs. 1 StGB gilt eine Straftat als Verbrechen, wenn das Mindeststrafmaß nicht nicht weniger als ein Jahr Haft vorsieht. Die höchstmögliche Freiheitsstrafe bei einem Misdemeanor liegt also in jedem Fall bei unter einem Jahr, bei einem deutschen Vergehen kann sie dieses Maß überschreiten, so dass es sich um deutlich härter sanktionierte Straftaten handeln kann. 166 21 U.S.C. § 331. Gemäß Section 303(a) des FDCA werden die in Section 301 genannten Verstöße aber als Felony behandelt, wenn gegen den Beschuldigten bereits eine Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen den FDCA vorliegt, oder der Verstoß mit betrügerischen Absichten geschah („with the intent to defraud or mislead“). 21 U.S.C. § 333(a). Einen Überblick über die behördlichen Strukturen und den Ablauf einer Strafverfolgung nach dem FDCA bietet beispielsweise O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 139 ff. s. auch U.S. Food and Drug Administration, 6 – 5 – Prosecution, Regulatory Procedures Manual (letztes Update 2015). 167 Vgl. auch z. B. Alan Zarky, The Responsible Corporate Officer Doctrine, 5 Toxics Law Reporter 983 (1991), S. 986. 168 21 U.S.C. § 333(a)(2). 169 Die Länge und das Ausmaß des Berufsverbotes richten sich nach der Schwere und dem Zusammenhang des Rechtsverstoßes gemäß Section 305 des FDCA (21 U.S.C. § 335a). Eine Felony im Zusammenhang mit der behördlichen Zulassung von Arzneimitteln führt zwingend zu lebenslangem Debarment („mandatory debarment“). 21 U.S.C. § 335a(a) & (c)(2)(A)(ii). Im
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größten Einfluss auf die Kultur und Prozesse der Unternehmen haben, motiviert werden, auf die gründliche Einhaltung aller nötigen Vorsichtsmaßnahmen bei der Herstellung und Vermarktung der Produkte zu achten. aa) Grundlegende Rechtsprechung Der U.S. Supreme Court hat die Responsible Corporate Officer Doctrine zunächst im Jahr 1943 in United States v. Dotterweich170 in der Rechtsprechung etabliert. Hier ging es um fehlerhafte Kennzeichnung und falsche Angabe der Inhaltsstoffe bei Medikamenten, ein Verstoß gegen Section 301 des FDCA.171 Dem Geschäftsführer, Joseph Dotterweich, wurde keine Kenntnis der Vorgänge unterstellt,172 dennoch wurde er für drei Misdemeanors verurteilt und persönlich mit einer zweimonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von $ 500 (in heutiger Währung ca. $ 8.200173) belegt. In der Urteilsbegründung rechtfertigte Justice Felix Frankfurter die Entscheidung insbesondere damit, dass Verantwortungsträger innerhalb der Unternehmen in einer besseren Position seien, die von ihren Produkten ausgehenden Gefahren zu verhindern, denen Kunden und Konsumenten sonst schutzlos ausgeliefert wären.174 Zur Zeit des Urteils waren nur fünf Jahre vergangen, seitdem zahlreiche im ganzen Land verteilte Fälle von schweren Verletzungen, Entstellungen
Falle eines Misdemeanors in Form eines Verstoßes gegen die Regulierung von Arzneimitteln oder Nahrungsmittelimporte liegt das Verhängen eines Debarment von bis zu fünf Jahren im Ermessen des Gesundheitsministers (Secretary of Health and Human Services), dem die FDA untersteht („permissive debarment“). 21 U.S.C. § 335a(b) & (c)(2)(A)(iii). Die Entscheidung des Ministers richtet sich dabei nach verschiedenen Überlegungen, darunter die Schwere des Verstoßes, die eingeleiteten Schritte zur Schadensbegrenzung sowie zur Vermeidung weiterer Verstöße in der Zukunft. 21 U.S.C. § 335a(c)(3). Beruht das Permissive Debarment auf mehreren Rechtsverstößen, können mehrere Laufzeiten aufeinander folgen, so dass es zu einer Dauer von mehr als fünf Jahren kommen kann. 21 U.S.C. § 335a(c)(2)(A). Auch das Begehen anderer Straftaten außerhalb des FDCA können in der Arzneimittelindustrie zu einem Permissive Debarment führen, wenn der Minister zu dem Schluss kommt, dass dieses Verhalten Verstöße gegen den FDCA wahrscheinlich erscheinen lässt (insbesondere gilt dies beispielsweise für Betrugsstraftaten, Bestechung oder Behinderung der Justiz). 21 U.S.C. § 335a(b)(2)(B). Vgl. auch Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014). 170 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943). 171 21 U.S.C. § 331. 172 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 286 (Justice Murphy, Minderheitsvotum). 173 Umrechnung laut U.S. Department of Labor/Bureau of Labor Statistics, CPI Inflation Calculator, in 2019 US-Dollar. Höhe der Strafzahlung aus United States v. Buffalo Pharmacal Co., 131 F.2d 500 (2d Cir. 1942), S. 501. 174 „Balancing relative hardships, Congress has preferred to place it upon those who have at least the opportunity of informing themselves of the existence of conditions imposed for the protection of consumers before sharing in illicit commerce, rather than to throw the hazard on the innocent public who are wholly helpless.“ Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 285. s. auch Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672.
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und Todesopfern aufgrund ungehemmter Werbung für und freien Verkaufs von ungeprüften Arzneimitteln zum Erlass des FDCA geführt hatten.175 Mehr als dreißig Jahre später bestätigte und konkretisierte das Gericht die Responsible Corporate Officer Doctrine in United States v. Park.176 In diesem Fall zum Rattenbefall eines Warenhauses einer Supermarktkette, hatte der CEO, John Park, nach behördlichen Inspektionen schriftliche Warnungen zum inakzeptablen Zustand der Lebensmittellagerung erhalten.177 Als diese bei weiteren Inspektionen nicht behoben waren, kam es zur Anklage. Park betrachtete dies als ungerechtfertigt, da er Anweisungen zur Behebung erteilt hatte, denen die Mitarbeiter vor Ort offenbar nicht gefolgt waren. Während das Gericht anerkannte, dass ein Officer nicht verurteilt werden sollte, wenn er die Handlungen nicht hätte beeinflussen können, machte es auch deutlich, dass die Responsible Corporate Officer Doctrine sogar anwendbar ist, wenn der angewiesene Mitarbeiter gegen die expliziten Anweisungen des Officers gehandelt hat.178 Der Responsible Corporate Officer ist strafrechtlich für Verstöße gegen Section 301 des FDCA in seinem Geschäftsbereich verantwortlich, seine direkte persönliche Schuld und seine Kenntnis der Vorgänge spielen dabei keine Rolle. Entsprechend urteilte der U.S. Supreme Court, dass Park sich nicht blind auf seine Mitarbeiter hätte verlassen dürfen, sondern das Ergebnis hätte überprüfen müssen.179 Er leistete eine Strafzahlung in Höhe von $ 250 (ca. $ 1.500 in heutiger Währung180). Die Entscheidung in Park wird häufig dahingehend ausgelegt, dass der Responsible Corporate Officer mit einem Minimum an Fahrlässigkeit gehandelt haben sollte, bevor es zur Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine kommt.181 Die FDA nahm bereits im Jahr nach dem Urteil diesen Fahrlässigkeits175
s. z. B. Thomas Hager, The Demon Under the Microscope (2006), S. 207 ff. (der Autor spricht mit Blick auf das Marketing von einer „open season on consumers“); Wallace E. Janssen, Outline of the History of U.S. Drug Regulation and Labeling, 36 Food Drug and Cosmetics Law Journal 420 (1981). Vgl. auch Arthur Kallet, Frederick John Schlink, 100,000,000 Guinea Pigs: Dangers in everyday foods, drugs, and cosmetics (1932); Ruth deForest Lamb/Royal Samuel Copeland, American chamber of horrors: the truth about food and drugs (1936). 176 Park, 421 U.S. 658 (1975). 177 Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 662. 178 Vgl. Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 678. 179 Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 678. 180 Umrechnung laut U.S. Bureau of Labor Statistics, Inflation Calculator, in 2019 USDollar. Höhe der Strafzahlung aus Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 666. 181 s. Park, 421 U.S. 658 (1975), S. S. 678 f. (Justice Stewart, Minderheitsvotum). Vgl. auch z. B. Behre/Miller, Corporate Criminal Investigations (2013), S. 35; Norman Abrams, Criminal Liability of Corporate Officers for Strict Liability Offenses – A Comment on Dotterweich and Park, 28 UCLA Law Review 463 (1981), S. 469; Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 809; Jennifer Bragg/John Bentivoglio/Andrew Collins, Onus of Responsbility: The Changing Responsible Corporate Officer Doctrine, 65 Food and Drug Law Journal 525 (2010), S. 529.
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standard in ihre offiziellen Richtlinien auf.182 In Anlehnung an dieses Urteil wird die Responsible Corporate Officer Doctrine im Rechtsgebiet des FDCA auch als „ParkDoctrine“ bezeichnet.183 Weitere Fälle in den darauffolgenden Jahren bestätigten, dass die FDA und die Gerichte zwar keine tatsächlich unmöglichen Handlungen erwarteten, dass die Responsible Corporate Officer Doctrine aber zur Verhinderung der Public Welfare Offenses unter FDCA Section 301 ein über den üblichen Sorgfaltsmaßstab hinausgehendes Maß an Voraussicht und Sorgfalt verlangt.184 bb) Aktuelle Rechtsprechung Obgleich die Rechtmäßigkeit der Responsible Corporate Officer Doctrine auch nach Dotterweich noch sehr umstritten war,185 waren nach dem klaren Urteil des Supreme Court in Park positive Änderungen im Verhalten von Entscheidungsträgern in Unternehmen zu verzeichnen.186 Lange Zeit wurde sie vielleicht auch deswegen im Zusammenhang mit dem FDCA kaum angewendet.187 Erst seit ca. 2010 haben die FDA und das Department of Justice die Strafverfolgung von Responsible Corporate Officers wieder zu einer Priorität gemacht.188 In den vorherigen Jahren hatte es immer wieder Einigungen mit Pharmaunternehmen gegeben, die zu Corporate Integrity Agreements zwischen den Unternehmen und den Behörden sowie hohen Strafzahlungen geführt hatten, doch bestand der Eindruck, dass die Unternehmen die Zahlungen als eine erträgliche Cost of Doing Business betrachteten.189 182
O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 152. Der Begriff „Responsible Corporate Officer Doctrine“ ist kein fester rechtlicher Begriff, die Gerichte haben ihn offenbar überhaupt erst 1979 angefangen zu verwenden. Martin Petrin, Circumscribing the „Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite“ – A Critique of the Responsible Corporate Officer Doctrine, 84 Temple Law Review 283 (2012), S. 290, Fn. 33. Die Begriffe „Park Doctrine“ (im Zusammenhang mit dem FDCA) und, seltener, „responsible relation doctrine“ oder „responsible share doctrine“ werden ebenfalls verwendet. s. z. B. O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013); Abrams, A Comment on Dotterweich and Park, 28 UCLA L. Rev. 463 (1981); Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006); Kathleen F. Brickey, Criminal Liability of Corporate Officers for Strict Liability Offenses – Another View, 35 Vanderbilt Law Review 1337 (1982). Auch sind die Anforderungen (beispielsweise an die Mens Rea des Officer) nicht in jedem Zusammenhang und vor jedem Gericht gleich. 184 s. United States v. Y. Hata & Co., Ltd., 535 F.2d 508 (9th Cir. 1976); United States v. Starr, 535 F.2d 512 (9th Cir. 1976). 185 s. infra, Auslegungen der Responsible Corporate Officer Doctrine (S. 326). 186 Vgl. z. B. O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013). 187 s. z. B. Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 525 f. 188 Margaret A. Hamburg (Commissioner of Food And Drugs), Brief an Senator Charles E. Grassley, Ranking Member, Senate Committee on Finance, U.S. Senate (4. März 2010), S. 2; Morris, Aussage vor dem House Ways and Means Comm. (Subcomm. on Oversight), 2. März 2011. s. auch z. B. Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 527; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 164. 189 s. z. B. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 86 & 90 ff.; Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 801. 183
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Die neue Konzentration auf Responsible Corporate Officers sollte diesen gefährlichen Entwicklungen entgegenwirken.190 Die Größenordnung der von der Staatsanwaltschaft durchgesetzten Zahlungen hat sich deutlich erhöht. Auch macht die FDA vermehrt von ihrem Recht Gebrauch, den Verurteilten ein Geschäftsverbot mit staatlichen Behörden und staatlichen Versicherungsprogrammen zu erteilen, was praktisch einem Berufsverbot gleicht.191 Zumindest offiziell wird den Responsible Corporate Officers in den meisten Fällen kein Wissen von den Rechtsverstößen angelastet. Dennoch ist in vielen dieser Fälle sehr zweifelhaft, ob sie nicht tatsächlich Kenntnis von oder sogar einen Anteil an den widerrechtlichen Handlungen hatten.192 Die Responsible Corporate Officer Doctrine dient daher offenbar der Staatsanwaltschaft auch als prozessstrategisches Instrument, da sie eine Verurteilung zu Geld- und Gefängnisstrafen zulässt, ohne eine komplizierte Beweisführung zu Kenntnis und Vorsatz bzw. spezifisch betrügerischen Absichten Einzelner zu erfordern. Alternative Straftatbestände wie Betrug oder Körperverletzung, die möglicherweise begründbar wären, hätten deutlich höhere Anforderungen. Da das maximale Strafmaß für ein Misdemeanor gemäß Section 301 des FDCA eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und $ 1.000 beträgt, kann eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft für den Angeklagten eine erheblich leichtere Strafe bedeuten, als die von der Staatsanwaltschaft andernfalls möglicherweise verfolgten Alternativen, so dass er zu einem entsprechenden Schuldbekenntnis („plea agreement“) bereit sein kann.193 Für die Staatsanwaltschaft und die FDA ist ein sicheres Ergebnis oft einem Als Pfizer im Jahr 2009 im Zusammenhang mit dem Medikament Bextra mit $ 1,195 Milliarden die damals höchste Strafzahlung in der US-Geschichte leistete, war Bextra bereits das vierte Medikament in kurzer Folge, das Pfizer widerrechtlich vermarktet hatte. Department of Justice, Presseerklärung, Largest Health Care Fraud Settlement (2. September 2009). Vgl. auch O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 146. 190 Morris, Aussage vor dem House Ways and Means Comm. (Subcomm. on Oversight), 2. März 2011. 191 Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 818 f. 192 Vgl. z. B. Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 571; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 165 f. 193 Gegen ein solches Plea Agreement entschied sich 2009 Scott Harkonen, der CEO von InterMune, Inc.. InterMune hatte in einer Presseerklärung Aussagen über die Wirksamkeit des Medikaments Actimmune gemacht, die noch nicht von der FDA geprüft worden waren. Statt ein Schuldgeständnis zu einem Misdemeanor unter Section 301 des FDCA abzulegen, beschloss Harkonen, sich vor Gericht zu verteidigen, auch wenn die Anklage dann auf einen Verstoß gegen Section 301 mit betrügerischen Absichten lautete, also eine Felony mit deutlich höherem Strafmaß (21 U.S.C. § 333(a)(2)), und „wire fraud“ gemäß 18 U.S.C. § 1343 (s. supra, Die Rolle der Staatsanwaltschaft (S. 286)), einem Straftatbestand mit einer maximalen Freiheitsstrafe von zwanzig Jahren. Eine Jury befand ihn des Wire Fraud für schuldig, sprach ihn aber von dem Verstoß gegen den FDCA frei. Das Gericht verurteilte ihn dennoch nur zu einer Bewährungsstrafe von drei Jahren sowie sechs Monaten Hausarrest, 200 Stunden Sozialdienst und einer Strafzahlung von nur $ 20.000. Die geringe Strafe mag darauf zurückzuführen sein, dass die unzulässige Vermarktung von Actimmune offenbar keine gefährlichen gesundheitlichen Konsequenzen gehabt hatte, es handelte sich also um einen ausschließlich finanziellen Schaden. United States v. Harkonen, 2013 WL 782354 (9th Cir. 2013). Die FDA erteilte zusätzlich ein
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aufwändigen Prozess vorzuziehen, insbesondere da auch ein Plea Agreement in den Augen der Öffentlichkeit einen Sieg bedeuten kann. Obwohl es in vielen dieser Fälle wahrscheinlich oder sogar deutlich war, dass die Responsible Corporate Officers Wissen von oder Anteil an den Rechtsverstößen hätten, werden sie daher dennoch entsprechend ihres Plea Agreements nur für ein Misdemeanor verurteilt. In einem prominenten Fall jüngerer Vergangenheit, der auch ohne Haftstrafen als Erfolg der Behörden gewertet wurde, bekannten sich drei Officers194 der Purdue Pharma L.P. als Responsible Corporate Officers aufgrund falscher Kennzeichnung und Vermarktung („misbranding“) des Schmerzmittels OxyContin für schuldig. Das Medikament mit dem Wirkstoff Oxycodon, einem starken Opioid, das in seinem Missbrauchs- und Suchtpotential Morphin sehr nahe kommt,195 war insbesondere aufgrund der falschen Darstellung vermarktet worden, dass von ihm eine deutlich geringere Suchtgefahr als von vergleichbaren Schmerzmitteln ausginge, der für Ärzte wichtigste Faktor bei der Entscheidung für oder gegen eine Behandlung mit OxyContin.196 Unter anderem aufgrund dieser Kennzeichnung entwickelte sich OxyContin schnell zum meist-verschriebenen Schmerzmittel seiner Art und brachte Purdue als erfolgreichstes Produkt Umsätze in Höhe von mehr als $ 1 Milliarde pro Jahr mit steigender Tendenz,197 als die rechtswidrige Vermarktung 2001 eingestellt wurde.198 Während dieser Zeit lagen dem Unternehmen aber bereits seit einigen Jahren Studien vor, die die Suchtgefahr belegten.199 Das Gericht verurteilte die drei Officers zu dreijähriger Haft auf Bewährung, 400 Stunden Sozialdienst und Strafzahlungen von insgesamt $ 34 Millionen, die die Staatsanwaltschaft bereits mit den Angeklagten verhandelt hatte.200 Obwohl ihnen Debarment von fünf Jahren. Harkonen v. Sebelius, Order Granting Defendant’s Motion for Summary Judgment and Denying Plaintiff’s Motion for Summary Judgment, No. C 13 – 0071 PJH (N.D. Cal., 22. Oktober 2013). Vgl. auch O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 169 f. 194 Michael Friedman, CEO; Dr. Paul D. Goldenheim, medizinischer Leiter verantwortlich für Forschung und Entwicklung; Howard R. Udell, Chief Legal Officer. 195 John K. Jenkins (Director, Office of New Drugs, Center for Drug Evaluation and Research, Food and Drug Administration) „OxyContin: Balancing Risks and Benefits“, Aussage vor dem Senate Committee on Health, Education, Labor and Pensions, 12. Februar 2002. 196 Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 100. 197 U.S. Food and Drug Administration, Annual U.S. OxyContin Retail Sales (2010); Chris Adams, Painkiller’s Sales Far Exceeded Levels Anticipated by Maker, The Wall Street Journal (16. Mai 2002). 198 Friedman v. Sebelius, 686 F.3d 813 (D.C. Cir. 2012), S. 816; Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 571; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 166. 199 Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 571. 200 Das Gesetz hätte eine Haftstrafe von höchstens einem Jahr mit der Möglichkeit einer Strafzahlung von nicht mehr als $ 100.000 vorgesehen. Da die Angeklagten sich aber schuldig bekannt und zu diesen deutlich höheren Strafzahlungen verpflichtet hatten, die als Rückzahlung erhaltener Vergütung verstanden wurden, verzichtete das Gericht auf Gefängnisstrafen. Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 573; Friedman, 686 F.3d 813 (2012), S. 816.
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kein Wissen oder eigene betrügerische Motive angelastet wurden, erkannten die Angeklagten als unbestritten an, dass dem Unternehmen die höhere Suchtgefahr des Medikaments bekannt war.201 Anschließend verhängte die FDA ein de facto Beschäftigungsverbot in der Gesundheitsindustrie von zwanzig Jahren, das nach weiteren Instanzen auf zwölf gesenkt wurde.202 Das Tochterunternehmen Purdue Frederick Company, Inc. bekannte sich der betrügerischen falschen Auszeichnung des Medikaments für schuldig, einer Felony. Purdue leistete Strafzahlungen in Höhe von $ 600 Millionen.203 Der Fall gilt als Musterbeispiel der Renaissance der Responsible Corporate Officer Doctrine, da eine Verurteilung erfolgte, ohne dass den Angeklagten Kenntnis vorgeworfen wurde. Weitere Fälle, in denen Responsible Corporate Officers nach einem Plea Agreement mit Hilfe der Responsible Corporate Officer Doctrine gemäß Section 301 des FDCA nur für ein Misdemeanor verurteilt wurden, obwohl das Wissen der Verurteilten von den strafbaren Vorgängen wahrscheinlich oder sogar erwiesen war,204 beziehen sich beispielsweise auf illegale klinische Versuche für einen Knochenzement, die trotz zahlreicher Warnungen erst nach dem dritten Todesfall eingestellt wurden (Synthes, Inc.)205; Morphintabletten, die aufgrund eines Herstellungsfehlers zum Teil eine deutlich höhere Dosis Morphin enthielten, als ihre Etiketten angaben (KV Pharmaceutical);206 Eier aus intensiv mit Salmonellen verseuchten Legeställen, die zu bestätigten Erkrankungen bei fast 2.000 Personen mit einer geschätzten Dunkelziffer von über 50.000 weiteren führten (Quality Egg, Inc.)207; 800 Tonnen Weizengluten für Tiernahrung, das in China zur Vortäuschung 201
Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 571. Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 822 ff. Das Urteil zur Dauer des Debarments wurde im Jahr 2012 durch den D.C. Circuit Court of Appeals aufgrund von Verfahrensmängeln aufgehoben. Das Gericht äußerte sich allerdings nicht dazu, ob es die Dauer des Debarments sonst für angemessen gehalten hätte. Friedman, 686 F.3d 813 (2012), S. 828. 203 Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 572. 204 Das Wissen und zum Teil auch die Beteiligung der verurteilten Responsible Corporate Officers galt zwar nicht offiziell als erwiesen, scheint aber jeweils einen erheblichen Einfluss auf die harten Strafentscheidungen der Richter gehabt zu haben, die in den meisten dieser Fälle mehrmonatige Haftstrafen erließen. 205 United States v. Michael D. Huggins, Memorandum, No. 09 – 403 – 3 (E.D. Penn., 13. Dezember 2011). Eine wissenschaftliche Analyse der Rolle des Knochenzements in den Todesfällen fand nicht statt, doch das Unternehmen bekannte sich für schuldig und verpflichtete sich, die verantwortliche Sparte abzustoßen, auch die Responsible Corporate Officers wurden zu Geldstrafen von je $ 100.000 und Haftstrafen von bis zu neun Monaten verurteilt. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 106 f. 206 U.S. Attorney for the Eastern District of Missouri, Presseerklärung, Marc S. Hermelin, Former CEO of KV Pharmaceutical, Pleads Guilty to Misbranding Drugs and Agrees to Pay United States $ 1.9 Million as Fines and Forfeiture (10. März 2011). 207 United States v. Quality Egg, LLC, Memorandum Opinion and Order Regarding Defendants’ Motion Prior to Sentencing, No. C 14 – 3024-MWB (N.D. Iowa, 14. April 2015). Die 202
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eines höheren Proteingehalts mit der Industriechemikalie Melamin gestreckt worden war und über 4.000 Hunde und Katzen an Nierenversagen sterben ließ (ChemNutra, Inc.).208 Zwischenzeitlich hat der Nachdruck der Strafverfolgung aber möglicherweise wieder nachgelassen – nach einem deutlichen Anstieg ab dem Jahr 2010, fiel zwischen den Jahren 2012 und 2014 der Anteil, den Strafverfolgungen im Zuständigkeitsbereich der FDA an der Gesamtzahl der Strafverfolgungen gemäß Federal Law gegen Unternehmen hatten, um mehr als 70 %.209 Nachdem der U.S. Supreme Court es aber im Jahr 2017 ablehnte, die Verurteilung der Responsible Corporate Officers im Fall von Quality Egg gerichtlich zu überprüfen, ist zunächst einmal sicher, dass die Responsible Corporate Officer Doctrine dem DOJ als Option erhalten bleibt.210 cc) Debarment Die neue Gruppe der Fälle, in denen Verstöße gegen den FDCA mit Hilfe der Responsible Corporate Officer Doctrine geahndet worden sind, zeichnen sich durch deutlich härtere Strafen aus als die Bagatellbeträge, zu deren Zahlung Joseph Dotterweich und John Park noch verurteilt worden waren. Neben höheren Geld- und Haftstrafen ist aber vor allem auch das Debarment, das praktisch einem Berufsverbot in der jeweiligen Industrie gleicht, ein Merkmal der aktuellen Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit dem FDCA. Section 305 des FDCA regelt die Länge und das Ausmaß des Berufsverbotes, beides richtet sich nach der Schwere und der Art des Rechtsverstoßes.211 Eine Felony im Zusammenhang mit der behördlichen Zulassung von Arzneimitteln führt für eine natürliche Person zwingend zu lebenslangem Debarment („mandatory debarEier führten zu fast 2.000 bestätigten Fällen von Salmonellenerkrankungen. Angesichts einer hohen Dunkelziffer bei Salmonellen, beliefen sich Schätzungen der Gesundheitsbehörden auf mehr als 56.000 erkrankte Personen. Fn. 7. Die anschließend gestartete Rückrufaktion betraf über 500 Millionen Eier. U.S. Food and Drug Administration, Salmonella Enteritidis Outbreak in Shell Eggs (30. November 2010). 208 U.S. Attorney for the Western District of Missouri, Presseerklärung, Business Owners Sentenced For Distributing Tainted Pet Food Ingredient – Follows $ 24 Million Settlement Related To Illness and Deaths Of Thousands Of Pets (5. Februar 2010). 209 Nach einem durchschnittlichen Anteil von 3,8 % in den Jahren 2006 bis 2009), stieg der jährliche Anteil im Jahr 2010 auf 8,7 % und erreichte im Jahr 2012 sogar 13,2 % (nur Umweltstraftaten und Betrug hatten einen höheren Anteil). Im Jahr 2014 fiel er zurück auf 3,7 % (lediglich Platz 7). U.S. Sentencing Commission, Primary Offense of Organizational Cases, Interactive Sourcebook of Federal Sentencing Statistics (2015) (gezählt werden hierbei nur die „Hauptstraftaten“ eines jeden Falls). 210 United States v. DeCoster, 828 F.3d 626 (8th Cir. 2016) (vom U.S. Supreme Court abgelehnt, 2017 WL 120919 (22. Mai 2017)). Vgl. auch Michael W. Peregrine, The „Responsible Corporate Officer Doctrine“ Survives to Perplex Corporate Boards, Harvard Law School Forum on Corporate Governance and Financial Regulation (5. Juli 2016). 211 21 U.S.C. § 335a. Die hier besprochenen Regelungen gelten für natürliche Personen.
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ment“).212 Im Falle eines Misdemeanors zur Regulierung von Arzneimitteln oder Nahrungsmittelimporten liegt das Verhängen eines Debarment von bis zu fünf Jahren im Ermessen des Gesundheitsministers („Secretary of Health and Human Services“), dem die FDA untersteht („permissive debarment“).213 Die Entscheidung über ein Debarment richtet sich dabei nach gesetzlich festgelegten Kriterien, insbesondere sind die Schwere des Verstoßes und die eingeleiteten Schritte zur Schadensbegrenzung und zur Vermeidung weiterer Verstöße in der Zukunft zu beachten.214 Beruht das Permissive Debarment auf mehreren Rechtsverstößen, können mehrere Laufzeiten aufeinander folgen, so dass es zu einer Dauer von mehr als fünf Jahren kommen kann.215 Gleiches gilt bei strafverschärfenden Umständen.216 Auch das Begehen von Straftaten außerhalb des FDCA können in der Arzneimittelindustrie zu einem Permissive Debarment führen, wenn dieses Verhalten Verstöße gegen den FDCA wahrscheinlich erscheinen lässt (insbesondere gilt dies beispielsweise für Betrugsstraftaten, Bestechung oder Behinderung der Justiz).217 Das Debarment gilt nicht als strafrechtliche Sanktion, da es den Schutz der Allgemeinheit zum Ziel hat, nicht die Bestrafung des Verurteilten.218 Es richtet sich daher nicht nach den gleichen Maßgaben und kann auch bei einer Verurteilung für ein Misdemeanor für einen deutlich längeren Zeitraum als ein Jahr verhängt werden. Den zum Teil sehr langen Debarments, die in den meisten Fällen dazu führen werden, dass der Verurteilte gar nicht wieder in seine Industrie zurückkehren kann, wird unter anderem die Kritik entgegengebracht, dass sie eine unverhältnismäßig harte Konsequenz für eine Verurteilung für ein Misdemeanor bedeuten.219 Zudem stellen Kritiker in Frage, ob die Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit langen Debarments noch mit der ursprünglichen Rechtsprechung
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21 U.S.C. § 335a(a) & (c)(2)(A)(ii). 21 U.S.C. § 335a(b) & (c)(2)(A)(iii). Durchgesetzt wird das Debarment durch das „Office of the Inspector General“ (OIG) des Gesundheitsministeriums. 42 C.F.R. § 1001.101. s. auch Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 817; Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1165. 214 21 U.S.C. § 335a(c)(3). 215 21 U.S.C. § 335a(c)(2)(A). 216 s. z. B. Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 822. 217 21 U.S.C. § 335a(b)(2)(B). 218 s. z. B. Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 804; Chin, New Civil Death, 160 U. Pa. L. Rev. 1789 (2012), S. 1806. 219 s. z. B. Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 827. Vgl. auch Chin, New Civil Death, 160 U. Pa. L. Rev. 1789 (2012). Zahlreiche der Stimmen im Schrifttum sehen das Debarment als die härteste Konsequenz einer Verurteilung unter der Responsible Corporate Officer Doctrine. Ob der Verurteilte eine erzwungene berufliche Neuorientierung trotz aller wirtschaftlichen Einbußen als die schwerere Strafe empfinden würde, als ein Jahr in einem amerikanischen Gefängnis zu verbringen und die Brandmarkung als Straftäter mit sich zu tragen, ist allerdings zu bezweifeln. 213
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zu vereinbaren ist, da in den damaligen Entscheidungen nur sehr geringe Geldstrafen ohne Debarments oder Haftstrafen verhängt wurden.220 b) Die Responsible Corporate Officer Doctrine kodifiziert (Umweltrecht) Auch bei bestimmten Umweltrechtsverstößen findet die Responsible Corporate Officer Doctrine Anwendung. Seit Erlass der Federal Water Pollution Control Act Amendments of 1972 („Clean Water Act“)221 und der Clean Air Act Amendments of 1977 („Clean Air Act“)222 ist das Wort „person“, also der Person, die Verstöße begehen und für sie bestraft werden kann, erstmalig für bestimmte Verstöße spezifisch auch als „any responsible corporate officer“ definiert.223 Die strafrechtliche Verfolgung von Responsible Corporate Officers beruht hier daher nicht auf zum Teil sehr umstrittener Rechtsprechung, sondern wurde vom Gesetzgeber kodifiziert. In anderen Umweltrechtsgebieten, beispielsweise strafrechtliche Verstöße gegen den Resource Conservation and Recovery Act of 1976 (RCRA),224 hat allerdings die Rechtsprechung die Responsible Corporate Officer Doctrine ohne eine kodifizierte Grundlage anerkannt. Nachdem die Environmental Protection Agency (EPA) nach ihrer Gründung im Jahr 1970 den eingeschränkten strafrechtlichen Möglichkeiten der Umweltgesetzgebung zunächst wenig Beachtung geschenkt hatte, gewannen diese mit den Umweltkatastrophen der 1980er Jahre an Schärfe und an Bedeutung.225 In zahlreichen Fällen griffen die EPA und das Department of Justice dabei auch auf Responsible
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Die Möglichkeit des Debarments fand erst später Eingang in den FDCA. s. auch Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 532. Vgl. auch Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 253; Staples v. United States, 511 U.S. 600 (1994), S. 605 f. 221 Der gesamte Federal Water Pollution Control Act mit allen Amendments ist kodifiziert unter 33 U.S.C. §§ 1311 – 1330. 222 Der gesamte Clean Air Act mit allen Amendments ist kodifiziert unter 42 U.S.C. §§ 7401 – 7431. 223 33 U.S.C. § 1319(c)(6) und 42 U.S.C. § 7413(c)(6). 224 42 U.S.C. §§ 6901 – 6992k. 225 s. z. B. Sean J. Bellew/Daniel T. Surtz, Criminal Enforcement of Environmental Laws: A Corporate Guide to Avoiding Liability, 8 Villanova Environmental Law Journal 205 (1997), S. 205 („Today’s society, faced with tremendous environmental deterioration, is calling for a strong-arm approach to polluters. Congress addressed this public concern by enacting tough environmental legislation and turning corporate offenders into public enemy number one.“); Peter C. White, Environmental Justice since Hammurabi: From Assigning Risk „Eye for an Eye“ to Modern-Day Application of the Responsible Corporate Officer Doctrine, 29 William & Mary Environmental Law & Policy Review 633 (2005), S. 635 ff. Insbesondere die Giftgaswolke über dem indischen Bhopal im Jahr 1984 und die Ölkatastrophe der Exxon Valdez im Jahr 1989 sind hier genannt. Vgl. auch Brenda S. Hustis/John Y. Gotanda, The Responsible Corporate Officer: Designated Felon or Legal Fiction?, 25 Loyola University Chicago Law Journal 169 (1994).
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Corporate Officers zurück.226 Da Umweltstraftaten neben Betrugstatbeständen inzwischen die mit Abstand am häufigsten verfolgten Straftaten von Unternehmen sind227 und vom Department of Justice mit einer hohen Erfolgsrate auch gegen Officers geahndet werden,228 ist das Umweltstrafrecht ein wichtiger und viel analysierter Anwendungsbereich der Responsible Corporate Officer Doctrine. In einer wesentlichen Abweichung vom Gebrauch der klassischen Responsible Corporate Officer Doctrine mit dem FDCA erfordern viele der Umweltstrafnormen aber den Nachweis von Schuld, so dass beispielsweise nur fahrlässige oder wissentliche Rechtsverstöße strafbar sind. Hier gilt, dass auch dem Responsible Corporate Officer die nötige Schuld nachgewiesen werden muss.229 Häufig bedeutet dies, dass der beschuldigte Responsible Corporate Officer die zur Verhinderung des Rechtsverstoßes nötige Handlung wissentlich unterlassen haben muss.230 So lehnten im Jahr 1991 zwei Gerichte in United States v. White231 und United States v. Mac226 Der Gesetzgeber hatte dies noch einmal bestärkt, als er den Begriff „operator“ für bestimmte Sanktionierungen nach dem Clean Air Act im Jahr 1990 zusätzlich mit der Bedeutung „senior management personnel or a corporate officer“ belegte. Auch Angestellte, die ein ausreichendes Maß an unabhängiger Verantwortung für den betroffenen Bereich tragen, können danach als „operators“ persönlich für zahlreiche Rechtsverstöße belangt werden. Pub. Law 101 – 549 (15. November 1990), 42 U.S.C. § 7413(h). s. auch White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 640. Vgl. z. B. United States v. Pearson, 274 F.3d 1225 (9th Cir. 2001). 227 Jedes Jahr betreffen die Hälfte aller Strafverfolgungen von Unternehmen durch das DOJ Betrugstatbestände und Umweltstraftaten in durchschnittlich nahezu gleichen Anteilen. USSC, Primary Offenses (2015) (gezählt werden hierbei nur die „Hauptstraftaten“ einer jeden Strafverfolgung, die Daten reichen zurück in das Jahr 2006). Vgl. auch Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1156 ff. 228 White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 662 f. 229 Der Clean Water Act und der Clean Air Act unterscheiden explizit zwischen fahrlässigen und wissentlichen Verstößen. 33 U.S.C. § 1319(c) und 42 U.S.C. § 7413 (c). Strafrechtlich verfolgt werden können „persons“, die das Gesetz fahrlässig oder wissentlich verletzen. Responsible Corporate Officers sind in der Definition von „persons“ mit umfasst und können nur innerhalb dieses Rahmens bestraft werden. Vgl. United States v. MacDonald & Watson Waste Oil Co., 933 F.2d 35 (1st Cir. 1991). s. auch Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1260; Behre/Miller, Corporate Criminal Investigations (2013), S. 63 ff. Aber s. auch Zarky, Responsible Corporate Officer Doctrine, 5 Toxics L. Rep. 983 (1991), S. 987 (in den Umweltgesetzen eine Strict Liability Offense für Responsible Corporate Officers sehend). 230 Zahlreiche gemeingefährliche Umweltstraftaten, für die das Gesetz keine ausdrückliche Schuld spezifiziert, werden von den Gerichten generell als schuldunabhängig ausgelegt, da es sich auch hier um Public Welfare Offenses handelt, die durch mangelnde Absicht für die Allgemeinheit nicht weniger schädlich sind. So z. B. United States v. United States Steel Corporation, 328 F. Supp. 354 (N.D. Ind. 1970), S. 356 („The public is injured just as much by unintentional pollution as it is by deliberate pollution, and it would have been entirely reasonable for Congress to attack both.“). Wie auch im Rahmen des FDCA sind die Gerichte aber nicht willens, Responsible Corporate Officers ohne Hinweise auf Kenntnis oder Fahrlässigkeit zu verurteilen. Vgl. White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 656. 231 United States v. White, 766 F. Supp. 873 (E.D. Wash. 1991).
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Donald & Watson Waste Oil Co.232 die Verurteilungen von beschuldigten Officers ab, die unter verschiedenen Normen des RCRA hätten erfolgen sollen. Da die Verurteilung eines direkt Beteiligten Wissen vorausgesetzt hätte, es sich also nicht wie bei Dotterweich und Park um Strict Liability Offenses handelte, lehnten die jeweiligen Gerichte die Verurteilung eines Responsible Corporate Officer ohne einen Nachweis der entsprechenden Kenntnis ab.233 Der Nachweis dieser Kenntnis kann allerdings auch durch Indizien erbracht werden, wobei das mit der Position des Responsible Corporate Officer üblicherweise einhergehende Wissen eine Rolle spielen kann.234 Ob die Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten nur Wissen von den Handlungen nachweisen muss, oder auch von seiner Verantwortung und Autorität im Bezug darauf, oder sogar von den Normen und Regulierungen, die den Rechtsverstoß begründen, bevor die Responsible Corporate Officer Doctrine greift, ist umstritten. Bei offensichtlichen Gefahren für die Allgemeinheit kann er sich auf Unkenntnis des Gesetzes aber nicht berufen, da von der Existenz von Regulierungen ausgegangen werden muss.235 Die Beschränkung der Responsible Corporate Officer Doctrine auf die in der jeweiligen Norm verankerte Mens Rea ist rechtsdogmatisch sinnvoll, zumal der Gesetzgeber diese Verstöße nicht für so gefährlich erachtet, dass sie schuldunabhängig zur Sanktionierung des eigentlich Handelnden oder des Unternehmens führen könnten. Außerdem handelt es sich bei vielen der umweltrechtlichen Verstöße, die wissentlich begangen werden, um Felonies mit entsprechend höherem Strafmaß und kollateralen Konsequenzen.236 Dennoch bedeutet sie eine schwächere und weniger klare Form der Responsible Corporate Officer Doctrine, da sie leitende Angestellte und Officers nicht zwingt, über eine eher passive „check the box“ Mentalität der Compliance hinaus sicher zu stellen, dass es nicht zu schweren Verletzungen der Umweltvorgaben kommt. Insbesondere in einem Bereich, in dem so viele der größten Katastrophen durch mangelnde Sorgfalt bei der Instandhaltung und Prüfung von Equipment über längere Zeiträume verursacht werden oder die durch eine striktere 232
MacDonald & Watson, 933 F.2d 35 (1991). White (E.D. Wash.), 766 F. Supp. 873 (1991), S. 894 f.; MacDonald & Watson, 933 F.2d 35 (1991), S. 51 ff. Zur Akzeptanz dieser Rechtsprechung in darauffolgenden Entscheidungen, s. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1263. 234 MacDonald & Watson, 933 F.2d 35 (1991), S. 52 & 55. s. auch United States v. Johnson & Towers, Inc., 741 F.2d 662 (3d Cir. 1984), S. 670; United States v. Hayes International Corporation, 786 F.2d 1499 (11th Cir. 1986), S. 1503 ff. 235 Hierbei geht es im Umweltrecht häufig darum, ob die Staatsanwaltschaft bei einer Norm, die wissentliches Fehlverhalten voraussetzt, nachweisen muss, dass der Beschuldigte Kenntnis von einer Registrierungs- oder Lizenzpflicht hatte. s. z. B. Int’l Minerals & Chemicals, 402 U.S. 558 (1971); Hayes, 786 F.2d 1499 (1986), S. 1504 f.; Johnson & Towers, 741 F.2d 662 (1984), S. 667 ff.; United States v. Wagner, 29 F.3d 264 (7th Cir. 1994), S. 265 ff.; vgl. auch Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1288; White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 647 f. 236 Vgl. White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 640. 233
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Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben hätten verhindert werden können, könnte es hier weitere Anwendungsmöglichkeiten geben. Das Risiko einer bewussten Inkaufnahme der Sanktionierung als Cost of Doing Business ist durch die persönliche Haftung dennoch reduziert. Der Unterschied in der vorausgesetzten Schuld und in den Konsequenzen zwischen der kodifizierten und der nicht-kodifizierten Form der Responsible Corporate Officer Doctrine heben hervor, wie wichtig sorgfältige, sinnvolle Gesetzgebung in diesen Bereich insbesondere im Zusammenhang mit der Responsible Corporate Officer Doctrine. c) Die Responsible Corporate Officer Doctrine in anderen Rechtsgebieten Inzwischen nehmen auch Gerichtsentscheidungen außerhalb des FDCA und des Umweltrechts sowie die Rechtsprechung einiger Staaten immer wieder Bezug auf die Responsible Corporate Officer Doctrine, mit unterschiedlichen Rechtfertigungen und Ergebnissen.237 In den meisten dieser Fälle hatte der verurteilte Officer aber einen aktiven, bewussten eigenen Anteil an betrügerischen Vorgängen in seinem Unternehmen, oder hatte diese sogar angeordnet. Dass ein Agent einer Gesellschaft in diesen Fällen auch dann persönlich strafbar sein kann, wenn er ausschließlich im Namen der Gesellschaft handelt, war zunächst ein sehr umstrittenes Konzept des amerikanischen Strafrechts, das inzwischen allerdings fest etabliert ist.238 Es bedarf also nicht der Responsible Corporate Officer Doctrine, die, wie hier definiert, vor allem auch unbeteiligte Personen sanktioniert, um diese offensichtlich strafwürdigen Handlungen zu ahnden. 237 So z. B. Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012), S. 290; Christina M. Schuck, A New Use for the Responsible Corporate Officer Doctrine: Prosecuting Industry Insiders for Mortgage Fraud, 14 Lewis & Clark Law Review 371 (2010), S. 385 ff.; Gerding, United States, in Directors’ Personal Liability (2008), S. 315. Obgleich die Gerichte sich in den zitierten Fällen auf die Responsible Corporate Officer Doctrine beziehen, geht es in diesen Fällen aber ausnahmslos um Officers, die die Rechtsverstöße ihres Unternehmens persönlich angeordnet oder sogar begangen haben, mit dem „unschuldigen“ Responsible Corporate Officer haben sie also wenig zu tun. Der Bezug auf die Responsible Corporate Officer Doctrine mag im Einzelfall dennoch technisch nötig oder sinnvoll sein, wenn er die Beweisführung erleichtert. In vielen dieser Fälle geht es ausschließlich um die Ausweitung des Begriffs der strafbaren „person“ auf die natürliche Person des Director oder Officer. s. z. B. United States v. Gulf Oil Corp., 408 F. Supp. 450 (W.D. Penn. 1975), S. 470 ff. Selbst die Entscheidung des U.S. Supreme Court im kartellrechtlichen Fall Wise, 370 U.S. 405 (1962), die sich ausdrücklich auf die grundlegende Entscheidung zur Responsible Corporate Officer Doctrine bezieht (S. 409), übernimmt ihre Grundsätze letztendlich nur teilweise, und erlaubt die strafrechtliche Sanktionierung von Officers nur dann, wenn sie wissentlich in den Rechtsverstoß involviert waren. Wise, 370 U.S. 405 (1962), S. 416. Inwieweit die von kartellrechtlichen Verstößen ausgehende Gefahr für die Gesamtwirtschaft den Einsatz der Responsible Corporate Officer Doctrine rechtfertigen könnte, muss daher hier nicht erörtert werden. s. auch infra, Kartellrechtliche Straftatbestände (S. 363). 238 s. z. B. Wise, 370 U.S. 405 (1962); United States v. Rachal, 473 F.2d 1338 (5th Cir. 1973), S. 1341.
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In anderen Fällen fehlten allerdings tatsächlich Beweise für eine unabhängige Schuld des verurteilten Officers, so dass eine Verurteilung möglicherweise nur mit Hilfe der Responsible Corporate Officer Doctrine möglich war. Allerdings handelte es sich bei den relevanten Rechtsverstößen zum Beispiel um Verstöße gegen das Lebensmittel- oder Arzneimittelrecht außerhalb des FDCA,239die sich mühelos in die gleiche Systematik einreihen. In seiner Ablehnung der Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit dem Fair Housing Act240 erklärte der U.S. Supreme Court im Jahr 2003 mangelnde Bereitschaft, die Responsible Corporate Officer Doctrine ohne klare Weisung durch den Gesetzgeber in neue Bereiche auszuweiten.241 Eine über die aktuelle Rechtsprechung hinausgehende Anwendung im Federal Law müsste daher im Rahmen ausdrücklicher Gesetzgebung erfolgen. Weitere Felder, in denen andere Rechtsinstitute mit einer ähnlichen Begründung zu vergleichbaren Ergebnissen führen, sind die Sanktionierung von falschen Geschäftsberichten unter SOX und von Bestechungstatbeständen im Ausland unter dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), die beide im Weiteren eingehend betrachtet werden.242 Auch hier wird die Verantwortlichkeit die Entscheidungskette nach oben übertragen, bis CEO und CFO eines Unternehmens mit langen Gefängnisstrafen rechnen müssen, obwohl sie von den einzelnen Tatbeständen keine Kenntnis hatten. Auch hier liegt die Begründung ihrer Sanktionierung im Ziel der absoluten Verhinderung des sanktionierten Verhaltens, da Bilanzbetrug und Korruption sonst einen erheblichen Wettbewerbsvorteil bedeuten können. Um Compliance nicht zu einem wirtschaftlichen Nachteil werden zu lassen, muss sie für alle Wettbewerber gleichermaßen gelten. Anders als bei der ursprünglichen Responsible Corporate Officer Doctrine ist dieser „up the chain“ Mechanismus schriftlich in den jeweiligen Normen verankert, beruht also nicht auf Rechtsprechung wie Dotterweich. Zudem erlegen die Gesetze der Unternehmensführung spezifische Zertifizierungs- bzw. Überwachungspflichten auf, durch deren Verletzung alleine schon die Verurteilung begründet werden kann. Der Eindruck der Sanktionierung für die Handlungen Anderer
239 s. z. B. United States v. Grab Bag Distributors, 189 F. Supp. 2d 1072 (E.D. Cal. 2002). Das Unternehmen hatte Arzneistoffe, die die Grundlage für Methaamphetamin bilden, ohne die nötigen Offenlegungen an die Behörden in großen Mengen verkauft, obwohl der ebenfalls verurteilte Eigentümer des Unternehmens zahlreiche Warnhinweise hätte wahrnehmen müssen, dass die Käufer illegitime Absichten hatten. Der Entscheidung ist nicht zu entnehmen, ob sie auf der Responsible Corporate Officer Doctrine, oder auf der sogenannten „alter ego“-Theorie beruht, nach der ein Unternehmer die rechtlichen Konsequenzen der Handlungen des Unternehmens persönlich tragen muss, wenn er es lediglich als Fassade für seine eigenen Aktivitäten benutzt. 240 Title VIII des Civil Rights Act of 1968, kodifiziert unter 42 U.S.C. §§ 3601 ff. 241 Meyer v. Holley, 537 U.S. 280 (2003), S. 287 ff.; s. auch z. B. Gerding, United States, in Directors’ Personal Liability (2008), S. 316 f. 242 s. infra, FCPA (S. 355).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
besteht hier also weniger.243 Dennoch entspricht die Sanktionierung der Unternehmensführung unter SOX und dem FCPA in ihrer Funktion und ihrem Zweck weitgehend der Responsible Corporate Officer Doctrine. 2. Auslegungen der Responsible Corporate Officer Doctrine Die genauen rechtlichen Grundlagen und die rechtsdogmatische Einordnung der Responsible Corporate Officer Doctrine bleiben im amerikanischen Schrifttum heftig umstritten. Nicht nur das Schrifttum sondern auch die Rechtsprechung sind hier zum Teil widersprüchlich und möglicherweise unnötig komplex.244 Diese Komplexität wird befördert durch die zwiegespaltene Existenz der Responsible Corporate Officer Doctrine: Während ihre Legitimation im Umweltrecht auf klarer Gesetzgebung beruht, ist die ursprüngliche Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit dem FDCA ein durch einen in dieser Frage gespaltenen U.S. Supreme Court geschaffenes Rechtsinstitut, das im Laufe von über siebzig Jahren ein weites Spektrum zum Teil widersprüchlicher Auslegungen erfahren hat. Einige dieser Auslegungen legen sogar die mögliche Verfassungswidrigkeit der Responsible Corporate Officer Doctrine nahe. Hinzu kommen zahlreiche Gerichtsentscheidungen, in denen sowohl Federal Courts als auch verschiedene State Courts Verbindungen zur Responsible Corporate Officer Doctrine herzustellen scheinen, obwohl der Kern der Entscheidung keinen oder nur einen beiläufigen Zusammenhang mit den in Dotterweich und Park relevanten Prinzipien hat.245
243 Der Begriff „Responsible Corporate Officer Doctrine“ wird im Zusammenhang mit dem FCPA generell nicht verwendet. 244 Versuche zur Klärung finden sich beispielsweise in Abrams, A Comment on Dotterweich and Park, 28 UCLA L. Rev. 463 (1981); Brickey, Another View, 35 Vand. L. Rev. 1337 (1982); Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 811 ff.; Hustis/ Gotanda, Designated Felon or Legal Fiction?, 25 Loy. U. Chi. L.J. 169 (1994), S. 193 ff. Vgl. auch Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1259 f. (zu den „regrettable“ und „unfortunate“ „mischaracterization“ des 10th Circuit Court of Appeals in United States v. Brittain, 931 F.2d 1413 (10th Cir. 1991), dass die Responsible Corporate Officer Doctrine dazu diene, Officers den Geisteszustand ihrer Angestellten zuzurechnen). 245 s. z. B. Johnson & Towers, 741 F.2d 662 (1984), eine Entscheidung, die im Schrifttum häufig dahingehend interpretiert wird, dass die Responsible Corporate Officer Doctrine Wissen des Responsible Corporate Officer voraussetzt. s. z. B. Wise, Personal Liability Promotes Responsible Conduct, 21 Stan. Envtl. L.J. 283 (2002), S. 319, Fn. 187; Hustis/Gotanda, Designated Felon or Legal Fiction?, 25 Loy. U. Chi. L.J. 169 (1994), S. 181. Die Entscheidung beruft sich zwar auf Dotterweich (S. 666 f.), da der Beschuldigte die widerrechtlichen Handlungen aber persönlich ausgeführt hatte, war er kein Responsible Corporate Officer, im Sinne von Dotterweich oder Park. Die zentrale Frage war, ob der Begriff „person“ zwei verschiedene Bedeutungen innerhalb eines einzigen Straftatbestandes haben kann, da nur das Unternehmen die für das Entsorgen der Giftstoffe nötige Lizenz erhalten konnte, nicht der Beschuldigte selbst. Vgl. auch Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1256 ff.
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Die Verwirrung wird auch dadurch befördert, dass als zentraler kontroverser Punkt der Responsible Corporate Officer Doctrine je nach Zusammenhang entweder eine strafrechtliche Verantwortung ohne eigene Tatbeteiligung gesehen wird oder die Erweiterung von strafrechtlicher Verantwortung der Unternehmen auf natürliche Personen ohne explizite Grundlage in der Gesetzgebung.246 Überhaupt ist die Ermangelung klarer gesetzlicher Vorgaben im Bereich des FDCA ein häufiger Kritikpunkt, der aber die zentralen Fragestellungen zur Responsible Corporate Officer Doctrine nicht berührt.247 Für ein Verständnis und eine Beurteilung der Responsible Corporate Officer Doctrine ist eine klare Definition aber unerlässlich. Trotz der vielen Jahrzehnte intensiver akademischer Analyse, bestehen nach wie vor grundlegende Widersprüche in den herrschenden Auslegungen der Responsible Corporate Officer Doctrine. Im Folgenden werden die drei wichtigsten dieser Auslegungen erörtert: die wohl herrschende Meinung, die die Responsible Corporate Officer Doctrine als (rechtswidrige) verschuldensunabhängige Sanktionierung für Straftaten Anderer sieht; die Ansicht, die sie auf Basis einer durch den Responsible Corporate Officer verletzten vertraglichen Pflicht legitimieren will; und schließlich die Auslegung, die einen vom Responsible Corporate Officer persönlich fahrlässig begangenen Unterlassungstatbestand als Kern der Responsible Corporate Officer Doctrine sieht. a) Verschuldensunabhängige Sanktionierung für das Handeln Anderer Ein großer Teil der Literatur, vielleicht sogar die herrschende Meinung, betrachtet die Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit dem FDCA als „strict and vicarious liability,“ also verschuldensunabhängige Haftung stellvertretend für die Handlungen Anderer.248 Diese Gruppe von Autoren interpretiert die 246 s. z. B. Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012), 285. Vgl. auch Brickey, Another View, 35 Vand. L. Rev. 1337 (1982), S. 1348. 247 Kritiker berufen sich hier insbesondere auf Staples, 511 U.S. 600 (1994), einen Fall außerhalb des Unternehmenskontexts, in dem es um die verschuldensunabhängige Sanktionierung einer Person ging, die im Besitz einer Schusswaffe war, aber beteuerte, nicht von den Modifizierungen an dieser Schusswaffe gewusst zu haben, aufgrund derer sie besonderen Regulierungen unterlag. Der U.S. Supreme Court urteilte, dass ohne den Nachweis der Kenntnis oder Klarheit darüber, dass der Gesetzgeber eine verschuldensunabhängige Sanktionierung beabsichtigte, dem Einzelnen nicht die Verpflichtung auferlegt werden könne, zu prüfen, ob es sich um eine der besonders regulierten Schusswaffen handele. Kritiker sehen das Urteil als problematisch für die Responsible Corporate Officer Doctrine, die Rechtsprechung zum FDCA hat es aber seit Erlass des Urteils zu Staples im Jahr 1994 nicht merklich beeinträchtigt. s. auch z. B. Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995). 248 Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012), S. 299; Behre/ Miller, Corporate Criminal Investigations (2013), S. 45; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 142 f.; Zarky, Responsible Corporate Officer Doctrine, 5 Toxics L. Rep. 983 (1991); Joshua D. Greenberg/Ellen C. Brotman, Strict Vicarious Criminal Liability for Corporations and Corporate Executives: Stretching the Boundaries of Criminalization, 51 American Criminal Law Review 79 (2014); Bellew/Surtz, Criminal Enforcement of Environ-
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Responsible Corporate Officer Doctrine dahingehend, dass die Officers für eine Verurteilung weder selbst gehandelt haben noch sich irgendwelcher Schuld bewusst sein müssen.249 Diese Ansicht spiegelt wider die Argumentation des Minderheitenvotums zu Dotterweich, in dem Justice Frank Murphy vor allem die mangelnde persönliche Schuld des Officer hervorhob, ohne auf Aspekte wie seine übergeordnete Verantwortlichkeit für den Verstoß einzugehen.250 Trotz ihrer weiten Verbreitung handelt es sich bei dieser Sicht um ein grundlegendes Missverständnis der Rechtslage, das zu einer unnötig kontroversen und politischen Behandlung der Responsible Corporate Officer Doctrine führt.251 Aus dieser Perspektive ist die Responsible Corporate Officer Doctrine strafrechtsdogmatisch problematisch, da sie für den Officer weder einen „actus reus“ (strafwürdige Handlung) noch eine „mens rea“ (strafwürdigen Geisteszustand) sieht, die einer Verurteilung grundsätzlich zugrunde liegen müssen.252 Die Bestrafung einer natürlichen Person ohne das Zusammentreffen des „schuldigen Geistes“ mit der „schuldigen Hand“ laufe außerdem, so die Kritiker, dem Konzept des Individualismus zuwider, der schon seit Besiedlung des Landes einen so prägenden Einfluss auf die amerikanische Kultur hat, und stelle die Autonomie des Einzelnen in Frage.253 Daher wurden auch viele Strict Liability Offenses erst durch die Industrialisierung und die Gefahren, die Maschinen, Produkte und Verkehr bei unsorgfältigem Umgang
mental Laws, 8 Vill. Envtl. L.J. 205 (1997), S. 218; Keith A. Onsdorff/James M. Mesnard, The Responsible Corporate Officer Doctrine in RCRA Criminal Enforcement: What You Don’t Know Can Hurt You, 22 Environmental Law Reporter 10099 (1992); Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 276. Für weitere Quellen s. z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1264, Fn. 105 – 108. Vgl. auch Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 805. 249 „[…] neither their prosecution nor their collateral consequences are based on their intent or conduct.“ Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 827. Vgl. auch Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012), S. 295 f. (auch Professor Petrin selbst vertritt diesen Standpunkt letztendlich, S. 299). 250 „There is no evidence in this case of any personal guilt on the part of the respondent. […] Guilt is imputed to him solely on the basis of his authority and responsibility as president and general manager of the corporation.“ Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 285 f. (Justice Murphy, Minderheitenvotum). 251 Ähnlich auch Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1247. 252 s. z. B. Dennis v. United States, 341 U.S. 494 (1951), S. 500; Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 250 f.; Staples, 511 U.S. 600 (1994), S. 606. s. auch z. B. Black, Outside Director Liability, 58 Stan. L. Rev. 1055 (2006), S. 1131; Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 7. 253 s. z. B. Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 251 f. („Crime, as a compound concept, generally constituted only from concurrence of evil-meaning mind with an evil-doing hand, was congenial to an intense individualism and took deep and early root in American soil.“). Vgl. auch z. B. Dennis J. Baker, The Moral Limits of Criminalizing Remote Harms, 10 New Criminal Law Review 370 (2007), S. 373. s. auch Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 805; Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 529 f.
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bedeuten können, überhaupt akzeptiert, und selbst dann nur unter geringer Strafandrohung.254 Zudem gilt unter dem Fifth Amendment der US-Verfassung der Grundsatz, dass Schuld persönlich ist.255 Hieraus ergibt sich ein weiterer Konflikt aus Sicht der Kritiker, da sie den Responsible Corporate Officer für die Handlungen eines Anderen haften sehen. Es besteht die Sorge, der CEO könnte für einen „rogue employee“, also einen unkontrollierten Einzeltäter unter den Mitarbeitern, eine Haftstrafe auf sich nehmen müssen. Kritiker, in deren Interpretation die Responsible Corporate Officer Doctrine also verschuldensunabhängige Sanktionierung ohne eigenen Tatbeitrag bedeutet, werten sie daher als ungerecht, unrechtmäßig und möglicherweise verfassungswidrig.256 Ihr Ausgangspunkt sind die Grundrechte des einzelnen Responsible Corporate Officer. Sie kritisieren die unfaire Bestrafung für schuldloses Verhalten. Entsprach der eingetretene Schaden nicht der Absicht des Responsible Corporate Officer, so sollte er auch nicht für ihn bestraft werden. Doch diese Kritiker ignorieren die besonderen Eigenschaften von Public Welfare Offenses, die nicht zwingend denselben Anforderungen unterliegen wie die traditionellen Common Law Straftaten wie Mord, Körperverletzung und Raub.257 Für den Straftatbestand einer Public Welfare Offense ist die Mens Rea des Beschuldigten nicht immer ausschlaggebend.258 Der Supreme Court hatte in seiner Güterabwägung zu Dotterweich und Park die augenscheinliche Unschuld des Responsible Corporate Officer in Fällen von Lebens- und Arzneimittelsicherheit ausdrücklich hinter den Schutz der Allgemeinheit zurückgestellt.259 Der Beschuldigte muss sich des 254 s. z. B. Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 253 f.; Staples, 511 U.S. 600 (1994), S. 605 f. Es existieren darüber hinaus einige wenige verschuldensunabhängige Straftatbestände, die auf alten Tatbeständen des Common Law beruhen. Hierzu zählt beispielsweise „statutory rape“, der Geschlechtsverkehr mit einer Person, die beispielsweise aufgrund zu geringen Alters oder geistiger Behinderung rechtlich nicht einwilligen kann. Dieser Straftatbestand ist im englischen Recht bereits seit 700 Jahren zu finden. Patricia Donovan, Can Statutory Rape Laws Be Effective in Preventing Adolescent Pregnancy?, Family Planning Perspectives (Guttmacher Institute) (Januar/Februar 1996). 255 Scales v. United States, 367 U.S. 203 (1967), S. 224 („In our jurisprudence guilt is personal, and when the imposition of punishment on a status or on conduct can only be justified by reference to the relationship of that status or conduct to other concededly criminal activity […], that relationship must be sufficiently substantial to satisfy the concept of personal guilt in order to withstand attack under the Due Process Clause of the Fifth Amendment.“). s. auch Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 286 (Justice Murphy, Minderheitsvotum). Vgl. auch z. B. Robinson/Cahill, Criminal Law (2012), S. 263 ff. 256 Vgl. z. B. Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 529; Assaf Hamdani, Mens Rea and the Cost of Ignorance, 93 Virginia Law Review 415 (2006), S. 416; Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006) S. 1263; Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 89, Fn. 64. 257 Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 251 ff. 258 Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 252 f. 259 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 281; Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672.
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Rechtsverstoßes daher nicht zwingend bewusst sein, denn Lebensmittel und Medikamente bergen ein so offensichtliches Gefahrenpotential für die Allgemeinheit, dass höhere Sorgfaltsmaßstäbe vorausgesetzt werden können.260 Die Ahndung einer Public Welfare Offense, richtet sich aufgrund dieses Gefahrenpotentials nicht nach den Absichten des Beschuldigten, sondern nach dessen Handeln oder Unterlassen.261 Die Einbeziehung einer Person, die die letztendliche Verantwortung für den Umgang mit den potentiell gefährlichen Gütern trägt, in den Kreis der auch strafrechtlich Verantwortlichen, ist somit im Einklang mit höchstrichterlicher Rechtsprechung und grundlegenden Prinzipien des Strafrechts der industrialisierten amerikanischen Gesellschaft. Ohne Tatbeteiligung des Responsible Corporate Officer kann die Responsible Corporate Officer Doctrine daher gerechtfertigt sein, wenn sie sich auf Unterlassungstatbestände bezieht. Kritiker, die in der Responsible Corporate Officer Doctrine nur Strict and Vicarious Liability sehen, lehnen diese Auslegung allerdings ab. Denn Unterlassungsstraftatbestände sind in Teilen der amerikanischen Rechtsanschauung zutiefst umstritten, da ein strafwürdiges Unterlassen nur möglich ist, wenn das Gesetz einen Zwang zur Handlung schafft. Hierin wird wiederum eine verfassungswidrige Beschränkung der persönlichen Freiheit und Autonomie gesehen.262 260 Neben den bereits eingehend zitierten Urteilen zur Responsible Corporate Officer Doctrine hat der U.S. Supreme Court auch in anderen Zusammenhängen klar geurteilt, dass bei Verkehr mit und Besitz von potentiell gefährlichen Gütern höhere Ansprüche an das rechtmäßige Handeln gestellt werden können, und die Staatsanwaltschaft Erleichterungen in der Beweisführung in Anspruch nehmen kann. s. z. B. Freed, 401 U.S. 601 (1971), S. 609 („This is a regulatory measure in the interest of the public safety, which may well be premised on the theory that one would hardly be surprised to learn that possession of hand grenades is not an innocent act.“ Kenntnis dieser Gesetze musste dem Besitzer unregistrierter Handgranaten daher nicht separat nachgewiesen werden); Int’l Minerals & Chemicals, 402 U.S. 558 (1971), S. 565 („But where […] dangerous or deleterious devices or products or obnoxious waste materials are involved, the probability of regulation is so great that anyone who is aware that he is in possession of them or dealing with them must be presumed to be aware of the regulation.“ In diesem Fall ging es um den Transport gefährlicher Chemikalien ohne die nötigen Registrierungen); Liparota v. United States, 471 U.S. 419 (1985), S. 433 („Congress has rendered criminal a type of conduct that a reasonable person should know is subject to stringent public regulation and may seriously threaten the community’s health or safety.“ In Liparota ging es allerdings um den widerrechtlichen Besitz von staatlich subventionierten Essensmarken („food stamps“) – da ein Rechtsverstoß hier keine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, lag eine Public Welfare Offense nicht vor. Der Besitz allein verpflichtete daher nicht zu einer eingehenden Kenntnis der damit verbundenen Regulierungen). 261 Vgl. z. B. Johnson & Towers, 741 F.2d 662 (1984), S. 666 („Finally, though the result may appear harsh, it is well established that criminal penalties attached to regulatory statutes intended to protect public health, in contrast to statutes based on common law crimes, are to be construed to effectuate the regulatory purpose.“) 262 In jüngerer Vergangenheit waren die heftigen Abwehrreaktionen gegen Unterlassungsdelikte im Zuge der hochpolitischen Debatten um die Gesundheitsreform zu beobachten, die im Jahr 2010 in Form des „Patient Protection and Affordable Care Act“ (ACA) erlassen wurde. In bestimmten Fällen macht das Gesetz es für US-Bürger zu einer Straftat, keine Krankenversicherung zu haben. In der öffentlichen Meinung wurde dieses „individual man-
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Dies ist für Kritiker umso weniger akzeptabel, wenn der Unterlassungstatbestand sich nicht aus dem Text des Gesetzes ergibt, sondern wie im Falle der Responsible Corporate Officer Doctrine (zumindest im Bereich des FDCA) erst durch Rechtsprechung entstanden sein soll.263 Sie stellen ausdrücklich keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Responsible Corporate Officer und dem Rechtsverstoß her, und somit fehlt in dieser Interpretation der Actus Reus, das strafwürdige Handeln. Aus ihrer Perspektive bedeutet die Responsible Corporate Officer Doctrine eine unrechtmäßige Sanktionierung ausschließlich auf Basis einer beruflichen Position – als der einzige Fehler des Responsible Corporate Officer wird gesehen, zur falschen Zeit an der falschen Unternehmensspitze gewesen zu sein. Als für den Rechtsverstoß verantwortlich wird nur der einzelne handelnde Angestellte betrachtet.264 Doch angesichts der bereits seit Dotterweich und Park für die Rechtsprechung zentralen Frage, ob der Responsible Corporate Officer in einer verantwortlichen Beziehung zum Rechtsverstoß stand und diesen hätte verhindern können, greift diese Interpretation zu kurz. Aus der „responsible relation“, die das Gericht in diesen Fällen zwischen dem Responsible Corporate Officer und dem Rechtsverstoß sieht, lässt sich die Pflicht zur Unterbindung leicht ablesen, die das Nicht-Handeln zu einem Unterlassungstatbestand macht.265 Wie auch im Weiteren näher erläutert, handelt es sich daher keineswegs um eine Sanktionierung für die Handlungen Anderer, sondern um eine Sanktionierung für eigene Versäumnisse. Zudem ist in Frage zu stellen, inwieweit diese Interpretation der Responsible Corporate Officer Doctrine von den zuständigen Behörden geteilt wird.266 Schon seit spätestens 1976 entspricht Strict and Vicarious Liability explizit nicht den Grundsätzen der FDA.267 Auch in der aktuellen Rechtsprechung werden Personen verurdate“, als staatlicher Zwang zum Kauf einer Versicherung gesehen und mit einem staatlichen (klar verfassungswidrigen) Zwang zum Kauf eines Autos oder Brokkoli verglichen. Diese dystopisch-diktatorische Vorstellung der Pflicht zum Gemüsekauf fand sogar Eingang in die relevante Entscheidung des U.S. Supreme Court, in der sie als das „broccoli horrible“ (das „Brokkoli-Grauen“) betitelt wurde. National Federation of Independent Business v. Sebelius, 132 S. Ct. 2566 (2012), S. 2624. s. auch z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1274, Fn. 163. 263 Vgl. z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1276 f. 264 Das Schrifttum spricht beispielsweise von „the crime of being in charge“ (Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014)). s. auch Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012), S. 295 („a corporate official’s status within a firm is enough to put him at risk of a felony conviction and a substantial jail sentence based on illegal conduct by subordinates“); Behre/Miller, Corporate Criminal Investigations (2013), S. 46 („someone can be charged with a crime simply because of their employment position“); Bellew/ Surtz, Criminal Enforcement of Environmental Laws, 8 Vill. Envtl. L.J. 205 (1997), S. 217. 265 So auch z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1283. 266 Vgl. auch Greenberg/Brotman, Stretching the Boundaries, 51 Am. Crim. L. Rev. 79 (2014), S. 91; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 148. 267 „Nor does the law, properly construed, permit imposition of criminal penalties on an executive officer for the acts or omissions of others. It is the officer’s personal neglect that is punishable.“ Erklärung des damaligen U.S. Department of Health, Education and Welfare,
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teilt, die zum Teil sogar erwiesenermaßen Kenntnis von den Rechtsverstößen hatten, sie zum Teil sogar explizit gefördert haben. Selbst in Fällen wie Purdue Frederick, in denen den Verurteilten keine Kenntnis von den Rechtsverstößen angelastet wird, ist wahrscheinlicher, dass es sich dabei um ein verfahrenstaktisches Zugeständnis der Staatsanwaltschaft in den Verhandlungen zum Plea Agreement handelte, als dass der Chief Executive, Chief Legal und Chief Medical Officer des Unternehmens nicht von den vorliegenden Studien wussten (oder sich diesem Wissen absichtlich verschlossen), da OxyContin die Grundlage für 80 % ihres Umsatzes stellte und diese Studien die gesamte Produktstrategie in Frage stellten.268 Die Kritik, diese drei Officers hätten ohne eigene Schuld die moralische Verantwortung für einzelne Handlungen ihrer Mitarbeiter tragen müssen, verfängt insofern nicht. b) Verletzung einer vertraglichen Pflicht Eine weitere, bei näherer Betrachtung ebenfalls wenig überzeugende Sicht, sieht eine vertragliche Pflicht zur Aufsicht, die der Responsible Corporate Officer verletzt, wenn er die jeweiligen Rechtsverstöße geschehen lässt.269 Die vertragliche Pflicht ergibt sich nach dieser Ansicht aus dem Dienstvertrag des Responsible Corporate Officer, der ihn verpflichtet, die Verantwortung für seinen Geschäftsbereich (oder das gesamte Unternehmen) zu übernehmen. Hieraus ergeben sich demnach wenigstens implizite Aufsichtspflichten. Das Unterlassen dieser Aufsicht wäre nicht als unrechtmäßiger Unterlassungstatbestand zu werten, da auch im amerikanischen Strafrecht die Zulässigkeit von Unterlassungsstraftatbeständen unbestritten ist, wenn der Unterlassende sich freiwillig, zum Beispiel per Vertrag, zum Handeln verpflichtet hat.270 Es ist etabliert, dass ein Arbeitsverhältnis ausreichen kann, um bestimmte Unterlassungen strafbar zu machen,271 denn der Arbeitgeber kann per Vertrag seine Verantwortung an den Angestellten delegieren.272 Diese Auslegung, die eine vertragliche Pflicht als Begründung für die Responsible Corporate Officer Doctrine betrachtet, ist allerdings ebenfalls problematisch. Beruhte die Responsible Corporate Officer Doctrine allein auf der vertraglichen Übernahme der Geschäftsleiterposition, wäre er uneingeschränkt für sämtliche Rechtsverstöße des Unternehmens persönlich strafbar, eine Beschränkung auf Public Welfare Offenses träte nicht ein. Da Straftaten der Angestellten, die diese im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben begehen, grundsätzlich als Straftaten des Unternehzitiert in O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 152. s. auch Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 534. 268 Vgl. auch z. B. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 101; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 166; Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 531 f. 269 So insbesondere Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006). 270 Vgl. z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1283. 271 Vgl. z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1267. 272 Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1282.
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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mens gewertet werden,273 wäre der Officer hier in einem großen Konzern einer potentiell so immensen Zahl von Sanktionen für Delikte der Angestellten ausgesetzt, dass eine stringente Verfolgung dieser Delikte nicht dem Zweck der Responsible Corporate Officer Doctrine entspräche. Ein weiteres Argument gegen eine vertragliche Grundlage für die Responsible Corporate Officer Doctrine liegt darin, dass sich möglicherweise auch die Verantwortung des Officers durch einen weiteren Vertrag an einen weiteren Angestellten delegieren oder durch den eigenen Vertrag mit der Corporation ausschließen ließe. Eine Delegierung würde seine eigene Sanktionierung zwar nicht ausschließen, aber potentiell mildern,274 während ein Haftungsausschluss im eigenen Vertrag der Systematik dieser Auslegung entspräche. Der ausdrückliche Zweck der Responsible Corporate Officer Doctrine liegt aber in der nicht ausschließbaren eigenen Verantwortung. Eine Delegierung hat die Rechtsprechung regelmäßig ausdrücklich ausgeschlossen, der Verantwortungsträger kann sich nicht auf seine Mitarbeiter verlassen und seiner eigenen Pflicht damit entgehen.275 Sie sieht den Responsible Corporate Officer in der besten Position, gefährliche Schäden von der Allgemeinheit abzuwenden, und nimmt ihn aus diesem Grund spezifisch in die Verantwortung. c) Sanktionierung für fahrlässige eigene Unterlassung Die bisherigen Ausführungen haben dargelegt, dass sich die Responsible Corporate Officer Doctrine weder als verschuldensunabhängige Sanktionierung für das Handeln Anderer, noch als Sanktionierung für die Verletzung einer Vertragspflicht begründen lässt. Wie im Folgenden dargelegt, ist sie stattdessen begründet in der Sanktionierung für fahrlässiges eigenes Unterlassen (ohne den Umweg über das Vertragsrecht). Stimmen aus dem Schrifttum, die diese Sicht teilen,276 stützen sich unter anderem auf den Wortlaut der ausschlaggebenden Entscheidungen, die die Sanktionierung eines Responsible Corporate Officer per definitionem nur dann vorsehen, wenn er in einer verantwortlichen Beziehung zum Rechtsverstoß stand und ihn hätte verhindern können.277 Das deutsche Recht spräche hier von einer Garantenstellung.278 Dies gilt umso mehr im Zusammenhang mit den expliziten gesetzlichen Grundlage des Clean Water Act und des Clean Air Act.279 273
s. supra, Entity Liability (S. 293). Vgl. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1283. 275 s. z. B. Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 678; Starr, 535 F.2d 512 (1976), S. 515 („He can’t delegate it and escape responsibility thereby.“). 276 s. z. B. Abrams, A Comment on Dotterweich and Park, 28 UCLA L. Rev. 463 (1981); Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010). 277 Die Rede ist beispielsweise von „a responsible share“ am Rechtsverstoß (Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 284), „requirements of foresight and vigilance“ und „conviction of responsible corporate officials who, in light of this standard of care, have the power to prevent or correct violations“ (Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672 & 676). 278 s. infra, Vergleichbare Rechtsinstrumente zum Drittschutz in Deutschland (S. 370). 274
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Im amerikanischen Recht, insbesondere in politisch konservativ geprägter Rechtsprechung und Literatur herrscht, wie bereits erwähnt, eine tiefe Abneigung gegen Unterlassungsstraftatbestände. Unstreitig ist jedoch, wie ebenfalls erwähnt, dass die Notwendigkeit des Actus Reus entfällt, wenn eine Person die Pflicht zu handeln freiwillig übernommen hat.280 Im Fall eines Responsible Corporate Officer ergibt sich diese Pflicht bereits aus der Verantwortung, die er für den betroffenen Bereich des Unternehmens per Definition trägt281 und die er im Rahmen seiner Position freiwillig und gegen Entlohnung übernommen hat.282 Die Responsible Corporate Officer Doctrine sieht strafrechtliche Sanktionierung nur dann vor, wenn er Verantwortung für den Bereich trug, in dem Rechtsverstöße geschahen, und er diese hätte verhindern können.283 Wie der Passant, der einem Unfallopfer zur Hilfe eilt, obwohl keine Pflicht hierzu besteht, weckt auch der CEO durch die freiwillige Übernahme dieser Rolle die Erwartung der Allgemeinheit, dass er die ihr innewohnenden Pflichten erfüllen wird.284 Es ist daher in beiden Fällen unerlässlich, dass der Freiwillige die Verantwortung in vollem Maße übernimmt und so sorgfältig handelt, wie die Situation es erfordert.285 Auch Public Welfare Offenses schaffen ein anderes Rechtsumfeld. In ihnen schafft der Gesetzgeber grundlegend andere Straftatbestände, als die traditionell strafwürdigen Handlungen gegen Staat, Personen, Eigentum oder Sitten.286 Da Handlungen, die zuvor einen begrenzten, ausgleichbaren Schaden verursachen 279
Vgl. z. B. White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 658 („courts have accepted the RCO provision as one where the statute creates a duty when a corporate officer stands in a responsible relation to a public danger“). 280 So z. B. im Fall der unterlassenen Hilfeleistung bei einem Unfall, die in den meisten Staaten der USA nicht strafbar ist – hat eine Person aber begonnen zu helfen, so kann sie sich haft- oder sogar strafbar machen, wenn sie der damit übernommen Pflicht nicht nach bestem Können nachkommt. Vgl. z. B. A. D. Woozley, A Duty to Rescue: Some Thoughts on Criminal Liability, 69 Virginia Law Review 1273 (1983). 281 Vgl. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1283. 282 Das Gericht in Park bezieht sich explizit auf diesen Umstand: „The requirements of foresight and vigilance imposed on responsible corporate agents are beyond question demanding, and perhaps onerous, but they are no more stringent than the public has a right to expect of those who voluntarily assume positions of authority in business enterprises whose services and products affect the health and well-being of the public that supports them.“ Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672. 283 Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 673; s. auch Y. Hata, 535 F.2d 508 (1976), S. 511 f.; Starr, 535 F.2d 512 (1976), S. 515. 284 s. z. B. Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1278. 285 Dies entspricht auch einer frühen Rechtfertigung von Public Welfare Offenses: „the purpose being to require a degree of diligence for the protection of the public which shall render the violation impossible“. People v. Roby, 52 Mich. 577 (Mich. 1884), S. 579, zitiert in Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 257. 286 „These cases do not fit neatly into any of such accepted classifications of common-law offenses, such as those against the state, the person, property or public morals.“ Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 255.
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hätten können, aber im industrialisierten Zeitalter durch die Hebelwirkung industrieller Maschinen und der Massenherstellung und -verbreitung von Produkten ein exponentiell höheres Schadenspotential haben, sah sich der Gesetzgeber genötigt, Pflichten zur Vorsicht oder zum Handeln gesetzlich zu verankern und Unvorsichtigkeit oder Unterlassungen unter Strafe zu stellen.287 Dies gilt selbst dann, wenn sich aus der Handlung nur das Risiko einer Gefahr ergibt – das Ergebnis, das der Gesetzgeber zu verhindern sucht, muss nicht eingetreten sein.288 In Park stellte der Supreme Court fest, dass ein Responsible Corporate Officer nicht haften müsste, wenn die Verhinderung des Rechtsverstoßes objektiv unmöglich gewesen wäre.289 Sowohl die FDA als auch große Teile des Schrifttums verstehen dies als Erfordernis der Fahrlässigkeit – nur, wenn der Responsible Corporate Officer Verstoß zwar hätte verhindern können, dies aber fahrlässig unterlassen hat, kann er unter der Responsible Corporate Officer Doctrine sanktioniert werden.290 Selbst wenn hierüber keine Einigkeit besteht,291 haben die FDA und die Rechtsprechung die Responsible Corporate Officer Doctrine spätestens seit Park nur in Fällen angewendet, in denen die verurteilten Responsible Corporate Officers erwiesenermaßen oder wenigstens mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Kenntnis von oder sogar Anteil an den Rechtsverstößen hatten.292 3. Die Responsible Corporate Officer Doctrine als Instrument der Corporate Governance Durch strafrechtliche Sanktionierung fahrlässigen Unterlassens von Aufsicht in klar definierten Bereichen inzentiviert die Responsible Corporate Officer Doctrine zur sorgfältigen Überwachung von Unternehmensabläufen in diesen Bereichen. Dies macht sie zu einem wichtigen Instrument der Corporate Governance. Doch wird die Responsible Corporate Officer Doctrine selten explizit aus dem Blickwinkel der
287 „[…] neglect where the law requires care, or inaction where in imposes a duty“. Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 255. 288 Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 256. 289 Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 673. 290 Allen voran machte das Minderheitenvotum von Justice Potter Stewart diese Beobachtung. Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 678 f. (Justice Stewart, Minderheitenvotum: „This is the language of negligence, and I agree with it.“). s. auch z. B. Abrams, A Comment on Dotterweich and Park, 28 UCLA L. Rev. 463 (1981); Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014); Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010); Behre/Miller, Corporate Criminal Investigations (2013), S. 35. 291 Vgl. Brickey, Another View, 35 Vand. L. Rev. 1337 (1982). s. auch Copeland, Crime of Being in Charge, 51 Am. Crim. L. Rev. 799 (2014), S. 814 f. 292 Vgl. z. B. Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 529. s. Hustis, Gotanda, Designated Felon or Legal Fiction?, 25 Loy. U. Chi. L.J. 169 (1994), S. 197 zur entsprechenden Anwendung im Umweltrecht.
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Corporate Governance betrachtet.293 Dies mag an der fundamentalen Uneinigkeit über ihre genaue rechtliche Grundlage liegen, oder an der tiefen Ablehnung, die sie von vielen Seiten erfährt. Zudem ist sie wissenschaftlich in Rechtsbereichen verwurzelt, die mit der Corporate Governance und dem Gesellschaftsrecht wenig Berührung haben. Wissenschaftliche Beiträge erscheinen in der Regel in Fachveröffentlichungen („journals“), die auf das Strafrecht, das Umweltrecht oder das Recht von Nahrungsmitteln, Medizin und Medizintechnik spezialisiert sind. Aus der Perspektive der Corporate Governance ist die Responsible Corporate Officer Doctrine ein rechtssystematisch unproblematisches Rechtsinstitut zur Förderung guter Unternehmensführung. Aus dieser Sicht besteht eine in der Corporate Governance übliche Beziehung zwischen dem Rechtsverstoß, den Führungsstrukturen des Unternehmens und den für diese Strukturen verantwortlichen Officers. Sie kann daher dazu dienen, die Allgemeinheit wirksam vor Gefahren zu schützen. Dies entspricht den Absichten des im Fall Dotterweich federführenden Richters Felix Frankfurter und der Behörden, die das Rechtsinstitut seitdem angewendet haben. Für die Corporate Governance bietet die Responsible Corporate Officer Doctrine damit ein wichtiges Instrument. Verstöße, die von der Responsible Corporate Officer Doctrine erfasst werden, lassen sich entsprechend durch besseres Training, sorgfältigere Anreizsysteme und gründliche Aufsichts-, Kontroll- und Berichtsstrukturen vermeiden, die von der Unternehmensleitung etabliert, gepflegt und als Priorität behandelt werden müssen.294 Daher ist hier, wie auch bei der Vermeidung von Bilanzbetrug, das persönliche strafrechtliche Risiko der Entscheidungsträger ein sinnvolles Instrument, um die Schaffung und Wahrung der nötigen Strukturen und Kontrollsysteme sicherzustellen.295 So weit die Responsible Corporate Officer Doctrine als Beweislastumkehr fungiert, da sie Responsible Corporate Officers veranlasst nachzuweisen, dass sie den Verstoß nicht hätten verhindern können,296 sollte sie zu sorgfältigerem Aufzeichnungen führen, so dass die Verantwortungsträger die Gründlichkeit ihrer Aufsicht für Behörden und Staatsanwälte nachvollziehbar machen können. 293 Zu den Ausnahmen gehört beispielsweise Prof. Kathleen Boozang, die die Responsible Corporate Officer Doctrine unter anderem als „about leadership and responsibility“ bezeichnet (Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012)) und Prof. Martin Petrin (Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012)), wobei Professor Petrin den Vergleich zwischen gesellschafts- und strafrechtlichen Fragestellungen und Methoden zu weit führt. 294 So auch Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 112; Bellew/Surtz, Criminal Enforcement of Environmental Laws, 8 Vill. Envtl. L.J. 205 (1997), S. 201 („a fairly easy and practical solution exists [… – …] simple compliance, disclosure, education and integrity“). 295 s. z. B. Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 672 („the Act imposes not only a positive duty to seek out and remedy violations when they occur but also, and primarily, a duty to implement measures that will insure that violations will not occur“). Vgl. auch z. B. Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 98 f. 296 Staples, 511 U.S. 600 (1994), S. 673.
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Die Kosten dieser möglicherweise aufwändigen Compliance können nicht gegen den Einsatz der Responsible Corporate Officer Doctrine sprechen, solange sie ausschließlich bei gemeingefährlichen Public Welfare Offenses Anwendung findet. Denn in diesen Fällen besteht Konsens darüber, dass dem Unternehmen keine Kosten zu hoch sein dürfen, um lebensgefährliche Folgen seiner Produkte zu verhindern. In vielen der Fälle zur Responsible Corporate Officer Doctrine hätten die Beschuldigten der Strafverfolgung entgehen können, wenn sie ihre Produktion zeitweilig eingestellt hätten, bis das relevante Problem behoben hätte werden können. Doch die damit verbundenen Kosten oder Umsatzeinbußen bewegten die Verantwortlichen stattdessen zur unveränderten Verbreitung gefährlich kontaminierter Lebensmittel.297 Es ist diese kosten- bzw. umsatzfixierte Denkweise, die durch das hohe persönliche Risiko, das mit der Responsible Corporate Officer Doctrine für den Entscheidungsträger verbunden ist, geändert werden soll.298 Hierfür ist es allerdings wichtig, dass sie auf tatsächlich und besonders gefährliche Straftaten begrenzt wird. Das Argument, das der Business Judgment Rule zugrunde liegt, Directors und Officers müssten vor persönlicher Haftung geschützt werden, da sorgsam eingegangene Risiken im Interesse der Aktionäre liegen,299 kann hier nicht überzeugen, da die Responsible Corporate Officer Doctrine Situationen erfasst, die zum einen gegen geltendes Recht verstoßen, und in denen zum anderen die Kosten dieser Risiken von Dritten getragen werden, die von den Vorteilen für das Unternehmen nicht wie Aktionäre profitieren. Die Verluste, die diese Personen tragen müssen, können dabei über das Maß derer hinausgehen, die einen Aktionär treffen könnten, der sich außerdem mit Hilfe gesellschaftsrechtlicher Mittel und letztendlich auch durch Verkauf der Anteile vor den Folgen unzureichender Führung des Unternehmens schützen kann. Zudem ist zweifelhaft, dass ein Großteil der Aktionäre tödliche Folgen der Produkte zur Erhöhung des Unternehmenswertes grundsätzlich akzeptieren würde, zumal Strafzahlungen, zivilrechtliche Verfahren und Reputationsschäden als Gegengewicht zu jeder Steigerung eingerechnet werden müssen.300 Um Aktionäre der rechtswidrig handelnden Gesellschaften aber nicht unrechtmäßig zu bevorteilen, muss eine möglichst vollständige Rechtskonformität in der jeweiligen Industrie geschaffen werden.
297 So z. B. Quality Egg, Memorandum Opinion and Order (N.D. Iowa, 2015); Y. Hata, 535 F.2d 508 (1976). 298 Kritisch hierzu z. B. Christopher H. Schroeder, Cool Analysis Versus Moral Outrage in the Development of Federal Environmental Criminal Law, 35 William & Mary Law Review 251 (1993), S. 257 ff. 299 Kritiker der Responsible Corporate Officer Doctrine bedienen sich dieses Vergleichs, um ihre Unvereinbarkeit mit gesellschaftsrechtlichen Prinzipien darzulegen. So z. B. Petrin, Prosecutor’s Ticket to Tag the Elite, 84 Temp. L. Rev. 283 (2012), S. 303 ff. 300 Bei Purdue handelt es sich um ein Unternehmen im Familienbesitz. Inwieweit die Anteilseigner in die Sachlage zu OxyContin eingeweiht waren, ist aber nicht bekannt.
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a) Debarment als Corporate Governance Instrument Obwohl die lange Dauer der Debarments von verurteilten Responsible Corporate Officers bei FDCA Verurteilungen scharf kritisiert wird,301 sind sie aus der Perspektive der Corporate Governance ein besonders zielführendes Instrument. Da die Gewinnabsichten der Verurteilten in den entsprechenden Fällen offensichtlich nicht mit den Interessen der Allgemeinheit an sicheren Produkten und der Vermeidung von Umweltschäden vereinbar waren, findet durch das Debarment eine zwangsweise Anpassung des Verhaltens durch Ausschluss statt. So wird verhindert, dass die gleichen Personen die gleichen Aufsichtsfehler noch einmal begehen, oder ein weiteres Mal durch unzureichende Strukturen die Kontrolle über ein Unternehmen verlieren und auf diese Weise die Allgemeinheit erneut gefährden. Das Debarment ist ein so wichtiges Element der Responsible Corporate Officer Doctrine, da Geld- und Haftstrafen nach dem FDCA maximal nur $ 1.000 und ein Jahr Haft betragen. Dies wirkt zwar allgemein abschreckend, erlaubt dem einmal Verurteilten aber schnell wieder, Verantwortung in Unternehmen zu übernehmen. Handelte es sich bei dem ursprünglichen Verstoß tatsächlich nur um einen fahrlässigen Aufsichtsfehler, ist nicht von einer hohen Wiederholungsgefahr auszugehen, da der Verurteilte weitere Fehler vermeiden wollen wird.302 Doch in Fällen wie den bereits erwähnten, in denen die Beteiligung an oder zumindest Kenntnis von den rechtswidrigen Handlungen nahe lag oder sogar erwiesen war,303 in denen der Verstoß also mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis bewusster wirtschaftlicher Abwägungen war, besteht ein höheres Risiko von Wiederholungsverstößen. Durch den weiten Ermessensspielraum, den die FDA bei der Entscheidung über Debarments ausüben kann, kann sie die Umstände des Einzelfalls angemessen berücksichtigen. Erst durch das Debarment kann die Verurteilung eines Responsible Corporate Officer auch längerfristig spezialpräventiv wirken. Es ähnelt insofern der Sicherheitsverwahrung von Straftätern, bei denen eine Wiederholungsgefahr von so gefährlichen Straftaten gesehen wird, dass der Schutz der Allgemeinheit schwerer wiegt als die mögliche Einschränkung der Rechte des Verurteilten. Die verurteilten Responsible Corporate Officers sind verantwortlich für gemeingefährliche Verstöße, deren Wiederholung ebenfalls unter allen Umständen verhindert werden soll. Wie wichtig dem Gesetzgeber dieser Schutz der Allgemeinheit ist, zeigt sich auch daran, dass sogar in Fällen, in denen es nicht um gemeingefährliche Straftaten geht und die Responsible Corporate Officer Doctrine nicht greift, die FDA dennoch ein Debarment aussprechen kann, wenn die Art der Straftat (z. B. Betrug oder Behinderung der 301
s. supra, Debarment (S. 319). Dies gilt umso mehr, zumal eine zweite Verletzung von Section 301 des FDCA automatisch als Felony behandelt würde, das maximale Strafmaß erhöht sich damit auf $ 10.000 und bis zu drei Jahren Haft. 21 U.S.C. § 333(a)(2). Hinzu kommen die bereits erwähnten weiteren Einschränkungen durch die Verurteilung für eine Felony. 303 s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 302
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Justiz) Grund zur Befürchtung gibt, dass ein Officer zu gemeingefährlichen Verstößen wie zum Beispiel der betrügerischen Vermarktung von potentiell gefährlichen Medikamenten bereit wäre.304 b) Vergleichbare Instrumente im Kapitalmarktrecht Der Responsible Corporate Officer Doctrine ähnliche Instrumente bestehen in der bereits erwähnten zivilrechtlichen Control Person Haftung305 sowie seit dem Jahr 2002 in Section 302306 des Sarbanes-Oxley Act und ihrem strafrechtlichen Gegenstück Section 906.307 Alle drei betreffen allerdings nur sehr spezifische Verstöße. So kommt eine Haftung als Control Person nach Exchange Act Section 20(a) bzw. Securities Act Section 15 nur für Verstöße des Unternehmens gegen den Exchange Act bzw. spezifische Normen des Securities Act in Betracht. Auch muss die Rechtsverletzung des Unternehmens erwiesen sein, bevor eine Control Person haften kann. Wie auch der Begriff „Responsible Corporate Officer“ haben Gesetzgebung und Rechtsprechung den Begriff „Control Person“ nicht eindeutig festgelegt, um zu enge oder zu weite Definitionen zu vermeiden. Haftung bzw. Sanktionierung gemäß SOX Sections 302 und 906 kann nur den CEO und den CFO der Gesellschaft betreffen und bezieht sich nicht direkt auf Verstöße des Unternehmens. Vielmehr bekennen sich beide Personen mit ihren Unterschriften explizit zu ihrer Verantwortung für die Richtigkeit der Geschäftsberichte, die Konsequenzen ergeben sich also aus der Unterschrift, der Handlung der einzelnen Person.308 Da beide Normen Kenntnis des Unterzeichnenden über Fehlinformationen im Geschäftsbericht voraussetzen, unterscheiden sie sich zunächst von der Responsible Corporate Officer Doctrine in ihrer ursprünglichen Form, die keinerlei Mens Rea verlangt. Gleichzeitig sind CEO und CFO aber zur Leistung dieser Unterschriften verpflichtet, die beiden Normen begründen also praktisch das Erfordernis für ausreichend gründliche Berichts- und Überwachungssysteme. Sollten sich im Nachhinein Informationen als falsch herausstellen, müssen die beiden Officers anhand dieser Systeme nachweisen können, dass sie keine Kenntnis von den zugrundeliegenden Sachverhalten hätten haben müssen, sich also nicht durch mutwillige Unkenntnis vor späterer Haftung hatten schützen wollen. Obwohl die von SOX Section 906 betroffenen Fälle Kenntnis von internen Prozessen weit unter der Führungsebene voraussetzen, wie auch die Responsible 304
21 U.S.C. § 335a(b)(B)(ii)(I). s. supra, Haftung als „Control Person“ (S. 70). 306 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 307 s. infra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 308 Wie bereits dargelegt, bestünden die gleichen Pflichten und Haftungsrisiken der SOX Section 302 auch ohne die Unterschrift der beiden Officers, s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 305
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Corporate Officer Doctrine, unterscheiden sich die Anforderungen an die betroffenen Officers – und damit an die Compliance-Systeme – in der erforderlichen Eigeninitiative. Insbesondere die strafrechtliche Sanktionierung nach Section 906 verlangt von der Staatsanwaltschaft den Beweis, dass die Beschuldigten detaillierte Kenntnisse über die Verstöße und die ihnen zugrundeliegenden Sachverhalte hatten oder sehr offensichtliche Hinweise ignoriert haben. Obgleich in Fällen zur Responsible Corporate Officer Doctrine der letzten Jahre Kenntnis von den relevanten Vorgängen praktisch ausnahmslos sehr wahrscheinlich, wenn nicht sogar erwiesen war, macht sie eine Beweisführung zu dieser Frage im Bereich des FDCA nicht nötig. Da der Beweis der nötigen Kenntnis für die Staatsanwaltschaft eine große Herausforderung sein kann,309 macht dies die Anklage als Responsible Corporate Officer deutlich einfacher als die eines CEO or CFO unter SOX Section 906. Dennoch bieten SOX Sections 302 und 906 wertvolle Parallelen zur Responsible Corporate Officer Doctrine. Denn auch sie inzentivieren bestimmte Entscheidungsträger durch persönliche Haftungs- bzw. Sanktionierungsrisiken zu erhöhter Aufsicht innerhalb des Unternehmens und konkretisieren ihre Verantwortung, in diesem Fall für den Geschäftsbericht des Unternehmens, der nach den Skandalen der frühen 2000er Jahre als potentiell so gemeingefährlich eingestuft wurde, dass außergewöhnliche rechtliche Mechanismen gerechtfertigt waren.310 Die Erfahrung mit SOX lässt erwarten, dass die persönliche Haftung der verantwortlichen Officers auch bei der Responsible Corporate Officer Doctrine tendenziell zu höherer Rechtstreue führen sollte.311 c) Einsatz der Responsible Corporate Officer Doctrine Die Responsible Corporate Officer Doctrine bietet hohes Potential für Missbrauch und exzessive Strafverfolgung, wie schon die Urteilsbegründungen in Dotterweich und Park anerkannten.312 Deshalb legten sie die Verantwortung für den sinnvollen Umgang mit diesem scharfen Instrument in die Hände der Behörden.313 Insbesondere lehnten sie eine ex-ante Definition des Begriffs „Responsible Corporate Officer“ ab – die Einschätzung, ob ein Officer oder leitender Angestellter ein strafwürdiges Maß 309 s. z. B. Bank of New England, 821 F.2d 844 (1987); Sepinwall, Guilty by Proxy, 63 Hastings L.J. 411 (2012), S. 431; David M. Uhlmann, After the Spill Is Gone, 109 Michigan Law Review 1413 (2011), S. 1442; Aagaard, Fresh Look, 96 J. Crim. L. & Criminology 1245 (2006), S. 1263. 310 Der U.S. Supreme Court hatte den Verkauf von Aktien bereits in Morissette im Jahr 1952 als mögliche Quelle von Public Welfare Offenses identifiziert. Morissette, 342 U.S. 246 (1952), S. 254. 311 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 312 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 284 f.; Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 670 f. 313 „In such matters the good sense of prosecutors, the wise guidance of trial judges and the ultimate judgment of juries must be trusted.“ Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 284 f., zitiert auch in Park, 421 U.S. 658 (1975), S. 670 f. Aber s. auch z. B. Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 4 f.
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an Verantwortung für die Fehler des Unternehmens trägt, liegt also zunächst bei der inhaltlich zuständigen Behörde (z. B. der FDA oder EPA) und der Staatsanwaltschaft. Zurückhaltung der handelnden Behörden war immer ein wesentliches Element der Responsible Corporate Officer Doctrine, insbesondere auch aufgrund ihrer umstrittenen Berechtigung.314 Diese Zurückhaltung ist heute wichtiger denn je, da die Responsible Corporate Officer Doctrine, anders als zu Zeiten von Dotterweich und Park, heute mit harten Strafen einhergehen kann. Zwar gelten die gesetzlichen Höchstgrenzen, beispielsweise eine einjährige Haftstrafe und Strafzahlungen von $ 1.000 für eine Misdemeanor Verletzung von Section 301 des FDCA,315 doch kann es zum Beispiel durch die Rückzahlung von erhaltener Vergütung zu tatsächlich sehr viel höheren Zahlungen kommen. Das Department of Justice kann die Androhung einer Haftstrafe dazu verwenden, hohe freiwillige Zahlungen zu erreichen.316 Gleiches gilt für die Möglichkeit des Debarment. Eine wesentliche Frage für die Beurteilung der Angemessenheit bei der Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine sollte sein, ob der riskierte oder entstandene Schaden durch monetären Ausgleich wiedergutzumachen wäre. Die von ernsten Gesundheitsschäden oder auch Todesfällen Betroffenen werden die ex-ante Prävention dem ex-post Ausgleich vorziehen. Die gleiche Prioritätensetzung gilt sicher für große Umweltkatastrophen, wahrscheinlich aber auch für zahlreiche kleinere Umweltrechtsverstöße, deren tatsächlicher Schaden nicht zu beziffern ist.317 Auch Marktverzerrungen durch Bestechung oder wettbewerbswidriges Verhalten zählen zu diesen Verstößen, da die ex-post Entzerrung eines Marktes in der Praxis nicht den früheren Zustand wieder herstellen kann.318 Insbesondere benachteiligte 314 s. z. B. Braithwaite, Corporate Crime (1984), S. 304; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 147 & 174 f.; Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 111. 315 21 U.S.C. § 333(a)(1). 316 So kam es beispielsweise zu den hohen Zahlungen in Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 317 Auch ist die Verwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine bei rein administrativen Verstößen ohne schwere Folgen zu vermeiden. Professor Kathleen Brickey zieht hier einen hilfreichen Unterschied im Umweltrecht, wo zahlreiche strafbewährte Lizenzpflichten zu einer übermäßigen Verfolgung von Responsible Corporate Officers führen können, zwischen „substantive crimes“ und „administrative crimes“. Nur Substantive Crimes, so Brickey, führen zu direktem Schaden. Die Responsible Corporate Officer Doctrine sollte entsprechend nur für Substantive Crimes Anwendung finden. Kathleen F. Brickey, Environmental Crime at the Crossroads: The Intersection of Environmental and Criminal Law Theory, 71 Tulane Law Review 487 (1996), S. 512 ff. Dabei hängt die Einordnung jedoch vom Einzelfall ab. Die zunächst administrativ wirkende Offenlegungspflicht in Grab Bag, 189 F. Supp. 2d 1072 (2002), würde in Brickeys Aufteilung beispielsweise wohl zu den Substantive Crimes zählen, da die mangelnde Offenlegung des Beschuldigten die unbemerkte Verbreitung gefährlicher Drogen ermöglicht hatte. 318 Zudem kann die Gesetzgebung diese Art der Marktverzerrungen nur dann verhindern, wenn sämtliche Verstöße unterbunden werden.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Marktteilnehmer haben den Markt zu dem Zeitpunkt vielleicht sogar schon verlassen müssen, Schadensersatz wird die so verpassten Chancen nicht adäquat aufwiegen können. Bei der Ausweitung auf andere Rechtsgebiete sollte diese Abwägung eine zentrale Rolle spielen. Zurückhaltung durch eine Begrenzung auf klar definierte, tatsächlich gemeingefährliche Rechtsverstöße, die der Responsible Corporate Officer hätte verhindern können, wird außerdem nötig sein, um die Responsible Corporate Officer Doctrine als konstruktives Instrument der Corporate Governance zu sichern.319 Ihr Zweck liegt nicht rückblickend in der Bestrafung sondern ausschließlich in der zukünftigen Abschreckung, die in dieser Konsequenz nur funktionieren kann, wenn ihre Anwendbarkeit klar vorherzusehen ist.320 Bei einer breiteren strafbewährten Aufsichtspflicht wäre außerdem nicht von einer konsequenten Anwendung auszugehen, da sich natürliche Personen im Zusammenhang mit den hier relevanten Wirtschaftsstraftaten gegen die Vorwürfe deutlich häufiger als Unternehmen vor Gericht wehren, statt sich mit der Staatsanwaltschaft auf ein Plea Agreement zu einigen.321 Es wäre davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft sich entsprechend auf eine Verfolgung der Corporation beschränken würde, wenn die Ressourcen, die für eine konsequente Anwendung einer solchen Ausweitung der Responsible Corporate Officer Doctrine nötig wären, nicht realistisch aufzubringen wären. Würde die Responsible Corporate Officer Doctrine dennoch wesentlich breiter und unspezifischer als in den hier besprochenen Fällen angewendet, wäre außerdem mit kontraproduktiven Gegenreaktionen zu rechnen. Zum einen wäre eine Reaktion von Seiten der Unternehmen zu erwarten, denn als übermäßig hart erachtete Strafen können zu einer erhöhten Bereitschaft zu Rechtsverstößen innerhalb von Organisationen führen.322 Auch innerhalb des Strafprozesses müsste davon ausgegangen werden, dass ein subjektives Ungerechtigkeitsgefühl nicht nur bei Juries, sondern möglicherweise auch bei Richtern zu einer Schwächung des Instruments führen
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Vgl. z. B. Braithwaite, Corporate Crime (1984), S. 304; Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 320 ff.; O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 148 ff.; Bragg, Onus of Responsibility, 65 Food Drug L.J. 525 (2010), S. 536 ff.; Boozang, Falling Down on the Job, 6 St. Louis U. J. Health L. & Pol’y 77 (2012), S. 80 f. & 89. Vgl. auch Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 270. 320 Vgl. auch Brown, Contingency of Criminal Liability, 149 U. Pa. L. Rev. 1295 (2001), S. 1296. 321 s. z. B. Garrett, Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Va. L. Rev. 1987 (2015), S. 1805 ff. 322 Simpson, Empirical Assessment, 103 J. Crim. L. & Criminology 231 (2013), S. 257. Vgl. auch Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 320 ff.; Wray/Hur, Corporate Criminal Prosecution in the Post-Enron World, 43 Am. Crim. L. Rev. 1095 (2006), S. 1187.
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könnte.323 Diese wären möglicherweise weniger bereit, einen unbeteiligten, unwissenden CEO zu einem Straftäter zu erklären, wenn es sich bei dem Rechtsverstoß um vergleichsweise harmlose Straftaten einzelner Angestellter handelt, statt um eine Public Welfare Offense mit schweren Folgen, so dass sich das Abschreckungspotential der Responsible Corporate Officer Doctrine entsprechend abschwächt.324 Selbst in Fällen, in denen die Responsible Corporate Officer Doctrine berechtigt Anwendung findet, sollte sie mit dem erforderlichen Augenmaß angewendet werden. So sollte sich das Strafmaß nicht nur nach dem Ausmaß der Beteiligung des Responsible Corporate Officer richten, sondern auch nach der Schwere des Verstoßes, gemessen an seiner Gefahr für die Allgemeinheit. Ist es innerhalb des Verantwortungsbereichs des beschuldigten Responsible Corporate Officer beispielsweise zum vorsätzlichen und betrügerischen Verkauf von falsch ausgezeichnetem Fleisch gekommen, wie in United States v. Jorgensen325 und United States v. Cattle King Packaging Co.,326 so muss es eine Rolle für die Entscheidung zur Anklage gegen einen Responsible Corporate Officer und gegebenenfalls für das Strafmaß spielen, ob das Fleisch wie in Jorgensen tatsächlich zwar falsch ausgezeichnet aber uneingeschränkt zum Verzehr geeignet war, oder ob wie bei Cattle King Packaging das Haltbarkeitsdatum des Fleisches falsch ausgezeichnet war und Anzeichen der Fäule beim Versand vertuscht wurden um das Fleisch länger als „frisch“ verkaufen zu können, da der Verkauf hier ganz direkte gesundheitliche Konsequenzen hätte haben können.327
323 Vgl. z. B. Lynch, Role of Criminal Law, 60 J. L. & Contem. Probs. 23 (1997), S. 49; Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 270; Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 54. 324 Vgl. z. B. Lynch, Role of Criminal Law, 60 J. L. & Contem. Probs. 23 (1997), S. 49; Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 270. Vgl. auch Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 52. 325 United States v. Jorgensen, 144 F.3d 550 (8th Cir. 1998). 326 United States v. Cattle King Packaging Co., 793 F.2d 232 (10th Cir. 1986). 327 In Jorgensen, 144 F.3d 550 (1998) wurde antibiotikafreies und mit besonders natürlichem Futter aufgezogenes Rinderhackfleisch mit gewöhnlichem Rindfleisch gestreckt, während in Cattle King, 793 F.2d 232 (1986) Mitarbeiter eines Fleischerzeugers Produktionsdaten falsch auszeichneten, behördliche Inspektionen systematisch verhinderten und die Verpackungen von zurückgeschicktem Fleisch anstachen, um Verfaulungsgase entweichen zu lassen, bevor sie das selbe, bereits faulende Fleisch ein zweites Mal an einen Kunden sandten. In beiden Fällen nahmen die Gerichte auf die Responsible Corporate Officer Doctrine Bezug, obwohl die Fälle nicht unter den FDCA sondern den Federal Meat Inspection Act fielen (21 U.S.C. §§ 601 – 624 & 661 – 680). In beiden Fällen waren die verurteilten Officers aber so tief und vorsätzlich an dem jeweiligen Betrug beteiligt, dass die Jury sie mit großer Wahrscheinlichkeit auch ohne die Responsible Corporate Officer Doctrine verurteilt hätte. Dennoch ist fraglich, ob die Streckung mit uneingeschränkt zum Verzehr geeigneten Fleisch einer Public Welfare Offense ausreichend ähnelt, um eine Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine angemessen zu machen, oder ob Jorgensen, 144 F.3d 550 (1998) einen rein wirtschaftlichen Betrug darstellt. Aber s. auch Zarky, Responsible Corporate Officer Doctrine, 5 Toxics L. Rep. 983 (1991), S. 991.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Gleichzeitig sollte aber davon abgesehen werden, die Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine von den tatsächlichen Schäden abhängig zu machen. Wie an späterer Stelle im Zusammenhang mit dem deutschen Recht eingehend erörtert, liegt ein wesentlicher Vorteil des amerikanischen Systems für die Art der Corporate Governance Sanktionierung in der Klarheit der Prioritätensetzung des Gesetzgebers, nach der Unternehmen sich richten können.328 Würden an sich legitime Handlungen erst durch das spätere Aufkommen von Schadensfällen strafbar, wären Konsequenzen für ähnlich positionierte Andere nur schwer zu ziehen und die Responsible Corporate Officer Doctrine verlöre ihren so wichtigen Abschreckungseffekt.329 Wird die Wirksamkeit der Responsible Corporate Officer Doctrine gewahrt, kann sie auch bei zurückhaltender Anwendung den gewünschten Abschreckungseffekt entfalten.330 Einige, auch wirtschaftswissenschaftliche Studien legen nahe, dass allein die mangelnde Vorhersehbarkeit von strafrechtlichen Sanktionen zu erhöhter Rechtstreue führen kann.331 In vielen anderen Bereichen des Strafrechts könnte eine bewusste Unvorhersehbarkeit von Strafverfolgung auf berechtigte rechtsstaatliche Bedenken treffen. Die Verstöße, die die Responsible Corporate Officer Doctrine verhindern soll, sind aber durch höchstrichterliche Rechtsprechung bereits als so bedeutend eingestuft worden, dass diese Bedenken weniger schwer wiegen. Zudem ließe sich eine Nicht-Verfolgung von Officers aufgrund der weniger direkten Verbindung zwischen dem Responsible Corporate Officer und dem Rechtsverstoß im Ermessen der Behörden eher rechtfertigen. Zudem verleiht sie den weniger invasiven, vorgelagerten Ahndungs- und Compliancestrategien der Behörden größere Glaubwürdigkeit, da die Verantwortungsträger innerhalb der Unternehmen wissen, dass sie der Staatsanwaltschaft als Ultima Ratio zur Verfügung steht. Bei einer furchtlosen Anwendung in klar definierten schweren Fällen wird ihre Benutzung vielen Fällen entsprechend gar nicht nötig werden.332 d) Keine Ausweitung in das Zivilrecht Der besondere Charakter der Responsible Corporate Officer Doctrine besteht in ihrer Verankerung im Strafrecht und der Möglichkeit, Responsible Corporate Officers tatsächlich und ganz direkt zur Verantwortung zu ziehen. Eine Ausweitung in 328
s. infra, Zwischenergebnis: Die Bedeutung der strafrechtlichen Corporate Governance Haftung für den Drittschutz (S. 419). 329 Vgl. z. B. Richman, Corporate Headhunting, 8 Harv. L. & Pol’y Rev. 265 (2014), S. 276. 330 s. z. B. O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 144. 331 s. z. B. Anna Rita Germani/Andrea Morone/Piergiuseppe Morone/Pasquale Scaramozzino, Discretionary enforcement and strategic interactions between firms, regulatory agency and justice department: a theoretical and empirical investigation, Discussion Paper, SOAS, University Of London (2013). Vgl. auch Tom Baker/Alon Harel/Tamar Kugler, The Virtues of Uncertainty in Law: An Experimental Approach, 89 Iowa Law Review 443 (2004). 332 So z. B. O’Leary, Credible Deterrence, 68 Food & Drug L.J. 137 (2013), S. 156.
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das Zivilrecht, wie sie von einigen Gerichten praktiziert333 und im Schrifttum mitunter gefordert wird,334 ist daher ausdrücklich nicht sinnvoll. Es ist fragwürdig, ob der Ruf und die Arbeitszeit eines Officer mit einer persönlichen Klage belastet werden sollten, wenn es sich um einen Verstoß handelt, den der Gesetzgeber nicht für strafwürdig hält (und an dem der Officer per Definition der Responsible Corporate Officer Doctrine nicht persönlich beteiligt war). Selbst wenn nicht geschädigten Dritten sondern nur den Behörden eine Klagemöglichkeit eingeräumt würde,335 wäre das Privatvermögen eines Officer nur in Ausnahmefällen eine geeignete Quelle zum tatsächlichen Ausgleich von Schäden, die sich häufig im dreistelligen Millionenoder sogar Milliardenbereich bewegen.336 Durch die geringeren Anforderungen an die Beweisführung der Kläger in einem Zivilprozess könnte es zudem zu einer Inflation der Responsible Corporate Officer Doctrine kommen, die zu einer Eindämmung durch Gesetzgebung oder Rechtsprechung führen könnten. In aller Regel würden die Forderungen darüber hinaus letztendlich von einer D&O-Versicherung oder aufgrund einer Haftungsfreistellung vom Unternehmen selbst getragen. In vielen Fällen wird es sich um eine Verurteilung der Responsible Corporate Officers und des Unternehmens als Gesamtschuldner handeln, so dass alle Zahlungen, wie auch bei Shareholder Representative Actions,337 höchstwahrscheinlich ohnehin von der Corporation getragen würden. Der Umweg über den einzelnen (am Verstoß ja unbeteiligten) Officer ist daher noch weniger zu rechtfertigen. Die absolute Abschreckung, die Ziel der Responsible Corporate Officer Doctrine sein sollte, ist in jedem Fall nicht gegeben.
333 s. z. B. United States v. Hodges X-Ray, Inc., 759 F.2d 557 (6th Cir. 1985), S. 561; Crown Point Homeowner’s Association, Inc. v. Stiglich, 999 F. Supp. 2d 1111 (N.D. Ind. 2014), S. 1133; United States v. Osborne, Opinion and Order, Case No. 1:11-CV-1029 (N.D. Ohio, 30. März 2012). Aber s. auch Meyer, 537 U.S. 280 (2003) (eine solche Ausweitung verneinend). 334 s. z. B. Wise, Personal Liability Promotes Responsible Conduct, 21 Stan. Envtl. L.J. 283 (2002), S. 340; White, Environmental Justice since Hammurabi, 29 Wm. & Mary Envtl. L. & Pol’y Rev. 633 (2005), S. 670, Fn. 200; Valorie Cogswell, Catching the Rabbit: The Past, Present, and Future of California’s Approach to Finding Corporate Officers Civilly Liable Under the Responsible Corporate Officer Doctrine, 33 Environs: Environmental Law and Policy Journal 343 (2010). 335 So beispielsweise in Hodges X-Ray, 759 F.2d 557 (1985). 336 Im Falle der Insolvenz des Unternehmens wären Officers hier zudem je nach ihrem Vermögen unterschiedlich hart betroffen. Vgl. z. B. Kraakman, Corporate Liability Strategies, 93 Yale L.J. 857 (1984), S. 857. 337 s. supra, Zivilrechtliche Innen- und Außenhaftung durchgesetzt durch die Aktionäre im Rahmen von Shareholder Representative Actions (S. 178).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
II. Verhinderung der Gefährdung der Integrität des Kapitalmarktes Rechtsdogmatisch verwandt mit der Responsible Corporate Officer Doctrine ist die Strafverfolgung von Directors und Officers (wiederum vor allem Officers) im Zusammenhang mit Verstößen des Unternehmens gegen bestimmte kapitalmarktrechtliche Pflichten. Straftaten des Einzelnen, die nicht von Rechtsverstößen des Unternehmens abhängen, sind im Kapitalmarktrecht ebenso möglich wie im Lebensund Arzneimittel- oder Umweltrecht. Doch wie auch bei der dort anwendbaren Responsible Corporate Officer Doctrine bestehen im Kapitalmarktrecht Straftatbestände, die für den einzelnen Officer persönliche strafrechtliche Folgen, bis hin zu Haftstrafen, haben können, obwohl der ursprüngliche Verstoß auf einer Pflicht (meistens einer Offenlegungspflicht) des Unternehmens, nicht des einzelnen Officer beruht. Wie auch unter dem FDCA und im Umweltrecht gilt hier, dass sich Dritte (wie Kunden, Aktionäre oder andere Betroffene) allein nicht effektiv gegen die Konsequenzen des Fehlverhaltens wehren können. Insbesondere angesichts der hohen bilanziellen Komplexität der modernen Konzerne und des enormen Schadens, den die zahllosen Bilanzbetrugsfälle um die Jahrtausendwende der Gesamtwirtschaft zugefügt haben, wird auch hier der Schwerpunkt der Gesetzgebung auf Abschreckung gelegt.338 Zwei wesentliche Unterschiede bestehen zwischen diesen kapitalmarktrechtlichen Straftatbeständen und der Responsible Corporate Officer Doctrine. Zunächst arbeitet das für die Corporate Governance relevante Kapitalmarktrecht nicht mit Strict Liability Offenses für Einzelne. Im Gegenteil, in der Regel ist eine Verurteilung nur mit dem Nachweis von Kenntnis, häufig sogar nur bei betrügerischer Absicht möglich. Ein ehrlicher Versuch, die Handlungen des Unternehmens zu kontrollieren, kann einen Officer also vor Strafverfolgung schützen, da er betrügerischer Absicht und absichtlicher Unkenntnis widerspricht. Allerdings kann in einigen dieser Fälle, insbesondere beim Leisten einer Unterschrift, Kenntnis vorausgesetzt werden. Zudem werden in der Praxis auch Responsible Corporate Officers, wie bereits erörtert, meist nur bei Kenntnis der Verstöße und Vernachlässigung von Überwachungspflichten verfolgt, so dass der Unterschied praktisch selten eine Rolle spielt. Der zweite Unterschied besteht darin, dass unter der Responsible Corporate Officer Doctrine der Officer und die Corporation für dieselbe Straftat verfolgt werden, während im Kapitalmarktrecht auch eigene Straftatbestände bestehen, die sich ausschließlich auf die Unternehmensführung beziehen. Der Eindruck, die Officers würden ohne aktives, eigenes Tun für Straftaten des Unternehmens verantwortlich gemacht, entsteht daher weniger. Die Straftat des Einzelnen wird jedoch auch in diesen Fällen erst durch die Straftat des Unternehmens möglich – ein Officer kann bei der Bestätigung des Geschäftsberichts nur dann strafbar handeln, wenn das 338 s. z. B. G. William Miller/Former Secretary Of The Treasury/Former Chairman Of The Federal Reserve Board, „Penalties for White Collar Crime“, Aussage vor dem Committee on the Judiciary, Subcommittee on Crime and Drugs, U.S. Senate, 24. Juli 2002.
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Unternehmen zunächst einen fehlerhaften Geschäftsbericht erstellt hat.339 In anderen Situationen gelten beispielsweise zwar für das Unternehmen und den Responsible Corporate Officer die selben Normen, doch kann eine natürliche Person, anders als bei der Responsible Corporate Officer Doctrine, nur dann für einen Verstoß verurteilt werden, wenn sie den Tatbestand persönlich erfüllt hat, wie zum Beispiel bei unwahren Aussagen dem Kapitalmarkt gegenüber, die für einen Officer nur dann zu strafrechtlichen Konsequenzen führen können, wenn er sie selbst vorträgt.340 Wie auch die Responsible Corporate Officer Doctrine soll das auf die Corporate Governance bezogene Kapitalmarktstrafrecht die Unternehmensführung inzentivieren, Rechtsverstöße des Unternehmens zu verhindern. Viele der durch den Gesetzgeber insbesondere im Zusammenhang mit dem Sarbanes-Oxley Act vorgesehenen Normen wären hierfür rein rechtlich nicht nötig, da das von ihnen betroffene Verhalten bereits durch andere Tatbestände des Federal Law abgedeckt ist. Die spezifischeren und eindeutigeren neuen Normen, funktionieren also psychologisch mehr als rechtlich. Sie setzen den Verantwortlichen unmissverständliche Signale, die nötigen Kontroll- und Informationssysteme zu schaffen, sie erleichtern ihnen die Durchsetzung dieser Prioritätensetzung innerhalb ihres Unternehmens. Da die Unternehmenskultur ein ausschlaggebender Faktor für eine Vermeidung von Verstößen ist,341 besteht hierin ein wesentlicher Vorteil dieser klaren Gesetzgebung. 1. Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) Die eindeutigste strafrechtliche Norm, die die Verantwortung der Unternehmensführung für das Verhalten der Gesellschaft am Kapitalmarkt konkretisiert, wurde mit dem Sarbanes-Oxley Act im Jahr 2002 erlassen. Während SOX Section 302, wie bereits erläutert, den CEO und CFO jedes börsennotierten Unternehmens zur Zertifizierung der Korrektheit von Jahres- und Quartalsberichten der SEC gegenüber verpflichtet und diese bei Verstößen zu zivil- und verwaltungsrechtlicher Ahndung berechtigt,342 müssen beide Officers gemäß SOX Section 906343 eine zweite, an das DOJ gerichtete Unterschrift leisten, mit der sie die Richtigkeit der im jeweiligen Bericht enthaltenen finanziellen und wirtschaftlichen Darstellungen zum
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s. infra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 340 s. infra, Section 10(b) und Securities Fraud (S. 350). 341 s. z. B. Braithwaite, Crime, Shame (1989), S. 54 ff.; Simpson, Empirical Assessment, 103 J. Crim. L. & Criminology 231 (2013), S. 238; Feng, CFOs and Material Accounting Manipulations, J. Acct. & Econ. (2011). Vgl. auch Prentice, Beyond Temporal Explanations, 1 Va. J. Crim. L. 397 (2013), S. 401 ff.; Murdock, Hero or Villain, 39 Loy. U. Chi. L.J. 525 (2008), S. 552. 342 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 343 18 U.S.C. § 1350.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Unternehmen versichern.344 Sollte sich herausstellen, dass ein Officer einen Geschäftsbericht in dem Wissen zertifiziert hat, dass er kein angemessenes Bild der finanziellen und wirtschaftlichen Situation des Unternehmens wiedergibt, drohen ihm laut Section 906 eine Strafzahlung von bis zu $ 1 Million und eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren.345 Erfolgt eine solche unkorrekte Zertifizierung im Bewusstsein, dass es sich dabei um einen Rechtsverstoß handelt („wilfully“), erhöht sich das Höchststrafmaß auf $ 5 Millionen und 20 Jahre Haft.346 Wie zahlreiche Aspekte des Sarbanes-Oxley Act entsprang auch Section 906 dem politischen Bedürfnis nach den damaligen Betrugsskandalen, die Unternehmensverantwortlichen stärker für die Richtigkeit von Bilanzen, Kapitalmarktinformationen und öffentlichen Angaben verantwortlich zu machen.347 Durch die Schaffung der zusätzlichen Pflicht zur Zertifizierung sollen CEOs und CFOs besonders inzentiviert werden, auf das Unternehmen einzuwirken, dass es seine Pflichten in Bezug auf die Richtigkeit von Kapitalmarktinformationen erfüllt. Wie auch SOX Section 302 hat Section 906 wenig an der Rechtslage geändert. Auch vor der Pflicht zu dieser separaten Unterschrift konnten CEOs und CFOs strafrechtlich verfolgt werden, wenn das Unternehmen mit ihrem Wissen falsche Geschäftsberichte veröffentlichte.348 Die Unterschriften, die CEO, CFO und eine Mehrheit des Board of Directors auch vor dem Erlass von SOX am Endes eines jeden Jahresbericht leisten mussten,349 konnten bereits damals zu hohen Geld- und Haftstrafen führen, beispielsweise aufgrund von Straftatbeständen wie Mail und Wire Fraud, Verstöße gegen Section 10(b) des Exchange Act oder die „books and records“ Klausel des FCPA.350 Die zahlreichen Verurteilungen der „Enron-Ära“ bezogen sich 344 18 U.S.C. § 1350(b). Der relevante Originaltext lautet: „… that information contained in the periodic report fairly represents, in all material respects, the financial condition and results of operations of the issuer.“ 345 18 U.S.C. § 1350(c)(1). 346 18 U.S.C. § 1350(c)(2). Schuld gemäß diesem höheren Standard setzt nicht nur Wissen der Tat, sondern auch Wissen ihrer Widerrechtlichkeit voraus. 347 s. z. B. Michael A. Perino, Enron’s Legislative Aftermath: Some Reflections on the Deterrence Aspects of the Sarbanes-Oxley Act of 2002, 76 St. John’s Law Review 671 (2002), S. 673; Stephen Labaton, Handcuffs Make Strange Politics, You Say? But Not in Washington, The New York Times (2. August 2002). 348 s. auch supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). In Frage kommen zum Beispiel die Straftatbestände Mail und Wire Fraud, Securities Fraud unter Section 10(b) und Rule 10b-5 und das Verbot von falschen Angaben den Behörden gegenüber („false statements“), die alle an anderer Stelle näher betrachtet werden. Vgl. auch z. B. Perino, Enron’s Legislative Aftermath, 76 St. Johns L. Rev. 671 (2002), S. 682; Fairfax, Form over Substance?, 55 Rutgers L. Rev. 1 (2002), S. 46. 349 Der CFO und ein weiterer Officer mussten zusätzlich den Quartalsbericht unterzeichnen. s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). 350 s. supra, Die Rolle der Staatsanwaltschaft (S. 286) und infra Section 10(b) und Securities Fraud (S. 350) und FCPA (S. 355). Das Höchststrafmaß für viele der relevanten Straftatbestände hat sich mit SOX allerdings deutlich erhöht. s. z. B. SOX §§ 903 & 1106.
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fast ausschließlich auf Handlungen, die vor Erlass des Sarbanes-Oxley Act stattgefunden hatten, sie basierten also zwangsläufig auf der Rechtslage vor 2002. 351 Die wenigen Fälle, in denen einem CEO oder CFO seit 2002 ein Verstoß gegen SOX Section 906 angelastet wurde,352 beinhalten in aller Regel weitere Betrugsvorwürfe.353 Es handelt sich also nicht um Fälle unzureichender Corporate Governance, sondern jeweils um einen größeren Betrug, an dem der beklagte CEO oder CFO direkt beteiligt gewesen sein soll.354 Section 906 eröffnet der Staatsanwaltschaft lediglich eine weitere Anklagemöglichkeit, die auch das potentielle Strafmaß erhöhen kann. Allerdings ist eine Verurteilung gemäß Section 906 schwierig, denn stützt sich ein CEO oder CFO bei der Zertifizierung auf schriftliche Bestätigungen der jeweiligen leitenden Angestellten der einzelnen Teilbereiche, die deren Richtigkeit häufig sogar eidesstattlich versichern,355 wird es einem Staatsanwalt ohne stichhaltige Hinweise auf betrügerische Absichten praktisch unmöglich, eine wissentliche Falschzertifizierung des CEO oder CFO zweifelsfrei nachzuweisen.356 Doch hierdurch erfüllt SOX Section 906 bereits einen Zweck. Wie auch Section 302 vergegenwärtigt sie den betroffenen Officers ihre Pflicht eindrücklich und belegt ihre Nicht-Erfüllung mit einem klaren, hohen persönlichen Risiko.357 Da die unmissverständlichen Vorgaben unter SOX wenig Raum mehr für entschuldigende Unwissenheit lassen, inzentiviert Section 906 CEOs und CFOs, die Richtigkeit der in den Geschäftsberichten enthaltenen Informationen so umfassend wie möglich abzusichern, auch mit tief in den operativen Betrieb hinein reichenden Berichts- und
351 Ein möglicherweise relevanter Unterschied zur vorherigen Rechtslage wird allerdings darin gesehen, dass allein das Einhalten der relevanten Berichtspflichten nicht mehr zur Vermeidung von Haftung bzw. Sanktionierung unter Section 906 reicht, wenn Bilanzen trotz dieser Einhaltung zu falschen Schlüssen verleiten. Perino, Enron’s Legislative Aftermath, 76 St. Johns L. Rev. 671 (2002), S. 683. 352 Michael Rapoport, Law’s Big Weapon Sits Idle, The Wall Street Journal (29. Juli 2012); Alison Frankel, Sarbanes-Oxley’s lost promise: Why CEOs haven’t been prosecuted, Reuters (27. Juli 2016); Gray, Striking the Right Balance, 60 Syracuse L. Rev. 449 (2010). 353 s. z. B. Frankel, Sarbanes-Oxley’s lost promise, Reuters (2016). 354 Frankel, Sarbanes-Oxley’s lost promise, Reuters (2016). 355 Vgl. z. B. Hamilton, CEOs Diving for Cover, LAT(2002). 356 Da die SEC seit dem Jahr 2002 zahlreiche zivilrechtliche Klagen auf der Basis von SOX Section 302 eingeleitet hat, ist anzunehmen, dass der Mangel an Anklagen insbesondere der Schwierigkeit zu schulden ist, einem Angeklagten in diesem Zusammenhang Wissen oder sogar Absicht über jeden begründbaren Zweifel nachzuweisen („beyond a resonable doubt“). Auch ein Verstoß gegen Section 302 ist nur dann erfolgt, wenn der Unterzeichnende wider besseres Wissen handelte. Aufgrund der geringeren Ansprüche an die Beweisführung im Zivilverfahren ist der Erfolg hier wahrscheinlicher. 357 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85). Die plötzliche Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit dem FDCA in den 2000er Jahren nach mehreren Jahrzehnten der Ruhe zeigt, dass die bisherigen Nicht-Anwendung auch nicht als Garantie betrachtet werden kann, dass ein Staatsanwalt nicht doch auf SOX Section 906 als Strafverfolgungsmittel zurückgreift. s. Aktuelle Rechtsprechung (S. 351).
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Informationssystemen.358 Es ist dieser verhaltenssteuernde Aspekt, der Section 906 zu einem Instrument der Corporate Governance macht. 2. Section 10(b) und Securities Fraud Auch ohne spezifische Unterzeichnungspflichten können unwahre kapitalmarktrelevanten Aussagen für Directors und Officers strafrechtliche Konsequenzen haben. Diese Pflichtverletzungen sind für einen sorgfältigen Director oder Officer unwahrscheinlich. Dennoch fungiert das Strafrecht in diesem Bereich als wichtiges Signal, der wahrheitsgemäßen Unterrichtung der Aktionäre immer oberste Priorität einzuräumen. Denn es kann zu Situationen kommen, in denen diese dem wirtschaftlichen Wohl der Gesellschaft entgegensteht, so dass es ohne klärende Gesetzgebung zum Konflikt zwischen den gesellschaftsrechtlichen Pflichten der Gesellschaft und der wahrheitsgemäßen Aufklärung des Kapitalmarkts kommen könnte. Auch hier hat das Strafrecht also einen verhaltensregelnden Effekt. Dieses Signal ist umso deutlicher angesichts der hohen Strafen. Der Securities Act und der Exchange Act beinhalten zahlreiche potentiell relevante Vorgaben. Dabei stehen bewusste Verletzungen („willful violations“) unter Strafe, unter dem Securities Act mit einem Höchststrafmaß von $ 10.000 und bis zu fünf Jahren Haft,359 unter dem Exchange Act mit $ 5 Millionen ($ 25 Millionen für juristische Personen) und bis zu 20 Jahren Haft.360 Eine Verletzung gilt als „willful“, wenn dem Beschuldigten bewusst ist, dass sein Handeln „falsch“ ist („wrongful“).361 Die vielleicht wichtigste strafrechtliche Norm zum Kapitalmarktbetrug ist Section 10(b),362 gemeinsam mit Rule 10(b)(5),363 die die Ahndung von wesentlichen 358 Stephen K. Asare/Lawrence A. Cunningham/Arnold Wright, The Sarbanes-Oxley Act: Legal Implications and Research Opportunities, 19 Research in Accounting Regulation 81 (2007), S. 93; Hamilton, CEOs Diving for Cover, LA Times (2002). Vgl. auch Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 351 („taint the CEO […] with knowledge“). 359 15 U.S.C. § 77x. 360 15 U.S.C. § 78 ff(a). Die Straftatbestände unter dem Foreign Corrupt Practices Act (FCPA), 15 U.S.C. § 78dd–1, treffen eigene Strafregelungen unter 15 U.S.C. § 78 ff(c). s. auch infra, FCPA (S. 355). 361 Das amerikanische Prinzip der Willful Violation ähnelt somit dem deutschen Unrechtsbewusstsein (§ 17 StGB). s. z. B. United States v. Dixon, 536 F.2d 1388 (2d Cir. 1976), S. 1395; United States v. Cassese, 428 F.3d 92 (2d Cir. 2005); United States v. Kaiser, 609 F.3d 556 (2d Cir. 2010), S. 568; United States v. Newman, 773 F. 3d 438 (2d Cir. 2014), S. 447; United States v. Scrushy, Memorandum Opinion on Motion to Dismiss Counts 27 – 29 of the Superseding Indictment, CR-03-BE-0530-S (N.D. Al., 2014). Vgl. auch Screws v. United States, 325 U.S. 91 (1945), S. 101; United States v. Anderson, 741 F.3d 938 (9th Cir. 2013), S. 946 f. Darüber hinaus kann für einen Verstoß keine Haftstrafe verhängt werden, sofern einer Person die Norm oder Regulierung, die sie verletzt haben soll, nicht bekannt war. 15 U.S.C. § 78 ff(a). 362 15 U.S.C. § 78j(b). 363 17 C.F.R. § 240.10b-5.
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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Falschdarstellungen oder Weglassungen im Zusammenhang mit dem Kauf oder Verkauf von Wertpapieren vorsehen. Eine Verletzung setzt den subjektiven Tatbestand des Scienter voraus, der einen gewissen betrügerischen Hintergrund voraussetzt, aber im Strafrecht bereits mit bedingtem Vorsatz erfüllt sein kann.364 Hierfür reicht es in der Regel aus, dass die Wirkung für den Beschuldigten seiner falschen Darstellungen auf die Aktionäre vorhersehbar war.365 Hinzu kommt das Erfordernis einer Willful Violation für strafrechtliche Konsequenzen, der Beschuldigte muss sich also eines Rechtsverstoßes bewusst gewesen sein.366 Darüber hinaus stehen Staatsanwälten die „Allzweck“-Verbote von Mail und Wire Fraud für die Ahndung von Kapitalmarktbetrug zur Verfügung,367 sowie Section 807 des Sarbanes-Oxley Act.368 Diese Norm mit dem Titel „Securities and Commodities Fraud“369 orientiert sich strukturell an Mail und Wire Fraud und belegt Betrug im Zusammenhang mit Wertpapieren börsennotierter Unternehmen mit einer Geld- oder Freiheitsstrafe von bis zu 25 Jahren.370 Die Norm ist allgemeiner gefasst als Section 10(b), da beispielsweise keine Verbindung zu einem Kauf oder Verkauf hergestellt werden muss, es liegt aber nahe, dass der subjektive Tatbestand dem des Mail und Wire Fraud entspricht und damit betrügerische Absichten („fraudulent intent“) voraussetzt.371 Angesichts der ausführlichen Rechtsprechung zu Mail und Wire Fraud und ihres nur unwesentlich geringeren Höchststrafmaßes von 20 Jahren 364
s. z. B. Greebel v. FTP Software, Inc., 194 F.3d 185 (1st Cir. 1999), S. 198. Vgl. auch Donald C. Langevoort, Reflections on Scienter (and the Securities Fraud Case Against Martha Stewart that Never Happened), 10 Lewis & Clark Law Review 1 (2006), S. 7; Pilcher, Ignorance, Discretion, 33 Am. Crim. L. Rev. 1 (1995), S. 4. Bei der zivilrechtlichen Anwendung von Section 10(b) ist diese Frage ausdrücklich nicht höchstrichterlich geklärt. s. Tellabs, 551 U.S. 308 (2007), S. 2507, Fn. 3. s. auch supra, Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 (S. 76). 365 s. z. B. Sanders v. John Nuveen & Co., Inc., 554 F.2d 790 (7th Cir. 1977), S. 793; AUSA Life Insurance Co. v. Ernst & Young LLP, 206 F.3d 202 (2d Cir. 2000), S. 221. Vgl. auch z. B. Rakoff, Conjoining Recklessness, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1447 (2013), S. 1450. 366 Dixon, 536 F.2d 1388 (1976), S. 1395; Newman (2014), 773 F. 3d 438 (2014), S. 447; United States v. Stewart, Superseding Indictment, S1 03 Cr. 717 (MGC) (S.D.N.Y., 4. Juni 2003), S. 371. Bewusstsein des spezifischen Gesetzes muss allerdings nicht unbedingt gegeben sein. s. United States v. Tarallo, 380 F.3d 1174 (9th Cir. 2004); United States v. Lloyd, 807 F.3d 1128 (9th Cir. 2015). Vgl. auch Coffee, Securities Regulation (2015), § 12:50. 367 s. supra, Die Rolle der Staatsanwaltschaft (S. 286). 368 18 U.S.C. § 1348. 369 Die Norm wird in Schrifttum und Rechtsprechung häufig mit seinem ursprünglichen Namen, „Securities Fraud“, bezeichnet, wobei der Ausdruck „securities fraud“, häufig auch für Wertpapierbetrug allgemein oder unter anderen Kapitalmarktnormen, wie beispielsweise Section 10(b) des Exchange Act verwendet wird. 370 18 U.S.C. § 1348(1). 371 Luke A. E. Pazicky, A New Arrow in the Quiver of Federal Securities Fraud Prosecutors: Section 807 of the Sarbanes-Oxley Act of 2002 (18 U.S.C. § 1348), 81 Washington University Law Quarterly 801 (2003), S. 806 & 812 ff. Vgl. auch z. B. Perino, Enron’s Legislative Aftermath, 76 St. Johns L. Rev. 671 (2002), S. 681 f.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Haft haben Staatsanwälte SOX Section 807 bisher nur selten genutzt.372 Ihre genauen Konturen sind entsprechend noch wenig definiert. Da der Kapitalmarktbetrug, unabhängig von der spezifischen Norm, unter der er verfolgt wird, mindestens bewusstes wrongful Handeln voraussetzt, ist eine Anwendung auf sorgfältige Directors oder Officers unwahrscheinlich. Doch ist ein solches Szenario nicht unmöglich. So könnte sich ein sorgfältiger Director oder Officer im Interesse des Unternehmens genötigt fühlen, dem Kapitalmarkt gegenüber falsche Angaben zu machen, beispielsweise um über eine momentäre Instabilität des Unternehmens hinwegzutäuschen und eine voreilige Flucht der Aktionäre zu verhindern. Der viel publizierte Fall United States v. Stewart373 bietet ein Beispiel für eine Situation, in der falsche Aussagen einer Unternehmensverantwortlichen aus ihrer Perspektive zunächst nicht nur rechtmäßig, sondern sogar pflichtgemäß hätten wirken können. Martha Stewart, unter anderem CEO und Chair ihres Medienemporiums Martha Stewart Living Omnimedia, Inc. (MSLO), beteuerte Aktionären gegenüber ihre Unschuld an Insider Trading Vorwürfen, die zu dem Zeitpunkt von der Staatsanwaltschaft untersucht wurden (die Vorwürfe betrafen nicht Handel mit Wertpapieren des Unternehmens, sondern ihr persönliches Portfolio).374 Im Zuge der Ermittlungen zu diesen Vorwürfe machte Stewart den Ermittlungsbehörden gegenüber falsche Aussagen.375 Aufgrund ihrer wichtigen Position für MSLO nicht nur gesellschaftsrechtlich als Entscheidungsträgerin, sondern auch inhaltlich als maßgebliches „Produkt“ hatte die Aussicht auf ein Strafverfahren und eine potentielle Gefängnisstrafe gegen Stewart großen Einfluss auf den Wert des Unternehmens, dessen Aktie durch die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft bereits um etwa vierzig Prozent gefallen war.376 Möglicherweise um dem Verlust von Marktvertrauen rigoros zu begegnen, äußerte 372 Vgl. z. B. Bradley J. Bondi/Steven D. Lofchie, The Law of Insider Trading: Legal Theories, Common Defenses, and Best Practices for Ensuring Compliance, 8 NYU Journal of Law and Business 151 (2011), S. 163. Einer der Gründe für den Erlass von Section 807 war das damalige Höchststrafmaß von nur fünf Jahren Haft für Mail und Wire Fraud. Pazicky, New Arrow, 81 Wash. U. L. Q. 801 (2003), S. 809. Mit der Erhöhung auf bis zu zwanzig Jahre Haft für Mail und Wire Fraud durch Section 903 des Sarbanes-Oxley Act, so dass es zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes nicht mehr im gleichen Maße benötigt wurde. 373 United States v. Stewart, 305 F. Supp. 2d 368 (S.D.N.Y. 2004). 374 Für einen ausführlicheren Hintergrund, s. z. B. Stewart, Indictment (S.D.N.Y., 2003); Stewart (Urteil S.D.N.Y.), 305 F. Supp. 2d 368 (2004), S. 370 ff.; Stewart (Urteil 2d Cir.), 433 F.3d 273 (2006), S. 280 ff. Vgl. auch Langevoort, Reflections on Scienter, 10 Lewis & Clark L. Rev. 1 (2006), S. 3 ff.; Jeanne L. Schroeder, Envy and Outsider Trading: The Case of Martha Stewart, 26 Cardozo Law Review 2023 (2005); Geraldine Szott Moohr, What the Martha Stewart Case Tells Us About White Collar Criminal Law, 43 Houston Law Review 591 (2006). 375 Später wurde sie aufgrund dieser Aussagen unter anderen zu einer fünfmonatigen Haftstrafe verurteilt. Stewart (Urteil 2d Cir.), 433 F.3d 273 (2006), S. 280. 376 Stewart, Indictment (S.D.N.Y., 2003), Rn. 57 f.; vgl. auch Stewart (Urteil S.D.N.Y.), 305 F. Supp. 2d 368 (2004), S. 372.
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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sich Stewart daher nicht nur den Ermittlungsbehörden, sondern auch den Aktionären gegenüber mit einer konkreten Gegenerklärung und beschrieb den relevanten Aktienverkauf als Teil einer legitimen langfristigen Anlagestrategie.377 Dabei wiederholte sie die präzisen, später als falsch anerkannten Angaben, die sie auch den Ermittlungsbehörden gegenüber gemacht hatte und deren Unwahrheit die Staatsanwaltschaft später beweisen konnte.378 Unabhängig von den eigentlichen Insider Trading Vorwürfen warf die Staatsanwaltschaft ihr daher vor, mit ihren Unschuldsbeteuerungen gegen Section 10(b) und Rule 10b-5 verstoßen zu haben – obwohl noch keine Anklage wegen Insider Trading gegen sie vorlag, betrachtete die Staatsanwaltschaft das öffentliche Abstreiten ihrer Schuld mit Hilfe einer spezifischen Gegenerklärung als eine wesentliche falsche Behauptung, die Anleger in ihren Kaufs- und Verkaufsentscheidungen beeinflussen würde. Obwohl die Anklage in diesem Punkt letztendlich in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung des Gerichts an einem Mangel an Beweisen scheiterte379 und Stewart nur für Vertuschungshandlungen den Ermittlungsbehörden gegenüber verurteilt wurde,380 ist der Fall Stewart doch ein Signal an Directors und Officers, dass die Strafverfolgungsbehörden die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Unterrichtung des Kapitalmarkts höher einstufen als die Stabilisierung eines einzelnen Aktienkurses. Zwar ist – zumindest in der Regel – davon auszugehen, dass ein Staatsanwalt seine knappen Ressourcen für die Ahndung von klassischem, vorsätzlichem Betrug verwendet,381 statt das Gesetz auf Directors oder Officers anzuwenden, die sich zu falschen Darstellungen in der begründeten Hoffnung entschlossen hatten, den Aktienkurs eines Unternehmens, das in Schwierigkeiten geraten ist, noch stabilisieren zu können.382 Selbst wenn eine Beruhigung einer noch unklaren Situation objektiv im Sinne des Unternehmens und der Anleger liegt und Unschuldsbeteuerungen zunächst ökonomisch sinnvoll sein mögen, reicht aber das Wissen, dass die Aussagen nicht der Wahrheit entsprechen, um den Director oder Officer dem Risiko einer Freiheitsstrafe von 25 Jahren auszusetzen. Im Fall Martha Stewart hätte die Staatsanwaltschaft die Aussagen möglicherweise auch nicht als Betrug sondern als Ausübung eines 377
Stewart, Indictment (S.D.N.Y., 2003), Rn. 27 & 61 ff. Stewart, Indictment (S.D.N.Y., 2003), Rn. 27 & 61 ff. 379 Stewart (Urteil S.D.N.Y.), 305 F. Supp. 2d 368 (2004), S. 378. Für eine eingehende rechtliche Kritik dieser Entscheidung, s. z. B. Langevoort, Reflections on Scienter, 10 Lewis & Clark L. Rev. 1 (2006), s. Die Insider Trading Vorwürfe wurden nicht zur Anklage gebracht. 380 Stewart (Urteil 2d Cir.), 433 F.3d 273 (2006), S. 280. 381 Dem Fall Stewart lag ein solcher Betrugsvorwurf in Form von Insider Trading zugrunde. Obwohl die Staatsanwaltschaft sich entschied, das Insider Trading selbst nicht weiter zu verfolgen, machten die Anklagepunkte zu Obstruction of Justice, False Statements und Securities Fraud mit Bezug auf die Aktien ihres eigenen Unternehmens doch deutlich, dass die Staatsanwaltschaft von ihrer Schuld ausging, selbst wenn sie möglicherweise nicht jeden Aspekt beweisen konnte. Das Gericht lehnte den Vorwurf des Securities Fraud letztendlich ab. Stewart (S.D.N.Y.), Opinion (S.D.N.Y., 2004). 382 Dies gilt umso mehr, da sie mit derartigen Grenzfällen Rechtsprechung riskieren, die die Verwendung der jeweiligen Gesetze in der Zukunft einschränken könnte. 378
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Grundrechts gewertet, wenn Stewart den Inhalt ihrer Äußerungen auf ein generelles Abstreiten der Vorwürfe beschränkt hätte, statt Anlegern eine detaillierte, unwahre Gegendarstellung mitzuteilen.383 Es ist möglich, dass in Situationen wie dieser im Nachhinein insbesondere für externe Beobachter wie Staatsanwälte, Aktionäre und Gerichte offensichtlich ist, dass ein Unternehmen trotz aller positiver Verlautbarungen nachhaltig in Schwierigkeiten geraten ist und Directors und Officers diese Situation hätten darstellen müssen. Für die Unternehmensführung muss dieser Schluss aber zum Zeitpunkt der Aussagen noch keineswegs alternativlos sein. Besteht tatsächlich noch begründete Hoffnung, dass die Schwierigkeiten nur vorübergehend sind, könnten negative Stellungnahmen den Aktionären gegenüber das Unternehmen schädigen oder gar vernichten. Der schmale Grat zwischen einer rigorosen Pflichterfüllung dem Unternehmen gegenüber auf der einen und dem Kapitalmarkt gegenüber auf der anderen Seite bedarf also einer vorsichtigen Abwägung und genauer Prüfung. 3. Insider Trading Insider Trading ist einer der wenigen Wirtschaftsstraftatbestände, der nicht nur Officers, sondern selbst Outside Directors eines Unternehmens ohne Weiteres betreffen kann, da sie regelmäßig Zugang zu nicht-öffentlichen, kapitalmarktrelevanten Informationen des Unternehmens haben. Der Vorwurf des Insider Trading beruht in aller Regel auf einer Verletzung von § 10(b) des Exchange Act, da dabei der Kauf oder Verkauf eines Wertpapiers mit einer Manipulation oder Täuschung einhergeht, dem Verschweigen nicht-öffentlicher kapitalmarktrelevanter („material“) Informationen384. Weder der widerrechtliche Handel noch die widerrechtliche nicht-öffentliche Weitergabe von Informationen durch einen Director oder Officer stehen aber in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Leitung des Unternehmen. Sie erfolgen aus persönlicher Bereicherungsabsicht, so dass weder die zivilrechtliche Haftung noch die strafrechtliche Sanktionierung für Insider Trading in den Bereich der Corporate Governance Haftung fallen.
III. Verhinderung von marktverzerrendem Verhalten Nach Public Welfare Offenses und Verstöße, die die Integrität des Kapitalmarkts gefährden, betrifft die dritte hier relevante Gruppe von Unternehmensstraftaten, die durch die Androhung von Sanktionierungen gegen Entscheidungsträger verhindert werden soll, Verhalten, das die grundsätzlichen Mechanismen einer funktionieren383 s. z. B. N. Scott Fletcher/Thomas S. Leatherbury, Martha Stewart’s Innocence: Securities Fraud or Protected Speech?, 21 Communications Lawyer 2 (2004). 384 s. Chiarella, 445 U.S. 222 (1980); United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642 (1997).
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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den Marktwirtschaft außer Kraft setzt, wie zum Beispiel Bestechung und Kartellbildung oder Preisabsprachen. In allen Fällen sind die Anreize zum Verstoß zunächst sehr groß, da das Verhältnis zwischen Aufwand und potentiellem Gewinn sehr vorteilhaft ist, so dass es aus Sicht von Unternehmensführung und Aktionären ein optimales Maß an Rechtswidrigkeit geben könnte.385 Es ist auch nur ein geringer organisatorischer Aufwand nötig, denn zur Ausführung bedarf es im Zweifel nur einer einzigen Person, die sich mit einem bestechlichen Beamten oder einem Wettbewerber im Namen des Unternehmens auf das weitere Vorgehen einigt.386 Entsprechend schwierig kann sich, in Ermangelung anderer Hinweise, die Aufdeckung dieser Art von Verstößen gestalten. Doch ein einziger Verstoß kann bereits ausreichen, um den Markt zu verzerren und Wettbewerbern oder Kunden Schaden zuzufügen, der im Nachhinein nicht immer ausgeglichen werden kann.387 Entsprechend strikt gestalten sich die Strafen in diesen Bereichen. Directors und Officers müssen zwar weder in Fällen von Bestechung noch von kartellrechtlichen Verstößen des Unternehmens Sanktionierung fürchten, wenn sie nicht persönlich an der Ausführung des Straftatbestandes oder dessen Vertuschung dem Kapitalmarkt gegenüber beteiligt waren. Aber das Strafrecht soll auch hier durch Abschreckung insbesondere die Officers des Unternehmens zur Einrichtung besserer Corporate Governance Strukturen inzentivieren. 1. FCPA Spätestens seit dem Jahr 2008, als die Siemens AG $ 800 Millionen Strafzahlungen und Gewinnabschöpfungen an die amerikanischen Behörden zahlen musste, erlangte der Foreign Corrupt Practices Act of 1977 (FCPA)388 auch in Deutschland 385
Vgl. Butler/Ribstein, Sarbanes-Oxley Debacle (2006), S. 23 ff. („an optimal amount of fraud“). Vgl. auch Kraakman, Corporate Liability Strategies, 93 Yale L.J. 857 (1984), S. 879; Jesse W. Markham Jr., The Failure of Corporate Governance Standards and Antitrust Compliance, 58 South Dakota Law Review 499 (2013), S. 505; Elizabeth K. Spahn, Implementing Global Anti-Bribery Norms: From the Foreign Corrupt Practices Act ot the OECD Anti-Bribery Convention to the U.N. Convention Against Corruption, 23 Indiana International & Comparative Law Review 1 (2013), S. 10 (die Autorin spricht von „highly profitable bribery based business models“, denen die US-Regierung mit dem FCPA begegnete.) 386 s. z. B. FCPA Fall gegen Ralph Lauren Corporation, Koehler, FCPA Narrative, 22 Mich. St. Int’l L. Rev. 961 (2014), S. 1037. 387 s. z. B. Richard A. Posner, Economic Analysis of Law (2014), S. 358 f. Vgl. auch Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 6 ff. & 24; Jorge Mestre, A Bribe New World: The Federal Government Gets Creative in Chasing Foreign Officials for Taking Bribes, 26 University of Florida Journal of Law and Public Policy 1 (2015), S. 4. 388 15 U.S.C. §§ 78 m, 78dd-1, 78dd-2, 78dd-3, 78 ff(a), 78 ff(c). §§ 78dd-1, -2 und -3 beschreiben weitgehend identische Tatbestände für verschiedene Unternehmen: börsennotierte Unternehmen (§ 78dd-1), nicht-börsennotierte amerikanische Unternehmen (§ 78dd-2) und alle anderen Unternehmen (§ 78dd-3). Die Abschnitte unterscheiden sich dabei nicht in den Grundzügen des Gesetzes, sondern in seiner Anwendbarkeit (nicht-amerikanische Unterneh-
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
breite Bekanntheit.389 Tatsächlich stellt der FCPA die Bestechung von „foreign officials“ bereits seit 1977 unter empfindliche Strafen.390 Erst im Dezember 1997 folgte die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) dem amerikanischen Beispiel, als sich ihre Mitgliedsstaaten mit der Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr ebenfalls verpflichteten, Bestechung durch ihre Bürger und Unternehmen auch im Ausland zu unterbinden.391 In zahlreichen OECD Mitgliedsstaaten, darunter auch Deutschland, galt die Bestechung ausländischer Amts- und Entscheidungsträger bis dahin als legitime Betriebsausgabe.392 Auch der FCPA, der als Vorbild für die OECD Konvention diente,393 hatte bis dahin wenig Anwendung gefunden.394 Erst unter den Präsidenten George W. Bush und Barack Obama in den 2000er Jahren wurde die intensive Verfolgung von ausländischen Bestechungstatbeständen zur Priorität für das U.S. Department of Justice und die SEC.395 Inzwischen ist der FCPA zu einer der wichtigsten Grundlagen für strafrechtliche Entity Liability geworden, stellt aber seit
men, die in den USA nicht börsennotiert sind, können beispielsweise nur unter sehr spezifischen Umständen belangt werden). 389 Eine ausführliche Zusammenfassung der Vorwürfe und Ergebnisse der Verfahren im Fallgefüge Siemens ist auf der Internetseite der Antikorruptionsorganisation Trace International, Inc. zu finden. Trace International, Siemens AG, Trace Compendium. 390 Neben der direkten Zahlung von Bestechungsgeldern, wird die Autorisierung oder Förderung solcher Zahlungen (bzw. Aushändigung oder Versprechung von Geschenken oder anderen Werten), insbesondere auch über Mittelsmänner vom FCPA erfasst. Der Kongress erließ den FCPA, nachdem unter anderem im Zuge der Watergate Untersuchungen Bestechungszahlungen und schwarze Kassen bei zahlreichen prominenten Unternehmen nachgewiesen worden waren. Er diente der Integrität des Marktes, doch sollte zur damaligen Zeit des Kalten Krieges auch außenpolitisch deutlich machen, dass die amerikanische Marktwirtschaft nicht mit als derartig unmoralisch empfundenen Methoden vorging. s. z. B. Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 911 f.; Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 3 ff.; Mestre, Bribe New World, 26 U. Fla. J.L. & Pub. Pol’y 1 (2015), S. 3. 391 Der Text der Konvention und eine Liste der unterzeichnenden Staaten sind einsehbar unter Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr (17. Dezember 1997). 392 s. z. B. Britta Bannenberg, Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle – Eine kriminologisch-strafrechtliche Analyse (2002), S. 26; Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 14. 393 s. z. B. Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 11. 394 Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 14. 395 s. Presidential Proclamation 7750, To Suspend Entry as Immigrants or Nonimmigrants of Persons Engaged in or Benefiting from Corruption (12. Januar 2004). Vgl. auch Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 14; Priya Cherian Huskins, FCPA Prosecutions: Liability Trends to Watch, 60 Stanford Law Review 1447 (2008), S. 1449. Vgl. auch Sonila Themeli, FCPA Enforcement and the Need for Judicial Intervention, South Texas Law Review 387 (2014), S. 395 f.
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einigen Jahren auch für die Officers beschuldigter Unternehmen ein ernstes Risiko dar.396 Gegen den FCPA verstoßen Zahlungen oder Zuwendungen, die mit Bestechungsabsicht („corruptly“)397 direkt oder indirekt an einen Foreign Official398 geleistet worden sind, um ein Geschäft zu erlangen oder zu erhalten.399 Zahlungen an Mittelsmänner, die die Bestechung vornehmen sollen, sind im gleichen Maße strafbar.400 Dies umfasst auch natürliche Personen, die für Verstöße gegen das Bestechungsverbot des FCPA zu einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren und einer Strafzahlung von bis zu $ 100.000 verurteilt werden können.401 Eine Übernahme der Strafzahlungen durch das Unternehmen ist gesetzlich ausgeschlossen.402 Für eine Verurteilung muss die Staatsanwaltschaft allerdings vor allem einige wesentliche Elemente beweisen: Zunächst muss der Beschuldigte die Zahlungen in der Absicht getätigt haben, den Empfänger unrechtmäßig zu beeinflussen und zu einem Missbrauch seiner Position zu verleiten.403 Dabei ist nach aktueller Rechtsprechung unklar, ob die Staatsanwaltschaft außerdem beweisen muss, dass der Beschuldigte 396 Vgl. Westbrook, Enthusiastic Enforcement, 45 Ga. L. Rev. 489 (2011), S. 526. Aufgrund der besonderen Bedeutung des FCPA im internationalen Wirtschaftsrecht, soll hier nur die von ihm regulierte Bestechung im Ausland betrachtet werden. Verbote von Bestechung und Bestechlichkeit im Inland unterliegen separaten gesetzlichen Grundlagen. s. z. B. 18 U.S.C. §§ 201 und 666. 397 15. U.S.C. § 78dd-1(a); §§ 78dd-2 und -3 entsprechend. 398 Die Übersetzung „Amtsträger“ ist hier nicht ausreichend, da der Ausdruck „foreign official“ beispielsweise auch Entscheidungsträger in Unternehmen einbezieht, die sich in staatlichem Besitz befinden. Der Begriff ist Gegenstand zahlreicher und fortdauernder Rechtsprechung. Widerrechtlich sind außerdem Zahlungen an politische Parteien, „Officials“ politischer Parteien oder Kandidaten für politische Ämter, insofern solche Zahlungen Bestechungscharakter haben. 15. U.S.C. § 78dd-1(a)(2); §§ 78dd-2 und -3 entsprechend. 399 15. U.S.C. § 78dd-1(a); §§ 78dd-2 und -3 entsprechend. 400 15. U.S.C. § 78dd-1(a)(3); §§ 78dd-2 und -3 entsprechend. Eine Ausnahme macht der FCPA für sogenannte „facilitating payments“, also Zahlungen, die nötig sind, um behördliche Routineleistungen zu sichern oder zu beschleunigen, selbst wenn diese Zahlungen an Amtsträger geleistet werden. 15. U.S.C. § 78dd-1(b); §§ 78dd-2 und -3 entsprechend. Mit Ausnahme von Mittelsmännern, die die Zahlungen weitergeben, ist der Empfänger der Zahlungen unter dem FCPA grundsätzlich nicht strafbar. Gregory M. Lipper, Foreign Corrupt Practices Act and the Elusive Question of Intent, 47 American Criminal Law Review 1463 (2010), S. 1467. Eine korrupte Zahlung, die nicht gegen die (geschriebenen) Gesetze des Landes des Empfängers verstößt, ist von der Strafverfolgung unter dem FCPA ebenfalls ausgenommen. 15. U.S.C. § 78dd-1(c); §§ 78dd-2 und -3 entsprechend. 401 15 U.S.C. § 78 ff(c)(2)(A) für Directors, Officers, Angestellte oder andere, die für von § 78dd-1 erfasste (börsennotierte) Unternehmen handeln; § 78dd-2(g)(2)(A) und § 78dd3(e)(2)(A) enthalten ein identisches Strafmaß. 402 15 U.S.C. §§ 78 ff(c)(3). 403 Lipper, Elusive Question, 47 Am. Crim. L. Rev. 1463 (2010), S. 1469. Der FCPA verlangt, dass der Beschuldigte „corruptly“ gehandelt hat, dies wird von den Gerichten als eine Handlung mit Bestechungsabsicht interpretiert. Vgl. auch United States v. Liebo, 923 F.2d 1308 (8th Cir. 1991), S. 1312; Richard C. Smith, Combating FCPA Charges: Is Resistance Futile?, 54 Virginia Journal of International Law 157 (2013), S. 170 f.
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bewusst gegen amerikanisches Recht verstoßen hat.404 Der Beschuldigte muss aber gewusst haben, dass die Zahlungen an einen Foreign Official gerichtet waren, dies insbesondere im Falle von indirekten Zahlungen über Mittelsmänner.405 Obwohl das bewusste Ignorieren von Warnhinweisen („willful blindness“ oder „conscious avoidance“) ausreichen kann, um den subjektiven Tatbestand mit Bezug auf die Kenntnis zu erfüllen,406 doch ist aufgrund der erforderlichen Bestechungsabsicht dieser Teil des FCPA für rechtstreue Directors und Officers all Wahrscheinlichkeit nach nicht relevant. Vorstellbar ist hier lediglich ein Irrtum in Bezug auf den Geltungsbereich des FCPA, wenn der Entscheidungsträger eines nicht-amerikanischen Unternehmens wissentlich und mit Bestechungsabsicht eine Zahlung an einen Foreign Official leistet, dabei aber nicht weiß, dass Zahlung und Unternehmen in den Einflussbereich der amerikanischen Staatsanwälte und Gerichte fallen. Beispielhaft hierfür ist das Verfahren gegen Herbert Steffen, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der argentinischen Siemens-Tochter Siemens S.A., der im Jahr 2011 von der SEC für angebliche Verstöße gegen den FCPA im Zusammenhang mit Zahlungen der Siemens S.A. in Argentinien an argentinische staatliche Entscheidungsträger belangt werden sollte.407 Die einzigen Handlungen, an denen Steffen beteiligt gewesen war und die eine 404 Lipper, Elusive Question, 47 Am. Crim. L. Rev. 1463 (2010), S. 1470 ff. Die Frage beruht auf der Interpretation des Wortes „willfully“, doch ist dieser Punkt im Zusammenhang mit dem FCPA noch nicht endgültig gerichtlich geklärt. Obwohl einige Betrachter meinen, eine ausländische Person bei einem ausländischen Unternehmen, die über die Reichweite des FCPA nicht zu Genüge aufgeklärt worden ist, könnte hierin eine erfolgreiche Verteidigung finden (S. 1481), ist schwer vorstellbar, dass deutsche Personen auf Führungs- oder Aufsichtsebene von börsennotierten Unternehmen vor allem nach der großen Publizität des Falles Siemens hier eine Ausflucht fänden, solange die illegitime Bestechungsabsicht gegeben ist. Insbesondere, wenn Zahlungen durch falsche Rechnungen vertuscht werden sollten, ist eine erfolgreiche Verteidigung auf dieser Basis unwahrscheinlich. Im Fall von gutgläubigen Facilitating Payments, die die Staatsanwaltschaft später als Bestechungsgelder sehen will, ist die endgültige Rechtsprechung aber noch abzuwarten – insbesondere, da der UK Bribery Act Facilitating Payments ebenfalls unter Strafe stellt, kann hier die Vertuschung allein möglicherweise nicht als Indiz des bewussten Gesetzesbruches gelten, da der Beschuldigte versucht haben könnte, Facilitating Payments vor den britischen Behörden zu verstecken, die seines Erachtens zwar gegen britisches, nicht aber gegen amerikanisches Recht verstoßen. Die Vertuschung alleine bedeutet also nicht mehr, dass ein Beschuldigter der Meinung ist, seine Zahlungen hätten amerikanische Gesetze gebrochen. 405 Lipper, Elusive Question, 47 Am. Crim. L. Rev. 1463 (2010), S. 1482 ff. Der Gesetzestext lautet hier: „knowing or having reason to know“. Die parlamentarischen Debatten machen hier deutlich, dass dem Beschuldigten bewusst gewesen sein muss, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit von illegitimen Zahlungen besteht. Während bloße Unvorsicht also keine Schuld begründet, darf ein Beschuldigter sich nicht bewusst den Umständen verschließen, die auf illegale Zuwendungen schließen lassen. S. 1484. 406 United States v. Kozeny, 667 F.3d 122 (2d Cir. 2011), S. 132 ff. 407 Securities and Exchange Commission v. Sharef, 924 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2013), S. 2. s. auch U.S. Securities and Exchange Commission, Presseerklärung, SEC Concludes Its Case Against Former Siemens Executives Charged with Bribery in Argentina, Obtaining
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Verbindung in die USA hätten begründen können, waren ein Telefongespräch, zu dessen Zeitpunkt sich ein Teilnehmer in den USA aufhielt, und Banküberweisungen, die im Wege normaler Geldströme auch über die USA geleitet wurden.408 Steffen war zu dem Zeitpunkt bereits nicht mehr in Argentinien tätig sondern Bereichsvorstand bei der Konzernmutter in Deutschland, diente den in Argentinien Verantwortlichen lediglich informell als Ratgeber.409 Letztendlich lehnte das Gericht die Klage auf dieser Basis ab, da er weder das Telefongespräch oder die Banküberweisung autorisiert hatte, noch an der Vertuschung der Zahlungen in den Bilanzen der Siemens S.A. beteiligt gewesen war.410 Bei der Entscheidung des Gerichts handelte es sich um eine Ermessensfrage. Es ist durchaus möglich, dass eine auch nur geringfügig andere Sachlage oder eine strengere Interpretation durch einen anderen Richter zu einem anderen Urteil geführt hätte, in dem ein Entscheidungsträger jeden Grund hätte, von der amerikanischen Strafverfolgung überrascht zu sein. Möglicherweise hat der FCPA also gerade aufgrund seiner Unberechenbarkeit einen positiven Einfluss auf die Corporate Governance Strukturen von Unternehmen auch außerhalb der USA. Um in diesem Szenario allerdings von einem wirklich sorgfältigen Director oder Officer sprechen zu können, der ausschließlich rechts- und pflichtkonform zu handeln versucht, müsste die Zahlung nach dem Recht des Staates erlaubt sein, dem das Unternehmen und das Individuum sonst unterliegen. Innerhalb der OECD Mitgliedsstaaten ist ein solches Szenario entsprechend unwahrscheinlich. Doch auch Fälschungen der Geschäftsberichte und Buchführungsunterlagen („books and records“) eines börsennotierten Unternehmens zur Verdeckung von widerrechtlichen Zahlungen werden unabhängig von der eigentlichen Bestechung als eigener Straftatbestand verfolgt.411 Auch die „willful“, also bewusste Umgehung oder unterlassene Anwendung von internen Kontrollsystemen wird als Verstoß geahndet.412 Die Höchststrafe für einen Verstoß gegen diese Vorschriften zu Books and Records oder internen Kontrollsystemen beträgt 20 Jahre Haft und $ 5 Millionen für natürliche Personen.413 Selbst wenn die Behörden also beispielsweise die nötige Bestechungsabsicht oder den genauen Tathergang der Zahlungen nicht nachweisen können, kann es dennoch zu einer Verurteilung unter dem FCPA für eine solche
Judgments over $ 1.8 Million (10. Februar 2014). Hierbei handelte es sich um ein zivilrechtliches Verfahren, ein hier aber unerheblicher Unterschied. 408 Sharef, 924 F. Supp. 2d 539 (2013), S. 3. 409 Sharef, 924 F. Supp. 2d 539 (2013), S. 2. 410 Sharef, 924 F. Supp. 2d 539 (2013), S. 3. Die anderen Beschuldigten verglichen sich später mit der SEC auf eine Zahlung von $ 1,8 Millionen. SEC, Presseerklärung, SEC Concludes Case Against Siemens Executives (10. Februar 2014). 411 15 U.S.C. §§ 78 m(b) & 78dd-1(a). 412 15 U.S.C. §§ 78 m(b)(5). 413 15 U.S.C. §§ 78 ff. Für Unternehmen beläuft sich die Höchststrafe auf $ 25 Millionen.
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Fälschung kommen, sofern diese bewusst vorgenommen wurden.414 Insbesondere die Ahndung der bewussten Umgehung von Kontrollsystemen oder der bewussten Unterlassung der Einrichtung von Kontrollsystemen kann für die für das Berichtswesen oder den betroffenen Geschäftsbereich verantwortliche Officers gefährlich sein, selbst wenn sie an den ursprünglichen Bestechungstatbeständen nicht beteiligt waren. Geht es um die bewusste Vernachlässigung von Kontrollsystemen muss, zumindest für zivilrechtliche Verfolgung durch die SEC, möglicherweise nicht einmal Kenntnis von den Zahlungen nachgewiesen werden.415 Er setzt Corporate Governance Anreize für die Entscheidungsträger des Unternehmens, Bestechung durch das Unternehmen auf keinen Fall zu billigen und aktiv zu unterbinden. Die amerikanischen Behörden nehmen die Verfolgung von Verstößen gegen den FCPA sehr ernst und werden für diese Härte heftig kritisiert.416 Allerdings ist Konsequenz in der Ahndung und vor allem der Abschreckung von Bestechung besonders wichtig. Denn vordergründig kann sie für die Unternehmen sehr lohnend wirken, während sich der Schaden für die anderen Marktteilnehmer möglicherweise nicht wieder ausgleichen lässt.417 Dies war ein Grund für die hohe Priorität, die die OECD Konvention gegen die Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr für die USA hatte, da sie die Verpflichtung zum wirtschaftlichen Handeln ohne Bestechung auf einen größeren Teil der ausländischen Unternehmen ausweitete, die mit den amerikanischen in Konkurrenz stehen.418 Es ist auch ein Grund für die breite Anwendung des FCPA auf nicht-amerikanische Unternehmen und deren Führungspersonal. Durch die fast ausschließliche Nutzung von 414 Vgl. z. B. Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 976 ff.; Huskins, FCPA Prosecutions, 60 Stan. L. Rev. 1447 (2008), S. 1452. 415 Vgl. z. B. Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 976 ff.; Huskins, FCPA Prosecutions, 60 Stan. L. Rev. 1447 (2008), S. 1452. In einigen der bekannten Fälle machte die SEC die Beklagten als Control Persons gemäß Section 20(a) des Exchange Act haftbar. Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 978. 416 s. z. B. Koehler, Façade of FCPA Enforcement, 41 Geo. J. Int’l L. 907 (2010), S. 997 ff.; Themeli, FCPA Enforcement, S. Tex. L. Rev. 387 (2014); Smith, Combating FCPA Charges, 54 VA. J. Int’l L. 157 (2013). Vgl. auch Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 24; Thomas O. Gorman, Emerging Trends in FCPA Enforcement, 37 Fordham International Law Review 1193 (2014), S. 1195. Die Zahl der FCPA Verfahren ist in den letzten Jahren wieder leicht zurückgegangen, im Jahr 2015 beendete das DOJ nur zwei Verfahren. Mike Koehler, Foreign Corrupt Practices Act Statistics, Theories, Policies, and Beyond, Cleveland State Law Review (2017), Entwurf S. 4. Allerdings sind einzelne Jahre aufgrund der vielen Faktoren, die die Zahl der Verfahren beeinflussen, für Rückschlüsse über langfristige Trends zur Intensität der Verfolgung nicht geeignet. Entwurf S. 9 f. 417 s. z. B. Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 6 ff.; Mestre, Bribe New World, 26 U. Fla. J.L. & Pub. Pol’y 1 (2015), S. 4. Im Falle von Bestechung kommt der hohe gesellschaftliche Schaden der Korruption und die Erosion des Vertrauens in den Staatsapparat hinzu. Vgl. auch Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 10. 418 Vgl. z. B. Themeli, FCPA Enforcement, S. Tex. L. Rev. 387 (2014), S. 389.
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NPAs und DPAs419 im Bereich des FCPA,420 die der Staatsanwaltschaft schnelle und ressourcensparende Erfolge bescheren, findet eine Kontrolle durch die Judikative dabei nur selten statt – einige Aspekte des FCPAwerden daher möglicherweise durch das DOJ und die SEC zu Ungunsten der Unternehmen interpretiert, ohne dass dies durch ein Gericht korrigiert würde.421 Die wenigen Verfahren, die in den letzten Jahren nicht außergerichtlich beigelegt worden sind, haben häufig zu einem Freispruch oder einer Einstellung des Verfahrens geführt.422 Der FCPA bleibt also ein Bereich der Ungewissheit innerhalb wie außerhalb der USA.423 Die Verfolgung wegen Verstößen gegen den FCPA konzentriert sich, wie in vielen Bereichen des Wirtschaftsstrafrechts, ganz wesentlich auf die Unternehmen selber und weniger auf die verantwortlichen Personen, wenngleich auch in diesem Bereich in den letzten Jahren verstärkt Wert auf die Verfolgung von Individuen gelegt wird.424 Besonders häufig kommt es zur Verfolgung von Einzelpersonen in Situationen, in 419
s. supra, Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 295). Mike Koehler, Foreign Corrupt Practices Act Ripples, 3 American University Business Law Review 1 (2014), S. 20; Koehler, Statistics, Theories, Policies, Clev. St. L. Rev. (2017), Entwurf S. 5. Vgl. auch Alexander/Cohen, Evolution of Corporate Criminal Settlements, 52 Am. Crim. L. Rev. 537 (2015), S. 564 & 570. 421 s. z. B. Koehler, FCPA Narrative, 22 Mich. St. Int’l L. Rev. 961 (2014), S. 1024; Lipper, Elusive Question, 47 Am. Crim. L. Rev. 1463 (2010), S. 1466. Insbesondere geht es dabei beispielsweise um die mögliche Ausweitung des Begriffs „foreign public official“ und um die wahrgenommene Außerachtlassung der „facilitating payment defense“. Vgl. auch z. B. Mike Koehler, Why You Should Be Alarmed by the ADM Enforcement Action, Bloomberg BNA White Collar Crime Report 1 (2014); Smith, Combating FCPA Charges, 54 VA. J. Int’l L. 157 (2013), S. 163 ff.; Koehler, Statistics, Theories, Policies, Clev. St. L. Rev. (2017), Entwurf S. 19. 422 s. z. B. Koehler, Statistics, Theories, Policies, Clev. St. L. Rev. (2017), Entwurf S. 24 f. 423 Von einer weiteren Verschärfung der Durchsetzung geht das Schrifttum unter anderem auch aufgrund des möglichen internationalen Wettbewerbs um die hohen Strafzahlungen aus. Jacinta Anyango Oduor/Francisca M.U. Fernando/Agustin Flah/Dorothee Gottwald/Jeanne M. Hauch/Marianne Mathias/Ji Won Park/Oliver Stolpe, Left Out of the Bargain: Settlements in Foreign Bribery Cases and Implications for Asset Recovery, World Bank Publications, The World Bank (2014). s. auch z. B. Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 22. Laut eines Reports der Weltbank sind zwischen 1999 und Mitte 2012 Strafzahlungen in Höhe von $ 5,9 Milliarden für ausländische Bestechung gezahlt worden, von denen lediglich $ 197 Millionen, oder 3 %, an die Länder zurückgeführt worden sind, in denen die Bestechung stattgefunden hat, die also als durch sie primär geschädigt gelten. Oduor, Left Out of the Bargain, World Bank (2014), S. 73. Noch fließt der überwältigende Großteil dieser Strafzahlungen in die USA. Vgl. z. B. Oduor, Left Out of the Bargain, World Bank (2014), S. 116. Größerer Wettbewerb aus dem Ausland, beispielweise durch den noch breiter gefassten UK Bribery Act of 2010 könnte zu noch schnelleren Verfahrensbeendigungen führen, die für die handelnden Personen möglicherweise eine geringere Wahrscheinlichkeit der eigenen Strafverfolgung bedeuten könnten. Zu den Anstrengungen anderer Länder zur Korruptionsbekämpfung, s. auch z. B. Spahn, Global Anti-Bribery Norms, 23 Ind. Int’l & Comp. L. Rev. 1 (2013), S. 21. 424 s. z. B. Westbrook, Enthusiastic Enforcement, 45 Ga. L. Rev. 489 (2011), S. 526; Koehler, Statistics, Theories, Policies, Clev. St. L. Rev. (2017), Entwurf S. 11 f. Vgl. auch Gorman, Emerging Trends, 37 Fordham Int’l L.J. 1193 (2014). 420
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denen auch die Vorwürfe gegen das Unternehmen nicht durch ein NPA oder DPA beigelegt werden, sondern das DOJ sich der Beweislage und der Schwere der Vorwürfe ausreichend sicher ist, um das Risiko eines Prozesses einzugehen.425 Die große Mehrheit dieser Fälle betrifft jedoch nicht-börsennotierte Unternehmen – im Zusammenhang mit börsennotierten Unternehmen ist die Verfolgung von Einzelpersonen sehr unwahrscheinlich.426 Allerdings ergibt sich für Directors und Officers in den Fällen, wo sie sich tatsächlich einem Verfahren seitens des Department of Justice oder der SEC gegenübersehen grundsätzlich ein zivilrechtliches Haftungsrisiko gegenüber der Gesellschaft und ihren Aktionären.427 Der Schaden, den Unternehmen durch Verstöße gegen den FCPA erfahren, kann sehr hoch sein, da NPAs und DPAs die beschuldigten Unternehmen heute nicht nur zu zum Teil beachtlichen Einigungs- oder Strafzahlungen, sondern auch zu gründlichen internen Aufklärungen verpflichten, die für komplex, international agierende Konzerne weitere Ausgaben von mehreren hundert Millionen Dollar bedeuten können.428 Gibt es Anzeichen, dass Directors oder Officers ihre Pflichten im Vorfeld der Verstöße grob fahrlässig verletzt haben, können die Aktionäre für diesen Schaden Ausgleich auf dem Weg einer Derivative Action suchen.429 In der Praxis gelingt es den Klägern aber nur sehr selten, die Zulassung einer Derivative Action mit den ausreichenden Beweisen für Pflichtverletzungen 425 s. z. B. Koehler, FCPA Narrative, 22 Mich. St. Int’l L. Rev. 961 (2014), S. 996 f. Die große Mehrheit der Verfahren gegen Unternehmen, die nicht frühzeitig durch ein NPA beigelegt werden, in die die Staatsanwaltschaft also bereit ist, weiter zu investieren, haben auch Strafverfahren gegen Einzelpersonen zur Folge, während nur wenige der frühzeitig beigelegten Fälle auch Verfahren gegen Einzelpersonen nach sich ziehen. Koehler, FCPA Narrative, 22 Mich. St. Int’l L. Rev. 961 (2014), S. 1003. 426 Koehler, FCPA Narrative, 22 Mich. St. Int’l L. Rev. 961 (2014), S. 999. 427 Der FCPA selbst gewährte Aktionären zwar kein eigenes Klagerecht („private right of action“), doch kann es bei Verstößen gegen die Books and Record Klausel des FCPA beispielsweise zu Klagen auf Basis von Kapitalmarktbetrug im Sinne von Section 10(b) des Exchange Act oder Section 11 des Securities Act kommen. Vgl. z. B. Huskins, FCPA Prosecutions, 60 Stan. L. Rev. 1447 (2008), S. 1451 ff.; Themeli, FCPA Enforcement, S. Tex. L. Rev. 387 (2014), S. 399. s. auch supra, Exchange Act Section 10(b) und Rule 10b-5 (S. 76) und Securities Act Section 11 (S. 72). 428 Die Kosten der Beilegung von FCPA Verfahren sind in den letzten Jahren enorm gestiegen. Vgl. z. B. Koehler, FCPA Narrative, 22 Mich. St. Int’l L. Rev. 961 (2014), S. 1010 f.; Koehler, FCPA Ripples, 3 Am. U. Bus. L. Rev. 1 (2014), S. 31; Koehler, Statistics, Theories, Policies, Clev. St. L. Rev. (2017), Entwurf S. 35 ff. Walmart, Inc. berichtete beispielsweise für das Geschäftsjahr 2014 Kosten von ca. $ 770.000 pro Tag für die interne Aufarbeitung von Bestechungsvorwürfen (Wal-Mart Stores, Inc., 2015 Annual Report (2015), S. 55). Die Siemens AG zahlte der Anwaltskanzlei und der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die von ihr mit der internen Aufklärung beauftragt waren, über zwei Jahre einen Betrag von durchschnittlich E 760.000 pro Tag (einen Gesamtbetrag von E 553 Millionen). Siemens AG, Presseerklärung, Erklärung der Siemens AG: Zusammenfassung der Erkenntnisse anlässlich des heutigen Abschlusses der Verfahren in München und in den USA (15. Dezember 2008). 429 Vgl. z. B. Amy Deen Westbrook, Double Trouble: Collateral Shareholder Litigation Following Foreign Corrupt Practices Act Investigations, 73 Ohio State Law Journal 1217 (2012); Koehler, FCPA Ripples, 3 Am. U. Bus. L. Rev. 1 (2014), S. 42 ff.
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durchzusetzen.430 Nur in wenigen Fällen kommt es zur Zulassung der Klage.431 Securities Class Actions sind ebenfalls eine häufige und oft erfolgreichere Nebenerscheinung behördlicher FCPA Ermittlungen,432 zum Beispiel basierend auf den unrichtigen Bilanzen zum Zeitpunkt der Bestechung433 oder auf übertrieben positiven Einschätzungen zu den Ermittlungen.434 Um Directors oder Officers persönlich zu belangen, müssen Kläger allerdings den Beweis erbringen, dass diese Kenntnis von den FCPA Verstößen hatten, so dass diese Klagen für sorgfältig handelnde Directors und Officers in aller Regel ebenfalls keine Gefahr darstellen.435 2. Kartellrechtliche Straftatbestände Die zweite wichtige Gruppe der Verbote gegen marktverzerrendes Verhalten, das Kartellrecht, ist ebenso wie die Bestechungsbekämpfung häufiger Kritik ausgesetzt aufgrund der als zu hart empfundenen Verfolgung und Strafen.436 Auch hier geht es dem Gesetzgeber vor allem um Generalprävention, da, wie im Falle von Bestechung, auch hier Verstöße nur schwer aufzudecken sind, sie für die Unternehmen jedoch enorm profitabel sein können.437 Die strafrechtliche Sanktionierung eines sorgfältig handelnden Director oder Officer ist zwar unwahrscheinlich, da die Straftatbestände die bewusste persönliche Beteiligung erfordern,438 doch nicht ausgeschlossen, da der 430 Westbrook, Double Trouble, 73 Ohio St. L.J. 1217 (2012), S. 1234 ff.; Koehler, FCPA Ripples, 3 Am. U. Bus. L. Rev. 1 (2014), S. 42 ff. 431 Westbrook, Double Trouble, 73 Ohio St. L.J. 1217 (2012), S. 1236 ff. Auf die Zulassung der Klage folgt in aller Regel ein Vergleich. 432 Vgl. Westbrook, Double Trouble, 73 Ohio St. L.J. 1217 (2012), S. 1244 ff.; Themeli, FCPA Enforcement, S. Tex. L. Rev. 387 (2014), S. 399. 433 s. z. B. In re Faro Technologies Securities Litigation, 534 F. Supp. 2d 1248 (M.D. Fla. 2007), S. 1261 ff.; Magro v. Freeport-McMoran Inc., Demand for Jury Trial, No. 2:16-cv00186-ESW (D. Ariz., 2016), Rn. 7; City of Pontiac General Employees’ Retirement System v. Wal-Mart Stores, Inc., Demand for Jury Trial, No. 5:12-cv-05162-SOH (W.D. Ark., 14. Februar 2013). 434 s. z. B. Johnson v. Siemens AG, Memorandum and Order, No. 09-CV-5310 (JG) (RER) (E.D.N.Y., 31 März 2011). 435 Vgl. Westbrook, Double Trouble, 73 Ohio St. L.J. 1217 (2012), S. 1244 ff. 436 s. z. B. Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 522; Snyder, Compliance is a Culture (2014), S. 11. Vgl. auch Amy Marshak, The Federal Trade Commission on the Frontier: Suggestions for the Use of Section 5, 86 New York University Law Review 1121 (2011), S. 1133; Bill Baer (Assistant Attorney General, Antitrust Division, U.S. Department Of Justice) „Oversight of the Antitrust Enforcement Agencies“, Aussage vor dem Committee on the Judiciary, Subcommittee on Regulatory Reform, Commercial and Antitrust Law, U.S. House of Representatives, 15. Mai 2015 (zur Entwicklung der Strafen). 437 s. z. B. Posner, Economic Analysis (2014), S. 370 ff.; Posner, Antitrust Law (2001), S. 9 ff.; Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 505. 438 s. United States v. United States Gypsum Co., 438 U.S. 422 (1978), S. 435.
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objektive Straftatbestand bereits mit sehr geringfügigen Handlungen erfüllt sein kann. Doch auch ohne eigenes strafbares Handeln haben Directors und Officers ein großes Interesse daran, Verstöße für das Unternehmen wirksam zu verhindern, da kartellrechtliche Verstöße der Unternehmen potentiell sehr hohe Strafen und ein enormes zivilrechtliches Haftungspotential begründen, die im Kartellrecht in aller Regel nicht durch die bloße Existenz eines Compliance-Programms gemindert werden können.439 Das amerikanische Kartellrecht ergibt sich primär aus dem Sherman Antitrust Act of 1890 („Sherman Act“)440 und dem Clayton Antitrust Act of 1914 („Clayton Act“).441 Der Sherman Act sieht die zwei hier relevanten Straftatbestände vor: Section 1 untersagt Wettbewerbsbeschränkungen beispielsweise in Form von Kartellbildung oder Preisabsprachen,442 Section 2 verbietet das Monopol oder den Versuch der Monopolbildung.443 Die Ahndung von Verstößen obliegt der Antitrust Division des Department of Justice, wobei die für die Wettbewerbsüberwachung zuständige Federal Trade Commission (FTC) zivil- und verwaltungsrechtliche Verfahren verfolgen kann.444 Bei der Frage, ob ein bestimmtes Verhalten als strafwürdig behandelt werden soll, genießt das DOJ einen weiten Ermessensspielraum.445 Absprachen zu Preisen oder Produktionsmengen und andere Formen der nackten Wettbewerbseinschränkungen („naked restraints on trade“ oder „hard-core cartels“) gelten allerdings als per se rechtswidrig und können ohne Prüfung ihres Ergebnisses
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Die Rechtfertigung des DOJ hierzu lautet, dass die Sentencing Guidelines eine Senkung des Culpability Score nur für effektive Compliance-Programme vorsehen, kartellrechtliche Verletzungen aber mangelnde Effektivität nahelegen. s. z. B. Bill Baer (Assistant Attorney General, Antitrust Division, U.S. Department Of Justice), Prosecuting Antitrust Crimes, Rede, Georgetown University Law Center Global Antitrust Enforcement Symposium (10. September 2014). Es bestehen allerdings Anzeichen, dass das DOJ zumindest zukunftsgerichtete Compliance-Programme auch im Kartellrecht verstärkt bei seinen Strafforderungen gelten lässt. s. z. B. United States v. Kayaba Industry Co., United States Sentencing Memorandum and Motion for a Downward Departure Pursuant to United States Sentencing Guidelines § 8C4.1, 1:15-CR-00098 (S.D. Oh., 5. Oktober 2015). 440 15 U.S.C. §§ 1 – 7. 441 15 U.S.C. §§ 12 – 27 & 29 U.S.C. §§ 52 – 53. 442 15 U.S.C. § 1. 443 15 U.S.C. § 2. 444 Federal Trade Commission Act aus dem Jahr 1914, kodifiziert mit Änderungen unter 15 U.S.C. § 41 ff.; s. insb. 15 U.S.C. § 45. s. auch Marshak, Federal Trade Commission on the Frontier, 86 N.Y.U. L. Rev. 1121 (2011), S. 1127. 445 Vgl. z. B. Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 450; Donald I. Baker, To Indict or Not to Indict: Prosecutorial Discretion in Sherman Act Enforcement, 63 Cornell Law Review 405 (1978), S. 408; Andrew I. Gavil, Moving Beyond Caricature and Characterization: The Modern Rule of Reason in Practice, 85 Southern California Law Review 733 (2012), S. 71.
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als strafbare Verletzungen von Section 1 des Sherman Act verfolgt werden.446 Der Straftatbestand unter Section 1 ist bereits durch die Verschwörung oder Absprache erfüllt, es muss also nicht zu entsprechenden Preisänderungen oder gar Auswirkungen auf den Markt gekommen sein.447 Die strafrechtliche Verfolgung anderer gesetzlich möglicher Straftatbestände ist in diesem Zusammenhang in den internen Richtlinien des Department of Justice seit den 1980er Jahren generell nicht mehr vorgesehen.448 Die Strafen im amerikanischen Kartellrecht sind seit 1890 immer wieder deutlich erhöht worden und unterliegen in besonders hohem Maße den Theorien zu „rational actors“ und „optimal deterrence“, die von rationalen Überlegungen in der Kriminalität ausgehen, so dass ein Akteur eine Straftat begeht, wenn der Nutzen, den er aus ihr zieht, größer ist, als das Produkt der potentiellen Strafe und der Wahrscheinlichkeit seiner Entdeckung.449 Diese Theorie ist in den letzten Jahren in der Wissenschaft immer weiter von verhaltensökonomischen Theorien abgelöst worden, die die rein rationale Kosten-Nutzen Abwägung unter anderem im Strafrecht in Frage stellen.450 Im Kartellrecht besteht darüber hinaus die Herausforderung, dass keine der Variablen numerisch eingeordnet werden kann.451 Insbesondere die Wahrscheinlichkeit der Entdeckung ist vollkommen unklar, da es keine verlässlichen Schät446 Vgl. z. B. Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 450 ff.; Posner, Economic Analysis (2014), S. 372 ff.; Baker, To Indict or Not to Indict, 63 Cornell L. Rev. 405 (1978), S. 406 f.; Gavil, Moving Beyond Caricature, 85 S. Cal. L. Rev. 733 (2012), S. 736. 447 Broadcast Music, Inc. v. Columbia Broadcast System, Inc., 441 U.S. 1 (1979), S. 19 f. 448 U.S. Department Of Justice, Antitrust Division, Chapter III Investigation and Case Development, Antitrust Division Manual (April 2015), § C.1. Vgl. auch Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 452. 449 s. z. B. Posner, Economic Analysis (2014), S. 29 ff.; Posner, Antitrust Law (2001), S. 266 ff.; Gary S. Becker, Crime and Punishment: An Economic Approach, 76 Journal of Political Economy 169 (1968); Manuel A. Utset, Hyperbolic Criminals, 44 Houston Law Review 609 (2007). Vgl. auch John C. Coffee, Corporate Crime and Punishment: A NonChicago View of the Economics of Criminal Sanctions, 17 American Criminal Law Review 419 (1979); Prentice, Beyond Temporal Explanations, 1 Va. J. Crim. L. 397 (2013), S. 397 ff.; Kraakman, Corporate Liability Strategies, 93 Yale L.J. 857 (1984), S. 879; Mark A. Cohen, Optimal Enforcement Strategy to Prevent Oil Spills: An Application of a Principal-Agent Model, 30 Journal of Law & Economics 23 (1987), S. 27 ff.; Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 506 f.; John M. Connor/Robert H. Lande, How High Do Cartels Raise Prices? Implications for Optimal Cartel Fines, 80 Tulane Law Review 513 (2005). s. auch USSC, Sentencing Guidelines (2016), § 2R1.1, Commentary. 450 s. insb. Amos Tversky/Daniel Kahneman, Judgment Under Uncertainty: Heuristics and Biases, in: Daniel Kahneman/Paul Slovic/Amos Tversky (Hrsg.), Judgment Under Uncertainty – Heuristics and Biases (1982); Christine Jolls/Cass R. Sunstein/Richard Thaler, A Behavioral Approach to Law and Economics, 50 Stanford Law Review 1471 (1998). Vgl. auch Posner, Economic Analysis (2014), S. 22 ff.; Posner, Economic Analysis (2014), S. vii ff.; Prentice, Beyond Temporal Explanations, 1 Va. J. Crim. L. 397 (2013), S. 400 ff; Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 509 f.; Rakoff, Conjoining Recklessness, 44 Loy. U. Chi. L.J. 1447 (2013), S. 1447 ff. 451 Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 509.
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zungen zur Dunkelziffer gibt – ob die Behörden also 10 % oder 90 % der bestehenden Kartelle aufdecken, können weder sie selber noch die abzuschreckenden Marktteilnehmer schätzen.452 Nachdem die Abschreckung trotz stetig zunehmender Verfolgung immer wieder für unzureichend befunden wurde,453 erhöhte der Gesetzgeber im Jahr 2004 dennoch die Höchststrafen für Verstöße gegen Section 1 oder Section 2 des Sherman Act zum wiederholten Mal, dieses Mal von einer Geldstrafe von $ 10 Millionen auf $ 100 Millionen für Unternehmen und von einer Geldstrafe von $ 350.000 und maximal drei Jahren Haft auf $ 1 Million mit einer möglichen Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren für natürliche Personen.454 Die bloße Existenz von ComplianceSystemen führt dabei aufgrund einer Sonderregelung in den Organizational Sentencing Guidelines nicht zu einer Minderung des Strafmaßes, wenn die Systeme sich als unwirksam erwiesen haben.455 Aufgrund der Schwierigkeiten bei der Aufdeckung von Kartellen und der hohen Profitabilität von Preisabsprachen, sofern sie unentdeckt bleiben, sollen die hohen Strafen zur Abschreckung dienen. Ob der erwünschte Effekt eingetreten ist, kann zwar nicht eindeutig nachgewiesen werden, da eine belastbare Dunkelziffer nicht geschätzt werden kann. Doch ist er im Lichte der immer wieder auftretenden Fälle trotz stetig steigender Strafen sehr zweifelhaft.456 452 Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 508; John M. Connor/Robert H. Lande, The size of cartel overcharges: Implications for U.S. and EU fining policies, 51 The Antitrust Bulletin 983 (2006), S. 985; Posner, Antitrust Law (2001), S. 271. 453 s. z. B. Posner, Antitrust Law (2001), S. 271 ff.; Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 461 ff.; Connor/Lande, The size of cartel overcharges, 51 Antitrust Bull. 983 (2006), S. 997 ff.; Jesse W. Markham, Does Criminalization of Cartels Work? A Few Lessons from the United States Experience, 3 New Journal of European Criminal Law 116 (2012), S. 122. 454 15 U.S.C. §§ 1 – 3. Das ursprüngliche Strafmaß belief sich auf $ 5.000 (ca. $ 141.000 in heutiger Währung) und ein Jahr Haft, die Straftat war also ein Misdemeanor. 26 Stat. 209 (2. Juli 1890); U.S. Bureau of Labor Statistics, Inflation Calculator, in 2019 US-Dollar. Vgl. auch Baer, Aussage vor dem Sen. Judiciary Comm. (Subcomm. on Regulatory Reform), 15. Mai 2015, S. 2. 455 USSC, Sentencing Guidelines (2016), Part R. s. auch Scott D. Hammond (Deputy Assistant Attorney General For Criminal Enforcement, Antitrust Division, U.S. Department Of Justice), The Evolution of Criminal Antitrust Enforcement Over the Last Two Decades, Rede, 24th Annual National Institute on White Collar Crime (25. Februar 2010), S. 5 ff.; Baer, Prosecuting Antitrust Crimes (2014), S. 7. 456 So z. B. Organisation Für Wirtschaftliche Zusammenarbeit Und Entwicklung (OECD), Hard Core Cartels: Third report on the implementation of the 1998 Council Recommendation (2005), S. 25; Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 471; Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 513 ff.; Connor/ Lande, The size of cartel overcharges, 51 Antitrust Bull. 983 (2006), S. 1008. Im Jahr 2015 erwirkte die Antitrust Division beispielsweise in nur einem Fall, der Manipulation von Devisenkassakursen, Strafzahlungen in Höhe von $ 2,5 Milliarden verteilt auf nur vier Banken, $ 925 Millionen davon gegen eine einzelne Bank. Gemeinsam mit einer fünften Bank zahlte diese Gruppe für die Währungsmanipulationen insgesamt mehr als $ 9 Milliarden an Behörden
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Erhöhungen des Strafmaßes sind dazu weder unbegrenzt möglich oder politisch akzeptabel, noch ist abzusehen, dass sie die erwünschte Wirkung hätten.457 Gerade die offensichtlich fehlende Wirkung der Strafsteigerungen macht das Kartellrecht zu einem idealen Anwendungsbereich für das Individualstrafrecht als Instrument zur Verbesserung der Unternehmensführung.458 Dies gilt insbesondere für die zielgerichtete Verfolgung von Directors und Officers, die intern Anreize so setzen können, dass der Wert rechtstreuen Handelns den Wert zusätzlicher Gewinne für Mitarbeiter übersteigt, sowohl durch Anpassungen finanzieller Anreize als auch durch Gestaltung einer Unternehmenskultur, in der rechtstreues Handeln den Verhaltensstandard bildet.459 Dabei ist das persönliche Engagement der obersten Führungsebene besonders wichtig, da diese Rechtsverstöße von der Kooperation mehrerer Marktteilnehmer abhängen, so dass die klare, glaubhafte Haltung der Directors und Officers einzelner Unternehmen einen positiven Einfluss auf die gesamte Industrie haben können. Strafen gegen natürliche Personen sind schon seit über einhundert Jahren im Kartellrecht verankert, doch werden diese Vergehen erst seit Kurzem intensiv verfolgt und strenge Strafen verhängt.460 Bereits der Clayton Act enthielt eine Regelung, die auch den Entscheidungsträgern Konsequenzen für die Straftaten des Unternehmens auferlegte. Section 14 des Clayton Act stellt klar, dass die damaligen Strafen für natürliche Personen in Section 1 und Section 2 des Sherman Act auch für Directors und Officers gelten, die den Verstoß ihres Unternehmens autorisiert haben oder an ihm beteiligt waren.461 Im Jahr 1962 stellte der U.S. Supreme Court in United States v. Wise klar, dass die strafrechtlichen Normen des Sherman Act auch direkt auf Officers anwendbar sind, die ein Mindestmaß an Beteiligung an den Verstößen getragen haben.462 Das Gericht bezog sich hierbei ausdrücklich auf seine Entscheidung in Dotterweich463 und definierte den möglichen Täterkreis inklusive „all in den USA, Großbritannien und der Schweiz. U.S. Department of Justice, Presseerklärung, Five Major Banks Agree to Parent-Level Guilty Pleas (20. Mai 2015). 457 s. z. B. Braithwaite, On Speaking Softly, 47 U. Toronto L.J. 305 (1997), S. 314 ff. 458 So z. B. Hammond, Evolution of Criminal Antitrust Enforcement (2010), S. 11. 459 s. z. B. Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 511 ff.; Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 509. Vgl. auch Prentice, Beyond Temporal Explanations, 1 Va. J. Crim. L. 397 (2013), S. 401 ff.; Snyder, Compliance is a Culture (2014). 460 s. z. B. Brent Snyder (Deputy Assistant Attorney General, Antitrust Division, U.S. Department of Justice), Individual Accountability for Antitrust Crimes, Rede, Yale Global Antitrust Enforcement Conference (19. Februar 2016); Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 465 ff.; Hammond, Evolution of Criminal Antitrust Enforcement (2010), S. 4. Laut Angaben der Antitrust Division wurden die bisher längsten Freiheitsstrafe von je 5 und 4 Jahren im Jahr 2015 verhängt. Snyder, Individual Accountability (2016). 461 15 U.S.C. § 24. Das Strafmaß entsprach dem, was damals im Sherman Act für Verstöße vorgesehen war. 26 Stat. 209, Ch. 647 § 1 (2. Juli 1890). 462 Wise, 370 U.S. 405 (1962). 463 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), s. supra, Grundlegende Rechtsprechung (S. 313).
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officers who have a responsible share in the proscribed transaction.“464 Der Responsible Corporate Officer Doctrine entspricht die Entscheidung aber nur im Hinblick auf die Ausweitung auf die Directors und Officers, die persönlich nicht Marktteilnehmer sind, denn anders als bei Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine muss der Officer im Kartellrecht an den verbotenen Taten persönlich beteiligt gewesen sein, mindestens durch deren Anstoß oder Autorisierung.465 Es zeichnet sich ab, dass die hohen Gefängnisstrafen der letzten Jahre466 einen Einfluss auf das Verhalten der Entscheidungsträger haben.467 So sind internationale Kartelle bekannt geworden, die den amerikanischen Markt spezifisch aus ihren Preisabsprachen ausgenommen haben, oder zumindest ihre tatsächlichen Absprachen außerhalb der USA gehalten haben.468 Die Lebensdauer der in den USA aufgedeckten Kartelle ist seit den 1990er Jahren gesunken, während in West Europa keine verringerte Dauer festzustellen ist.469 Das amerikanische Strafrecht hat also möglicherweise einen Effekt, wenn auch nur bis zu den Grenzen seines Geltungsbereichs. Auch im Zusammenhang mit der Kronzeugenregelung („leniency policy“) wird der persönlichen Strafandrohung eine positive Wirkung zugeschrieben. Die Regelung sichert dem an einem Kartell beteiligten Unternehmen, das das Kartell als erstes den Behörden meldet, Immunität von der Strafverfolgung zu.470 Diese Immunität schließt auch die Directors, Officers und Angestellten ein, die sich gemeinsam mit dem Unternehmen melden und mit den Ermittlungen in vollem Maße 464
Wise, 370 U.S. 405 (1962), S. 409. Wise, 370 U.S. 405 (1962), S. 416; s. Gypsum, 438 U.S. 422 (1978), S. 435. Die potentielle Haftstrafe unter dem Sherman Act ist zehn Mal so lang wie die gemäß dem FDCA vorgesehene. Sie auch ohne persönliche Beteiligung des Beschuldigten zu verhängen, würde mit großer Wahrscheinlichkeit als verfassungswidrig erachtet. Die Staatsanwaltschaft nimmt allerdings auch auf die besondere Komplexität des Kartellrechts Rücksicht, indem sie Ausnahmen von der Strafverfolgung für per se illegale Absprachen vorsieht, wenn Unklarheiten zur Rechtslage bestehen oder die Beschuldigten darlegen können, dass sie sich über die Konsequenzen ihrer Handlungen nicht im Klaren waren. DOJ – Antitrust Division, Chapter III (April 2015), § C.1. So soll sichergestellt sein, dass selbst der sehr leicht zu erfüllende Tatbestand der nackten Wettbewerbseinschränkungen ohne die nötige Schuld nicht zu strafrechtlichen Folgen führt. Vgl. z. B. Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 491; Gypsum, 438 U.S. 422 (1978), S. 444 ff. 466 Vgl. z. B. Snyder, Individual Accountability (2016); Baer, Aussage vor dem Sen. Judiciary Comm. (Subcomm. on Regulatory Reform), 15. Mai 2015, S. 4. 467 Ob dies auch für die Prävention gilt, wird sich aufgrund der undurchsichtigen Dunkelziffer nicht zuverlässig belegen lassen. Vgl. z. B. Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 520. 468 s. z. B. OECD, Hard Core Cartels Third Report (2005), S. 27. Vgl. auch Markham, Does Criminalization of Cartels Work?, 3 New J. Eur. Crim. L. 116 (2012), S. 122. 469 Markham, Does Criminalization of Cartels Work?, 3 New J. Eur. Crim. L. 116 (2012), S. 123 (die Verkürzungen sind allerdings relativ gering). 470 U.S. Department of Justice, Antitrust Division, Corporate Leniency Policy (10. August 1993). Zu den Bedingungen für die Immunität gehört die volle Kooperation mit den behördlichen Ermittlungen. 465
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kooperieren.471 Auch ohne das Unternehmen steht Einzelpersonen dieser Weg offen.472 Diese Kronzeugenregelungen gelten als eines der wichtigsten Aufklärungsund Strafverfolgungsinstrumente der Kartellrechtsbehörden, da sie Anreize zur Lossagung bieten und Kartelle destabilisieren sollen.473 Seitdem Einzelpersonen in die Immunität mit einbezogen wurden, hat sich die Zahl der entsprechenden Anträge laut Angaben der Antitrust Division um einen Faktor von 20 erhöht.474 Es bestehen also Anzeichen, dass das persönliche strafrechtliche Risiko von Entscheidungsträgern einen positiven Einfluss auf die Eindämmung von Kartellen hat. Darüber hinaus bestehen besondere Anreize für eine wirksame kartellrechtliche Compliance auch für Directors und Officers, die sich nicht persönlich strafbar machen. So gestattet das Gesetz den Gerichten beispielsweise, Klägern in kartellrechtlichen Zivilprozessen dreifachen Schadensersatz („treble damages“) zuzusprechen.475 Dies gilt aber nicht für Unternehmen, die Immunität unter dem Kronzeugenregelungen erhalten haben.476 Dies ist ein weiterer Grund für Entscheidungsträger, selbst wenn sie an den Verstößen nicht beteiligt waren, die Behörden möglichst frühzeitig von den Verstößen in Kenntnis zu setzen und mit ihnen zu kooperieren, denn verpassen sie die Chance auf Immunität aus Gründen, die nicht mit der Duty of Loyalty zu vereinbaren sind (beispielsweise mit der Absicht, Einzelne schützen zu wollen), und ergeben sich daraus nicht nur hohe Strafzahlungen sondern auch Schadensersatzzahlungen in dreifacher Höhe, so kann dies eine fruchtbare Basis für eine Derivative Action bilden.477 Ähnliches Potential bietet die Sonderregelung der Organizational Sentencing Guidelines, wonach es nicht reicht, ein Compliance-Programm zu haben, wenn dieses nicht auch überwacht wird, so dass sie der Unternehmensführung eine höhere Sorgfalt auferlegen.478 Sowohl in der internen Prävention als auch gegebenenfalls in der Aufklärung ex post inzentiviert die persönliche Strafandrohung zu besonderer Sorgfalt und guter Unternehmensführung. 471 472
1994).
DOJ – Antitrust Division, Corporate Leniency Policy (10. August 1993), § C. U.S. Department Of Justice, Antitrust Division, Individual Leniency Policy (10. August
473 Vgl. z. B. Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 511; Thompson, Thompson Memorandum (2003), S. 6; Baer, Prosecuting Antitrust Crimes (2014). Gleichzeitig wird allerdings auch die Befürchtung geäußert, dass diese destabilisierten und gemeldeten Kartelle die Antitrust Division so vollständig beschäftigen, dass ihr die nötigen Ressourcen für weitere Ermittlungen fehlen und andere Kartelle daher durch die Kronzeugenregelung gefestigt werden könnten. Zudem besteht der Verdacht, dass einige Kartelle durch die Kronzeugenregelung sogar stabilisiert werden. Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 514. 474 Snyder, Individual Accountability (2016). 475 15 U.S.C. § 15 (a). 476 15 U.S.C. § 1 Notes. 477 s. auch Spencer Weber Waller, Corporate Governance and Competition Policy, 18 George Mason Law Review 883 (2010), S. 863. 478 s. z. B. Baer, Prosecuting Antitrust Crimes (2014), S. 7; Snyder, Compliance is a Culture (2014), S. 7.
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Die tatsächlichen gesellschaftlichen Kosten von Kartellen und anderen Wettbewerbsbeschränkungen sind komplex und nicht immer klar zu definieren.479 Die USA, die Kartell- und Monopolvergehen bereits seit 1890 mit einer möglichen Freiheitsstrafe belegen, gehören zu einer Minderheit von Staaten innerhalb der OECD, die Haftstrafen für Kartellverstöße vorsehen.480 Inwieweit das Kartellrecht ein Bereich ist, in dem der Rechtsstaat zu so extremen Mitteln wie der Inhaftierung von Director oder Officer greifen sollte, sei an dieser Stelle daher dahingestellt. Sollen Marktverzerrungen sowie nackte Wettbewerbsbeschränkungen aber wirksam verhindert werden, liegt nahe, dass Directors und Officers in die Verfolgung mit einbezogen werden müssen.
IV. Vergleichbare Rechtsinstrumente zum Drittschutz in Deutschland Die amerikanische Corporate Governance bedient sich also verschiedener strafrechtlicher Methoden, um die Entscheidungsträger in Unternehmen zu einem zuverlässigen Drittschutz zu inzentivieren. Die weitreichendste Strategie in Form der Responsible Corporate Officer Doctrine erweitert dabei die strafrechtliche Verantwortung der Corporation ganz direkt auf die höchste Ebene der Geschäftsleitung ohne Ansprüche an persönliche Schuld oder Beteiligung zu stellen.481 Die Zertifizierung gemäß SOX 906 und die Vorschriften zu Books and Records unter dem FCPA hingegen schaffen persönliche strafbewährte Pflichten, die die Geschäftsleiter nur dann erfüllen können, wenn sie bestimmte Straftaten innerhalb des Unternehmens verhindern oder zumindest entdecken und aufklären.482 Der Gesetzgeber und die Rechtsprechung setzen dabei die Priorität der Abschreckung, nicht der ex-post Ahndung, und beschränken sich auf spezifische Rechtsbereiche, in denen die Konsequenzen von Verstößen für die Allgemeinheit besonders schädlich oder irreparabel sind. Da das amerikanische Recht die strafrechtliche Verfolgung von Unternehmen zulässt, ist die persönliche Bestrafung von Directors und Officers für Corporate Governance Verstöße im amerikanischen Recht die Ausnahme. 479 s. z. B. OECD, Hard Core Cartels Third Report (2005), S. 25; Stucke, Morality, 2006 Colum. Bus. L. Rev. 443 (2006), S. 476 f.; Connor/Lande, How High Do Cartels Raise Prices?, 80 Tul. L. Rev. 513 (2005), S. 1003 ff.; Posner, Antitrust Law (2001), S. 17 ff. 480 OECD, Hard Core Cartels Third Report (2005), S. 26. Wie bereits erwähnt, waren die USA allerdings auch in der internationalen Bestechungsbekämpfung früh wegweisend. s. supra, FCPA (S. 355). Im Kartellrecht zeichnet sich eine ähnliche internationale Vorbildfunktion ab. s. z. B. Hammond, Evolution of Criminal Antitrust Enforcement (2010); Markham Jr., Failure of Corporate Governance Standards, 58 S.D. L. Rev. 499 (2013), S. 513. 481 s. supra, Verhinderung von gemeingefährlichen Straftaten des Unternehmens (Responsible Corporate Officer Doctrine) (S. 307). 482 s. supra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347) und FCPA (S. 355).
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Die „responsible relation“ des Responsible Corporate Officer zu dem Verstoß, für den er verantwortlich gemacht werden soll,483 ist ansatzweise mit der Garantenstellung eines Gesellschaftsorgans im deutschen Recht vergleichbar. Beide begründen die rechtliche Verantwortung einer Person für Rechtsverstöße, an denen sie nicht direkt beteiligt waren, indem sie eine Pflicht zur Verhinderung dieser Verstöße schaffen.484 Ihr Verhalten wird damit zu einem Unterlassungstatbestand. Die Organe einer Gesellschaft haben ihr gegenüber aufgrund ihrer Organstellung eine Garantenstellung inne und haften zivilrechtlich, wenn der Gesellschaft aufgrund einer Pflichtverletzung ein Schaden entsteht.485 Um für Verstöße Dritten gegenüber persönlich verantwortlich sein zu können, muss aber die Verantwortung der Organe, Rechtsverstöße des Unternehmens oder aus dem Unternehmen zu verhindern, spezifischer begründet sein. Wie im Weiteren besprochen, sind sowohl zivilrechtliche als auch bußgeld- und strafrechtliche Folgen für ein solches Corporate Governance Unterlassen in Deutschland möglich. Alle drei Rechtsbereiche sind zum Zweck des Drittschutzes dabei dogmatisch fest miteinander verwoben und werden daher an dieser Stelle gemeinsam besprochen. Einige Möglichkeiten der zivilrechtlichen Corporate Governance Haftung zum Drittschutz in den USA sind bereits erwähnt worden, insbesondere im Bereich des Aktionärsschutzes.486 Anders als in Deutschland besteht aber für geschädigte Dritte keine generelle Durchgriffsmöglichkeit auf Directors und Officers.487 Ein solches „private right of action“ muss für jede Norm einzeln festgestellt werden.488 Auf eine über das bereits Geschriebene hinaus gehende Diskussion des zivilrechtlichen Drittschutzes in den USA soll daher verzichtet werden. Das Ordnungswidrigkeitenrecht, dessen amerikanisches Gegenstück bereits ansatzweise behandelt wurde,489 spielt im deutschen Wirtschaftsrecht eine besondere Rolle, da zwar nicht die strafrechtliche, wohl aber die ordnungswidrigkeitenrechtliche Ver-
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s. supra, Verschuldensunabhängige Sanktionierung für das Handeln Anderer (S. 327). Vgl. z. B. Gerhard Wagner, Titel 27. Unerlaubte Handlungen – Vorbemerkungen, in: Franz Jürgen Säcker/Roland Rixecker/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 7. Auflage (2017), Rn. 49. 485 BGH, Urteil vom 5. Dezember 1989, VI ZR 335/88, BGHZ 109, 297 (Baustoff). s. auch Möritz, Drittschutz (2011), S. 71 ff.; Werner Wellhöfer, § 3 Haftung des Vorstands gegenüber Dritten (Außenhaftung), in: Werner Wellhöfer/Martin Peltzer/Welf Müller (Hrsg.), Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer mit GmbH-Geschäftsführer (2008), Rn. 23; Gerhard Dannecker, Die Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts in der Bundesrepublik Deutschland, in: Heinz-Bernd Wabnitz/Thomas Janovsky (Hrsg.), Handbuch des Wirtschaftsund Steuerstrafrechts, 4. Auflage (2014), Rn. 37. 486 s. supra, Pflichten gegenüber Aktionären (S. 68). 487 Vgl. z. B. Franklin National Bank v. L.B. Meadows & Co., 318 F. Supp. 1339 (E.D.N.Y. 1970), S. 1341 f.; Hooper v. Mountain States Securities Corp., 282 F.2d 195 (5th Cir. 1960), S. 201. 488 Franklin National Bank, 318 F. Supp. 1339 (1970), S. 1341. 489 s. supra, Ahndungsmöglichkeiten der Federal Agencies am Beispiel der SEC (S. 265). 484
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folgung von juristischen Personen möglich ist. Die mögliche Haftung und Sanktionierung von Organen in diesem Zusammenhang wird im Weiteren erörtert. Eine Beschränkung auf bestimmte Rechtsbereiche oder auf Verstöße mit definierten Konsequenzen, vergleichbar mit der Responsible Corporate Officer Doctrine, wird dabei in Deutschland nicht vorgenommen. Im Gegenteil, die mögliche Haftung bzw. Sanktionierung von Gesellschaftsorganen für nicht eigenhändig begangene unternehmensbezogene Rechtsverstöße beruht in Deutschland ganz wesentlich auf allgemeinem Recht, nicht auf spezifischen Regelungen für das Wirtschaftsrecht. Dies führt unter anderem dazu, dass die gleichen Corporate Governance Verfehlungen sehr unterschiedliche Konsequenzen für möglicherweise haftende Organe haben können, je nachdem ob die Geschädigten lediglich Sachschaden, körperliche Schäden oder den Tod erleiden. Insbesondere im Hinblick auf die Gefährdungshaftung, die verschuldensunabhängige Haftung vorsieht, solange Verantwortung für die Schaffung einer Gefahrenquelle besteht, kann zwar zur Inzentivierung zur wirksamen Vermeidung von vermeidenswerten Schäden sinnvoll sein, doch besteht hier eine so breite Auslegungskompetenz der Rechtssprechung, dass für den Gefährder die Konsequenzen seiner Handlungen nicht vorhersehbar sind.490 Ob dies im Hinblick auf die Abschreckung sinnvoll ist, bleibt zu betrachten. In Deutschland sind einige strafbewehrte Pflichten von Organmitgliedern in der öffentlichen Wahrnehmung besonders präsent, beispielsweise ihre Pflichten, für die Erfüllung der steuerlichen Pflichten491 der Gesellschaft oder die ordnungsgemäße Abführung der Sozialversicherungsbeiträge492 zu sorgen. Obwohl der Vorstand in beiden Fällen aufgrund des großen Präventionsinteresses des Staates im Zweifel für die fehlenden Zahlungen persönlich aufkommen493 und bei einem Verstoß mit Freiheitsstrafen rechnen muss,494 sind diese Regelungen nicht als Corporate Governance Haftung zu werten. Denn anders als bei der persönlichen Verantwortung, 490 s. z. B. Wagner, Vorbemerkungen § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 52; Gottfried Schiemann, Titel 27 Unerlaubte Handlungen Vorbemerkung, in: Harm Peter Westermann/Barbara Grunewald/Georg Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 14. Auflage (2014), Rn. 5. 491 § 34 Abs. 1 Abgabenordnung (AO); BFH, Urteil vom 26. April 1984, V R 128/79, ZIP 1984, 1245; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 157; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 668. 492 BGH, Urteil vom 15. Oktober 1996, VI ZR 319/95, NStZ 1997, 125; BGH, Urteil vom 2. Juni 2008, II ZR 27/07, WM 2008, 1403; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), S. 156; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 673. 493 In den USA gibt es zwar mit 26 U.S.C. § 6672 (a) eine ähnliche Regelung für Steuern, die der Arbeitgeber vom Gehalt des Arbeitnehmers einbehält, diese betrifft aber nur die Person, die für die Verwaltung dieser Steuern verantwortlich ist, und greift nur bei einem absichtlichen Verstoß („…who willfully fails …“). Slodov v. United States, 436 U.S. 238 (1978), S. 245; United States v. Energy Resources Co., 495 U.S. 545 (1990), S. 547. Vgl. auch Thomsen v. United States, 887 F.2d 12 (1st Cir. 1989), S. 14. Als Corporate Governance Haftung kann sie entsprechend nicht betrachtet werden. 494 s. z. B. § 69 AO; § 266a (1) StGB.
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die marktverzerrendes Verhalten oder Verstöße gegen Umweltrecht und FDCA verhindern soll, erfordert die Einhaltung von Regelungen zu Steuer- und Sozialabgaben keine grundlegende Anpassung der Unternehmenskultur. Gleiches gilt beispielsweise auch für den Gläubigerschutz. Zum Schutz der Vorstände vor persönlicher Haftung genügen Transparenz und verlässliche Überwachungssysteme für den Finanzbereich eines Unternehmens, dem ohnehin erhöhte Aufmerksamkeit durch Vorstand und Aufsichtsrat zuteil wird. Wie auch in den USA gibt es in verschiedenen Rechtsbereichen eine große, zum Teil widersprüchliche Vielzahl von Haftungs- und Sanktionierungsregelungen. Ziel an dieser Stelle ist es nicht, die Rechtslage in all diesen Bereichen auch nur annähernd vollständig abzubilden, sondern anhand einiger wesentlicher Grundsätze aus Rechtsprechung und Gesetzgebung eine Bewertung der beiden Systeme im Vergleich zu einander und zu einer möglicherweise ideellen Regelung der Corporate Governance vorzunehmen. Die Diskussion konzentriert sich dabei ganz wesentlich auf den Vorstand. Erfüllt der Aufsichtsrat aufgrund einer spezifischen Gemengelage eine Geschäftsleitungsfunktion, so gelten für ihn die gleichen Grundsätze entsprechend, wie sie hier für den Vorstand dargelegt sind.495 Tut er dies aber nicht, so kann sich Haftung Dritten gegenüber oder bußgeld- bzw. strafrechtliche Sanktionierung nur in sehr spezifischen Ausnahmesituationen aus seiner Überwachung des Vorstands ergeben – er kann beispielsweise als Garant gemäß § 13 StGB eines Unterlassens schuldig sein, wenn er im Rahmen seiner Überwachungspflichten gegen einen ihm bekannten Verstoß des Vorstands nicht vorgeht.496 Darüber hinaus kann es bei unzureichender Aufsicht über den Vorstand zu Vorwürfen der Untreue gemäß § 266 StGB kommen, die an späterer Stelle näher betrachtet werden.497 1. Zivilrechtliche Haftung auf Basis verletzter Organisationspflichten Die wahrscheinlich wichtigste Grundlage für persönliche Außenhaftung von Gesellschaftsorganen in Deutschland liegt in der deliktischen Außenhaftung auf Basis von § 823 BGB.498 Verletzt die Gesellschaft mindestens fahrlässig ein absolut geschütztes Rechtsgut eines Dritten499 oder verstößt sie zu seinen Ungunsten gegen 495 Vgl. z. B. Daniel M. Krause, Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrates, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2011, 57, S. 61; Jens Koch, § 76 AktG – Leitung der Aktiengesellschaft, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 19. 496 Vgl. z. B. OLG Braunschweig, Beschluss vom 14. Juni 2012, Ws 44/12, Ws 45/12, ZIP 2012, 1860; Stefan Mutter, Neues zur Garantenstellung bei Compliance, Die Aktiengesellschaft 2012, R275; Krause, Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrates, NStZ 2011, S. 60. Zur Untreuestrafbarkeit in diesem Zusammenhang, s. infra, Sanktionierung gemäß § 13 StGB (S. 393). 497 s. infra, Anwendung des § 266 StGB bei Entscheidungen von Organen (S. 440). 498 Vgl. z. B. Roderich C. Thümmel, Persönliche Haftung von Managern und Aufsichtsräten (2008), Rn. 353. 499 § 823 Abs. 1 BGB.
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ein Schutzgesetz,500 so muss sie ihm den daraus resultierenden Schaden ersetzen.501 Ist ein Organmitglied an dieser Verletzung beteiligt oder für sie verantwortlich, so gilt es selbst als Schädiger gemäß § 823 BGB und kann durch den Geschädigten bei mindestens fahrlässigem Handeln persönlich in Anspruch genommen werden.502 Die Gesellschaft muss zwar gemäß § 31 BGB gegebenenfalls für den durch ihr Organ verursachten Schaden aufkommen,503 doch soll diese Regelung dem Geschädigten ausreichende Deckung seiner Forderungen sichern – sie schützt nicht den Beklagten, gegen den die Gesellschaft möglicherweise Ersatzansprüche geltend machen kann.504 Für die Corporate Governance Haftung ist vor allem der Schaden relevant, für den das betroffene Vorstandsmitglied rechtlich verantwortlich ist und den es gemäß § 823 500 § 823 Abs. 2 BGB. Für eine Aufstellung der in diesem Zusammenhang anerkannten Schutzgesetze s. z. B. Gottfried Schiemann, § 823 BGB – Schadensersatzpflicht, in: Harm Peter Westermann/Barbara Grunewald/Georg Maier-Reimer (Hrsg.), Erman Handkommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 14. Auflage (2014), Rn. 160 ff. Vgl. auch Dirk A. Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß – Überlegungen zur Außenhaftung der Organwalter bei Verletzung von Schutzgesetzen (§ 823 Abs. 2 BGB), Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2006, 398, S. 410 ff. 501 s. z. B. Wagner, § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 76 ff.; Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 111 ff.; Johannes Hager, § 823 BGB – Schadensersatzpflicht, in: Johannes Hager (Hrsg.), J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, Neubearbeitung (2017), Rn. E. 66. 502 s. z. B. BGH, Urteil vom 12. März 1996, VI ZR 90/95, NJW 1996, 1535, S. 1536; Wagner, § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 76. In besonders extremen Fällen kann auch eine Haftung nach § 826 BGB für sittenwidrige Schädigung in Frage kommen. Vgl. z. B. BGH, Urteil vom 2012, II ZR 252/10, NZG 2012, 667, S. 668; Christian Förster, Der Schwarze Ritter – § 826 im Gesellschaftsrecht, Archiv für die civilistische Praxis 2009, 398; Holger Fleischer, § 93 AktG – Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit der Vorstandsmitglieder, in: Gerald Spindler, Eberhard Stilz (Hrsg.), Kommentar zum Aktiengesetz, 3. Auflage (2015), Rn. 320 ff.; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 657; Andreas Sandberger, Die Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 234 ff.; Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 17 i.V.m. Rn. 13; Georg Wiesener, § 26 Haftung der Vorstandsmitglieder, in: Michael Hoffmann-Becking (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftrechts – Aktiengesellschaft, 4. Auflage (2015), R. 74 (§ 826 BGB vor allem als relevant gegenüber Gläubigern und Aktionären betrachtend). Aber s. auch Harm Peter Westermann/Stefan Mutter, Die Verantwortlichkeit von Geschäftsführern einer GmbH gegenüber Dritten, Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht 1995, 184, S. 191. 503 s. z. B. Wagner, § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 76 ff.; Barbara Grunewald, Die Haftung von Organmitgliedern nach Deliktrecht, Zeitschrift für das gesamte Handelsund Wirtschaftsrecht 1993, 451, S. 452 f.; Westermann/Mutter, Verantwortlichkeit von Geschäftsführern, DZWir 1995, S. 186; Detlef Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person – Zugleich zur Eigenhaftung von Unternehmensleitern (1997), S. 355 ff. 504 Vgl. Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 405; Meinrad Dreher, Die persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern nach außen und die innergesellschaftliche Aufgabenteilung, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 1992, 22, S. 37; Wulf Goette, GmbH: Deliktische Haftung des Geschäftsführers bei organschaftlichem Handeln, Deutsches Steuerrecht 1996, 1014, S. 1015; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 390.
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BGB ausgleichen muss, obwohl es an den schädigenden Handlungen nicht direkt persönlich beteiligt war. Dies kann der Fall sein, wenn das Vorstandsmitglied nicht für die nötige Organisation im Unternehmen Sorge getragen hat, die den Rechtsverstoß verhindert hätte.505 Häufig handelt es sich bei diesen Rechtsverstößen der Gesellschaft um Verletzungen ihrer Verkehrspflichten oder Produzentenpflichten.506 Um einem außenstehenden Dritten gegenüber für ein solches Unterlassen schadensersatzpflichtig zu sein, muss das Vorstandsmitglied ihm allerdings eine Organisationspflicht geschuldet haben – insbesondere die neuere Rechtsprechung legt hier großen Wert auf die Trennung von der Legalitätspflicht, die die Organe der Gesellschaft schulden.507 Das Organmitglied muss dem Geschädigten gegenüber daher eine Garantenstellung innegehabt haben, deren Konturen der Rechtsprechung aber noch nicht abschließend zu entnehmen sind.508 Die Vereinbarkeit der Organaußenhaftung mit gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen überhaupt bleibt ebenfalls umstritten.509 a) Das Baustoff-Urteil des BGH Der Bundesgerichtshof stellte diese Verbindung im Jahr 1989 in seiner zweiten sogenannten Baustoff Entscheidung her.510 In dem zugrundeliegenden Fall hatte eine GmbH kollidierende Vereinbarungen mit zwei verschiedenen Vertragspartnern getroffen und in der Folge das Eigentumsrecht einer der beiden Parteien verletzt.511 Der BGH urteilte, dass der Geschäftsführer der Gesellschaft, die zum Zeitpunkt der Klage bereits insolvent war, im Zuge seiner Organisationspflichten hätte Maßnahmen ergreifen müssen, die diese Verletzung eines absoluten Rechtsguts eines Anderen vermieden hätten.512 Der Geschäftsführer hatte an den Verträgen weder mit505
s. infra, Das Baustoff-Urteil des BGH (S. 375). s. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 656 & 661; Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 78; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 27 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 82 ff; Möritz, Drittschutz (2011), S. 72. Auch mangelnde Überwachung von Mitarbeitern als Verrichtungsgehilfen i.S.v. § 831 BGB kann hier zu persönlicher Haftung führen. Vgl. z. B. Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 83. Für eine Übersicht über die verschiedenen Produzentenpflichten, s. z. B. Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 111 ff. 507 s. infra, Neuere Rechtsprechung: Garantenstellung nur unter besonderen Umständen (S. 383). Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 648. 508 s. infra, Unklarheit zu den Voraussetzungen der Garantenstellung (S. 378). Vgl. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 656; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 38. 509 s. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664, S. 296; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 444 ff.; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 120. 510 BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989). 511 BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 2. 512 BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 17. 506
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gewirkt, noch waren ihm die kollidierenden Klauseln bekannt gewesen.513 Dennoch übernahm er mit seinen Geschäftsführungsaufgaben auch eine Garantenstellung, die ihn für den Schutz fremder Rechtsgüter auch persönlich verantwortlich macht.514 Der Senat betonte zwar, dass das Organ nicht für jede unerlaubte Handlung der Gesellschaft oder ihrer Mitarbeiter sondern nur „aus besonderen Gründen“ Eigenhaftung treffen soll,515 doch wurden die Grenzen dieser Garantenstellung nicht klar definiert. Klare Haftungsvoraussetzungen waren lediglich, dass die eingetretene Gefahr für das Rechtsgut eines Dritten dem Zuständigkeitsbereich des Beklagten zuzuordnen war und sie sich aufgrund seines verschuldeten Unterlassens in der Organisation oder Leitung des Unternehmens realisiert hat.516 Das Baustoff-Urteil erfuhr enorme Kritik.517 Große Teile der Literatur hielten (und halten noch heute518) die Entscheidung für zu weitreichend. Die Kritiker betonten, dass die Organe Organisationspflichten nur der Gesellschaft schulden, und sehen in 513 514 515
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BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 9. BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 16. BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 16. Vgl. auch Möritz, Drittschutz (2011),
BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 16. Vgl. auch z. B. Sandberger, Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 131; Möritz, Drittschutz (2011), S. 75. 517 „Das Urteil gilt als das Fanal exzessiver Organhaftung“. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 118. Auch der II. Zivilsenat distanzierte sich von der Baustoff-Entscheidung. BGH, Urteil vom 13. April 1994, II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, Rn. 23. s. außerdem z. B. Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 33 ff.; Marcus Lutter, Zur persönlichen Haftung des Geschäftsführers aus deliktischen Schäden im Unternehmen, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 1993, 464, S. 470 ff.; Marcus Lutter, Gefahren persönlicher Haftung für Gesellschafter und Geschäftsführer einer GmbH, Der Betrieb 1994, 129, S. 132; Dieter Medicus, Zur deliktischen Eigenhaftung von Organpersonen, in: Bernhard Pfister (Hrsg.), Festschrift für Werner Lorenz zum 70. Geburtstag (1991), S. 160 ff.; Hans-Joachim Mertens, Georg Mertens, Zur deliktischen Haftung von GmbH-Geschäftsführern, JuristenZeitung 1990, 486, S. 488 ff.; Michael Kort, Zur Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers gegenüber privatrechtlichen Dritten, Der Betrieb 1990, 921; Peter Krebs/Corinna Dylla-Krebs, Deliktische Eigenhaftung von Organen für Organisationsverschulden, Der Betrieb 1990, 1271; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 466; Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 83; Walter G. Paefgen, § 43 GmbHG – Haftung der Geschäftsführer, in: Peter Ulmer/Mathias Habersack/Marc Löbbe (Hrsg.), Großkommentar zum GmbHG, 2. Auflage (2014), Rn 354 ff.; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 323. Einen Überblick über wesentliche unterschiedliche Kritikansätze im Schrifttum bieten z. B. Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 3; Holger Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter einer Kapitalgesellschaft für Verletzung von Verkehrssicherungspflichten, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1995, 881, S. 886 f.; Sandberger, Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 144 ff.; Möritz, Drittschutz (2011), S. 76 ff. 518 Vgl. Christian Förster, § 823 BGB – Schadensersatzpflicht, in: Heinz Georg Bamberger/Herbert Roth (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 38. Edition (2016), Rn. 376 (trotz grundlegender Änderungen in der Rechtsprechung insbesondere seit 2012, beschränke sich das Schrifttum auch vier Jahre später noch „fast vollständig“ auf Kritik an der Baustoff-Entscheidung.)
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der Baustoff-Entscheidung eine dem gesellschaftsrechtlichen Grundsatz widersprechende Veräußerlichung der Legalitätspflicht.519 Auch stellen sie fest, dass der Geschäftsleiter nicht direkt von den Vorteilen des unternehmerischen Handelns profitiere, so dass eine zum Teil unmittelbare Zurechnung des unternehmerischen Risikos nicht gerechtfertigt sei.520 Mindermeinungen in der Literatur sehen eine generelle Außenhaftung der Gesellschaftsorgane im Sinne der Baustoff-Entscheidung oder sogar über sie hinaus als wünschenswert,521 z. T. sogar aufgrund ihrer Übernahme der Organfunktion als rechtlich bereits gegeben,522 auch um dem Kläger mit dem Organ als „Ausfallbürgen“523 eine weitere Quelle für Schadensersatzzahlungen zu eröffnen.524 Die überwiegend herrschende Meinung kritisiert aber nicht nur die Breite der persönlichen Außenhaftung der Organe, sondern auch die mangelnde Rechtssicherheit, die die Baustoff-Entscheidung für die Geschäftsleiter auslöste.525 519 So z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664; Medicus, Zur deliktischen Eigenhaftung, in Festschrift Lorenz (1991), S. 169; Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 476 ff.; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 33; Sandberger, Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 155. 520 s. z. B. BGH, BGHZ 125, 366 (1994), Rn. 23; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 439; Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 478; Mertens/Mertens, Zur deliktischen Haftung, JZ 1990, S. 488. Diese Kritik stützt sich z. T. auch auf § 31 BGB, nach dem sowohl Vor- als auch Nachteile der unternehmerischen Tätigkeit der Gesellschaft zugerechnet werden sollen. Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 253; Möritz, Drittschutz (2011), S. 78. 521 s. z. B. Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter, ZIP 1995, S. 886 ff. (allerdings kritisch gegenüber möglicher Gefährdungshaftung, S. 887); Holger Altmeppen, Probleme der Konkursverschleppungshaftung, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1997, 1173, S. 1179 ff.; Gert Brüggemeier, Organisationshaftung, Archiv für die civilistische Praxis 1991, 33, S. 59 ff.; Grunewald, Haftung von Organmitgliedern nach Deliktrecht, ZHR 1993 (mit Vorbehalten). Aber vgl. auch kritisch hierzu Sandberger, Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 136 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 373 ff.; Möritz, Drittschutz (2011), S. 77. 522 s. z. B. Altmeppen, Probleme der Konkursverschleppungshaftung, ZIP 1997, S. 1179 ff.; Grunewald, Haftung von Organmitgliedern nach Deliktrecht, ZHR 1993. Vgl. auch Sandberger, Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 134 ff. Kritisch s. insbesondere Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 473 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 441; Sandberger, Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers (1997), S. 176; Möritz, Drittschutz (2011), S. 79. 523 So z. B. (kritisch) Goette, Deliktische Haftung des Geschäftsführers, DStR 1996, S. 1015; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 390; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 323. 524 s. z. B. Altmeppen, Probleme der Konkursverschleppungshaftung, ZIP 1997; Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter, ZIP 1995, S. 890; Grunewald, Haftung von Organmitgliedern nach Deliktrecht, ZHR 1993. Vgl. auch z. B. Wagner, Vorbemerkungen § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 17 & 38 ff.; Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 405; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 37. 525 Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 476 ff.; Mertens/Mertens, Zur deliktischen Haftung, JZ 1990, S. 489; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664; Dreher,
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b) Unklarheit zu den Voraussetzungen der Garantenstellung Diese Rechtsunsicherheit bestand in vielerlei Hinsicht. So schloss sich die Baustoff-Rechtsprechung augenscheinlich dem Grundsatz an, dass Ansprüche auf Basis der hier relevanten unechten Unterlassungstatbestände nur aufgrund einer Garantenstellung des Beklagten dem Geschädigten gegenüber bestehen können.526 Der VI. Zivilsenat begründete die Baustoff-Entscheidung auf diese Weise und sah persönliche Haftung nur „aus besonderen Gründen“ vor.527 Doch fasste er seine Begründung sehr weit, da die Organstellung des Beklagten (mit Verantwortung für den relevanten Bereich) und die Gefahr einer widerrechtlichen Verletzung der Eigentumsrechte eines Dritten bereits ausreichte, um eine Garantenstellung für den Schutz des fremden Schutzgutes zu rechtfertigen.528 Der Geschäftsführer musste die Gefahrenlage nicht selbst verursacht haben, wenngleich der Senat sie offenbar als vorhersehbar betrachtete, da Eigentumsvorbehalte branchenüblich seien.529 Aus der Entscheidung lässt sich also auch eine Bereitschaft lesen, von einer Organstellung und einer Rechtsgutsverletzung ex-post auf gefahrbegründenes Vorverhalten (Ingerenz) zu schließen, das eine Garantenpflicht ebenfalls begründen kann.530 Klare, abstraktionsfähige Grenzen der Garantenpflicht wurden damit nicht gezogen, sondern blieben der Einzelfallbetrachtung überlassen.531 Eine weitere Ausfüllung der Garantenstellung ohne eine Festigung des Rechtssicherheit erfolgte kurz nach der Baustoff-Entscheidung mit einem Urteil des Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 38; Möritz, Drittschutz (2011), S. 82 & 89 („Konturenlosigkeit der Rechtsprechung, die mehr auf Einzelfallgerechtigkeit als auf Rechtssicherheit setzt“). 526 Mertens/Mertens, Zur deliktischen Haftung, JZ 1990, S. 489; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 464 ff. (die Baustoff-Entscheidung aber ablehnend). 527 BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 16. Aber kritisch z. B. Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 444 f. 528 BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 16 f. Der Senat führte aus, die Organstellung allein begründe für den Geschäftsführer noch keine Garantenstellung, er hafte vielmehr aufgrund der „mit seinen Geschäftsführeraufgaben verbundenen Garantenstellung“ zum Schutz der absoluten Rechtsgüter Dritter. Rn. 16. 529 BGH, BGHZ 109, 297 (Baustoff, 1989), Rn. 18. s. auch Jan-Erik Schirmer, Abschied von der „Baustoff-Rechtsprechung“ des VI. Zivilsenats?, Neue Juristische Wochenschrift 2012, 3398, S. 3399. Ernst genommen wurde diese Einschränkung auf das Baugewerbe allerdings vom OLG Schleswig, das die Baustoff-Entscheidung im Jahr 2012 dafür benutzte, Haftung gegen einen Geschäftsführer abzulehnen. OLG Schleswig, Urteil vom 29. Juni 2011, 3 U 89/10, NJW-RR 2012, 368, S. 369. 530 Die Rechtsprechung ähnelt hier der strafrechtlichen Konzeption vom „Unternehmen als Gefahrenquelle“, das an sich bereits eine Ingerenz begründet. Lothar Kuhlen, Zum Verhältnis von strafrechtlicher und zivilrechtlicher Haftung für Compliance-Mängel, Teil 1, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2015, 121, S. 124. 531 s. z. B. Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 80; Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 402; Kort, Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers, DB 1990. Vgl. z. B. auch BGH, Urteil vom 24. Januar 2006, XI ZR 384/03, BGHZ 166, 84 (Kirch/Breuer), Rn. 127 f.
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2. Strafsenats des BGH, dessen Ausführungen zur Garantenstellung von der zivilrechtlichen Literatur weitgehend auf die deliktische Haftung übertragen wurde.532 In seiner Lederspray-Entscheidung533 hatte der Senat geurteilt, dass ein Geschäftsleiter seine Organisationspflichten verletzte, wenn er Kenntnis von einer andauernden Rechtsverletzung erhielt, aus der Schaden für einen Dritten resultiert (zumindest sofern es dabei um absolute Rechtsgüter ging), die Verletzung aber nicht behob.534 Situationsabhängig aber schien zu sein, wie direkt diese Reaktion erfolgen musste. Der Senat hatte in diesem Fall den effektiven Verkaufsstopp eines gesundheitsschädlichen Produkts, das für zahlreiche Geschädigte bereits zum Einweisen auf die Intensivstation geführt hatte,535 innerhalb einer Woche nach definitivem Bekanntwerden der Gefährlichkeit bei der Geschäftsführung erwartet.536 Da der Senat diese Einschätzung aber an den spezifischen Umständen des Einzelfalls festmachte, ist unklar, ob bei einer andersartigen Schädigung ein anderer Zeitrahmen akzeptabel gewesen wäre, beispielsweise eine weniger eilige Strategie und ein größerer Ermessensspielraum für die beste Methode der weiteren Schadensvermeidung bei einem Rechtsverstoß, der nur das Eigentum und nicht die körperliche Unversehrtheit beträfe, oder ein noch drastischeres Eingreifen bei einem größeren gesundheitlichen Risiko für eine größere Zahl von Verbrauchern.537 Eine Unsicherheit nach den Baustoff- und Lederspray-Entscheidungen bestand weiterhin in Fragen zu Delegation und Gesamtverantwortung der Geschäftsleitungsorgane.538 Vor allem in komplexen Unternehmen, in denen das Organmitglied keine direkte Verbindung zu den rechtsverletzenden Handlungen hat, werden zahlreiche Organisationsaufgaben delegiert, so dass die vom BGH vorgesehene persönliche Garantenstellung zweifelhafter werden könnte.539 Die Rechtsprechung des BGH enthielt aber, vielleicht auch aufgrund der geringeren Größe der betroffenen 532
Kritisch hierzu z. B. Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 470 ff. BGH, Urteil vom 6. Juli 1990, 2 StR 549/89, NStZ 1990, 587 (Lederspray). 534 s. z. B. Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter, ZIP 1995, S. 886; Möritz, Drittschutz (2011), S. 85 ff. 535 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 3. 536 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 61. Die Geschäftsführung kam stattdessen erst drei Monate nach Bekanntwerden zusammen und entschloss sich dabei gegen eine Rückrufaktion, da der kausale Zusammenhang zwischen dem Produkt und den Gesundheitsschäden aus ihrer Sicht noch nicht eindeutig dargelegt war. Rn. 5 ff. Der BGH erhielt die Verurteilungen der Mitglieder der Geschäftsführung unter anderem für fahrlässige Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 223a a.F. i.V.m. § 13 StGB und für gefährliche Körperverletzung gemäß § 223a a.F. StGB aufrecht. 537 Vgl. z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 119. Kritisch zu einer solchen ergebnis- statt begründungsbezogenen Abgrenzung z. B. Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 39 f. 538 s. z. B. Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 296. 539 s. z. B. Möritz, Drittschutz (2011), S. 85. Zur möglichen Haftung der Mitarbeiter vgl. auch Möritz, Drittschutz (2011), S. 89; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 46. 533
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Unternehmen, keine Hinweise auf mögliche Einschränkungen dieser Art.540 Inwieweit Garantenpflichten gegenüber Dritten also wirksam und haftungsbeschränkend delegiert werden konnten, war für den Geschäftsleiter entsprechend nicht sicher abzuschätzen.541 Ähnlich verhielt es sich mit der Einbeziehung der gesamten Geschäftsleitung. Jedes Organmitglied musste gemäß der Baustoff-Entscheidung von einer verstärkten Verantwortung für seinen eigenen Bereich ausgehen, war aber im normalen Geschäftsbetrieb ohne Anzeichen von Rechtsverletzungen nicht unbedingt von Organisationspflichtverletzungen eines Organkollegen betroffen.542 Einige Situationen, so Rechtsprechung und Schrifttum, beträfen so deutlich die Gesamtverantwortung der Geschäftsleitung, insbesondere in Krisensituationen, dass die Haftung aller Mitglieder gerechtfertigt wäre. Hierzu gehörten Krisensituationen und gemeinsame Entscheidungen wie den Verkaufsstopp eines gesundheitsgefährdenden Produkts in der Lederspray-Entscheidung.543 In weniger klaren Fällen blieben die Konturen dieser Situationen aber sehr unscharf.544 Für die Garantenstellung von Vorstandsmitgliedern gemäß den Baustoff- und Lederspray-Entscheidungen waren also bestimmte Extremsituationen klar als Anhaltspunkte definiert. Für den sorgfältigen Vorstand ließen sich aber außerhalb dieser Extremsituationen anhand der Rechtsprechung nur wenige sinnvolle Verhaltensregeln festhalten, die ihn wirksam vor persönlicher Deliktaußenhaftung schützen könnten. c) Verschärfte Haftung in der Produzentenhaftung Besonders relevant war diese Rechtsunsicherheit für ein Organmitglied im Bereich der Produzentenhaftung, wo sich die Organisationspflichten der Organe auf weitreichende Verkehrspflichten der Gesellschaft erstrecken, die praktisch vollständig auf die Organmitglieder persönlich übergingen.545 Ihre Verantwortung für 540
Aber s. OLG Schleswig, NJW-RR 2012, 368 (2011), S. 369. s. z. B. Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 312 ff.; Möritz, Drittschutz (2011), S. 85. 542 s. z. B. Möritz, Drittschutz (2011), S. 87; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 45. 543 Ähnlich auch rechtswidrige Handlungen, die andersartig sind, als das gewöhnliche Handlungsspektrum eines Unternehmens. Vgl. BGH, Urteil vom 13. November 1979, KZR 1/ 79, DB 1980, 582 (Denkzettel-Aktion), Rn. 31. Zur Diskussion vgl. Hager, § 823 BGB, Staudinger Komm. BGB (2017), Rn. E. 67 f. 544 Vgl. Hager, § 823 BGB, Staudinger Komm. BGB (2017), Rn. E. 68; Grunewald, Haftung von Organmitgliedern nach Deliktrecht, ZHR 1993, S. 458 f.; Dreher, Persönliche Verantwortlichkeit von Geschäftsleitern, ZGR 1992, S. 49 ff.; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 378 & 441 ff. 545 Vgl. z. B. Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter, ZIP 1995, S. 888 f.; Förster, § 823 BGB, Beck’scher Online-Komm. BGB (2016), Rn. 376; Möritz, Drittschutz (2011), S. 84 f. 541
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Produktion und Vertrieb brachte die Organmitglieder hier in eine Garantenstellung, die delikt- und auch strafrechtliche Konsequenzen haben konnten.546 Hier galt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung zudem eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Geschädigten,547 die in Fällen genereller Delikthaftung für die Verletzung von Organisationspflichten (zumindest noch) nicht etabliert ist.548 d) Relevante Schutzgesetze Eine klare Umgrenzung der Pflichtverletzungen, die zu direkter Delikthaftung der Organmitglieder führen können, blieb ebenfalls unklar.549 Besonders strittig gestaltete sich die Anwendbarkeit von § 823 Abs. 2 BGB und die dafür nötige Qualifikation von pflichtbegründenden Normen als Schutzgesetze.550 Gesellschaftsrechtliche Pflichten im Innenverhältnis wurden hiervon allerdings generell ausgenommen.551 Strafrechtliche und bußgeldrechtliche Normen können als Schutzgesetze Delikthaftung gemäß § 823 Abs. 2 unstreitig begründen, wenn das Organmitglied die Straftat oder Ordnungswidrigkeit persönlich begangen hat.552 Die Rechtsprechung erkannte eine Delikthaftung basierend auf Strafgesetzen aber auch dann an, wenn sie dem Organ nur auf Basis verletzter Organisationspflichten oder ihrer Vertreterstellung per § 14 Abs. 1 StGB zugerechnet werden konnte.553 Dies stößt auf Ablehnung in weiten Teilen der Literatur, die die „lückenschließende Funktion“554 des § 14 StGB
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BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 37 ff. BGH, Urteil vom 26. November 1968, VI ZR 212/66, BGHZ 51, 91 (Hühnerpest), Rn. 38 ff.; BGH, Urteil vom 3. Juni 1975, VI ZR 192/73, NJW 1975, 1827 (Spannkupplung), Rn. 26 f. 548 Möritz, Drittschutz (2011), S. 91. Vgl. auch Altmeppen, Probleme der Konkursverschleppungshaftung, ZIP 1997, S. 1180; Kort, Eigenhaftung des GmbH-Geschäftsführers, DB 1990. 549 s. z. B. Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 405; Möritz, Drittschutz (2011), S. 93. 550 s. z. B. Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 409 ff.; Georg Maier-Reimer, Schutzgesetze – Verhaltensnormen, Sanktionen und ihr Adressat, Neue Juristische Wochenschrift 2007, 3157, S. 3158 f.; Möritz, Drittschutz (2011), S. 93 ff.; Karsten Schmidt, Zur Durchgriffsfestigkeit der GmbH, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 1994, 837, S. 841. 551 s. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 648. 552 s. z. B. Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 408 ff.; Paefgen, § 43, GmbHG Großkomm. (2014), Rn. 357 f. 553 s. z. B. BGH, NStZ 1997, 125 (1996), Rn. 20; BGH, Urteil vom 11. Juli 1995, VI ZR 409/ 94, VersR 1995, 1205, Rn. 10; BGH, Urteil vom 17. September 2001, II ZR 178/99, BGHZ 149, 10. 554 Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 410. 547
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im Zivilrecht nicht für nötig erachtet, da durch die Möglichkeit der zivilrechtlichen Haftung juristischer Personen hier keine Lücke bestehe.555 Verneint hat der BGH hingegen eine Schutzgesetzeigenschaft von § 130 OWiG, der in Verbindung mit § 9 OWiG auch Organe für Ordnungswidrigkeiten des Unternehmens verantwortlich macht.556 Eine Delikthaftung gemäß § 823 Abs. 2 auf Basis von Ordnungswidrigkeiten der Gesellschaft ist somit zunächst ausgeschlossen.557 Insbesondere für Fälle des Gläubigerschutzes ließ der BGH diese Möglichkeit aber explizit offen.558 e) Abweichungen im Wettbewerbsrecht In bestimmten Rechtsbereichen wie dem Wettbewerbsrecht fand die Rechtsprechung hingegen eine abweichende Haftungsregelung. Hier konnte ein Organmitglied für Schäden, an deren Verursachung es nicht eigenhändig beteiligt war, nur dann Dritten gegenüber haften, wenn es von den Verstößen wusste und sie nicht zu verhindern versucht hat.559 Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass ein nicht direkt an der Verletzung beteiligtes Organmitglied nur dann Dritten gegenüber für Wettbewerbsverletzungen persönlich aufkommen musste, wenn es von dem Verstoß Kenntnis hatte und seine Organisationspflichten in Folge vorsätzlich verletzt hatte.560 Die hier grundlegende Sporthosen-Entscheidung des I. Zivilsenats des BGH aus dem Jahr 1985 stellte noch andere Grundsätze auf, als die Baustoff-Entscheidung des VI. Zivilsenats sie für die Organisationshaftung im allgemeinen Deliktrecht vier Jahre später nennen würde. Ob eine andere zeitliche Verteilung oder Zuständigkeit zu gleicher Rechtsprechung geführt hätte, kann bezweifelt werden, denn der I. Zivilsenat schien seine Sporthosen-Entscheidung nicht als spezifisch auf das Wettbewerbsrecht beschränkt zu betrachten, sondern als Grundsatzentscheidung für das Deliktrecht. Einen vergleichbaren Fall, der sich durch die mangelnde Kenntnis des beklagten Geschäftsführers auszeichnete, hatte es nach Ansicht des Senats noch nicht gegeben.561 Im Bereich des Wettbewerbsrechts entsprach die Rechtslage zur persönlichen Haftung von Gesellschaftsorganen Dritten gegenüber also dem Ideal, das eine wohl 555 s. z. B. Verse, Organwalterhaftung und Gesetzesverstoß, ZHR 2006, S. 409 ff. Zu § 14 StGB, s. auch infra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). 556 s. infra, Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten (S. 385). 557 BGH, BGHZ 125, 366 (1994). Vgl. auch Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 477; Schmidt, Durchgriffsfestigkeit der GmbH, ZIP 1994, S. 840 ff. 558 BGH, BGHZ 125, 366 (1994), Rn. 24. 559 BGH, Urteil vom 26. September 1985, I ZR 86/83, NJW 1987, 127 (Sporthosen), Rn. 27. 560 Möritz, Drittschutz (2011), S. 100. Kritisch z. B. Altmeppen, Haftung der Geschäftsleiter, ZIP 1995, S. 885. 561 BGH, NJW 1987, 127 (Sporthosen, 1985), Rn. 26.
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überwiegende Mehrheit des Schrifttums auch für die Delikthaftung auf Basis von § 823 BGB vorziehen würde.562 Dennoch bezweifelten zahlreiche Stimmen in der Literatur, dass sich das Element der Kenntnis auch in diesem begrenzten Rechtsbereich langfristig als tatbestandsbegründend behaupten können würde.563 Tatsächlich wandte sich der I. Zivilsenat im Jahr 2014 von der Sporthosen-Entscheidung ab, allerdings – entgegen den Befürchtungen des Schrifttums – zugunsten einer engeren Haftungsgrundlage, in der die Kenntnis eines Geschäftsleiters von Rechtsverstößen seine persönliche Außenhaftung nicht mehr begründen kann.564 Stattdessen soll die Außenhaftung für unlautere Handlungen der Gesellschaft den Geschäftsleiter nur dann treffen, wenn er persönlich an ihnen beteiligt war, oder wenn er eine Garantenstellung im Sinne des allgemeinen Deliktrechts innehatte.565 Während dies direkt nach der Baustoff-Entscheidung noch als eine Verschärfung der Haftung interpretiert worden wäre, hatte sich, wie im Folgenden näher erläutert, die Rechtslage auch im allgemeinen Deliktrecht in der Zwischenzeit dahingehend verdichtet, dass eine klarere Abgrenzung zwischen der Legalitätspflicht der Gesellschaft gegenüber und Garantenpflichten gegenüber Dritten gezogen wurde.566 Im Bereich des Lauterkeitsrechts bedeutet die aktuelle Rechtsprechung aber in jedem Fall eine Herabsetzung der Haftungsgefahr für Geschäftsleiter, solange sie an Wettbewerbsverstößen nicht persönlich beteiligt sind.567 f) Neuere Rechtsprechung: Garantenstellung nur unter besonderen Umständen Mit seiner neueren Rechtsprechung hat nun auch der VI. Zivilsenat seine seit der Baustoff-Entscheidung so heftig kritisierte Linie verlassen und hervorgehoben, dass sich die nötige Garantenstellung des beklagten Organmitglieds für direkte persönliche Deliktaußenhaftung nicht bereits aus der Funktion als Organ, sondern nur unter besonderen Umständen ergibt.568 Die Legalitätspflicht der Gesellschaft gegenüber 562
Vgl. auch Möritz, Drittschutz (2011), S. 100. Möritz, Drittschutz (2011), S. 100. 564 BGH, Urteil vom 18. Juni 2014, I ZR 242/12, BGHZ 201, 344, Rn. 19. Vgl. auch Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 667. Der Senat begründet diese Abweichung mit der Verankerung der bisherigen Rechtsprechung in der Störerhaftung, die aber mit der neueren Rechtslage im Lauterkeitsrecht nicht mehr vereinbar ist. 565 BGH, BGHZ 201, 344 (2014), Rn. 17. 566 s. infra, Neuere Rechtsprechung: Garantenstellung nur unter besonderen Umständen (S. 383). 567 BGH, BGHZ 201, 344 (2014), Rn. 25. 568 BGH, Urteil vom 10. Juli 2012, VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen), Rn. 21 ff. s. auch Schirmer, Abschied von der „Baustoff-Rechtsprechung“, NJW 2012; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 662; Wiesener, Haftung Vorstandsmitglieder, Münch. Handbuch – AG (2015), Rn. 71; Förster, § 823 BGB, Beck’scher Online-Komm. BGB (2016), Rn. 375. 563
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dürfe also nicht ohne Weiteres zu einer Organisationspflicht gegenüber Dritten umfunktioniert werden.569 Im Schrifttum wird das Urteil weitgehend als Bekenntnis zu gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen begrüßt,570 wobei es nichts an der grundlegenden Ablehnung der Organaußenhaftung einiger gesellschaftsrechtlicher Stimmen ändert.571 Tatsächlich ist auch nicht klar, ob es sich überhaupt um eine wesentliche Änderung handelt, da der Senat nach wie vor auf eine Einzelfallbeurteilung abstellt.572 Eine abstrakte Definition der Garantenstellung lehnt er ausdrücklich ab, so dass die betroffenen Organe an Rechtssicherheit kaum gewonnen haben.573 Das Urteil behandelt eine Klage nach § 823 Abs. 2 BGB aufgrund eines Vermögensschadens.574 Zwar ist anhand der grundsätzlichen gesellschaftsrechtlichen Argumentation des Senats davon auszugehen, dass die Abgrenzung der Legalitätspflicht bei Ansprüchen gemäß § 823 Abs. 1 BGB nicht anders aussähe. Doch ist es durchaus möglich, dass die Rechtsprechung bei einer Verletzung absoluter Rechtsgüter zu einer anderen „Abwägung der Interessenlage“ oder einer anderen „Bestimmung des konkreten Verantwortungsbereichs der Beteiligten“575 käme und somit eine Außenhaftung „aufgrund besonderer Anspruchslagen“576 begründen könnte. Die Garantenstellung aufgrund vorherigen gefährdenden Tuns und besonderer Gefahrenquellen bleibt von diesem Urteil unberührt.577 Auch die Unsicherheit bezüglich der Haftung des Gesamtorgans bleibt erhalten.578 Insoweit steht diese Entscheidung der Baustoff-Entscheidung, die einen ebenso großen Wert auf den 569
BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 23 f. s. z. B. Wiesener, Haftung Vorstandsmitglieder, Münch. Handbuch – AG (2015), Rn. 71; Förster, § 823 BGB, Beck’scher Online-Komm. BGB (2016), Rn. 376; Christian Pelz, Strafrechtliche und zivilrechtliche Aufsichtspflicht, in: Christoph E. Hauschka/Klaus Moosmayer/ Thomas Lösler (Hrsg.), Corporate Compliance, 3. Auflage (2016), Rn. 47; Hans-Friedrich Müller, Grenzenlose Organhaftung für Patentverletzungen? Kritische Besprechung der BGHEntscheidung „Glasfasern II“, Gewerblicher Rechtschutz und Urheberrecht 2016, 570, S. 572. Weiterhin kritisch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664. 571 Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664, S. 296; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 444 ff.; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 120. 572 BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 19. s. auch BGH, Urteil vom 20. Oktober 2011, 4 StR 71/11, NJW 2012, 1237, Rn. 17; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 665. 573 BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 19. 574 BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 13. 575 BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 19. 576 BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 24. 577 BGH, BGHZ 201, 344 (2014), Rn. 16. Vgl. auch BGH, Urteil vom 13. November 2008, 4 StR 252/08, NJW 2009, 240; Schiemann, § 823 BGB, Erman Komm. BGB (2014), Rn. 90. Kritisch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664. 578 Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 665; Förster, § 823 BGB, Beck’scher Online-Komm. BGB (2016), Rn. 376. 570
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Ausnahmecharakter der Garantenstellung und auf die Einzelfallbetrachtung legte, möglicherweise sehr viel näher, als auf Basis der kritischen Bewertungen der Baustoff-Entscheidung zu vermuten wäre. Die deutsche Rechtsprechung und Rechtsliteratur haben sich der persönlichen Deliktaußenhaftung von Organmitgliedern somit verschiedentlich genähert, wobei nicht klar ist, ob die aktuelle Rechtsprechung tatsächlich so weit von der Rechtsprechung der 1980er Jahre entfernt ist, wie im Schrifttum vertreten. Auch besteht nach wie vor große Uneinigkeit unter den einzelnen Zivilsenaten – im Jahr 2015 entschied sich der X. Zivilsenat für den entgegengesetzten Kurs und begründete die Haftung von Organmitgliedern für eine Patentverletzung ihres Unternehmens in Worten, die der Baustoff-Entscheidung fast entliehen schienen.579 Der Senat erklärte seine Bereitschaft, bei einer schuldhaften Verletzung des Unternehmens auch schuldhaftes Handeln der Organe anzunehmen, ging aber auf die zentrale Frage der Garantenstellung nicht näher ein.580 Die Kritik von gesellschaftsrechtlicher Seite hat also offenbar den BGH noch nicht vollständig überzeugen können. Außerhalb des Urheberrechts ist für die Organmitglieder, die sich um sorgfältiges Handeln bemühen, die Abgrenzung der Legalitätspflicht von Außenhaftungsansprüchen zwar sicherlich hilfreich. Doch sind aufgrund der Bindung der Rechtsprechung an den jeweiligen Einzelfall die Grundlagen derartiger Ansprüche kaum zu abstrahieren, so dass hier nach wie vor große Rechtsunsicherheit herrscht.581 2. Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten Dem Inhaber des Betriebes oder Unternehmens, hier also der Gesellschaft,582 obliegt gemäß § 130 OWiG eine Aufsichtspflicht über den Geschäftsbetrieb des 579
BGH, vom 15. Dezember 2015, X ZR 30/14, GRUR 2016, 257 (Glasfasern II), Rn. 105 ff. („Sofern es um den Schutz von absoluten Rechten Dritter geht, kann hingegen über die Organstellung hinaus eine mit der Zuständigkeit für die Organisation und Leitung und der daraus erwachsenden persönlichen Einflussnahme auf die Gefahrenabwehr und Gefahrensteuerung verbundene persönliche Verantwortung des Organs den betroffenen Außenstehenden gegenüber zum Tragen kommen.“ Rn. 113). Vgl. auch Müller, Grenzenlose Organhaftung für Patentverletzungen? Kritische Besprechung der BGH-Entscheidung „Glasfasern II“, GRUR 2016, S. 571 f. 580 BGH, GRUR 2016, 257 (Glasfasern II, 2015), Rn. 118. 581 Vgl. auch Eva-Maria Gottschalk, Die Haftung von Geschäftsführern und Mitarbeitern der GmbH gegenüber Dritten für Produktfehler, Gmbh Rundschau 2015, 8. 582 Trotz einiger abweichender Stimmen im Schrifttum ist davon auszugehen, dass Inhaber des Betriebes bzw. des Unternehmens in Fällen von Aktiengesellschaften nicht die Organe sondern die Gesellschaft ist. So z. B. Klaus Rogall, § 130 OWiG – Verletzung der Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen, in: Lothar Senge (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 4. Auflage (2014), Rn. 24. Vgl. auch z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014). Abweichend z. B. Pelz, Aufsichtspflicht, Corporate Compliance (2016), Rn. 12; Harro Otto, Die strafrechtliche Verantwortung für die Verletzung von Sicherungspflichten in Unternehmen, in: Andreas Hoyer/Henning Ernst Müller/Michael Pawlik/
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Unternehmens, deren bereits fahrlässige Verletzung eine Ordnungswidrigkeit darstellt, wenn es zu straf- oder bußgeldbewährten Verletzungen unternehmens- oder betriebsbezogener Pflichten kommt,583 die durch „gehörige Aufsicht verhindert oder wesentlich erschwert“ worden wären.584 Per § 9 OWiG wird diese Aufsichtspflicht auch auf die Organe und ihre Mitglieder erweitert.585 Die Höhe der Geldbußen für Verletzungen der Aufsichtspflicht, richtet sich nach der durch sie ermöglichten Pflichtverletzung.586 Handelt es sich dabei um eine Straftat, so kann dem Organ eine Geldbuße von bis zu E 1 Million drohen,587 die für eine fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung per § 17 Abs. 2 OWiG halbiert wird.588 Bei einer ermöglichten Ordnungswidrigkeit gilt der Bußgeldrahmen dieser Ordnungswidrigkeit,589 wobei auch dieser gegebenenfalls bei fahrlässiger Verletzung der Aufsichtspflicht halbiert wird.590 Da es sich bei Verletzungen der Aufsichtspflicht gemäß § 130 OWiG in Verbindung mit § 9 OWiG um rechtswidrige Pflichtverletzungen handelt, kann die Gesellschaft ihre Organe nur mit Zustimmung der Hauptversammlung von diesen Zahlungen freistellen.591 Die D&OVersicherungen schließen Geldbußen wie auch Geldstrafen in aller Regel aus.592 Darüber hinaus kann per Durchgriff nach § 30 OWiG ein Bußgeld gegen das Unternehmen auf Basis der Aufsichtspflichtverletzung eines Organs verhängt werden, Jürgen Wolter (Hrsg.), Festschrift für Friedrich-Christian Schroeder zum 70. Geburtstag (2006), S. 344. 583 Vgl. z. B. Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht (2014), Rn. 69 ff.; Gerhard Dannecker, Selbstbelastungsfreiheit: eine verfahrensrechtliche Garantie auch für Lebensmittelunternehmen?, in: Moritz Hagenmeyer/ Peter Loosen (Hrsg.), Festschrift für Michael Welsch (2010), S. 181. 584 § 130 Abs. 1 S. 1 OWiG. Vgl. z. B. auch Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 115 ff. 585 Vgl. z. B. Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht (2014), Rn. 69; Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 71; Alfred Scheidler, Zurechenbarkeit umweltdeliktischen Verhaltens bei arbeitsteiligen Betriebsorganisationen, Zeitschrift für Umweltrecht 2010, 16, S. 18. 586 § 130 Abs. 3 OWiG. 587 § 130 Abs. 3 S. 1 OWiG. 588 Vgl. auch Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht (2014), Rn. 72. 589 § 130 Abs. 3 S. 3 OWiG. Dies gilt auch dann, wenn es sich bei der ermöglichten Pflichtverletzung um eine Ordnungswidrigkeit und eine Straftat handelt, selbst wenn letztere die Ordnungswidrigkeit verdrängt. § 130 Abs. 3 S. 3 OWiG; Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2014), Rn. 73. 590 § 17 Abs. 2 OWiG. 591 BGH, Urteil vom 8. Juli 2014, II ZR 174/13, BGHZ 202, 26. Vgl. auch Niklas Rahlmeyer/Christoph von Eiff, BGH zum Erfordernis der Zustimmung der Hauptversammlung zur Übernahme einer Geldsanktion für Vorstandsmitglieder durch eine Aktiengesellschaft, Corporate Compliance Zeitschrift 2015, 91, S. 92 ff. 592 Vgl. z. B. Rahlmeyer/Eiff, BGH zum Erfordernis der Zustimmung, CCZ 2015, S. 93; Thomas, Bußgeldregress, NZG 2015; Thomas, Haftungsfreistellung (2010), S. 358 ff.; Ruttmann, Versicherbarkeit in der D&O Versicherung (2014).
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für das das betroffene Organmitglied möglicherweise im Innenregress ebenfalls haften muss. § 130 OWiG in Verbindung mit § 9 OWiG externalisiert einen Teil der Legalitätspflichten, die die Organe der Gesellschaft im Innenverhältnis schulden. Die persönliche Verantwortung für unternehmensbezogenes Fehlverhalten auch schon auf Basis bloßer Fahrlässigkeit inzentiviert die Unternehmensverantwortlichen zur wirksamen Prävention.593 Sie erfüllt die Kriterien der Corporate Governance Haftung594 sowie die präventive Ausrichtung des Ordnungswidrigkeitenrechts595 und wirkt wie ein idealer Durchsetzungsmechanismus für die Ziele der Corporate Governance. Dafür nennt das Gesetz ausdrücklich die „sorgfältige Auswahl und Überwachung von Aufsichtspersonen“ als Maßnahmen, die zur Erfüllung der Aufsichtspflichten geeignet sind.596 Die Etablierung konkreter Weisungs-, Aufsichts- und Kontrollsysteme, die der Unternehmensführung die wirkungsvolle Leitung des Betriebes erlaubt, ohne Kenntnis aller Vorgänge haben zu können, ist ein wesentliches Element guter Corporate Governance in großen Unternehmen und Konzernen, da eine direkte Kontrolle jedes Elements des eigenen Verantwortungsbereichs für einen Vorstand nicht realistisch ist.597 In dieser Hinsicht ist diese Konstellation also als sinnvoll zu betrachten. Doch ist zu hinterfragen, ob eine so allgemeine Übertragung der Verantwortung für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten anderer Personen auf das Organmitglied eine in der Praxis sinnvolle Inzentivierung bewirkt. Wie auch im zivilrechtlichen Bereich sind die spezifischen Konturen der bußgeldrechtlichen Aufsichtspflicht nicht klar definiert, auch sie ist im hohen Maße vom Einzelfall abhängig.598 Sicher ist, dass das Ordnungswidrigkeitenrecht weniger hohe Anforderungen an die Organe und ihre Mitglieder stellt, als sie im Zivilrecht gefordert sein können.599 Die Rechtsprechung verlangt ausdrücklich nicht die sichere Verhinderung jeden Verstoßes, sondern lediglich die Verhinderung betriebstypischer Rechtsverstöße im Rahmen des „realistischerweise Zumutbaren.“600 Die Verant593
Vgl. z. B. Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 1 & 16. s. supra, Haftung als Instrument der Corporate Governance (S. 26). 595 Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2014), Rn. 63. 596 § 130 Abs. 1 S. 2 OWiG. 597 Vgl. z. B. Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 48; Pelz, Aufsichtspflicht, Corporate Compliance (2016), Rn. 2; Scheidler, Zurechenbarkeit umweltdeliktischen Verhaltens, ZUR 2010. Vgl. auch supra, Sarbanes-Oxley Act (zivilrechtliche Elemente) (S. 82). 598 Vgl. auch z. B. Pelz, Aufsichtspflicht, Corporate Compliance (2016), Rn. 16; Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 39. 599 Pelz, Aufsichtspflicht, Corporate Compliance (2016), Rn. 37; Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 40. 600 BGH, Beschluss, wistra 1986, 222; Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 38 ff. 594
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
wortlichen dürfen bei der Ausübung ihrer Aufsichtspflicht der Pflichterfüllung ihrer Mitarbeiter grundsätzlich vertrauen601 und dürfen auf den Betriebsfrieden Rücksicht nehmen.602 Auch dürfen sie sich in gewöhnlichen Situationen auf ihr eigenes Ressort beschränken.603 Strengere Anforderungen gelten aber unter anderem, wenn von dem Rechtsverstoß schwerere Gefahren ausgehen604 oder wenn die Rechtslage für die Mitarbeiter nur schwer zu übersehen ist, wie dies beispielsweise im Kartellrecht der Fall sein kann.605 Auch werten Teile des Schrifttums den zugrundeliegenden Rechtsverstoß selbst als Nachweis, dass er hätte vorhergesehen und gegebenenfalls verhindert werden müssen, zumindest solange es sich um einen betriebstypischen Verstoß handelt.606 Noch weniger Klarheit als über das Ausmaß der nötigen Aufsichtsmaßnahmen besteht über die Definition der Rechtsverstöße, die durch sie verhindert werden müssen. Zwischen Rechtsprechung und Schrifttum besteht hier eine Vielzahl von höchst unterschiedlichen Interpretationen.607 So legt der BGH beispielsweise Wert darauf, dass die Gefahr erst aus der spezifischen Tätigkeit des Handelnden entstehen konnte.608 Im Schrifttum hingegen wird zum Teil lediglich ein inhaltlicher Zusammenhang mit den Aufgaben des Handelnden gefordert.609 Andere sehen Handeln im Unternehmensinteresse als betriebsbezogen.610 Wieder Anderen genügt ein inhalt601
Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 42. Vgl. auch Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 477. 602 BGH, wistra 1986, 222 (1986). 603 Vgl. z. B. Scheidler, Zurechenbarkeit umweltdeliktischen Verhaltens, ZUR 2010, S. 18. 604 OLG Koblenz, Beschluss vom 31. Mai 1983, 1 Ss 157/83, VRS 65, 457; OLG Düsseldorf, Urteil vom 5. April 2006, VI-2 Kart 5 + 6/05 OWi, openJur 2011, 47065; Pelz, Aufsichtspflicht, Corporate Compliance (2016), Rn. 29; Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 51 & 69. 605 BGH, Beschluss vom 1. Juni 1977, KRB 3/76, BGHSt 27, 196, S. 202. Vgl. auch Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 69. 606 Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 38. 607 Für eine Diskussion und Gegenüberstellung der verschiedenen hier genannten Sichtweisen, s. Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 87 ff. 608 BGH, vom 20. Oktober 2011, 4 StR 71/11, BGHSt 57, 42, S. 45 f. 609 s. z. B. Christoph Landscheidt, Zur Problematik der Garantenpflichten aus verantwortlicher Stellung in bestimmten Räumlichkeiten: zugleich ein Beitrag zur Gefahrenquellenverantwortlichkeit im Rahmen der unechten Unterlassungsdelikte (1985), S. 115 f.; Martin Wassmer, Die strafrechtliche Geschäftsherrenhaftung (2006), S. 297 f. Vgl. auch Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 92. 610 s. z. B. Wilfried Bottke, Haftung aus Nichtverhütung von Straftaten Untergebener in Wirtschaftsunternehmen de lege lata (1994), S. 69; Bernd Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht: eine Untersuchung der Verantwortlichkeit der Unternehmen und ihrer Führungskräfte nach geltendem und geplantem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht (1979), S. 106. Vgl. auch Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 93; Héctor Hernández Basualto, Die Betriebsbezogenheit der Garantenstellung von Leitungspersonen im Unternehmen, in: Georg Freund/Uwe Murmann/René Bloy/Walter Perron (Hrsg.), Grundlagen und Dogmatik des gesamten Strafrechtssystems – Festschrift für Wolfgang Frisch zum 70. Geburtstag (2013), S. 343.
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licher Zusammenhang mit der Tätigkeit des Unternehmens, teils aus Sicht des Handelnden,611 teils aus Sicht des durch die Gefahr beeinträchtigten Dritten.612 Eine eingehende Betrachtung würde an dieser Stelle zu weit führen, doch lässt sich feststellen, dass ohne ein klares Verständnis darüber, welche Rechtsverstöße verhindert werden sollen, die Planung effizienter Aufsichtssysteme auf Basis von § 130 OWiG kaum möglich erscheint. 3. Strafrechtliche Sanktionierung als Organ oder Vertreter der Gesellschaft Während das Ordnungswidrigkeitenrecht vor allem der Prävention dienen soll, spielt das Strafrecht eine breitere rechtsstaatliche Rolle. Insbesondere die praktischen Konsequenzen und die mit einer strafrechtlichen Verurteilung einhergehende moralische Verurteilung sind mit der Verhängung eines Bußgelds zu vergleichen.613 Im Zusammenhang mit der Corporate Governance Haftung kann das Strafrecht daher eine sehr hervorgehobene Funktion erfüllen, wie die Behandlung der Responsible Corporate Officer Doctrine in den USA deutlich macht. In Deutschland beschränkt sich das Strafrecht allerdings bisher vor allem auf die Anwendung allgemein gültiger Grundsätze auf Gesellschaftsorgane, insbesondere der Vertreterhaftung gemäß § 14 StGB und des Handelns durch Unterlassen eines Garanten im Sinne von § 13 StGB, die im Folgenden näher betrachtet werden.614 Die Kluft zwischen Straf- und Gesellschaftsrecht wird dabei besonders deutlich in einem Obiter Dictum eines der Strafsenate des BGH, das im Jahr 2009 die Ausweitung der Garantenstellung der Geschäftsleitung auf untergeordnete Compliance Officer ausdehnen sollte. Auch dieses Urteil findet im Weiteren genauere Erörterung.615 a) Sanktionierung gemäß § 14 StGB Viel Aufmerksamkeit im Zusammenhang mit der Organhaftung erfährt § 14 StGB. Die Norm sieht die Sanktionierung von Organen und Vertretern für Hand611 s. z. B. Werner Thiemann, Aufsichtspflichtverletzungen in Betrieben und Unternehmen nach § 130 OWiG (1976), S. 21; Hero Schall, Grund und Grenzen der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, in: Klaus Rogall/Ingeborg Puppe/Ulrich Stein/Jürgen Wolter (Hrsg.), Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag (2004), S. 282 (ausdehnend auf die „tatsächlichen oder rechtlichen Wirkungsmöglichkeiten des Betriebs“). Vgl. auch Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 95. 612 Otto, Verletzung von Sicherungspflichten, in Festschrift Schroeder (2006), S. 343; Basualto, Betriebsbezogenheit der Garantenstellung, in Festschrift Frisch (2013), S. 346 ff. 613 Vgl. z. B. Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht (2014), Rn. 63. 614 s. infra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389) und Sanktionierung gemäß § 13 StGB (S. 393). 615 s. infra, Strafrechtliche Sanktionierung des Compliance Officer (S. 397).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
lungen eines Vertretenen vor, wenn das Organ bzw. der Vertreter selbst nicht über die persönlichen Merkmale des Vertretenen verfügt, die für eine Strafbarkeit des Handelns notwendig sind. Er entspricht im Wortlaut § 9 OWiG. Die Norm soll eine aus Sicht des Gesetzgebers „kriminalpolitisch nicht erträgliche Lücke“ in Fällen schließen, in denen weder der Vertretene verfolgt werden kann, der zwar Adressat des jeweiligen Straftatbestandes ist, aber nicht gehandelt hat, noch der Vertreter, der die Handlungen zwar persönlich begangen hat, aber vom Straftatbestand nicht als potentieller Täter erfasst wird.616 Allgemeindelikte erfasst § 14 StGB nicht, da diese keine besonderen Merkmale des Vertretenen voraussetzen und da das Organmitglied gegebenenfalls, wie an späterer Stelle besprochen, für Verstöße der Gesellschaft auch direkt strafverfolgt werden könnte.617 Obwohl § 14 StGB auch in anderen Zusammenhängen Anwendung findet, beispielsweise wenn Eltern ihre noch nicht strafmündigen Kinder vertreten,618 gibt ihm das Fehlen eines Verbandsstrafrechts in Deutschland § 14 StGB seine besondere Bedeutung für das Wirtschaftsstrafrecht.619 Denn zahlreiche Straftatbestände im Zusammenhang mit wirtschaftlichem Handeln erfassen per Gesetz nur den Betriebsinhaber, beispielsweise als Arbeitgeber, Schuldner oder als Betreiber von Anlagen, in vielen Fällen also juristische Personen, die nicht deliktsfähig sind.620 § 14 StGB erlaubt die Verfolgung der tatsächlich handelnden Organmitglieder und Ver616 Deutsche Bundesregierung, Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG), Bundestag Drucksache 5/1319 (1967), S. 62 (betreffend § 50 Abs. 2 StGB a.F., die Vorgängernorm des § 14 StGB). Vgl. auch z. B. Martin Böse, § 14 StGB – Handeln für einen anderen, in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage (2013), Rn. 1 f.; Bernd Schünemann, § 14 StGB – Handeln für einen anderen, in: Heinrich Wilhelm Laufhütte/Ruth Rissing-Van Saan/Klaus Tiedemann (Hrsg.), Leipziger Kommentar Strafgesetzbuch, 12. Auflage (2007), Rn. 3; Dannecker, Selbstbelastungsfreiheit, in: Festschrift Welsch (2010), S. 181; Klaus Rogall, Die strafrechtliche Organhaftung, in: Knut Amelung (Hrsg.), Individuelle Verantwortung und Beteiligungsverhältnisse bei Straftaten in bürokratischen Organisationen des Staates, der Wirtschaft und der Gesellschaft (2000), S. 145 (§ 14 StGB als „wichtiges, wenn nicht unverzichtbares Instrument der Zurechnungssicherung“). Der Aufsichtsrat einer Gesellschaft kann nur von § 14 StBG erfasst werden, wenn er in geschäftsführender Rolle nach außen als Vertreter handelt. Andreas Hoyer, § 14 Handeln für einen anderen, in: Hans-Joachim Rudolphi/Jürgen Wolter (Hrsg.), Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch, 8. Auflage (2014), Rn. 47; Henning Radtke, § 14 StGB – Handeln für einen anderen, in: Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage (2017), Rn. 79. 617 Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 56 f.; Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 23; Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), Rn. 32 ff. s. auch supra, Sanktionierung gemäß § 13 StGB (S. 393). 618 § 14 Abs. 1 Nr. 3; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 89. 619 Vgl. z. B. Lothar Kuhlen, Personifizierte Unternehmensdelinquenz: Die Anwendung der §§ 13, 14, 25 ff. StGB auf Manager als Unternehmensstrafrecht de lege lata, Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht 2016, 465. 620 s. z. B. Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 20 ff.; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 5 & 8; Klaus Tiedemann, Die strafrechtliche Vertreterund Unternehmenshaftung, Neue Juristische Wochenschrift 1986, 1842.
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treter. Ebenso haften können gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch die Leiter kleinerer Betriebseinheiten, sofern sie über ausreichend unabhängige Entscheidungskompetenz verfügen.621 Die genauen Konturen, Anwendungsbereiche und dogmatischen Grundlagen des § 14 StGB sind in der strafrechtlichen Literatur so grundlegend umstritten, dass eine eingehende Betrachtung hier nicht erfolgen kann.622 Während die wohl herrschende Meinung den Vertreter formal in die Pflichten des Vertretenen eintreten sehen,623 nehmen andere eine vom Vertreter tatsächlich übernommene Garantenstellung an, obwohl diese Ansicht nicht völlig von der Gesetzgebung gedeckt wird.624 Eine Weiterentwicklung dieser Auslegung sieht die Vertreterstrafbarkeit gemäß § 14 StGB aufgrund der Repräsentantenstellung des Organs oder Vertreters im jeweiligen System als gerechtfertigt.625 Uneinigkeit besteht im Schrifttum darüber hinaus beispielsweise auch darüber, unter welchen Bedingungen ein leitender Angestellter oder Leiter eines Teilbetriebs als Vertreter gelten kann und inwieweit ein solcher seine Verantwortung wirksam delegieren kann – eine wesentliche Rechtsunsicherheit, die die Berichtslinien innerhalb der Unternehmen in Frage stellen kann.626 Auch in der 621
s. z. B. Böse, § 14 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 38 ff.; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 40, sowie Rn. 49 ff.; Tiedemann, Strafrechtliche Vertreter- und Unternehmenshaftung, NJW 1986, S. 1842. Keine Einigkeit besteht darüber, ob eine Ausnahme für Pflichtenübertragungen außerhalb des Sozialadäquaten bestehen sollte. Böse, § 14 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 49 f.; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 104; Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), S. 35 ff.; Alexandra Pohl, Der Vertretungsbezug der Handlung i.S.d.§ 14 StGB – Unter Berücksichtigung des Tatbestands des Bankrotts (§ 283 StGB) (2012), S. 34. 622 Einen Überblick über die hier erwähnten Theorien bietet Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), ab Rn. 11. 623 Sog. „Pflichtentheorie“, s. Peter Blauth, „Handeln für einen anderen“ nach geltendem und kommendem Strafrecht (1968), S. 80 ff; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 23 ff. Vgl. auch Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), Rn. 8 ff.; Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 10 ff.; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 16; Klaus Rogall, § 9 OWiG – Handeln für einen anderen, in: Lothar Senge (Hrsg.), Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 4. Auflage (2014), Rn. 15 & 17; Pohl, Vertretungsbezug der Handlung (2012), S. 46 f. & 53 ff. 624 Sog. „Garantentheorie“, s. Bernd Schünemann, Unternehmenskriminalität und Strafrecht (1979), S. 137 ff.; Bernd Schünemann, Grund und Grenzen der Unechten Unterlassungsgerichte (1971), S. 229 ff.; Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 10 ff. Vgl. auch Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 17 f; Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), Rn. 14 ff. Rogall, § 9 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 16 & 19; Pohl, Vertretungsbezug der Handlung (2012), S. 47 ff & 53 ff. 625 Sog. „Theorie der systematischen Repäsentantenhaftung“, bei der „nicht die Kontrolle über einen sozialen Bereich“ wie bei der Garantentheorie sondern die „Kompetenz zur kollektiven Sinnbestimmung das Wesentliche ausmacht.“ Rogall, Strafrechtliche Organhaftung, in Individuelle Verantwortung (2000), S. 160 ff.; Rogall, § 9 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 20. Vgl. auch Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 19 ff.; Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), Rn. 47. 626 Böse, § 14 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 39 ff.; Pohl, Vertretungsbezug der Handlung (2012), S. 34; Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Rechtsprechung sind klare Linien kaum zu erkennen, ihr wird sogar „Theorielosigkeit“ vorgeworfen.627 Tatsächlich hat auch der Bundesgerichtshof in den Jahren 2009 und 2011 mit Entscheidungen des 3. und darauf folgend des 1. Strafsenats eine lange gehaltene Linie der Rechtsprechung zu einem Aspekt von § 14 StGB aufgegeben, die jahrelanger Kritik aus der Literatur ausgesetzt gewesen war.628 Insgesamt begleitet die Anwendung von § 14 StGB also große konzeptionelle Unsicherheit. Sicher ist allerdings, dass § 14 StGB für die Corporate Governance Haftung von Organen tatsächlich nur unter sehr spezifischen Umständen herangezogen werden kann, da das Organmitglied sowohl den objektiven als auch den subjektiven Tatbestand der Anknüpfungsnorm erfüllt haben muss.629 Für ein sorgfältiges Organmitglied, das nicht vorsätzlich rechtswidrig handelt, ist damit die Verantwortung für Vorsatz erfordernde Straftatbestände ausgeschlossen630 und die Ahndung gemäß § 14 StGB kommt nur für fahrlässig zu erfüllende Straftatbestände in Betracht. Allerdings stellen diese einen wesentlichen Teil des relevanten Rechts dar, Sanktionierung von fahrlässigem Verhalten gilt als „geradezu ein Charakteristikum des Wirtschaftsstrafrechts.“631 Die Strafvorschriften des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB), des Arzneimittelgesetzes (AMG), des MedizinStGB (2007), Rn. 56 ff.; Hans-Georg Schulze, Vermeidung von Haftung und Straftaten auf Führungsebene durch Delegation, Neue Juristische Wochenschrift 2014, 3484, S. 3487; Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), Rn. 64 ff. & 83. Der BGH legt im Falle einer Beauftragung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Wert auf eine zweifelsfreie Beauftragung, die so konkret ist, dass die auf ihn übertragenen Pflichten für den Beauftragten deutlich sind. BGH, Urteil vom 7. April 2016, 5 StR 332/15, NStZ 2016, 460, S. 462. Zur Eignung eines Betriebsleiters oder -teilleiters als Vertreter gemäß § 14 StGB Abs. 2, s. auch Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 95 ff. 627 Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 12. Vgl. auch Christian Brand, Abschied von der Interessentheorie – und was nun?, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2010, 9. 628 Dabei handelte es sich um die Interessenstheorie, die eine Strafbarkeit nur bei Handeln im Interesse des Vertretenen vorsah. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2009, 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225; BGH, Beschluss vom 30. August 2011, 3 StR 228/11, NStZ 2011, 1238; BGH, Beschluss vom 15. September 2011, 3 StR 118/11, NStZ 2012, 89; BGH, Beschluss vom 29. November 2011, 1 ARs 19/11, wistra 2012, 113. Vgl. auch Brand, Abschied von der Interessentheorie, NStZ 2010; Böse, § 14 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 20; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 59 f. 629 s. z. B. Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 73. Darüber hinaus muss ein Organ nach aktueller Rechtslage rechtswirksam im Namen der Gesellschaft gehandelt haben oder ihn einer Eigenschaft als Vertreter einem Dritten gegenüber wirksam verpflichtet hat. BGH, Beschluss vom 2009, 3 StR 372/08, NJW 2009, 2225, S. 2228; BGH, NStZ 2012, 89 (2011), S. 90 f. Vgl. auch Pohl, Vertretungsbezug der Handlung (2012), S. 87 ff. Für die hier relevante Corporate Governance Haftung ist davon aber im Allgemeinen auszugehen. 630 Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 73; Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 68. 631 Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2014), Rn. 109. Der Gesetzgeber setzt das Wirtschaftsstrafrecht damit von allgemeinen strafrechtlichen Prinzipien ab, denn gemäß § 15 StGB ist nur vorsätzliches Handeln strafbar, wenn das Gesetz nicht explizit die Sanktionierung fahrlässigen Handelns vorsieht. Vgl. auch Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 1.
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produktegesetzes (MPG) und des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG), enthalten beispielsweise Delikte, die inhaltlich den für die Responsible Corporate Officer Doctrine relevanten Verboten es FDCA ähneln und fahrlässig begangen werden können.632 Zudem spielt die Gefährdungshaftung eine ernst zu nehmende Rolle im Wirtschaftsstrafrecht, ein weiteres Risiko für an sich sorgfältig agierende Organe.633 Darüber hinaus muss der Vertreter per definitionem auch den objektiven Tatbestand erfüllt haben. Sofern es um sich dabei um ein strafbewehrtes Unterlassungsdelikt handelt, die vielleicht wichtigste Deliktkategorie für die Corporate Governance Haftung von Organen, kann die Strafbarkeit nur dann per § 14 StGB auf den unterlassenden Vertreter übergehen, wenn sie die Gesellschaft aufgrund einer spezifischen, im Anknüpfungstatbestand vorgesehenen Eigenschaft treffen.634 Allgemeine Aufsichtspflichten sind hiervon entsprechend nicht berührt.635 Das Organmitglied muss darüber hinaus für den entsprechenden Geschäftsbereich zuständig und die Handlung tatsächlich und rechtlich möglich und zumutbar gewesen sein.636 Aufgrund der Unwahrscheinlichkeit der Erfüllung von objektivem und subjektivem Straftatbestand durch ein an sich sorgfältig handelndes Organmitglied einer börsennotierten Aktiengesellschaft ist § 14 StGB für die hier betrachtete Corporate Governance Haftung von Organen daher von höchstens untergeordneter Bedeutung.637 b) Sanktionierung gemäß § 13 StGB Einen klareren Zusammenhang mit der Corporate Governance Haftung bietet die strafrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter eigener Garantenpflichten des Organmitglieds, insbesondere im Zusammenhang mit einem Unterlassen.638 Die im Innenverhältnis geschuldete Legalitätspflicht bzw. Legalitätskontrollpflicht des Vorstands alleine bildet hierfür keine ausreichende Grundlage,639 doch versäumt es 632
s. infra, Spezifische Normen der Produktverantwortlichkeit (S. 404); s. z. B. § 58 Abs. 6 i.V.m. §§ 5, 26, 30 LFGB; § 95 Abs. 4 i.V.m. § 5, 6, 8 AMG; § 40 i.V.m. § 4 MPG. 633 Vgl. z. B. Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht (2014), Rn. 109. 634 Vgl. z. B. Böse, § 14 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 15; Pohl, Vertretungsbezug der Handlung (2012), S. 37 f.; Rogall, Strafrechtliche Organhaftung, in Individuelle Verantwortung (2000), S. 168; Tiedemann, Strafrechtliche Vertreterund Unternehmenshaftung, NJW 1986. 635 Vgl. auch Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 41 ff. 636 Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 72. 637 Verhältnismäßig breite Anwendung erfährt § 14 hingegen zum Beispiel im Zusammenhang mit Unternehmensinsolvenzen. s. z. B. BGH, NJW 2009, 2225 (2009); BGH, NStZ 2011, 1238 (2011); BGH, NStZ 2012, 89 (2011); BGH, wistra 2012, 113 (2011). Vgl. auch Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 55 & 59. 638 Vgl. auch Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 41. 639 BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012).
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ein Organmitglied eine Straftat zu verhindern, die aus dem Unternehmen heraus (beispielsweise durch einen Mitarbeiter) verübt wird und die es aufgrund einer Garantenstellung zu verhindern verpflichtet gewesen wäre, so kann es zur Strafbarkeit für ein Begehen durch Unterlassen gemäß § 13 StGB kommen.640 In der Praxis gründen Fälle dieser Art gegen Geschäftsleiter häufig auf Verletzungen der Verkehrssicherungspflichten mit Körperverletzungs- oder Todesfolge, beispielsweise im Zusammenhang mit Produkten, die den relevanten Sicherheitsvorgaben nicht entsprechen, mit Baustellen, die nicht ausreichend gesichert waren, oder mit der Produktion von gesundheitsschädlichen Lebensmitteln, Arzneimitteln oder Bedarfsgegenständen.641 Dabei handelt es sich um eine beispielhafte Anwendung von Corporate Governance Haftung, da sie auch sich grundsätzlich rechtstreu verhaltende Organmitglieder treffen und so zu sorgfältigerer Aufsicht über die Abläufe innerhalb des Unternehmens führen kann. Der primäre Garant für die Verhinderung von Straftaten aus dem Unternehmen heraus ist die Gesellschaft als Unternehmensinhaber,642 doch wie auch im Zivilrecht643 kann sich aufgrund verschiedener Faktoren eine Garantenstellung eines Organs ergeben, beispielsweise durch eigenes gefahrbegründendes Verhalten oder persönliche Beherrschung einer Gefahrenquelle.644 Die Garantenpflichten erstrecken sich dabei nicht auf eine absolute Verhinderung von Gefahren, sondern beschränken sich auf „das Ergreifen solcher Maßnahmen, die nach den Gesamtumständen zumutbar sind und die ein verständiger und umsichtiger Mensch für notwendig und
640 s. z. B. BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990); BGH, Urteil vom 17. Juli 2009, 5 StR 394/08, NJW 2009, 3173, Rn. 21. Wolfgang Wohlers/Karste Gaede, § 13 StGB – Begehen durch Unterlassen, in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage (2013), Rn. 43; Kuhlen, Personifizierte Unternehmensdelinquenz, wistra 2016, S. 467. 641 s. z. B. BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990); BGH, Urteil vom 31. Januar 2002, 4 StR 289/01, NJW 2002, 1887 (Wuppertaler Schwebebahn); BGH, NJW 2009, 240 (2008); BGH, Urteil vom 2. August 1995, 2 StR 221/194, BGHSt 41, 206 (Holzschutzmittel); LG Aachen, JZ 1971, 507 (Contergan-Beschluss, 1970); LG Frankfurt a. M., Verfügung vom 31. Mai 1996, 65 Js 17084.4/91 (Degussa/Amalgam). Vgl. auch z. B. Walter Stree/Nikolaus Bosch, § 13 StGB – Begehen durch Unterlassen, in: Adolf Schönke/Horst Schröder (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 29. Auflage (2014), Rn. 43; Burkhard Jähnke, Strafrechtliche Produkthaftung, Juristische Ausbildung 2010, 582; Lothar Kuhlen, Strafhaftung bei unterlassenem Rückruf gesundheitsgefährdender Produkte, Neue Zeitschrift für Strafrecht 1990, 566, S. 567 ff.; Möritz, Drittschutz (2011), S. 94 ff. 642 Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2014), Rn. 32. 643 s. supra, Zivilrechtliche Haftung auf Basis verletzter Organisationspflichten (S. 373). 644 Für einen Überblick zum Thema Garantenstellung im Zusammenhang mit der Unternehmensführung, s. z. B. Oliver Kraft/Klaus Winkler, Zur Garantenstellung des ComplianceOfficers – Unterlassungsstrafbarkeit durch Organisationsmangel?, Corporate Compliance Zeitschrift 2009, 29, S. 30 ff.; mit der strafrechtlichen Produkthaftung, s. z. B. Michael Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung bei Arzneimittelschäden (2008), S. 223.
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ausreichend hält, um Andere vor Schäden zu bewahren.“645 Zur Frage der Angemessenheit des Verhaltens der angeklagten Organmitglieder werden die Schwere und die Erkennbarkeit der Gefahr in Betracht gezogen,646 die Betriebsbezogenheit des Verhaltens der jeweiligen Mitarbeiter,647 sowie die interne Aufgabenverteilung.648 Dennoch kann ein solcher Fall auch grundsätzlich redlich handelnde Organmitglieder treffen, denn das Verhalten muss nicht in sich, also von den Umständen losgelöst, schuldhaft sein, um eine Pflicht zur Schadensabwendung zu schaffen.649 Auch für ein grundsätzlich sorgfältiges Organmitglied kann es somit zu Strafbarkeit kommen, wenn es beispielsweise eine Gefährdungslage falsch einschätzt – bereits die „nahe liegende Möglichkeit“ einer Rechtsgutverletzung gegenüber Dritten kann den Garanten zum Handeln verpflichten.650 Die Rechtsprechung entwickelt zwar verstärkt die Ansicht, der Ingerenz müsse eine Pflichtwidrigkeit zugrunde liegen, zu dieser Frage und zu den möglichen Konsequenzen im Unternehmenszusammenhang besteht aber noch keine Einigkeit.651
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BGH, NJW 2009, 240 (2008), Rn. 17. s. z. B. auch Walter Stree/Nikolaus Bosch, Vorbemerkungen zu den §§ 13 ff., in: Adolf Schönke/Horst Schröder (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 29. Auflage (2014), Rn. 155; Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 141. Dabei kann es auch um verhältnismäßig geringfügige Schäden Einzelner gehen, die durch einen Mitarbeiter ausgelöst worden sind, solange sie betriebsbezogen sind. Vgl. z. B. Kuhlen, Personifizierte Unternehmensdelinquenz, wistra 2016, S. 467. 646 s. z. B. BGH, NJW 2009, 240 (2008), Rn. 18. Vgl. auch Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 87. 647 Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), 53; Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 35a. 648 Vgl. z. B. BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 53, aber auch 70 f. (gewichtige Entscheidungen wie der hier relevante Produktrückruf obliegen dennoch in jedem Fall der Gesamtgeschäftsführung); BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 19; BGH, NJW 2002, 1887 (Wuppertaler Schwebebahn, 2002), Rn. 25. 649 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 42 („Die objektive Pflichtwidrigkeit des Vorverhaltens setzt nicht voraus, daß der Handelnde bereits damit seine Sorgfaltspflichten verletzt, sich also fahrlässig verhalten hat“.) Vgl. auch Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 60 f. 650 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 38; BGH, NJW 2009, 240 (2008), Rn. 18. Vgl. auch Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 43 ff.; Jähnke, Strafrechtliche Produkthaftung, JURA 2010, S. 583. 651 Jähnke, Strafrechtliche Produkthaftung, JURA 2010, S. 584; Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 32 & 37 (Rechtsprechung geht mehr und mehr dazu über, „zumindest formal“ Pflichtverletzung bei der Schaffung einer Ingerenz zu fordern). Vgl. auch BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 39 f., wenngleich die Pflichtwidrigkeit hier für die Angeklagten zum Zeitpunkt der Ingerenz keineswegs offensichtlich gewesen wäre, da sie sich der Schädlichkeit ihres Produktes nicht bewusst waren. s. auch Kuhlen, Strafhaftung bei unterlassenem Rückruf, NStZ 1990, S. 567 ff.; Erich Samson, Probleme strafrechtlicher Produkthaftung, Strafverteidiger 1991, 182, S. 184.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Die Einschätzung, ob diese Möglichkeit ausreichend wahrscheinlich ist, liegt ausdrücklich nicht im Ermessen der Organe, sondern kann im Einzelfall ex post durch ein Gericht objektiv beurteilt werden. So geschah es beispielsweise im bereits erwähnten Lederspray-Urteil des BGH aus dem Jahr 1990.652 Hier hatte die Geschäftsleitung des Ledersprayherstellers auf Meldungen von zum Teil schweren Atemwegserkrankungen nach der Benutzung des betroffenen Ledersprays mit einer internen wissenschaftlichen Untersuchung reagiert. Als diese keinen kausalen Zusammenhang zwischen dem Produkt und den Erkrankungen nachweisen konnte, entschieden sich die Geschäftsführer gegen einen Verkaufsstopp und einen Rückruf.653 Doch der BGH sah das gefahrbegründende Vorverhalten bereits im ursprünglichen Inverkehrbringen des Produkts, aus dem sich die Körperverletzungen ohne Weiteres ergeben hatten654 und das somit gegen § 30 Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetz (LMBG a.F.) verstieß.655 Mit der Pflicht zum Handeln allein aufgrund dieser Kausalität gegeben,656 ergab sich Strafbarkeit für fahrlässige gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 223a i.V.m. § 13 StGB durch das ursprüngliche Unterlassen des Produktrückrufs.657 Hinzu kam Strafbarkeit für bedingt vorsätzliche gefährliche Körperverletzung gemäß § 223a StGB a.F. auf Basis der Schadensfälle, die nach der Entscheidung der Geschäftsführung gegen den Rückruf erfolgten.658 Angesichts der hohen Zahl der Opfer, sah der 2. Strafsenat die „objektive Pflichtwidrigkeit“ hier als gegeben und erhielt die Verurteilungen der Angeklagten unter anderem für pflichtwidriges Unterlassen der Gefahrenbehebung mit körperverletzenden Folgen aufrecht. Die Gefahr der Sanktionierung wird durch die geringen Anforderungen an die Beweisführung der Anklage zur Kausalität verstärkt.659 In vielen der grundlegenden Fälle zur Medikamenten- und Produktsicherheit akzeptierte der Bundesgerichtshof 652 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990). s. auch supra, Unklarheit zu den Voraussetzungen der Garantenstellung (S. 378) und Sanktionierung gemäß § 13 StGB (S. 393). 653 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990). 654 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 39. 655 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 40. Die Ingerenz muss allerdings bereits dem Organ zugerechnet werden können, damit es die Garantenpflicht trifft. Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 42. Ob dies im Lederspray Urteil beim Vorstand einer AG der Fall gewesen wären, ist unklar. Die Ablösenorm, § 30 des heutigen Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB), kann allerdings i.V.m. § 58 LFGB und § 14 StGB zur verschuldensunabhängigen Haftung eines Organs führen. 656 Hierzu vgl. z. B. Jähnke, Strafrechtliche Produkthaftung, JURA 2010, S. 584; Kuhlen, Strafhaftung bei unterlassenem Rückruf, NStZ 1990, S. 568; Samson, Probleme strafrechtlicher Produkthaftung, StV 1991, S. 184; Thomas Rotsch, Originäre Strafrechtliche Verantwortlichkeit, in: Thomas Rotsch (Hrsg.), Criminal Compliance Handbuch (2015), Rn. 13. Vgl. auch LG Aachen, JZ 1971, 507 (Contergan-Beschluss, 1970), S. 515. 657 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 44 & 72. 658 BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 72. 659 Vgl. z. B. Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschaftsund Steuerstrafrecht (2014), Rn. 27.
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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auch Indizienbeweise, die eine Verursachung oder auch nur Mitverursachung der gemeldeten Gesundheitsschäden durch die betroffenen Produkte lediglich sehr wahrscheinlich machten, beispielsweise durch den Ausschluss von alternativen Ursachen.660 Trotz massiver Kritik aus dem Schrifttum wurde diese Rechtsprechung bis heute nicht geändert.661 Auch eine Prüfung der möglichen Kausalzusammenhänge, wie sie beispielsweise im Lederspray Fall durchgeführt wurde, kann die Geschäftsleitung also nicht vor Strafverfolgung schützen, wenn das zuständige Gericht bereit ist, die vorhandenen Korrelationen als Kausalitäten anzuerkennen. c) Strafrechtliche Sanktionierung des Compliance Officer Neben diesen Risiken für den Vorstand ist in den letzten Jahren ein besonderes strafrechtliches Risiko für die Mitarbeiter in den Mittelpunkt gerückt, deren Aufgabe darin besteht, innerhalb des Unternehmens unternehmensbezogene Rechtsverstöße zu verhindern, wie ein Compliance-Beauftragter oder „Compliance Officer“. Der anglo-amerikanische Begriff der „Compliance“, also der „Einhaltung“ von Regeln und Bestimmungen, ist in diesem Zusammenhang am ehesten dem der „Legalitätskontrolle“ gleichzusetzen. Zu ihrer Wahrung ist also der Vorstand im Rahmen seiner Legalitäts- bzw. Legalitätskontrollpflicht verpflichtet.662 Zusätzlich gibt es insbesondere in größeren und komplexeren Unternehmen regelmäßig zusätzliche Positionen, die für die Einrichtung und Pflege von Überwachungs-, Kontroll- und Berichtssystemen zuständig sind und sicherstellen, dass auf unternehmensbezogene Verstöße reagiert wird. Die genaue Organisation und die Kompetenzen dieser Compliance-Funktionen variieren von Unternehmen zu Unternehmen.663 660 s. BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 30; BGH, BGHSt 41, 206 (Holzschutzmittel, 1995), Rn. 41. Vgl. auch LG Aachen, JZ 1971, 507 (Contergan-Beschluss, 1970), S. 510 f. (es komme „nicht auf die für den naturwissenschaftlichen Nachweis gebotene objektive, sondern nur auf subjektive Gewißheit an“, Hervorhebungen im Original); Samson, Probleme strafrechtlicher Produkthaftung, StV 1991, S. 183; Jähnke, Strafrechtliche Produkthaftung, JURA 2010, S. 585 ff.; Nina Jenke, Haftung für fehlerhafte Arzneimittel und Medizinprodukte: Eine vergleichende Untersuchung des deutschen und US-amerikanischen Rechts (2012), S. 137 ff.; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung (2008), S. 154 ff. Aber s. auch z. B. Kuhlen, Strafhaftung bei unterlassenem Rückruf, NStZ 1990, S. 567. 661 Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 75a; Mayer, Strafrechtliche Produktverantwortung (2008), S. 137 ff. Aber s. auch Ingeborg Puppe, Vorbemerkungen zu §§ 13 ff. StGB, in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage (2013), Rn. 142 ff., insbesondere Rn. 147 & 151. 662 Vgl. BGH, BGHZ 194, 26 (Scheinrechnungen, 2012), Rn. 22; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 14; Fleischer, Compliance-Pflichten im Praxistest, NZG 2014. 663 Vgl. z. B. Gerhard Dannecker/Christoph Dannecker, Die „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung im Unternehmen, JuristenZeitung 2010, 981, S. 988; Thomas Kremer/Christoph Klahold, Compliance-Programme in Industriekonzernen, Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht 2010, 113, S. 121; Thomas Rönnau/Frédéric Schneider, Der Compliance-Beauftragte als strafrechtlicher Garant, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2010, 1867, S. 53.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs betrachtete den für die Compliance zuständigen Compliance Officer in einem Aufsehen erregenden Obiter Dictum aus dem Jahr 2009 als Garanten im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB, der persönlich für Straftaten aus dem Unternehmen heraus verantwortlich sein kann, wenn er es unterlässt, diese zu verhindern.664 Zwar handelt es sich bei dem Compliance Officer im Sinne dieser Rechtsprechung nicht um ein Vorstandsmitglied,665 so dass seine Strafbarkeit die Vorstands- und Aufsichtsratshaftung nicht direkt betrifft.666 Dennoch bedarf die Rechtsprechung des BGH und die Literatur hierzu in diesem Zusammenhang der Würdigung, da die Besetzung und Gestaltung der Rolle eines Compliance Officer wesentlichen Einfluss auf die Frage der Haftung von Organen einer Aktiengesellschaft haben kann. Die Rechtsprechung zu diesem Thema kann Organe auch direkt betreffen. aa) Grundlage für das Urteil des 5. Strafsenats zum Compliance Officer Der 5. Strafsenat bezeichnete die von ihm angenommene Garantenpflicht des Compliance Officer als die „notwendige Kehrseite“ der „gegenüber der Unternehmensleitung übernommenen Pflicht“, unternehmensbezogene Rechtsverstöße zu verhindern.667 Als Basis dieses Dictums, das nur zwei Sätze umfasst, zitiert der Senat einen einzigen Artikel zweier Rechtsanwälte (Dr. Oliver Kraft und Dr. Klaus Winkler), erschienen in der Corporate Compliance-Zeitschrift wenige Monate zuvor,668 in dem auch das Bild der „notwendige[n] Kehrseite“ bereits zu finden ist.669 Allerdings bedürfte es keiner besonderen Ausweitung grundlegender strafrechtlicher Prinzipien, um eine Person zu sanktionieren, die sich einem Schutzbedürftigen gegenüber zur Verhinderung bestimmter Straftaten verpflichtet hat, es dann aber vorsätzlich unterlässt einzugreifen, wenn Dritte eben diese Straftaten verüben.670 Auch ist der Einsatz zwischengeschalteter Aufsichts- und Kontrollebenen 664
BGH, NJW 2009, 3173 (2009), Rn. 27. Eine separate Herleitung der Strafbarkeit wäre sonst nicht nötig, es bestünde lediglich möglicherweise ein Konflikt mit der gemeinschaftlichen Verantwortung des Vorstands. 666 Das Wort „Officer“ wird in diesem spezifischen Zusammenhang gemäß dem deutschen Sprachgebrauch verwendet, nicht im Sinne des Officer einer amerikanischen Corporation. 667 BGH, NJW 2009, 3173 (2009), Rn. 27. 668 Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009. 669 Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 30. Vgl. auch Georg Freund, § 13 StGB – Begehen durch Unterlassen, in: Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 3. Auflage (2017), Rn. 113; Wohlers/ Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 43. 670 So auch z. B. Jürgen Bürkle, Grenzen der strafrechtlichen Garantenstellung des Compliance-Officers, Corporate Compliance Zeitschrift 2010, 4, S. 1; Andreas Ransiek, Zur strafrechtlichen Verantwortung des Compliance Officers, Die Aktiengesellschaft 2010, 147, S. 148; Rotsch, Originäre Strafrechtliche Verantwortlichkeit, in Criminal Compliance (2015), Rn. 17 ff. 665
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aus Corporate Governance Perspektive zu begrüßen. Eine Person, deren ausschließliche Aufgabe es ist, unabhängig von operativen Gewinnerwartungen das Compliance-System zu schützen, ist sinnvoll. Die Generalität der Aussage des Senats in der Kombination dieser beiden Grundsätze widerspricht aber nicht nur der Kernaussage der einzigen von ihm zitierten Stimmen im Schrifttum, sondern auch gesellschaftsrechtlichen Grundsätzen. Denn der These des 5. Strafsenats liegt die wesentliche, nicht tragbare Annahme zugrunde, dass der Compliance Officer mit seiner ihm von der Geschäftsleitung übertragenen Kontroll- und Überwachungsrolle auch eine solche Erfolgsabwendungspflicht tatsächlich übernommen hat.671 Er sieht die Durchsetzung rechtmäßigen Verhaltens als notwendigen Bestandteil der Aufsichts- und Kontrollfunktion. Eine Begründung für diese Verlängerung gibt er nicht. Sie ist gesellschaftsrechtlich nicht tragbar und auch strafrechtsdogmatisch nicht notwendig. bb) Ausarbeitung der Sanktionierung des Compliance Officer nach den Annahmen des 5. Strafsenats Zunächst ist aber festzuhalten, dass die vom BGH so angenommene Strafbarkeit des Compliance Officer gemäß § 13 Abs. 1 StGB auch bei rein strafrechtlicher Betrachtung wesentlichen Einschränkungen unterläge. So müsste die Unterlassung des Compliance Officers den Erfolg des relevanten Rechtsverstoßes ermöglicht haben.672 Nur bei gegebener Kausalität kann es zur Sanktionierung gemäß § 13 Abs. 1 StGB kommen.673 In der Praxis würde bereits diese Bedingung die Relevanz der Regelung wesentlich einschränken.674 671
Vgl. auch z. B. José A. Campos Nave/Henrik Vogel, Die erforderliche Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen im Hinblick auf gestiegene Verantwortlichkeiten des Compliance Officers, Betriebs-Berater 2009, 2546, S. 2547; Markus Rübenstahl, Zur „regelmäßigen“ Garantenstellung des Compliance Officers, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2009, 1341, S. 1342; Markus S. Rieder, Vom juristischen Gewissen zum Straftäter? Rechtsstellung, Verantwortung und Schutz von Compliance-Beauftragten, in: Mathias Habersack/ Peter Hommelhoff (Hrsg.), Festschrift für Wulf Goette zum 65. Geburtstag (2011), S. 421. 672 Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 33. s. auch Daniel Geiger, Nemo ultra posse obligatur – Zur strafrechtlichen Haftung von ComplianceBeauftragten ohne Disziplinargewalt, Corporate Compliance Zeitschrift 2011, 170, S. 173; Nave/Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2550. 673 Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 61. Vgl. auch Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 33; Rieder, Vom juristischen Gewissen zum Straftäter?, in Festschrift Goette (2011), S. 422 f.; Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 173; Volker Rieble, Zivilrechtliche Haftung der ComplianceAgenten, Corporate Compliance Zeitschrift 2010, 1, S. 2. 674 Aber s. auch Matthias Dann/Anja Mengel, Tanz auf einem Pulverfass – oder: Wie gefährlich leben Compliance-Beauftragte?, Neue Juristische Wochenschrift 2010, 3265, S. 3268; Rotsch, Originäre Strafrechtliche Verantwortlichkeit, in Criminal Compliance (2015), Rn. 11 (bezieht sich auf die „pragmatische Zuschreibungspraxis des BGH insbesondere bei der Feststellung von dolus eventualis“).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Eine weitere Einschränkung der Bedeutung der Entscheidung des BGH ergibt sich aus den subjektiven Straftatbeständen, denn diese werden in den meisten Fällen von Corporate Governance Haftung eine Sanktionierung ausschließen. Ein Garant kann nur dann gemäß § 13 Abs. 1 StGB durch ein Unterlassen für die Verwirklichung eines Straftatbestandes verantwortlich sein, wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.675 Der Garant muss in seinem Unterlassen sowohl die Tatbestandsmerkmale als auch den subjektiven Tatbestand des ihm angelasteten Delikts erfüllen.676 Insbesondere muss der Compliance Officer wenigstens Kenntnis von den Umständen der Tat haben, die den Erfolg ermöglichen und seinem Unterlassen Relevanz geben.677 Ein Unterlassen muss bei vorsätzlich zu begehenden Straftatbeständen also wenigstens auf Eventualvorsatz beruhen.678 Im Zusammenhang mit Corporate Governance Haftung stellen solche Straftatbestände für an sich sorgfältig handelnde Compliance Officers also ein geringeres Risiko dar, zumal zusätzlich ein kausaler Zusammenhang zwischen der Unterlassung und dem Erfolg bestehen muss. Kritischer zu sehen sind Straftatbestände, die bereits mit fahrlässigem Handeln erfüllt werden können,679 die, wie bereits erwähnt, ein wichtiger Bestandteil des Wirtschaftsstrafrechts sind.680 Zudem scheint der Senat die weitreichende Garantenstellung nur dann anzunehmen, wenn der Compliance Officer freiwillig die Pflicht zur Verhinderung aller unternehmensbezogenen Rechtsverstöße übernommen hat.681 Als konkrete, praktische Reaktion hierauf haben zahlreiche Unternehmen die Funktion des
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§ 13 Abs. 1 StGB. s. z. B. Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 4 & 60; Freund, § 13 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 202 ff.; Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 20; Thomas Grützner/Nicolai Behr, Die Haftung von Compliance Officer, Vorstand und Aufsichtsrat bei Rechtsverstößen von Mitarbeitern, Der Betrieb 2013, 561, S. 562; Steffen Krieger/Jens Günther, Die arbeitsrechtliche Stellung des Compliance Officers – Gestaltung einer Compliance-Organisation unter Berücksichtigung der Vorgaben im BGH-Urteil vom 17. 7. 2009, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht 2010, 367, S. 368. 677 Vgl. Freund, § 13 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 236 ff.; Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 60. 678 s. z. B. Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 60; Kraft/ Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 33; Wohlers/Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 20. Vgl. auch Nave/Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2549. 679 s. z. B. Nave/Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2549; Krieger/Günther, Arbeitsrechtl. Stellung des Compliance Officers, NZA 2010, S. 368. Vgl. Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 60, Wohlers/ Gaede, § 13 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 21. 680 s. supra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). Vgl. auch Dannecker, Entwicklung des Wirtschaftsstrafrechts, Handbuch Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2014), Rn. 109. 681 BGH, NJW 2009, 3173 (2009), Rn. 27. 676
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Compliance Officer angepasst, mit dem Ziel eine derartige Garantenstellung auszuschließen.682 Selbst wenn die Rechtsprechung an dem Obiter Dictum des 5. Strafsenats in der Zukunft festhielte, wäre der Compliance Officer daher in der Praxis einem weitaus geringeren Risiko ausgesetzt, als der Senat anzudeuten schien.683 cc) Erfolgsabwendungspflicht gesellschaftsrechtlich nicht haltbar Die Sicht des 5. Strafsenats, die er in seinen zwei kurzen, nicht entscheidungstragenden Sätzen darlegte, scheitert aber nach überwältigender, zutreffender Auffassung im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum an der gesellschaftsrechtlichen Kompetenzzuweisung.684 Auch der von ihm einzig zitierte Artikel hält fest, dass dem Compliance Officer, sofern er nicht selbst Mitglied der Geschäftsleitung ist, die Durchsetzungskompetenzen der Geschäftsleitung gesellschaftsrechtlich verwehrt 682 Katharina Hastenrath, Auswirkungen des BGH-Urteils zur Garantenstellung des Compliance Officers aus Sicht der Unternehmenspraxis, Corporate Compliance Zeitschrift 2011, 32, S. 34. Vgl. auch Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 33; Ransiek, Strafrechtliche Verantwortung des Compliance Officers, AG 2010, S. 148; Rieder, Vom juristischen Gewissen zum Straftäter?, in Festschrift Goette (2011), S. 427; Nave/Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2548. Aber s. auch Rieble, Haftung der Compliance-Agenten, CCZ 2010, S. 1. Dieses Element des Obiter Dictums des Senats führt zu einem erheblichen Maß an Rechtsunsicherheit, da die Feststellung einer Garantenpflicht und möglichen Strafbarkeit letztendlich von einer richterlichen ex-post Prüfung der Formulierungen eines Dienstvertrages und von Aufgaben und Kompetenzen des Compliance Officer abhinge. Auch das Machtverhältnis zwischen Vorstand und Compliance Officer müsste dabei kritisch beurteilt werden, wobei hier im Ernstfall von außen und im Nachhinein betrachtet der Handlungsspielraum des Compliance Officer möglicherweise größer erscheinen könnte, als dessen subjektives Befinden zum Zeitpunkt des Geschehens nahegelegt hätte. Die Frage einer möglichen Strafbarkeit hinge hier in jedem Fall nicht mehr nur von Handeln oder Unterlassen, Kausalität und subjektiven Elementen ab, sondern von lange zuvor gesetzten rechtlichen Rahmenbedingungen, ein unter Corporate Governance Gesichtspunkten bedenkliches Ergebnis. 683 Vgl. auch z. B. Grützner/Behr, Haftung von Compliance Officer, Vorstand und Aufsichtsrat, DB 2013, S. 562 ff.; Wolfgang Spoerr/Tilmann Gäde, Strafrechtliche Verantwortlichkeit von Compliance-Mitarbeitern von Banken und Zahlungsdienstleistern bei der Abwicklung und Kontrolle von Zahlungsverkehr und anderen Finanzdienstleistungen für Kunden der Bank – am Beispiel der Bereitstellungsverbote, Corporate Compliance Zeitschrift 2016, 77, S. 82; Dann/Mengel, Tanz auf einem Pulverfass, NJW 2010, S. 3267. Dies deckt sich auch mit den zurückhaltenden Reaktionen einer Vielzahl von Unternehmen. Hastenrath, Auswirkungen des BGH-Urteils, CCZ 2011, S. 33. 684 Anderer Ansicht z. B. Rotsch, Originäre Strafrechtliche Verantwortlichkeit, in Criminal Compliance (2015), Rn. 22 (Garantenpflicht des Compliance Officer erschöpfe sich in dessen Möglichkeiten); Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 990 (Delegation der Geschäftsherrnpflichten grundsätzlich zulässig und möglich); Rönnau/Schneider, Compliance-Beauftragter als strafrechtlicher Garant, ZIP 2010, S. 61 („Delegation der Garantenpflichten auf den Compliance-Beauftragten kaum [zu] vermeiden“).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
sind.685 Selbst bei größtmöglichem Handlungsspielraum bliebe er der Geschäftsleitung gegenüber weisungsgebunden.686 Er ist bei der Durchsetzung von Compliance immer von der Kooperation und Unterstützung des Vorstands abhängig, Gegenteiliges wäre gesellschaftsrechtlich nicht zulässig.687 Der Compliance Officer kann den Vorstand einer Aktiengesellschaft durch Pflege und Entwicklung des Compliance-Systems sowie als seine „Augen und Ohren“ im Unternehmen und durch Alamierung bei Unrechtmäßigkeiten unterstützen. Er kann daher, so Kraft und Winkler und weitere Teile des Schrifttums, nicht als Schutzgarant zu werten sein, sondern höchstens als Überwachungsgarant mit eng begrenzter Verantwortung nur für diese Aufgaben, nicht für alle unternehmensbezogenen Handlungen.688 Im Rahmen von § 13 Abs. 1 StGB kann er nach dieser Sicht also höchstens zu Aufsicht und Kontrolle verpflichtet sein.689 Andere Stimmen lehnen eine Garantenstellung eines solchen Compliance Officer allerdings gänzlich ab, da eine Garantenstellung auf dieser Basis und im Rahmen einer privatrechtlichen Einigung nicht weiter reichen kann als die Weisungsbefugnisse des möglichen Garanten.690 Da dem Compliance Officer Weisungsbefugnisse in der nötigen Breite in aller Regel nicht zustehen und im Verhältnis zum Vorstand nicht zustehen können, ist eine Garantenpflicht, wie der 5. Strafsenat sie annahm, demnach sogar ausgeschlossen.691 685
Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 31. Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 31. Vgl. auch Dannecker, Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 987; Bürkle, Grenzen der strafrechtlichen Garantenstellung, CCZ 2010, S. 7. 687 Die Legalitätskontrollpflicht ist eine zentrale Aufgabe des Vorstands. § 76 AktG. Vgl. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 12. s. auch Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 31. 688 Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 32. s. z. B. auch Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 985 & 990 ff.; Bürkle, Grenzen der strafrechtlichen Garantenstellung, CCZ 2010, S. 7; Rönnau/Schneider, Compliance-Beauftragter als strafrechtlicher Garant, ZIP 2010, S. 57. s. auch Stree/Bosch, § 13 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 11. Vgl. auch Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 172 (eine Garantenpflicht letztendlich vollends ablehnend). 689 s. auch Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 33; Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 987. Unter diesem Gesichtspunkt lehnen Kraft und Winkler auch die Strafbarkeit gemäß § 14 Abs. 2 StGB für den Compliance Officer ab. Vgl. auch Kraft/Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 31 f. 690 Rieder, Vom juristischen Gewissen zum Straftäter?, in Festschrift Goette (2011), S. 422; Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 172 ff. Aber s. auch Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 990. 691 Diese Stimmen sehen die Garantenstellung als legitimiert, wenn sie Compliance-Beauftragte für bestimmte Bereiche eines Unternehmens betrifft, die der Gesetzgeber spezifisch gesetzlich für einen bestimmten Bereich zum Schutz Dritter vorgesehen hat. s. z. B. Dannecker/ Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 985; Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 173. 686
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Das Gesellschaftsrecht stattet hingegen den Vorstand mit der Pflicht, aber auch allen nötigen Kompetenzen aus, um die Legalitätswahrung durchzusetzen.692 Auch rechtswidrigem Verhalten eines Vorstandsmitglieds können die übrigen Organmitglieder begegnen, im Zweifel mit Hilfe des Aufsichtsrats.693 Doch selbst mit Blick auf den Vorstand ist die strafbewährte Pflicht für die Erfolgsabwendung der Straftaten Anderer umstritten und keineswegs fest etabliert.694 Selbstverständlich kann der Vorstand den Compliance Officer zumindest für niedere Ebenen der Unternehmenshierarchie auch mit der Durchsetzung der Legalität betrauen. Die strafrechtliche Verantwortung und damit auch die Inzentivierung für diese Durchsetzung muss aber beim Vorstand verbleiben – der Compliance Officer kann nicht als „Schmutzfänger“ fungieren, der ohne die nötigen gesetzlichen Befugnisse lediglich auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages enorme gesellschafts- und strafrechtliche Risiken auf sich nimmt.695 Misslingt dem Compliance Officer die Durchführung seiner Aufgabe, so können lediglich arbeits- und ggf. zivilrechtliche Konsequenzen gezogen werden, wie grundsätzlich bei jedem anderen Mitarbeiter.696 Die zweifelhafte Annahme einer Erfolgsabwendungspflicht leistete daher einen wesentlichen Beitrag zu der Fülle an Kritik, die das Urteil des Senats erfuhr.697 Eine Verfestigung der Rechtsprechung ist vielleicht auch daher bisher nicht festzustellen. In einem prominenten zivilrechtlichen Urteil entfernte sich das Landgericht München I mit seiner Entscheidung im Fall Siemens/Neubürger von den Dicta des 692
§ 76 AktG. Vgl. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 12; Rieder, Vom juristischen Gewissen zum Straftäter?, in Festschrift Goette (2011). 693 § 112 AktG. 694 Lutter, Zur persönlichen Haftung, ZHR 1993, S. 478; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 19; Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 990; Martin Wolf, Der Compliance-Officer – Garant, hoheitlich Beauftragter oder Berater im Unternehmensinteresse zwischen Zivil-, Straf- und Aufsichtsrecht?, Der Betriebs-Berater 2011, 1353; S. 1359. Vgl. auch supra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). 695 Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 173. Dennoch kann der Vorstand sein persönliches Risiko durch Delegieren der Aufgaben an sorgfältig ausgewählte, qualifizierte Mitarbeiter doch etwas mindern. s. z. B. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 12. 696 Vgl. Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 173; Nave/Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2547. Ausgenommen ist hier selbstverständlich anderweitig strafrechtlich relevantes Verhalten, insbesondere die vorsätzliche Begünstigung der Straftaten Dritter durch Unterlassen. 697 Vgl. z. B. Uwe Hüffer, Compliance im Innen- und Außenrecht der Unternehmen, in: Holger Altmeppen (Hrsg.), Festschrift für Günther H. Roth zum 70. Geburtstag (2011), S. 305 f.; Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 174; Wolf, Garant, hoheitlich Beauftragter oder Berater, BB 2011, S. 1358 ff.; Nave/Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2547 ff.; Rübenstahl, Zur „regelmäßigen“ Garantenstellung, NZG 2009, S. 1342; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 19. Aber dem Urteil zustimmend, s. z. B. Ransiek, Strafrechtliche Verantwortung des Compliance Officers, AG 2010. Vgl. auch Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010 (stark differenzierend, dem Urteil nur im Hinblick auf die spezifische Situation im vorliegenden Fall zustimmend).
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5. Strafsenats. Die Kammer stellte fest, dass die letztendliche Verantwortung auch für die Funktionalität und Eignung des Compliance-Systems in den zentralen Aufgabenbereich des Vorstands fiele – eine Delegation an einen Mitarbeiter außerhalb des Vorstands stellt in den Augen des Gerichts sogar eine Pflichtverletzung dar.698 Folgt der BGH dieser Sicht in späteren Entscheidungen, so ist die grundsätzliche strafrechtliche Verantwortung eines Compliance Officer für die Ausübung von Pflichten, die ihm gesellschaftsrechtlich nicht übertragen werden dürfen, kaum denkbar.699 4. Spezifische Normen der Produktverantwortlichkeit Neben den genannten zivil-, bußgeld- und strafrechtlichen Grundsätzen, die zur Haftung und Sanktionierung von Organen für Rechtsverletzungen des Unternehmens gegenüber Dritten führen können, bestehen in zahlreichen Spezialgesetzen Normen, die auch natürliche Personen beispielsweise für die Sicherheit der jeweiligen Produkte im weiteren Sinne verantwortlich machen. Hier besteht in vielen Fällen zunächst eine Vergleichbarkeit mit der Responsible Corporate Officer Doctrine, die aber näherer Betrachtung unter Corporate Governance Gesichtspunkten nicht standhält. Zu diesen Gesetzen gehören das Arzneimittelgesetz (AMG), das Medizinproduktegesetz (MPG), das Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) und das Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), die hier beispielhaft aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe zum FDCA und der Responsible Corporate Officer Doctrine kurz betrachtet werden. Keines dieser Spezialgesetze hat aber die dogmatische oder praktische Bedeutung für die Corporate Governance Haftung, die der Responsible Corporate Officer Doctrine zukommt. In jedem Fall besteht aber für die Organe einer Gesellschaft neben den einschlägigen zivil-, bußgeld- und strafrechtlichen Grundsätzen ein hohes Risiko insbesondere im Rahmen von § 14 StGB für die Verletzung der spezialgesetzlichen Strafvorschriften durch das Unternehmen belangt zu werden.700 a) Arzneimittelgesetz Das AMG enthält beispielsweise entsprechend der Richtlinie 2001/83/EG die Vorgabe, dass jedes Arzneimittel herstellende Unternehmen eine sogenannte „sachkundige Person“ beschäftigen muss, die über bestimmte, gesetzlich definierte 698
LG München I, NZG 2014, 345 (Siemens/Neubürger, 2013), S. 348. Vgl. z. B. Wolf, Garant, hoheitlich Beauftragter oder Berater, BB 2011, S. 1360; Dannecker/Dannecker, „Verteilung“ der strafrechtlichen Geschäftsherrenhaftung, JZ 2010, S. 984. Dies schließt die Strafbarkeit in Situationen, in denen sie beispielsweise durch Ingerenz begründet ist, selbstverständlich nicht aus, wobei Fragen der Kausalität und der Zumutbarkeit der Erfolgsabwendung bestehen bleiben. s. z. B. Geiger, Nemo ultra posse obligatur, CCZ 2011, S. 173. 700 s. supra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). 699
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Kenntnisse und Erfahrungen verfügt.701 Diese sachkundige Person ist gemäß § 19 AMG explizit dafür verantwortlich, dass die Herstellung und Prüfung jeder einzelnen Charge den relevanten arzneimittelrechtlichen Vorschriften entspricht, und muss diese Übereinstimmung für jede einzelne Charge schriftlich bescheinigen, bevor sie in Verkehr gebracht werden kann.702 Für gefährliche arzneimittelrechtliche Verstöße, für die in den USA das herstellende Unternehmen und ein Responsible Corporate Officer strafrechtlich verantwortlich gemacht werden könnten, besteht damit in Deutschland ein spezifischer Garant, der das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die nicht dem geltenden Recht entsprechen, verhindern soll.703 Ein Rechtsverstoß der sachkundigen Person besteht in Deutschland aber nicht in dem eigentlichen arzneimittelrechtlichen Verstoß, wie dies im Zusammenhang mit dem FDCA und der Responsible Corporate Officer Doctrine der Fall ist, sondern in der falschen Bescheinigung der betroffenen Charge.704 Dogmatisch entspricht die Präventionsstrategie daher eher der kapitalmarktrechtlichen Zertifizierung gemäß SOX Sections 302 und 906,705 wobei die sachkundige Person spezialgesetzlich lediglich die Bußgeldvorschriften der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) treffen.706 Eine strafrechtliche Ahndung des Verstoßes kann beispielsweise bei Tod oder Körperverletzung als Folge des Verstoßes zwar geboten sein, doch kann sie nur auf Basis strafrechtlicher Grundsätze insbesondere im Hinblick auf Schuldhaftigkeit und Kausalität erfolgen.707 Auch eine zivilrechtliche Haftung auf Basis von § 19 AMG ist in vielen Fällen, beispielsweise dem Patienten gegenüber, ausgeschlossen, da der Patient nicht Adressat des Schutzzweckes der Norm ist.708 Im Bezug auf die Corporate Governance ist zu beachten, dass es sich bei der sachkundigen Person aller Wahrscheinlichkeit nicht um ein Vorstandsmitglied handeln wird – das Gesetz belegt hier also einen spezifischen einzelnen Mitarbeiter mit einer hohen persönlichen Produktverantwortung, die er im Rahmen der üblichen
701
§§ 14 Nr. 1 & 15 AMG. Vgl. auch J. Wilfried Kügel, § 14 AMG – Entscheidung über die Herstellungserlaubnis, in: J. Wilfried Kügel/Rolf-Georg Müller/Hans-Peter Hofmann (Hrsg.), Kommentar Arzneimittelgesetz, 2. Auflage (2016), Rn. 7 ff. Angesichts der Beschreibung und Anforderungen handelt es sich unmissverständlich um eine natürliche Person. 702 Vgl. z. B. Kügel, § 14 AMG, Komm. AMG (Kügel/Müller/Hofmann) (2016). 703 s. z. B. Kügel, § 14 AMG, Komm. AMG (Kügel/Müller/Hofmann) (2016), Rn. 3 (betont die zentrale Rolle und „Endverantwortung“, die die sachkundige Person „für die gesamte Herstellung und Qualitätskontrolle“ der Arzneimittel trägt, wobei die Aufgaben delegiert werden können.) 704 Kügel, § 14 AMG, Komm. AMG (Kügel/Müller/Hofmann) (2016), Rn. 7. 705 s. supra, Zertifizierung von Geschäftsberichten (SOX Section 302) (S. 85) und Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 706 § 42 AMWHV. Vgl. auch Kügel, § 14 AMG, Komm. AMG (Kügel/Müller/Hofmann) (2016), Rn. 11. 707 Vgl. Kügel, § 14 AMG, Komm. AMG (Kügel/Müller/Hofmann) (2016), Rn. 33 f. 708 Kügel, § 14 AMG, Komm. AMG (Kügel/Müller/Hofmann) (2016), Rn. 11.
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Corporate Governance Strukturen nicht hätte.709 Ähnliches gilt für andere im AMG benannte Personen, wie beispielsweise den Leiter der klinischen Prüfung.710 Für den sogenannten „Stufenplanbeauftragten“ des § 63a AMG gelten die folgenden Ausführungen für den „Bevollmächtigten“ des MPG. b) Medizinproduktegesetz § 5 MPG macht für das erstmalige Inverkehrbringen den Hersteller eines Medizinprodukts oder seinen Bevollmächtigen verantwortlich711 – hierbei kann es sich um eine natürliche Person handeln, die der Hersteller spezifisch bevollmächtigt hat, im Rahmen des MPG, vor allem auch gegenüber den zuständigen Behörden in seinem Namen zu handeln.712 Insbesondere im Zusammenhang mit den großen, hier relevanten Unternehmen handelt es sich aber bei dem Bevollmächtigten, der im Europäischen Wirtschaftsraum niedergelassen sein muss713 und im Schrifttum auch als „EU-Bevollmächtigter“ bekannt ist,714 weniger um natürliche Personen als um innerhalb der EU ansässige Gesellschaften, die als Vertreter von außer-europäischen Herstellern zahlreiche derer Rechte und Pflichten innerhalb der EU übernehmen, wie durch die europäische Medizinprodukterichtlinie vorgesehen.715 Es geht dabei also um die Durchsetzungsfähigkeit inner-europäischen Rechts, nicht um persönliche Haftung als Corporate Governance Mechanismus. Ein direktes Äquivalent zu einem Responsible Corporate Officer ist auch im MPG nicht enthalten. c) Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Das LFGB enthält hingegen die dem Responsible Corporate Officer auf den ersten Blick sehr ähnelnde Figur der Lebensmittelunternehmerin bzw. des Lebensmittelunternehmers.716 Beruhend auf dem „Lebensmittelunternehmer“ der Verordnung 709
s. supra, Strafrechtliche Sanktionierung des Compliance Officer (S. 397). § 4 Nr. 25 AMG. 711 Bei Inverkehrbringen innerhalb der EU ohne Verantwortung des Bevollmächtigten ist der Einführer verantwortlich. § 5 S. 2 MPG. 712 § 3 Nr. 16 MPG. 713 § 3 Nr. 16 MPG. 714 s. z. B. Mathias Klümper/Pascal Hofer, Der EU-Bevollmächtigte – das unbekannte Wesen?, Medizinprodukte Journal 2010, 86. Da das Gesetz vom Europäischen Wirtschaftsraum spricht, kommen auch die ihm angehörenden nicht-EU Länder in Frage (aktuell Island, Liechtenstein und Norwegen). Vgl. Thomas Klindt/Carsten Schucht, § 2 ProdSG – Begriffsbestimmungen, in: Thomas Klindt (Hrsg.), Kommentar zum Produktsicherheitsgesetz, 2. Auflage (2015), Rn. 65. 715 Art. 2 j) Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. L 169 S. 1), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2007/47/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 (Abl. L 247 S. 21). 716 § 3 Nr. 7 LFGB. 710
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(EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 (auch Lebensmittel-Basisverordnung, BasisVO 178/2002)717 ist der Lebensmittelunternehmer eine natürliche oder juristische Person, die für die Einhaltung des Lebensmittelrechts in dem „ihrer Kontrolle unterstehenden Lebensmittelunternehmen“ verantwortlich ist.718 Die Lebensmittel-Basisverordnung selbst macht den Lebensmittelunternehmer ganz allgemein und auf allen Stufen für die Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittelrechts durch das Lebensmittelunternehmen verantwortlich.719 Andere Verordnungen und das LFGB übertragen dem Lebensmittelunternehmer darüber hinaus die spezifische Verantwortung für bestimmte Aufgaben, beispielsweise zur Umsetzung von Hygieneanforderungen720 und zur Information von Behörden und Verbrauchern.721 Handelte es sich beim Lebensmittelunternehmer also zwingend um eine natürliche Person, so wäre diese einem Responsible Corporate Officer sehr vergleichbar, insbesondere insofern sich aus ihrer Verantwortung auch strafrechtliche Konsequenzen ergäben,722 die dann direkt die natürliche Person treffen würden. Im Zusammenhang mit einer Aktiengesellschaft könnte es sich beim Lebensmittelunternehmer angesichts der von ihm auszuübenden Kontrolle über das Unternehmen nur um den Vorstand handeln.723 Einige Stimmen des lebensmittelrechtlichen Schrifttums sehen diese Begriffsinterpretation als zutreffend an. Wer „verantwortlich“ ist, so die Argumentation eines der einschlägigen Kommentare, müsse auch straf- und bußgeldrechtlich verantwortlich sein können.724 Da dies bei einer juristischen Person nicht möglich sei, müsse sich der Begriff „Lebensmittelunternehmer“ auf die Organe juristischer Personen beziehen.725 Andere Beiträge schließen sich mit ähnlicher Argumentation an.726 717
Art. 3 Nr. 2 BasisVO 178/2002. Art. 3 Nr. 2 BasisVO 178/2002. Entsprechendes gilt durchweg für die Futtermittelunternehmerin bzw. den Futtermittelunternehmer gem. § 3 Nr. 11 LFGB, die auf dem Futtermittelunternehmer gem. Art. 3 Nr. 6 BasisVO 178/2002 beruhen. 719 Art. 17 BasisVO 178/2002. 720 Verordnungen (EG) Nr. 852/2004 & 853/2004. Vgl. auch z. B. Martin Müller/Rochus Wallau/Markus Grube, Taschenbuch der Lebensmittelkontrolle (2015), S. 15. 721 s. z. B. § 11 LFGB; Art. 8 InformationsVO 1169/2011; § 39 Abs. 2 Nr. 8 LFGB; § 44 Abs, 3 LFGB. 722 S. §§ 58 & 59 LFGB. 723 Kurt-Dietrich Rathke, EG-Lebensmittel Basisverordnung Art. 3, in: Walter Zipfel/KurtDietrich Rathke/Olaf Sosnitza (Hrsg.), Kommentar zum Lebensmittelrecht, 162. Ergänzungslieferung (2015), Rn. 21. 724 Rathke, BasisVO Art. 3, Komm. Lebensmittelrecht (2015), Rn. 18. 725 Rathke, BasisVO Art. 3, Komm. Lebensmittelrecht (2015), Rn. 18. 726 s. z. B. Fabian Baumann, § 40a LMBG – Die neue Unterrichtungspflicht für Lebensmittelunternehmer, Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht 2003, 27, S. 30; Dieter Rohnfelder/Christoph Freytag, § 3 LFGB – Weitere Begriffsbestimmungen, in: Georg Erbs/ Max Kohlhaas/Peter Häberle (Hrsg.), Strafrechtliche Nebengesetze, 207. Auflage (2016), 718
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Diese Interpretation verfängt allerdings nicht, insbesondere im aktienrechtlichen Zusammenhang. Der Begriff „Lebensmittelunternehmer“ muss sich vielmehr auf die Gesellschaft als Inhaberin des Unternehmens beziehen. Es besteht keine Notwendigkeit, das Wort „verantwortlich“ zwingend als „persönlich strafrechtlich und bußgeldrechtlich verantwortlich“ auszulegen. Noch weniger aber ist es nötig, an einer so vermeintlich entstandenen Dissonanz die unmissverständlichen Worte („juristischen Personen“) des Gesetzgebers scheitern zu lassen. Die falsche Annahme vernachlässigend, dass juristische Personen bußgeldrechtlich nicht belangt werden könnten,727 existiert, wie bereits erwähnt, mit § 14 StGB auch im Strafrecht ein Mechanismus, der eben diese vermeintliche strafrechtliche Lücke schließt.728 Darüber hinaus kommt im Corporate Governance Zusammenhang auch die Sanktionierung eines Unterlassens gemäß § 13 StGB in Frage, wenn die Organe eine Rechtsverletzung des Unternehmens schuldhaft nicht verhindern.729 Auch § 130 i.V.m. § 9 OWiG kann zur Ahndung von Aufsichtspflichtverletzungen von Organen herangezogen werden, wenn diese zu einer unternehmensbezogenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit führen.730 Beim Lebensmittelunternehmer gemäß BasisVO 178/ 2002 Art. 3 Nr. 2 kann es sich also auch, wie im Verordnungstext vorgesehen, um die Gesellschaft als Unternehmensinhaberin handeln, ohne das volle Spektrum vorgesehener Sanktionsmöglichkeiten einzubüßen. Diese Lesart entspricht nicht nur dem Gebrauch ähnlicher Begriffe wie „Unternehmensinhaber“ in anderen Rechtsbereichen,731 sondern auch dem des Begriffs „Lebensmittelunternehmer“ in der späteren Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 (auch LebensmittelInformationsverordnung, InformationsVO 1169/2011). Hier werden beispielsweise bestimmte Informationspflichten dem Lebensmittelunternehmer auferlegt, „unter dessen Namen oder Firma das Lebensmittel vermarktet wird.“732 Da der Begriff und Rn. 18. Aber s. auch Kurt-Dietrich Rathke, EG-Lebensmittel Basisverordnung Art. 17, in: Walter Zipfel/Kurt-Dietrich Rathke/Olaf Sosnitza (Hrsg.), Kommentar zum Lebensmittelrecht, 150. Ergänzungslieferung (2012), Rn. 7 (Trennung von objektiver und subjektiver Verantwortlichkeit); Thomas Boch, § 3 LFGB – Weitere Begriffsbestimmungen, in: Thomas Boch (Hrsg.), Kommentar zum Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch, 5. Auflage (2015), Rn. 11 (Verantwortlichkeit als Zuständigkeit für Kontrolle); Markus Grube, Art. 7 LMIV, in: Wolfgang Voit/Markus Grube (Hrsg.), Kommentar zur Lebensmittelinformationsverordnung, 2. Auflage (2016), Rn. 319a. 727 Rathke, BasisVO Art. 3, Komm. Lebensmittelrecht (2015), Rn. 18. 728 s. supra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). Vgl. auch Dannecker, Selbstbelastungsfreiheit, in Festschrift Welsch (2010), S. 181. 729 s. supra, Sanktionierung gemäß § 13 StGB (S. 393). 730 s. supra, Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten (S. 385). Vgl. auch Dannecker, Selbstbelastungsfreiheit, in Festschrift Welsch (2010), S. 181. 731 S. § 130 OWiG, s. supra, Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten (S. 385). 732 Art. 8 Abs. 1 InformationsVO 1169/2011. Vgl. auch Müller, Taschenbuch Lebensmittelkontrolle (2015), S. 127 ff.
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die Pflichten dabei explizit an die BasisVO 178/2002 gebunden sind,733 bestätigt diese Definition die gesellschaftsrechtliche Auslegung, dass es sich beim verantwortlichen Lebensmittelunternehmer nur um die Gesellschaft handeln kann, nicht um ihre Organe. Eine in der Rechtsprechung zu findende Interpretation des „Lebensmittelunternehmers“, die dem „Betriebsinhaber“ gleicht und beispielsweise die Leiter einzelner Verarbeitungsstätten für Lebensmittelrechtsverstöße innerhalb dieser Einheiten persönlich verantwortlich macht,734 setzt eine Gleichstellung des Begriffes „Lebensmittelunternehmen“ mit Teil- oder Einzelbetrieben des Gesamtunternehmens voraus. Dies ist durchaus vertretbar und entspricht geltenden Grundsätzen in anderen Rechtsbereichen,735 doch besteht hier gerade keine Übereinstimmung mit der Responsible Corporate Officer Doctrine, deren Besonderheit gerade in der Sanktionierung der höchsten Gesellschaftsebene liegt, selbst, wenn kein direkter, persönlicher Bezug zum Rechtsverstoß gegeben ist.736 Eine ganz direkte strafrechtliche Verantwortung der Organe einer Aktiengesellschaft für Verstöße des Unternehmens gegen das Lebensmittelrecht, die mit der Responsible Corporate Officer Doctrine vergleichbar wäre, besteht also auch im LFGB nicht.737 d) Produktsicherheitsgesetz Wie auch das Arzneimittelgesetz verfügt das ProdSG mit der sogenannten „CEKennzeichnung“ über einen Zertifizierungsmechanismus. Anders als die gemäß § 19 AMG von einer sachkundigen Person zu bestätigenden Arzneimittelchargen handelt es sich bei der CE-Kennzeichnung aber um eine Erklärung des Herstellers, in den hier relevanten Fällen also nicht einer natürlichen Person, dass das jeweilige Produkt den Anforderungen geltenden Rechts entspricht.738 Trotz der expliziten Ermächtigung der europäischen Gesetzgebung, bei schweren Verstößen gegen die CE-Kennzeichnungspflichten auch strafrechtliche Konsequenzen vorzusehen, weist das deutsche ProdSG solche Konsequenzen nicht auf.739 Mit der CE-Zertifizierung wird
733
Art. 2 Abs. 1 a) InformationsVO 1169/2002. s. z. B. VG Frankfurt, Beschluss vom 24. Januar 2013, 5 L 4820/12.F, BeckRS 2013, 50133 (Marktleiter verantwortlich für schwere Hygienemängel innerhalb des Marktes). 735 s. supra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). 736 s. supra, Grundlegende Rechtsprechung (S. 313). 737 Vgl. auch Grube, Art. 7 LMIV, Komm. LMIV (2016), Rn. 319a. 738 § 2 Nr. 7 ProdSG; Art. 30 Verordnung (EG) Nr. 765/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli 2008 (VO (EG) Nr. 765/2008). 739 Thomas Klindt, § 40 ProdSG – Strafvorschriften, in: Thomas Klindt (Hrsg.), Kommentar zum Produktsicherheitsgesetz, 2. Auflage (2015), Rn. 1. 734
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also keine vorgelagerte, persönliche Straftat geschaffen, um Unternehmensverantwortliche zur besseren Überwachung zu inzentivieren.740 Auch das ProdSG verlangt von jedem Hersteller die Benennung eines Bevollmächtigten. Definition und Bedeutung sind dabei weitgehend deckungsgleich mit dem Bevollmächtigten des Medizinproduktegesetz, auch hier wird es sich in den meisten hier relevanten Fällen um eine juristische Person ohne Corporate Governance Bedeutung handeln.741 Organe von Aktiengesellschaften, deren Unternehmen Produkte im Rahmen des ProdSG herstellen, müssen persönliche Konsequenzen für Rechtsverstöße innerhalb der Unternehmen daher nur auf Basis allgemeiner zivil-, bußgeld- und strafrechtlicher Grundsätze fürchten, sowie als Vertreter gemäß § 14 StGB.742 Je nach Gefahr, die von den Produkten ausgeht, können diese Konsequenzen allerdings dennoch erheblich sein.743
5. Kritik an der deutschen Rechtslage Gemäß ihrer Natur führen §§ 13 und 14 StGB dazu, dass die mangelhafte Unternehmensführung ebenso hart bestraft wird744 wie der eigentliche Verstoß. Gleiches gilt für die zivilrechtliche Haftung gemäß § 823 BGB, nach der einem Organmitglied, das als Garant fungiert, sämtliche Schäden voll zugerechnet werden können. Ob und wie scharf ein Vorstandsmitglied persönlich sanktioniert werden kann bzw. haftet, ergibt sich also hauptsächlich aus der Natur und Schwere des zugrundeliegenden Verstoßes des handelnden Anderen, den das zu verurteilende Organmitglied nicht selbst begangen hat, und aus den tatsächlichen Konsequenzen des Verstoßes. Nur der subjektive Tatbestand des Organmitglieds kann die Sanktionierung bzw. Ansprüche in einigen Fällen abwenden. Neben zahlreichen anderen Fragen, die diese Systematik aufwirft, ist strittig, ob eine undifferenzierte Anwendung insbesondere des Strafrechts aufgrund der Organstellung tatsächlich der deutschen Rechtssystematik entspricht. Teile des Schrifttums sehen dies unter anderem kritisch, weil der Gesetzgeber explizit das Ordnungswidrigkeitenrecht zur Ahndung von Aufsichtsmängeln innerhalb der Unternehmen ausgewählt hat.745 Zwar betrifft § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB spezifisch 740
Vgl. supra, Arzneimittelgesetz (S. 404). § 2 Nr. 6 ProdSG; supra, Medizinproduktegesetz (S. 406). Vgl. z. B. Klindt/Schucht, § 2 ProdSG, Komm. ProdSG (2015), Rn. 63 ff. 742 s. supra, Sanktionierung gemäß § 14 StGB (S. 389). 743 Vgl. auch Klindt, § 40 ProdSG, Komm. ProdSG (2015), Rn. 6. 744 Die tatsächliche Sanktionierung durch das Gericht kann hier die individuellen Umstände besser reflektieren. 745 So z. B. Gregor Bachmann, Vorstand, in: Thomas Kremer/Gregor Bachmann/Marcus Lutter/Axel von Werder (Hrsg.), Kommentar Deutscher Corporate Governance Kodex, 6. Auflage (2016), Rn. 844. 741
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Organe von juristischen Personen, doch ist sein Anwendungsbereich, wie erwähnt, eng zugeschnitten und kommt bei Corporate Governance Verfehlungen eigentlich redlich handelnder nur unter sehr bestimmten Bedingungen, insbesondere bei fahrlässigen Sonderdelikten, zum Tragen. Die allgemeinen Grundsätze zu Garantenpflichten und § 13 StGB weisen hingegen keinerlei besondere Eignung oder Prädestination für den wirtschaftlichen oder gesellschaftsrechtlichen Zusammenhang auf.746 In der großen Fülle an Literatur und Rechtsprechung zu § 13 StGB und zu Garantenstellungen, spielen die hier relevanten redlich handelnden Organe von Aktiengesellschaften kaum eine Rolle. Auch in der Rechtsprechung findet man sie nur selten. Es ist sehr fraglich, ob die selben Normen, die die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Eltern für Kinder in Lebensgefahr, von Gastwirten für betrunkene Gäste oder auch von Geschäftsführern für flach strukturierte, kleine GmbHs regeln, de lege ferenda wirklich die bestmögliche Grundlage bieten, um Verantwortlichkeiten innerhalb komplexer Aktiengesellschaften mit hohen Industrierisiken zu regeln. Ähnliche Kritik gilt der deliktischen Außenhaftung. Während die Rechtslage eine parallele Haftung von Organmitgliedern und Gesellschaft zulässt, haften die Organe in der Praxis auch hier vor allem, wenn die Gesellschaft nicht mehr verfolgt werden kann, in diesem Fall aufgrund ihrer Insolvenz.747 Ob die Rechtsprechung beispielsweise im Fall Baustoff zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre, wenn neben dem beklagten Geschäftsführer auch eine prosperierende Gesellschaft als Schuldner zur Verfügung gestanden hätte, ist zumindest nicht ohne Zweifel anzunehmen. Nicht nur die intensive Kritik an der Rechtsprechung oder abweichende Regelungen zu öffentlichen Ämtern im Grundgesetz,748 sondern auch die Betonung der Garantenstellung „aus besonderen Gründen“ in der Entscheidung selber zeigen, dass die Annahme einer Garantenpflicht keinesfalls alternativlos gewesen wäre.749 Es ist fraglich, ob die direkte Durchgriffshaftung für Verletzungen, für die die Organe nur mittelbare Verantwortung aufgrund ihrer Rolle im Unternehmen tragen, deliktrechtlich gegeben, gesellschaftsrechtlich legitim und rechtspolitisch wünschenswert ist.750 746
Vgl. auch z. B. Lutter, Gefahren persönlicher Haftung, DB 1994, S. 132. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 114. 748 Vgl. Art 34 GG und Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 120, der einen entsprechenden grundsätzlichen Ausschluss für die Außenhaftung von Organen und Arbeitnehmern vorschlägt. 749 s. supra, Das Baustoff-Urteil des BGH (S. 375) und Neuere Rechtsprechung: Garantenstellung nur unter besonderen Umständen (S. 383). 750 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664 ff; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 444 ff.; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 323; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 120 (Ablehnung der herrschenden Lesart des § 31 BGB, die sowohl die Gesellschaft und das Organmitglied für Verstöße des Organs haften lässt.); Lutter, Gefahren persönlicher Haftung, DB 1994, S. 132 („Die Annahme, es bestehe eine Garantenstellung, wird nur behauptet, nicht aber begründet.“). 747
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
a) Voraussehbarkeit des Tatbestands oder seiner Folgen im Straf- und Deliktrecht Ein Ergebnis dieser Anwendung allgemeiner strafrechtlicher und deliktrechtlicher Prinzipien ist, dass der Straftatbestand, den sie durch ihr Handeln und Unterlassen erfüllen, für Organe ex ante nicht absehbar oder zu beeinflussen ist. Dies gilt um so mehr, als sie zunächst für alle unternehmensbezogenen Straftaten und Delikte verantwortlich sein können und ihr eigener Tatbeitrag lediglich in dem Unterlassen der nötigen Maßnahmen für eine gute Corporate Governance besteht. Gleichzeitig können die Konsequenzen und die ex-post Bewertung der Umstände des Verstoßes die objektive Pflichtwidrigkeit und die Natur des Tatbestandes im Nachhinein verändern.751 So kann die gleiche unsorgfältige Aufsicht straffrei bleiben, wenn dem Verbraucher aufgrund besonders günstiger Umstände kein Schaden entsteht, oder aber als Tötungsdelikt gewertet werden, wenn widrige äußere Umstände zu schwereren Folgen führen. Bei einem rational abwägenden Geschäftsleiter könnte dies zu einer Prioritätensetzung führen, die dem Ideal der Rechtsordnung nicht unbedingt entspricht, insbesondere, wenn die Verstöße, deren Verhinderung besonders wichtig ist, von der Unternehmensführung nicht als besonders wahrscheinlich oder als besonders folgenschwer eingeschätzt werden. b) Keine Differenzierung der Tatbestände im Straf- und Bußgeldrecht Grundsätzlich ist die Frage zu stellen, ob die Corporate Governance Verfehlungen der unzureichenden Aufsicht und Kontrolle auf gleiche Weise und in gleicher Härte bestraft werden sollten, wie die Rechtsverstöße, die sie ermöglichen. Der Gesetzgeber hat das Strafmaß der jeweiligen Anknüpfungsstraftatbestände, zu denen ein Organ auf diese Weise verurteilt werden kann, in aller Regel mit Blick auf Abschreckung potentieller Täter und Schuldausgleich erlassen. Sie entspringen nicht einer kohärenten gesetzlichen Systematik zur Inzentivierung wirksamer Unternehmensaufsicht. Es ist fraglich, ob eine Prioritätensetzung unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance die gleichen Bewertungen treffen würde.752 Die Anreize des Systems sind dabei im Moment höchst widersprüchlich. Wird ein Organmitglied gemäß § 13 oder § 14 StGB für eine Straftat verantwortlich gemacht, die auf den Handlungen eines Anderen beruht, so kann sich aus dem gleichen Verhalten ein vollkommen unterschiedlicher Strafrahmen ergeben, je nachdem, welchen Rechtsverstoß ein Mitarbeiter im Rahmen der unzureichenden Unternehmensorganisation begeht und welche Art Schaden einem Dritten hierdurch ent751
Vgl. z. B. BGH, NStZ 1990, 587 (Lederspray, 1990), Rn. 41. Hiermit verbunden ist auch die Frage, inwieweit nicht die rechtliche sondern die moralische Schuld des Organmitglieds, das einen Verstoß nicht verhindert, zu vergleichen ist mit der des Mitarbeiters, der ihn begeht. Eine eingehende gesellschaftspolitische Erörterung dieser Frage kann an dieser Stelle nicht erfolgen, wäre aber ein nötiges Element aller rechtspolitischen Debatte zur Neustrukturierung der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung. 752
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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standen ist. Die Handlungen oder Unterlassungen des Organmitglieds selbst haben keinen Einfluss darauf, und es ist für das Organmitglied vorher nicht absehbar, ob ihm gründlichere Aufsicht über einen bestimmten Geschäftsbereich nur eine geringe Geldstrafe oder eine mehrjährige Haftstrafe ersparen könnte.753 Bestehen im Strafrecht diffuse Anreize, so sind sie im Bußgeldrecht klar, aber fehlgeleitet. Denn eine umgekehrte Situation ergibt sich, wenn die mangelhafte Aufsicht des Organmitglieds für die unternehmensbezogene Straftat eines Anderen im Nachhinein nicht gemäß § 13 oder § 14 StGB sondern gemäß § 130 i.V.m. § 9 OWiG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden soll. Der maximale Bußgeldrahmen ist hier für alle ermöglichten Straftaten derselbe (E 1 Million für vorsätzliche Verletzungen der Aufsichtspflicht, E 500.000 bei Fahrlässigkeit).754 Erfüllt das Gesetz hier seinen Zweck und führt zur zielgerichteten Abschreckung eines rational handelnden Vorstands, so sollten sich die Compliance-Bemühungen also auf die Verhinderung der wahrscheinlichsten Verstöße konzentrieren, nicht die der schwersten. Insbesondere unwahrscheinliche Verstöße, deren Verhinderung sehr teuer wäre, könnten so vernachlässigt werden, selbst wenn sie für die Allgemeinheit im Ernstfall eine sehr viel größere Gefahr darstellen würden. Außerdem ist zu bezweifeln, dass ein unter Corporate Governance Gesichtspunkten erarbeitetes Sanktionierungsregime den gleichen Bußgeldrahmen für Aufsichtspflichtverletzungen vorsehen würde, egal ob sie Mitarbeitern das Verüben von einfachen Diebstählen755 oder von marktverzerrendem Kapitalmarktbetrug, schädlichen Umweltdelikten oder Körperverletzungen durch gemeingefährliche Produktfehler ermöglicht haben. Zwar ist abzusehen, dass sich das von einem Gericht tatsächlich verhängte Bußgeld auch an der Schwere des ermöglichten Rechtsverstoßes orientieren wird,756 eine für das Organ ex ante ersichtliche Abstufung besteht aber nicht. Nicht nur besteht also innerhalb der beiden Rechtsbereiche jeweils ein Sanktionsregime, das nicht besonders auf die Anforderungen der Corporate Governance eingestellt ist, sondern das Strafrecht und das Ordnungswidrigkeitenrecht senden den Organen darüber hinaus diametral entgegengesetzte Sanktionsbotschaften. Das Organmitglied unterlässt in beiden Szenarien dasselbe Handeln und kann nicht ex ante einschätzen, ob seine Verfehlungen als Straftat oder Ordnungswidrigkeit bewertet werden. Das inzentivierende Potential der Corporate Governance Sanktionierung geht damit verloren. Die für die Corporate Governance so wichtige verhaltensregelnde Wirkung wird sehr eingeschränkt, wenn weder der Straftatbestand, noch seine Konsequenzen, noch auch nur ansatzweise das Strafmaß vorhersehbar
753
Wenngleich eine Haftstrafe im Falle eines wirklich unbeteiligten Organmitglieds in der Praxis selten bleiben dürfte. 754 § 130 Abs. 3 S. 1 OWiG i. V. m. § 9 OWiG. Vgl. auch supra, Bußgeldrechtliche Sanktionierung auf Basis verletzter Aufsichtspflichten (S. 385). 755 Vgl. z. B. Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 106. 756 Vgl. z. B. Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 122.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
sind, aus dem sowohl die persönlichen Folgen als auch die Wichtigkeit des Verstoßes für die Rechtsordnung zu ersehen sind. Das amerikanische System kommt hier im Rahmen der Responsible Corporate Officer Doctrine und vorgelagerten Straftatbeständen wie der Zertifizierung unter SOX Section 906 zu einer anderen Lösung und schafft eine klare Trennung zwischen Verstößen, die durch Verfolgung der tatsächlich Handelnden und des Unternehmens bestraft und ausgeglichen werden können, und solchen, die zielgerichtet und wirksam durch die Entscheidungsträger verhindert werden müssen. Section 301 des FDCA und die von der Responsible Corporate Officer Doctrine betroffenen Umweltnormen betreffen explizite, spezifische Vorgänge innerhalb des Unternehmens und Zuwiderhandlungen haben ein klares Strafmaß, unabhängig davon, ob sie schädliche Folgen gehabt haben.757 Die Zertifizierung unter SOX § 906 hingegen änderte kaum die ex post Strafbarkeit von CEOs und CFOs für falsche Geschäftsberichte, doch hatte sie einen großen Effekt auf das Bewusstsein der Betroffenen und half, Verbesserungen in der Bilanzpraxis herbeizuführen.758 In beiden Fällen sendet das Recht den Unternehmensverantwortlichen eine klare Arbeitsanweisung, versehen mit einer klaren Drohung, die jeweils eine besonders schädliche potentielle unternehmensbezogene Straftat verhindern soll.759
757 s. supra, Die Responsible Corporate Officer Doctrine in der Rechtsprechung (FDCA) (S. 312), Die Responsible Corporate Officer Doctrine kodifiziert (Umweltrecht) (S. 321) und Einsatz der Responsible Corporate Officer Doctrine (S. 340). 758 s. supra, Zertifizierung finanzieller Angaben in Geschäftsberichten (SOX Section 906) (S. 347). 759 Auch das deutsche Recht erkannte einst die besondere Rolle der Arzneimittelindustrie an. Bereits die erste Fassung des Arzneimittelgesetzes aus dem Jahr 1961 enthielt eine Norm, die die strafrechtliche (sowie die bußgeldrechtliche) Verantwortung von Organen und Vertretern regelte, die für eine juristische Person handeln. § 48 AMG a.F. (1961). Die Strafbarkeitslücke bei Unternehmensdelikten, die dadurch gefüllt werden sollte, wurde insbesondere vor dem Hintergrund des kurz darauf publik werdenden Contergan-Skandals besonders deutlich. So forderte beispielsweise der Richter und Rechtskritiker Helmut Ostermeyer im Jahr 1971 eine klare strafrechtliche Verantwortlichkeit von Entscheidungsträgern, da seines Erachtens sonst keine sinnvolle Ahndung und Prävention möglich ist: „Massenvergiftung durch ein Industrieunternehmen ist nicht die Tat eines Einzelnen oder mehrerer Einzelner, sondern die Tat des Unternehmens. Die Aufgabe des Strafrechts in der industriellen Gesellschaft muss es sein, diese Kollektivschuld dogmatisch fassbar und unter Wahrung der Rechtsstaatlichkeit ahndbar zu machen.“ Helmut Ostermeyer, Kollektivschuld im Strafrecht, Zeitschrift für Rechtspolitik 1971, 75, S. 76. Doch diese Vertreterhaftung wurde in fast identischer Form im Jahr 1968 als § 50a, der Vorgängernorm zu § 14, in das Strafgesetzbuch aufgenommen und erhielt damit allgemeine Geltung. Verloren gingen damit die besonderen Regelungen zur Arzneimittelherstellung und -verteilung sowie die mögliche Notwendigkeit industriespezifischer Regelungen. Hans-Jürgen Bruns, Ungeklärte materiell-rechtliche Fragen des Contergan-Prozesses, in: Hans Lüttger/ Hermann Blei/Peter Hanau (Hrsg.), Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag am 1. Januar 1972 (1972), S. 327. In der aktuellen Literatur zu § 14 StGB spielt das Arzneimittelrecht heute höchstens eine sehr untergeordnete Rolle.
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c) Abwägung von allgemeiner Strafbarkeit und der Verfolgung nur von bestimmten, besonderen Gefahren Selbstverständlich sollen keinerlei Rechtsverstöße erlaubt sein oder auch nur geduldet wirken, insbesondere, wenn sie schwere Konsequenzen für Verbraucher oder andere Dritte haben. Doch ist zu hinterfragen, ob die Strafverfolgung einer Person, die an dem Verstoß nicht persönlich beteiligt war und ihn auch nicht wissentlich geduldet hat, einem legitimen Zweck des Strafrechts entspricht, wenn die Verbindung zwischen dem eigenen Handeln bzw. Unterlassen und den persönlichen Konsequenzen beliebig erscheint. Ohne Vorhersehbarkeit kann die Bestrafung für Andere kaum mit dem jeweils eigenen Handeln in Zusammenhang gebracht werden und dadurch kaum abschreckend wirken. Das amerikanische Recht beschränkt sich daher auf einige wenige Straftatbestände, die klar definiert und ergebnisunabhängig allein auf Basis der von ihnen ausgehenden Gefahr gelten – ob Personen sterben, verletzt werden oder aber überhaupt keine Schadensfälle bekannt werden, wie in den Fällen Dotterweich und Park,760 ist für den vom Responsible Corporate Officer erfüllten Straftatbestand unerheblich. Auch wenn die Schwere des Schadens auch im Rahmen der Responsible Corporate Officer Doctrine das Strafmaß beeinflussen kann und sollte, besteht hier für den verurteilenden Richter ein enger Rahmen.761 Diese Geradlinigkeit erleichtert nicht nur den Behörden die Strafverfolgung, sondern erlaubt auch den Organen anderer Unternehmen das Ziehen klarer Konsequenzen im eigenen Unternehmen. Die Anzahl von Toten und Verletzten, die schließlich von vielen anderen Faktoren ebenfalls beeinflusst wird, wird aus rein strafrechtlicher Perspektive irrelevant, die Sauberkeit der Lebensmittel und die korrekte Etikettierung von Arzneimitteln wird zum eigenen Zweck. Somit kann es zur wirksamen Generalprävention kommen. Der Preis für diese Konzentration auf bestimmte Straftaten ist, dass Directors und Officers für zahlreiche andere Straftaten, die aus dem Unternehmen heraus begangen werden, an denen sie aber nicht persönlich beteiligt waren, nicht strafrechtlich verantwortlich gemacht werden. Ohne ein Verbandsstrafrecht und Collective Knowledge Doctrine kann es dabei geschehen, dass Straftatbestände aus einem Unternehmen heraus objektiv erfüllt werden, ohne dass irgendeine natürliche Person dafür bestraft wird, beispielsweise, da jede Einzelperson nur einen Teilbeitrag zum objektiven Tatbestand geleistet hat, oder niemand den subjektiven Tatbestand erfüllt. Ohne ein Unternehmensstrafrecht sind so Situationen denkbar, in denen dem Rechtsfrieden nicht Genüge getan wird, da es keinen Adressaten für die strafrechtlichen Konsequenzen gibt.
760 Zumindest wären mögliche Schadensfälle hier nicht ausschlaggebend für die Entscheidung gewesen. 761 Für Verstöße, die mit den Fällen Dotterweich und Park vergleichbar wären, können Angeklagte beispielsweise zu einer Strafzahlung von höchstens $ 1.000 und einem Jahr Haft verurteilt werden. 21 U.S.C. § 333(a)(1).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Doch die Verfolgung von Organmitgliedern in diesen Situationen droht, das Strafrecht zu trivialisieren, und zwingt Staatsanwälte, aufgrund begrenzter Ressourcen Abwägungen vorzunehmen, die die Rechtsunsicherheit erhöhen und den Respekt vor dem Strafrecht mindern. Selbst wenn es den Strafverfolgungsbehörden logistisch möglich wäre, jede unternehmensbezogene Straftat zu untersuchen, um festzustellen, ob Organmitglieder strafverfolgt werden können bzw. müssen, so ist abzusehen, dass es zwangsläufig im erhöhten Maße zu außergerichtlichen Verständigungen käme, die den Effekt des Schuldausgleichs und der Normverstärkung, die eine Verurteilung haben könnte, in den Augen der Öffentlichkeit stark schwächen würde. Darüber hinaus ist zu hinterfragen, ob die stetige Verfolgung von Organmitgliedern für alle möglichen unternehmensbezogenen Straftaten auch den Rechtsfrieden beeinträchtigen würde. Solange der Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung der juristischen Person verwehrt bleibt, ist die undifferenzierte Verfolgung von Organmitgliedern für jede unternehmensbezogene Straftat weder im Sinne der Corporate Governance noch im Sinne des Rechtsstaats die vorzuziehende Lösung. Sinnvoller in Fällen reiner Corporate Governance Verfehlungen ist das Ausschöpfen des vollen Spektrums des Ordungswidrigkeiten- und Verwaltungsrechts gegen das Unternehmen, nicht nur in Form von Bußgeldern, sondern auch durch verstärkte Überwachungs- und Meldepflichten, sowie ggf. die Entziehung von Genehmigungen und erhöhter behördlicher Aufmerksamkeit gegenüber den Produkten des Unternehmens. Soweit dies nicht bereits möglich ist,762 könnte de lege ferenda auch eine Ausweitung des behördlichen Kompetenzrahmens in Erwägung gezogen werden, wie zum Beispiel die Möglichkeit, Organmitglieder von Organfunktionen in der jeweiligen Industrie auszuschließen, wenn die Verstöße auf ausreichend schwere Organisationsfehler zurückzuführen sind. Auch dabei handelt es sich um schwere Strafen, jedoch besteht ein nachvollziehbarerer Zusammenhang mit der Verfehlung, die dem Organmitglied persönlich vorgeworfen wird. d) Ausdehnung auf untere Unternehmensebenen insbesondere im Strafrecht Auch der potentielle Täterkreis ist in Deutschland nicht klar definiert. Die Responsible Corporate Officer Doctrine betrifft nach aktueller Rechtsprechung nur den jeweils höchsten Entscheidungsträger, in dessen Berichtskette der Verstoß aufgetreten ist,763 während in Deutschland auch Angestellte, beispielsweise Bereichs- oder Niederlassungsleiter, für unternehmensbezogene Verstöße verantwortlich gemacht
762
s. supra, Die SEC im Vergleich zur Wertpapieraufsicht der BaFin (S. 276). s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). Auf höchster Ebene können dann auch mehrere Personen betroffen sein, beispielsweise der Chief Legal Officer und der Chief Executive Officer, obwohl eine Berichtslinie vom einen zum anderen existieren kann. 763
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werden können.764 Eine solche Delegation des Ahndungsrisikos765 kann in der Erwartung sinnvoll sein, dass damit Rechtsverstößen auch auf niedrigeren Unternehmensebenen vorgebeugt wird. Wie bereits insbesondere im Zusammenhang mit dem Compliance Officer erwähnt, kann es hier aber auch zu Konflikten kommen, wenn sich strafrechtliche und gesellschaftsrechtliche Verantwortlichkeit nicht decken.766 Da die nachträglichen Einschätzungen von Staatsanwälten und Gerichten nicht sicher vorhergesagt werden können, mag ein Bereichsleiter außerdem unwillig sein, angesichts seines eigenen persönlichen Risikos, den Anweisungen der Unternehmensführung zu folgen, für die sich auch ein persönliches Risiko realisieren kann. Da sich, wie bereits dargelegt, das tatsächliche Risiko in Deutschland erst im Nachhinein offenbart und daher von keiner der beiden Seiten klar eingeschätzt werden kann, kann es hier zu einer wenig hilfreichen Verzerrung der Berichtslinien kommen. Zudem lassen sich die Haftungsrisiken von angestellten Nicht-Organmitgliedern möglicherweise durch Arbeitsverträge steuern, indem beispielsweise die Verantwortung für bestimmte Bereiche nicht gänzlich übertragen wird. Eine der wesentlichen Lehren, die der praxisnahe Teil des Schrifttums aus dem Obiter Dictum des 5. Strafsenats zum Compliance Officer gezogen hat, ist, dass Compliance Officers auf die Wortwahl in ihren Arbeitsverträgen und den schriftlichen Grundlagen ihrer Arbeit achten sollten, um eine Garantenstellung möglichst zu vermeiden.767 Wie bereits dargelegt, ist die strafbewehrte Garantenstellung des Compliance Officers gesellschaftsrechtlich ohnehin äußerst zweifelhaft. Doch es zeigt die mangelnde Systematik des deutschen Rechts in diesem Bereich, und die Corporate Governance als Ganzes gewinnt nicht, wenn sich strafrechtliche Verantwortlichkeit für Corporate Governance Systeme durch Formulierungsänderungen in Arbeitsverträgen entscheiden kann.
764
s. z. B. Rogall, § 130 OWiG, Karlsr. Komm. OWiG (2014), Rn. 73; Böse, § 14 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 39 ff.; Pohl, Vertretungsbezug der Handlung (2012), S. 34; Schünemann, § 14 StGB, Leipz. Komm. StGB (2007), Rn. 56 ff.; Schulze, Vermeidung von Haftung und Straftaten durch Delegation, NJW 2014, S. 3487; Hoyer, § 14, Syst. Komm. StGB (2014), Rn. 64 ff. & 83; Radtke, § 14 StGB, Münch. Komm. StGB (2017), Rn. 95 ff. s. auch supra, Strafrechtliche Sanktionierung des Compliance Officer (S. 397). 765 Eine Restverantwortung verbleibt, wie erwähnt, immer bei den Organen. s. supra, Erfolgsabwendungspflicht gesellschaftsrechtlich nicht haltbar (S. 401). 766 s. supra, Erfolgsabwendungspflicht gesellschaftsrechtlich nicht haltbar (S. 401). 767 Vgl. z. B. Hastenrath, Auswirkungen des BGH-Urteils, CCZ 2011, S. 34; Kraft, Winkler, Garantenstellung des Compliance-Officers, CCZ 2009, S. 33; Ransiek, Strafrechtliche Verantwortung des Compliance Officers, AG 2010, S. 148; Rieder, Vom juristischen Gewissen zum Straftäter?, in Festschrift Goette (2011), S. 427; Nave, Vogel, Veränderung von Corporate Compliance-Organisationen, BB 2009, S. 2548. Aber s. auch Rieble, Haftung der ComplianceAgenten, CCZ 2010, S. 1.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
e) Die Gesellschaftsorgane als Ausfallbürgen im Deliktrecht Die Strafbarkeitslücke, die die Ermangelung eines Verbandsstrafrechts auftut, ergibt sich, wie bereits erwähnt, auch im Deliktrecht, wenn Ansprüche gegen eine Gesellschaft aufgrund ihrer Insolvenz nicht mehr geltend gemacht werden können. Sieht man die vom BGH angenommene Garantenpflicht – wie große Teile des gesellschaftsrechtlichen Schrifttums – als nicht zwangsläufig gegeben,768 so scheint es um so weniger berechtigt, dass Gläubiger, deren Ansprüche sich aus Delikten der Gesellschaft ergeben haben (sofern sie sich das Prozesskostenrisiko leisten können769), insolvenzrechtliche Prinzipien umgehen und stattdessen auf das Privatvermögen der Geschäftsleiter zurückgreifen können, ohne dass diese ein besonderes Vertrauensverhältnis zum Geschädigten hatten oder an dem Delikt persönlich beteiligt waren. Somit werden die Gesellschaftsgläubiger und, bei entsprechenden Vermögens- und Schuldverhältnissen, auch die Aktionäre zum persönlichen Schaden der Geschäftsleiter entlastet. Dies entspricht nicht der Rolle der Geschäftsleitung und durchbricht das gesellschaftsrechtliche Prinzip der Haftungsbeschränkung.770 Unter dieser Rechtslage handeln die Geschäftsleiter im Interesse des Unternehmens und seiner Aktionäre aber auf eigenes Risiko. Ihr finanzielles Risiko ist dabei unbegrenzt, weit über alle im Zusammenhang mit ihrer Arbeit für die Gesellschaft erhaltenen Beträge hinaus, während das der Aktionäre auf deren Einlagen begrenzt bleibt.771 Eine Rechtmäßigkeit dieser Risikoverteilung mag darin gesehen werden, dass die Geschäftsleiter unzweifelhaft in einer besseren Position gewesen wären, um den geschehenen Verstoß zu verhindern. Doch zum einen liegt diese Dissonanz in der Natur der haftungsbegrenzten, fremdgeführten Gesellschaft. Sollen in einem Rechtssystem die Vorteile der Haftungsbeschränkung bestehen, so müssen Abwägungen getroffen werden, und einige Schäden werden tatsächlich nicht ausgeglichen werden. Daran ändert aber auch die durch den BGH ins Leben gerufene breite Außenhaftung der Geschäftsleiter für fahrlässig mangelhafte Unternehmensführung 768 Vgl. z. B. Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 664 ff; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person (1997), S. 444 ff.; Spindler, § 93 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 323; Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016), Rn. 66; Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S. E. 120; Lutter, Gefahren persönlicher Haftung, DB 1994, S. 132. 769 Hierin liegt ein weiteres Problem der aktuellen Rechtslage, denn nicht jeder Geschädigte wird in einer gleich guten finanziellen Position sein, um Schäden durchzusetzen. Schlimmstenfalls könnte dies zu einer ungleichen Verteilung der Aufmerksamkeit der Geschäftsleitung führen. 770 Vgl. auch Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014 (Vergleich der unbegrenzten Haftung der Organe im Innenverhältnis im Vergleich zur Ablehnung einer solchen für Arbeitnehmer) 771 Vgl. z. B. auch Wagner, Organhaftung im Interesse der Verhaltenssteuerung, ZHR 2014, S. 256 ff.; Bayer/Scholz, Haftungsbegrenzung und D&O-Versicherung, NZG 2014, S. 929. Eine Haftungsbegrenzung für die deliktische Außenhaftung der Organe soll hier allerdings in keiner Weise vorgeschlagen werden, sie wäre zwangsläufig willkürlich und würde die gesellschaftsrechtlichen Bedenken nicht lösen.
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nichts, denn kaum ein Organmitglied wird für alle Delikte seines Unternehmens persönlich aufkommen können. Eine lückenlose Deckung aller möglichen Ansprüche bedürfte entweder einer teuren Externalisierung des Risikos, beispielsweise in Form von Versicherungen, oder einer grundlegenden Neufassung des gesellschaftsrechtlichen Verständnisses.772 Zum anderen ist aber genau die einzigartige Position der Geschäftsleiter, die Schäden zu verhindern, ein Grund, sie nicht durch Sorge um jedes mögliche Delikt, für das sie im Zweifel aus ihrem persönlichen Vermögen aufkommen müssen, von der Verhinderung der wichtigeren unternehmensbezogenen Verstöße abzulenken. Die Führung des Unternehmens auf eine rechtskonforme Weise ist die Rolle, für die das gesellschaftsrechtliche System den Vorstand privilegiert, für die der Aufsichtsrat jedes Vorstandsmitglied persönlich ausgewählt hat. Seine Eignung für eine Rolle als Ausfallbürge wäre höchstens zufällig und kann damit keine Rechtfertigung für die mit der aktuellen deliktrechtlichen Lage erreichte Verzerrung seiner Aufgaben sein, die die Funktionsfähigkeit des Vorstands und damit die Gesellschaft selber schwächt. Das Deliktrecht bietet keine sinnvollen Anreize zu besserer Unternehmensführung. Da das Straf- und das Bußgeldrecht (mit allen beschriebenen Einschränkungen) hier eine Prioritätensetzung zulassen, und zum Teil de lege lata auch schon treffen, besteht aus Sicht der Inzentivierung zu besserer Corporate Governance kein Grund, an der aktuellen Rechtslage festzuhalten.
V. Zwischenergebnis: Die Bedeutung der strafrechtlichen Corporate Governance Haftung für den Drittschutz Bei richtiger Anwendung kann die strafrechtliche Sanktionierung von Directors und Officers bzw. Organmitgliedern für Corporate Governance Verfehlungen durch abschreckende Wirkung einen signifikanten Beitrag zum Drittschutz leisten. Auf dieser Annahme beruhen sowohl die Responsible Corporate Officer Doctrine als auch die vorgelagerten Straftatbestände, die sich in den USA beispielsweise im Kapitalmarktrecht, im FCPA und im Kartellrecht finden. Insbesondere angesichts der zahlreichen Anzeichen, dass die Kultur eines Unternehmens und der „tone from the top“ zu den wichtigsten Faktoren für die Rechtstreue und die Sensibilisierung gegenüber Rechtsverstößen der Angestellten zählen,773 soll die gezielte Inzentivierung der höchsten Unternehmensebene dazu führen, dass die Verantwortlichen, um 772 Moderne Anpassungen an das heutige Machtgefüge insbesondere bei Aktiengesellschaften mögen nötig sein, doch sollten solche Änderungen das Ergebnis spezifischer rechtspolitischer Erörterungen zu diesem Thema sein, nicht von umstrittener deliktrechtlicher Rechtsprechung zu einem Schadensersatzanspruch gegen eine insolvente GmbH und deren Geschäftsführer. 773 s. supra, Verhinderung von gemeingefährlichen Straftaten des Unternehmens (Responsible Corporate Officer Doctrine) (S. 307).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
sich selbst zu schützen, nicht nur die nötigen Kontroll- und Informationssysteme etablieren, sondern eine Unternehmenskultur der Compliance und Rechtstreue einrichten und pflegen, die Rechtsverstößen weitgehend vorbeugen soll. Das amerikanische Recht hat zu diesem Zweck in einigen Rechtsbereichen, in denen die Konsequenzen von Verstößen besonders schädlich sein können, eine persönliche Gefahrenhaftung geschaffen, die Directors und Officers auch ohne eigene Beteiligung und unabhängig von tatsächlich entstandenem Schaden Geld- und Gefängnisstrafen in Aussicht stellt. In einigen Fällen muss die Staatsanwaltschaft, wie erwähnt, nicht einmal Kenntnis von den Verstößen nachweisen. Es besteht also auf amerikanischer Seite eine Prioritätensetzung, die Entscheidungsträger dazu inzentivieren soll, auf spezifische Verstöße besonders zu achten und diese wirksam zu verhindern. In Deutschland beruht der Rückgriff auf die Organe einer Gesellschaft zum Zweck des Drittschutzes im hohen Maße auf allgemeinen Rechtsgrundsätzen im Zivil-, Bußgeld- und Strafrecht. Während das OWiG dabei die mangelhafte Aufsicht oder Führung selbst mit einem Bußgeld belegt, sofern es zu einem Rechtsverstoß des Unternehmens gekommen ist, richten sich zivilrechtliche Haftung und strafrechtliche Sanktionierung nach den Konsequenzen der mangelhaften Aufsicht, für die die Organmitglieder gegebenenfalls im vollen Umfang verantwortlich sein können. Das Ergebnis ist eine vielschichtige Unklarheit, denn nicht nur fehlen den Organen Aussagen zu den Prioritäten des Gesetzgebers und ihre eigenen potentiellen Kosten lassen sich nicht im Voraus abschätzen: Bei rechtswissenschaftlicher Prüfung ihrer Lage müssten sie an vielen Stellen Uneinigkeit in Rechtsprechung und Schrifttum zur Ausgestaltung der Pflichten, aber auch Zweifel an der Legitimität der ihnen drohenden Rechtsmittel feststellen. Nach wie vor bestehen Reibungen und Konflikte in Schrifttum und Rechtsprechung zur Vereinbarkeit der hier besprochenen Arten der deliktischen Außenhaftung und der bußgeld- und strafrechtlichen Sanktionierung mit gesellschaftsrechtlichen Prinzipien. Zur Lösung dieser Konflikte wäre eine grundlegende Neustrukturierung der Vorstands- und Aufsichtsratshaftung im Zusammenhang mit dem Drittschutz durch den Gesetzgeber daher wünschenswert. 1. Haftung und Sanktionierung außerhalb der Corporate Governance bleiben unberührt Aus dem Vorangegangenen sollte nicht gefolgert werden, dass die Responsible Corporate Officer Doctrine zu einer Einschränkung der Strafverfolgung von Directors und Officers allgemein führt. Wie auch in Fällen wie dem Lederspray-Urteil, in dem die Geschäftsführer vorsätzlich gefährliche Produkte im Markt beließen und weiter produzierten und vertrieben, wird vorsätzliches, persönliches strafbares Handeln auch in den USA jedem Director oder Officer persönlich angelastet. Ein vergleichbarer Fall wäre dort rein rechtlich nicht auf die Responsible Corporate
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Officer Doctrine angewiesen.774 Dass Fälle wie z. B. der Verkauf von mit Salmonellen infizierten Eiern durch Quality Egg775 oder die tödlichen illegalen Menschenversuche mit Knochenzement von Synthes776 dennoch mit Hilfe der Responsible Corporate Officer Doctrine zur Sanktionierung für Misdemeanor-Verletzungen des FDCA und nicht für Körperverletzungs- bzw. Tötungsdelikte führten, liegt vor allem an der Kosten- und Nutzenabwägung der Staatsanwaltschaft, da die Responsible Corporate Officer Doctrine keinen Nachweis eines subjektiven Tatbestands erfordert, wie bereits erläutert.777 Im Fall Lederspray machte die Geschäftsführung der Staatsanwaltschaft den Beweis des Vorsatzes mit ihrer ausdrücklichen, ordentlichen Entscheidung gegen einen Rückruf ungewöhnlich einfach. Dennoch musste die Staatsanwaltschaft den Fall bis vor den Bundesgerichtshof verfolgen, und die höchstrichterliche Bestätigung der Verurteilungen erfolgte erst fast ein Jahrzehnt nach Bekanntwerden der Schädigungen. Im berüchtigt langwierigen amerikanischen Justizsystem dauerte selbst das per Schuldbekenntnis beendete Verfahren im Fall Quality Egg fast fünf Jahre von Bekanntwerden der Schädigungen bis zur Strafmaßverkündung. Bei aller Kritik, die der amerikanischen Staatsanwaltschaft für die als unzureichend empfundene Verfolgung von Einzelpersonen entgegengebracht wird,778 kann der Faktor der behördlichen Ressourcen daher einen legitimen Grund für die Verfolgung mit Hilfe der Responsible Corporate Officer Doctrine bieten, da diese eine komplexe Beweisaufnahme unnötig macht. In einem besonders schwerwiegenden Fall in der jüngeren Vergangenheit bediente sich allerdings auch die amerikanische Staatsanwaltschaft erfolgreich allgemeiner strafrechtlicher Grundsätze, und erlangte im Jahr Frühjahr 2016 die Verurteilung eines CEOs zu einem Jahr Gefängnis und einer Strafzahlung von $ 250,000.779 Die Explosion der Upper Big Branch Mine der Massey Energy Company im Jahr 2010, die 29 Minenarbeiter das Leben kostete, war auf schwerwiegende Mängel im Sicherheitsmanagement zurückgeführt worden, die der CEO, Don Blankenship, geduldet oder sogar perpetuiert hatte.780 Da die Rechtsverletzungen Minen- und Sicherheitsregulierungen betrafen, fiel der Fall nicht in den Geltungsbereich der Responsible Corporate Officer Doctrine, die eine Verurteilung praktisch garantiert hätte. Aufgrund eingehender Dokumentation seiner Kenntnis 774 Für ein Produkt wie ein Lederspray stünde sie auch nach aktuellem Rechtsstand aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zur Verfügung, da es nicht dem FDCA unterliegt. 775 Quality Egg, Memorandum Opinion and Order (N.D. Iowa, 2015), s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 776 Huggins, Memorandum (E.D. Penn., 2011), s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 777 s. supra, Aktuelle Rechtsprechung (S. 315). 778 s. supra, Folgen der Entity Liability für natürliche Personen (S. 301). 779 United States Attorney for the Southern District of West Virginia, Presseerklärung, Blankenship sentenced to a year in Federal prison – Former Massey CEO sentenced on federal conspiracy charge (6. April 2016). 780 U.S.A. S.D. W.Va., Presseerklärung, Blankenship Sentenced (6. April 2016).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
und Duldung der Mängel gelang es der Staatsanwaltschaft dennoch, Blankenship als Mitglied einer Verschwörung darzustellen, deren Zweck in der Verletzung von Regulierungen zur Erhöhung des Gewinnes lag. Er wurde von einer Jury verurteilt. Bei ausreichend dichter Beweislage, insbesondere zum subjektiven Tatbestand, ist also ein Rückgriff auf die Responsible Corporate Officer Doctrine nicht nötig.781 2. Sinnvolle Ansätze zur Anwendung und Neuregelung des Strafrechts zum Drittschutz durch Corporate Governance Verbesserungen Doch wichtiger als die aktuelle Rechtslage ist hier letztendlich die Frage, welches Verhalten in einem idealen Corporate Governance System durch persönliche Haftungs- und Sanktionierungsrisiken der Organe bzw. Directors und Officers inzentiviert oder verhindert werden sollte und wie das Recht die hierfür richtigen Anreize setzen kann. Während keines der beiden hier zu vergleichenden Systeme dabei zu einem bestmöglichen Ergebnis gekommen ist, scheinen sich insbesondere in Deutschland im Bereich der Außenhaftung oder Sanktionierung für Delikte das Schrifttum und die Rechtsprechung noch vornehmlich mit der Frage zu beschäftigen, welche Konsequenzen für Unternehmensverantwortliche aus der gegebenen Rechtslage folgen. Für ein wirksames, sinnvolles Corporate Governance System sollte auch betrachtet werden, welche Regelungen de lege ferenda praktisch und rechtspolitisch wünschenswert wären. Eine zentrale Position sollte dabei die Frage einnehmen, von welchem Fehlverhalten die Unternehmen abgehalten werden sollen. Das Individualstrafrecht schafft bereits die vom Gesetzgeber als ausreichend erachtete Abschreckung für einzelne Mitarbeiter, von persönlichen Straftaten im Rahmen ihrer Tätigkeit für das Unternehmen abzusehen (z. B. Diebstahl bei einem Kundenbesuch oder strafwürdig betrunkenes Autofahren bei einer Dienstfahrt). Die gegebene zusätzliche Verantwortung des Unternehmens ist dabei sinnvoll, doch eine persönliche Strafbarkeit oder Haftung eines Director, Officer oder Organmitglieds aufgrund möglicher Aufsichtspflichtverletzungen streut die Aufmerksamkeit der Entscheidungsträger zu weit. Schon angesichts der moralischen Stigmatisierung durch das Strafrecht darf die vorgeworfene Unterlassung nicht ausschließlich rechtstechnisch relevant sein. Ihre Verfolgung sollte einen legitimen rechtspolitischen Zweck erfüllen. Da für derartige Individualstraftaten bereits der eigentliche Täter straf- und zivilrechtlich sowie das Unternehmen selber bußgeld- und zivilrechtlich haften, bedeutet die zusätzliche Bestrafung eines Organs, das keinerlei direkte Verbindung zu der Straftat hatte, hohe rechtspolitische (und tatsächliche) Kosten für einen geringen Mehrwert.782 Stellt sich heraus, dass eine systematisch grundlegend ungenügende Aufsicht zu problemati781
Dennoch ist zu bemerken, dass auch Blankenship nur zu einem Jahr Gefängnis verurteilt wurde. Das Höchststrafmaß unter Federal Law für „manslaughter“, ein hier aller Wahrscheinlichkeit nach erfüllter Tötungstatbestand, hätte acht Jahre betragen. 18 U.S.C. § 1112. 782 Vgl. z. B. Kraakman, Corporate Liability Strategies, 93 Yale L.J. 857 (1984), S. 866.
B. Strafrechtlich durchgesetzter Drittschutz
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schen Häufung von Individualstraftaten führt, so ist davon auszugehen, dass auch der Aufsichtsrat des Unternehmens Konsequenzen ziehen wird.783 Anders verhält es sich, wenn die Straftaten sich im Spannungsfeld zwischen Gewinn und Rechtstreue abspielen. Hier wird die Bereitschaft des Einzelnen, eine Straftat zu begehen, überhaupt erst durch die Strukturen, Kultur und Anreizsysteme des Unternehmens geweckt. Daher sollte hier die besondere Inzentivierung der Unternehmensleitung und -aufsicht ansetzen, so dass sie ihre besondere Stellung zur Steuerung dieser Motivationen nutzt. Dennoch muss klar sein, dass die nachlässige Aufsicht über ein Unternehmen in sich noch keine Straftat oder Ordnungswidrigkeit darstellt. Die Kriminalisierung schlechter Unternehmensführung sollte aus zahlreichen, bereits erwähnten Gründen nicht die Norm sein.784 Wenn also das Strafrecht, die Ultima Ratio des Rechtsstaates, die die Rechte des Betroffenen so schwer beschneiden darf, zur Durchsetzung von allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Pflichten verwendet wird, sollte der Mehrwert entsprechend hoch sein. Der Rechtssicherheit muss dabei eine hohe Priorität gelten. Im deutschen Schrifttum gilt beispielsweise der Frage, welche Rechtsverstöße als betriebsbezogen zu werten sind, eine komplexe und hochkontroverse konzeptionelle Debatte, die in hohem Maße zur Rechtsunsicherheit beiträgt.785 Doch eine klare gesetzgeberische Entscheidung für die Straftaten, die ein Unternehmen absolut verhindern muss, würde es ihren Entscheidungsträgern erleichtern, die Strukturen, Kultur und Anreizsysteme des Unternehmens auf diese Prioritäten einzustellen, und es dem Rechtsstaat ermöglichen, anschließend gegebenenfalls nicht nur eine rechtstechnische, sondern eine klare moralische Verantwortung festzustellen.786 Die Vorlagerung von persönlichen Straftatbeständen im Rahmen von Zertifizierungen fördern diese Klarheit weiter, sollten aber ebenso wenig überstrapaziert werden, wie die strafbewährte Aufsichtsverantwortung. Eine Regelung durch den Gesetzgeber hätte außerdem den Vorteil, dass die Gesetzgebung einem legislativen Dialog über ihre ideale Stoßrichtung entspränge und mit Hilfe des gleichen legislativen Dialogs geändert werden könnte, wenn sie sich im Nachhinein als nicht effektiv oder fehlgeleitet herausstellen sollte. Änderungen bereits bestehender Auslegungen grundlegender Normen wie §§ 13, 14 StGB 783 Werden problematische Häufungen ignoriert, ist darüber hinaus nicht mehr von Fahrlässigkeit zu reden, so dass andere Optionen zur Verfügung stehen. 784 s. z. B. supra, Kritik an der deutschen Rechtslage (S. 410). 785 s. supra, Sanktionierung gemäß § 13 StGB (S. 393). 786 Zur Steuerung von Anreizen zur Sorgfalt und zur Vermeidung von Residualschäden mittels der Gefährdungshaftung, s. z. B. Wagner, Vorbemerkungen § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 52. Die Diskussion beläuft sich allerdings ganz wesentlich innerhalb der Grenzen der heute nicht mehr allgemein anerkannten Rational Actor Theory, s. supra, Kartellrechtliche Straftatbestände (S. 363). Zu dieser Debatte s. aber auch z. B. Wagner, Vorbemerkungen § 823 BGB, Münch. Komm. BGB (2017), Rn. 58 ff.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
oder § 823 BGB nur aufgrund ungewünschter Ergebnisse in der Rechtsrealität wären weder wünschenswert, noch ohne Weiteres möglich. Wird die aktuelle Regelung zur Haftung und Sanktionierung von mangelhafter Corporate Governance daher als unzureichend betrachtet, so sollte der Gesetzgeber neue Mittel zur Verbesserung schaffen. Nicht aufgrund zwingender strafrechtlicher Dogmatik, sondern trotz großer verfassungsrechtlicher Bedenken etablierte der U.S. Supreme Court mit der Responsible Corporate Officer Doctrine einen besonderen staatlichen Zugriff auf die Unternehmensführung, mit einem geringen Höchststrafmaß und sehr spezifischen Vorgaben, um den wirtschaftlichen Realitäten innerhalb von Unternehmen und besonderer Gefahren, die von ihnen ausgehen können, Rechnung zu tragen.787 Es geht dabei nicht um eine grundlegende Neu-Interpretation strafrechtlicher Grundsätze, die alle Aspekte des wirtschaftlichen Lebens betreffen müsste, sondern um eine zusätzliche, sehr spezifische Sanktionierungsgrundlage aufgrund sehr spezifischer Gefahren, die im traditionellen Strafrecht aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend differenziert wurden. Das Gericht betonte, man müsse sich freimachen von „the notion that criminal statutes must be construed by some artificial and conventional rule.“788 Die Entscheidung bezog sich dabei nicht auf jedes beliebige Vergehen, die das Unternehmen begehen konnte, sondern auf eine „public danger“ im Rahmen einer bestimmten spezialgesetzlichen Norm789 und stellte explizit die Frage, wer in der besseren Position sei, diese modernen Gefahren abzuwenden.790 Der Gesetzgeber folgte dem Beispiel des Gerichts mit ebenso eng umrissener umweltrechtlicher Gesetzgebung. Die Strafbarkeit von Officers für unternehmensbezogene Straftaten ist also als wichtige Ausnahme von generellen strafrechtlichen Prinzipien zu werten, nicht als wichtige Regel.
C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten Das Strafrecht nimmt auf die Corporate Governance aber nicht nur indirekt Einfluss, indem es Directors und Officers inzentiviert, Verstöße durch das Unternehmen und Drittschäden zu verhindern. Neben dieser Ahndung von Sorgfaltspflichtverletzungen kennt das amerikanische Strafrecht auch die Sanktionierung von Treupflichtverletzungen, die in den für die Corporate Governance relevanten Bereich fallen können. Denn bis zu seiner Einschränkung durch den U.S. Supreme Court im Jahr 2010 bestand im amerikanischen Federal Law mit der Definition des „honest 787
Wie bereits erwähnt, sollten auch amerikanische Versuche abgelehnt werden, die Konturen der Responsible Corporate Officer Doctrine beliebig zu erweitern. 788 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 283, zitierend United States v. Union Supply Co., 215 U.S. 50 (1909), S. 55. 789 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 281. 790 Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943), S. 285.
C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten
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services fraud“ in 18 U.S.C. § 1346 eine Ausweitung der generellen Betrugstatbestände, die auch bestimmte gesellschaftsrechtliche Treupflichtverletzungen zu einem strafbaren Betrug unter Federal Law werden ließ. Er kam dann zum Tragen, wenn bei den Geschädigten durch die Pflichtverletzung kein Vermögensschaden verursacht worden war, ihnen lediglich die ihnen zustehenden Ehrlichkeit oder die „aufrichtigen Dienste“ („honest services“) eines Directors oder Officers vorenthalten worden waren. Die Gesetzgebung, die auch für Treupflichtverletzungen von Amtsträgern galt, bezog sich häufig auf Bestechlichkeit oder ähnliche Sachverhalte, die auch auf anderer rechtlicher Grundlage geahndet werden konnten, insbesondere durch die Strafverfolgungsbehörden des Einzelstaates.791 Durch die Anwendung von § 1346 wurde aber aus einem Verstoß gegen das jeweilige State Law (beispielsweise Bestechung) eine schwere Felony unter Federal Law, die vom Department of Justice geahndet werden und bis zu 20 Jahre Haft nach sich ziehen konnte. Mit seiner Entscheidung im Fall Skilling v. United States im Jahr 2010792 erklärte der U.S. Supreme Court die zu dem Zeitpunkt anerkannte Auslegung von § 1346 für zu unbestimmt und reduzierte den Anwendungsbereich der Norm auf Situationen, in denen der Beschuldigte Schmiergeldzahlungen oder verdeckte Provisionen („bribes and kickbacks“)793 erhalten hatte. Einfache Treupflichtverletzungen von Directors und Officers können somit nicht mehr als Honest Services Fraud geahndet werden und die Directors und Officers können nicht vom Department of Justice wegen der Verletzung gesellschaftsrechtlicher Pflichten verfolgt werden. Da es aber bereits erneute Versuche gegeben hat, den Honest Services Fraud durch Gesetzgebung wieder zu erweitern,794 und da er unter bestimmten Umständen gewisse dogmatische Ähnlichkeiten mit dem deutschen Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB haben kann, soll auch Honest Services Fraud in seiner Bedeutung vor Skilling hier kurz erläutert werden.
I. Honest Services Fraud und die Skilling-Entscheidung Spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts begannen die Gerichte, die Straftatbestände des Mail Fraud und des Wire Fraud795 auf Betrugsfälle auszudehnen, in denen der 791
Vgl. z. B. Alex Stein, Corrupt Intentions: Bribery, Unlawful Gratuity, and Honest-Services Fraud, 75 Law and Contemporary Problems 61 (2012); Stephen C. Thompson, The Application of Honest Services Fraud to International Commercial Bribery, 47 New York University Journal of International Law and Politics 685 (2015), S. 686. 792 Skilling v. United States, 130 S. Ct. 2896 (2010). 793 Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2931. 794 s. z. B. J. Kelly Strader, Skilling Reconsidered: The Legislative-Judicial Dynamic, Honest Services Fraud, and the Ill-Conceived „Clean Up Government Act“, 39 Fordham Urban Law Journal 309 (2012), S. 339 ff. 795 18 U.S.C. §§ 1341 & 1343. s. supra, Die Rolle der Staatsanwaltschaft (S. 286).
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Betrügende einen Vorteil erlangt hatte, ohne dass der Betrogene einen materiellen Schaden erlitten haben musste.796 Das Department of Justice und seine U.S. Attorneys konnten sich nun also dieser „Allzweckwaffen“ auch dann bedienen, wenn dem Opfer des Betruges lediglich immaterielle Rechte („intangible rights“), insbesondere „honest and faithful services“ vorenthalten worden waren.797 Den Beschuldigten konnten eine Strafverfolgung unter Federal Law und die harten Haftstrafen gemäß 18 U.S.C. § 1341 und § 1343 somit auch dann drohen, wenn kein materieller Schaden zu erwarten war.798 Nachdem der U.S. Supreme Court diese Auslegung der Mail und Wire Fraud Gesetzgebung im Jahr 1987 für unwirksam erklärt hatte, da sie zu weit über den Wortlaut der Normen hinausging,799 erließ der Kongress aber mit 18 U.S.C. § 1346 eine eigene Norm, die das Vorenthalten von „honest services“ spezifisch als möglichen Schaden in die Definition der Tatbestände des Mail und Wire Fraud einbezog800 und den Honest Services Fraud wieder aufleben ließ. Neben politischen Amtsträgern, einer wesentlichen Zielgruppe der Strafverfolgung zum Honest Services Fraud,801 konnten daher weiterhin auch Directors und Officers, die sich von fremden oder eigenen Interessen hatten leiten lassen und der Corporation und ihren
796 Vgl. Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2926 („Unlike fraud in which the victim’s loss of money or property supplied the defendant’s gain, with one the mirror image of the other, […] the honest-services theory targeted corruption that lacked similar symmetry.“). 797 Vgl. z. B. Shushan v. United States, 117 F.2d 110 (5th Cir. 1941), S. 115; United States v. Procter & Gamble Co., 47 F. Supp. 676 (D. Mass. 1942); Starr, 535 F.2d 512 (1976); United States v. George, 477 F.2d 508 (7th Cir. 1973); Dixon, 536 F.2d 1388 (1976). 798 Der tatsächliche Eintritt des Schadens ist für eine Verurteilung nach §§ 1341 und 1343 generell nicht erforderlich, er muss lediglich „reasonably foreseeable“ sein. Vgl. Pamela Mathy, Honest Services Fraud After Skilling, 42 St. Mary’s Law Journal 645 (2011), S. 654. 799 McNally v. United States, 483 U.S. 350 (1987). 800 18. U.S.C. § 1346. 801 s. z. B. Shushan, 117 F.2d 110 (1941); United States v. Isaacs, 493 F.2d 1124 (7th Cir. 1974); United States v. Brown, 540 F.2d 364 (8th Cir. 1976); United States v. Mandel, 591 F.2d 1347 (4th Cir. 1979); McNally, 483 U.S. 350 (1987). Auch Ärzte können sich gegenüber ihren Patienten und Arbeitnehmer gegenüber ihren Arbeitgebern des Honest Services Fraud schuldig machen. s. z. B. United States v. Lemire, 720 F.2d 1327 (D.C. Cir. 1983); United States v. Jain, 93 F.3d 436 (8th Cir. 1996); United States v. Bryza, 522 F.2d 414 (7th Cir. 1975); United States v. Bohonus, 628 F.2d 1167 (9th Cir. 1980). Vgl. außerdem United States v. Gray, 96 F.3d 769 (5th Cir. 1996) (betrügerische akademische Hilfe für Studenten einer anderen Universität durch die Basketball Trainer der Baylor University, mit dem Ziel, diese trotz ihrer mangelnden akademischen Qualifikationen für das Baylor Basketball Team rekrutieren zu können); United States v. Frost, 125 F.3d 346 (6th Cir. 1997) (unrechtmäßige Unterstützung von Doktoranden bei ihren Doktorarbeiten mit dem Ziel, dass die Doktoranden, die gleichzeitig bei verschiedenen US-Behörden angestellte waren, ihren Doktorvätern hinterher lukrative Aufträge der jeweiligen Behörden sichern sollten); United States v. Pennington, 168 F.3d 1060 (8th Cir. 1999) (verdeckte Provisionszahlungen von einem Berater an den Geschäftsführer einer Supermarktkette, deren Lieferanten auf Weisung des Geschäftsführers ausschließlich auf – bezahltes – Vermitteln des Beraters mit der Supermarktkette verhandeln konnten).
C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten
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Aktionären so ihre Honest and Faithful Services verwehrt hatten, für Honest Services Fraud belangt werden, wie später im Fall Skilling.802 Der U.S. District Court für den Southern District of Texas verurteilte im Mai 2006 unter anderem auf Basis von Honest Services Fraud sowohl Jeffrey Skilling, den Chief Operating Officer und später CEO von Enron, als auch Kenneth Lay, den Gründer, langjährigen CEO, Chief Compliance Officer und Chairman des Unternehmens.803 Lay erlag einem Herzinfarkt nur wenige Wochen nach der Urteilsverkündung, so dass nur der Fall Skilling die weiteren Instanzen bis zum U.S. Supreme Court durchlaufen konnte.804 Doch ist es die Verurteilung von Ken Lay, die das Potential des Honest Services Fraud als strafrechtliches Instrument zur Ahndung von Corporate Governance Verfehlungen deutlich machte. Während es der Staatsanwaltschaft gelang, Skilling und andere Enron Officers direkt mit dem Bilanzbetrug in Verbindung zu bringen, konnten sie den entsprechenden Beweis gegen Lay nicht vorbringen.805 Selbst Mitglieder der Jury, die Lay letztendlich auf Basis von Honest Services Fraud verurteilte, und ein Whistleblower, der zur Aufklärung des Betrugs beitrug, warfen Lay nicht Beteiligung, sondern nur Nicht-Wissen vor, wo sie eine Pflicht zum Wissen sahen.806 Da dieses Nicht-Wissen aber keine strafrechtliche Relevanz hatte, konnte Lay, der für viele als das Gesicht des Enron-Skandals galt, für den eigentlichen Betrug nicht belangt werden.807 In Ermangelung eines Tatbeitrags zum Betrug entwickelte sich Honest Services Fraud in Verbindung mit öffentlichen Aussagen, in denen Lay sich optimistisch zur Zukunft des Unternehmens äußerte, zum von der Staatsanwaltschaft hauptsächlich 802 s. auch z. B. Dixon, 536 F.2d 1388 (1976); United States v. Lemire, 720 F.2d 1327 (1983); Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2934, Fn. 45; McDonnell v. United States, 136 S. Ct. 2355 (2016). 803 Ebenfalls angeklagt war Enrons Chief Accounting Officer Richard Causey, der sich allerdings vor Beginn des Verfahrens schuldig bekannte. s. Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2910. Zahlreiche andere Angestellte des Unternehmens, darunter auch der Chief Financial Officer Andrew Fastow hatten mit der Staatsanwaltschaft kooperiert im Austausch für mildere Strafen oder Befreiung von der Strafverfolgung. s. z. B. Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2955, Fn. 12 (Justice Scalia, Sondervotum). 804 Vikas Bajaj/Kurt Eichenwald, Kenneth L. Lay, 64, Enron Founder and Symbol of Corporate Excess, Dies, The New York Times (6. Juli 2006). 805 s. z. B. Alexei Barrionuevo/Kurt Eichenwald, The Enron Case That Almost Wasn’t, The New York Times (4. Juni 2006); John C. Hueston, Behind the Scenes of the Enron Trial: Creating the Decisive Moments, 44 American Criminal Law Review 197 (2007), S. 198. 806 s. z. B. Ferrell/Ferrell, Last Interview with Ken Lay, 100 J. Bus. Ethics 209 (2011), S. 210 & 214; Lesley Curwen, The corporate conscience – Sherron Watkins, Enron whistleblower, The Guardian (21. Juni 2003). Für Insider Trading konnte er trotz seiner Verkäufe noch kurz vor Bekanntwerden der wahren Unternehmenslage nicht belangt werden, möglicherweise da es sich bei dem Käufer der Anteile um die Corporation selbst handelte, und es per Definition keine Informations-Asymmetrie zwischen dem Unternehmen und seinem Chairman/ CEO geben konnte. Barrionuevo/Eichenwald, Enron Case That Almost Wasn’t, NYT (2006). 807 Vgl. z. B. John C. Coffee, Overcriminalization?, National Law Journal 13 (2004); Ferrell/Ferrell, Last Interview with Ken Lay, 100 J. Bus. Ethics 209 (2011), S. 213.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
verfolgten Straftatbestand.808 Lays positive Aussagen zur Lage des Unternehmens wurden auch im Schrifttum teilweise lediglich als „the traditional CEO acting as motivator-in-chief“ während einer Krise gewertet.809 Doch die Jury lehnte diese Sicht ab810 und urteilte, dass es sich dabei um bewusste Lügen handelte, mit denen Lay die Moral der Mitarbeiter und das Vertrauen von Anlegern zu stärken versucht hatte, während er wusste, dass es für dieses Vertrauen keine tatsächliche Basis mehr gab und für das Unternehmen die Katastrophe kurz bevor stand.811 Obwohl keine festen Ansatzpunkte für eine Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem Bilanzbetrug vorlagen, hätte Lay zu zwanzig Jahren Haft verurteilt werden können, ausschließlich weil er der Corporation und ihren Anlegern seine Aufrichtigkeit und damit seine Honest Services als CEO verweigert hatte. Da er zwischen der Verkündung des Schuldspruchs und der Festsetzung der Strafen starb, musste nicht über das Strafmaß entschieden werden.812 Diese Art des Honest Services Fraud 808
Vgl. z. B. Hueston, Enron Trial, 44 Am. Crim. L. Rev. 197 (2007), S. 205. Der Autor war der leitende Staatsanwalt im Verfahren gegen Ken Lay und Jeff Skilling in der ersten Instanz. Hueston, Enron Trial, 44 Am. Crim. L. Rev. 197 (2007), S. 197. 809 Coffee, Lay Indictment, Nat. L.J. 13 (2004). Die Anklageschrift warf Lay beispielsweise folgende Aussagen vor, die vielleicht einem übereifrig motivierenden CEO hätten zugeordnet werden können: „The third quarter is looking great. We will hit our numbers. We are continuing to have strong growth in our businesses, and at this time I think we’re positioned for a very strong fourth quarter“ und „My personal belief is that Enron stock is an incredible bargain at current prices.“ United States v. Richard A. Causey, Jeffrey K. Skilling, and Kenneth L. Lay, Superseding Indictment, Cr. No. H-04 – 25 (S.D. Tex., 7. Juli 2004), Rn. 74 f. Bei anderen Aussagen hingegen handelte es sich um klare, schwerwiegende Unwahrheiten. Causey/Skilling/ Lay, Indictment (S.D. Tex., 2004), Rn. 76 ff. 810 Die Anklageschrift sah in diesen Aussagen schwerwiegende Unwahrheiten zur finanziellen Situation des Unternehmens, mit denen Lay wider besseres Wissen Anleger und Andere in die Irre führte. Causey/Skilling/Lay, Indictment (S.D. Tex., 2004), Rn. 76 ff. 811 Vgl. Hueston, Enron Trial, 44 Am. Crim. L. Rev. 197 (2007), S. 210 (Auszüge aus der Argumentation der Staatsanwaltschaft gegen Ken Lay) & 222; Ferrell/Ferrell, Last Interview with Ken Lay, 100 J. Bus. Ethics 209 (2011), S. 215. Um seine Aufrichtigkeit unter Beweis zu stellen, hatte Lay zum Zeitpunkt einiger dieser Aussagen Enron-Anteile im Wert von $ 4 Millionen erworben – aus Sicht der Staatsanwaltschaft wurde die Aufrichtigkeit dieser Geste allerdings durch den Verkauf von Aktien im Wert von $ 24 Millionen wenige Wochen zuvor negiert. Lay setzte diesem entgegen, dass dieser Verkauf durch die Automatismen und Margin-Calls seines Portfolios gesteuert wurde, nicht durch eine bewusste Entscheidung seinerseits, so dass er nicht für ihn verantwortlich gemacht werden konnte. Die Jury überzeugte dieses Argument nicht. s. z. B. Hueston, Enron Trial, 44 Am. Crim. L. Rev. 197 (2007), S. 198 f.; 222 & 233 ff.; Ferrell/Ferrell, Last Interview with Ken Lay, 100 J. Bus. Ethics 209 (2011), S. 214. 812 Bajaj/Eichenwald, Lay Dies, NYT (2006). Seine Verurteilung wurde für nichtig erklärt, da er die Möglichkeiten der weiteren Instanzen nicht ausnutzen konnte. United States v. Lay, 456 F. Supp. 2d 869 (S.D. Tex. 2006). Vgl. auch Timothy A. Razel, Dying To Get Away With It: How the Abatement Doctrine Thwarts Justice – And What Should Be Done Instead, 75 Fordham Law Review 2193 (2007), S. 2195. Im Fall Skilling hingegen wogen die Anklagepunkte über den Honest Services Fraud hinaus so schwer, dass der 5th Circuit Court of Appeals die Verurteilung ohne ein neues Verfahren aufrecht erhielt, auch nachdem der U.S. Supreme Court die Teile der Verurteilung, die sich auf Honest Services Fraud bezogen, für unwirksam erklärt hatte. United
C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten
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wurde als strafbewährte Verletzung gegen Treuepflichten eines Director oder Officer betrachtet, als strafbewährte „Untreue“ im wörtlichen Sinne.813 Directors und Officers sahen das Urteil als Warnung, dass selbst als harmlos und nötig empfundene, geschönte Aussagen, die beispielsweise zur Stabilisierung des Aktienkurses beitragen sollten, zu einer schweren Haftstrafe führen könnten.814 Der U.S. Supreme Court erklärte diese Anwendung des Honest Services Fraud unter 18 U.S.C. § 1346 in seinem Urteil zu Skilling aufgrund von zu unklar formulierter Gesetzgebung für unrechtmäßig und begrenzte den Tatbestand auf Situationen, in denen der Beschuldigte Schmiergelder oder verdeckte Provisionen erhalten hat, in denen ein quid pro quo festzustellen ist.815 Ein materieller Schaden muss der Corporation nach wie vor nicht entstanden sein.816 Als Schmiergelder oder verdeckte Provisionen können auch Geschenke oder Gefallen zählen, die beispielsweise ein Director oder Officer von einem Dritten erhalten hat. Wo genau nach Skilling die Linie zwischen legalen Marketingmaßnahmen und Honest Services Fraud läuft, beispielsweise, wenn ein Entscheidungsträger eine Einladung zu einem Sportereignis von einem Dienstleister des Unternehmens annimmt, muss noch auf Basis des Einzelfalls untersucht werden.817 Es ist allerdings, schon angesichts der Skepsis des U.S. Supreme Court dem Honest Services Fraud gegenüber, nicht davon auszugehen, dass Gerichte Verurteilungen für Honest Services Fraud ohne den Nachweis betrügerischer Absichten und einer States v. Skilling, 638 F.3d 480 (5th Cir. 2011). Eine Einschätzung der Schwere des Honest Services Fraud allein ist also auch im Fall Skilling nicht möglich. 813 Carlos Gomez-Jara Díez, Honest Services Fraud as a Criminal Breach of Fiduciary Duties: A Comparative Law Approach for Reform, 18 New Criminal Law Review 100 (2015), S. 111. 814 Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass die Staatsanwaltschaft über mehr als fünf Jahre die Ressourcen aufgebracht hätte, die sie seinerzeit in eine Verurteilung von Lay investierte, wenn sie nicht lange gehofft hätte, ihn schwererer Straftaten überführen zu können. Vgl. z. B. Hueston, Enron Trial, 44 Am. Crim. L. Rev. 197 (2007), S. 199. Die Gefahr für an sich redlich handelnde Directors und Officers war entsprechend wahrscheinlich nie so groß, wie sie im amerikanischen Schrifttum zum Teil dargestellt wurde. Vgl. z. B. auch Coffee, Lay Indictment, Nat. L.J. 13 (2004). 815 Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2931. Das Quid Pro Quo muss nicht explizit gemacht werden. McDonnell, 136 S. Ct. 2355 (2016), S. 2371. 816 Mathy, After Skilling, 42 St. Mary’s L.J. 645 (2011), S. 708 f. 817 s. z. B. United States v. Mitrow, Opinion & Order, No. S3 13 Cr. 633 (PAE) (S.D.N.Y., 8. September 2015). Im Zusammenhang mit Amtsträgerbestechung wurde der Tatbestand des Honest Services Fraud im Jahr 2016 noch einmal verengt, als der Supreme Court hohe Ansprüche an die nötige Formalität des „official act“ festlegte, den der Amtsträger dem Bestechenden tatbestandlich in Aussicht stellen muss. Das Urteil bezeichnete den vorliegenden Fall des der Bestechlichkeit beschuldigten früheren Gouverneurs des Staates Virginia, Bob McDonnell, als „distasteful; it may be worse than that.“ McDonnell, 136 S. Ct. 2355 (2016), S. 2375. Dennoch fürchtete die Mehrheit des Gerichts, mit einer Bestätigung seiner Verurteilung eine zu weite Ausdehnung auf eben solche nicht als strafwürdig erachteten Handlungen zu erlauben. McDonnell, 136 S. Ct. 2355 (2016), S. 2372.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Kausalität zwischen dem erhaltenen Vorteil und Handlungen im Rahmen der Position zulassen.818 Fälle wie Ken Lay, in denen Treuepflichten ohne Bestechungsabsichten Dritter verletzt werden, sind entsprechend nicht mehr möglich.819 Dies bedeutet nicht, dass treuwidriges Verhalten gesetzeskonform ist oder dass Politiker, Directors oder Officers ihre Stellung für ihren persönlichen Vorteil ausnutzen dürfen. Entsprechende Gesetze können nach wie vor bestehen, insbesondere auf der Ebene des State Law.820 Durch die Einschränkung des Honest Services Fraud ist es dem Department of Justice aber nicht mehr möglich, Verstöße gegen Treuepflichten ohne materiellen Schaden als Wirtschaftsstraftat im Rahmen des Federal Law zu ahnden oder in diesen Fällen mit der Androhung einer zwanzigjährigen Haftstrafe wegen Mail oder Wire Fraud gegen Directors und Officers vorzugehen. Viele Handlungen dieser Art werden als nicht strafbar betrachtet werden, bis es zu weiterer Gesetzgebung kommt.
II. Untreue nach § 266 StGB Ein dem Honest Services Fraud in seiner Form vor Skilling vergleichbarer Straftatbestand ist im deutschen Recht nicht zu finden.821 Nach aktueller Rechtsprechung kann der Untreuetatbestand gemäß § 266 StGB in spezifischen Fallkonstellationen allerdings eine zumindest zum Teil ähnliche Rolle in der Corporate Governance Haftung spielen und der Staatsanwaltschaft die Ahndung von Treupflichtverletzungen erlauben. Anders als beim Honest Services Fraud ist eine Vermögensschädigung hier allerdings eine essentielle Bedingung für den Tatbestand. Der Untreuetatbestand besteht aus einer Treupflichtverletzung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen zum Nachteil des Vermögensinhabers.822 Das zu sanktionierende Organmitglied muss vorsätzlich (mindestens mit bedingtem Vorsatz) gehandelt haben, nicht nur im Hinblick auf die Pflichtverletzung, sondern auch auf die Vermögensschädigung.823 Seine Anwendung 818
s. z. B. Ryan v. United States, 688 F.3d 845 (7th Cir. 2012), S. 852. Ob seine Verurteilung auch ohne Honest Services Fraud Bestand gehabt hätte wie die Verurteilung des Jeff Skilling (Skilling (5th Cir., Remand), 638 F.3d 480 (2011)), kann aufgrund seines Todes nicht geklärt werden. 820 s. z. B. Strader, Skilling Reconsidered, 39 Fordham Urb. L.J. 309 (2012), S. 310. 821 Wie auch in den USA bestehen zahlreiche andere Straftatbestände zu Bestechung, Bestechlichkeit, Kick-Backs und Ähnliches in bestimmten Zusammenhängen. 822 Es bestehen Unterscheidungen zwischen dem sogenannten „Missbrauchstatbestand“ (§ 266 Abs. 1 Alt. 1 StGB) und dem „Treubruchtatbestand“ (§ 266 Abs. 1 Alt. 2 StGB). Da der Missbrauchstatbestand allerdings inzwischen allgemein als Spezialfall des Treubruchtatbestands akzeptiert ist, ist die Unterscheidung hier nicht relevant. Vgl. z. B. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2010, 2 BvR 105/09, BVerfGE 126, 170, Rn. 20; BGH, Urteil vom 21. Dezember 2005, 3 StR 470/04, BGHSt 50, 331 (Mannesmann), Rn. 28; BGH, Urteil vom 2. Dezember 2005, 5 StR 119/05, NStZ 2006, 210 (Kölner Müllskandal), Rn. 65. 823 s. infra, Vorsatz im Hinblick auf unternehmerischen Entscheidungen (S. 438). 819
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ist breit und von hoher Komplexität, so dass er hier nur im Rahmen seiner Relevanz für die Corporate Governance Haftung von Organen dargestellt werden kann. Die bewusste Veruntreuung fremden anvertrauten Vermögens zur eigenen Bereicherung, der „Griff in die Gesellschaftskasse“,824 im Amerikanischen meist als „embezzlement“ bezeichnet,825 hat aufgrund dieser Selbstbereicherungsmotive für die Corporate Governance Haftung keine Bedeutung. 1. Grundsätzliche Abgrenzung zum Honest Services Fraud Sowohl der Honest Services Fraud als auch die Untreue beruhen auf einer Treupflichtverletzung. Doch im Unterschied zum Honest Services Fraud, bei dem bereits dieser Entzug der Loyalität als der den Tatbestand begründende Schaden gewertet wird, muss die (spezifisch vermögensbezogene) Pflichtverletzung unter § 266 StGB für den Geschädigten einen Vermögensschaden verursacht haben.826 Die Besonderheit des Honest Services Fraud in den USA besteht gerade in der Sanktionierung von Betrug ohne materiellen Schaden.827 Im Fall des Honest Services Fraud sind weder das Objekt noch die Basis des Treueverhältnisses der beiden Parteien spezifisch definiert, so dass Gerichte auch vage, informelle Treueverhältnisse als Basis für diesen Betrugstatbestand gelten lassen,828 während in Deutschland eine Vermögensbetreuungspflicht zwischen den Beteiligten zu Gunsten des Geschädigten bestanden haben muss.829 Im Verhältnis zwischen Directors und Officers bzw. Vorstand und Aufsichtsrat zu der jeweiligen Gesellschaft ist eine solche Treupflicht in beiden Systemen unstreitig,830 anders als im Fall von Honest Services Fraud in den USA, der nicht auf eine formale gesellschaftsrechtliche Pflicht aufbauen muss, kann die Untreue in Deutschland nicht auf einer direkten Pflicht den Aktionären gegenüber beruhen.831 824
s. z. B. Brand, Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012, S. 64. Das Federal Law enthält Tatbestände des Embezzlement nur in Verbindung mit öffentlichen und „federal“ Geldern oder Programmen. 18 U.S.C. Ch. 31. Embezzlement für Veruntreuungen zwischen nicht-staatlichen Parteien findet sich in den Einzelstaaten häufig in den Kapiteln wieder, die auch Diebstahldelikte behandeln. s. z. B. New York Penal Law Art. 155; California Penal Code Section 503 ff.; Texas Stat. & Code Ann. § 31.02 f. 826 s. z. B. Urs Kindhäuser, § 266 StGB – Untreue, in: Urs Kindhäuser/Ulfrid Neumann/ Hans-Ullrich Paeffgen (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 4. Auflage (2013), Rn. 94. 827 s. supra, Honest Services Fraud und die Skilling-Entscheidung (S. 425). 828 Vgl. z. B. Mathy, After Skilling, 42 St. Mary’s L.J. 645 (2011), S. 655. 829 s. z. B. Kindhäuser, § 266 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 31 ff.; Alfred Dierlamm, § 266 StGB – Untreue, in: Wolfgang Joecks/Klaus Miebach (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2. Auflage (2014), Rn. 40. 830 Vgl. z. B. BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005); Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 79 f. & 95; Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010). S. 2938 f. (die Pflicht ist unstreitig, Uneinigkeit bestand allerdings darüber, wie eine Pflichtverletzung aussehen müsste). 831 Vgl. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 70; Michelle V. Barone, Honest Services Fraud: Construing the Contours of Section 1346 in the Corporate 825
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Das seit Skilling für den Honest Services Fraud geltende Tatbestandselement der Bestechung bzw. des Quid Pro Quo ist kein Element der Untreue gemäß § 266 StGB in Deutschland.832 Eine eigene Bereicherungsabsicht ist für die Untreue, wie auch für den Honest Services Fraud vor 2010, nicht nötig. 2. Relevante Elemente des § 266 StGB für Organe von Aktiengesellschaften Da die Vermögensbetreuungspflicht gegenüber der Gesellschaft für ein Organ innerhalb seiner gesellschaftsrechtlichen Pflichten unstreitig gegeben ist,833 bestehen die zwei wesentlichen Elemente, die die mögliche Anwendung von § 266 StGB zur Ahndung eines Corporate Governance Vergehens bestimmen, aus der Schwere der Pflichtverletzung und dem Vorsatz des Organmitglieds.834 Ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Tatbestand der Untreue und der Corporate Governance besteht dabei bei risikobehafteten Entscheidungen des Vorstands, die zu einem Verlust von Gesellschaftsvermögen geführt haben. Hier kann es auch zu Untreuevorwürfen gegen den Aufsichtsrat kommen, mit der Begründung, er habe seine Überwachungspflicht verletzt. Außerdem wird Untreue oft bei Entscheidungen des Aufsichtsrats zugunsten des Vorstands vermutet, sei es bei zu hoher Vergütung oder bei der Ablehnung der Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche gegen Vorstandsmitglieder.835 Die Frage, ob eine unternehmerische Entscheidung eines (an sich redlich handelnden) Organs als Untreue gemäß § 266 StGB zu werten ist, ist dabei in aller Regel Realm, 38 Delaware Journal of Corporate Law 571 (2013), S. 587 ff. Mindestens ein einschlägiger Kommentar sieht im Falle des Aufsichtsrats eine Pflicht den Aktionären gegenüber, doch wird hierfür weder eine Begründung, noch eine tragfähige Quelle genannt (die beiden dort zitierten Entscheidungen des BGH enthalten keinen Hinweis auf eine solche Pflicht). Walter Perron, § 266 StGB – Untreue, in: Adolf Schönke/Horst Schröder (Hrsg.), Kommentar zum Strafgesetzbuch, 29. Auflage (2014), Rn. 25. 832 Der Honest Services Fraud ist zu unterscheiden von Untreue im Zusammenhang mit Kick-Back Zahlungen, da in Fällen der Untreue immer ein Vermögensschaden vorliegen muss, im Gegensatz zum Honest Services Fraud ohne materiellen Schaden. Vgl. BGH, NStZ 2006, 210 (Kölner Müllskandal, 2005), Rn. 67. Aber hierzu auch Bernd Schünemann, Der Bundesgerichtshof im Gestrüpp des Untreuetatbestandes, Neue Zeitschrift für Strafrecht 2006, 196, S. 201. 833 Vgl. z. B. BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005); Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 79 f. & 95. 834 Auch die Bestimmung des Schadenselements kann kontrovers sein, doch hat sie geringeren Einfluss auf die ex-ante Verhaltenssteuerung und ist daher für die Corporate Governance Haftung von geringerer Relevanz. Vgl. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 203. 835 Vgl. infra, Anwendung des § 266 StGB bei Entscheidungen von Organen (S. 440). Gemäß § 112 AktG handelt der Aufsichtsrat hier in geschäftsleitender Funktion. Vgl. z. B. Jens Koch, § 112 AktG – Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern, in: Uwe Hüffer/Jens Koch (Hrsg.), Kurzkommentar zum Aktiengesetz, 12. Auflage (2016), Rn. 5.
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zu verneinen, solange es sich innerhalb des dem entscheidungsverantwortlichen Organ aktienrechtlich gewehrten Spielraums bewegt, innerhalb dessen Fehlentscheidungen keine Binnenhaftung begründen.836 Erst bei einer unzureichenden Informationsgrundlage oder einem Handeln entgegen dem Unternehmensinteresse verlassen die Organe diesen durch § 93 Abs. 1 Satz 2 geschützten Entscheidungsfreiraum.837 Erst wenn eine solche zivilrechtliche Pflichtverletzung gegeben ist, kann überhaupt eine strafrechtliche Pflichtverletzung vorliegen.838 Es ist allerdings zu beachten, dass der gesellschaftsrechtlich geschützte unternehmerische Freiraum keine, auch nicht einfach fahrlässige Pflichtverletzungen miteinschließt,839 so dass sich hieraus kaum eine bedeutungsvolle Einengung des strafrechtlichen Tatbestands ergibt. a) Notwendigkeit einer „gravierenden“ Pflichtverletzung bei unternehmerischen Entscheidungen Nach der Rechtsprechung des BGH kann möglicherweise bereits jede gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung, die die in Frage stehende Entscheidung aus dem durch die deutsche Business Judgment Rule geschützten Ermessensspielraum entfernt, auch ohne weitere Merkmale den objektiven Tatbestand des § 266 StGB erfüllen. Zu dieser Fragestellung wurde lange ein Konflikt zwischen dem 1. und dem 3. Strafsenat des BGH gesehen, der durch das Bundesverfassungsgericht geklärt worden sei.840 Tatsächlich aber bestärken die relevanten Entscheidungen des BGH mit unterschiedlichen dogmatischen Rechtfertigungen zumindest für Organe von Aktiengesellschaften übereinstimmend, dass jede Entscheidung, die das unternehmerische Ermessen gemäß § 93 Abs. 1 AktG überschreitet, den objektiven Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB begründen kann. Der vermeintliche Konflikt wird oft auf zwei Entscheidungen des 1. Strafsenats aus dem Jahr 2001 und die Mannesmann-Entscheidung des 3. Strafsenats aus dem Jahr 2005 zurückgeführt. In den beiden früheren Entscheidungen hielt der 1. Strafsenat zunächst in einem Fall zur Untreue bei der Vergabe von übermäßig riskanten Krediten durch eine Sparkasse fest, dass eine Pflichtverletzung „gravierend“ 836 § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG. s. supra, Die sogenannte Business Judgment Rule in Deutschland (§ 93 Abs. 1 Satz 2) (S. 128). 837 Wie bereits eingehend erläutert, verlangt das Gesetz, dass die Organmitglieder „vernünftigerweise annehmen durften, auf der Grundlage angemessener Information zum Wohle der Gesellschaft zu handeln.“ Für die Bedeutung dieses letztendlich objektiven Standards, s. supra, Objektiv/subjektive Beurteilung des Gesellschaftsinteresses (S. 132). 838 Vgl. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 14; Hopt, § 93 AktG, Großkomm. AktG (2014), Rn. 129. 839 s. supra, Verschuldensgrad (S. 130). 840 Vgl. z. B. Kindhäuser, § 266 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 75b; Wagner/Spemann, Organhaftungs- und Strafbarkeitsrisiken, NZG 2015, S. 947. Vgl. auch Schünemann, Gestrüpp des Untreuetatbestandes, NStZ 2006 (zum Konflikt zwischen den beiden Strafsenaten vor Erlass der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts).
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sein müsse, um den Tatbestand des § 266 StGB zu begründen.841 Bei den relevanten Pflichten handelte es sich dabei um Informations- und Prüfungspflichten im Zusammenhang mit § 18 KWG.842 Kurz darauf verstärkte der Senat die Notwendigkeit einer „gravierenden“ Pflichtverletzung in einer weiteren Entscheidung, dieses Mal zu illegitimen Unternehmensspenden einer Aktiengesellschaft, im vorliegenden Fall veranlasst durch den Vorstandsvorsitzenden.843 Obwohl er in diesem Fall einen gravierenden Missbrauch der Befugnisse des Angeklagten feststellte, hob der Senat hervor, dass nicht jede gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung zu einer Verurteilung wegen Untreue führen müsse.844 Das vier Jahre später verkündete Mannesmann-Urteil des 3. Strafsenats konnte zumindest auf den ersten Blick als dieser Rechtsprechung entgegengesetzt betrachtet werden. Denn der Senat erklärte, dass die angeklagten Aufsichtsratsmitglieder durch die Gewährung von nachträglichen Anerkennungsprämien ihre Vermögensbetreuungspflicht im Sinne des § 266 StGB verletzt hatten, „ohne dass dem Merkmal einer ,gravierenden‘ Pflichtverletzung irgendeine Bedeutung zukommen kann.“845 Die gewährten Prämien hatten keine vertragliche Grundlage, die Mannesmann AG war in der Vodaphone Holding GmbH aufgegangen und die Vorstandsmitglieder hatten das Unternehmen verlassen,846 so dass der Senat keine Rechtfertigung im Unternehmensinteresse feststellen konnte.847 Tatsächlich ist die Entscheidung als Erweiterung und Präzisierung der Rechtsprechung des 1. Strafsenats zu verstehen, denn im Fall Mannesmann sah der 3. Strafsenat nicht grundsätzlich erlaubtes Handeln, das zu einer herkömmlichen Pflichtverletzung geführt hat, sondern ein Handeln, für das keinerlei gesellschaftsrechtlicher Spielraum bestand, weil die Entscheidungen der Organmitglieder dem Unternehmensinteresse, das der Senat als „verbindliche Richtlinie“ aller unternehmerischen Entscheidungen bezeichnete,848 diametral ent-
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BGH, Urteil vom 15. November 2001, 1 StR 185/01, BGHSt 47, 148, Rn. 55. BGH, BGHSt 47, 148 (2001), Rn. 45 ff. 843 BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2001, 1 StR 215/01, BGHSt 47, 187 (SSV Reutlingen), Rn. 33. 844 BGH, BGHSt 47, 187 (SSV Reutlingen, 2001), Rn. 33 & 36. 845 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 38. 846 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 1 ff. 847 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 19. 848 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 21. Der Senat stellte sich damit den Teilen des Schrifttums entgegen, die das Unternehmensinteresse seines Erachtens als „unverbindliche[n] Leitgedanke[n]“ betrachten wollten. BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 21. Zur Rolle der Betrachtung des Gesellschaftswohls in diesem Zusammenhang und dem Konflikt zwischen dem herrschenden monistischen Shareholder-Modell im Strafrecht und dem pluralistischen Stakeholder-Modell im Gesellschaftsrecht, s. Nattkemper, Untreuestrafbarkeit des Vorstands (2013), S. 26 f. & 79 ff. Allerdings ist eine monistische Sicht zu erwarten, sofern es um Unternehmen am Ende ihrer Existenz als unabhängige Gesellschaften geht (wie im Fall Mannesmann). Vgl. supra, Einvernehmliche Übernahmen und Revlon (S. 162). 842
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gegenstanden.849 Eine Abstufung außerhalb dieses Spielraums für gravierende und nicht-gravierende Pflichtverletzungen war für den Senat nicht denkbar, da außerhalb des Spielraums keine nicht-gravierende Pflichtverletzung vorstellbar sei. Diese Auffassung teilt offenkundig auch der 1. Strafsenat, der einen Monat zuvor eine Erweiterung der eigenen Rechtsprechung unternommen hatte, die in der Konsequenz zu demselben Ergebnis führte. In seiner Entscheidung zum Fall Kinowelt stellte er fest, dass das Merkmal der „gravierenden“ Pflichtverletzung zwar notwendig sei, dass aber der Rahmen des Ermessens, das einem Organmitglied unter § 93 Abs. 1 AktG gewährt wird, so weit ist, dass ein Handeln außerhalb dieses Freiraums zwangsläufig als gravierend zu betrachten sei.850 Hier gehe es nicht, so der Senat, um eine einfache gesellschaftsrechtliche Pflichtwidrigkeit, sondern um die Verletzung einer „Hauptpflicht“.851 Die beiden Senate divergieren also zur semantischen Frage, ob eine Pflichtverletzung als „gravierend“ bezeichnet werden muss, doch besteht Einigkeit, dass Handlungen, die über das unternehmerische Ermessen hinausgehen, eine Grundlage für den Untreuetatbestand gemäß § 266 StGB schaffen. Für Organe schaffen die beiden Urteile somit eine identische Rechtsrealität.852 Hieran ändert auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Untreue aus dem Jahr 2010 nichts. Der Zweite Senat stellte fest, dass der Untreuetatbestand nur bei Vorliegen „klarer und deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns“ angewendet werden könne, um dem Bestimmtheitsgebot des Grundgesetzes zu entsprechen.853 Es bestätigte dabei die Zulässigkeit des vom 1. Strafsenat des BGH vertretenen Merkmals der „gravierenden“ Pflichtverletzung, beschränkte die mögliche Begrenzung des Tatbestands aber ausdrücklich nicht darauf, sondern auf die Deutlichkeit der Pflichtverletzung, und überließ die weitere Ausgestaltung den Strafgerichten.854 Da auch Pflichtverletzungen, wie die vom 3. Strafsenat im Fall 849 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 38. Eine weitere Interpretation des Urteils betont die Unausweichlichkeit des Vermögensschadens in den Augen des Senats. Johannes Altenburg, Unternehmerische (Fehl-)Entscheidungen als Untreue?: Eine gefährliche (Fehl-)Entwicklung!, Betriebs-Berater 2015, 323, S. 325. Auch zu beachten ist die ohnehin größere Einschränkung des unternehmerischen Ermessens des Aufsichtsrats in Vergütungsfragen. Nattkemper, Untreuestrafbarkeit des Vorstands (2013), S. 35. 850 BGH, Urteil vom 22. November 2005, 1 StR 571/04, NJW 2006, 453 (Kinowelt), Rn. 26. 851 BGH, NJW 2006, 453 (Kinowelt, 2005), Rn. 26. 852 Ähnlich auch z. B. Martin Wassmer, § 266 StGB – Untreue, in: Jürgen Peter Graf/ Markus Jäger/Petra Wittig (Hrsg.), Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011), Rn. 94; Altenburg, Unternehmerische (Fehl-)Entscheidungen, BB 2015, S. 325. Vgl. auch OLG Braunschweig, ZIP 2012, 1860 (2012). Da diese Kongruenz nicht nur deutlich, sondern aus Sicht des 3. Strafsenats auch sinnvoll und nachvollziehbar ist, sind im Ergebnis weniger eindeutige semantische Kontrastinterpretationen des Schrifttums nicht notwendig. s. z. B. Schünemann, Gestrüpp des Untreuetatbestandes, NStZ 2006, S. 197 f.; Kindhäuser, § 266 StGB, Komm. StGB (Kindhäuser/Neumann/Paeffgen) (2013), Rn. 75b. 853 BVerfG, BVerfGE 126, 170 (2010), Rn. 110. 854 „[…], dass sich gravierende Pflichtverletzungen nur dann werden bejahen lassen, wenn die Pflichtverletzung evident ist.“ BVerfG, BVerfGE 126, 170 (2010), Rn. 111. Es stellte dabei
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Mannesmann festgestellte, zweifellos als „klar und deutlich“ zu betrachten sind, wenn sie außerhalb jedes Handlungsfreiraums getroffen werden und dem Unternehmensinteresse entgegen gesetzt sind, sind sie mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vollends vereinbar.855 Das entspricht auch der Ansicht des 1. Strafsenats, der alle Pflichtverletzungen außerhalb des unternehmerischen Spielraums als „gravierend“ bezeichnet856 und sie damit als Untergruppe der „gravierenden“ Pflichtverletzungen sieht. Dem widersprechende spätere Rechtsprechung und Deutungen des Schrifttums sind abzulehnen. Häufig beruhen diese auf dem unrichtigen Verständnis, die Mannesmann-Entscheidung hätte alle gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzungen, auch „einfache Verstöße“ als Grundlage für die Untreue betrachtet.857 Dies ist ausdrücklich nicht der Fall.858 Auch mit den früheren Entscheidungen des 1. Strafsenats aus dem Jahr 2001 ist die spätere Rechtsprechung vereinbar. Denn die Urteile beider Senate im Jahr 2005 bestätigen die damalige Ansicht, dass nicht jede gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzung als Basis für strafrechtliche Untreue dienen kann.859 Der Senat sprach damals von einer „Gesamtschau“, die eine „gravierende“ Pflichtverletzung ergeben müsse.860 Die von ihm genannten Merkmale der Gesamtschau hätten ebenso gut Merkmale einer Verletzung von § 93 Abs. 1 AktG sein können, denn bei fehlender „Nähe zu Unternehmensgegenstand“, „Unangemessenheit im Hinblick auf Ertragsund Vermögenslage“ und dem „Vorliegen sachwidriger Motive, namentlich Verfolgung rein persönlicher Präferenzen“,861 kann kaum davon ausgegangen werden, dass der Entscheidungsträger „vernünftigerweise annehmen durfte, […] zum Wohle
nicht fest, dass Pflichtverletzungen nur evident sein können, wenn sie gravierend sind. Vgl. auch z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 12. 855 Das Bundesverfassungsgericht zitierte die Mannesmann Entscheidung mehrfach, nahm aber keinerlei verfassungsrechtlich kritische Stellung zu ihrem Inhalt. BVerfG, BVerfGE 126, 170 (2010), Rn. 110 f. 856 BGH, NJW 2006, 453 (Kinowelt, 2005), Rn. 26. Vgl. auch Nattkemper, Untreuestrafbarkeit des Vorstands (2013), S. 31 („Die ,gravierende Pflichtverletzung‘ […] als Ermessenssubstitut“). 857 OLG Hamm, vom 21. August 2012, III-4 RVs 42/12, NStZ-RR 2012, 374, S. 374. Vgl. auch Matthias Schatz/Sebastian Schödel, Anmerkung zu OLG Braunschweig: Untreue von Aufsichtsratsmitgliedern wegen satzungswidriger Abrechung von Sitzungsgeldern, Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht 2013, 27, S. 28. 858 Differenzierend s. z. B. Nattkemper, Untreuestrafbarkeit des Vorstands (2013), S. 28 f. 859 Das erste der beiden Urteile betraf zwar spezifische kreditrechtliche Auflagen bei einer Sparkasse, die für gesellschaftsrechtliche Pflichten bei einer Aktiengesellschaft nur bedingte Relevanz haben müssen, doch ergab sich durch das darauf direkt folgende Urteil eine schlüssige Linie auch in das Aktienrecht. 860 BGH, BGHSt 47, 148 (2001), Rn. 34. 861 BGH, BGHSt 47, 148 (2001), Rn. 34.
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der Gesellschaft zu handeln.“862 Somit hätte er den geschützten Freiraum des unternehmerischen Ermessens auch gesellschaftsrechtlich verlassen, und sowohl die Kinowelt- als auch die Mannesmann-Entscheidung kämen zu einem gleichen Ergebnis.863 Ein gesellschaftsrechtlicher Einwand muss der aktuellen Rechtsprechung allerdings entgegengebracht werden: Solange unter § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG Organentscheidungen bereits durch einfach fahrlässige Verstöße gegen Sorgfalts- oder Treupflicht als außerhalb des unternehmerischen Ermessens gewertet werden,864 müsste sich nach der hier dargelegten Rechtsprechung des 1. und des 3. Strafsenats diese gesellschaftsrechtliche Wertung auch auf das objektive Tatbestandselement der Pflichtverletzung unter § 266 StGB übertragen.865 Dies gilt, obwohl dieser geringe Verschuldensgrad aufgrund struktureller Beschränkungen und der Möglichkeit insbesondere von D&O-Versicherungen für die zivilrechtliche Haftungsrealität eine untergeordnete Rolle spielt.866 Zwar bietet das im Weiteren besprochene Erfordernis des wenigstens bedingten Vorsatzes einen gewissen Schutz vor Untreueverurteilungen für lediglich fahrlässige Handlungen, doch lässt sich den Entscheidungen beider Senate entnehmen, dass sie fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen gerade nicht als ausreichend für die Begründung von Strafbarkeit gelten lassen wollen.867 Insbesondere würde eine solche Wertung den Kontrast zu anderen gesellschaftsrechtlichen Pflichtverletzungen erblassen lassen, soll doch „nicht jede“ Pflichtverletzung strafrechtlich relevant sein.868 Die „– weit zu ziehenden – äußersten Grenzen 862
§ 93 Abs. 1 S. 2. Der einzige vom 1. Strafsenat genannte Faktor, der für Unternehmensspenden relevant sein kann, aber nicht für unternehmerische Entscheidungen allgemein relevant sein muss, ist die „fehlende innerbetriebliche Transparenz.“ BGH, BGHSt 47, 148 (2001), Rn. 34. 863 Dabei stellte der 1. Strafsenat in beiden der früheren Urteile Pflichtverletzungen im Sinne von § 266 StGB fest, so dass diesen Urteilen keine Beispiele für strafrechtlich nichtrelevante gesellschaftsrechtliche Pflichtverletzungen zu entnehmen sind. Denkbar wären aber Verletzungen eher technischer Pflichten, in denen der Gesellschaft ein Vermögensnachteil beispielsweise durch die nicht fristgerechte Erledigung bestimmter Vorstandsaufgaben entsteht. Im Schrifttum wird insbesondere hervorgehoben, dass eine Verletzung der Legalitätskontrollpflicht noch nicht als Untreue durch Unterlassen gemäß § 13 StGB gewertet werten sollte. Koch, § 93 AktG, Kurzkomm. AktG (2016); Gerald Spindler, § 91 AktG – Organisation; Buchführung, in: Wulf Goette/Mathias Habersack (Hrsg.), Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage (2014), Rn. 72. s. auch z. B. Grützner/Behr, Haftung von Compliance Officer, Vorstand und Aufsichtsrat, DB 2013. S. 565. 864 Vgl. supra. Verschuldensgrad (S. 130). 865 Vgl. z. B. Thomas Fischer, § 266 StGB – Untreue, in: Thomas Fischer (Hrsg.), Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen (2017), Rn. 108. 866 s. supra, Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland (S. 258). 867 Vgl. auch z. B. Krause, Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrates, NStZ 2011, S. 63 (Beschränkung auf Fällen in denen „dieser Spielraum in evident unvertretbarer Weise überschritten wird“). 868 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 36. Der 1. Strafsenat grenzte die Verletzungen von „Hauptpflicht[en]“ ab. BGH, NJW 2006, 453 (Kinowelt, 2005), Rn. 26.
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unternehmerischer Entscheidungsfreiheit“869 werden daher im Gesellschaftsrecht möglicherweise nicht so weit gezogen, wie es sich dem Bundesgerichtshof in den ihm vorliegenden Fällen im strafrechtlichen Zusammenhang (im Jahr 2005, nur wenige Wochen nach Inkrafttreten des UMAG) darstellte,870 denn gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG871 kann bereits jede auch nur fahrlässig begangene Pflichtverletzung zu zivilrechtlichen Ansprüchen gegen ein Organ führen.872 Die Verwendung der zivilrechtlichen Konzepte und Begrifflichkeiten wird entsprechend in der strafrechtlichen Rechtsprechung zu § 266 StGB nicht haltbar sein.873 Auch mit Blick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts bleibt im Sinne der bestehenden Rechtsprechung des BGH eine entsprechende Korrektur der Sprachregelung und eine Abkopplung vom gesellschaftsrechtlichen Ermessensspielraum entsprechend abzuwarten. b) Vorsatz im Hinblick auf unternehmerische Entscheidungen Neben der Erfüllung des objektiven Tatbestands durch eine strafrechtlich relevante Pflichtverletzung, die zu einem Vermögensnachteil für die Gesellschaft führt, müssen die Organmitglieder vorsätzlich gehandelt haben, um sich der Untreue schuldig zu machen.874 Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf den Pflichtverstoß875 und den Vermögensnachteil.876 Anders als bei der zivilrechtlichen Beurteilung, ob der Rahmen des unternehmerischen Ermessens gemäß § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG überschritten worden ist, muss also bereits zum Zeitpunkt der unternehmerischen Entscheidung eine Verletzung der Treupflicht vorgelegen haben. Mangelnde Sorgfalt allein kann für eine strafrechtliche Verurteilung nicht ausreichen. Wesentlich ist allerdings auch die Abgrenzung zu Pflichten, die nicht dem Vermögensschutz dienen, deren Verletzung den Tatbestand des § 266 StGB nicht erfüllen kann. BGH, Beschluss vom 13. September 2010, 1 StR 220/09, NJW 2011, 88 (Siemens/AUB), S. 36. 869 BGH, NJW 2006, 453 (Kinowelt, 2005), Rn. 26. 870 Das UMAG, das die deutsche Business Judgment Rule in § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG kodifizierte, war erst am 1. November, wenige Wochen vor den Entscheidungen in den Fällen Kinowelt und Mannesmann in Kraft getreten, so dass die beiden Strafsenate zwar auf ausführliche Rechtsprechung und rechtswissenschaftliche Betrachtungen zur deutschen Business Judgment Rule gemäß ARAG/Garmenbeck, nicht aber auf lange Erfahrungen und Stellungnahmen ihrer zivilrechtlichen Kollegen zum unternehmerischen Ermessen in seiner dann geltenden Form Bezug nehmen konnten. 871 i.V.m. § 93 Abs. 2 Satz 1 AktG. 872 s. supra, Verschuldensgrad (S. 130). 873 Für eine eingehende Betrachtung des Konflikts zwischen zivil- und strafrechtlicher Konzeption, vgl. z. B. Nattkemper, Untreuestrafbarkeit des Vorstands (2013), S. 87 ff. 874 § 266 i.V.m. § 15 StGB. Vgl. auch Perron, § 266 StGB, Komm. StGB (Schönke/ Schröder) (2014), Rn. 49; Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 281 ff. 875 s. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 281; Fischer, § 266 StGB, in StGB (2017), Rn. 172 ff. 876 s. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 283; Fischer, § 266 StGB, in StGB (2017), Rn. 175 ff.
C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten
439
Doch auch hier bestehen Gefahren selbst für an sich redlich handelnde Organe, denn nach herrschender Meinung kann bereits bedingter Vorsatz genügen, um den subjektiven Tatbestand zu erfüllen. Zur Frage, unter welchen Umständen dieser bedingte Vorsatz gegeben ist, besteht noch keine Einigkeit in Rechtsprechung und Schrifttum.877 Der 1. Strafsenat des BGH vertritt zum Beispiel die Auffassung, dass ein Organmitglied den subjektiven Tatbestand der Untreue „nahezu stets“ durch Billigung erfüllt haben wird, wenn ihm zum Zeitpunkt der in Frage stehenden Entscheidung bewusst war, dass die Entscheidung die Existenz der Gesellschaft gefährden könnte.878 Ist es zum Verlust gekommen, wird eine Existenzgefährdung im Nachhinein leicht festzustellen sein, selbst wenn sich das existenzgefährdende Risiko zum Zeitpunkt der Entscheidung kaum vermeiden ließ oder eine derart riskante Entscheidung nötig war, um eine sichere Existenzvernichtung möglicherweise zu vermeiden.879 Teile des Schrifttums hingegen sehen bereits bei Billigung einer möglicher Pflichtverletzung und eines möglichen Schadens den subjektiven Tatbestand als erfüllt.880 Hier bestehen nach wie vor strafrechtliche Risiken, die auch eigentlich redliche Organmitglieder insbesondere in insolvenznahen Situationen treffen können.881 Es ist im Hinblick auf die Pflichtverletzungen außerhalb des unternehmerischen Ermessensspielraums882 allerdings festzuhalten, dass die Rechtsprechung sowohl auf straf- als auch auf gesellschaftsrechtlicher Seite eine gewisse Vermischung von objektiven und subjektiven Elementen in Kauf nimmt, da zahlreiche der Faktoren, die die Erfüllung des objektiven Tatbestands begründen, stark an Vorsatz erinnernde Elemente beinhalten.883 So ist beispielsweise das Handeln im persönlichen oder fremden Interesse statt zum Wohle des Unternehmens ein wichtiger Indikator des
877
s. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 283; Wassmer, § 266 StGB, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011), Rn. 224; Fischer, § 266 StGB, in StGB (2017), Rn. 172 ff. 878 BGH, BGHSt 47, 148 (2001), Rn. 79. Vgl. auch BGH, Urteil vom 13. Mai 2004, 5 StR 73/03, NStZ 2004, 559 (Bremer Vulkan); BGH, NJW 2009, 2225 (2009), S. 2227; BGH, Urteil vom 2009, 5 StR 34/08, NStZ 2009, 153, S. 154. 879 Vgl. auch Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), Rn. 283. 880 Vgl. z. B. Altenburg, Unternehmerische (Fehl-)Entscheidungen, BB 2015. Aber vgl. auch Fischer, § 266 StGB, in StGB (2017), Rn. 178 f.; Wassmer, § 266 StGB, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht (2011), Rn. 222 ff. 881 Vgl. auch Mehle/Bärlein, Aufsichtsrat und Strafrecht, AR 2014, S. 9. Zur Vorsatzproblematik bei Risikogeschäften, s. auch BGH, Urteil vom 28. Mai 2013, 5 StR 551/11, AG 2013, 640, Rn. 19 ff. 882 s. supra, Relevante Elemente des § 266 StGB für Organe von Aktiengesellschaften (S. 432). 883 s. z. B. BGH, AG 2013, 640 (2013), Rn. 18. Vgl. auch Perron, § 266 StGB, Komm. StGB (Schönke/Schröder) (2014), Rn. 50.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
objektiven Tatbestands.884 Für Organe, die sich um redliches Handeln bemühen, bedeutet dies einen zusätzlichen Schutz vor Vorwürfen der Untreue. 3. Anwendung des § 266 StGB bei Entscheidungen von Organen Insgesamt lässt sich festhalten, dass das Zusammenspiel der verschiedenen Tatbestandselemente eine Verurteilung wegen Untreue durch reine Corporate Governance Verfehlungen eher unwahrscheinlich macht, solange die vom BGH eingeschlagene und vom Bundesverfassungsgericht bestätigte Linie der Rechtsprechung gewahrt wird. Entscheidend ist dabei, dass die Entscheidungsträger aktiv und nachvollziehbar um die Wahrung des Unternehmensinteresses bemüht sind, da dann eine relevante Pflichtverletzung unwahrscheinlich und eine Feststellung bedingten Vorsatzes fast unmöglich ist. Dies gilt für unternehmerische Entscheidungen des Vorstands und ggf. durch den Aufsichtsrat ebenso wie für die Überwachung der Entscheidungen des Vorstands durch den Aufsichtsrat.885 Keine Veranlassung besteht auch für die durch das Mannesmann-Urteil ausgelösten Befürchtungen, dass Vergütungsentscheidungen reihenweise zu Untreueverurteilungen von Aufsichtsräten führen würden. Der 3. Strafsenat zog die Grenzen zulässiger Vergütungsentscheidungen in der Entscheidung sehr weit und sah mögliche Rechtfertigungen im Sinne des Unternehmensinteresses selbst für nachträgliche Anerkennungsprämien für ausscheidende Vorstandsmitglieder, wenn diese Prämien beispielsweise als Anreiz für verbleibende Angestellte dienen können.886 Lediglich im Fall der durch Verschmelzung nicht mehr existierenden Mannesmann AG war ein solcher Vorteil nicht mehr möglich.887 Diese Rechtslage ändert auch der durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) im Jahr 2009 verschärfte § 87 AktG nicht, wonach Entscheidungen zur Vorstandsvergütung nur dann pflichtgemäß sind, wenn ein angemessenes Verhältnis zu Aufgaben und Leistungen und zur Lage der Gesellschaft gewahrt bleibt.888 Um sich der Untreue im Zusammenhang mit Vorstandsvergütung schuldig zu machen, muss ein Aufsichtsrat wenigstens bedingt vorsätzlich klar außerhalb seines unternehmerischen Ermessens bzw. gravierend pflichtwidrig gehandelt haben und den Vermögensnachteil für die Gesellschaft wenigstens billigend in Kauf genommen haben. Kommt das beurteilende Gericht ex post zu einer anderen
884
BGH, BGHSt 47, 148 (2001), Rn. 34. Vgl. z. B. Dierlamm, § 266 StGB, Münch. Komm. StGB (2014), S. 80; Brand/Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012, S. 63; Krause, Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrates, NStZ 2011, S. 58 f.; Wagner/Spemann, Organhaftungs- und Strafbarkeitsrisiken, NZG 2015, S. 948. 886 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 18. 887 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005). 888 § 87 S. 1 AktG. 885
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Bewertung der Angemessenheit der Vergütung, kann dies ohne Erfüllung der weiteren Elemente des Tatbestands nicht zu einer Verurteilung nach § 266 StGB führen. Ähnlichen Herausforderungen gegenüber sieht sich der Aufsichtsrat bei der Frage, ob zivilrechtliche Ansprüche gegen ein Vorstandsmitglied verfolgt werden sollten, das der Gesellschaft durch eine Pflichtverletzung einen Schaden zugefügt hat.889 Auch hier übernimmt der Aufsichtsrat die Rolle der Geschäftsleitung,890 allerdings verfügt er dabei über einen eingeschränkten Entscheidungsspielraum. So darf der Aufsichtsrat von der Verfolgung von Ansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern nur dann absehen, wenn die Durchsetzbarkeit nicht ausreichend gesichert erscheint oder wenn „gewichtige Interessen und Belange der Gesellschaft dafür sprechen, den ihr entstandenen Schaden ersatzlos hinzunehmen“,891 beispielsweise aufgrund einer zu erwartenden unverhältnismäßigen Störung der Vorstandsarbeit.892 Obwohl der BGH in seiner ARAG-Entscheidung vorsah, dass Aufsichtsräte auf diese Weise nur „ausnahmsweise“ von der Anspruchsverfolgung absehen,893 ist diese Ausnahme doch so weit gefasst, dass Aufsichtsräte die Verfolgung insbesondere noch aktiver Vorstände und insbesondere für relativ geringe Schadensersatzsummen aufgrund nicht vorsätzlich begangener Pflichtverletzungen daher in den meisten Fällen ablehnen können werden.894 Trifft ein Aufsichtsrat diese Entscheidung aber aus unternehmensfremden Gründen, beispielsweise beeinflusst durch persönliche Beziehungen zum Vorstand, obgleich eine erfolgreiche Durchsetzung wahrscheinlich scheint und ihr keine gewichtigen Gründe im Unternehmensinteresse entge889
Vgl. z. B. Brand/Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012. § 112 AktG. 891 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 25. 892 Die Interessen des Unernehmens, die gegen eine Verfolgung sprechen, müssen dem Interesse an der Verfolgung „zumindest annähernd gleichwertig“ sein. BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 25. Vgl. z. B. Thümmel, Pflichten des Aufsichtsrats bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen, DB 1997; Fleischer, Handbuch Vorstandsrecht (2006), § 11, Rn. 110; Paefgen, Inanspruchnahme pflichtvergessener Vorstandsmitglieder, AG 2008; Habersack, § 116 AktG, Münch. Komm. AktG (2014), Rn. 42; Brand/Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012, S. 63; Helmrich/Eidam, Untreue durch Verzicht auf Schadensersatzforderungen, ZIP 2011, S. 261. Widerspricht die Verfolgung der Ansprüche deutlich dem Unternehmensinteresse, so können sich dafür zivilrechtliche Ansprüche gegen den Aufsichtsrat ergeben. s. z. B. Wagner/Spemann, Organhaftungs- und Strafbarkeitsrisiken, NZG 2015, S. 946. Da aufgrund der Kosten der Verfolgung ein Vermögensschaden entsteht, ist dann auch die strafrechtliche Ahndung gemäß § 266 StGB nicht ausgeschlossen. Vgl. auch Krause, Strafrechtliche Haftung des Aufsichtsrates, NStZ 2011, S. 62. 893 BGH, BGHZ 135, 244 (ARAG/Garmenbeck, 1997), Rn. 25. 894 Vgl. z. B. Thümmel, Pflichten des Aufsichtsrats bei der Verfolgung von Haftungsansprüchen, DB 1997; Paefgen, Inanspruchnahme pflichtvergessener Vorstandsmitglieder, AG 2008, S. 768; Hasselbach, Verzicht auf Schadensersatzansprüche, DB 2010, S. 2041. s. auch Brand/Petermann, Auswirkungen der „AUB-Rechtsprechung“, WM 2012, S. 66 f. (mangels Rechtsprechung besteht keine abschließende Sicherheit, ob Untreuevorwürfen dieser Art tatsächlich stattgegeben würde). 890
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
genstehen, kann es hier möglicherweise zu Vorwürfen der Untreue gemäß § 266 i.V.m. § 13 StGB kommen.895
III. Vergleich von Untreue und Honest Services Fraud als strafrechtliche Durchsetzung gesellschaftsrechtlicher Loyalitätspflichten Ein Unterschied, der zwischen dem amerikanischen und dem deutschen „Corporate Governance Strafrecht“ bereits deutlich wurde, zeichnet sich auch im Unterschied zwischen dem Honest Services Fraud vor Skilling und der Untreue gemäß § 266 StGB ab: Während das amerikanische Strafrecht großen Wert auf die Verhaltenssteuerung legt, welche es durch die Sanktionierung des Handelns zu erreichen sucht, ist für die Strafbarkeit im deutschen System der durch die Handlungen entstandene Schaden ausschlaggebend. Zwar werden die deutlich geringeren Ansprüche an den objektiven Tatbestand des Honest Services Fraud896 dadurch ausgeglichen, dass für eine Verurteilung betrügerische Absichten nachgewiesen sein müssen,897 während die Rechtsprechung zur objektiv schwerer zu erfüllenden Untreue der Staatsanwaltschaft den Nachweis des subjektiven Tatbestands erleichtert, der bereits durch die Billigung des möglichen Schadens gegeben sein kann.898 Da das Eintreten des Schadens, der unter § 266 StGB den Unterschied zwischen Strafbarkeit und Straffreiheit bedeutet, aber oft weder für den Handelnden noch für den Gesetzgeber im Voraus abzusehen ist, ist auch in diesem Bereich die Situation für Unternehmensleiter in Deutschland von deutlich geringerer Rechtssicherheit geprägt, die Anpassung des Verhaltens erschweren. Die Balance, die sie zwischen kostspieliger Prävention und erwünschter wirtschaftlicher Risikobereitschaft treffen und deren Kalibrierung ein wesentliches Ziel der Corporate Governance Haftung ist, ist in Folge dessen von gesetzgeberischer Seite in Deutschland schlechter zu beeinflussen. 1. Honest Services Fraud und Untreue als teilkongruente Tatbestände Der Tatbestand des Honest Services Fraud, insbesondere in seiner Form vor Skilling, ist zur der Untreue gemäß § 266 StGB teilkongruent. Die Grundlage beider Tatbestände ist ein Treubruch. Ist auch der subjektive Tatbestand erfüllt, reicht dieser 895
s. z. B. Fischer, § 266 StGB, in StGB (2017), Rn. 105. s. supra, Honest Services Fraud und die Skilling-Entscheidung (S. 425). Die Entscheidung des U.S. Supreme Court zu Skilling hat den objektiven Tatbestand durch die Notwendigkeit von Bestechung oder Kick-Backs deutlich erhöht und spezifiziert. 897 18 U.S.C. §§ 1341 & 1342. Vgl. auch Barone, Contours of Section 1346, 38 Del. J. Corp. L. 571 (2013), S. 576. 898 s. supra, Vorsatz im Hinblick auf unternehmerischen Entscheidungen (S. 438). 896
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Treubruch für den Honest Services Fraud bereits aus,899 denn verweigert ein Director oder Officer eine geschuldete Loyalität, verweigert er damit auch seine Honest Services („aufrichtige Dienste“). Hierin besteht bereits der tatbestandsbegründende Schaden des Honest Services Fraud. Damit greift die Strafbarkeit aufgrund des Honest Services Fraud bereits bei Verletzung einer Pflicht, ohne dass es zu einem materiellen Schaden gekommen sein muss. Für eine Verurteilung wegen Untreue in Deutschland müsste bei gleicher Faktenlage zusätzlich ein nachvollziehbarer Vermögensschaden entstanden sein.900 Der Honest Services Fraud sanktioniert an sich legitime Handlungen (die Benutzung der Post- oder Telekommunikationskanäle), wenn diese mit betrügerischen Absichten vorgenommen werden („scheme or artifice to defraud“901). Der Tatbestand ist bereits verwirklicht mit dem Handeln des Schädigers. Hierfür ist es irrelevant, ob seine Handlungen den von ihm erwünschten Erfolg hatten. Unter § 266 StGB hingegen ist die Versuchsstrafbarkeit ausgeschlossen. Der Honest Services Fraud (zusammen mit allen anderen Formen des Mail und Wire Fraud) ist aus deutscher Perspektive stattdessen eher als Versuchsdelikt zu verstehen, das Handlungen unter Strafe stellt, die den Betrugserfolg herbeiführen sollen, aber nicht müssen.902 Die Gründe für diese Konstruktion liegen zwar in der Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen State Law und Federal Law, die dem Federal Law einen direkten Zugriff auf generelle Betrugstatbestände verwehrt. Obwohl die Gesetzgebung somit nicht auf die Verbesserung von Corporate Governance gezielt hat, ergibt sich dennoch ein stimmiges Gesamtbild mit z. B. der Responsible Corporate Officer Doctrine und dem Kapitalmarktstrafrecht, in dem die ex-ante Verhaltenssteuerung zur Schadensprävention und nicht die Bestrafung einer Schadensherbeiführung im Vordergrund steht. 2. Honest Services Fraud und Untreue als Ersatz für fehlende zivilrechtliche Klagemöglichkeiten Sowohl aus der immateriellen Natur des angestrebten Schadens, als auch aus der Trennung von Schaden und strafbarer Handlung ergibt sich ein weiterer wesentlicher Faktor, der die Bedeutung des Honest Services Fraud für die Corporate Governance Haftung ausmacht: Er erlaubt die strafrechtliche Sanktionierung in Situationen, in denen Schadensersatzforderungen nicht möglich wären, da kein quantifizierbarer Schaden eingetreten ist. Directors und Officers werden somit inzentiviert, der Gesellschaft und ihren Aktionären stets „aufrichtige Dienste“ zu erweisen, auch wenn die Verletzung ihrer Loyalitätspflicht keine messbaren Kosten zur Folge hätte. 899 Betrügerische Absichten und die Benutzung der Post oder der Telekommunikationskanäle müssen ebenso gegeben sein. 18 U.S.C. §§ 1341 & 1343, i.V. m. § 1346. 900 Zudem muss es sich bei der verletzten Pflicht spezifisch um eine Vermögensbetreuungspflicht gehandelt haben. s. supra, Grundsätzliche Abgrenzung zum Honest Services Fraud (S. 431). 901 18 U.S.C. §§ 1341 & 1343, i.V.m. § 1346. 902 18 U.S.C. §§ 1341 & 1343, i.V. m. § 1346.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Wie auch Verletzungen der relevanten Normen im Zusammenhang mit der Responsible Corporate Officer Doctrine kommt es so nicht zu Kalkulationen zur Cost of Doing Business, die Loyalitätspflichtverletzungen attraktiv erscheinen lassen können. Darüber hinaus erweitert der Honest Services Fraud die Gruppe der möglichen Geschädigten über die zivilrechtliche Geltendmachung von Ansprüchen hinaus, da das Pflichtenverhältnis nicht auf die gesellschaftsrechtlichen Fiduciary Duties beschränkt ist.903 Nicht nur die Gesellschaft, sondern auch ihre Aktionäre und Vertragspartner haben daher ein Recht auf die Honest Services von Officers, Directors und anderer Angestellter, auch wenn die verletzte Pflicht nicht die formale Duty of Loyalty ist.904 Auch § 266 StGB gewinnt einen großen Teil seiner tatsächlichen Bedeutung für die Verfolgung von Vorständen und Aufsichtsräten aus dem Mangel an zivilrechtlichen Alternativen. Zwar bestehen in Fällen von Untreue per definitionem auch zivilrechtliche Ansprüche, da ein Vermögensschaden aus einer Pflichtverletzung entstanden ist und die gemäß § 266 StGB nötige vorsätzliche Treupflichtverletzung § 93 Abs. 1 Satz 2 AktG unanwendbar macht. Doch die Organe sind der Gesellschaft und nicht den Aktionären gegenüber vermögensbetreuungspflichtig, so dass nur die Gesellschaft Schadensersatz fordern kann. Ansprüche aufgrund von Pflichtverletzungen der Organe können durch die sehr eingeschränkten Aktionärsklagevehikel im deutschen Aktienrecht praktisch jedoch kaum durch die Aktionäre verfolgt werden.905 Strafanzeige zu erstatten steht hingegen jedem Aktionär offen und bedeutet nur geringfügigen Aufwand, denn die Anforderungen an den Anfangsverdacht für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens sind sehr gering.906 Die Kosten für Aufklärung, sachverständigen Rat und Prozess übernimmt der Staat, der darüber hinaus eingreifendere Ermittlungsmöglichkeiten zur Verfügung hat. Selbst wenn eine Zivilklage möglich ist, können die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft die Ausgangssituation der Kläger optimieren, indem sie eine zuverlässigere Einschätzung des Prozessrisikos erlauben und die Informationslage verbessern.907 Die strafrechtliche Verfolgung von Untreuetatbeständen kann also aus Sicht der Aktionäre eine Lücke im Gesellschaftsrecht füllen. 903
Vgl. z. B. George, 477 F.2d 508 (1973), S. 514; United States v. Sancho, 157 F.3d 918 (2d Cir. 1998); Skilling, 130 S. Ct. 2896 (2010), S. 2936 (Justice Scalia, Sondervotum); United States v. Milovanovic, 678 F.3d 713 (9th Cir. 2012), S. 724; United States v. Gray, 96 F.3d 769 (1996), S. 774; Frost, 125 F.3d 346 (1997), S. 366. Vgl. auch Barone, Contours of Section 1346, 38 Del. J. Corp. L. 571 (2013), S. 587 ff. 904 s. z. B. Sancho, 157 F.3d 918 (1998), S. 921; United States v. Lemire, 720 F.2d 1327 (1983), S. 1335 f.; George, 477 F.2d 508 (1973). 905 s. supra, Fazit: Aktionärsklagen als Instrument zur Verhaltenssteuerung in den USA und Deutschland (S. 258). 906 Vgl. z. B. Bachmann, Gutachten, in 70. Deutscher Juristentag (2014), S E. 93; Altenburg, Unternehmerische (Fehl-)Entscheidungen, BB 2015, S. 326. 907 Regierungskommission „Corporate Governance“, Bericht (2001), Rn. 188.
C. Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten
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IV. Zwischenergebnis: Eignung des Strafrechts zur Verfolgung von treuwidrigem Verhalten Sowohl der Honest Services Fraud als auch die Untreue können also eine Rolle für die Durchsetzung der Corporate Governance in ihrem jeweiligen Rechtssystem haben, die durch andere Vehikel nicht abgedeckt wird. Dies führt zu der wichtigen Frage, ob das Strafrecht das am besten geeignete Mittel zur Ahndung solcher Loyalitätspflichts- bzw. Treuverletzungen ist, für die oft keine anderen Verfolgungsmöglichkeiten bestehen. Auch ohne die Verurteilung zu Haftstrafen sind das Stigma und die anderen Konsequenzen einer Strafverfolgung und -verurteilung um ein Vielfaches größer als bei einer Zivilklage.908 Die besondere Rolle des Strafrechts nicht nur für den Betroffenen, sondern auch für die kollektive Wahrnehmung, die einen präventiven Effekt wahrscheinlich macht, wird bestätigt durch die Reaktion auf zwei höchstrichterliche Entscheidungen, das zivilrechtliche Urteil des Delaware Supreme Court im Fall Disney909 und die Rechtsprechung des BGH zur strafrechtlichen Untreue im Fall Mannesmann,910 in denen es um die Vergütung von Geschäftsleitern ging. Inhaltlich machten beide Entscheidungen die gleiche Aussage: Das Board of Directors bzw. der Aufsichtsrat haben weite Entscheidungsbefugnisse im Hinblick auf die Vergütung der Geschäftsleitung, und nur, wenn sich ihre Entscheidungen absolut nicht mehr durch das Unternehmensinteresse rechtfertigen lassen, kann ein Gericht die Rechtmäßigkeit der Vergütung hinterfragen.911 Im Fall Disney lehnte der Delaware Supreme Court diesen Schluss und die auf „waste“, also Verschwendung von Gesellschaftsvermögen,912 lautende Derivative Action ab, da das im Nachhinein so übertrieben wirkende Vergütungs- und Abfindungspaket von Michael Ovitz vor seinem Amtsantritt verhandelt worden war mit dem Ziel, ihn für die Unternehmensführung zu gewinnen.913 Da sie zu jenem Zeitpunkt laut Feststellungen des Gerichts noch davon ausgegangen waren, dass seine Einstellung das Unternehmensinteresse fördern würde,914 und ein Rational Business Purpose damit denkbar war,915 musste das Gericht die Zahlungen als von der Business Judgment Rule geschützte, rechtmäßige Ausübung des unternehmerischen Ermessens anerkennen. Ohne eine Verletzung der Loyalitätspflicht war auch die Feststellung betrügerischer
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Vgl. supra, Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 295). Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), s. supra, Duty of Loyalty (S. 57). 910 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), s. supra, Notwendigkeit einer „gravierenden“ Pflichtverletzung bei unternehmerischen Entscheidungen (S. 433). 911 Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 74; BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 18. 912 s. supra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 913 Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 75. 914 Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 75. 915 s. supra, Anwendung der Business Judgment Rule (S. 121). 909
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
oder anderer strafrechtlich relevanter Motive nicht möglich, so dass eine Strafverfolgung überhaupt gar nicht erst in Frage kam. Im Fall Mannesmann stellte der BGH ebenfalls fest, dass Vergütungsentscheidungen innerhalb des durch die deutsche Business Judgment Rule geschützten Freiraums den Untreuetatbestand nicht begründen könnten. Die Entscheidung beschreibt dabei verschiedene Situationen, in denen selbst vertraglich nicht vorgesehene nachträgliche Anerkennungsprämien genehmigt werden können.916 Ausschlaggebend ist in jedem Fall, dass die Prämie dem Unternehmensinteresse entspricht, ihm also einen zukunftsbezogenen Nutzen bringt.917 Im Falle der nachträglichen freiwilligen Anerkennungsprämien nach Abschluss der Verkaufsverhandlungen der Mannesmann AG konnte aus Sicht des BGH ein solcher Nutzen nicht gegeben sein.918 Aus rein juristischer Sicht beschreiben die beiden Fälle also eine im höchsten Maße kongruente Rechtslage, die nur aufgrund der unterschiedlichen Tatsachen zu unterschiedlichen Urteilen führte. Die Tatsachenlage in Disney entsprach den vom BGH in der Mannesmann-Entscheidung beschriebenen Szenarien, die auch dort zu einem Freispruch hätten führen müssen.919 Umgekehrt entsprach auch die Begründung des BGH der Argumentation des Delaware Supreme Court in Disney weitgehend.920 Da beide Entscheidungen also dieselbe Kernaussagen trafen, hätten beide, rational betrachtet, ähnliche Reaktionen und Rückschlüsse über die Gefahr hervorrufen müssen, die für Boards of Directors und Aufsichtsräte von der Zustimmung zu exzessiven Vergütungsentscheidungen ausgeht. Die Reaktionen hätten jedoch unterschiedlicher nicht sein können. Während die Disney-Entscheidung als Freibrief gesehen wurde, hohe Vergütungen zu verhandeln,921 reagierten Schrifttum und Presse in Deutschland mit Verunsicherung und Sorge vor Haftung auf das Mannesmann-Urteil.922 Ein Grund für diese unter916
BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 19. BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 19. 918 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 27. 919 BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 17. Der BGH schränkte die Gewährung vertraglich vereinbarter Prämien mit Bezug auf § 87 Abs. 1 Satz 1 AktG ein, entsprechende Vorgaben zur Angemessenheit der Vergütung bestehen in Delaware, wie in Disney bestätigt, nicht. 920 Vgl. z. B. Walt Disney (Del.), 906 A.2d 27 (2006), S. 74 f. und BGH, BGHSt 50, 331 (Mannesmann, 2005), Rn. 18. 921 Vgl. z. B. David Leinwand, Delaware backs Disney board’s risk-taking, 24 International Financial Law Review 27 (2005); Jerry W. Markham, Regulating Excessive Executive Compensation – Why Bother?, 2 Journal of Business & Technology Law 277 (2007), S. 283; J. Robert Brown Jr., Returning Fairness to Executive Compensation, 84 North Dakota Law Review 1141 (2008), S. 1149 f.; New York University Journal Of Law & Business, Current Issues in Executive Compensation, 3 New York University Journal of Law & Business 519 (2007), S. 535 ff. 922 s. z. B. Michael Hoffmann-Becking, Vorstandsvergütung nach Mannesmann, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2006, 127; Martin Peltzer, § 18 Personalkompetenz des 917
D. Fazit
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schiedliche Auffassung ist zweifellos das diametral entgegengesetzte tatsächliche Ergebnis, das die öffentliche Wahrnehmung unabhängig von den juristischen Realitäten bestimmt hat. Ein amerikanischer Gesellschaftsrechtsprofessor summierte: „[T]he Mannesmann directors ended up paying a multi-million euros settlement for having rewarded success, while their counterparts at Disney avoided liability for paying eight times as much to reward failure.“923 Doch ein Großteil der heftigen Reaktion auf das Mannesmann-Urteil ist wohl auf seine strafrechtliche Natur zurückzuführen. Obwohl eine Wiederholung der gleichen, strafbegründenden Faktenlage nur unter ähnlich außergewöhnlichen Umständen möglich wäre und damit sehr unwahrscheinlich ist, schien sich im deutschen Schrifttum der Eindruck verfestigt zu haben, dass Vergütungsentscheidungen unmittelbarer strafrechtlicher Kontrolle unterliegen.924 Die sich daraus ergebenden Aufrufe zur Vorsicht illustrieren, wie auch beispielsweise die Strafverfolgungen unter der Responsible Corporate Officer Doctrine das große Abschreckungspotential, das das Strafrecht im Bewusstsein von Entscheidungsträgern verwirklichen kann, selbst wenn die tatsächliche Strafverfolgung nie die befürchteten Ausmaße annimmt.
D. Fazit: Sinnvolle Nutzung des Strafrechts zur Verbesserung der Unternehmensführung Trotz großer strafrechtlicher Gefahren auch für grundsätzlich redlich handelnde Directors und Officers bzw. Vorstände und Aufsichtsräte wird das Strafrecht in Deutschland offensichtlich nicht im gleichen Maße als ex-ante Werkzeug der Corporate Governance gesehen und genutzt. Die Abschreckungswirkung, die in den USA ein wesentlicher Teil der strafrechtlichen Verfolgung dieser Personen ist, scheint in Deutschland hinter punitiven Aspekten und der durch die Strafverfolgung Aufsichtsrats und damit zusammenhängende Pflichten und Haftungsgefahren, in: Werner Wellhöfer/Martin Peltzer/Welf Müller (Hrsg.), Die Haftung von Vorstand, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer mit GmbH-Geschäftsführer (2008), Rn. 172 ff.; Michael Kort, Mannesmann: Das „Aus“ für nachträglich vorgesehene Vorstandsvergütungen ohne Anreizwirkung?, Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht 2006, 131; Klaus-Peter Martens, Die Vorstandsvergütung auf dem Prüfstand, Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht 2005, 124; Christian Arnold, „Vorstandsverträge auf dem Prüfstand – Das Mannesmann-Urteil schränkt den Verhandlungsspielraum ein“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. März 2006, S. 23. Aber s. auch z. B. Thümmel, Aufsichtsratshaftung, AR 2013, S. 10. 923 Franklin A. Gevurtz, Disney in a Comparative Light, 55 American Journal of Comparative Law 453 (2007), S. 453. 924 Vgl. z. B. Martin Peltzer, Das Mannesmann-Revisionsurteil aus der Sicht des Aktienund allgemeinen Zivilrechts, Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2006, 205, S. 207; Joachim Jahn, Lehren aus dem „Fall Mannesmann“, Zeitschrift für Rechtspolitik 2004, 179, S. 182 f.; Mayeul Hiéramente, Die Aufsichtsratsvergütung – (k)ein strafrechtliches Problem?, Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht 2014, 291.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
erhofften Wiederherstellung des Rechtsfriedens zurückzustehen. Dies äußert sich in der vermehrt festzustellenden Sanktionierung spezifischen Handelns in den USA im Vergleich mit der Sanktionierung des Handelns nur im Zusammenhang mit und abhängig von einem Schaden in Deutschland, sowohl im Bereich des Drittschutzes als auch bei strafbewehrten Treubruchsverletzungen. Wie bereits dargelegt, führt dies zu erheblicher Rechtsunsicherheit für Vorstände und Aufsichtsräte in Deutschland. Etwaige Prioritäten des Gesetzgebers werden auf diese Weise nicht an die Unternehmensführung weitergegeben. Somit geht eine wichtige Einflussmöglichkeit nicht nur auf die Handlungen der Geschäftsleiter selbst, sondern durch sie auch auf die Unternehmenskultur und das Verhalten der Mitarbeiter verloren. Die breite, schlecht vorhersehbare Haftung droht stattdessen, die unternehmerische Tätigkeit in einem unerwünscht hohen Maße einzuschränken.925 Da das Strafrecht hier nur unter diesem eng begrenzten Aspekt der Verbesserung von Unternehmensaufsicht und -führung relevant ist, wird in den folgenden Ausführungen darauf verzichtet, zu Einzelproblemen im Zusammenhang mit möglichen rechtlichen Neuregelungen Stellung zu beziehen. Aufgezeigt werden soll vielmehr die Effektivität der verschiedenen hier besprochenen Elemente des Strafrechts und ihr mögliches Zusammenspiel de lege ferenda zur Verbesserung der Corporate Governance.
I. Rolle eines Unternehmensstrafrechts Ein Grund für diese in Deutschland und den USA unterschiedliche Sanktionierung von Unternehmensleitung und -aufsicht liegt in der Existenz eines Unternehmensstrafrechts in den USA, das einen direkten strafrechtlichen Rückgriff auf juristische Personen zulässt. Auch eine solche Verfolgung von Unternehmen kann dem Schuldausgleich und der Abschreckung dienen.926 Die Strafverfolgung der Corporation ist für die Staatsanwaltschaft dank des vergleichsweise geringeren Aufwands und vor allem dank der deutlich größeren Wahrscheinlichkeit eines Schuldbekenntnisses daher eine attraktive Alternative. Eine Sanktionierung von an der eigentlichen Handlung nicht beteiligten Directors und Officers für alle unternehmensbezogenen Straftaten, die mit der deutschen Sanktionierung von Organen für Aufsichtsmängel vergleichbar wäre, ist daher im amerikanischen Strafrecht weniger von Nöten. 925 Hier liegt die Annahme zu Grunde, dass der Gesetzgeber wünschenswerte Prioritäten setzen kann. Inwieweit eine allgemeine Einschränkung unternehmerischen Handelns einer Prioritätensetzung durch den Gesetzgeber vorzuziehen ist und eine kausale Bedingung für erhöhte Nachhaltigkeit der Wirtschaft sein kann, bedarf empirischer Klärung, die an dieser Stelle zu weit führen würde. 926 Beide Effekte des Strafrechts sind im Unternehmensstrafrecht allerdings nur im geringeren Maße zu verzeichnen. Vgl. Folgen der Entity Liability für Corporations (S. 328).
D. Fazit
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Die Verfügbarkeit von ex-post Unternehmensstrafen erklärt, dass in den USA Individualstrafen im Zusammenhang mit Corporate Governance Verstößen nur sehr zielgerichtet eingesetzt werden. Doch bedeutet dies nicht, dass der Verfolgung von Einzelpersonen für Corporate Governance Verstöße tatsächlich das richtige Maß an Bedeutung zukommt. Das Unternehmensstrafrecht entspringt einer Zeit in der amerikanischen Rechtsgeschichte, in der die Aktionäre als das Machtzentrum der Wirtschaft galten und davon ausgegangen werden musste, dass die Sanktionierung Angestellter, auch angestellter Führungskräfte, keinen abschreckenden Effekt auf die Unternehmen haben würde. Zur Begründung des nach ihm benannten Sherman Antitrust Act meinte der damalige US-Senator John Sherman, die Corporations wären gerne bereit „one or two or three of their servants“ aufzugeben und diese Personen die Strafe tragen zu lassen, ohne ihr eigenes Verhalten anzupassen.927 Diese Machtverteilung hat sich heute gewendet – nicht die häufig breit gestreute Aktionärsbasis, sondern eben diese „servants“, also die angestellte Geschäftsleitung, üben die Entscheidungsgewalt über die Corporation aus, oft mit relativ geringer Beaufsichtigung durch die Aktionäre (wobei sich dies im Moment mit dem Erstarken von aktivistischen Aktionären möglicherweise wandelt).928 Während zu Zeiten Senator Shermans die Aktionäre den Verlust eines Geschäftsleiters im Zuge eines Strafverfahrens als Cost of Doing Business abgetan haben mögen, gilt heute, dass die Geschäftsleiter Geldstrafen gegen das Unternehmen (also gegen das Aktionärsvermögen) als Cost of Doing Business akzeptieren. Die Bedeutung, die dem amerikanischen Unternehmensstrafrecht im Verhältnis zum Individualstrafrecht im 20. Jahrhundert zugekommen ist, sollte entsprechend überdacht werden. Eine Verlagerung der Strafverfolgung auf Einzelpersonen scheitert oft an den besonderen Herausforderungen und dem höheren Aufwand, die mit ihr im Vergleich zur Verfolgung von Unternehmen einhergehen. Aufgrund der für sie besonders empfindlichen möglichen Konsequenzen eines Strafprozesses sind Individuen in Wirtschaftsprozessen häufiger bereit als Unternehmen, sich gegen strafrechtliche Vorwürfe bis zu einem Urteil zu verteidigen, statt eine Einigung mit der Staatsanwaltschaft einzugehen.929 Dies bedeutet höhere Kosten und ein höheres Prozessrisiko. Die Beweisführung kann dabei darüber hinaus deutlich anspruchsvoller sein, da natürliche Personen die Aussage verweigern dürfen, während Unternehmen zur Herausgabe aller relevanten Dokumente gezwungen werden können. Die häufig nachzuweisende Kenntnis der strafbaren Handlungen kann sich dabei im Falle eines 927 „These corporations do not care about your criminal statutes aimed at their servants. They could give up at once one or two or three of their servants to bear this penalty for them. But when you strike at their powers, at their franchises, at their corporate existence, when you deal with them directly, then they begin to feel the power of the Government.“ 21 Cong. Rec. 2569 (1890). s. auch First, Branch Office, 89 N.C. L. Rev. 23 (2010), S. 25. 928 Vgl. z. B. Lipton, Manufactured Consent, 104 Geo. L.J. 583 (2016), S. 600 f.; Cox/ Thomas, Corporate Darwinism, 95 N.C. L. Rev. 19 (2016). 929 Vgl. z. B. Garrett, Corporate Criminal as Scapegoat, 101 Va. L. Rev. 1987 (2015), S. 1805 ff.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
Unternehmens aus dem Wissen mehrerer Einzelner zusammenfügen, eine deutlich geringere Herausforderung für die Staatsanwaltschaft, insbesondere, da die Motivation zur Verschleierung geringer ist, wenn keine einzelne Person über Kenntnis von der Straftat verfügte. Zur Unsicherheit der Verfahren gegen Einzelpersonen trägt dabei auch die Notwendigkeit von Juries bei, die tendenziell weniger bereit sind, eine einzelne Person für schuldig zu befinden, insbesondere wenn sie an den relevanten Handlungen nicht direkt beteiligt war, als sie dies bei einer Corporation wären.930 Steht es dem zuständigen Staatsanwalt offen, wie es in den USA oft der Fall ist, statt einer natürlichen Person das Unternehmen selbst zu belangen, wird der Verfolgung von Einzelpersonen in der Rechtsrealität daher eine untergeordnete Rolle zukommen. Die Möglichkeit eines Verbandsstrafrechts ist in Deutschland das Objekt intensiver rechtspolitischer und -wissenschaftlicher Debatten.931 Eine detaillierte Darlegung und Abwägung der Argumente unter den spezifischen rechtlichen Umständen in Deutschland würde an dieser Stelle zu weit führen. Insbesondere die prozessrechtlichen Rahmenbedingungen, wie beispielsweise der Konflikt zwischen der geltenden Auskunftspflicht für Unternehmen mit dem nemo tenetur Grundsatz, wenn Unternehmen auch selbst strafrechtlich belangt werden könnten,932 können hier nicht weiter erörtert werden. Am Beispiel der amerikanischen Erfahrung sei hier lediglich darauf hingewiesen, dass die Strafbarkeit von Unternehmen auch ungewollt zu Änderungen in der rechtstatsächlichen Haftung und Ahndung ihrer Organe führen und somit die bereits gesetzten Anreize zur besseren Corporate Governance grundlegend verändern kann.
930
Vgl. z. B. Robinson/Cahill, Criminal Law (2012), S. 276 s. z. B. Bernd Schünemann, Die aktuelle Forderung eines Verbandsstrafrechts – Ein kriminalpolitischer Zombie, Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik 2014, 1; Mark Pieth, Anwendungsprobleme des Verbandsstrafrechts in Theorie und Praxis, Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht 2015, 223; Michael Kubiciel, Verbandsstrafe – Verfassungskonformität und Systemkompatibilität, Zeitschrift für Rechtspolitik 2014, 133; Joachim Vogel, Unrecht und Schuld in einem Unternehmensstrafrecht, Strafverteidiger 2012, 427; Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht, de Gruyter (2012); Matthias Jahn/ Charlotte Schmitt-Leonardy/Christian Schoop (Hrsg.), Das Unternehmensstrafrecht und seine Alternativen, Nomos (2016) 932 s. z. B. Hans Theile, Das Verhältnis zwischen Zuschreibung und Fakten in einem Unternehmensstrafrecht, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht (2012), S. 187; Stefan Kirsch, Probleme des Zugriffs auf Beweismaterial bei Rollenkonflikten von Verbandsmitgliedern, in: Eberhard Kempf/Klaus Lüderssen/Klaus Volk (Hrsg.), Unternehmensstrafrecht (2012). Für eine Beschreibung der Einschränkung des Zeugnisverweigerungsrechts in den USA, s. supra, Folgen der Entity Liability für natürliche Personen (S. 301). 931
D. Fazit
451
II. Sinnvolle Anreize zur Verhinderung von Rechtsverstößen In beiden Systemen besteht daher Verbesserungsbedarf beim tatsächlichen Einsatz des Strafrechts als Instrument der Corporate Governance. Dabei zeigt die rechtliche Grundlage des amerikanischen Systems einige sinnvolle Methoden zur Gestaltung der Organhaftung auf. Der gezielte Einsatz neuer Straftatbestände, die die Unternehmensleitung unmittelbar verpflichten, die Rechtmäßigkeit bestimmter Abläufe zu gewährleisten (wie die gemäß SOX § 906 abzugebende Zertifizierung), erlaubt eine zielgerichtete Fokussierung des Managements und der Aufsicht des Unternehmens auf spezifische, vom Gesetzgeber gewählten Prioritäten. Anders als bei einer allgemeinen Aufsichtspflichtverletzung, die eine große Breite an Handlungen mit unterschiedlichem subjektiven Unwertgehalt betrifft, profitiert die Strafverfolgung mit dieser Methode von einer höheren Akzeptanz in der Öffentlichkeit, aber auch bei den urteilenden Richtern, die mit einem Schuldspruch die spezifischen Vorgaben des Gesetzgebers umsetzen, statt innerhalb eines weiten Spektrums mehr oder weniger strikter Interpretationen eine eigene Entscheidung finden und rechtfertigen zu müssen. Auch eine der Responsible Corporate Officer Doctrine ähnliche Verpflichtung, für bestimmte Ergebnisse verschuldens- und kenntnisunabhängig strafrechtlich einzustehen, bewirkt eine Verhaltenssteuerung durch den Abschreckungseffekt des Strafrechts. Durch ihre Anwendung auf Verstöße gegen den FDCA und bestimmte Bereiche des Umweltrechts leiten auch hier Rechtsprechung und Gesetzgebung eine Prioritätensetzung an jeden einzelnen Officer einer betroffenen Corporation weiter. Sie inzentiveren ihn, sowohl das Compliance-System und seine eigenen Aufsichtsprioritäten entsprechend anzupassen, aber auch die richtigen Weichen für eine Unternehmenskultur zu stellen, in der Rechtstreue wertgeschätzt und letztendlich selbstverständlich wird. Da der einzelne Verbraucher bzw. Patient sich vor den potentiell sehr gefährlichen Verstößen dieser Art ebenso schlecht schützen kann, wie der einzelne Aktionär sich vor den kapitalmarktrechtlichen Verstößen, auf die die Zertifizierung unter SOX Section 906 zielt, gelten hier die gleichen Argumente zugunsten der Sanktionierung von Entscheidungsträgern und Aufsichtsverantwortlichen. Soweit die Responsible Corporate Officer Doctrine aber noch nicht fest in der Rechtsprechung etabliert ist, ist eine gesetzlich vorgeschriebene, strafbewehrte Zertifizierung der Rechtmäßigkeit relevanter Abläufe in vielen Fällen vorzuziehen. Zur wirksamen Abschreckung und entsprechender Steuerung von Unternehmensabläufen ist die Vorhersehbarkeit der Strafen essentiell, denn sie bewirkt eine Verlagerung von Ressourcen auf die Verhinderung unwahrscheinlicher aber schwerwiegender Verstöße sowie auf die konsequente Verhinderung kurzfristig lukrativer Verstöße, die unternehmensintern möglicherweise gerechtfertigt werden müsste. Die Fälle, in denen die Staatsanwaltschaft in den letzten Jahren von der Responsible Corporate Officer Doctrine Gebrauch gemacht hat, betrafen Verstöße, die unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht nur als sinnvoll, sondern oft sogar als nötig
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
für den Erfolg oder die Existenz des Unternehmens erachtet werden konnten.933 Wären die verantwortlichen Officers nicht durch eine Form der Responsible Corporate Officer Doctrine oder eine Zertifizierung dazu gezwungen, Kenntnis von der Unrechtmäßigkeit dieser Strategien zu haben, wäre es sogar denkbar, dass eine Abkehr von diesen Strategien negative persönliche Konsequenzen haben könnte, wenn nicht rechtlich, dann durch Gefährdung seiner Position als Officer bzw. einer möglichen Verlängerung seines Vertrags. Wichtig ist in jedem Fall, dass die strafrechtlich belegten Handlungen spezifisch definiert werden, so dass nicht eine generelle strafrechtliche Aufsichtsverantwortlichkeit entsteht. Auch dürfen keine berechtigten Zweifel an der grundlegenden Wichtigkeit der Handlungen bestehen, um den Eindruck von Ungerechtigkeit möglichst zu vermeiden. Besonders sinnvoll sind Straftatbestände, die gemeingefährliche Schäden mit gravierenden Konsequenzen verhindern sollen, die ex-post nicht angemessen auszugleichen sind. Hierzu gehören die breit gestreuten, ernsten Konsequenzen für Verbraucher und Patienten, vor denen die Responsible Corporate Officer Doctrine im Zusammenhang mit dem FDCA schützen soll, sowie irreparable Umweltschäden. Sicher sollte man heute auch bestimmte kapitalmarktrechtliche Verstöße dazu zählen, die schwere Folgen für die Gesamtwirtschaft haben können. Es ist davon auszugehen, dass die Aussicht auf eine persönliche, kenntnisunabhängige Strafbarkeit einige Verantwortungsträger in der Finanzindustrie dazu motiviert hat, den Vertrieb toxischer Finanzinstrumente einzustellen, die im Jahr 2008 zu einer globalen Finanzkatastrophe führten.934 Abzulehnen ist eine kenntnisunabhängige Strict Liability allerdings für Verstöße, die lediglich einen wirtschaftlichen Schaden für einzelne Verbraucher bedeuten, beispielsweise bei Produktbetrug, von dem keine ernsten gesundheitlichen Gefahren für eine breite Allgemeinheit ausgehen, da hier Wiedergutmachung auf zivilrechtlichem Wege adäquat ist. Wichtig ist auch, dass gegen eine klare Rechtsvorschrift verstoßen worden sein muss – erfüllt ein Produkt alle gesetzlichen Sicherheitsbestimmungen und stellt sich dennoch als gefährlich heraus, kann hieraus nicht im Nachhinein ein Straftatbestand erwachsen. Wird diese Art der Strafbarkeit tatsächlich auf klar definierte Verstöße beschränkt, die besonders gravierende, gemeingefährliche Gefahren betreffen, sollte die Sanktionierung kenntnisunabhängig erfolgen. Denn nur auf diese Weise werden Unternehmensverantwortliche zu einer aktiven Aufdeckung dieser Verstöße inzentiviert, statt sich durch die Einrichtung branchenüblicher Informations- und Compliance933
Oxycontin bedeutete für Purdue unter anderem Strafzahlungen in Höhe von $ 600 Millionen. Purdue, 495 F. Supp. 2d 569 (2007), S. 572. Synthes hätte ohne die widerrechtlichen und letztendlich tödlichen Versuche am lebenden Patienten wertvolle Zeit und möglicherweise überlebenswichtige Marktanteile verloren. Huggins, Memorandum (E.D. Penn., 2011). Quality Egg musste für die Beseitigung der Salmonellen letztendlich ganze Legebetriebe vorübergehend vollständig schließen und unzählige Hühner schlachten. Quality Egg, Memorandum Opinion and Order (N.D. Iowa, 2015). 934 Vgl. Rakoff, Why Have No Executives Been Prosecuted?, NY Rev. Books (2014). Anzuknüpfen wäre hier allerdings nur an die tatsächlich begangenen Rechtsverstöße.
D. Fazit
453
systeme exkulpieren zu können. Bei kenntnisunabhängiger Sanktionierung bestehen Anreize zur ständigen Prüfung und Weiterentwicklung der Überwachungssysteme, so dass sie die spezifisch hervorgehobenen Verstöße zuverlässig verhindern. Trotz der großen Autonomie, die ein kenntnisunabhängiger Schuldstandard der Strafverfolgung gewährt, scheinen Staatsanwaltschaft und Gerichte bei der bisherigen Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine auf die Schuldhaftigkeit der Responsible Corporate Officers geachtet zu haben, so dass es nicht zu Fällen gekommen ist, in denen beispielsweise ein vorbildlich handelnder Responsible Corporate Officer trotz großer eigener Vorsicht aufgrund der erfolgreichen Verschleierung eines vorsätzlich widerrechtlich handelnden Mitarbeiters sanktioniert worden wäre. Um diese Linie der Strafverfolgung und Rechtsprechung zu festigen, sollte ein Fahrlässigkeitsmaßstab in Erwägung gezogen werden, der Sanktionierung nur dann zulässt, wenn die Nicht-Kenntnis des Verantwortlichen auf Fahrlässigkeit beruht. Ein solcher Maßstab wäre zwar noch immer sehr flexibel, doch Fälle, in denen auch intensive Bemühungen nicht zur Aufdeckung des widerrechtlich Handelnden geführt haben, wären ausgenommen. In jedem Fall ist der Staatsanwaltschaft und den Gerichten ausreichend Freiraum zu gewähren, um insbesondere auch auf entlastende Umstände in jedem Einzelfall eingehen zu können. Zurückhaltend wäre die entsprechende Sanktionierung zu kalibrieren im Zusammenhang mit Sicherheitsvorschriften in per se gefährlichen Industrien und Betriebsstätten. Im Nachhinein kann die Rechtmäßigkeit strafrechtlicher Konsequenzen für Geschäftsleiter zwar geradezu offensichtlich erscheinen, beispielsweise bei systemischen Sicherheitsmängeln im Zusammenhang mit einer praktizierten Kultur der Nachlässigkeit, wenn diese schwerwiegende Konsequenzen haben, wie die tödliche Explosion der Upper Big Branch Mine der Massey Energy Company im April 2010935 oder auch die Explosion der Deepwater Horizon Plattform der BP plc und der darauffolgenden Ölkatastrophe im selben Monat.936 Dies gilt umso mehr, wenn diesen Ereignissen innerhalb weniger Jahre bereits zahlreiche kleinere Vorfälle an anderen Betriebsstätten aufgrund der gleichen Laissez-faire-Einstellung vorangegangen waren, wie dies beispielsweise bei BP der Fall war.937 Doch kann die kenntnisunabhängige Sanktionierung von Geschäftsleitern nur dann den gewünschten Effekt auf die Corporate Governance haben, wenn sie spezifische Verstöße umfasst, die ein nachvollziehbares, hohes Potential für gravierende Auswirkungen haben. Insbesondere in Industrien, in denen eine so intensive Sicherheitsregulierung herrscht, dass in aller Regel erst das Zusammenkommen zahlreicher Verstöße dramatische Konsequenzen haben wird, wäre eine mögliche Gefängnisstrafe für den 935
s. z. B. Uhlmann, Erosion of Corporate Criminal Liability, 72 Md. L. Rev. 1295 (2013), S. 1295 ff. 936 s. z. B. Uhlmann, After the Spill Is Gone, 109 Mich. L. Rev. 1413 (2011), S. 1414 ff. 937 Garrett, Too Big to Jail (2014), S. 143 ff. Vgl. auch In re BP (5th Cir.), Opinion (5th Cir., 2015), S. 3.
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7. Teil: Strafrechtliche Sanktionierung
CEO eines globalen Konzerns für einen einzelnen, in sich noch nicht gravierenden Sicherheitsverstoß in einer einzelnen Betriebsstätte weder gerechtfertigt, noch sinnvoll. Um die strafrechtlichen Konsequenzen dennoch nicht vom entstandenen Schaden abhängig zu machen, könnte die kenntnisunabhängige Sanktionierung der Geschäftsleitung hier beispielsweise von der sachgerechten Prüfung der Sicherheitssysteme abhängig gemacht werden, so dass die Geschäftsleiter zwar nicht für jeden einzelnen Mangel, wohl aber für die rechtzeitige Aufdeckung und Behebung dieses Mangels verantwortlich wären, insbesondere bei einer Mehrzahl von Mängeln. Dieser Raum zur Korrektur ist besonders wichtig, wenn es darum geht, die schädlichen Konsequenzen der Verstöße tatsächlich zu verhindern. Dies deckt sich mit der Anwendung der Responsible Corporate Officer Doctrine in Park, aber auch mit der Zertifizierung von Angaben im Geschäftsbericht des Unternehmens unter SOX Section 906, statt einer Zertifizierung aller ihnen zugrunde liegenden Transaktionen. In jedem Fall muss aber von einer allgemeinen strafbewehrten Aufsichtspflicht abgesehen werden – kenntnisunabhängige Strafverfolgung von Geschäftsleitern sollte nur für spezifische, besonders gefährliche Verstöße erfolgen.
III. Sinnvolle Anreize zur Verhinderung von Treupflichtverletzungen Auch in der Sanktionierung von treuwidrigem Verhalten besteht im deutschen Recht aufgrund der mangelnden alternativen Rechtswege eine breitere und weniger klar vorhersehbare Gefahr für Vorstände und Aufsichtsräte, als dies in den USA der Fall ist. Da Aktionäre amerikanischer Corporations über direkte zivilrechtliche Wege zur Ahndung treuwidrigen Verhaltens verfügen, besteht aus ihrer Sicht oft kein Grund zur Einschaltung der Staatsanwaltschaft, zumal sich die strafrechtliche Verfolgung, wie bereits dargelegt, als schwierig erweisen kann. Doch ist fraglich, ob das amerikanische System hier die richtige Balance gefunden hat. Wird ein Director oder Officer aufgrund einer Verletzung der Duty of Loyalty zu Schadensersatz verurteilt, sind diese Zahlungen zwar oft nicht nur von Haftungsfreistellungen, sondern auch vom Versicherungsschutz ausgeschlossen,938 jedoch ist eine Einigung per Vergleich entsprechend wahrscheinlich, da in der Regel weder der Beklagte noch die Kläger Interesse an einer (voraussichtlich geringeren) Zahlung aus dem Privatvermögen des Beklagten haben, wenn im Rahmen einer entsprechend gefassten Einigung beispielsweise die Deckung der D&O-Versicherung zur Verfügung steht. Unter dem Gesichtspunkt der Corporate Governance kann eine zivilrechtliche Klage also nicht zuverlässig denselben Abschreckungszweck erfüllen wie die strafrechtliche Verfolgung. 938 s. z. B. Trautman, Altenbaumer-Price, D&O Insurance Primer, 1 Am. U. Bus. Rev. 33 (2012), S. 353.
D. Fazit
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Der Honest Services Fraud bietet zwar eine Alternative zum Tatbestand der Untreue, doch ist auch seine Anwendung problematisch. In seiner Form vor dem Urteil des U.S. Supreme Court im Fall Skilling bedurfte der objektive Tatbestand einer so geringfügigen Handlung, dass der berechtigte Vorwurf laut wurde, es handele sich primär um die Bestrafung von Gedanken. Die neue Interpretation des Straftatbestandes durch das Gericht im Fall Skilling erfordert aber derart spezifische zusätzliche Elemente (Bestechung, Quid Pro Quo), dass er für die Verfolgung von Treupflichtverletzungen keine ernstzunehmende Bedeutung mehr haben kann. Die Bestrafung spezifischer Handlungen ohne Rücksicht auf den durch sie entstandenen Schaden ist dennoch sinnvoll, da sie die nötige Vorhersehbarkeit für den Handelnden und eine klare Abgrenzung zum Zivilrecht schafft. Ein tragfähiger Alternativtatbestand sollte somit, anders als die Untreue, auch ohne Realisierung eines tatsächlichen Schadens anwendbar sein, wie etwa der Honest Services Fraud. Dabei sollten allerdings höhere und inhaltlich relevantere Anforderungen an die strafbare Handlung gestellt werden, als der Honest Services Fraud dies tut, so dass die Strafverfolgung nicht auf der bloßen Benutzung der Post, eines Telefons oder des Internets mit treuwidrigen Absichten aufbaut.939 Gleichzeitig sollte von Erleichterungen des subjektiven Straftatbestands in Richtung grober Fahrlässigkeit abgesehen werden – der Eingriff der Staatsgewalt in eine zwischen zwei Parteien bestehende Loyalitätspflicht ist in sich ein signifikanter Schritt, eine mögliche Geld- oder sogar Haftstrafe für eine nicht vorsätzliche Verletzung einer solchen Pflicht ist den Handelnden gegenüber, die ihre Treupflicht nicht zu verletzen zu beabsichtigten, kaum zu rechtfertigen. Dies gilt insbesondere, wenn kein Schaden vorliegt. Da es hier, anders als bei den Strafrechtsinstrumenten zum Drittschutz nicht darum geht, die Geschäftsleiter zur besseren Überwachung Anderer zu motivieren, sondern um die Vermeidung eigener treupflichtwidriger Absichten, ist eine Abschwächung des subjektiven Tatbestands hier nicht sinnvoll.
939 Wie bereits dargelegt ist diese Konstruktion in den USA eine Konsequenz der Kompetenzverteilung zwischen der nationalen Regierung und den Einzelstaaten. s. supra, Honest Services Fraud und die Skilling-Entscheidung (S. 425).
8. Teil
Amerikanische und deutsche Impulse für sinnvolle Corporate Governance Haftung zur Verhaltenssteuerung Ob zivil- oder strafrechtlich, die Haftung von Unternehmensführung und -aufsicht greift in hohem Maße in den Geschäftsbetrieb des Unternehmens ein und verbraucht sowohl materielle als auch immaterielle Ressourcen, die dem Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stehen. Haftung als Instrument zur Verbesserung der Corporate Governance muss daher sorgfältig erwogen und sich in ein ausbalanciertes Gesamtgefüge wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Interessen einfügen. Aus der vorliegenden Untersuchung des amerikanischen und des deutschen Rechtssystems lassen sich einige wichtige Schlüsse ziehen über die Verwendung der Haftung von an sich redlich handelnden Aufsichts- und Führungspersonen zur Inzentivierung besserer Corporate Governance. Die oft als sehr groß gesehenen zivilrechtlichen Haftungsgefahren für Directors und Officers amerikanischer Corporations werden sowohl durch die Rechtsprechung in Delaware als auch durch die Unternehmenspraxis tatsächlich deutlich beschränkt. Da die Business Judgment Rule fahrlässige Pflichtverletzungen einbezieht und die große Mehrheit der Unternehmen per DGCL § 102(b)7 die Business Judgment Rule auf grob fahrlässig begangene Pflichtverletzungen ausweitet, ist zivilrechtliche Haftung durch redliche Bemühungen um pflichtgemäßes Handeln wirksam auszuschließen. Prozessrechtliche Faktoren und Inzentivierungen der Anwälte führen zwar dazu, dass sich auch unbeteiligte Directors und Officers regelmäßig in Derivative Actions und Class Actions konfrontiert werde, doch handelt es sich hierbei in aller Regel mehr um Prozessstrategie der Kläger als dass daraus ernstzunehmende Gefahren entstünden. Durch Haftungsfreistellungen und D&O-Versicherungen kann weitgehend sichergestellt werden, dass weder die Prozessführung noch mögliche Vergleiche das Privatvermögen der Beklagten belasten. Persönliche zivilrechtliche Haftung ohne wenigstens bedingt vorsätzliches Handeln ist somit – ohne Weiteres – praktisch ausgeschlossen. In den USA ist ein großer Einfluss der zivilrechtlichen Corporate Governance Haftung auf die Qualität der Unternehmensführung daher eher unwahrscheinlich. Zwar wird die Vermeidung von Klagen häufig als Rechtfertigung für besonders vorsichtiges Verhalten genannt, doch ist angesichts der verschwindend geringen Chancen einer erfolgreichen Klage auf Basis reiner Corporate Governance Verfehlungen keinesfalls klar, dass alternative Konsequenzen (Herabsetzung der Ver-
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gütung oder Möglichkeit der Abberufung) nicht den gleichen disziplinierenden Effekt zur Erhöhung der Sorgfalt hätten, ohne zu einem ähnlichen Aufwand für die beklagten Directors und Officers und der Corporation selbst zu führen. Zur Wiedergutmachung ist eine Klage geschädigter Aktionäre oder Dritter gegen das Unternehmen in aller Regel ausreichend. Das Heranziehen der Unternehmensführung, sofern sie nicht eigennützig oder fehlgeleitet durch einen Interessenkonflikt gehandelt haben, bedeutet die Benutzung der Unternehmensführung und -aufsicht als Quelle für Schadensersatz nicht nur eine Verkennung der in aller Regel deutlich größeren Haftungsmasse bei den Unternehmen, sondern eine Abkehr von gesellschaftsrechtlichen Prinzipien, nach denen die Gesellschaft die wirtschaftliche Verantwortung für ihre Handlungen trägt. Das zivilrechtliche Haftungspotential von Aufsichtsräten und Vorständen in Deutschland ist deutlich größer als das von amerikanischen Directors und Officers, da bereits fahrlässige Pflichtverletzungen haftungsbegründend wirken können. Aufgrund der sehr weiten Auslegung der in § 93 Abs. 1 AktG definierten Sorgfaltspflicht als Legalitäts- bzw. Legalitätskontrollpflicht bieten die Organmitglieder eine breite Angriffsfläche auf Basis von Rechtsverstößen des Unternehmens, an denen sie nicht persönlich beteiligt waren. Da sich Ansprüche auf Schadensersatz nach der Höhe des Schadens und nicht dem Grad des Verschuldens richten, kann es hier zu einer enormen Differenz zwischen der Schwere der Pflichtverletzung und der zu leistenden Zahlung kommen. In den Dienstverträgen von Vorstandsmitgliedern einer Aktiengesellschaft sind Haftungsmilderungen etwa in Form des Ausschlusses der Haftung wegen leichter Fahrlässigkeit unüblich. Darüber hinaus kann die Gesellschaft erst nach dem Ablauf einer Frist von drei Jahren auf den Anspruch verzichten. Aus den ausführlich dargelegten Gründen bietet die deutsche Business Judgment Rule einen deutlich eingeschränkteren Schutz als ihr Vorbild in Delaware. Allerdings kann sich dieses Haftungsrisiko nur in geringem Maße realisieren, da Aktionäre deutscher Aktiengesellschaften keine mit den USA vergleichbare Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ansprüche haben. Sowohl Klagen im Namen der Gesellschaft als auch Klagen im eigenen Interesse als Anteilseigner sind, zumindest für Einzelaktionäre, kaum praktikabel. Die wesentliche zivilrechtliche Gefahr für Organe ergibt sich daher aus der Pflichterfüllung der anderen Organmitglieder, wenn entweder der Aufsichtsrat Ansprüche gegen den bestehenden Vorstand oder der Vorstand Ansprüche insbesondere gegen ausgeschiedene Organmitglieder geltend macht. Die Pflicht zur Verfolgung dieser Ansprüche ergibt die einzige ernste Gefahr von Corporate Governance Haftung für Organe und es ist fraglich, ob sie ein sinnvolles Vehikel zur Verbesserung der Unternehmensführung sein kann, da die Organmitglieder, die die mögliche Pflichtverletzung bewerten müssen, mit dem gleichen geringen Schutz durch die deutsche Business Judgment Rule handeln müssen, wie die Organmitglieder, deren mögliche Pflichtverletzung sie untersuchen. Da die Nicht-Verfolgung von Ansprüchen als Untreue gemäß § 266 StGB gewertet werden kann, können geringfügige, fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen eines Vor-
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8. Teil: Impulse für sinnvolle Corporate Governance Haftung
standsmitglieds die Strafverfolgung des gesamten Aufsichtsrats zur Folge haben, wenn dieser sich gegen die Verfolgung der Ansprüche der Gesellschaft entschieden hat. Vorstände handeln daher nicht nur vor dem Hintergrund ihrer eigenen möglichen Haftung für fahrlässige Fehler, sondern wissend, dass ihre Handlungen von einem Aufsichtsrat bewertet werden, dem für diese Beurteilung eine Gefängnisstrafe drohen kann. Dies ist keine Grundlage für souveräne Entscheidungsfindung oder wirtschaftlich sinnvolle Risiken. Insgesamt lässt sich urteilen, dass das Zivilrecht weder in den USA noch in Deutschland und weder im Innenverhältnis noch zum Drittschutz ein geeignetes Instrument der Corporate Governance Haftung ist. Ist Wiedergutmachung der einzige Zweck einer Klage, so sind Directors und Officers, Aufsichtsräte und Vorstände, die nicht bewusst pflichtwidrig gehandelt haben, nicht die richtigen Adressaten, da ihre Privatvermögen nur in seltenen Fällen ausreichen dürften, um alle Ansprüche zu erfüllen, und darüberhinaus für ihre Arbeit als Organ keine Rolle spielen sollte. Geht es um die Pönalisierung, so hängt die tatsächliche persönliche Zahlung von zu vielen Zufällen ab (z. B. der Qualität des Versicherungsvertrags, der Solvenz des Versicherers), um rechtsstaatlichen Prinzipien zu entsprechen. Ebenso von Zufall geprägt ist das Verhältnis zwischen der Schwere des Verstoßes und der Höhe des Schadensersatzanspruchs. Für die gezielte Verhaltenssteuerung zum Schutz der Gesellschaft, ihrer Aktionäre oder sonstiger Dritter, ist das Zivilrecht daher nicht geeignet. Anders als Schadensersatzzahlungen können strafrechtliche Konsequenzen in aller Regel nicht durch Versicherung oder Freistellungen auf Andere abgewälzt werden, so dass sie den Director oder Officer bzw. das Organmitglied direkt und persönlich betreffen. Während sich die Höhe von Schadensersatzzahlungen nach der Höhe des Schadens und nicht nach dem Verschulden richtet, hat der Grad der Schuld einen wesentlichen Einfluss auf das Strafmaß, so dass strafrechtliche Konsequenzen im höheren Maße selbstbestimmt sind. Richtig eingesetzt hat es daher ein hohes Potential zur konstruktiven Gestaltung von Corporate Governance durch Inzentivierung der Verantwortungsträger. Die Anwendung des Strafrechts im Zusammenhang mit der Corporate Governance steht immer unter dem Vorbehalt ihrer Legitimität, insbesondere wenn die relevanten Straftatbestände keine persönliche Beteiligung an den zu verantwortenden Handlungen vorsehen. Zu begegnen ist diesen Bedenken mit Augenmaß in der Strafverfolgung – eine Eigenschaft, die zwar gefordert, aber nicht sicher per Gesetzgebung vorgeschrieben werden kann. Die bereits eingehend beschriebenen Unterschiede zwischen den zwei Systemen in der strafrechtlichen Sanktionierung von Corporate Governance Verstößen weisen ähnliche Charakteristika auf wie im zivilrechtlichen Bereich. Auch hier zeichnet sich das deutsche Recht durch eine eher undifferenzierte Ahndung von Rechtsverstößen aus, die in dieser Breite weder durchsetzbar noch sinnvoll sind, da sie den Organen keine klaren Prioritäten des Gesetzgebers signalisiert, sondern nur eine – in der
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Realität kaum zu erwartende – durchweg einwandfreie Aufsicht inzentiviert. Das amerikanische Strafrecht in diesem Bereich zeichnet sich hingegen durch sehr spezifische Straftatbestände aus, die mangelhafte Aufsicht in bestimmten, als besonders wichtig erachteten Bereichen kriminalisiert, die Staatsanwaltschaft aber darüber hinaus nicht als Bewertungsinstanz der Corporate Governance eingreifen lässt. Da amerikanische Staatsanwälte aber die Unternehmen selbst an Stelle der einzelnen Führungspersonen mit deutlich geringerem Aufwand strafrechtlich verantwortlich machen können, werden hier die rechtlich bestehenden Möglichkeiten, bestimmte Prioritätensetzung durch die Strafverfolgung Einzelner zu inzentivieren, nicht ausgenutzt. Dass Unternehmensstrafen nicht den erwünschten Abschreckungseffekt haben, ist aus den zahlreichen Fällen von Wiederholungstätern deutlich zu sehen. Ein Bereich der Corporate Governance Haftung, der das richtige Maß an Abschreckung mit der nötigen Flexibilität bieten könnte, ist die verwaltungs- bzw. bußgeldrechtliche Verfolgung durch staatliche Behörden. Wie an den Beispielen der FDA, der SEC und der BaFin zu sehen, können Behörden mit maßgeschneiderten Ahndungsmöglichkeiten ausgestattet werden, die in Zivil- oder Strafprozessen nicht institutionalisiert werden können. Derartige Sanktionen wie z. B. Clawbacks, Berufsverbote oder Naming and Shaming können gezielt die verantwortlichen Directors und Officers bzw. Organe ohne die unerwünschten Nebeneffekte oder verfassungsrechtlichen Bedenken treffen, die Zivil- oder Strafverfahren mit sich bringen. Die engere Beziehung zwischen Behörden und den von ihnen regulierten und beaufsichtigten Unternehmen kann zu berechtigter Kritik führen, wenn sie die Unbefangenheit der Aufsichtsbehörde beeinträchtigt, doch sollte dieses Risiko nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung der ahndenden Verantwortung auf dieser Ebene führen, sondern zu einer sorgfältigen Strukturierung der Beziehung. Tiefere Kenntnis des Unternehmens und seiner Industrie erlaubt den Aufsichtsbehörden ein fein abgestimmtes Eingreifen, mit einer klareren Idee der wünschenswerten Strukturen, als sie in einem Zivil- oder Strafverfahren erwartet werden könnte. Darüber hinaus muss behördlichem Vorgehen, anders als bei einem Kläger oder einem Staatsanwalt (insbesondere in den USA), nicht die Motivation des „Siegens“ zugrunde liegen, da die Behörde mit der Bewahrung der Integrität, Stabilisierung und Stärkung der jeweiligen Industrie betraut ist. Obwohl vielen Administrative Proceedings in den USA ein antagonistischer Aspekt sicher nicht abzusprechen ist, bietet die BaFin ein Beispiel für konstruktives, angemessenes Vorgehen, das Vertrauen sowohl in die jeweilige Industrie, aber auch das Vertrauen zwischen Behörde und Unternehmen stärken kann, so dass unzureichende Corporate Governance Strukturen rechtzeitig aufgedeckt und korrigiert werden können. Die Eskalationsmöglichkeiten, die durch die Vielfalt des Instrumentariums zur Sanktionierung entstehen, erlauben ein solch konstruktives Vorgehen, das dem Ideal der präventiven Corporate Governance Haftung sehr nahe kommt.
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8. Teil: Impulse für sinnvolle Corporate Governance Haftung
Ein ideales Modell der Prävention durch Haftung von Directors und Officers bzw. Vorständen und Aufsichtsräten ist bisher weder in den USA noch in Deutschland gefunden worden. Der hier unternommene detaillierte Vergleich der beiden Systeme soll sinnvolle Haftungs- und Sanktionierungsbedingungen aufzeigen, die mit einem zielgerichteten Einsatz von Ressourcen die Unternehmensführung nachhaltig verbessern können.
Verzeichnis der amerikanischen Rechtsprechung Aaron v. Securities and Exchange Commission, 446 U.S. 680 (1980) Abouab v. City and County of San Francisco, 46 Cal. Rptr. 3d 206 (Cal. App. 1st 2006) Absolute Activist Value Master Fund Ltd. v. Ficeto, 677 F. 3d 60 (2d Cir. 2012) AC Acquisitions v. Anderson, Clayton & Co., 519 A.2d 103 (Del. Ch. 1986) Acticon A.G. v. China North East Petroleum Holdings Ltd., 692 F.3d 34 (2d Cir. 2012) In re Adams Golf Inc. Securities Litigation, 381 F. 3d 267 (3d Cir. 2004) Affiliated Ute Citizens of Utah v. United States, 406 U.S. 128 (1972) Air Line Pilots Association, Int’l v. UAL Corp., 717 F. Supp. 575 (N.D. Illinois 1989) Air Products and Chemicals, Inc. v. Airgas, Inc., 16 A.3d 48 (Del. Ch. 2011) Aldridge v. A.T. Cross Corp., 284 F. 3d 72 (1st Cir. 2002) American Continental Group, Inc. v. Greenberg, 965 A.2d 763 (Del. Ch. 2009) American Express Co. v. Italian Colors Restaurant, 133 S. Ct. 2304 (2013) Americas Mining Corporation v. Theriault, 51 A.3d 1213 (Del. 2012) Amgen Inc. v. Connecticut Retirement Plans and Trust Funds, 133 S. Ct. 1184 (2013) Appel v. Berkman, 180 A.3d 1055 (Del. 2018) Aprahamian v. HBO & Co., 531 A.2d 1204 (Del. Ch. 1987) Arnold v. Society for Society Bancorp, Inc., 650 A.2d 1270 (Del. 1994) Aronson v. Lewis, 473 A.2d 805 (Del. 1984) Arthur Andersen LLP v. United States, 544 U.S. 696 (2005) Associated Industries of New York State v. Ickes, 134 F.2d 694 (2d Cir. 1943) AT&T Mobility LLC v. Concepcion, 131 S. Ct. 1740 (2011) ATP Tour, Inc. v. Deutscher Tennis Bund, 91 A.3d 554 (Del. 2014) ATSI Communications, Inc. v. Shaar Fund, Ltd., 493 F. 3d 87 (2d Cir. 2007) Augenbaum v. Forman, 2006 WL 1716916 (Del. Ch. 2006) AUSA Life Insurance Co. v. Ernst & Young LLP, 206 F.3d 202 (2d Cir. 2000) Baders v. United States, 240 U.S. 391 (1916) Bandimere v. Securities and Exchange Commission, Decision on Petittion for Review of an Order of the Securities and Exchange Commission, No. 15 – 9586 (SEC No. 3 – 15124) (10th Cir., 27. Dezember 2016) Barkan v. Amsted Industries, Inc., 567 A.2d 1279 (Del. 1989)
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Basic, Inc. v. Levinson, 485 U.S. 224 (1988) Bastian v. Petren Resources Corp., 892 F.2d 680 (7th Cir. 1990) Baxter v. Palmigiano, 425 U.S. 308 (1976) In re Baxter Int’l, Inc. Shareholders Litigation, 654 A.2d 1268 (Del. Ch. 1995) In re BEA Sys., Inc. Shareholders Litigation, 2009 WL 1931641 (Del. Ch. 2009) Beam ex rel. Martha Stewart Living Omnimedia, Inc. v. Stewart, 845 A.2d 1040 (Del. 2004) Berger v. United States, 295 U.S. 78 (1935) Big Lots Stores, Inc. v. Bain Capital Fund VII, LLC, 922 A.2d 1169 (Del. Ch. 2006) Black v. Hollinger International, Inc., 872 A.2d 559 (Del. 2005) Blasius Industries, Inc. v. Atlas Corp., 564 A.2d 651 (Del. Ch. 1988) Blue Chip Stamps v. Manor Drug Stores, 421 U.S. 723 (1975) Boilermakers Local 154 Retirement Fund v. Chevron Corporation, 73 A.3d 934 (Del. Ch. 2013) Bokat v. Getty Oil Company, 262 A.2d 246 (Del. 1970) Boland v. Boland, 31 A.3d 529 (Md. 2011) Boland v. Engle, 113 F.3d 706 (7th Cir. 1997) In re BP PLC Securities Litigation, Opinion, No. 14 – 20420 (5th Cir., 8. September 2015) Brady v. Maryland, 373 U.S. 83 (1963) Braswell v. United States, 487 U.S. 99 (1988) Breard v. Sachnoff & Weaver, Ltd., 941 F.2d 142 (2d Cir. 1991) Brehm v. Eisner, 746 A.2d 244 (Del. 2000) Brinckerhoff v. Texas Eastern Products, 986 A.2d 370 (Del. Ch. 2010) In re Bristol Myers Squibb Co. Securities Litigation, 586 F. Supp. 2d 148 (S.D.N.Y. 2008) Broadcast Music, Inc. v. Columbia Broadcast System, Inc., 441 U.S. 1 (1979) Burwell v. Hobby Lobby Stores, Inc., 134 S. Ct. 2751 (2014) Caiola v. Citibank, N.A., New York, 295 F. 3d 312 (2d Cir. 2002) Cantor v. Sachs, 162 A. 73 (Del. Ch. 1932) In re Caremark Int’l Inc., 698 A.2d 959 (Del. Ch. 1996) Cede & Co. v. Technicolor, Inc., 634 A.2d 345 (Del. 1993) Cede & Co. v. Technicolor, Inc., 542 A.2d 1182 (Del. 1988) In re Cendant Corp. Securities Litigation, 404 F.3d 173 (3d Cir. 2005) Central Laborers’ Pension Fund v. Integrated Electrical Services, Inc., 497 F.3d 546 (5th Cir. 2007) In re Century Aluminum Co. Securities Litigation, 729 F. 3d 1104 (9th Cir. 2013) Chen v. Howard-Anderson, 87 A.3d 648 (Del. Ch. 2014) Chesapeake Corp. v. Shore, 771 A.2d 293 (Del. Ch. 2000)
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Chiarella v. United States, 445 U.S. 222 (1980) Cinerama, Inc. v. Technicolor, Inc., 663 A.2d 1156 (Del. 1995) Cities Service Co. v. Mesa Petroleum Co., 541 F. Supp. 1220 (D. Del. 1982) In re Citigroup Inc. ERISA Litigation, 662 F.3d 128 (2d Cir. 2011) In re Citigroup Inc. Shareholder Derivative Litigation, 964 A.2d 106 (Del. Ch. 2009) Citron v. E.I. Du Pont de Nemours & Co., 584 A.2d 490 (Del. Ch. 1990) City of Chicago v. Matchmaker Real Estate Sales Center, Inc., 1992 WL 362 (7th Cir. 1992) City of Pontiac General Employees’ Retirement System v. Wal-Mart Stores, Inc., Demand for Jury Trial, No. 5:12-cv-05162-SOH (W.D. Ark., 14. Februar 2013) City of Providence v. First Citizens BancShares, Inc., 99 A.3d 229 (Del. Ch. 2014) City Trading Fund v. Nye, 2015 NY Slip. Op. 50008 (N.Y. Supreme Court 2015) Clark v. Smith, 38 U.S. 195 (1839) In re CNX Gas Corp. Shareholders Litigation, 4 A.3d 397 (Del. Ch. 2010) Cohen v. Viray, 622 F.3d 188 (2d Cir. 2010) Connick v. Thompson, 563 U.S. 51 (2011) In re Constar International Securities Litigation, 585 F. 3d 774 (3d Cir. 2009) In re Consumers Power Co. Derivative Litigation, 132 F.R.D. 455 (E.D. Mich. 1990) Corwin v. KKR Financial Holdings LLC, 125 A.3d 304 (Del. 2015) In re Cox Communications, Inc., 879 A.2d 604 (Del. Ch. 2005) Crown Point Homeowner’s Association, Inc. v. Stiglich, 999 F. Supp. 2d 1111 (N.D. Ind. 2014) CTS Corp. v. Dynamics Corp. of America, 481 U.S. 69 (1987) Curtiss-Wright Corp. v. Schoonejongen, 514 U.S. 73 (1995) In re Cylink Securities Litigation, 178 F. Supp. 2d 1077 (N.D. Cal. 2001) In re Cysive, Inc. Shareholders Litigation, 836 A.2d 531 (Del. Ch. 2003) Dellastatious v. Williams, 242 F.3d 191 (4th Cir. 2001) In re Del Monte Foods Co. Shareholders Litigation, 25 A.3d 813 (Del. Ch. 2011) Dennis v. General Imaging, Inc., 918 F.2d 496 (5th Cir. 1990) Dennis v. United States, 341 U.S. 494 (1951) Dent v. Ramtron International Corp., C.A. No. 7950-VCP (Del. Ch. 2014) Desimone v. Barrows, 924 A.2d 908 (Del. Ch. 2007) In re Digimarc Corp. Derivative Litigation, 549 F.3d 1223 (9th Cir. 2008) Dirks v. Securities and Exchange Commission, 463 U.S. 646 (1983) In re Dollar Thrifty Shareholder Litigation, 14 A.3d 573 (Del. Ch. 2010) Donovan v. Bierwirth, 680 F.2d 263 (2d Cir. 1982) Duka v. Securities and Exchange Commission, 2015 WL 4940083 (S.D.N.Y. 2015)
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Dura Pharmaceuticals, Inc. v. Broudo, 544 U.S. 366 (2005) eBay Domestic Holdings, Inc. v. Newmark, 16 A.3d 1 (Del. Ch. 2010) Edgar v. MITE Corp., 457 U.S. 624 (1982) Emerald Partners v. Berlin, 787 A.2d 85 (Del. Ch. 2001) In re Emerging Communications, Inc. Shareholders Litigation, 2004 LEXIS 70 (Del. Ch. 2004) In re Enron Corporation Securities, Derivative & ERISA Litigation, 235 F. Supp. 2d 549 (S.D. Tex. 2002) In re Enron Corporation Securities, Derivative & ERISA Litigation, 284 F. Supp. 2d 511 (S.D. Tex. 2003) Ernst & Ernst v. Hochfelder, 425 U.S. 185 (1976) Escobedo v. Illinois, 378 U.S. 478 (1964) Escott v. Barchris Construction Corp., 283 F. Supp. 643 (S.D.N.Y. 1968) Eyler v. Commissioner of Internal Revenue, 88 F.3d 445 (7th Cir. 1996) In re Faro Technologies Securities Litigation, 534 F. Supp. 2d 1248 (M.D. Fla. 2007) Feit v. Leasco Data Processing Equipment Corporation, 332 F. Supp. 544 (E.D.N.Y. 1971) Fifth Third Bancorp v. Dudenhoeffer, 134 S. Ct. 2459 (2014) Flood v. Synutra International, Inc., 195 A.3d 754 (Del. 2018) In re Fort Howard Corp. Shareholders Litigation, 1988 WL 83147 (Del. Ch. 1988) Franklin National Bank v. L.B. Meadows & Co., 318 F. Supp. 1339 (E.D.N.Y. 1970) Free Enterprise Fund v. Public Company Acctg Oversight Board, 561 U.S. 477 (2010) Friedman v. Sebelius, 686 F.3d 813 (D.C. Cir. 2012) In re Fuqua Industries, Inc. Shareholder Litigation, 752 A.2d 126 (Del. Ch. 1999) Gagliardi v. TriFoods International, Inc., 683 A.2d 1049 (Del. Ch. 1996) Gantler v. Stephens, 965 A.2d 695 (Del. 2009) Garfield v. NDC Health Corp., 466 F.3d 1255 (11th Cir. 2006) Garrity v. New Jersey, 385 U.S. 493 (1967) In re Gaylord Containers Corp. Shareholders, 753 A.2d 462 (Del. Ch. 2000) Gesoff v. IIC Industries, Inc., 903 A.2d 1130 (Del. Ch. 2006) Gilbert v. Nixon, 429 F.2d 348 (10th Cir. 1970) Giunta v. Dingman, 2018 WL 3028686 (2d Cir. 2018) Globus v. Law Research Services, Inc., 418 F.2d 1276 (2d Cir. 1969) Golden Cycle, LLC v. Allan, 24 Del. J. Corp. L. 593 (Del. Ch. 1999) Goldstein v. MCI WorldCom, 340 F. 3d 238 (5th Cir. 2003) Goodrich v. E. F. Hutton Group, Inc., 681 A.2d 1039 (Del. 1996)
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Gordon v. Verizon Communications, Inc., 2014 NY Slip Op 33367 (U) (Sup. Ct. N.Y. Cnty. 2014) Graham v. Allis-Chalmers Manufacturing Co., 188 A.2d 125 (Del. 1963) Granada Investments, Inc. v. DWG Corp., 823 F. Supp. 448 (N.D. Ohio 1993) Greebel v. FTP Software, Inc., 194 F.3d 185 (1st Cir. 1999) Griffin v. California, 380 U.S. 609 (1965) Grimes v. Donald, 673 A.2d 1207 (Del. 1996) In re Guidant Shareholders Derivative, 841 NE 2d 571 (Ind. 2006) Gupta v. U.S. Securities and Exchange Commission, 796 F.3d 503 (S.D.N.Y. 2011) Guth v. Loft, Inc., 5 A.2d 503 (Del. 1939) Guttman v. Huang, 823 A.2d 492 (Del. Ch. 2003) H. J. Inc. v. Northwestern Bell Telephone Co., 492 U.S. 229 (1989) Hale v. Henkel, 201 U.S. 43 (1906) Halliburton Co. v. Erica P. John Fund, Inc., 134 S. Ct. 2398 (2014) Halliburton Co. v. Erica P. John Fund, Inc., 131 S. Ct. 2179 (2011) Halperin v. EBanker USA. com, Inc., 295 F. 3d 352 (2d Cir. 2002) Harkonen v. Sebelius, Order Granting Defendant’s Motion for Summary Judgment and Denying Plaintiff’s Motion for Summary Judgment, No. C 13 – 0071 PJH (N.D. Cal., 22. Oktober 2013) Harris v. American Investment Co., 523 F.2d 220 (8th Cir. 1975) Harrison v. United States, 7 F.2d 259 (2d Cir. 1925) Havens Realty Corp. v. Coleman, 455 U.S. 363 (1982) Heckler v. Chaney, 470 U.S. 821 (1985) Heit v. Weitzen, 402 F.2d 909 (2d Cir. 1968) Herman & MacLean v. Huddleston, 459 U.S. 375 (1983) Hill v. U.S. Securities and Exchange Commission, 2015 WL 4307088 (N.D. Ga. 2015) Hill v. U.S. Securities and Exchange Commission, Nos. 15 – 12831, 15 – 13738 (11th Cir. 2016) Hollinger International, Inc. v. Black, 844 A.2d 1022 (Del. Ch. 2004) Hollinger v. Titan Capital Corp., 914 F.2d 1564 (9th Cir. 1990) Hooper v. Mountain States Securities Corp., 282 F.2d 195 (5th Cir. 1960) Howard v. Everex Systems, 228 F.3d 1057 (9th Cir. 2000) In re infoUSA Shareholders Litigation, 2007 WL 2419611 (Del. Ch. 2007) In re Intelligroup Securities Litigation, 468 F. Supp. 2d 679 (D.N.J. 2006) International Data Bank, Ltd. v. Zepkin, 812 F.2d 149 (4th Cir. 1987) Jacobson v. Peat, Marwick, Mitchell & Co., 445 F. Supp. 518 (S.D.N.Y. 1977)
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Janus Capital Group v. First Derivative Traders, 131 S. Ct. 2296 (2011) Jarkesy v. Securities and Exchange Commission, 803 F.3d 9 (D.C. Cir. 2015) Jenkins v. Yager, 444 F.3d 916 (7th Cir. 2006) Johnson v. Siemens AG, Memorandum and Order, No. 09-CV-5310 (JG) (RER) (E.D.N.Y., 31 März 2011) Jones v. Harris Associates L.P., 527 F.3d 627 (7th Cir. 2008) In re J. P. Stevens & Co. Shareholder Litigation, 542 A.2d 770 (Del. Ch. 1988) Kahn v. Lynch Communication System, 638 A.2d 1110 (Del. 1994) Kahn v. M&F Worldwide, 88 A.3d 635 (Del. 2014) Kahn v. Sullivan, 594 A.2d 48 (Del. 1991) Kahn v. Tremont Corp., 694 A.2d 422 (Del. 1997) Kamen v. Kemper Financial Services, Inc., 908 F.2d 1338 (7th Cir. 1990) Katsaros v. Cody, 744 F.2d 270 (2d Cir. 1984) Kazman v. Frontier Oil Corp., 398 S.W. 3d 377 (Tex. Ct. App. 2013) In re Kellogg Brown & Root, 756 F.3d 754 (D.C. Cir. 2014) Krim v. PCOrder.com, 402 F. 3d 489 (5th Cir. 2005) Krulewitch v. United States, 336 U.S. 440 (1949) Laborers National Pension Fund v. Northern Trust Quantitative Advisors, 173 F.3d 313 (5th Cir. 173) Lake v. Flanagan, 695 F. Supp. 800 (D. N.J. 1988) Lanfear v. Home Depot, Inc., 679 F.3d 1267 (11th Cir. 2012) LaScala v. Scrufari, 479 F.3d 213 (2d Cir. 2007) In re Lear Corp. Shareholder Litigation, 967 A.2d 640 (Del. Ch. 2008) Leigh v. Engle, 727 F.2d 113 (7th Cir. 1984) Levine v. Smith, 591 A.2d 194 (Del. 1991) Lewis v. Fuqua, 502 A.2d 962 (Del. Ch. 1985) Liparota v. United States, 471 U.S. 419 (1985) London v. Tyrrell, 2010 WL 877528 (Del. Ch. 2010) Lopez v. United States, 514 U.S. 549 (1995) Louisiana Municipal Police v. Pyott, 46 A.3d 313 (Del. Ch. 2012) Lucia v. Securities and Exchange Commission, 138 S. Ct. 2044 (2018) Lyondell Chem. Co. v. Ryan, 970 A.2d 235 (Del. 2009) Magro v. Freeport-McMoran Inc., Demand for Jury Trial, No. 2:16-cv-00186-ESW (D. Ariz., 2016) Malone v. Brincat, 722 A.2d 5 (Del. 1998)
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Malpiede v. Townson, 780 A.2d 1075 (Del. 2001) Martin Marietta Corp. v. Bendix Corp., 549 F. Supp. 623 (D. Md. 1982) Matsuhita Electric Industrial Co., Ltd. v. Epstein, 516 U.S. 367 (1996) Matter of Cady, Roberts & Co., 40 S. E.C. 907 (1961) Mayer v. Executive Telecard, Ltd., 705 A.2d 220 (Del. Ch. 1997) McCall v. Scott, 239 F.3d 808 (6th Cir. 2001) McDonnell v. United States, 136 S. Ct. 2355 (2016) McGann v. Ernst & Young, 102 F. 3d 390 (9th Cir. 1996) McKee v. Rogers, 156 A. 191 (Del. Ch. 1931) McMahan & Co. v. Wherehouse Entertainment, Inc., 65 F. 3d 1044 (2d Cir. 1995) McMahon v. New Castle Associates, 532 A.2d 601 (Del. Ch. 1987) McMillan v. Intercargo Corp., 768 A.2d 492 (Del. Ch. 2000) McNally v. United States, 483 U.S. 350 (1987) Mercier v. Inter-Tel (Delaware) Inc., 929 A.2d 786 (Del. Ch. 2007) Meyer v. Holley, 537 U.S. 280 (2003) Michigan v. Tucker, 417 U.S. 433 (1974) Mills Acquisition Co. v. Macmillan, Inc., 559 A.2d 1261 (Del. 1988) Mills v. Electric Auto-Lite Co., 396 U.S. 375 (1970) Mitchell v. Robert DeMario Jewelry, 361 U.S. 288 (1960) Mitsubishi Motors Co. v. Soler Chrysler-Plymouth, Inc., 473 U.S. 614 (1985) Molski v. Evergreen Dynasty Corp., 500 F.3d 1047 (9th Cir. 2007) Moran v. Household International, Inc., 599 A.2d 1346 (Del. 1985) Morissette v. United States, 342 U.S. 246 (1952) Morrison v. Berry, 191 A.3d 268 (Del. 2018) Morrison v. National Australian Bank Ltd., 130 S. Ct. 2869 (2010) Morrison v. United States, 529 U.S. 598 (2000) National Federation of Independent Business v. Sebelius, 132 S. Ct. 2566 (2012) NECA-IBEW Health & Welfare Fund v. Goldman Sachs & Co., 693 F. 3d 145 (2d Cir. 2012) New York Central & Hudson River Railroad Co. v. United States, 212 U.S. 481 (1909) New York v. United States, 505 U.S. 144 (1992) Nixon v. Blackwell, 626 A.2d 1366 (Del. 1993) Nottingham Partners v. Dana, 564 A.2d 1089 (Del. 1989) In re Oakwood Homes Corp., 378 B.R. 59 (Bankr. D. Del. 2007) In re OCA, Inc. Securities and Derivative Litigation, 2006 WL 3747560 (E.D. La. 2006)
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Official Committee of Unsecured Creditors v. R.F. Lafferty & Co. Inc., 267 F. 3d 340 (3d Cir. 2001) Omnicare v. NCS Healthcare, Inc., 818 A.2d 914 (Del. 2003) Omnicare, Inc. v. Laborers District Council Construction Pension Fund, 135 S. Ct. 1318 (2015) In re Oracle Corp. Derivative Litigation, 824 A.2d 917 (Del. Ch. 2003) In re Orchard Enterprises, Inc., 88 A.3d 1 (Del. Ch. 2014) Palmer v. Reali, 211 F. Supp. 3d 655 (D. Del. 2016) Paramount Communications v. QVC Network Inc., 637 A.2d 34 (Del. 1994) Paramount Communications, Inc. v. Time Inc., 571 A.2d 1140 (Del. 1989) Parkcentral Global HUB Ltd v. Porsche Automobile Holdings SE, 763 F.3d 198 (2d Cir. 2014) Parnes v. Bally Entertainment, 722 A.2d 1243 (Del. 1999) Paul F. Newton & Co. v. Texas Commerce Bank, 630 F.2d 1111 (5th Cir. 1980) Pegram v. Herdrich, 530 U.S. 211 (2000) People v. Roby, 52 Mich. 577 (Mich. 1884) Percy v. Milaudon, 8 Mart. 68 (La. 1829) Pereira v. United States, 347 U.S. 1 (1954) In re Petrobras Securities Litigation, Opinion and Order, No. 14-cv-9662 (JSR) (S.D.N.Y., 1. Februar 2016) In re Philadelphia Stock Exchange, Inc., 945 A.2d 1123 (Del. 2008) Phillips Petroleum Co. v. Shutts, 472 U.S. 797 (1985) Pinkerton v. United States, 328 U.S. 640 (1946) Pipefitters Local No. 636 Defined Benefit Plan v. Oakley, Inc., 180 Cal. App. 4th 1542 (Cal. App. 4th 2010) Pirelli Armstrong Tire Corporation Retiree Medical Benefits Trust ex rel. Federal Mortgage Association v. Raines, 534 F.3d 779 (D.C. Cir. 2008) In re PNB Holding Co. Shareholders’ Litigation, 2006 WL 2403999 (Del. Ch. 2006) Postorivo v. AG Paintball Holdings, 2008 WL 343856 (Del. Ch. 2008) In re Primedia, Inc. Shareholder Litigation, 67 A.3d 455 (Del. Ch. 2013) Production Resources Group, LLC v. NCT Group, Inc., 863 A.2d 772 (Del. Ch. 2004) Rales v. Blasband, 634 A.2d 927 (Del. 1993) Reis v. Hazelett Strip-Casting Corp., 2011 WL 303207 (Del. Ch. 2011) Resnik v. Swartz, 303 F. 3d 147 (2d Cir. 2002) Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdings, Inc., 506 A.2d 173 (Del. 1986) In re Revlon, Inc. Shareholders Litigation, 990 A.2d 940 (Del. Ch. 2010) Rich ex rel. Fuqi International, Inc. v. Chong, 66 A.3d 963 (Del. Ch. 2013) In re RJR Nabisco, Inc. Shareholders Litigation, 1989 WL 7036 (Del. Ch. 1989)
Verzeichnis der amerikanischen Rechtsprechung
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In re RNI Wind Down Corp., 348 B.R. 286 (Bankr. D. Del. 2006) Robbins v. Koger Properties, Inc., 116 F.3d 1441 (11th Cir. 1997) Rochez Brothers, Inc. v. Rhoades, 527 F.2d 880 (3d Cir. 1975) Rosenblatt v. Getty Oil Co., 493 A.2d 929 (Del. 1985) In re Rural Metro Corp., 102 A.3d 205 (Del. Ch. 2014) In re Rural Metro Corp., 88 A.3d 54 (Del. Ch. 2014) Ryan v. Lyondell Chem. Co., 2008 WL 2923427 (Del. Ch. 2008) Ryan v. United States, 688 F.3d 845 (7th Cir. 2012) Salinas v. United States, 522 U.S. 52 (1997) Salman v. United States, 136 S. Ct. 899 (2016) Sample v. Morgan, 914 A.2d 647 (Del. Ch. 2007) Sanders v. John Nuveen & Co., Inc., 554 F.2d 790 (7th Cir. 1977) In re Sauer-Danfoss Inc. Shareholders Litigation, 65 A.3d 1116 (Del. Ch. 2011) Scales v. United States, 367 U.S. 203 (1967) Scattered Corp. v. Chicago Stock Exchange, Inc., 701 A.2d 70 (Del. 1997) Scherk v. Alberto-Culver Co., 417 U.S. 506 (1974) Schoon v. Smith, 953 A.2d 196 (Del. 2008) Screws v. United States, 325 U.S. 91 (1945) Securities and Exchange Commission v. Baker, Order, Case No. A-12-CA-285-SS (W.D. Tex., 13. November 2012) Securities and Exchange Commission v. Bankosky, 716 F.3d 45 (2d Cir. 2013) Securities and Exchange Commission v. Benger, 931 F. Supp. 2d 901 (N.D. Illinois 2015) Securities and Exchange Commission v. Big Apple Consulting USA, Inc., 783 F.3d 786 (11th Cir. 2015) Securities and Exchange Commission v. Blatt, 583 F.2d 1325 (5th Cir. 1978) Securities and Exchange Commission v. Capital Gains Research Bureau, Inc., 375 U.S. 180 (1963) Securities and Exchange Commission v. Citigroup Global Markets Inc., 827 F. Supp. 2d 328 (S.D.N.Y. 2011) Securities and Exchange Commission v. Drexel Burnham Lambert, 837 F. Supp. 587 (S.D.N.Y. 1993) Securities and Exchange Commission v. First Jersey Securities, Inc., 101 F.3d 1450 (2d Cir. 1996) Securities and Exchange Commission v. Jenkins, Order, Case No. CV 09 – 110-PHX-JWS (D. Ariz., 2009) Securities and Exchange Commission v. Jenkins, 718 F. Supp. 2d 1070 (D. Ariz. 2010)
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Securities and Exchange Commission v. Materia, 745 F.2d 197 (2d Cir. 1984) Securities and Exchange Commission v. Microtune, Inc., 783 F. Supp. 2d 867 (N.D. Tex. 2011) Securities and Exchange Commission v. Obus, 693 F. 3d 276 (2d Cir. 2012) Securities and Exchange Commission v. Patel, 61 F.3d 137 (2d Cir. 1995) Securities and Exchange Commission v. Patel, 61 F.3d 137 (2d Cir. 1995) Securities and Exchange Commission v. Posner, 16 F.3d 520 (2d Cir. 1994) Securities and Exchange Commission v. Reyes, 491 F. Supp. 2d 906 (N.D. Cal. 2007) Securities and Exchange Commission v. Savoy Industries, Inc., 587 F.2d 1149 (D.C. Cir. 1978) Securities and Exchange Commission v. Sharef, 924 F. Supp. 2d 539 (S.D.N.Y. 2013) Securities and Exchange Commission v. Texas Gulf Sulphur Co., 401 F.2d 833 (2d Cir. 1968) Securities and Exchange Commission v. Yang, 795 F.3d 674 (7th Cir. 2015) Seghers v. Securities and Exchange Commission, 548 F.3d 129 (D.C. Cir. 2008) Seinfeld v. Coker, 847 A.2d 330 (Del. Ch. 2000) Seinfeld v. Slager, A.2d (Del. Ch. 2012) Seinfeld v. Verizon Communications Inc., 909 A.2d 117 (Del. 2006) Semerenko v. Cendant Corp., 223 F.3d 165 (3d Cir. 2000) Seminaris v. Landa, 662 A.2d 1350 (Del. Ch. 1995) Shoen v. SAC Holding Corp., 137 P. 3d 1171 (Nev. 2006) Shushan v. United States, 117 F.2d 110 (5th Cir. 1941) Sinclair Oil Corporation v. Levien, 280 A.2d 717 (Del. 1971) Skilling v. United States, 130 S. Ct. 2896 (2010) Slodov v. United States, 436 U.S. 238 (1978) Smith v. van Gorkom, 488 A.2d 858 (Del 1985) Smolowe v. Delendo Corporation, 136 F.2d 231 (2d Cir. 1943) Solomon v. Pathe Communications Corp., 20 Del. J. Corp. L. 1123 (Del. Ch. 1995) In re Southern Peru Copper Corp. Shareholder Deriv. Lit., 30 A.3d 60 (Del. Ch. 2011) Sprague v. Ticonic Nat. Bank, 307 U.S. 161 (1939) Srebnik v. Dean, 2006 WL 2790408 (D. Colo. 2006) Staples v. United States, 511 U.S. 600 (1994) Sterling v. Mayflower Hotel Corporation, 93 A.2d 107 (Del. 1952) Stone v. Ritter, 911 A.2d 362 (Del. 2006) Stotland v. GAF Corp., 469 A.2d 421 (Del. 1983) Stroud v. Grace, 606 A.2d 75 (Del. 1992) Strougo v. Scudder, Stevens & Clark, Inc., 964 F. Supp. 783 (S.D.N.Y. 1997)
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Sugarland Industries, Inc. v. Thomas, 420 A.2d 142 (Del. 1980) Surowitz v. Hilton Hotels Corp., 383 U.S. 363 (1966) Tatum v. RJR Pension Inv. Committee, 761 F.3d 346 (4th Cir. 2014) Tellabs, Inc. v. Makor Issues & Rights, Ltd., 551 U.S. 308 (2007) Thomsen v. United States, 887 F.2d 12 (1st Cir. 1989) Thorpe v. CERBCO, Inc., 611 A.2d 5 (Del. Ch. 1991) In re Topps Co. Shareholders Litigation, 924 A.2d 951 (Del. Ch. 2007) In re Topps Co. Shareholders Litigation, 926 A.2d 58 (Del. Ch. 2007) In re Trados Inc. Shareholder Litigation, 28 A.3d 457 (Del. Ch. 2013) Trenwick America Litigation Trust v. Ernst & Young, 906 A.2d 168 (Del. Ch. 2006) In re Trulia, Inc. Shareholder Litigation, 129 A.3d 884 (Del. Ch. 2016) TSC Industries, Inc. v. Northway, Inc., 426 U.S. 438 (1976) TW Services, Inc. v. SWT Acquisition Corp., 1989 WL 20290 (Del. Ch. 1989) United State v. Wise, 370 U.S. 405 (1962) United States v. Agurs, 427 U.S. 97 (1976) United States v. Anderson, 741 F.3d 938 (9th Cir. 2013) United States v. Ash, 413 U.S. 300 (1973) United States v. Bank of New England, 821 F.2d 844 (1st Cir. 1987) United States v. Bohonus, 628 F.2d 1167 (9th Cir. 1980) United States v. Brittain, 931 F.2d 1413 (10th Cir. 1991) United States v. Brown, 540 F.2d 364 (8th Cir. 1976) United States v. Bryza, 522 F.2d 414 (7th Cir. 1975) United States v. Buffalo Pharmacal Co., 131 F.2d 500 (2d Cir. 1942) United States v. Cassese, 428 F.3d 92 (2d Cir. 2005) United States v. Cattle King Packaging Co., 793 F.2d 232 (10th Cir. 1986) United States v. Richard A. Causey, Jeffrey K. Skilling, and Kenneth L. Lay, Superseding Indictment, Cr. No. H-04 – 25 (S.D. Tex., 7. Juli 2004) United States v. DeCoster, 828 F.3d 626 (8th Cir. 2016) United States v. Dixon, 536 F.2d 1388 (2d Cir. 1976) United States v. Doe, 465 U.S. 605 (1984) United States v. Dotterweich, 320 U.S. 277 (1943) United States v. Energy Resources Co., 495 U.S. 545 (1990) United States v. Freed, 401 U.S. 601 (1971) United States v. Frost, 125 F.3d 346 (6th Cir. 1997) United States v. George, 477 F.2d 508 (7th Cir. 1973)
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United States v. Grab Bag Distributors, 189 F. Supp. 2d 1072 (E.D. Cal. 2002) United States v. Gray, 96 F.3d 769 (5th Cir. 1996) United States v. Gulf Oil Corp., 408 F. Supp. 450 (W.D. Penn. 1975) United States v. Harkonen, 2013 WL 782354 (9th Cir. 2013) United States v. Hayes International Corporation, 786 F.2d 1499 (11th Cir. 1986) United States v. Hilton Hotels Corp., 467 F.2d 1000 (9th Cir. 1972) United States v. Hodges X-Ray, Inc., 759 F.2d 557 (6th Cir. 1985) United States v. Michael D. Huggins, Memorandum, No. 09 – 403 – 3 (E.D. Penn., 13. Dezember 2011) United States v. Insurance Consultants of Knox, Inc., 187 F.3d 755 (7th Cir. 1999) United States v. International Minerals & Chemicals Corp., 402 U.S. 558 (1971) United States v. Isaacs, 493 F.2d 1124 (7th Cir. 1974) United States v. Jain, 93 F.3d 436 (8th Cir. 1996) United States v. Johnson & Towers, Inc., 741 F.2d 662 (3d Cir. 1984) United States v. Jorgensen, 144 F.3d 550 (8th Cir. 1998) United States v. Kaiser, 609 F.3d 556 (2d Cir. 2010) United States v. Kayaba Industry Co., United States Sentencing Memorandum and Motion for a Downward Departure Pursuant to United States Sentencing Guidelines § 8C4.1, 1:15-CR00098 (S.D. Oh., 5. Oktober 2015) United States v. Kozeny, 667 F.3d 122 (2d Cir. 2011) United States v. Lay, 456 F. Supp. 2d 869 (S.D. Tex. 2006) United States v. Lemire, 720 F.2d 1327 (D.C. Cir. 1983) United States v. Liebo, 923 F.2d 1308 (8th Cir. 1991) United States v. Lloyd, 807 F.3d 1128 (9th Cir. 2015) United States v. MacDonald & Watson Waste Oil Co., 933 F.2d 35 (1st Cir. 1991) United States v. Maloney, 755 F.3d 1044 (9th Cir. 2014) United States v. Mandel, 591 F.2d 1347 (4th Cir. 1979) United States v. Maze, U.S. 395 (1974) United States v. Milovanovic, 678 F.3d 713 (9th Cir. 2012) United States v. Mitrow, Opinion & Order, No. S3 13 Cr. 633 (PAE) (S.D.N.Y., 8. September 2015) United States v. Naftalin, 441 U.S. 768 (1979) United States v. Newman, 773 F. 3d 438 (2d Cir. 2014) United States v. O’Hagan, 521 U.S. 642 (1997) United States v. Osborne, Opinion and Order, Case No. 1:11-CV-1029 (N.D. Ohio, 30. März 2012)
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United States v. Park, 421 U.S. 658 (1975) United States v. Pearson, 274 F.3d 1225 (9th Cir. 2001) United States v. Pennington, 168 F.3d 1060 (8th Cir. 1999) United States v. Procter & Gamble Co., 47 F. Supp. 676 (D. Mass. 1942) United States v. Quality Egg, LLC, Memorandum Opinion and Order Regarding Defendants’ Motion Prior to Sentencing, No. C 14 – 3024-MWB (N.D. Iowa, 14. April 2015) United States v. Rachal, 473 F.2d 1338 (5th Cir. 1973) United States v. Sancho, 157 F.3d 918 (2d Cir. 1998) United States v. Scrushy, Memorandum Opinion on Motion to Dismiss Counts 27, CR-03-BE0530-S (N.D. Al., 2014) United States v. Skilling, 638 F.3d 480 (5th Cir. 2011) United States v. Starr, 535 F.2d 512 (9th Cir. 1976) United States v. Stein, 541 F. 3d 130 (2d Cir. 2008) United States v. Stewart, Superseding Indictment, S1 03 Cr. 717 (MGC) (S.D.N.Y., 4. Juni 2003) United States v. Stewart, Opinion (partial verdict), 03 Cr. 717 (MGC) (S.D.N.Y., 27. Februar 2004) United States v. Stewart, 305 F. Supp. 2d 368 (S.D.N.Y. 2004) United States v. Stewart, 433 F.3d 273 (2d Cir. 2006) United States v. Tarallo, 380 F.3d 1174 (9th Cir. 2004) United States v. Taylor, 464 F.2d 240 (2d Cir. 1972) United States v. Union Supply Co., 215 U.S. 50 (1909) United States v. United States Gypsum Co., 438 U.S. 422 (1978) United States v. United States Steel Corporation, 328 F. Supp. 354 (N.D. Ind. 1970) United States v. von Barta, 635 F.2d 999 (2d Cir. 1980) United States v. Wagner, 29 F.3d 264 (7th Cir. 1994) United States v. WakeMed, 2013 WL 5011784 (E.D.N.C. 2013) United States v. White, 766 F. Supp. 873 (E.D. Wash. 1991) United States v. White, 322 U.S. 694 (1944) United States v. Y. Hata & Co., Ltd., 535 F.2d 508 (9th Cir. 1976) United States. v. Purdue Frederick Co., Inc., 495 F. Supp. 2d 569 (W.D. Va. 2007) Unitrin, Inc. v. American General Corp., 651 A.2d 1361 (Del. 1995) Universal Camera Corp. v. NLRB, 340 U.S. 474 (1951) Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co., 493 A.2d 946 (Del. 1985) US Airways, Inc. v. McCutchen, 133 S. Ct. 1537 (2013) VantagePoint v. Examen, Inc., 871 A.2d 1108 (Del. 2005)
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Verzeichnis der amerikanischen Rechtsprechung
Venhill Ltd. Partnership v. Hillman, 2008 WL 2270488 (Del. Ch. 2008) Versata Enterprises, Inc. v. Selectica, Inc., 5 A.3d 586 (Del. 2010) In re Walgreen Co. Stockholder Litigation, 832 F.3d 718 (7th Cir. 2016) In re Walt Disney Co. Derivative Litigation, 907 A.2d 693 (Del. Ch. 2005) In re Walt Disney Co. Derivative Litigation, 906 A.2d 27 (Del. 2006) Weinberger v. Jackson, 1990 WL 260676 (N.D. Cal. 1990) Weinberger v. UOP, Inc., 457 A.2d 701 (Del. 1983) White v. Panic, 783 A.2d 543 (Del. 2001) Williams v. Geier, 671 A.2d 1368 (Del. 1996) Wilshire Oil Company of Texas v. Riffe, 409 F.2d 1277 (10th Cir. 1969) In re Winship, 397 U.S. 358 (1970) Wood v. Baum, 953 A.2d 136 (Del. 2008) In re WorldCom, Inc., 323 B.R. 844 (Bankr. S.D.N.Y. 2005) In re Worldcom, Inc., 263 F. Supp. 2d 745 (S.D.N.Y. 2003) In re WorldCom, Inc. Securities Litigation, 346 F. Supp. 2d 628 (S.D.N.Y. 2004) In re Worldcom, Inc. Securities Litigation, 354 F. Supp. 2d 455 (S.D.N.Y. 2005) Yahoo! Shareholder Litigation, 2008 WL 2268354 (Del. Ch. 2008) Zapata Corp. v. Maldonado, 430 A.2d 779 (Del. 1981)
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Übersetzungen Viele amerikanische Fachbegriffe sind im Folgenden nicht übersetzt worden, unter anderem, damit die Nuancen ihres amerikanischen Gebrauchs bewahrt und sie nicht von deutschen Rechtsvorstellungen des übersetzten Begriffs überlagert werden. Die deutschsprachige rechtsvergleichende Literatur bietet so zum Beispiel für den Begriff „Board of Directors“ je nach Autor und Zusammenhang oft die Übersetzungen „Aufsichtsrat“, „Beirat“ oder „Verwaltungsrat“. Obwohl ein Board of Directors sicherlich (je nach Zusammenhang) große Ähnlichkeiten mit jedem dieser Gremien aufweist und als amerikanisches zweckmäßiges Äquivalent betrachtet werden kann, wenn dies für einen Vergleich nötig ist,1 so gehört zum Rechtsvergleich zunächst auch ein Verständnis für das fremde Rechtssystem für sich. Um dem Leser ein solches grundlegendes Verständnis und vor allem auch Zugriff auf die englischsprachige Literatur zu ermöglichen, wird von Übersetzungen, die die amerikanischen Begriffe inhaltlich verfälschen oder unnötig schwer identifizierbar machen, abgesehen. Dies gilt auch für das Adjektiv „federal“, das sich in die deutsche Sprache nur mit Mühe einfügen lässt, dessen Übersetzung („Bundes-“) aber durch ihre enge funktionelle Verwurzelung im deutschen Rechtsraum keine zureichende Alternative bietet. Übersetzungen oder Erklärungen für die folgenden amerikanischen Institutionen und Fachbegriffe finden sich an den genannten Stellen: Actus Reus 328 Administrative Law Judge 266 Administrative Proceedings 263 American Rule 197 Arbitration 216 Audit Committee 70 Audit Committee Financial Expert 94 Bad Faith 60 Blue Sky Laws 45 Board Action 142 Board Member 21 Board of Directors 50 Books and Records 359 Business Judgment Rule 121 Bylaws 216 Chancellor 41 Chancery Court/Court of the Chancery 41 Change of Control 156 Charter 47 Circuit 48 Class 187 1
Class Action 185 Class Certification 187 Class Period 187 Clawback 272 Collective Knowledge Doctrine 294 Commerce Clause 44 Common Fund Doctrine 197 Common Law 47 Compliance 397 Control Person 70 Controlled Transaction 148 Controlling Shareholder 148 Cooperation Credit 296 Corporate Benefit Doctrine 197 Corporate Integrity Agreement 310 Corporation 49 corruptly 357 Cost of Doing Business 196 Court of Appeals 48 Culpability Score 295 Deal Tax 195
s. infra, Directors und Officers im Vergleich zu Vorstand und Aufsichtsrat, S. 50.
Übersetzungen Debarment 264 Debarred Person 264 Deferred Prosecution Agreement 298 Demand 181 Demand Futility 181 Demand Requirement 181 Derivative Action 179 Director 21 Disclosure-Only Settlements 193 Discovery 208 Disgorgement 266 District Court 48 Dual Protection Merger Structure 150 Due Diligence Defense 73 Duty of Care 56 Duty of Due Diligence 56 Duty of Good Faith 60 Duty of Loyalty 57 Duty to Monitor 65 Economic Loss 77 Employee Benefit Plan 113 Employee Stock Ownership Plan 115 Enhanced Scrutiny 156 Entire Fairness/entirely fair 148 Entity Liability 293 Environmental Protection Agency 321 Equity 42 Fair Dealing 149 Fair Price 149 False Statement 87 federal 528 Federal Agency 46 Federal Courts 47 Federal Law 39 Federal Trade Commission 364 Felony 309 Fiduciary 54 Fiduciary Duties 42 Final-Stage Transactions 164 Foreign Official 356 Forum Selection Bylaws 221 Forum Shopping 220 Fraud on the Market 78 Frivolous Lawsuit 194 Global Release 202 Good Faith 60 Grand Jury 286 Group Pleading Doctrine 80
529
Honest Services Fraud 425 Honest Services/Honest and Faithful Services 425 Hostile Takeover 157 Independent Directors 93 Inside Directors 51 Insider Trading 81 Instrumentalities and Channels of Interstate Commerce 44 Internal Affairs Doctrine 40 Interstate Commerce 44 Lead Plaintiff 187 Lodestar Method 211 Loss Causation 77 Mail Fraud 290 Majority of the Minority 149 Mandatory Debarment 320 Market Check 163 material 72 Material Misstatement 72 Mens Rea 305 Misdemeanor 312 Name and Shame 279 Non-Prosecution Agreement 298 Obstruction of Justice 290 Officer 21 Opt-In 250 Opt Out 185 Optimal Deterrence 365 Out-of-Pocket Rule 105 Pension Plan 113 Permissive Debarment 320 Plaintiffs’ Attorney 187 Plea Agreement 316 Pleading with Particularity 122 Procedure 37 Professional Plaintiff 200 Public Pension Funds 223 Public Welfare Offense 307 rational 158 Rational Actor 365 Rational Business Purpose 122 reasonable 73, 158 Reasonable Investigation Defense 73 Reasonable Reliance Defense 73 Recklessness 80 Reliance 77 Responsible Corporate Officer 307
530
Übersetzungen
Responsible Corporate Officer Doctrine 307 Responsible Relation 331 Scienter 79 Securities Class Actions 187 Self Dealing 156 Shareholder Representative Actions 178 Special Committee 149 Special Litigation Committee 181 Standing 180 State Courts 48 State Law 39 Takeover Defenses 159 Tender Offer 157 Transaction Causation 77 Truth-on-the-Market Defense 72
U.S. Attorney 286 U.S. Attorney General 286 U.S. Congress 44 U.S. Department of Justice 286 U.S. Department of Labor 113 U.S. Food and Drug Administration 264 U.S. Securities and Exchange Commission 265 Vice Chancellor 41 Waste 122 White Collar Crime 305 White Knight 160 White Squire 160 willful 350 Wire Fraud 290 wrongful 350
Stichwortverzeichnis Abschlussprüfer 84 ff., 91, 93 f. Abschreckung siehe Zielsetzung Haftung bzw. Sanktionierung Abwehrmaßnahmen 168 ff. actio pro societate 228, 231 actus reus 328 ff., 334 Ad-hoc Publizitätspflicht 96 ff., 100 ff., 103 ff., 109 ff. Affiliated Ute Citizens of Utah v. United States 77 f. administrative actions siehe administrative proceeedings administrative law judge 265 ff. administrative proceedings 263, 265, 267 ff., 459 agencies, federal siehe Behörden agent 323 f. Aktiengesellschaft, allgemein 49 f. Aktiengesetz (AktG) – § 91 56 f., 61, 102 – § 93 28 f., 37, 128 ff., 435, 437, 457 – § 116 55, 61, 64, 103, 140, 154, 176 f., 441 – § 147 228 f., 231 ff. – § 148 130, 228 ff., 235 – § 400 97 ff. Aktienrückkauf 169 Aktionärsklagen – allgemein, Deutschland 130, 228 – allgemein, USA 32, 79, 126 f., 185 ff., 195 ff., 217, 239, 256 – derivative actions (USA) 144 f., 178 ff., 185 f., 196 ff., 216 ff., 239 ff., 253, 259 ff., 362, 369, 456 – gemäß § 148 AktG 130, 228 ff., 23 – Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) 240 ff., 257 ff. – M&A class actions 192 ff., 204 ff., 210 ff., 216 ff. – securities class actions (USA) 32, 79 ff., 109, 185 ff., 195 ff., 207 ff., 256 ff., 456
aktivistische Aktionäre 136, 226, 449 american rule 197, 223 Ansprüche, angemeldete 244, 250 Anreizsysteme 177, 278, 336, 423 Anspruchsverfolgung durch den Aufsichtsrat bzw. das board – Deutschland 64, 111, 131, 176 ff., 233 f., 238, 241, 258, 441, 457 ff. – USA 64 ff., 233, 183 f. Anwälte – Haftungsrisiken 84, 94 – Klägeranwälte siehe plaintffs’ attorneys – Kosten 210 ff., 222 f., 224 f. ARAG/Garmenbeck-Urteil 28, 128, 131, 134, 138, 176, 438, 441 arbitration 216 ff. Arthur Andersen LLP 291, 297, 300 f. Arzneimittelgesetz (AMG) 392 f., 404, 414 Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung (AMWHV) 405 AT&T Mobility LLC v. Concepcion 215 f. ATP Tour 216 f., 222 AUB-Rechtsprechung 440 f. audit committee 70, 84 f., 87, 93 ff. Aufsicht (durch Organe bzw. fiduciaries) – Aufsichts- und Organisationspflicht (Deutschland) 61 ff., 117 f., 373 ff., 380 f., 385 ff., 413, 432, 459 – Deutschland 61 ff., 102, 118, 385 ff., 401, 432, 459 – Informationssysteme 97 ff., 387 – internal controls 69, 84 ff. – Organisationspflicht des Unternehmens 294, 416 – Überwachungssysteme 102, 339, 373, 397, 453 – Überwachungspflicht, USA 56 f., 65 f., 116, 306 f., 336, 320 Aufsicht (staatlich) 31 Aufsichtsrat 51 ff., 61 f., 64 f., 98, 100, 128, 139 f., 142, 154, 165 ff., 373, 432 ff., 440 f.
532
Stichwortverzeichnis
Aussageverweigerungsrecht 287, 302 Aufdeckungsrisiko 284 Auktion 163 Außenhaftung – allgemein 67, 103 – Deutschland 96 ff., 227 ff., 373 ff., 441 – USA 68 ff., 112 ff., 185 außergerichtliche Beilegung – allgemein (Zivil- und Strafrecht) 23, 32 f., 64, 188, 195, 199, 201 ff., 249 ff., 454 – Deutschland (Zivilrecht) 64, 234 f., 249 ff., 254 f., 261 – USA (Zivilrecht) 34 f., 73, 79, 179, 182, 188 ff., 195, 201 ff., 205 ff., 213 ff., 224, 240, 249 ff., 254 – USA (Strafrecht) 282 f., 298 ff., 309, 315 ff., 341 f., 362, 449 bad faith 57, 60, 121 ff., 126, 133 f. Bagatellklagen 236 Baustoff-Urteil 371, 375 ff., 380 ff. Behörden – allgemein 31, 263 ff., 280 ff., 459 – USA 46 ff., 263 ff., 280, 316, 340 ff. Behinderung der Justiz siehe Obstruction of Justice Beigeladene 248, 250 Berichtssysteme 337, 339 Berufsverbot siehe Debarment besonderer Vertreter 239 Bestandsgefährdung 138 Bestechung 62, 306, 320, 325, 340, 356, 425 Betrug 231, 320 – allgemein 27, 29, 85 f., 98, 102, 106, 208, 231, 297, 313, 316, 320, 324, 338 f., 425 – Kapitalmarkt- und Bilanzbetrug 28,29, 35, 51, 67, 69, 72 ff., 81 ff., 91, 97, 105 ff., 270, 308, 325, 336, 346 ff., 413, 427 Beweis- bzw. Darlegungslast 109 ff., 122, 143 ff., 149, 183 Beweislastumkehr 336 Bezugsrechtsausschluss 169 Bilanzberichtigung 90 f., 272, 275 Bilanzeid 99 f., 103, 306 Blankenship, Don 421 ff. blue sky laws 45 Board Member siehe Director
Börsenregeln 90, 93 bounce-back Regelung 108 Bouchard, André 222 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) – § 185 242 – § 823 98 ff., 103, 105, 370 ff., 380 ff., 410, 423 f. – § 826 100 ff., 105, 109 ff. Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) 276, 459 business judgment rule – Delaware 27 ff., 37, 56, 120 ff., 129 ff., 150 ff., 158 f., 337 – Deutschland, sogenannte (§ 93 Abs. 1 Satz 2 AktG) 28 f., 37, 128 ff., 456 f. Bußgeld 265, 413 Caremark-Pflichten 65 f. chairman 52, 83, 346, 427 Chancery, Delaware Court of the 41 ff., 221 change of control 156, 163 chief executive officer – allgemein 51 f. – Beklagter 189 f. – Haftung 339 – Pflichten 84 ff. – Vergütung 59, 266, 272 ff. chief financial officer 52 f., 84 ff., 87, 189 f, 266, 272 ff., 339 civil penalties 265 f. Clark, Robert 58 Class Action Fairness Act of 2005 209 class actions, Shareholder siehe Aktionärsklagen class certification 187 class period 187 Clayton Antitrust Act of 1914 (Clayton Act) 364 clawback 84, 266, 272 ff., 278, 459 Clean Air Act 321 ff. Clean Water Act 321 ff. collective knowledge doctrine 294 command responsibility 308 commerce clause 44 common fund doctrine 197 common law 23, 36, 38, 47, 55 compliance officer 397, 417 Compliance-Systeme 62 f., 65
Stichwortverzeichnis conspiracy siehe Verschwörung Contergan-Beschluss 309, 394, 396 f., 414 control person 69 ff., 88, 339 controlling shareholder 148 ff. controlled transaction 148 ff, 194 cooperation credit 296, 299 corporate benefit 207, 210, 214 corporate benefit doctrine 197 corporate governance, allgemein 24 f., 28 ff., 42, 273 ff., 281 ff., 306 ff., 335 ff., 346 ff., 359 ff., 363 ff., 372 ff., 387, 408, 412, 419 ff., 422 ff., 430 ff., 447, 451, 456 ff. corporate integrity agreements (CIA) siehe außergerichtliche Beilegung corporate opportunity doctrine siehe Geschäftschancenlehre cost of doing business 31, 315, 444, 449 coupon settlements 193 crimes of moral turpitude 297 criminal liability 299 – In re CSK Auto Corporation 273 culpability score 295, 298, 302 f. culpable participation approach 71 Darlegungslast 122 deal tax 195 debarment 59, 264, 266, 269, 277, 304, 312, 316 f., 319 ff., 338 f., 459 deferred prosecution agreement (DPA) siehe außergerichtliche Beilegung Delaware 32 ff., 40 ff.,124 ff., 211 f., 221 Delegierung 333, 417 DGCL – § 220 215 – Section 102(b) (7) 260, 456 Delikt, allgemein 117 Delikthaftung 98 ff., 100, 103 ff., 117, 381 ff. Deliktaußenhaftung 118, 380 ff. demand 181, 194, 230 demand futility 183, 194 derivative actions siehe Aktionärsklagen Deutsche Telekom AG 24, 240 f, 245 f., 251 Differenzschaden 105 directors – allgemein 21, 32, 50 f. – independent 51, 93 ff.
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– inside 51 f., 59 – outside 32 ff., 51 f., 73 f., 84, 116, 189, 354 – persönliches Haftungsrisiko 32 ff., 120 ff. disclosure-only settlements 193, 201, 204 f., 213, 222 ff. disgorgements 266 Dispositionsrecht 252 D&O Versicherung 23, 26, 33 f., 37, 63 f., 116, 177, 180, 188, 191, 203, 345, 386, 456 Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act of 2010 30, 45, 268, 275 double derivative action 180 Dritter, Haftung für Handlungen 27 Drittschutz 62, 67 f., 97, 118, 177, 306 ff., 370 ff., 385 ff., 419 ff., 422 ff., 448, 455, 458 dual protection merger structure 150 Dura Pharmaceuticals, Inc. v. Broudo 105 ff. duty of care siehe Sorgfaltspflichten duty of due diligence 55 f. duty of fair dealing 55 duty of good faith 55, 60, 121 duty of loyalty siehe Loyalitätspflichten duty to monitor siehe Caremark Pflichten Effekte der Corporate Governance Haftung 89 ff., 95, 100, 103, 116, 119, 123 Einzelaktionäre 255 Emerging Communications, Inc. Shareholders Litigation 60 employee benefit plans 113 ff. Employee Retirement Income Security Act of 1974 (ERISA) 113 ff. enhanced scrutiny 156 f. Enron, Inc. 28, 35, 83 f., 88, 116, 186, 190 f., 291, 300, 427 entity liability 293 ff., 445 ff. Entlastungsklausel (DGCL § 102(b)7) siehe Haftungsfreistellung Environmental Protection Agency (EPA) 321 equity 41 Erfolgsabwendungspflicht 399 Erfolgshonorar 199, 237, 249, 253
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Stichwortverzeichnis
Erstes Finanzmarktnovellierungsgesetz (1. FinMaNoG) 98 Ethiktraining 284 EU Transparenzrichtlinie (17. Nov. 2013 in Kraft getreten) 279 Europäische Marktmissbrauchsverordnung (MAR) 98 exclusive forum bylaws 221 Expertenhaftung 94 ff. Expertenrat 56, 60, 73, 94 expertise (board of directors) 60, 94 ff. extraterritoriale Anwendung amerikanischen Rechts 29 faciliating payments 357 Fair Housing Act 325 Fastow, Andrew 28 federal courts siehe Gerichte Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) 277 Federal Deposit Corporation Insurance Corporation Improvement Act (FDICA) 87 Federal Food, Drugs and Cosmetics Act (FDCA) 264, 312 ff., 319, 414, 419 Federal Insurance Office (FIO) federal law, Rolle des 38, 44 ff. Federal Meat Inspection Act 343 Federal Reserve System, Board of Governors of the (Federal Reserve) 277 Federal Trade Commission (FTC) 364 fee-shifting bylaws 223 feindliche Übernahme 157 felony 309 Feststellungsziele 243, 246 Fifth Third Bancorp v. Dudenhoeffer 115 fiduciary duties 42, 54 ff. final-stage transactions 164 f financial expert 94 ff. Finanzkrise 281 Foreign Corrupt Practices Act of 1977 (FCPA) 86, 308, 325, 348, 355 ff. forum selection bylaws 215, 220, 225 forum shopping 220 f. Frankfurter, Felix 336 fraud-on-the-market-Vermutung 78 ff., 82, 108 ff., 228 fraudulent intent 351 Freiheitsstrafe 99, 304
Freistellungsklauseln 190, 193, 202, 225 Friedmann, Michael 317 frivolous lawsuits 194, 200, 225, 254 freundliche Übernahme 162 Garantenpflichten 67 ff., 411, 418 Garantenstellung 333, 371, 375, 391, 394, 400 f., 405 Gebührenstruktur 247 Gefährdungshaftung 393 Genehmigungsvorbehalt 188 Gerichte – federal courts 47 f. – Rolle der 120 ff., 127, 129, 132 ff., 146 ff. – state courts 48 f. Gerichtsstand 219 gesamtschuldnerische Haftung 53, 70, 92, 114, 140, 379 f. Geschäftschancenlehre 28 f. Geschäftsverbot 316 Gesellschaftszweck 136 ff. Gesetz über das Kreditwesen (KWG) 277 Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG), 382, 385 ff., 408 Gesetz über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) 277 Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) 440 Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) 131 Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) 28, 37, 128, 136, 232 Gewinnabschöpfung 296 Glasfaser-Urteil 384 f. Gläubiger 130 f., 259 Gleichbehandlungsgrundsatz 168 global release 202, 205 Goldenheim, Paul 317 grand jury 286, 289 good faith 127 ff. group pleading doctrine 80 Gutgläubigkeit 135 f. Haftungsbeschränkung 25 f., 129, 131, 418 Haftungsfreistellung – USA 33 f., 37, 47, 57, 116, 124, 126, 164, 188, 333, 345
Stichwortverzeichnis – Deutschland 63, 97, 130 Haftungsrisiko 95 ff., 140, 227, 362, 457 Halliburton Co. v. Erica P. John Fund, Inc. (Halliburton II) 78 ff. Handelsgesetzbuch (HGB), § 331 99, 103 hard-core cartels 364 Harkonen, Scott 316 Hauptversammlung 64 Hauptpflicht 435, 437 Hilfsstraftatbestände 290 Holder Memorandum 290 honest services fraud 425 ff., 431 ff., 442 ff., 455 hostile takeover siehe feindliche Übernahme IKB-Urteil 110, Informationsdelikthaftung 100, 104 Informationspflichten – USA 68 ff., – Deutschland 100 ff., 103 ff. infraction 309 Ingerenz 378, 395 Innenhaftung 54 ff., 120 ff., 176 insider trading 36, 81, 283, 354 ff. Insolvenz, Rolle der Unternehmens- 34, 138 f., 259, 418 institutionelle Investoren 223 f., 226 Institutsvergütungsverordnung (InstitutsVergV) 278 Interessengemeinschaft Interessenkonflikte 58, 120 ff., 148 ff., 173 f., 176, 254 Interessenstheorie 392 Inter Munc, Inc. 316 Internal Affairs Doctrine 40 internal controls siehe Aufsicht (durch Organe bzw. Fiduciaries) interstate commerce 44 ff. Inzentivierung (von Directors und Officers bzw. Organen) 26 ff., 419 Irrationalitätstest 132 Janus Capital Group vs. First Derivative Traders 80 f. jury 43, 209, 340, 342, 450 Kampfabstimmungen 163 Kapitalanleger-Musterverfahren
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Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) siehe Aktionärsklagen Kapitalerhöhung 168 Kapitalmarktbetrug 271 Kapitalmarktrecht – allgemein, USA 45, 69 ff., 419 – Haftungsrisiken, USA 29, 34, 68 ff. – Strafrecht 75 ff., 347 Kartellrecht 46, 363, 388, 419 Kazman v. Frontier Oil Corp. 215 Kausalität – haftungsausfüllende bzw. transaction causation 77, 109 ff. – haftungsbegründende bzw. loss causation 77, 109 ff. Kenntnis 323, 327, 335, 339, 340, 346, 451 f. kick-back Zahlungen 432 Kinowelt-Urteil 435, 438 Klagekultur, USA 37 Klagezulassung 238 f. Kläger, Eigenschaften der 109, 215 f. Kleinaktionäre 238, 247 Kollateralschaden 293 Kontrollsysteme, interne 274, 336, 347, 387 Kostenrisiko 203, 214, 231 ff., 248 f. Kostenstruktur 247 Kriminalisierung 423 Kultur 84 f. KV Pharmaceutical 317 Lay, Ken 83, 427 lead plaintiff 178, 187, 208, 215 Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB) 392, 396, 406 ff. Lederriemen-Urteil 80 Lederspray-Urteil 379, 396, 420 Legalitätskontrollpflicht 62, 65, 387, 393, 397, 457 Legalitätspflicht 6, 375, 393, 397, 457 leniency policy (Kartellrecht) 368 limited liability company 49 loadstar method 211 loss causation siehe Kausalität Loyalitäts- bzw. Treuepflicht – allgemein 33 – Deutschland 61, 438
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Stichwortverzeichnis
– USA (duty of loyalty) 54 f., 57, 65 f., 121 ff., 126 ff., 136, 423 f., 454 M&A 125, 138, 149 ff. Madoff, Bernard 36, 268 Mail Fraud 290 f., 348, 351, 425 majority of the minority (Zustimmung) 149 ff. Malus Regelung 278 Mannesmann-Urteil 436, 438, 445 market check 163 Marktmanipulation 72 ff., 83 ff., 91, 97, 98 Marktverzerrung 341 Martha Stewart Living Omnimedia, Inc. (MSLO), 352 Massey Energy Company 421, 453 Medicaid 265 Medicare 265 Medizinproduktgesetz (MPG) 392 f., 406 Mehrheitsaktionäre siehe Controlling Shareholders Meineid 46, 297 mens rea 305, 315, 323, 328, 339 merger arbitrage 161 M&F Worldwide, Kahn v. 150 Minderheitenschutz 231 Minderheitsaktionäre 260 misbranding 317 misdemeanor 309, 312, 316 moralische Verantwortung, 332, 423 Murphy, Frank 328 Musterbescheid 243 f. naked restraints on trade 364 naming and shaming 279, 459 National Credit Union Administration 277 Naturalrestitution 104 f. Nebenintervention 242 Neubürger, Hans-Joachim 62 f. Neutralitätspflicht 166 New York Central & Hudson River Railroad Co. v. United States 293 non-prosecution agreement (NPA) siehe außergerichtliche Beilegung Normverstärkung siehe Zielsetzung Haftung bzw. Sanktionierung no-shop 163 no-talk 163 nuisance suits 194, 236
objectors 206, 213 obstruction of justice 46, 290 f., 302, 320 Öffentliche Offerte siehe tender offer Offenlegung (Kapitalmarktrecht) 37, 45, 72 ff., 346 Offenlegungspflichten siehe Informationspflichten officers 59, 61, 92 off-label marketing 310 one-tier-system (im Vergleich zum two-tiersystem) 51 ff. optimal deferrence 365 opt-out action 185 organisational sentencing guidelines 294 organization theory 298 Organisationspflicht siehe Aufsicht organschaftliche Pflichten 67 ff. Ostermeyer, Helmut 414 out-of-pocket rule 105 ff. Ovitz, Michael 59 OxyContin 317 Pac-Man defense 160 f. pension plans 113 persönliche Bereicherung 27 Pfizer Inc. 310, 316 Pharmacia & Upjohn Comp. Inc. 310 plaintiffs‘ attorneys 37, 187, 196, 200, 210, 222 f., 224 ff., 249, 253 plea bargain siehe außergerichtliche Beilegung pleading standards 80, 144 ff. poison pills 160, 168 Ponzi scheme 36, 273, 283 Preisabsprachen 306 private attorney general 200, 211, 223 f., 238, 245 private right of action 362, 371 Private Securities Litigation Reform Act of 1995 (PSLRA) 80, 207, 225, 236, 252 Produkthaftung bzw. -strafrecht 46, 380 ff. Produktsicherheitsgesetz (ProdSG) 393 Produzentenpflichten 375 professional plaintiff 200, 208, 234 Prospekthaftung – USA 72 ff.. 112 – Deutschland 96 ff., 112 proxy contests 164
Stichwortverzeichnis Prozessfinanzierer 249, 254 f. Prozessrisiko 201, 247, 269, 444, 449 Prozessverbindungen 242 Prüfungsausschuss siehe Audit Committee Prozessrealität, Einfluss der 109, 145 ff. Prozessrecht 144 ff. Prozesskosten 33, 449 Prüfungsausschuss 45 public danger 424 Public Welfare Offenses 307, 315, 322, 329, 334, 337, 340, 343 Purdue Pharma L.P. 317 Quality Egg, Inc. 318 f., 337, 421, 452 Quorum 236, 238 Racketeer Influenced or Corrupt Organizations (RICO) 291 f. ratification doctrine 151 rational actor theory, 298, 365, 423 rational business purpose 122, 133 ff. räuberische Aktionäre 234 ff. rechtlich gebundene Entscheidungen 27 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) 247 f., 254 Rechtsbeschwerdeverfahren 246 Rechtsgut, absolutes 373 ff., 384 Rechtssicherheit bzw. –unsicherheit 43, 118, 128, 131, 138 f., 174, 219, 225, 250, 377 f., 380, 391, 401, 423 Rechtsschutz 228, 240, 245, 247 f., 252 ff., 257 Rechtsverfolgungsgemeinschaften 242 Repräsentantenhaftung 391 Resource Conservation and Recovery Act (RCRA) 321 f. responsible corporate officer 307, 405 f. responsible corporate officer doctrine 307, 311, 313 ff., 315, 333, 343, 368, 414 f., 419 f., 424, 451 responsible relation 331 Retirement Fund v. Chevron Corporation 217, 221 Revlon-Duties 141, 162 ff. Revlon, Inc. v. MacAndrews & Forbes Holdings. Inc. 162 Rural Metro I und II 207, 213
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Sammelklagen siehe Aktionärsklagen Sarbanes-Oxley Act of 2002 (SOX) – allgemein 35, 45 f., 69, 82 ff., 294, 308, 325, 347 – Kritik 86, 89 f. – Section 302 84 ff., 339, 405 – Section 304 84, 266, 272 – Section 404 85 f. – Section 807 351 – Section 906 84, 87, 274, 339, 347 ff., 405, 414 Satzung, Rolle der – allgemein 38, 47 – Entlastungsklauseln siehe Haftungsfreistellung – Pflichtenregelung 55 Schadensersatz – Anspruch 25 f., 62, 99 f., 103, 114, 152, 377, 443, 454, 458 – Berechnung 104 ff., 152 scheme or artifice to defraud 443 Schmiergelder 429 Schuldausgleich siehe Zielsetzung Haftung bzw. Sanktionierung Schutzgesetz 98, 101, 103, 374, 381 f. scienter 77, 79 ff., 351 Securities Act of 1933 – allgemein 69 – Section 11 70, 72 ff., 77, 112, 188, 190, 362 – Section 12 70, 74 f. – Section 15 70, 339 – Section 17(a) 75 Securities Exchange Act of 1934 – allgemein 69 – Section 10(b) und Rule 10b-5 29, 76 ff., 87, 108 ff., 112, 188, 190, 348 f., 354, 362 – Section 18(a) 82 – Section 20(a) 70 f., 339 securities fraud 35, 79 f., 80, 86, 106 f., 185, 190, 195, 204, 210, 347 ff., 353 f. Securities Litigation Uniform Standards Act of 1998 208 Selbstbehalt 178 Sentencing Guidelines 364 shareholder representative actions 178 ff., 223, 227 shareholder rights plans 160
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Stichwortverzeichnis
shark repellents 161 Sherman Antitrust Act of 1890 (Sherman Act) 364, 449 Siemens AG 62 f., 362 Siemens/Neubürger 62 f. Simpson, O.J. 287 Skilling, Jeffrey 28, 427, 455 Smith v. van Gorkom, 32 ff., 123, 259 Social Security Act 264 Sorgfaltsmaßstab siehe Verschuldensgrad bzw. Sorgfaltsmaßstab Sorgfaltspflichten – allgemein 33 – Deutschland (§ 93 S. 1 Abs. 1 AktG) 61, 146, 395 – USA (Duty of Care) 47, 54 ff., 121 ff., 126 ff., 150 Southern Peru Copper Corp. Derivative Litigation 58, 212 Spezialprävention siehe Zielsetzung Haftung bzw. Sanktionierung Sporthosen-Urteil 383 f. Staatsanwaltschaft 238, 259, 263, 266, 281 ff., 286 ff., 300 ff., 307 ff., 316 f., 323, 330, 332, 340 ff., 349, 352 f., 357 f. 361 f., 368, 416, 420 ff., 428 ff., 442, 448 ff., 459 Stakeholder-Modell 137 Stewart, Martha 352 standing 180 state courts siehe Gerichte state law, Rolle des 36, 38, 40, 46 f., 118, 425 Steffen, Herbert 358 Strafgesetzbuch (StGB) – § 13 393, 408 – § 14 389 f. – § 266 siehe Untreue strafrechtliche Verfolgung 229, 285 f., 321, 365, 370, 444, 454 Straftaten, gemeingefährliche 307 ff. Strafzahlungen 62, 177, 280, 295, 299, 311 ff., 317 f., 337, 341, 355, 357, 361 f., 369, 452 Strafzweck siehe Zielsetzung Haftung bzw. Sanktionierung Streitgenossenschaft 242 strike suits 194
strict and vicarious liability 331 strict liability offenses 323, 346 Supreme Court, Delaware 43 Supreme Court, U.S. 40, 47 Synthes, Inc. 317 takeover defenses 159 ff., 162 tender offer 157, 159 Time Warner Inc. 59 tort, allgemein 117 treble damages 369 Treu und Glauben 60 Treuepflicht siehe Loyalitäts- bzw. Treuepflicht Trulia, Inc. Shareholder Litigation, In re 194, 206, 213, 222 ff. Two-Tier-System siehe One-Tier-System (Vergleich zum Two-Tier-System) Tyco International Ltd. 59 Udell, Howard R. 317 Übernahmeabwehr 169 Überwachung siehe Aufsicht (durch Organe, Deutschland) Überwachungspflichten 306, 325, 346 Überwachungssysteme 337, 339 Umwelthaftung bzw. -strafrecht 46, 321 Unabhängiger Ausschuss 176 United States v. Dotterweich 313, 328, 367 United States v. Hilton Hotels Corp. 293 United States v. Morisette 340 United States v. Park 314, 331 United States v. Skilling 425 United States v. Wise 367 Unocal Corp. v. Mesa Petroleum Co. 157, 453 Unterlassen 57, 66, 96, 103, 142 f., 257, 322, 330 ff., 359, 371 ff., 389, 393 ff., 408, 412, 437 Unterlassungsverfügung 265, 268 Unternehmensstrafbarkeit 293, 448 ff. unternehmerische Entscheidungen 27, 28 ff., 66, 120 ff., 141 ff., 432 unternehmerisches Ermessen 120 ff., 138 ff., 141 ff., 184 Untreue 285, 373, 425, 430 ff., 442 ff., 455, 457 U.S. Attorney 286
Stichwortverzeichnis U.S. Attorney General 286, 289, 300 U.S. Attorneys Manual 298 U.S. Commodity Futures Commission (CFTC) 277 U.S. Department of Justice (DOJ) 286, 312, 321, 364 U.S. Food and Drug Agency (FDA) 264, 312, 316 U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) – allgemein 30, 70, 265 ff., 276 ff. – als Klägerin 87 Van Gorkom, Jerome 33 Verbandsstrafrecht 390, 450 Vereitelungsverbot 166, 168 Verfahrenskosten 192, 195, 197, 244 Verfassung der Vereinigten Staaten 44 Vergleich siehe außergerichtliche Einigung Vergütung 272 ff., 284 Verhinderungsgebot 166 Verjährungshemmung 248 Verkehrspflichten 375, 380 Vermögensausgleich siehe Zielsetzung Haftung bzw. Sanktionierung Vermögensbetreuungspflicht 431 Verschuldensgrad bzw. Sorgfaltsmaßstab – Zivilrecht, Deutschland 61 f., 65, 98 f., 103, 129 ff., 143 ff., 437 – Zivilrecht, USA 33 f., 47, 65 f., 69, 79 ff., 82, 88, 114. 123 f., 130 ff., 314, 335 verschuldensunabhängige Haftung bzw. Strafbarkeit 71, 137 ff., 327 ff., 451 Verschwörung 290, 422 vicarious liability 293 Vollstreckungsgewalt 278 Vorbesitzererfordernis 236 Vorhersehbarkeit 451 Vorsatz 190, 258, 261, 282, 291, 293, 305, 343, 351, 382, 392, 398, 403, 420 f., 430, 432, 438 ff. Vorstand – allgemein 52 f., 167 – Vergütung 26, 59, 140 – gesamtschuldnerische Haftung 53, 92, 379 f. – Pflichten 92, 100, 168 ff.
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Walmart, Inc. 362 Walsh, Frank 59 Walt Disney Co. 59 Walt Disney Co. Derivative Litigation 59, 121, 140, 445 Waste siehe Rational Business Purpose Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) – § 15 96 f. – §§ 37b und 37c 96 f., 105, 112 – § 38 99 – § 39 96 f. Wertpapierprospektgesetz (WpPG), § 21 96 f., 104, 110 f. Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (WpÜG) 154 f., 165 ff. Wet collectieve afwikkeling massaschade (WCAM) 256 f. Wettbewerbsrecht 382 ff. white collar crime 305 white knight 160, 169 white squires 160, 169 whistleblowers 94 Wiedergutmachung 256, 296, 452, 458 Wiederherstellung des Rechtsfriedens 447 Wiederholungsgefahr 271 willful blindness 358 willfully 248 wire fraud 290 f., 316, 348, 351, 425 Wirtschaftsprüfer 84 ff., 91, 93 f. wirtschaftswissenschaftliche Grundlagen 31 Wohl der Gesellschaft 136 ff. WorldCom Inc. 35, 73 f., 84, 88, 186, 190 f., 297 WpÜG – § 27 154 – § 33 155, 165 ff. wrongful 122, 133, 139, 352
Zertifizierung von Geschäftsberichten 84 ff. Zielsetzung (von Haftung bzw. Sanktionierung) – allgemein 25 f., 69, 124, 134, 136, 199, 204, 416 – Generalprävention bzw. Abschreckung 25 f., 36, 84, 100, 116, 153 f., 178, 191,
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Stichwortverzeichnis
219, 228, 245, 294, 305, 345, 370, 416, 447, 451 – Normverstärkung 25 f., 416
– Schuldausgleich 25 f., 416 – Wiedergutmachung 178, 219 Zurechnung 104, 306, 377, 390