Die Götterlehre der Snorra-Edda [Reprint 2021 ed.] 9783112482421, 9783112482414


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Die Götterlehre der Snorra-Edda [Reprint 2021 ed.]
 9783112482421, 9783112482414

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BERICHTE Ü B E R DIE VERHANDLUNGEN D E R SÄCHSISCHEN AKADEMIE D E R WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische 97. Band

Klasse

• 3. Heft

WALTER

BAETKE

DIE GÖTTERLEHRE DER SNORRA-EDDA

1950

AKADEMIE-VE KLAG • B E R L I N

BERICHTE ÜBER DIE VERHANDLUNGEN D E R SÄCHSISCHEN AKADEMIE D E R WISSENSCHAFTEN ZU LEIPZIG Philologisch-historische 97. Band

Klasse

• 3. Heft

WALTER

BAETKE

DIE GÖTTERLEHRE DER SNORRA-EDDA

1 950

AKADEMIE-VERLAG•BERLIN

V o r g e t r a g e n i n der S i t z u n g v o m 21. März 1 9 4 9 M a n u s k r i p t eingeliefert a m 11. J u l i 1949 D r u c k f e r t i g erklärt a m 14. F e b r u a r 1 9 5 0

Erschienen im Akademie-Verlag GmbH., Berlin NW 7, Schiffbauerdamm 19 Lizenz-Nr. 156 • 6407/49-8713/49 Satz und Druck der Buchdruckwerkstätte Gutenberg GmbH., Zweigniederlassung Leipzig Bestell- und Verlagsnummer: 2026/97/3 Preis: 6,30 DM

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Die (jötterlehre der Snorra-Edda Soviel auch schon über die Snorra-Edda geschrieben worden ist, besteht doch über den eigentlichen Sinn und Zweck des Buches noch immer wenig Klarheit. Das liegt z. T. daran, daß es sich aus mehreren Teilen sehr verschiedenen Charakters zusammensetzt, deren innerer Zusammenhang nicht ohne weiteres deutlich ist. Ihren Wert für uns und die Wissenschaft der Welt hat die Edda als das Buch, das uns die nordische Mythologie bewahrt hat. Nach der gewöhnlichen Ansicht hat Snorri eine Poetik für Skalden verfassen wollen und die Mythen nur erzählt, um durch sie die Kenningar, die poetischen Umschreibungen, und andere Eigentümlichkeiten der Dichtersprache zu erklären. Diese Auffassung trifft gewiß für den zweiten Teil der Edda, die Skäldskaparmal zu, kaum jedoch für den ersten, die Gylfaginning. In ihr wird über die Kenningar nicht gehandelt, überhaupt auf die Sprache der Skalden kein Bezug genommen, die Mythen dienen nicht zur Erläuterung oder Yeranschaulichung sprachlicher Erscheinungen. Es ist wahrscheinlich, daß der Wunsch, ein skaldisches Lehrbuch zu schreiben, Snorri den Gedanken zur Schaffung der Edda eingegeben hat. Aber man wird, wie Siguröur Nordal mit Recht betont, zwischen dem Anlaß und der Ausführung unterscheiden müssen; wenn es Snorri auch ursprünglich um die Dichtersprache zu tun gewesen sei, so seien doch die Geschichten von den Göttern so interessant und ein solcher Stoff zum Betrachten gewesen, daß das Interesse des Yer-

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fassers sich ihm allmählich ganz und gar zuwandte 1 . Die Gylfaginning muß so als durchaus selbständiger Teil der Edda betrachtet werden, und sie ist, so wie sieuns vorliegt, eine Mythenlehre, keine Poetik. Es kann gar kein Zweifel sein, daß bei ihrer Abfassung die Mythen für Snorri Selbstzweck gewesen sind, daß er sich also wirklich als Mythologe hat betätigen wollen. Damit ist der Ausgangspunkt gewonnen für die weitere Fragestellung. Wir haben den Sinn eines literarischen Werkes ja wohl erst dann verstanden, wenn wir das innere Verhältnis des Verfassers zu seinem Stoff und die Gedanken, die ihn bei seiner Gestaltung geleitet haben, kennen. Bei einem mythologischen Werk des Mittelalters wird man die religiöse Einstellung des Verfassers nie außer Betracht lassen können; von ihr hängt sein Verhältnis zu den Gestalten und Inhalten der mythologischen Überlieferung wesentlich ab. Nun wissen wir, daß Snorri seine Edda im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts schrieb, über 200 Jahre nach der Einführung des Christentums in Norwegen und Island, und es kann eigentlich kein Zweifel sein, daß sein Interesse an den alten Göttern ein vorwiegend historisches, wissenschaftliches war. Verband sich aber damit vielleicht doch auch ein religiöses Interesse? Hielt er die Mythen in irgendeinem Sinne für wahr? Trug er vielleicht noch einen — wenn auch durch das Christentum abgeschwächten und modifizierten — Glauben an die alten Götter im Herzen? Wollte er vielleicht in der Edda davon Zeugnis ablegen oder die Götter seinen Zeitgenossen durch sein Buch näherbringen? Es möchte bei dem heutigen Stande der Forschung vielleicht überflüssig erscheinen, diese Frage aufzuwerfen. Aber das ist von anderer Seite neuerdings geschehen. H A N S K U H N hat in seinem Aufsatze „Das nordgermanische Heidentum in den ersten christlichen Jahrhunderten 2 " allen Ernstes die These verfochten, Snorri habe tatsächlich an die Wahrheit der von ihm erzählten Mythen geglaubt. „Die Mythen", 1

Siguröur Nordal, Snorri Sturluson, S. 107.

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Zs f. d. Alt. Bd. 79, 1942, S. 133 ff.

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sagt er, „haben die 200 Jahre vor Snorri nicht im Aktenschrank gelegen, von keinem angerührt. Sie lebten fort, wurden weitergeglaubt und wandelten sich weiter." Snorri habe, als er die Edda schrieb, sein Christentum draußen gelassen, die Vermenschlichung und die Verteufelung von den Göttern ferngehalten und dadurch viel gemildert. „Aber er hat nicht alle Widersprüche beseitigt und kein System geschaffen. Hätte er nur als Altertumsfreund geschrieben, dann wäre er dem wohl nähergekommen. Er hatte das Zeug dazu. Darum scheint mir auch dies ein Zeugnis dafür, daß er a n d a s m e i s t e , w a s e r d a s c h r i e b , g e g l a u b t h a t 1 " (a. a. 0., S. 165). Das schließt natürlich den Glauben an die heidnischen Götter ein. Und so meint denn auch Kuhn, wir müßten damit rechnen, daß Snorri an einen zweifachen Odin geglaubt habe, nicht nur an den Menschen, der einst die Einwanderung aus dem Orient geleitet hatte, sondern auch an den Gott, der immer noch leibhaftig unter die Menschen kam und in ihre Kriege eingriff. Es ist klar, daß unter dieser Voraussetzung die Mythen und die Aussagen über die Götter in der Edda ein ganz anderes Gesicht gewinnen; aus dem mythologischen Handbuch würde, wenigstens zum Teil, ein Glaubensbuch oder eine Bekenntnisschrift. Die Frage, wieweit Snorri noch an die alten Götter geglaubt hat, ist ein Teil der größeren Frage nach dem Fortleben des Heidentums in den ersten christlichen Jahrhunderten, die Kuhn in jenem Aufsatz behandelt hat. Das Problem ist nicht nur, wie er mit Recht betont, von allgemeiner religionsgeschichtlicher Bedeutung; es berührt aufs engste auch die Frage nach dem religionsgeschichtlichen Wert der Edda und das Urteil über Snorris gesamte mythologische und wissenschaftliche Tätigkeit. Wir müssen uns daher zuerst mit ihm auseinandersetzen. KUHN schlägt den Quellenwert der Edda verhältnismäßig hoch an; er räumt ein, daß die Mythen in den 200 Jahren vor Snorri sich, zum Teil unter dem Einfluß christlicher Vorstellun1

Sperrung von W. B.

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gen, gewandelt haben, meint aber, daß Snorri selbst sich im wesentlichen treu an die Überlieferung gehalten habe. Die gegenteilige Ansicht hat bekanntlich E U G E N MOGK vertreten. Er hat sich in mehreren sorgfältigen Untersuchungen um den Nachweis bemüht, daß Snorri nicht nur seine Quellen frei wiedergegeben, sondern auch Überliefertes selbständig kombiniert, Unverstandenes frei gedeutet, Lücken durch eigene Phantasie ausgefüllt, ausländischen Werken Motive1 entnommen habe usw., daß also die von ihm erzählten Geschichten großenteils sein eigenes Werk sind. Mag MOGK auch in einzelnen Punkten geirrt haben, mag die Annahme, daß in Reykjaholt unter Snorris Leitung gleichsam eine Dichterschule gearbeitet habe, die eine neue Dichtungsart, die „mythologische Novelle", geschaffen habe, über das Beweisbare hinausgehen, so hat er m. E. doch überzeugend nachgewiesen, daß Snorri sich bei der Behandlung des überlieferten mythologischen Stoffes große Freiheiten erlaubt hat und daß sowohl seine dichterische Phantasie wie seine Gelehrsamkeit an der Gestaltung der in der Edda vorliegenden Göttergeschichten wesentlichen Anteil haben. Dieses Ergebnis seiner Untersuchungen ist auch von den meisten Forschern anerkannt worden. Wenn K U H N meint, die Annahme künstlichen Weiterbildens beruhe auf dem Irrtum, daß wir nahezu alle Quellen Snorris kennten, so daß alles, was nicht in ihnen enthalten ist, seine eigenen Zutaten oder Fehler seien, so trifft das keineswegs zu. MOGK hat die Möglichkeit, daß Snorri mehr Quellen als wir kennen zur Verfügung gestanden haben, sehr wohl erwogen, aber er hat' über die Art dieser Quellen, über das Wesen mythischer Vorstellungen und ihr Fortleben in christlicher Zeit andere und, wie ich meine, gesündere Ansichten gehabt als K U H N 1 . Gewiß: das Fortleben des Heidentums auf Island und sein Kampf mit dem sich immer mehr befestigenden und ausbreiten1 Vgl. EUGEN MOGK, F. F. Communications XV, 51, S. 10 ff; Bericht© über die Verhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissensch., Phil. hist. Kl., 84. Bd., 1932, 2. Heft, S. 3 f.

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den Christentum in den ersten Jahrhunderten ist ein komplizierter und nicht leicht zu beurteilender Vorgang. Es ist bekannt, auf wie äußerliche Weise (durch einen Beschluß des Allthings) sich der offizielle Übertritt der Isländer zum Christentum vollzogen hat und wie langsam es mit der Ausbildung eines geordneten Kirchenwesens auf der Insel vorangegangen ist. Die geographischen Verhältnisse, die den Verkehr zwischen den Bezirken und Gehöften und damit auch die Gemeindebildung so sehr erschwerten, die geringe Anzahl der Geistlichen, ihre Abhängigkeit von den Großbauern, die das Eigentumsrecht an den Kirchen besaßen, die Abgelegenheit des Landes, die dem in Lund sitzenden Erzbischof ein tatkräftiges Eingreifen in die kirchlichen Verhältnisse kaum ermöglichte, das alles hat die Entwicklung des Christentums auf Island naturgemäß schwer gehemmt und bewirkt, daß das Heidentum sich in manchen seiner Positionen verhältnismäßig lange halten konnte. Aber es hat sich dabei um Jahrzehnte, nicht um Jahrhunderte gehandelt. Schon um die Mitte des 11. Jahrhunderts nimmt die kirchliche Organisation Islands mit der Begründung des Bistums Skalholt feste Gestalt an; und die bedeutende Persönlichkeit des Bischofs Gizur Isleifsson (1082—1118), der das Bistum in Holar gründete und den Zehnten einführte, hat der Kirche im ganzen Lande Ansehen und Einfluß verschafft. Spätestens 100 Jahre nach der Einführung des Christentums stand sie äußerlich und innerlich gefestigt da. Aber auch im 11. Jahrhundert hat das Heidentum als Religion kaum noch eine bedeutende Rolle gespielt. Die Kristnisaga berichtet, daß die Dinge, die man auf dem Allthing des Jahres 1000 den Heiden zugestanden hatte (Pferdefleischessen, Kindesaussetzung, heimliches Opfern) bald ganz von selbst verschwanden, d. h. die Leute machten keinen Gebrauch mehr davon. Ob das freiwillig oder unter dem Druck des norwegischen Königs geschah, tut wenig zur Sache. Hätte man innerlich mehr am Heidentum gehangen, würde man kaum so leicht darauf verzichtet haben; man hätte es heimlich weitertreiben können. D a ß man darauf verzichtete, ist von entscheidender Wichtigkeit. Es zeigt,

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daß die Kraft des Heidentums gebrochen war. Der Allthingsbeschluß des Jahres 1000, so äußerlich er uns anmutet, bedeutet religionsgeschichtlich doch sehr viel. Um das zu verstehen, muß man freilich wissen, daß die heidnische Religion nicht eine Sache persönlichen Glaubens, sondern ein Politikum, eine Volks- und Staatsangelegenheit war. Sie ruhte nicht auf der Überzeugung des einzelnen, sondern auf dem öffentlichen Kult, von dem nach heidnischem Glauben Erntesegen, Wohlfahrt, Friede und Ordnung, kurzum die geordnete Existenz von Volk und Staat abhing. Der Schiedsspruch, den der heidnische Gesetzessprecher Thorgeir fällte, lief im wesentlichen darauf hinaus, daß statt der alten Götter nun der Christengott es sein sollte, dem der öffentliche Kult galt, ihm also die Existenz und die Wohlfahrt des Staates anvertraut werden sollten. Das war, wie der Vorgang deutlich zeigt, das Ergebnis einer politischen Erwägung — die Rechtsgemeinschaft und damit die staatliche Einheit sollte gerettet werden — aber es war darum nicht weniger auch ein religiöser Akt; denn der Staat war, weil er auf dem Kult ruhte, ein religiöser Staat, wie alle antiken Staaten — es ist kein Zufall, daß das isländische Staatswesen sich auf den Godentümern aufbaute, die primär kultische Funktion hatten. Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Vorgangs besteht gerade darin, daß er zeigt, daß der Glaubenswechsel für die heidnischen Isländer nicht in einem Wechsel der religiösen Vorstellungen bestand, sondern eine willensmäßige Entscheidung war: die Entscheidung für die Herrschaft des neuen, fremden Gottes. Damit waren die alten Götter entmachtet wie abgesetzte Fürsten. Für die Staatsund Rechtsgemeinschaft bedeuteten sie nichts mehr. Es ist möglich, daß einzelne aus persönlicher Treue noch lange an ihnen festhielten, auch Opfer darbrachten; das waren dann reine Privatkulte, ohne Zusammenhang mit dem öffentlichen Kultwesen, und schon darum bedeutungslos und in sich fragwürdig, ganz abgesehen von der gebotenen Heimlichkeit. Es wird nicht lange gedauert haben, bis man dieses Opferwesen mit der Zauberei zusammenwarf, wie das in den Sagas üblich ist. Die Flamme des

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Heidentums hat in christianisierten Völkern nur dort längere Zeit unter der Oberfläche fortgeglommen, wo sich die Treue zu den Göttern mit der Hoffnung auf Wiederherstellung der öffentlichen Kulte verband. Eine solche Hoffnung ist auf Island nach jenem Allthingsbeschluß nicht mehr genährt worden, und das ist der Grund, warum jene Reste so bald preisgegeben wurden und ein eigentlicher Rückfall ins Heidentum nicht mehr erfolgte. K U H N meint und scheint großes Gewicht darauf zu legen, daß man auch nach der Einführung des Christentums am Dasein der alten Götter nicht gezweifelt habe; sogar die Christen hätten das nicht getan. Er behauptet sogar, auch die Kirche habe an sie geglaubt. Dabei wird mit einem Glaubensbegriff gearbeitet, der dem rationalistischen Verständnis des modernen aufgeklärten Europäers entspricht: Glauben sei: göttlichen, überirdischen Wesen eine Existenz zuschreiben. Dieser philosophische — aus dem griechischen Denken stammende — Begriff ist auf die heidnischen Kultreligionen gar nicht anwendbar; die Götter gehören zur Welt; in ihnen personifizieren sich die naturhaften und geschichtlichen Mächte und Kräfte, die — als reale Gegebenheiten — die Existenz der menschlichen Gemeinschaft in Volk und Staat bestimmen. Diese Kräfte in einem für die res publica günstigen Sinn zu beeinflussen, ist Sinn und Zweck der öffentlichen Kulte. Daß Götter da sind, ist eine philosophische Aussage, die für die Religion nichts bedeutet; ihr ist wichtig nur das göttliche Walten und Wirken; auf dieses allein ist der religiöse Kult gerichtet. Die moderne Aufklärung begeht immer den Fehler, wenn sie von Religion spricht, daß sie dabei an die religiösen Vorstellungen denkt, Vorstellungen von Göttern, Geistern und anderen mythischen Gestalten, aber damit trifft man nicht den Kern und nicht das Wesen der Religion. Götter, die da sind, aber nicht wirken, nicht helfen oder vernichten können, die in der Welt keine Mächtigkeit haben, mögen die Phantasie der Dichter beschäftigen, die Religion gehen sie nichts an. Die Tatsache allein, daß die Götter aus dem öffentlichen Kult entfernt und durch den Christengott ersetzt waren, mußte darum für die heidnische

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Religion auf Island mit Notwendigkeit den baldigen Untergang nach sich ziehen. Man beruft sich zum Beweis für das Fortleben der Götter gern auf sogenannte heidnische Vorstellungen im „Volksglauben1' oder auf gewisse Volkserzählungen, in denen Götter unter den Menschen erscheinen und in ihre Geschicke eingreifen. K U H N meint, auch die phantastischen Göttergeschichten, die im 13. oder 14. Jahrhundert erzählt sind, setzen eine Überlieferung aus dem Heidentum voraus, wenn vielleicht auch nur ein paar Namen und allgemeine Vorstellungen. Auch hier wieder dieselbe Verkennung; solche Vorstellungen, auch wenn sie noch bestanden, hatten mit Religion nichts mehr zu tun und können daher für das Fortleben des Heidentums nichts beweisen. In den Boglunga sogur wird die Geschichte von dem Schmied von Pislir erzählt, bei dem vier Tage vor der Schlacht bei Lenra (im Jahre 1208) Odin erschien, um sich sein Pferd beschlagen zu lassen, ehe er nach Schweden weiterritt 1 . „Odin lebte in Norwegen also noch damals", sagt K U H N , „als Gott des Krieges und der Walstatt und kam zu den Menschen." Das ist m. E. ein großer Irrtum. Solche Erzählungen sind wohl für die Sagengeschichte und die Volkskunde, aber nicht für die Religionsgeschichte von Wert; sie sind eher ein Beweis dafür, daß die Götter n i c h t mehr Gegenstand wirklichen Glaubens, sondern eben zu Sagengestalten geworden waren. Die volkskundliche Forschung („religiöse Volkskunde") ist sich über das, was Glaube im religiösen Sinne bedeutet, selten klar gewesen2. Die heidnische Religion, solange sie noch wirklich in Kraft stand, kannte keine Epiphanie der Götter, nie sind Odin oder Thor in der Zeit lebendigen heidnischen Glaubens unter den Menschen erschienen; solche Geschichten stammen alle aus späterer Zeit und haben sich wahr1

Fms 9, 55 f. u. 175 f. Der Begriff des „Volksglaubens", mit dem sie operiert, ist sehr unklar und hat in der Religionswissenschaft viel Unheil angerichtet. Das Volk glaubt an vieles (z. B. an Gespenster), was mit seiner Religion nichts zu tun hat. 2

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scheinlich erst unter antiken und christlichen Einflüssen (Legende, Wunderglaube) gebildet 1 . Für den wirklichen religiösen Glauben bekundet sich das Walten der Gottheit in natürlichen oder geschichtlichen Vorgängen (Erntesegen, Mißwachs, Sieg oder Niederlage). Als im Jahre 999 das Schiff des Missionars Thangbrand auf Island scheitert, sieht eine heidnische Isländerin darin einen Eingriff des Gottes Thor (das Gedicht, in dem sie diesem Gedanken Ausdruck gibt, ist uns erhalten). Das ist religiöser Glaube. Die Götter s a g e würde erzählen, daß Thor in menschlicher Gestalt erscheint (wie Gylf. c. 49) und mit seinem Hammer das Schiff zertrümmert. Von dieser Art sind die in der Edda sowie in einzelnen historischen Sagas vorkommenden Erzählungen vom Auftreten der Götter in menschlicher Gestalt. Daß diese Sagen nichts mit der wirklichen Religion zu tun haben, erhellt schon daraus, daß sie in keiner Verbindung mit dem Kult stehen. Der Bauer in Pislir, der das Pferd Odins beschlug und der angeblich selbst die Geschichte von seinem Besuch einem Gast erzählt hat, war sicher Christ, und die Geschichte ist alles andere als ein Zeugnis dafür, daß er und seinesgleichen noch an Odin „geglaubt" haben2. Auch wenn man trotz allem an der Annahme festhält, daß das Heidentum hier und da im Volke sich bis ins 13. Jahrhundert gehalten hat, so wird man doch auf jeden Fall die gebildeten und gelehrten Kreise davon ausnehmen müssen. Alle Bildung 1 Das gilt auch für die Rahmengeschichte der Grimnismäl, die Prosaeinleitung zu den Sigurdliedern wie die entsprechenden Stellen der Snorra-Edda und die Fabel der RigsJ'ula, die alle Parallelen in antiken oder christlichen Sagen haben. Vgl. M. LANDAU, Die Erdenwanderungen der Himmlischen und die Wünsche der Menschen, Zs. f. vgl. Literaturgesch. N. F. Bd. 14, S. 5 f. und L. MALTEN, HERMES, 74, 1939, S. 179 f; auch J. Grimm, D. Myth 4 IV, S. IX f. 2 KUHN behauptet sogar, auch Snorri habe an die Geschichte von dem Schmied von Pislir, also an die Erscheinung Odins, geglaubt (a. a. 0., S. 162). Daß Snorri sie gekannt hat, scheint mir aus seiner Bemerkung in der Yngl. S., c. 9, hervorzugehen: Opt pötti Suium kann vitrask sir, ddr storar orrostur yrdi; gaf hannßä sumum sigr usw. Aber in gerade diesen Worten verrät sich deutlich die kühle Distanzierung des Historikers von jenem Aberglauben.

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war in jener Zeit geistliche Bildung oder ruhte auf ihr; wenn es auch richtig ist, daß gerade auf Island sich früh eine weltliche, von der Kirche unabhängige geistige Kultur entfaltet hat, so hat diese doch nicht im Gegensatz zur geistlichen gestanden. In der Frage des religiösen Glaubens und Denkens gab es keinen Unterschied. Die Kämpfe zwischen der Kirche und den weltlichen Großen im 12. und 13. Jahrhundert betrafen Fragen des kanonischen Rechtes; das Kircheneigentum, der Zölibat, die geistliche Gerichtsbarkeit u. a. waren umstritten, niemals Glaubensfragen. In einen echten geistigen Kampf mit dem Christentum ist das Heidentum auf germanischem Boden nirgends eingetreten; Versuche, die im Norden dazu gemacht wurden, zeigen nur, daß es nicht dazu fähig war. Es ist aber auch unrecht, Island ein höheres christliches Geistesleben für jene Jahrhunderte abstreiten zu wollen. Zum mindesten seit den ersten Jahrzehnten des 12. Jahrhunderts begann abendländische Kultur und Bildung aus England, Deutschland und Irland einzuströmen und fand in gelehrten Schulen wieSkalholt, Holar, Oddi sowie in den Klöstern reiche Pflege. Für unseren Blick tritt die christliche Literatur hinter der weltlichen im 12. und 13. Jahrhundert zurück, weil sie sich mit dieser an Originalität und künstlerischer Bedeutung nicht vergleichen kann; das meiste, was die Mönche und Geistlichen geschaffen haben, sind Übersetzungen. Aber für die Frage nach der Höhe der geistlichen Bildung spielt das keine Rolle. Für sie ist gerade wichtig, was von den Werken der Antike und des christlichen Mittelalters auf Island bekannt gewesen ist. Und das war wahrlich nicht wenig. Ich brauche nur zu wiederholen, was EUGEN MOGK vor mehr als 25 Jahren geschrieben hat: „Alle möglichen Schriften des Abendlandes treffen wir im 12. Jahrhundert: die Heilige Schrift und die Arbeiten ihrer Kommentatoren, die Homilien Gregors und anderer abendländischer Kirchenväter, des Origenes, Eusebius, Gelasius, Beda, zahlreiche Legenden der Jungfrau Maria, der Apostel, der Heiligen. Bekannt waren die Werke des Plinius, Horaz, Ovid, Sallust, die grammatischen Arbeiten des Priscian und Donatus, und von

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den klösterlichen Lehrbüchern besitzen wir noch Fragmente des Elucidarius und Physiologus aus dem 12. Jahrhundert. Selbst die komputistische Literatur war in den Schulen verbreitet und hatte Veranlassung zur weiteren Forschung gegeben. Auch die Werke der frühmittelalterlichen Historiker, des Jordanes und Paulus Diaconus, waren im Norden nicht unbekannt 1 ." Es ist ein absurder Gedanke, daß die Männer, die in dieser geistigen Atmosphäre - 150 bis 250 Jahre nach der Einführung des Christentums — gelebt und gearbeitet haben, noch in irgendeinem Sinne oder Grade dem heidnischen Glauben angehangen haben sollen! K U H N glaubt hierfür wieder in gewissen Göttergeschichten, die in den Werken geistlicher Schriftsteller vorkommen, Beweise zu finden. So erzählt z. B. der Mönch Oddr Snorrason in seiner Saga von Olaf Tryggvason, der Gott Thor habe einmal den König auf seinem Schiffe besucht und ihm erzählt, wie die Menschen ihn früher angerufen hätten, wie er Riesenweiber, die ihnen Schaden zufügten, totgeschlagen habe usw.; danach habe er sich über Bord geworfen und sei verschwunden 2 . Und an einer anderen Stelle berichtet derselbe Mönch ganz unbefangen, der König Eirek von Schweden habe seinen Gegner Styrbjörn auf die Weise besiegt, daß Odin ihm den Sieg gab, nachdem er gelobt hatte, sich ihm dafür nach zehn Jahren zu „geben", d. h. sich zu töten 3 . Dies mag im ersten Augenblick befremdlich erscheinen, aber es beweist ganz und gar nicht, daß Oddr noch an Odin „glaubte". Denn er fährt, — was K U H N offenbar übersehen hat, jedenfalls erwähnt er es nicht — unmittelbar darauf fort: „En sua segia menn at sua mikill

diofuls

craptr fylgdi

at i j luti liös hans

fellöi

Diese Worte zeigen deutlich, daß Oddr in Odin den Teufel und in der Hilfe, die er Eirek erwies, satanischen Zauber sah. Und im selben Sinne läßt er auch am

Eirikr

1

konungr

meö fiolhyngi"4.

F. F. Communications XV, Helsinki 1923, S. 8. Oddr Snorrason, Olafssaga Tryggvasonar, ed. P. GROTH , 1895, c. 58 (55), S. 84 f. 3 a. a. 0., c. 31 (28), S. 50. 4 a. a. 0., S. 51. 2

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Ende der Geschichte von dem Besuch Thors auf Olafs Schiff den König sagen: „Sieh, wie dreist der Teufel war, daß er uns so vor Augen kam!" Das ist keineswegs eine etwas fremde Bemerkung, wie K U H N meint, sondern entspricht ganz der Auffassung, die die Kirche von jeher in bezug auf die heidnischen Götter vertrat: sie waren in ihren Augen Dämonen, böse Geister, die im Dienste des Satans standen, oder, sofern sie unter den Menschen erschienen, Verkörperungen des Teufels selbst, der durch sie die Menschen versuchen und ins Verderben stürzen wollte1. In anderer Weise haben weder Oddr noch andere christliche und gelehrte Männer im 12. Jahrhundert an Odin oder Thor „geglaubt". Wer annimmt, die alten Götter hätten im Glauben der Menschen jener Zeit mit Christus oder dem christlichen Gott konkurriert, verkennt einmal die Bedeutung des Kultes für die Religion jener Zeit und zum anderen die Tatsache, daß die missionierende Kirche nichts nachdrücklicher verkündigte und einprägte, als daß die Heidengötter ohnmächtig und daß sie böse waren, also im denkbar größten Gegensatz zum wahren Gott standen. Hier gab es nur ein Entweder—Oder. Daß man Odin oder Thor in irgendeiner Weise mit dem christlichen Gotte verquickte oder neben ihn stellte, war füglich ausgeschlossen. Mag sein, daß, wie K U H N sagt, in der Religion wenig Logik und viel Widerspruch sei; aber auch das religiöse Leben hat seine Gesetze, und man soll, wenn man über religiöse Dinge handelt, nicht als möglich hinstellen, was zur Religion selbst im Widerspruch steht. Der eigentümlich objektive Erzählerstil der Sagas macht es oft schwierig, die Meinung der Verfasser zu ergründen. Wir dürfen uns aber nicht mit einem vermeintlichen Widerspruch im Wesen der Religion begnügen, sondern müssen uns um eine Deutung bemühen, die nicht nur philologisch, sondern auch religionswissenschaftlich wahrscheinlich ist. Die Fgsk. — um noch ein Beispiel anzuführen — erzählt auf Grund der Vellekla, eines Gedichtes des heidnischen Skalden Einarr Ska1

Vgl. S. 37.

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laglamm aus dem Jahre 986, der heidnische Jarl Hakon von Norwegen habe den Göttern eifriger Opfer dargebracht als seine Vorgänger, und fährt dann - wobei er wieder die Worte des Gedichtes umschreibt — fort: „Da besserten sich bald die Erträge, es gab wieder Korn und Heringe, die Erde trug Blüte und Wachstum" (c. 14, S. 69). Daß hier ein christlicher Geschichtsschreiber keinen Anstand nimmt, den Gedanken des heidnischen Gedichts, ,daß die Opfer der Grund des Wohlstands waren, einfach wiederzugeben, ist gewiß auffallend. Aber es wäre ein großer Fehler, daraus auf ein Fortleben des heidnischen Glaubens bei dem Verfasser der Fgsk. zu schließen. Ob und in welcher Weise er sich die Götter noch als „existierend" gedacht hat, lasse ich dahingestellt; jedenfalls waren sie für ihn wesenlos, ohne existeezielle Bedeutung; es gab für ihn nur den einen allmächtigen Gott, Schöpfer Himmels und der Erden, und der christliche Glaube war für ihn der einzige rechte Glaube1. Dagegen möchte ich einem christlichen Isländer des 12./13. Jahrhunderts wohl den Glauben zutrauen, daß v o r der Einführung des Christentums im Norden die M a c h t bei den alten Göttern lag, oder besser, daß die rechte Ausübung des Kultes auch in der Heidenzeit die unerläßliche Voraussetzung für Gedeihen und Wohlfahrt im Lande war. Das würde der Denkweise der Männer entsprechen, die auf dem Allthing im Jahre 1000 die Einführung des Christentums als Staatsreligion beschlossen. Ihnen erschien als das Wichtigste, was es zu bewahren galt, die Einheit des öffentlichen Kultes für das ganze Land, weswegen sie bereit waren, um des Staatsverbandes willen, der auf ihm beruhte, die alten Götter preiszugeben und den Kult auf den neuen Gott zu übertragen. Man erkennt aus solchen uns zunächst befremdenden Erwägungen, wie wenig die Vorstellungen, auch die Gottesvorstellungen, und wieviel der Kult und die öffentlichen Institutionen für die Religion jener Zeit bedeu1 Vgl. c. 21: hann (Ölafr Tryggvason) hellt fyrstr Noregs kononga retta tru til Guös, usw. (S. 113).

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teten. Wenn man das übersieht, kann man den religiösen Zuständen des Heidentums und der Bekehrungszeit nicht gerecht werden. Was für Oddr und den Verfasser der Fagrsk. gilt, trifft natürlich erst recht für Snorri zu, der als Geschichtsschreiber auf ihren Schultern steht. Wenn einer, so beherrschte Snorri die geistige Kultur seiner Zeit. Oddi, wo er unter der Leitung des weisen Jon Loptsson seine Ausbildung genossen hatte, war ein Hauptsitz isländischer Gelehrsamkeit; hier hatten, wie Mogk sagt, die Bestrebungen, die volkstümliche und die gelehrte Richtung zu vereinigen, ihren Mittelpunkt, und in Snorris literarischer Tätigkeit finden sie Krönung und Vollendung. Aber dieser Mann war nicht nur ein bedeutender Gelehrter und Schriftsteller, sondern auch ein gläubiger Christ. Eine eigentlich geistliche Ausbildung hat er wohl nicht erhalten, und als Theologe hat er sich nicht gefühlt. Im Gegensatz zu Schriftstellern wie Oddr oder dem Verfasser der jüngeren Olafssaga Tryggvasonar übt er in seinen geschichtlichen Werken weitgehende Zurückhaltung, wo es um geistliche Dinge geht, und vermeidet soviel wie möglich theologische Urteile abzugeben. Er erzählt zwar Oddr die Geschichte nach, daß Odin eines Tages in menschlicher Gestalt zu Olaf Tryggvason kam und in hinterlistiger Weise versuchte, ihn und seine Begleitung zum Essen von Pferdefleisch, das den Christen verboten war, zu verführen. Während aber Oddr dazu bemerkt: „Und nun erkannte der König, daß dies eine List des Teufels war", und den König sagen läßt: „Ich glaube, daß dies der Teufel in der Gestalt Odins war", ist es für Snorri bezeichnend, daß er den Teufel aus dem Spiel läßt, sich selbst jedes Urteils enthält und nur den König sagen läßt: dieser Mann sei kein Mensch gewesen, sondern Odin, an den die Heiden lange geglaubt haben; aber es solle Odin auf keine Weise gelingen, sie zu überlisten. Aber wenn man daraus folgern wollte, daß Snorri dem Heidentum nähergestanden habe als Oddr, würde man ihm

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D i e Götterlehre der Snorra-Edda

sehr unrecht tun. Wahrscheinlich hat er sich in der Auffassung des Vorgangs überhaupt nicht von seinem Vorgänger unterschieden; die Versicherung, Odin solle sie nicht überlisten, deutet darauf hin, daß er die Erscheinung auch seinerseits für eine Verkörperung oder einen Abgesandten des Teufels gehalten hat 1 . Der Unterschied liegt nur im Stil; zu Snorris sachlicher und objektiver Erzählweise paßt die erbauliche Rede nicht. Im übrigen finden sich in seinen Büchern Stellen genug, die über seinen religiösen Standpunkt keinen Zweifel lassen. Auch wenn man von der Warnung in den Skäldskaparmäl ,en 2 eigi skolu kristnir menn trüa d heiöin goö' usw. absieht, hat Snorri wiederholt seinem christlichen Glauben Ausdruck gegeben. Ich erinnere nur an die Bemerkung, die er dem Bericht über Jarl Hakons Fall hinzufügt: En fiat bar mest til er svd vard at fiä var sü tiö

komin

at fyrir

dcemask

skyldi

blöiskaprinn

ok blotmenninir,

en

i

(Hkr. I, 356). Vor allem redet seine Saga von Olaf dem Heiligen mit ihren Wundergeschichten und dem ganzen Tenor der Darstellung in dieser Hinsicht eine eindeutige Sprache. Auch hier kommt gewiß keine geistliche Erbaulichkeit zu Worte, wohl aber die Lebensanschauung eines Mannes, für den der christliche Glaube und die Lehren der katholischen Kirche mit allen ihren Inhalten selbstverständliche Wahrheiten waren 3 . Gehen wir davon aus, daß Snorri gläubiger Christ war und daß ihn in seiner Religion kein Band mit den alten Göttern mehr verknüpfte, so schaltet die Annahme aus, daß er in der Edda

staö

körn heilog

trüa

ok rettir

siöir

1

Man vergleiche auch Ol. Tr. S., c. 79, wo davon erzählt wird, daß der Heide R a u ö r das Schiff des Königs durch Wetterzauber aufhält und Olaf sich an den Bischof Sigurd um Hilfe wendet. ,Byskup segir', heißt es da, ,at kann myndi freista, ef gud vill sinn styrk til leggja, at sigra penna fjandahrapt [Teufelsmacht]' (Hkr. I, S. 399). 2

Edda, hgg. v o n PlNNUR JöNSSON 1926, S. 74.

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Man vgl. auch' Haraldss. Harör., c. 56 (Hkr. III, S. 151 f.); Magnussaga berf., c. 21 u. 22 (Hkr. III, S. 259 f.); Siguröss. Eyst., c. 30 u. 31 (Hkr. III, S. 308 ff.); I n g a s a g a S i g , c. 24 u. 25 (Hkr. III, S. 381 ff.). B a e t k e , Götterlehre

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die alten Götter habe verherrlichen oder seinen Zeitgenossen aufs neue habe nahebringen wollen. Die Frage nach seiner Einstellung zu ihnen kann dann nur bedeuten: welchen w i s s e n s c h a f t l i c h e n Standpunkt er zu ihnen einnahm, wie er als christlicher Mann des 13. Jahrhunderts über die heidnische Religion und die mythologische Überlieferung dachte. Dies ist in der Tat das eigentliche Problem der Snorra-Edda, vor allem der Gylfaginning. Auch hier werden wir wieder voraussetzen dürfen, daß Snorri als Kind seiner Zeit auch ihre Anschauungen teilte. Nun waren allerdings diese Anschauungen keineswegs einheitlich. In den Lehren von den Religionen und von den Göttern der Heiden, die von den Kirchenvätern aufgestellt und von den Theologen des Mittelalters weiter ausgebildet worden waren, gehen mehrere Auffassungen durcheinander, ohne daß es immer ganz klar wäre, wie sie sich zueinander verhalten. Die Kirche hat ja den heidnischen Religionen nicht jeden Wahrheitsgehalt abgesprochen, sondern hat im Anschluß an die Theologie des Apostels Paulus (Römer 1,18 f.) gelehrt, daß die Heiden den wahren Gott ursprünglich wohl gekannt, die Verehrung des Schöpfers aber in eine Verehrung der Kreatur verkehrt hätten. Diese Verkehrung führte sie auf den Einfluß des Teufels und seiner Werkzeuge, der Dämonen, zurück. Daneben stand die sogenannte euhemeristische Theorie, nach der die Götter eigentlich historische Personen waren, und diese verband sich wieder mit der Dämonentheorie auf die Weise, daß man lehrte, die Dämonen hätten sich an die Stelle jener Menschen gesetzt, um in ihnen sich selbst anbeten zu lassen. Diese Mehrschichtigkeit der kirchlichen Götterlehre muß man im Auge haben, wenn man ein mittelalterliches Werk über Mythologie, wie es die Edda ist, verstehen will. Fragt man nun aber, welches Snorris Standpunkt zu ihr war, so sieht man sich zunächst vor eine Fülle von Widersprüchen gestellt. Es will sogar scheinen, als ob seine Theorie mit den kirchlichen Theorien unvereinbar wäre; denn diese stimmen doch alle darin überein, daß sie die Mythen auflösen, negieren. Die Edda gibt aber die Mythen als

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solche wieder. In diesen kommen wirkliche Götter vor, während die theologische Betrachtungsweise das Dasein solcher bestreitet. Andrerseits werden aber die Asen der Rahmenerzählung, jene Wesen, zu denen sich Gylfi begibt, um sie auszuforschen, als Menschen verstanden. Das ist der große Widerspruch in der Gylfaginning, der jedem aufstößt, der sie auch nur oberflächlich liest. Und wenn auch am Schluß eine Erklärung dafür versucht wird, so bleibt doch die Frage, wie ein solcher befremdender Widerspruch in die Edda hineinkommt. Und dies ist nicht das einzige. So deutlich die Götter, von denen die Menschen = Asen erzählen, als heidnische Götter gekennzeichnet sind, so werden doch zum mindesten über einen von ihnen, nämlich Odin, Aussagen gemacht, die sich ganz christlich anhören, und wieder erhebt sich die Frage, wie diese Anklänge an die christliche Gottesvorstellung gemeint sind und wie sie sich in eine heidnische Mythologie einfügen. Dazu kommt die Rahmenerzählung von dem Blendwerk, der Sinnestäuschung Gylfis, in die die ganze Mythologie eingebaut ist: welches ist ihre tiefere Bedeutung, was bezweckt sie, besteht zwischen ihr und der Mythologie ein innerer Zusammenhang? Das ist eine verwirrende Fülle von Fragen. Sie haben die Forschung alle bereits beschäftigt; aber mir scheint, daß keine der bisherigen Deutungsversuche das Problem der Gylfaginning wirklich gelöst hat, vor allem deswegen nicht, weil sie sich meist nur auf den einen oder anderen Punkt beziehen, aber darauf verzichten, einen Zusammenhang zwischen allen zu finden und so die ganze Struktur der Gylf. aus einem Punkte zu erklären. Nur eine solche Erklärung aber könnte wirklich befriedigen. So dürfte es angezeigt sein, die ganze Frage noch einmal aufzunehmen. Sie läßt sich, wir mir scheint, zweckmäßig in drei Themen zerlegen; 1. Der Snorrische Euhemerismus. 2. Die Rahmenerzählung und das Blendwerk. 3. Die Odinstheologie.

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1. D e r S n o r r i s c h e E u h e m e r i s m u s Als der schwedische König Gylfi sich zu den Asen begibt, um zu erfahren, ob sie ihre außergewöhnlichen Leistungen mit Hilfe von Göttern oder aus eigener Kraft vollbringen, wird ihm ein Blendwerk vorgeführt. In einer vorgegaukelten Halle empfangen ihn drei geheimnisvolle Gestalten: Hoch (Här), Ebenhoch (Jafnhär) und der Dritte ()möi), und diese beantworten ihm seine Fragen nach den Göttern und der Welt. Am Schlüsse gibt es plötzlich einen lauten Knall, das Schloß ist verschwunden, und Gylfi findet sich allein auf freiem Felde. Er begibt sich in sein Reich zurück und erzählt diese Geschichten weiter. Die Asen aber setzen sich zusammen und beschließen, sich die Namen der Götter, von denen Gylfis Gegenspieler ihm erzählt haben, beizulegen. Man hat gewöhnlich diese romantische Einkleidung mit der Absicht Snorris erklärt, die Mythen dadurch gleichsam in das Reich der Fabel zu verweisen, um sich der Kirche und seinen christlichen Zeitgenossen gegenüber vor dem Verdacht zu schützen, daß er diese heidnischen Geschichten für wahr ausgeben wollte. Dieser Rahmen gleicht, wie Siguröur Nordal es ausdrückt, einem Zaune, der um die Welt der Götter gebaut ist, so daß das Götterleben innerhalb seiner sich um so freier entfalten kann, ohne mit den wissenschaftlichen Ansichten und der Religion, die draußen herrschen, zusammenzustoßen oder in Widerspruch zu geraten (Snorri Sturluson, S. 115). Aber man darf hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Wenn den Mythen durch die Rahmenerzählung der Charakter des Unwirklichen aufgeprägt wird, so folgt daraus nicht, daß sie zu diesem Zweck geschrieben sei. Auch sonst ist jene Erklärung wenig einleuchtend. Was da von den Göttern erzählt wird, ist von solcher Art, daß es wohl auch im 13. Jahrhundert keinen Christenmenschen in seinem Glauben beirren konnte. Wenn aber Snorri wirklich hätte fürchten müssen, durch die Wiedergabe der alten Mythen bei der Kirche Anstoß zu erregen, so muß man bezweifeln, daß er glaubte, sich durch die Rahmenerzäh-

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lung davor schützen zu können, denn die Rahmenerzählung — besonders der Schluß — streitet den Göttern ja die Existenz nicht ab. Er hätte jenen Zweck besser und einfacher durch eine offene Erklärung, daß die Mythen keinen Glauben verdienen, erreichen können, wie er denn eine solche Erklärung ja auch im sogenannten Eptirmäli (Skäldskaparmal Kap. 1) abgegeben h a t , wo es h e i ß t : en eigi skolu lcristnir menn trua ä heidin god olc eigi ä sannyndi fiessa sagna u s w .

Aber wenn Snorri hier auch einen solchen Vorbehalt einzufügen für gut befunden hat, so hat ihn doch die Sorge, in diesem Sinne mißverstanden zu werden, kaum so sehr beherrscht, daß die ganze Anlage seines Buches von ihr eingegeben sein sollte. Er hat in seiner Heimskringla sehr viel von dem Heidentum der alten Norweger erzählt, und zwar solche Dinge, die der Kirche viel anstößiger waren als die Mythen, nämlich Berichte von ihrem Götterglauben und vor allem von ihrem Kult, ihren Tempeln, Götterbildern, Opferfesten usw. Kein anderer Schriftsteller ist so ausführlich auf diese Dinge eingegangen wie er; er legt darin eine Unbefangenheit an den Tag, die sich schwer mit der Annahme verträgt, daß er sich bei der Abfassung seiner Mythologie den Kopf über die Frage zerbrochen hätte: Wie sagst du es deinen christlichen Zeitgenossen? Wenn Snorri die Form einer solchen Rahmenerzählung wählte, so können ihn dazu zunächst rein technische Gründe bewogen haben. K u h n hat betont (a. a. 0., S. 162), daß er dadurch den Vorteil gewonnen habe, im Dialog erzählen zu können, wodurch er in der Ordnung des Stoffes freier wurde. Das mag mitgespielt haben. Im übrigen war ein solcher Umbau ebenso wie die Dialogform, die ihn bedingte, schon in der Antike und im ganzen Mittelalter sehr beliebt, namentlich für Bücher lehrhaften Charakters; wir finden sie auch im Elucidarius, im Königsspiegel und anderen Werken; Snorri schloß sich also in diesem Punkte einer literarischen Mode an. Aber damit ist natürlich nicht alles erklärt, vor allem nicht der Gedanke des Blendwerks. Daß sich dahinter eine bestimmte Absicht verbirgt, ist

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kaum zu bezweifeln, und man ging auch gewiß nicht fehl, wenn man zwischen ihr und Snorris Stellung zur heidnischen Mythologie einen Zusammenhang suchte. Nur K U H N ist hierin anderer Meinung; da er voraussetzt, daß Snorri noch an die alten Götter glaubte, sieht er in der Rahmenerzählung ein Mittel, um diese vor dem Zugriff des Euhemerismus zu retten. Nun ist freilich seine Voraussetzung — wie wir gezeigt haben — unhaltbar. Richtig erscheint mir jedoch, daß man vom Euhemerismus ausgehen muß, um den Gedanken des Blendwerks zu erklären. Allerdings in eirjem anderen Sinne als K U H N es meint. Es kommt sehr viel darauf an, Snorris Verhältnis zum Euhemerismus richtig zu verstehen, und gerade dies hat man, wie ich glaube, bisher verfehlt. Wir verstehen unter Euhemerismus die auf den kyrenäischen Philosophen Euhemeros zurückgehende Lehre, die Götter seien eigentlich Menschen gewesen, die sich entweder selbst göttliche Ehren angemaßt hätten oder nach ihrem Tode von anderen als Götter ausgegeben worden seien. In ihren Auseinandersetzungen mit dem griechisch-römischen Heidentum hat die Kirche diese Lehre aufgegriffen, um sie ihrerseits als Waffe gegen den heidnischen Götterglauben zu gebrauchen, der so als Irrtum entlarvt wurde. A U G U S T I N hat in den polemischen Teilen seiner Schrift „De Civitate Dei" von dieser Lehre ausgiebig Gebrauch gemacht. Die heidnischen und die christlichen Vertreter des Euhemerismus kamen darin überein, daß sie die Wirklichkeit der Götter bestritten. Mit der übrigen kirchlichen Gelehrsamkeit ist der Euhemerismus im 12. Jahrhundert auch nach Island gelangt. Wir finden ihn zuerst bei Ari, dem Verfasser der Islendingabök. In der Stammtafel seines Geschlechts, die dem Buche als Schluß angefügt ist, werden als Ahnen und Könige der Vorzeit Yngvi (als Türkenkönig), Njörör (als Schwedenkönig) und Freyr (als dessen Nachfolger) aufgeführt. Wie HEUSLEK (Die gelehrte Urgeschichte, S. 37 ff.) gezeigt hat, steht dahinter die Vorstellung, daß die Vorfahren der Nordländer die Torchi oder Tyrkir waren,

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die einst in Asien gesessen hatten. Ari folgte darin der ihm wahrscheinlich durch den Gelehrten Ssemund vermittelten Urheimatsfabel in der fränkischen Chronik des Fredegar, nach welcher die vertriebenen Trojaner nach Durchschweifung von Asien sich in drei Teile gegabelt hätten, von denen einer die Torchi oder Turqui waren. Diese blieben, während die Franci später an den Rhein zogen, in Thrakien zurück. Sie sind dann — mit dieser Kombination schloß sich der Isländer an die südeuropäische Yölkergeschichte an — später in den Norden gewandert. Die gleiche Vorstellung von der Urgeschichte der Nordländer finden wir in anderen isländischen Quellen, wie z. B. der Skjöldunga-Saga, dem Upphaf allra frasagna, dem Sörla-j^attr und der Sturlaugs Saga starfsama; fast in allen erscheint als der König jenes Volkes, das aus Asien in den Norden zog, Odin. Wir finden in diesen Geschichtsklitterungen der Isländer also den Euhemerismus vorausgesetzt: die nordischen Götter sind Menschen, geschichtliche Persönlichkeiten. Aber dieser Euhemerismus — das ist das Bemerkenswerte — bildet einen Teil der gelehrten Urgeschichte, er hat keine Beziehungen zur Religion oder zur Mythologie. Was von diesen Personen erzählt wird, sind nicht ins Geschichtliche transponierte Mythen, die auf diese Weise dem Verstand einleuchtend gemacht werden sollen. Wenn, wie H e u s l e r mit Recht sagt (a. a. 0., S. 86), von Euhemerismus eigentlich nur da gesprochen werden kann, wo man im Auge behält, daß geschichtliche Menschen zur Geltung von Göttern gelangten, und wo man diesen Vorgang zu erklären sucht, so liegt ein solcher Euhemerismus hier gar nicht vor. Hier soll nichts dergleichen erklärt werden; von einem Anspruch der Asen auf Göttlichkeit ist keine Rede. Wie die Götter in die Urgeschichte hineingeraten sind, darüber sind wir uns im klaren. Es ist die Ähnlichkeit des Wortes Asen mit Asien, Asia, die dazu verführte, ihnen Asien als Urheimat zuzuschreiben. So haben die Briten sich von Brutus abgeleitet, die Normannen die Dani mit den Danaern gleichge-

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setzt, die Skjöldungasaga verbindet Svi|>jö9 en rnikla (Großschweden) mit Scythia magna, in der Ynglingasaga werden die Yanen in die schwedische Vorgeschichte durch Anschluß an Tana- ( - Vana-) kvisl (d. i. das Dondelta) hineingebracht usw. Solchen etymologischen Verknüpfungen legte man in jener Zeit unbedingte wissenschaftliche Gültigkeit bei. Sie waren von unbezweifelter Beweiskraft für geschichtliche Zusammenhänge. Die Asen = Asia = Gleichung hatte zur Folge, daß in der isländischen Urgeschichte — im Unterschied zu der der übrigen Völker 1 — die Götter in den Vordergrund traten. Jene Wanderung ist, wie H E U S L E R sagt, eine Götter-, keine Völkerwanderung (wenn auch gesagt wir d: hann [Oöinn] fystiz norßr i heim med mikinn her [U] bzw. haföi med ser mikinn fjotia lids)2. Daß dies geschehen konnte, setzt natürlich die Bekanntschaft mit der euhemeristischen Theorie voraus. K U H N hält zwar für wahrscheinlich, daß der isländische Euhemerismus mit jener überhaupt nicht im Zusammenhang stehe, vielmehr sei er aus der Genealogie der Königsfamilien hervorgegangen: da die angesehensten nordischen Herrschergeschlechter Götter an der Spitze ihres Stammbaumes hatten und diesen dann noch antike Namen vorgesetzt wurden, so daß die Götter nun also irdische Könige zu Vorfahren und Nachkommen hatten, seien sie, schließlich selbst zu solchen geworden. Aber das ist eine sehr unwahrscheinliche Annahme. Zum mindesten die Einreihung der antiken Namen in die Genealogien ist ohne Bekanntschaft mit dem antiken Euhemerismus kaum denkbar. Aber steht es mit den nordischen Göttern anders? Ist die Rückführung nordischer Adelsgeschlechter auf Odin und Freyr wirklich schon in heidnischer Zeit erfolgt? Als das älteste Zeugnis für diese Verknüpfung galt früher das Ynglingatal, das unter dem Namen Thjodolfs von Hvin überliefert ist; aber die Zweifel an seinem hohen Alter, die schon Sophus Bugge geäußert hat, haben sich immer mehr verstärkt. 1

Nur in der irischen findet sich eine Parallele hierzu; vgl. A. NUTT, The Voyage of Bran, 1895,1, S. 232 f., II, S. 165 ff. 2 Edda-Prol., c. 10.

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hat in ihm eine gelehrte Arbeit des 12. Jahrhunderts sehen wollen; J A N DE VRIES kommt zu dem Ergebnis, daß das Gedicht, wie es uns vorliegt, nicht dem 9. Jahrhundert angehören kann, sondern eine jüngere Bearbeitung des Thjodolfschen Gedichtes sein muß. Auch ANDREAS HETJSLER (a. a. 0 . , S. 4) hegte ernste Zweifel, ob es dem literarischen Zeitalter-, den Tagen Ssemunds und Aris, vorausliegen könne, und hielt es für möglich, daß die langen Ahnenreihen erst von Ari oder einem Mitstrebenden zusammengestückt wurden und hernach erst die skaldische Behandlung im Ynglingatal erfahren haben. Ich halte es auch aus andern Gründen für wahrscheinlich, daß der Gedanke, die Fürstengeschlechter auf göttliche Ahnen zurückzuführen, ein Erzeugnis gelehrt-christlicher Bildung ist, das unter dem Einfluß des Euhemerismus — wahrscheinlich zuerst in England — zustande gekommen ist. Daß die Könige von Wodan oder Freyr abstammen, setzt voraus, daß diese Menschen waren. Diese Ansicht scheint auch Siguröur Nordal zu vertreten. „In Übereinstimmung mit ihr (der rationalistischen Erklärung des Euhemerismus)", sagt er, „führten z. B. die Engländer die Königsgeschlechter auf Odin zurück, . . . und derselbe Gedanke ist im Grunde auch in den Geschlechtstafeln des Ynglingatal und des Haleygjatal enthalten — ob es sich hier nun um ausländischen Einfluß oder selbständige norröne Schlußfolgerungen handelt" (Snorri Sturl., S. HO)1. Als ganz ausgeschlossen kann man es betrachten, daß die Vermenschlichung der Götter erst infolge der Genealogien zustande gekommen sei. Erst recht muß natürGUSTAV NECKEL

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Daß die angelsächsischen Stammtafeln „sicher schon in heidnischer Zeit entstanden seien", wie R. SCHOMERUS (Die Religion der Nordgermanen im Spiegel christlicher Darstellung, S. 21) behauptet, ist mit nichts zu beweisen. SCHOMERUS folgt darin HEUSLER, der (a. a. 0., S. 9) von Wodan als dem altüberlieferten Ahn der Königshäuser spricht, es aber unbestimmt läßt, wann und wieso die nordischen Adelsgeschlechter genealogisch auf Frey und Odin zurückgeführt wurden (S. 9). Und wenn man den gotischen Ahnherrn Gapt zu einem Gott Gaut- machen und mit Odin identifizieren will, so ist das eine Hypothese, die jene Ansicht von dem göttlichen Ahnherrn voraussetzt und ihr zuliebe aufgestellt ist.

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lieh demjenigen, der die Gleichung Asen = Asia aufstellte, die Lehre, daß die Götter eigentlich geschichtliche Personen seien, bekannt gewesen sein; er hätte sie sonst gar nicht vollzogen. Aber diese Gleichung bewirkte, daß der Euhemerismus, der eigentlich den Götterglauben erklären sollte, hier im Norden sozusagen auf ein anderes Gleis, nämlich auf das geschichtliche, abgeschoben wurde. Die Asen wurden in die Geschichte eingebaut, und damit gut. Daß sie einstmals als Götter gegolten hatten, spielte nun keine Rolle mehr. Die Geschichte schreibenden Isländer hat diese Frage offenbar gar nicht beschäftigt. Von diesem eigentümlichen Gebrauch, den die Isländer von dem Euhemerismus machten, müssen wir ausgehen, wenn wir Snorris Verhältnis zu ihm verstehen wollen. Auch für Snorri ist es ausgemacht, daß die Asen Menschen waren. Das hat er gewiß in der Schule von Oddi schon als feststehende geschichtliche Tatsache in sich aufgenommen; er hat dieses Wissen auch in der Vorgeschichte seiner Heimskringla, der Ynglingasaga, verwertet. Ihr liegt bekanntlich Thjodolfs Ynglingatal zugrunde; es kann kein Zweifel sein, daß, wenn dieses Gedicht das Geschlecht der norwegischen Könige auf Njörör und Freyr zurückführt, Snorri das im euhemeristischen Sinne verstanden hat. Er verfährt in der Ynglingasaga mit den Asen genau wie die anderen oben erwähnten Geschichtsquellen; er läßt sie als Könige der Vorzeit auftreten. Allerdings kommt die Ynglingasaga dem eigentlichen philosophischen Euhemerismus insofern einen Schritt näher, als sie darauf Bezug nimmt, daß die Asen einst als Götter verehrt wurden, und daß sie das zu erklären sucht. Odin war ein Meister in der Zauberei und lehrte diese Kunst auch die übrigen Asen (es sind deren außer ihm zwölf), und das verschaffte ihnen ein solches Ansehen, daß die Menschen sie Götter nannten und ihnen opferten (c. 7); von Odin wird gesagt, daß man auch nach seinem Tode fortfuhr an ihn zu glauben und ihn anzurufen (c. 9). Ferner entspricht es dem wissenschaftlichen Euhemerismus,

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daß in der Ynglingasaga auch Mythen verarbeitet sind: die Geschichten vom Yanenkrieg (c. 4) und von Odins vorübergehender Abwesenheit mit ihren Folgen (c. 3); hierzu könnte man noch nehmen, was in c. 7 von Mimis Haupt und Odins beiden Raben erzählt wird, nur werden diese wunderbaren Dinge auf Odins Zauberkunst zurückgeführt, — während jene mythischen Vorgänge ganz auf die profane Ebene projiziert sind. Aber — und dies ist für Snorris Auffassung bezeichnend — diese Mythen werden nicht euhemeristisch erklärt; sie werden einfach als profane Geschichten wiedergegeben. Das ist möglich, weil die Götter hier so vollkommen vermenschlicht sind, daß sich die Fabeln ohne weiteres in die Profangeschichte einfügen; vermutlich hat Snorri sie gerade deswegen für die Ynglingasaga ausgewählt 1 . Sie entsprechen in willkommenster Weise seiner geschichtlichen Auffassung von den Asen, die eben Menschen waren, so daß ihre Göttlichkeit, weil gar nicht mehr in Frage stehend, keiner Deutung bedurfte. Das zeigt aber, daß es sich in der Ynglingasaga nicht um den eigentlichen philosophischen Euhemerismus handelt. Noch deutlicher spricht dafür ein anderer Umstand, den man bisher zu wenig beachtet hat, der mir aber von ganz besonderer Bedeutung erscheint: daß nämlich hier den Asen selbst eine Religion z u g e s c h r i e b e n wird. In dem alten Asgard, heißt es im 2. Kapitel, war ein großer blötstaör; dort fungierten hofgodar, Tempelpriester, die die Opfer zu leiten hatten. Nach dem Vertrag mit den Vanen setzt Odin Njörd und Frey als Uötgodar, Opferpriester, ein; auch Freyja war blötgyöja (c. 4). In Sigtuna errichtete Odin einen großen Tempel und führte Opfer ein eptir sidvenju Äsanna (c. 5); auch dort gibt es hofgodar (c. 6). Unter den von Odin in Schweden erlassenen Gesetzen sind auch kultische Vorschriften, die Zeit 1

HEUSLER glaubt aus gewissen Übereinstimmungen mit Saxo folgern zu können, daß die Mythen von Odins Landesferne und vom Vanenkrieg schon vor Snorri in das euhemeristische Gewand gefaßt worden seien (a. a. 0., S. 95).

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und Inhalt der Opferfeiern betreffen (c. 8). Nach Odins Tode leitete Njörd die Opfer (c. 9). Frey errichtete einen großen Tempel in Uppsala; nach seinem Tode hält Freyja die Opfer aufrecht (c.-lO)1. Alle diese Angaben sind natürlich mit einem wirklichen Euhemerismus unvereinbar. Es ist der Sinn des wissenschaftlichen Euhemerismus, daß er die Religion wegerklärt. Würde er, nachdem er die Götter in Menschen verwandelt hat, diesen wieder eine Religion beilegen, so würde er sich selbst aufheben; das Problem, was es denn um die Götter eigentlich sei, wäre nicht gelöst, sondern nur um eine Stufe zurückgeschoben. So aber verfährt Snorri. Wäre es ihm darum zu tun gewesen, die euhemeristische Theorie auf die nordischen Götter anzuwenden, so hätte er alle jene Angaben, die sich auf Götterverehrung und Kult beziehen, vermieden. Er hätte das auch leicht tun können; es lag für ihn im Rahmen der Ynglingasaga kein Zwang vor, diese Dinge zu erwähnen, geschweige sie so eingehend zu behandeln, wie er es tut; das Abhalten von Opfern und das Errichten von Tempeln erscheint ja, wie HEUSLER bemerkt (S. 88), geradezu als Haupttätigkeit der Asen. Das ist sehr auffallend. Wie man es auch erklären mag, so beweist es jedenfalls, daß Snorri den Euhemerismus im eigentlichen Sinne, d. h. als eine Theorie zur Deutung der Mythen und des Götterglaubens, gar nicht verstanden oder zum mindesten nicht beabsichtigt hat, sich seiner zu diesem Zwecke zu bedienen. So selbstverständlich es ihm war, daß die Asen ein geschichtliches Volk waren, so s e l b s t v e r s t ä n d l i c h g e h ö r t e es o f f e n b a r f ü r i h n z u m B i l d e e i n e s V o l k e s , d a ß es e i n e R e l i g i o n h a t t e mit Tempeln, Priestern und Kulten, und der Gedanke, dies auf rationale Weise zu erklären oder wegzudeuten, lag ihm völlig fern. Als Euhemerist verfährt also Snorri hier ganz und gar nicht; wenn HEUSLER (a. a. 0., S. 89) meint, die Ynglinga1

Dieselbe Vorstellung finden wir auch im Sorla ]?ättr (Fas 1, S. 391), der sie der Ynglingasaga entlehnt hat (vgl. HEUSLER a. a. 0., S. 16).

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saga zeige „eine ausgereiftere Form des Euhemerismus", so scheint mir das auf einem Mißverständnis zu beruhen. Wenden wir uns nun zur Gylfaginning, so ist die Frage, ob das Verhältnis Snorris zum Euhemerismus hier das gleiche ist wie in der Ynglingasaga oder ob es ein grundsätzlich anderes ist. Im allgemeinen nimmt man das letztere an. In der Ynglingasaga habe Snorri sich rein als Historiker verhalten und es mit den Asen nur als Ahnen und Königen zu tun gehabt; hier konnte er daher ganz der euhemeristischen Linie folgen und habe das auch getan: die Götter vermenschlicht und die Fabeln von ihnen historisiert; in der Gylfaginning, wo es ihm darauf ankam, die Mythen, so wie sie überliefert waren, aufzuzeichnen, habe er dagegen den Weg des Euhemerismus verlassen; schon die Idee des Blendwerks hebe ihn auf, noch mehr der im Schlußkapitel behandelte Gedanke, daß die menschlichen Asen sich die Namen der Götter beigelegt hätten. Ich halte diese Ansicht für falsch. Zunächst kann kein Zweifel darüber bestehen, daß auch der Gylfaginning die Vorstellung, daß die Asen Menschen sind, zugrunde liegt; in diesem Punkte ist auch innerhalb des Werkes kein Widerspruch. Wie in der Ynglingasaga ist Odin der Führer des aus Asien nach Schweden einwandernden Asenvolkes, und noch im Schlußkapitel wird die Menschlichkeit der Asen ausdrücklich bestätigt. Was die Rahmenerzählung einschließt, ist allerdings eine Mythologie; hier wird von Göttern gesprochen und werden Geschichten von ihnen erzählt. Aber diese Götter sind mit jenen Asen nicht identisch; vielmehr sind es die Asen, die die Göttergeschichten erzählen, und diese handeln von den Göttern, an die die Asen glauben. Nun ist es zwar richtig, daß dieser Glaube den Euhemerismus in gewissem Sinne aufhebt. Aber das stellt die Gylfaginning nicht in einen Gegensatz zur Ynglingasaga, denn, wie wir gesehen haben, vertritt auch diese keineswegs einen konsequenten Euhemerismus, sondern räumt der Religion, die der Euhemerismus grundsätzlich zu eliminieren sucht, einen breiten Platz ein.

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Allerdings ist hier von den Göttern der Asen nicht ausdrücklich die Rede; aber der Kult, den sie treiben, die Heiligtümer, die sie erbauen, die Opfer, die sie veranstalten, setzen ja Götter voraus. Wenn H e u s l e r (a. a. 0., S. 88) unter gleichzeitigem Hinweis auf die Yöluspä, die ebenfalls die Asen Tempel und Altäre errichten läßt, hierzu bemerkt: „Subjekte und Objekte des Kultes sind nicht geschieden", so trifft dies auf keinen Fall den Standpunkt Snorris. Dieser hat zwischen Göttern und Götterverehrern sehr gut unterschieden 1 . (Man denke auch an die Heimskringla, wo gesagt wird, daß die Opfer und Minnebecher den Asen dargebracht wurden und diese gelegentlich auch mit Namen genannt werden 2 .) Daß er in der Ynglingasaga die Götter nicht nennt, erklärt sich anders; wir kommen gleich darauf zu sprechen. In bezug auf den Euhemerismus nehmen jedenfalls Gylfaginning und Ynglingasaga grundsätzlich die gleiche Haltung ein 3 . Der Unterschied zwischen Ynglingasaga und Gylfaginning liegt nicht in einer verschiedenen Stellung zum Euhemerismus, sondern in der Yerschiedenartigkeit des Stoffes und der sich daraus ergebenden Aufgaben. Während Snorri in der Ynglingasaga nur die Vorgeschichte des norwegischen Königsgeschlech1 Allerdings ist die Gylfaginning insofern nicht ganz konsequent, als sie an einer Stelle die B e m e r k u n g macht, d a ß die geschichtlichen Asen die Nachkommen der mythischen seien: par bygpi godin ok czttir peirra er varar tzttir ero fra komnir, u n d : ok af peirri mtt er asa tztt er bygpi asgard inn forna ok er pat godkunnig cett). Hier wird also der E u h e m e r i s m u s um eine Stufe weitergetrieben und auf die mythischen Asen, die von den geschichtlichen Asen als Götter v e r e h r t werden, ausgedehnt, was im W i d e r s p r u c h zur R a h menerzählung steht. Die ganze Stelle (U 2, 258, 12—18) macht den Eindruck eines unorganischen Einschiebsels. 2

Vgl. Hak. s. goöa, c. 14 (Hkr. I, S. 187). Dagegen spricht auch nicht, d a ß die Gylfaginning die vermeintliche Göttlichkeit der (geschichtlichen) Asen nicht, wie die Ynglingasaga, aus i h r e r Z a u b e r k u n s t e r k l ä r t ; dies h ä t t e im W i d e r s p r u c h zu der R a h m e n e r z ä h l u n g gestanden, die eine a n d e r e E r k l ä r u n g d a f ü r gibt, daß jene als G ö t t e r verehrt wurden. Entscheidend ist, d a ß beide W e r k e es f ü r nötig halten, dies zu erklären. 3

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tes erzählen wollte, in die die Asen nach der ihm vorliegenden Tradition schon eingefügt waren, wollte er in der Gylfaginning die Geschichten von den Göttern erzählen, wie sie die mythische Überlieferung, vor allem die Götterdichtung der Edda, enthielt. Und hier erhob sich für ihn nun die schwierige Frage - nicht, wie sich diese Aufgabe mit dem christlichen Glauben und seinen Pflichten als Christ vertrug, sondern - w i e s i e s i c h m i t der von ihm a k z e p t i e r t e n euhemeristischen A u f f a s s u n g , daß die Asen Menschen gewesen waren, v e r e i n b a r e n l i e ß ; denn jene Göttermythen handelten ja eben von den Asen. Ein Ausweg lag, scheint es, nahe: er hätte die Geschichten auch hier — wie in der Ynglingasaga — historisieren können; mit nicht wenigen seiner Fabeln wäre das in der Tat ohne weiteres gegangen, weil die Asen in ihnen ganz menschlich auftreten und handeln (man denke z.B. an die Skirnismäl oder die Thorsgeschichten, nur daß diese mit einigen Märchenzügen ausgestattet sind). Aber erstens hätte das eben den Erzählungen den Charakter des Mythischen geraubt, auf den es Snorri hier doch geyade ankam; zum anderen aber widersetzten sich einige der Mythen jeder Transponierung ins Menschliche und Historische, und zwar gerade diejenigen, die für Snorri offenbar die wichtigsten waren. Hier macht sich entscheidend der Umstand geltend, daß er von den Eddagedichten gerade die mit kosmologischem Inhalt dem ersten Teil der Gylfaginning zugrunde gelegt hat: Völuspa, Grimnismal, Vaf|miönismäl. Soweit die Asen hier auftreten, sind sie mit der Entstehung und Ordnung der Welt befaßt, und sie gehen im Ragnarök im Kampf mit mythischen Ungeheuern zusammen mit der Welt zugrunde; andere Yerse schildern die überirdischen Heime der Asen, die wunderbaren Zustände in dem himmlischen Walhall und ähnliche Dinge. Es war da von einer göttlichen Welt die Rede, die sich nicht in die irdische umsetzen ließ. Der Widerspruch war eklatant. Die Asen, die der Historiker Snorri als geschichtliche Personen kannte, traten hier als kosmische Gestalten auf. Sie

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konnten aber nicht Menschen und Götter zugleich sein. Hier müßte eine Lösung gefunden werden. Snorri hätte schon in der Ynglingasaga vor der gleichen Aufgabe gestanden, wenn er die Götter, denen er die Asen opfern läßt, genannt oder sie irgendwie in seine Darstellung verwoben hätte. Das hat er dort — nach meiner Überzeugung bewußt — vermieden, und er konnte es, da er es nur mit den menschlichen Asen selbst zu tun hatte; er hätte es sogar, wie schon bemerkt, leicht gehabt, die Religion ganz aus dem Spiel zu lassen, wenn er dies gewollt hätte. Er hat das nicht für nötig gehalten; immerhin beschränkt er sich auf den K u l t und kann daher die Frage nach den Göttern umgehen. In der Gylfaginning — dies ist der grundlegende Unterschied zur Ynglingasaga — handelt es sich dagegen um die M y t h e n , d.h. um Geschichten, in denen Götter als Götter handelnd auftreten. Die Lösung des Widerspruches hat Snorri in der Rahmenerzählung gefunden: in Gylfis Täuschung. Es zeigt sich so, daß diese keineswegs nur ein geschickter Kunstgriff zur Ordnung des Stoffes oder das Produkt einer müßigen Phantasie ist, sondern daß sie durch die Inkongruenz zwischen seiner euhemeristischen Grundauffassung und dem mythologischen Stoff gefordert wurde. Zugleich erleichterte ihm die Besonderheit seines Euhemerismus die Lösung; von seinem Standpunkt aus mußte ihm die Aufgabe so erscheinen, daß zwar die Menschlichkeit der Asen bestehen blieb (dies war ihm selbstverständliche Voraussetzung), jedoch eine Möglichkeit gefunden wurde, Geschichten von ihnen zu erzählen, in denen sie als Götter fungierten. 2.Die R a h m e n e r z ä h l u n g u n d das B l e n d w e r k Die Rahmenerzählung ist nicht ein einheitliches Ganzes, sondern besteht aus zwei Teilen, die innerlich voneinander unabhängig sind. Der eine ist die sjönhverfing, das Blendwerk, das Gylfi vorgezaubert wird; er zerfällt seinerseits wieder in zwei Stücke, die Einleitung in cap. 2 mit der Beschreibung der Burg und ihrer Insassen und den Schluß, der den Anfang des cap. 54

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bildet; die Burg verschwindet und Gylfi findet sich auf freiem Felde. Auch den zweiten Teil, der den Hauptinhalt von cap. 54 bildet, kann man wieder in zwei Stücke zerlegen: 1. Gylfi kehrt in sein Reich zurück, erzählt dort, was er gesehen und gehört hat, und danach gibt einer nach dem anderen diese Geschichten weiter. Die Meinung dieses Stückes ist offenbar die: Gylfi hat die Geschichten für wahr genommen; die anderen haben sie ebenfalls geglaubt und in diesem Sinne weitererzählt, und so haben sich die Göttermythen allgemein im Norden verbreitet. 2. Die Asen setzen sich zur Beratung zusammen und beschließen, sich die Namen der Götter in jenen Geschichten beizulegen, damit die zukünftigen Geschlechter glauben sollen, sie seien mit diesen identisch. Es ist sehr zu beachten, daß in dem zweiten Teil kein Bezug auf das Blendwerk genommen wird. Denkt man sich dies einmal weg und setzt den Fall, daß Gylfi auf normale Weise von den Asen empfangen und verabschiedet worden wäre, so könnte die Erzählung mit den Worten: gengr hann fiä leid sina braut • • • e b e n s o f o r t f a h r e n .

Unter Gylfis „Betörung" ist natürlich allein der erste Teil zu verstehen; das erste Stück des zweiten Teiles würde man nur dann dazurechnen können, wenn man es so auffaßt, daß es der b e t ö r t e Gylfi sei, der die Geschichten weitererzählt, diese also Lug und Trug seien — was ich nicht glaube; wir kommen auf diese Frage noch zurück. Wie ist das Verhältnis der beiden Teile zueinander zu denken? Gegen das zweite Stück hat sich vielfache Kritik gerichtet; man hat gefunden, daß es sich in die Rahmenerzählung nicht einfüge, 'daß es den Euhemerismus, der ihr zugrunde liege, aufhebe, daß es ein störendes und überflüssiges Anhängsel sei. HEUSLEE hat von einem verwirrenden Überfluß von Motiven gesprochen (S. 30). Aber diese Vorwürfe erscheinen mir ungerecht; keines dieser Motive ist wirklich überflüssig. Der Verfasser konnte es ja damit nicht bewenden lassen, daß Gylfi die Mythen im Rahmen der sjönhverfmg erzählt wurden und sich dann alles in blaue Luft auflöste. Er mußte seinen Lesern Rede stehen auf die B a e t k e , Götterlehre

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WALTER

BAETKE

Frage: ja wie kommt es denn, daß diese Geschichten in heidnischer Zeit allgemein bekannt waren und geglaubt wurden? Dies begründet er eben auf die Weise, daß er Gylfi hingehen und diese Geschichten weitererzählen läßt. R. C. Boer (Acta ph. sc. I, S.62ff.) findet einen Widerspruch zwischen dem Anfang und dem Schluß von c. 54; zuerst, meint er, würden Gylfis Mitteilungen über seine Erlebnisse als die einzige Quelle der menschlichen Kenntnisse über die Asen erwähnt; danach griffen die Asen selbst in die Geschehnisse ein, um unter den Menschen dieselben Kenntnisse zu verbreiten. Aber auch das ist irrig, denn die Asen greifen ja nicht ein, um die Kenntnisse von ihnen unter den Menschen zu verbreiten, sondern um sich die Namen der Götter beizulegen, und dies ist ein Motiv von selbständiger Bedeutung. Denn Gylfis Eingreifen erklärt zwar die Verbreitung der Mythen unter den Menschen, aber es beseitigt nicht den Hauptanstoß, den die Leser von Gylfag. an den Geschichten nehmen mußten: daß nämlich die Götter, von denen da erzählt wird, dieselben Namen tragen wie die geschichtlichen Asen, denen der Besuch Gylfis gilt. Gerade weil es Snorri mit dem Euhemerismus, soweit er die Asen betraf, ernst war, mußte er diesen Anstoß beseitigen; er tat es auf die einfachste und natürlichste Weise: durch das Motiv des betrügerischen Namentausches. Jene Namen kamen ursprünglich den Göttern zu, an die die Asen glaubten; der Namenstrug gab die Erklärung dafür, daß alles das, was ursprünglich von diesen Göttern geglaubt .und erzählt wurde, in der geschichtlichen Zeit dann von den Asen selbst geglaubt und erzählt wurde. Recht betrachtet liegt in diesem Motiv die eigentliche Lösung des Problems, das dem Mythologen Snorri durch seine euhemeristische Auffassung von den Asen aufgegeben war. Es kann darum, wenn man Sinn und Zweck des Werkes ins Auge faßt, am wenigsten entbehrt werden. Aber ist das Motiv des Namentausches mit dem Euhemerismus der Rahmengeschichte vereinbar? Man hat darauf hingewiesen, daß, während der Euhemerismus die Götter ihrer Göttlichkeit entkleide und sie als Menschen entlarve, hier umgekehrt die

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menschlichen Asen sich mit den Göttern, also mythischen Wesen, identifizieren. Das ist wohl richtig, wenn man auf den griechischen Euhemerismus blickt; dieser würde dadurch, daß überhaupt Götter vorausgesetzt werden, aufgehoben. Aber wir haben gesehen, daß der Snorrische Euhemerismus sich von dem griechischen dadurch unterscheidet, daß er auf die (geschichtlichen) Asen beschränkt ist und die Existenz von Göttern oder den Glauben an sie nicht grundsätzlich ausschließt, also auch nicht den Götterglauben der Asen. Im übrigen entspricht c. 54 der euhemeristischen Theorie insofern sehr wohl, als diese ja die Verehrung von Göttern u. a. auf die Weise zustande kommen läßt, daß sich Menschen betrügerischerweise göttliche Stellung und Ehren anmaßen, und eben das tun hier die Asen. Zu bemängeln wäre höchstens, daß dieses Motiv nicht geschickter angebracht ist; denn man könnte fragen, wieso erst die Begegnung mit Gylfi die Asen zu ihrem Betrug veranlaßt habe (nach dem Text von R hört es sich so an, als ob sie selbst die Geschichten eben zum erstenmal gehört hätten 1 ). Aber die Meinung des Verfassers ist wohl, daß erst die durch Gylfi bewirkte Verbreitung der Mythen unter den Menschen die Asen zu diesem Schritt bestimmt habe. Besser berechtigt als die Einwände gegen das Motiv des Namentausches muß nach diesen Erwägungen die Frage erscheinen, was dann noch die sjönhverfing für einen Sinn habe. HEUSLER meinte, sie sei für den Aufbau des Ganzen eher verwirrend als notwendig. In der Tat: wenn die Rahmenerzählung die Brücke schlagen soll von dem Euhemerismus zur Mythologie, so wird dem durch c. 54 auch ohne den Gedanken des Blendwerkes vollkommen Genüge getan. Aber wenn das auch richtig ist, so erhält doch, wie mir scheint, gerade vom Motiv des Namentausches aus die sjönhverfing ihren Sinn und ihre Berechtigung. Es hat sich gezeigt, daß der Namentausch nicht erst ein 1

ok minnast

d fiessar jrdsagnir

allar,

er honum varu sagdar;

in W

(und T )

heißt es dafür besser: er her (nu) var sagt (Arn. Ausg. I., S. 206). 3*

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Waltee

baetke

nachträgliches überflüssiges Anhängsel, sondern im Grundgedanken der Rahmenerzählung verankert ist. Der Namentausch setzt voraus, daß Gylfi die Göttermythen erzählt worden waren. Wie sollte der Verfasser dies aber vor sich gehen lassen? Wem sollten die Erzählungen in den Mund gelegt werden? Schalten wir die sjönhverfmg aus und stellen uns vor, Gylfis Besuch bei den Asen hätte sich im Rahmen des Natürlichen, als geschichtliche Begebenheit abgespielt, so hätte der Verfasser statt Här, Jafnhär und jriöi die Asen, also Odin, Thor und Frey selbst auftreten lassen müssen, um Gylfi zu empfangen. Das aber ging deswegen nicht an, weil sie dann dieselben Namen wie die Götter getragen hätten, von denen sie berichteten und deren Namen sie sich dann erst nachträglich aneigneten. Das ist der Grund, warum f i n g i e r t e Gestalten eingefügt werden mußten, die zwar die Asen vertreten 1 , aber doch eben Fiktionen sind und fingierte Namen tragen (hinter denen man keinen mysteriösen Sinn suchen sollte). Damit war also schon der Gedanke des Blendwerkes gegeben; denn solche fiktiven Personen konnten auch nur in einem fiktiven Milieu vorgeführt werden. So ergibt sich auch die sjönhverfmg als logische Folge aus dem euhemeristischen Grundgedanken: daß zwar die Asen sich später als Götter ausgeben, ursprünglich und eigentlich aber Menschen sind. Eine andere Frage ist, ob das Blendwerk ein originaler Einfall Snorris ist. Als einen solchen möchte ich den Namenbetrug betrachten. Dagegen glaube ich, daß Snorri das Motiv der Sinnestäuschung ebenso wie den Euhemerismus aus der kirchlich-gelehrten Gedankenwelt seiner Zeit entnommen hat. Die Idee des „Blendwerks" spielt in der mittelalterlichen Li1 Heusler (a. a. 0 . , S. 3 0 ) bemängelt m. E. zu Unrecht, daß Gylfi bei seiner Ankunft nicht nach den ihm bekannten Asiamännern forsche. Daß er in Här, Jafnhär und J>riöi die Vertreter der Asen sieht, setzt das ganze Kapitel voraus; er hat auch keinen Grund, daran zu zweifeln. Der Zweck seines Besuches aber ist, sich nach ihren G ö t t e r n zu erkundigen. Auch der Einwand, daß die (geschichtlichen) Asen nur in der 3. Person wie Abwesende erwähnt werden, trifft wenigstens auf U nicht zu; dort heißt es: godin okcsttir fieirra er varar cettir ero fra komnir (2, 258, 12).

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teratur eine nicht unbedeutende Rolle, und zwar gerade in Verbindung mit der euhemeristischen Theorie. Daß man historische Menschen, Könige oder Helden, als Götter verehrte, erklärte die Kirche als Wirkung einer Mystifikation, einer Irreführung durch Dämonen oder böse Geister, die sich die Menschen auf diese Weise dienstbar machen wollten. In Augustins großem Werk „De Civitate Dei" kehrt dieser Gedanke in den Kapiteln, die sich mit den heidnischen Göttern befassen, häufig wieder; ich führe einige der bezeichnendsten Stellen an 1 : VI, 8: in quibus omnibus aut homines fuisse intelliguntur et pro uniuscuiusque vita vel morte sacra eis et sollemnia constituta, h u n c e r r o r e m i n s i n u a n t i b u s f i r m a n t i b u s q u e d a e m o n i b u s , aut certe ex qualibet occasione immundissimi spiritus fallendis humanis mentibus irrepsisse? — VIII, 22: quorum maximae parti i n i r a b i l i b u s e t f a l l a c i b u s s i g n i s sive factorum sive praedictorum, deos se esse persuaserunt. — VI, 7: Non enim et maligni spiritus suo negotio defuerunt, ut has noxias opiniones humanarum mentium l u d i f i c a t i o n e firmarent. Überall wird der heidnische Götterglaube auf Verführung, wunderbare Vorspiegelung, Betrug und Täuschung zurückgeführt. Dieser Gedanke ist in den verschiedensten Variationen in die von der mittelalterlichen Kirche vertretenen Lehren über die Natur des Heidentums und der heidnischen Götter eingegangen; er hat besonders durch die Schriften Isidors von Sevilla, des Honorius von Autun und Martins von Bracara weite Verbreitung gefunden. Martin schildert in seiner Schrift „De correctione rusticorum", wie die von Gott abgefallenen Menschen erst Himmelskörper und Naturerscheinungen, dann auch lasterhafte Menschen (Jupiter, Mars, Venus usw.) verehrten, und fährt dann fort: Sed sub specie nominum istorum hominum ab hominibus. stultis veneratio et honor daemonibus exhibitur 2 . 1

Mauriner Ausg., Tom. IX. Ein. irischer Geistlicher, der eine irische Heldensage abschreibt, bemerkt dazu am Schluß: „Aber ich schenke gewissen Dingen in dieser Geschichte oder Fabel keinen Glauben. Denn einiges ist Blendwerk von Dämonen, eini2

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Diese Schrift hat einer Predigt des angelsächsischen Abtes Aelfric zur Grundlage gedient, die sich gegen die Verehrung der dänischen Götter in England richtet, und über diese Homilie ist die Lehre dann auch ins Isländische eingedrungen. Wahrscheinlich um 1200 ist Aelfrics Predigt von einem Isländer übertragen worden. Mit einer Reihe selbständiger Zusätze des Übersetzers findet sie sich in der in die Heimlysing eingeschobenen Predigt „Um fiat hvadan ötrü hofst" (Hauksbök, ed. Finnur Jönsson, S. 156 ff.). D o r t heißt es: hinn Uli diofull hafde sua suicna fia hina heidnu menn at j>eir toko illa Itaila oc argar konor oc blotaöu gud sin j>a menn er fiat eitt gerdu er fianda vili var (S. 159). Die L e h r e

vom Dämonenbetrug ist also ohne Zweifel ebenso wie der Euhemerismus, mit dem sie ja aufs engste zusammenhängt, auf Island am Ende des 12. Jahrhunderts bekannt gewesen. Direkt ausgesprochen wird der Gedanke der Verblendung durch den Teufel einmal in Odds Olafssaga c. 41: -fiandinn svikr med allsconar velum oc svikrcedum, oc vekr up sinn ureinan anda meö hinum vestum lutum, ßeim imoti er guöi fiiona, oc blindar sionir fieirra oc öll vit licamans, j>a bleckir Jiann oc tcelir med mörgum lutum (Fms. X,

309). Diese Lehre hat Snorri, wie wir annehmen dürfen, die Idee zur Täuschung Gylfis eingegeben. Er hat allerdings von ihr eine eigentümliche Anwendung gemacht, und diese ist gewiß sein eigenes Werk 1 . Wie er stets den kirchlichen Doktrinen gegenüber eine gewisse Zurückhaltung bewahrte und dem Übernatürlichen nur begrenzten Spielraum gewährte, so hat er die Dämonen aus dem Spiel gelassen und die Täuschung Gylfis den Asen selbst übertragen 2 ; aber insofern bleibt er doch im Rahmen ges dichterische Erfindung" usw. (Nach Fr. PAASCHE, Norsk. Lit. Hist., S. 322.) 1 Auf Grund dessen, daß auch in der Yngl. S., c. 5, von sjönhverfingar Odins Gylfi gegenüber die Rede ist, vermutet ETKUSLER (S. 31), daß Snorri dabei eine ältere Sage im Auge habe. Das braucht man jedoch nicht anzunehmen. Snorri hat hier nichts im Auge gehabt als seine Gylfaginning, deren erster Entwurf wahrscheinlich vor der Yngl. S. entstand. 2 Er hatte es auch nicht nötig, die Dämonen zu bemühen, da er es nicht mit dem Kult, sondern nur mit den Mythen zu tun hatte. Die Dämonen-

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jener Lehre, als das Blendwerk auch hier auf Zauberei beruht, also dämonische Kräfte im Spiel sind, und als sie zur Folge hat, daß Gylfi an die Wahrheit der Mythen und damit an die Wirklichkeit der heidnischen Götter glaubt 1 . Auf den Leser selbst hat das Blendwerk die Wirkung, daß die Mythen, die ihm in diesem phantastischen Milieu dargeboten werden, dadurch selbst den Charakter des Phantastischen erhalten. Zwar ist, wie wir sahen, Snorri die Erfindung der Rahmenerzählung nicht von dieser Absicht eingegeben worden, sie ergab sich aus seinem Euhemerismus. Aber indem die Geschichten von den Göttern in den Rahmen der sjönhverfing eingefügt wurden, erhielten sie gleichsam ein irreales Vorzeichen. Diese Irrealität darf jedoch nicht falsch verstanden werden. Sie kann nur externe, nicht interne Bedeutung haben; d. h. sie kann nur für den Leser der Gylf. gelten, nicht auch für Gylfi, der die Geschichten hört, oder für die Asen selbst, die sie erzählen. Für Gylfi kann sie deshalb nicht wohl gelten, weil er ja selbst im Rahmen des Blendwerks auftritt und nachträglich, wie cap. 54 zeigt, alles für wahr hält, und weil auch das Motiv des Namentausches voraussetzt, daß er und die anderen Nordleute den Mythen von den Göttern Glauben schenken. Nicht so klar am theorie wollte vor allem erklären, wie es kam, daß Menschen als Götter k u l t i s c h v e r e h r t wurden; auf die sacra et sollemnia, das blöta kam es an (vgl. die oben angeführten Stellen aus Augustin und der Heimlysing). 1 Auch die Zauberkunst der Asen, mit der die Ynglingasaga den Glauben an ihre Göttlichkeit erklärt, stammt zweifellos aus derselben Quelle, d. h. aus der kirchlichen Dämonenlehre. Daß schon der heidnische Mythus sich die Götter als Zauberer vorgestellt hat, wie man allgemein annimmt, glaube ich nicht. In HEUSLERS Satz: „Wenn die Götter mehr konnten als die Menschen, so lag das nicht an einer abstrakten Allmacht, sondern am Besitze magischer Kräfte und Werkzeuge" (a. a. 0., S. 87) steckt eine völlige Verkennung dessen, was religiöser Glaube ist. Die Gewalt der Götter über Wachstum und Ernte, Frieden, Sieg und Glück (Heil) hat wohl etwas mit dem Kult (man opferte til drs ok fridar, til sigrs, til heilla), aber nichts mit Zauberei zu tun. Thors Kraftgürtel und ähnliche Attribute gehören der Welt des Märchens an, nicht der Religion.

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Tage liegt die Sache bei den Asen. Soviel ich sehe, fassen die meisten Interpreten der Edda es so auf, daß diese selbst nicht an die Geschichten glauben, sondern Gylfi blauen Dunst vormachen. „Die Asen", sagt Schomerus, „sind hier zauberkundige Menschen, die nun dem Gylfi von ihren angeblichen Göttern, den mythischen Asen, etwas vorfabeln" 1 . Ebenso spricht F. W. 2 MÜLLER von den „Fabelwesen", von denen die Asen berichten . Und auch ANDREAS HEUSLER erklärt (a. a. O . , S. 8 9 ) , die Göttersagen seien im Sinne Snorris nur Fabeleien, die die Ankömmlinge ihiem Auftraggeber Gylfi auftischten; Snorri, sagt er, ziehe eine klare Grenze zwischen Historie und Dichtung; sobald die Fabelei der Gylfaginningredner an der Reihe sei, höre der Euhemerismus auf: „eine zweite Welt, die des Überwirklichen, ist in den Rahmen der rationalistischen Wanderungsgeschichte eingebettet". Nun ist dies letztere wohl richtig, aber es folgt daraus nicht notwendig, daß das ganze ein Schwindelmanöver der Asen ist. Wohl kommt ein geschichtlicher Kern den Mythen nicht zu; von einer scharfen Grenze zwischen Historie und Dichtung kann man aber insofern nicht sprechen, als die Asen, von deren Göttern da die Rede ist, geschichtliche Menschen sind. Und wenn Snorri sogar in der Ynglingasaga es nicht für einen Raub hält, der Religion ihr Recht einzuräumen, sollte er dies dann nicht auch in der Gylfaginning tun? Schon diese Erwägung macht wahrscheinlich, daß es Snorris Meinung ist, daß das, was die Asen Gylfi mitteilen, ihr wirklicher Glaube ist, d. h. daß die Wesen, von denen sie da berichten, nach ihrer Meinung wirkliche Götter sind. Aber auch die Anlage der Gylfaginning und die ganze Art der Ausführung sprechen für diese Annahme. Gylfi begibt sich zu den Asen mit dem Vorsatz, sie nach ihrer Religion auszuforschen; er will wissen, welche Götter sie verehren, was diese vermögen und was von ihnen erzählt wird. Auf diese Fragen erhält er Auskunft, und diese befriedigt ihn so, daß er bekennt: „Diese Asen kommen mir sehr bedeutend vor, 1

a. a. O., S. 27 f.

2

Untersuchungen zur Upps.-Edda, S. 44.

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und es ist nicht zu verwundern, daß auch ihr viel vermögt, wenn ihr über die Götter Bescheid wißt und darüber, an welchen von ihnen man sich mit jedem Anliegen zu wenden hat" (c. 25). Gylfis Vorsatz ebenso wie dieser Ausspruch wären unter der Voraussetzung, daß die Asen ihm etwas vorfabeln, ziemlich sinnlos. Und wie sollte man unter der gleichen Voraussetzung das Zögern der Asen erklären, über Thors Schwächen und Niederlagen zu berichten (c. 44)? Überhaupt ist der ganze Tenor der Rede der drei Berichterstatter nicht auf den Ton des Spottes oder Hohnes gestimmt, sondern macht durchaus den Eindruck der Ernsthaftigkeit; man denke an die Aussagen über den Allvater (c. 3), über die Entstehung der Welt, über Baldr und Ragnarök, über Freyr, der über das Wachstum der Erde waltet (c. 24) u. a. m. Oder soll man es für Eulenspiegelei halten, wenn Här erklärt: „Das ist mein Glaube, daß dieser Odin und seine Brüder die Regierer von Himmel und Erde sind"? (c. 6). Und auch die Worte, die er zum Schluß an Gylfi richtet: „Wenn du nun noch nach fernerer Zukunft zu fragen versuchen solltest, so wüßte ich nicht, woher dir das käme. Denn ich habe noch niemand das Schicksal der Welt weiter verfolgen hören. Nütze, was du vernahmst!" — auch sie machen gewiß nicht den Eindruck, daß man sich mit Gylfi nur einen Scherz erlaubt habe. Alles deutet vielmehr darauf hin, daß Här, Jafnhär und jmöi den wirklichen Glauben der Asen vortragen. Man wird auch Boer recht geben müssen, wenn er sagt, daß, wenn die Götter nur Phantasieerzeugnisse wären, die Asen sich nicht gut ihre Namen hätten beilegen können. Allerdings folgt daraus, daß sie es ernst meinen, daß, soweit es die Geschichten von den Göttern betrifft, eine Täuschung Gylfis gar nicht vorliegt, — ein Ergebnis, das im ersten Augenblick befremden mag. Aber das Wort ginning meint gar nicht Täuschung im Sinne eines bewußten Betruges, sondern einer zauberischen Vorspiegelung, einer ludificatio; und es ist, wie ich meine, gar nicht auf den Inhalt der Mythen bezogen, sondern geht allein auf das Blendwerk mit der Phantasieburg, das Gylfi vorgeführt wird. Dieses hat, wie ge-

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sagt, vor allem den Zweck, eine direkte Begegnung der Asen mit Gylfi, die sein Besuch andernfalls notwendig gemacht hätte, zu vermeiden. Wenn gleichzeitig dadurch der Eindruck erweckt wird, daß die Götter und ihre Mythen ins Fabelreich gehören, so wird das ganz im Sinne Snorris gewesen sein. Der Leser soll, wie es die Bemerkung im 1. cap. der Skäldskaparmäl dann noch ausdrücklich fordert, nicht an die Mythen glauben, sondern als Christ den objektiven Standpunkt des Verfassers teilen. Dieser findet in dem Motiv der Augentäuschung seinen Ausdruck. Das schließt aber nicht aus, daß die Asen daran glaubten. Innerhalb der Rahmenerzählung ist von keinem anderen Betrug als dem der Namensverwechslung die Rede 1 . 3. D i e O d i n s t h e o l o g i e Das zweite sich an die Gylfaginning knüpfende Problem betrifft die Widersprüche, die innerhalb der Lehre von den Göttern zutage treten. In den Äußerungen von Här, Jafnhar und J?riöi finden sich Bemerkungen, die weder zu der euhemeristischen noch zu der Blendwerk-Theorie passen, sondern weit über deren Rahmen hinausgehen. Diese Äußerungen beziehen sich in der Hauptsache auf Odin, einige betreffen die Menschen und ihr Fortleben nach dem Tode, doch werden auch diese Dinge zu Odin in Beziehung gesetzt, die anderen Götter werden davon nicht berührt. 1

HEUSLER meint, das Blendwerk sei, abgesehen davon, daß es eine malerische W i r k u n g tue, nur störend; denn die mythischen Wundergeschichten würden ja nicht zauberisch vor Augen geführt, sondern nur durch Erzählung mitgeteilt, und man könne nicht sagen, daß die Geistestäuschung durch die Augentäuschung v e r s t ä r k t werde ( a . a . O . , S. 30 f). Das wäre richtig, wenn die Erzählungen von den Göttern eine (Geistes-)Täuschung Gylfis wären; aber das sind sie eben nicht. Und auch die Augentäuschung zielt nicht auf die Mythen und den Glauben an sie ab, sondern dient nur einem technischen Zweck.

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In c. 3 wird von Odin folgendes ausgesagt: 1. Er ist der größte und älteste der Götter. 2. Er heißt Allvater (Alfobr). 3. Er lebt über alle Zeitalter hin (lifir hann of allar aldir) und regiert sein ganzes Reich und waltet über alle Dinge, große und kleine. 4. Er machte Himmel und Erde und Luft und all ihr Zubehör (hann

smidadi

himin

ok jorö ok lopt ok alla eign

fieira).

5. Er machte die Menschen und gab ihnen den Geist (ond), der leben soll und niemals vergehen, wenn auch der Leichnam zu Staub verwest oder zu Asche verbrennt. 6. Alle Menschenr die die rechte Sitte haben, sollen leben und bei ihm selber sein dort, wo es Gimle heißt, aber die bösen Menschen fahren zur Hölle und von da nach Niflhel. In cap. 6 erklärt Här, es sei sein Glaube, daß Odin und seine Brüder die Lenker Himmels und der Erde seien, und in cap. 9 begründet er den Namen Alfoör damit, daß er der Yater aller Götter (so U; X fügt hinzu: und Menschen) sei und alles dessen, was von ihm und seiner Kraft zustande gebracht sei. K U H N meint zwar, der Alfoör des 3. cap. sei nicht Odin; dieser werde erst in cap. 6 eingeführt, an jener Stelle, wo Här ihn und seine Brüder als die Herrscher über Himmel und Erde ausgibt; diesen Odin setze Snorri dem früher eingeführten Alfoör jedoch nicht gleich (a. a. 0., S. 163). Diese Behauptung läßt sich nur aus K U H N S Bestreben erklären, Snorri selbst einen Glauben an einen Allvater, der „nicht der christliche, ihm aber doch nahezu gleich" war, zuzuschreiben. Sie wird schon dadurch hinfällig, daß Alf9Ör in cap. 20, in R und W auch in cap. 9, ausdrücklich mit Odin identifiziert wird, was K U H N übrigens selbst zugibt; er muß also annehmen, daß Snorri Alfipör und Odin einerseits gleichgesetzt habe, andrerseits nicht — was in sich sinnlos ist und womit ja auch für seine These nichts gewonnen ist. Daß auch unter dem Alfoör des cap. 3 kein anderer als Odin gemeint sein kann, geht schon aus den Namen hervor, die ihm

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dort gegeben werden und die lauter Odinsheiti sind. Außerdem erklärt Här ebenda auf Gangleris Frage, wo Alfcör war, ehe Himmel und Erde gemacht wurden: da sei er bei den Hrimthursen gewesen, eine Bemerkung, die nur auf den Odin des 6. cap. paßt, den Enkel Burs, den die Kuh Auöumla aus den hrimsteinar herausgeleckt hat. Richtig ist, daß jene Aussagen über Odin, auch der Name Allvater, stark an christliche Lehren und Vorstellungen anklingen, und daß sie andrerseits mit Angaben, die an anderen Stellen über Odin gemacht werden, sich schlecht vertragen. Während Odin nach cap. 3 ewig lebt, erzählt cap. 5, daß er als Sohn von Borr und Bestla geboren sei, und cap. 51, daß er im Ragnarök zugrunde gehe. Auch die Geschichte von der Erschaffung der Menschen in cap. 9 ist mit dem, was in cap. 3 über die Erschaffung des Menschen durch Alfoör gesagt wird, schwer in Einklang zu bringen, und wenn nach cap. 3 die guten Menschen zu Odin nach Gimle kommen, die bösen dagegen zur Hei fahren, so steht dem entgegen, daß es nach cap. 34 die an Krankheit oder Alter Sterbenden sind, die zur Hei gesandt werden. Der erste Eindruck ist, daß hier Züge, die aus der heidnischen Mythologie stammen, mit christlichen Vorstellungen vermischt worden sind. Die Ewigkeit Gottes, die Schöpfung Himmels und der Erde, die Erschaffung der Menschen, die unsterbliche Seele, das ewige Leben der Gerechten in der Gemeinschaft des Gottes, das Niederfahren der Bösen zur Hölle, das alles sind Artikel des christlichen Glaubens, und sie sind dem Bilde des heidnischen Gottes, so scheint es, mehr aufgeklebt als eingefügt worden. Man hat diese Widersprüche schon immer gesehen und hat sie auf verschiedene Weise zu erklären versucht, entweder aus dem Bestreben des Verfassers, die alte heidnische Religion möglichst an das Christentum heranzurücken, sie also im christlichen Sinne zu idealisieren1, oder indem man in ihnen einfach den 1

So z. B. SCHOMERUS, a. a. 0., S. 134 f.

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Niederschlag eines zur Zeit der Entstehung der Edda in gewissen Kreisen tatsächlich herrschenden heidnisch-christlichen Synkretismus sah, oder eben so wie KUHN meint, daß für Snorri der christliche Gott und Odin gleichsam zu einer Person zusammengeflossen seien. Alle diese Ansichten würden darauf hinauskommen, daß das christliche Gottesbild — aus welchen Gründen immer — in das Bild des heidnischen Gottes hineinkomponiert worden ist. Aber gegen diese Ansicht erheben sich bei näherer Betrachtung starke Bedenken. Snorri hat zwischen christlichem Glauben und heidnischer Religion doch sehr genau unterschieden; dafür spricht nicht nur jener Satz im TZ$tiim&\i:,eneigiskolukristnirmenn trüa d heiöin goö' usw., sondern auch viele andere Bemerkungen in seinen Werken, namentlich in der Hkr. (vgl. S. 17). Vor allem aber zeigt, wie ich meine, das 3. cap. der Gylfaginning selbst mit genügender Deutlichkeit, daß es dem Verfasser bei der Schilderung Odins durchaus fern gelegen hat, sein Bild im Sinne des christlichen Gottesglaubens zu gestalten; er hätte sonst dem Alfoör nicht lauter Odinsheiti als Namen beigelegt, er hätte auch den Aufenthalt der Seligen nicht Gimle genannt, hätte nicht von Niflhel und der unteren Welt — echt heidnischen Vorstellungen — gesprochen, hätte vor allen Dingen nicht seine Leser — unmittelbar nach jenen erhabenen Aussagen — so hart vor den Kopf gestoßen, wie es mit der Antwort auf die Frage nach Alfoörs früherem Aufenthalt geschieht: „Da war er bei den Hrimthursen!" Diese Auskunft wäre, jene Absicht vorausgesetzt, völlig unverständlich. Auch von Unachtsamkeit des Verfassers kann hier nicht gut die Rede sein. Dann wird es aber zweifelhaft, daß hier im Sinne des Verfassers überhaupt eine Zwiespältigkeit bestand, und man wird für jene scheinbaren Widersprüche und die christlichen Züge im Odinsbild nach einer anderen Erklärung suchen müssen. Sie läßt sich, wie ich glaube, — und mit ihr ein richtiges Urteil über die Theologie der Gylfaginning überhaupt — nur finden im Zusammenhang mit der Theologie des Formäli, den man

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sehr zu Unrecht bisher in dieser Frage außer Betracht gelassen hat. Der Prolog der Edda ist den Germanisten vor allem wohl wegen seines theologischen Inhalts immer etwas unbequem gewesen; man hat mit ihm nichts Rechtes anzufangen gewußt und ihn daher am liebsten beiseite geschoben. (So fehlt er bezeichnenderweise in NECKELS Übersetzung der Edda in der Sammlung Thüle [Bd. 2 0 ] , ebenso wie bei SIMROCK-KUHN [Reclam]). Die ältere Forschung (J. GRIMM, KEYSER, ZARNCKE, VIGFÜSSON, STORM) wollte in ihm einen nachsnorronischen Zusatz sehen, bis MÜLLENHOFF in seiner DAK (Bd. Y , 170) mit Nachdruck für seine Echtheit eintrat. Ihm schlössen sich FINNUR JONSSON, MOGK und NORDAL an, während SYMONS mit dem Hinweis auf seine „wirre Fabelei" daran festhielt, daß er Snorri abzusprechen sei. Mit besonderem Nachdruck ist dann A. HEUSLER in seiner „Gelehrten Urgeschichte" dem Formäli zuleibe gerückt; er nahm an dem Inhalt wie an dem Stil Anstoß und bezeichnete es geradezu als Ziel seiner Abhandlung, das Bild des Schriftstellers Snorri von dem Makel des überlieferten Eddaprologs zu reinigen! (S. 12.) In seinen Fußstapfen erklärt denn auch SCHOMERUS (a. a. 0., S. 42), „derartige Fabeleien dürfe man Snorri denn doch nicht zutrauen". Aber solche Urteile sind ungeschichtlich. Über das, was Fabeleien sind, hatte man zu Snorris Zeit andere Begriffe als heute. Und wenn uns ein solches Vorwort entbehrlich oder uninteressant erscheint, so muß das nicht auch vor 7 0 0 Jahren der Fall gewesen sein. WILKEN (Untersuchungen zur Snorra-Edda, S. 163) hat darauf hingewiesen, daß keines der namhaften historischen oder didaktischen Werke der altnordischen Literatur (z. B. Aris Islendingabök, Sverrissaga, Heimskringla, Thidrekssaga, Königsspiegel) ohne ein den Standpunkt des Verfassers begründendes Vorwort ist. Auch HEUSLERS stilistische Gesichtspunkte sind nicht überzeugend. Wenn er sich auf den urprofanen Tenor der Ynglingasaga beruft, so schlägt dieser Vergleich nicht durch, weil beide Werke unter ganz verschiedenen Gesichtspunkten verfaßt sind und ihr Stil durch

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Ziel und Inhalt bestimmt ist. In der Ynglingasaga schreibt Snorri als Historiker, in der Gylfaginning als Mythologe. Als mittelalterlicher Mythograph aber mußte er mit Notwendigkeit zu t h e o l o g i s c h e n Fragestellungen geführt werden. Gegen die Unechtheit des Formali spricht, wie auch SIGURDUB NoRDAii betont hat, entscheidend der Umstand, daß ihn alle Eddahandschriften enthalten. Auch wenn man mit HEUSLER annimmt, daß A, die gemeinsame Grundlage von X und U, noch nicht Snorris eigene Handschrift war, sondern eine Zwischenstufe darstellt, ist es höchst unwahrscheinlich, daß er erst in A hinzugekommen sei, vor allem deswegen, weil die Gylfaginning schon aus inhaltlichen Gründen ein Vorwort voraussetzt; gewisse Partien würden sonst unverständlich bleiben. Der Anfang der Gylfag. setzt die Einwanderung der Asen in das Reich Gylfis, überhaupt die ganze Wanderfabel, wie sie in cap. 11 des Formäli erzählt wird, voraus. Auch Gylfis Verwunderung darüber, daß das Asenvolk svd kunnigt sei, at allir hlutir gengu at vilja fieira (cap. 2) wird erst verständlich durch das 11. cap. des Formäli, insbesondere den Satz: sd timi fylgöi ferd fleira, at hvdr sem ßeir fteir

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er fieir Jioföu set, at fegrö ok svd at viti

(Arn.

Ausgabe I, 26.) Damit ist nicht gesagt, daß der Text so, wie er uns überliefert ist, von Snorri stammt. Einige Stücke des Cod. Worm. sind in der Forschung ziemlich allgemein als jüngere Zusätze anerkannt und können ganz außer Betracht bleiben (Arn. Ausg. I, 6 3 2 -10 2 0 und I, 12 20 -22 3 ). Umstritten ist die Frage, wie die Stellen, in denen X (repräsentiert durch R, T und W) von U abweicht, zu beurteilen sind, ob sie der ursprünglichen Fassung entsprechen bzw. näherstehen und U gekürzt hat, oder ob U der Vorzug zu geben ist. Die Entscheidung wird davon abhängen, wie man überhaupt die Unterschiede zwischen U und X beurteilt; die Ansichten darüber gehen bekanntlich auseinander. Während die meisten Forscher X den Vorzug gaben und in U eine verkürzte Fassung erblickten, hat MOGK von jeher die An-

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sieht vertreten, daß U die Abschrift einer Vorlage ist, deren Text älter ist als R und W (Beitr. 6, 18 und 49, 1925). Neuerdings hat F R I E D R I C H W. M Ü L L E R in seiner Leipziger Dissertation („Untersuchungen zur Uppsala-Edda", 1941) diese Frage noch einmal einer gründlichen Untersuchung unterzogen und ist zu dem Ergebnis gekommen, daß MOGK das Verhältnis im wesentlichen richtig beurteilt hat. Nach M Ü L L E R geht die Uppsala-Edda auf den ersten Entwurf Snorris zurück, während X das Produkt einer späteren Umarbeitung darstellt, die zugleich eine stilistische Besserung und eine inhaltliche Erweiterung erstrebte. „In dieser Zeit zwischen der ersten Abfassung und der Überarbeitung ist das Manuskript einmal abgeschrieben worden, und von dieser Abschrift stammt, über ein oder mehrere Zwischenglieder, unsere Hs. U" (a. a. 0., S. 148). Ich schließe mich dieser Auffassung an. Den Formäli hat M Ü L L E R zwar nicht in seine Untersuchung mit einbezogen; doch müssen seine Ergebnisse auch für die Beurteilung des Verhältnisses seiner verschiedenen Fassungen in U und X die Grundlage bilden 1 . Nicht ebenso überzeugt bin ich von MÜLLERS These, wenigstens soweit es den Formäli betrifft, daß beide Fassungen, X und U, von Snorri selbst stammen, neige vielmehr dazu, in einigen Zusätzen von X die Hand eines späteren Bearbeiters zu sehen; es betrifft das in F. JÖNSSONS Ausgabe 1926 auch noch die Stellen S. 5 28 ~6 2 , 6 4 ~ 7 und 67 2 °- 29 ; ich finde mich damit in Übereinstimmung mit H E Ü S L E R (a. a. 0 . , S. 23 und 25); gegen ihn möchte ich außerdem auch in den Hinweisen auf Tyrkland und dieTyrkir (519 und 8 4 ) undTrakia (S. 5 und 6) nachsnorronische Einfügungen sehen. Aber für unsere Untersuchung ist das nicht von wesentlicher Bedeutung. Auch H E U S L E R gibt zu, daß Gylf. keinen selbständigen Anfang habe, ihm also irgendein Prolog vorausgegangen sein müsse; 1 Auch A. HEUSLER, der den Prolog Snorri abspricht, bemerkt doch (a. a. 0., S. 29): „ W ä r e Snorri als Verfasser des Formäli erwiesen, so würde ich nicht anstehen, in U einen zwar beschnittenen, aber im Stile doch ursprünglicher gebliebenen Text zu sehen."

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Die Götterlehre der Snorra-Edda

aber was er als solchen gelten lassen will, ist nur ein geringer Teil des Formäli, das meiste streicht er, darunter das ganze 1. cap. Auf diesen „theologischen Eingang" hat er es besonders abgesehen; hier macht sich sein scharfes Vorurteil gegen alles, was nach Theologie und Kirche riecht, geltend. Wir haben jedoch allen Anlaß, uns gerade mit diesem theologischen Eingang näher zu beschäftigen. Wenn H E U S L E R meint, der theologische Faden im 1. cap. werde im folgenden nicht fortgesponnen und die Vergötterung der Asen nehme auf das dort Vorgetragene keinen Bezug, so hat er Wesentliches übersehen. Ich behaupte demgegenüber, daß gerade von diesen Stellen Licht fällt auf die Götterlehre von Gylf., insbesondere auf die Odinstheologie. Weil man diesen Zusammenhang nicht erkannte, ist man über die eigentliche Meinung des Verfassers im unklaren geblieben, hat aber auch die Bedeutung des Formäli im Zusammenhang des Ganzen verkannt. Der Eingang des Formali enthält nicht mehr und nicht weniger als eine philosophisch-theologische Erklärung der heidnischen Religion. Diese „natürliche Theologie", wie man sie nennen könnte, gebe ich in kurzer Zusammenfassung wieder, führe aber die für unsere Zwecke wichtigen Teile in wörtlicher Übersetzung an: Am Anfang schuf der allmächtige Gott Himmel und Erde und alle Dinge und zuletzt die beiden Menschen, Adam und Eva; deren Geschlecht vermehrte sich und verbreitete sich über die ganze Erde. Weil die Mehrzahl der Menschen sich den Begierden der Welt überließ und Gottes Gebote übertrat, schickte Gott die Sintflut, aus der nur Noah mit den Seinen entkam. Von ihnen stammen die späteren Geschlechter ab. „Aber wieder ward es wie vorher, daß, da sie sich vermehrten und die Erde besiedelten, die große Menge der Menschen das Streben nach Gut und Ehre höher stellten als den Gehorsam gegen Gott, und es kam so weit, daß sie Gott nicht einmal mehr nennen wollten; wer aber sollte dann ihren Söhnen von Gottes Großtaten erzählen? So kam es, daß sie Gottes Namen vergaßen, und rings in der Welt fand sich niemand, der etwas von seinem Schöpfer B a e t k e , Götterlehre

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wußte. Trotzdem gewährte Gott ihnen irdische Gaben, Gut und Glück, dessen sie in der Welt zuteil werden sollten, verlieh ihnen auch Klugheit, so daß sie alle irdischen Dinge und alles, was sie von der Luft und der Erde sehen konnten, verstanden". So beobachteten sie die Natur der Erde, der Tiere und der Yögel, das Wachstum der Pflanzen und Bäume und schlössen daraus, daß die Erde lebendig sei, auch daß sie sehr alt und mächtig sein müsse, da sie alles Lebendige gebäre und alles, was stirbt, wieder zu sich nehme; daher gaben sie ihr einen Namen und führten ihr Geschlecht auf sie zurück. „Desgleichen erfuhren sie von ihren älteren Verwandten, daß, seitdem viele Hunderte von Jahren vergangen \varen, noch immer dieselbe Erde und Sonne und dieselben Gestirne seien, der Wandel der Gestirne aber ungleich sei: einige hätten längeren Gang, einige kürzeren. Aus solchen Stücken vermuteten sie, daß irgend jemand der Lenker der Gestirne sein müsse, der ihren Gang nach seinem Willen regelte, und daß der sehr gewaltig' und mächtig sein müsse, und sie meinten, daß, wenn er über die wichtigsten Teile der Schöpfung herrsche, er auch vor den Gestirnen dagewesen sein müsse; auch sahen sie ein, daß, wenn er den Gang der Gestirne lenkte, er über den Sonnenschein und den Tau aus der Luft und die davon abhängige Fruchtbarkeit der Erde walten müsse, und desgleichen über die Winde in der Luft, die Stürme auf der See. Sie wußten zwar nicht, wo sein Reich war; aber das glaubten sie, daß er über alle Dinge auf Erden und in der Luft und über die Gestirne des Himmels, über die See und das Wetter waltete. Damit man aber besser davon sprechen und es im Gedächtnis behalten könne, gaben sie von sich aus allen Dingen Namen. Und dieser Glaube hat sich auf mannigfache Weise abgewandelt, in dem Maße, wie sich die Völker teilten und die Sprachen sich verzweigten. Aber alle Dinge verstanden sie mit irdischem Verstände, denn geistliche Weisheit war ihnen nicht verliehen; so urteilten sie, daß alle Dinge aus irgendeinem Stoff gemacht worden seien." Die Hauptpunkte dieser Lehre sind folgende: Die Menschen

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Die Götterlehre der Snorra-Edda

haben in ihrer Sündhaftigkeit sich von Gott abgekehrt, so daß sie ihn nicht einmal mehr nannten und seinen Namen vergaßen. Schließlich wußte in der ganzen Welt niemand mehr etwas von seinem Schöpfer; den wahren Gott hatte man also vergessen. Mittels des Verstandes aber, den er ihnen verliehen hatte, schlössen die Menschen aus gewissen Erfahrungen, besonders aus der Beobachtung des (ungleichen) Wandels der Gestirne, daß es einen mächtigen Lenker der Gestirne geben müsse, der schon vor diesen existiert habe, und glaubten von ihm, daß er über alle Dinge im Himmel und auf Erden walte. So bildete sich also auf Grund natürlicher Erkenntnis eine neue Gottesvorstellung heraus, und der Glaube an einen solchen mächtigen Lenker der Welt verbreitete sich allmählich über die ganze Erde, nahm jedoch bei den verschiedenen Völkern und in den verschiedenen Sprachen verschiedene Gestalt an. Diese natürliche Theologie ist es, wie ich glaube, von der man ausgehen muß, um die Odinslehre von Gylf. zu verstehen. Es wird zwar nicht ausdrücklich gesagt, ist aber zweifellos die Meinung des Verfassers: jener Gott, den die Menschen kraft ihrer Vernunft als den Alleswalter erkannt haben, an den alle Völker glauben, wenn dieser Glaube auch in verschiedenen Formen auftritt, der wird bei den Nordleuten Odin genannt. Mit anderen Worten: Odin ist für den Verfasser der Gylf. der Gott der natürlichen Religion, der aus seinen Werken auch von den Heiden zu erkennen ist. Das ist der Grund, warum Odin so hoch über die anderen Götter hervorgehoben wird. Schon |die Anordnung des Stoffes zeigt das; zuerst (cap. 3) wird Alfoör behandelt, dann die Kosmologie und Eschatologie (cap. 4—17) und dann erst die übrigen Asen. Ferner kommt die Ausnahmestellung des Gottes darin zum Ausdruck, daß, während für die übrigen Götter in der Edda stets die Form god (ntr.) gebraucht wird, allein mit Bezug auf Odin guö gebraucht wird, noch dazu als masc. (sd guö, cap. 3), ein Gebrauch, der sonst im Altnordischen auf den christlichen Gott beschränkt ist (vgl. M. CAHEN, Le mot Dieu en Vieux-Scandinave). Von da aus erfahren die 4

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zunächst so widerspruchsvoll erscheinenden Aussagen über Odin fast alle eine befriedigende Aufklärung, und es stellt sich ein sinnvoller Zusammenhang heraus. Als J?riöi in cap. 20 die 46. Strophe der Grimmsmal mit den Odinsheiti anführt und Gangleri seine Verwunderung über die vielen Namen ausdrückt, gibt er diesem folgende Erklärung: „Es gehört viel Verständnis dazu, das genau zu erklären, doch in Kürze kann ich dir so viel sagen, daß die meisten Namen aus dem Grunde gegeben worden sind, weil es soviel Sprachzweige in der Welt gibt; deswegen glauben alle Völker es nötig zu haben, seinen Namen in ihre Sprache zu übertragen, um ihn ihrerseits anrufen und zu ihm beten zu können." Hier wird also aus der allgemeinen Bemerkung im vorletzten Satz des 1. cap. des Formäli die spezielle Anwendung auf Odin gemacht, indem seine Namen als Folge der Sprachverzweigung erklärt werden1. Ebenso ergeben sich auch die Aussagen des 3. cap. über die Eigenschaften und Fähigkeiten des Gottes als Folgerungen aus dem, was im 1. cap. des Formäli über den Gottesglauben der heidnischen Völker gesagt wird. Wenn es z. B. von Odin heißt: kann

stjdmar

qllu riki

sinu

oh rcedr ollum

hlutum,

störum ok

smam

(wiederholt in cap. 20: kann rcedr ollum hlutum), so entspricht das dem Satz des Formäli: en ftvi trüöußeir at hann red ollum, hlutum d joröu ok i lopti himins usw. Die Bemerkung im Formäli: fd 1

Denselben Gedanken äußert der dritte der von G. H. BODE herausgegebenen Mythographen (Scriptores rerum mythicarum latini tres, 1834), der nach Thilo Hagen etwa im 10. Jahrhundert geschrieben hat: Nam philosophi . . . unum dicunt deum esse coeli et terrae rerumque omnium procul dubio creatorem, hic tarnen ab iisdem pro multiplici dispositione, qua diversis modis regitur mundus, variis item vocabulis appellatur (a. a. 0., S. 152). Besteht zwischen Snorri und diesem Mythographen ein Zusammenhang? R. M. MEYER, der diese Frage aufgeworfen hat (Ark. f. n. F. 28, N. F. 24, S. 109 ff.), kommt zu dem Ergebnis, daß eine direkte Abhängigkeit nicht nachzuweisen ist, viel aber dafür spricht, daß ein gelehrtes Werk vom Typ jenes Mythographen Snorri bei der Anlage der Gylfaginning und der technischen Behandlung seines Stoffes als Vorbild gedieht hat.

Die Götterlehre der Snorra-Edda

vissu fieir eigi hvdr rihi hans var dient dazu, den

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zum christlichen Gottesglauben hervorzuheben — die Christen kennen Gott und sein Reich, die Heiden haben dieses Wissen verloren — und dieser Hinweis muß folgerichtig in die Odinstheologie der Gylf. übertragen werden. Die Mitteilung Hars ü b e r Odin als S c h ö p f e r

(kann smiöadi

himin oh jorö oh lojri oh

alla eign ßeira) hat zwar im Formäli keine direkte Entsprechung (auf einen Schöpfergott läßt er die Menschen merkwürdigerweise nicht schließen), ist aber doch in gewisser Weise vorbereitet d u r c h die W o r t e : svd shilöu fieir at allir hlutir

vezrismiöadir

af nohhuru efni, denn wer sollte den Himmel und die himintungl „geschmiedet" haben wenn nicht der, der sie lenkt und schon vor ihnen da war? Auch der Satz „lifir hann of allar aldir" (AM. 1,38,6) will Odin, wie sich nun zeigt, nicht ein christliches Mäntelchen umhängen, sondern hält sich im Rahmen derselben natürlichen Theologie. Da der Alleswalter schon vor der Welt da war, so lebt er eben „durch alle Zeiten". Man muß dabei nur nicht an die christliche Ewigkeit denken; old ist das Zeitalter (und die Menschen, die in ihm leben), saeculum, mit den aldir ist also die Weltzeit gemeint (wenn es nicht „die Generationen" bedeutet). Darum steht dieser Satz auch nicht im Widerspruch zu Ragnarök, denn wenn die Welt untergeht, gibt es auch keine old mehr, keine Zeit, in der Menschen leben. Mit dem allen soll natürlich nicht bestritten werden, daß diese Bestimmungen dem Christentum entlehnt sind; aber es kommt darauf an, die Absicht des Verfassers festzustellen, und diese ging nicht darauf aus, das Bild Odins mit christlichen Farben zu malen, um ihn so dem Christengott anzuähneln, sondern er wollte auf seine Weise das Gottesbild der natürlichen Religion zeichnen. Auch dieses erfand er nicht selbst, sondern entnahm es der Lehre der Kirche, die sich auf den beiden Grundgedanken aufbaute: die in Sünden verfallenen Menschen haben die Kenntnis des wahren Gottes verloren, doch ihre Vernunft befähigt sie, ihn aus seinen Werken zu erkennen. Gregor I. schreibt in den Moralia I, 1: Derart war die Heiden weit der

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Sünde pflichtig, daß sie die Kenntnis ihres Schöpfers verlor1. Und dieser Gedanke wird in den kirchlichen Schriften des Frühmittelalters häufig behandelt2. So hat ihn auch MARTIN VON BRACARA zum Ausgangspunkt für seine Theogonie genommen, und in der isländischen Übersetzung seiner Schrift erscheint er in der Form: sao eigi skynsemdar augom (mit vernünftigen Augen)

a vam drottenn er fia sTcop (Hauksbök, S. 157)3. Die Lehre von der natürlichen Gotteserkenntnis geht auf Paulus zurück, besonders auf die Stelle Römer 1, 20: Invisibilia enim ipsius, a creatura mundi, per ea quae facta sunt, intellecta, conspiciuntur. Diese Lehre kehrt bei den Theologen des Frühmittelalters, die über die Heiden schreiben, immer wieder; man deutete, wie Söderblom einmal gesagt hat, in der alten Kirche und im Mittelalter das griechische religiöse Denken wie das eigene Philoso1

Gentilitas autem eo obligata vitiis extitit, quo cognitionem sui conditoris ignoravit. 2 Auch der Heliand-Dichter hat diesen Gedanken aufgenommen; in der auf Bedas Lucas-Kommentar zurückgehenden allegorischen Ausdeutung der Geschichte von dem Blinden von Jericho wird gesagt, daß der Teufel Adam und Eva verführte: bisuek sie mid sundiun, und die Folge war, daß sie'fargätun godes rikiee, gramon t h e o n o d u n . . . Bethiu wärun siu an iro hugi blinda . .., huand siu ine ni antkiendun, craftagne god, himilisken herron, thene the sie mid is handun giscöp, giwarhte an is willion (3603—9). 3 In merkwürdiger Anwendung kehrt das Motiv vom vergessenen Namen Gottes in einer Episode der Guömundar prests saga wieder (Sturlunga Saga, udg. af det Kong. nord Oldskrift-Selskab, 1906—11, Bd. I, S. 137). Während eines Schiffbruchs fragt der Schiffsführer den Priester Gudmund, der sich an Bord befindet, ob er den höchsten Namen Gottes kenne. Er antwortet, er glaube mit dem Apostel Paulus, daß kein anderer Name Gottes höher sei als der Name Jesu und der Heiligen. Jener antwortet: Ich bin anderer Meinung, und mich dünkt, der ist kein Priester, der den höchsten Namen Gottes nicht kennt. Dann wendet er sich an die Schiffsbesatzung und fragt einen nach dem anderen, doch keiner weiß es, bis man ihn zuletzt an einen Mann namens Einar Nefja verweist. Dann heißt es „und er nannte den Namen", doch wird seine Antwort nicht mitgeteilt. Ich habe das Rätsel, das diese Erzählung aufgibt, nicht lösen können. Der Vorgang hat sich im Jahre 1180 abgespielt, darum ist er auch für unsere Erörterung nicht belanglos.

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phieren über die Religion als ein Erzeugnis der Vernunft 1 . In einem Brief Alcuins an Karl den Großen findet er sich in einer Formulierung, die der des Formáli sehr nahesteht, weil auch dort die Beobachtung der Gestirne als Ausgangspunkt der Gotteserkenntnis genommen wird: Nam philosophi, schreibt Alcuin, nachdem er den Gang der Sonne durch die Sternbilder geschildert hat, non fuerunt conditores harum artium, sed inventores. Nam Creator omnium rerum condidit eas in naturas sicut voluit. Uli vero, qui sapientiores erant in mundo, inventores erant harum artium in naturis rerum, sicut de solé ét luna et stellis facile potes intelligere. Q u i d a l i u d i n s o l e e t l u n a e t s i d e r i b u s c o n s i d e r a m u s e t m i r a m u r , nisi sapientiam Creatoris et cursus illorum naturales ? Fertur itaque, Abraham patriarcham e x a s t r o l o g i a e r a t i o n e c r e a t o r e m Deum intellexisse et venerasse. (Migne, Patr. lat., Bd. 100, Sp. 271/72.) Daß hier diese natürliche Gottes erkenntnis an Abraham geknüpft wird, erklärt sich daraus, daß Abraham als der Patriarch galt, der zuerst, noch vor Mose, die wahre Gotteserkenntnis besaß; seine Verbindung mit der Astrologie gründet sich auf Gen. 15, 5. Es ist durchaus möglich, daß Snorri die AlcuinStelle oder eine ähnliche bekannt gewesen ist und daß er aus ihr den Gedanken, die Erkenntnis des höchsten Gottes hätten die Menschen aus der Sternenkunde gewonnen, entlehnt hat 2 . Für die übrigen der oben (S. 43) aufgeführten Punkte der 1

N. SöDERBLOM, Natürliche Theologie u. allgem. Religionsgesch., S. 59. Sigur gur Nordal, der bereits bemerkt hat, daß im Formáli nicht nur eine natürliche Schöpfungsgeschichte, sondern auch eine natürliche Erklärung von dem Anfang der Religionen enthalten ist, scheint diesen Zusammenhang zu verkennen und zu meinen, Snorri habe darin Anschauungen über die Welt entwickelt, die er sich selbständig gebildet hatte (a. a. O., S. 126). Davon kann keine Rede sein. Es ist nicht schwer, für jeden einzelnen Punkt eine Parallele in einem Kirchenvater oder christlichen Schriftsteller anzugeben. So findet sich z.B. der Gedanke, daß die Heiden die Erde für lebendig hielten, bei AUGUSTIN, De Civitate Dei, VII, S. 23. Die entsprechende Stelle in der Heimlysing lautet: 2

fyrir

pui

blotadu

peir

hana

(sc. igrd),

at par

foedist

huatvetna

(Hauksb., S. 158); sie geht wieder auf Martin von Bracara zurück.

vi ,

hana

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Odinstheologie der Gylf. lassen sich zwar keine Stellen des Formäli nachweisen, an die sie sich anlehnen; aber es kann von ihnen gesagt werden, daß sie sich alle in den Rahmen der natürlichen Theologie durchaus einfügen. Die Kirchenlehre schrieb den Heiden neben der Fähigkeit, Gott aus seinen Werken zu erkennen, auch ein Gewissen und damit die Erkenntnis von Gut und Böse zu (auch dies auf Grund einer Paulusstelle, nämlich Römer 2, 14—15); darum fürchten die Menschen überall, für ihre bösen Taten bestraft zu werden und hoffen auf Belohnung für gute Werke. Damit verbindet sich die Vorstellung von einem Paradies, in dem die Guten in Freuden leben werden. Das alles ist natürliche Theologie, und es ist wohl zu beachten, daß von den eigentlichen christlichen Offenbarungswahrheiten im Formali und in der Gylf. keine erwähnt wird. Es ergibt sich also, daß die im Formäli entwickelte Religionstheorie sich in Gylf. fortsetzt, allerdings mit der Beschränkung auf Odin. Dieser ist als der Gott der im Formäli entwickelten allgemeinen Religion gedacht, so wie ihn die Nordleute (Asen) sich vorstellten — als der höchste Gott, der Weltenlenker und Allvater. Hierin liegt der Grund dafür, daß er eine so bevorzugte Stelle vor den anderen Göttern in Gylf. einnimmt. Er ist aber durchaus ein heidnischer Gott, nicht der christliche und auch nicht ein Transparent, durch das der christliche hindurchscheinen soll 1 . Wenn also Har unmittelbar auf Jriöis erhabene Schilderung vom Leben der Guten bei Allvater in Gimle die Auskunft gibt, dieser selbe Allvater sei vor der Erschaffung der Erde und des Himmels bei den Reifthursen gewesen, so befremdet das zwar den, der sich vorher an christliche Vorstellungen erinnert fühlte, ist im Sinne des Verfassers aber durchaus logisch und unanstößig, da nach seiner Meinung die 1 Wie auch F. W. MüLLER festgestellt hat, ist Alfpör als Bezeichnung des christlichen Gottes nicht eindeutig nachzuweisen. — Völlig verkehrt aufgefaßt wird das Verhältnis von KUHIN, wenn er meint, dieser Allvater entspreche der Vorstellung, die Snorri selbst von dem höchsten Gotte gehabt habe, und sie sei von Odin abgespalten.

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Gotteserkenntnis der Heiden eben eine unvollkommene ist, denn sie vermögen nur mit irdischer, nicht mit geistlicher Weisheit zu erkennen; den wahren Gott haben sie vergessen, und wo sein Reich ist, wissen sie nicht. So schließt sich denn auch die Erzählung von Odins Herkunft und Geburt in cap. 6 folgerichtig an; dieser Sprößling aus Riesengeschlecht ist kein anderer als der Allvater, der Himmel und Erde gemacht hat. Löst sich so im Licht des Formali der Widerspruch zwischen den verschiedenen heterogenen Aussagen über Odin auf, so mußte doch die — auf einen Urmonotheismus hinauskommende — Odinstheologie notwendig in Konflikt mit der überlieferten Götterlehre geraten, die ja doch eine polytheistische Religion bezeugt. Auch das hat Snorri nicht übersehen, und er hat auch dafür einen Ausweg gefunden: indem er nämlich Odin, den er als höchsten Gott kannte, nun auch zum Vater der übrigen Götter machte, die dadurch auf einen niedrigeren Rang verwiesen werden. Dadurch war gleichsam ein Kompromiß zwischen dem Polytheismus der Mythen und dem Monotheismus der natürlichen Theologie geschaffen. Dieser Gedanke ist es, wie ich glaube, vor allem, den Snorri mit dem Namen Alfoör ausd r ü c k e n wollte (vgl. cap. 8: fyrir fivi mahannheita

Alfoör

athanner

faöir allra goöanna)'- die Bedeutung, die er diesem Namen offensichtlich beilegt, erklärt sich daraus, daß er in ihm gleichsam das Schlußstück seines theologischen Gebäudes sah. — Von der Grundlage dieser Odinstheologie erschließt sich endlich auch das Verständnis jener Bemerkung Härs am Ende des 6. cap. von Gylf., die den Erklärern soviel Kopfzerbrechen gemacht hat und in der Tat eine der schwierigsten in der SnorraEdda ist. Sie lautet in dem gemeinen Text (R, W, T) : Ok fiat er min trüa at sa Oöinn ok hans Ircedr munu vera styrandi himins ok jaröar; fiat tetlum ver at kann myni svd heita. Sva heitir sa maör er ver vitum mestan ok agaeztan, ok vel megu fteir (WT. : fiér) hann lata

sva heita (AM., Bd. I, S. 46). Ich beginne wieder mit der neue-

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sten Erklärung, die II. K U H N in dem angeführten Aufsatz diesen Worten gegeben hat. Von der schon erwähnten Ansicht ausgehend, in Snorri habe, trotzdem er Christ war, die Vorstellung von einem Allvater gelebt, „der Gottvater und Odin zugleich scheint und doch keiner von ihnen ist", faßt er die Stelle so auf, daß Snorri hier sein eigenes Glaubensbekenntnis ablege („mein Glaube" — das ist also Snorris Glaube!). „Der Sinn kann wohl nur der sein", sagt K U H N , „Odin und seine Brüder sind die Herrscher über Himmel und Erde (wie die christliche Dreieinigkeit), und ihr dürft e u r e n (namenlosen) Gott getrost Odin nennen" (a.a.S. 163). Mir scheint, daß diese Interpretation sich von selbst erledigt. Anzunehmen, Snorri habe in aller Öffentlichkeit ein feierliches Bekenntnis zu Odin abgelegt und obendrein an seine christlichen Zeitgenossen den Appell gerichtet, sie sollten ihren Gott getrost Odin nennen, heißt doeh wohl allen Beteiligten etwas zuviel zumuten. Außerdem ist die Erklärung auch mit dem Text schwer vereinbar. Sie setzt voraus, daß sd maör auf den Christengott geht, was mir völlig unmöglich scheint. Allerdings steht K U H N mit dieser Interpretation nicht allein. FRIEDRICH W. MÜLLER hat in der genannten Dissertation (S. 46) denselben Gedanken vertreten, um freilich die entgegengesetzte Folgerung daraus zu ziehen. Er will nämlich übersetzen: „Wir sind der Meinung, daß er (sc. Odin) diesen Namen (sc. styrandi Hmins oh jaröar) tragen könnte (myni!). Diesen Namen trägt (erg.: eigentlich) d a s W e s e n , das wir als das g r ö ß t e und m ä c h t i g s t e k e n n e n , und ihr könnt ihm (sc. dem Odin) ruhig diesen Namen (sc. styrandi usw.) lassen." Er weicht also von K U H N darin ab, daß er als das Prädikatsnomen zu he/ita bzw. heitir nicht Ofiinn, sondern , , s t y r a n d i himins ok jaröar" versteht; während K U H N dem Christengott den Namen Odin geben will, will MÜLLER Odin nach dem Christengott den Namen des Weltenlenkers geben; darin, daß hier der heidnische Alfoör mit dem

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christlichen Gott identifiziert werden soll, sind sie sich beide einig. Nun scheitert die MÜLLERSche Auslegung schon daran, daß styrandi himins ok jaröar kein Name ist, heita also nicht darauf bezogen werden kann, ein Argument, das übrigens MÜLLER selbst an anderer Stelle (bei der Interpretation der UFassung) gegen GERING geltend macht; in diesem Punkt trifft K U H N zweifellos das Richtige. Beide begehen aber den Fehler, daß sie die Worte aus dem Zusammenhang des Textes herausnehmen und in ihnen gleichsam eine ins Publikum gesprochene Zwischenbemerkung des Verfassers sehen. Eine vorurteilslose Betrachtung der Stelle muß davon ausgehen, daß die Sätze von Här gesprochen werden und an Gylfi gerichtet sind. Es ist klar, daß dann von dem Christengott hier überhaupt nicht die Rede sein kann (denn wie sollte Här auf ihn kommen?). Da das auf heita zu beziehende Prädikat außerdem nur Odin sein kann, kommen nur die beiden Träger dieses Namens, nämlich Alfoör und der König der Asen, in Frage. Legen wir zugrunde, was sich uns aus dem inneren Zusammenhang der Gylf. mit der Theologie des Formäli ergeben hat, so findet der erste Satz „ßat er mm trüa..."

bis „styrandihimins

ok jaröar" dadurch seine

volle Erklärung; er bestätigt seinerseits den von uns angenommenen Zusammenhang zwischen der Allvater-Theologie und der Odinsmythologie: Odin, der Sohn Bors und Bestlas, zu dem hier noch seine Brüder hinzugefügt werden, ist nach dem Glauben Härs der Lenker Himmels und der Erde, von dem in cap. 3 geredet wird. Das wird hier unmittelbar bezeugt. Etwas mehr Schwierigkeiten bereiten die beiden folgenden Sätze, die von seinem Namen handeln. Hier ist zunächst zu beachten, daß W f ü r rnegu fieir hann lata usw. fer

hat. Völlig abwei-

chend von dem gemeinen Text (R, W, T), den wir oben wiedergegeben haben, ist die Fassung in U; dort lautet die Stelle: ok fiat cetlum ver, segir Har, at sa Ofiinn ok hans breßr munu vera styrandi heims ok iarfiar; ok f>ar er sia eptir herann er ver vilom nu

mestan vera. Da der Satz in dieser Form kaum verständlich ist, hat MOGK, Beitr. 6,523, gestützt auf die Worte in X (myni svd

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heita) und eine Papierhandschrift (b), wo die Stelle ok ßar er sä eptir heitinn lautet, vorgeschlagen, statt herann: heitinn zu lesen — eine Konjektur, die schon W I L K E N (Snorra-Edda, Einleitung, S. 34) aufgestellt hatte und die viel für sich hat. MOGK will danach so übersetzen: Und danach (nach dem Regierer Himmels und der Erde) ist der benannt, den wir für den mächtigsten halten. „Odin", sagt MOGK, „heißt also der Lenker Himmels und der Erde. So passen die Worte ganz in den Mund Härs und gesellen sich zu den Worten über Alf