Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates [1 ed.] 9783428584581, 9783428184583

Grundrechtsrelevante Umweltschädigungen gehen oft von privaten Akteuren aus. Die Grundrechte nur als Abwehrrechte des Bü

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German Pages 494 Year 2022

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Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates [1 ed.]
 9783428584581, 9783428184583

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1479

Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates Von

Maximilian Weinrich

Duncker & Humblot · Berlin

MAXIMILIAN WEINRICH

Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1479

Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates

Von

Maximilian Weinrich

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Fotosatz Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-18458-3 (Print) ISBN 978-3-428-58458-1 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde 2016 begonnen, als es verhältnismäßig ruhig um die Thematik der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates geworden war. Die letzten aufsehenerregenden Entscheidungen lagen zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre zurück und das Echo in der Literatur war soweit abgeklungen, dass eine umfassende Systematisierung und Ordnung des Stoffs nahe lagen. Im Verlauf der Bearbeitung zeichnete sich ab, dass die Thematik wieder zunehmend auf gesamtgesellschaftliches Interesse stoßen würde. Die Fridays-for-Future-Proteste prägten über Monate den öffentlichen Diskurs und auch traditionell weniger ökologisch orientierte Kräfte in Politik und Wirtschaft konnten sich der Thematik nicht entziehen, wobei auch immer wieder verfassungsrechtliche Aspekte von verschiedenen Seiten ins Feld geführt wurden. In dieser dynamischen Lage wurde die Arbeit im Wintersemester 2019/2020 an der Juristischen Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg als Dissertation eingereicht. Wenige Monate später wurden die grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates durch die Corona-Pandemie in einer gänzlich neuartigen Situation zur Anwendung gebracht. Im Mai 2021 erfolgte der jüngste, weit über die Kreise der Rechtswissenschaft hinaus vernehmbare, juristische Paukenschlag in Bezug auf die Schutzpflichtendogmatik im Umweltbereich – die Veröffentlichung des Klima-Beschlusses durch das Bundesverfassungsgericht. Der Beschluss – enthält er auch einiges Neues, wie die Figur der eingriffsähnlichen Vorwirkung – bestätigte wesentliche Teile der traditionellen Schutzpflichtenrechtsprechung und musste sie nicht etwa hinter sich lassen, um zu seinem aufsehenerregenden Ergebnis zu kommen. Die vereinzelten Neuerungen, die der Beschluss über die bisher etablierte Dogmatik hinaus brachte, werden im Nachwort zu dieser Arbeit gewürdigt. Mein Dank gilt in erster Linie meinem Doktorvater Prof. Dr. Ralf Brinktrine, der mich bei der Auswahl des Themas beriet, ohne zu diktieren, der mir die nötige wissenschaftliche und persönliche Freiheit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an seinem Lehrstuhl bot, aber dennoch die fachliche Beratung und Unterstützung leistete, wo sie gefragt war, und der die Arbeit sowohl zügig als auch mit großer Gründlichkeit votierte. Meinen Eltern Brigitte Fischer-Weinrich und Matthias Weinrich gebührt besonderer Dank für mehr Dinge als dieses Buch Seiten hat, aber vor allem dafür, dass sie mich mit den Fähigkeiten in die Welt entlassen haben, die es ermöglichen, in ihr zu bestehen. Ganz besonderer Dank gilt meiner

6

Vorwort

Verlobten Katharina Schörk, die insbesondere in der anstrengenden Endphase der Schreibarbeit aufbauend, verständnisvoll, rücksichtnehmend, hilfsbereit, beratend und liebevoll unterstützend zum Gelingen der Arbeit beitrug. Gedankt sei zudem meiner hochgeschätzten Lehrstuhlkollegin Karen Ungerer für ihren fachlichen Rat, dafür, dass wir uns in der Zeit der Promotion gegenseitig gestützt haben, dass wir uns als Kollegen blind und vorbehaltslos aufeinander verlassen konnten und dass wir gemeinsam im Mahlwerk des akademischen Betriebs so viel Kurzweil und vergnügliche Momente verlebten. Mein Dank gebührt auch Prof. Dr. Eckhard Pache dafür, dass er sich bereit erklärte, das Zweitgutachten zu übernehmen, sowie Helen Borchardt, Michelle Kremser, Valerie Merz und Hanna Stengel für ihre wertvollen Anmerkungen zum Manuskript. Würzburg, im März 2022

Maximilian Ulrich Matthias Weinrich

Inhaltsübersicht Einleitung

19

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

1. Kapitel Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

32

A. Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

B. Staatstheoretische Herleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

C. Rechtspositivistische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

D. Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . .

43

E. Herleitung aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip . . . . . . .

46

F. Abwehrrechtliche Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

G. Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

H. Theorie von der objektiven Wertordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

I. Diskurstheoretische Deutung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

2. Kapitel Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

84

A. Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

B. Schutzrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

C. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 E. Auslösung der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Kapitel Analyse der Rechtsfolgenseite

220

A. Systematisierung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 B. Gesetzgebungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226

8

Inhaltsübersicht

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 D. Grundrechtsunmittelbare Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 E. Vertikale Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 4. Kapitel Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten im demokratischen Rechtsstaat

341

A. Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld . . . . . . . 341 B. Subjektiv-rechtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 C. Objektive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 5. Kapitel Ausblick

406

A. Klimaklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 406 B. De constitutione ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 C. Deutet das Verfassungsrecht über sich selbst hinaus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 6. Kapitel Zusammenfassung

419

7. Kapitel Nachwort

427

A. Der Klimabeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 B. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

Inhaltsverzeichnis Einleitung

19

A. Problemaufriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

B. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Länder und Kommunen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Supranationale Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Private . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23 23 26 26 27 27 29 29 30

1. Kapitel Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

32

A. Die Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Michael Kohlhaas und die staatliche Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das Recht des Stärkeren und die Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 32 34

B. Staatstheoretische Herleitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vertragstheoretiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Drei-Stufen-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Radikal zweckorientierte Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Naturrechtliche Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35 35 36 38 39

C. Rechtspositivistische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

D. Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . I. Theorie vom Menschenwürdekern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Menschenwürde als Grund der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43 43 45

E. Herleitung aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip . . . . . . .

46

F. Abwehrrechtliche Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Begründung der Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48 48

10

Inhaltsverzeichnis II.

Schwächen der Einheitstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unübersichtliche Kausalitätsketten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verbotenes Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fehlen gesetzlicher Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sachverhalt mit grenzüberschreitendem Bezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 50 50 51 52

G. Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 H. Theorie von der objektiven Wertordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anfänge der Wertordnungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anfänge der Wertordnungsrechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frühe verfassungsgerichtliche Schutzpflichtenrechtsprechung . . . . . . . . 3. Erste Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schleyer-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Kalkar I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwangsversteigerung III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Mülheim-Kärlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Jüngere Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kritik des Wertordnungsdenkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Begründung für das Wertordnungsdenken . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mangelnde Bestimmbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Das Attribut „objektiv“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vom Hüter zum Herren der Verfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56 56 58 58 60 61 63 64 66 66 67 71 71 72 73 75 78 79

I. Diskurstheoretische Deutung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Kapitel Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten A. Verpflichtete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Staatliche Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundrechtsbindung Privater . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frühe Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte . . . . 2. Jüngste Wiederentdeckung der unmittelbaren Drittwirkung? . . . . . . . . . 3. Mittelbare Drittwirkung als Unterfall der Schutzpflicht im Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84 84 84 85 86 86 89 90

B. Schutzrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

Inhaltsverzeichnis I. II.

11

Das Dreiecksverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkung außerhalb eines klassischen Dreiecksverhältnisses . . . . . . . . . . . . 1. Schutz vor dem Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schutz vor ausländischen Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz vor Naturkatastrophen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtswidrigkeit des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Katastrophenschutz als spezielle Aufgabe im Grundgesetz . . . . . . . c) Differenzierung nach Ursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Schutz gegen sich selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90 92 92 93 98 100 100 101 102 105

C. Reichweite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Räumliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Personell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tiere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit: Anthropozentrischer Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zeitliche Dimension . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ethische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Das future individual paradox . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Normative Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. One-Way-Door-Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 106 108 109 111 111 113 113 114 116 119 120 121

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umweltpflichtigkeit der Schutzbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Umweltgrundrecht und Umweltgrundpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Art. 20a GG als Umweltgrundrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gegenstand und Wirkung des Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nebeneinander von Staatsziel und grundrechtlichen Umweltschutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verminderung des verfassungsrechtlichen Umweltschutzstandards durch Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Art. 1 I GG: Das Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum . . . . . . . V. Art. 2 II 1 GG: Das „Ersatz-Umweltgrundrecht“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Psychische Unversehrtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Recht auf Erholung in der Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bagatellvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122 122 125 126 128 130 130 131 132 133 134 136 136 137 138

12

Inhaltsverzeichnis d) Schutz überdurchschnittlich empfindlicher Grundrechtsträger . . . . . e) Exkurs: Infraschall von Windenergieanlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Art. 3 GG: Anspruch auf gleichen Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Art. 4 I GG: Umwelt und Religion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Art. 5 GG: Umweltinformationsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Art. 11 GG: Freizügigkeit und Heimatschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Recht auf Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Katastrophenschutzrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Art. 12 I GG: Erhalt der Umweltnutzungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bestandsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zugang zu natürlichen Ressourcen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Art. 13 I GG: Umweltschutz und Wohnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Art. 14 I GG: Umweltschutz als Eigentumsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Immissionsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Substanzschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vermögensschutz und Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sozialpflichtigkeit des Eigentums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Eigentum als Instrument des Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Art. 2 I GG: Allgemeines Umweltgrundrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIV. Rangordnung der grundrechtlichen Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Systematische Rangordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gesundheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Eigentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Berufsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

138 139 141 141 144 146 148 148 151 152 152 153 154 155 155 157 158 159 161 162 164 165 168 169 170 172 172 173 173 174

E. Auslösung der Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Schädigung anstelle des Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Eingriffscharakter staatlicher Genehmigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abgrenzung von staatlichen und privaten Eingriffen . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Erheblichkeitsschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Auslösung unter Unsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gefahrenschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der klassische Gefahrbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der moderne Gefahrbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 174 175 178 180 182 182 183 183 184

Inhaltsverzeichnis c) Die umweltschutzrechtliche Gefahrenschwelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Risikovorsorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Risiko in der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Definitionen und Abgrenzungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schadensbezogener Risikobegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhaltensbezogener Risikobegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kontingenter Risikobegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Kontingenz und Komplexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Binnendifferenzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Sieben (Un-)Sicherheitsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Restrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herleitung des Restrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Wirkung des Restrisikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zuordnung eines Risikos zum Restrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kritik an der Vorstellung vom Restrisiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Vermittelnder Standpunkt und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Restgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prinzipientheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Iudex non calculat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Komparative Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Hinreichende Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kritik an Übergriffsschwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 186 187 188 192 192 193 194 196 197 198 201 201 202 203 205 206 207 207 208 211 211 212 215 216 217 218

3. Kapitel Analyse der Rechtsfolgenseite

220

A. Systematisierung der Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einteilung nach adressierter Staatsgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Primäre und sekundäre Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Grundrechtliche und gesetzesmediatisierte Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . IV. Funktionale Systematisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

220 220 221 223 225

B. Gesetzgebungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Regulierungsaufträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Instrumentale Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ge- und Verbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

226 227 229 230 230

14

Inhaltsverzeichnis aa) Grenzwertfestsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Administrative Normsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nichtstaatliche Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Begrenzte Steuerungswirkung von Verboten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umweltbezogener Grundrechteschutz durch Verfahren . . . . . . . . . . . aa) Organisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kooperationsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Anhörung Betroffener . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Grundrechtsschutz, Bestandskraft und Präklusion . . . . . . . . . . . . ff) Begründungserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Zusammenfassung und Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Genehmigungsvorbehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Interventionsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ausgestaltung des Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zu Strafen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Inhaltliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorsichtsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Nachhaltigkeitsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschlechterungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abstandsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Dialektik vorsorgenden Umweltschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Nachsorgeprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verursacherprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsvergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Landesverfassungsrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ableitung durch erweiterte Verfassungsexegese . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Effektivitätsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Überprüfungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nachbesserungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Prüfungsdichte der Überwachungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Überwachungspflicht der Exekutive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Schutzpflichten als Grundrechtsschranke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundrechte unter einfachem Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vorbehaltlos gewährte Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

231 235 239 241 241 243 244 245 248 249 251 253 254 255 258 259 262 267 268 271 272 273 275 276 277 278 279 279 281 283 284 286 287 288 290 291 292 293 293 294

Inhaltsverzeichnis

15

3. Grundrechte unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . 295 4. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verwaltungsermessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ermessenszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ermessensgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Subjektivierung von Ermessensnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Planungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unbestimmte Rechtsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Normative Ermächtigungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bundesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Reaktionen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausstrahlungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zivilrechtliche Legalisierungswirkung aufgrund öffentlich-rechtlicher Genehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einfluss öffentlich-rechtlicher Grenzwerte auf das zivilrechtliche Nachbarrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Grundstücke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verhältnis von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Umweltschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Strafgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Privater Umweltaktivismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . D. Grundrechtsunmittelbare Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bildung und Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Subventionen und Leistungsverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Exkurs: Gubernative und grundrechtliche Umweltschutzpflichten am Beispiel des Atommoratoriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einfachgesetzliche Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Atommoratorium als Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten . . . . .

298 299 300 301 302 304 306 307 308 308 309 310 312 313 313 314 314 315 315 317 317 320 320 322 323 324 324 325

E. Vertikale Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Umfassende grundrechtliche Gesetzesersetzungsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . II. Unbedingter Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vermittelnde Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

329 329 330 332

16

Inhaltsverzeichnis IV.

Exkurs: Gentechnikentscheidung des VGH Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Selbstermächtigung des VGH Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Befürworter der Gentechnikentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an der Gentechnikentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Alternativen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

335 335 336 336 338 339

4. Kapitel Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten im demokratischen Rechtsstaat

341

A. Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld . . . . . . . 341 B. Subjektiv-rechtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Verfassungsbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Beschwerdegegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte . . . . . . . . . . a) Der Begriff des subjektiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das subjektive Recht im System des Öffentlichen Rechts . . . . . . . . . c) Objektive Schutzpflichten und subjektive Schutzrechte . . . . . . . . . . . aa) Subjektive Schutzrechte als Grundlage der Staatlichkeit . . . . . . bb) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . cc) Schutzpflicht und Schutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Antragsbefugnis staatlicher Stellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fachgerichtliche Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Exkurs: Wiener Flughafen-Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bewertung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufhebung der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Reaktionen im Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Rechtsschutzlücken in subjektiven Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

345 346 346 347 348 348 349 350 351 352 355 358 359 360 363 364 365 367 368 370 371

C. Objektive Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Konkrete Normkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abstrakte Normkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Organstreitverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Altruistische Verbandsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Verbleibende Rechtsschutzlücken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

372 373 376 376 377 379

Inhaltsverzeichnis D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Einschätzungsprärogative der handelnden Staatsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . II. Menschenwürdekern als justiziable Verletzungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Triadisch abgestufter Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts . . . 1. Prüfungsumfang der Maßstabsstufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendung der Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstrakte Wertigkeit des Grundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Konkrete Betroffenheit des Grundrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Vorhersehbarkeit und Komplexität des Sachverhalts . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik an der verfassungsgerichtlichen Judikatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Untermaßverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff des Untermaßverbots . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kongruenzthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weiterentwicklung zur Effektivitätskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prozeduralisierung der Schutzpflichtenerfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Tenorierung grundrechtlicher Umweltschutzpflichtverletzungen . . . . . . . . 1. Aufhebungsentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Nichtigkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Unvereinbarkeitserklärung und Feststellungsurteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Appellentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Übergangsregelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 380 380 381 383 384 385 387 388 389 390 391 392 393 394 395 396 397 398 398 399 399 400 402 402

E. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405

5. Kapitel Ausblick

406

A. Klimaklagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ordentliche Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406 407 408 409

B. De constitutione ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Objektive Verfassungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Staatsziel Nachhaltigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Dynamische Inkorporierung des Umweltvölkerrechts . . . . . . . . . . . . . . . II. Subjektive Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Umweltgrundrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

410 411 411 411 414 414

18

Inhaltsverzeichnis 2. Haftungsrechtliche Ausgestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415 III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416

C. Deutet das Verfassungsrecht über sich selbst hinaus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 6. Kapitel Zusammenfassung

419

7. Kapitel Nachwort A. Der Klimabeschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Gegenstand des Klimabeschlusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtswegerschöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewaltenteilung und Demokratieprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Antragsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Internationale Dimension der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Verfassungsrechtliche Verbandsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kontrollmaßstab für die Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnis der Schutzpflicht zur „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ . . . . . 4. Verhältnis der Schutzpflichten zu Art. 20a GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

427 428 429 430 430 430 432 432 433 434 435 439 440

B. Zusammenfassende Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 492

Einleitung A. Problemaufriss Der Einfluss des Menschen auf seine Umwelt ist mittlerweile derart prägend, dass gar die Benennung eines neuen Erdzeitalters vorgeschlagen wurde. Anstelle des vorangegangenen Holozän befände die Erde sich seit Beginn des 18. Jahrhunderts im Anthropozän.1 Ressourcenerschöpfung, steigende globale Durchschnittstemperatur, zunehmende Extremwetter, Schmelzen der Polkappen, damit verknüpfter Anstieg des Meeresspiegels und das weltweite Artensterben2 sind die augenscheinlichsten Auswirkungen der menschlichen Umweltschädigung.3 Dort, wo die einfache Rechtslage nur einen unzureichenden Schutz gewährt, liegt ein Rückgriff auf die abstrakten Normen des Verfassungstextes nahe. Die wenigsten Umweltschädigungen gehen jedoch unmittelbar vom Staat aus. Dieser betreibt kaum Fabriken, hält nur einen verhältnismäßig kleinen Teil der Kraftfahrzeugflotte und handelt darüber hinaus oft als Akteur des Umweltschutzes. Die Grundrechte in ihrer Dimension als Abwehrrechte gegen den Staat in Stellung zu bringen, hilft angesichts der massiven Bedrohungslage offenbar nicht weiter. Im Umweltrecht setzt sich ein Trend fort, den Hannah Arendt bereits in den 1950er Jahren beschrieb: „Die Bedrohung der Freiheit in der modernen Gesellschaft kommt nicht vom Staat, wie der Liberalismus annimmt, sondern von der Gesellschaft.“ 4

Da sich die Staatszielbestimmung zum Umwelt- und Nachweltschutz in Art. 20a GG mangels subjektiv-rechtlicher Ausgestaltung als weitgehend zahnlos erwies und den Schutz des Bürgers in Umweltbelangen nicht zu intensivieren vermochte, liegt es nahe, auf die Grundrechte zurückzugreifen, um diesen Be1 Der Begriff wurde erstmals vom Nobelpreisträger Paul Crutzen vorgeschlagen, siehe Crutzen/Stoermer, in: IGBP Newsletter 41, Mai 2000, S. 17 ff.); vgl. hierzu auch den Nachweis bei Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 139 Fn. 105. Der Begriff ist mittlerweile breit rezipiert worden und weitgehend zustimmend in den wissenschaftlichen Diskurs eingegangen, vgl. Czybulka, in: FS für Peine, S. 37; Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 139; Grambow, Nachhaltige Wasserbewirtschaftung, S. 25; Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, S. 1 ff.; Rahmstorf, in: Essl, Biodiversität und Klimawandel, S. V. 2 In der Fachwissenschaft wird davon ausgegangen, dass die Rate des Artensterbens 10.000 mal höher ist, als sie es ohne den Menschen wäre; vgl. Hampicke, Kulturlandschaft – Äcker, Wiesen, Wälder und ihre Produkte, S. 78. 3 Aufzählung nach Rahmstorf, in: Essl, Biodiversität und Klimawandel, S. V. 4 Arendt, Vita activa, S. 331 Anm. 74.

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Einleitung

gründungen und Maßstäbe für Umweltschutzpflichten zu entnehmen. Die Forderung, die abwehrrechtliche Dominanz der Grundrechtsdogmatik zu durchbrechen und durch anspruchs-, schutz-, teilhabe-, leistungs- und verfahrensrechtliche Gewährleistungen zu ergänzen, ist deshalb immer wieder zu vernehmen.5 Die damit verbundene Frage, ob ein grundrechtlicher Anspruch auf umweltschützendes staatliches Handeln besteht, bezeichnet Kloepfer gar als „das derzeit schwierigste Grundrechtsproblem im Umweltbereich“.6 Dies liegt auch darin begründet, dass der parlamentarische Rat die Frage des Umweltschutzes in der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht als Thema von verfassungsrechtlicher Brisanz erkannte. Aus dem für Grundrechte zuständigen Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rats ist im Protokoll der 31. Sitzung überliefert: „Der Einsender der Eingabe Nr. 440 wünscht, daß der Naturschutz in die Verfassung aufgenommen wird. Wir sollten zur Tagesordnung übergehen.“ 7 Die übrigen Mitglieder erhoben keine Einwände, die uns überliefert wären. Dass der Ausschuss sich mit der Frage nicht einmal beschäftigen wollte, zeigt die Stellung des Natur- und Umweltschutzes zur Zeit der Ausarbeitung des Grundgesetzes. Als der Kontinent in Trümmern lag, war der Fokus auf den Wiederaufbau der Zivilisation gerichtet, nicht den Schutz der Natur. Die Protokolle des Hauptausschusses bestätigen diesen Eindruck. So wurde einzig bei der Zuteilung von Kompetenzen des Bundes und der Länder der Naturschutz beiläufig erwähnt und wiederum nicht vertieft behandelt. Aus den Protokollen geht nur die Ausführung des Abgeordneten Kleindinst hervor, der im Zusammenhang mit der Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern bemerkte: „Naturschutz und Landschaftspflege. Das ist politisch gar keine wichtige Sache“.8 Der für Grundrechte zuständige Grundsatzausschuss des Parlamentarischen Rates sah die Aufnahme eines Artikels zu Tierund Naturschutz nicht als notwendig an, da bereits vorkonstitutionelle einfachgesetzliche Regelungen bestünden.9 Gemeint waren das Reichstierschutzgesetz und das preußische Forstgesetz, die nach Art. 123 Abs. 1 GG fortgelten sollten. Eine ausdrückliche Normierung staatlicher Schutzpflichten im Grundgesetz ist die Ausnahme.10 In den Art. 71 ff. GG finden sich hingegen zahlreiche Formulierungen, die Schutzkompetenzen zuordnen.11 Die meisten davon beziehen sich 5

Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 94; Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 98; Rixen, DVBl. 2018, 906 (911); Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). 6 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 68. 7 Parl. Rat V, S. 907. 8 Parl. Rat XIV, S. 1573. 9 Parl. Rat V, S. 479. 10 Ausdrücklich normiert sind Schutzpflichten nur in Art. 1 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1 u. 4, Art. 16a Abs. 1 GG. 11 So z. B.: Art. 73 Abs. 1 Nr. 5a GG betrifft den Schutz deutschen Kulturgutes; Art. 73 Abs. 1 Nr. 14 GG den Schutz vor Gefahren der Atomenergie; Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG den Arbeitsschutz; Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG den Küstenschutz; Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG den Tier- und Pflanzenschutz; Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG den Natur-

B. Gang der Untersuchung

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direkt auf Materien des Umweltrechts. Grundrechtliche Schutzpflichten ergeben sich aus der Kompetenzzuordnung freilich nicht. Ebenso wenig, wie mit der Aufgabe eine Befugnis erwächst, kann mit der Kompetenz eine Schutzpflicht erwachsen. Andererseits stellt sich die Frage, ob das Staatsorgan, dem eine Schutzkompetenz zugewiesen ist, in diesem Bereich gänzlich untätig bleiben darf und – wenn dies nicht der Fall ist – inwieweit es zur Gewährleistung eines bestimmten Schutzstandards verpflichtet ist.

B. Gang der Untersuchung Die Frage der Existenz grundrechtlicher Umweltschutzpflichten lässt sich in zwei Teilaspekte untergliedern – einen strukturellen und einen inhaltlichen Teil.12 Der strukturelle Aspekt der Frage bezieht sich auf die Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten und deren rechtsdogmatische Einordnung. Der inhaltliche Aspekt bezieht sich auf die Frage, welche Umweltschutzpflichten aus den einzelnen Grundrechten folgen. Ein besonderes Augenmerk gebührt bei den Schutzpflichten zudem ihrer gerichtlichen Durchsetzbarkeit, die sich von der der Abwehrrechte unterschiedet. Im ersten Kapitel wird die Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten unter besonderer Berücksichtigung ihrer historischen Entwicklung nachvollzogen (1. Kapitel). Einige der Begründungsansätze reichen in die Zeit vor der Schaffung des Grundgesetzes zurück, wodurch ihre Grundsätzlichkeit untermauert werden kann (A., B.). Andere Ansätze orientieren sich streng am Textbefund des Grundgesetzes und kommen damit der positivistischen Kritik an naturrechtlichen und überrechtlichen Begründungsansätzen entgegen (C.–G.). Sodann wird die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nachgezeichnet, in der einige der bestehenden Herleitungsmethoden bereits aufgegriffen werden (H.). Ihre Synthese erfahren die verschiedenen Ansätze durch eine diskurstheoretische Deutung (I.). Sodann werden die Tatbestandsvoraussetzungen der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten herausgearbeitet (2. Kapitel). Hierzu zählen insbesondere die Kreise der Verpflichteten (A.), die Schutzrichtung (B.) sowie die Reichweite der Schutzpflichten in räumlicher, personeller und zeitlicher Hinsicht (C.). Daran anschließend werden die einzelnen Grundrechte auf ihre Umweltschutzgehalte untersucht und diskutiert, ob und inwieweit sich eine abstrakte Rangfolge dieser ausmachen lässt (D.). Der letzte Abschnitt befasst sich mit der Auslösung der Schutzpflicht, insbesondere in Situationen verbleibender Unsicherheit (E.). Dabei werden verschiedene Ansätze aus Literatur und Rechtsprechung dargestellt und schutz, wobei dieser in Art. 72 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 GG weiter in Naturschutz, Artenschutz und Meeresnaturschutz unterteilt wird. 12 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 411.

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Einleitung

sodann ein eigenes Modell zur Einordnung von Gefahren und Risiken herausgearbeitet (E. III. 2. b) cc)). Bei der daran anschließenden Analyse der Rechtsfolgenseite (3. Kapitel), werden zunächst die verschiedenen Möglichkeiten vorgestellt, diese zu systematisieren (A.). Zunächst werden die sich aus den Grundrechten ergebenden Umweltschutzpflichten des Gesetzgebers dargestellt (B.) und dabei in allgemeine Regulierungsaufträge, besondere instrumentale und inhaltliche Vorgaben unterschieden. Als eigenständiges Institut hat sich die Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht herausgebildet, die deshalb gesondert gewürdigt wird. Schließlich kommt den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten im Bereich der Gesetzgebung herausragende Bedeutung bei der Rechtfertigung der Beschränkung anderer grundrechtlicher Gewährleistungsgehalte zu. Neben den gesetzgeberischen bestehen die gesetzesmediatisierten Umweltschutzpflichten, die insbesondere im Bereich der exekutiven und judikativen Auslegung und Abwägung zur Geltung drängen (C.). Daneben bestehen grundrechtsunmittelbare Umweltschutzpflichten für die Exekutive außerhalb des Bereichs der Eingriffsverwaltung (D.). Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten richten sich an alle Staatsgewalten, je nach ihrer besonderen Ausgestaltung und ihres Aufgabenbereichs im gewaltengeteilten Staat (E.). Für den Fall eines schwerwiegenden Unterlassens des Gesetzgebers, die für ihn bestehenden Umweltschutzpflichten umzusetzen, wird der Frage nachgegangen, ob eine grundrechtsunmittelbare Notbefugnis für die anderen beiden Gewalten bestehen kann (F.). Im vierten Kapitel werden die Möglichkeiten einer, insbesondere verfassungsgerichtlichen, Durchsetzung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten im demokratischen Rechtsstaat untersucht (4. Kapitel). Zunächst wird das Spannungsfeld der Grundrechtsgebundenheit des einfachen Gesetzgebers und der Stellung des Bundesverfassungsgerichts im System der Gewaltenteilung diskutiert (A.). Darauffolgend werden subjektive (B.) und objektive (C.) Klagearten dahingehend untersucht, inwieweit sich die Umsetzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten mit ihnen kontrollieren lässt. Ganz wesentlich für alle Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ist die materielle Prüfungsdichte, die gegenüber den einzelnen Staatsorganen unterschiedlich gehandhabt wird (D.). Die Arbeit schließt mit einem Ausblick in zukünftige Entwicklungen, dieses von Starrheit des Normbefundes und Dynamik der durch sie zu bewertenden Sachverhalte geprägten Rechtsgebietes (5. Kapitel). Zuvorderst zu nennen sind die in jüngster Zeit viel beachteten sogenannten „Klimaklagen“, von denen zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Arbeit in Deutschland noch keine endgültig entschieden wurde (A.). Schließlich folgt eine Auseinandersetzung mit den mannigfaltigen Vorschlägen zur Fortschreibung der Verfassung, um weitere Umweltschutzbestimmungen, von denen sich viele bereits aus dem vorhandenen Normbestand, wie im Laufe dieser Arbeit zu zeigen sein wird, herleiten lassen, weshalb

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen

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es weniger einer Fortschreibung als einer Umsetzung der verfassungsrechtlichen Vorgaben bedarf (B.). Die zentralen Thesen und Ergebnisse der Untersuchung werden am Ende der Arbeit zusammengefasst (6. Kapitel).

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen Gerade diejenigen Termini, die täglich mit der allergrößten Selbstverständlichkeit verwendet werden, erscheinen bei näherer Betrachtung begrifflich oft unscharf.13 Der Untersuchung vorangestellt sei deshalb eine nähere Bestimmung der Begriffe, die auch der Eingrenzung des Themas dient.

I. Umwelt Der Begriff der Umwelt, wie er der modernen Umweltwissenschaft zu Grunde liegt, geht im Wesentlichen auf den Biologen Jakob Johann von Uexküll zurück.14 Demnach ist die Umwelt eines Lebewesens „die Beziehungen zu der ihn umgebenden Welt“.15 Der Begriff der Umwelt ist damit nicht identisch mit dem der Umgebung. Umgebung ist räumlich und nicht kausal definiert. Auch andere Lebewesen gehören somit zur Umwelt des Lebewesens, sofern diese miteinander in Beziehung stehen. In seiner weitesten Auslegung umfasst der Begriff der Umwelt auch die Beziehungen der Menschen untereinander, da jeder, zumindest potentiell, zur Umwelt des jeweils anderen gehört. In der frühen Phase der Entwicklung des deutschen Umweltrechts wurde deshalb die Befürchtung geäußert, das Umweltrecht könnte alle anderen Regelungsmaterien überlagern oder sogar verdrängen: eine umfassende Kompetenz des Bundes in Umweltfragen in Verbindung mit einem entsprechenden Ministerium oder Planungsstab „erhielte zwangsläufig ein derartiges Gewicht, daß sich die einzelnen Ministerialressorts letztlich nur noch als Erfüllungsgehilfen betrachten könnten“.16 Eine derart offene Begriffsdefinition hat sich deshalb im Umweltrecht nicht durchzusetzen vermocht.17 Eine weite Auslegung des Umweltbegriffs widerspricht nicht nur dem gängigen Begriffsverständnis,18 sondern ginge auch für die 13 Siehe auch Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 27 ff.; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 20 f.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 3 ff. 14 Mildenberger/Herrmann, Uexküll, S. 4. 15 Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere, S. 4. 16 So Rupp, JZ 1971, 401 (403). 17 Schlacke, Umweltrecht, § 1 Rn. 2. 18 So gibt der Duden als Synonyme zu Umwelt die Wörter „Feld und Wald, Flora und Fauna, Natur, Tier- und Pflanzenwelt; (gehoben) Mutter Natur, Wald und Flur“ an, vgl. Duden Synonymwörterbuch, Stichwort „Umwelt“, S. 930.

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Einleitung

Zwecke der vorliegenden Arbeit zu weit. Umfasst würde unter anderem auch das gesamte Zivilrecht, das die Beziehungen der Menschen untereinander regelt. Diese Materie ist aus dem Umweltbegriff auszuklammern.19 Es bleiben die Beziehungen des Menschen zur nichtmenschlichen Umgebung. Eine solche Umweltdefinition weist starke Überschneidungen mit dem klassischen Begriff der Ökologie auf.20 Unterschieden wird zwischen anthropozentrischem21 und ökozentristischem22 Umweltschutz. Nach letzterem wird die Natur um ihrer selbst willen geschützt. Nach dem anthropozentrischen Ansatz geschieht Umweltschutz um des Menschen selbst wegen. Die auf den ersten Blick unvereinbar scheinenden Begründungsansätze wirken sich im Ergebnis jedoch selten aus. Zweifelhaft erscheint schon, ob sie sich überhaupt trennen lassen.23 Auch der ökozentristische Ansatz muss begründen, welcher Zustand der Natur wünschenswert ist und welcher nicht. Letztendlich lässt sich nur aus Perspektive des Menschen bestimmen, was zu einer intakten Umwelt gehört.24 Auch wenn die überwiegende Ansicht in 19

Lersner, in: HdUR, S. 2111. Der klassische Ökologiebegriff wurde im Wesentlichen durch Ernst Haeckel geprägt: „Unter Oecologie verstehen wir die gesammte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Aussenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ,Existenz-Bedingungen‘ rechnen können. Diese sind theils organischer, theils anorganischer Natur [. . .].“ Vgl. Haeckel, Generelle Morphologie der Organismen, Bd. 2, S. 286. Durch die politischen Diskurse der letzten Jahrzehnte wurde der Ökologiebegriff verwässert und zunehmend zu einem Synonym für nachhaltige Lebensweise im Sinne eines schonenden Umgangs mit Ressourcen. Das mag ein Grund dafür sein, dass das Wort „Ökologie“ im wissenschaftlichen Diskurs häufig vermieden wird, auch wenn es nach seiner ursprünglichen Bedeutung für einen an objektiven Kriterien ausgerichteten, klar umrissenen Begriff stand. 21 Brinktrine, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 1, Rn. 33; Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20a, Rn. 11; Schlacke, Umweltrecht, § 1 Rn. 9; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 38. 22 Schlacke, Umweltrecht, § 1 Rn. 10; Schröter/Bosselmann, ZUR 2018, 195 (204). Auch als Eigenwertansatz, vgl. Brinktrine, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 1, Rn. 32, physiozentristischer Ansatz, vgl. Schlitt, Umweltethik, S. 115, oder biozentristischer Ansatz, vgl. Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 19, bezeichnet. In extremer Variante wird dieser Ansatz von Uexküll, Umwelt und Innenwelt der Tiere, S. 5 in seinem oben beschriebenen grundlegenden Werk vertreten, wenn er schreibt: „Unsere anthropozentrische Betrachtungsweise muß immer mehr zurücktreten und der Standpunkt des Tieres der allein ausschlaggebende werden“ [sic!]. 23 In die gleiche Richtung auch Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 31, der die Unterscheidung gar als „praktisch bedeutungslos“ bezeichnet. Ähnlich Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, S. 40 f.; Murswiek, ZRP 1988, 14 (16). A. A. Kloepfer, in: Langzeitverantwortung im Umweltstaat, S. 25. 24 Freilich überspitzt, aber gleichwohl treffend bildet Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 347 das Beispiel, dass ein Atomkrieg aus der Perspektive von bestimmten Tieren sehr günstige Lebensbedingungen schaffen könnte, aus der Perspektive des Menschen hingegen nicht. Daraus schließt er: „Ein Schutz der Natur um ihrer selbst willen ginge daher nur so, dass der Mensch willkürlich bestimmte Naturteile für ,wertvoll‘ erklärt.“ 20

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen

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Art. 20a GG keine Festlegung auf einen ökozentristischen oder anthropozentrischen Ansatz erblickt,25 ist das Grundgesetz durch Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG auf den Menschen fokussiert.26 In diesem Lichte sind auch die folgenden Bestimmungen des Grundgesetzes auszulegen.27 In der Rechtswissenschaft wird heute auf einen restriktiven Umweltbegriff zurückgegriffen, der sich auf die natürliche Umwelt des Menschen beschränkt. Unter Umwelt sind demnach die Umweltmedien Boden, Luft und Wasser als die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen zu verstehen sowie die Beziehung der nicht-menschlichen Lebewesen untereinander sowie zum Menschen.28 Für den Umweltbegriff soll hingegen keine Rolle spielen, ob die Naturgüter unberührt oder vom Menschen geprägt sind. Eine vom Menschen unberührte Natur findet sich in Mitteleuropa kaum noch, weshalb eine solche Unterscheidung leerlaufen würde.29 Es gibt demnach in der Rechtsanwendung genuin umweltrechtliche Rechtsgebiete, wie das Naturschutzrecht, den Artenschutz und den Bodenschutz, deren komplette Regelungsmaterie dem Umweltrecht zuzuordnen ist. Auch Rechtsgebiete wie das Immissionsschutzrecht, das Kreislaufwirtschaftsrecht oder das Gentechnikrecht enthalten überwiegend Regelungen mit umweltrechtlichem Bezug. Im Gegensatz zum Naturschutzrecht handelt es sich bei Letzteren jedoch vorwiegend um Regelungen, die beim Verursacher ansetzen und weniger beim jeweiligen Umweltmedium. Diese Materien lassen sich deshalb dem Technikrecht zurechnen, das eine wichtige Querschnittsmaterie des Umweltrechts darstellt.30

25 Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 69 ff.; Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 8 ff.; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 20; Waechter, NuR 1996, 321 (324); Weinrich, in: BfN-Skripten 527, S. 119; anders Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 49, der von einer rein anthropozentrischen Ausrichtung des Art. 20a GG ausgeht. Insbesondere sollte diese Frage ausweislich des Berichts der gemeinsamen Verfassungskommission ausdrücklich offen bleiben, vgl. BT-Drs. 12/6000 S. 65. 26 Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1, vor Rn. 1; Isensee, in: HGR IV, § 87 Rn. 192; Merten, in: HGR VIII, § 232 Rn. 84; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 40; ähnlich Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 119; Czybulka, Potchefstroom Electronic Law Journal Vol 2, No 1 1999 (3). 27 Zum Teil wird auch darauf verwiesen, dass eine Fixierung auf einen rein ökozentristischen Ansatz die Akzeptanz des Umweltschutzes insgesamt schmälern könnte; siehe Brinktrine, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 1, Rn. 33. Kritisch gegenüber dem anthropozentrischen Ansatz hingegen Fischer-Lescano, ZUR 2018, 205 (213); Füks, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 13; Hofmann, JZ 1986, 253 (254). 28 Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 2; Gehlhaar, VR 2015, 145 (145); Kloepfer/ Neugärtner, Umweltrecht, § 1 Rn. 54; Ramsauer, in: Koch, Umweltrecht, § 3 Rn. 1; Schlacke, Umweltrecht, § 1 Rn. 3. 29 Ramsauer, in: Koch, Umweltrecht, § 3 Rn. 1b; Schlacke, Umweltrecht, § 1 Rn. 4. 30 Grimm, in: HStR I, § 1 Rn. 67; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 1 Rn. 80.

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Einleitung

Daneben gibt es Regelungswerke, die als solche nicht ausdrücklich dem Umweltrecht zugeordnet werden, die aber umweltrechtliche Regelungen enthalten. Dazu zählen beispielsweise die umweltbezogenen Vorschriften des Bau- und Planungsrechts, des Verkehrsrechts und des Agrarrechts. Dies zeigt, dass auch nach der gebotenen Einengung des Umweltbegriffs noch eine breite Palette an umweltrechtlichen Regelungen verbleibt. Aufgrund der weitgehenden Auswirkungen, die das Umweltrecht auf viele Rechtgebiete hat, wird Umweltschutz immer mehr als integrative Gesamtaufgabe verstanden.31 Das Umweltverfassungsrecht nimmt aufgrund seiner Abstraktheit Einfluss auf eine Vielzahl von Lebenssachverhalten und Regelungskomplexen.

II. Staat Wenn in der vorliegenden Arbeit auf den Staat rekurriert wird, ist, sofern nicht anders angegeben, der Staat gemeint, der durch das Grundgesetz konstituiert ist. Ist er in seinen räumlichen Grenzen mittlerweile klar abgegrenzt, verschwimmen im Mehrebenensystem moderner Staatlichkeit seine Grenzen in organisatorischer und kompetenzieller Hinsicht. So enthält das Wort Staat mannigfaltige begriffliche Zuschreibungen, je nachdem in welchem Kontext es verwendet wird. Bei einem derart komplexen politischen Gebilde, wie dem in verschiedene internationale Organisationen eingegliederten föderalen Bundesstaat mit selbstverwalteten Kommunen und teilautonomen Körperschaften, darf es nicht unterlassen werden, die begrifflichen Grenzen des Staates abzustecken. Das Wort Staat im Sinne eines umfassenden Oberbegriffs für verschiedene Formen organisierter Herrschaft, findet erst seit dem 16. Jahrhundert Verwendung.32 Bis heute ist es nicht gelungen, einen kritiklos gebliebenen Staatsbegriff aufzustellen. Am nächsten kommt einem allgemeinen Staatsbegriff wohl Jellinek mit seiner Beschreibung des Staates als die mit ursprünglicher Herrschaftsmacht ausgerüstete Verbandseinheit sesshafter Menschen.33 Demgegenüber beschreibt Kelsen den Staat als Rechtsordnung, die einen gewissen Grad an Komplexität und Zentralisation erreicht hat.34 1. Bundesrepublik Deutschland Die Bundesrepublik Deutschland, wie sie durch das Grundgesetz konstituiert wird, lässt sich als föderaler Staat beschreiben.35 Als solcher liegt zwar die völ-

31 32 33 34 35

Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 155. Haller/Kölz/Gächter, Allgemeines Staatsrecht, Rn. 26. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 180 f. Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl., 1934, S. 117 f. Gärditz, in: HStR IX, § 189 Rn. 38 ff.; Häberle, in: FS für Scholz, S. 583 ff.

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen

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kerrechtliche Souveränität bei der Bundesrepublik,36 indes nimmt sie tatsächlich nur in einem beschränkten Umfang Staatsaufgaben selbst wahr.37 Dies wird schon daran deutlich, dass im Jahr 2015 von über 1,6 Millionen Beamten und Richtern im Staatsgebiet weniger als 180.000 im Dienst des Bundes standen – der Großteil ist bei den Ländern und Kommunen beschäftigt.38 Bei der Betrachtung dieser Größenverhältnisse wird deutlich, dass mit der Betrachtung der Bundesrepublik allein, der Begriff des Staates noch nicht vollständig erfasst sein kann. 2. Länder und Kommunen Die sechzehn Länder des Bundes nehmen einen großen Teil der anfallenden Verwaltungsaufgaben wahr. Auch die Gerichte der unteren und mittleren Instanzen werden von den Ländern organisiert. Ein großer Teil des staatlichen Handelns geht damit von den Ländern aus. Die Länder sind direkt an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden. Aber auch die Grundrechtskataloge ihrer jeweils eigenen Landesverfassung müssen beachtet werden. Durch die vom Grundgesetz vorgegebene Rangordnung der Normen entfalten diese weniger praktische Wirkung als die Grundrechte des Grundgesetzes. Die Umweltschutzgehalte der sechzehn deutschen Landesverfassungen werden wegen ihrer geringen praktischen Relevanz in dieser Arbeit nur am Rande untersucht.39 Auch die Kommunen sind ungeachtet ihrer durch Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG gewährten Selbstverwaltungsgarantie unmittelbar an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden und werden insofern unter den Begriff des Staates subsumiert, wie er dieser Arbeit zu Grunde liegt. 3. Supranationale Ebene Die Staatlichkeit oder Beinahe-Staatlichkeit40 der EU ist bis heute nicht unumstritten.41 Es wäre denkbar, zwischenstaatliche Organisationen dem Staat zu36 Dreier, in: Ius Publicum Europaeum I, § 1 Rn. 50 f.; Ipsen, in: HStR X, § 220 Rn. 22 f. 37 Vgl. die Zuständigkeitsvermutung für die Länder in Art. 30 GG, sowie der Grundsatz der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder nach Art. 83 GG. 38 Statistisches Bundesamt, Finanzen und Steuern – Personal des öffentlichen Dienstes (2015), S. 25. 39 Dieses umfassende Thema muss weiteren Bearbeitungen vorbehalten bleiben. Wegen der Vielfalt der gesetzgeberischen Regelungsansätze in den Verfassungen, gerade der neuen Länder, bietet der Komplex aus dogmatischer Sicht einen vielversprechenden Gegenstand. 40 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, S. 23; Isensee, in: HStR XII, § 254 Rn. 8. 41 Schon Hans Kelsen betonte, als er seine Überlegungen zum Staat für die zweite Auflage seiner Reinen Rechtslehre im Jahr 1960 überarbeitete und ergänzte, dass die seinerzeit bestehenden über- oder zwischenstaatlichen Völkerrechtsordnungen keinen Staat darstellen, vgl. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, S. 289. Dass Kelsen sich bemüht, die erst kurz zuvor gegründete Europäische Gemeinschaft (Oppermann/

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Einleitung

zuordnen, soweit diese hoheitliche Befugnisse ausüben. Der Bund hat nach Art. 24 Abs. 1 GG die Möglichkeit, Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen. Rechtsakte dieser zwischenstaatlichen Einrichtungen werden nicht nur daran gemessen, ob sie sich im Rahmen des Übertragungsgesetzes halten, sondern mitunter auch, ob sie mit den Gewährleistungen der Grundrechte vereinbar sind.42 Eine Grundrechtsbindung der zwischenstaatlichen oder internationalen Organisationen ist jedoch aufgrund deren Autonomie zu verneinen.43 Die zwischenstaatliche Einrichtung führt die ehemals staatlichen Aufgaben nicht als Staatsorgan, sondern anstelle eines deutschen Staatsorgans aus.44 Die zwischenstaatlichen Einrichtungen werden deshalb nicht vom Begriff des Staates umfasst, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt. Die Europäische Union übt die nach der spezialgesetzlichen Ermächtigung des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG übertragenen Hoheitsbefugnisse im Rahmen einer autonomen Rechtsordnung aus.45 Die Europäische Union ist daher kein Teil des deutschen Staates und nicht oder nur eingeschränkt an die Grundrechte des Grundgesetzes gebunden.46 In Bezug auf die EU stellen sich Fragen der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten deshalb nur in bestimmten Konstellationen. Insbesondere im Rahmen einer ultra-vires-Kontrolle, wie sie sich das BVerfG ausdrücklich vorbehalten hat,47 könnten grundrechtliche Umweltschutzpflichten zur Anwendung kommen. Auch bei der Übertragung von Hoheitsrechten an die Europäische Union gemäß Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG ist eine Heranziehung grundrechtlicher Positionen bei der Überprüfung des Zustimmungsgesetzes zu den jeweiligen Integrationsverträgen möglich.48 Classen/Nettesheim, Europarecht, S. 1) nicht dem Begriff des Staates unterzuordnen, zeigt, dass wer von Staat spricht, über die Einordnung supranationaler Organisationen nicht schweigen sollte. Es kann an dieser Stelle keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Rechtscharakter supranationaler Organisationen und der Staatlichkeit oder der EU erfolgen. Jedoch muss darauf eingegangen werden, inwieweit völker- und europarechtliche Organisationsstrukturen Bestandteil der vorliegenden Untersuchung sind. 42 Heinegg, in: BeckOK GG, Art. 24, Rn. 22. 43 Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1, Rn. 80. 44 Sauer, Staatsrecht III, § 3 Rn. 7. 45 EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – 6/64 – Slg. 1964, 1151 (1269) [Costa/ENEL]; EuGH, Urteil vom 05.02.1963 – 26/62 – Slg. 1963, 3 (15) [van Gend&Loos]; diese anfangs nicht unumstrittene Rechtsprechung kann heute als allgemein anerkannt betrachtet werden, vgl. Funke, DÖV 2007, 733 (736); Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 84, Rn. 113; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, Art. 288 AEUV, Rn. 47; Ruffert, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV, Art. 1 EUV, EUV Art. 1 Rn. 10. 46 Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 86. 47 BVerfG, Beschluss vom 06.07.2010 – 2 BvR 2661/06 – BVerfGE 126, 286 (304) [Honeywell]. 48 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2, 5/08, 2 BvR 1010, 1022, 1259/08, 182/09 – BVerfGE 123, 267 (397) [Lissabon]; Streinz, in: Sachs GG, Art. 23 GG, Rn. 98.

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen

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In den aufgezeigten Fallgruppen, in denen Bundesverfassungsrecht Prüfungsmaßstab für Recht der Europäischen Union sein kann, ist Adressat der Grundrechtsprüfung immer die Bundesrepublik Deutschland und nicht die Europäische Union selbst. Wenn im Folgenden vom Staat die Rede ist, wird die Europäische Union nur insofern mit einbezogen, wie die Bundesrepublik sich verfassungsrechtlich für die Europäische Union verantworten muss. Verpflichtungen, die für die EU selbst entstehen, sei es aus dem Recht ihrer Mitgliedsstaaten oder aus eigenem Recht, bleiben anderen Untersuchungen vorbehalten. 4. Private Seit je her werden in der bürgerlichen Staatslehre der Staat und der Bürger als einander entgegengesetzte Sphären angesehen.49 Seit Inkrafttreten des Grundgesetzes wird über die Bindung von Privatrechtssubjekten an Grundrechte diskutiert.50 Gemäß Art. 1 Abs. 3 i.V. m. Art. 20 Abs. 3 GG binden die Grundrechte unmittelbar die drei staatlichen Gewalten Exekutive, Judikative und Legislative. Ob der Einzelne überhaupt Adressat grundrechtlicher Schutzpflichten sein kann, erscheint vor diesem Hintergrund fraglich. Für die Frage der Drittwirkung der Grundrechte in Dreiecksverhältnissen aus Bürgern und Staat, sind in vorliegender Arbeit vor allem die daraus resultierenden Verpflichtungen für den Staat von Interesse. Nicht aber die Umweltschutzpflichten, die sich eventuell für Privatpersonen aus grund- und menschenrechtlichen Wertungen ergeben könnten. Die Frage, inwiefern Privaten durch die Verfassung sogenannte Grundpflichten erwachsen können, ist nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Private als Verpflichtete sind insoweit nur relevant, wenn sie beispielsweise als Beliehene auftreten und somit hoheitlich tätig werden.51

III. Grundrechte Grundrechtliche Gewährleistungen im weiteren Sinne bestehen im modernen Staat aus einem miteinander verzahnten Mehrebenensystem aus Grundrechten des Grundgesetzes, den Landesverfassungen und den internationalen Menschenrechten.52 In der vorliegenden Arbeit wird der Terminus der Grundrechte im engeren Sinne auf die Grundrechte des Grundgesetzes bezogen. Davon abzugrenzen sind menschenrechtliche Gewährleistungen, die sowohl als Völkergewohn-

49 Hölder, Das rechtliche Verhältnis des Staates zum Volke, S. 24; Kelsen, Hauptprobleme der Staatsrechtslehre, 567 ff.; Ramser, Das Bild des Menschen im neueren Staatsrecht, S. 4 ff. 50 Papier, in: HGR II, § 55 Rn. 1. 51 Ibler, in: Maunz/Dürig GG, Art. 86, Rn. 75. 52 Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 3 Rn. 54.

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heitsrecht53 als auch in verschiedenen international- und europarechtlichen Kodifikationen bestehen.54

IV. Schutzpflichten Nach klassischer Grundrechtsdogmatik stellen Grundrechte in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat dar.55 Ein Abwehranspruch gegen Umweltbelastungen ergibt sich demnach, wenn eine staatliche Maßnahme den Bürger in einer grundrechtlich geschützten Position verletzt. Im Bereich des Umweltrechts kommen insbesondere gesundheitsbelastende Umweltschädigungen in Betracht, die den Grundrechtsträger in seinem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG verletzen. Ein anderes von Umweltschädigungen potentiell stark betroffenes Grundrecht ist das nach Art. 14 Abs. 1 GG geschützte Eigentum. Die Fälle, in denen der Staat selbst durch eigene umweltschädigende Maßnahmen den Bürger in einer grundrechtlich geschützten Position verletzt, stellen aber nur einen Bruchteil der Umweltschädigungen dar, mit denen der Grundrechtsträger konfrontiert wird.56 Häufiger werden indes die Fälle anzutreffen sein, in denen Private durch von Privaten verursachte Umweltschädigungen betroffen sind.57 Auch denkbar im Umweltrecht ist, dass Einzelpersonen oder die Allgemeinheit durch zufällige Ereignisse oder Schädigungen bedroht sind, deren Quelle sich nicht eindeutig zuordnen lässt.58 In diesem Fall droht eine Dogmatik, die Grundrechte nur als Abwehrrechte des Bürgers gegen

53

Kempen/Hillgruber, Völkerrecht, § 55 Rn. 50. Die Grundrechte-Trias der Europäischen Union, bestehend aus GrundrechteCharta (GRC), der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, verhält sich akzessorisch zum sonstigen Unionsrecht; Haratsch et al., Europarecht, Rn. 678. Sie sind nur auf Europäische Rechtsakte anzuwenden und gelten für die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRC ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Die EMRK nimmt unter den genannten Kodifikationen als sogenannte regionale Menschenrechtsgarantie eine Sonderstellung ein, da sie verbindlich und nach Art. 46 Abs. 1 EMRK vollumfänglich gerichtlich durchsetzbar ist. Innerhalb des deutschen Rechtssystems steht die EMRK auf dem Rang eines einfachen Bundesgesetzes. Sie entfaltet daher keinen den Grundrechten des Grundgesetzes und der Landesverfassungen ebenbürtigen Schutz; vgl. Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 3 Rn. 66. Die EMRK spielt aber eine besondere Rolle für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der nationalen Grundrechte. 55 Dreier, Jura 1994, 505 (505); Jarass, in: Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1, Rn. 3; Kingreen/Poscher, Grundrechte, Rn. 76; Rixen, DVBl. 2018, 906 (911). 56 Beispielsweise öffentlich betriebene Müllverbrennungsanlagen, Kläranlagen, Truppenübungsplätze oder Militärflughäfen. Aufzählung nach Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 20. 57 Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). 58 Siehe 2. Kapitel B. II. – „Wirkung außerhalb eines klassischen Dreiecksverhältnisses“. 54

C. Eingrenzung und Begriffsbestimmungen

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den Staat versteht, ihre Wirkung zu verfehlen.59 Denn der Staat soll hier nicht zurückgedrängt werden, sondern wird gefordert.60 Der Staat nimmt hier einen Rollenwechsel vor, vom „Grundrechtsfeind“ zum „Grundrechtsfreund“.61 Hier liegt es nahe, auf die bereits in den jungen Jahren der Bundesrepublik formulierte Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten zurückzugreifen.62 Deren Begründung und Anwendung auf umweltrechtliche Konfliktsituationen werden im Folgenden zu untersuchen sein.

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Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 29; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). Dreier, Jura 1994, 505 (512); Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 35. 61 So wörtlich Stern, DÖV 2010, 241 (244). 62 Die Grundlagen für die Entwicklung der grundrechtlichen Schutzpflichten in der Bundesrepublik legte Dürig, AöR 1956, 117 (123), der im Jahr 1956 aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG folgerte, dass es einen Anspruch gegen den Staat geben müsse, wenn ein Bürger aus einer außerstaatlichen Spähre heraus in einer grundrechtlich geschützten Position angegriffen werde. Übereinstimmend sprechen Dürig den Ruhm der Priorität zu: Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 108; Isensee, in: HStR IX, § 191 Fn. 346; Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, S. 3765. 60

1. Kapitel

Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten Auch wenn sich Literatur und Rechtsprechung mittlerweile im Wesentlichen einig sind, dass grundrechtliche Schutzpflichten existieren, ist ihre Herleitung bis heute Gegenstand einer facettenreichen Kontroverse.

A. Die Problemstellung Die grundsätzliche Frage, inwieweit der Einzelne Schutz von der Obrigkeit verlangen kann, ist älter als das Grundgesetz.

I. Michael Kohlhaas und die staatliche Schutzpflicht Bereits in der Vorphase des deutschen Konstitutionalismus beschäftigten sich nicht nur Verfassungsjuristen mit der Frage staatlicher Schutzpflichten. Heinrich von Kleists Novelle Michael Kohlhaas stellt eine frühe Beschäftigung mit dem Konzept staatlicher Schutzpflichten dar. Das 1808 erschienene Werk nimmt auf eine Zeit Bezug, in der das Gebiet des heutigen Deutschland noch tief in der Feudalzeit weilte und von Staaten im modernen Sinne nur bei weiter Begriffsauslegung gesprochen werden kann.63 Herrschaft war unvermittelter und die Rechtswissenschaft kaum entwickelt. Jedoch verleiht gerade diese einfache Kulisse der Geschichte ihre zeitlose Brisanz. In der Novelle werden dem Protagonisten Michael Kohlhaas von einem Adligen unberechtigt einige Pferde weggenommen und zugrunde gerichtet. Michael Kohlhaas sieht dies als Unrecht und bemüht sich um Schutz durch seinen Landesherrn. Dieser wird ihm versagt, weil die Familie des Adeligen ihren Einfluss beim Landesherrn geltend macht. Kohlhaas bemüht sich in der Folge bei allen weltlichen und kirchlichen Instanzen um Rechtsschutz, der ihm jedes Mal versagt wird. Daraufhin greift er zur Selbstjustiz und führt einen Privatfeldzug gegen den Adel, um eine Wiedergutmachung für die Pferde zu erstreiten. Er trifft auf den Reformator Martin Luther, der ihn fragt, woher er das Recht nehme, „mit

63 Heinrich von Kleist lehnt sich in der Novelle an die historische Figur des Pferdehändlers Hans Kohlhaase an, der ca. 1500 geboren und 1540 hingerichtet wurde, vgl. Juchler, Narrationen in der politischen Bildung, S. 74.

A. Die Problemstellung

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Feuer und Schwert die ganze Gemeinschaft heimzusuchen“ 64, woraufhin Kohlhaas erwidert: „Verstoßen [. . .] nenne ich den, dem der Schutz der Gesetze versagt ist! Denn dieses Schutzes, zum Gedeihen meines friedlichen Gewerbes, bedarf ich; ja, er ist es, dessenhalb ich mich, mit dem Kreis dessen, was ich erworben, in diese Gemeinschaft flüchte; und wer mir ihn versagt, der stößt mich zu den Wilden der Einöde hinaus; er gibt mir, wie wollt Ihr das leugnen, die Keule, die mich selbst schützt, in die Hand.“ 65

Grund für den Aufstand des Michael Kohlhaas ist nicht, dass ihm von Seiten des Staates aktiv Unrecht zugefügt worden wäre. Er möchte die Herrschaft der Obrigkeit auch nicht in Frage stellen. Im Gegenteil, er möchte gerade, dass die Obrigkeit ihre Herrschaft ausübt und regelnd in die Aktivitäten der Untertanen eingreift. Da die Obrigkeit inaktiv bleibt, sieht Michael Kohlhaas seine Friedenspflicht suspendiert. Nach dieser Darstellung ist die Friedenspflicht des Bürgers an die Schutzpflicht des Staates gekoppelt.66 Kleist war Zeitzeuge der frühen westlichen67 Menschenrechtserklärungen68 und stand bei dem Verfassen des Werks unter ihrem Eindruck. Er erkennt, im Gegensatz zu vielen seiner Zeitgenossen, dass die Gewährleistungen menschenrechtlicher Garantien nicht nur durch Handlungen der Obrigkeit gefährdet werden können.69 Denn dort, wo der Staat seiner Schutzpflicht nicht nachkommt, herrscht das Recht des Stärkeren. 64

Kleist, in: Michael Kohlhaas, S. 46. Kleist, in: Michael Kohlhaas, S. 46 f. 66 Vgl. auch Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 2; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 22; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 25; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 28; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 357; Munte, NuR 2009, 536 (539); Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 96; Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 86; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 85. 67 Vor der Aufklärung in der westlichen Welt kamen Menschenrechtserklärungen bereits in der Antike auf. So beispielsweise im babylonischen Kyros-Zylinder aus dem Jahr 538 v. Chr., der den Bürgern Grundrechte wie die Religionsfreiheit garantierte, vgl. Funke, in: Geschichte der Antike (2007), S. 59 f. 68 Im Jahr 1777 geboren war Kleist 11 Jahre alt, als die Erklärung der Menschenund Bürgerrechte von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wurde. Zwei Jahre später folgte die US-amerikanische Bill of Rights. 1794 schließlich folgte mit dem preußischen ALR die erste deutschsprachige Kodifizierung, die menschenrechtliche Bezüge enthielt. Vgl. zur Geschichte der Grundrechte: Dreier, DVBl. 1999, 667 (670); Schmitt, Verfassungslehre, S. 157 ff.; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 59 V. 69 Eine Ausnahme unter den frühneuzeitlichen grund- und menschenrechtlichen Kodifikationen stellt in Bezug auf ausdrückliche Schutzpflichten das ALR von 1794 dar, das in § 76 der Einleitung das Recht jedes Einwohners des Staates „den Schutz desselben für seine Person und sein Vermögen zu fordern“ enthielt. In der darauf folgenden Phase des Konstitutionalismus in den deutschen Staaten wurden auch in einigen Landesverfassungen ausdrückliche Schutzpflichten festgeschrieben. So die Verfassungsurkunde für das Königreich Bayern (1818) IV. Abschnitt (Von den allgemeinen Rechten 65

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Auch im Zuge des Nationalsozialismus und seiner Aufarbeitung war die Schutzpflichtenkomponente zunächst in den Hintergrund gedrängt und die abwehrrechtliche Seite stark in den Vordergrund gerückt worden.70 Seit einiger Zeit erlebt die Schutzpflichtendoktrin eine kräftige Renaissance.71

II. Das Recht des Stärkeren und die Schutzpflicht Heute wird das Recht des Stärkeren im Westen weniger durch militärische als durch ökonomische Macht vermittelt.72 Das Machtgefälle zwischen Bürger und Großkonzern ist dadurch nicht kleiner als das von Pferdehändler und adeligem Junker.73 Mit großen nichtstaatlichen Organisationen und Verbänden treten Akteure auf den Plan, gegenüber deren sozialer Macht der Einzelne marginalisiert zu sein scheint.74 Dies wird deutlich, wenn man bedenkt, dass der Jahresumsatz einiger großer Konzerne dem Bruttoinlandsprodukt mittlerer europäischer Staaten entspricht.75 Hier erscheint die „Augenhöhe“, auf der sich die Privatrechtssubjekte begegnen sollen, um ihre Interessen frei untereinander auszuhandeln, als bloße Fiktion. Dieser Asymmetrie kann mit der Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte begegnet werden.76 Im Bereich des Umweltrechts gehen die meisten Gefährdungen nicht unmittelbar vom Staat aus, sondern sind auf die Freiheits-

und Pflichten) § 8 Abs. 1: „Der Staat gewährt jedem Einwohner Sicherheit seiner Person, seines Eigentums und seiner Rechte“. Ähnlich Baden (1818), Württemberg (1819) und Braunschweig (1832). Zitiert nach Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 51 f. 70 Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 3; in diese Richtung auch Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 33; Enders, Der Staat 1996, 351 (352); Jarass, AöR 1985, 363 (369); Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 37; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 187. Zur Verarbeitung dieser Traumatisierung der deutschen Staatsrechtslehre siehe auch 1. Kapitel H. III. 1. – „Historische Begründung für das Wertordnungsdenken“. 71 Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 32. 72 Hierzu schon Dürig, in: FS für Nawiasky, 1956, S. 166; außerdem Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 4. 73 In diese Richtung auch: Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 11 Rn. 349; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 24; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 29. 74 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 523. 75 So betrug im Jahr 2015 der Jahresumsatz der Firma Apple Inc. 233.715 Millionen US-Dollar; das BIP der Irischen Republik im gleichen Jahr 225.374 Millionen US-Doller; vgl. für Apple Inc.: United States Securities and Exchange Commission, in: Apple Inc. Tax Report, Annual Report Pursuant to Section 13 or 15 (D) of the Securities Exchange Act of 1934, https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/320193/00011931251 5356351/d17062d10k.htm (abgerufen am: 30.03.2017); vgl. für Irland United Nations Conference on Trade and Development, Gross domestic product (kaufkraftbereinigt, Referenzjahr 2005), 1970–2015, UNCTAD Stat, http://unctadstat.unctad.org/ (abgerufen am: 30.03.2017). 76 So auch Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 399.

B. Staatstheoretische Herleitungen

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betätigung privater Verursacher zurückzuführen. Ein auf die Abwehrdimension fokussierter Grundrechtsschutz droht seine Wirkung hier zu verfehlen.77 Gerade in Umweltfragen ist die öffentliche Debatte moralisch aufgeheizt und wesentlich vom Zeitgeist geprägt. Aufgabe der Verfassungsrechtsdogmatik ist es, lege artis aus den Grundrechten des Grundgesetzes allgemeingültige Antworten herzuleiten. Im Bereich der staatlichen Schutzpflichten sind einige solche Versuche unternommen worden. Diese werden im Folgenden vorgestellt und anschließend einer umfassenden Würdigung zugeführt.

B. Staatstheoretische Herleitungen Einige Ansätze zur Herleitung staatlicher Schutzpflichten entstammen der Allgemeinen Staatslehre. Sie leiten staatliche Schutzpflichten aus dem Zweck des Staates ab.78

I. Vertragstheoretiker Der Rekurs auf die frühneuzeitlichen Vertragstheoretiker gilt vielen als gewichtiges Argument für die Begründung staatlicher Schutzpflichten.79 Thomas Hobbes beschreibt den Naturzustand als einen Zustand des Krieges aller gegen alle.80 In diesem Zustand ist Prosperität nicht denkbar. Der einzelne Mensch befindet sich in ständiger Angst und Gefahr des Todes. Sein Leben beschreibt Hobbes als einsam, arm, schmutzig, brutal und kurz.81 Dieser für alle Menschen unvorteilhafte Zustand motiviert zur Kooperation. Es wird ein gegenseitiger Gewaltverzicht vereinbart.82 Um den Gewaltverzicht institutionell abzusichern, wird ein Staatswesen errichtet, das dem Einzelnen Schutz gewährt.83 Der Furcht vor wechselseitiger Gewalttätigkeit wird in der Staatsidee Hobbes’ durch die autoritäre Friedenssicherung des Souveräns nach innen und außen begegnet. Die Unterwerfung des Einzelnen rechtfertigt sich durch den vom Souverän gewährten Schutz.84

77

Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 312. Enders, Der Staat 1996, 351 (352); Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 34 ff. 79 Bleckmann, DVBl. 1988, 932 (940); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 148 ff.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 17 ff.; Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, S. 15 ff.; Schöbener/Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 4 Rn. 67; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 35; Stern, DÖV 2010, 241 (242); Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 77 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 37 ff. 80 Hobbes, Leviathan, S. 80. 81 Hobbes, Leviathan, S. 78. 82 Hobbes, Leviathan, S. 78. 83 Hobbes, Leviathan, S. 107. 84 Schmitt, Verfassungslehre, S. 164; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 34. 78

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Diese Begründung staatlicher Schutzpflichten mit Hobbes’ Theorie des Gesellschaftsvertrages ist nicht ohne Kritik geblieben.85 Hobbes wird politisch-historische Realitätsferne vorgeworfen, da seine Theorie vom kriegerischen Urzustand den historischen Fakten nicht standhalten könne.86 Dieser Vorwurf verfängt bei näherer Betrachtung nicht. Der kriegerische Naturzustand muss nie in Reinform bestanden haben, um die Notwendigkeit des Staates zu erklären. Die historisch existierenden Staaten entsprechen ebenfalls nicht dem hobbesianischen Idealbild vom totalen, umfassende Sicherheit gewährenden Gemeinwesen. Dies gilt insbesondere für den vom blutigen Bürgerkrieg zwischen Parlament und Krone erschütterten englischen Staat des 17. Jahrhunderts, in dem der Leviathan verfasst wurde. Wie selbst moderne Staaten nicht vollständig nach innen und außen befriedet sind, war auch der Naturzustand nie vollständig kriegerisch. Hobbes ist sich dessen bewusst, denn er selbst schreibt in seinem Leviathan, dass auch wenn es niemals einen Zustand gegeben hat, in dem tatsächlich jeder gegen jeden gekämpft habe, so seien sich doch zu jeder Zeit die einzelnen Herrscher und persons of sovereign authority bewaffnet und zum Kampf bereit gegenübergestanden.87 Hobbes geht selbst davon aus, dass der Mensch sich schon immer zu Gemeinschaften zusammengefunden hat. Der Naturzustand ist bei Hobbes lediglich eine theoretisch-analytische Kategorie, die dazu dient, seine anthropologischen Vorstellungen zu veranschaulichen.88

II. Drei-Stufen-Modell Wenn man Hobbes’ Leviathan nicht als konkrete historische Beschreibung der Entwicklung des Staates, sondern als abstrakte Analyse seines Zwecks und seiner Funktion auffasst, lassen sich auch heute noch Erkenntnisse aus seinem Werk ziehen. So sieht Isensee in dem alten Rechtfertigungsmodus von Hobbes ein geschichtliches Entwicklungsgesetz, dem die Zweckordnung des gegenwärtigen Verfassungsstaates folge.89 Die erste Stufe dieser Entwicklung sieht Isensee in der hobbesianischen Bürgerkriegsfurcht, der durch die absolutistische staatliche Schutzmacht begegnet wird.90 Die zweite Stufe ist die Furcht vor dieser absolutistischen staatlichen Schutzmacht, die zur Unterdrückungsmacht zu werden droht.91 Auf dieser Stufe setzt 85 Enders, Der Staat 1996, 351 (353); Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 28. 86 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 32. 87 Hobbes, Leviathan, S. 79. 88 Mahlmann, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie, § 3 Rn. 6. 89 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 17. 90 So auch Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 47; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 36. 91 Bleckmann, DVBl. 1988, 932 (941); Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, S. 19 ff.; Stern, DÖV 2010, 241 (242).

B. Staatstheoretische Herleitungen

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John Lockes Philosophie an, der neben der Sicherheit durch den Staat auch die Sicherheit vor dem Staat betont, was Isensee zu der Formel zusammenfasst „Sicherheit vor dem Staat bedeutet Freiheit“.92 Durch die Beschränkung staatlicher Übergriffe auf den Bürger wandelt sich die Rohform des neuzeitlichen Staates zum Rechtsstaat.93 Durch die neugeschaffene Freiheit entstehen neue Gefahren.94 Zwar sind Leben und körperliche Unversehrtheit vor unmittelbaren Schädigungen durch Mitmenschen und dem Staat weitgehend ausgeschlossen, der einzelne Mensch ist jetzt aber ohne die Gesellschaft, in die er sich begeben hat, nicht mehr lebensfähig und sieht sich den wirtschaftlichen Risiken des gesellschaftlichen Daseins ausgesetzt.95 Der rein liberale bürgerliche Rechtsstaat geht deshalb in den Sozialstaat über.96 Die Freiheit verliert ihren vorstaatlichen Charakter, indem sie einen Stellenwert innerhalb des Sozialsystems erhält.97 Isensee sieht damit die dritte Stufe der historischen staatlichen Zwecksetzung erreicht.98 Die soziale Ausgleichsfunktion des Staates nahm in Deutschland mit der in den 1880er Jahren eingeführten Renten-, Kranken- und Unfallversicherung ihren Ursprung.99 Mit der Einführung der Weimarer Reichsverfassung100 und später des Grundgesetzes wurde der zuvor einfachgesetzlich geschaffene Sozialstaat verfassungsrechtlich abgesichert.101 Der Staat schützt die Bürger also voreinander, vor sich selbst und vor den wirtschaftlichen Verhältnissen. Umweltzerstörungen können für den Einzelnen eine

92 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 6; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 36. 93 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 17; in diese Richtung auch Schmitt, in: Materialien zu einer Verfassungslehre, S. 206 ff. 94 Hierzu Stern, DÖV 2010, 241 (242). 95 Huber, in: Eichenberger/Bäumlein – Rechtstheorie, Verfassungsrecht, Völkerrecht, S. 152 f. 96 Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Habermas, Faktizität und Geltung, S. 525, der zwischen „Rechtsstaat, Sozialstaat, Sicherheitsstaat“ unterscheidet, in letzterem aber anders als Isensee, nicht den Ursprung des Staates, sondern seine heutige Ausformung sieht und zwar angelehnt an den von Denninger, in: Präventionsstaat, S. 98; Denninger, Kritische Justiz 1988, 1 entworfenen „Präventionsstaat“. 97 Forsthoff, in: Epirrhosis – Festgabe für Carl Schmitt, S. 191. 98 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 17. 99 Boeckh et al., Sozialpolitik in Deutschland, S. 40. 100 Nach Art. 151 Abs. 1 S. 1 WRV musste „die Ordnung des Wirtschaftslebens [. . .] den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziele der Gewährleistung eines menschenwürdigen Daseins für alle entsprechen“. Art. 161 WRV schrieb die Schaffung eines umfassenden Sozialversicherungswesens vor. 101 Das Sozialstaatsprinzip ist niedergelegt in Art. 20 Abs. 1 GG. Darüber hinaus finden sich im GG heute gut ein Dutzend Bestimmungen über Konkretisierung, Organisation und Ausgestaltung des Sozialstaats, Art. 23 Abs. 1 S. 1, 28 Abs. 1 S. 1, 74 Abs. 1 Nr. 6, 7, 12, 13, 19a, 87 Abs. 2, 95 Abs. 1 Var. 4, 120 Abs. 1 S. 4 GG.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

vergleichbar schwere Wirkung haben wie die von Isensee beschriebenen drei Gefährdungsstufen, vor denen der Staat Schutz gewährt. Würde der Staat Umweltschutzvorkehrungen gar nicht treffen und damit einzelnen Bürgern ihre Lebensgrundlage entziehen, würde er seiner Schutzfunktion, wegen derer der Einzelne sich überhaupt erst der Gemeinschaft unterordnet, nicht gerecht. Doch obschon die Umweltschutzpflicht des Staates historisch zu einem späteren Zeitpunkt entstanden ist, stellt sie keine eigene vierte Kategorie im Stufenmodell Isensees dar.102 Je nachdem von welchem Verursacher Umweltschädigungen ausgehen, wirken sie auf einer der drei beschriebenen Stufen und betreffen damit entweder Schutzpflichten, Abwehrrechte oder soziale Rechte. Auch wenn die staatlichen Umweltschutzpflichten keine neue eigene Kategorie im Stufenmodell darstellen, so werden die Schutzfunktionen der drei beschriebenen Stufen durch die Problematiken des Umweltrechts in neuartiger Weise reaktiviert.103

III. Radikal zweckorientierte Herleitung Auch wird die These vertreten, die Existenz staatlicher Schutzpflichten leite sich rein aus dem Zweck des Staates, den Schutz des einzelnen Menschen zu gewährleisten ab. Demnach seien die grundgesetzlichen Bestimmungen höchstens eine konkretisierende Ausgestaltung der ohnehin bestehenden Schutzpflichten oder sogar nur rein deklaratorischer Natur.104 Die wohl bekannteste Ausprägung dieses Ansatzes enthält die amerikanische Unabhängigkeitserklärung: „We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their creator with certain unalienable rights, that among these are life, liberty and the pursuit of happiness – That to secure these rights, governments are instituted among men, deriving their just powers from the consent of the governed.“ 105

In Bezug auf das Grundgesetz wird mit seinem historischen Hintergrund argumentiert. So seien die Grundgesetzmütter und -väter auf die Kodifizierung der Freiheits- und Gleichheitsrechte fixiert gewesen.106 Aber auch schon früher, wäh-

102

Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 10. Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 15. 104 Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 101 ff.; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 121 ff.; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 49 ff.; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 31; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 37 ff.; in diese Richtung, mit Einschränkungen, auch schon Schmitt, Verfassungslehre, S. 163. 105 Zweiter Absatz der Unabhängigkeitserklärung der dreizehn vereinigten Staaten von Amerika vom 04. Juli 1776. Hervorhebungen MW. 106 Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 37 f. 103

B. Staatstheoretische Herleitungen

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rend der verfassungspolitischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts, seien die staatlichen Schutzpflichten zunehmend aus dem Fokus gerückt.107 Dass der Staatszweck der Sicherheitsgewährleistung nur spärlich in das Grundgesetz aufgenommen wurde, heißt nicht, dass diese vom Verfassungsgeber nicht berücksichtigt wurden. Sie wurden von der liberal-rechtstaatlichen Grundrechtskonzeption vielmehr vorausgesetzt.108 Der Staatszweck der Sicherheit gehört demnach zur materiellen Verfassung und braucht daher nicht mehr förmlich sanktioniert zu werden.109 Wohingegen der Staatszweck Sicherheit objektiv-rechtlicher Natur ist und Begünstigungen des Einzelnen reine Rechtsreflexe darstellen, fügen die staatlichen Schutzpflichten der öffentlichen Sicherheit einen privaten Sinn hinzu. Der Staatszweck der Sicherheit bildet daher das Fundament für die staatliche Schutzpflicht.110 Dieser radikale teleologische Ansatz hat für sich, dass er der Schutzpflichtendogmatik ein klares historisches und logisch abgeleitetes Begründungsfundament bietet. Mit einer solchen staatstheoretischen Herleitung ist außerdem ein Kern an unveränderlicher Staatlichkeit gewährleistet, hinter dessen Standard auch der verfassungsgebende Gesetzgeber nicht mehr zurück darf.111 Doch hier setzt zeitgleich die Kritik an diesem Ansatz ein. Wenn sich aus dem Staatszweck lediglich ein Kern fester Grundsätze ableiten lässt, taugt der Ansatz nicht, um die staatlichen Schutzpflichten umfassend inhaltlich auszufüllen. Das Erklärungsmodell bleibt damit notwendigerweise lückenhaft. Möchte man hingegen annehmen, dass sich durch ein staatstheoretisches Erklärungsmodell die staatlichen Schutzpflichten umfassend herleiten lassen, kollidiert dies mit einem modernen Menschen- und Gesellschaftsbild, in dem sich der Mensch seine Ziele und Zwecke selbst setzt und nicht Apriori von höheren Instanzen, wie auch immer sie geartet sein mögen, religiöser oder naturrechtlicher Couleur, vorgegeben bekommt.

IV. Naturrechtliche Ansätze Neben den genannten, weithin anerkannten, staatstheoretischen Ansätzen gibt es noch eine Reihe weiterer, im Detail sehr unterschiedliche, aber im Ausgangspunkt ähnliche Herleitungsversuche, die sich unter dem Schlagwort naturrechtliche Ansätze zusammenfassen lassen. Gemeint sind damit alle religiösen, aber auch philosophischen Herleitungen, die sich nicht am Verfassungstext oder, wie die Vertragstheoretiker, an den der Verfassung zugrundeliegenden Ideen orientie-

107

Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 121. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 106. 109 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 182; Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 f. 110 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 183; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 151. 111 Schmitt, Verfassungslehre, S. 163. 108

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

ren, sondern die Grundlagen ihrer Schutzpflichtenherleitung außerhalb des Rechts suchen.112 So stellen christliche Ansätze auf die Gottesebenbildlichkeit des Menschen ab, aus der sich Schutzpflichten für das Leben ergeben.113 Postmoderne Ansätze bestreiten hingegen, dass Wert und Würde des Menschen überhaupt fundiert begründet werden können und meinen, dass diese nur durch zwischenmenschliche Kommunikation „konstruiert“ würden.114 Rechte auf Schutz ergeben sich demnach aus der Notwendigkeit der Gewährleistung individueller Selbstbestimmung, um als gleichberechtigtes Subjekt am Kommunikationsprozess teilnehmen zu können.115 Beide Ansätze scheinen sich auf den ersten Blick unvereinbar gegenüberzustehen. Jedoch eint die Verhaftung in einer eigenen, vom positiv gesetzten Recht unabhängigen Ideenwelt sowohl Religiöse, Ethiker, Idealisten als auch postmoderne Denker.116 Treffend schreibt Isensee hierzu: „Der feste überpositive Grund, den der Verfassungsgeber der Menschenwürde und in ihr seinem Verfassungsbau hat geben wollen, löst sich in diffuse, kontingente Faktizität der Kommunikation auf und wird politisch disponibel. Was Fels sein sollte, wird Flugsand.“ 117

C. Rechtspositivistische Herleitung Dem naturrechtlichen Ansatz diametral entgegengesetzt ist der rechtspositivistische Ansatz, der die grundrechtlichen Schutzpflichten ausschließlich aus ihrem Wortlaut herleitet.118 112 Einen etwas anderen Blickwinkel nimmt Dreier, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 14 ff. ein, der die juristische Idee von Souveränität, wie auch die meisten anderen zentralen juristischen Begriffe, als Weiterentwicklung ihrer religiösen Vorgänger betrachtet. So sei die Vorstellung von einem weltlichen Souverän ähnlich der vorangegangenen Vorstellung eines allmächtigen Gottes. Dreier selbst räumt ein (S. 16), dass dieses schwere Erbe zur Überforderung des jeweiligen Souveräns führen müsse. 113 In Bezug auf den Lebensschutz des Nasciturus Jerouschek, Lebensschutz und Lebensbeginn, S. 66 ff.; kritisch hierzu Dreier, DÖV 1995, 1036 (1039). 114 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 58 ff.; kritisch hierzu Häberle, in: HStR II, § 22 Rn. 44. 115 Habermas, Faktizität und Geltung, S. 503 f. Hierzu auch Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 205 ff. 116 Demgegenüber liegt dem Grundgesetz gerade die Intention zu Grunde, sich weltanschaulich und religiös nicht festlegen zu wollen, Enders, in: Stern/Becker GG, Art. 1, Rn. 6. 117 Isensee, in: HGR IV, § 87 Rn. 31. 118 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 28 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 49 ff., 142 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 78 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 41 f.

C. Rechtspositivistische Herleitung

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Ein radikal rechtspositivistischer Ansatz, nach dem grundrechtliche Schutzpflichten nur dann bestehen, wenn diese ausdrücklich im Grundgesetz angeordnet sind, wird heute kaum noch vertreten.119 Der reine Textbefund zu grundrechtlichen Schutzpflichten im Grundgesetz ist äußerst mager. Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG verpflichtet alle staatliche Gewalt, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen. Mit der engen Auslegung des Würdebegriffs durch die Objektformel,120 wie sie sich zu Art. 1 Abs. 1 GG durchgesetzt hat, wäre das Schutzgut nicht besonders umfangreich bemessen.121 Speziellere Schutzpflichten enthalten die Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutz von Ehe und Familie sowie Art. 6 Abs. 4 GG zum Schutz der Mutter.122 Der Schutz der Jugend erscheint nach Art. 5 Abs. 2 GG als Schranke der Meinungsfreiheit, nach Art. 11 Abs. 7 GG als Schranke der Freizügigkeit und nach Art. 13 Abs. 3 GG als Schranke der Unverletzlichkeit der Wohnung. Nach Art. 5 Abs. 2 GG stellt der Ehrschutz eine Schranke der Meinungsfreiheit dar.123 Ein radikaler Rechtspositivismus schließt einen die unmittelbare Wortlautgrenze überschreitenden Wertevollzug vollständig aus.124 Das führt nach radikaler Wortlautauslegung zu dem paradoxen Ergebnis, dass der Staat zwar dazu verpflichtet ist, Ehe und Familie zu schützen, nicht jedoch andere, mindestens gleichwertige Rechtsgüter, wie Leben, Gesundheit oder Eigentum. Häufiger sind in der Rechtswissenschaft Strömungen auszumachen, die durch Auslegung weitere Schutzpflichten, neben den ausdrücklich genannten, ermitteln wollen.125 Dabei wird auf die Formulierungen „unverletzlich“ und „gewährleistet“ abgestellt. So beschreibt Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG die Freiheit der Person als unverletzlich. Ebenso nach Art. 4 Abs. 1 GG die Glaubens- und Gewissensfrei119 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 149 f.; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 29; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 79. 120 Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 1; Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1, Rn. 13; Höfling, in: Sachs GG, S. 15. 121 Dreier, DÖV 1995, 1036 (1038); zu einer erweiterten Auslegung des Schutzgutes und der damit verbundenen Ableitung umfangreicherer staatlicher Schutzpflichten, siehe unten 1. Kapitel D. – „Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG“. 122 BVerfG, Beschluss vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – BVerfGE 109, 64 (88) [Mutterschaftsgeld II]. 123 Wobei schon fraglich erscheint, ob der Textbefund in den Schrankenbestimmungen dazu taugt, grundrechtliche Schutzpflichten herzuleiten. Die Grundrechtsschranken stellen ausdrücklich ihres Wortlautes lediglich die Befugnis des Gesetzgebers dar, die Grundrechte einzuschränken, enthalten aber keine ausdrückliche Pflicht hierzu. Ein radikal am Wortlaut orientierter Rechtspositivismus kann folglich aus diesen Bestimmungen höchstens einen Schutzauftrag, nicht hingegen eine Schutzpflicht ableiten. Zur im Ergebnis gegenteiligen Auffassung siehe 1. Kapitel E. – „Herleitung aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip“. 124 Schmitt/Schönberger, Die Tyrannei der Werte, S. 26. 125 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 78 f.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

heit. Wenn die Verfassung die Unverletzlichkeit einer Rechtsposition anordnet, kann dies dahingehend verstanden werden, dass auch von privater Seite nicht ohne Weiteres in diese Rechtsposition eingegriffen werden darf und der Staat sich schützend vor etwaige Verletzungen zu stellen hat.126 Nach Art. 4 Abs. 2 GG wird die ungestörte Religionsausübung und nach Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG die Pressefreiheit gewährleistet. Über die Formulierung der Unverletzlichkeit hinaus, kann der Begriff der Gewährleistung nicht nur als Pflicht des Staates verstanden werden, sich schützend vor das entsprechende Recht zu stellen, sondern als Aufforderung, die Möglichkeit zur konkreten Freiheitsverwirklichung aktiv zu fördern. Nicht nur ist diese Art der Schutzpflichtenherleitung für das Umweltrecht kaum nutzbar zu machen, weil Presse- und Religionsfreiheit Umweltbezüge höchstens am Rande aufweisen. Auch bleiben Wertungswidersprüche nicht aus. So würden das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit schwächer geschützt als die Religionsausübung. Denn dem Staat würde gegenüber Eingriffen in Leib und Leben nur eine Unterlassungspflicht zukommen, wohingegen er die Ausübung der Religion aktiv fördern müsste. Es mag auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Zeiten gegeben haben, in denen die Religionsausübung einen höheren Stellenwert zugesprochen bekam als Leib und Leben.127 Auch mag es heute, in Zeiten moderner Staatlichkeit, Orte auf der Welt geben, in denen eine entsprechende Gewichtung zugunsten der Religion vorgenommen wird.128 Es erscheint aber schon fraglich, ob eine solche Gewichtung von den Verfassungsgebern intendiert war.129 Auch in der jüngeren deutschen Rechtswissenschaft wird allgemein von einem herausgehobenen Rang der Rechtsgüter Leib und Leben

126 So etwa Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 77. In diese Richtung auch bereits BVerfG, Beschluss vom 10.02.1960 – 1 BvR 526/53, 29/ 58 – BVerfGE 10, 302 (323). 127 Zur herausragenden Bedeutung der Religion als Rechtsquelle gegenüber allem weltlichen Recht im europäschen Mittelalter siehe Jerouschek, Lebensschutz und Lebensbeginn, S. 66 ff. 128 Vgl. Tomuschat, in: HStR X, § 208 Rn. 11, der auf fundamentale Unterschiede der Wertvorstellungen der westlichen Welt, der Staaten der arabischen Halbinsel und der Volksrepublik China hinweist. In Bezug auf die Stellung der Religion in der Gesellschaft (damit verbunden insbesondere die Stellung von Mann und Frau) herrschen so stark divergierende Vorstellungen, dass eine universelle Menschenrechtserklärung, die den Konsens aller Staaten gefunden hätte, bisher ausgeblieben ist. 129 Tatsächlich hatten die Grundgesetzmütter und -väter in erster Linie die Bekenntnisfreiheit als innere Freiheit im Blick und stellten sich unter der Freiheit der äußeren Religionsausübung in erster Linie „Kulthandlungen, Liturgie usw.“ vor, die auch in den öffentlichen Raum hineinwirkt. Anders als die heute herrschende Meinung war man sich im Parlamentarischen Rat mehrheitlich einig, dass die Religionsfreiheit unter dem mit Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG identischen einfachen Gesetzesvorbehalt steht, vgl. Matz, in: JöR 1 (1951), S. 74 f.

D. Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG

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ausgegangen.130 Würde man die mittels Auslegung sich aus dem Wortlaut ergebenden grundrechtlichen Schutzpflichten des Staates als abschließend betrachten, ergäben sich die genannten, nur schwer auflösbaren Wertungswidersprüche. Die Auslegungsmethode, die durch Wortlautauslegung weitere Schutzpflichten ermittelt, leistet zwar einen wichtigen Beitrag zur Begründung staatlicher grundrechtlicher Schutzpflichten, sie kann aber weder als alleinverbindlich noch als abschließend betrachtet werden.

D. Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG Ein mit dem eben skizzierten Ansatz eng verbundener Versuch, grundrechtliche Schutzpflichten aus dem Grundgesetz herzuleiten, orientiert sich am Wortlaut des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG.131 Demnach ist die Würde des Menschen zu schützen Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Aus diesem ausdrücklichen Schutzauftrag an den Staat ergeben sich nach dieser Auffassung alle grundrechtlichen Schutzpflichten. Die genauen Begründungsmodelle unterscheiden sich im Einzelnen.

I. Theorie vom Menschenwürdekern So wird vertreten, dass jedes Grundrecht einen „Würdekern“ enthalte, zu dessen Schutz der Staat verpflichtet sei.132 Diese Konstruktion führt notwendigerweise zu einem Dilemma. Entweder muss der Schutzbereich der Menschenwürde extrem ausgeweitet werden, um die umfassend anerkannten grundrechtlichen Schutzpflichten erklären zu können. Oder die grundrechtlichen Schutzpflichten 130 Das BVerfG stellte fest: „Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muß, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“ BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]; außerdem in der Literatur statt vieler: Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 25. Siehe zur Möglichkeit einer abstrakten Rangordnung unter den Grundrechten 2. Kapitel D. XIV. 131 Erstmals bei Dürig, AöR 1956, 117 (123); danach auch bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 413; Altenschmidt, NVwZ 2015, 559 (561); Bleckmann, DVBl. 1988, 932 (942); Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 23; Epping, Grundrechte, Rn. 123; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 21; Klein, NJW 1989, 1633 (1635); Murswiek, WiVerw 1986, 179 (182); Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 72; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 64; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 77; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43. 132 Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 34; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 2, Rn. 47; Höfling, in: Sachs GG, Art. 1, Rn. 11; Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 357; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (182); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 187 f.; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 64; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 32 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43; skeptisch Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 264.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

wären in ihrem Anwendungsbereich extrem reduziert. Die extreme Ausweitung des Menschenwürdebegriffs birgt die mancherorts beschworene Gefahr, dass die Menschenwürde in kleiner Münze eingesetzt und damit entwertet wird.133 Außerdem wären die grundrechtlichen Schutzpflichten wegen Art. 79 Abs. 3 GG selbst dem Zugriff des Verfassungsgebers entzogen.134 Ein zu enger Schutzbereich führt hingegen zu den oben aufgezeigten Wertungswidersprüchen, da einige schutzwürdigen Interessen aus dem Schutzbereich fallen würden.135 In berühmten Schutzpflichtfällen des Bundesverfassungsgerichts, wie dem Luftsicherheitsgesetz136 oder der Schleyer-Entführung,137 spielt die Menschenwürde eine zentrale Rolle, weshalb sich hier auch bei enger Auslegung Antworten aus diesem Begriff herleiten lassen. Das Bundesverfassungsgericht hatte mit der Schutzpflichtensystematik aber auch schon profanere und alltägliche Fälle zu lösen. Es brachte die Schutzpflichten-„Konstruktion“ bei Fragen wie Promillegrenzen im Straßenverkehr,138 Ladenöffnungszeiten,139 Immissionsgrenzwerten für Fluglärm140 und sogar der Beschimpfung der Bundesflagge zur Anwendung.141 Viele Fragen aus dem Bereich des Umweltschutzes sind nicht von so grundsätzlicher Natur, dass man sie als Menschenwürdekernprobleme behandeln könnte und dennoch ist der Grundrechtsbezug naheliegend. So wird man beim Phänomen des Waldsterbens an die Berufsfreiheit des Försters und den 133 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 413; Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 150; kritisch auch Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 80. In Bezug auf die Abtreibungsproblematik treffend Dreier, DÖV 1995, 1036 (1040), der hier nicht das Verkommen der Menschenwürde zur kleinen Münze bemängelt, sondern im Gegenteil, die schwere Bürde, die mit der Bejahung von Art. 1 Abs. 1 GG auf die Problematik geladen wurde, weil differenzierte Abstufungen im Bereich der Menschenwürde nicht zu erreichen seien. 134 Dreier, DÖV 1995, 1036 (1040). 135 Siehe 1. Kapitel C. – „Rechtspositivistische Herleitung“. Kritisch auch Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (242); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43 f. 136 BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (152) [Luftsicherheitsgesetz]. 137 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 [Schleyer]. 138 BVerfG, Beschluss vom 27.04.1995 – 1 BvR 729/93 – NJW 1995, 2343 (2343) [Promillegrenze]. 139 BVerfG, Urteil vom 01.12.2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 – BVerfGE 125, 39 (78) [Adventssonntage Berlin]. 140 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (992) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (71) [Fluglärm I]; bezüglich des Fluglärms griff auch BVerwG, Urteil vom 04.04.2012 – 4 C 8.09 , 4 C 9.09, 4 C 1.10, 4 C 2.10, 4 C 3.10, 4 C 4.10, 4 C 5.10, 4 C 6.10 – BVerwGE 142, 234 (278) [Fluglärmschutz] auf die Schutzpflichten zurück. 141 BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 – BVerfGE 81, 278 (293) [Bundesflagge].

D. Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG

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Substanzschutz des Waldeigentums denken müssen,142 ohne dass der Menschenwürdekern dieser Grundrechte zutage treten würde. Lärmbelästigungsfälle sind Grundrechtsfragen und Umweltfragen zugleich143 – aber nicht von solcher Qualität, dass man das hohe Gut der Menschenwürde bemühen wollte und müsste, um diese Konflikte zu lösen. Die Herleitung der Schutzpflichten über den Menschenwürdegehalt der Grundrechte ist wegen des eindeutig formulierten Schutzauftrages in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zunächst methodisch sauber. Auf zweiter Ebene bereitet es dafür umso mehr Schwierigkeiten, den Menschenwürdekern eines jeden Grundrechts herauszuarbeiten.144 Versucht man die Menschenwürde nicht zur Unkenntlichkeit auszudehnen, offenbaren sich schnell wesentliche Schutzlücken.145

II. Menschenwürde als Grund der Grundrechte Anders als die Theorie vom Menschenwürdekern der Grundrechte, sehen einige in der Menschenwürde den Grund aller Grundrechte.146 Demnach enthalte Art. 1 Abs. 1 GG kein eigenständiges Grundrecht, sondern liege allen anderen Grundrechten als oberstes Prinzip zugrunde.147 Die folgenden Grundrechte sind demnach direkter Ausfluss und Konkretisierung der Menschenwürde, sodass sich der Schutzauftrag aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG auf alle Grundrechte gleichermaßen bezieht.148 Demnach werden die Grundrechte um der Würde des Menschen Willen geschützt.149 Dieser Zusammenhang kommt in Art. 1 Abs. 2 GG zum Aus-

142 Siehe hierzu ausführlich 2. Kapitel D. X. – „Art. 12 I GG: Erhalt der Umweltnutzungsfreiheit“. 143 Nicht erst wenn die Lärmschwelle zur Gesundheitsschädigung überschritten ist, kann Lärmbelästigung grundrechtsrelevant sein. Sakrales Glockengeläut birgt die grundrechtlichen Spannungsfelder von Anfang an in sich. Ist ein Berufsträger auf Ruhe angewiesen, kann auch Art. 12 Abs. 1 GG Bedeutung erlangen. Einem chronisch Kranken steht eventuell Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG zur Seite und so weiter. 144 Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 36. 145 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43 f. 146 Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1107); Enders, in: Stern/Becker GG, Art. 1, Rn. 5; Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 1, Rn. 9; Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 96; Höfling, in: Sachs GG, Art. 1, Rn. 7; Isensee, in: VVDStRL 78 (2019), S. 451; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 172; Isensee, in: HGR II, § 26 Rn. 50; Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Vorbemerkung Art. 1, Rn. 8. Auch der Konzeption der Verfassung des Freistaates Sachsen liegt diese Auffassung zu Grunde. In Art. 14 Abs. 2 SaVf heißt es: „Die Unantastbarkeit der Würde des Menschen ist Quelle aller Grundrechte.“ 147 Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Vorbemerkung Art. 1, Rn. 8; Rupp, in: HGR II, § 36 Rn. 32. 148 Bleckmann, DVBl. 1988, 932 (942); Dürig, AöR 1956, 117 (118). 149 Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 88.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

druck. In Bezug auf den in Art. 1 Abs. 1 GG angeordneten staatlichen Würdeschutz heißt es, dass das deutsche Volk sich darum zu den unveräußerlichen Menschenrechten bekennt. Wer die Grundrechte als Ausdruck dieser unveräußerlichen Menschenrechte liest, kommt somit über Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zu einer alle Grundrechte umfassenden staatlichen Schutzpflicht. Kritisiert wurde die Deduktion der Grundrechte aus der Menschenwürde dafür, dass dies ihren materiellen Gehalt überspannen würde. Es müssten gar nicht alle dem Art. 1 GG folgenden Freiheits- und Gleichheitsrechte in der Menschenwürde angelegt sein.150 Die Rechtsprechung und mit ihr Teile der Literatur sehen in der Menschenwürdegarantie ein eigenständiges Grundrecht mit klarer Kontur.151 Durch die Vermischung von Menschenwürde und Einzelgrundrechten verschwimmt diese Kontur. Auch kann die Erhebung zum obersten Prinzip nur als scheinbare Aufwertung gesehen werden. Als Recht ist die Menschenwürde wehrfähig, als Prinzip ist sie mehr Leitidee als strikte Regel und verliert damit faktisch an Durchsetzungskraft.

E. Herleitung aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip Es ist auch der Versuch unternommen worden, staatliche Schutzpflichten aus den Grundrechtsschranken herzuleiten.152 Gedanklicher Ausgangspunkt ist, dass die Grundrechtsschranken nicht nur negative rechtsbegrenzende Wirkung haben sollen, sondern auch positive begünstigende Wirkung, zugunsten der Rechtsgüter und Interessen, die den Tatbestand der jeweiligen Schrankenbestimmungen erfüllen.153 Durch das System von Grundrechten und deren Schranken werden Tätigkeitsbereiche staatlichen Handelns abgesteckt. Die Grundrechte beschreiben Bereiche, in denen staatliches Handeln ausgeschlossen sein soll. Die Grundrechtsschranken beschreiben hingegen Bereiche, in denen staatliches Handeln nach dem Grundgesetz geboten erscheint. Somit wird das einfache Recht von der Verfassung programmiert.154 Die Grundrechtsschranken erschöpfen sich damit nicht

150

Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 22. BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (222) [Hartz IV]; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1970 – 1 BvR 83, 244, 345/69 – BVerfGE 28, 243 (263) [Dienstpflichtverweigerung]; Höfling, in: Sachs GG, Art. 1, Rn. 5; Kloepfer, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 411; Wittreck, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 164 ff. 152 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 31 ff.; Herzog, JZ 1969, 441 (441); Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 80 ff.; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 32; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 82 f.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 48. 153 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 80. 154 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 80. In diese Richtung auch Stern, DÖV 2010, 241 (246); Weber, DVBl. 1971, 806 (806). 151

E. Herleitung aus den Grundrechtsschranken

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lediglich in einer Beschränkung der Grundrechte. Sie geben dem Staat gleichzeitig einen Schutzauftrag in diesem Bereich.155 Der Schutzauftrag sei zunächst objektiv-rechtlicher Natur und begünstigt den Bürger nur reflexartig. Eine Pflicht zum Tätigwerden kann sich aber aus dem Zusammenspiel mit anderen Normen ergeben. So sieht Seewald den Staat durch das Sozialstaatsprinzip in gewissem Umfang dazu verpflichtet, von den durch die Schrankenbestimmungen erteilten Ermächtigungen Gebrauch zu machen.156 Für den Bereich des Umweltrechts wird sich seine Argumentation auf Art. 20a GG, der wie das Sozialstaatsprinzip ebenfalls eine Staatszielbestimmung ist, übertragen lassen.157 Problematisch erscheint aber, dass sich aus Staatszielbestimmungen nach überwiegender Ansicht keine subjektiven Rechte herleiten lassen.158 Eine weitere Ansicht, die Anfang der 70er Jahre auf das Sozialstaatsprinzip abstellte, um das rein liberale Grundrechtsverständnis zu überwinden und durch eine sozialstaatliche Grundrechtstheorie zu ersetzen, ist vereinzelt geblieben. Das Sozialstaatsprinzip gebiete nicht nur rechtlich-abstrakte, sondern reale Freiheit.159 Diese begriffliche Unterscheidung mag im damaligen politischen Kontext einen starken Klang gehabt haben. Als juristische Kategorien fehlte es den Begriffen jedoch an einer hinreichenden Konturierung. Daher konnte sich dieses Modell in der Rechtswissenschaft nicht durchsetzen.160

155 Laut Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 31 seien die Schutzpflichten des Grundgesetzes von diesem vorausgesetzt und kämen wie obiter dicta nur beiläufig zur Sprache. Die Analogie zur Figur der obiter dicta scheint nicht ganz glücklich gewählt, weil diesen nach verbreiteter Auffassung keine echte Bindungswirkung zukommt (Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 57 f.; differenzierend Brinktrine, Jura 2000, 123 (131)), die staatliche Bindung an die Schutzpflichten jedoch auch von Dietlein nicht bestritten wird, vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 231. 156 Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 81 f.; a. A. Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 86; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 49. 157 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20a, Rn. 1; Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 12; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 17. 158 Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 23; Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 73; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 32. 159 Böckenförde, NJW 1974, 1529 (1535); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 58; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 48; kritisch Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), S. 186. In Bezug auf die Versorgungssicherheit als verfassungsrechtlich fundierte Aufgabe ist auch heute noch eine ähnliche Argumentation anzutreffen, siehe Altenschmidt, NVwZ 2015, 559 (561). 160 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 58; Kloepfer/ Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 86.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

F. Abwehrrechtliche Einheitstheorie Einen gänzlich anderen Ansatz verfolgt die abwehrrechtliche Einheitstheorie.161 Wohingegen sich alle bisher aufgezeigten Herleitungsversuche darin einig waren, dass Abwehrrechte und Schutzpflichten zwei voneinander zu unterscheidende Begriffe sind, bestreitet die Einheitstheorie, dass ein solcher Unterschied überhaupt besteht. Demnach bedürfe es der Konstruktion grundrechtlicher Schutzpflichten nicht, da diese bereits in der Abwehrfunktion der Grundrechte enthalten seien.162

I. Begründung der Einheitstheorie Grundlage dieser These ist, dass dem Staat private Grundrechtseingriffe zugerechnet werden. Dies folge daraus, dass der Staat durch Schaffung des Gewaltmonopols den Bürger in die Pflicht nehme, erlaubtes Verhalten durch andere zu dulden. „Wenn der Staat seine Bürger verpflichtet, das erlaubte Verhalten zu dulden, dann muss er sich dieses Verhalten auch als Folge seiner Rechtssetzung zurechnen lassen.“ 163 Eine solche Duldungspflicht sei zwar meist nicht ausdrücklich normiert, sie ergebe sich aber daraus, dass der Bürger sich gegen erlaubtes Verhalten von Seiten privater Dritter nicht selbst verteidigen darf und ihm kein rechtlicher, gerichtlich durchsetzbarer oder sonst vollstreckbarer Abwehranspruch zur Seite stehe.164 Was der Staat nicht verbiete, habe er bereits erlaubt.165 161 Zuerst bei Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 56 ff., der diesen Ansatz bis zuletzt verfolgt Schwabe, JZ 2007, 135 (136); Schwabe, NVwZ 1983, 523 (524). Sodann auch bei Murswiek, WiVerw 1986, 179 S. 181 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 89 ff., der diesen Ansatz in späteren Veröffentlichungen nicht mehr verfolgt, vgl. Murswiek, JuS 2010, 1038 (1039); Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (244). Außerdem die abwehrrechtliche Einheitsthese befürwortend: Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 69 ff.; Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (215); VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (337) [Gentechnik]. Deskriptiv: Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 416 ff.; Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 22; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 35 ff.; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 43; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 74; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 86; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 103 f.; Pietzcker, in: FS für Dürig, S. 347; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464); Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 46 ff.; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 33; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 84 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 44 ff. 162 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 91 ff.; Schwabe, JZ 2007, 135 (135); Schwabe, NVwZ 1983, 523 (525) in diese Richtung auch das BVerfG, wenn es in Bezug auf eine atomrechtliche Genehmigung von einer Mitverantwortung des Staates für die aus dem Betrieb des Kraftwerks erwachsenden Gefahren spricht, vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (78) [Mülheim-Kärlich]. 163 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 91. 164 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 92. 165 Schwabe, NVwZ 1983, 523 (525).

F. Abwehrrechtliche Einheitstheorie

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Schwabe erläutert dies an einem vereinfachten Beispiel aus dem Immissionsschutz: Eine Norm schützt den B vor der Zuführung von 100 Schadeinheiten. B ist der Meinung, dass seine Gesundheit (oder ein sonstiges grundrechtliches Schutzgut) bei einer Belastung durch mehr als 70 Schadeinheiten leiden würde. B macht hier, laut Schwabe, keinen Schutzanspruch gegenüber dem Staat geltend, ihn vor mehr als 70 Schadeinheiten zu schützen. Er macht einen Abwehranspruch gegen die Norm geltend, die ihn verpflichtet die zusätzlichen 30 Schadeinheiten zu dulden.166 Dieser Duldungsbefehl werde von Literatur und Rechtsprechung ignoriert. Nur so könnten sie überhaupt auf das Ergebnis kommen, der Abwehranspruch sei ungenügend und es bedürfe einer staatlichen Schutzpflicht.167 Eine Schutzpflicht sei nur dort relevant, wo der Staat noch gar keine Regelung getroffen habe. Wenn der Staat eine Regelung getroffen habe und dem Bürger damit die Pflicht auferlegt, die damit verbundenen Folgen zu dulden, habe der Bürger keinen Schutzanspruch mehr, sondern einen Abwehranspruch gegen die damit verbundene Duldungspflicht.168

II. Schwächen der Einheitstheorie In den von Schwabe aufgeführten Beispielen scheint dieser Ansatz aufzugehen. Die abwehrrechtliche Einheitsthese scheitert aber in komplexeren Konstellationen. 1. Unübersichtliche Kausalitätsketten Wenn sowohl die Anzahl der Verursacher wie auch der Betroffenen steigt, werden die Kausalitätsketten schnell unübersichtlich. Für den einzelnen Bürger ist es kaum noch möglich zu bestimmen, welche staatlich erlaubten Emissionen welchen Beitrag zur Schädigung leisten und gegen welche behördliche und oder gesetzliche Erlaubnis er seinen Abwehranspruch zu richten hat. So ist bei einer zu hohen Schadstoffbelastung in der Luft ein Anspruch gegen den Staat nicht darauf gerichtet, eine bestimmte Maßnahme zu unterlassen. Dieser Anspruch wäre aufgrund der Vielzahl der Verursacherbeiträge kaum durchsetzungsfähig. Der Anspruch des Bürgers stellt sich deshalb nicht als Abwehrrecht gegen den einzelnen Schädigungsbeitrag dar, sondern als ein Schutzanspruch des Bürgers gegen den Staat, der auf die Schaffung einer schadstoffarmen Umwelt gerichtet ist, in der Gesundheitsgefahren auf ein verhältnismäßiges Maß reduziert sind.169

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Murswiek, WiVerw 1986, 179 (183); Schwabe, JZ 2007, 135 (135). Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 35; Schwabe, JZ 2007, 135 (136). 168 Murswiek, WiVerw 1986, 179 (183); Schwabe, JZ 2007, 135 (135). 169 Zur näheren Bestimmung des Inhalts entsprechender Schutzpflichten siehe 3. Kapitel B. – „Gesetzgebungspflichten“. 167

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

2. Verbotenes Verhalten Ein noch drastischeres Gegenbeispiel, um die Einheitsthese zu entkräften, findet sich außerhalb des Umweltrechts im Schleyer-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts.170 Die Einheitstheorie rechnet dem Staat das private Handeln zu, indem es eine Duldungspflicht gegenüber erlaubtem Verhalten konstruiert. Gegenüber unerlaubtem Verhalten versagt diese Konstruktion: der wehrlosen Geisel, die in die Hände von Terroristen gefallen ist, kommt unstreitig keine staatlich aufoktroyierte Duldungspflicht zu. Die Geiselnahme kann dem Staat auch nicht als eigener Grundrechtseingriff zugerechnet werden.171 Ein Verweis darauf, dass die Friedens- und Duldungspflicht für die Geisel suspendiert ist, hilft ihr nicht, da sie den Geiselnehmern wehrlos ausgeliefert ist.172 Wenn der Staat untätig bleibt und keine Versuche unternimmt, der Geisel zu helfen, müsste man annehmen – um hier in der Terminologie der abwehrrechtlichen Einheitstheorie zu bleiben – dass die Geisel einen Abwehranspruch auf Unterlassung des staatlichen Unterlassens hat. Doch woraus soll sich der Unterlassungsanspruch ergeben, wenn dem Staat die Grundrechtsverletzung nicht zurechenbar ist? Und was soll eine Verpflichtung zur Unterlassung des Unterlassens anderes sein als eine Schutzpflicht? Dies sind Widersprüche, die mit der abwehrrechtlichen Einheitstheorie nicht auflösbar sind. 3. Fehlen gesetzlicher Regelungen Auch im Falle des Fehlens gesetzlicher Regelungen hilft die abwehrrechtliche Einheitstheorie nicht weiter. Wenn ein bestimmtes (schädigendes) Verhalten noch nicht staatlich reguliert worden ist, kann nicht davon gesprochen werden, der Staat hätte dieses Verhalten erlaubt.173 In diesem Fall stellt sich ein Anspruch des Bürgers auf Erlass einer Schutznorm gegen das bisher unregulierte Verhalten nicht als Abwehranspruch gegen den Staat dar, sondern als Anspruch auf Schutz – sprich, als Schutzpflicht des Staates.174 Diese Schwäche der Einheitstheorie wird auch von ihrem Begründer erkannt und eingestanden. Es wird dem aber damit begegnet, dass diese Konstellation nur für die „Stunde Null einer Staatsentstehung mit Verfassungserlass“ gelte.175 In einem entwickelten Staat mit komple170 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (160) [Schleyer]; Kötter/Nolte, DÖV 2007, 186 (190); ein weiteres anschauliches Beispiel im Spannungsfeld von religiösem Fanatismus, Gewaltanwendung und Kunstfreiheit illustriert Isensee, in: FS für Scholz, S. 251 ff. In jüngerer Zeit wurde diese Grundrechtskonstellation beim Urteil zum Luftsicherheitsgesetz wieder relevant, BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (160) [Luftsicherheitsgesetz]. 171 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 32. 172 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 179; Zado, Privatisierung der Justiz, S. 283. 173 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 108. 174 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 102. 175 Schwabe, JZ 2007, 135 (135).

F. Abwehrrechtliche Einheitstheorie

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xem Normgefüge sei die Situation, dass ein Verhalten gänzlich nicht reguliert ist, kaum vorstellbar.176 Diese Annahme muss Widerspruch hervorrufen. Gerade das Umwelt- und Technikrecht ist von einer sich ständig ändernden Faktengrundlage geprägt. Nicht nur kommen neue Erkenntnisse über die Auswirkungen bereits vorhandener Technik auf, die bisher als ungefährlich eingestuft worden ist. Auch wird das Recht regelmäßig durch nur beschränkt oder gar nicht vorhersehbare Innovationen vor neue Herausforderungen gestellt. So war beispielsweise das Recht der Gentechnik bis zum Inkrafttreten des GenTG im Jahr 1990 nicht geregelt.177 Die Errichtung und der Betrieb gentechnischer Anlagen waren bis dahin ohne besondere Voraussetzungen möglich. Die Gentechnik war unreguliert, obwohl schon damals Erkenntnisse darüber vorlagen, dass der Einsatz von Gentechnik mit erheblichem Schadenspotential für Mensch und Umwelt einhergeht. Die Gefahren der Gentechnik wurden schon auf der Konferenz von Asilomar im Jahr 1975 in Kalifornien diskutiert, die mit der Erkenntnis schloss, dass die Notwendigkeit von Richtlinien für diese Technik besteht.178 Auch heute gilt die Gentechnik in vielerlei Hinsicht als sehr risikobehaftet, was die Auswirkungen auf die Gesundheit von Mensch und Tier angeht.179 Selbstverständlich besteht ein Abwehranspruch gegen Gefahren, die von der Nutzung der Gentechnik ausgehen – aber nur soweit der Staat diese selbst verursacht. Der Anspruch des Bürgers darauf, dass der Staat privaten Dritten bestimmte Schädigungshandlungen in diesem Bereich verbietet, stellt sich hingegen nicht als grundrechtlicher Abwehranspruch, sondern als Schutzpflicht dar.180 4. Sachverhalt mit grenzüberschreitendem Bezug Auch versagt die abwehrrechtliche Einheitstheorie, wenn die Wirkung von Grundrechten im internationalen Rahmen erklärt werden soll. Wird beispielsweise an der deutsch-schweizer Grenze auf schweizerischer Seite eine gefährliche Anlage errichtet, erteilt der deutsche Staat hier weder eine Genehmigung noch kann mangels hoheitlicher Befugnisse von einer Duldung gesprochen werden.181 Wird durch die gefährliche Anlage bei deutschen Staatsbürgern in einem grundrechtlich relevanten Schutzbereich die Verletzungsgrenze überschritten, kann die abwehrrechtliche Einheitstheorie nicht erklären, warum der deutsche 176

Schwabe, JZ 2007, 135 (135). Zur damaligen Rechtslage: Kloepfer/Meßerschmidt, Umweltrecht (1. Aufl. 1989), § 13 Rn. 201. 178 Breuer, NuR 1994, 157 (157); Regenass-Klotz, Grundzüge der Gentechnik, S. 157. 179 Mechel, in: Koch, Umweltrecht, § 11 Rn. 6. 180 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 74. 181 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (63) [CERN]. 177

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Staat aus grundrechtlichen Erwägungen heraus verpflichtet sein sollte, seinen Bürgern beizustehen. Freilich werden derartige Konfliktlagen in der Rechtspraxis durch die EMRK entschärft, der sowohl Deutschland als auch die Schweiz beigetreten sind und auf die sich deshalb ein deutscher Bürger gegenüber der Schweiz in einem derartigen Fall berufen könnte. Jedoch ist dieser Verweis verfassungsrechtsdogmatisch unbefriedigend, da die EMRK den deutschen Grundrechtsschutz verstärken und nicht beschränken soll.182 Außerdem besteht die theoretische Möglichkeit, dass Deutschland oder ein Nachbarstaat aus der EMRK austritt oder eine vergleichbare Konfliktsituation mit einem Drittstaat besteht, der keine gemeinsame Menschenrechtserklärung mit der Bundesrepublik unterzeichnet hat, die dem betroffenen deutschen Bürger Schutz gewähren würde.

III. Fazit Der abwehrrechtlichen Einheitsthese kommt der Verdienst zu, die strukturellen Ähnlichkeiten von Abwehrrecht und Schutzpflicht herauszustellen. Diese bestehen darin, dass der Schutzbereich eines Grundrechts verletzt wird und der Staat deshalb zu einem Verhalten verpflichtet ist. Anders als die abwehrrechtliche Einheitsthese muss jedoch kein Eingriff des Staates in ein Grundrecht konstruiert werden. Ganz im Gegenteil, für die Schutzpflicht wird die Nichtstaatlichkeit des Eingriffs vorausgesetzt. Der eigentliche Unterschied wird auf Rechtsfolgenseite deutlich. Während der Abwehranspruch der Grundrechte darauf gerichtet ist, die angegriffene Maßnahme zu unterlassen, richtet sich die grundrechtliche Schutzpflicht auf ein gefordertes Eingreifen des Staates. Im Gegensatz zum Abwehrrecht kommt hier dem Staat denknotwendiger Weise ein Ermessen zu.183 Die grundrechtliche Schutzpflicht hat nur zur Folge, dass der Staat die grundrechtlich verbürgte Position schützen muss. Nicht aber durch welche Maßnahmen er den gebotenen Schutz gewährleistet. Anders ist dies nur in Konstellationen, in denen dem Staat nur eine Möglichkeit bleibt, seiner Schutzpflicht nachzukommen. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null ist in den von Schwabe zur Stützung seiner These aufgeführten Fallbeispielen meistens gegeben. Anders als von ihm suggeriert, ist eine solche Ermessensreduktion in der Praxis, insbesondere im Umweltrecht, die Ausnahme und nicht die Regel. So bestehen immissionsschutzrechtliche Fallgestaltungen meist nicht nur aus einem Emittenten A, der eine genau bestimmbare Menge des Schadstoffs X in Richtung des Nachbarn B emit182 BVerfG, Beschluss vom 26.03.1987 – 2 BvR 589/79 – BVerfGE 74, 358 (370) [Unschuldsvermutung]. 183 Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26; so auch das BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 – BVerfGE 133, 59 (76) [Sukzessivadoption]; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn].

G. Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff

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tiert.184 Der Regelfall in einem dicht besiedelten Industriestaat ist, dass sich eine Vielzahl an Emittenten und eine meist noch größere Anzahl an Betroffenen gegenüberstehen. Häufig sind auch Ursache und Wirkung nicht so klar wie in den simplifizierten Beispielen, die von den Vertretern der Einheitsthese ins Feld geführt werden. Abwehrrecht und Schutzpflicht unterscheiden sich damit auf Rechtsfolgenseite wesentlich voneinander.185 Die abwehrrechtliche Einheitstheorie vermag es nicht, eine Antwort darauf zu geben, wie den rechtsfolgenseitigen Problemen der Schutzpflichten zu begegnen ist.186 Hinzu kommt das rechtsdogmatische Problem der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte. Wer annimmt, jedes erlaubte Handeln sei dem Staat zuzurechnen, da dieser es nicht verboten habe, bejaht damit eine faktisch unmittelbare Wirkung der Grundrechte der Bürger untereinander.187 Eine unmittelbare Drittwirkung der Grundrechte ist in der Geschichte des Grundgesetzes immer wieder diskutiert worden,188 hat sich aber nicht zuletzt wegen des klaren Wortlautes des Art. 1 Abs. 3 GG nie durchsetzen können.189

G. Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff Auch ist der Versuch unternommen worden, einen mehrdimensionalen Freiheitsbegriff zu etablieren.190 Der Begriff der Dimensionalität legt ein räumliches 184 Dies entspricht dem klassischen Dreiecksverhältnis Staat – Opfer – Störer, auf das in der Literatur klassischerweise immer wieder Bezug genommen wird, um die Konstellation zu erklären, in der Schutzpflichten typischerweise Wirkung entfalten, siehe 2. Kapitel B. – „Schutzrichtung“. 185 BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 – BVerfGE 133, 59 (76) [Sukzessivadoption]. 186 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 420 f.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 433. 187 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 418; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 50 f.; Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), S. 184. 188 Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 14 ff. 189 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 10, Rn. 111; Pielow, in: BeckOK GewO, § 1, Rn. 115; Richardi, in: MHbA Bd. 1, Rn. 8; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 12, Rn. 77. 190 Die Bezeichnung der Mehrdimensionalität wird Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, S. 26 ff. zugeschrieben. Angewandt und fortgeschrieben wurde die Theorie unter anderem von Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 201 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 150 ff., S. 170; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 36; Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 74; Stern, DÖV 2010, 241 (244); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 311 ff.; ein ähnlicher Versuch findet sich schon früh kurz skizziert bei Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 209 f. In Ansätzen auch Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 80 f., der daran zweifelt, ob sich Freiheits- und Leistungsrechte im modernen Sozialstaat über-

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Verständnis grundrechtlicher Freiheit zu Grunde. So werden Grundrechte als „durch die Verfassung zuerkannter Freiraum“ 191, Sphäre192 oder Schutzzone193 bezeichnet. Nach diesem Verständnis definieren die Freiheitsrechte einen Ausschnitt der sozialen Wirklichkeit, in dem der Einzelne das Recht zur Ausübung seiner Willkür hat.194 Der Anspruch auf diesen Freiraum richtet sich zwar ausschließlich gegen den Staat, selbiger muss diesen Freiraum aber auch vor nichtstaatlichen Eingriffen freihalten.195 So wird zum Beispiel die Eigentumsfreiheit durch den Staat nicht angetastet, wenn eine Sache durch einen Dieb gestohlen wird. Die Gewährleistung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG verlangt jedoch vom Staat, dass er den Diebstahl unter Strafe stellt, da das Eigentum sonst nur eine rein formale Position gegenüber dem Staat wäre. Das Eigentum wäre durch den freien Zugriff Dritter faktisch wertlos.196 Genauso würde das Recht auf körperliche Unversehrtheit leerlaufen, wenn dem Staat keine Schutzpflicht zukäme.197 Enthält sich der Staat zwar eines eigenen Eingriffs in die Gesundheit seiner Bürger, akzeptiert aber, dass deren Gesundheit durch privat verursachte Schadensemissionen massiv verletzt wird, ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit in diesem Staat nicht verwirklicht.198 Auch außerhalb der umweltrelevanten Grundrechte findet sich diese Struktur.199 Die Liste von einzelnen anerkannten grundrechtlichen haupt noch scharf voneinander abgrenzen lassen. Dies muss wohl auch für den modernen Umweltstaat gelten. Kritisch hinsichtlich der fehlenden Trennschärfe auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 424 f. 191 Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 105; Klein, JuS 2006, 960 (962). 192 Enders, Der Staat 1996, 351 (371); Peine, in: HGR III, § 57 Rn. 2; Schmitt, Verfassungslehre, S. 173; Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 143; Staben, Der Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, S. 142; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 144. 193 BVerfG, Urteil vom 27.02.2008 – 1 BvR 370, 595-07, 1 BvR 370, 595/07 – DöV 2008, 459 (465) [Onlinedurchsuchungen]; Diggelmann, in: VVDStRL 70 (2010), S. 71 ff.; Würtenberger, in: FS für Schröder 70, S. 291; oder auch die Formulierung „Freiheitsbereichszonen“ bei Wendt, in: Sachs GG, Art. 14, Rn. 91. 194 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 150. 195 Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 311. 196 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 61. 197 Ebenso für das Leben Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 28. 198 Ganz generell zur Schutzpflicht des Staates vor Straftätern BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 2029/01 – BVerfGE 109, 133 (186) [Langfristige Sicherheitsverwahrung]: „Der Staat hat die Aufgabe, die Grundrechte potentieller Opfer vor Verletzungen durch potentielle Straftäter zu schützen“. Auch BVerfG, Beschluss vom 06.10. 2014 – 2 BvR 1568/12 – NJW 2015, 150 (150) [Gorch Fock]. 199 Die Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Abs. 1 GG liefe ebenfalls häufig leer, wenn sie nur den Staat verpflichten würde, nicht in eine Versammlung einzugreifen, aber den Schutz vor privaten Störern nicht gebietet. So BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 (249) [Fraport]; BVerfG, Beschluss vom 10.05. 2006 – 1 BvQ 14/06 – NVwZ 2006, 1049 (1050) [Polizeilicher Schutz von Versamm-

G. Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff

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Schutzpflichten zu den Einzelgrundrechten lässt sich nahezu beliebig fortsetzen.200 Diese in den Freiheitsbereichen enthaltenen Schutzpflichten, können auch für das Umweltrecht nutzbar gemacht werden. Dort wo die Verwirklichung eines Grundrechts durch Umweltschäden gefährdet wird, bestehen für den Staat Umweltschutzpflichten, die ihren Ursprung in den Grundrechten der Einzelnen haben. Die Abwehrfunktion und die Schutzfunktion sind demnach nur zwei von mehreren Grundrechtsdimensionen, zu denen daneben noch die Ausstrahlungswirkung, Leistungs- und Teilhaberechte sowie Einrichtungs- und Ausgestaltungsrechte gehören sollen.201 Die Theorie der Mehrdimensionalität hat einen durchaus kraftvollen Klang, weil sie verspricht, alle Grundrechtsfunktionen unter einem Dach zu vereinen. Sie orientiert sich dabei an den unterschiedlichen Funktionen, die aus den Grundrechten folgen. Hier wird aber auch die erkenntnistheoretische Schwäche der Theorie offenbar – was sie begründen soll, setzt sie voraus. Anstatt herzuleiten, wie sich die unterschiedlichen Grundrechtsfunktionen ableiten lassen, nimmt es den anerkannten Bestand an unterschiedlichen Grundrechtsfunktionen zur Grundlage, um eine Mehrdimensionalität zu begründen und daraus wiederum abzuleiten, dass es unterschiedliche Funktionen geben müsse.202 Außerdem ist die Theorie der Mehrdimensionalität der Grundrechte dafür kritisiert worden, dass sie wenig Trennschärfe mit sich bringt.203 Selbst der Begründer der Theorie bemerkt, dass die Übergänge zwischen den Dimensionen fließend seien.204

lungen]; Geulen, KJ 1983, 189 (193); Schneider, in: Sachs GG, Art. 8, Rn. 29; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, S. 82 f. Noch ausdrücklich offengelassen hingegen: BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81 – BVerfGE 69, 315 (355) [Brokdorf]. Schon bevor die Schutzpflichtenlehre als eigenes Rechtsinstitut etabliert wurde, war die Schutzpflicht zu Gunsten der Versammlungsfreiheit bereits anerkannt; statt vieler Trubel/Hainka, Das Versammlungsrecht, S. 91. 200 So enthält beispielsweise auch das im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung kreierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung eine Schutzpflichtendimension: BVerfG, Beschluss vom 14.01.1998 – 1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97 – BVerfGE 97, 125 (146) [Caroline von Monaco I]. Siehe auch Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 210. 201 Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, 327–252; ähnlich Stern, DÖV 2010, 241 (241). 202 Dieses Argument wird umgekehrt von Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 153, der darauf hinweist, dass sich die Abwehrdimension ebenfalls nicht aus dem Wortlaut der Art. 1 ff. GG herleiten ließe. Jedoch, wollte man dies zugestehen, wäre dies nur ein Argument gegen die Abwehrfunktion der Grundrechte, nicht für die darüberhinausgehenden Dimensionen. So kommt auch er zu dem Schluss, dass kein Weg an einer vertieften Verfassungsexegese, insbesondere mittels historischer (Krings, S. 154 ff.) und teleologischer Methode (Krings, S. 160 ff.), vorbeiführt; hierzu ausführlich 1. Kapitel I. – „Diskurstheoretische Deutung und Fazit“. 203 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 425. 204 Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, S. 46.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Die Theorie der Mehrdimensionalität taugt als Zustandsbeschreibung einer modernen Grundrechtsdogmatik in ihren mannigfaltigen Facetten. Eine Begründung derselben kann sie jedoch genauso wenig ersetzen, wie eine Dogmatik der Einzelfunktionen.

H. Theorie von der objektiven Wertordnung Als zentral für die Entwicklung der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten wird die Theorie von der objektiven Wertordnung der Grundrechte gesehen.205

I. Anfänge der Wertordnungstheorie Die Theorie einer objektiven Wertordnung der Grundrechte kam bereits in der Weimarer Republik auf,206 genoss aber noch keine weitgehende Anerkennung.207 Kaufmann sah in den Grundrechten der Weimarer Reichsverfassung „Legitimitäts- und Wertauffassungen“, die für den Richter bindend seien.208 Für Smend war die Funktion der Grundrechte, neben ihrer positiven Rechtsgeltung als Abwehrrechte und Auslegungsregeln, ein für den Verfassungsstaat sinnstiftendes „Kultur- und Wertsystem“.209 Starke Worte fand auch das Reichsgericht, das die Grundrechte als das „Heiligtum des deutschen Volkes“ verstanden wissen wollte.210 Diese Auffassung der Grundrechte als Wertsystem stand mit zwei prominenten zeitgenössischen Rechtsschulen im Widerspruch. Zum einen dem Rechtspositivismus, insbesondere zur Rechtsphilosophie Kelsens, der die Grundrechte als rechtliches Instrument des Minderheitenschutzes in der Demokratie und damit als Abwehrrechte gegen die staatlich organisierte Mehrheit sah.211 Grundrechte seien ein „Schutzwall gegen den Herrschaftsmissbrauch“.212 Werte seien in der Demokratie hingegen eine Sache der individuellen 205 Grundlegend: BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]; die Terminologie des Gerichts ist zum Teil uneinheitlich. Wertsystem, Grundentscheidung, objektive Wertordnung, objektiv-rechtlicher Gehalt, Grundprinzipien etc. werden meist synonym verwendet. Hierzu auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 196; Jarass, AöR 1985, 363 (367); Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 289; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 27; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 52. 206 Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 14 ff.; Stern, DÖV 2010, 241 (242). 207 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 160. 208 Kaufmann, in: VVDStRL 3 (1927), S. 18. 209 Smend, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, S. 265. 210 RG, Urteil vom 28.04.1921 – VI 368/20 – RGZ 102, 161 (165). 211 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12; in diese Richtung in der Weimarer Zeit auch Schmitt, Verfassungslehre, S. 163 f. 212 Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 12.

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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Anschauung. Diese Anschauungen müssten in der Demokratie alle gleich geachtet werden.213 Diese Relativität des Wertes verbiete es, eine objektive Wertordnung zu behaupten, die über den persönlichen Überzeugungen der das Staatsvolk konstituierenden Individuen stünde.214 Zum anderen stand die Wertordnungsidee in Widerspruch zum konkreten Ordnungsdenken im Sinne von Schmitt und anderen nationalsozialistischen Juristen. Für die Schule des konkreten Ordnungsdenkens waren es nicht die Regeln und Normen, aus denen sich eine Ordnung ergibt, sondern „die Regel [ist] nur ein Bestandteil und ein Mittel der Ordnung“.215 Die Auffassung der Grundrechte als Wertsystem, aus dem sich eine Ordnung ableiten ließe, stieß bei den NS-Rechtsschulen und ihren Vorläufern auf Ablehnung.216 Beifall fand hingegen die mit der Wertordnungstheorie verbundene Idee der Ausstrahlungswirkung der zivilrechtlichen Generalklauseln auf die Rechtsanwendung.217 Ausstrahlen sollte hier jedoch nicht eine auf Grundrechten basierende Wertordnung, sondern die nationalsozialistische Ideologie.218 Die Generalklauseln sollten als „Kuckuckseier im liberalistischen Rechtssystem“ genutzt werden.219 In der frühen Bundesrepublik wurde die Wertordnungstheorie wieder von Dürig aufgegriffen, der damit zunächst die Wirkung von Grundrechten im Zivilrecht zu erklären suchte.220 Wohingegen das Bundesverfassungsgericht zu Beginn noch an der Abwehrfunktion der Grundrechte als ihre einzige Funktion festhalten wollte,221 vollzog es im Lüth-Urteil die Wende.222 Das Grundgesetz wolle keine wertneutrale Ordnung sein.223 Keine Vorschrift, auch des bürgerlichen Rechts, dürfe in Widerspruch zu diesem Wertsystem stehen. Das grundrechtliche Wert213

Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 36. Kelsen, Vom Wesen und Wert der Demokratie, S. 36 ff. 215 Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 13; in die gleiche Richtung Lange, Liberalismus, Nationalsozialismus und Bürgerliches Recht, S. 7. 216 Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 11 ff.; anders noch zwei Jahre zuvor ebenfalls Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 60 f. 217 Kritisch zur damaligen Transformation der Rechtsordnung durch die extensive Verwendung von Generalklauseln: Hedemann, Die Flucht in die Generalklauseln, S. 51 f. 218 Larenz, Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie, S. 32 f.; Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 58 f. 219 Lange, Liberalismus, Nationalsozialismus und Bürgerliches Recht, S. 5; Schmitt, Über die drei Arten des rechtswissenschaftlichen Denkens, S. 59. 220 Dürig, in: Maunz/Dürig, GG (1. Lieferung 1958), Art. 1, Rn. 1 ff., Rn. 99; Dürig, AöR 1956, 117 (117); Dürig, in: FS für Nawiasky, 1956, S. 176. 221 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (104) [Hinterbliebenenrente I]. 222 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]. 223 So schon BVerfG, Urteil vom 23.10.1952 – 1 BvB 1/51 – BVerfGE 2, 1 (12) [SRP-Verbot]. 214

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

system sei eine grundsätzlich zu beachtende Auslegungsmaxime.224 Der Auffassung von Smend und Dürig folgend, sah es die Generalklauseln als „Einbruchsstellen“ der Grundrechte in das bürgerliche Recht.225 In der Folge setzte sich auch in der Literatur die Auffassung durch, dass den Grundrechten eine „multifunktionale Verwendung“ zukäme, wie Luhmann es erstmals ausdrückte.226 Später wurden die grundrechtlichen Schutzpflichten als Gravitationszentrum der Diskussion um die objektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte bezeichnet.227

II. Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung Das Bundesverfassungsgericht nahm in einer Vielzahl von Entscheidungen zu den grundrechtlichen Schutzpflichten Stellung. Dabei wurden Auffassungen des Bundesverfassungsgerichts häufig zu Kristallisationspunkten für die Entwicklung von Theorien in der Literatur. Auch umgekehrt wurden einige Entscheidungen des Gerichts von Kontroversen aus der Wissenschaft befruchtet.228 Im Folgenden wird die Entwicklung der grundrechtlichen Schutzpflichten vor dem Bundesverfassungsgericht in seinen wesentlichen Entscheidungen nachgezeichnet. 1. Anfänge der Wertordnungsrechtsprechung Die Wertordnungstheorie des Bundesverfassungsgerichts gilt gemeinhin als Ausgangspunkt der Schutzpflichtenrechtsprechung. 229 Bereits in der Entscheidung zum SRP-Verbot bezeichnete das Bundesverfassungsgericht die durch das Grundgesetz konstituierte Ordnung als „eine wertgebundene Ordnung“.230 Diese wertgebundene Ordnung, die zunächst als Legitimation für die Verbote von SRP und KPD herangezogen wurde, bekam durch die Elfes-Rechtsprechung eine staatsbegrenzende Wirkung zugesprochen, die auch durch eine verfassungsändernde Mehrheit nicht aufgehoben werden könne.231 Daraus begründet das Bundesverfassungsgericht das Recht, jedes freiheitseinschränkende Gesetz aufgrund der Behauptung, es gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung, mittels Ver224

BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]. BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (206) [Lüth]. 226 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 80; vgl. auch Stern, DÖV 2010, 241 Fn. 22. 227 Dreier, Jura 1994, 505 (512). 228 Stern, DÖV 2010, 241 (242). 229 Statt vieler Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 5; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 62; Goerlich, NJW 1981, 2616 (2616); Jarass, AöR 1985, 363 (369); Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 65. 230 BVerfG, Urteil vom 23.10.1952 – 1 BvB 1/51 – BVerfGE 2, 1 (12) [SRP-Verbot]; daran festhaltend: BVerfG, Urteil vom 17.08.1956 – 1 BvB 2/51 – BVerfGE 5, 85 (139) [KPD-Verbot]. 231 BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 (40) [Elfes]. 225

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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fassungsbeschwerde angreifen zu können.232 Auch wenn in der Elfes-Entscheidung keine über die reine Abwehrfunktion hinausgehende Grundrechtefunktion entwickelt wurde, stellt die Entscheidung einen Meilenstein dar.233 Mit der Wertordnungsthese wurde ein Begründungstopos eingeführt, der in der Folge immer wieder herangezogen werden sollte.234 Auch die ausdrücklich normierte Schutzpflicht des Art. 6 Abs. 1 GG zugunsten von Ehe und Familie wurde durch das Bundesverfassungsgericht als „verbindliche Wertentscheidung“ verstanden.235 „Verfassungsnormen [. . .] die das Verhältnis des Bürgers zum Staat bestimmen“ enthielten „mehrere Funktionen, die miteinander verbunden sind und ineinander übergehen“.236 Aus dieser Entscheidung ist deutlich der Wille herauszulesen, die noch jungen Grundrechte extensiv zu interpretieren. Das Gericht zieht zur Untermauerung das Diktum von Richard Thoma heran, dass derjenigen Auslegung der Vorzug zu geben sei, „die die juristische Wirkungskraft der betreffenden Norm am stärksten entfaltet“.237 Das Bundesverfassungsgericht erteilt damit der Interpretation des Grundrechtskatalogs als reine Abwehrrechte eine Absage.238 In der Lüth-Entscheidung wurde die objektive Wertordnung wieder herangezogen, um die Wirkung der Grundrechte im Zivilrecht zu begründen.239 Sie seien nicht nur Leitlinien für alle drei Gewalten, sondern beeinflussen auch das Verhältnis der Bürger untereinander.240 Auch wenn hier noch nicht von einer staatlichen Schutzpflicht die Rede ist, klingt sie bereits an.241 Dem Staat wird zwar 232

BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 (41) [Elfes]. Die Bedeutung des Elfes-Urteils, insbesondere im Verhältnis zum Lüth-Urteil, stellt sich bis heute als kontrovers dar. So wird Elfes zum Teil als grundlegend verstanden; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 283; ähnlich Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 80. Teilweise wird aber auch mit Verweis auf die lediglich abwehrrechtliche Grundrechtefunktion in Elfes konstatiert, die Entscheidung füge „dem positiven Verfassungsrecht nichts neues hinzu“; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 11, Rn. 8. 234 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 161 ff.; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 283 f.; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 316. 235 BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 (72) [Steuersplitting]. 236 BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 (72) [Steuersplitting]. 237 BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 (72) [Steuersplitting]. 238 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 159. 239 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (206) [Lüth]; siehe hierzu auch Stern, DÖV 2010, 241 (243). 240 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]. 241 Cremer, in: GS Jeand’Heur, S. 77 spricht davon, dass die Lüth-Rechtsprechung als „Vehikel“ diente, um den Grundrechten weitere, über die subjektiven Abwehrrechte hinausgehende Funktionen und Bedeutungsgehalte zuzusprechen. 233

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

noch keine unmittelbare Schutzpflicht zugesprochen, jedoch die Zivilrechtsprechung in die Pflicht genommen, allgemeine Gesetze grundrechtskonform zu interpretieren und sich somit schützend vor die Grundrechtsposition des Betroffenen zu stellen.242 2. Frühe verfassungsgerichtliche Schutzpflichtenrechtsprechung Anders als zum Teil dargestellt,243 ist die erste Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch nicht die Geburtsstunde grundrechtlicher Schutzpflichten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.244 Bereits der erste Band der amtlichen Sammlung trägt den Keim der Schutzpflichtenlehre in sich. In seinem Beschluss zur Hinterbliebenenrente stellt das Bundesverfassungsgericht durch Wortlautauslegung fest, dass Art. 1 Abs. 1 GG eine Schutzpflicht gegen Angriffe Dritter, wie Erniedrigung und Verfolgung, enthält.245 Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sei hingegen nicht als Grundrecht auf angemessene Versorgung, im Sinne eines Leistungsanspruchs auf Nahrung, Kleidung oder Wohnung zu verstehen.246 Das schließe ein verfassungsmäßiges Recht auf Fürsorge aber nicht grundsätzlich aus. Dieses sei jedoch erst verletzt, „wenn der Gesetzgeber diese Pflicht willkürlich, d. h. ohne sachlichen Grund versäumte“.247 Ein entsprechender Schutz- und Fürsorgeanspruch könne „möglicherweise“ mittels einer Verfassungsbeschwerde verfolgt werden.248 Wesentliche Grundsätze der späteren verfassungsgerichtlichen Schutzpflichtenrechtsprechung, wie die Beschränkung auf eine Evidenzkontrolle sowie die Rügefähigkeit gesetzgeberischen Unterlassens durch Verfassungsbeschwerde, sind in dieser frühen Entscheidung bereits enthalten.249 Das Anstoßen des Schutzpflichtengedankens im Jahr 1951 erfolgte ein Jahr früher als die Formulie-

242

BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (210) [Lüth]. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 27; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 400; Stern, DÖV 2010, 241 (243). 244 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 47; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 42 Fn. 109. 245 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (104) [Hinterbliebenenrente I]; hierzu auch Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 34. 246 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (104) [Hinterbliebenenrente I]; siehe zur darauf aufbauenden weiteren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, insbesondere der Ableitung sozialer Leistungsansprüche aus den Grundrechten Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 136 f. 247 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (105) [Hinterbliebenenrente I]. 248 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (105) [Hinterbliebenenrente I]. 249 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (104 ff.) [Hinterbliebenenrente I]; so auch Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 16 Fn. 68. 243

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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rung der objektiven Wertordnung im SRP-Urteil. Der Gedanke der objektiven Wertordnung entwickelte sich zunächst unabhängig vom Schutzpflichtengedanken.250 Die Annahme, die Wertordnungsrechtsprechung sei Ausgangspunkt für die Schutzpflichtenlehre, 251 stellt sich somit bei näherem Hinsehen als unzutreffend heraus. Zwei Jahrzehnte später wird der Schutzpflichtenansatz im Hochschul-Urteil wieder aufgegriffen und erstmalig mit der Wertordnungstheorie verknüpft. Das Bundesverfassungsgericht stellte fest, dass dem einzelnen Wissenschaftler aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG „ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen [. . .], die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiraums unerlässlich sind“, erwachse.252 Es wiederholt seine Wertordnungsrechtsprechung, wie sie insbesondere im Lüth-Urteil formuliert wurde und folgert daraus eine „Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte“.253 Kurz darauf entwickelte das Bundesverfassungsgericht im sog. Lebach-Urteil das Schutzgebot zugunsten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.254 Außerdem formulierte es einen Schutzauftrag aus dem Grundrecht der Kunstfreiheit, „ein freiheitliches Kunstleben zu schützen und zu fördern“.255 3. Erste Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch Die erste Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch aus dem Jahr 1975 wird gern als „juristischer Paukenschlag“ für die Schutzpflichtenlehre bezeichnet.256 Das Gericht stellte hier einige wesentliche Grundsätze auf, die auch die folgende Rechtsprechung zu den grundrechtlichen Schutzpflichten entscheidend prägen werden.257 Am Beginn steht die apodiktische Feststellung: „Die Pflicht des Staates, jedes menschliche Leben zu schützen, läßt sich [. . .] bereits unmittelbar aus Art. 2 250

1. Kapitel H. I. – „Anfänge der Wertordnungsrechtsprechung“. Siehe Nachweise in Fn. 243. 252 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (115) [Hochschul-Urteil]. 253 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (113) [Hochschul-Urteil]. 254 BVerfG, Urteil vom 05.06.1973 – 1 BvR 536/72 – BVerfGE 35, 202 (221) [Lebach]. 255 BVerfG, Urteil vom 05.03.1974 – 1 BvR 712/68 – BVerfGE 36, 321 (331) [Schallplatten]. 256 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 102; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 27; Stern, DÖV 2010, 241 (243); Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 4 e); Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). 257 Dreier, Jura 1994, 505 (512); Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 31. 251

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Abs. 2 Satz 1 GG ableiten. Sie ergibt sich darüber hinaus auch aus der ausdrücklichen Vorschrift des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG; denn das sich entwickelnde Leben nimmt auch an dem Schutz teil, den Art. 1 Abs. 1 GG der Menschenwürde gewährt.“ 258 Diese Schutzpflicht wird knapp aus dem „objektiv-rechtlichen Gehalt der grundrechtlichen Normen“ 259 und nicht als subjektives Schutzrecht hergeleitet. Diese objektiv-rechtliche Herleitung hat, wie das Gericht selbst einräumt, ihren Hintergrund darin, dass so die „in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum umstrittene Frage nicht entschieden zu werden [braucht], ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist“.260 Es wird damit nicht prinzipiell verneint, dass Schutzpflichten auch eine subjektiv-rechtliche Seite haben können.261 Darüber hinaus sind der Entscheidung keine weiteren Angaben zur Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten zu entnehmen. Das Gericht beschränkt sich im Folgenden darauf zu umschreiben, welche Wirkung die grundrechtlichen Schutzpflichten entfalten: „Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur – selbstverständlich – unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor diese Leben zu stellen, das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. An diesem Gebot haben sich die einzelnen Bereiche der Rechtsordnung, je nach ihrer besonderen Aufgabenstellung, auszurichten.“ 262

Seine herausragende Stellung in der Rechtsprechungshistorie des Gerichts verdankt die erste Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nicht ihrem Begründungsansatz. Denn dieser war nahezu vollständig bereits in der Hochschulrechtsprechung angelegt.263 Bemerkenswert ist das Urteil wegen der in ihm angeordneten Rechtsfolgen. War in der Hochschulrechtsprechung noch die Rede davon, dass es dem Gesetzgeber frei stehe wie er seiner Schutzpflicht gerecht werde, solange er die aufgestellten Grundsätze beachte,264 wurden im Schwangerschaftsabbruchsurteil konkrete Forderungen an den Gesetzgeber gestellt. Zwar wird auch hier mit der Formel eingeleitet, dass „in erster Linie vom Gesetzgeber zu entscheiden [ist,] wie der Staat seine Verpflichtung zu einem effektiven Schutz 258 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (41) [Schwangerschaftsabbruch I]. 259 Dazu schon BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]. 260 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (41) [Schwangerschaftsabbruch I]. 261 Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 316 f. 262 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]. 263 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (113 ff.) [Hochschul-Urteil]; Stern, DÖV 2010, 241 (243). 264 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (116) [Hochschul-Urteil].

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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des sich entwickelnden Lebens erfüllt“.265 Im Anschluss wird dem Gesetzgeber allerdings als Mittel zum Schutz des ungeborenen Lebens das scharfe Schwert des Strafrechts vorgeschrieben.266 Des Weiteren werden die Voraussetzungen dargestellt, unter denen der Gesetzgeber ausnahmsweise den Schwangerschaftsabbruch straffrei stellen darf 267 und welche zusätzlichen Maßnahmen, teilweise auch der indirekten Verhaltenssteuerung, der Staat zum effektiven Schutz zu treffen verpflichtet ist.268 Das bis heute große Aufsehen um die Entscheidung rührt daher, dass die Verfassungsrichter sich offen dazu bekennen, dass aus den grundsätzlich freiheitssichernden Grundrechten eine staatliche Verpflichtung zu Verbot und Strafe abgeleitet werden kann,269 worin eine äußerst extensive Anwendung der Schutzpflichtenlehre liegt, die schon im Minderheitenvotum auf entschiedenen Widerspruch stoß.270 Seit der Schwangerschaftsabbruchsentscheidung nahm die Theorie von den grundrechtlichen Schutzpflichten als einklagbarer Grundrechtsgehalt einen immer größeren Raum ein271 und führte drei Jahre später zur ersten Anwendung der Schutzpflichten im Umweltrecht.272 4. Schleyer-Entscheidung In der Entscheidung über den entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer wiederholt das Bundesverfassungsgericht seine oben zitierte Formel von der umfassenden staatlichen Schutzpflicht fast wörtlich, bloß dass die Schutzpflicht, wenig überraschend, auch auf das postnatale Leben angewandt wird.273 Es wurde weiter festgestellt, dass die grundrechtliche Schutzpflicht nicht nur ge265 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (44) [Schwangerschaftsabbruch I]. 266 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (57) [Schwangerschaftsabbruch I]. 267 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (56) [Schwangerschaftsabbruch I]. 268 Hierzu ausführlich im 3. Kapitel – „Analyse der Rechtsfolgenseite“. 269 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (47) [Schwangerschaftsabbruch I]. 270 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (73) [Schwangerschaftsabbruch I]. Auch in der Literatur wurde das Urteil für diese Schlussfolgerung angegriffen; näher hierzu 3. Kapitel B. II. 3. 271 Stern, DÖV 2010, 241 (243). 272 Hierzu 1. Kapitel H. II. 5. – „Kalkar I“. 273 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (164) [Schleyer]; hierzu auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 411 f.; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 47; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 150; Kötter/Nolte, DÖV 2007, 186 (190); Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 66; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 84; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 39; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 50.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

genüber dem Einzelnen, sondern auch gegenüber der Gesamtheit aller Bürger Wirkung entfaltet.274 Zwischen der Schutzpflicht für Hanns-Martin Schleyer und der Schutzpflicht für die Gesamtheit aller Bürger bestünde ein unauflösbarer Widerspruch. Das Bundesverfassungsgericht sieht sich konsequenterweise selbst an die grundrechtlichen Schutzpflichten gebunden.275 Deshalb verbiete es sich im vorliegenden Fall für das Bundesverfassungsgericht, den anderen staatlichen Entscheidungsträgern Vorgaben zu machen, da sonst die Reaktion des Staates für Terroristen kalkulierbar würde, womit dem Staat der effektive Schutz seiner Bürger unmöglich gemacht würde.276 Der Fall Hanns-Martin Schleyers ist von rechtsdogmatischer Relevanz, da sich an ihm die Schwächen der abwehrrechtlichen Einheitstheorie am deutlichsten zeigen.277 Auch war es die erste Verfassungsbeschwerde, die das Bundesverfassungsgericht aufgrund einer Schutzpflichtenverletzung zuließ;278 bei der vorangegangenen, ersten ausdrücklichen Schutzpflichten-Entscheidung handelte es sich noch um ein objektives Verfahren.279 Zur weiteren dogmatischen Herleitung der Schutzpflichten leistet die Entscheidung keine wesentlichen Beiträge, was auch angesichts des Zeitdrucks, unter dem die Entscheidung verfasst werden musste, nicht verwundert. 5. Kalkar I Im Urteil zum Atomkraftwerk Kalkar I im Jahr 1978 kommen die grundrechtlichen Schutzpflichten zum ersten Mal im Zusammenhang mit dem Umweltrecht zu tragen.280 Das Bundesverfassungsgericht führt hier seine bisherige Rechtsprechung leicht modifiziert fort. Demnach „enthalten die grundrechtlichen Verbürgungen nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern stellen zugleich objektiv-rechtliche Wertentscheidungen der Verfassung dar, die für alle Bereiche der Rechtsordnung gelten“.281 Das Gericht 274 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (165) [Schleyer]. 275 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (164) [Schleyer]. 276 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (165) [Schleyer]. 277 Siehe oben 1. Kapitel F. II. – „Schwächen der Einheitstheorie“. 278 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 154. 279 Die abstrakte Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG wurde auf Antrag von 193 Mitgliedern des Bundestages sowie mehrerer Landesregierungen angestoßen, vgl. BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (18) [Schwangerschaftsabbruch I]. 280 Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). 281 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (141) [Kalkar I].

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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hält an der objektiv-rechtlichen Natur der Schutzpflichten fest, ohne eine daneben bestehende subjektiv-rechtliche Komponente ausdrücklich auszuschließen. Im Unterschied zu den beiden vorangegangenen Entscheidungen wird die Herleitung der Schutzpflichten aus dem wörtlichen Schutzauftrag des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG besonders betont. „[Die Schutzverpflichtung] wird am deutlichsten in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ausgesprochen, wonach es Verpflichtung [. . .] aller staatlichen Gewalt ist, die Würde des Menschen zu achten und zu schützen.“ 282 Diese Kurskorrektur kann als Zugeständnis an das Sondervotum der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch gesehen werden.283 Doch auch im Beschluss zu Kalkar I geht das Bundesverfassungsgericht nicht vertieft auf die Herleitung der Schutzpflichten ein, sondern leitet sofort dazu über, die inhaltlichen Gebote der grundrechtlichen Schutzpflichten zu definieren: „Daraus können sich verfassungsrechtliche Schutzpflichten ergeben, die es gebieten, rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt.“ 284 Diese Formulierung ist stellenweise dahingehend interpretiert worden, dass das Gericht „die Möglichkeit von Grundrechtsverletzungen durch gleichgeordnete Dritte“ voraussetze.285 Diese zeitgenössische Interpretation findet keine Stütze in den nachfolgenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. Einer derartigen unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte steht das Gericht in ständiger Rechtsprechung ablehnend gegenüber.286 Eine andere mögliche Interpretation der Formulierung geht darauf hinaus, dass ein Unterlassen der gebotenen Schutzvorkehrungen einer Grundrechtsverletzung durch den Staat gleichkomme.287 Wenn die Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht sich für den betroffenen Bürger als Grundrechtsverletzung darstellt, würde dies bedeuten, dass dem Bürger ein subjektives Recht auf Vornahme ausreichender Schutzmaßnahmen zustünde.288 282

BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kal-

kar I]. 283 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (70) [Schwangerschaftsabbruch I]. 284 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar I]. 285 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 412. 286 Siehe hierzu die Übersicht bei Maurer, Staatsrecht I, § 9 Rn. 36 ff. m.w. N. Desweiteren auch Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 98; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 102 ff.; Klein, NJW 1989, 1633 (1639); Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 160; Papier, in: HGR II, § 55 Rn. 16 f.; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 168 ff. 287 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 412. 288 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 161; Kloepfer, DVBl. 1988, 305 (310); Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 236; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 16; a. A.: Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 52. Näher dazu 4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

6. Zwangsversteigerung III In der dritten Entscheidung zur Zwangsversteigerung leitet das Bundesverfassungsgericht eine Schutzpflicht aus dem Sozialstaatsprinzip her.289 Der Staat darf demnach keine Zwangsvollstreckung zugunsten eines privaten Gläubigers betreiben, die sich gegenüber dem Schuldner als unverhältnismäßig darstellt. Der konkrete Fall bezog sich auf eine geringwertige Forderung, wegen derer die Zwangsvollstreckung in das einzige und von der Schuldnerin selbst bewohnte Grundstück betrieben wurde. Durch diese Zwangsvollstreckung trat im Vermögen der Schuldnerin ein Vermögensverlust ein, der den Betrag, wegen dem die Zwangsvollstreckung eingeleitet worden war, um ein Vielfaches überstieg.290 Diese Entscheidung ist in zweierlei Hinsicht interessant. Zum einen leitet das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflicht erstmals nicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG her, sondern aus dem Sozialstaatsprinzip.291 Damit wird deutlich, dass sich Schutzpflichten nicht nur für konkrete grundrechtliche Rechtsgüter ergeben, sondern auch für andere Verfassungswerte, insbesondere Staatszielbestimmungen. Die Bejahung von Schutzpflichten zu Gunsten objektiver Verfassungsgüter ließe sich prinzipiell auf die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG übertragen. Jedoch wird diese Rechtsprechungslinie, die Schutzpflichten aus dem Sozialstaatsprinzip herleitet, nicht mehr weiterverfolgt und derartige Suizidgefahrfälle mittlerweile auf die Schutzpflicht für Leben und körperliche Unversehrtheit gestützt.292 Die Entscheidung bleibt aber von Bedeutung für die Schutzpflichtenlehre, weil das Bundesverfassungsgericht hier die Schutzpflichten – und nicht nur die Wertordnungsidee – erstmals auf das Privatrecht anwendet. 7. Mülheim-Kärlich In der Verfassungsbeschwerde gegen die Genehmigung des Atomkraftwerks Mülheim-Kärlich legt das Gericht bei der Frage der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde nahe, dass es in der Errichtungsgenehmigung einen möglichen Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sieht.293 In den Ausführungen zur Begründetheit nimmt das Bundesverfassungs289 BVerfG, Beschluss vom 27.09.1978 – 1 BvR 361/78 – BVerfGE 49, 220 (226) [Zwangsversteigerung III]. 290 BVerfG, Beschluss vom 27.09.1978 – 1 BvR 361/78 – BVerfGE 49, 220 (238) [Zwangsversteigerung III]. 291 Erste Überlegungen in diese Richtung finden sich bereits in BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (104) [Hinterbliebenenrente I]. 292 BVerfG, Beschluss vom 15.05.2019 – 2 BvR 2425/18 – NJW 2019, 2012 (2012) [Suizidgefahr III]. 293 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (51) [Mülheim-Kärlich].

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gericht diesen Gedanken nicht wieder auf und verweist stattdessen auf die grundrechtlichen Schutzpflichten.294 Es erfolgt auch keine Rückkoppelung mehr an Art. 1 Abs. 1 GG.295 Stattdessen nimmt das Gericht seit dem Mülheim-KärlichBeschluss die grundrechtlichen Schutzpflichten als „anerkannte Rechtsprechung“ wahr.296 Das Gericht bezog sich bei der Frage der Zulässigkeit der Beschwerde auf die Konstruktion des Grundrechtseingriffs durch die Anlagengenehmigung.297 Dies mag seinen Grund darin haben, dass es der Frage des subjektiven Gehalts der staatlichen Schutzpflichten nicht nachgehen wollte. Dieser wäre aber Voraussetzung für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde, die nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nur auf die Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten gestützt werden kann. In der Einleitung der Begründetheit wird deutlich, wie sehr sich das Gericht bemüht, die Frage nach dem subjektiven Gehalt grundrechtlicher Schutzpflichten zu umschiffen. Demnach schreibt es nicht direkt vom subjektiven Recht auf Schutz, sondern Prüfungsmaßstab solle vielmehr „das in Art. 2 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit in Verbindung mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz“ sein.298 Die vagen und bewusst uneindeutigen Formulierungen des Gerichts haben nicht von der Annahme abgehalten, dass das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis der grundrechtlichen Schutzpflicht eine subjektive Komponente zusprach.299 8. Jüngere Entscheidungen War in der Literatur das Bestehen grundrechtlicher Schutzpflichten für andere Freiheitsrechte als Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schon länger anerkannt, zog das Bundesverfassungsgericht erst zu Beginn der 90er Jahre nach.300 In einem den Eini294 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (57) [Mülheim-Kärlich]. 295 Anders hingegen BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (251) [Schwangerschaftsabbruch II]: „Ihren Grund hat diese Schutzpflicht in Art. 1 Abs. 1 GG, der den Staat ausdrücklich zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde verpflichtet; ihr Gegenstand und – von ihm her – ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt.“ 296 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (57) [Mülheim-Kärlich]; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 160. 297 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (51) [Mülheim-Kärlich]. 298 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (57) [Mülheim-Kärlich]. 299 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 412; näher dazu 4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“. 300 Hierzu auch Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 335.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

gungsvertrag zwischen BRD und DDR betreffenden Urteil dehnte das Bundesverfassungsgericht die Schutzpflichtenlehre auf die Berufsfreiheit aus.301 Neben den Gefahren und Risiken der Atomkraft wurden grundrechtliche Schutzpflichten in einer Reihe von weiteren umweltrelevanten Verfahren bemüht. So beschäftigte das Gericht die Gefahren des Fluglärms,302 Straßenverkehrslärms,303 Ozon,304 Elektrosmog,305 Waldschäden,306 Gentechnik307 und sogar eines angeblich bevorstehenden Weltuntergangs.308 Bei der Herleitung der Schutzpflichtenfunktion aus den Grundrechten legte sich das Bundesverfassungsgericht bis heute nicht auf eine bestimmte Methode fest. Bis Ende der 80er Jahre wurden vor allem zwei Ansätze zur dogmatischen Begründung der Existenz grundrechtlicher Schutzpflichten aus den Entscheidungen abgeleitet. Zum einen war dies die Theorie von der objektiven Wertordnung und zum anderen der Verweis auf die ausdrückliche Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde, die auf die übrigen Grundrechte ausstrahlen sollte.309 Auch heute finden sich diese Begründungsansätze mit gleichbleibender Frequenz in der Rechtsprechung, ohne dass ein Ansatz die Oberhand gewinnen würde. Beide Senate greifen bis heute regelmäßig auf den objektiven Gehalt310 der Grundrechte zurück, aus dem die Schutzpflichten folgen sollen. Seltener wird die 301 BVerfG, Urteil vom 24.04.1991 – 1 BvR 1341/90 – BVerfGE 84, 133 (147) [Warteschleife]; außerdem BVerfG, Beschluss vom 21.02.1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140 (150) [Sonderkündigung]; zuvor bereits in diese Richtung ohne ausdrücklich die Schutzpflichtenkonzeption heranzuziehen: BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 (254) [Handelsvertreter]. 302 BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (993) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (73) [Fluglärm I]. Eine eingehende Analyse der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Fluglärmproblematik: Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 80 ff. 303 BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (201– 202) [Straßenverkehrslärm]; hierzu auch Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 78 ff. 304 BVerfG, Beschluss vom 29.11.1995 – 1 BvR 2203/95 – NJW 1996, 651 [Ozon]; siehe auch Wollenteit/Wenzel, NuR 1997, 60. 305 BVerfG, Beschluss vom 17.02.1997 – 1 BvR 1658/96 – NJW 1997, 2509 (2509) [Elektro-Smog]. Zuletzt: BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007 – 1 BvR 382/05 – BVerfGK 10, 208. Dazu auch Determann, NJW 1997, 2501; Henke, DVBl. 1997, 415. 306 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 [Waldschäden durch Luftverschmutzung]. 307 BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 (41) [Gentechnikgesetz]. 308 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (59) [CERN]; hierzu auch Murswiek, JuS 2010, 1038 (1039). 309 So die Unterscheidung nach Klein, NJW 1989, 1633 (1635) m.w. N. 310 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 04.09.2008 – 2 BvR 1720/03 – BeckRS 2010, 54358 Rn. 35 [Belgische Streitkräfte]; BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 –

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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Formulierung objektiv-rechtlicher Gehalt311 verwendet. Auch die objektive Wertordnung, die in der Literatur reichlich Kritik erfahren hat und bis heute erfährt,312 ist nie vollständig aufgegeben worden.313 Eine zweite Kategorie an Begründungsmodellen der Schutzpflichten bilden die In-Verbindung-mit-Konstruktionen. Verbunden wird Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG mit einem speziellen Freiheitsrecht, meist Art. 2. Abs. 2 S. 1 GG. Der Grund der Schutzpflicht liege in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG begründet, der Inhalt ergebe sich aus dem speziellen Grundrecht.314 Die i.V. m.-Konstruktion und die Wertordnungstheorie werden zum Teil auch kumulativ herangezogen.315 Allerdings sind die beiden Herleitungsmethoden in diesem Fall nicht aufeinander bezogen, sondern stehen als zwei voneinander unabhängige Begründungsansätze gleichberechtigt nebeneinander. In einer dritten Kategorie von Entscheidungen wird der Schutzpflichtengehalt direkt aus dem jeweiligen Grundrecht gewonnen.316 Wie auch die Abwehrfunk1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (160) [Luftsicherheitsgesetz]; BVerfG, Urteil vom 10.01.1995 – 1 BvF 1/90, 1BvR 342, 348/90 – BVerfGE 92, 26 (46) [Deutsche Seeleute]. 311 BVerfG, Beschluss vom 05.03.1997 – 1 BvR 1071/95 – NJW 1997, 3085 (3085) [Edelfosin]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (73) [Fluglärm I]. 312 Hierzu sogleich ausführlich 1. Kapitel H. III. – „Kritik des Wertordnungsdenkens“. 313 BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2621) [Fixierung Psychatire]; BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (337) [Zwangsbehandlungen]; BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 – 1 BvR 421/05 – BVerfGE 117, 202 (227) [Vaterschaftsfeststellung]; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (214) [Chemiewaffen]; auch die Formulierung „wertsetzende Bedeutung der Grundrechte“ findet sich, vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.01.1998 – 1 BvR 1861/93, 1864/96, 2073/97 – BVerfGE 97, 125 (145) [Caroline von Monaco I]. Der Wertordnungs-Topos findet nicht nur in Bezug auf die Schutzpflichten Anwendung, sondern auch auf andere Grundrechtsfunktionen wie Verfahrensrechte, vgl. BVerfG, Beschluss vom 21.04.2016 – 2 BvR 1422/15 – NStZ 2016, 422 (423) [Informelle Urteilsabsprache]. 314 BVerfG, Beschluss vom 10.06.2015 – 2 BvR 1967/12 – BeckRS 2015, 47773 Rn. 16 [Ärztliche Zwangsmaßnahmen]; BVerfG, Beschluss vom 19.05.2015 – 2 BvR 987/11 – NJW 2015, 3500 (3501) [Kunduz]; BVerfG, Beschluss vom 06.10.2014 – 2 BvR 1568/12 – NJW 2015, 150 (150) [Gorch Fock]; BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010 – 2 BvR 2307/06 – BeckRS 2010, 46477 Rn. 19 [Klageerzwingung]; BVerfG, Beschluss vom 04.04.2006 – 1 BvR 518/02 – BVerfGE 115, 320 (346) [Rasterfahndung II]; BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; BVerfG, Beschluss vom 27.04.1995 – 1 BvR 729/93 – NJW 1995, 2343 (2343) [Promillegrenze]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/ 90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (251) [Schwangerschaftsabbruch II]; in diese Richtung bereits BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 – 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 – BVerfGE 49, 24 (53) [Kontaktsperre]. 315 BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 – 1 BvR 421/05 – BVerfGE 117, 202 (227) [Vaterschaftsfeststellung]. 316 BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 – BVerfGE 133, 59 (75) [Sukzessivadoption]; BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ 2010, 114 (115) [Endlager Schacht Konrad]; BVerfG, Beschluss vom 12.11.

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

tion wird die Schutzfunktion in einigen Entscheidungen überhaupt nicht mehr hergeleitet, sondern als bekannt und allgemein akzeptiert vorausgesetzt.317 In einigen wenigen Fällen ist die Schutzpflicht von konkreten Grundrechten ganz abstrahiert worden und eine „aus der Verfassung herzuleitende Schutzpflicht“ gesehen worden.318 Mit diesem Maß an Abstraktion kehrt das Gericht wieder zu den Ursprüngen der Lüth-Rechtsprechung zurück, ohne dabei den Terminus der

2008 – 1 BvR 2456/06 – NVwZ 2009, 171 [Zwischenlager Grafenrheinfeld]; BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (356) [Rauchverbot in Gaststätten]; BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2722/06 – BVerfGK 13, 303 (321) [Standortfeststellung Flughafen Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007 – 1 BvR 382/05 – BVerfGK 10, 208 (210) [Schutz gegen Mobilfunk]; BVerfG, Beschluss vom 27.10.2006 – 1 BvR 1811/99 – NJW 2007, 3055 (3057) [Verkehrsdatenschutz]; BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (49) [Gesetzliche Krankenversicherung]; BVerfG, Urteil vom 26.07. 2005 – 1 BvR 782/94, 957/96 – BVerfGE 114, 1 (33) [Lebensversicherung]; BVerfG, Urteil vom 25.07.2005 – 1 BvR 80/95 – BVerfGE 114, 73 (90) [Vertragsschluss I]; BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Beschluss vom 16.02.2000 – 1 BvR 242/91 , 1 BvR 315/99 – BVerfGE 102, 1 (18) [Altlasten]; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung]; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn]; BVerfG, Beschluss vom 21.02.1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140 (150) [Sonderkündigung]; BVerfG, Beschluss vom 21.04.1994 – 1 BvR 14/93 – DtZ 1994, 313 (314) [Einigungsvertrag]; BVerfG, Beschluss vom 19.02.1993 – 1 BvR 1424/ 92 – DtZ 1994, 67 (67) [Gegendarstellung]; BVerfG, Beschluss vom 06.06.1989 – 1 BvR 727/84 – NJW 1989, 2877 (2877) [Presseförderung]. 317 BVerfG, Beschluss vom 15.05.2019 – 2 BvR 2425/18 – NJW 2019, 2012 (2012) [Suizidgefahr III]; BVerfG, Beschluss vom 24.2.2015 – 1 BVR 472/14 – BeckRS 2015, 42671 Rn. 52 [Auskunftsrecht des Scheinvaters]; BVerfG, Beschluss vom 01.04.2014 – 2 BvF 1/12, 2 BvF 3/12 – BeckRS 2014, 51695 Rn. 94 [Gigaliner]; BVerfG, Beschluss vom 16.01.2013 – 1 BvR 2004/10 – NJW 2013, 1148 (1149) [Prozesskostenhilfe]; BVerfG, Urteil vom 05.07.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273 (314) [Europäischer Haftbefehl]; BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 2029/01 – BVerfGE 109, 133 (186) [Langfristige Sicherheitsverwahrung]; BVerfG, Beschluss vom 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276 (286) [Geschlechterdiskriminierung bei der Arbeitsplatzsuche]; unklar ist die Formulierung aus BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998 – 1 BvR 1531/96 – BVerfGE 99, 185 (198) [Scientology], da sich das Wort „Schutzpflicht“ an dieser Stelle grammatikalisch auf die im Satz zuvor aufgeführten Pflichten privater Medien bezieht. Dem Sachzusammenhang nach meint das BVerfG hier aber wohl die Zivilgerichte, die aufgrund ihrer grundrechtlichen Schutzpflicht den Medien Sorgfaltspflichten zu Gunsten der Grundrechte Dritter auferlegen dürfen und sollen. In der Entscheidung BVerfG, Beschluss vom 18.05.2017 – 2 BvR 249/17 – BeckRS 2017, 112719 [Rauchen in der JVA] setzt sich das Gericht mit einer Unterscheidung von Abwehrrecht und Schutzpflicht nicht auseinander und sieht die Schutzpflichtendimension ohne weiteres als gegeben an, obwohl im konkreten Fall mehr für die Abwehrdimension gesprochen hätte. 318 BVerfG, Beschluss vom 11.01.2016 – 1 BvR 2980/14 – NJW 2016, 1716 (1717) [Pflegenotstand]; an die Freiheitsrechte in ihrer Gesamtheit gekoppelt BVerfG, Beschluss vom 09.03.1994 – 1 BvR 682, 712/88 – NVwZ 1994, 886 (887) [Privatschulen]: „Die Schutzpflicht hat ihren Grund in der verfassungsrechtlichen Gewährleistung individueller Freiheit.“

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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Wertordnung ausdrücklich anzuführen. Ein grundrechtsdogmatischer Fortschritt ist das freilich nicht. Als vierte Kategorie können die Entscheidungen gesehen werden, in denen keine Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten mehr erfolgt, sondern stattdessen auf die ständige Rechtsprechung verwiesen wird.319 Zwar enthält diese Kategorie keinen eigenen dogmatischen Begründungsansatz, folgt aber der nicht zu unterschätzenden Macht der Gewohnheit und des Faktischen. Auch wenn ein Case Law dem deutschen Rechtssystem prinzipiell fremd ist, zeigt das Bundesverfassungsgericht, indem es sich zur Begründung auf die eigene vergangene Rechtsprechung stützt, dass es diese als gefestigt betrachtet und nicht aufzugeben gedenkt. 9. Fazit Die grundrechtlichen Schutzpflichten sind in der Rechtsprechung beider Senate fest verankert und umfassend anerkannt. Keine der Herleitungsmethoden wird von einem Senat ausschließlich verwendet, vielmehr greifen beide auf den vollen Fundus an Begründungen zurück. In der Vielfalt dieser Begründungsansätze, spiegelt sich die auch im Schrifttum herrschende Uneinigkeit über die Herleitung der Schutzpflichten wieder. Besonders sticht die Wertordnungsjudikatur heraus, die, obwohl sie seit ihrer Schöpfung ununterbrochen in der Kritik steht und alternative Begründungszusammenhänge längst gefunden sind, weiter großes Ansehen bei beiden Senaten zu genießen scheint.

III. Kritik des Wertordnungsdenkens Die Verwendung des „Wert“-Topos durch das Bundesverfassungsgericht führt zu einer bis heute nicht abebbenden Kontroverse im rechtswissenschaftlichen Schrifttum.320 319 BVerfG, Beschluss vom 06.07.2016 – 2 BvR 548/16 – NJW 2016, 3090 (3091) [Zwangsräumung bei Suizidgefahr]; BVerfG, Beschluss vom 23.01.2013 – 2 BvR 1645/ 10 – BeckRS 2013, 46932 Rn. 4 [Verschärfung des Waffengesetzes]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (993) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (61) [CERN]; BVerfG, Urteil vom 01.12.2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 – BVerfGE 125, 39 (78) [Adventssonntage Berlin]; BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (71) [Schallschutzmaßnahmen]; BVerfG, Beschluss vom 02.12.1999 – 1 BvR 1580/91 – NVwZ 2000, 309 (310) [DDR-Uranabbau]; BVerfG, Beschluss vom 17.02.1997 – 1 BvR 1658/96 – NJW 1997, 2509 (2509) [Elektro-Smog]; BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (201) [Straßenverkehrslärm]; BVerfG, Beschluss vom 26.01.1988 – 1 BvR 1561/82 – BVerfGE 77, 381 (402) [Gorleben]. 320 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 264 ff.; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 35 ff.; Bleckmann, DVBl. 1988, 932 (939); Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 230; Cremer, in: GS Jeand’Heur, S. 59 ff.; Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 131 ff.;

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

1. Historische Begründung für das Wertordnungsdenken Von seinen Befürwortern wird der Rückgriff auf den Wertbegriff damit begründet, dass der nationalsozialistische Terror die Notwendigkeit des „Wertdenkens“ in der Rechtswissenschaft vor Augen geführt habe.321 Häufig wird der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft unterstellt, diese sei vom Rechtspositivismus geprägt, in dem Juristen als stumpfe Subsumtionsautomaten das positiv gesetzte Recht wertungsfrei anwendeten.322 Dies verkennt die Stellung der Juristen im nationalsozialistischen Staat. Es waren gerade überpositive Wertvorstellungen, die den Rechtswissenschaftlern und Richtern die Möglichkeit eröffneten, liberales Recht wie das fortgeltende BGB, entsprechend der neuen Werte – namentlich Volkstum, Rasse, Führerwille, NSDAP-Parteiprogramm und NS-Weltanschauung – umzudeuten.323 Einige der damals jungen Rechtswissenschaftler der sogenannten Kieler Schule trugen diese Methoden der Rechtsanwendung, freilich bereinigt von NS-Worthülsen, bis in die Bundesrepublik fort. Dies wird deutlich bei Larenz, der in seinem einflussreichen Buch zur Methodenlehre schreibt, „das Rechtsbewusstsein jedes Richters bildet sich seinerseits auf der Grundlage ,objektiver‘ Maßstäbe“.324 Diese objektiven Maßstäbe sind ihm zufolge „die in der Rechtsgemeinschaft anerkannten ethischen Werte“, „die Natur der Sache“ sowie die „allgemeinen Anschauungen über das Maß des ,Erträglichen‘ oder ,Zumutbaren‘“.325 Wenige Jahrzehnte zuvor – im Jahr 1934 – proklamierte eben jener Autor noch, „daß der Inhalt eines beGünther, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 213 ff.; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 171; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 285; Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 213 ff.; Schenke, in: Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, S. 62; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (463); Schmitt/Schönberger, Die Tyrannei der Werte, S. 48; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 93 f.; Stern, DÖV 2010, 241 (243). 321 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 162; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 26; Isensee, in: HGR II, § 26 Rn. 67; Kirchhof, in: HStR XII, § 273 Rn. 65; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 44; Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 13; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 25; auch das Bundesverfassungsgericht sieht in seiner ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch die Notwendigkeit einer Wertordnung in der „geistig-sittlichen Auseinandersetzung mit dem vorangegangenen System des Nationalsozialismus“ begründet, als bewusste Abgrenzung zur „Allmacht des totalitären Staates, der schrankenlose Herrschaft über alle Bereiche des sozialen Lebens für sich beanspruchte“. 322 Hirsch, ZRP 2006, 161 (161); Mäder, Freiheit und Eigentum aus Neuerer Zeit, S. 219 f. Dagegen weist Dreier, JZ 1994, 741 (747) zurecht darauf hin, dass die große Schwäche der Weimarar Republik vielmehr darin bestand, dass ihre Verfassung keine positiv normierten Abwehrmechanismen gegen ihre eigene Abschaffung vorsah und ihre Inhalte nach Belieben des jeweiligen Gesetzgebers ausgewechselt werden konnten. 323 Rüthers, JZ 2006, 958 (959). 324 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 192. 325 Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 192.

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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stimmten positiven Rechts dem betreffenden Volksgeist, dem sittlichen Bewußtsein, den Sitten des Volkes gemäß sein muß“,326 und legte damit die Grundlage für das, was er in den folgenden Jahren als „deutsche Rechtserneuerung“ vorantreiben sollte.327 Es war also kein „wertfreies“ juristisches Denken, das die nationalsozialistische Barbarei ermöglichte. Im Gegenteil, die Vorstellung von über dem einfachen Recht stehenden höheren „Werten“ ermöglichte erst die Beteiligung der Juristenschaft am institutionalisierten Rechtsbruch.328 Die Behauptung, der Rekurs auf „objektive Werte“ sei im bürgerlichen Rechtsstaat notwendig, um ein Abdriften in einen dem NS-Regime vergleichbaren Despotismus zu verhindern, ist nur unter Ausblendung historischer Tatsachen formulierbar.329 2. Mangelnde Bestimmbarkeit Gerade die begriffliche Offenheit des Wertordnungs-Topos, der dazu dienen sollte, die Grundrechte in jene Lebensbereiche ausstrahlen zu lassen, in denen sie bisher keine Wirkung entfaltet hatten, bot Anlass für Kritik. So sind die vom Bundesverfassungsgericht als „objektive Wertordnung“ zusammengefassten Grundrechtsfunktionen als „diffuse Begriffswolke“ bezeichnet worden.330 Sie sei „argumentative Krücke und sprachliches Dekor“ 331 und diene dazu, dass „jede[r] staatliche[n] Aufgabe die Dignität eines mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsguts oder -werts“ 332 zuteilwerden könne. Mit dem Wertordnungsdenken wurde ein selbstreferenzieller Rahmen geschaffen, aus dem sich neue Grund326

Larenz, Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie, S. 9. Den Rechtspositivismus geißelte Larenz ausdrücklich als „Erscheinungsform der geistigen Überfremdung“, die für „den methaphysischen Sinn des Volksgeistes [. . .] kein Verständnis mehr“ habe, siehe Larenz, Deutsche Rechtserneuerung und Rechtsphilosophie, S. 11. 328 Rüthers, JZ 2008, 446 (447). 329 Weiter in seiner Überlegung geht insbesondere Forsthoff, in: Epirrhosis – Festgabe für Carl Schmitt, S. 190, der wegen der großen Interpretationsfreiheit des Wertdenkens zu dem Schluss gelangt: „Hätte der Nationalsozialismus 1933 die Grundrechte als Werte vorgefunden, dann hätte er sie nicht abzuschaffen brauchen“. Die völlig entgegenstehenden Schlussfolgerungen (einerseits durch Böckenförde et al., andererseits durch Forsthoff et al.), die aus Vergleichen des Wertordnungsdenkens mit dem Nationalsozialismus gezogen werden, zeigen eindrücklich von welcher beschränkten Nützlichkeit diese Argumentationsmuster sind, um die jeweils eigene Rechtsauslegung als zwingend darzustellen. 330 So Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 171. Ähnlich Schwabe, NVwZ 1983, 523 (526) „so diffusen Gebilden wie Wertordnungsgehalt“. Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 264 spricht von „terminologische[m] Wirrwar“. Ekardt, in: Schlacke, Umwelt- und Planungsrecht, S. 37: „inhaltlich diffus und letztlich unhaltbar“. Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 131: der „Begriff des Wertes“ sei „von dem Gericht bisher nicht ausreichend präzisiert“, weshalb die Verwendung des Begriffs in Anbetracht der „Anforderungen an Bestimmtheit und Klarheit“ nicht gerechtfertigt werden könne. In die gleiche Richtung auch Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 41. 331 Schlink, EuGRZ 1984, 457 (463). 332 Schlink, EuGRZ 1984, 457 (464). 327

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

rechtsgehalte beinahe nach Belieben schöpfen lassen. Das Bundesverfassungsgericht koppelt in der Lüth-Rechtsprechung die „objektive Wertordnung“ an keine konkrete verfassungsrechtliche Vorschrift.333 Stattdessen wird vom Geist der Grundrechte gesprochen, durch den der Rechtsanwender Impulse empfangen solle.334 Selbst Befürworter der Wertordnungsrechtsprechung gestehen ein, dass die zugrundeliegenden „eigentlichen Prämissen nicht selten axiomatisch gesetzt statt begründet werden“.335 Das Wertordnungsdenken bewegte sich von Anfang an weit entfernt vom Textbefund des Grundgesetzes, ohne dass dies für die Ergebnisfindung notwendig gewesen wäre.336 In einer der frühesten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zeigte dieses selbst, dass Grundrechtsfunktionen, die über die klassische Abwehrfunktion hinausgehen, durch Wortlautauslegung dem Grundgesetz entnommen werden können.337 Durch die vom Gesetzestext stark abstrahierte Rechtsanwendung werden gerichtliche Entscheidungen weniger vorhersehbar.338 Methodisch bedeutet sie einen Verlust an „Rationalität, [wie] auch an wissenschaftlichem Niveau“.339 Grund für diese Vorgehensweise des Bundesverfassungsgerichts dürfte die oben bereits ausgeführte, insbesondere in der jungen Bundesrepublik, starke Abneigung gegen jeden Rechtspositivismus gewesen sein. So sah sich Jellinek auf der Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer 1951 zu der Frage hingerissen: „Ist die Bezeichnung ,Positivist‘ eine Beleidigung?“ 340 Die LüthEntscheidung aus dem Jahr 1958 kann als „naturrechtliche Nachwirkung“ 341 dieser Positivismusskepsis gesehen werden. Das Bundesverfassungsgericht ging auf die Kritiker des Wertordnungsbegriffs schrittweise zu, indem es zum einen in späteren Entscheidungen konkrete Normen anführte, aus denen die Werte hergeleitet werden sollen und zum anderen dazu überging, den Wert-Topos durch andere Formulierungen zu ersetzen.342 Die später durch das Bundesverfassungsgericht vorgenommene sprachliche Anpassung von „objektiver Wertordnung“ zu „objektiv-rechtlicher Funktion der Grundrechte“ ist vor allem kosmetischer Na333 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]; hierzu auch Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 132. 334 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]. 335 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 912; in diese Richtung auch Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 72. 336 So auch Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 138 ff. 337 BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (104) [Hinterbliebenenrente I]; hierzu ausführlich 1. Kapitel H. II. 2. – „Frühe verfassungsgerichtliche Schutzpflichtenrechtsprechung“. 338 Goerlich, Wertordnung und Grundgesetz, S. 131 ff. 339 Forsthoff, in: Epirrhosis – Festgabe für Carl Schmitt, S. 209. 340 Jellinek, in: VVDStRL 10 (1951), S. 73. 341 So Isensee, in: HGR II, § 26 S. 74; ähnlich Günther, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 211 f. 342 Ausführlich hierzu 1. Kapitel H. II. – „Verfassungsgerichtliche Rechtsprechung“.

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tur,343 da sich auch die spätere Rechtsprechung trotz geänderter Terminologie auf die Lüth-Entscheidung bezieht. Es wurde daher nur das Wort ausgetauscht, der Begriff ist im Kern identisch geblieben. Doch auch die Vertreter des Wertordnungsdenkens betonen heute, dass dadurch nicht die Positivität des Verfassungsrechts in Frage gestellt werden darf.344 Trotz aller Kritik und der Entwicklung dogmatischer Alternativen wird in der jüngeren Rechtsprechung wieder vermehrt auf den Wertordnungs-Topos zurückgegriffen,345 auch wenn seine Verwendung auf die letzten Jahrzehnte betrachtet insgesamt zurückging. Die Schutzpflichtendogmatik kann unter Rückgriff auf alternative Rechtsprechungslinien des Gerichts mittlerweile auf eigenen Beinen stehen346 und ist auf eine Rückkopplung an die Wertordnungsrechtsprechung nicht angewiesen. Teile des Schrifttums halten an diesem Begründungsansatz hingegen unbeirrt fest.347 3. Das Attribut „objektiv“ Ebenso gestritten wurde über die Bedeutung des Attributs „objektiv“, das der Wertordnung eigen sein soll. Es könnte dahingehend verstanden werden, dass die abgeleiteten Werte „objektiv“ im Sinne von „nicht subjektiv-rechtlich“ wirken.348 Diese Interpretation würde jedoch der Ableitung subjektiver Schutzrechte aus diesen objektiven Werten durch das Bundesverfassungsgericht widersprechen.349 Auch im Schrifttum 343 Schwabe, NVwZ 1983, 523 (526); auch Befürworter des Wertordnungsdenkens sehen im Wechsel der Terminologie keinen Unterschied in der Sache: Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 206; Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 42; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 51 f. 344 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 32. 345 BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2621) [Fixierung Psychatire]; BVerfG, Beschluss vom 10.06.2016 – 1 BvR 742/ 16 – NJW 2016, 3014 (3014) [Behindertengrundrecht]; BVerfG, Beschluss vom 21.04. 2016 – 2 BvR 1422/15 – NStZ 2016, 422 (423) [Informelle Urteilsabsprache]; BVerfG, Beschluss vom 15.01.2015 – 2 BvR 878/14 – NJW 2015, 1235 (1236) [Verständigungsgespräche]; BVerfG, Beschluss vom 20.07.2010 – 1 BvR 748/06 – BVerfGE 127, 87 (114) [Hamburgisches Hochschulgesetz]; BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (353) [Rauchverbot in Gaststätten]; BVerfG, Beschluss vom 02.06.2008 – 1 BvR 349/04 – NVwZ 2008, 1229 (1231) [Osterholzer Feldmark]. 346 Siehe Nachweise in Fn. 319. 347 Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 21; Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 206; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 52. 348 Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 28; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 920. 349 So heißt es im Hochschulurteil, „dem einzelnen Träger des Grundrechts aus Art. 5 Abs. 3 GG erwächst aus der Wertentscheidung ein Recht auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraums unerläßlich sind“, vgl. BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

sorgt die Beschreibung der Grundrechtsfunktionen als „objektiv“ für fortgesetzte Unklarheit darüber, inwiefern es ein subjektives Recht auf Schutz geben kann, wenn sich dieses doch aus einer objektiven Wertordnung oder Prinzipien ergeben soll.350 Zu beachten ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht überwiegend nur das Adjektiv „objektiv“ verwendet.351 Die mit dem Zusatz „objektiv-rechtlich“ erweiterte Attribuierung „erfreut sich in der Literatur“, wie Jarass feststellt „erheblicher Beliebtheit“.352 Sie solle aber wegen der begrifflichen Unklarheit vermieden werden.353 Alexy geht davon aus, dass „objektiv“ in diesem Zusammenhang die Abstraktion von allen konkreten Eigenheiten des Sachverhalts meint. Es müsse dreifach abstrahiert werden: von der Person des Berechtigten, vom Verpflichteten und vom Gegenstand der Verpflichtung (Tun oder Unterlassen). Damit stellt sich das Grundrecht in seiner objektiven Sphäre nicht als Anspruch des Einzelnen gegen den Staat auf eine bestimmte Maßnahme dar. Es handelt sich um ein reines subjektloses „Gesolltsein“ eines Zustandes.354 Die objektive Seite der Grundrechte darf nicht dahingehend verstanden werden, dass ihre subjektiv-rechtliche Funktionalität zurückgedrängt wird.355 Die objektive Funktion tritt dergestalt neben das subjektive Recht, dass die aus den Grundrechten abgeleiteten „Werte“ auch dann eine Wirkung entfalten sollen, wenn sie nicht von einem Grundrechtsträger eingefordert werden. Durch diese Transformation werden die Abwehrrechte des Bürgers zu Gestaltungsrechten des Staates. 71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (115) [Hochschul-Urteil]. Für dieses Ergebnis stützt sich das Gericht auf die aus der Lüth-Entscheidung stammende Formulierung der „Verstärkung der Geltungskraft der Grundrechte“, die durch die Errichtung der objektiven Wertordnung zum Ausdruck komme, vgl. BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]. Näher hierzu 4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“. 350 Hierzu näher 2. Kapitel E. IV. – „Prinzipientheorie“. 351 BVerfG, Beschluss vom 21.04.2016 – 2 BvR 1422/15 – NStZ 2016, 422 (423) [Informelle Urteilsabsprache]; BVerfG, Beschluss vom 15.01.2015 – 2 BvR 878/14 – NJW 2015, 1235 (1236) [Verständigungsgespräche]; BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (113) [Hochschul-Urteil]; BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]; anders hingegen BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (57) [MülheimKärlich]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]. 352 Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 8. Als Beispiel diene hier statt vieler nur Cremer, in: GS Jeand’Heur, S. 77 f., der dem Bundesverfassungsgericht die Formulierung „objektivrechtlicher Gehalt“ konsequent in den Mund legt, obwohl die Formulierung in der LüthRechtsprechung, auf die er sich bezieht, so kein einziges Mal verwendet wird, vgl. BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 [Lüth]. 353 Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 50. 354 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 479; in diese Richtung auch Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 30 f. 355 Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 28 f.; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 315 ff.

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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Werte, die als objektiv deklariert werden, sind von subjektiver Geltendmachung und individueller Anerkennung unabhängig. Sie existieren für sich. Es kann mit als objektiv verstandenen Werten deshalb ein Absolutheitsanspruch einhergehen.356 Die objektiven Werte sollen für jeden gelten und sind damit von subjektiver Werterfahrung unabhängig. Dort wo objektive Werte behauptet werden, ist kein Raum für die Berücksichtigung abweichender subjektiver Wertvorstellungen. Die Verfassung, die in Art. 4 Abs. 1 Var. 2 GG Gewissensfreiheit garantiert, diese gar als unverletzlich deklariert und nicht unter einen Schrankenvorbehalt stellt, droht mit sich selbst in Widerspruch zu geraten. Denn die Gewissensfreiheit schützt insbesondere die individuellen Wertvorstellungen.357 Dabei ist es erklärtes Ziel des Grundgesetzes miteinander kollidierende Wertvorstellungen der den Staat konstituierenden Rechtssubjekte miteinander in Ausgleich zu bringen, denn nichts anderes meint das Demokratieprinzip nach Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 S. 1 GG.358 Demokratie ist der formalisierte ewige Kampf der von den Individuen gesetzten Werte und Weltanschauungen.359 Die Idee von objektiven Werten darf deshalb nicht dahingehend verstanden werden, dass es absolute Werte sind, die durch das Grundgesetz vorgegeben werden. Der Begriff der Werte kann nur aus der Perspektive gedeutet werden, die das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Rechtsprechung einnahm, dass das Grundgesetz keine wertneutrale Ordnung sein wolle, sondern von der Vorstellung des Eigenwerts des Einzelnen, der Freiheit und Gleichheit der Menschen getragen sei.360 Als solcher hat der Wertbegriff seine Legitimation. Wenn das Bundesverfassungsgericht den Wertbegriff hingegen heranzieht, um zu ermitteln, wie hoch der Mehrwertsteuersatz für Schallplatten im Gegensatz zu Presseerzeugnissen ausfallen darf,361 wird der Begriff der Wertentscheidung überspannt und der Beliebigkeit preisgegeben. Eine solche Anwendung ist von der mancherorts befürchteten Verabsolutierung der grundrechtlichen Werte nicht mehr weit entfernt. Hierdurch werden die Freiheitsrechte des Bürgers gegenüber dem Staat zu Freiheitsrechten des Verfassungsrichters bei der Begründung seiner Entscheidung.362 Auch wenn man die Idee der „objektiven Wertordnung“ als Gegenpol zur „wertneutralen Ordnung“ der Weimarer Republik nicht völlig zurückweisen sollte, muss ihr Anwendungsbereich auf die Bewahrung dieser Ordnung selbst beschränkt bleiben, da ansonsten einer schwer berechenbaren axiomatischen Begründungslehre Vor356

Di Fabio, in: HGR II, § 46 Rn. 14; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 19. Scholler, Die Freiheit des Gewissens, S. 114. 358 Enders, Der Staat 1996, 351 (386–387). 359 Schmitt/Schönberger, Die Tyrannei der Werte, S. 39. 360 BVerfG, Urteil vom 23.10.1952 – 1 BvB 1/51 – BVerfGE 2, 1 (12) [SRP-Verbot]. 361 BVerfG, Urteil vom 05.03.1974 – 1 BvR 712/68 – BVerfGE 36, 321 (330) [Schallplatten]. 362 So Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 207; kritisch auch Forsthoff, in: FS für Schmitt 70. Geburtstag, S. 41: „Die Sinnerfassung ist dann keine Rechtskunst mehr, sondern wird philosophisch.“ 357

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

schub geleistet wird, für die die Bezeichnung „Tyrannei der Werte“ als Stichwortgeber dient.363 4. Vom Hüter zum Herren der Verfassung Schon Schmitt warnte 1932 vor dem „Jurisdiktionsstaat“.364 Zwei Epochen des deutschen Staatsrechts später ist diese Warnung, angestoßen durch Böckenförde,365 wieder zu vernehmen.366 Die Kritik entzündet sich an der Ausweitung der Grundrechtsgehalte über ihre Funktion als subjektive Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat hinaus.367 Sieht man die Grundrechte nicht als bloße subjektive Abwehrrechte, sondern als objektive Wertordnung, dann sei, so die Kritik, die Grundordnung des Gemeinwesens durch die Grundrechte bereits vorgezeichnet. Mit der Vorstellung von Grundrechten, die in alle Bereiche des Rechts ausstrahlen, handle es sich beim Grundgesetz um eine „dirigierende Verfassung, die auf Verwirklichung der in ihr enthaltenen Grundsätze drängt“.368 In einer solchermaßen verstandenen Rechtsordnung, sei es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die einzelnen Rechtspositionen der Bürger auszumitteln.369 Das Gericht würde somit zum „Herren der Verfassung“.370 Die Grundrechte würden in ihrer 363 Schmitt/Schönberger, Die Tyrannei der Werte, S. 48; hierzu auch Bethge, in: HStR VII, § 158 Rn. 52; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 21; Di Fabio, in: HGR II, § 46 Rn. 14; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 19; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 310; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 168; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 157; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 125; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 51; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 170 f. 364 Schmitt, Legalität und Legitimität, S. 61. 365 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 197. 366 Alexy, in: Sieckmann, Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 106; Alexy, in: VVDStRL 61 (2001), S. 12; Bizer, in: Bizer/Linscheidt, Staatshandeln im Umweltschutz, S. 85; Brüning, Jura 2001, 155 (156); Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 314; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 309; Di Fabio, in: HGR II, § 46 Rn. 8; Dreier, Jura 1994, 505 (513); Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 52; Enders, Der Staat 1996, 351 (352); Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 101; Hermes/Walther, NJW 1993, 2337 (2347); Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 168; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 51; Jeand’Heur, JZ 1995, 161 (166); Kahl, ZRP 2014, 17 (19); Köppe, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 786; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 161; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 674; Schenke, in: Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, S. 55; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 57; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 186; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 68; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 50. 367 Zusammenfassend: Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 140 ff. 368 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 198. 369 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 206 f. 370 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 198; kritisch in diese Richtung auch Bethge, in: FS für Würtenberger, S. 61 f.; Isensee, in: HStR XII, § 254 Rn. 86; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 248.

H. Theorie von der objektiven Wertordnung

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Wirkung in ihr Gegenteil verkehrt, wenn man sie heranzieht, um den Staat zum Eingriff in die Freiheit seiner Bürger zu verpflichten.371 Es wird einerseits der totale Verfassungsstaat befürchtet,372 andererseits eine Überforderung des Gerichts, wenn dieses seine Kompetenzen zu weit ausdehnt.373 Der Gedanke der objektiven Wertentscheidung des Grundgesetzes dürfe nicht zum Vehikel werden, um die spezifisch gesetzgeberische Funktion der Gestaltung der Sozialordnung auf das Bundesverfassungsgericht zu verlagern. Dieses sei für diese Rolle weder kompetent noch gerüstet.374 5. Stellungnahme Der Begriff der Wertordnung hat sich zum festen begrifflichen Inventar des Bundesverfassungsgerichts entwickelt. Er verschleiert aber mehr als er klärt. Durch die Abstraktion der Grundrechte auf die Ebene einer Wertordnung, war es dem Bundesverfassungsgericht möglich zu erklären, warum die Grundrechte auch im Verhältnis der Bürger untereinander von Relevanz sein können und es sich daher als legitimiert sieht, auch zivilrechtliche Entscheidungen zu überprüfen. Nötig wäre diese Konstruktion nicht gewesen, wenn man den eng am Verfassungstext orientierten alternativen Begründungsansatz über Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG herangezogen hätte, der zu dieser Zeit aber noch nicht „entdeckt“ war. Der argumentative Notweg, den das Gericht in der Lüth-Entscheidung wählte, mag auch darin begründet liegen, dass die Grundrechtsdogmatik in der jungen Bundesrepublik noch stark zerklüftet war und zwischen Extremen wie einer rein abwehrrechtlichen Konzeption (Forsthoff et al.) oder einer umfassenden unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte (Nipperdey et al.) schwankte. Die Wertordnungsthese, die durch Staatsrechtslehrer der Weimarer Zeit entwickelt wurde und von einem anderen Textbefund ausging, lag als Mittelweg nahe, muss jedoch heute als von feiner ausdifferenzierten und näher am Text des Grundgesetzes operierenden Lösungen überholt betrachtet werden. Die Kritik an der Wertordnungsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu teilen heißt nicht, alle ihre Ergebnisse in Frage zu stellen. Die gegenüber der WRV gewachsene Bedeutung der Grundrechte und die Ausweitung ihrer Funktionen ist nicht allein ihrer extensiven Interpretation geschuldet, sondern mit 371 So das oft zitierte Minderheitenvotum der ersten Schwangerschaftsabbruchsentscheidung BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (73) [Schwangerschaftsabbruch I]. Zur Frage der verfassungsrechtlichen Pflicht zu Strafen siehe 3. Kapitel B. II. 3. – „Pflicht zu Strafen?“. 372 Afonso da Silva, in: Klatt, Prinzipientheorie, S. 79; Schenke, in: Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, S. 62 ff. 373 Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 50 f.; Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, S. 33 f.; Lepsius, in: VVDStRL 63 (2003), S. 339; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (463); Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 377. 374 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (72) [Schwangerschaftsabbruch I] (Minderheitenvotum).

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

Art. 1 Abs. 3 GG sowie Art. 20 Abs. 3 GG im Verfassungstext angelegt, durch dessen Exegese sich die Schutzpflichten als eine von mehreren Grundrechtsfunktionen ergibt.375

I. Diskurstheoretische Deutung und Fazit Die Herleitung staatlicher Schutzpflichten ist weiterhin umstritten,376 obschon ihre Existenz in Rechtsprechung und Literatur als weitgehend anerkannt gilt.377 Zwar stimmt es, dass in den letzten Jahrzehnten, seit die grundrechtliche Schutzpflicht von Dürig in die Verfassungsrechtsdogmatik eingebracht wurde, viele Versuche unternommen wurden, diese auf ein rechtsdogmatisches Fundament zu stellen, jedoch stellt die Vielzahl der unterschiedlichen Begründungsansätze nicht immer eine rechtswissenschaftliche Streitigkeit im engeren Sinne dar.378 Es mögen einige im Diskurs vertretene Extrempositionen miteinander unvereinbar sein.379 Bereinigt man diese Positionen von ihrem Absolutheitsanspruch, fügen sie sich wie Puzzleteile in ein großes umfassendes Gesamtwerk ein, das eine 375

Vgl. auch 1. Kapitel G. – „Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff“. Dreier, DÖV 1995, 1036 (1038); Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 29; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 400. 377 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 834, 1588/02 – BVerfGE 109, 190 (236) [Nachträgliche Sicherungsverwahrung]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 [Schwangerschaftsabbruch II]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 [Kalkar I]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 [Schwangerschaftsabbruch I]; BVerwG, Urteil vom 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 (10) [Verkehrslärm]; übereinstimmend aus der zeitgenössischen Lit. Badura, in: FS für Scholz, S. 12; Calliess, JZ 2006, 321 (322); Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 313; Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung Rn. 102; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 239; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 70 f.; Herrmann/Hofmann, in: Koch, Umweltrecht, § 14 Fn. 67; Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 150 ff.; Klein, JuS 2006, 960 (960); Klein, in: HGR I, § 6 Rn. 66; Klein, DVBl. 1994, 489 (491); Koch, in: Koch, Umweltrecht, § 4 Rn. 31; Koch, in: Erbguth (Hg.), Gedächtnisschrift Jeand’Heur, S. 153; Krebs, Vorbehalt des Gesetzes und Grundrechte, S. 90 ff.; Kreuter-Kirchhof, in: HStR XII, § 272 Rn. 1; Lorenz, in: FS für Scholz, S. 325 ff.; Manssen, Staatsrecht II, § 3 Rn. 50; Müller-Franken, in: FS Bethge, S. 242; Murswiek, in: HStR IX, § 192 Rn. 22; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 41 ff.; Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 27; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 33; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 46; Starke, DVBl. 2018, 1469 (1473); Stern, DÖV 2010, 241 (242); Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69, S. 943; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (207); Voland, NVwZ 2019, 114 (117); Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 287, 331 ff.; Zado, Privatisierung der Justiz, S. 279 f.; anders noch Schmitt, in: Materialien zu einer Verfassungslehre, S. 207 f. 378 Zum „Theorienpluralismus“ im Verfassungsrecht siehe auch Krebs, in: HGR II, § 31 Rn. 13 ff. 379 So sind zum Beispiel ein rein naturrechtlicher und ein rein rechtspositivistischer Ansatz miteinander unvereinbar. Beide Extrempositionen sind aber in Reinform so heute kaum noch vorfindbar. 376

I. Diskurstheoretische Deutung und Fazit

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ganzheitliche Betrachtung der grundrechtlichen Schutzpflichten ermöglicht.380 Die Heranziehung lediglich einer möglichen Grundrechtsinterpretation wird den vielfältigen Wirkungsweisen und Regelungsgehalten der grundrechtlichen Bestimmungen hingegen nicht gerecht.381 Um den gesamten Gehalt der Grundrechte zu ergründen, müssen die Interpretationsansätze als sich ergänzend nebeneinander stehend betrachtet werden. Konflikte werden dadurch nicht ausgeschlossen, sondern von vornherein auf jene Sachfragen beschränkt, in denen die Theorien zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Die staatstheoretische Herleitung ist der Ausgangspunkt für die Begründung staatlicher Schutzpflichten. Durch sie wird belegt, dass es einen Mindestgehalt an staatlicherseits zu gewährenden Schutzes gibt, hinter dem auch der verfassungsgebende Gesetzgeber nicht zurückbleiben darf. So hat der Staat die Pflicht, die Sicherheit für Leib und Leben seiner Bürger zu gewährleisten, ohne dass es dafür eines speziellen Verfassungsauftrages bedürfe.382 Hingegen ist es nicht möglich, aus dem Staatszweck Sicherheit ein ausdifferenziertes System staatlicher Schutzpflichten abzuleiten. Hier setzt die rechtspositivistische Deutung ein. Durch die strenge Wortlautauslegung wird es ermöglicht dem Grundgesetz eindeutig formulierte Schutzpflichten, die für den einfachen Gesetzgeber sowie die Exekutive und Judikative Geltung haben zu entnehmen. Neben den ausdrücklich angeordneten Schutzpflichten im Bereich des Familienrechts,383 ergeben sich Gewährleistungspflichten für die Freiheit der Person, die Religionsausübung sowie die Pressefreiheit,384 die für das Umweltrecht von untergeordneter Relevanz sind. Die Schutzpflicht zu Gunsten der Menschenwürde nimmt eine besondere Stellung ein.385 Hat es die Verfassung in Bezug auf die übrigen Grundrechte dem einfachen Gesetzgeber überlassen diese auszudifferenzieren, so erklärt sie ihren Schutz in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zur Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. Der staatliche Schutz der Menschenwürde bedarf nicht der Umsetzung durch ein380

Habermas, Faktizität und Geltung, S. 151 ff. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 167; so auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 59: „Das Verständnis der Grundrechte und die Entflechtung ihrer Wirkungsfunktionen kann nicht mit dem Zugriff auf eine „richtige“ Grundrechtstheorie gelöst werden.“ 382 Der Art. 2 Abs. 2 Alt. 1 GG ist insofern deklaratorischer Natur. 383 Hier bestehen ausdrückliche Schutzpflichten zu Gunsten von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) sowie der Mutter (Art. 6 Abs. 4 GG), vgl. dazu oben 1. Kapitel C. – „Rechtspositivistische Herleitung“. 384 Wie bereits oben ausgeführt wird aus dem Wortlaut der Formulierungen unverletzlich (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 GG, Art. 13 Abs. 1) sowie gewährleistet (Art. 4 Abs. 2 GG, Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG, Art. 14 Abs. 1 GG) eine ausdrückliche Schutzpflicht des Staates hergeleitet, vgl. 1. Kapitel C. – „Rechtspositivistische Herleitung“. 385 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 264. 381

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1. Kap.: Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten

faches Recht, sondern wird schon von der Verfassung selbst angeordnet.386 Die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenwürde hat deshalb einen herausgehobenen Rang und ist insbesondere einfachrechtlichen Opportunitätserwägungen entzogen.387 Die Schutzpflicht zu Gunsten der Menschenwürde ist die weitgehendste grundrechtliche Schutzpflicht. Die einzelnen Grundrechte sind zwar nicht vollständig in der Menschenwürde enthalten, aber um diese zentriert.388 Schließlich folgt aus jedem Grundrecht eine mit dem Abwehrrecht korrespondierende Schutzpflicht des Staates. Diese Schutzpflicht ist darauf gerichtet, dem Einzelnen einen Freiraum zu verschaffen, in dem er sein Grundrecht verwirklichen kann.389 Dabei sind auf der Ebene des Eingriffs die Erkenntnisse der abwehrrechtlichen Einheitstheorie zu berücksichtigen, sodass eine genaue Differenzierung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Eingriffen und damit zwischen Abwehrrecht und Schutzpflicht geboten ist.390 Mit dieser gleichermaßen an staatstheoretischen Überlegungen wie auch am Verfassungstext ausgerichteten Herleitung grundrechtlicher Schutzpflichten bekommt das, was vom Bundesverfassungsgericht als objektive Wertordnung umschrieben worden ist, eine klare Kontur.391 Die meisten der in der Literatur unternommenen Herleitungsversuche der staatlichen Schutzpflichten sind nichts anderes als die Anwendung des klassischen Auslegungskanons auf den Grundrechtekatalog des Grundgesetzes.392 Wie gezeigt, widersprechen sich die durch grammatikalische, 393 systematische,394 historische395 und teleologische396 Ausle386

Vgl. 1. Kapitel D. – „Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG“. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 66; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 125. 388 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 173. 389 Siehe 1. Kapitel G. – „Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff“. 390 Siehe 1. Kapitel F. – „Abwehrrechtliche Einheitstheorie“. 391 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 169 f.; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 26 f. 392 Näher dazu: Jarass, in: Jarass/Pieroth GG, Einleitung, Rn. 5 ff.; Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 11 ff. Grundlegend: Savigny/Wesenberg, Juristische Methodenlehre, S. 18 ff. 393 So liegen der rechtspositivistischen Herleitung (1. Kapitel C.) und der Begründung über Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG (1. Kapitel D.) eine grammatikalische Auslegung des Grundrechtskatalogs zu Grunde. 394 Die Herleitungsversuche aus den Grundrechtsschranken (1. Kapitel E.) und die abwehrrechtliche Einheitstheorie (1. Kapitel F.) stellen eine systematische Gesetzesauslegung dar. 395 Auf die historische Gesetzesauslegung greifen die staatstheoretische Herleitung (1. Kapitel B.) sowie zum Teil die Lehre vom mehrdimensionalen Freiheitsbegriff (1. Kapitel G.) zurück. 396 Der mehrdimensionale Freiheitsbegriff (1. Kapitel G.) leitet staatliche Schutzpflichten aus dem Zweck der Grundrechte her und stellt damit eine teleologische Auslegung der Grundrechte dar. 387

I. Diskurstheoretische Deutung und Fazit

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gung gewonnenen Ergebnisse in den meisten Fällen nicht, sondern ergänzen sich gegenseitig.397 Ebenso wie das grundrechtliche Abwehrrecht reicht auch die grundrechtliche Schutzpflicht nicht grenzenlos. Wie sich die grundrechtlichen Schutzpflichten im Bereich des Umweltrechts auswirken, welche Grenzen sie dem staatlichen und nichtstaatlichen Handeln ziehen und welche Grenzen ihnen selbst wiederum gezogen sind, ist Gegenstand der folgenden Erörterung.

397 In diese Richtung auch Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 264, der aber einen stärkeren Fokus auf die staatstheoretische Herleitung legt und die grundgesetzlich festgelegten Rechtskreise eher als Konkretisierungen der allgemeinen staatstheoretischen Schutzpflicht auffasst. Zu den Auswirkungen dieses feinen Unterschiedes in der Herleitung der Umweltschutzpflichten siehe 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“.

2. Kapitel

Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten Bevor der Frage nachgegangen werden kann, wie sich die grundrechtlichen Schutzpflichten als staatliche Umweltschutzpflichten auf die Rechtsordnung und die Staatsstruktur auswirken,398 sind ihre tatbestandlichen Voraussetzungen herauszuarbeiten. Dabei ist sowohl der Kreis der zum Schutz Verpflichteten einzugrenzen (A.), als auch zu klären, gegen welche Störer bzw. Störungen die Schutzpflichten bestehen (B.), wer in räumlicher, personeller und zeitlicher Hinsicht zum geschützten Personenkreis gehört (C.), welche Umweltgüter dem sachlichen Schutzbereich unterfallen (D.) und wie die Schutzpflicht ausgelöst wird (E.).

A. Verpflichtete Zunächst ist der Kreis der durch die Grundrechte Verpflichteten einzugrenzen.

I. Staatliche Adressaten Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht. Grundrechtliche Umweltschutzpflichten richten sich daher umfassend gegen den Staat in seiner Gesamtheit.399 Die einzelnen Bereiche der Rechtsordnung haben sich, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Schwangerschaftsabbruch formuliert, „an diesem Gebot [. . .], je nach ihrer besonderen Aufgabenstellung, auszurichten“.400 Verpflichtet sind demnach alle Träger unmittelbarer öffentlicher Gewalt.401 Auch Selbstverwaltungskörperschaften des öffentlichen Rechts werden als Träger mittelbarer Staatsgewalt durch die grundrechtlichen Schutzpflichten gebunden.402 398

Zur Rechtsfolgenseite siehe 3. Kapitel – „Analyse der Rechtsfolgenseite“. BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (252) [Schwangerschaftsabbruch II]; Alexy, in: VVDStRL 61 (2001), S. 8; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 67; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 106; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208). 400 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]. 401 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 10. 402 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 11. In Bezug auf die Krankenkassen: BVerfG, Beschluss vom 05.03.1997 – 1 BvR 1071/95 – NJW 1997, 3085 (3085) [Edelfosin]. 399

A. Verpflichtete

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Bei den grundrechtlichen Abwehrrechten ist Adressat grundsätzlich das handelnde Staatsorgan. Demgegenüber steht der Adressat der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten nicht von vornherein fest, sondern muss anhand seiner jeweiligen Kompetenzen und Aufgaben innerhalb der Staatsorganisation erst bestimmt werden.403 Eine Besonderheit stellen gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform dar, die überwiegend in der Hand des Staates sind. Im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge wie der Bereitstellung öffentlicher Netze wurden in den letzten Jahrzehnten umfangreiche Privatisierungen durchgeführt. Mischwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform unterliegen einer unmittelbaren Grundrechtsbindung, wenn sie von der öffentlichen Hand beherrscht werden, denn der Staat kann sich seiner Grundrechtsbindung gemäß Art. 1 Abs. 3 GG nicht dadurch entledigen, dass er sich des Privatrechts bedient.404 Eine beherrschende Stellung der öffentlichen Hand ist zu vermuten, wenn die Kapitalbeteiligung bei mehr als 50 % liegt.405 Nicht immer bleiben die privatrechtlich organisierten Unternehmen, die aus einer vormals staatlichen Behörde hervorgingen, mehrheitlich in der Hand des Staates, sodass diese nicht weiter an die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension gebunden sind. Damit wandelt sich die unmittelbare grundrechtliche Verantwortlichkeit der Organisation (Bahn, Post, Telekommunikation, Stromnetz etc.) zu einer Regulierungs- und Aufsichtspflicht des Staates, die sich aus den Grundrechten in ihrer Schutzpflichtendimension ergibt.406 Eine Besonderheit der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ist, dass sie sich nicht gegen den Störer richten, sondern gegen den Staat, der die Störung zu beseitigen oder zu unterbinden hat. Inwieweit der Staat dafür auf den Störer zurückzugreifen hat, wird nicht zwingend von den grundrechtlichen Schutzpflichten vorgegeben. Diese sind „opferzentriert“ und nicht „störerzentriert“.407 Wie die einzelnen staatlichen Adressaten verpflichtet werden und mit welchem Inhalt, stellt eine rechtsfolgenseitige Frage dar.408

II. Grundrechtsbindung Privater Gemeinhin wird angenommen, dass mit der Bindung der Staatsgewalt an die Grundrechte der Kreis der Verpflichteten abschließend definiert ist.409 403

Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 242. BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 (244) [Fraport]; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 11. 405 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 82. 406 Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 10, Rn. 38. 407 Dazu 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“. 408 Hierzu 3. Kapitel – „Analyse der Rechtsfolgenseite“. 409 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 72 S. 1202 ff. m.w. N. 404

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

1. Frühe Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte Anders mögen dies Vertreter der Lehre von der unmittelbaren Drittwirkung der Grundrechte sehen. Diese betrachten Grundrechte, auch ohne Vermittlung durch einfaches Recht, als zwischen Privatpersonen unmittelbar geltendes Recht.410 Bezogen auf die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten hätte dies zur Folge, dass ein jeder Bürger für den Schutz der Umwelt durch die anderen Bürger in die Pflicht genommen werden könnte. Diese Interpretation der Grundrechte erscheint schon in Hinblick auf ihren Wortlaut schwer haltbar. Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Staatsgewalten „als unmittelbar geltendes Recht“. Im Umkehrschluss sollen sie gerade nicht für den Bürger als unmittelbares Recht gelten.411 Hinzu kommt, dass sich im Falle der unmittelbaren Drittwirkung zwei Parteien gegenüberstehen würden, die sich auf Grundrechte berufen können. Beide Grundrechtspositionen müssten also durch Verwaltung und Gerichte zum Ausgleich gebracht werden. Diese Aufgabe kommt im bürgerlichen Rechtsstaat nach den Grundsätzen der Gewaltenteilung dem Gesetzgeber und nicht der Rechtsprechung oder Verwaltung zu.412 Zwischenzeitlich galt diese Extremposition als ausdiskutiert und allgemein verworfen.413 Das BAG414 wie auch der BGH415 führten diese Rechtsprechung nicht weiter. Zustimmung in der Literatur war vereinzelt geblieben.416 2. Jüngste Wiederentdeckung der unmittelbaren Drittwirkung? Nachdem das Bundesverfassungsgericht in seiner Fraport-Entscheidung die unmittelbare Grundrechtsbindung für privatwirtschaftliche Unternehmen, die vom 410 Sowohl der BGH in seiner früheren Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 14.02. 1958 – I ZR 151/56 – BGHZ 26, 349 (354) [Herrenreiter]; BGH, Urteil vom 25.05. 1954 – I ZR 211/53 – BGHZ 13, 334 (338) [Veröffentlichung von Briefen]; BGH, Urteil vom 06.04.1960 – IV ZR 276/59 – BGHZ 33, 145 (149–150) [Religionswechsel als Eheverfehlung], als auch das frühe BAG unter Nipperdey: BAG, Urteil vom 03.12.1954 – 1 AZR 150/54 – BAGE 1, 185 (193); in der Literatur findet sich diese Ansicht bei: Nipperdey, Grundrechte und Privatrecht, S. 13 ff. sowie bei Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, S. 66 f. 411 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 90. 412 Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 102; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 161. 413 Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 310; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 160; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 83 ff. 414 BAG, Beschluss vom 27.02.1985 – GS 1/84 – BAGE 48, 122 (138). 415 BGH, Urteil vom 14.12.1976 – VI ZR 251/73 – NJW 1977, 628 (630) [Beauftragung von Abschleppunternehmen]. 416 Canaris, Grundrechte und Privatrecht, S. 35; Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte und -freiheiten gegenüber Privaten, S. 42; Pietzcker, in: FS für Dürig, S. 347; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 67.

A. Verpflichtete

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Staat beherrscht werden, annahm,417 gewann die Debatte wieder an Fahrt.418 In einer weiteren Entscheidung zur Zulässigkeit von Versammlungen auf Privatgelände ging das Gericht sogar noch weiter. Private könnten „ähnlich oder auch genauso weit wie der Staat durch die Grundrechte in [die] Pflicht genommen werden, insbesondere, wenn sie in tatsächlicher Hinsicht in eine vergleichbare Pflichten- oder Garantenstellung hineinwachsen wie traditionell der Staat“.419 Zwar spricht das Bundesverfassungsgericht nur von einer mittelbaren Drittwirkung, die in diesem Fall zur Anwendung komme, jedoch könne diese „einer Grundrechtsbindung des Staates nahe- oder auch gleichkommen, [wenn Private bestimmte Aufgaben] übernehmen und damit in Funktionen eintreten, die früher in der Praxis allein dem Staat zugewiesen waren“.420 In der Stadionverbotsentscheidung knüpft das Bundesverfassungsgericht an diese Rechtsprechungslinie an und formuliert, dass Unternehmen mit großer sozialer Macht,421 „in erheblichem Umfang über die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheide[n]“.422 Somit „erwächst ih[nen] von Verfassungs wegen auch eine besondere rechtliche Verantwortung“.423 In der Literatur wurde die jüngere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts424 zum Teil so verstanden, als ob es eine unmittelbare Grundrechtsbindung Privater bejahen wolle.425 Damit würden verfassungsrechtsdogmatische Grenzen 417

BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 (244) [Fra-

port]. 418 Heldt, NVwZ 2018, 813 (818); Höfling, in: Sachs GG, Art. 1, Rn. 109; Huber, in: FS für Schröder 70, S. 337; Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 275; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 66; Smets, NVwZ 2019, 34 (34); Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 740; Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 109. In eine ähnliche Richtung bereits lange vor der Fraport-Entscheidung Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1180). Für eine eigene Grundrechtsbindung privater Unternehmen aus dem Bereich der Daseinsvorsorge im Rahmen einer sog. „Erfüllungsverantwortung“ Gusy, in: Mangoldt/ Klein/Starck GG, Art. 10, Rn. 40. 419 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15 – NJW 2015, 2485 (2486) [„Bierdosen-Flashmob“]. 420 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15 – NJW 2015, 2485 (2486) [„Bierdosen-Flashmob“]. 421 BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09 – NVwZ 2018, 813 (815) [Stadionverbot]. 422 BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09 – NVwZ 2018, 813 (816) [Stadionverbot]. 423 BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09 – NVwZ 2018, 813 (816) [Stadionverbot]. 424 In der Auseinandersetzung finden die Entscheidungen zur Versammlung am Frankfurter Flughafen Fraport (BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 [Fraport]), einer Kundgebung auf einem Privatgelände (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15 – NJW 2015, 2485 [„Bierdosen-Flashmob“]) sowie zu Stadionverboten des DFB (BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/ 09 – NVwZ 2018, 813 [Stadionverbot]) besondere Aufmerksamkeit. 425 Knebel, Die Drittwirkung der Grundrechte und -freiheiten gegenüber Privaten, S. 67; Smets, NVwZ 2019, 34 (36).

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

überschritten – gar eine „Pervertierung“ der Grundrechte sei zu befürchten.426 Diese Kritik verkennt, dass sich das Bundesverfassungsgericht der Gefahr einer unmittelbaren Grundrechtsbindung von Privaten bewusst war427 und sich deshalb in den Grenzen seiner etablierten Rechtsprechung zur mittelbaren Drittwirkung und Ausstrahlungswirkung hielt.428 Auch die jüngsten Urteile der Instanzgerichte zum Löschverhalten sozialer Netzwerke leiten die Grundrechtsbindung (hier Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG) aus der mittelbaren Drittwirkung her.429 Die mittelbare Drittwirkung von Grundrechten wirkt sich wesensmäßig nur im Zivilprozess aus und setzt daher notwendigerweise die Beteiligung von Personen voraus. Die mittelbare Drittwirkung kann sich daher nur im Verhältnis „Bürger – Staat – Bürger“ ergeben. Grundrechtliche Umweltschutzpflichten haben im Zivilrecht die Funktion, bei vorhandenem Kräfteungleichgewicht einen angemessenen Ausgleich der Interessen herbeizuführen. Grundsätzlich gilt im deutschen Zivilrecht, der bürgerlich-europäischen Tradition folgend, das Prinzip der Privatautonomie. Dieses beruht auf der Idee, dass sich Individuen in freier Selbstbestimmung gegenübertreten und ihre Interessen miteinander verhandeln. Das Bundesverfassungsgericht fasst Grund und Funktion in seiner HandelsvertreterEntscheidung prägnant zusammen: „Hat einer der Vertragsteile ein so starkes Übergewicht, daß er vertragliche Regelungen faktisch einseitig setzen kann, bewirkt dies für den anderen Vertragsteil Fremdbestimmung. Wo es an einem annähernden Kräftegleichgewicht der Beteiligten fehlt, ist mit den Mitteln des Vertragsrechts allein kein sachgerechter Ausgleich der Interessen zu gewährleisten. Wenn bei einer solchen Sachlage über grundrechtlich verbürgte Positionen verfügt wird, müssen staatliche Regelungen ausgleichend eingreifen, um den Grundrechtsschutz zu sichern.“ 430

Diese mittelbare Wirkung der Grundrechte über auslegungsbedürftige Rechtsbegriffe in die Privatrechtsbeziehung wird in Rechtsprechung und Literatur unter dem Schlagwort „Ausstrahlungswirkung“ bildhaft zusammengefasst.431 426

Smets, NVwZ 2019, 34 (37). BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09 – NVwZ 2018, 813 (814) [Stadionverbot]: „[Es] verpflichten die Grundrechte die Privaten grundsätzlich nicht unmittelbar untereinander selbst. Sie entfalten jedoch auch auf die privatrechtlichen Rechtsbeziehungen Ausstrahlungswirkung“. 428 Das Bundesverfassungsgericht hat hier vielmehr zwei seiner bisherigen Rechtsprechungslinien zusammengeführt. Es stellte klar, dass Ausstrahlungswirkung und mittelbare Drittwirkung nicht etwa zwei voneinander zu trennende Modelle sind, sondern sich ersteres aus letzterem ergibt. So auch Muckel, JA 2018, 553 (556). 429 OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25.06.2018 – 15 W 86/18 – NJW 2018, 3110 (3111); OLG München, Beschluss vom 24.08.2018 – 18 W 1294/18 – NJW 2018, 3115 (3115); hierzu auch Beurskens, NJW 2018, 3418 (3418). 430 BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 (255) [Handelsvertreter]. 431 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (207) [Lüth]; Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 168; Robbers, Sicherheit als Menschen427

A. Verpflichtete

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3. Mittelbare Drittwirkung als Unterfall der Schutzpflicht im Dreiecksverhältnis Lange Zeit wurde nicht erkannt, dass die mittelbare Drittwirkung im Zivilrecht strenggenommen ein Unterfall der grundrechtlichen Schutzpflichten ist, weil sich beide Theorien zunächst unabhängig voneinander entwickelten.432 Die mittelbare Drittwirkung hat ihren Ursprung in der Lüth-Rechtsprechung.433 Die Schutzpflichtenlehre hat, nach gängiger aber nicht unumstrittener Ansicht,434 ihren Ursprung im ersten Schwangerschaftsabbruchs-Urteil.435 Die Lüth-Rechtsprechung ist die ältere von beiden und das Bundesverfassungsgericht bezieht sich im Schwangerschaftsabbruchs-Urteil ausdrücklich auf diese. Es sieht deshalb auf den ersten Blick danach aus, als würde die grundrechtliche Schutzpflicht aus der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte hervorgehen und nicht umgekehrt. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte ist jedoch deutlich enger gefasst. Sie bezieht sich nur auf die Konstellation, dass sich zwei Bürger gegenüberstehen und die Grundrechte über die Grundrechtsbindung des Zivilrichters in ihre Rechtsbeziehung einwirken. Wesensmäßig für die mittelbare Drittwirkung soll zudem sein, dass beide Parteien sich auf Grundrechte berufen können. Anders die grundrechtlichen Schutzpflichten, die sich an den Staat in seiner Gesamtheit wie auch an die einzelnen Träger hoheitlicher Befugnisse (also auch den Zivilrichter) richten. Die grundrechtlichen Schutzpflichten setzen, wie noch zu zeigen sein wird, nicht zwingend voraus, dass sich beide Parteien auf Grundrechte berufen können.436 Sowohl grundrechtliche Schutzpflicht als auch mittelbare Drittwirkung sind dem Grundsatz nach für alle Grundrechte anerkannt.437 Die grundrechtliche Schutzpflicht hat in jedem Bereich entweder die gleichen oder allgemeinere Voraussetzungen als die mittelbare Drittwirkung, weshalb Letztere in recht, S. 131; Roellecke, in: HStR III, § 68 Rn. 13; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 415; Scherzberg/Mayer, JA 2004, 51 (52); Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 171; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 93 f.; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 74 f.; Weinrich, NuR 2019, 314 (315). 432 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 7; Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 21 ff.; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 171 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 71. 433 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]; Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 22. 434 Hierzu 1. Kapitel H. II. 2. – „Frühe verfassungsgerichtliche Schutzpflichtenrechtsprechung“. 435 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]. 436 Siehe 2. Kapitel B. II. – „Wirkung außerhalb eines klassischen Dreiecksverhältnisses“. 437 Siehe 2. Kapitel D. – „Schutzbereiche der Einzelgrundrechte“.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

der Ersten vollständig enthalten ist und somit einen Unterfall bildet. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht ist die Anwendung der grundrechtlichen Schutzpflichten auf den die gerichtliche Entscheidung abfassenden Zivilrichter. Dieser ist als unmittelbar grundrechtsgebundenes Staatsorgan nach Art. 1 Abs. 3 GG auf die Achtung der Grundrechte verpflichtet, die er durch sein zivilrechtliches Urteil nicht verletzen darf.438 Die mittelbare Drittwirkung ist deshalb keine gegenüber der grundrechtlichen Schutzpflicht eigenständige Grundrechtsfunktion.439 4. Stellungnahme Anders als zum Teil befürchtet und angenommen wird der Kreis der Grundrechtsverpflichteten durch die jüngere Rechtsprechung von Bundesverfassungsgericht und zivilrechtlichen Instanzgerichten nicht erweitert. Dass die unterschiedlichen Gleichheits- und Freiheitsrechte für private Unternehmen in zunehmenden Maße relevant werden, liegt nicht daran, dass die Abwehrfunktion der Grundrechte gegen diese erweitert werden würde. Es ist vielmehr, wie im Detail noch zu zeigen sein wird, die Schutzpflicht des Staates, die zur indirekten Grundrechtsverpflichtung bestimmter Unternehmen führt.

B. Schutzrichtung Die Schutzrichtung betrifft die Frage, vor welchen Störern und Störungen die Grundrechtsbegünstigten Schutz verlangen können. Im Anschluss daran wird der Kreis der Begünstigten näher erörtert (C.).

I. Das Dreiecksverhältnis Typischerweise wirken staatliche Schutzpflichten in einem Dreiecksverhältnis von „Staat – Opfer – Störer“.440 Die staatlichen Schutzpflichten als Dreiecksverhältnis aufzufassen impliziert bereits, dass die direkte Anwendung von Grundrechten zwischen den Bürgern als ausgeschlossen betrachtet wird.441 Die Wir438

Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 91. Papier, in: HGR II, § 55 Rn. 9; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 176; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 72; a. A. Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 7; Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 67. 440 Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 75; Pietzcker, in: FS für Dürig, S. 345; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 28; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 21 ff. 441 Dreier, Jura 1994, 505 (513); Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 174; so auch ausdrücklich ein Minderheitenvotum in BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (340) [Schwangerschaftsabbruch II]; aus der jüngeren Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09 – NVwZ 2018, 813 (814) [Stadionverbot]. 439

B. Schutzrichtung

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kung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten kann sich nur gegen den Staat richten. Dennoch bleiben die grundrechtlich geschützten Positionen des Einen nicht ohne Relevanz für den Anderen. So mag die Untersagung von schädlichen Umweltbeeinträchtigungen, verursacht durch ein privates Unternehmen, die Nachbarn in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit schützen. Den Unternehmer, dem der Betrieb der Anlage untersagt wurde, beeinträchtigt dies gegebenenfalls in seiner Berufs- und Eigentumsfreiheit. In dieser Doppelwirkung der Verwaltungsakte spiegelt sich die Mehrdimensionalität der Grundrechte.442 Die Verwaltung muss bei der Anwendung des einfachen Rechts die grundrechtlichen Positionen der Beteiligten berücksichtigen.443 Auch der Zivilrichter darf kein Urteil sprechen, das durch seinen Inhalt eine Partei in ihren Grundrechten verletzt.444 Somit haben die Grundrechte mittelbaren Einfluss auf das Verhältnis der Bürger untereinander.445 Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte gegenüber Privaten ist nicht per se schwächer als die unmittelbare Wirkung gegenüber dem Staat.446 Es kommt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vielmehr darauf an, inwieweit die Privaten über die soziale Macht verfügen, dass ein anderer von diesen abhängig ist.447 Im Einzelfall könne die Grundrechtsbindung Privater der des Staates nahe oder sogar gleichkommen. Wie bereits beschrieben, soll dies insbesondere dort gelten, wo private Unternehmen für Funktionen eintreten, die früher dem Staat als Aufgabe der Daseinsvorsorge zukamen.448 442 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 34; Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 36; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 906. 443 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 35. 444 BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (206) [Lüth]; BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 (229) [Bürgschaftsverträge]; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 476; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 91; ausführlich zur Grundrechtsbindung des Zivilrichters 3. Kapitel C. III. 3. – „Ausstrahlungswirkung“. 445 Grundlegend: Dürig, in: FS für Nawiasky, 1956, S. 157 ff.; außerdem: MüllerFranken, in: FS Bethge, S. 243; Pietzcker, in: FS für Dürig, S. 345 ff.; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 103 ff. Das BVerfG verfolgt diese Linie in ständiger Rechtsprechung: BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]; BVerfG, Beschluss vom 11.05.1976 – 1 BvR 671/70 – BVerfGE 42, 143 (147); BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 (229) [Bürgschaftsverträge]. 446 BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 (249) [Fraport]. 447 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15 – NJW 2015, 2485 (2486) [„Bierdosen-Flashmob“]. 448 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2015 – 1 BvQ 25/15 – NJW 2015, 2485 (2486) [„Bierdosen-Flashmob“]; BVerfG, Urteil vom 22.02.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 (250) [Fraport]. Dies muss nicht unbedingt identisch mit der Privatisierung früherer Staatsaufgaben sein, hierzu bereits oben 2. Kapitel A. II. 2. – „Jüngste Wiederentdeckung der unmittelbaren Drittwirkung?“. Auch umgekehrt, kann es sein, dass von Anfang an private Unternehmen in die Funktion der Daseinsvorsorge „hineinwachsen“.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Dieser mittelbare Einfluss darf jedoch nicht dazu führen, dass das einfache Recht durch grundrechtliche Wertungen überlagert wird. Der demokratisch legitimierte Gesetzgeber entscheidet, wie die sich widersprechenden grundrechtlichen Positionen miteinander in Einklang zu bringen sind. Verwaltung und Gerichte dürfen die grundrechtlichen Positionen von Opfer und Störer nur insoweit zur Geltung bringen, wie das einfache Recht ihnen diese Möglichkeit eröffnet. Alles andere würde auf eine unmittelbare Geltung der Grundrechte zwischen den Bürgern hinauslaufen.449 Isensee spricht gar davon, dass in diesem Fall das hochdifferenzierte einfache Recht „von lapidaren Verfassungsnormen überlagert und zermalmt“ würde.450 Unmittelbare Wirkung können grundrechtliche Schutzpflichten daher nur im Verhältnis Staat – Störer und Staat – Opfer, nicht jedoch im Verhältnis Opfer – Störer haben. Innerhalb der Dreiecksbeziehung vollzieht der Staat einen Rollenwechsel. War er zur Zeit der Aufklärung beim Übergang von absolutistischem Feudalismus zur bürgerlichen Republik noch Grundrechtsfeind, wird er in der Schutzpflichtensystematik zum „Grundrechtsfreund“, der die Gewährleistungsgehalte der Grundrechte zwischen den Bürgern in schonenden Ausgleich bringen soll.451

II. Wirkung außerhalb eines klassischen Dreiecksverhältnisses Bis heute wird die Meinung vertreten, dass grundrechtliche Schutzpflichten nur in einem Grundrechtsdreieck von „Staat – Opfer – Störer“ bestünden.452 Kontrovers diskutiert wird, ob sich grundrechtliche Umweltschutzpflichten nur aus Grundrechtseingriffen Dritter ergeben, oder ob den Staat beispielsweise auch bei zufälligen Umweltereignissen eine grundrechtliche Schutzpflicht trifft.453 Auch in Bezug auf nicht-private Störer ist diskutiert worden, ob hier überhaupt eine Schutzpflichtenkonstellation vorliegt. 1. Schutz vor dem Staat Schutzpflichten stehen, wie oben gezeigt, in einem Ausschlussverhältnis zu den Grundrechten als Abwehrrechte. Staatliche Schutzpflichten vor dem Handeln des Staates sind nichts anderes als die klassische Abwehrfunktion.454 Wann aber 449

Dazu bereits oben: 2. Kapitel A. II. – „Grundrechtsbindung Privater“. So Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 35. 451 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 946. 452 Brüning, JuS 2000, 955 (956); Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 210; a. A. BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2622) [Fixierung Psychatire]; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 75; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 22. 453 Hierzu näher: 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“. 454 Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 397; Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 38. 450

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ein staatlicher Grundrechtseingriff vorliegt, ist bei näherer Betrachtung nicht immer ganz deutlich.455 Verdeutlicht werden kann dies am Beispiel des WLAN-Ausbaus an Schulen.456 Sollte, wie von Manchen bereits jetzt befürchtet, durch die mit WLAN in jedem Klassenzimmer einhergehende Strahlenbelastung die Schwelle zur grundrechtsrelevanten Gesundheitsgefahr überschritten werden,457 würde sich an staatlichen Schulen der grundrechtliche Abwehranspruch direkt gegen die Schule bzw. ihren Träger richten. Bei einer privaten Schule könnte mangels unmittelbarer Drittwirkung kein Abwehranspruch aus den Grundrechten hergeleitet werden. Stattdessen wäre die jeweilige Aufsichtsbehörde über die grundrechtliche Schutzpflicht verpflichtet, die ihr zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten des Schulaufsichtsrechts zur Eindämmung der grundrechtsrelevanten Gesundheitsgefahr zu nutzen. Kommunen können sich weder darauf berufen von einer Schutzpflichtverletzung betroffen zu sein noch können sie diese prozessstandschaftlich für die Einwohner ihrer Gemeinde geltend machen. Als Körperschaften des öffentlichen Rechts sind sie selbst Teil des Staates und als solcher auch in der Schutzpflichtendimension nicht grundrechtsberechtigt.458 2. Schutz vor ausländischen Staaten Grundrechtseingriffe im Sinne der abwehrrechtlichen Dimension können nur durch die deutsche Staatsgewalt erfolgen, denn nur diese ist nach Art. 1 Abs. 3 GG unmittelbar an die Grundrechte gebunden.459 Durch die Schutzpflichtenlehre kann das Handeln des ausländischen Staates dennoch von grundrechtlicher Relevanz sein.460 Es ist möglich, dass ein Handeln ausländischer Staatsgewalt einen deutschen Grundrechtsträger im Schutzbereich eines Grundrechts verletzt.461 Bei 455 Näher dazu 2. Kapitel E. I. – „Schädigung anstelle des Eingriffs“ sowie bei Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 87 ff. Siehe auch BVerfG, Beschluss vom 16.12.1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83 – BVerfGE 66, 39 (60). 456 Die Bundesrepublik stellt aus ihrem Haushalt mehrere Milliarden Euro für den WLAN-Ausbau an Schulen zur Verfügung: https://www.welt.de/politik/deutschland/ar ticle158640491/Milliardenprogramm-fuer-WLAN-und-Computer-in-Schulen.html (zuletzt abgerufen am: 07.11.2019). 457 Budzinski, NuR 2017, 757 (758); Henke, DVBl. 1997, 415 (415). 458 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 682/12 – NVwZ 2018, 1561 (1561) [Nachtflugverbot]. 459 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 24. 460 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83 – BVerfGE 66, 39 (61); Jarass, in: Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1, Rn. 8; Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 38; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 61 f.; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 165. 461 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 33; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 81 ff.; Streuer, Die positiven

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Grundrechtskonstellationen mit ausländischen Staaten nimmt der ausländische Staat die Rolle des Störers ein, die bei reinen Inlandssachverhalten der Private innehat. Es bleibt also auch hier dabei, dass die Grundrechtsverwirklichung nur über den „Umweg“ des deutschen Staates erfolgt, der zum Schutz verpflichtet ist.462 Mangels eigener Bindung an die Grundrechte des Grundgesetzes463 kann der ausländische Staat nie selbst verpflichtet sein.464 Das völkerrechtliche Prinzip der Staatenimmunität verbietet es, den ausländischen Staat vor inländischen Gerichten zu verklagen.465 Der Bürger kann gegenüber seinem Staat aber einen Anspruch auf Gewährung diplomatischen Schutzes haben.466 Es handelt sich bei dieser Konstellation bei näherer Betrachtung ebenfalls um ein Dreiecksverhältnis, in dem die grundrechtlichen Schutzpflichten ihre Wirkung entfalten. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Chemiewaffenentscheidung konsequenterweise keinen Grundrechtseingriff durch die Aufstellung von Chemiewaffen auf deutschem Boden durch US-amerikanische Streitkräfte gesehen, sondern allenfalls eine Schutzpflichtverletzung des deutschen Staates in Betracht gezogen, der es unterlassen haben könnte, hinreichende Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu treffen.467 In einer weiteren Entscheidung zu grundrechtlichen Schutzpflichten zu Gunsten der eigenen Bürger gegenüber ausländischer staatlicher Gewalt hat das Bundesverfassungsgericht seine Prüfungsmaßstäbe konkretisiert. In der betreffenden Klage des in den Nürnberger Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilten NSKriegsverbrechers Rudolf Hess wandte sich jener gegen die fortgesetzte Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe, hilfsweise gegen die von ihm als „Isolierhaft“ bezeichnete Art und Weise der Vollstreckung. Mangels Erfolg ver-

Verpflichtungen des Staates, S. 102; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (204); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76; bezüglich militärischer Angriffe siehe BVerfG, Urteil vom 30.11.1977 – 2 BvF 1, 2, 4, 5/77 – BVerfGE 48, 127 (161) [Wehrpflicht]; a. A.: Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 208. 462 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (363) [Hess]; Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 321. 463 Eigene grund- oder menschenrechtliche Verpflichtungen, denen sich der Drittstaat selbst unterworfen hat, bleiben davon unberührt. 464 Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 99; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 81; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 24; umgekehrt gilt, dass der ausländische Staat sich nicht auf Grundrechte berufen kann, vgl. Ullrich, DVBl. 2015, 204 (209). 465 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 10 Rn. 182. 466 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 8 Rn. 213; Ruffert, in: HStR X, § 206 Rn. 34; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 61. 467 Die Senatsmehrheit (BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (215) [Chemiewaffen]) kam in der Frage der Grundrechtsbindung der ausländischen Gewalt zu dem gleichen Schluss wie das Minderheitenvotum (BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (237) [Chemiewaffen]); dazu auch Stern, DÖV 2010, 241 (245).

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schiedener vorheriger Beschwerden bei Organen der Besatzungsmächte sowie internationalen Organisationen wie der Europäischen Kommission für Menschenrechte, reichte er Klage beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesregierung ein und begehrte auszusprechen, dass diese verpflichtet sei, alle diplomatischen Schritte für seine Freilassung zu unternehmen.468 Nach einer Abweisung der Klage469 reichte Hess Verfassungsbeschwerde ein. Grundsätzlich erkannte das Bundesverfassungsgericht an, dass eine staatliche Pflicht zum Schutz der eigenen Bürger auch gegenüber ausländischer staatlicher Gewalt von Verfassungs wegen bestünde.470 Es sei der Regierung dabei aber ein „breiter Raum politischen Ermessens eingeräumt“.471 Der in diesem Rahmen gebotene Schutz werde zusätzlich dadurch beschränkt, dass Maßnahmen mit Auslandsbezug häufig die Interessen des Staates in seiner Gesamtheit und damit Allgemeinheitsinteressen berühren, als auch durch den Umstand, dass potentiell die Beziehungen zu auswärtigen Staaten beeinträchtigt werden könnten. Es dürften daher keine völkerrechtswidrigen Maßnahmen gegenüber dem ausländischen Staat verlangt werden. Auch sei das Schutzbegehren des eigenen Staatsbürgers gegen die Interessen der Allgemeinheit abzuwägen. Es könnten im Rahmen dieser Abwägung auch erhebliche Rechtsverletzungen gegenüber dem eigenen Staatsbürger hingenommen werden, um höherrangige Interessen der Allgemeinheit nicht zu gefährden. Diese Abwägung sei durch die Gerichte nicht nachprüfbar.472 Es scheint aber fraglich, ob dieser einschränkende Prüfungsmaßstab generell und insbesondere im Umweltverfassungsrecht zutrifft. Die Entscheidung Hess stand in einem besonderen historischen und politischen Kontext. Zum einen war die Causa Hess eine politisch delikate Angelegenheit mit hoher symbolischer Bedeutung.473 Zum anderen war Deutschlands Souveränität zum Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht vollständig wiederhergestellt,474 weshalb sich eine Zurückhaltung in dieser Hinsicht gegenüber den Besatzungsmächten auch dadurch rechtfertigte. 468 VG Köln, Urteil vom 19.12.1977 – 1 K 1730/77 (unveröffentlicht); BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (353) [Hess]. 469 Nach dem Urteil des VG erfolgten weitere Abweisungen durch die fachgerichtlichen Instanzen: OVG Nordrhein-Westfalen, 14.05.1979 – I A 615/78 (juris); BVerwG, Urteil vom 24.02.1981 – 7 C 60.79 – BVerwGE 62, 11 (11). 470 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (364) [Hess]; hierzu auch Stern, Staatsrecht III/1, S. 1232. 471 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (364) [Hess]; zum staatlichen Ermessen bei reinen Auslandssachverhalten siehe auch Kötter/ Nolte, DÖV 2007, 186 (194). 472 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (365, 354) [Hess]; so auch Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 81. 473 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 103. 474 Weidenfeld, in: Handbuch zur deutschen Außenpolitik, S. 112.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Die Souveränitätsfrage ist mittlerweile geklärt und der Umweltschutz ist keine Angelegenheit, die eine politische Zurückhaltung durch besondere historische Umstände begründen ließe. Auch ist in vielen internationalen Umweltfragen die Interessengewichtung eine völlig andere, als sie der vorher dargestellten Entscheidung zu Grunde lag. Häufig betreffen internationale Umweltprobleme gerade Interessen der Allgemeinheit und nicht nur eines einzelnen Staatsbürgers. Trifft der Staat keine ausreichenden Maßnahmen, um grundrechtsrelevante Umweltschädigungen durch andere Staaten zu unterbinden, muss dies gerichtlich feststellbar sein.475 Es genügt daher nicht, wenn die Regierung nachweist, überhaupt Bemühungen angestrengt zu haben, wie es das Bundesverfassungsgericht noch für ausreichend hielt.476 Gerichten muss es auch möglich sein, die Effektivität dieser Maßnahmen zu überprüfen und einen verfassungsrechtlich gebotenen Mindeststandard aufzustellen.477 Im Einzelfall ist auch eine Ermessensreduzierung auf Null nicht ausgeschlossen, sodass der Staat dazu verpflichtet sein könnte, mit einer bestimmten Maßnahme gegen den ausländischen Staat vorzugehen, wenn nur diese den gebotenen Schutzstandard gewährleisten würde.478 Anderenfalls wäre der Grundrechtsschutz lückenhaft, was mit seinem universellen Geltungsanspruch aus Art. 1 Abs. 3 GG nicht vereinbar ist. Auch das Diktum, dass vom Staat nicht verlangt werden könne, entgegen völkerrechtlicher Verpflichtungen zu handeln,479 wird in dieser Absolutheit nicht zu halten sein. Zum einen kann der einfache Gesetzgeber sich durch die Zustimmung zu völkerrechtlichen Verträgen seiner Verantwortung aus höherrangigen grundrechtlichen Umweltschutzpflichten nicht entledigen,480 zum anderen enthält das Völkerrecht selbst Grundsätze, die grenzüberschreitende Umweltschädigungen begrenzen und somit als Rechtfertigung dienen können, entgegenstehendes Völkerrecht außer Anwendung zu lassen. So gilt nach dem völkerrechtlichen Schutzprinzip der Grundsatz, dass Staaten auch außerhalb ihres eigenen Hoheitsgebietes Vorschriften über Verhalten erlas475 In diese Richtung auch Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76. 476 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (365) [Hess]. 477 Hierzu näher 4. Kapitel D. IV. 3. – „Weiterentwicklung zur Effektivitätskontrolle“. 478 Aufgrund des außenpolitischen Beurteilungsspielraums, der der deutschen Staatsgewalt bei Sachverhalten mit Auslandsbezug zugebilligt wird, wird eine Ermessensreduzierung auf Null prinzipiell seltener auftreten, als bei reinen Inlandssachverhalten, Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 93. 479 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 (365, 354) [Hess]; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 81 f. 480 BVerfG, Beschluss vom 24.07.2018 – 2 BvR 1961/09 – NVwZ 2018, 1549 (1551) [Übertragung von Hoheitsrechten]. Selbst die allgemeinen Regeln des Völkerrechts stehen „nur“ über den einfachen Gesetzen, jedoch unter den Regelungsgehalten des Grundgesetzes, Art. 25 S. 2 GG.

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sen können, die seiner eigenen Sicherheit oder überwiegenden öffentlichen Belangen dienen.481 Das Schutzprinzip gilt nach dem Auswirkungsgrundsatz sofern sich die im Ausland begangene Tat im Inland auswirkt.482 Selbstverständlich ist der Staat in der Durchsetzung dieser Verhaltensvorschriften durch den Territorialitätsgrundsatz gebunden, wonach die Ausübung von Hoheitsbefugnissen auf das eigene Staatsgebiet beschränkt ist.483 Außerdem gilt im internationalen Umweltrecht der Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme, welcher dem umweltschädigenden auswärtigen Staat Pflichten auferlegt.484 Dieses Prinzip wurde erstmalig im Trail smelter case aufgestellt, in dem es um grenzüberschreitende Umweltbelastungen zwischen den USA und Kanada ging, die vor einem Schiedsgericht verhandelt wurden.485 Das Schiedsgericht stellte fest: „under the principles of international law, [. . .] no state has the right to use or permit the use of its territory in such a manner as to cause injury by fumes in or to the territory of another or the properties or persons therein, when the case is of serious consequence and the injury is established by clear and convincing evidence“.486 Darauf aufbauend besteht eine Pflicht zur „Durchsetzung der Staatenverantwortlichkeit“.487 Scheitert die Durchsetzung der Beseitigungspflicht des ausländischen Verursachers, so muss die deutsche Staatsgewalt im innerstaatlichen Bereich die Umwelt selbst wieder herstellen oder für einen Ausgleich entstehender Härten sorgen.488 Es bleibt daher in Bezug auf das Verhältnis von grundrechtlicher Umweltschutzpflicht und internationalen Beziehungen festzuhalten, dass dem Staat umfangreiche Handlungsmöglichkeiten durch das Völkerrecht eröffnet sind, die dieser auch nutzen muss, um etwaigen grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auf internationaler Ebene nachzukommen. Er darf nicht durch Maßnahmen auf inter481 Herdegen, Völkerrecht, § 26 Rn. 12; grundlegend zum völkerrechtlich anerkannten Recht des Staates seine Bürger vor anderen Staaten zu schützen: Ständiger Internationaler Gerichtshof, Entscheidung vom 30.08.1924 – Series A – No. 2 – StIGHE A 2, 7 (12) [Mavrommatis]. 482 Ambos, Internationales Strafrecht, § 3 Rn. 6. 483 Herdegen, Völkerrecht, § 26 Rn. 4; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208); näher dazu außerdem in 2. Kapitel C. I. – „Räumliche Dimension“. 484 Herdegen, Völkerrecht, § 51 Rn. 2; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 214 f. 485 Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 25, Rn. 69. 486 Trail smelter case (United States, Canada), 3 UNRIAA, S. 1965, abrufbar unter: www.trans-lex.org, Dokumenten-ID: 291520. 487 Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 92; zur Frage inwieweit privates Verhalten dem ausländischen Staat zuzurechenen ist Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 84 f. Falls man zu einer Nichtverantwortlichkeit des ausländischen Staates für das private Verhalten kommt, greift auch der Grundsatz der Staatenimmunität nicht und die handelnden Akteure können als Privatpersonen vor deutschen Gerichten in die Verantwortung genommen werden, Marauhn, in: VVDStRL 74 (2014), S. 398. 488 Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 93.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

nationaler Ebene, insbesondere durch die Zustimmung zu völkerrechtlichen Abkommen, die grundrechtlich vorgegebenen Umweltschutzpflichten konterkarieren. Kollidieren grundrechtliche Umweltschutzpflichten und Völkerrecht, ist der Konflikt durch die allgemeine Normenhierarchie zu lösen. Verfassungsrecht steht über völkerrechtlichen Verträgen, sofern die Zustimmung nach Art. 59 Abs. 2 GG im einfachen Gesetzgebungsverfahren beschlossen wurde.489 Die allgemeinen Regeln des Völkerrechts stehen nach Art. 25 S. 2 GG zwar über den einfachen Gesetzen, allerdings nicht über den Rechtssätzen der Verfassung, zu denen auch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten gehören.490 Anders mag dies bei Völkerrechtsakten sein, die aufgrund einer Übertragung von Hoheitsrechten nach Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG oder Art. 24 Abs. 1 GG entstanden sind. Da die Übertragung von Hoheitsrechten eine materielle Verfassungsänderung darstellt und damit durch den verfassungsändernden Gesetzgeber erfolgt,491 steht derart zustande gekommenes Völkerrecht zumindest nicht unter dem Grundgesetz – nach Ansicht des EuGH sogar darüber.492 Die Kollisionsregeln auf dieser Ebene sind Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof.493 Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten auch gegenüber anderen Staaten Wirkung entfalten. Wie gezeigt steht der Bundesrepublik in dieser Konstellation eine breite Palette an Handlungsoptionen zur Verfügung, auch wenn auf Störerseite kein inländisches Privatrechtssubjekt, sondern ein ausländischer Souverän steht. 3. Schutz vor Naturkatastrophen Teilweise ist hinsichtlich der Schutzrichtung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten behauptet worden, es käme ihnen keine Wirkung in Bezug auf Ereignisse nicht-anthropogenen Ursprungs zu.494 Da die grundrechtlichen Schutz489

Streinz, in: Sachs GG, Art. 59, Rn. 56 ff. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – BVerfGE 111, 307 (316) [EGMR]; zur Kritik an dieser Ansicht Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 25, Rn. 78. 491 Heinegg, in: BeckOK GG, Art. 23, Rn. 24. 492 Grundlegend hierzu: EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – Rs. 6/64 [Costa/ENEL]; EuGH, Urteil vom 05.02.1963 – Rs. 26/62 [Van Gend & Loos]. 493 Calliess, in: Maunz/Dürig GG, Art. 24, Rn. 123 ff.; Kingreen, in: Calliess/Ruffert EUV/AEUV, Art. 51 EuGrCh, Rn. 8; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 23, Rn. 149. 494 So Calliess, JZ 2006, 321 (322); Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 267 ff.; Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 320; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 206 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 217 ff.; Murswiek, in: HStR IX, § 192 Rn. 105; a. A.: BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (258) [Schwangerschaftsabbruch II]; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 239; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 231; Holznagel, DVBl. 1997, 393 (396); Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen 490

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pflichten die Kehrseite der Abwehrrechte bilden, komme ihnen nur Anwendbarkeit zu, wenn vom Menschen verursachte Konfliktlagen in Rede stünden.495 Bei reinen Naturgefahren sei der Staat nicht in seiner Rolle als „Koordinator der Freiheitssphären“ gefragt.496 Dieses Verständnis geht auf eine bestimmte Herleitung der staatlichen Schutzpflichten zurück.497 Versteht man diese nicht primär als Ausfluss der grundrechtlichen Gewährleistungen, sondern leitet die Schutzpflicht mit Hobbes aus staatstheoretischen Überlegungen her,498 wird man die Schutzpflichten des Staates als Kompensation für das Verbot privater Gewaltanwendung auffassen müssen.499 Es sei dem Menschen hingegen nicht verboten, sich gegen Naturkräfte zur Wehr zu setzen; hier behalte er seine ursprüngliche Freiheit.500 In Bezug auf die staatstheoretische Herleitung nach Hobbes mag diese Argumentation schlüssig sein. Jedoch erschöpft sich die Herleitung der Schutzpflichten, wie oben gezeigt, nicht im Sicherheits- und Friedensaspekt, sondern hat insbesondere im modernen Verfassungsstaat noch weitere Gründe, aus denen sich weitere Funktionen der Umweltschutzpflichten ergeben.501 Eine Funktion der Schutzpflichten im modernen Verfassungsstaat ergibt sich daraus, dass dieser seinen Bürgern konkrete Grundrechte zuspricht,502 für die er sich verbürgt und deren Verwirklichungsvoraussetzungen er daher zumindest in Grundzügen zu schaffen verpflichtet ist. So darf der Staat wegen Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht tatenlos zusehen, wenn seine Bürger durch eine Naturkatastrophe in ihrem Leben oder ihrer körperlichen Unversehrtheit erheblich geschädigt werden – unabhängig davon, ob die Naturkatastrophe vom Menschen ausgelöst wurde oder zufälligen Ursprungs ist, oder sich die Ursache nicht zweifelsfrei klären lässt.503 und europäischen Recht, S. 80 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth GG, Vorb. vor Art. 1, Rn. 8; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 397; Manssen, Staatsrecht II, § 3 Rn. 50; Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 38; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 734; Staben, Der Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, S. 40; Stober/Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 (124); Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 104 ff.; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 165; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 77. 495 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 206. 496 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 176; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 219. 497 Dazu siehe oben 1. Kapitel – „Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichte“. 498 Dazu siehe oben 1. Kapitel B. I. – „Vertragstheoretiker“. 499 So Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 268; kritisch hingegen Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103. 500 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 206; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 219. 501 Siehe oben 1. Kapitel I. – „Diskurstheoretische Deutung und Fazit“. 502 Siehe oben 1. Kapitel C. – „Rechtspositivistische Herleitung“. 503 In diese Richtung wohl auch Brinktrine, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 1, Rn. 38 f. Außerdem Stober/Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 (124).

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

a) Rechtswidrigkeit des Eingriffs Von den Gegnern der Anwendbarkeit der Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten auf zufällige Naturereignisse wird außerdem angeführt, es fehle am zurechenbaren Eingriff, weshalb auch die Kategorie der Rechtswidrigkeit nicht anwendbar sei.504 Dieses Argument verkennt, dass es für die grundrechtliche Schutzpflicht nicht auf die Rechtswidrigkeit des Störerhandelns ankommt.505 Gerade dann, wenn das Störerhandeln durch einfaches Recht erlaubt ist, kann eine grundrechtliche Schutzpflicht einschlägig sein.506 Der Vorwurf richtet sich in diesem Fall gegen den Gesetzgeber, der seine grundrechtliche (Umwelt-)Schutzpflicht dadurch verletzt hat, dass er mehr Störungen im grundrechtsrelevanten Bereich zugelassen hat, als aus grundrechtlichen Erwägungen zuzulassen gewesen wären.507 Die Rechtswidrigkeit des Störerhandelns ist daher keine Tatbestandsvoraussetzung der grundrechtlichen Schutzpflichten und es spielt auch keine Rolle, dass der Begriff der Rechtswidrigkeit auf Naturkatastrophen nicht anwendbar ist. Rechtswidrig, oder genauer gesagt verfassungswidrig, ist im Fall einer Schutzpflichtverletzung tatbestandlich nur das Handeln, Dulden oder Unterlassen des Staates. Auf den Störer hingegen kommt es nicht an.508 In den Fällen, in denen kein Mensch die Gefahr im grundrechtlich relevanten Schutzbereich verursacht hat, ist nicht von einem Störer, sondern von einer bloßen Störung zu sprechen. Die Unterschiede zwischen Störer und Störung wirken sich auf Rechtsfolgenseite dahingehend aus, dass im Falle einer bloßen Störung bei Gegenmaßnahmen keine Abwägung mit etwaigen entgegenstehenden Grundrechtspositionen des Störers vorgenommen werden muss. b) Katastrophenschutz als spezielle Aufgabe im Grundgesetz Als flankierendes Argument dafür, dass die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten im Falle von Naturkatastrophen nicht anwendbar sind, ließe sich formulieren, dass Art. 35 Abs. 2 und 3 GG den Bereich des Katastrophenschutzes bereits besonders regele.509 Dieses Argument ist bei näherer Betrachtung des Art. 35 GG nicht stichhaltig. Art. 35 GG enthält die Vorschriften zur Amtshilfe und konkretisiert diese in den Absätzen 2 und 3 für die Fälle einer Naturkatastrophe. So kann beispielsweise ein Land nach Art. 35 Abs. 2 S. 2 Alt. 2 GG die 504

Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 206. So auch Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 317 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 233; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1035). 506 2. Kapitel A. II. 3. – „Mittelbare Drittwirkung als Unterfall der Schutzpflicht im Dreiecksverhältnis“. 507 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103. 508 So auch Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 80. 509 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 206. 505

B. Schutzrichtung

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Kräfte der Bundespolizei anfordern, um bei einem besonders schweren Unglücksfall Hilfe zu leisten. Art. 35 Abs. 3 S. 1 GG gewährt der Bundesregierung für den Fall einer länderübergreifenden Naturkatastrophe die Befugnis, den Ländern Weisungen zu erteilen. Daraus ergibt sich, dass Art. 35 Abs. 2 und 3 GG nur die Durchführung des Katastrophenschutzes regeln und nicht die Frage, inwieweit der Staat zu diesem verpflichtet ist.510 c) Differenzierung nach Ursache Es ergibt sich aus allem bisher Aufgeführten, dass keine verfassungsrechtsdogmatische Notwendigkeit dazu besteht, den Fall von Naturkatastrophen aus der Schutzpflichtdogmatik auszuklammern, da sie sowohl gegen abzuwehrende nichtstaatliche Bedrohungen als auch in Bezug auf zu beseitigende Störungen Wirkung entfaltet.511 Es könnte aber angenommen werden, dass die beiden Fallgruppen von (1) durch menschliche Einwirkung ausgehende Schutzgutverletzungen und (2) durch naturbedingte Schädigungen des Schutzgutes, in zwei eigenständige verfassungsrechtsdogmatische Kategorien zu trennen sind. Dabei stellt sich die Frage, wie diese beiden Kategorien überhaupt voneinander abgegrenzt werden sollen. Es mag Fälle von Naturkatastrophen geben, die ihrerseits vom Menschen verursacht worden sind – so zum Beispiel das Abrutschen eines gerodeten Hanges in Folge starker Regengüsse. Zwar stellen die starken Regengüsse ein zufälliges Naturereignis dar,512 mitursächlich könnte aber auch das Roden des Hanges sein, dessen Erdreich durch die nun fehlenden Wurzeln an Stabilität verloren hat. Noch deutlicher wird die Abgrenzungsproblematik, wenn man annimmt, der Hang sei nicht gerodet worden, sondern die Bäume seien aufgrund von sogenanntem sauren Regen, der durch verschiedene Industrieanlagen verursacht wurde, deren einzelne Beiträge sich im Nachhinein nicht mehr genau bestimmten lassen, abgestorben. Wollte man hier in zwei Kategorien trennen, eine mit menschlicher Schadensursache und eine mit zufälliger Schadensursache, müsste man entweder das gleiche Ereignis zwei unterschiedlichen Kategorien zuordnen, oder einer Kategorie den Vorzug geben. Beides scheint wenig zweckmäßig, da die Frage, ob und inwieweit der Staat zu Schutz und Hilfe verpflichtet ist, ausschließlich von den betroffenen Rechtsgütern abhängt und nicht davon, wer oder was für den Schaden im Sinne einer naturwissenschaftlichen Kausalität verantwortlich ist.513 Die Frage der Verantwortlichkeit spielt für folgende Haftungsansprüche eine Rolle, bleibt aber für das Bestehen einer grundrechtlichen Um510 Vgl. Epping, in: BeckOK GG, Art. 35, Rn. 16 ff.; Erbguth/Schubert, in: Sachs GG, Art. 35, Rn. 36 ff.; Maunz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 35, Rn. 12 ff. 511 Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 38; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 734. 512 Die Möglichkeit von menschlichem Einfluss auf Klima und Wetter sind in diesem Beispiel außen vor gelassen. 513 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

weltschutzpflicht des Staates ohne Belang,514 oder wie es Sachs treffend ausdrückte: „Den wichtigen Beitrag zur Verwirklichung von Grundrechtspositionen leistet eine wirksame Gefahrenabwehr gegenüber einem vom Blitzeinschlag erzeugten Feuer nicht anders als bei einer Brandstiftung.“ 515

Festzuhalten bleibt im Ergebnis daher, dass die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten Wirkung auch dann entfalten, wenn das schädigende Ereignis zufällig eingetreten ist oder nicht eindeutig auf einen bestimmten privaten Störer zurückzuführen ist.516 Insofern ist nur relevant, dass die Störung nicht von einem staatlichen Verhalten ausgeht, da sonst die vorrangige Abwehrfunktion der Grundrechte aktiviert wird.517 Es kommt also nur darauf an, dass es sich um eine nichtstaatliche Störung handelt.518 4. Schutz gegen sich selbst Grundsätzlich gilt, dass ein einzeln betroffener Grundrechtsträger auf die Geltendmachung seines Grundrechts verzichten kann.519 Wenn es für die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten aber nicht darauf ankommt, dass die Störung von einem Dritten ausgeht,520 wirft das die Frage auf, ob grundrechtliche Umweltschutzpflichten auch gegen den Grundrechtsträger selbst wirken können.521 Diese Frage ist in Bezug auf Umweltschutzpflichten von besonderer Relevanz, da Umweltgefahren häufig eine Vielzahl von Grundrechtsbegünstigten betreffen.522 Es ist daher leicht vorstellbar, dass ein Individuum zeitgleich Begünstigter einer 514

Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76. Sachs, in: Stern, Staatsrecht III/1, S. 735. 516 A. A. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 220. 517 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 75. 518 So ausdrücklich auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103. 519 Dreier, JZ 2007, 317 (325). 520 Siehe 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“. 521 Dazu Bethge, in: HStR IX, § 203 Rn. 149; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 103, 219 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 228 ff.; Merten, in: HGR III, § 73 Rn. 1; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 220 ff.; Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 38; Singer, in: GS Jeand’Heur, S. 171. 522 Auch außerhalb des Umweltrechts wird der Grundrechtsschutz gegen sich selbst kontrovers diskutiert. Viele der aktuell geführten Debatten um den aufgedrängten Grundrechtsschutz werden hier ausgeklammert oder nur insofern gestreift, als sich abstrakt gültige Erkenntnisse über die rechtsdogmatische Struktur gewinnen lassen. Hintergrund ist, dass die zur Zeit am heftigsten diskutierten Probleme der aktiven Sterbehilfe und eines aufgedrängten staatlichen Lebensschutzes (vgl. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 219) sowie das Abtreibungsverbot außerhalb des Umweltrechts liegen und daher für die vorliegende Arbeit nur strukturell, aber nicht inhaltlich relevant sind. 515

B. Schutzrichtung

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Schutzmaßnahme ist, von dieser aber auch negativ in einem anderen oder sogar demselben Grundrecht betroffen wird.523 Illustriert werden kann dies am Beispiel des Klimaschutzes. Das Weltklima betrifft potentiell alle Menschen. Wenn durch Schäden in der Ozonschicht weniger solare UV-Strahlung in der Stratosphäre absorbiert wird, wirkt sich dies auf alle Lebewesen außerhalb des Wassers negativ aus.524 Begünstigte Grundrechtsträger durch Maßnahmen, die der Verhinderung einer fortgesetzten Zerstörung der Ozonschicht dienen, sind daher alle Menschen. Richtet sich nun eine Maßnahme gegen einen Schädiger der Ozonschicht, ist er doppelt Betroffener der Schutzmaßnahme. Einmal als individueller Adressat auf Störerseite und zum anderen als Geschädigter auf Seite der Schutzbegünstigten, deren Angehöriger er als Teil der betroffenen Allgemeinheit ist. Da alle Menschen – unabhängig von ihrem Verursacheranteil – gleichermaßen von ozonlochbedingter Mehrbelastung mit solarer Strahlung betroffen sind, ist ein Grundrechtsverzicht des Verursachers praktisch unmöglich. Auch wenn ein Grundrechtsverzicht generell möglich ist,525 würde er sich in dieser Konstellation nicht auswirken, da die Maßnahmen, die zum Gesundheitsschutz in Bezug auf die Ozonschicht notwendig sind, die gleichen bleiben, auch wenn ein Einzelner auf seinen Grundrechtsschutz ausdrücklich verzichten sollte. In den Fällen, in denen ein Grundrechtsträger zeitgleich der Gruppe der Geschädigten als auch der Verursachergruppe angehört, ist ein Grundrechtsverzicht dann nicht zu berücksichtigen, wenn sich Verursacheranteil und Schadensanteil nicht monokausal und abschließend einander zuordnen lassen.526 Nur wenn Schädiger und Geschädigter eines Umweltgutes personenidentisch sind und daneben keine weiteren Geschädigten existieren, ist ein Grundrechtsverzicht zu berücksichtigen.527 Anderenfalls würde der Grundrechtsverzicht des einen Ge523

Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14, Rn. 134. Küll, Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO2-Zertifikaten, S. 20; Roedel/Wagner, Physik unserer Umwelt: Die Atmosphäre, S. 397. 525 Hierzu Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 228; Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 83; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 221. 526 Zum Teil wird angenommen, dass derartige Konstellationen nicht unter die Frage des Schutzes gegen sich selbst gefasst werden sollten, sondern gleich anonymen Naturereignissen behandelt werden sollten, Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 231. Eine unterschiedliche Behandlung und damit auch Abgrenzung dieser Fallgruppen scheint dennoch aus haftungsrechtlicher Sicht geboten, denn eine eindeutige Zurechenbarkeit des Schadens ist für eine Umwelthaftung nicht in jedem Fall verlangt, vgl. § 6 Abs. 1 UmweltHG. Anders für reine Naturereignisse, vgl. § 4 UmweltHG. 527 Aber auch hier kann es im Einzelfall Ausnahmen geben. So zeigt allein die Existenz des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen), dass die Rechtsordung auch einen Einzelgrundrechtsverzicht nicht in jedem Fall anerkennt. Weite Beispiele bei Merten, in: HGR III, § 73 Rn. 14. In der Einpersonenkonstellation muss der Grundrechtsschutz gegen sich selbst jedoch exzeptionell bleiben; so Bethge, in: HStR IX, § 203 Rn. 149. 524

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

schädigten zu Lasten des anderen Geschädigten wirken. Es könnte also ein Grundrechtsträger einen Grundrechtsverzicht erklären, der auch für einen anderen wirksam wäre.528 Die praktische Anwendbarkeit des Grundrechtsverzichtes ist im Bereich der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten deshalb reduziert.529 Es müsste als Voraussetzung für einen Grundrechtsverzicht eine Konstellation vorliegen, in der von einem Umweltschaden nur eine Person oder ein überschaubarer Personenkreis, dessen Zugehörige alle den Grundrechtsverzicht erklären, betroffen ist. Darüber hinaus wirken grundrechtliche Umweltschutzpflichten häufig notwendigerweise gegen den Grundrechtsträger, für den Grundrechtsträger.530 Dies ist kein Widerspruch, sondern liegt in der Natur der grundrechtlichen Schutzpflicht. Da Umweltbelange von großer Komplexität sein können, ist es beispielsweise für den Konsumenten beim Kauf einzelner Produkte praktisch nicht möglich und auch kaum zumutbar, alle ökologischen Folgen seiner Kaufentscheidung abzuschätzen. Es wird ihm oft auch der nötige Einblick in die Produktionsprozesse fehlen, um beurteilen zu können, inwieweit sich seine eigene Konsumentscheidung, vermittelt über die Schädigung von Umweltmedien (wie beispielsweise Wasser, Klima oder Luft), negativ auf seine grundrechtlich geschützten Güter (wie beispielsweise Gesundheit oder Eigentum) auswirken kann.531 Wenn der Staat Vorschriften zur Produktion von Lebensmitteln oder anderen Konsumpro528

Singer, in: GS Jeand’Heur, S. 189. Anders stellt sich dies in Bereichen wie dem Medizinrecht dar. Häufig ist hier nur ein Grundrechtsträger sowohl in der Schutz- als auch der Abwehrdimension betroffen. So kollidieren beispielsweise bei der Verweigerung einer notwendigen medizinischen Behandlung die Schutzpflicht des Staates zu Gunsten des Lebens mit dem Persönlichkeitsrecht des selben Grundrechtsträgers. Hier wird eine Rechtfertigung der Schutzpflicht regelmäßig ausscheiden. Hierzu Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 221: „Weil die Schutzpflicht des Staates sich aus dem Recht des Einzelnen auf Schutz ergibt, bleibt der Wille des Einzelnen für die Gewährleistung des Schutzes bestimmend“. Nicht aber, wenn Dritte betroffen sind. Beispielsweise bei der Impfpflicht, mit der nicht nur der Betroffene, sondern auch Dritte geschützt werden, vgl. Jarass, in: Jarass/Pieroth GG, Art. 2, Rn. 100 f. Außerdem wird eine Schutzpflicht gegen den Grundrechtsträger angenommen werden können, wenn seine Steuerungs- und Einsichtsfähigkeit eingeschränkt ist, vgl. BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2621) [Fixierung Psychatire]; Hippel, ZRP 2001, 145 (147). 530 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 203; in diese Richtung auch Hippel, ZRP 2001, 145 (147). Auch das BVerfG hält den Grundrechtsschutz gegen sich selbst grundsätzlich für möglich: BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2621) [Fixierung Psychatire]; BVerfG, Beschluss vom 10.06.2015 – 2 BvR 1967/12 – BeckRS 2015, 47773 (17) [Ärztliche Zwangsmaßnahmen]; BVerfG, Beschluss vom 21.12.2011 – 1 BvR 2007/10 – NJW 2012, 1062 (1064) [UV-Strahlung]; BVerfG, Beschluss vom 16.03.1982 – 1 BvR 938/ 81 – BVerfGE 60, 123 (132). A. A. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 228. 531 A. A. wohl Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1107–1108). 529

C. Reichweite

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dukten erlässt, mit denen er bezweckt, grundrechtsrelevante Umweltschädigungen zu minimieren, schränkt er damit nicht nur die Freiheit des Produzenten ein, sondern auch die des Konsumenten, der nun ein Produkt, das vorher noch zum Verkauf stand, nicht mehr zur Auswahl hat. Gleichzeitig schützt er den Wirtschaftsteilnehmer vor den mittelbaren, unbeabsichtigten negativen Folgen für seine eigenen Rechtsgüter.

III. Zusammenfassung und Fazit Grundrechtliche Umweltschutzpflichten können sich in bestimmten Fällen für die gleiche Person schützend, wie auch schädigend, insbesondere freiheitsverkürzend, auswirken. Kommt dem Staat eine Schutzpflicht zu, kann diese eine Rechtfertigung für einen Eingriff in das Freiheitsgrundrecht eines anderen Grundrechtsträgers sein.532 Im Falle der Personenidentität gilt nur anderes, wenn nur ein Grundrechtsträger alleine betroffen ist. In diesem Fall muss ein Grundrechtsverzicht möglich sein, sofern der Grundrechtsträger einwilligungsfähig ist. Ist der Grundrechtsträger Teil einer zu schützenden Gruppe, kann ein Einzelner nicht den Grundrechtsverzicht geltend machen, sofern damit der Schutz gegenüber der Gruppe geschwächt würde. Die Kollision von Freiheit und Schutz ist in diesen Fällen auf Ebene der Rechtfertigung zu lösen, wo eine Gewichtung der beiden kollidierenden Werte, insbesondere im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitskontrolle, vorzunehmen ist. Aufgrund ihrer auch objektiven Funktion erzeugen die grundrechtlichen Umweltschutzgehalte auch dann eine Rechtspflicht des Staates, wenn sie im Einzelfall nicht eingeklagt werden. Da Umweltschäden oft breit gestreute Auswirkungen haben, kann es oft zu Konstellationen mit Personenmehrheiten kommen, in denen die Individualisierung jedes Einzelbetroffenen kaum möglich ist. Wenn dem eine Vielzahl von Mitverursachern der Umweltschädigung gegenüberstehen, versagen die klassischen Vorstellungen von der Dreieckskonstellation grundrechtlicher Gemengelagen. Die Schutzpflichten der Grundrechte sind opferzentriert. Das heißt, sie entfalten auch dann Wirkung, wenn der Störer nicht zu ermitteln ist.

C. Reichweite Die Reichweite der grundrechtlichen Schutzpflichten lässt sich in eine räumliche, personelle und zeitliche Betrachtungsweise unterteilen. Diese drei Dimensionen der Reichweite der Umweltschutzpflichten werden im Folgenden näher zu bestimmen sein.

532 Zu Schutzpflichten als Schranken und Rechtfertigung siehe 3. Kapitel B. V. – „Schutzpflichten als Grundrechtsschranke“.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

I. Räumliche Dimension Grundsätzlich gilt für das Verfassungsrecht, genauso wie für anderes nationales Recht, das Territorialprinzip, wonach die Ausübung von Hoheitsgewalt auf das Staatsgebiet beschränkt ist, sofern das Völkerrecht keine Ausnahme vorsieht.533 Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten verwirklicht der Staat jedoch nicht ausschließlich durch hoheitliches Handeln. Außerhalb des Staatsgebietes der Bundesrepublik und der deutschen Hoheitsgewässer, kann er zu völkerrechtskonformen Umweltschutzmaßnahmen durch die Grundrechte verpflichtet sein.534 Das Territorialitätsprinzip beschränkt nur die Ausübung von Hoheitsgewalt auf das eigene Staatsgebiet, nicht die Geltung nationaler Rechtsvorschriften.535 Es ist zunächst zu berücksichtigen, dass, sofern sich die Umweltschutzpflicht aus den Grundrechten ableitet, ein Bezug zwischen dem Umweltschutzgut und dem Grundrechtsträger bestehen muss. Dieser Bezug besteht nicht bei lokalen Umweltverschmutzungen außerhalb des deutschen Staatsgebiets, von denen kein Grundrechtsberechtigter betroffen ist. Anders gelagert ist der Fall bei globalen Phänomenen, wie dem Klimawandel. Hier wird jeder Grundrechtsträger von jedem kumulativen Treibhausgasaustoß belastet, weshalb eine unmittelbare grundrechtliche Pflicht der Bundesrepublik besteht, mit den völkerrechtlich zulässigen Instrumenten auf eine Schadensbegrenzung hinzuwirken.536 Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten bestehen daher grenzüberschreitend.537 Das Handeln der auswärtigen Gewalt ist, wie oben bereits festgestellt, nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts grundsätzlich justiziabel,538 was 533 Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 90; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208); Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, S. 17; unbeschadet des Territorialitätsprinzips ist im Völkerrecht anerkannt, dass jedem Staat ein Recht zusteht, seine Bürger vor anderen Staaten zu schützen; grundlegend hierzu Ständiger Internationaler Gerichtshof, Entscheidung vom 30.08.1924 – Series A – No. 2 – StIGHE A 2, 7 (12 f.) [Mavrommatis]. Eine völkerrechtliche Verpflichtung des Staates seinen Bürgern Auslandsschutz zu gewähren besteht hingegen nicht – eine solche kann sich nur aus inländischem Recht ergeben, vgl. Kötter/Nolte, DÖV 2007, 186 (191). 534 Brüning, in: Stern/Becker GG, Art. 19, Rn. 100; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 198; Rüfner, in: HStR IX, § 196 Rn. 35; a. A. Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 90. 535 Isensee, in: FS für Scholz, S. 253; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 4; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208); Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, S. 19. 536 Siehe hierzu schon 2. Kapitel B. II. 2. – „Schutz vor ausländischen Staaten“. 537 Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1107); Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 31; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208); anders Kötter/Nolte, DÖV 2007, 186 (190), die eine Anwendung grundrechtlicher Schutzpflichten bei Auslandssachverhalten grundsätzlich verneinen, gleichwohl im Ergebnis analog heranziehen wollen, Kötter/Nolte, DÖV 2007, 186 (194). 538 BVerfG, Urteil vom 04.05.1955 – 1 BvF 1/55 – BVerfGE 4, 157 (161).

C. Reichweite

107

in Anbetracht des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nur konsequent ist.539 Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten sind jedoch die Besonderheiten des Auslandsbezugs zu berücksichtigen. Hier ist die Anwendbarkeit der deutschen Grundrechte von einem dialektischen Verhältnis von einerseits „Erweiterung“ und zugleich „Einschränkung“ geprägt.540 Zum einen sind die Grundrechte in Anbetracht ihrer universellen Geltung „in das Ausland“ zu erweitern. Die Erweiterung geht, mangels Ausübung von Hoheitsbefugnissen im Ausland, vor allem mittelbar vonstatten. Es wird insofern vom „Einwirkungsanspruch“ gesprochen, der darauf gerichtet ist, dass der Staat bemüht sein muss, auf die Einhaltung der Grundrechte im internationalen Bereich hinzuwirken.541 Andererseits sind die grundrechtlichen Gewährleistungsgehalte im Vergleich zu reinen Inlandssachverhalten einzuschränken, um den Besonderheiten des Auslandsbezugs und den Erfordernissen des internationalen Kollisionsrechts Rechnung zu tragen,542 sowie dem Umstand, dass der nationale Gesetzgeber nicht in der Lage ist, die Freiheitssphären im Ausland zu koordinieren. Die ist Aufgabe des jeweiligen Territorialstaates.543 Das Bundesverfassungsgericht hat eine Einschränkung von Grundrechten bei Sachverhalten mit Auslandsbezug immer wieder angenommen, bisher aber keine einheitliche Linie herausgearbeitet.544 Es wird zum Teil ausdrücklich darauf verwiesen, dass sich eine für alle Fälle geltende Regel „nicht allgemein bestimmen“ ließe.545 Eine vollwertige Anwendung der deutschen Grundrechte in allen grenzüberschreitenden Sachverhalten drohe sogar das „internationale Privatrecht aus den Angeln [zu] heben“ 546 und würde den deutschen Staat unfähig machen, im 539 Brüning, in: Stern/Becker GG, Art. 19, Rn. 100; Calliess, in: HStR IV, § 83 Rn. 33. 540 Die Unterteilung von „Erweiterung“ und „Einschränkung“ ist ausführlich beschrieben worden durch Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 82 ff. Isensee schreibt hingegen von „Mediatisierung“ und „Relativierung“, Isensee, in: FS für Scholz, S. 254. 541 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 98 ff. 542 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 314. 543 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 195. 544 BVerfG, Beschluss vom 24.07.2018 – 2 BvR 1961/09 – NVwZ 2018, 1549 (1550) [Übertragung von Hoheitsrechten]; BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 (56 ff.) [Familiennachzug]; BVerfG, Beschluss vom 23.06.1983 – 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 – BVerfGE 58, 1 (27 ff.) [Eurocontrol I]; BVerfG, Beschluss vom 22.02.1982 – 2 BvR 457/78 – BVerfGE 63, 343 (366 ff.) [Rechtshilfsvertrag]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68 – BVerfGE 31, 58 (76 ff.) [Spanier-Beschluss]; BVerfG, Beschluss vom 20.06.1964 – 1 BvR 93/64 – BVerfGE 18, 112 (116 ff.) [Auslieferung I]; siehe außerdem Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 169 m.w. N. 545 BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68 – BVerfGE 31, 58 (77) [Spanier-Beschluss]. 546 BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68 – BVerfGE 31, 58 (76) [Spanier-Beschluss].

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

internationalen Rahmen angemessen zu agieren.547 Auch ist die Befürchtung geäußert worden, es werde durch die uneingeschränkte Geltung der Grundrechte im internationalen Raum die „Funktionsfähigkeit [von] zwischenstaatlichen Einrichtung[en] beeinträchtigt“.548 Zum Teil wird deshalb schon bei der Ermittlung des Schutzbereichs der Auslandsbezug dergestalt berücksichtigt, dass der Schutzbereich einschränkend ausgelegt wird.549 In anderen Fällen werden auslandsbezogene Belange als Rechtfertigungsgrund für Grundrechtsbeschränkungen herangezogen.550 So bunt der Strauß an bundesverfassungsgerichtlichen Einzelfallentscheidungen, so vielfältig ist die Kritik an ihnen.551 Weitgehende Einigkeit besteht jedoch darin, dass die Grundrechte im internationalen Rahmen nur eingeschränkt gelten.552 Als äußerste Grenze der Einschränkbarkeit der grundrechtlichen Schutzgewährleistungspflicht des Staates im globalen Rahmen werden wahlweise die Wesentlichkeitsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG553 oder der dauerhaft garantierte Kerngehalt nach Art. 1 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG genannt.554

II. Personell Das Grundgesetz trifft eine Unterscheidung zwischen Deutschengrundrechten und Jedermanngrundrechten.555 Aus dieser grundsätzlichen Unterscheidung lässt sich schließen, dass die Grundrechte, die keine personale Einschränkung vor-

547 BVerfG, Beschluss vom 22.02.1982 – 2 BvR 457/78 – BVerfGE 63, 343 (370) [Rechtshilfsvertrag]. 548 BVerfG, Beschluss vom 23.06.1983 – 2 BvR 1107, 1124/77 und 195/79 – BVerfGE 58, 1 (28) [Eurocontrol I]. 549 BVerfG, Beschluss vom 20.06.1964 – 1 BvR 93/64 – BVerfGE 18, 112 116 f. [Auslieferung I]. 550 BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 57 ff. [Familiennachzug]. 551 Eine Darstellung des Meinungsstandes zur räumlichen Geltung der Grundrechte würde den Umfang dieser Untersuchung sprengen und muss Arbeiten vorbehalten bleiben, die ihren Fokus auf diese spezielle Problemstellung gelegt haben. Umfangreich und detailliert zusammengefasst ist der Meinungsstand bei Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 199 ff. 552 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 218; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 198; Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1107); eine Extremposition vertritt insofern Hofmann, ZRP 1986, 87 (88), der eine globale Umweltverantwortung für den deutschen Staat apodiktisch verneint. 553 BVerfG, Beschluss vom 24.07.2018 – 2 BvR 1961/09 – NVwZ 2018, 1549 (1550) [Übertragung von Hoheitsrechten]; Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 218. 554 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 197. 555 Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 27; Michael/Morlok, Grundrechte, § 11 Rn. 444; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 208; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 70 S. 1033.

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sehen, für alle Menschen gelten sollen.556 Diese universelle Geltung der Jedermanngrundrechte ist Ausdruck ihrer menschenrechtlichen Herkunft, die in Art. 1 Abs. 2 GG ausdrücklich betont wird.557 Die meisten der für die Umweltschutzpflichten relevanten Grundrechte558 sind Jedermanngrundrechte.559 1. Ausländer Grundsätzlich gilt für die Jedermanngrundrechte, dass sie gegenüber jeder natürlichen Person gelten, die eine vom Schutzbereich umfasste Beeinträchtigung erleidet, die der deutschen Staatsgewalt zuzurechnen ist.560 Dies muss auch für die Schutzpflichten gelten, da diese die Kehrseite des Abwehrrechts darstellen. Dem Grundgesetz ist über die Unterscheidung von sogenannten Deutschen- und Jedermanngrundrechten561 hinaus keine weitere personelle Differenzierung bekannt.562 Da die Geltung der Grundrechte, wie oben festgestellt, nicht an der Staatsgrenze aufhört,563 besteht eine Grundrechtsbindung der deutschen Staatsgewalt auch gegenüber Ausländern im Ausland.564 Schädliche Emissionen halten sich nicht an Staatsgrenzen. Bisher gibt es keine völkergewohnheitsrechtlichen Regelungen über die Rechtsstellung des nicht im Inland ansässigen Ausländers, der von inländischen Emissionen betroffen ist,565 wohl aber regionale völkerrechtliche Abkommen.566 Das deutsche Verfassungsrecht eröffnet einen Anspruch auf Rechtsschutz für den im Ausland betroffenen ausländischen Grundrechtsberechtigten. Die Rechtsschutzgarantie nach Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG gilt 556 BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 (41) [Familiennachzug]; Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 30; Kingreen/Poscher, Grundrechte, § 5 Rn. 167; Schmitt, in: Materialien zu einer Verfassungslehre, S. 208; Schmitt, Verfassungslehre, S. 164. 557 Michael/Morlok, Grundrechte, § 11 Rn. 444. 558 Vor allem Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Abs. 2, Art. 13 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 GG. 559 Näher zum Umweltschutzgehalt der Einzelgrundrechte 2. Kapitel D. – „Schutzbereiche der Einzelgrundrechte“. 560 Gundel, in: HStR IX, § 198 Rn. 7; Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 31. 561 Zum Teil wird auch von „Menschen- und Bürgerrechten“ gesprochen, um diese Unterscheidung deutlich zu machen Gundel, in: HStR IX, § 198 Rn. 3. 562 Abgesehen von der hier nicht weiter zu erörternden Besonderheit des Art. 16a GG, der denknotwendigerweise ein reines Ausländergrundrecht darstellt. 563 2. Kapitel C. I. – „Räumliche Dimension“. 564 Elbing, Zur Anwendbarkeit der Grundrechte bei Sachverhalten mit Auslandsbezug, S. 240 ff.; Rüfner, in: HStR IX, § 196 Rn. 35; Yousif, Die extraterritoriale Geltung der Grundrechte bei der Ausübung deutscher Staatsgewalt im Ausland, S. 23. 565 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 10 Rn. 183. 566 So wird durch die Aarhus-Konvention (AK) in Art. 9 Abs. 2 AK vorgeschrieben, dass der gesamten betroffenen Öffentlichkeit, die ein ausreichendes Interesse begründet oder eine Rechtsverletzung geltend macht, ein Klagerecht zustehen muss. Nach Art. 2 Nr. 5 AK umfasst die „betroffene Öffentlichkeit“ diejenigen, die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffen sind.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

unabhängig von der Staatsangehörigkeit und setzt lediglich eine bestehende verletzte Rechtsposition voraus.567 Diese ergibt sich für einen Ausländer aus denjenigen Grundrechten, die als Menschenrechte (Jedermannrechte) ausgestaltet sind. Wird ein Grundrechtsgehalt durch die deutsche Staatsgewalt verletzt, indem sie es unterlässt, einen inländischen Schädiger, beispielsweise ein Industrieunternehmen, das giftige Abwässer in einen grenznahen Fluss leitet, ausreichend zu regulieren, kann eine Schutzpflichtverletzung gegenüber einem im Ausland ansässigen Ausländer gegeben sein.568 Dem Ausländer steht dagegen in Deutschland der Rechtsweg offen.569 Auch eine Schutzverpflichtung des deutschen Staates gegenüber Ausländern im Ausland vor ausländischen Ursachen ist wegen der menschenrechtlichen Herkunft und Prägung deutscher Grundrechte vorstellbar, vgl. Art. 1 Abs. 2 GG. Diese menschenrechtliche Dimension der Schutzpflicht wird vor allem durch die eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten der Bundesrepublik im Ausland begrenzt.570 Wie oben bereits dargestellt, kommt einem Staat im Ausland keine Befugnis zur Ausübung von Hoheitsgewalt zu.571 Die Umsetzung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten beschränkt sich daher auf beispielsweise diplomatische, völkervertragsrechtliche und wirtschaftliche Hilfe. So wird man den deutschen Staat durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auf völkervertraglicher Ebene dazu verpflichtet sehen müssen, auf eine Erhöhung der internationalen Umweltschutzstandards hinzuwirken. Außerdem sind die Umweltschutzpflichten bei der Gewährung von humanitärer Hilfe im Ausland und bei der Vergabe von Wirtschaftsförderungen und der Entwicklungshilfe zu berücksichtigen.572 Es besteht hingegen kein Recht eines Ausländers darauf, so gestellt zu werden, wie dies nach ausländischem Recht der Fall wäre.573 So ist beispielsweise die Betroffenheit des ausländischen Nachbarn eines inländischen Windparks nur nach deutschem Recht und deutschen Grundrechten zu beurteilen.574

567 Brüning, in: Stern/Becker GG, Art. 19, Rn. 99; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 19, Rn. 43; Sachs, in: Sachs GG, Art. 19, Rn. 113; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 39. 568 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 212. 569 Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke VwGO, § 42, Rn. 90. 570 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 212 f. 571 2. Kapitel C. I. – „Räumliche Dimension“; zu den Möglichkeiten der Erfüllung staatlicher Schutzpflichten gegenüber anderen Staaten siehe auch 2. Kapitel B. II. 2. – „Schutz vor ausländischen Staaten“. 572 Weinrich, in: BfN-Skripten 527, S. 122. 573 Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke VwGO, § 42, Rn. 90. 574 OVG Lüneburg, Beschluss vom 01.08.2011 – 12 LA 297/09 – NVwZ 2011, 1073 (1074).

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2. Juristische Personen Für inländische juristische Personen gelten grundrechtliche Schutzpflichten nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG.575 Entscheidend ist, auf den Sitz der juristischen Person abzustellen,576 nicht auf die Staatsangehörigkeit ihrer Mitglieder.577 Aus den unionsrechtlichen Diskriminierungsverboten, insbesondere Art. 18 AEUV, kann sich ergeben, dass sich grundrechtliche Umweltschutzpflichten auch zugunsten von juristischen Personen der EU-Mitgliedstaaten ergeben.578 3. Tiere Eine staatliche Verpflichtung zum Tierschutz ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht aus den Grundrechten, sondern nur aus Art. 20a GG.579 Anders als in der Rechtsprechung sind in der Literatur durchaus Stimmen zu vernehmen, die subjektive Tierrechte für möglich halten.580 Die Ansicht, dass Rechte nur Personen zukommen könnten, sei bereits heute unzutreffend, denn sonst könnte die Rechtsfähigkeit einer Stiftung, die nur eine reine Vermögensmasse darstellt, nicht erklärt werden.581 Auch dass Tiere auf die sie adressierenden Sollenssätze nicht reagieren können, wird nicht als Gegenargument akzeptiert, denn dies könnten Kinder bis zu einem bestimmten Alter auch nicht und diesen werde die Grundrechtsfähigkeit ebenfalls nicht abgesprochen.582 Bereits nach dem geltenden Verfassungstext könne man Tierrechte herleiten, denn wenn der Terminus „Leben“ nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für den

575 Vgl. hierzu Sachs, in: Sachs GG, Art. 19, Rn. 67 ff.; kritisch zum Konzept der Grundrechtsgeltung für Körperschaften, Verbände und Kollektivitäten Schmitt, in: Materialien zu einer Verfassungslehre, S. 212 f. 576 Sachs, in: Sachs GG, Art. 19, Rn. 51; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 71 S. 1123. 577 So jedenfalls die h. M., vgl. Sachs, in: Sachs GG, Art. 19, Rn. 56; zur Kritik an dieser These siehe Remmert, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 3, Rn. 83. 578 Sachs, in: Sachs GG, Art. 19, Rn. 55. 579 BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 (37) [Gentechnikgesetz]. 580 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 95; Feinberg, in: Ökologie und Ethik, S. 142 ff.; Fischer-Lescano, ZUR 2018, 205 (215); Leondarakis, Menschenrecht „Tierschutz“, S. 45; Schlitt, Umweltethik, S. 80 ff. Ablehnend Stern, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 97 S. 70. Zu den Konsequenzen der Tierrechtsdebatte für das einfache Recht siehe Fahl, JA 2019, 161. Neben Tierrechten wird zum Teil für „höhere biotische Einheiten“, d.h. Lebensräume, Biotope und Ökosysteme oder sogar für die Natur als solches eine Rechtsfähigkeit gefordert, vgl. Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 94; Feinberg, in: Ökologie und Ethik, S. 158; Tribe, in: Ökologie und Ethik, S. 22. Kritisch u. a. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 220. 581 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 95. 582 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 95; Schlitt, Umweltethik, S. 82.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

nasciturus gelten könne,583 könne er auch zu Gunsten anderer Lebewesen interpretiert werden.584 Dagegen sprechen jedoch Wortlaut und Systematik des Grundrechtekatalogs. Systematisch ist den Einzelgrundrechten die Menschenwürdegarantie des Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG vorangestellt. Auch im zweiten Absatz stellt der historische Verfassungsgeber mit der Formulierung „Menschenrechte als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft“ klar, wer Rechteinhaber sein soll. Auch grammatikalisch ist Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG keineswegs so offen wie behauptet. Um den Schutzbegünstigten zu bezeichnen, wird das Pronomen „Jeder“ verwendet. Ein Pronomen kann entweder anstelle eines Substantives stehen oder dieses begleiten. Hier begleitetet es kein Substantiv, sondern stellt den Bezug zum vorangehenden Artikel her. Im vorangegangenen Artikel kommt als Subjekt nur der Mensch in Betracht, dem das Objekt Leben grammatikalisch zugeordnet wird. Es ist daher falsch zu behaupten, das Recht auf Leben könnte in seiner heutigen Form für Tierrechte nutzbar gemacht werden. Die Grundrechte des Grundgesetzes,585 wie auch die Menschenrechte586 sind insofern anthropozentrisch ausgerichtet.587 Die Grundrechte auf Tiere auszuweiten bedeutet nicht, die Wirkkraft von Grundrechten zu erhöhen. Im Gegenteil, das Tier wäre nicht in der Lage, Rechte auszuüben, bräuchte also den Menschen als Schutzherren.588 Es bleibt in diesem Verhältnis Objekt des Menschen in der Weise „Mensch schützt Tier“. Würde man dies anders sehen, müsste man die Tiere in die Rechtsgemeinschaft integrieren, mit der Folge, dass die Tierrechte auch für die Tiere untereinander gelten würden.589 Kommt dem Hasen ein Recht auf Leib und Leben zu, müsste man begründen, warum der Fuchs es nicht zu unterlassen hat, ihn zu fressen. Das Tier kann schon deshalb nicht Rechtssubjekt sein, weil es durch das Recht nicht verpflichtet werden kann. Da das Tier nicht auf die Ebene des Menschen gehoben werden kann, müsste man den Menschen auf die Ebene des Tieres degradieren, wollte man die Grundrechtsgeltung entsprechend erweitern. Denkbar wäre dies, denn, wie Isensee treffend feststellt: „Die species des homo sapiens steht, biologisch gesehen, nicht über dem Tier.“ 590 Und gerade deshalb ist die große Errun583 So das BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (37) [Schwangerschaftsabbruch I]. 584 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 95. 585 Stern, in: Stern, Staatsrecht IV/1, § 97 S. 70 f. 586 Leondarakis, Menschenrecht „Tierschutz“, S. 23 ff. 587 Zur Entwicklung des Anthropozentrismus und seine Verknüpfung mit der Idee der Menschenwürde in der europäischen Geistesgeschichte siehe auch Isensee, in: HGR IV, § 87 Rn. 66. 588 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 220. 589 Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 347 weist in diesem Zusammenhang treffend darauf hin, dass bei den Eigenrechten der Natur unklar bleibt, welche Naturteile, die miteinander konkurrieren, überhaupt privilegiert werden sollen. 590 Isensee, in: HGR IV, § 87 Rn. 84.

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genschaft der Grund- und Menschenrechte, den Eigenwert des Einzelnen zu betonen, aus dem sich Freiheit und Gleichheit aller Menschen ableiten.591 Dieser Eigenwert wird der Beliebigkeit preisgegeben, wenn die Rechtsträgereigenschaft auf nicht-menschliches Leben erweitert wird. 4. Fazit: Anthropozentrischer Umweltschutz Grundrechte können nur die Basis für einen anthropozentrischen Umweltschutz darstellen. Daran ändert auch nichts, dass in den letzten Jahren internationale Verträge wie die Aarhus-Konvention die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten zur Einführung von Umweltverbandsklagen verpflichten, die einer Eigenrechtlichkeit der Natur durchaus nahe kommen.592 Diese Rechtsentwicklungen spielen sich vollständig auf Ebene des internationalen Rechts und des nationalen einfachen Rechts ab. Die Grundrechte bleiben in ihrem jetzigen Textbefund als Menschenrechte darauf ausgerichtet, eine dem Menschen würdige Umwelt zu schaffen und zu erhalten aber nicht die Natur um ihrer selbst Willen zu schützen. Stimmen, die fordern, die Menschenrechte auf Tier- und Naturrechte auszuweiten, mögen zwar vom guten Willen geleitet sein, dem Natur und Umweltschutz einen Dienst zu erweisen, ob sich der Wunsch nach mehr Tierund Naturschutz dadurch erfüllen lässt, erscheint jedoch zweifelhaft. Wenn es der Menschheit nicht gelingt, sich um ihrer selbst Willen so zu verhalten, dass die dauerhaften Belastbarkeitsgrenzen des Planeten eingehalten werden, warum sollte sie es dann um der Natur Willen? Es scheint im Umweltverfassungsrecht stellenweise der Ehrgeiz vorzuherrschen, sich mit einer noch extensiveren Interpretation der Grundrechte hervorzutun, die dann wiederum bereitwillig von Anderen aufgegriffen und fortgesponnen wird.593 Nur durch diesen Mechanismus erklärt sich, warum Grundrechtsgehalte wie „Eigenrechte der Natur“ erkoren werden, die dem Grundrechtskatalog schlicht nicht zu entnehmen sind. Aus den dargestellten Gründen scheitern die Versuche, der Natur Eigenrechte auf Ebene der Grundrechte zuzuschreiben. Der über die Grundrechte vermittelte Umweltschutz ist ein anthropozentrischer Umweltschutz und bleibt deshalb notwendigerweise fragmentarisch und lückenhaft.594

III. Zeitliche Dimension Als Grundrechtsträger kommt in erster Linie der lebende Mensch in Betracht.595 Dass ein postmortaler Grundrechtsschutz in beschränktem Maße mög591

Dürig, AöR 1956, 117 (125). So auch Köck/Till, ZUR 2018, 193 (193). 593 Ähnlich Steiner, NJW 2001, 2919 (2920). 594 So auch: Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 9; Steinberg, NJW 1996, 1985 (1987). 595 Rüfner, in: HStR IX, § 196 Rn. 3; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 70 S. 1045. 592

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

lich ist, fand in einigen Zusammenhängen bereits Zustimmung in Literatur und Rechtsprechung.596 Für grundrechtliche Umweltschutzpflichten ist hingegen die umgekehrte Frage relevant, ob Rechtspositionen von Grundrechtsträgern in der Zukunft bereits eine Ausstrahlungswirkung auf unsere Gegenwart haben können. Der Grundrechtekatalog des Grundgesetzes gibt selbst keine direkten Hinweise zur zeitlichen Dimension der Grundrechte.597 In Anbetracht der vielfältigen neuartigen Bedrohungslagen im Umwelt- und Technikrecht wird seit einigen Jahren vermehrt darauf hingewiesen, dass die Grundrechte zukünftiger Grundrechtsträger in der Gegenwart bereits zu berücksichtigen sind.598 Vor allem der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, dessen Schutzpflicht für das ungeborene aber schon gezeugte Leben verfassungsgerichtlich anerkannt ist,599 wird als Anknüpfungspunkt für einen über den gegenwärtigen Umweltschutz hinausgehenden Nachweltschutz ins Spiel gebracht.600 Durch diese intertemporale Dimension der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten wird ihr Anwendungsbereich erheblich erweitert. Die Belange zukünftiger Grundrechtsträger würden damit bereits in der Gegenwart justiziabel. Dennoch haben entsprechende Ansätze aus der Literatur in der Rechtsprechung bisher keinen Niederschlag gefunden.601 1. Ethische Ansätze Es stellt sich die Frage, inwieweit ethische Ansätze zur Generationengerechtigkeit in einer rechtwissenschaftlichen Arbeit Platz haben können. Recht und Ethik stehen sich nicht völlig unabhängig voneinander gegenüber. Ethische Ansätze fließen über den gesetzgeberischen Willensbildungsprozess in das geschriebene Recht und über die Rechtsinterpretation des Richters in das gesprochene Recht ein. Umgekehrt können sich ethische Wertungen durch Änderungen des Rechts verschieben.602 So ist zum Beispiel die ethische Verantwortung gegenüber in Ar596 Grundlegend: BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173 (195) [Mephisto]; Hofmann, ZRP 1986, 87 (87); Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 70 S. 1046. 597 Zur Diskussion um die Reichweite der Ewigkeitsgarantie siehe Dreier, Gilt das Grundgesetz ewig?, S. 57 ff.; Dreier, in: Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, S. 159 ff. m.w. N. 598 Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 286 ff.; Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1106); Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 40 f.; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 81; Steinberg, NJW 1996, 1985 (1987). 599 Grundlegend: BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (28) [Schwangerschaftsabbruch I]. 600 Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1107); Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 81. 601 An dieser Feststellung von Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 81 hat sich auch seither nichts geändert. 602 Gruschke, in: Vöneky/Beylage-Haarmann, Ethik und Recht, S. 63 f.

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mut lebenden Mitbürgern in Ländern ohne staatliches Sozialsystem stärker ausgeprägt als in den Sozialstaaten kontinentaleuropäischer Prägung, in denen Wohlfahrt durch das Recht garantiert wird und sich deshalb weniger stark als ethischer Imperativ an den Einzelnen richtet.603 Wo das Recht schweigt, kann ein Vergleich der moralphilosophischen und ethischen Ansätze Impulse für die ergänzende Auslegung des geschriebenen Rechts bringen. Marx etwa meint, den Menschen komme die Verpflichtung zu, die Erde der nächsten Generation verbessert zu übergeben.604 Dies klingt zunächst auch aus heutiger Sicht nach einem vielversprechenden ökologischen Ansatz. Diese Philosophie war jedoch noch von einem großen Maß an technischem Fortschrittsoptimismus geprägt. Da für Umweltgefahren noch wenig Bewusstsein bestand, meinte Verbesserung der Welt nach Marx vor allem, das Voranschreiten der Produktivkraftentfesselung. Im Fokus waren die sozialen Folgen der Industrialisierung, wie Ausbeutung und Verelendung der Massen. Die Verelendung der Massen versuchte man durch Produktivitätssteigerungen zu bekämpfen. Heute leben wir in einem Zustand, in der weite Teile der Welt „gesättigt“ sind. Hunger und Armut bestehen heute nicht mehr aufgrund der zu geringen Produktivität der Weltwirtschaft, sondern aufgrund von Verteilungsproblemen. Eine weitere Produktivitätssteigerung alleine würde keinen zusätzlichen Menschen satt machen. Statt der sozialen Frage, die heute keine Frage von Wachstum und Produktivität mehr ist, sondern von Verteilung, rückt die ökologische Frage in den Vordergrund. Diese lautet, ob es für künftige Generationen möglich sein muss, ein mindestens gleichbleibendes Maß an Konsum zu genießen. Die Annäherung an eine Antwort kann hier von der entgegengesetzten Richtung erfolgen. Würde man davon ausgehen, dass jede Generation das Recht hätte, die Erde in einem schlechteren Zustand zu hinterlassen, als sie vorgefunden wurde, würde eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Die Bedingungen auf dem Planeten würden immer lebensfeindlicher, oder verfassungsrechtlich gesprochen, die Möglichkeiten zur Grundrechtsverwirklichung immer weiter eingeschränkt. Diese Spirale würde fortgesetzt, bis die natürlichen Lebensgrundlagen erschöpft wären und die Menschheit auf dem Planeten nicht mehr lebensfähig wäre. 603 Wegener, in: Nollmann/Strasser, Postindustrielle Dienstleistungsgesellschaft, S. 118 ff.; in diese Richtung auch Kirchhof, in: HStR VIII, § 169 Rn. 79, der ein dialektisches Verhältnis von individuellem Anstand und kollektiver Regelungsdichte zu erblicken meint. 604 Marx/Engels, Das Kapital, Bd. III, S. 784: „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Zwar mag es Ideologien wie Darwinismus, Naturalismus, Nihilismus, Primitivismus oder Weltuntergangsreligionen geben, die dieses Ergebnis der menschlichen Entwicklung erwarten, als zwingend betrachten oder sogar herbeisehnen, die überwiegende Mehrheit ethischer Grundannahmen geht jedoch davon aus, dass die menschliche Existenz auf der Erde zu erhalten sei.605 Dementsprechend kann keiner Generation ein Recht zur Beteiligung an der ökologischen Abwärtsspirale zugesprochen werden. 2. Das future individual paradox Unter future individual paradox wird das Problem diskutiert, dass Maßnahmen, die zum Schutz von zukünftigen, noch nicht geborenen Menschen getroffen werden, dazu führen könnten, dass diese gar nicht geboren werden.606 Diese Theorie hat zur Grundlage, dass auch nur kleine Änderungen in hinreichend komplexen Systemen unvorhersehbare Auswirkungen haben können. Als Beispiel wird der Bau eines Kernkraftwerks herangezogen. Wird durch den Bau eines Kernkraftwerks der Straßenverkehrsfluss in der Nähe der Baustelle verändert, kann es sein, dass durch die damit verbundene Verspätung eines Verkehrsteilnehmers ein Kind nicht gezeugt wird, das gezeugt worden wäre, wenn die Verkehrsstörung nicht bestanden hätte. Die Veränderung der Kausalketten können sich auch gegenteilig auswirken und es wird ein Kind gezeugt, das nicht gezeugt worden wäre, wenn das Atomkraftwerk nicht gebaut worden wäre. Das future individual paradox ist insofern eng verwandt mit dem butterfly effect. Der butterfly effect besagt, dass sich auch kleinste Änderungen der Anfangsbedingungen eines Systems auf dessen Endergebnis auswirken können.607 Auch wenn sich beide Theorien nie empirisch beweisen lassen werden, da wir die Realität immer nur einmal durchleben und keiner wissen kann, was passiert wäre, wenn eine Anfangsursache ausgetauscht worden wäre, so lässt sich die Möglichkeit nicht von der Hand weisen, dass die Welt nicht deterministisch strukturiert ist, Ursachen vom Menschen frei gesetzt werden und eine unbestimmbar große Wirkung in der Zukunft erzeugen können. Wenn man vom Problem der Beweisbarkeit des future individual paradox und des butterfly effects für einen Moment absieht und annimmt, dass jede gesetzte

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Feinberg, in: Ökologie und Ethik, S. 140. Kersten, NVwZ 2018, 1248 (1250); Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, S. 50 ff. m.w. N.; zum Teil auch als Kontingenzproblem bezeichnet Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, S. 48 f. 607 Der butterfly effect ist benannt nach dem Zitat des amerikanischen Mathematikers Edward Lorenz, der die Frage formulierte „Kann der Flügelschlag eines Schmetterlings in Brasilien einen Tornado in Texas auslösen?“, so Lorenz, Predictability: Does the flap of a butterfly’s wings in Brazil set off a tornado in Texas?, Vortrag auf der Jahrestagung der American Association for the Advancement of Science 1972. 606

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Ursache das Endergebnis beeinflussen kann, stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen an diese Erkenntnisse zu knüpfen sind. Es könnte argumentiert werden, dass das Kind, das aufgrund bestimmter Vorbedingungen gezeugt worden ist, nicht geltend machen kann, eine dieser Vorbedingungen würde sich nachteilig auswirken.608 Das Kind, das gezeugt worden ist, weil der Bau des Atomkraftwerks zu einer Verkehrsstörung geführt hat, die wiederum dafür verantwortlich ist, dass die Eltern im konkreten Zeitpunkt der Zeugung zueinandergekommen sind, kann nicht behaupten, der Bau des Atomkraftwerkes hätte ihm Nachteile gebracht. Denn wäre das Atomkraftwerk nicht gebaut worden, wäre es so wahrscheinlich nicht gezeugt worden, sondern die Eltern hätten ein anderes oder gar kein Kind gezeugt.609 Würde man diese Argumentation beim Wort nehmen, hieße das, dass kein Mensch geltend machen kann, dass sich ein Ereignis, das zeitlich vor seiner Zeugung liegt, nachteilig auf ihn auswirken würde, da er mit einem anderen Set von Anfangsursachen so, wie er ist, nicht existieren würde. Konsequenterweise müsste dann auch konstatiert werden, dass die Belange von noch nicht gezeugten Menschen für das Recht zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht relevant sind. Diese These wirkt nicht nur vom Ergebnis her betrachtet befremdlich. Jedes System, das so komplex ist, dass der Mensch die verschiedenen Wirkursachen nicht mehr determinieren kann, ist für den Menschen im Ausgang nicht vorhersehbar. Eine solche Komplexität ist schnell erreicht. Egal ob in der Physik, der Soziologie oder der Ökonomie; die real vorhandenen Systeme und die darin enthaltenen Wechselwirkungen sind derart komplex, dass all diese Wissenschaften darauf angewiesen sind, mit vereinfachten Modellen zu arbeiten, oder den Fokus der Betrachtung so eng zu fassen, dass die Datenmengen überschaubar bleiben.610 Das future individual paradox ist deshalb kein dezidiert rechtswissenschaftliches Problem, sondern ein wissenschaftstheoretisches.611 So wie keine Wissenschaft alle in der Welt wirkenden Kausalitäten zeitgleich berechnen kann, kann auch die Rechtswissenschaft nicht für sich in Anspruch nehmen zu wissen, ob ein Mensch unter anderen Bedingungen geboren worden wäre, wenn diese Bedingungen in keinem direkten und überschaubaren Zusammenhang stehen. 608

Kleiber, Der grundrechtliche Schutz künftiger Generationen, S. 48 f. So, unter Heranziehung dieses konkreten Beispieles, Tepperwien, Nachweltschutz im Grundgesetz, S. 51. 610 Ein bekanntes Beispiel für die erstaunlich eng gefassten Grenzen menschlicher Erkenntnismöglichkeiten ist das Dreikörperproblem aus der Physik. Zwar ist es möglich, die gegenseitige Anziehung von zwei Körpern im schwerelosen Raum exakt zu berechnen, jedoch ist die Berechnung des Bahnverlaufs dreier Körper unter Einfluss ihrer gegenseitigen Anziehung nur annährungsweise und nicht exakt bestimmbar. 611 Die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten von Kausalitäten in komplexen Zusammenhängen fasst Häberle treffend unter der Formulierung zusammen „Der Weltgeist [ist] schwerlich ein Jurist und der Jurist noch weniger ein Weltgeist!“, Häberle, Das Menschenbild im Verfassungsstaat, S. 75. 609

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Ein weiteres Problem des future individual paradox ist, dass ihm die Annahme zu Grunde liegt, nicht geboren worden zu sein, sei ein Nachteil. Diese Annahme ist zwingend, um das beschriebene Problem als Paradoxon aufzufassen. Es ist an dieser Stelle noch einmal zu betonen, dass nach dem future individual paradox der später gezeugte Mensch nicht geltend machen kann, dass eine vor seiner Zeugung gesetzte Ursache ihn negativ berührt, da anzunehmen ist, dass er ohne dieses spezielle Konglomerat an Ursachen nicht in die Existenz getreten wäre. Wäre dieser konkrete Mensch aber nicht zur Existenz gelangt, wäre er auch nicht geschädigt worden. Er würde in diesem Fall ungeschädigt nicht existieren, während er im anderen Fall geschädigt existiert. Die Frage ist daher, ob dem reinen Sein an sich ein Wert zukommt, oder ob es diesen Wert nur für sich hat. Mit Blick auf die Verfassungsrechtsdogmatik ist diese Frage schnell beantwortet. Verfassungsrechtliches Schutzgut ist das Leben. Auch die Menschenwürde setzt, genauso wie alle anderen Grundrechte, ein bereits entstandenes Subjekt voraus.612 Ob der Beginn des Lebens nun mit Vollendung der Geburt,613 mit Einsatz der Eröffnungswehen, in einem bestimmten Stadium der Schwangerschaft614 oder mit der Befruchtung der Eizelle beginnt,615 keiner wird den Beginn des Lebens nachvollziehbar auf einen Zeitpunkt vor der Zeugung vorverlagern können. Der Mensch wird also frühestens im Zeitpunkt seiner Zeugung zum Rechtsgut, denn geschützt wird die biologisch-physische Existenz.616 Sobald ein Mensch entstanden ist, kommt ihm Wert im rechtlichen Sinne zu. Dem Entstehen selbst steht das Recht hingegen indifferent gegenüber.617 Gar nicht erst entstanden zu sein, ist aus rechtlicher Sicht daher nicht als Nachteil aufzufassen. Anders wäre es auch schwer vorstellbar, da man sonst fragen müsste, ob es ein Recht darauf gibt, gezeugt zu werden.618 Sehr wohl als Nachteil aufzufassen ist hingegen die Schädigung an einem dem entstandenen Individuum zukommenden Rechtsgut, unabhängig davon, zu welchem Zeitpunkt die erste Ursache für diese Schädigung gesetzt worden ist. Das future individual paradox steht daher der Erheblichkeit einer Schädigungsursache, die zeitlich vor der Existenz des Grundrechtsträgers liegt, nicht entgegen. 612

Rüfner, in: HStR IX, § 196 Rn. 3; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 70 S. 1060 f. So ausdrücklich Ipsen, Grundrechte, Rn. 250, der sich in seiner Auslegung an § 1 BGB orientiert, desweiteren Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 6. 614 Beispielsweise 14 Tage nach der Empfängnis, Epping, Grundrechte, Rn. 106 m.w. N. 615 Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 145 ff.; Rüfner, in: HStR IX, § 196 Rn. 7; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 70 S. 1061 jeweils m.w. N. 616 Übereinstimmend Epping, Grundrechte, Rn. 106; Hufen, Staatsrecht II, § 13 Rn. 4 m.w. N. 617 Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 8. 618 Oder überspitzt formuliert, könnte man fragen, ob die einzelne Eizelle ein Recht darauf hat befruchtet zu werden? Wohl kaum. In diese Richtung auch Feinberg, in: Ökologie und Ethik, S. 167 ff.; Hofmann, ZRP 1986, 87 (88). 613

C. Reichweite

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3. Normative Ansätze § 1 BGB bestimmt, dass die Rechtsfähigkeit eines Menschen erst mit dessen Geburt beginnt. Es wäre im Hinblick auf die vom Grundgesetz vorgegebene Normenhierarchie unhaltbar, aus der direkten Anwendung dieser einfachgesetzlichen Bestimmung zu schließen, dass die Grundrechte mangels Rechtsfähigkeit nicht geborener Menschen für diese per se nicht gelten können. Allenfalls kommt in § 1 BGB ein allgemeines Rechtsprinzip zum Ausdruck. Möglicherweise wurde dieses vom Verfassungsgeber bei der Schaffung des Grundrechtekatalogs stillschweigend vorausgesetzt.619 Auch ist die Frage aufgeworfen worden, ob aus dem Grundsatz, dass die gegenwärtige Gesellschaft nicht das Recht hat, kommende Generationen durch Gesetze unwiderruflich zu binden, im Umkehrschluss folgt, dass in zeitlicher Ferne lebenden Menschen aus dem gegenwärtigen Recht kein Schutz zukommt.620 Dem ist wohl nicht so. Durch die Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG wird der Wille des Verfassungsgebers deutlich, dass ein Mindestmaß der grundrechtlichen Gewährleistungen auch in Zukunft Wirkung entfalten soll.621 Die Ewigkeitsgarantie garantiert nur den Erhalt eines inneren Kerns des Grundrechtskatalogs und schützt nicht vor jeder Abwandlung, Änderung oder sogar Abschaffung einzelner Grundrechte.622 Der grundrechtliche Schutzstandard, den das Grundgesetz als für die Zukunft verbindlich ansieht, besteht folglich aus den, wie es in Art. 79 Abs. 3 GG heißt, „in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze[n]“. So ist jedenfalls zu konstatieren, dass dieser Kerngehalt der Grundrechte als unabdingbarer Mindeststandard in Bezug auf künftige Generationen zu berücksichtigen ist.623 Es spricht jedoch einiges dafür, dass auch ein über den Kerngehalt hinausgehender Schutz geboten sein könnte. Zwar war die Motivation des Parlamentarischen Rates für die Aufnahme der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG, einer erneuten Aushöhlung des Rechtsstaates, wie sie die Weimarer Republik erfuhr, entgegenzuwirken.624 Es würde jedoch den Schutzgehalt der Grundrechte für zukünftige Generationen abschwächen, würde man annehmen, durch die Ewigkeitsgarantie wäre die Geltung der 619 620 621

Ipsen, Grundrechte, Rn. 250; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 70 S. 1045 ff. Hofmann, ZRP 1986, 87 (88). Dietlein, in: BeckOK GG, Art. 79, Rn. 15; Dreier, Gilt das Grundgesetz ewig?,

S. 57. 622 Dreier, Gilt das Grundgesetz ewig?, S. 71 f.; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 79, Rn. 110; Sachs, in: Sachs GG, Art. 79, Rn. 38. 623 Darüberhinaus wird zum Teil auch über den Wortlaut des Art. 79 Abs. 3 GG hinaus die Wesentlichkeitsgarantie nach Art. 19 Abs. 2 GG als von der Ewigkeitsklausel umfasst angesehen, Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 120 ff. 624 Jäckel, Grundrechtsgeltung und Grundrechtssicherung, S. 140; Sachs, in: Sachs GG, Art. 79, Rn. 9. Siehe hierzu auch die Wiedergabe der Protokolle des Parlamentarischen Rates in JöR 1 (1951), S. 586.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Grundrechte für zukünftige Generationen auf diesen Kerngehalt beschränkt. Mit Art. 79 Abs. 3 GG sollen zukünftige Generationen vielmehr vor sich selbst geschützt werden. Dies ist eine Konsequenz aus vergangenen Erfahrungen, die gezeigt haben, dass Grundrechte nur effektiv wirksam sind, wenn sie sich nicht ohne Weiteres beseitigen lassen, sondern perpetuiert sind. Art. 79 Abs. 3 GG kann deshalb nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die gegenwärtige Rechtsgemeinschaft, die sich nicht dafür entschieden hat, den Grundrechtsstandard auf einen bloßen Kerngehalt zu reduzieren, gegenüber zukünftigen Generationen nur an diesen Mindeststandard gebunden ist. Es ist das Leben eines zukünftigen Menschen nicht weniger wert und auch für seine Gesundheit, Freiheit und sonstigen Grundrechte gelten diejenigen Standards, die das Grundgesetz in der jeweiligen Gegenwart setzt. Beschränkt wird das Schutzgebot nur durch die Vorhersehbarkeit zukünftiger Grundrechtsverletzungen.625 4. One-Way-Door-Entscheidungen Viele Grundsatzentscheidungen, die im Bereich des Umweltrechts getroffen werden müssen, sind One-Way-Door-Entscheidungen. Dabei handelt es sich um solche, nach deren Vollzug nicht mehr zum ursprünglichen Zustand zurückgekehrt werden kann. Gleichsam einer Tür, die auf der einen Seite eine Klinke und auf der anderen Seite einen Knauf hat.626 Ist diese Tür einmal durchschritten, kann sie von der anderen Seite nicht mehr geöffnet werden. Haben solche Entscheidungen Einfluss auf zukünftige Generationen, müssen deren Interessen mitberücksichtigt werden. One-Way-Door-Entscheidungen können beispielsweise im Gentechnikrecht auftreten.627 Wenn gentechnisch veränderte Organismen (GMO) in die Umwelt freigesetzt werden, besteht die Befürchtung, dass das manipulierte Genmaterial sich mit dem natürlicher, das heißt in diesem Fall, durch reguläre Evolution entstandener Organismen durchmischt und diese manipulierten Gensequenzen dadurch Teil der DNA der jeweiligen Art werden. Es könnte auch sein, dass ein gentechnisch veränderter Organismus aufgrund überlegener Eigenschaften, wie zum Beispiel einer höheren Resistenz gegen Krankheiten, Schädlinge oder sonstige Umwelteinflüsse, andere Arten in ihrem Lebensraum verdrängt und sich schlussendlich gegen diese durchsetzt und deren Ausrottung verursacht. Auch

625 Hofmann, ZRP 1986, 87 (88); dazu näher 2. Kapitel E. III. – „Auslösung unter Unsicherheit“. 626 Dieses Bild geht auf den US-Investor Jeff Bezos zurück, der dieses Prinzip des „decision makings“ in seinem „letter to shareholders“ im Jahr 2016 beschrieb. Das Dokument wurde von der US-Börsenaufsichtsbehörde (U.S. Securities and Exchange Commission) archiviert und ist abrufbar unter: https://www.sec.gov/Archives/edgar/data/ 1018724/000119312516530910/d168744dex991.htm (abgerufen am 04.05.2018). 627 Breuer, NuR 1994, 157 (157).

C. Reichweite

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Durchmischung und Auskreuzung des gentechnisch veränderten Materials mit dem wilder Verwandter sind möglich und werden als Gefahr für die genetische Vielfalt gesehen.628 Ist eine Art einmal ausgerottet, kann hinter den Zeitpunkt der Ausrottung nicht mehr zurückgekehrt werden. Zukünftige Generationen können nicht mehr entscheiden, diese Art nicht auszurotten.629 Im Bereich der Gentechnik kann dies bedeuten, dass aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ein Verbot entsteht, bestimmte gentechnisch veränderte Organismen in die Umwelt auszubringen, solange keine hinreichend verlässliche Prognose darüber getroffen wurde, mit welchen Schäden für zukünftige Generationen zu rechnen ist. Diese Pflicht ergibt sich unmittelbar aus den grundrechtlichen Wertungen, insbesondere aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, aber auch aus der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG, jeweils in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 GG, wonach der Kerngehalt dieser Grundrechte auch für zukünftige Grundrechtsträger gesichert sein muss und nicht durch gegenwärtige Entscheidungen konterkariert werden darf. Im Gegensatz zur „One-Way-Door“-Entscheidung zeichnen sich „Two-WayDoor“-Entscheidungen dadurch aus, dass der geschaffene Zustand wieder vollständig rückgängig gemacht werden kann. Wenn zukünftigen Generationen die Möglichkeit offensteht, eine abweichende Entscheidung zu treffen, sind die Staatsgewalten in ihrer Entscheidungsfreiheit nicht durch zukünftige Belange eingeschränkt und müssen nur die gegenwärtigen tatsächlich entgegenstehenden Interessen bei ihrer Entscheidung berücksichtigen. „Two-Way-Door“-Entscheidungen erfordern ein niedrigeres Maß an Gefahrenprognose. Deshalb ist der experimentelle Spielraum hier deutlich höher. Es genügt dafür die Feststellung, dass der durch die Entscheidung geschaffene Zustand möglichst vollständig oder weitestgehend reversibel ist.

IV. Fazit Die meisten für das Umweltrecht relevanten Grundrechte sind Menschenrechte und beanspruchen deshalb universelle Geltung. Unter der Geltung des Grundgesetzes gibt es keinen grundrechtsfreien Raum.630 Dass die Grundrechte universell gelten, heißt jedoch nicht, dass sie uneingeschränkt gelten. In territorialer Hinsicht wird ihre Geltung durch die staatliche Befugnis zur Ausübung von Hoheitsgewalt beschränkt. In zeitlicher Hinsicht durch die beschränkte Prognostizierbarkeit der Zukunft.

628

Mechel, in: Koch, Umweltrecht, § 11 Rn. 6. Zur Bedeutung von Art. 20a GG in dieser Konstellation siehe Gassner, NVwZ 2014, 1140 (1142). 630 Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 12. 629

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte Wie auch beim Abwehrrecht muss für die Anwendbarkeit einer Schutzpflicht der Schutzbereich eines Grundrechts eröffnet sein.631 Auch wenn die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ihr normatives Zentrum ursprünglich in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG haben,632 kann für jedes Freiheitsgrundrecht eine Schutzpflichtendimension abgeleitet werden.633

I. Umweltpflichtigkeit der Schutzbereiche Zur Entschärfung des Widerspruchs von Umweltschutz und Freiheit wurde von Bruch die Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche vorgeschlagen.634 Diese These lehnt sich zum einen an den Begriff der Polizeipflichtigkeit der Schutzbereiche an,635 zum anderen an die enge Tatbestandstheorie der Grundrechte,636 die im Gegensatz zur herrschenden Auffassung von der Vollumfänglichkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche steht.637 Umweltpflichtigkeit meint in diesem Zusammenhang, dass schon der Schutzbereich der Grundrechte im Hinblick auf den Umweltschutz verengt werden solle.638 Stünden schwere 631 Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 1. Zum personellen Schutzbereich siehe bereits oben 2. Kapitel C. II. – „Personell“. 632 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 154. 633 So die ganz überwiegende Auffassung: Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 104; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 239; Stern, Staatsrecht III/1, S. 952; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (207). Auch wenn es diesbezüglich keine eindeutige Aussage des Bundesverfassungsgerichts gibt, so lässt sich zumindest eine Tendenz in der Tatsache erblicken, dass das Gericht noch für kein Grundrecht die Schutzpflichtendimension eindeutig abgelehnt hat; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 400. 634 Vgl. Bruch, in: FS für Kloepfer, S. 335 ff.; Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 21 ff., der sich mit dieser Terminologie anlehnt an Kloepfer, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 43; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 95. 635 So Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 65. Differenzierend hingegen Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 93. Siehe zum Begriff der Polizeipflichtigkeit auch Bethge, in: HStR IX, § 203 Rn. 149; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 48; Peine, in: FS für Würtenberger, S. 459 ff.; Selmer, JuS 1992, 97 (97). 636 Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 87; Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 24 f.; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 170 f.; Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 77a; siehe auch die Zusammenfassung bei Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 280 ff. m.w. N. 637 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 209 ff.; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 82 ff.; Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 60; Lang, in: HStR XII, § 266 Rn. 21; Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, S. 78. 638 Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 130; Bruch, in: FS für Kloepfer, S. 335; Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 136; Schröter/

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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oder gemeingefährliche Umweltbelastungen im Raum, sei die hierzu führende Freiheitsbetätigung schon nicht vom Schutzbereich eines Grundrechts umfasst.639 Die umweltschädigende Freiheitsbetätigung aus der rechtlich geschützten Freiheit herauszunehmen, löst den Widerspruch von Umweltschutz und Freiheit scheinbar auf. Doch dieser Schein trügt, da Bruch zum einen die Schutzbereichsverengung nur auf die Spezialgrundrechte, nicht aber auf die allgemeine Handlungsfreiheit anwenden möchte.640 Zum anderen wird dieser Ansatz der Grundstruktur der Verfassung nicht gerecht. Ziel der Grundrechte ist es, die Freiheit des Einzelnen umfassend zu gewährleisten und dem Staat eine Rechtfertigungspflicht aufzuerlegen, wenn er in diese Freiheit eingreift.641 Der Staat wird daher in die Pflicht genommen, die Freiheit der Einzelnen und die Gemeinwohlinteressen in allen Belangen möglichst fein auszutarieren. Kant umschrieb diese freiheitsvermittelnde Funktion des Rechts in seiner Metaphysik der Sitten als zentrales Rechtsprinzip: „Das Recht ist also der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des einen mit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.“ 642

Die Einzelgrundrechte geben dabei Wertungen zur Gewichtung der speziellen Freiheiten vor. Grundrechte, die für die Umweltnutzungsfreiheit in Betracht kommen, sind insbesondere die Berufsfreiheit nach Art. 12 GG, die Eigentumsfreiheit nach Art. 14 GG, sowie die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG.643 Die Schwere der Beeinträchtigung kollidierender Interessen, also auch die Schwere einer Umweltbeeinträchtigung, wirkt sich erst auf der Ebene der Rechtfertigung aus. Hier kollidieren die Grundrechte als Abwehrrechte in Gestalt der Umweltnutzungsfreiheit und die Grundrechte in ihrer Gestalt als Umweltschutzpflichten miteinander. Damit ist gewährleistet, dass die vom Verfassungsgeber vorgesehene Gewichtung der einzelnen Grundrechtspositionen in jedem Fall zur Geltung kommt. Wird ein Verhalten aufgrund von kollidierendem Verfassungsrecht bereits aus dem Schutzbereich herausgenommen, würde sich die Einzelfallprüfung erübrigen.

Bosselmann, ZUR 2018, 195 (204); in diese Richtung bereits Weber, DVBl. 1971, 806 (806); a. A. Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 31; Schmidt/Kahl/Gärditz, Umweltrecht, S. 78. 639 Bruch, in: FS für Kloepfer, S. 337; Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 193. 640 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 192. 641 Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 130; Manssen, Staatsrecht II, Rn. 44 f. 642 Kant, in: Kant’s Werke – Band VI „Die Metaphysik der Sitten“, S. 230. Wo Kant noch von Willkür schreibt, bevorzugt die heutige Rechtswissenschaft Bezeichnungen wie Freiheitsbetätigung; Habermas, Faktizität und Geltung, S. 153. 643 Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 131.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Tatsächlich ist die Frage von miteinander kollidierendem Verfassungsrecht auf der Ebene der Rechtfertigung zu lösen.644 Nur hier können die widerstreitenden Interessen in schonenden Ausgleich gebracht werden. Es sind auf dieser Ebene oftmals mehr kollidierende Interessen als nur Umweltschutz und spezielle Freiheitsgarantie vorhanden, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Hinzu kommen häufig weitere Allgemeinwohlbelange sowie vielfältige partikulare Einzelinteressen.645 Den Umweltschutz bereits auf der Ebene des grundrechtlichen Schutzbereiches auszuspielen heißt, diese Abwägung vorwegzunehmen. Es wird ein Abwägungsbelang auf eine vorherige Ebene verlagert, um ihn nicht dem Widerstreit mannigfaltiger anderer Interessen auszusetzen. Selbstverständlich will die Lehre von der Umweltpflichtigkeit die Interessen des Umweltschutzes nicht nur auf Ebene der Schutzbereiche zur Geltung bringen. Alle Umweltinteressen werden auch regulär in die Interessenabwägung im Rahmen der Eingriffsrechtfertigung eingestellt.646 Im Gegensatz zu anderen rechtlich anerkannten Interessen wird der Umweltschutz damit auf unterschiedlichen Ebenen der Grundrechteprüfung immer wieder hervorgeholt – ein rechtsdogmatischer Taschenspielertrick. Die Konturlosigkeit und potentielle Uferlosigkeit des Modells der Umweltpflichtigkeit kann zum Problem werden. Der grundrechtliche Geltungsanspruch an sich könnte mit diesem Konzept weitreichend in Frage gestellt werden, vor allem, wenn eine Umweltpflichtigkeit unterhalb der Gefahrenschwelle angenommen würde. Dies hat zur Folge, dass selbst Anhänger der Theorie von der Umweltpflichtigkeit der Schutzbereiche vor ihrer extensiven Anwendung warnen.647 Der Anwendungsbereich der Umweltpflichtigkeit der Schutzbereiche ist an sich schon sehr schmal. Einen eigenen Anwendungsbereich hat diese Theorie nur in Bezug auf das sozialgebundene und ausfüllungsbedürftige Eigentumsgrundrecht, wenn der Gesetzgeber ein bestimmtes Verhalten aus dem Schutzbereich des Eigentums herausgenommen hat.648 Die übrigen Problemfelder lassen sich mit den überkommenen rechtsdogmatischen Methoden und Prinzipien lösen, sodass die Konstruktion einer Umweltpflichtigkeit nicht erforderlich ist. Ganz im Gegenteil, es wird dem Umweltschutz mit dieser Lehre eine überragende Stellung gegenüber anderen Staatszielen und Grundrechten eingeräumt, die diesem bei nüchterner Textanalyse de constitutione lata nicht zukommt. Der rechtsdog644

Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 99 f. Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 305. 646 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 73 ff. 647 Weber, DVBl. 1971, 806 (807). 648 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 131; Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 62; Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 17; Schröter/ Bosselmann, ZUR 2018, 195 (204). A. A. Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 302. Hierzu ausführlich 2. Kapitel D. XII. 4. – „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“. 645

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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matisch sauberste Weg ist, die Umweltbelange grundsätzlich auf Rechtfertigungsebene als kollidierendes Verfassungsrecht und im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen.

II. Umweltgrundrecht und Umweltgrundpflicht Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zeigte in der Geschichte des Grundgesetzes eine gewisse Kreativität dahingehend, neue Grundrechtsgehalte aus dem bestehenden Verfassungstext zu erschließen. So wurden das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das Recht auf Integrität und Vertraulichkeit informationstechnischer Systeme durch das Gericht gleichsam „erfunden“.649 In Anbetracht dieser rechtsgestaltenden Rechtsprechungslinie des Gerichts drängt sich die Frage auf, ob der Verfassung nicht auch ein Umweltgrundrecht als subjektiv-rechtliches Abwehrrecht zu entnehmen ist. Sowohl die Rechtsprechung650 als auch der überwiegende Teil des Schrifttums651 haben diese Frage bisher ausdrücklich verneint. Dass auf die Schaffung eines Umweltgrundrechts verzichtet wurde, mag auch daran liegen, dass das Gericht sich bisher mit den Schutzgehalten der vorhandenen Einzelgrundrechte zu helfen wusste. Insbesondere mit dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit sowie mit dem Eigentumsrecht lassen sich viele Fallgruppen bestreiten. Die Schaffung eines Umweltgrundrechts brächte neue Probleme mit sich. Wer sollte Rechtsträger eines solchen Grundrechts sein? Worauf soll es gerichtet sein? Gegen wen soll es wirken? Derartige Fragen zu entscheiden obliegt dem Verfassungsgeber.652 Geschehen ist dies in den Verfassungen mehrerer deutscher Länder,653 aber auch im internationalen Rechtsvergleich lassen sich Beispiele für

649 Die Behauptung, das Bundesverfassungsgericht habe das Recht auf informationelle Selbstbestimmung „erfunden“, ist weit verbreitet und wurde selbst vom Präsidenten des Gerichts aufgegriffen, vgl. Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (8). Angesichts der umfangreichen Begründung und Herleitung dieser grundrechtlichen Neuerung in BVerfG, Urteil vom 15.12.1983 – 1 BvR 209, 269, 362, 420, 440, 484/83 – BVerfGE 65, 1 (43) [Volkszählung], sprechen manche Autoren auch davon, das Gericht habe eine neue Norm lediglich „entdeckt“, die bereits in Vorhandenen schlummerte; so Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, S. 74. 650 BVerwG, Urteil vom 29.07.1977 – 4 C 51.75 – BVerwGE 54, 211 (219). 651 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 125; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300; Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, S. 95; Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 30; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, 12; Storm, Umweltrecht, § 10 Rn. 178; a. A. Steiger, Mensch und Umwelt, S. 33 ff. 652 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 298. 653 Über Staatszielbestimmungen hinausgehende Umweltgrundrechte finden sich in Art. 39 Abs. 2 BbgVerf, Art. 6 Abs. 3 MVVerf, Art. 6 Abs. 2 LSAVerf, Art. 33 ThürVerf. Näher hierzu Gehlhaar, VR 2015, 145 (146).

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

verfassungsrechtlich verankerte Umweltgrundrechte finden.654 Für das Grundgesetz steht eine ausdrückliche Normierung jenseits einer Staatszielbestimmung bisher aus.655 Auch gibt es keine verfassungsrechtliche Umweltgrundpflicht des Bürgers.656 Individuelle Umweltpflichten bestehen nur nach Maßgabe der einfachen Gesetze, etwa § 2 Abs. 1 BNatSchG.657 Wird eine individuelle Verantwortung nicht – auch nicht nach Maßgabe der allgemeinen zivilrechtlichen Haftungstatbestände – angeordnet, bleibt es hinsichtlich Folgenbeseitigung und Kostentragung beim Gemeinlastprinzip.658 Auch wenn mittlerweile durch eine „Collage“ verschiedener einfachgesetzlicher Umweltschutzpflichten eine weitgehende Umwelthaftung Privater gegeben ist, lässt sich diese nicht aus dem Verfassungsrecht ableiten.659 Verfassungsrechtliche Umweltgrundpflichten sind jedoch nicht präzedenzlos. Solche finden sich in den Verfassungen der Länder Brandenburg (Art. 39 Abs. 1 BbgVerf) und Rheinland-Pfalz (Art. 69 Abs. 1 RhPfVerf), nicht jedoch auf Bundesebene.660 Durch ihre Abstraktheit, verbunden mit der vergleichsweise niedrigen Stellung in der Normenhierarchie, kommt den landesverfassungsrechtlichen Umweltgrundpflichten neben dem detaillierten europäischen Sekundärrecht und dem formellen und materiellen Bundesrecht kaum praktische Bedeutung zu.661

III. Art. 20a GG als Umweltgrundrecht? Ausdrücklichen Umweltbezug enthält lediglich der 1994 eingeführte und 2002 erweiterte Art. 20a GG. Die darin verwendete Formulierung „natürliche Lebensgrundlagen“ ist wird Synonym für „natürliche Umwelt“ verstanden.662 Neben dem Staatsziel Umweltschutz enthält Art. 20a GG auch noch das selbstständige Staatsziel Tierschutz,663 das eine andere Bedeutung und Gewichtung hat.664 654 Beispielsweise Art. 37 Abs. 3–5 der Verfassung Georgiens, Art. 25 der Verfassung Südafrikas, zu letzterem siehe aus verfassungsrechtsvergleichender Perspektive Heinicke, in: International – Europäisch – Regional, S. 15 ff. 655 Siehe zu Vorschlägen für eventuell zukünftige Verfassungsfortschreibungen 5. Kapitel B. – „De constitutione ferenda“. 656 Gassner, DVBl. 2013, 547 (547); Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 5 Rn. 431. 657 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 102; Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 231 f.; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 5 Rn. 432. 658 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 121; Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 49; Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 15; Selmer, JuS 1992, 97 (97); Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 131. 659 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 5 Rn. 431. 660 Gehlhaar, VR 2015, 145 (149). 661 Gehlhaar, VR 2015, 145 (150). 662 Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 67; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 21. 663 Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20a, vor Rn. 1. 664 Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 28.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Nach weit überwiegender Ansicht handelt es sich bei Art. 20a GG um eine Staatszielbestimmung und kein Grundrecht.665 Dafür, dass es sich bei Art. 20a GG nicht um ein Grundrecht handelt, spricht schon die systematische Stellung außerhalb des Grundrechtekatalogs der Art. 1–19 GG. Zwar sind Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte auch außerhalb des Grundrechtekataloges anzutreffen,666 jedoch entspricht die Normstruktur des Art. 20a GG nicht der eines Grundrechts, denn es fehlt die Benennung des Schutzbegünstigten. Zwar wird mit der Formulierung „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen“ klargestellt, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht selbstzweckhaft ist, zeitgleich wird damit nahegelegt, dass mit der Norm das Allgemeinwohl verfolgt wird und der Einzelne höchstens reflexartig hiervon profitiert. Die Staatszielbestimmung ist nur objektiv-rechtlichen Charakters, weshalb sich aus der Norm keine subjektiven Rechte des Einzelnen herleiten lassen.667 Nichtsdestoweniger ist sie kein bloßer Programmsatz, sondern für die Staatsorgane unmittelbar verbindliches Verfassungsrecht.668

665 Altenschmidt, NVwZ 2015, 559 (562); Badura, Staatsrecht, Kap. D Rn. 44; Badura, in: HStR XII, § 265 Rn. 10; Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 519; Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 83; Fischer-Lescano, ZUR 2018, 205 (213); Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (413); Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 57; Guckelberger, JA 2014, 647 (647); Hoppe, in: HStR IV, § 77 Rn. 81; Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20a, vor Rn. 1; Isensee, in: HStR IV, § 73 Rn. 39; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 34; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 22; Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 64; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 5; Laskowski/Ziehm, in: Koch, Umweltrecht, § 5 Rn. 46; Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (263); Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 23; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 47; Steinberg, NJW 1996, 1985 (1985); Steinberg/ Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 735; Stelkens, UTR 2008, 55 (59); Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 46; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 347; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 164; Voland, NVwZ 2019, 114 (117); Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (4); Waechter, NuR 1996, 321 (321); kritisch Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 6. 666 So das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG, die staatsbürgerlichen Gleichheitsrechte des Art. 33 GG, das Wahlrecht nach Art. 38 GG sowie die Justizgrundrechte der Art. 101 ff. GG. 667 BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ 2010, 114 (118) [Endlager Schacht Konrad]. Leondarakis, Menschenrecht „Tierschutz“, S. 53; SchulzeFielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 24; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 164; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (5); Waechter, NuR 1996, 321 (321). Hierzu näher siehe auch 4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“. 668 Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 7.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

1. Gegenstand und Wirkung des Art. 20a GG Vom Schutz umfasst werden die Umweltgüter Boden, Wasser, Luft, Tiere und Pflanzen sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen.669 Die Staatszielbestimmung Umweltschutz kann anthropozentrisch gelesen werden.670 In dieser Lesart meinen die natürlichen Lebensgrundlagen nur jene für das menschliche Leben, nicht aber für tierisches und pflanzliches Leben.671 Dafür spricht, dass der gesamte Verfassungstext anthropozentrisch ausgerichtet ist.672 Sie kann aber auch als umfassender Mitweltschutz um ihrer selbst Willen verstanden werden (ökozentristische Auslegung).673 Dafür spricht, dass der Verfassungsgeber davon absah, die natürlichen Lebensgrundlagen ausdrücklich an die menschliche Gemeinschaft zu knüpfen, wie es in Art. 1 Abs. 2 GG für die Grund- und Menschenrechte der Fall ist.674 Der Formulierung ist vielmehr zu entnehmen, dass die natürlichen Lebengrundlagen auch für den Menschen geschützt werden sollen, nicht jedoch ausschließlich.675 Ein Vermittlungsversuch zwischen beiden Extremen besteht darin, dass die natürlichen Lebensgrundlagen in erster Linie um des Menschen Willen geschützt werden, subsidiär um ihrer selbst Willen.676 Im Konfliktfall ist also den Interessen des Menschen an der Natur der Vorrang einzuräumen. Durch die Einfügung des Zusatzes „und der Tiere“ stellt der Verfassungsgeber klar, dass diese bisher nicht vollständig unter den Schutz des Art. 20a GG gefallen sind. Die Tiere werden nun ausdrücklich um ihrer selbst Willen geschützt, was im Umkehrschluss heißt, dass andere Lebensformen, wie Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen, aber auch Ökosysteme und Landschaften nicht um ihrer selbst Willen geschützt werden. Schon aus dieser Überlegung heraus ist der anthropozentrischen Auslegung der „natürlichen Lebensgrundlagen“ der Vorzug zu geben.

669 Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 21; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (4); siehe auch BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 (37) [Gentechnikgesetz]. 670 Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 20; Waechter, NuR 1996, 321 (323). 671 Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 29. 672 Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 20. 673 Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 67. 674 Ein entsprechender Vorschlag, den Schutz nur auf die „natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen“ zu beziehen, fand in der Gemeinsamen Verfassungskommission, die Art. 20a GG ausarbeitete, keine Mehrheit, weshalb man sich auf eine offene Formulierung einigte, vgl. BT-Drs. 12/6000 S. 65. 675 Waechter, NuR 1996, 321 (324). 676 Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 20; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 31.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Im Ergebnis dürfte der Streit jedoch nur in den seltensten Fällen praktische Auswirkungen haben.677 Denkbar ist, über die in Elfes-Rechtsprechung678 entwickelte Methode eine Verfassungsbeschwerde mittelbar auf Art. 20a GG zu stützen.679 Ein einfaches Gesetz, das gegen Art. 20a GG verstößt, könnte mit dem Argument angegriffen werden, es verstoße gegen die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG. Das Bundesverfassungsgericht ließ die Möglichkeit einer solchen Konstruktion bisher ausdrücklich offen.680 Die Elfes-Konstruktion ist jedoch darauf gerichtet, ein Gesetz wegen einer verfassungswidrigen Verkürzung grundrechtlicher Freiheiten anzugreifen, nicht jedoch wegen einer Vernachlässigung grundrechtlich gebotenen Schutzes. Diese Rechtsprechungslinie lässt sich also nicht dafür nutzen, Art. 20a GG, gleichsam durch die Hintertüre, zu einem wehrfähigen subjektiven Recht zu machen.681 Die Staatszielbestimmung soll keine energiepolitische Grundsatzentscheidung treffen.682 Insbesondere ließe sich aus ihr nicht herleiten, dass der Gesetzgeber verpflichtet sei, langfristig die Verstromung von Braunkohle einzustellen.683 Auch konkrete Handlungspflichten sollen sich aus der Staatszielbestimmung nicht ergeben.684 Die Staatszielbestimmung steht unter Konkretisierungsvorbehalt.685 Ebenso wenig dient sie der Aufgabeneröffnung staatlicher Stellen und erst recht nicht als Ermächtigungsgrundlage der Eingriffsverwaltung.686 Im Gegensatz zu den aus dem Menschenwürdekern abgeleiteten grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ist Art. 20a GG nicht von der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG umfasst.687 Kritisiert wird die Ausgestaltung als Staatszielbestimmung vor allem wegen ihrer geringen praktischen Wirkung.688 Sie habe als objektive Verfassungsnorm

677

Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 31. BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 [Elfes]. 679 Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (5); ähnlich Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 92; Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 192; Sachs, in: FS Bethge, S. 260 f. 680 BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ 2010, 114 (116) [Endlager Schacht Konrad]. 681 So ausdrücklich auch Bethge, in: HGR III, § 58 Rn. 79 ff. 682 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (339) [Garzweiler]. 683 Altenschmidt, NVwZ 2015, 559 (562). 684 Stelkens, UTR 2008, 55 (59); ähnlich Gassner, NVwZ 2014, 1140 (1142), „die Verpflichtung nach Art. 20 a GG [sei] auf gravierende Fälle beschränkt“. 685 Gassner, DVBl. 2013, 547 (550). 686 Stelkens, UTR 2008, 55 (59). 687 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 25; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 11. 688 Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (1). 678

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

im von subjektiven Rechtsverletzungserfordernissen geprägten deutschen Rechtsschutzsystem nur geringe Durchschlagskraft gezeigt. Der tatsächliche Zustand der Umwelt hat sich seit der Einführung im Jahr 1994 in wesentlichen Bereichen verschlechtert.689 2. Nebeneinander von Staatsziel und grundrechtlichen Umweltschutzpflichten Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten haben auch nach der Einführung des Art. 20a GG noch ihre Funktion, weil sie im Gegensatz zur objektiv-rechtlichen Staatszielbestimmung als Grundrechte subjektive Rechte vermitteln.690 Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten und die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG stehen nebeneinander.691 So werden sie vom Bundesverfassungsgericht in einer Reihe genannt und als mit sich zum Teil überschneidenden, zum Teil sich ergänzenden Schutzbereichen angewendet.692 Darüber hinaus kann ein Grundrecht durch eine Überschneidung der Schutzbereiche durch Art. 20a GG verstärkt werden.693 Der besondere Zweck von Art. 20a GG wird dort gesehen, wo der Individualrechtsbezug zu Schutzgütern wie Natur und Landschaft – Flora, Fauna und Funga – Luft, Wasser und Klima nicht hergestellt werden kann.694 Die Staatszielbestimmung stellt demnach einen Auffangtatbestand dar, der aufgrund seines umfassenden Schutzbereichs auf anderer Ebene, namentlich der Einklagbarkeit, Einschränkungen unterliegt. 3. Verminderung des verfassungsrechtlichen Umweltschutzstandards durch Art. 20a GG Formal wurde der Umweltschutz auf verfassungsrechtlicher Ebene durch die Einführung des Art. 20a GG gestärkt. Die natürlichen Lebensgrundlagen erfahren durch ihn, zumindest dem Wortlaut nach, einen umfassenden Schutz. 689 Vor allem im Bereich des Artenschutzes, vgl. Gassner, DVBl. 2013, 547 (548); Schröter/Bosselmann, ZUR 2018, 195 (200); Treutner, Globale Umwelt- und Sozialstandards, S. 53 f. Aber auch die Außenluftqualität verbessert sich nur partiell, nimmt in manchen Bereichen sogar weiter ab, vgl. Heinrich, in: Gesunde Umwelt, S. 21. Auch das Problem des globalen Klimaschutzes ist nach wie vor virulent. 690 Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 164. Hierzu näher siehe auch 4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“. 691 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 348. 692 BVerfG, Urteil vom 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11, 321, 1456/12 – BVerfGE 143, 246 (347) [Atomausstieg]; BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 (41) [Gentechnikgesetz]. 693 Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 13. 694 Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 83.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Da dem Art. 20a GG jedoch eine nachrangige Position gegenüber den Grundrechten zugesprochen wird,695 scheint mancherorts das Missverständnis aufgekommen zu sein, der Umweltschutz sei insgesamt ein nachrangiges Verfassungsprinzip. Einer bis dahin fruchtbaren Debatte über die grundrechtlichen Umweltschutzgehalte ist mit der Einführung der Staatszielbestimmung ein Dämpfer versetzt worden.696 Dabei sollte die Einführung des Staatsziels Umweltschutz den verfassungsrechtlichen Umweltschutzstandard verbessern und nicht herabstufen.697 Es verbietet sich daher eine Interpretation des Art. 20a GG, die im Ergebnis zu einer Schwächung des gegenüber dem nach den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten gebotenen Schutzniveaus führt. Letztere werden durch die Konkretisierungsbedürftigkeit der Staatszielbestimmung nicht berührt.698 Bereits vor der Einführung der Umweltschutzbestimmung warnte Murswiek, durchaus treffend, vor einer unter Konkretisierungsvorbehalt stehenden Staatszielbestimmung: „Der Regelungsvorbehalt ist jedoch nicht nur überflüssig; er ist auch schädlich. Der Vorbehalt könnte nämlich als Freibrief für den Gesetzgeber verstanden werden, den Umweltschutz beliebig hinter vordergründige ökonomische Interessen hintenanzustellen. Das BVerfG könnte sich auch dort gehindert sehen, den Gesetzgeber in Pflicht zu nehmen, wo er gegen die sich schon jetzt aus dem Grundgesetz ergebenden Umweltschutzpflichten verstößt. Es besteht also die Gefahr, daß die mit einem Regelungsvorbehalt versehene Staatszielbestimmung, die doch die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Umweltschutzes verbessern soll, diese Gewährleistung im Vergleich zur gegebenen Verfassungsrechtslage wesentlich verschlechtert.“ 699

4. Zwischenergebnis Die Bestimmung des Art. 20a GG enthält kein eigenständig einklagbares Grundrecht. Vielmehr handelt es sich um eine Staatszielbestimmung, deren Zweck es ist, dem Staat als verfassungsrechtliche Rechtfertigung bei umweltschützenden Grundrechtseingriffen gegenüber den Umweltstörern zu dienen. Die Norm enthält aufgrund ihrer Ausgestaltung eher ein Umweltschutzrecht des Staates als eine Umweltschutzpflicht desselben. Aus Sicht des Bürgers ist sie ver695 So ausdrücklich Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 25. Ähnlich Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 25. Anders ausdrücklich die Gesetzesbegründung. vgl. BTDrs. 12/6000 S. 67. 696 Bspw. Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 119 ff.; Grabitz, WiVerw. 1984, 232 (239); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 17 ff.; Hofmann, ZRP 1986, 87 (88); Klein, NJW 1989, 1633 (1638); Kloepfer, DVBl. 1988, 305 (308); Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 89 ff.; Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 17 ff.; Soell, WiVerw 1986, 205 205; Soell, NuR 1985, 205 (205); Vitzthum, in: FS für Dürig, S. 190 f. 697 Vgl. BT-Drs. 12/6000 S. 65. 698 Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 21. 699 Murswiek, ZRP 1988, 14 (18).

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

gleichbar mit den Grundrechten, wie sie in der Weimarer Reichsverfassung gewährt wurden – mit einem umfassenden Gesetzesvorbehalt versehen und kaum wehrfähig. Soll der verfassungsrechtliche Umweltschutzstandard durch Art. 20a GG nicht geschwächt, sondern gestärkt werden, darf die Bestimmung nicht als erste Anlaufstelle für alle Umweltschutzbelange wahrgenommen werden, die an das Verfassungsrecht herangetragen werden, sondern als bloßer Auffangtatbestand, der nur greift, wenn den Grundrechten kein umweltspezifischer Regelungsgehalt entnommen werden kann.

IV. Art. 1 I GG: Das Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum Das Bundesverwaltungsgericht folgerte schon früh aus Art. 1 Abs. 1 GG und der Sozialstaatsklausel des Art. 20 Abs. 1 GG und den Grundrechten ein Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum.700 Angelehnt daran wurde ein „ökologisches Existenzminimum“ als sogenannter Grundrechtsvoraussetzungsschutz diskutiert.701 Zwischenzeitlich wurde die Staatszielbestimmung Umweltschutz Art. 20a GG eingefügt und von den Befürwortern des ökologischen Existenzminimums flankierend oder als Ersatz für das Sozialstaatsprinzip herangezogen, um diese These zu stützen.702 Die ursprüngliche Herleitung erfolgte aus Art. 1 700 BVerwG, Urteil vom 24.06.1954 – V C 78.54 – BVerwGE 1, 156 (Rn. 28) [Existenzminimum]; später auch das BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (222) [Hartz IV]. Die Formulierung Staatspflicht auf Verschaffung des Existenzminimums stammt von Dürig, in: Maunz/Dürig, GG (1. Lieferung 1958), Art. 1, Rn. 44. 701 Prägend: Steiger, Mensch und Umwelt, S. 54. Zuvor bereits in diese Richtung Rehbinder, ZRP 1970, 250 (252) sowie Rupp, JZ 1971, 401 (402), der ein Grundrecht auf unschädliche Umwelt herleitet – kritisch hierzu Ule, DVBl. 1972, 437 (438). In der jüngeren Literatur wird die Idee vom ökologischen Existenzminimum rezipiert von: Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 126; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 158; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300; Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 94; Dellmann, DÖV 1975, 588 488; Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 95; Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 36; Gärditz, in: Landmann/ Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 78; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 66; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 116, 142; Huster/Rux, in: BeckOK GG, Art. 20a, Rn. 7; Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 3; Kloepfer, DVBl. 1988, 305 (310); Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 27; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 70; Maus, JA 1979, 287 (287); Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, S. 47; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 227; Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaft, S. 50; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 4; Soell, NuR 1985, 205 (205); ablehnend: Horn, in: Stern/Becker GG, Art. 2, Rn. 85; Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 106; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). 702 Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 4; Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 751.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.703 Aufgrund seiner Herleitung aus der Menschenwürde wurde dieses Existenzminimum zum Teil als „unantastbar“ angesehen.704 Es sollen zwar keine konkreten Leistungspflichten des Staates daraus ableitbar sein,705 jedoch müsse ein weitgehendes Unterlassen des Staates mit der Verfassungsbeschwerde gerügt werden können.706 Die These vom ökologischen Existenzminimum wurde zwar breit rezipiert,707 fand aber nur begrenzte Anerkennung.708 Kritisiert wurde vor allem ihre Offenheit und daraus folgende Nutzlosigkeit für die Bestimmung der Schwelle, an der das umweltverfassungsrechtliche Untermaßverbot verletzt sein solle.709 Die Schwellen, die bestimmbar sind, seien heute ohnehin erfüllt.710 Andererseits darf nicht vergessen werden, dass, seit das ökologische Existenzminimum in die Diskussion eingeführt wurde, erhebliche Fortschritte im Umweltrecht gemacht wurden. Dass heute kein Mensch auf dem Gebiet der Bundesrepublik dauerhaft unter entwürdigenden Umweltbedingungen existieren muss, ist auch eine Errungenschaft der Fortentwicklung des Umweltverfassungsrechts. Insofern ist das ökologische Existenzminimum noch heute relevant als „Backstop“ gegen einen Rückfall in Zeiten, in denen Atommüll in der Nordsee versenkt wurde,711 der blaue Himmel im Ruhrpott nicht sichtbar war712 und Flüsse nicht ihren Anwohnern zur Erholung zur Verfügung standen, sondern Industrie und Kommunen zur Entsorgung ungefilterter Abwässer dienten.713

V. Art. 2 II 1 GG: Das „Ersatz-Umweltgrundrecht“ Auch wenn Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auf den ersten Blick keine Aussagen mit Umweltschutzbezug enthält, ist dieser Norm doch große Bedeutung für das Um703

Rupp, JZ 1971, 401 (402). Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 22. 705 Rupp, JZ 1971, 401 (402). 706 Rupp, JZ 1971, 401 (403 Fn. 8). 707 Vgl. Nachweise in Fn. 701. 708 Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 3; die Theorie vom ökologischen Existenzminimum wurde vom Bundesverfassungsgericht bisher nicht aufgegriffen, vgl. Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 751. 709 Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 126. 710 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 94; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 116; Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), S. 181. 711 Die Praxis des Endlagerns von radioaktiven Abfällen durch Verklappung in der Nordsee wurde bis in die 80er Jahre betrieben, vgl. F.A.Z. vom 25.11.1987, S. 3; F.A.Z. vom 26.11.1987, S. 1. 712 F.A.Z. vom 06.08.1981, S. R1. 713 Zum Zustand des Rheins (vergleichbar auch des Mains, des Neckers und der Elbe), schrieb die F.A.Z. vom 16.02.1960, S. 8: „trüb und schwarz fließt er dahin; alles Leben in ihm hat aufgehört; er ist tot“. Auch noch 10 Jahre später wird die Lage im Wasserhaushalt als „prekär“ beschrieben, Weber, DVBl. 1971, 806 (807). 704

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

weltverfassungsrecht zugesprochen worden.714 Das Grundrecht wird teilweise sogar als Ersatz für das nicht vorhandene Umweltgrundrecht aufgefasst.715 Die Schutzpflichtendimension ist beim Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit besonders deutlich ausgeprägt, da die Mehrzahl der Gefährdungen und Verletzungen der enthaltenen Schutzgüter Leben und körperliche Unversehrtheit nicht vom Staat selbst, sondern von Privaten untereinander ausgehen.716 Hier hat die Funktion der staatlichen Schutzpflichten ihren Ursprung und ist bis heute zentraler Ort ihrer Herleitung.717 So heißt es in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts: „Das Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG beinhaltet auch die staatliche Pflicht, sich schützend und fördernd vor die in ihm genannten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit zu stellen.“ 718

1. Lebensschutz Das Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG schützt das körperliche Dasein im Sinne der biologisch-physischen Existenz.719 So können sich Schädigungen an den Umweltmedien Wasser, Luft oder Boden als Eingriffe in das Lebensrecht darstellen, wenn dadurch tödliche Krankheiten wie Krebs oder Vergiftungen hervorgerufen werden.720 Auch die direkte Einwirkung durch den Betrieb einer gefährlichen Anlage kommt in Betracht.721 Das Grundrecht schützt vor lebenswidrigen Umweltbedingungen, nach herrschender Meinung auch bereits vor der Geburt.722 714 Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 35; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 76; Hof, in: Brendt/Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 23. Das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit wurde sogar als Ersatz für das nicht ausdrücklich vorhandene Umweltgrundrecht ins Spiel gebracht, vgl. Hufen, Staatsrecht II, § 13 Rn. 3. 715 Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, S. 95; Hufen, Staatsrecht II, § 13 Rn. 3. 716 Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 72. 717 Fink, in: HGR IV, § 88 Rn. 38; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 74; Trute, in: HStR IV, § 88 Rn. 28. 718 BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2722/06 – BVerfGK 13, 303 (321) [Standortfeststellung Flughafen Schönefeld]; st. Rspr. vgl. BVerfG, Beschluss vom 05.03.1997 – 1 BvR 1071/95 – NJW 1997, 3085 (3085) [Edelfosin] m.w. N. 719 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 302; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 222; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 58; Wulfhorst, Der Schutz „überdurchschnittlich empfindlicher“ Rechtsgüter im Polizei- und Umweltrecht, S. 99. 720 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 126 ff.; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 302; Horn, in: Stern/Becker GG, Art. 2, Rn. 79; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 153. 721 Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 93; Horn, in: Stern/ Becker GG, Art. 2, Rn. 78; Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 72. 722 Siehe hierzu bereits oben 2. Kapitel C. III. 3.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Obwohl das Leben ein „Alles-oder-Nichts-Grundrecht“ darstellt, heißt das nicht, dass ein Schutz in jedem Fall zu gewähren ist.723 Wie schon Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG zeigt, wonach das Grundrecht auf Leben unter einfachen Gesetzesvorbehalt gestellt ist,724 kann ein Eingriff in das Leben sowohl in seiner abwehrrechtlichen Funktion als auch seiner Schutzpflichtendimension gerechtfertigt sein. Wie weit der Schutzbereich des Rechtsguts Leben gefasst ist, hängt wesentlich davon ab, was unter dem Begriff Leben verstanden wird. Zum Teil wird angenommen, dass über die oben genannte biologisch-physische Existenz auch das Leben in seiner sozialen und geistig-seelischen Ausprägung umfasst ist.725 Begründet wird dies damit, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in enger Anlehnung an die Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG zu lesen sei, die die nachfolgenden Grundrechte durchdringe und deshalb über das bloße „Dahinvegetieren“ hinaus auch ein Recht auf „menschenwürdiges Leben“ umfasse.726 Diese Argumentation, die zu einer weiten Auslegung des Lebensbegriffs führt, erscheint zunächst überzeugend, denn die Idee der „Durchdringung“ der Grundrechte durch die Menschenwürde ist in Anbetracht des Wortlautes von Art. 1 Abs. 2 GG – „bekennt sich darum“ – kaum von der Hand zu weisen. Auf den zweiten Blick ergeben sich jedoch Zweifel. Konsequenterweise müssten dann auch alle anderen Grundrechte so gelesen werden. Art. 4 Abs. 1 GG würde demnach ein Recht auf menschenwürdige Religionsausübung garantieren, Art. 5 Abs. 1 GG ein Recht auf menschenwürdige Meinung und so weiter. Dem ist aber nicht so. Die Grundrechte entspringen der Menschenwürde, sind jedoch nicht vollständig in dieser enthalten. Nur so ist zu erklären, dass eine weit verbreitete Ansicht den einzelnen Grundrechten zwar einen Menschenwürdekern zuspricht, der unantastbar sei, im Übrigen aber die Grundrechte in Einklang mit Art. 79 Abs. 3 GG zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers stellt.727 Das Recht auf Leben ist nur ein 723

Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 72. Kloepfer, in: FS 25 Jahre BVerfG, S. 412; hält diese Einordnung des Rechtsguts Leben im Grundgesetz für fragwürdig. So sei das Leben Voraussetzung für die Verwirklichung aller anderen Grundrechte und nicht die Menschenwürde, weshalb dem Leben der höchste Schutzstandard zukommen müsste, was aber aus dem Grundrechtskatalog, in dem das Leben unter formal einfachen Gesetzesvorbehalt gestellt ist, nicht wiedergespiegelt wird. In eine ähnliche Richtung gehend Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 75 ff. 725 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 127; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 302; Maus, JA 1979, 287 (289). 726 Maus, JA 1979, 287 (287). 727 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 235; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 29; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Einleitung, Rn. 236; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 125; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 36; Thurn, DÖV 2019, 65 (72); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43; Wall, in: BKGG, Art. 19 I, II, Rn. 82; wohl auch BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 – BVerfGE 119, 1 (23) [Esra]; kritisch hingegen Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 82 ff.; Dreier, in: Dreier GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 162 ff.; Heintzen, in: 724

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Ausschnitt aus dem Kanon der Grundrechte. In ihrer Gesamtheit ergeben die Einzelgarantien das Recht auf „menschenwürdiges Leben“. Die Lesart Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG bereits als solches zu begreifen, wird der feinen Ausdifferenzierung des Grundrechtskataloges der Art. 1–19 GG nicht gerecht. Demnach ist am engen Lebensbegriff festzuhalten.728 2. Gesundheit Wie das Leben, kann die körperliche Unversehrtheit durch Schädigungen an den Umweltmedien gefährdet werden.729 Hier kann bei ansonsten gleichem Sachverhalt die „Intensität des Schutzes in Relation zur Intensität des Eingriffs geringer sein“, als wenn das Rechtsgut Leben in Rede steht.730 Körperliche Unversehrtheit meint zum einen die Gesundheit im physiologisch-biologischen Sinne,731 zum anderen die Freiheit von Schmerz.732 a) Psychische Unversehrtheit Darüber hinaus ist umstritten, ob und inwieweit psychische Schäden für den Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit von Relevanz sind.733 Zum Teil wird eine Relevanz psychischer Beeinträchtigungen für Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG erst angenommen, wenn, vermittelt über die psychische Einwirkung, körperliche Auswirkungen feststellbar sind, wie es zum Beispiel bei psychischer Folter der Fall sein kann.734 Es können gleichwohl geringere Beeinträchtigungen, die alleine noch nicht die Eingriffsschwelle überschreiten, relevant werden, wenn sich viele geringfügige Umweltbeeinträchtigungen derart aufsummieren, dass sie sich zu schwerwiegenden Belastungen steigern.735 HGR II, § 50 Rn. 48; Merten, in: HStR VII, § 165 Rn. 24; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 77. 728 Zum Vorschlag der Erweiterung des grundrechtlichen Lebensschutzes auf nichtmenschliches Leben und die Kritik daran, siehe bereits 2. Kapitel C. II. 3. – „Tiere“. 729 Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 159. 730 Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, § 189; in diese Richtung auch Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 149. 731 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 128; Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 265; Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 125; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 62. 732 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 303 f.; Fink, in: HGR IV, § 88 Rn. 33; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 224; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 62a. 733 Befürwortend Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 303; Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 268; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 223; ablehnend Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 130. 734 Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, § 158. 735 Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, § 163.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Es ist deshalb gefordert worden, den Begriff der körperlichen Unversehrtheit über seinen Wortlaut hinaus auszudehnen und die physische und psychische Integrität des Menschen als Teil des Schutzbereichs zu definieren.736 Diese weite Definition ist angelehnt an die Präambel der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in der Gesundheit als „Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur das Freisein von Krankheit und Gebrechen“ aufgefasst wird. Die WHO-Definition geht für die Zwecke einer Auslegung des Grundgesetzes zu weit, da es den eindeutigen Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG überdehnen würde, auch das bloße „geistige und soziale Wohlbefinden“ unter die körperliche Unversehrtheit zu subsumieren. Dennoch ist das psychische Wohlbefinden nicht völlig aus dem Schutzbereich auszuklammern, da die Abgrenzung zur körperlichen Unversehrtheit nicht trennscharf gezogen werden kann.737 Auch das Bundesverfassungsgericht betrachtet den Menschen als eine „Einheit von Leib, Seele und Geist“, in der „Wechselwirkung zwischen psychischen und physischen Gesundheitsstörungen“ besteht.738 Bisher musste das Bundesverfassungsgericht zur Frage der psychischen Unversehrtheit im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht abschließend Stellung beziehen, weil es in den einschlägigen Entscheidungen immer auch körperliche Symptome vorfand, auf die abgestellt werden konnte. So sah es das Gericht als erwiesen an, dass Fluglärm zu Schlafstörungen und Kopfschmerzen führen kann und sich deshalb auch körperlich auswirke.739 b) Recht auf Erholung in der Natur Andere gehen noch weiter und sehen auf Grundlage des Rechts auf psychischseelische Unversehrtheit einen Anspruch auf einen „Mindestbestand an Naturgenuss bzw. Erholung in der freien Natur“.740 Ein Recht auf Erholung in der Natur wird sich nur in derartigen Extremsituationen verletzt sehen lassen, wo dem Bürger keine zumutbare Ausweichmöglichkeit mehr verbleibt, so dass sich die Situation negativ auf seinen Gesamtzustand niederschlägt. Ein einzelner Eingriff in Natur oder Landschaft wird in der Regel für sich noch keine Auswirkungen auf die Erholungs- und Regenerationsrate des Einzelnen haben.741 Insofern ist das 736 Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 268; Fink, in: HGR IV, § 88 Rn. 33; Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 130. 737 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 129; Fink, in: HGR IV, § 88 Rn. 34. 738 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (75) [Fluglärm I]. 739 BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (71) [Schallschutzmaßnahmen]; so auch Fink, in: HGR IV, § 88 Rn. 33. 740 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 304; Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 265 ff. 741 Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 269.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Recht auf Erholung in seinem Schutzbereich verwandt mit dem oben beschriebenen „Recht auf ökologisches Existenzminimum“ und ähnlich eng umrissen. c) Bagatellvorbehalt Nicht jede physische Auswirkung auf den menschlichen Körper überschreitet schon die Erheblichkeitsschwelle des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.742 Gesundheitlich unschädliche physische Einwirkungen sind im Rahmen des sozial adäquaten grundsätzlich zu akzeptieren.743 Die Korrektur erfolgt hier schon auf Ebene des Schutzbereichs. Fasst man diesen nicht wie die WHO dahingehend auf, dass bereits das bloße Wohlbefinden geschützt ist, sondern nur körperlich wirkende Beeinträchtigungen, ist keine Verengung des Eingriffsbegriffs nötig, denn nicht alle Umwelteinflüsse auf den menschlichen Körper stellen eine Schädigung dar. Der Bundesgerichtshof stellte treffend fest: „Da der menschliche Organismus außerordentlich anpassungsfähig ist, vermag er die störenden Umwelteinwirkungen, die eine Erscheinung der heutigen Zivilisation sind, bis zu einem gewissen Grad auszugleichen. Eine allzu starke Verfremdung der adäquaten äußeren Lebensbedingungen erzeugt jedoch – offen oder versteckt – Krankheiten, körperliche, seelische oder soziale Störungen oder begünstigt sie. In diesen Fällen werden Umweltstörungen zu Umweltgefahren.“ 744

Für sich genommen noch unschädliche körperliche Einwirkungen können sich kumuliert zu einer grundrechtsrelevanten Schädigung steigern.745 Es ist daher nicht nur auf den einzelnen Einflussfaktor abzustellen, sondern darauf, welchem Maß an Belastung der Grundrechtsträger insgesamt ausgesetzt ist. Dies gilt auch, wenn die Schädigung sich aus voneinander unabhängigen Belastungsquellen ergibt, die verschiedenen Störern bzw. Ursachen zuzuordnen sind, denn adressiert werden durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten nicht die Störer, sondern der Staat, der Schutz gewähren muss. d) Schutz überdurchschnittlich empfindlicher Grundrechtsträger Menschen sind unterschiedlich anfällig für Schädigungen ihrer körperlichen Unversehrtheit. Es kann daher nicht auf den „gesunden Durchschnittsbürger“ abgestellt werden, um zu ermitteln, welches Maß an Schädigung die Schwelle zur 742 Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 119; Wulfhorst, Der Schutz „überdurchschnittlich empfindlicher“ Rechtsgüter im Polizei- und Umweltrecht, S. 100; a. A. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 304; Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 134; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 163; differenzierend Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 88. 743 Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 119. 744 BGH, Urteil vom 20.03.1975 – III ZR 215/71 – NJW 1975, 1406 (1407) [Verkehrslärm I]; so auch Taleb, Antifragilität, S. 88. 745 Siehe hierzu 3. Kapitel B. II. 1. a) – „Grenzwertfestsetzung“.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Gesundheitsgefahr überschreitet. Kranke, Kinder, Schwangere, Allergiker oder alte Menschen reagieren zum Teil empfindlicher als der Durchschnitt.746 Andererseits ist die Rechtswissenschaft auf Objektivierung und damit Verallgemeinerung angewiesen.747 Es kann und darf kein Gesetz für jeden Einzelfall geben, vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG. Das Recht ist deshalb zu dem Spagat gezwungen, sowohl abstrakte Maßstäbe zu finden, als auch Einzelfallgerechtigkeit herzustellen. Im Rahmen des einfachen Rechts wird zum Teil auf den durchschnittlich empfindlichen Menschen abgestellt, um die Schwelle einer Beeinträchtigung zu bestimmen. So soll es für eine Einwirkung im Sinne des § 906 BGB auf den „Durchschnittsbenutzer des betroffenen Grundstücks“ ankommen.748 Auch im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG wird vertreten, dass von einem „körperlich gesunden Menschen ausgegangen werden“ kann.749 Diese einschränkende Auslegung schädlicher Umwelteinwirkungen, die überempfindliche Schutzgüter ausklammern möchte, kann schon in Bezug auf das einfache Recht kritisiert werden. Eine Einschränkung, um Fallgruppen auszusondern, in denen eine Überempfindlichkeit als Schutzbehauptung vorgeschoben wird, lässt sich durch entsprechend hohe Anforderungen an die Beweislast erreichen. Die Grundrechte lassen als individuelle Rechte gerade kein Abstellen auf die Durchschnittsempfindlichkeit zu.750 Das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist „personale Garantie par excellence“.751 Deshalb wird die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen geschützt, „so wie sie ist“.752 e) Exkurs: Infraschall von Windenergieanlagen Dass die von Windenergieanlagen erzeugten Infraschallwellen gesundheitsschädlich seien, ist von angeblich überempfindlichen Personen immer wieder behauptet worden.753 Infraschall liegt unterhalb der auditiven Wahrnehmungs746 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 303; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 224. 747 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 165 f. 748 Lübbe-Wolff, NVwZ 1986, 178 (183). 749 Schmidt-Kötters, in: BeckOK UmwR, § 5 BImSchG, Rn. 59. 750 Wulfhorst, Der Schutz „überdurchschnittlich empfindlicher“ Rechtsgüter im Polizei- und Umweltrecht, S. 101. 751 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 198. 752 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 303; Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 94; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 224; Wulfhorst, Der Schutz „überdurchschnittlich empfindlicher“ Rechtsgüter im Polizei- und Umweltrecht, S. 101; a. A. Braig, NuR 2017, 100 (108). 753 Aachener Zeitung 24.10.2018, Opfer von Infraschall schließen sich zusammen, S. 17; Passauer Neue Presse 13.10.2018, Windkraftrad beunruhigt Bürger, S. 35; Krahé et al., Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall, S. 64; Quambusch/Lauffer,

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

schwelle und kann deshalb nicht als Geräusch wahrgenommen werden (< 10– 20 Hz). Er kann jedoch durch Vibration oder Ohrendruck als unangenehm empfunden werden.754 Mit der Behauptung, die gesetzlichen Grenzwerte, insbesondere der TA Lärm, seien unzureichend, sind mehrere von Windenergieanlagen betroffene Bürger vor die Verwaltungsgerichte gezogen.755 Behauptet wurde ein Verstoß gegen eine grundrechtliche Umweltschutzpflicht des Staates, wie sie sich aus dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergibt.756 Eine gesteigerte Gesundheitsgefahr konnte durch die in den Prozessen beigebrachten Beweismittel jedoch nicht belegt werden.757 Belastungen durch mit der Windkraft verursachte Phänomene wie Infraschall und Schattenwurf sind stark von subjektiver Wahrnehmung abhängig und deshalb nur schwer zu objektivieren. In diesem Zusammenhang ist in der Forschung der Nocebo-Effekt beschrieben worden, wonach Menschen mit negativer Einstellung gegenüber Windkraft sich eher belästigt fühlen als Menschen mit positiver Einstellung.758 Jedoch sahen sich staatliche Stellen veranlasst, der behaupteten Schädlichkeit nachzugehen und führten umfangreiche Messungen durch, um den Verdacht der Schädlichkeit entweder zu erhärten oder auszuräumen. Im Ergebnis wurde festgestellt, dass durch Windenergieanlagen zwar Infraschall erzeugt wird, dieser aber im Vergleich mit anderen natürlichen und künstlichen Infraschallquellen keinen wesentlichen Beitrag zur Immissionsmenge leistet.759 Der Fall der Infraschallemissionen von Windenergieanlagen zeigt beispielhaft, wie grundrechtliche Schutzpflichten die Anwendung des einfachen Umweltrechts beeinflussen. Sie bringen den Staat in einen sich fortsetzenden Rechtfertigungsdruck. Ein Verweis auf einfach- oder untergesetzliche Grenzwertfestsetzungen allein genügt nicht. Diese Grenzwerte müssen regelmäßig überprüft und gegebenenfalls angepasst werden, wenn sie nicht mehr dem aktuellen Kenntnisstand

ZFSH/SGB 2008, 451–455 (454); Welt am Sonntag 01.03.2015, Macht Windkraft krank?, S. 29. Siehe auch Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 97. 754 Fülbier, ZUR 2017, 399 (401); Krahé, et al., Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall, S. 62; Quambusch/Lauffer, ZFSH/SGB 2008, 451–455 (453). 755 OVG Greifswald, Beschluss vom 21.05.2014 – 3 M 236/13 – LKV 2014, 421; OVG Münster, Beschluss vom 06.05.2016 – 8 B 866/15 – BeckRS 2016, 45939; VGH München, Beschluss vom 08.06.2015 – 22 CS 15.686 – BeckRS 2015, 46952. 756 Fülbier, ZUR 2017, 399 (401). 757 OVG Greifswald, Beschluss vom 21.05.2014 – 3 M 236/13 – LKV 2014, 421 (423); OVG Münster, Beschluss vom 06.05.2016 – 8 B 866/15 – BeckRS 2016, 45939 Rn. 25; VGH München, Beschluss vom 08.06.2015 – 22 CS 15.686 – BeckRS 2015, 46952 (23). 758 Umweltbundesamt, Mögliche gesundheitliche Effekte von Windenergieanlagen, S. 5. 759 Ratzel/Bayer, Tieffrequente Geräusche inkl. Infraschall von Windkraftanlagen und anderen Quellen, S. 12; Umweltbundesamt, Mögliche gesundheitliche Effekte von Windenergieanlagen, S. 6.

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entsprechen.760 Wenn belastbare Studien eine Schädlichkeit oberhalb der Schutzschwelle nahelegen, besteht, insbesondere für Exekutive und Gubernative die Pflicht, sich mit den zugrundeliegenden Kausalzusammenhängen auseinanderzusetzen. Nach bisherigem Kenntnisstand handelt es sich bei dem durch Windenergieanlagen verursachten Infraschall um bloßes Belästigungsempfinden ohne nachweisbare gesundheitliche Auswirkung. Ein Belästigungsempfinden kann sich jedoch auf die Psyche des Menschen auswirken und als vergleichbar schwerwiegend empfunden werden, wie eine körperlich wirkende Belastung.761 Man wird also differenzieren müssen. Dadurch, dass körperliche Effekte des Infraschalls bisher nicht nachweisbar sind, kann der Infraschall nicht im Rahmen des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG berücksichtigt werden. Anders ist dies bei hörbarem Schall, der ebenfalls von Windrädern erzeugt wird. Wird durch diesen, wegen der Nähe des Windkraftwerkes zu einem Siedlungsgebiet, die Schwelle zur körperlichen Symptomatik überschritten, liegt ein Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vor. Die vorstehenden Ausführungen zum staatlichen Schutz körperlicher Unversehrtheit haben sich wesentlich am Beispiel der Windkraft orientiert. Sie lassen sich aber durchaus verallgemeinern. Ob es sich nun um Rotorengeräusche, Fluglärm, Geruchsimmissionen oder Strahlung handelt – die Grundsätze sind die gleichen. 3. Zusammenfassung Der Schutzbereich der körperlichen Unversehrtheit umfasst die physisch-biologische Integrität und das psychische Wohlbefinden, sofern es sich körperlich auswirkt, nicht jedoch ästhetische oder soziale Belange. Auf Ebene des Eingriffs sind keine Abstriche durch einen Bagatellvorbehalt zu machen, stattdessen ist jede messbare körperliche Einwirkung zu gewichten und entsprechend abzuwägen. Unerhebliche Fälle sind auf Ebene der Rechtfertigung auszuscheiden.

VI. Art. 3 GG: Anspruch auf gleichen Umweltschutz Der allgemeine Gleichheitssatz und die besonderen Gleichheitssätze nehmen eine besondere Stellung innerhalb des Grundrechtskatalogs ein.762 Gegenüber den Freiheitsrechten weisen diese einige Unterschiede und Besonderheiten auf, weshalb umstritten ist, ob die Schutzpflichtenlehre überhaupt auf Gleichheits-

760

3. Kapitel B. IV. – „Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht“. Bayerisches Landesamt für Umwelt, Windenergieanlagen – beeinträchtigt Infraschall die Gesundheit?, S. 4; Umweltbundesamt, Mögliche gesundheitliche Effekte von Windenergieanlagen, S. 5. 762 Hierzu: Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 151 ff. 761

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

rechte Anwendung finden kann.763 Eine Schutzpflicht aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ist trotz unterschiedlicher Struktur von Gleichheitsrecht und Freiheitsrecht zu bejahen, denn beide haben gemeinsam, dass sie zu einer Begründungsbedürftigkeit staatlichen Handelns führen.764 Neben ihrer materiellen Funktion haben alle Grundrechte auch eine prozessuale Funktion, weil sie es nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG über die Verfassungsbeschwerde ermöglichen, ein Gesetz auf seine Gründe hin untersuchen zu lassen.765 Der Staat kann nicht nur durch positives Handeln diskriminieren, sondern auch durch Unterlassen.766 Das Gleichheitsrecht erfasst den Grundrechtsträger in seiner jeweiligen Lebenssituation „als in Nachbarschaft, Umwelt, Demokratie oder Privatheit Betroffene[n]“ 767 und wirkt sich deshalb auch im Umweltrecht aus. Von besonderer Relevanz für das Umweltrecht ist das aus dem Gleichheitssatz folgende Gebot der Widerspruchsfreiheit.768 So dürfen beispielsweise die vom Steuergesetzgeber im Rahmen seiner Zuständigkeit erhobenen Lenkungssteuern nicht den Zielen und Maßnahmen des Umweltgesetzgebers entgegenlaufen. Ersterer hat sich der Konzeption des letzteren anzupassen.769 Auch müssen Bundes- und Landesgesetzgeber sowie kommunale Satzungsgeber ihre Umweltmaßnahmen dergestalt aufeinander abstimmen, dass diese sich nicht gegenseitig konterkarieren.770 Dabei kommt es nicht alleine auf die Normenhierarchie an, sondern auch auf die Kompetenzordnung des Grundgesetzes.771 Aus einer Ge763 Generell ablehnend: Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 57 ff.; ablehnend für den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG: Englisch, in: Stern/ Becker GG, Art. 3, S. 120; Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, S. 125; differenzierend, aber ebenfalls skeptisch in Bezug auf die besonderen Gleichheitssätze aus Art. 3 Abs. 2 und 3 GG: Lehner, Zivilrechtlicher Diskriminierungsschutz und Grundrechte, S. 186 ff. Eine aus dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG abgeleitete Schutzpflicht befürwortend: Stern, in: Stern, Staatsrecht IV/ 2, § 122 S. 1766. Eine neben den Schutzgehalten der Freiheitsgrundrechte „flankierende Schutzfunktion“ der Gleichheitssätze sieht: Nußberger, in: Sachs GG, Art. 3, Rn. 67. Eine grundrechtliche Schutzpflicht in Bezug auf den speziellen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 2 GG ausdrücklich bejahend: BVerfG, Beschluss vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – BVerfGE 109, 64 (90) [Mutterschaftsgeld II]; BVerfG, Beschluss vom 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276 (286) [Geschlechterdiskriminierung bei der Arbeitsplatzsuche]; Huster, in: BKGG, Art. 3, Rn. 96; ablehnend in Bezug auf Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG: Langenfeld, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 3, Rn. 83; wohl bejahend in Bezug auf Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG: BVerfG, Beschluss vom 25.03.2015 – 1 BvR 2803/11 – NZA 2015, 1248 (1248) [Erwerbsminderungsrente]. 764 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 206; im Ergebnis auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 84. 765 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 207. 766 Sachs, in: HStR VIII, § 182 Rn. 144. 767 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 382. 768 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 171. 769 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 171; Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 41. 770 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 408.

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samtschau von Normenhierarchie und Kompetenzbereich ergibt sich, welche Regelung im Einzelfall weichen muss.772 Gegenüber dem Bürger wird das Gebot der Widerspruchsfreiheit als einheitliche Gesetzgeberpflicht aufgefasst.773 Auch enthält der Gleichheitssatz ein Recht auf Chancengleichheit und „sichert jedermann das Recht, Standesunterschiede zu überwinden und Verschiedenheiten beim Start in die Freiheit auszugleichen“.774 Die Chancengleichheit ist ein den Staat adressierendes Leistungsrecht und Schutzrecht des Bürgers.775 Dabei darf die Chancengleichheit nicht in einen Zwang repressiver Egalität umschlagen.776 Chancengleichheit soll nicht zur faktischen Gleichheit führen, sondern Chancen sollen gleich zugeteilt werden, was die Möglichkeit unterschiedlicher Ergebnisse bereits impliziert.777 Auch bei der Verteilung knapper Güter ist der Gleichheitssatz zu beachten778 sowie bei wettbewerbsverzerrenden Zulassungs- und Anmeldeverfahren, die eine große praktische Relevanz für das Umweltrecht haben.779 Nicht nur bei der Verteilung knapper Güter, sondern auch bei der Ausgestaltung des Vorsorgeprinzips spielt der Gleichheitsgrundsatz eine Rolle.780 Nach der mit dem Vorsorgeprinzip verbundenen Freiraumthese muss das Recht so ausgestaltet sein, dass zum einen künftigen Generationen Entwicklungsfreiräume verbleiben aber auch für gegenwärtige Freiheitsbetätigung wie wirtschaftliche Aktivität Raum zur Verfügung steht.781 Die deshalb künstlich verknappten Betätigungsmöglichkeiten müssen unter Berücksichtigung des Art. 3 Abs. 1 GG verteilt werden.782 Auch die mit der Aktivität verbundenen Risiken dürfen nicht ein771

Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 43 ff. Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 212. 773 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 407. 774 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 3; a. A. Englisch, in: Stern/ Becker GG, Art. 3, Rn. 116. 775 Huster, in: BKGG, Art. 3, Rn. 148; Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 3, Rn. 6. 776 Huster, in: BKGG, Art. 3, Rn. 118; Sachs, in: HStR VIII, § 182 Rn. 147. 777 Pietzcker, in: HGR V, § 125 Rn. 62. 778 Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 75; Pietzcker, in: HGR V, § 125 Rn. 62. 779 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 142. 780 Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 75. 781 Hierzu näher 3. Kapitel B. III. 1. – „Vorsorgeprinzip“. 782 In seiner Schutzpflichtendimension richtet sich der Anspruch auf gerechten Ressourcenzugang auf Verhinderung und Zerschlagung von Marktmonopolen durch den Staat. Zur präventiven Abwehr von gleichheitswidrigen Monopolbildungen bedient sich der Staat des Kartellrechts. Sollten Naturgüter oder Bodenschätze unter die Kontrolle einheitlich organisierter Gruppen oder Einzelpersonen geraten und dadurch hinreichend schwere Umweltbelastungen entstehen, steht dem Staat mit Art. 15 GG das scharfe Schwert der Vergesellschaftung zur Verfügung, für andere Eigentumsrechte als Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel gelten die Vorschriften über die Enteignung nach Art. 14 Abs. 3 GG. 772

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

seitig verteilt werden, so dass sich auch hier der Grundsatz der Verteilungsgerechtigkeit im Umweltrecht auswirkt.783 Zum Teil ist gefordert worden, rein auf Gewinnerzielung gerichteten Kapitalgesellschaften die schützende Funktion der Gleichheitsrechte zu versagen. „Ein allein auf die Gewinnmaximierung für die Kapitalgeber ausgerichtetes Unternehmen, das zudem seine Verantwortlichkeit – seine Haftung – beschränkt, sprengt die herkömmliche Gebundenheit der Personen im Recht, weil sie strukturell auf Maximierung – Grenzenlosigkeit – angelegt ist, sie im weltweiten Handeln nur schwer in eine Rechtsordnung eingebettet werden kann, sie aber vor allem in ihrer Marktmacht zu einem Herrschaftsinstrument übermäßiger privatwirtschaftlicher Gestaltungskraft zu geraten droht.“ 784 Richtig daran ist, dass die Wirkkraft der Schutzpflichtendimension notwendigerweise an die Schutzbedürftigkeit des Grundrechtsträgers gekoppelt ist. Die von Kirchhof herangezogenen multinationalen Großkonzerne werden im Vergleich mit anderen Akteuren kaum jemals als unterlegener Schwacher dastehen, sodass die Schutzpflichtendimension im Gleichheitsrecht für sie nur in Ausnahmefällen Wirkung entfalten wird, dafür umso häufiger zu Gunsten des ansonsten gegenüber dem Großkonzern chancenlosen Einzelnen.

VII. Art. 4 I GG: Umwelt und Religion Für die Religionsfreiheit ist die Schutzpflichtendimension zwar anerkannt,785 es lässt sich jedoch kaum für die Begründung einer staatlichen Umweltschutzpflicht nutzbar machen, auch wenn dem Umweltschutz zum Teil vorgehalten wird, quasi-religiöse Züge zu tragen.786 Im Bereich des Umweltrechts sind Behörden und Gerichte immer wieder mit der Situation konfrontiert, dass Bürger sich mit Eingaben an diese wenden, denen quasi-religiöse Vorstellungen über angebliche Zusammenhänge in Natur und Umwelt zu Grunde liegen. Beispiele hierfür sind der Glaube an Erdstrahlen, an den Einfluss von Wasseradern auf die menschliche Gesundheit, die irrationale Angst vor Funkmasten, „Elektro-Smog“ und so weiter. Die Anzahl derartiger Glaubenssätze scheint in vergleichbarem Grad zuzunehmen, wie die etablierten Kirchen an gesellschaftlicher Relevanz verlieren. Es ist fraglich, ob derartige moderne Religionssubstitute und neureli783

Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 75 f. Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 276. 785 BVerfG, Beschluss vom 22.10.2014 – 2 BvR 661/12 – BVerfGE 137, 273 (313) [Katholischer Chefarzt]; BVerfG, Urteil vom 01.12.2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 – BVerfGE 125, 39 (78) [Adventssonntage Berlin]; BVerfG, Urteil vom 19.12.2000 – 2 BvR 1500/97 – BVerfGE 102, 370 (393) [Zeugen Jehovas]; BVerfG, Beschluss vom 16.05.1995 – 1 BvR 1087/91 – BVerfGE 93, 1 (16) [Kruzifix]; Germann, in: BeckOK GG, Art. 4, Rn. 69; Kästner/Droege, in: Stern/Becker GG, Art. 4, Rn. 160. 786 Siehe zu den zugrundliegenden Argumentationsmustern: Schlitt, Umweltethik, S. 115 ff. 784

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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giöse Strömungen durch die Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG geschützt sind, denn durch die Religionsfreiheit können behauptete Zusammenhänge, die sich wissenschaftlich nicht stützen lassen, rechtliche Relevanz erlangen. So könnte jemand, der behauptet, durch Mobilfunkstrahlung in seinem Wohlbefinden gestört zu sein, sich zwar nicht auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG stützen, da der Nachweis eines körperlichen Einflusses nicht erbracht werden kann.787 Die gleiche Behauptung, interpretiert als Überzeugung des persönlichen Glaubens, könnte aber dazu führen, dass dem Gläubigen ein Raum freigehalten werden muss, in dem er keiner Mobilfunkstrahlung ausgesetzt ist. Aufgrund der zunehmenden Pluralität der Gesellschaft und den damit verbundenen heterogenen Glaubensauffassungen, scheint ein weites Verständnis des Religionsbegriffs angemessen, um alle, auch neuartige Vorstellungen, abzudecken.788 Ein entsprechend weiter Begriff der Religion, der alle irrationalen Vorstellungen als Glaubensvorstellungen vereint, ist jedoch deshalb problematisch, weil die Religionsfreiheit „damit zu einem Grundrecht [wird], das beständig nach Ausnahmen von allgemein geltenden Regeln verlangt“.789 Verschärft wird die Problematik dadurch, dass die Religionsfreiheit nach herrschender, aber nicht unumstrittener Ansicht vorbehaltlos gewährt wird.790 Bei weiter Interpretation besteht die Gefahr, dass die Religionsfreiheit als „Supergrundrecht“ allerlei irrationale Überzeugungen als grundrechtlich geschütztes Interesse adelt und damit zur rechtlichen Geltung drängen lässt.791 Selbst wenn man den Religionsbegriff eng auslegt, muss immer noch mit dem ebenfalls in Art. 4 Abs. 1 GG enthaltenen Begriff der Weltanschauung umgegangen werden. Die Weltanschauungsfreiheit wird vom Bundesverfassungsgericht als mit der Religionsfreiheit in einen einheitlichen Schutzbereich fallendes Grundrecht angesehen.792 Während sich die Religion schwerpunktmäßig auf die transzendente Wirklichkeit beziehe, habe die Weltanschauung innerweltliche Bezüge zum Gegenstand.793 787

Siehe 2. Kapitel D. XI. – „Art. 12 I GG: Erhalt der Umweltnutzungsfreiheit“. Anders noch BVerfG, Beschluss vom 08.11.1960 – 1 BvR 59/56 – BVerfGE 12, 1 (4), wonach Religion im Sinne des Art. 4 Abs. 1 GG „nur diejenige [ist], die sich bei den heutigen Kulturvölkern auf dem Boden gewisser übereinstimmender sittlicher Grundanschauungen im Laufe der geschichtlichen Entwicklung herausgebildet hat“. Vgl. auch Muckel, in: HGR IV, § 96 Rn. 55. 789 Epping, Grundrechte, Rn. 310. 790 Epping, Grundrechte, Rn. 316; Kästner/Droege, in: Stern/Becker GG, Art. 4, Rn. 206. 791 Bethge, in: HStR VII, § 158 Rn. 37. 792 BVerfG, Beschluss vom 10.10.1968 – 1 BvR 241/66 – BVerfGE 24, 236 (245); Campenhausen, in: HStR VII, § 157 Rn. 51; Germann, in: BeckOK GG, Art. 4, Rn. 7; Muckel, in: HGR IV, § 96 Rn. 61; a. A. Kästner/Droege, in: Stern/Becker GG, Art. 4, Rn. 48. 793 BVerwG, Urteil vom 27.03.1992 – 7 C 21/90 – JurionRS 1992, 12999 Rn. 23; Kästner/Droege, in: Stern/Becker GG, Art. 4, Rn. 44; a. A. Muckel, in: HGR IV, § 96 Rn. 61. 788

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Das Problem wird in Bezug auf das Umweltrecht derzeit dadurch relativiert, dass sich die Betroffenen häufig nicht auf die Religionsfreiheit berufen.794 So werden Pseudo-Wissenschaften regelmäßig nicht den Schutz der Religionsfreiheit suchen, weil es ihren eigenen Wahrheitsanspruch relativieren würde. Anders liegt dies im Bereich der sogenannten Esoterik, in dem Überschneidungen mit Religiosität durchaus vorkommen. Moderne Umweltreligionen sind, im Gegensatz zu traditionellen Naturreligionen, bisher nicht in Erscheinung getreten. Dabei ist nicht auszuschließen, dass eine solche einmal gegründet wird. Die Gerichte in Deutschland sind bei der Anerkennung neuer Religionen bisher sehr restriktiv, insbesondere, wenn diese bewusst gegründet werden, um beliebiges Verhalten dem Schutz der Religionsfreiheit zu Teil werden zu lassen.795 Auch etablierte Religionen können in umweltrechtlich relevanter Weise Schutz aus Art. 4 Abs. 1 GG erfahren. Bei Konflikten im nachbarschaftlichen Bereich kann die Religionsfreiheit Drittschutz entfalten.796 Dies ist der Fall, wenn eine Grundstücksnutzung in krassem Widerspruch zu einer vorgefundenen religiösen Nutzung des Nachbargrundstücks steht. Beispielsweise ein geplanter Schweinemastbetrieb neben einem jüdischen Friedhof. Hier kann sich, nach Abwägung aller relevanten Belange, ein Anspruch aus Art. 4 Abs. 1 GG ergeben, dass der Schweinemastbetrieb unter Anwendung geltenden einfachen Rechts unterbunden wird.797 Um den Missbrauch der Religionsfreiheit für Ziele, die außerhalb dieser liegen, zu verhindern, ist eine Abgrenzung religiöser Interessen von wirtschaftlichen und politischen Zielen möglich und sinnvoll. Letztere fallen nicht unter Art. 4 Abs. 1 GG, sondern allenfalls unter entsprechende sachnähere Grundrechte wie Art. 12 GG oder Art. 14 GG.798

VIII. Art. 5 GG: Umweltinformationsfreiheit Umweltinformationen können Voraussetzung sein für den Schutz anderer umweltrelevanter Rechtsgüter, insbesondere Leben, körperlicher Unversehrtheit und Eigentum.799 Art. 5 Abs. 1 Hs. 2 GG enthält das Recht auf Informationsfreiheit, das grundsätzlich auch den Zugang zu Umweltinformationen umfasst.800 Als Recht, sich aus öffentlich zugänglichen Quellen zu unterrichten, wirkt es zu794 Germann, in: BeckOK GG, Art. 4, Rn. 8; anders Muckel, in: HGR IV, § 96 Rn. 54, der bei der Bestimmung des Religionsbegriffs vor allem auf objektive Kriterien abstellen möchte und deshalb in der Selbsteinordnung des Grundrechtsträgers nur ein Indiz sieht. 795 BVerfG, Beschluss vom 11.10.2018 – 1 BvR 1984/17 – juris [Spaghettimonster]. 796 Germann, in: BeckOK GG, Art. 4, Rn. 74. 797 Kästner/Droege, in: Stern/Becker GG, Art. 4, Rn. 170. 798 Muckel, in: HGR IV, § 96 Rn. 58 f. 799 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 134. 800 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1004.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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nächst primär in seiner Abwehrfunktion gegen den Staat.801 Geschützt ist beispielsweise die Entnahme von Wasserproben aus einem Bach, der im wahrsten Wortsinne eine öffentlich zugängliche Informationsquelle darstellt.802 Jedoch enthält das Grundrecht auch eine objektiv-rechtliche Funktion und kann Schutzpflichten begründen.803 In jüngster Zeit wurde das Informationsfreiheitsrecht über seinen Wortlaut hinaus interpretiert und als Informationsanspruch gegenüber dem Staat verstanden.804 Aus der Kombination mit anderen Grundrechten oder den Staatszielbestimmungen kann sich ein Anspruch auf einen Mindestbestand an Informationsquellen für bestimmte Segmente ergeben, da ohne diese die korrespondierende Freiheit leerlaufen würde.805 Einfachgesetzlich hat sich dies in der Schaffung der Umweltinformationsgesetze des Bundes und der Länder niedergeschlagen.806 Werden Informationen bei einem Privaten monopolisiert, kann sich aus der Schutzpflichtendimension des Art. 5 Abs. 1 GG ein Anspruch gegen den Staat ergeben, dass der Zugang zu den Umweltinformationsquellen des Privaten ermöglicht wird.807 Dieser Anspruch steht unter Abwägungsvorbehalt mit den schutzwürdigen Interessen des Informationsquelleninhabers. Der Informationsanspruch kann sich darauf beziehen, als Nachbar Mitteilung über die schädlichen Umweltauswirkungen einer gefährlichen Anlage zu erhalten. Umgesetzt sind derartige Umweltinformationsschutzpflichten beispielsweise durch den Auskunftsanspruch des Dritten aus § 27 Abs. 3 S. 1 BImSchG. Wissenschaft und Forschung sind durch Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG geschützt. Handelte es sich hier in seiner Urkonzeption um ein klassisches Freiheitsrecht, vgl. den Wortlaut „sind frei“, hat sich diese Wertung durch massive Intervention staatlicher Institutionen verschoben. Durch Forschungsförderung schafft der Staat an vielen Stellen erst die Voraussetzung für umfangreiche Untersuchungen. Dadurch lenkt er den Fokus der Wissenschaft, setzt Schwerpunkte und belohnt erwünschtes Verhalten. Aus den Abhängigkeiten, die der Staat in Forschung und Wissenschaft geschaffen hat, wächst neue Verantwortung. Er darf bei der Vergabe der Forschungsmittel nicht willkürlich vorgehen, sondern muss die ihm zu-

801

Decken, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 5, Rn. 13; Dörr, in: HGR IV, § 103 Rn. 77. 802 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1004; Schmidt-Jortzig, in: HStR VII, § 162 Rn. 41. 803 Grabenwarter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1025; Schemmer/Kempen, in: BeckOK GG, Art. 5, Rn. 32. 804 Wegener, NVwZ 2015, 609 (610); ablehnend Degenhart, in: BonnK GG, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Rn. 179. 805 Bethge, in: Sachs GG, Art. 5, Rn. 60; Grabenwarter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 5 Abs. 1, 2, Rn. 1022; Schemmer/Kempen, in: BeckOK GG, Art. 5, Rn. 32. 806 Dörr, in: HGR IV, § 103 Rn. 86. 807 Degenhart, in: BonnK GG, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Rn. 182.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

kommenden Verfassungsaufträge berücksichtigen. Derartige Verfassungsaufträge können sich aus denen in dieser Arbeit herzuleitenden grundrechtlichen Umweltschutzpflichten, aber auch aus den Staatszielbestimmungen ergeben. Freilich wird sich aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG kaum ein unmittelbarer Förderanspruch eines konkreten Forschungsprojekts herleiten lassen. Nur bei einer extremen Schieflage der Mittelverteilung wird man überhaupt feststellen können, dass die Mittel nicht anhand der verfassungsrechtlich vorgezeichneten Ziele verteilt wurden. Diese verfassungsrechtliche Wertung kann daher indirekt bei der Förderungsvergabe eine Rolle spielen und zwar bei der Ermessensüberprüfung, in der die Berücksichtigung aller vorgegebenen Abwägungsbelange ein Kriterium für die korrekte Ausübung des Ermessens ist.808

IX. Art. 11 GG: Freizügigkeit und Heimatschutz Das Recht auf Freizügigkeit beinhaltet in erster Linie das Recht seinen Aufenthalt und Wohnsitz innerhalb des Bundesgebietes frei zu wählen.809 Dass Art. 11 Abs. 1 GG neben einem Abwehrrecht auch darüberhinausgehende Grundrechtsfunktionen enthält, ist im Grundsatz anerkannt.810 Über den Umfang derartiger Schutz- und Leistungspflichten besteht hingegen Streit. 1. Recht auf Heimat Art. 11 Abs. 1 GG umfasst neben dem Recht seinen Wohnsitz frei zu wählen, die Freiheit nicht fortziehen zu müssen (negative Freizügigkeit).811 Dies ist nur konsequent, denn ein Recht überall hinzuziehen wäre wertlos und widersprüchlich, würde es nicht auch ein Recht beinhalten, am gewählten Ort bleiben zu dürfen. In der Literatur ist deshalb von einem „Recht auf Heimat“ gesprochen worden, das sich aus Art. 11 Abs. 1 GG ergeben würde.812 Damit soll über das

808

Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 95. BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (323) [Garzweiler]; Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 71. 810 BGH, Urteil vom 26.04.1972 – IV ZR 18/71 – NJW 1972, 1414 (1415); Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 108; Ogorek, in: BeckOK GG, Art. 11, Rn. 50; ablehnend hingegen Epping, Grundrechte, Rn. 745. 811 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (324) [Garzweiler]; Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 133; Hailbronner, in: HStR VII, § 152 Rn. 46; Ogorek, in: BeckOK GG, Art. 11, Rn. 52. 812 Baer, NVwZ 1997, 27 (28); Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 92; Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 11, Rn. 15; Hailbronner, in: HStR VII, § 152 Rn. 44; Merten, in: HGR IV, § 94 Rn. 72; Ogorek, in: BeckOK GG, Art. 11, Rn. 52; ablehnend: BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (328) [Garzweiler]; Blanke, in: Stern/Becker GG, Art. 11, Rn. 8; Epping, Grundrechte, Rn. 744. 809

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Recht auf Ansiedlung und den Schutz gegen Umsiedlung hinaus auch das mit dem Wohnsitz dauerhaft verbundene städtebauliche und soziale Umfeld gehören.813 Es solle vor dem Verlust des Lebensmittelpunktes schützen.814 Ein Schutz von Natur und Umwelt folgt daraus freilich nicht direkt, sondern nur reflexiv, darf aber in seiner Tragweite nicht unterschätzt werden.815 So betrifft der mit dem Recht auf Heimat verbundene Streit vor allem Zwangsumsiedlungen zugunsten von Großprojekten wie Flughäfen und Braunkohletagebau, die umweltrechtlich von hoher Brisanz sind. Eine Ausweitung des Braunkohleabbaus führt zu einer höheren Verfügbarkeit von Kohle am Markt und senkt durch die Erhöhung des Angebots den Preis, was diese Art der Energiegewinnung wirtschaftlich attraktiver macht, obwohl die Folgen für die Umwelt nicht zuletzt wegen des hohen CO2-Ausstoßes schwerwiegend sind. Auch andere Schäden, die enger mit dem Heimatbegriff verknüpft sind, bringt der Braunkohlabbau mit sich. So müssen Landschaften, gewachsene Siedlungsstrukturen, Naturdenkmäler und natürliche Lebensräume weichen, wenn, wie in Rheinfeld, 72 Ortschaften und 30.000 Menschen dem Tagebau Platz machen müssen.816 Der Verwendung des Heimatbegriffs wurde entgegengehalten, dass es sich dabei um einen „Gefühlbegriff“ und keine „Rechtsvorstellung“ handle, weshalb er für die Zwecke der Rechtswissenschaft unergiebig sei.817 Kriterien wie „Identitätsstiftung“ und „Heimatgefühl“ könnten deshalb für die Bestimmung des Schutzbereichs der Freizügigkeit nicht maßgeblich sein.818 Auch das Bundesverfassungsgericht legt das Recht auf Freizügigkeit eng aus. Es umfasse nicht das Recht seinen Aufenthalt an Orten zu nehmen, an denen dies für jedermann ausgeschlossen sei. Das gelte auch, wenn die Möglichkeit zu Aufenthalt und Wohnsitznahme im Nachhinein wegfalle, sofern dies nicht auf bestimmte Personen oder Personengruppen beschränkt werde, sondern allgemein und für alle gelte. Wird also ein ganzes Gebiet unbewohnbar, solle dies das Grundrecht auf Freizügigkeit schon nicht in seinem Schutzbereich berühren. Entsprechend enthalte Art. 11 Abs. 1 GG auch keinen „Anspruch auf Schaffung und Erhalt der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen für einen Daueraufenthalt“.819 Gleichsam als Kompensation für diese einschränkende Auslegung des Art. 11 Abs. 1 GG wertet das Bundesverfassungsgericht Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG dahingehend auf, dass der Schutz des Eigentums auch „die Bezüge des Eigentumsgegenstands 813

Kühne, NVwZ 2013, 321 (324). Baer, NVwZ 1997, 27 (28). 815 Baer, NVwZ 1997, 27 (29). 816 Baer, NVwZ 1997, 27 (27). 817 Merten, in: HGR IV, § 94 Rn. 72. 818 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 92. 819 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (325) [Garzweiler]; zustimmend Kühne, NVwZ 2013, 321 (324); andere Ansicht Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 133. 814

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

zu seiner sozialen Umwelt“ einschließe.820 Das durch die Literatur in Art. 11 Abs. 1 GG verortete „Heimatrecht“ ergebe sich stattdessen weitgehend deckungsgleich aus Art. 14 Abs. 1 GG.821 Dabei ist das Argument des Gerichts, der historische Gesetzgeber habe ein Recht auf Heimat ausdrücklich nicht in das Grundgesetz mit aufnehmen wollen, verfehlt.822 Zwar ist es richtig, dass einem entsprechenden Vorschlag gegenüber dem Parlamentarischen Rat nicht entsprochen wurde. Dies geschah aber gerade mit dem Argument, dass mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit bereits ein Heimatrecht im Grundgesetzentwurf enthalten sei.823 Der Ansatz, das Recht auf Heimat von Art. 11 Abs. 1 GG auf Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG zu verlagern, überzeugt nicht. Der Grund für die enge Auslegung des Schutzbereichs der Freizügigkeit und der Verlagerung des Heimatrechts in das Eigentumsgrundrecht, ist nur vom Ergebnis her verständlich. Würden die Zwangsumsiedlungen zugunsten des Braunkohletageabbaus als Eingriff in den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 2 GG gewertet, würde man auf Rechtfertigungsebene auf schwerwiegende Probleme mit den in Art. 11 Abs. 2 GG vorgesehenen Grundrechtsschranken stoßen. Diese sehen eine Beschränkung zu Zwecken industrieller Großprojekte schlicht nicht vor.824 Insgesamt sieht Art. 11 Abs. 2 GG sieben verschiedene Grundrechtsschranken vor. Durch diese enumerative und detaillierte Aufzählung der Grundrechtsschranken, muss davon ausgegangen werden, dass diese abschließend sind, weshalb eine Schrankenleihe oder ähnliche Konstrukte ausscheiden. Eine „Flexibilisierung der grundrechtlichen Schranke“, weil der Verfassungsgeber die Bedeutung von Art. 11 Abs. 1 GG für wirtschaftliche Großprojekte schlicht übersehen habe,825 wäre der rechtsdogmatisch schlechteste Weg, da er den Wortlaut der Verfassung beliebig werden lassen würde. Vorzugswürdig wäre der in der Rechtsprechung zu anderen Grundrechten etablierte Ansatz der wechselseitigen Verstärkung der Schutzbereiche gewesen,826 denn die Entschädigung aufgrund des Eigentumsverlusts deckt bei weitem nicht 820 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (331) [Garzweiler]. 821 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (332) [Garzweiler]; zustimmend Frenz, NVwZ 2014, 194 (197). 822 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (328) [Garzweiler]. 823 So Merten, in: HGR IV, § 94 Rn. 72 m.w. N. 824 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 68. 825 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 68. 826 Kühne, NVwZ 2013, 321 (322). Es wurde sogar schon eine wechselseitige Verstärkung der unterschiedlichen Grundrechte verschiedener Grundrechtsträger vom BVerfG für möglich gehalten, vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.2000 – 1 BvR 1460/ 99 – NJW 2000, 2658 (2659) [Duldungspflicht Treppenlift].

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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alle sozialen Härten ab, die mit dem Heimatverlust verbunden sind.827 Das Eigentumsgrundrecht wird mit dem Grundrecht auf Freizügigkeit in seiner Ausprägung als Heimatrecht gleichsam aufgeladen. Eine Enteignung wäre damit zusätzlich zu den Anforderungen des Art. 14 Abs. 3 GG auch an den Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG zu messen. Dass diese eine entsprechende Beschränkung nicht vorsehen und der Abriss ganzer Dörfer entgegen dem Willen ihrer Bewohner verfassungsrechtlich nicht zulässig wäre, ist korrekt. Auch dass der historische Verfassungsgeber diesen Umstand eventuell übersah und deshalb versäumte eine Regelung zu treffen, mag durchaus zutreffen.828 Die korrekte Antwort auf diesen Umstand seitens des Bundesverfassungsgerichts wäre gewesen, dies festzustellen und entsprechend zu entscheiden. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hätte die Möglichkeit gehabt Art. 11 Abs. 2 GG eine Schranke zu Gunsten des Tageabbaus hinzuzufügen. Angesichts der Erwägung, dass der räumliche Verlust der Heimat für die Betroffenen vergleichbar schwer wiegen kann, wie viele der übrigen in Art. 11 Abs. 2 GG geregelten Schranken, würde im Erfordernis einer Regelung für Zwangsumsiedlungen auf Verfassungsebene kein Wertungswiderspruch liegen. Im Gegenteil, es erscheint geradezu folgerichtig.829 2. Katastrophenschutzrechte Nach einer in der Literatur vertretenen Ansicht ergibt sich eine Katastrophenschutzpflicht aus Art. 11 Abs. 2 GG, weil dieser eine Schranke für den Fall von Naturkatastrophen oder besonders schweren Unfällen enthalte.830 Dies entspricht dem oben erörterten Schluss von der Grundrechtsschranke auf einen korrespondierenden Schutzauftrag.831 Vorzugswürdig erscheint es, die Handlungspflicht nicht aus der Grundrechtsschranke, sondern aus den Grundrechten selbst – und zwar ihrer Schutzpflichtenfunktion – herzuleiten. Die grundrechtlichen Schutzpflichten enthalten das Ziel, wohingegen die Grundrechtsschranken den Weg dorthin vorzeichnen. Oder anders gesprochen, die grundrechtlichen Schutzpflichten werden durch die vorgegebenen Grundrechtsschranken kanalisiert. Die Grundrechtsschranken enthalten hingegen selbst keinen eigenständigen Regelungsauftrag. In diesem Sinne leitet beispielsweise Seewald aus der Grundrechtsschranke des Art. 11 Abs. 2 GG i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG einen Anspruch des 827

Baer, NVwZ 1997, 27 (27). So Gnatzy, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 11, Rn. 19, der argumentiert, dass die Bodennutzung deshalb nicht vom Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG umfasst sein könne, weil Art. 11 Abs. 2 GG keine korrespondierende Schranke vorsehe. 829 Im Ergebnis auch Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 134. 830 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 134. 831 Siehe 1. Kapitel E. – „Herleitung aus den Grundrechtsschranken und dem Sozialstaatsprinzip“. 828

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Bürgers auf Evakuierungsmaßnahmen im Falle einer hinreichend schweren Seuchengefahr her.832 In einem solchen Fall werde das Entschließungsermessen des Staates auf Null reduziert, weshalb die durch den qualifizierten Gesetzesvorbehalt gegebene Schranke ausgefüllt werden muss. Weitere Beispiele sind biologische Gefahrenlagen wie Influenza-Pandemie, SARS, Vogelgrippe, Freisetzung biologischer Agenzien mit terroristischem Hintergrund, Hochwasser, Gefährdung kritischer Infrastrukturen (etwa großflächiger Ausfall der Stromversorgung), die schwere Havarie in einer kerntechnischen Anlage oder der schwere Chemieunfall.833 Weitere verfassungsunmittelbare Vorschriften, die der Kanalisierung der staatlichen Schutzpflicht dienen, finden sich außerhalb des Grundrechtskatalogs in Art. 35 i.V. m. Art. 87a Abs. 2 GG, wo Rechte und Pflichten des Bundes und der Länder beim Katastrophenschutz aufgeführt sind.834 3. Zwischenergebnis Das Grundrecht auf Freizügigkeit umfasst das Recht, an einem Ort bleiben zu dürfen, an dem man seinen Wohnsitz einmal genommen hat. Daraus ergibt sich eine wehrfähige Grundrechtsposition gegen die Zerstörung der natürlichen Umgebung des Wohnsitzes. Dieses Recht geht nicht so weit, dass damit dem Einzelnen ein Anspruch darauf erwachse, dass die Umwelt in seiner Nachbarschaft so bleibt wie sie ist. Eine Umweltzerstörung jedoch, die so weitgehend ist, dass das Weiterwohnen am Ort unmöglich gemacht oder erheblich erschwert wird, ist nach Maßgabe des Art. 11 Abs. 2 GG rechtfertigungsbedürftig. Die Umsiedelung für Zwecke des Tagebaus kann deshalb, entgegen der noch herrschenden Meinung, nur mit Zustimmung der Betroffenen erfolgen. Im Falle einer weitgehenden Umweltzerstörung durch eine Naturkatastrophe darf der betroffene Landstrich nicht einfach aufgegeben werden. Allerdings enthält Art. 11 Abs. 2 GG für Umsiedelungen aufgrund von Naturkatastrophen einen ausdrücklichen Schrankenvorbehalt. Es bleibt in diesen Fällen beim Prüfungsmaßstab des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit.

X. Art. 12 I GG: Erhalt der Umweltnutzungsfreiheit Bezüglich Beruf und Berufsausübung ist eine staatliche Schutzpflicht bereits seit längerem anerkannt.835 Beruf ist die auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der 832

Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 160 f. Aufzählung nach Meyer-Teschendorf, in: FS für Scholz, S. 810. 834 Stober/Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 (124). 835 BVerfG, Beschluss vom 25.01.2011 – 1 BvR 1741/09 – NJW 2011, 1427 (1428) [Arbeitsgeberwechsel]; BVerfG, Urteil vom 10.01.1995 – 1 BvF 1/90, 1BvR 342, 348/ 90 – BVerfGE 92, 26 (46) [Deutsche Seeleute]; BVerfG, Beschluss vom 21.04.1994 – 1 BvR 14/93 – DtZ 1994, 313 (314) [Einigungsvertrag]; BVerfG, Beschluss vom 07.02. 1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 (255) [Handelsvertreter]; Breuer, in: HStR 833

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient.836 Der Gesetzgeber darf sich nicht darauf beschränken, die Freiheit beruflicher Tätigkeit zu garantieren, sondern muss insbesondere in Mehrpersonenverhältnissen der schwächeren Partei beistehen und Regelungen zu ihrem Schutz erlassen.837 1. Bestandsgarantie Weder enthält Art. 12 Abs. 1 GG einen Anspruch auf Schaffung und Beschaffung eines Arbeitsplatzes noch eine Bestandsgarantie für einen aktuell bestehenden Arbeitsplatz.838 Dennoch ist Art. 12 Abs. 1 GG gegenüber der Sicherung bestehender Arbeitsplätze nicht gänzlich neutral, sondern fordert insbesondere vom Gesetzgeber, die Interessen am Bestand von Arbeitsplätzen in seine Abwägung mit einzubeziehen.839 Dieser Grundsatz ist bisher vor allem in seinen Auswirkungen auf das Arbeitsrecht diskutiert worden.840 Wenn das Bundesverfassungsgericht davon ausgeht, dass sich aus der mit Art. 12 Abs. 1 GG korrespondierenden Schutzpflicht ein Mindestmaß an Kündigungsschutz ergibt,841 muss auch die Zerstörung der natürlichen Grundlagen eines Berufes zu einem Mindestmaß an Schutz führen. Zwar schützt die Berufsfreiheit den Bestand eines Berufes nicht absolut.842 Eine Zerstörung der natürlichen Grundlagen eines Berufes ist vor dem Hintergrund des Art. 12 Abs. 1 GG zumindest rechtfertigungsbedürftig – unabhängig davon, ob diese vom Staat selbst ausgeht oder von diesem nur geduldet wird. So könnte sich für Berufe der Urproduktion wie Fischer, Bauer, Förster, Jäger oder Winzer ein Anspruch auf Erhaltung der Umweltgüter, aus denen sie schöpfen, ergeben.843 Aus Sicht desjenigen, der einen Beruf ausübt, macht es VIII, § 170 Rn. 98; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 12, Rn. 4; Mann, in: Sachs GG, Art. 12, Rn. 21; Nolte, in: Stern/Becker GG, Art. 12, Rn. 9; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, vor Rn. 1; Schneider, in: HGR V, § 113 Rn. 115; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 12, Rn. 5; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 12. 836 Mann, in: Sachs GG, Art. 12, Rn. 45; Nolte, in: Stern/Becker GG, Art. 12, Rn. 12; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, Rn. 42. 837 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 12, Rn. 20; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 112. 838 BVerfG, Beschluss vom 21.02.1995 – 1 BvR 1397/93 – BVerfGE 92, 140 (150) [Sonderkündigung]; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 12, Rn. 57; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 23. 839 Breuer, in: HStR VIII, § 170 Rn. 98; Maurer, in: HStR IV, § 79 Rn. 60 ff.; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, Rn. 19. 840 Mann, in: Sachs GG, Art. 12, Rn. 44; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, Rn. 19. 841 BVerfG, Beschluss vom 21.04.1994 – 1 BvR 14/93 – DtZ 1994, 313 (142) [Einigungsvertrag]. 842 So gesteht das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber einen breiten Gestaltungsspielraum zu, wie er mit Veränderungen am Arbeitsmarkt umgehen möchte BVerfG, Urteil vom 10.01.1995 – 1 BvF 1/90, 1BvR 342, 348/90 – BVerfGE 92, 26 (46) [Deutsche Seeleute]. 843 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 132.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

keinen wesentlichen Unterschied, ob er seinen Beruf aus ökonomischen Gründen nicht mehr ausüben kann, weil sich die wirtschaftlichen Grundlagen verändert haben, oder aus ökologischen Gründen, weil die natürlichen Grundlagen seiner Berufsausübung weggefallen sind. Obwohl sich die grundrechtliche Schutzpflicht nicht zu einer Bestandsgarantie gegenüber einem bestimmten Beruf verdichtet, kann sie dennoch einen Abwägungsbelang bei der Entscheidung über Schutzmaßnahmen darstellen und als Rechtfertigungselement bei Eingriffen in Grundrechte der Umweltstörer dienen.844 2. Zugang zu natürlichen Ressourcen Die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 i.V. m. Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt eine Schutzpflicht bei der Verteilung öffentlicher Güter.845 Gemeinhin anerkannt ist dies bei der Verteilung von knapp bemessenen Teilnahmekapazitäten, etwa Ausbildungs- und Studienplätzen, Volksfesten und Märkten, öffentlichen Aufträgen und Konzessionen.846 Genauso wirkt sich die Berufsfreiheit bei der Verteilung natürlicher Ressourcen aus.847 Sie garantiert hier ein Mindestmaß an Verteilungsgerechtigkeit hinsichtlich begrenzter Kapazitäten.848 Dieses Prinzip gilt nicht uneingeschränkt, sondern ist mit dem Prinzip der Privatnützigkeit des Eigentums sowie Effizienzgesichtspunkten in Ausgleich zu bringen, die optimale Nutzung des knappen Gutes zu ermöglichen, weshalb die Auswahlkriterien von Fall zu Fall unterschiedlich sind und nur im Wege einer Gesamtabwägung ermittelt werden können.849 Geraten natürliche Ressourcen unter die einheitliche Verwaltung eines wirtschaftlichen Monopols, kann sich aus der Berufsfreiheit ein Anspruch auf Zerschlagung desselben ergeben.850 Die Zulassung eines Monopols wirkt sich als objektive Berufswahlregelung aus und ist deshalb nur zum Schutz überragender Allgemeinwohlgüter zulässig.851 844 Häufiger stellt die Berufsfreiheit für die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten freilich einen entgegenstehenden verfassungsrechtlichen Belang dar; hierzu Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 132. Wegen der Drei-Stufen-Theorie sind regelmäßig hohe Hürden an das Totalverbot einer umweltschädlichen Berufsausübung gesetzt. Vorrangig muss der Gesetzgeber versuchen den gebotenen Schutzstandard durch Berufsausübungsregelungen oder subjektive Zulassungsschranken zu erreichen; vgl. BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377 (408) [Apotheken]. 845 Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, Rn. 25 ff.; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 118. 846 Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 12, Rn. 70; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 115. 847 Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 116. 848 Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 117. 849 Brenner, in: HGR V, § 115 Rn. 21; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 118. 850 Allgemein Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 12, Rn. 420. 851 Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 348; Nolte, in: Stern/Becker GG, Art. 12, Rn. 88; Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 14.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Wenn der Zugang zu einer Ressource verteilt ist, endet damit die staatliche Schutzpflicht nicht. Heilwässer oder Mineralwässer sind beispielsweise extrem anfällig für auch nur geringe Verunreinigungen. Eine Veränderung der Zusammensetzung, kann die Quellen für ihren ursprünglichen Zweck vollständig unbrauchbar machen.852 Eine Gefahr besteht hier insbesondere durch die Landwirtschaft und aus dem Boden ausgespülte Rückstände von Düngern und Pflanzenschutzmitteln.853 Wie auch für Netze und Infrastruktur, kommt dem Staat eine sogenannte „Gewährleistungsverantwortung“ in diesen Bereichen zu.854 Nach der Freiraumtheorie ist eine künstliche Verknappung von Umweltgütern dahingehend vorzunehmen, dass diese nur in einem Maße genutzt werden dürfen, das ihrer natürlichen Regenerationsfähigkeit entspricht.855 Die Verteilung von knappen Gütern kann von einer Gebühr abhängig gemacht werden, sofern diese nicht so bemessen ist, dass Marktteilnehmer in unverhältnismäßiger Art und Weise vom Zugang zu dem betreffenden Gut ausgeschlossen sind.856 3. Zwischenergebnis Zwar vermittelt die grundrechtlich geschützte Berufsfreiheit kein Recht auf Erhaltung eines bestimmten Arbeitsplatzes. Die Erschwerung oder Unmöglichmachung des Zugangs zu einem Beruf durch Umweltzerstörungen ist jedoch wegen Art. 12 GG rechtfertigungsbedürftig.

XI. Art. 13 I GG: Umweltschutz und Wohnen Im Grundsatz anerkannt ist, dass sich auch aus Art. 13 Abs. 1 GG grundrechtliche Schutzpflichten herleiten lassen.857 Das Recht auf Wohnung beinhaltet nicht nur das Recht, vom Staat in seiner Wohnung nicht behelligt zu werden.858 Es dient auch als Raum der individuellen Persönlichkeitsgestaltung, als „Freistätte“ und beinhaltet deshalb auch einen Schutz vor Dritteingriffen.859 852

Salzwedel, in: HStR IV, § 97 Rn. 65. Roth-Stielow, Umweltbelastung, Grundrechtsschutz und Allgemeinwohl, S. 36 f. 854 Schmidt, in: HStR IV, § 92 Rn. 15. 855 Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 116 Fn. 658. 856 Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 121. 857 Papier, in: Maunz/Dürig GG, Art. 13, Rn. 8; Stern, in: Stern/Becker GG, Art. 13, Rn. 44; Ziekow/Guckelberger, in: BKGG, Art. 13, Rn. 34; oder auch „Wertentscheidung“, siehe Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 39. Demgegenüber leitet Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 151 die Schutzpflicht aus dem Wortlaut der Vorschrift ab; „unverletzlich“ impliziere auch den Schutz vor Eingriffen Privater. So auch Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 56. 858 Kühne, in: Sachs GG, Art. 13, Rn. 12; Ziekow/Guckelberger, in: BKGG, Art. 13, Rn. 32; über das bloße Recht „in Ruhe gelassen zu werden“ nicht hinausgehend hingegen Kluckert/Fink, in: BeckOK GG, Art. 13, Rn. 1. 859 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 13, Rn. 5; Kühne, in: Sachs GG, Art. 13, Rn. 11; Stern, in: Stern/Becker GG, Art. 13, Rn. 24; anders Kluckert/Fink, in: 853

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Für den Bereich des Umweltschutzes ist vorgeschlagen worden, das Recht der Unverletzlichkeit der Wohnung gegen Strahlenbelastung in Stellung zu bringen.860 In der Konsequenz solle die Funkleistung von Sendemasten auf ein Maß begrenzt werden, dass diese nicht mehr durch Wohnungen „hindurchstrahlen“.861 Sollte eine Schädlichkeit von Mobilfunkstrahlen tatsächlich bewiesen werden, wäre die dauerhafte Exposition jedes Einzelnen nur zulässig, wenn seinerseits Belange von Verfassungsrang unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit damit verfolgt würden. Als Rechtfertigungsgrund käme Art. 87 Abs. 1 GG in Betracht, wonach der Bund eine flächendeckende Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen zu gewähren hat. Es erscheint Art. 13 Abs. 1 GG jedoch nicht als das zuvorderst einschlägige Grundrecht, sondern vielmehr das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, dessen Schutzbereich hier der speziellere ist.862 Das Bundesverfassungsgericht lehnte eine Ausweitung des Schutzbereichs des Art. 13 Abs. 1 GG auf die Abwehr von Umwelteinwirkungen auf die Wohnung deshalb ab, weil die Eingriffsermächtigungen des Art. 13 GG ersichtlich davon ausgingen, dass der Schutz vor Umweltgefahren nicht vom Gewährleistungsgehalt des Grundrechts umfasst ist.863 Die Unverletzlichkeit der Wohnung kann jedoch zur Verstärkung des Schutzbereichs herangezogen werden. Demnach wären die verfassungsrechtlich zumutbaren Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Umweltverschmutzungen (Luft, Strahlung, Licht, Geruch etc.) im Wohnraum strenger zu bewerten als außerhalb. Bei der Wohnung handelt es sich, wie auch beim Arbeitsplatz um Orte,864 an BeckOK GG, Art. 13, Rn. 11a, der den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG einzig auf das Verbot des Eindringens des Staates in den Wohnraum beschränkt wissen möchte und eine Ausweitung auf Nutzungs- und Verfügungsbeschränkungen grundsätzlich ablehnt. 860 Budzinski, NVwZ 2009, 160 (160); Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 97. 861 Budzinski/Kühling, NVwZ 2015, 1410 (1415). 862 Das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung wird in seinem Kernbestand vielmehr als eine Spezialisierung des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts gesehen, Lorenz, in: BonnK GG, Art. 2, Rn. 276; Ziekow/Guckelberger, in: BKGG, Art. 13, Rn. 35. 863 BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (80) [Schallschutzmaßnahmen]. 864 Der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG kommt der Gesetzgeber insbesondere durch die Schaffung von Arbeitsschutzvorschriften nach, in denen auf die besonderen Gesundheitsgefahren eingegangen wird, den jemand aufgrund seines Arbeitsverhältnisses ausgesetzt ist, vgl. § 4 Nr. 1 ArbSchG. Im Bundesimmissionschutzgesetz sind die Belange des Arbeitsschutzes nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 BImSchG explizit Teil der Genehmigungsvoraussetzungen für eine Anlage. In den unionsrechtlichen Grundrechtsbestimmungen ist das Grundrecht auf Arbeitsschutz wegen seiner hohen Bedeutung gar verselbstständigt worden, vgl. Art. 31 EU-GRC. Da es sich in erster Linie an die EU und ihre Mitgliedstaaten wendet, die entsprechenden legislativen Voraussetzungen zu schaffen und diese um- und durchzusetzen, handelt es sich grundrechtsdogmatisch um eine ausdrücklich statuierte grundrechtliche Schutz-

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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denen sich der Grundrechtsträger naturgemäß wiederkehrend und langfristig aufhält.865 Wird der Grundrechtsträger an diesen Orten in einem seiner anderen Grundrechte wie Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG betroffen, stellt sich die Einwirkung als schwerwiegender dar, weil er ihr nicht ausweichen kann. Durch die Intensivierung der Auswirkungen menschlicher Aktivitäten auf ihre Umwelt sieht sich das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einer verstärkten Gefährdung durch Private ausgesetzt,866 weshalb die Bedeutung der Verstärkungskraft des Wohnungsgrundrechts auf die anderen grundrechtlichen Gewährleistungsgehalte, insbesondere Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG tendenziell zunehmen wird.

XII. Art. 14 I GG: Umweltschutz als Eigentumsschutz Häufig wird der Umweltschutz nur aus der Perspektive der Verkürzung einer Eigentumsposition betrachtet.867 Der Umweltschutz kommt als Rechtfertigung für eine Inhalts- und Schrankenbestimmung oder eine Enteignung ins Spiel. Durch die vom Staat garantierte Privatnützigkeit des Eigentums, ist auch die Möglichkeit geschaffen, das Eigentum zum Schaden Dritter und der Allgemeinheit zu nutzen.868 Wo das öffentliche Interesse dem privaten Interesse widerstrebt, kommt es vor, dass sich das des Nachbarn mit dem öffentlichen Interesse verbündet.869 Aus dem Eigentumsschutz können sich deshalb auch umgekehrt

pflicht, Lörcher, in: HK-ArbSchR, EU-GRC Art. 31, Rn. 43. Schutzgegenstand ist die gesamte „Arbeitsumwelt“, vgl. ebenda Rn. 50. 865 Umgekehrt ergibt sich aus der Abwehrfunktion der Grundrechte, dass Lärm der innerhalb einer Wohnung erzeugt wird, als Teil der Nutzungsfreiheit einen höheren Schutz genießt als Lärm der außerhalb einer Wohnung erzeugt wird, was sich in der Regelung des § 47a BImSchG widerspiegelt. 866 Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 13, Rn. 4. 867 Becker, in: Stern/Becker GG, Art. 14, Rn. 215; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 14, Rn. 65; Wendt, in: Sachs GG, Art. 14, Rn. 130. 868 So Hof, in: Brendt/Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 31; Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 62 jeweils m.w. N. Daran könnte aufgrund des Art. 14 Abs. 2 GG gezweifelt werden, wonach die Nutzung des Eigentums zugleich der Allgemeinheit dienen soll. Dieser Satz kann so verstanden werden, dass daneben eine Schädigung der Allgemeinheit zulässig sein soll, in dem Sinne, dass das Eigentum, neben Schaden für die Allgemeinheit, auch Nutzen bringen soll. Es könnte aber auch im Rahmen eines erstRecht-Schlusses angenommen werden, dass wenn das Eigentum der Allgemeinheit nutzen soll, es dieser erst Recht nicht schaden dürfe. Die Unterscheidung zwischen beiden Interpretationsmöglichkeiten fällt jedoch in den Bereich der Grundpflichten des Eigentümers und nicht in den der Schutzpflichten des Staates. Die herrschende Meinung folgt, in Übereinstimmung mit dem BVerfG, wohl einer vermittelnden Ansicht, wonach die Privatnützigkeit des Eigentums nicht jede Nutzung umfasse, sondern nur die, die ihm nach Abwägung mit den Gemeinwohlbelangen verbleibe, vgl. Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 71. 869 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 5.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Umweltschutzrechte und -pflichten ergeben.870 Dadurch kann, insbesondere im Immissionsschutzrecht, eine komplexe Gemengelage von wechselseitig aufeinander bezogenen Abwehrrechten und Schutzpflichten entstehen. Für den Staat folgt aus der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG eine Pflicht, die kollidierenden Interessen der Eigentümer miteinander zu koordinieren. 1. Immissionsschutz Der Immissionsschutz ist nicht nur eine Beschränkung der Nutzungsfreiheit des Anlageneigentümers, sondern auch Ausfluss der für das Eigentum bestehenden Schutzpflicht der jeweils Drittbetroffenen. Relativ unkompliziert ist dies beispielsweise bei Geruchsimmissionen, die von einem Nachbargrundstück ausgehen. Aufgrund des beschränkten Umkreises der Wirkung solcher Immissionen sind Störer und Geschädigte sowie deren Anteile ermittelbar, weshalb eine Koordinierung der Schutzmaßnahmen gemäß der jeweiligen Betroffenheit und der Verursacheranteile möglich ist. Anders stellt sich die Lage bei Distanz- und Summationsschäden dar. Diese stellen das Recht vor besondere Herausforderungen, da die klassischen Kausalitätstheorien versagen. Hierzu ist auf die für alle Grundrechte geltenden Grundsätze zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit zu verweisen.871 In Konsequenz der faktischen Unnachweisbarkeit von kausaler Schadensverursachung hat der Gesetzgeber Beweislasterleichterungen im Bereich des Umwelthaftungsrechts eingeführt, um auszuschließen, dass verbleibende Unsicherheiten im Umweltrecht nicht grundsätzlich vom Geschädigten zu tragen sind.872 Vielfach wird angenommen, dass sich derartige Summations- und Distanzschäden nur durch Fondslösungen befriedigend ausgleichen lassen werden.873

870 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung]; VGH Kassel, Beschluss vom 14.07.1988 – 11 TG 1736/85 – NJW 1989, 470 (475); Axer, in: BeckOK GG, Art. 14, Rn. 22; Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 131; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300 ff.; Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 314 ff.; Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 5; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 72; Mayer-Tasch, Ökologie und Grundgesetz, S. 10; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (8); Sellmann, in: Brendt/Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 46; Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 154; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 336 f.; kritisch: Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 143. 871 2. Kapitel E. III. – „Auslösung unter Unsicherheit“. 872 3. Kapitel B. II. 2. – „Ausgestaltung des Zivilrechts“. 873 Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 1504.

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2. Substanzschutz Durch schädliche Umwelteinwirkungen können Tiere, Pflanzen, Flächen, Gebäude oder Produktionsmittel in ihrer Substanz geschädigt werden.874 Unter Substanzschutz wird der Schutz des Gegenstandes des Eigentumsrechts, also das Grundstück, die Sache, das vermögenswerte Recht, verstanden.875 Gerade das Eigentum an Grund und Boden ist durch seine Einbettung in die Umwelt geprägt.876 Umweltschutz kann daher direkt dem Eigentum zu Gute kommen, wenn er dem Erhalt seiner Substanz dient.877 Hier kann das oben beschriebene Paradox des Grundrechtsschutzes gegen sich selbst878 zum Tragen kommen, dass eine Maßnahme sowohl dem Eigentümer nützlich ist, ihn aber auch in der gleichen Rechtsposition belastet. Das Eigentum ist „potentielles Opfer von Umweltgefahren wie auch potentielle Ursache“.879 Das ist beispielsweise der Fall, wenn in einem Industriegebiet die zulässigen Emissionen durch einen Höchstwert begrenzt werden.880 Zwar wird der Emittent durch eine solche Regelung belastet, da sie seine Freiheit, Emissionen zu erzeugen, beschränkt wird, zeitgleich wird er aber als Teil der Nachbarschaft begünstigt, die von der Reduzierung schädlicher Umwelteinwirkungen profitiert. Ähnlich verhält es sich mit landwirtschaftlichen Grundstücken. Diese werden beispielsweise durch zu hohe Nitratausbringungen belastet. Zweck der Nitratausbringung ist zum einen die kurzfristige Ertragssteigerung durch Anreicherung von Stickstoff im Boden, also eine Substanzverbesserung des Eigentums. Jedoch wird, vor allem durch die massenhafte Viehhaltung anfallenden Düngers, insgesamt mehr ausgebracht als für den Naturhaushalt im gesamten zuträglich ist. Mittelfristig schlägt diese Art der Bewirtschaftung auf den Ertrag, da die Bodenqualität schrittweise verschlechtert wird.881 Eine Regulierung dieser Bewirtschaf874 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 131; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 300 f.; Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 8. 875 BVerfG, Beschluss vom 12.03.1986 – 1 BvL 81/79 – NJW 1986, 2188 (2189); Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 723. 876 BVerwG, Urteil vom 24.06.1993 – 7 C 26.92 – BVerwGE 94, 1 (4); Becker, in: Stern/Becker GG, Art. 14, Rn. 191; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 157; Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 890; Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 8; es steht daher in einem stärkeren „sozialen Bezug“ weshalb dem Gesetzgeber ein größerer Gestaltungsspielraum zukommt, vgl. Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 96. 877 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 319. 878 2. Kapitel B. II. 4. – „Schutz gegen sich selbst“. 879 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 301. 880 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 981; Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 154. 881 Zu den negativen Auswirkungen von Nitratbelastung siehe Hampicke, Kulturlandschaft – Äcker, Wiesen, Wälder und ihre Produkte, S. 116 ff.; Jäggi, Ernährung, Nahrungsmittelmärkte und Landwirtschaft, S. 58; Möckel, Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft, S. 32.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

tungsweise schränkt den Landwirt zwar in seiner Nutzungsfreiheit ein, dient aber insgesamt dem Substanzschutz aller landwirtschaftlichen Grundstücke und damit dem Eigentumsschutz. Die angeführten Fälle haben gemeinsam, dass ihnen ein Marktversagen zu Grunde liegt.882 Gemeinnütziges Verhalten wird zwar nach Art. 14 Abs. 2 GG vom Eigentümer gefordert, aber vom Markt nur beschränkt honoriert.883 Kann ein Marktteilnehmer durch gemeinschädliche Verhaltensweisen günstiger produzieren, baut er damit Druck auf die Mitbewerber auf, es ihm, um konkurrenzfähig zu bleiben, gleich zu tun, auch wenn diese Wirtschaftsweise langfristig für alle Markteilnehmer schädlich ist. Die grundrechtliche Schutzpflicht zugunsten des Eigentümers sowie die Sozialbindung des Eigentums verstärken sich in diesem Fall gegenseitig und erhöhen damit das Gewicht des den Eingriff in das Eigentum rechtfertigenden Grundes.884 Dadurch wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, die die Interessen des Eigentümers an seiner Nutzungsfreiheit misst, die auch das Recht einschließt, das eigene Eigentum zu schädigen oder zu zerstören, freilich nicht entbehrlich.885 Vor- und Nachteile der gleichzeitig eigentumsdienlichen wie eigentumsbeschränkenden Maßnahmen sind rechtsfolgenseitig nach den Regeln der praktischen Konkordanz gegeneinander abzuwägen. Ein weiteres, weit in die Geschichte des Umweltrechts zurückreichendes Beispiel einer Umweltschutzpflicht, die heute sowohl aus Art. 20a GG als auch aus der Eigentumsgarantie folgt, ist das Jagdrecht.886 Als nach der deutschen bürgerlichen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts die adeligen Jagdprivilegien abgeschafft und das Jagdrecht für alle Grundstückseigentümer freigegeben wurde, wurden viele Wildarten innerhalb weniger Wochen an den Rand der Ausrottung gebracht.887 Rehe überlebten nur vereinzelt im tiefsten Wald, Rotwild in den verbliebenen Adels- und Staatsforsten, in denen weiterhin koordiniert gejagt wurde.888 In der Folge wurde schnell klar, dass ohne eine Regulierung der Jagd diese sich selbst den Boden entziehen würde. Das moderne Jagdrecht ist zum einen Ausdruck der Nutzungsfreiheit des Eigentums, zum anderen dient es der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht, die darauf gerichtet ist, die Eigentumssubstanz durch die Vermeidung von Wildschäden zu wahren und eine langfristige

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Zur Theorie des Marktversagens siehe die Nachweise in Fn. 1601. Hierzu ausführlich 3. Kapitel B. III. 1. e) – „Die Dialektik vorsorgenden Umweltschutzes“. 884 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 883. 885 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 1035; Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 4. 886 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 19; Munte, NuR 2009, 536 (539). 887 Schraml, Die Normen der Jäger, S. 28 f.; Weinrich, NuR 2019, 314 (314). 888 Koch, Jagd in Vergangenheit und Gegenwart, S. 17. 883

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Nutzung zu ermöglichen.889 Es wird in dieser Konstellation das Eigentum geschützt und zugleich beschränkt. Beschränkt wird es dadurch, dass die Eigentümer kleiner Grundstücke zwangsweise zur Bildung von Jagdgenossenschaften zusammengeschlossen werden (§ 8 Abs. 1 BJagdG). Dieser steht das Jagdrecht gemeinschaftlich zu, dessen Ausübung sie einem Jäger übertragen muss (§ 10 Abs. 1, 2 BJagdG).890 Der Vorteil dieser Konstruktion für die Eigentümer ist, dass nun eine koordinierte Jagd stattfindet, die nicht nur Wildschäden effektiv abwehren kann, sondern auch zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung motiviert und somit gleichbleibend hohe Erträge aus der Jagd gewonnen werden können. Eine völlig freie und unkoordinierte Wildbewirtschaftung verbietet sich daher nicht nur nach Maßgabe des Art. 20a GG, sondern auch aufgrund der mit der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG verbundenen Schutzpflicht.891 3. Vermögensschutz und Erheblichkeitsschwelle Nicht hingegen ist das bloße Vermögen vom Eigentumsschutz umfasst.892 Bei der Beschädigung von Nachbargrundstücken durch Emissionen nahm das OVG Lüneburg ein Umschlagen in die Eigentumsschädigung erst an, „wenn Produkte durch die Emissionen der Anlage in ihrem Gebrauchswert gemindert oder völlig unbrauchbar werden“.893 Teilweise ist auch angenommen worden, die Schutzpflicht zu Gunsten des Eigentums umfasse nur die grundsätzliche Verfügungsbefugnis über das Objekt sowie die Substanz des Eigentums.894 Innerhalb dieser „Eigentumshülse“ 895 bestimme der Gesetzgeber Inhalt- und Schranken des Eigentums, weshalb eine Schutzpflicht auf diese äußere Hülse beschränkt bleiben müsse. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht die Frage nicht abschließend entscheiden musste, deutete es in einem obiter dictum an, es neige der Auffassung zu, dass bei Waldschäden aufgrund der äußerst langsamen Schadensent-

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Munte, NuR 2009, 536 (541); Weinrich/Jäger, NVwZ 2018, 1616 (1618). Zur verfassungsrechtlichen Zulässigkeit siehe Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 1040. 891 Hierzu ausführlich Weinrich/Jäger, NVwZ 2018, 1616 (1617). 892 Siehe hierzu instruktiv den Fall VG Braunschweig, Urteil vom 23.04.2009 – 2 A 93/08 – BeckRS 2009, 33671: „Soweit die Kläger wegen der Nähe zur Freisetzungsfläche einen die Verpachtung landwirtschaftlicher Flächen oder die Vermarktung landwirtschaftlicher Erzeugnisse nachteilig beeinträchtigenden Imageschaden befürchten, steht ein daraus ggf. resultierender bloßer Vermögensschaden der Erteilung der Freisetzungsgenehmigung nicht entgegen“. Umgekehrt ist es auch keine Voraussetzung für eine Eigentumsschädigung, dass ein Vermögensschaden eintritt, Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 119. 893 OVG Lüneburg, Beschluss vom 22.02.1979 – VII B 85/77 – DVBl. 1979, 693 (694). 894 Offengelassen in BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung]. 895 Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (8). 890

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

wicklung genug Raum für Anpassung an die neuen Gegebenheiten bestehen würde, weshalb die Schwelle zur Grundrechtsverletzung noch nicht überschritten sei.896 Diese Entscheidung steht in der Tradition des Nassauskiesungsbeschlusses, wonach der Eigentümer einer für ihn nachteiligen Entwicklung nicht tatenlos zusehen darf, um dann vom Staat Kompensation für erlittene Schäden zu verlangen.897 So gilt auch für das Umweltrecht, dass ein „Dulden und Liquidieren“ für den Eigentümer keine Option ist. Vielmehr muss auch der Waldeigentümer das Mögliche und Notwendige tun, um künftige Umweltschäden von seinem Bestand abzuwenden. 4. Sozialpflichtigkeit des Eigentums Durch die Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG ergibt sich eine Schutzpflicht und ein Regelungsauftrag an den Gesetzgeber, diese Grundpflicht im Rahmen des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG auszugestalten.898 Ob darüber hinaus Grundpflichten für den privaten Eigentümer unmittelbar aus Art. 14 Abs. 2 GG abgeleitet werden können oder diese immer der Mediatisierung durch Gesetz bedarf, ist Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse.899 Gegen die Interpretation als reinen Auftrag an den Gesetzgeber spricht, dass dieser ohnehin an Gemeinwohlbelange gebunden ist. Die Betonung in Art. 14 Abs. 2 GG wäre demnach redundant und rein deklaratorischer Natur.900 Gemäß ihres Wortlautes adressiert die Sozialpflichtigkeitsklausel aber gerade nicht den Gesetzgeber, sondern den Eigentümer. Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG spricht vom Gebrauch des Eigentums, der zugleich der Allgemeinheit dienen soll und nicht von den Inhalts- und Schrankenbestimmungen, die der Allgemeinheit dienen sollen.901 Gebraucht wird das Eigentum vom Eigentümer und nicht vom Gesetzgeber, weshalb primär der Eigentümer durch die Sozialpflichtigkeitsklausel adressiert wird. Die Sozialpflichtigkeit kann daher auch bei der Interpretation des einfachen Rechts sowie bei Ermessens- und Planungsentscheidungen herangezogen werden.902 Ob und inwieweit sich darüber hinaus aus dem Grundgesetz unmittelbare 896 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung]. 897 BVerfG, Beschluss vom 15.07.1981 – 1 BvL 77/78 – BVerfGE 58, 300 (351) [Nassauskiesung]. 898 Axer, in: BeckOK GG, Art. 14, Rn. 25. 899 Für eine eigenständige Bedeutung der Sozialpflichtigkeit Hofmann, in: HStR IX, § 195 Rn. 19; Randelzhofer, in: HGR II, § 37 Rn. 33; Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 169. Gegen unmittelbare Grundpflichten aus Art. 14 Abs. 2 GG wenden sich Axer, in: BeckOK GG, Art. 14, Rn. 25; Leisner, in: HStR VIII, § 173 Rn. 147. 900 Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 168. 901 A. A. Leisner, in: HStR VIII, § 173 Rn. 144, der davon ausgeht, dass Art. 14 Abs. 2 S. 2 GG nur eine Konkretisierung des Schrankenvorbehalts nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG ist. 902 Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 169.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Umweltgrundpflichten Privater herleiten lassen, ist eine gleichsam schwierige wie komplexe Fragestellung, die anderen Untersuchungen vorbehalten bleiben muss.903 Diese Grundpflichten des Eigentümers spielen für die Schutzpflichten des Staates nur auf Ebene der Rechtfertigung eine Rolle. Aber auch wenn Art. 14 Abs. 2 S. 1 GG mit dem Gebrauch des Eigentums in erster Linie den privaten Eigentümer anspricht, wird zumindest auf sekundärer Ebene auch der Staat als Schutzpatron des Gemeinwohls adressiert. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums wäre hingegen vollständig entwertet, wenn sie sich ausschließlich an den Eigentümer richten würde und es gleichzeitig an Durchsetzungsbefugnissen mangelt. In diesem Fall würde es sich lediglich um einen rein ethischen Appell an den Eigentümer handeln, wie zum Teil auch angenommen wird.904 Angesprochen wird jedoch auch der Gesetzgeber, der dem Gemeinwohlaspekt bei der Eigentumsnutzung, durch die Ausgestaltung der Inhalts- und Schrankenbestimmung zur Wirklichkeit verhelfen soll. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums kann zudem durch Belange des Umweltschutzes nach anderen Grundrechten aufgeladen und durch die Wechselwirkung mit Art. 20a GG verstärkt werden.905 Die Umwelt wird heute als öffentliches Gut wahrgenommen, das nicht mehr der Dispositionsfreiheit des privaten Eigentümers unterliegt.906 Durch die Konstruktion des Eigentumsgrundrecht als ausfüllungsbedürftiges Grundrecht ist die Freiheit des Eigentümers, anders als die anderer Grundrechte, keine natürliche, unbegrenzte Freiheit. Sie ist von Anfang an nur Freiheit in dem durch die einfachen Gesetze vorgegebenen Rahmen. Einfachgesetzliche Konkretisierung der Sozialbindung des Eigentums ist beispielsweise die Relativierung der Anlagegenehmigung nach § 17 BImSchG, der besagt, dass nachträgliche Anforderungen zum Schutz der Nachbarn oder der Allgemeinheit getroffen werden dürfen.907 Für Regelungen, die dem Schutz von Natur und Landschaft dienen, lehnt es das

903 Grundlegende Untersuchungen zum Thema mit rechtswissenschaftlichem (nicht politischem oder philosophischem) Anspruch, sind bisher spärlich gesät. Einen Versuch unternimmt Bruch der den Vorbehalt des Gesetzes durch eine einschränkende Interpretation grundrechtlicher Schutzbereiche zu erreichen sucht; hierzu ausführlich 2. Kapitel D. I. – „Umweltpflichtigkeit der Schutzbereiche“. Außerdem Pietrzak, Umweltrechtliche Grundpflichten, sowie Hofmann, in: HStR IX, § 195 Rn. 18 ff.; Randelzhofer, in: HGR II, § 37 Rn. 29 ff. 904 So Becker, in: Stern/Becker GG, Art. 14, Rn. 13, der dieses Ergebnis mit der mangelnden Bestimmbarkeit der Vorschrift begründet. Wäre dem so würde man wegen der Abstraktheit der Grundrechte auch an anderen Stellen zu diesem Schluss kommen müssen und wie in der Weimarer Zeit sie auf die Funktion unverbindlicher Programmsätze reduzieren. 905 Axer, in: BeckOK GG, Art. 14, Rn. 91. 906 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 13. 907 Maurer, in: HStR IV, § 79 Rn. 111; diesen Gedanken für das gesamte Umweltrecht verallgemeinernd Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 68.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

BVerwG mit Verweis auf die Sozialbindung des Eigentums in ständiger Rechtsprechung ab, Entschädigungen zuzusprechen.908 5. Eigentum als Instrument des Umweltschutzes Der Umweltschutz bildet nicht nur eine Grenze und über die Sozialbindung eine Verpflichtung des Eigentümers. Das Institut des Eigentums kann auch als Instrument des Umweltschutzes eingesetzt werden.909 Es ist denkbar bestimmte Güter, die bisher noch nicht eigentumsrechtlich zugewiesen wurden, der privaten Nutzung zuzuweisen, um erwünschte Verhaltensweisen zu erreichen.910 Geschehen ist dies beispielsweise auf europäischer Ebene durch den Emissionszertifikathandel.911 Dieser wird zum Teil als Einschränkung der Eigentumsfreiheit betrachtet.912 Tatsächlich wird durch das Erfordernis ein CO2-Zertifikat zu erwerben, nicht nur eine bestehende Eigentumsposition berührt, sondern auch eine neue Eigentumsposition geschaffen.913 Dadurch, dass ein Zertifikat handelbar ist und den individuellen Rechtskreis seines Inhabers erweitert („Verschmutzungsrecht“),914 stellt es eine eigenständige Eigentumsposition dar. Der Gesetzgeber kommt damit seinem aus der Institutsgarantie des Eigentums folgenden Gestaltungsauftrag nach, Güter als eigentumsfähig auszuweisen und der Monetisierung zugänglich zu machen.915 Auch Anreizsysteme in der Landwirtschaft können dazu beitragen, dass die Grundeigentümer wirtschaftlich dazu motiviert werden, ihr Eigentum umweltfreundlich zu nutzen. So werden beispielsweise Förderungen für das Anlegen von Blühstreifen entlang von Äckern vergeben, um die durch Monokulturen verursachten Biodiversitätseinbußen aufzufangen.916 908 BVerwG, Urteil vom 05.02.2009 – 7 CN 1/08 – NVwZ 2009, 719 (722); BVerwG, Beschluss vom 11.05.1993 – 7 NB 8/92 – NVwZ-RR 1994, 77 (78); BVerwG, Urteil vom 13.04.1983 – 4 C 76/80 – NVwZ 1985, 41 (41); so auch VGH München, Urteil vom 25.10.2000 – 19 B 98.2562 – NVwZ-RR 2001, 656 (659); siehe auch zum Schutz des Eigentums selbst BVerwG, Urteil vom 14.11.1975 – IV C 1/74 – NJW 1976, 764 (765): „Vor allem kommt aber hinzu, daß der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes mißverstanden würde, wenn der Natur- und Landschaftsschutz bei ihm einzig – in Gestalt einer Gegenposition – mit der Eigentumsgewährleistung in Verbindung gebracht würde. Im Natur- und Landschaftsschutz liegt zwar nach der einen Seite hin eine Eigentums- und damit Grundrechtsbeschränkung; er stellt sich jedoch zugleich nach der anderen Seite hin als mindestens eine Grundrechtsbestätigung zugunsten all derer dar, denen die Erhaltung der Natur zugutekommt.“ 909 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 18. 910 Depenheuer, in: HGR V, § 111 Rn. 49. 911 Küll, Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO -Zertifikaten, S. 39 ff. 2 912 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 278. 913 Becker, in: Stern/Becker GG, Art. 14, Rn. 80. 914 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 1033. 915 Sellmann, in: Brendt/Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 46. 916 Hampicke, Kulturlandschaft – Äcker, Wiesen, Wälder und ihre Produkte, S. 182.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Umweltschutz und Eigentum stehen nicht, wie zum Teil angenommen,917 in einem sich gegenseitig verdrängenden Konkurrenzverhältnis. Stattdessen können sich aus der grundrechtlichen Eigentumsgewährleistung unmittelbar selbst Umweltschutzpflichten ergeben. Das Eigentum kann darüber hinaus auch als Instrument des Umweltschutzes verstanden werden.

XIII. Art. 2 I GG: Allgemeines Umweltgrundrecht? Gewichtige Stimmen im Schrifttum stehen einer Ableitbarkeit von Umweltschutzgehalten aus Art. 2 Abs. 1 GG kritisch gegenüber.918 Dies gelte schon deshalb, weil mit Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 sowie Art. 20a GG der allgemeinen Handlungsfreiheit vorrangige Grundrechte einen umfassenden Schutz gewähren würden.919 Im Gegensatz zu den speziellen Grundrechten und Staatszielbestimmungen lasse sich in dem konturschwachen Grundrecht der allgemeinen persönlichen Freiheit ein zu schützender Bereich nicht exakt bestimmen, weshalb es der Schutzpflichtendimension kaum zugänglich sei.920 Doch den umweltbezogenen Grundrechtsschutz auf die Spezialgrundrechte beschränken zu wollen, verkennt den Charakter des Art. 2 Abs. 1 GG als subjektivrechtliches Auffanggrundrecht auch für die Schutzpflichtendimension.921 Dass diese Norm als reines Freiheitsrecht konzipiert sei, wird häufig mit der falsch zitierten, ursprünglichen Fassung aus den Herrenchiemsee-Entwürfen zu belegen versucht, wonach es im Entwurf heißen solle „jeder kann tun und lassen was er will“.922 Tatsächlich sollte die ursprüngliche Fassung lauten „Jedermann hat die 917

Vgl. Nachweise in Fn. 867. Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 49; Dreier, in: Dreier GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 66; Hof, in: Brendt/Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 31; Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 42; generell kritisch gegenüber der Ableitung „objektiv-rechtlicher Gehalte“ aus Art. 2 Abs. 1 GG ist Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 51. 919 Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 72. 920 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 77; ähnlich Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 63; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 74; für eine Anwendbarkeit der Schutzpflichtendogmatik auf die allgemeine Handlungsfreiheit Horn, in: Stern/Becker GG, Art. 2, Rn. 74; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 27. 921 Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 290 f. 922 Epping, Grundrechte, Rn. 559; Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 1; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 2, Rn. 1; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (10); Suhr, JZ 1980, 166; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 223; erstmals auszumachen ist diese falsche Wiedergabe der ursprünglichen Fassung in BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 (36) [Elfes], von wo aus sie sich im Schrifttum verbreitete. Das Bundesverfassungsgericht bezieht sich in dieser Entscheidung auf eine Aussage des Abgeordneten v. Mangoldt, die in den Stenografieprotokollen festgehalten ist. Beinahe jede Fundstelle aus dem Schrifttum übernimmt die Quellenangabe in der exakt gleichen Zitierweise. Mittlerweile sind die Stenografieprotokolle aufbereitet und verlegt worden. So heißt es in Parl. Rat XIV, S. 1297 in 918

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Freiheit, zu tun und zu lassen, was die Rechte anderer nicht verletzt“.923 Zwischen beiden Formulierungen besteht ein gewichtiger Unterschied, denn die erstere Formulierung würde eine umfassende Freiheitsverbürgung bedeuten. Letztere meint hingegen nichts anderes, als dass jede staatliche Regelung, die die Interaktion der Bürger untereinander betrifft, rechtfertigungsbedürftig ist. Das allgemeinste aller Grundrechte ist nicht die Gewährung umfassender Freiheit, denn dies würde ein falsches Verständnis des Verhältnisses von Freiheit und Staat zu Grunde legen. Freiheit wird nicht vom Staat gewährt, sondern umfassende Handlungsfreiheit ist die ureigenste, vorstaatliche Mitgift eines jeden Menschen. Art. 2 Abs. 1 GG kann diese Freiheit deshalb auch nicht gewähren, sondern nur den Staat einem umfassenden Rechtfertigungszwang unterwerfen, wenn er in diese eingreift. Da Art. 2 Abs. 1 GG voraussetzt, dass die Freiheit des einen dort endet, wo die Rechte des anderen beginnen, besteht dieser Rechtfertigungszwang des Staates nicht nur dort, wo er selbst in die Freiheit eines Menschen eingreift, sondern auch dort, wo er duldet, dass einer den anderen in seiner Freiheitssphäre verletzt. Art. 2 Abs. 1 GG gewährt gemäß seines Wortlautes dem Staat nicht das Recht, die allgemeine Handlungsfreiheit zu Gunsten der Rechte anderer zu beschränken, sondern sieht in den Rechten Anderer eine immanente Schranke der Freiheitsausübung. Der zweite Halbsatz des Art. 2 Abs. 1 GG gebietet, nimmt man ihm beim Wort, eine Schutzpflicht des Staates vor der Ausübung der natürlichen und umfassenden Handlungsfreiheit, die jedem Menschen aufgrund seiner Vernunftbegabung zukommt. Je dichter die Zivilisation besiedelt ist, desto schwieriger ist es für die Menschen einander auszuweichen. Grundrechtliche Freiheitsbetätigung ist kaum noch möglich, ohne die Nutzungsinteressen Anderer an der Umwelt zumindest zu berühren. Dem Staat kommt deshalb für den Bereich der Umweltnutzung eine umfassende „Ausgleichs- und Verteilfunktion“ zu.924 Würde man hier die umfassende Gewährleistung des Art. 2 Abs. 1 GG nicht berücksichtigen, müsste bei der

freier Rede: „Uns will es scheinen, daß die Fassung: ,Jedermann hat die Freiheit, zu tun und zu lassen‘ zu vulgär klingt, und wir meinen, daß das Würdevolle im Klang, das wir in die ganze Fassung unserer Grundrechte hineinlegen wollten, durch diese Fassung durchbrochen würde“. 923 Im korrekten Wortlaut wiedergegeben in Parl. Rat XIV, S. 1300 (m.w. N. früherer Fassungen in Fn. 29 ebenda). 924 Lorenz, in: BonnK GG, Art. 2, Rn. 172; von einer umfassenden „Grundrechtsausgleichs- bzw. Grundrechtsverteilungsentscheidung“, die der Staat für alle Bereiche fällen muss, wo Freiheitsbereiche der Bürger aufeinandertreffen, schreibt Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 57. So auch Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 154 Fn. 253. Weitergehend noch Ladeur, Recht – Wissen – Kultur, S. 35, der gar eine Umkehrung der Gewalten erblickt, wenn Veränderung und Anspassung des Rechts immer mehr zur Aufgabe der Gerichte werden, wohingegen durch die legislative Pflicht zum Grundrechtsausgleich, der Gesetzgeber den (vorweggenommenen) Ausgleich kollidierender Interessen wahrnimmt.

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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Verteilung knapper Umweltgüter den speziellen Grundrechten grundsätzlich der Vorrang gegeben werden. Dem ist aber nicht so, denn es können auch ganz profane Umweltnutzungsinteressen über Art. 2 Abs. 1 GG grundrechtlichen Schutz erhalten, wenn der Gesetzgeber sich entscheidet, diesen Vorrang gegenüber spezielleren Freiheiten zu geben. So ist das Betretungsrecht des Waldes nach § 59 Abs. 1 BNatSchG Ausfluss aus Art. 2 Abs. 1 GG.925 Diesem Freiheitsrecht steht der verfassungsrechtliche Umweltschutzauftrag gegenüber, weshalb das Betretungsrecht nach § 59 Abs. 2 BNatSchG zu Zwecken des Natur- und Landschaftsschutzes eingeschränkt wird. Auch der Eigentums- sowie der Berufsfreiheit wird durch einschränkende Regelungen Rechnung getragen, vgl. beispielsweise Art. 33 BayNatSchG. Ein umfassendes Recht auf Genuss der Naturschönheiten leitete das OVG Berlin aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. § 1 BNatSchG her und begründete dies mit der damals besonderen „Berlin-Situation“, wo am Stadtrand nicht die begrünte Umwelt begann, sondern Mauer und Stacheldraht. Der Bürger sei daher auf die wenigen, ihm verbleibenden Grünflächen zur Erholung angewiesen.926 Die „Erhaltung von Natur und Erholungsflächen [habe] eine hohe sozialphysische und sozialpsychische Bedeutung, die unter dem Blickwinkel des Belastungsausgleichs auch einen gewissen Rechtswert gewinnt“.927 Der Umweltschutzgehalt aus Art. 2 Abs. 1 GG dient somit als Kompensation für den fehlenden Schutz der psychischen Unversehrtheit durch Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG.928 So kann ein Mindestmaß an Naturgenuss eine Voraussetzung für die psychische Unversehrtheit eines Grundrechtsträgers sein. Naturgenuss ist dabei nicht etwas, das sich wie Luftschadstoffe in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG in konkrete Grenzwerte fassen ließe, sondern ein emotional-geistiges Bedürfnis.929 Die reine Innerlichkeit dieses zutiefst menschlichen Bedürfnisses kann nicht dafür herangezogen werden, dass es im Außenverhältnis gegenüber anderen Bürgern nicht zu rechtlicher Relevanz kommen könnte, denn innere Bedürfnisse des Menschen werden auch von einer Reihe anderer Grundrechte geschützt.930 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Art. 2 Abs. 1 GG ein Auffanggrundrecht auf ein Mindestmaß an Teilhabe an der natürlichen Umwelt beinhal925 Heym, in: Schlacke, GK-BNatSchG, § 59, Rn. 3; wobei hier die allgemeine Handlungsfreiheit mit der Sozialbindung des Eigentums nach Art. 14 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 GG zusammenwirkt. 926 OVG Berlin, Urteil vom 02.05.1977 – II B 2/77 – NJW 1977, 2283 (2285). 927 OVG Berlin, Urteil vom 02.05.1977 – II B 2/77 – NJW 1977, 2283 (2285). 928 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 138. 929 Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 294. 930 So die Gewissensfreiheit des Menschen nach Art. 4 Abs. 1 GG, die genaugenommen nur einen Teilbereich der psychischen Unversehrtheit des Grundrechtsträgers in den Fokus nimmt.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

tet.931 Der Vollständigkeit der Freiheitssphäre im bürgerlichen Rechtsstaat932 entspricht die Vollständigkeit der individualbezogenen Umweltgewährleistung im modernen Umweltstaat. Genauso wenig wie es bei der lückenlosen Freiheitsgewährung durch die allgemeine Handlungsfreiheit um eine uferlose, exzessive oder schrankenlose Freiheitsgewährleistung geht,933 stellt eine umfassende Umweltgewährleistung nicht das Ende der Freiheit dar. Vielmehr begründet sie eine umfassende Rechtfertigungslast des Umweltverschmutzers, die immer dann verlangt werden kann, wenn ein Grundrechtsträger negativ von dieser betroffen ist. Da dieses allgemeine Drittschädigungsverbot aus Art. 2 Abs. 1 GG, wie auch die allgemeine Handlungsfreiheit, einen Auffangtatbestand darstellt, wird es häufig hinter die oben beschriebenen, spezielleren grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zurücktreten.

XIV. Rangordnung der grundrechtlichen Positionen Ob eine Rangordnung zwischen den Grundrechten hergestellt werden kann, wird im Schrifttum bis heute kontrovers diskutiert.934 Dass die Grundrechte nicht gleichstufig nebeneinander stehen, sondern eine Rangordnung zwischen ihnen existieren müsse, lässt das Bundesverfassungsgericht unter anderem in der Kalkar-I-Entscheidung erkennen. Der Inhalt einer Schutzpflicht hänge neben dem Grad der Gefahr auch von „der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Gutes ab“.935 In der Entscheidung zum Rauchverbot in Gaststätten urteilte das Gericht, weil „die Gesundheit und erst recht das menschliche Leben zu den besonders hohen Gütern zählen, darf ihr Schutz auch mit Mitteln angestrebt werden, die in das Grundrecht der Berufsfreiheit empfindlich eingrei931 Ähnlich Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 140, deren Schlagwort der „ökologische[n] Selbstbestimmung“ hierfür inhaltlich jedoch nicht verfängt. Eine ausführliche Herleitung findet sich zudem bei Dirnberger, Recht auf Naturgenuss und Eingriffsregelung, S. 291 ff. 932 Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 37. 933 Bethge, in: HGR III, § 58 Rn. 81. 934 Grundsätzlich befürwortend: Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 776; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 319; Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 221 f.; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, S. 179; Ablehnung einer abstrakten Rangordnung der Grundrechte bei Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 32; Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 160; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 12 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 129. Eine Rangordnung nur in Bezug auf die Menschenwürde gegenüber den anderen Grundrechten anerkennend Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 664 f. 935 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar I]. Auch in anderen Entscheidungen formuliert das Gericht derart. Sowohl das ungeborene Leben als auch das der Mutter habe einen „hohen verfassungsrechtlichen Rang“, vgl. BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (263) [Schwangerschaftsabbruch II].

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fen“.936 Dass damit nicht nur der Vorrang des Verfassungsrechts vor dem einfachen Recht gemeint ist, sondern durchaus eine Rangfolge von Verfassungsgütern und -prinzipien untereinander, kommt darin zum Ausdruck, dass das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auf einen „hohen Rang unter den Grundrechten“ abstellt.937 Das Gericht scheint es nicht nur für möglich zu halten, eine Rangordnung zwischen den Grundrechten herzustellen, sondern leitet daraus auch Folgen für die Einschränkbarkeit entgegenstehender Rechte her. 1. Systematische Rangordnung Allein aus der Systematik lässt sich eine Rangordnung noch nicht begründen. Würde man der Zählung der Grundrechte ausschlaggebende Bedeutung beimessen, müsste das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG das Rechtsgut von höchstem Wert sein, da es direkt auf die unantastbare Menschenwürde folgt. Die Justizgrundrechte der Art. 101 ff. GG würden die niedrigste Stellung in der Rangordnung einnehmen, was ihrer Bedeutung und Tragweite nicht gerecht würde. Nach allgemeiner Auffassung handelt es sich bei der allgemeinen Handlungsfreiheit um ein Auffanggrundrecht, dessen Rang naturgemäß unterhalb der spezielleren Freiheitsrechte stehen muss, da diese anderenfalls nicht hätten extra normiert werden brauchen.938 Nichtsdestoweniger ist die Reihenfolge der Grundrechte innerhalb des Katalogs der Art. 1 ff. GG keine völlig zufällige. Mit der Stellung der Freiheit und des Lebens vor der Gleichheit, sollte in der Tat eine Rangfolge vor der „reine[n] Gleichheit“ hergestellt werden, da man Freiheit und Gleichheit in latentem Spannungsverhältnis zueinander sah,939 ein Grundrechteverständnis, das verwandt ist mit dem vielzitierten Auslegungsgrundsatz „in dubio pro libertate“.940 Zwar sollte in der Voranstellung der Menschenwürde nebst korrespondierender Schutzpflicht für selbige durchaus eine herausragende Stellung im Staatswesen begründet werden,941 darüber hinaus 936 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (357) [Rauchverbot in Gaststätten]. 937 BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 2029/01 – BVerfGE 109, 133 (157) [Langfristige Sicherheitsverwahrung]; BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 834, 1588/02 – BVerfGE 109, 190 (239) [Nachträgliche Sicherungsverwahrung]; anderenorts wird vom hohen Rang innerhalb des Gefüges des Grundgesetzes gesprochen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 (51) [Familiennachzug]. 938 Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 274. 939 Parl. Rat V, S. 751. 940 Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 71; Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 229 f.; Schmidt-Preuß, in: Baumeister et al. 2011, S. 1168 f. Kritisch: Bethge, in: HGR III, § 72 Rn. 83; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 47 f.; Schmidt-Aßmann, in: HStR II, § 26 Rn. 93. 941 Vgl. die Zusammenfassung der Stenografieprotokolle in JöR 1 (1951), S. 45.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

war die Reihung in der Endfassung vor allem systematischen Überlegungen geschuldet. Die allgemeine Freiheit sollte vor den speziellen Freiheitsrechten stehen, die individuellen Freiheiten vor den gruppenbezogenen Freiheiten.942 Es könnte angenommen werden, dass es möglich wäre, aus der Unterscheidung von Grundrechten unter einfachem und qualifizierten Gesetzesvorbehalt sowie vorbehaltlos gewährten Grundrechten eine rangmäßige Unterscheidung herzuleiten.943 Dafür spräche, dass die unterschiedliche Unterschutzstellung auf einer unterschiedlichen Wertigkeit der Grundrechte basieren könnte.944 Schon zu Zeiten der Weimarer Republik ist darauf hingewiesen worden, dass sich aus den unterschiedlichen Schrankenvorbehalten keine Rangfolge der Grundrechte herleiten lässt.945 Vielmehr liegt die Vermutung nahe, dass der Gesetzgeber die vorbehaltlosen Grundrechte in ihrem sachlichen Schutzbereich so zugeschnitten hat, dass es eines speziellen Gesetzesvorbehalts nicht bedurfte, weil Kollisionen mit anderen Grundrechten nicht oder nur im Randbereich für möglich gehalten wurden.946 Es besteht daher weitestgehend Einigkeit darüber, dass der parlamentarische Rat bei der Grundrechtsbegrenzung keine Systematik verfolgte, mit der auf eine sich hinter den Grundrechten verbergende Rangfolge verwiesen werden sollte.947 Eine Rangordnung lässt sich nur aufstellen, wenn der Inhalt und das Wesen der Einzelgrundrechte selbst in den Fokus gerückt wird. Die Systematik kann allenfalls als flankierendes Indiz in der Begründung dienen, nicht als endgültiges Zuordnungskriterium. 2. Leben Das Rechtsgut Leben wird zum Teil als „höchstes Gut“ innerhalb der aufgrund der Menschenwürde garantierten Grundrechte genannt.948 Grundsätzlich gilt, 942

JöR 1 (1951), S. 47. Zu dieser Unterscheidung siehe 3. Kapitel B. V. – „Schutzpflichten als Grundrechtsschranke“. 944 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 128. 945 Schmitt, in: Materialien zu einer Verfassungslehre, S. 148 führte hierzu treffend aus: „Das Recht des Beamten auf Einsicht in seine Personalakten (Art. 129, Abs. 3, Satz 3) soll kräftiger, sicherer und heiliger sein als alle Grundrechte der persönlichen Freiheit, der Unverletzlichkeit der Wohnung, der freien Meinungsäußerung usw. Das ist meiner Ansicht nach nicht nur ein paradoxes, sondern auch ein ganz unmögliches Ergebnis.“ 946 Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 22. 947 Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 235 m.w. N. Im Ergebnis auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 87; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 141; Rupp, in: HGR II, § 36 Rn. 33. 948 Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, S. 56; Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 744; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 220; das Bundesverfassungsgericht verwendet die Bezeichnung Höchstwert BVerfG, Urteil vom 15.02. 2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (139) [Luftsicherheitsgesetz]; BVerfG, Be943

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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dass Grundrechten, deren Verletzung irreversibel ist, ein besonders hoher Schutzstandard im Vergleich zu reversibel verletzbaren Grundrechten zukommt.949 Für das Leben, dessen Schädigung nicht reversibel ist,950 reicht schon eine geringe, entfernte Schädigungswahrscheinlichkeit aus, um eine Schutzpflicht zu begründen.951 Auch wenn der Schutz des Lebens abstrakt höher zu gewichten ist, als etwa die allgemeine Handlungsfreiheit952 oder das Eigentum,953 ist der Schutz des Lebens auch nicht absolut geboten,954 sondern der Schutz des Lebens ist der Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen Belangen zugänglich.955 Dies zeigt sich schon daran, dass das Recht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG unter einfachem Gesetzesvorbehalt gewährt wird. Trotz seiner Einschränkbarkeit ist dem Rechtsgut Leben ein vergleichsweise hoher abstrakter Rang zuzusprechen, denn es ist äußerste Voraussetzung für die Ausübung aller anderen Grundrechte.956 Auch wird dem Recht auf Leben zum Teil ein „besonderer Menschenwürdegehalt“ zugesprochen und wegen der engen Rückkopplung an Art. 1 Abs. 1 GG eine herausragende Stellung dieses Rechtsguts angenommen.957 Wegen seines bereits hohen abstrakten Wertes innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung kommt dem konkret bedrohten Leben stets ein überragender Stellenwert zu, hinter den andere Grundrechte regelmäßig zurücktreten müssen.958

schluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (45) [Gesetzliche Krankenversicherung]; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (236) [Chemiewaffen]; BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 – 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 – BVerfGE 49, 24 (53) [Kontaktsperre]; BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (164) [Schleyer]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]. 949 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (136); Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 35. 950 BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (49) [Gesetzliche Krankenversicherung]; Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, S. 35; Rixen, DVBl. 2018, 906 (912). 951 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (62) [CERN]; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 179. 952 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 778. 953 Calliess, JZ 2006, 321 (328). 954 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (253) [Schwangerschaftsabbruch II]. 955 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (63) [CERN]. 956 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 319; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 86. 957 Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 221. 958 Rixen, DVBl. 2018, 906 (912); VGH Mannheim, Beschluss vom 06.07.2015 – 8 S 534/15 – BeckRS 2016, 40425.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

3. Gesundheit Wie auch das Leben ist die Gesundheit eine Voraussetzung für die Ausübung anderer Freiheitsrechte, weshalb ihr ein vergleichsweise hoher abstrakter Rang innerhalb der grundrechtlichen Schutzgüter zukommt.959 Die Gesundheit kann, je nach Fallgestaltung wiederhergestellt werden, aber auch dauerhaft geschädigt bleiben. In letzterem Fall kommt der Gesundheit, verstärkt durch den Vorsorgegrundsatz, eine besonders hohe Bedeutung zu.960 Das Bundesverfassungsgericht verwendet auffällig häufig die Formulierung des besonders hohen Rangs, der dem Grundrecht auf Gesundheit zukomme.961 Bezüglich anderer Grundrechte, wie dem Verbot des Entzugs der Staatsangehörigkeit, dem Schutz von Ehe und Familie oder der Versammlungsfreiheit, wird regelmäßig nur von einem hohen Rang innerhalb der Verfassung gesprochen.962 4. Eigentum Das Eigentum wird im liberalistischen Staatsverständnis teils als das ursprünglichste und wichtigste bürgerliche Freiheitsrecht verstanden.963 Unter der Herrschaft des Grundgesetzes ist das Eigentum verhältnismäßig schwach ausgestaltet.964 Als ausfüllungsbedürftiges Grundrecht werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch die einfachen Gesetze bestimmt, Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG. Das Eigentum ist deshalb in wesentlichen Teilen dem unmittelbaren Zugriff des einfachen Gesetzgebers unterworfen. Auch sind mit Art. 14 Abs. 3 GG und Art. 15 GG gleich mehrere Möglichkeiten zur Enteignung beziehungsweise Vergesellschaftung vorgesehen. Zusätzlich dazu besteht durch die Sozialpflichtigkeit des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG nicht nur ein Eingriffstitel des Gesetzgebers, sondern eine unmittelbare verfassungsrechtliche Pflicht des Eigentümers. Auch wenn diese in der praktischen Anwendung bisher eher eine untergeordnete Rolle 959 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (357) [Rauchverbot in Gaststätten]; Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 319. 960 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (357) [Rauchverbot in Gaststätten]; Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (136). 961 BVerfG, Urteil vom 16.03.2003 – 1 BvR 1778/01 – BVerfGE 110, 141 (166) [Kampfhunde]; BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 – 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 – BVerfGE 49, 24 (53) [Kontaktsperre]. 962 BVerfG, Urteil vom 05.07.2005 – 2 BvR 2236/04 – BVerfGE 113, 273 (294) [Europäischer Haftbefehl]; BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 834, 1588/02 – BVerfGE 109, 190 (239) [Nachträgliche Sicherungsverwahrung]; BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 (11) [Familiennachzug]; BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81 – BVerfGE 69, 315 (348) [Brokdorf]. 963 Vgl. Schachtschneider, in: FS für Leisner, S. 745, der die kategoriale Unterscheidung von „Mein und Dein“ als die Grundform menschlichen Lebens erkannt haben will. 964 Calliess, JZ 2006, 321 (328).

D. Schutzbereiche der Einzelgrundrechte

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spielt, zeigt sie doch, dass der Verfassungsgeber die Reichweite und Wirkmächtigkeit des Eigentums beschränkt wissen wollte.965 Der Eigentumsgarantie wird deshalb ein vergleichsweise geringes abstraktes Gewicht zugesprochen.966 Deshalb greift die Schutzpflicht zu Gunsten von Leben und Gesundheit bereits früher als bei vergleichbaren Gefährdungen für das Eigentum.967 5. Berufsfreiheit Aus dem Urteil über das Rauchverbot in Gaststätten lässt sich schließen, dass der Berufsfreiheit unter den Grundrechten ein verhältnismäßig niedriger Rang, zumindest im Verhältnis zu Leben und Gesundheit, zukommt. Zum einen betont das Gericht nur bezüglich Gesundheit „und erst recht“ dem Leben, dass diese zu den „besonders hohen Gütern zählen“.968 Zum anderen folgert es aus diesem hohen abstrakten Wert, dass zu ihrem Schutz auch „empfindlich“ in die Berufsfreiheit eingegriffen werden darf.969 6. Menschenwürde Die Menschenwürde fällt schon schematisch im Vergleich zu den anderen Grundrechten aus der Reihe. Anhand des bloßen Textbefundes ist festzustellen, dass Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG kein klassisches Recht enthält, das sich deutlich in Tatbestand und Rechtsfolge einteilen ließe.970 Es heißt nicht etwa „die Menschenwürde darf nicht angetastet werden“, sondern „die Würde des Menschen ist unantastbar“. Sie ist dem Menschen nicht von außen verliehen, sondern wird „als etwas immer Seiendes, als etwas unverlierbar und unverzichtbar immer Vorhandenes gedacht“.971 In Anlehnung an die Philosophie Kants ist die Menschenwürde ein absoluter Wert.972 Im Gegensatz dazu stehen relative Werte, die der Abwägung zugänglich sind. Durch die Sonderstellung der Menschenwürde als absoluter Wert und damit als abwägungsfest, entzieht sie sich auch der Einordnung in eine hierarchische Ordnung innerhalb der Grundrechte.

965

Hierzu bereits 2. Kapitel D. XIV. 4. – „Eigentum“. Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 319. 967 Calliess, JZ 2006, 321 (328); Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (211). 968 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (357) [Rauchverbot in Gaststätten]. 969 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (357) [Rauchverbot in Gaststätten]. 970 Bis heute herrscht keine Einigkeit darüber, ob Art. 1 Abs. 1 GG ein eigenständiges Grundrecht enthält oder als „Grund der Grundrechte“ allen Grundrechten vorausliegt, Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Vorbemerkung Art. 1, Rn. 8. 971 Dürig, AöR 1956, 117 (117). 972 Isensee, in: HGR IV, § 87 Rn. 79. 966

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

7. Zusammenfassung Zwischen den Grundrechten kann eine abstrakte Rangordnung festgestellt werden. Diese wird nicht nur regelmäßig im Schrifttum diskutiert, sondern in mehreren Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht vorausgesetzt, obwohl insbesondere die Rechtsprechung bisher wenig zur Systematisierung beigetragen hat. Das abstrakte Gewicht eines Grundrechts stellt nie ein Präjudiz für den Einzelfall dar. Es stellt nur einen von mehreren Abwägungsbelangen dar, die bei der Anwendung der Grundrechte zu berücksichtigen sind.973 Daneben sind insbesondere noch die konkrete Intensität der Betroffenheit sowie die Wahrscheinlichkeit, dass sich die erwartete Grundrechtsverletzung realisiert, zu berücksichtigen.

E. Auslösung der Schutzpflicht Eine hochkomplexe Frage der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten betrifft die Schwelle ihrer Aktivierung.974 Analog zum Erfordernis des Eingriffs bei der Geltendmachung eines Abwehrrechts, muss auch bei der Schutzpflicht eine Beeinträchtigung des Grundrechts erfolgen.975

I. Schädigung anstelle des Eingriffs Für die klassische Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte ist neben der Eröffnung des Schutzbereichs ein staatlicher Eingriff Voraussetzung ihrer Anwendbarkeit. Bei der Schutzpflicht ist hingegen eine nichtstaatliche Schädigung am Schutzgut die entsprechende Voraussetzung. Abwehrrecht und Schutzpflicht stehen somit in einem sich gegenseitig ausschließenden Verhältnis. So einfach diese Unterscheidung abstrakt zu treffen ist, so komplex kann sie sich im Einzelfall darstellen. Durch den modernen Eingriffsbegriff weitete sich dasjenige staatliche Verhalten aus, das als Eingriff im Sinne des Abwehrrechts verstanden wird. Musste nach dem klassischen Eingriffsbegriff noch eine unmittelbare, finale und erhebliche Verkürzung der grundrechtlichen Position durch den Staat vorgenommen werden, können heute auch mittelbare, ungewollte oder geringe staatliche Schädigungen die Anwendbarkeit der Grundrechte begründen.976 Die Auswei973 Im Einzelfall kann sich deshalb ein konkret schwerwiegend betroffenes Grundrecht von niedrigem abstraktem Gewicht gegen ein konkret schwach betroffenes Grundrecht von hohem abstraktem Gewicht durchsetzen; vgl. Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 222. 974 Statt von Schwelle wird teilweise auch von Auslösung der Schutzpflicht gesprochen, vgl. Lorenz, in: FS für Scholz, S. 326; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 110; hierzu auch Brüning, JuS 2000, 955 (956); Calliess, JZ 2006, 321 (328). 975 Brüning, JuS 2000, 955 (956); zu damit verbundenen Beweisfragen siehe auch: Windmüller, DVBl. 2019, 42 (47). 976 Bethge, in: HStR IX, § 203 Rn. 142; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 147 ff.; Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 125; Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 89; Müller-Franken, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Vorbemerkung Art. 1, Rn. 45; Peine,

E. Auslösung der Schutzpflicht

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tung des Eingriffsbegriffs verläuft zeitlich parallel zur Entwicklung und Durchsetzung der Schutzpflichtenlehre. Beide sind Teil der Tendenz, die Geltung der Grundrechte auszudehnen. Dabei kommt es zu Überschneidungen und Widersprüchen, da neue, zusätzliche Grundrechtsfunktionen beiden neuen Rechtsbegriffen, also modernem Eingriffsbegriff und grundrechtlicher Schutzpflicht, zugeordnet werden.977 Wenig zur Klarheit beigetragen hat hier die Rechtsprechung, die in der Vergangenheit auf unterschiedliche, teils widersprüchliche Modelle zurückgriff, um erweiterte Grundrechtsfunktionen zu begründen. So stellte das Bundesverfassungsgericht in seiner Mülheim-Kärlich-Entscheidung das Diktum von der staatlichen Mitverantwortung für Risiken der Technik auf.978 Dies führte zur Diskussion um den Eingriffscharakter staatlicher Genehmigungen und der daran anknüpfenden Frage, ob die grundrechtlichen Schutzpflichten nicht überflüssig seien, wenn nicht nur staatliches Handeln, sondern auch Dulden und Unterlassen einen Grundrechtseingriff im abwehrrechtlichen Sinne darstellen.979 1. Eingriffscharakter staatlicher Genehmigungen Im Dreiecksverhältnis führt die Genehmigung eines schädlichen Verhaltens zur Duldungspflicht des betroffenen Nachbarn. Damit ist die Frage verbunden, inwieweit staatlichen Genehmigungen Eingriffscharakter im Sinne der Grundrechtsdogmatik zukommt.980 Betrachtet man eine Genehmigung gleichzeitig als Duldungsverfügung gegen Dritte, würde sich die Genehmigung negativ auf den Dritten auswirken, da sie seinen Rechtskreis beschränkt. Gerade in Anbetracht der Herausbildung des modernen Eingriffsbegriffs, wonach ein Grundrechtseingriff bereits dann vorliegen soll, wenn ein schutzwürdiges Verhalten ganz oder teilweise erschwert oder unmöglich gemacht wird,981 scheint eine Klassifizierung einer Genehmigung als Eingriff gegenüber Dritten naheliegend zu sein. Denn auch geringfügige oder zumutbare Beeinträchtigungen fallen unter den modernen Eingriffsbegriff.982 So wurde in einigen Zusammenhängen ein staatlicher Eingriff durch Genehmigung gegenüber Dritten von der Rechtsprechung angenommen. Der Bundesgein: HGR III, § 57 Rn. 31; Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 162; Vosgerau, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 149 f. 977 Vosgerau, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 149. 978 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (58) [Mülheim-Kärlich]; auch später griff das Gericht vereinzelt auf diese Figur zurück BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung]. 979 Siehe hierzu 1. Kapitel F. – „Abwehrrechtliche Einheitstheorie“. 980 Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 86. 981 Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 89; Manssen, Staatsrecht II, § 7 Rn. 157. 982 Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 1, Rn. 60; zur gegenläufigen Ansicht siehe 2. Kapitel E. I. 3. – „Erheblichkeitsschwelle“.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

richtshof erblickte einen staatlichen Eingriff in das Eigentum durch von privaten Verkehrsteilnehmern verursachten Verkehrslärm. Hier sah er in der Widmung der Straße zum Automobilverkehr eine Duldungspflicht der Anlieger bezüglich der daraus resultierenden Verkehrsemissionen und daher einen unmittelbaren staatlichen Eingriff.983 Die Konstruktion eines staatlichen Eingriffs durch die Widmung einer Straße ist aber weniger verfassungsrechtsdogmatisch bedingt. Der BGH stand vielmehr vor dem Problem, dass sich ein zivilrechtlicher Entschädigungs- oder Unterlassungsanspruch nicht hätte tenorieren lassen. Zum einen waren die Autofahrer und damit die unmittelbaren Verursacher der Schädigung keine Streitparteien, für die das zivilrechtliche Urteil Wirkung entfalten würde.984 Zum anderen wäre ein Verweis darauf, die einzelnen Schädiger in Anspruch zu nehmen, für den Kläger nicht hilfreich gewesen, da er nicht wissen kann, wer im Einzelnen mit dem Auto an seinem Haus vorbeifährt und selbst wenn, wäre eine Klage gegen derart viele Schädiger kaum zu betreiben gewesen. Aus diesem Grund war die Annahme eines staatlichen Eingriffs notwendig, um eine öffentlich-rechtliche Enteignungsentschädigung aufgrund des vom Anwohner durch die Gemeinschaft abverlangten Sonderopfers zusprechen zu können. Dieser Rechtsprechung ist entgegengehalten worden, dass der Staat keine positive Verantwortung für vom Bürger verursachte Umweltbelastungen übernehme, nur weil er eben diese reguliere. Die durch Gesetze verbotenen Belastungen würden durch Begrenzungen nicht zu Eingriffen des Staates.985 Da sowohl im Bundesimmissionsschutzgesetz als auch im Atomgesetz Grenzwerte für drittschädigende Umweltbelastungen festgelegt sind, wäre es demnach falsch, davon auszugehen, dass der Zulassung eines Automobils, der Widmung einer Straße oder der Genehmigung eines Atomkraftwerkes ein staatlicher Eingriffscharakter gegenüber Dritten zukommt.986 Dennoch sind diese Handlungen nicht völlig neutral gegenüber Dritten. Wird eine Genehmigung erteilt oder eine Widmung vorgenommen, setzt der Staat eine Ursache dafür, dass eine bestimmte Schädigung sich an einem bestimmten Ort auswirkt. Ohne das Erfordernis der staatlichen Genehmigung wäre diese Auswirkung an diesem konkreten Ort vielleicht entfallen oder hätte sich anders ausgewirkt. Wenn beispielsweise der Staat seinen Bürgern nicht vorschreiben würde, zum Zwecke des Automobilverkehrs nur dafür gewidmete Straßen zu benutzen,987 würde sich der Automobilverkehr anders in der Fläche verteilen. Unab983 BGH, Urteil vom 20.03.1975 – III ZR 215/71 – NJW 1975, 1406 (1407) [Verkehrslärm I]; anders hingegen BVerwG, Urteil vom 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 (10) [Verkehrslärm], das diese Fallgruppe der Schutzpflichtendimension zuordnet. 984 Pohlmann, Zivilprozessrecht, § 13 Rn. 710. 985 Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), S. 184. 986 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung].

E. Auslösung der Schutzpflicht

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hängig von der naheliegenden Frage, ob ein unregulierter Automobilverkehr zu insgesamt mehr Schädigungen für die Allgemeinheit führen würde, wäre der einzelne Straßenanlieger unter Umständen weniger betroffen als er es ist, wenn der Staat den Verkehr auf dafür gewidmeten Straßen bündelt und an seinem Haus vorbeileitet. Der Staat setzt damit noch keine hinreichende Bedingung für die Schädigung des Anliegers durch Autoabgase. Zur Verwirklichung der Schädigung muss erst noch der tatsächliche Benutzer der Straße als Emittent hinzutreten. Die Bedingung, die der Staat mit der Widmung der Straße setzt, ist aber eine notwendige Bedingung, da anderenfalls der Autofahrer gar nicht am Grundstück des Geschädigten vorbeifahren würde.988 Es könnte also angenommen werden, der Staat trete hier als ein Art „Zweckveranlasser“ auf, der das Verhalten der Privaten und damit die Rechtsgutschädigung initiiert.989 Das Bundesverfassungsgericht spricht in seiner Entscheidung zum Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich ausdrücklich von einer Mitverantwortung, die der Staat im Falle einer Genehmigung gefährlichen Verhaltens übernehme.990 Der Verweis auf eine staatliche Mitverantwortung durch Genehmigung, um einen Grundrechtseingriff durch diese zu konstruieren, ist nicht ohne Kritik geblieben,991 denn es werden hier verschiedene Handlungsebenen in unzulässiger Art und Weise miteinander vermengt: zum einen die staatliche Entscheidung, das schädigende Verhalten nicht zu verbieten oder im Falle des repressiven Verbots mit Befreiungsvorbehalt, es ausnahmsweise zuzulassen – zum anderen das tatsächliche Verhalten des Genehmigungsempfängers, das eine Beeinträchtigung des Rechtskreises des Dritten darstellt.992 987 Allgemeine Straßenbenutzungspflicht nach § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 StVO: „Fahrzeuge müssen die Fahrbahnen benutzen“. 988 Im Sinne der abwehrrechtlichen Einheitstheorie (1. Kapitel F.) wäre dem Staat in diesem Fall also nicht vorzuwerfen, dass er dem Autofahrer erlaubt, am Haus des Geschädigten vorbeizufahren. Der Vorwurf würde sich im Gegenteil darauf richten, dass der Staat die Autofahrer zwingt, genau dort vorbeizufahren, um mit dem Auto von A nach B zu gelangen, anstatt beispielsweise Luftlinie quer durch das Gelände. 989 Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 85. 990 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (58) [Mülheim-Kärlich]. Die hier entwickelte Mitverantwortungskonstruktion bleibt jedoch auf das Atomrecht beschränkt. Forderungen aus dem Schrifttum, diese auf alle Bereiche des Verwaltungsrechts auszudehnen, folgte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht, BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung] Zu den Argumenten der Befürworter dieser Konstruktion, siehe oben 1. Kapitel F. – „Abwehrrechtliche Einheitstheorie“. 991 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 92 ff.; Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 75; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 98; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 116; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 35; Wolf, Umweltrecht, § 4 Rn. 298; zustimmend hingegen Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GKBImSchG, § 1, Rn. 29. 992 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 92.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Das Verhalten des privaten Schädigers bestimmt sich nur nach einfachem Recht. Wenn sich die Schädigung außerhalb des ihm nach einfachem Recht Erlaubten bewegt, ist aus einfachem Recht gegen ihn vorzugehen. Ein Vorgehen gegen den Schädiger aus einfachem Recht scheidet notwendigerweise aus, wenn sich der private Schädiger im Rahmen des gesetzlich Erlaubten hält. Hier gibt es mangels unmittelbarer Drittwirkung der Grundrechte keine Möglichkeit, gegen den Schädiger direkt vorzugehen.993 In diesem Fall kann nur gegenüber dem Staat geltend gemacht werden, dass dieser keine ausreichenden Schutzvorschriften zu Gunsten des jeweils in Rede stehenden grundrechtlich geschützten Gutes getroffen habe. 2. Abgrenzung von staatlichen und privaten Eingriffen Bezüglich der Eingriffsqualität von Genehmigungen – und damit verbunden der Abgrenzung von Abwehrrecht zu Schutzpflicht – kommt es nicht auf eine etwaige Mitverantwortung des Staates an, sondern auf eine dreistufige Differenzierung. Erstens muss gefragt werden, ob die in Rede stehende Schädigung durch staatliches oder privates Handeln erfolgt. Hier ist auf die letzte auslösende Handlung und nicht etwa auf die Äquivalenz- oder Adäquanzformel abzustellen.994 Die Äquivalenzformel scheidet als Abgrenzungskriterium für die Kausalität vorliegend deshalb aus, weil sie für die vorliegenden Zwecke zu weit gefasst ist. Würde man bereits die conditio-sine-qua-non-Formel ausreichen lassen, wäre jede Genehmigung zugleich ein Grundrechtseingriff.995 Die Adäquanzformel hingegen ist zu unbestimmt, um privates und staatliches Handeln sinnvoll voneinander abgrenzen zu können. Es ist daher danach zu fragen, ob die letzte Ursache für die Schädigung vom Staat oder von einem Privaten gesetzt worden ist.996 Ist die letzte Ursache vom Staat gesetzt worden, scheidet eine Anwendung der Schutzpflichtenlehre von vornherein aus. In diesem Fall ist die Abwehrdimension der Grundrechte betroffen. Liegt hingegen ein auslösendes Handeln eines Privaten vor, ist auf zweiter Stufe zu differenzieren, ob gegen das Handeln des Privaten bereits aus einfachem 993

Hierzu bereits 2. Kapitel A. II. – „Grundrechtsbindung Privater“. Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 118; Staben, Der Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, S. 176. 995 So aber die Vertreter der abwehrrechtlichen Einheitstheorie, siehe hierzu 1. Kapitel F. – „Abwehrrechtliche Einheitstheorie“. 996 In diese Richtung auch BVerwG, Urteil vom 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 (10) [Verkehrslärm]; Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 118; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 491; a. A. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 117, der den Staat in der Stellung eines Überwachungsgaranten sieht, wenn er Bürgern den Eingriff in den Rechtskreis Dritter erlaubt und deshalb einen staatlichen Eingriff bejaht. 994

E. Auslösung der Schutzpflicht

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Recht vorgegangen werden muss oder ob es sich im Rahmen der formellen Legalität hält. In ersterem Fall ist die Auflösung des Interessenkonflikts nach einfachem Recht zu bestimmen.997 In letzterem Fall, wenn sich der Private im Rahmen des nach einfachem Recht Erlaubten hält, kann davon gesprochen werden, dass dem Staat hier eine grundrechtliche Schutzpflichtverletzung vorwerfbar sein könnte.998 Auf dritter Ebene ist schließlich danach zu differenzieren, wie sich die Schutzpflichtverletzung konkret darstellt. Eine Schutzpflichtverletzung ergibt sich für diejenige staatliche Stelle, die im konkreten Fall dazu berufen und in der Lage wäre, den grundrechtlich gebotenen Schutz zu gewähren, dies aber unterlassen hat.999 Im Fall des präventiven Verbots mit Erlaubnisvorbehalt setzt der Gesetzgeber alle Voraussetzungen, unter denen ein drittschädigendes Verhalten zulässig ist, selbst fest.1000 Der Behörde kommt hier kein eigenes Ermessen zu. Sie hat daher auch keine Möglichkeit, Grundrechtsschutz selbst zu gewährleisten, denn ihr kommt keine Normverwerfungskompetenz bezüglich einfachen Rechts zu.1001 Anders stellt sich dies beim repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt dar. Hier kommt der Genehmigungsbehörde ein Ermessen zu, das sie auch dahingehend zu nutzen hat grundrechtlichen Gewährleistungen Geltung zu verschaffen.1002 Eine Genehmigung selbst stellt sich deshalb gegenüber Dritten niemals als Grundrechtseingriff dar, kann aber eine Schutzpflichtverletzung darstellen, sofern der Genehmigungsbehörde ein Ermessen eingeräumt war und in diesem Rahmen ein ausreichender Schutz durch die behördliche Entscheidungsbefugnis hätte gewährleistet werden können.1003 Anderenfalls trifft der Vorwurf einer Schutzpflichtverletzung den Gesetzgeber. Demnach ergeben sich aus den grundrechtlichen Gewährleistungen differenzierte Verpflichtungen der unterschiedlichen Gewalten, denen in dieser Arbeit ein eigener Abschnitt gewidmet ist.1004

997 Freilich kann im Dulden einer Verletzung einfachen Rechts durch eine Behörde eine Schutzpflichtverletzung liegen. Somit kann die Behörde durch eine grundrechtliche Schutzpflicht auch dann zum Tätigwerden verpflichtet sein, wenn sie nach einfachem Recht nicht von Amts wegen tätig werden muss. 998 Eine solche kommt sowohl auf primärer Ebene (im Gesetzeserlass) oder auf sekundärer Ebene (im Gesetzesvollzug) in Betracht. Zur Unterscheidung von primärer und sekundärer Schutzpflicht siehe 3. Kapitel A. – „Systematisierung der Schutzpflichten“. 999 Zur vertikalen Aufgabenverteilung zwischen den Staatsorganen siehe 3. Kapitel E. – „Vertikale Aufgabenverteilung“. 1000 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 504; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 52; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, Rn. 106.2. 1001 Brüning, JuS 2000, 955 (956). 1002 Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 504; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 Rn. 56; Ruffert, in: BeckOK GG, Art. 12, Rn. 106.2. 1003 Näher zum behördlichen Ermessen 3. Kapitel C. I. – „Verwaltungsermessen“. 1004 3. Kapitel – „Analyse der Rechtsfolgenseite“.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

3. Erheblichkeitsschwelle Neben den Überlegungen zur Schutzbereichsverengung, die zum Ausscheiden von Bagatellfällen dienen soll,1005 wird vorgeschlagen, den weiten Eingriffsbegriff durch das Erfordernis einer Erheblichkeitsschwelle zu verengen.1006 Demnach soll anhand der „Empfindlichkeit des Schutzgutes, [der] Intensität der Gefahr, [der] herrschenden gesellschaftlichen Anschauungen und Usancen, [der] Sozialadäquanz“ festgestellt werden, ob überhaupt ein Eingriff in das Grundrecht vorliegt.1007 Befürworter dieser These argumentieren, dass es nicht Ziel der grundrechtlichen Schutzpflichten sei, die Bürger voneinander zu isolieren und dass deshalb bestimmte Berührungen, die das gesellschaftliche Zusammenleben mit sich bringe, akzeptiert werden müssten.1008 Doch auch von den Vertretern des Bagatellvorbehalts wird zugestanden, dass diese Schwelle schwer zu bestimmen ist.1009 Abgelehnt wird der Bagatellvorbehalt vor allem aus rechtsdogmatischen Gründen. Die Frage der Schwere des Eingriffes wird im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung berücksichtigt. Sie ist deshalb auf Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gegen entgegenstehende Belange abzuwägen.1010 Erst auf dieser Ebene lassen sich alle Belange umfassend darstellen, weshalb auch erst hier offenbar wird, ob nicht, unter einer Vielzahl von Abwägungsaspekten, auch ein sehr niedrig zu gewichtender Belang „das Zünglein an der Waage“ sein kann.1011 Auch können sich Belästigungen kumulieren und somit auf anderer Ebene von Relevanz sein. Zigarettenrauch galt lange Zeit als bloße Belästigung, die keine grundrechtliche Wirkung auf Dritte habe. Das Rauchen war hingegen als eigene Willensentscheidung die Betätigung bürgerlicher Freiheit par excellence.1012 Das 1005

Siehe hierzu 2. Kapitel D. V. 2. c) – „Bagatellvorbehalt“. Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 119; Wulfhorst, Der Schutz „überdurchschnittlich empfindlicher“ Rechtsgüter im Polizei- und Umweltrecht, S. 100; a. A. VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1974 – 10 A 111/74 – NJW 1975, 275 (275); Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 304; Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 134; Murswiek/ Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 163; differenzierend Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 88. 1007 Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 119; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 105. 1008 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 88. 1009 Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 119. 1010 Hillgruber, in: HStR IX, § 200 S. 95. 1011 Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 163. 1012 Loschelder, ZBR 1977, 337 (338); Sachs, in: FS Bethge, S. 255 ff.; Suhr, JZ 1980, 166 (168); Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 105; Vitzthum, in: HGR II, § 48 Rn. 78; a. A. OVG Berlin, Beschluss vom 18.04.1975 – V S 13/75 – NJW 1975, 2261 (2262), das bezüglich des Rauchens eine Schutzbereichsverengung der allgemeinen Handlungsfreiheit erblickte, da die freie Entfaltung der Persönlichkeit nur soweit gewährt werde, wie nicht Rechte anderer verletzt würden. Das BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (355) [Rauch1006

E. Auslösung der Schutzpflicht

181

einmalige Einatmen von Passivzigarettenrauch an einer Bushaltestelle mag nicht gefährlicher sein als das der Abgase der vorbeifahrenden Verbrennungsmotoren. Stellt sich beides im Einzelfall zwar als bloße Belästigung dar, wird es auf einer höheren Abstraktionsebene dennoch zum Verfassungsproblem.1013 Nicht die einzelne Geruchsimmission, die einzelne Lärmquelle oder die einzelne geringfügige Dosis an Schadstoffen führt zu einer messbaren Verschlechterung der individuellen wie der öffentlichen Gesundheit. Das regelmäßige Wiederkehren, die Vielzahl an Betroffenen, die Unausweichlichkeit durch die gleichmäßige Verteilung in der Fläche, der häufig nur statistisch feststellbare Schaden sind Faktoren, die es verbieten, die sogenannten Belästigungen generell auszublenden.1014 Ein Bürger mag keinen Unterlassungsanspruch gegen den einzelnen Verkehrsteilnehmer haben, weder aus § 1004 Abs. 1 BGB analog gegen den Privaten noch grundrechtsunmittelbar gegenüber dem staatlichen Straßenverkehrsteilnehmer. In der grundrechtlichen Ausprägung als Schutzpflicht muss der Staat jedoch das große Ganze in den Blick nehmen und hat deshalb eine Verpflichtung, den öffentlichen Verkehr so zu regulieren, dass die Interessen der Anwohner und der der Öffentlichkeit, also der Gesamtheit der Grundrechtsträger, angemessene Berücksichtigung finden. Selbiges gilt für alle anderen umweltrelevanten Techniknutzungen. Es deutete sich hier bereits ein rechtsfolgenseitiger Unterschied von Abwehrrecht und Schutzpflicht an. Das Abwehrrecht, sei es ein grundrechtliches Abwehrrecht gegen den Staat oder ein zivilrechtliches Abwehrrecht gegen einen Dritten, besteht nicht für sich, sondern hat zur Voraussetzung, dass es geltend gemacht wird. Die Schutzpflicht ist umfassend und unabhängig davon, ob sie in jedem Einzelfall eingeklagt wird.1015 Relevant für den Bereich der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten kann also auch schon die bloße Belästigung sein, sei es durch Gerüche, Lärm, Abgase, verbot in Gaststätten], sah beim Rauchverbot hingegen einen „schwerwiegenden Eingriff“ in die speziellere Freiheit des Art. 12 Abs. 1 GG. 1013 Mediziner führen jährlich etwa 3300 Sterbefälle in Deutschland auf die Folgen des Passivrauchens zurück, übereinstimmend zitiert nach BVerfG, Urteil vom 30.07. 2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (351) [Rauchverbot in Gaststätten] sowie Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 184. Laut einer Untersuchung des Max-Planck-Institutes für Chemie ist die Mortalität aufgrund von Außenluftverschmutzung, die zu einem großen Teil durch den Straßenverkehr erzeugt wird, noch höher als durch Zigarettenrauch und liegt zur Zeit bei 133 vorzeitigen Toden pro 100.000 Einwohner in Europa, siehe https://www.mpg.de/12808584/luftverschmut zung-verkuerzt-das-leben-der-europaeer-rund-zwei-jahre (abgerufen am 13.06.2019). Das Umweltbundesamt ermittelte zuvor etwa 47.000 vorzeitige Todesfälle jährlich in Deutschland durch Außenluftbelastung, Kallweit/Wintermeyer, UMID 2013, 18 (18). 1014 Lücke, DÖV 1976, 289 (293); VG Schleswig, Urteil vom 20.09.1974 – 10 A 111/74 – NJW 1975, 275 (275). 1015 Wenngleich damit nicht gesagt ist, dass neben der Schutzpflicht nicht auch ein Schutzrecht bestehen kann, das einklagbar ist. Siehe hierzu 4. Kapitel A. – „Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld“.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Strahlung oder Licht. Dennoch genügt das reine „sich belästigt fühlen“ noch nicht aus. Es bedarf einer Verknüpfung von Ursache und grundrechtlicher Wirkung, damit die Umweltschutzpflicht ausgelöst wird.

II. Kausalität Wird unter Berufung auf die grundrechtliche Schutzpflicht das staatliche Vorgehen gegen eine bestimmte Ursache verlangt, kann dargelegt werden, dass diese kausal für den Schaden ist. Im Gegensatz zu Gefahren und Risiken, die eine Zukunftsprognose implizieren, setzt die Bestimmung einer Kausalität Gewissheit über die in Rede stehenden Umstände voraus. Strenggenommen kann Kausalität abschließend nur aus der ex-post-Perspektive beschrieben werden.1016 Erst wenn ein Vorgang abgeschlossen ist und das Ergebnis feststeht, kann die Verknüpfung von Ursache und Wirkung hergestellt werden.1017 Schutzpflichten bestehen notwendigerweise auch für zukünftige Ereignisse. Sonst müsste das Opfer eines Umweltschadens stets darauf warten, bis dieser eingetreten ist, bevor der Staat sich schützend vor ihn stellen muss. Es erscheint daher zwingend, dass für die Aktivierung der grundrechtlichen Schutzpflicht keine Kausalität in dem strengen Sinne verlangt werden kann, dass Ursache und Wirkung mit Sicherheit feststehen. Es muss bereits unterhalb der Schwelle strenger Kausalität möglich sein, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten entweder in dem Sinne aktiviert werden, dass sie staatliches Handeln erfordern oder ermöglichen.1018

III. Auslösung unter Unsicherheit Umweltschutzpflichten bestehen nicht erst, wenn eine Schädigung bereits eingetreten ist.1019 Sie können bereits im Vorfeld auf Ebene der Gefahren- als auch der Risikoschwelle bestehen.1020 Nach überkommener Ansicht bezeichnet Risiko einen theoretisch möglichen Schadenseintritt, dessen Wahrscheinlichkeit sich noch nicht zu einer Gefahr verdichtet hat.1021 Somit sei die Risikoschwelle der Gefahrenschwelle vorgelagert. Umgekehrt stelle sich die Gefahr als Steigerung 1016 Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 15; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 491. 1017 Joerden, Logik im Recht, S. 245. 1018 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (94) [Mülheim-Kärlich]; Brüning, JuS 2000, 955 (956); Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 107. 1019 Lorenz, in: FS für Scholz, S. 326; Roßnagel, UPR 1990, 86 (87); Scherzberg, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 12 Rn. 20. 1020 Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 31; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 81. 1021 Hofmann, Abwägung im Recht, S. 238; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 82.

E. Auslösung der Schutzpflicht

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des Risikos dar.1022 Umfang und Abgrenzung der Begriffe sind bis heute umstritten.1023 1. Gefahrenschwelle Häufig wird der polizeiliche Gefahrbegriff auf die grundrechtlichen Schutzpflichten übertragen, um die Schwelle zu bestimmen, die ein Tätigwerden des Gesetzgebers zwingend erforderlich macht.1024 a) Der klassische Gefahrbegriff Nach dem klassischen polizeirechtlichen Gefahrbegriff wäre demnach die Schwelle zur Schutzpflicht überschritten, wenn eine Sachlage oder ein Verhalten bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein geschütztes Rechtsgut schädigen wird.1025 Dabei kann die Gefahrenschwelle nicht für alle grundrechtlich geschützten Güter einheitlich bestimmt werden.1026 Schädigungen an den durch Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG geschützten Rechtsgütern Leben und körperliche Unversehrtheit sind oft irreversibel. Zu Gunsten dieser Rechtsgüter muss ein erhöhter Schutzstandard bestehen, 1022 Bezüglich dieser These lassen sich berechtigte Zweifel vorbringen, näher dazu 2. Kapitel E. III. 2. b) – „Definitionen und Abgrenzungsschwierigkeiten“. 1023 Calliess, JZ 2006, 321 (328); Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (786); von einem „Begriffswirrwarr“ spricht: Wagner, NJW 1980, 665 (668). 1024 Delgado del Saz, Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund, S. 61; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 236 f.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 37; Kloepfer, DVBl. 1988, 305 (311); Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 165; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 229; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 151; Scherzberg/Mayer, JA 2004, 51 (52); Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (216); Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 116; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 102; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 76. f. 1025 Erstmals: PrOVG, Erkenntniß vom 15.10.1894 – Rr. III 1115 – PrVBl. 1895, 125 (126) [Gefahrbegriff]; seit dem in ständiger verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung (statt vieler): BVerwG, Urteil vom 26.02.1974 – I C 31.72 – BVerwGE 45, 51 (57); VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 31.07.2015 – 16 L 1495/15 – BeckRS 2015, 49912; VG Köln, Urteil vom 25.01.2017 – 1 K 5148/14 – BeckRS 2017, 106685; VG Köln, Beschluss vom 04.02.2010 – 20 L 115/10 – BeckRS 2010, 46163; so auch die Lit.: Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 15; Delgado del Saz, Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund, S. 61; Elgeti/Fock, NuR 2018, 369 (369); Funke/Kraus, BayVBl. 2018, 725 (725); Ibler, in: FS für Hailbronner, S. 737; Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 162; Kloepfer/ Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 32; Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 11 f.; Lorenz, in: FS für Scholz, S. 328; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 153; Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 31; Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 75; Roßnagel, UPR 1986, 46 (48); Scholl, JZ 1992, 122 (128); Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 5; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 103; Weinrich, NVwZ 2018, 1680 (1682). 1026 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 37.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

da ein nachträglicher Ausgleich ungenügend ist.1027 Umgekehrt heißt das, dass dort, wo Umweltschädigungen Verletzungen von Leib oder Leben zur Folge haben können, die Gefahrschwelle bereits bei einer niedrigeren Wahrscheinlichkeit anzusetzen ist als bei im Nachhinein vollständig entschädigungsfähigen Rechten.1028 b) Der moderne Gefahrbegriff Der moderne subjektive Gefahrbegriff erweitert den klassischen objektiven Gefahrbegriff um eine subjektive Komponente.1029 Es solle nicht mehr darauf ankommen, ob eine Gefahr objektiv aus der ex-post-Perspektive vorlag, sondern wie sich die Situation für einen gewissenhaften Beobachter aus der exante-Perspektive darstellte.1030 Argumentiert wird vorwiegend damit, dass der Begriff der Wahrscheinlichkeit notwendigerweise bestehende Unsicherheiten impliziere und nicht zulasse, objektive Gefahrprognosen abzugeben. Zum anderen werden Notwendigkeiten der Gefahrenabwehr an sich angeführt. Es müssten in der gefahrenabwehrrechtlichen Praxis meist schnelle Entscheidungen getroffen werden. Fehlprognosen seien daher nur bedingt vorwerfbar.1031 Es mag schon in Bezug auf das Polizeirecht fragwürdig erscheinen, ob eine Subjektivierung des Gefahrbegriffs wirklich angebracht ist.1032 Dagegen spricht jedenfalls die damit einhergehende Rechtsschutzverkürzung.1033 Im Bereich des Umweltverfassungsrechts ist außerdem zu berücksichtigen, dass Adressat der Schutzpflichten häufig der Gesetzgeber ist.1034 Im Gegensatz zur Polizei handelt dieser meist nicht unter Zeitdruck. Das Gesetzgebungsverfahren ist gerade darauf ausgerichtet, durch ein differenziertes System gegenseitiger Kontrolle Fehler in Prognoseentscheidungen frühzeitig zu erkennen. Der Aufwand, der vor Erlass einer gesetzgeberischen Entscheidung betrieben wird, ist um ein vielfaches höher

1027

Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 90. Siehe hierzu auch 2. Kapitel D. XIV. – „Rangordnung der grundrechtlichen Positionen“. 1029 Hofmann, Abwägung im Recht, S. 237; Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 71; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 156; Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 39; Poscher, NVwZ 2001, 141 (141); Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 92 ff.; Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 52. 1030 Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 156; Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 39; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rn. 70; Thiel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8 Rn. 52. 1031 Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 156; Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 39. 1032 Zu den Folgeproblemen des subjektiven Gefahrbegriffs im Polizeirecht siehe Poscher, NVwZ 2001, 141 (141). 1033 Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 46. 1034 Hierzu näher 3. Kapitel B. – „Gesetzgebungspflichten“. 1028

E. Auslösung der Schutzpflicht

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als der Rechercheaufwand, der einer durchschnittlichen Polizeiverfügung vorausgeht.1035 Hinzu kommt, dass sich disziplinar- und amtshaftungsrechtliche Fragen, die zur Subjektivierung des Gefahrenbegriffs beigetragen haben1036, in Bezug auf grundrechtliche Umweltschutzpflichten selten stellen. Die Parlamentsabgeordneten, denen die Umsetzung der Schutzpflichten hauptsächlich obliegt, unterliegen keinem Disziplinarrecht. Sogenanntes Parlamentsunrecht löst keine Amtshaftungsansprüche aus.1037 Das Kriterium der Finalität eines Grundrechtseingriffs ist deshalb mit dem Aufkommen des modernen Eingriffsbegriffs zurecht aufgegeben worden.1038 Wenn es für das Bestehen eines positiven Grundrechtseingriffs nur noch auf seine faktische Wirkung und nicht mehr auf seine beabsichtigte Wirkung ankommt, kann es für das Bestehen einer Schutzpflicht, die die Kehrseite des Abwehrrechts darstellt, auch nur auf das faktische Bestehen einer Gefährdung ankommen.1039 Dies gilt auch für sekundäre Schutzpflichten der Exekutive und Judikative. Beide sind – im Rahmen ihrer Aufgaben und Befugnisse – zum Umweltschutz verpflichtet, sobald die Schädigung eines grundrechtlich geschützten Gutes bewirkt wird. Übermäßige Staatshaftungsansprüche werden dadurch abgefedert, dass auf Ebene des § 839 BGB subjektive Tatbestandsmerkmale Voraussetzung für den Anspruch sind. So besteht eine Haftung nach § 839 Abs. 1 S. 1 BGB i.V. m. Art. 34 GG nur für vorsätzliche und fahrlässige Pflichtverletzungen. Für die Judikative besteht außerdem das Spruchrichterprivileg nach § 839 Abs. 2 S. 1 BGB. Auch im Bereich der enteignungsgleichen Eingriffe bleiben Haftungsansprüche überschaubar. Schutzpflichtverletzungen bestehen tatbestandlich meist aus einem Unterlassen. Im Bereich der enteignungsgleichen Eingriffe gilt, dass der Staat für Unterlassen grundsätzlich nicht haftet, es sei denn, es bestand ein subjektiver Anspruch des Bürgers auf eine konkrete Handlung.1040 Dadurch sind mögliche Haftungsfälle hinreichend eingeschränkt und es besteht daher auch in Bezug auf Exekutive und Judikative kein Bedürfnis, die subjektive Komponente bereits auf tatbestandlicher Ebene zur Voraussetzung der grundrechtlichen Umweltschutzpflicht zu machen. Im Ergebnis ist zu konstatieren, dass der subjektive Gefahrenbegriff nicht geeignet ist, als Schwelle für die Auslösung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten herangezogen zu werden. 1035

Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 77. Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 46. 1037 Hartmann, Öffentliches Haftungsrecht, S. 172 ff. 1038 Bethge, in: HStR IX, § 203 Rn. 141 f.; Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 89; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 226; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 42 ff.; Ossenbühl, in: HStRV, § 101 Rn. 31. 1039 Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, S. 377. 1040 BGH, Urteil vom 03.07.1997 – III ZR 205/96 – BGHZ 136, 182 (184); Papier/ Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14, Rn. 648. 1036

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

c) Die umweltschutzrechtliche Gefahrenschwelle Es scheint schon fraglich, ob der Begriff der Gefahr, wie er im Polizeirecht verwendet wird, so modifiziert werden kann, dass er den Bedürfnissen der Schutzpflichtdogmatik Rechnung trägt.1041 Zum Teil wird die Gefahrenschwelle als Mindestvoraussetzung für die Aktivierung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten gesehen.1042 Wenn ein Schaden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohe, dürfe der Staat jedenfalls nicht passiv bleiben.1043 Die Frage, welche Maßstäbe an die hinreichende Wahrscheinlichkeit zu stellen sind, lässt sich nur für den Einzelfall und nicht abstrakt-generell beantworten.1044 Generell lässt sich nur auf das allgemeine Abwägungsgebot zurückgreifen: Je geringer der zu erwartende Schaden, desto strenger der Maßstab, der an die Wahrscheinlichkeit zu legen ist.1045 Die Wirkkraft dieser Erkenntnis ist im Umweltrecht jedoch vergleichsweise gering. Eine Abwägung von zu erwartender Schadenshöhe und Eintrittswahrscheinlichkeit ergibt nur dort Sinn, wo auf eine gesicherte Faktenlage zurückgegriffen werden kann.1046 Dies mag beispielsweise der Fall sein, wenn in Abwasser enthaltene Schmutzstoffe ungeklärt abgeleitet werden, die Schmutzstoffe sich durch biochemische Prozesse zu Giftstoffen umwandeln und diese 4 km weiter ein Fischsterben in einem Forellenteich verursachen.1047 In diesem Fall ließen sich die einzelnen Zusammenhänge im Detail aufschlüsseln und naturwissenschaftlich vollständig berechnen. Im Gegensatz dazu ist in Bezug auf andere Umweltprobleme eine vollständige Ermittlung aller Fakten und Kausalzusammenhänge nach dem derzeitigen Stand der Technik ausgeschlossen: die Wirkung von gentechnisch veränderten Organismen im Ökosystem,1048 die Langzeitfolgen von Strahlung1049 und nicht zuletzt 1041

Lorenz, in: FS für Scholz, S. 328. Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 229. 1043 Murswiek, WiVerw 1986, 179 (187). 1044 Lorenz, in: FS für Scholz, S. 328. 1045 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (62) [CERN]; BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 – BVerfGE 119, 1 (30) [Esra]; Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 15; Denninger, in: Präventionsstaat, S. 101; Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Art. 20a GG Rn. 86; Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 65; Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 163; Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (683); Murswiek, WiVerw 1986, 179 (188); Roßnagel, UPR 1986, 46 (48); Scherzberg/ Mayer, JA 2004, 51 (52); Scholl, JZ 1992, 122 (128). 1046 Murswiek, WiVerw 1986, 179 (189); Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (211). 1047 So der Fall in BGH, Urteil vom 10.07.1975 – III ZR 28/73 – NJW 1975, 2012 (2013). 1048 Faltus, ZUR 2018, 524 (533); Heberer, Grüne Gentechnik, S. 24 ff.; Hiekel, Grundbegriffe der grünen Gentechnik, S. 50; Kempken/Kempken, Gentechnik bei Pflanzen, S. 224; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 20 Rn. 4. 1042

E. Auslösung der Schutzpflicht

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der Klimawandel1050 sind Umweltprobleme, deren Vielschichtigkeit zu einer schier unüberschaubaren Anzahl unterschiedlicher Prognosen geführt hat. Auf die allgemeine Lebenserfahrung kann in diesen Bereichen kaum zurückgegriffen werden, um zu einer zuverlässigen Zukunftsprognose zu gelangen. Die Erkenntnisse fachkundiger Stellen gehen im Ergebnis so weit auseinander, dass sich auch hieraus keine eindeutige Prognose ableiten lässt. In Hinblick auf diese Fallgruppen versagt der Gefahrbegriff.1051 Der Gefahrbegriff ist auf die Bestimmung von Handlungsschwellen in konkreten Situationen zugeschnitten. Adressat der grundrechtlichen Schutzpflichten ist primär der Gesetzgeber,1052 dem die Regelung von Einzelfällen nach Art. 19 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 GG untersagt ist. Statt als Helfer in konkret-individuellen Situationen ist der Gesetzgeber dazu berufen, abstrakt-generelle Regelungen zu treffen, mit der die Verwaltung gerüstet ist, konkreten Gefahren im Einzelfall zu begegnen oder deren Entstehung im Vorfeld zu verhindern.1053 Dem Gesetzgeber kommt damit eine Verantwortung zu, deren Grund und Grenze sich nicht über den Gefahrenbegriff ausreichend umschreiben lassen.1054 2. Risikovorsorge In Ergänzung zur Gefahr im polizeirechtlichen Sinne hat sich für das Umweltund Technikrecht der Begriff des Risikos etabliert.1055 Dieser geht über den Begriff der Gefahr im polizeirechtlichen Sinne hinaus.1056 Während der polizeirechtliche Gefahrbegriff auf den durchschnittlichen und gewissenhaften Beobachter abstellt, der vor allem auf sein erfahrungsbasiertes Wissen zurückgreift,1057

1049

Wiedemann, Vorsorgeprinzip und Risikoängste, S. 53. Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 7; Essl/Croci-Maspoli, in: Essl, Biodiversität und Klimawandel, S. 22; Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 478; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 17 Rn. 4. 1051 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3265) [Waldschäden durch Luftverschmutzung]. 1052 Hierzu näher 3. Kapitel – „Analyse der Rechtsfolgenseite“. 1053 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 107 f. 1054 In diese Richtung auch Denninger, in: Präventionsstaat, S. 89; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 43; Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 195; Schmidt-Aßmann, AöR 1981, 205 (210). 1055 Brinktrine, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 1, Rn. 38; Calliess, JZ 2006, 321 (328); Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 15; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 81 ff., § 4 Rn. 33 ff.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 228 ff.; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 80 ff.; Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (786); Wiedemann, Vorsorgeprinzip und Risikoängste, S. 17 ff.; Wollenteit, ZUR 2013, 323 (326). 1056 BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (144). 1057 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 34; Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 47. 1050

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

soll dem Risikobegriff eine weitgehende Prognose zugrunde liegen.1058 Der Begriff des Risikos wird vor allem dort relevant, wo aufgrund mangelnder Erfahrungsschätze und unvorhersehbarer Fortentwicklung ein künftiger Schaden nicht mehr hinreichend genau abgeschätzt werden kann.1059 Dies gilt insbesondere für neuartige Techniken mit ungewissen Folgen beziehungsweise einer ungewissen Beherrschbarkeit bei denkbaren Unfällen.1060 a) Risiko in der Rechtsprechung Der Begriff des Risikos wird in der Rechtsprechung in unterschiedlichen Zusammenhängen gebraucht. Insbesondere im Umweltrecht gehört er mittlerweile zum festen Bestandteil der Fachsprache. Das Bundesverfassungsgericht trug mit seiner Rechtsprechung zwar wesentlich zur Etablierung des Risikobegriffs im Umweltrecht bei, nicht jedoch zur Bildung einer einheitlichen Definition.1061 Das Risiko markiert in der Rechtsprechung des Gerichts keine festgelegte Schwelle, ab der eine bestimmte Schutzpflicht greift. Einerseits könne nicht pauschal davon ausgegangen werden, dass jedes Risiko für ein grundrechtlich geschütztes Gut bereits eine Verletzung desselben darstelle,1062 andererseits könne „ein Verfassungsverstoß nicht schon mit dem Hinweis abgetan werden, das Risiko eines Schadens stelle noch keine Grundrechtsverletzung dar“.1063 Eine der meistzitierten1064 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts über den Umgang mit Risiken betraf das Atomkraftwerk Kalkar I. Es stellte fest, 1058 Elgeti/Fock, NuR 2018, 369 (373); Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 82; Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 4 Rn. 6. 1059 Elgeti/Fock, NuR 2018, 369 (372); Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (412); Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 743. 1060 Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (786). 1061 Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 64 ff.; Risch, in: Sicherheit und Risiko im Bauwesen, S. 68; Scholl, JZ 1992, 122 (122). 1062 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (61) [CERN]: „Zwar sind alle Stellen, die öffentliche Gewalt ausüben, prinzipiell verpflichtet, sich schützend vor das durch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz l GG verbürgte Rechtsgut zu stellen. Dieses Grundrecht gewährleistet aber keinen Anspruch auf Ausschluss jedes vorstellbaren Risikos“. Dieser Gedanke wird sich angesichts des hohen Stellenwerts, den das Gericht dem Recht auf Leben einräumt, auch auf die anderen Grundrechte übertragen lassen. 1063 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83 – BVerfGE 66, 39 (58). 1064 Siehe nur Breuer, NuR 1994, 157 (160); Hofmann, in: HStR IX, § 195 Rn. 31; Hofmann, ZRP 1986, 87 (89); Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 154; Pietrzak, JuS 1994, 748 (750); Salzwedel, in: HStR IV, § 97 Rn. 31; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 88; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 116; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 105; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (6). Auch das Gericht selbst greift bis heute in ständiger Rechtsprechung auf seine hier entwickelte Formel zurück BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ

E. Auslösung der Schutzpflicht

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dass vom Gesetzgeber im Hinblick auf seine verfassungsrechtlichen Schutzpflichten keine Regelungen gefordert werden können, die eine Grundrechtsgefährdung mit absoluter Wahrscheinlichkeit ausschließen würden.1065 Die Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens würden dadurch überschritten. Wolle man jegliche Gefahren, die aus der Zulassung technischer Anlagen möglicherweise entstehen können, bereits im Vorfeld verhindern, hieße das, jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik zu verbannen. Für die Gestaltung der Sozialordnung müsse es daher bei einer „Abschätzung anhand praktischer Vernunft“ bleiben.1066 Die Entscheidungen, die unter derartiger notwendiger Unsicherheit getroffen werden müssen, obliegen dem Gesetzgeber, denn „es ermangelt [insoweit] rechtlicher Maßstäbe“.1067 Hat der Gesetzgeber eine Risikoentscheidung getroffen, ist es Aufgabe des Gerichts, festzustellen, ob diese stringent angewendet wird. Eine Gefahren- oder Risikoeinschätzung ist dann nicht schlüssig, wenn identischen Gefahren innerhalb eines Gesetzes unterschiedliches Gewicht eingeräumt wird.1068 Es darf bei der Beweisfindung auch berücksichtigt werden, wenn Forschungsergebnisse über die Risikobehaftetheit eines Gegenstandes veröffentlicht wurden, aber deren Berechnungsgrundlagen nicht vollständig offengelegt wurden.1069 Eine Pflicht zur Vorsorge gegen rein hypothetische Gefährdungen bestehe laut Bundesverfassungsgericht nicht. Auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „verlangt die Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG nicht, [. . .] auf einer wissenschaftlich ungeklärten Tatsachengrundlage“ tätig zu werden, „weil nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit nicht ausgeschlossen werden können“.1070 Aus dieser Rechtsprechung zur hypothetischen Gefährdung darf aber nicht geschlossen werden, dass eine Schädigungsursache erst als solche bewiesen sein muss, bevor die Schutzpflicht greift. Bereits ein bloßer Gefahrenverdacht oder sogar nur ein Besorgnispotential, wie es das Bundesverwaltungsge2010, 114 (115) [Endlager Schacht Konrad]; BVerfG, Beschluss vom 12.11.2008 – 1 BvR 2456/06 – BeckRS 2008, 40870 [Zwischenlager Grafenrheinfeld]. 1065 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1066 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. Dazu auch Kloepfer, DVBl. 1988, 305 (311). 1067 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (131) [Kalkar I]; in diese Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (59) [Mülheim-Kärlich]. 1068 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (362) [Rauchverbot in Gaststätten]. 1069 BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn]. 1070 BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; in diese Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (61) [CERN]; BVerfG, Beschluss vom 16.12.1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83 – BVerfGE 66, 39 (59).

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

richt ausdrückt, könnten bei entsprechender Schwere der zu erwartenden Schädigung bereits dazu führen, dass Schutzmaßnahmen aufgrund „theoretischer Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden müssen“.1071 Das zum Tätigwerden führende Besorgnispotential könne sich auch aus einer wissenschaftlichen Mindermeinung ergeben, wenn das Ergebnis nach den Regeln der jeweiligen Fachwissenschaft zustande gekommen ist1072 und dies allgemeine Anerkennung gefunden hat, was nicht gleichbedeutend mit einhelliger Zustimmung sein muss.1073 Bei entsprechend hoher Schadenserwartung1074 dürfe sich der Staat bei der Erfüllung seiner Schutzpflichten jedenfalls nicht blind auf die „herrschende Meinung“ verlassen.1075 Insbesondere wenn „wissenschaftlich und praktisch noch unerschlossenes Neuland betreten wird“, komme es darauf an, die Risikoabschätzung auf eine möglichst breite Informationsgrundlage zu stellen.1076 Bei nicht auszuräumenden Erkenntnisdefiziten können verbleibende Unsicherheiten bei der Festsetzung von Grenzwerten mittels Sicherheitsmargen1077 und hinreichend konservativer Annahmen berücksichtigt werden.1078 Es stehe dem Gesetz- und Verordnungsgeber bei komplexen Gefährdungslagen, über die noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnisse bestehen, ein entsprechender Erfahrungs- und Anpassungsspielraum zu.1079 Es sei eine politische Entscheidung, ob „Vorsorgemaßnahmen in einer [. . .] Situation der Ungewissheit sozusagen ,ins Blaue hinein‘“ ergriffen werden sollen.1080 1071 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (62) [CERN]; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (169); BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 (121); BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 (315) [Wyhl]. 1072 BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (169); BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (145); BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 (316) [Wyhl]. 1073 BVerwG, Urteil vom 04.04.2012 – 4 C 8.09 , 4 C 9.09, 4 C 1.10, 4 C 2.10, 4 C 3.10, 4 C 4.10, 4 C 5.10, 4 C 6.10 – BVerwGE 142, 234 (377) [Fluglärmschutz]. 1074 Ausdrücklich soll für die Risikoermittlung von Atomanlagen wegen der hohen Schadenserwartung ein strengerer Maßstab an die Ermittlungsqualität angelegt werden als für die Bewertung der Gesundheitsrisiken von Straßenverkehrslärm, BVerwG, Urteil vom 29.01.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 (362) [Grundrechtskonkretisierende Normen]. 1075 BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 (121); BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 (316) [Wyhl]. 1076 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (62) [CERN]. 1077 BVerwG, Urteil vom 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 (10) [Verkehrslärm]. 1078 BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 (121). 1079 BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]. 1080 BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp].

E. Auslösung der Schutzpflicht

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Grundsätzlich besteht also eine politische Berechtigung, insbesondere des Gesetzgebers, auf spekulativer Basis zur Abwehr von Gefahren und Risiken für private und öffentliche Rechtsgüter tätig zu werden. Die Grenze der rechtlich zulässigen Spekulation ist spätestens dort erreicht, wo der Gesetzgeber Grundrechtseingriffe aufgrund von Prognosen vornimmt, die „in dem Maße wirtschaftlichen Gesetzen oder praktischer Erfahrung widersprechen, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können“.1081 Die Zuerkennung von naturschutzfachlichen Beurteilungsspielräumen für die Exekutive bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe ist bisher noch Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse.1082 Umgekehrt können die staatlichen Stellen, je nach ihrer Aufgabe im Kompetenzsystem des Grundgesetzes, schon zum Tätigwerden verpflichtet sein, wenn noch verbleibende Unsicherheit über das Maß und die Wahrscheinlichkeit eines zukünftigen Schadens besteht.1083 Es ergibt sich insoweit eine generelle Pflicht, die Rechtsordnung so auszugestalten, „dass auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen eingedämmt bleibt“.1084 Das Bundesverfassungsgericht hat bisher für die Bestimmung der Risikoschwelle, ab der diese Pflicht besteht, keine einheitliche Formel entwickelt.1085 Es beschränkt sich zumeist darauf, Verfahrensanforderungen für die Risikoermittlung aufzustellen und die Beobachtungspflichten, die den unterschiedlichen staatlichen Stellen zukommen, festzulegen.1086 Während Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht nicht klar zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge trennen und teils sogar im Schrifttum gefolgert wurde, diese Trennung sei aufgegeben worden,1087 wird auf europäischer Ebene eine klarere Trennlinie gezogen: „,Risiko‘ [entspricht] dem Grad

1081 BVerfG, Beschluss vom 19.03.1975 – 1 BvL 20, 21, 22, 23, 24/73 – BVerfGE 39, 210 (226) [Mühlenstrukturgesetz]. 1082 Siehe hierzu ausführlich 3. Kapitel C. III. – „Unbestimmte Rechtsbegriffe“. 1083 BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn]; BVerfG, Beschluss vom 17.02.1997 – 1 BvR 1658/96 – NJW 1997, 2509 (2509) [Elektro-Smog]. 1084 BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (72) [Schallschutzmaßnahmen]. 1085 Das Gericht bleibt hier bei der vagen je-desto-Formulierung, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (72) [Schallschutzmaßnahmen]: „ob, wann und mit welchem Inhalt eine solche Ausgestaltung von Verfassungs wegen geboten ist, hängt von der Art, der Nähe und dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab“. 1086 Weitergehend zu Verfahrensanforderungen, die sich aus grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ergeben, siehe 3. Kapitel B. II. 1. c) – „Umweltbezogener Grundrechteschutz durch Verfahren“. 1087 Hofmann, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 889; Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 136.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

der Wahrscheinlichkeit nachteiliger Wirkungen für das von der Rechtsordnung geschützte Gut aufgrund der Zulassung bestimmter Maßnahmen oder bestimmter Praktiken. Dagegen wird der Begriff ,Gefahr‘ gemeinhin in einem weiteren Sinne verwendet und bezeichnet jedes Produkt oder Verfahren, das eine nachteilige Wirkung für die menschliche Gesundheit haben kann.“ 1088 Eine derartige Definition beider Begriffe lieferte die deutsche Rechtsprechung bisher nicht. Stattdessen sind, wie oben gezeigt, Aussagen zu Risikoermittlung, -vorsorge und -management zu entnehmen, die nicht immer eine stringente Linie verfolgen und deshalb nur begrenzt verallgemeinerbar sind. Dass die Gerichte in einigen Entscheidungen, insbesondere außerhalb des Umweltrechts, „Gefahr“ und „Risiko“ quasi synonym verwenden,1089 darf nicht dahingehend verstanden werden, dass diese Unterscheidung für das Umweltrecht keine Rolle mehr spielen soll. Schon die höchst unterschiedliche Verwendung der beiden Begriffe im einfachen Recht und in den Fachwissenschaften deutet auf die Notwendigkeit hin, beide auch in der Rechtswissenschaft klar zu trennen.1090 b) Definitionen und Abgrenzungsschwierigkeiten In der Rechtswissenschaft wie auch in der Risikoforschung sind verschiedene Versuche unternommen worden, den Begriff des Risikos definitorisch zu fassen,1091 ohne dass es gelungen wäre, einen einheitlichen Risikobegriff herauszuarbeiten.1092 aa) Schadensbezogener Risikobegriff Prägnant umrissen wird der Risikobegriff durch die Definition „Risiko bezeichnet die Möglichkeit des Schadenseintritts“.1093 Diese allgemeinste aller Be1088

EUG, Urteil vom 09.09.2011 – T-475/07 – Slg. II 2011, 5943 Rn. 147. Meist ist dies als eine allgemeinsprachliche, nicht fachsprachliche Verwendung der beiden Wörter zu deuten: BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 (188) [Ausreichende Ermittlungen]. 1090 So heißt es beispielsweise in § 6 Abs. 1 GenTG, dass eine Risikoanalyse für die genannten Schutzgüter durchzuführen ist. Gemäß § 6 Abs. 2 GenTG sind sodann auf dieser Basis gefahrenvorbeugende Vorkehrungen zu treffen. Diese Zweistufigkeit des Verfahrens deutet darauf hin, dass Gefahr und Risko zwei unterschiedliche Ebenen im Erkenntnisprozess darstellen. 1091 Elgeti/Fock, NuR 2018, 369 (372); Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 288 ff.; Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 69; Zollner, Komplexität und Recht, S. 75; es würde den Umfang dieser Arbeit sprengen, alle Abgrenzungen des Risikobegriffs nachzuzeichnen, die, allein in der Rechtswissenschaft, jemals unternommen wurden; vgl. nur Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 17 ff., der Risikotypen anhand der griechischen Mythologie in Damokles, Zyklop, Pandora, Kassandra und Medusa aufteilt. Eine Sammlung verschiedener Risikobegriffe findet sich außerdem bei Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 85 ff. 1092 Bechmann, in: Bechmann (Hg.), Risiko und Gesellschaft, S. IX; Gethmann, in: Risiko im Umweltstaat, S. 4; Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 64; Wagner, NJW 1980, 665 (668). 1089

E. Auslösung der Schutzpflicht

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stimmungen grenzt den Risikobegriff nicht in einer Art ein, dass praktikabel mit ihm operiert werden könnte. Eine Abgrenzung zur Gefahr ist mit diesem Risikobegriff nicht möglich. Es entspricht daher einer populären Ansicht, dass das Risiko eine Art Oberbegriff der Gefahr darstellen würde, die in diesem vollständig enthalten sei.1094 Dies wirft die Frage auf, ob Risiko nach dieser Definition identisch sein könnte mit der abstrakten Gefahr.1095 Falls das Risiko noch weiterginge als die abstrakte Gefahr, würde sich eine dreigliedrige Abstufung ergeben: Gefahr, abstrakte Gefahr und Risiko. Dabei wäre in der vorherigen Stufe immer die nachfolgende Stufe enthalten.1096 Risiko als die allgemeinste Beschreibung einer Schadensmöglichkeit wäre demnach denkbar umfassend und in seiner Weite praktisch nutzlos. Die bloße Möglichkeit irgendeines (unbestimmten) Schadenseintritts ist praktisch immer gegeben.1097 Um mit dem weiten Risikobegriff arbeiten zu können, benötigt er ein Bezugssystem. bb) Verhaltensbezogener Risikobegriff Ein solches Bezugssystem könnte das menschliche Verhalten sein. Deshalb wurde Risiko durch Luhmann definiert als die Möglichkeit künftigen Schadens,

1093 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 35; so auch Bechmann (Hg.), Risiko und Gesellschaft, S. X; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 152; Roßnagel, UPR 1986, 46 (46). 1094 Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 16; Hofmann, Abwägung im Recht, S. 238; Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 74; Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 159 f.; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 228; Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 76; Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (684); Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 41; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 152; Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 85; Risch, in: Sicherheit und Risiko im Bauwesen, S. 68; dieses Verhältnis von Gefahr und Risiko wird umgekehrt von EUG, Urteil vom 09.09.2011 – T-475/07 – Slg. II 2011, 5943 Rn. 147, indem der Gefahrbegriff gegenüber dem Risiko als der allgemeinere aufgefasst wird. 1095 So wird tatsächlich von „eine[r] Art Gefahr zweiten Grades“ gesprochen, vgl. Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 69; Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 43. 1096 Das Restrisiko stellt hier keine vierte Stufe dar, da die anderen Stufen gerade nicht in ihm enthalten sind, vgl. 2. Kapitel E. III. 2. c) – „Restrisiko“. Die herrschende Meinung geht von einer Dreiteilung in Gefahr, Risiko, Restrisiko aus, vgl. Hofmann, Abwägung im Recht, S. 236 ff. m.w. N., ohne aber Gefahr und Risiko deutlich voneinander abzugrenzen. Der Versuch einer solchen Abgrenzung wird vorgenommen von Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 153. Er unterscheidet nach Gefahr als „praktisch möglich“, Risiko als „praktisch unwahrscheinlich“ und Restrisiko als „praktisch ausgeschlossen“. Mit dieser Abgrenzung wird er jedoch seinem eigenen Anspruch nicht gerecht, eine trennscharfte Bestimmung aller drei Begriffe zu finden, die sich nicht überschneiden. Die gewählten Kriterien zur Abgrenzung sind denkbar offen gefasst und daher naturgemäß ungenau. 1097 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 161.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

die von Entscheidungen abhängt.1098 Demnach bestünde ein Risiko, wenn ein Kraftwerk gebaut wird, in dem Unfälle möglich sind oder eine Technik zugelassen wird, die Gesundheitsschäden hervorrufen könnte. Nicht hingegen umfasst wären reine Naturkatastrophen oder natürliche Umwelteinflüsse, die zwar zu einem Schaden führen können, aber keine menschliche Ursache haben.1099 Die Eingrenzung des Risikobegriffs anhand des Erfordernisses einer menschlichen Ursachensetzung scheidet für die Zwecke der vorliegenden Arbeit aus, denn wie oben beschrieben, bestehen grundrechtliche Umweltschutzpflichten des Staates auch in Bezug auf Naturkatastrophen.1100 Außerdem ist Anknüpfungspunkt für den Vorwurf einer staatlichen Schutzpflichtverletzung ein Unterlassen, durch das ein Bürger negativ in einem grundrechtlichen Schutzbereich berührt wird. Ein Unterlassen des Staates ist nicht nur in Bezug auf Schädigungen durch menschliches Handeln vorwerfbar, sondern auch, wenn die Schädigungsursache unbekannt ist oder sich auf nicht-menschliche Ursachen zurückführen lässt. Festzuhalten bleibt, dass für die Entwicklung eines Risikobegriffs die Möglichkeit des Schadenseintritts in Zusammenhang mit einer Ursache zu bringen ist.1101 cc) Kontingenter Risikobegriff Nach dem hier zu entwickelnden kontingenten1102 Risikobegriff ist Risiko die Möglichkeit1103 eines Schadens für ein Schutzgut bei zeitgleicher Unnotwendigkeit1104 der Kausalbeziehung von Ursache und Schaden.1105 Durch diese Defini1098 Luhmann, in: Bechmann (Hg.), Risiko und Gesellschaft, S. 327; siehe auch Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 15; Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 17. 1099 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 493; es ist aber durchaus üblich vom Risiko von Naturereignissen wie Vulkanausbrüchen zu sprechen, vgl. Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 17. 1100 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“. 1101 Elgeti/Fock, NuR 2018, 369 (372); Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (412). 1102 Kontingent bedeutet in der Modallogik möglich und unnotwendig (konjunktives und); siehe Joerden, Logik im Recht, S. 177. 1103 Näher zur modallogischen Bedeutung von „Möglichkeit“ Luhmann, Kontingenz und Recht, S. 32. 1104 Der modallogischen Terminologie folgend meint Unnotwendigkeit, dass etwas sein oder nicht sein kann. Das heißt in diesem Fall, dass Unklarheit darüber herrscht, ob eine Kausalbeziehung zwischen Ursache und Schaden gegeben ist. 1105 In diese Richtung auch Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 42, die Risiko als ein „mit Unsicherheit behaftet[es . . .] subjektives Urteil über einen Kausalzusammenhang“ beschreibt. Bei Hofmann, Abwägung im Recht, S. 239 findet sich diese Abgrenzung im Ansatz, wird aber nicht weiter verfolgt „Risiko [bezeichnet Situationen], die durch Ungewissheit im Sinne subjektiver Nichtkenntnis einzelner [Wirkungszusammenhänge] gekennzeichnet sind“. Auch Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 6 geht in diese Richtung, wenn sie das Vorliegen eines Risikos bejaht bei „ungewissen, noch nicht hinreichend erforschten Kausalzusammenhängen zwischen anthropogenem Verhalten und Schaden sowie bei dem Zusammenwirken von für sich allein unbedenklichen

E. Auslösung der Schutzpflicht

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tion lässt sich das Risiko deutlich von der Gefahr abgrenzen. Auch die Gefahr setzt die Möglichkeit eines Schadenseintritts an einem Schutzgut voraus. Hier ist jedoch die kausale Verknüpfung von Ursache und Wirkung bekannt. Lediglich über das tatsächliche Vorliegen der Ursache besteht Unsicherheit. Somit liegt bei einer Ursache eine Gefahr vor, wenn bekannt ist, dass die Ursache den Schaden hervorruft, aber der Kausalverlauf noch nicht bis zum Schaden fortgeschritten ist.1106 Die Gefahrenabwehr hat hier die Aufgabe, den Eintritt der Ursache zu verhindern oder in den Kausalverlauf einzugreifen, um den Schaden abzuwenden. Nach dem kontingenten Risikobegriff liegt hingegen ein Risiko vor, wenn nicht klar ist, ob die Ursache den Schaden hervorruft. Hier kann auch entschieden werden, die Ursache zu dulden, denn es ist nicht sicher, ob sie zum Schaden führen wird. Nun kann es sein, dass das Verhindern der Ursache selbst mit einer Schädigung einhergeht. Dieses Phänomen wurde in der Philosophie als Selbstbezüglichkeit des Risikos bezeichnet.1107 Wie bereits oben beschrieben, ergeht jede auf die Zukunft gerichtete Entscheidung unter Unsicherheit über die kausale Verknüpfung von Ursache und Wirkung.1108 Jede Entscheidung bedeutetet daher die Inkaufnahme eines, sei es auch geringen, Risikos. Auf der anderen Seite ist das Absehen von einer Entscheidung nicht notwendigerweise weniger risikobehaftet.1109 Dies ist besonders im Bereich der neuartigeren Technologien der Fall.1110 Illustrativ erläutern lässt sich dies am Beispiel der Gentechnik. Es besteht die Möglichkeit, durch Gentechnik bisher unheilbare Krankheiten zu bekämpfen, Tierarten vor dem Aussterben zu bewahren oder Pflanzen zu kreieren, mit denen die Nahrungsmittelversorgung für eine wachsende Weltbevölkerung sichergestellt werden kann.1111 Andererseits besteht genauso die Möglichkeit von menschlicher Euthanasie, unerwünschtem Gen-Drifting oder der Abnahme der Artenvielfalt Umweltbeeinträchtigungen“. Ähnlich Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (786), der Risiken beschreibt als „unbekannte, ex ante mangels einschlägiger beobachtbarer Erfahrungen oder wegen unklarer, in der Regel nicht linearer, sondern dynamischer und rekursiver kausaler Zusammenhänge objektiv nicht oder nur ungenau voraussehbare [. . .] Rechtsgutgefährdungen“. 1106 Die Abgrenzung von Gefahr und Risiko anhand der Vorhersehbarkeit des Kausalverlaufs findet sich in ähnlicher Form bei Ladeur, Recht – Wissen – Kultur, S. 50: „Lineare, rational beschreibbare Kausalverläufe sind für das Gefahrenabwehrrecht charakteristisch, Vorsorge aber kann theoretisch unendlich weit reichen.“ 1107 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 494. 1108 2. Kapitel E. II. – „Kausalität“. 1109 Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 213; Ladeur, NuR 1987, 60 (61); Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 43. 1110 Instruktiv am Beispiel der Nanotechnologie: Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 38 ff. 1111 Breuer, NuR 1994, 157 (159); Mechel, in: Koch, Umweltrecht, § 11 Rn. 2.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

durch Verdrängung.1112 Da Ursache und Wirkungsmechanismen nicht vollständig bekannt sind, kann nicht vorausgesagt werden, dass das Setzen einer Ursache zu einem Schaden führen wird und schon deshalb das Setzen der Ursache verhindert werden muss. Umgekehrt führt die Unsicherheit auch nicht zu der Schlussfolgerung, das Setzen der Ursache vorsichtshalber zu unterlassen, da die zu setzende Ursache (in diesem Fall die Durchführung gentechnischer Forschung) positive Effekte haben kann, die ausblieben, würde man auf sie verzichten. Risiken sind mangels Allwissenheit der Menschen für diese unvermeidbar und einer strengen naturwissenschaftlichen Berechnung nicht zugänglich.1113 Für die Zwecke der Risikobewertung muss es die Rechtswissenschaft deshalb bei unzureichender Tatsachengrundlage bei einer Abschätzung anhand praktischer Vernunft bewenden lassen, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner Kalkar I-Entscheidung ausdrückte.1114 Dies wird im Gentechnikrecht unter anderem daran deutlich, dass nicht etwa analog zur Gefahrenabwehr von der Risikoabwehr geschrieben wird, sondern in § 3 Nr. 6b GenTG der Begriff des Risikomanagements eingeführt wird, der zentrales Element dieses von Unsicherheiten über Wirkungsmechanismen beherrschten Rechtsgebiets ist. (1) Kontingenz und Komplexität Die Anzahl der Risiken ändert sich, wenn die Komplexität eines Systems sich nicht proportional zum Wissen über dieses System entwickelt.1115 Die Komplexität eines Systems wächst durch die Anzahl der in ihm befindlichen Faktoren und deren Verknüpfung untereinander.1116 Seit der Industrialisierung hat die Komplexität menschlicher Gesellschaft in rasanter Geschwindigkeit zugenommen und hält bis heute an. Das System menschlicher Vergesellschaftung und ihre Interaktion mit der Umwelt wird zunehmend folgenlastiger.1117 Um die Anzahl der Risiken zu reduzieren, ist es nötig, das Verhältnis von Zunahme der Komplexität des Systems und Generierung neuen Wissens über das System in ein Verhältnis zu bringen, das zu Gunsten der Wissensgenerierung ausschlägt.1118 Da der 1112

Mechel, in: Koch, Umweltrecht, § 11 Rn. 6; Zollner, Komplexität und Recht,

S. 77 f. 1113 Ladeur, NuR 1987, 60 (61); Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 494; in diese Richtung auch für den Bereich des Kernenergierechts BVerfG, Beschluss vom 08.08. 1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1114 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1115 Wagner, DÖV 1980, 269 (272); Willke, Ironie des Staates, S. 293. 1116 Taleb, Antifragilität, S. 90 f.; Zollner, Komplexität und Recht, S. 40 ff. 1117 Siehe hierzu auch Zollner, Komplexität und Recht, S. 58. 1118 Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 14; so auch BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (62) [CERN]: „wenn wissenschaftlich und praktisch noch unerschlossenes Neuland betreten wird [. . .] kommt es

E. Auslösung der Schutzpflicht

197

Menschheit nur beschränkte Kapazitäten zur Verfügung stehen, stellt sich für das Risikomanagement die Frage, in welchem quantitativen Verhältnis Komplexitätszunahme (beispielsweise die Entwicklung neuer Technologien) und die Wissensgenerierung (beispielsweise die Erforschung vorhandener Technologien) zueinanderstehen sollen. Es kann, in Anbetracht grundrechtlicher Umweltschutzpflichten, geboten sein, eine Technologie nicht zuzulassen oder zu beschränken, bis genug Wissen über ihre grundlegenden Kausalzusammenhänge vorhanden ist. Damit wird zum einen die Zunahme der Komplexität des Systems verlangsamt und zum anderen die Anzahl an kontingenten, also ungewissen Kausalitäten reduziert. Es wird somit ermöglicht, Ursachen, über deren Schadensursächlichkeit man Kenntnis erlangt hat, zu verhindern, mithin in die Ebene der Gefahrenabwehr einzutreten. In Bezug auf das Beispiel der Gentechnik kann das heißen, dass das Ausbringen von gentechnisch veränderten Organismen gestoppt wird, bis der Wissensstand über die Wirkungsmechanismen in der Natur ein Maß erreicht hat, dass Ausmaß von Schaden und Nutzen abschätzbar sind.1119 Durch die Mehrung des technikbezogenen Wissens sinkt das mit ihrer Nutzung verbundene Risiko. (2) Binnendifferenzierung Die Differenzierung von Gefahr und Risiko lässt sich jeweils weiter unterteilen in eine abstrakte und eine konkrete Form. Ein abstraktes Risiko liegt demnach vor, wenn sowohl unbekannt ist, ob eine Kausalität zwischen (möglicher) Ursache und Schaden besteht, als auch, ob die Ursache überhaupt gegeben ist. Dies ist der Fall, wenn unklar ist, ob eine bestimmte Emission schädlich für ein Umweltgut ist und ebenfalls unklar ist, ob diese Emission freiwerden wird.1120 Ein konkretes Risiko liegt vor, wenn zwar unbekannt ist, ob eine kausale Verknüpfung zwischen (möglicher) Ursache und Schaden besteht, aber die (mögliche) Ursache entweder schon eingetreten ist oder bekannt ist, dass diese eintreten wird. Dies ist der Fall, wenn unklar ist, ob eine bestimmte Emission schädlich für ein Umweltgut ist, aber diese bereits freigeworden oder abzusehen ist, dass diese frei werden wird.1121 darauf an, sich eine möglichst breite Informationsgrundlage für eine möglichst rationale Risikoabschätzung zu verschaffen“. 1119 Faltus, ZUR 2018, 524 (530); Mechel, in: Koch, Umweltrecht, § 11 Rn. 6. 1120 Dieses Szenario ist ähnlich auch unter dem Ausdruck Risiko zweiter Ordnung diskutiert worden. Ein Risiko zweiter Ordnung liegt demnach beim Risiko einer objektiv unpassenden Reaktion auf ein ungewisses Risiko erster Ordnung vor, Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 43. 1121 Diesen Fall meint bspw. Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 30a.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Eine abstrakte Gefahr liegt vor, wenn bekannt ist, dass zwischen Ursache und Schaden eine kausale Beziehung besteht, aber unklar ist, ob und wann die Ursache eintreten wird.1122 Dies ist der Fall, wenn die Schädlichkeit einer Immission bekannt ist, aber kein konkreter Fall bekannt ist, in dem eine Immission vorliegt. Eine konkrete Gefahr im verfassungsrechtlichen Sinne liegt vor, wenn die Kausalbeziehung bekannt ist und die Ursache entweder schon eingetreten ist oder einzutreten droht und der Schaden sich deshalb ohne Intervention realisieren wird. (3) Sieben (Un-)Sicherheitsstufen Aus dieser Differenzierung lassen sich die vier Stufen – konkrete Gefahr, abstrakte Gefahr, konkretes Risiko und abstraktes Risiko – ableiten.1123 Diese lassen sich unter dem Oberbegriff „Unsicherheit“ zusammenfassen.1124 Ergänzt werden diese Stufen durch die Fälle, in denen Gewissheit über den Sachverhalt herrscht. Unterscheiden lassen sich die Situationen, dass eine Schädigung mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, oder dass ein Schaden bereits entstanden ist oder unvermeidbar entstehen wird.1125 Insgesamt ergeben sich daraus sieben Stufen der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts. Die erste Stufe, der bereits eingetretene Schaden, fällt hier insoweit aus dem Schema, da es sich nicht um eine prognostische, sondern eine rein deskriptive Aussage handelt. Aus Gründen der Vollständigkeit und weil so alle Arten von Schädigung – und der daraus folgenden staatlichen Schutzpflichten – in einem System beschrieben werden können, wird der bereits eingetretene Schaden als eigene Stufe miteinbezogen. Bei einem Schaden auf erster Stufe besteht die grundsätzliche Pflicht zur Folgenbeseitigung. Der Staat kann die Pflicht zur Folgenbeseitigung auch einem 1122 Kloepfer/Kröger, NuR 1990, 8 (14); Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (685); Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 197. 1123 Kontingenz und Notwendigkeit stehen im Verhältnis der Kontravalenz zueinander, d.h. sie schließen sich gegenseitig aus. Als die zwei wesentlichen Faktoren kann also die Unterscheidung Kontingenz oder Bestimmtheit jeweils von Ursache und Kausalität ausgemacht werden. Bei der konkreten Gefahr sind Ursache und Kausalität bestimmt. Bei der abstrakten Gefahr ist die Ursache kontingent und die Kausalität bestimmt. Bei dem konkreten Risiko ist die Ursache bestimmt und die Kausalität kontingent. Bei dem abstrakten Risiko sind sowohl Ursache als auch Kausalität kontingent. Dies lässt sich tabellarisch wie folgt darstellen: Ursache bestimmt Ursache kontingent

Kausalität bestimmt

Konkrete Gefahr

Abstrakte Gefahr

Kausalität kontingent

Konkretes Risiko

Abstraktes Risiko

1124 1125

Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 153. Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (683).

E. Auslösung der Schutzpflicht

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Dritten, beispielsweise einem Verursacher, auferlegen1126 oder auch, je nach betroffenem Rechtsgut, eine Zufallshaftung festlegen.1127 Die zweite Stufe ist der mit Sicherheit eintretende Schaden. Der Schaden ist nicht abwendbar, dennoch darf sich der Staat hier nicht passiv verhalten. Wenn im Vorfeld Maßnahmen möglich sind, um die Folgen des Schadens abzumildern, sind diese im Rahmen des Verhältnismäßigen zu ergreifen. Es kann auch ein Nachteilsausgleich für zukünftig Betroffene geboten sein. Wenn Schäden bereits konkret absehbar sind und die Ursache von einem Menschen gesetzt wurde, hat der Staat auch die Pflicht, das Zivilrecht so auszugestalten, dass Schadensersatzansprüche gegen die Schädiger geltend gemacht werden können.1128 Die dritte Stufe ist die konkrete Gefahr. Hier ist bekannt, dass eine bestimmte Ursache kausal zu einem bestimmten Schaden führen kann. Der Schadenseintritt ist zu erwarten, weil die Ursache bei ungehindertem Geschehensablauf gesetzt zu werden droht. Deshalb besteht die Pflicht, das Eintreten der Ursache im Rahmen des Verhältnismäßigen zu verhindern. Diese Pflicht kann der Staat selbst erfüllen oder den Gefahrverursacher heranziehen.1129 Die vierte Stufe stellt die abstrakte Gefahr dar. Hier ist bekannt, dass eine Ursache kausal zu einem Schaden führen wird. Ob die Ursache gesetzt worden ist oder werden wird, ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt unbekannt. Es besteht deshalb die Pflicht, die Rechtsordnung zum einem so auszugestalten, dass die Schadensursache möglichst begrenzt wird und zum anderen, möglicherweise auftretende Schadensursachen zu beobachten.1130 Die fünfte Stufe stellt das konkrete Risiko dar. Hier ist bekannt, dass eine mögliche Ursache vorliegt, aber unbekannt, ob diese auch tatsächlich zum entsprechenden Schaden führt. Statt einer Kausalität könnte auch nur eine zufällige Korrelation vorliegen. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn mit der Einführung einer 1126 Beispielsweise für den Betreiber eines Atomkraftwerks, § 25 AtG. Allgemein zum zivilrechtlichen Deliktsrecht als einfachgesetzliche Ausprägung der grundrechtlichen Schutzpflichten (hier zugunsten der körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG): BVerfG, Beschluss vom 11.10.1978 – 1 BvR 84/74 – BVerfGE 49, 304 (319). 1127 So beispielsweise für Wildschäden, § 29 BJagdG. 1128 So geschehen beispielsweise durch das Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) und allgemeiner durch das Deliktsrecht insb. § 823 Abs. 1 BGB, in dem das BVerfG ausdrücklich eine Konkretisierung der grundrechtlichen Schutzpflichten erblickt BVerfG, Beschluss vom 11.10.1978 – 1 BvR 84/74 – BVerfGE 49, 304 (319). 1129 So zum Beispiel geschehen in § 5 Umweltschadensgesetz (USchadG). Allerdings darf sich der Staat dadurch seiner Verantwortung nicht entledigen. Die Aufsichtspflichten der Behörde aus § 7 USchadG sind Ausfluss dieses Prinzips, vgl. Storm, Umweltrecht, § 10 Rn. 173. 1130 Ausfluss dieses Prinzips ist die Anlagenüberwachung, z. B. § 52 Abs. 1 BImSchG. Diese kann auch in begrenztem Rahmen an Private übertragen werden, z. B. § 53 BImSchG. Vgl. zur Vereinbarkeit der Privatisierung mit den grundrechtlichen Schutzpflichten Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 70.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

neuen Technik ein Anstieg einer Krankheitsrate verbunden ist, ohne dass medizinisch erklärt werden konnte, wie diese Technik auf den Menschen wirkt. Hier besteht die Möglichkeit, dass zwischen Techniknutzung und Krankheitsrate ein kausaler Zusammenhang besteht. Es kann die Steigerung der Krankheitsrate aber auch eine andere Ursache haben und somit nur eine zufällige Korrelation beider Faktoren vorliegen. In diesen Fällen ist eine Abwägung vorzunehmen zwischen der Schwere der Rechtsgutsverletzung und der Wahrscheinlichkeit, dass Ursache und Schaden in einem Kausalverhältnis stehen. Sodann ist die Abwägung mit entgegenstehenden öffentlichen und privaten Interessen vorzunehmen. Je nach Ergebnis der Abwägung von Wahrscheinlichkeit und Schaden kann bereits ein Handeln des Staates angezeigt sein.1131 So sind beispielsweise, wenn das Rechtsgut Leben in Rede steht, die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit niedrig anzusetzen und Maßnahmen bereits dann indiziert, wenn eine Kausalität im naturwissenschaftlichen Sinne noch nicht gegeben ist, aber „ernsthafte Hinweise auf eine nicht ganz entfernt liegende“ Wahrscheinlichkeit hindeuten.1132 Liegt ein abstraktes Risiko vor (sechste Stufe), ist sowohl unbekannt, ob zwischen einer möglichen Ursache und einem Schaden ein kausaler Zusammenhang besteht, als auch, ob die Ursache selbst vorliegt, beziehungsweise wann diese eintritt. In diesem Fall kann der Staat bereits zum Handeln verpflichtet oder berechtigt sein, wenn der zu erwartende Schaden entsprechend hoch ist.1133 Der Staat hat aber nicht die Pflicht, alle Ursachen präventiv zu unterdrücken, die möglicherweise zu einem Schaden führen könnten.1134 Hier kommt der sogleich darzustellende Begriff des Restrisikos zu tragen.1135 Die siebte Stufe ist die Sicherheit, dass eine Handlung zu keinem Schaden führen wird. Sicherheit kann in Abgrenzung zum Risiko im formallogischen Sinne bestimmt werden. Wenn Risiko die kontingente unnotwendige Möglichkeit eines Schadens an einem Schutzgut ist, ist Sicherheit die notwendige und bestimmte Unmöglichkeit eines Schadens an einem Schutzgut.1136 Hier besteht jedenfalls 1131 Anders Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 153, der nur im Falle einer Gefahr den Gesetzgeber zum Handeln verpflichtet sieht und im Falle des Risikos zum Handeln berechtigt. Dies ist in zweierlei Hinsicht nicht richtig. Zum einen kann schon ein Risiko bei entsprechender Schwere zum Handeln verpflichten. Zum anderen kann der Gesetzgeber auch entscheiden, dass der Bürger eine Gefahr hinzunehmen hat. 1132 BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (50) [Gesetzliche Krankenversicherung]; Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 30a; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 179 ff. 1133 So Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 50, die in diesem Zusammenhang den Ausdruck des ungewissen Risikos verwendet; in diese Richtung auch Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (684); Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, S. 181. 1134 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1135 2. Kapitel E. III. 2. c) – „Restrisiko“. 1136 Hierzu Joerden, Logik im Recht, S. 176 ff.

E. Auslösung der Schutzpflicht

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keine Handlungspflicht für den Staat. Es stellt sich lediglich die Frage, ob es ihm umgekehrt verwehrt sein soll, dennoch tätig zu werden. Diese Frage berührt grundsätzliche Differenzen über das Verhältnis von Staat und Gesellschaft, von individueller Freiheit und Gestaltungsmöglichkeiten der Gemeinschaft.1137 Wegen Art. 2 Abs. 1 GG bedarf ein Verbot unter der Herrschaft des Grundgesetzes immer einer verfassungsmäßigen Rechtfertigung.1138 Stellt sich durch Wissenszuwachs heraus, dass ein vorher als riskant eingestuftes Verhalten tatsächlich unschädlich ist, vermag die grundrechtliche Umweltschutzpflicht keinen Rechtfertigungsgrund mehr zu liefern. Besteht keine andere verfassungsrechtliche Rechtfertigungsmöglichkeit, kann das Verbot mit der Argumentation, es gehöre nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG, mittels Verfassungsbeschwerde angegriffen werden.1139 c) Restrisiko Wie gezeigt, ist der Begriff des Risikos denkbar weit. Nicht nur neue Technik ist in ihren Wirkungsweisen unvollständig erfasst. Auch bei bereits etablierten und seit langem bekannten Methoden sind die Folgen ihres Einsatzes aufgrund mangelnder Kenntnis der Kausalbeziehungen oder zu hoher Komplexität der vorhandenen Strukturen nicht immer voraussehbar.1140 aa) Herleitung des Restrisikos Das Bundesverfassungsgericht stellte deshalb fest, dass der Ausschluss jedweden Risikos „weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen“ würde.1141 Es könne daher aufgrund der grundrechtlichen Schutzpflichten nicht verlangt werden, dass jedes staatliche Handeln, Dulden oder Unterlassen mit Sicherheit nicht zu einem Schaden führen wird, denn dies zu verlangen überschreite die Möglichkeiten menschlichen Erkenntnisvermögens.1142 Die Existenz 1137 Näher dazu statt vieler: Dreier, JZ 1994, 741 741; Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 205 ff.; Schmitt, Verfassungslehre, S. 157 ff. 1138 BVerfG, Beschluss vom 21.12.2011 – 1 BvR 2007/10 – NJW 2012, 1062 (1064) [UV-Strahlung]; Lang, in: BeckOK GG, Art. 2, Rn. 26. Zur Kontrolldichte von Tatsachenfragen im Verfassungsrecht und dem Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers siehe auch 4. Kapitel D. – „Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte“. 1139 Sogenannte Elfes-Konstruktion, siehe hierzu Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 190; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (5); grundlegend: BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 (41) [Elfes]. 1140 Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 743; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 953; hierzu auch schon 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) (1) – „Kontingenz und Komplexität“. 1141 BVerfG, Beschluss vom 12.11.2008 – 1 BvR 2456/06 – NVwZ 2009, 171 (172) [Zwischenlager Grafenrheinfeld]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1142 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (141 ff.) [Kalkar I]; Wollenteit, ZUR 2013, 323 (326).

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

eines Restrisikos entspringt der oben bereits angesprochenen Dialektik des Risikos,1143 die darin besteht, dass sowohl Handeln als auch Unterlassen risikobehaftet sind und eine risikofreie Verhaltensalternative deshalb nicht immer zur Verfügung steht. Selbst ein totalitärer Staat wäre nicht in der Lage, eine allumfassende Sicherheitsgarantie zu geben.1144 Lücken in der Risikovorsorge sind als Denknotwendigkeit zu akzeptieren.1145 bb) Wirkung des Restrisikos Der Staat ist deshalb laut Bundesverfassungsgericht berechtigt, die mit der Dialektik des Risikos verbundenen „unentrinnbaren Restrisiken in Kauf zu nehmen“.1146 Das heißt in der Konsequenz, dass diese Risiken bereits auf der Tatbestandsseite unberücksichtigt bleiben und deshalb rechtsfolgenseitig nicht in die Abwägung mit eingestellt werden.1147 Das Restrisiko lässt sich daher auch rechtsfolgenseitig definieren als das Risiko, gegen das keine Vorsorgemaßnahmen getroffen werden müssen. Es liegt dementsprechend eine Fehlvorstellung vor, wenn aufgrund eines Restrisikos ein Eingriff bejaht wird.1148 Wird aufgrund fehlerfreier Risikoermittlung eine verbleibende Unsicherheit dem Bereich des Restrisikos zugeordnet, besteht kein Anspruch des Bürgers auf Schutzmaßnahmen. Diese Grundsätze gelten im Verwaltungsrecht ebenso wie im Verfassungsrecht. So kann auch vom parlamentarischen Gesetzgeber nicht verlangt werden, jedes Risiko von vornherein auszuschließen. Restrisiken sind „als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen“.1149 Das bedeutet einen Haftungsausschluss für den Störer und eine Zufallshaftung für den Betroffenen. Die Zuordnung eines Risikos zum Restrisiko bringt folglich erhebliche Konsequenzen mit sich, denn

1143 Auch als Selbstbezüglichkeit des Risikos bezeichnet, siehe 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) – „Kontingenter Risikobegriff“. 1144 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 244 f.; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 166; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 41. 1145 Zado, Privatisierung der Justiz, S. 283. 1146 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (63) [CERN]; BVerfG, Beschluss vom 12.11.2008 – 1 BvR 2456/06 – NVwZ 2009, 171 [Zwischenlager Grafenrheinfeld]; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (227) [Chemiewaffen]; BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (59) [Mülheim-Kärlich]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (141) [Kalkar I]; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (165); BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (144); BVerwG, Urteil vom 22.12.1989 – 7 C 84/78 – BVerwGE 61, 256 (263) [Ionisierte Strahlung]. 1147 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 116. 1148 So aber Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 133. 1149 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (63) [CERN]; hierzu auch Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 953; Wollenteit, ZUR 2013, 323 (326).

E. Auslösung der Schutzpflicht

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es bestehen keine Schutzansprüche gegen den Staat und keine Abwehrrechte gegen private Verursacher des dem Restrisikobereich zugeordneten Risikos. Es drängt sich die Frage auf, unter welchen Voraussetzungen ein Risiko dem Restrisiko zuzurechnen ist. cc) Zuordnung eines Risikos zum Restrisiko Ein Restrisiko wird als Risiko verstanden, das theoretisch möglich, praktisch aber ausgeschlossen ist.1150 Zum Teil soll anhand der Quantität der Wahrscheinlichkeit und der Quantität des Schadens abgegrenzt werden. Aufgrund der niedrigen Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts werde die Handlungsschwelle nicht überschritten.1151 Die Wahrscheinlichkeit müsse umso niedriger sein, je höher der zu erwartende Schaden ist.1152 Konsequenterweise wurde vorgeschlagen, feste Abgrenzungskriterien für den Restrisikobereich durch bestimmte zahlenmäßige Grenzwerte festzusetzen, die sich aus Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadenshöhe ergeben sollen.1153 Derartige Grenzwerte mögen für quantifizierbare Risiken sinnvoll sein. Können Schaden und Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmt werden, lassen sich Grenzwerte festsetzen. Es drängen sich aber Zweifel auf, ob derartig quantifizierbare Risiken unter den Begriff des Restrisikos subsumiert werden können. Denn sind Risiken quantifizierbar, sind sie weder „unentrinnbar“ noch entspringen sie der „Grenze menschlichen Erkenntnisvermögens“, wie es das Bundesverfassungsgericht in seiner grundlegenden Kalkar-I-Entscheidung formulierte.1154 Vielmehr sind diese Risiken dem Risikomanagement voll zugänglich. Wenn der Staat sich dafür entscheiden darf, diese Risiken dennoch hinzunehmen, dann nur deshalb, weil entgegenstehende Belange dies rechtfertigen. Der der Abwägung entgegenstehende Belang ist gerade die Nicht-Quantifizierbarkeit des Restrisikos. Ein Gericht kann hier mangels Erkenntnismöglichkeit keine bessere Entscheidung treffen. Die Restrisiken werden deshalb in den Bereich der politisch zu verantwortenden Entscheidungen verlagert.1155 1150 Breuer, NuR 1994, 157 (164); Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 72; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 153. 1151 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 116. 1152 Stern, DÖV 2010, 241 (247). 1153 Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 206; Wollenteit, ZUR 2013, 323 (326). 1154 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1155 BVerwG, Urteil vom 14.01.1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 (122); Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 297: „Wo im konkreten Einzelfall die Grenze zwischen gebotener Schadensvorsorge und hinzunehmendem Restrisiko liegt, stellt letztlich eine Wertungsfrage in politischer Verantwortung dar, die sich nicht allein in Anwendung rechtlicher Maßstäbe beantworten läßt.“

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Im Bereich des Restrisikos nehmen die Gerichte ihre Prüfungskompetenz gegenüber den Fachbehörden und dem Parlament zurück. Auch wenn es sich beim Begriff des Risikos um einen unbestimmten Rechtsbegriff handelt, prüft das Bundesverwaltungsgericht die Risikobewertung der Genehmigungsbehörden im Atomrecht lediglich dahingehend, ob die Bewertung „auf einer ausreichenden Datenbasis beruht und dem Stand von Wissenschaft und Technik im Zeitpunkt der Behördenentscheidung Rechnung trägt“.1156 Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Hochrisikosektor wurde im Rahmen des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums vom Bundesverfassungsgericht gebilligt.1157 Das Restrisiko bestimmt sich nicht nach der Qualität oder Quantität des Risikos, sondern danach, dass die Fachbehörden zu der Überzeugung gelangen durften, dass die Realisierung des Risikos praktisch ausgeschlossen ist, weshalb keine weiteren Schutzmaßnahmen getroffen werden müssen. Der häufig zu vernehmende Dreiklang Gefahr – Risiko – Restrisiko1158 ist nicht dahingehend zu verstehen, dass das Restrisiko eine Dritte, vom eigentlichen Risiko zu unterscheidende Stufe wäre. Das Restrisiko ist keine klar abgrenzbare Stufe im Gefahr/Risiko-Modell. Das Restrisiko ist vielmehr vollständig im allgemeinen Risikobegriff enthalten und bezeichnet innerhalb dieses Begriffs den Bereich, der nicht mehr als grundrechtsrelevant eingestuft wird. Es ist ein Korrekturinstrument, insbesondere der Rechtsprechung, um die Weite des Risikobegriffs auf ein praktikables Maß einengen zu können.1159 Derartige Instrumente kennt die Rechtsprechung auch anderenorts. So wird die Weite der in der Strafrechtswissenschaft verbreiteten conditio-sine-qua-non-Formel mittels der sogenannten „objektiven Zurechnung“ eingeengt, die dem Rechtsanwender einen weiten Raum eigener Wertungsentscheidung lässt. Während das Instrument der „objektiven Zurechnung“ gerade wegen seiner Wertoffenheit nicht zuletzt beim Bundesgerichtshof, sondern auch im Schrifttum auf Widerspruch trifft,1160 hat die Figur des Restrisikos im Verfassungsrecht weitgehende Zustimmung erfahren.1161

1156 BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (165); BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (133); BVerwG, Urteil vom 22.10.1987 – 7 C 4.85 – BVerwGE 78, 177 (180) [Risikobewertung]. 1157 BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (164); BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (140). 1158 Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 153; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 122; Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 85 ff. m.w. N. 1159 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 276. 1160 Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, § 13 Rn. 38 ff. 1161 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 162; Breuer, NuR 1994, 157 (164); Fülbier, ZUR 2017, 399 (402); Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 42; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 41 ff.;

E. Auslösung der Schutzpflicht

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dd) Kritik an der Vorstellung vom Restrisiko Auch von den Kritikern des Restrisikobegriffs wird nicht in Frage gestellt, dass dem Leben Risiken immanent und diese deshalb nie restlos ausschließbar sind.1162 Kritisiert wird am Topos des Restrisikos vor allem die damit einhergehende Rechtsschutzverkürzung. Dadurch, dass die damit umschriebenen Risiken außerhalb des Tatbestandes grundrechtlicher Schutzpflichten liegen, ist ein Untätigsein des Staates nicht rechtfertigungsbedürftig und wird vom Gericht gar nicht erst rechtsfolgenseitig abgewogen.1163 Es solle die Schutzpflicht auch für sogenannte Restrisiken bestehen,1164 denn diese könnten nicht schlüssig zum rechtlich erheblichen Risiko abgegrenzt werden.1165 Sie müssten also wie alle anderen Risiken auch auf Ebene der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung gegen andere Belange abgewogen werden.1166 Das Restrisiko gerät in jenen Fällen in einen Widerspruch, in denen es sich wider Erwarten doch realisiert. Konsequenterweise müsste man davon ausgehen, dass den Staat keine Schutzpflicht trifft,1167 da das Restrisiko nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als „sozialadäquat [. . .] von allen Bürgern zu tragen“ sei.1168 Im Moment seiner Realisierung ist das Restrisiko jedoch keines mehr. Dessen Eintritt ist nicht mehr „praktisch ausgeschlossen“ – im Gegenteil, es ist sogar praktisch (und nicht nur theoretisch) eingetreten. In diesem

Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 64 ff.; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 48; Schlitt, Umweltethik, S. 22; Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (793); Schwabenbauer, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 165; Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (11); Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 103; Steinberg/Müller, in: Ooyen/ Möllers, HdB BVerfG, S. 742; Stern, DÖV 2010, 241 (247); Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 116; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 122; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 77; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (7). Kritisch hingegen: Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 286 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 108; Franzius, NVwZ 2018, 1585 (1585); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 237 ff.; Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 136; Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 238; Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 73. 1162 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 239; Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 136; Ladeur, NuR 1987, 60 (61). 1163 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 287. 1164 Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 136; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 68. 1165 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 87. 1166 Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 73. 1167 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 117 Fn. 248. 1168 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I].

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Fall kann die Restrisikoprognose nicht aufrechterhalten werden.1169 Das Restrisiko ist daher eine Fiktion, die nur im Vorfeld eines Schadenseintritts überhaupt gedacht werden kann. Nach Schadenseintritt existiert kein Restrisiko mehr. Die Verantwortung des Staates ist deshalb nicht aufgehoben, sondern wird in diesem Moment neu begründet.1170 Man kann deshalb fragen, ob die Konstruktion eines Restrisikos nicht von Anfang an verfehlt ist, weil sich mit ihr die denkbaren Irrtumskosten nicht in Rechnung stellen lassen.1171 Es habe sich durch die Konstruktion des Restrisikos der Gesetzgeber, mit Rückendeckung des Bundesverfassungsgerichts, „aus seiner Verantwortung davongeschlichen“.1172 ee) Vermittelnder Standpunkt und Fazit Unter den Befürwortern der Restrisikokonstruktion wird vor allem über die Frage gestritten, welche Risiken dem Bereich der Restrisiken zuzuordnen sind.1173 Dabei wird der Restrisikobereich häufig sehr weit gezogen und es werden wahlweise Risiken, deren Verwirklichung erwiesenermaßen sehr unwahrscheinlich ist, genauso dem Restrisikobereich zugeordnet wie Risiken, deren Schaden zu vernachlässigen ist. Letztere Schäden fallen jedoch von vorherein nicht in die Gruppe des Restrisikos, sondern in die Fallgruppe der bloßen Belästigung, die noch nicht die Intensität zur grundrechtsrelevanten Schädigung überschritten haben.1174 Die Fallgruppen, in denen die Eintrittswahrscheinlichkeit als sehr niedrig angegeben ist, fallen ebenso nicht unter das Restrisiko, da eine bekannte Eintrittswahrscheinlichkeit abgewogen werden kann. Die extensive Auslegung des Restrisikobegriffs dient ihren Anwendern als eine Art unbestimmte Generalklausel, mit der sie jene Belange aus der Abwägung ausschließen können, die ihnen nicht gewichtig genug erscheinen. Um der Willkür entgegenzuwirken, ist es notwendig, sich auf die Ursprünge der Restrisikorechtsprechung zurückzubesinnen. Entwickelt wurde das Restrisiko anhand der Grenzen menschlichen Erkenntnisvermögens. Es dient dazu, mit jenen Fällen umgehen zu können, für die sich eine Wahrscheinlichkeit nicht bestimmen lässt. Nur wenn nach dem aktuell verfügbaren Wissen eine Realisierung praktisch ausgeschlossen scheint, löst die staatliche Schutzpflicht nicht aus. Anders ist dies schon bei einer entfernten Wahrschein-

1169

Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 48. Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 238. 1171 Ladeur, NuR 1987, 60 (61). 1172 Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 136. 1173 Wollenteit, ZUR 2013, 323 (329). 1174 Die Figur der grundrechtsirrelevanten Belästigung ist wie auch die eng verwandte Theorie von der Erheblichkeitsschwelle des Eingriffs nicht unumstritten. Vgl. zum Ausschluss von Belästigungen aus dem Schutzbereich 2. Kapitel D. V. 2. c) – „Bagatellvorbehalt“. Vgl. zur Theorie der Erheblichkeitsschwelle 2. Kapitel E. I. 3. – „Erheblichkeitsschwelle“. 1170

E. Auslösung der Schutzpflicht

207

lichkeit.1175 Sobald die Wahrscheinlichkeit quantifizierbar ist, muss sie in die Abwägung mit eingestellt werden.1176 Der Bereich des Restrisikos ist daher eng gezogen. Nur deshalb lässt es sich überhaupt rechtfertigen, dass Restrisiken bereits auf Tatbestandsebene aussortiert und gar nicht erst der Rechtsfolgenabwägung zugänglich gemacht werden.1177 d) Restgefahr Im Gegensatz zum Restrisiko gibt es, zumindest im grundrechtlich geprägten Verfassungsrecht, keine „Restgefahr“, die vom Bürger grundsätzlich hinzunehmen ist. Denn bei der Gefahr besteht Klarheit über den Kausalverlauf und lediglich Unsicherheit darüber, wann oder ob dieser in Gang gesetzt wird. Dies heißt nicht, dass dem Bürger keine Gefahren zugemutet werden können. Genauso wie der Staat schädigende Ursachen setzen darf, darf er auch Gefahrursachen setzen, solange ein hinreichender Rechtfertigungsgrund dafür gegeben ist. e) Zusammenfassung Der Begriff des Risikos gehört zu jenen Konstrukten, die auf den ersten Blick intuitiv verständlich erscheinen, aber in Anbetracht der unterschiedlichen Interpretationen in Rechtsprechung und Literatur schnell an Schärfe verlieren. Den im rechtswissenschaftlichen Schrifttum zu vernehmenden Rufen danach, die Trennung von Gefahr und Risiko zugunsten eines einheitlichen Vorsorgeprinzips aufzugeben, ist dennoch nicht zu folgen. Wie gezeigt, lässt sich mit der kontingenten Risikodefinition eine trennscharfe Abgrenzung zum Gefahrbegriff ziehen, die dem Alltagsverständnis beider Begriffe ebenso gerecht wird wie dem rechtswissenschaftlichen Bedürfnis nach dogmatisch klarer Einordnung. Gefahr und Risiko stehen weder in einem Stufenverhältnis zueinander noch schließen sie sich gegenseitig aus. Vielmehr beziehen sie sich auf unterschiedliches menschliches Wissen über den Kausalverlauf. Ihre strenge Unterscheidung hilft dabei, die Entscheidungsfindung unter Unsicherheit in Fallgruppen zu kategorisieren und gemeinsame Strukturen dieser zu bestimmen. In besonders kontroversen Gebieten des Umweltrechts, klassischerweise dem Recht der Gentechnik und der Atomkraft, neuerdings aber auch den Auswirkungen von Mobilfunk und Windkraft, ist die Debatte über die Einordnung der Risiken oft von zu Glaubenssätzen verhärteten Standpunkten geprägt. Die Rechtswissenschaft muss sich deshalb gerade hier auf eine nüchterne Risikoabschätzung anhand des Standes von Wissenschaft und Technik zurückziehen. 1175

So auch VGH Hessen, Urteil vom 27.2.2013 – 6 C 824/11.T – EnWZ 2013, 233

(236). 1176 1177

Hofmann, in: HStR IX, § 195 Rn. 27. Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 116.

208

2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

IV. Prinzipientheorie Einen völlig eigenen Ansatz für die Bestimmung der Auslösung der Schutzpflicht verfolgt die Prinzipientheorie.1178 Dabei werden aus dem Grundgesetz Verfassungsprinzipien abgeleitet, denen abstrakte und konkrete Gewichte zugesprochen werden. Die Prinzipien und deren Prädikate werden durch Variablen zum Ausdruck gebracht, die durch Junktoren innerhalb einer Formel in ein Verhältnis gesetzt werden. Prototypisch für die Prinzipientheorie ist die Gewichtsformel nach Alexy:1179 Gi; j ˆ

Pi Gi  Ii  Si ˆ Pj Gj  Ij  Sj

Mittels dieser Formel soll das relative Gewicht eines Prinzips zu einem anderen Prinzip ermittelt werden. Die Variablen in der Formel sind mit jeweils einem Index versehen, der durch einen tiefgesetzten Kleinbuchstaben definiert ist. Dieser zeigt an, zu welchem Prinzip die Variable gehört. So gehören die Variablen im Zähler oben zum Prinzip Pi , wohingegen die unten im Nenner dargestellten Variablen Eigenschaften des Prinzips Pj ausdrücken.1180 Die Variable G steht für das Gewicht eines Prinzips. Ist die Variable G, wie in der obigen Formel auf der linken Seite der Gleichung der Fall, mit einem doppelten Index versehen, drückt G das konkrete Gewicht des erstgenannten Prinzips (Pi ) in Relation zum zweitgenannten Prinzip (Pj ) aus. Also steht Gi; j für das konkrete Gewicht des Prinzips Pi gegenüber dem Prinzip Pj .1181 Steht die Variable G mit einem einstelligen Index auf der rechten Seite der Gleichung, drückt Gi das abstrakte Gewicht des Prinzips Pi aus. Gj drückt das abstrakte Gewicht des Prinzips Pj aus.1182 Die Variable I steht für die Intensität

1178 Alexy, in: FS für Koch, S. 15 ff.; Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 778 ff.; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 71 ff.; Couzinet, JuS 2009, 603 (603); Hofmann, Abwägung im Recht, S. 151 f.; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 78 ff.; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 52 f. 1179 Alexy, in: FS für Koch, S. 18; Alexy, in: Sieckmann, Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 110; Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 790; siehe auch Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 228; Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. 11. 1180 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 778; Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. X. 1181 Alexy, in: FS für Koch, S. 18; Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 784. 1182 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 779; Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. X.

E. Auslösung der Schutzpflicht

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des Eingriffs in das jeweilige Prinzip und wird ebenfalls mit einem Index versehen, der die Zuordnung zu einem der Prinzipien ermöglicht.1183 Die Variablen G und I, Gewicht und Intensität, werden durch eine triadische Skala quantifiziert. Auf dieser Skala steht l für leicht, m für mittel und s für schwer.1184 Um die Wertungen auf dieser Skala auch zwischen zwei Prinzipien vergleichbar zu machen, werden den Skalenstufen exponentielle Zahlenwerte zugeordnet. So steht l für 20 …ˆ 1†, m für 21 …ˆ 2† und s für 22 …ˆ 4†.1185 Damit lässt sich die Skala theoretisch beliebig erweitern und feiner ausdifferenzieren. Wollte man eine vierte Stufe, zum Beispiel sehr schwer, mit aufnehmen, würde diese Stufe dem Wert 23 …ˆ 8† entsprechen. Die Variable S steht für das Maß an Sicherheit, mit der die Nichterfüllung des Prinzips zu befürchten ist.1186 Nichterfüllung kann dabei sowohl einen Eingriff als auch ein Unterlassen des Staates bezeichnen.1187 Es lassen sich folglich mit dieser Formel Abwehrrechte und Schutzpflichten miteinander abwägen. Die Sicherheit oder Unsicherheit S wird ebenfalls in einer triadischen Skala gemessen. Alexy orientiert sich hierbei am Mitbestimmungsurteil des Bundesverfassungsgericht, das zwischen einer intensiven inhaltlichen Kontrolle, Vertretbarkeitskontrolle und Evidenzkontrolle unterschied.1188 Dem entsprechen die (Un-)Sicherheitsstufen gewiss (g), plausibel (p) und nicht evident falsch (e). Die Unsicherheitsstufen werden auf einer negativ verlaufenden exponentiellen Skala angegeben. g steht für 20 …ˆ 1†, p für 2 1 …ˆ 0; 5† und e für 2 2 …ˆ 0; 25†. Auch diese Skala ließe sich um weitere Stufen erweitern und damit feiner ausdifferenzieren.1189 Mit der Gewichtsformel sollen Lösungen für verfassungsrechtliche Problemstellungen ausgerechnet werden können. Klatt/Schmidt kommt der Verdienst zu, mittels der Gewichtsformel den Wert von Menschenleben in einem von Terroristen entführten Flugzeug mit der Zahl 2 bestimmt zu haben.1190 Ein Glück für die betroffenen Menschenleben, denn ein Ergebnis über 1 bedeutet, dass ein Ein1183 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 780 f.; Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. X. 1184 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 782; Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. 11. 1185 Alexy, in: FS für Koch, S. 19. 1186 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 789 ff. 1187 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 777. 1188 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (333) [Mitbestimmung]; Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 789; näher zur Herleitung eines dreistufigen Kontrollmaßstabes aus der Rechtsprechung des BVerfG: 4. Kapitel D. III. – „Triadisch abgestufter Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts“. 1189 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 789. 1190 Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. 35.

210

2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

griff nicht gerechtfertigt werden könnte. Ein Ergebnis von genau 1 hätte eine Pattsituation zwischen den in Rede stehenden Rechten bedeutet, in dem den staatlichen Entscheidungsträgern ein Spielraum eigenen Ermessens zukommen würde. Ein Wert von unter 1 hätte bedeutet, dass für die Menschen im Flugzeug der sichere Tod aus staatlicher Hand bevorstünde, denn das Flugzeug müsste zu Gunsten entgegenstehender Interessen abgeschossen werden.1191 Bei derartigen Rechenoperationen wie der dargestellten passiert es schnell, dass Belange übersehen werden. Zum Beispiel die Tatsache, dass Klatt/Schmidt bei ihrer Rechnerei die Menschenwürde der Abwägung zugänglich machen1192 und Menschenleben gegeneinander aufrechnen.1193 Zugutehalten muss man den Autoren, dass sie nicht darauf verfallen, Menschenleben zahlenmäßig gegeneinander auszuspielen.1194 Auch gestehen sie den Menschen am Boden und den Menschen in der Luft den gleichen abstrakten Wert zu, und zwar 22,1195 den höchstmöglichen Wert auf der triadischen Skala.1196 Da hier Leben gegen Leben steht, ist es gleichgültig, ob man ihnen den Wert 22 oder 1 oder 100 zuweist, solange beide nur identisch sind.1197 Problematisch wird es hingegen, wenn nicht Leben gegen Leben steht, sondern beispielsweise Leben gegen Eigentum. Es bleibt in der Prinzipientheorie unklar, welche Werte den beiden miteinander kollidierenden Prinzipien zugewiesen werden sollen. Der Grund dafür, dass kein Prinzipientheoretiker bisher offen diskutierte, ob ein Verhältnis von 21 zu 22 dem relativen Gewicht von Eigentum zu Leben eher entspräche als die Gewichtung von 21 zu 23 , mag sein, dass eine solche Diskussion die Absurdität der zahlenmäßigen Rechnerei mit Grundrechten deutlich vor Augen führen würde. Den Versuchen, juristische Entscheidungsfindung durch Junktoren und Formeln möglichst streng zu schematisieren, liegt das ehrenwerte Anliegen zu Grunde, Entscheidungen vorhersehbar zu machen. Da die Ausgangssituationen häufig derart komplex sind, dass die zugrundeliegenden Informationen ungenau, unvollständig oder sogar widersprüchlich sind, taugen die formallogischen Formeln für

1191 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 783 ff.; Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. 35 f. 1192 „Gerade wegen der Schwere des Eingriffs in die Menschenwürde müssen die empirischen Grundlagen des Eingriffs relativ sicher sein“, Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. 34. 1193 Siehe hierzu auch: Hofmann, in: FS für Scholz, S. 242 ff. 1194 Zur verfassungsrechtlichen Unzulässigkeit derartiger quantitativer Rechnerei mit Menschenleben siehe Dreier, JZ 2007, 261 (265). 1195 Klatt/Schmidt, Spielräume im Öffentlichen Recht, S. 35. 1196 Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 783 ff. 1197 Zum Problem der Prognose der Unausweichlichkeit des Todes der Passagiere und unzulässiger Relativerung menschlichen Lebensrechts, siehe Dreier, JZ 2007, 261 (266).

E. Auslösung der Schutzpflicht

211

die Zwecke der Juristerei nur eingeschränkt.1198 Der Trend, Rechtsfragen zu computerisieren, ebbte nach einem Höhepunkt in den 80er Jahren vorübergehend ab. Heute wird bei weniger komplexen Entscheidungen dieses Wissen nutzbar gemacht, um durch künstliche Intelligenz die Entscheidungsfindung zu automatisieren.1199 So mag es nützlich sein, durch computergestützte Rechenoperationen bestimmte Verwaltungsakte automatisiert zu erlassen1200 oder Textentwürfe für einen Mietvertrag generieren zu können.1201 Im Umweltverfassungsrecht wird man auf diese Formeln jedoch auch in Zukunft nicht zurückgreifen können.

V. Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit Zentrales Problem aller bisher beschriebenen Ansätze, begonnen beim Gefahrbegriff über das Restrisiko bis hin zum Versuch der streng logischen Deduktion, ist die abstrakte Bestimmung der Wahrscheinlichkeit.1202 Da es keine allgemein verbindliche Festlegung der Wahrscheinlichkeit gibt, können Gefahr und Risikobegriff nur eingeschränkt definiert werden.1203 Die Entscheidungsfindung in diesem Bereich ist von Unsicherheit und mangelnder Wissensbasis geprägt. Die oben erarbeitete Unterscheidung von absoluter Sicherheit, sicherer Schädigung, konkreter und abstrakter Gefahr sowie konkretem und abstraktem Risiko stellt eine strukturelle, keine quantitative Kategorisierung der Arten menschlichen Wissens und Unwissens dar.1204 1. Iudex non calculat Die quantitative Bestimmung des Grades an Wissen beziehungsweise Nichtwissen ist nur in simplifizierenden Theoriemodellen mit mathematischer Exaktheit möglich. Ein Grundproblem, das die Prinzipientheorie durch axiomatische Setzung fester Zahlenwerte für den Grad der Wahrscheinlichkeit nur scheinbar überwindet. Zwar lassen sich in der Stochastik Wahrscheinlichkeiten in Prozentwerten beziehungsweise Bruchwerten angeben, eine exakte Bestimmung ist aber nur möglich, wenn alle Einflussfaktoren auf das System, dessen Ausgang vorhergesagt werden soll, genauso bekannt sind wie die Anzahl und der Inhalt mögli1198

Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 399; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 133; a. A. Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 872. 1199 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 134; siehe auch die Ausführungen von Heussen, NJW 2019, 721 zur Dystopie der Maschinengerechtigkeit bei Franz Kafka und deren Bedeutung für das Recht im Zeitalter der künstlichen Intelligenz. 1200 Guggenberger, NVwZ 2019, 844 (847); Martini/Nink, DVBl. 2018, 1128 (1129). 1201 Fries, ZRP 2018, 161 (162); zu weiteren möglichen Anwendungsbereichen Remmertz, ZRP 2019, 139 (139). 1202 Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (683). 1203 Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 226. 1204 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) (2) – „Binnendifferenzierung“.

212

2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

cher Ergebnisse. Wo aufgrund der Komplexität eines Systems nicht alle Einflussfaktoren bekannt sind, kann der Grad an Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Ausgangs nicht in festen Zahlenwerten bestimmt werden. Erst Recht ist es unmöglich, die Wahrscheinlichkeit eines Ergebnisses vorherzusagen, wenn der Grad an Unwissen so hoch ist, dass der Ausgang an sich ungewiss ist, also nicht alle Ergebnisse, die möglich sind, bekannt sind.1205 Dies ist beispielsweise beim Phänomen des Weltklimas der Fall. Die einzelnen Faktoren, die dieses System bestimmen, sind so vielfältig, dass sie nicht alle in einer Rechnung berücksichtigt werden können.1206 Ob die höhere Rechenleistung, die man sich zukünftig von Quantencomputern verspricht, die Menschheit zu entsprechenden Vorhersagen befähigen wird, sei dahingestellt.1207 Bisher sind die als möglich vorhergesagten Ergebnisse des vom Menschen beeinflussten Klimawandels so unterschiedlich, dass nicht auszuschließen ist, dass einzelne zukünftige Effekte bisher nicht entdeckt worden sind. In diesem Zusammenhang feste Zahlenwerte zur Grundlage juristischer Entscheidungen machen zu wollen, lässt sich nur über eine Fiktion erreichen. Ein weiteres Problem bei der Bestimmung von Wahrscheinlichkeiten ist die Inkommensurabilität der Einzelwissenschaften.1208 Die Ergebnisse, die in verschiedenen Disziplinen hervorgebracht werden, sind nur eingeschränkt miteinander vergleichbar. Verschiedene Güter, Rechte, Prinzipien, Schäden, Nutzen und Gewinne lassen sich nicht auf einer einheitlichen Skala messen.1209 Die Rechtswissenschaft muss daher Antworten auf Probleme geben, die von den Naturwissenschaften nicht eindeutig beantwortet werden können.1210 Da ein Rückgriff auf die strikte, formale Logik hier nicht mehr weiterhilft, bedient sich die Rechtswissenschaft sogenannter Unschärfelogik oder „Fuzzy“-Logik, wie sie im englischsprachigen Raum bezeichnet wird.1211 Abgrenzungen von Wahrscheinlichkeiten funktionieren in dieser Logik durch die Herstellung von Relationen und daraus gewonnen Mindest- und Höchstmaßen. 2. Komparative Wahrscheinlichkeit In der Rechtswissenschaft und -praxis werden verschiedene Grade der Wahrscheinlichkeit verwendet, um auch dort abzugrenzen, wo eine strenge Quanti1205 1206 1207 1208 1209 1210

Gethmann, in: Risiko im Umweltstaat, S. 18. Kühn/Pompe/Trautmann, in: Essl, Biodiversität und Klimawandel, S. 87. Hierzu Jaeger, in: Die zweite Quantenrevolution, S. 523 ff. Gärditz, ZUR 2018, 663 (665); Gethmann, in: Risiko im Umweltstaat, S. 46. Afonso da Silva, in: Klatt, Prinzipientheorie, S. 237. Hierzu näher 3. Kapitel C. III. 2. – „Naturschutzfachlicher Beurteilungsspiel-

raum“. 1211 Joerden, Logik im Recht, S. 235 ff.; Risch, in: Sicherheit und Risiko im Bauwesen, S. 4; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 133; Scholl, JZ 1992, 122 (131).

E. Auslösung der Schutzpflicht

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fizierung nicht möglich ist. Verwendet werden hierfür Formulierungen wie höchstmögliche Wahrscheinlichkeit,1212 höchstwahrscheinlich,1213 sehr wahrscheinlich,1214 hohe Wahrscheinlichkeit,1215 überwiegende Wahrscheinlichkeit,1216 erhebliche Wahrscheinlichkeit,1217 beachtliche Wahrscheinlichkeit,1218 große Wahrscheinlichkeit,1219 mittlere Wahrscheinlichkeit,1220 geringe/niedrige Wahrscheinlichkeit,1221 kleine Wahrscheinlichkeit,1222 entfernte Wahrscheinlichkeit,1223 Unwahrscheinlich,1224 zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit1225 sowie gänzlich Unwahrscheinlich.1226 Zwischen einigen der oben genannten Arten an Wahrscheinlichkeit lässt sich eine klare Rangfolge ausmachen. Die Grade niedrige, mittlere und hohe Wahr1212 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 196; hierbei handelt es sich praktisch um Gewissheit Scholl, JZ 1992, 122 (125). 1213 Roth-Stielow, Umweltbelastung, Grundrechtsschutz und Allgemeinwohl, S. 39; Scholl, JZ 1992, 122 (125); Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 10. 1214 Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 56; Scholl, JZ 1992, 122 (125). 1215 BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81 – BVerfGE 69, 315 (360) [Brokdorf]; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 84; Roßnagel, in: Koch/ Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 14, Rn. 86; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GKBImSchG, § 5, Rn. 170; Scherzberg/Mayer, JA 2004, 51 (52); Scholl, JZ 1992, 122 (123). Siehe auch § 7 Abs. 1 Nr. 4 GenTG. 1216 BVerfG, Beschluss vom 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276 (289) [Geschlechterdiskriminierung bei der Arbeitsplatzsuche]; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 299; Scholl, JZ 1992, 122 (130). 1217 Schmahl, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 103, Rn. 28; Schmitt, Über Schuld und Schuldarten, S. 91. 1218 Roth-Stielow, Umweltbelastung, Grundrechtsschutz und Allgemeinwohl, S. 15. 1219 Scholl, JZ 1992, 122 (128); Schwerdtfeger, NVwZ 1982, 5 (10). 1220 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 150. 1221 Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 17; Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 28; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 189; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 5, Rn. 192; Roßnagel, DÖV 1997, 801 (808); Roßnagel, UPR 1990, 86 (89); Schulte, Gesunde Pflanzen 2005, 37 (44); Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 122; Wagner, NJW 1980, 665 (669). Siehe auch § 7 Abs. 1 Nr. 2 GenTG. 1222 Wiedemann, Vorsorgeprinzip und Risikoängste, S. 80. 1223 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar I]; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 179; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 5, Rn. 205; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 9; Soell, NuR 1985, 205 (207); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 46. 1224 Schulte, Gesunde Pflanzen 2005, 37 (45); Wagner, DÖV 1980, 269 (277). 1225 Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 5, Rn. 212; Roßnagel, DÖV 1997, 801 (808). 1226 BVerwG, Urteil vom 19.01.1989 – 7 C 31.87 – BVerwGE 81, 185 (195) [Ausreichende Ermittlungen]; Comes, KJ 2018, 115 (120); Kling, KJ 2018, 213 (219). Siehe auch § 7 Abs. 1 Nr. 1 GenTG.

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2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

scheinlichkeit sind die Stufen, die in der Prinzipientheorie von Alexy durch Zahlenwerte ausgedrückt werden, um sie gegen die ermittelte Schadenshöhe und die festgelegte Rangstufe des betroffenen Rechts aufzurechnen.1227 Auch das einfache Recht bedient sich zum Teil derartiger gestufter Skalen komparativer Wahrscheinlichkeitszuschreibung. So wird im Gentechnikrecht durch § 7 Abs. 1 GenTG die Sicherheitsstufe von Arbeiten anhand von hohem, mäßigem, geringem und gar keinem Risiko unterschieden. Andere Attribuierungen sind keine Beschreibung der relativen Höhe der Wahrscheinlichkeit, sondern enthalten eine Wertung. So stehen sich die beachtliche und die zu vernachlässigende Wahrscheinlichkeit als Wertungen diametral gegenüber. Ob eine Wahrscheinlichkeit beachtlich oder zu vernachlässigen ist, kann erst nach einer Abwägung mit den anderen für die Gesamtentscheidung einschlägigen Belangen festgestellt werden. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit kann nicht mit einer hohen, mittleren oder niedrigen Wahrscheinlichkeit ins Verhältnis gesetzt werden. Attribuierungen wie erheblich, beachtlich, unbeachtlich oder zu vernachlässigen sind deshalb nicht geeignet, um Wahrscheinlichkeiten abstrakt zu beschreiben. Sie können immer nur aus dem konkreten Einzelfall heraus erschlossen werden. Dagegen eignen sich Formulierungen wie höchstwahrscheinlich, überwiegend wahrscheinlich oder entfernt wahrscheinlich nicht nur, um eine Relation zwischen den Graden an Wahrscheinlichkeit herzustellen, sondern sie enthalten zugleich eine Wertung, die unabhängig vom späteren Abwägungsvorgang ist. So wird man annehmen müssen, dass überwiegend wahrscheinlich eine Wahrscheinlichkeit von über 50 % meint. Entfernt wahrscheinlich muss hingegen deutlich unter einer Wahrscheinlichkeit von 50 % liegen, wohingegen höchstwahrscheinlich deutlich mehr als eine Wahrscheinlichkeit von 50 % voraussetzt. Kombinieren lassen sich diese Einstufungen mit ihrer Verneinung, wobei hierdurch nicht etwa das bloße Gegenteil des Verneinten ausgedrückt wird, sondern ein synthetisches Drittes. So meint gänzlich unwahrscheinlich, dass etwas mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Die verneinte Form nicht gänzlich unwahrscheinlich bedeutet hingegen nicht das Gegenteil, dass etwas mit Sicherheit eintreten wird, sondern beschreibt eine Möglichkeit mit der gerechnet werden muss, obwohl ihr Eintritt unsicher bleibt. Die mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit setzte das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis mit dem bereits eingetretenen Schaden gleich.1228 Es handelt sich damit um das Gegenteil des nach Maßgabe der praktischen Vernunft Ausgeschlossenen, durch das der Bereich des Restrisikos begründet wird, inner-

1227

Ausführlicher hierzu 2. Kapitel E. IV. – „Prinzipientheorie“. BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (144) [Luftsicherheitsgesetz]. 1228

E. Auslösung der Schutzpflicht

215

halb dessen weitere Sicherungsmaßnahmen nicht mehr verlangt werden können, mithin maximale Sicherheit fingiert wird.1229 Präziser als mittels der komparativen Wahrscheinlichkeitsurteile lassen sich quantitative1230 Prognoseaussagen im Verfassungsrecht oft nicht bestimmen. Von Kant stammt das berühmte Wort über die begrenzte menschliche Fähigkeit zur Erkenntnis, das auch für die Prognose im Umweltverfassungsrecht gilt: „[Wir] erkennen [. . .] nur die Nothwendigkeit der Wirkungen in der Natur, deren Ursachen uns gegeben sind, und das Merkmal der Nothwendigkeit im Daseyn reicht nicht weiter, als das Feld möglicher Erfahrung.“ 1231 Gemeinhin wird er mit den daraus abgewandelten Worten zitiert: „Die Notwendigkeit, zu entscheiden, reicht weiter als die Möglichkeit, zu erkennen.“ 1232 3. Hinreichende Wahrscheinlichkeit Ihren Ausweg sucht die Rechtswissenschaft im Begriff der „hinreichenden Wahrscheinlichkeit“. Sie gibt das Maß an Wahrscheinlichkeit an, das mindestens erforderlich ist, um die Tatbestandsvoraussetzungen zu erfüllen. Hinreichend ist ein Begriff aus der Aussagenlogik und bedeutet, dass die Erfüllung derjenigen Bedingung, die als hinreichend klassifiziert ist, zum Eintritt des bedingten Ergebnisses führen wird.1233 Die Bestimmung über das Kriterium hinreichend erscheint zirkulär. Es könnte auch ausgedrückt werden, die Wahrscheinlichkeit ist hoch genug, wenn sie hoch genug ist. Dennoch ist das Kriterium aus der Rechtswissenschaft nicht wegzudenken, denn als Tatbestandsvoraussetzung zwingt das Kriterium der hinreichenden Wahrscheinlichkeit dazu, vom Ergebnis her zu denken: Die Wahrscheinlichkeit muss so hoch sein, dass sie das Ergebnis trägt. Sie ist deshalb nicht nur anhand des Schadens zu bestimmen, der eintritt, wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden, sondern auch anhand der Belastung, die durch die Gegenmaßnahmen entsteht, die getroffen werden müssen, wenn der zu befürchtende Schaden verhindert werden soll. Es wird deshalb zum Teil angenommen, das Kriterium der hinreichenden Wahrscheinlichkeit sei einfachgesetzlicher Ausdruck des verfassungsrechtlich vorgegebenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.1234 1229

Hierzu 2. Kapitel E. III. 2. c) – „Restrisiko“. Quantität meint in diesem Zusammenhang den Grad an Wahrscheinlichkeit, wie man ihn in zahlenmäßigen Verhältnissen angeben kann, sowie die prozentual ausdrückbare Fehlertoleranz. Zum Beispiel eine Chance von 1 zu 10 mit einer Fehlertoleranz von 10 %. 1231 Kant, Critik der reinen Vernunft, S. 227. 1232 Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, S. V; Merkel, in: Politikberatung in Deutschland, S. 21. Siehe auch FAZ.net vom 10.11.2015 „Entscheidung und Erkenntnis“ von Patrick Bahners. 1233 Joerden, Logik im Recht, S. 13 f. 1234 Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (683). 1230

216

2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

Auch wird durch das Kriterium der hinreichenden Wahrscheinlichkeit bestimmt, dass keine absolute Sicherheit des Bedingungseintritts verlangt wird. Andererseits soll es nicht genügen, dass nur die rein theoretische Möglichkeit eines Schadenseintritts dargelegt wird.1235 Darüber hinaus liefert das Kriterium der hinreichenden Wahrscheinlichkeit keine nähere quantitative Bestimmung eines Maßes von Wahrscheinlichkeit. Es ist nicht möglich, die hinreichende Wahrscheinlichkeit mit anderen Graden an Wahrscheinlichkeit zu vergleichen, denn eine Wahrscheinlichkeit kann in einem Fall bereits mit dem Wert 1 zu 100 als hinreichend gelten, in einem anderen aber selbst mit einem Wert von 1 zu 10 noch nicht hoch genug sein. 4. Zusammenfassung und Fazit Vom Recht wird erwartet, gesellschaftliche Konflikte auch dort zu lösen, wo absolutes Wissen in einem streng naturwissenschaftlichen Sinne nicht vorhanden ist. In den Fällen, in denen auf ein objektives Wahrscheinlichkeitsurteil nicht zurückgegriffen werden kann, ist der Rechtsanwender auf die subjektive Wahrscheinlichkeit1236 angewiesen. Es handelt sich dabei um den Grad der persönlichen Überzeugung aufgrund von vernünftiger Einschätzung. Verbleibende Unsicherheiten und die Unzulänglichkeit derartiger menschlicher Abschätzungen werden durch umweltrechtliche Prinzipien wie das Vorsorgeprinzip und das Vorsichtsprinzip berücksichtigt.1237 Um die verschiedenen Grade von Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts zu systematisieren, kann in quantitativer Hinsicht auf die abstrakte Rangordnung verfassungsrechtlicher Bestimmungen zurückgegriffen werden.1238 Das Bundesverfassungsgericht folgerte deshalb, dass, wenn das hohe Rechtsgut Leben auf dem Spiel stehe, bereits eine nur entfernte Wahrscheinlichkeit genüge, um die Schutzpflicht auszulösen. Die oben entwickelte siebenstufige qualitative Einteilung1239 der Grade von Sicherheit zu Unsicherheit beeinflusst nicht das quantitative Maß an Wahrscheinlichkeit, das für die Schutzpflichtenschwelle zu verlangen ist. Es wird dadurch vielmehr der Bezugspunkt für die Bestimmung des quantitativen Maßes von Wahrscheinlichkeit festgelegt.

1235 Ibler, in: FS für Hailbronner, S. 739; Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 163; Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677; Trute, in: GS Jeand’Heur, S. 407. 1236 Wegweisend für die Verwissenschaftlichung der subjektiven Wahrscheinlichkeitsauffassung ist der bayessche Wahrscheinlichkeitsbegriff; vgl. Nack, MDR 1986, 366 (368); Scholl, JZ 1992, 122 (125). 1237 Hierzu näher 3. Kapitel B. III. 1. – „Vorsorgeprinzip“. 1238 2. Kapitel D. XIV. – „Rangordnung der grundrechtlichen Positionen“. 1239 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) – „Kontingenter Risikobegriff“.

E. Auslösung der Schutzpflicht

217

VI. Kritik an Übergriffsschwellen Die Unterteilung in polizeilichen Gefahrbegriff und technischen Risikobegriff ist als unnützlich, weil naturwissenschaftlich nicht begründbar, angegriffen worden.1240 Letztlich definieren sich sowohl Risiko als auch Gefahr als das „Produkt von Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß“.1241 Die Behauptung, der Staat sei bei Vorliegen einer Gefahr zum Einschreiten verpflichtet und bei einem Risiko zur Vorsorge berechtigt,1242 wird so nicht haltbar sein. Gefahr und Risiko sind Tatbestandsbestimmungen. Durch die Unterscheidung nach Handlungsverpflichtung und Handlungsberechtigung werden die beiden Begriffe aber nur rechtsfolgenseitig voneinander abgegrenzt. Dies vermag nicht zu erklären, warum der Staat bei Vorliegen einer Gefahr auch untätig bleiben darf, wie es gemäß dem Opportunitätsprinzip im klassischen Polizeirecht der Fall ist.1243 Umgekehrt wäre nicht zu erklären, warum das Bundesverfassungsgericht eine Pflicht zur Risikovorsorge annimmt.1244 Die rechtsfolgenseitige Unterscheidung von Gefahr und Risiko führt demnach zu keiner klaren Abgrenzung der beiden Begriffe. Zum Teil wird das Heranziehen von Gefahr- und Risikoschwellen zur Auslösung staatlicher Schutzpflichten prinzipiell abgelehnt. Die Schutzpflicht sei nur durch die Kriterien des tatsächlich und rechtlich Möglichen begrenzt, nicht jedoch durch polizeirechtliche Gefahrenschwellen.1245 Statt Gefahr- und Risikobegriffe zur Bestimmung der Auslösungsschwelle heranzuziehen, könnte auch eine Zumutbarkeitsschwelle in Betracht kommen. Der Begriff des Risikos beschränke sich gerade nicht wie die Gefahr auf die Perspektive der Schädigung durch das jeweils in Rede stehende Handeln, Dulden oder Unterlassen, sondern beziehe gleichzeitig auch deren Nutzen ein.1246 Nach dieser Logik wären dem Schadensaspekt entgegenstehende Belange über den Risikobe1240 Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 135; in diese Richtung auch ausdrücklich Scherzberg, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 6 Rn. 20. 1241 Bechmann, in: Bechmann (Hg.), Risiko und Gesellschaft, S. IX; Elgeti/Fock, NuR 2018, 369 (372); Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 136; Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 226; Ladeur, Das Umweltrecht der Wissensgesellschaft, S. 9; Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 41; Reich, Gefahr, Risiko, Restrisiko, S. 171. 1242 Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 116 ff. 1243 Enders, AöR 1990, 610 (611–612); Isensee, in: FS für Wagner, S. 371; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 53 f.; Schenke, in: FS für Bartlsperger, S. 550; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 161. 1244 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 Rn. 38 [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (78) [Fluglärm I]. 1245 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 78. 1246 Bechmann, in: Bechmann (Hg.), Risiko und Gesellschaft, S. XI; Gethmann, in: Risiko im Umweltstaat, S. 46 ff.

218

2. Kap.: Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten

griff bereits auf der Tatbestandsebene der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zur Geltung zu bringen. Dadurch würden verschiedene Ebenen des Grundrechtsschutzes in unzulässiger Weise miteinander vermischt. Die Frage des Schutzbereichs einer Grundrechtenorm ist zu trennen von den ihr entgegenstehenden, nutzenbringenden Belangen, die auf Ebene der Rechtfertigung der Grundrechtebeschränkung anzusiedeln sind.1247 Bringt man den Nutzen bereits bei der Frage der Risiko- oder Gefahrenschwelle ins Spiel, müssen die entgegenstehenden Belange entweder zwei Mal gegen den Schaden aufgewogen werden oder die Trennung von Schutzbereich, Eingriff und Rechtfertigung, die im Prinzip so auch in der Schutzpflichtendogmatik anwendbar ist, würde sich auflösen zu Gunsten einer unsystematischen Abwägung, in der alle Belange unstrukturiert in einen Topf geworfen werden.1248 Hinzukommt, dass der Begriff der Zumutbarkeit nicht auf alle Tatbestandsvoraussetzungen der Umweltschutzpflichten angewendet werden kann. Die Ermittlung des Risikos setzt neben dem zu erwartenden Schaden auch die Ermittlung einer Eintrittswahrscheinlichkeit voraus. Der Schaden kann zumutbar oder unzumutbar sein. Eine unzumutbare Prognose kann es hingegen begriffsnotwendig nicht geben, höchstens unvertretbare oder falsche Prognosen.1249 Unzumutbar kann nur die Entscheidung sein, die auf der Prognose beruht, weshalb das Kriterium der Zumutbarkeit rechtsfolgenseitig diskutiert werden muss und vorliegend nicht geeignet ist, zur Tatbestandsvoraussetzung erhoben zu werden. Resümierend lässt sich festhalten, dass die Zumutbarkeit folglich nicht geeignet ist, als Ersatz oder Ergänzung zur Gefahren- und Risikoschwelle auf Tatbestandsebene herangezogen zu werden. Sie spielt erst bei der Ermittlung der Rechtsfolgen einer Schutzpflichtverletzung eine Rolle.1250

VII. Fazit Wie die Geltendmachung des Abwehrrechts einen Eingriff in den Schutzbereich voraussetzt, muss auch für die Auslösung der Schutzpflicht eine Schädigung am Schutzgut vorliegen. Unterscheidungskriterium ist hier die Nichtstaatlichkeit der Schädigungsursache. Im Bereich der Schadenshöhe besteht zunächst keine Bagatellgrenze, da sich selbst geringfügige Belästigungen bei entsprechender Kumulation zu regelungsbedürftigen Problemlagen verdichten können. Wohingegen das Abwehrrecht häufig gegen bereits abgeschlossenes Staatshandeln geltend gemacht wird, richtet sich der Anspruch auf staatlichen Schutz oft auf 1247

Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 304. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 158 f. 1249 Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 222. 1250 Siehe hierzu die Ausführungen unter 3. Kapitel B. II. 1. a) aa) – „Grenzwertfestsetzung“. 1248

E. Auslösung der Schutzpflicht

219

zukünftiges Handeln. Die prognostische Seite der Entscheidungsfindung spielt hier deshalb typischerweise eine herausgehobene Rolle. Der Umgang mit Risiken ist stets eine Abwägung unter Unsicherheit. Nach der von Hart begründeten Rechtstheorie ist jede Aussage über zukünftige Ereignisse nur eine Aussage über deren Eintrittswahrscheinlichkeit.1251 In allen Fällen, in denen eine Umweltschutzpflicht für zukünftiges Verhalten geltend gemacht wird, ist daher die Wahrscheinlichkeit als Faktor zu berücksichtigen. Wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Aussage über die Zukunft wahr oder falsch ist, hängt von den verschiedenen Faktoren des Einzelfalls ab. Letzten Endes bleibt die abstrakte Bestimmung einer Wahrscheinlichkeitsschwelle ein erkenntnistheoretisches Problem, das die gemeinsamen Grundsätze aller Wissenschaften berührt. Das Erkennen von Naturgesetzen in der belebten und unbelebten Welt gelingt über die menschliche Fähigkeit, wiederkehrende Ereignisse als solche zu erkennen und deren Regelmäßigkeit abstrakt zu beschreiben. Aus diesen abstrahierten Erfahrungen lassen sich wiederum Hypothesen für zukünftig gelagerte Fälle ableiten. Für die qualitative Unterscheidung der verschiedenen Kategorien von Sicherheit und Unsicherheit ist ein siebenstufiges System entwickelt worden, aus dem sich verschiedene Arten staatlicher Maßnahmen in der Folge ergeben. Maß und Höhe der Wahrscheinlichkeit lassen sich abstrakt hingegen nur komparativ bestimmen und verbleiben somit Fragen des jeweiligen Einzelfalls, der direkten Einfluss auf die abzuleitenden Rechtsfolgen hat.

1251

Hart, in: Hoerster, Recht und Moral, S. 112 f.

3. Kapitel

Analyse der Rechtsfolgenseite Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten adressieren die Staatsgewalten gemäß ihrer Stellung und ihren Aufgaben im Verfassungsgefüge.1252 Sie wirken sich deshalb in unterschiedlicher Weise auf diese aus.

A. Systematisierung der Schutzpflichten Eine Systematisierung der Schutzpflichten kann daher anhand der Adressaten, ihrer Aufgaben oder ihrer Wirkung erfolgen.

I. Einteilung nach adressierter Staatsgewalt Naheliegend für eine Systematisierung grundrechtlicher Schutzpflichten ist zunächst, diese nach ihren Adressaten, also den drei Staatsgewalten Legislative, Judikative und Exekutive, einzuteilen.1253 Eine solche Einteilung führt dazu, dass sich, wegen der Überschneidung von Aufgaben, die Grundrechtswirkungen nicht trennscharf abgrenzen lassen. So wird im Bereich der Normgebung die Legislative als einfacher Gesetzgeber adressiert, aber auch die Exekutive als Schöpferin materiellen Rechts. Am Erlass von Verordnungen nach Art. 80 Abs. 2 GG wirken durch Regierung und Bundesrat Organe zweier Gewalten mit, weshalb eine Unterscheidung der Grundrechtswirkung nach Staatsfunktion in diesem Fall trennschärfer ist als nach Staatsgewalt. Ähnliches gilt für das Ermessen. Die administrative Befugnis der Ermessensbetätigung wird beschränkt durch die richterliche Kompetenz der Ermessensüberprüfung. Die eine Freiheit endet, wo die andere beginnt.1254 Ermessensbetätigung und Ermessensüberprüfung sind zwei Seiten einer Medaille, die sich nicht getrennt voneinander bestimmen las1252 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 121 ff. 1253 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 70; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 67. 1254 So formulierte das BVerfG, Beschluss vom 31.05.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22) [Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe]: „Gerichtliche Kontrolle kann nicht weiter reichen als die materiellrechtliche Bindung der Instanz, deren Entscheidung überprüft werden soll. Sie endet deshalb dort, wo das materielle Recht in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise das Entscheidungsverhalten nicht vollständig determiniert und der Verwaltung einen Einschätzungs- und Auswahlspielraum belässt.“

A. Systematisierung der Schutzpflichten

221

sen, sondern nur in ihrem wechselseitigen Verhältnis.1255 Auch hier liegt vielmehr eine einheitliche Betrachtung der Wirkung von grundrechtlichen Schutzpflichten nahe, die nicht getrennt auf die Verpflichtung von Behörde oder Verwaltungsgericht abstellt, sondern das Ermessen selbst in den Fokus rückt.1256 Für eine Systematisierung, die nicht auf die adressierten Staatsorgane abstellt, sondern auf die Funktionen der grundrechtlichen Schutzpflichten und ihren Einfluss auf die Staatsaufgaben, sind in der Vergangenheit verschiedene Vorschläge aufgekommen.

II. Primäre und sekundäre Schutzpflicht In der Literatur möchte man zum Teil zwischen primärer und sekundärer Schutzpflicht differenzieren, denen unterschiedlicher Gewährleistungsgehalt zukommen soll.1257 Die primären grundrechtlichen Schutzpflichten würden den Staat verpflichten, seine Rechtsordnung auf einfachgesetzlicher Ebene so auszugestalten, dass „Eingriffe Dritter in grundrechtlich geschützte Rechtsgüter grundsätzlich rechtswidrig“ seien.1258 Die sekundären grundrechtlichen Schutzpflichten verlangen vom Staat, dass er die zur Erfüllung der primären Schutzpflichten geschaffene Rechtsordnung auch effektiv durchsetzt.1259 Dazu gehöre auch die Schaffung von Institutionen und organisatorischen Vorkehrungen, die nötig sind, um diese „Schutzgewährleistungspflicht“ zu erfüllen.1260 Die Unterscheidung in primäre und sekundäre Schutzpflicht ist verschiedentlich kritisiert worden.1261 Angreifbar ist zunächst die von Murswiek verwendete Formulierung des Grundrechtseingriffs durch Dritte,1262 den der Staat verbieten 1255

Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 99 ff. Hierzu siehe 3. Kapitel C. I. – „Verwaltungsermessen“. 1257 Cornils, in: HStR VII, § 168 Rn. 23; Denninger, in: Präventionsstaat, S. 95; Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 86; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 73; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 266; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 245; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (180–182); Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 108 ff.; Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 29 ff.; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 85; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 23 f.; Vosgerau, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 144. 1258 Murswiek, WiVerw 1986, 179 (181). 1259 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 267; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 111. 1260 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 111. 1261 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 131; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 68; Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 85; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 73; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 IV 5 b); Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 86. 1262 Siehe Nachweis in Fn. 1258. 1256

222

3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

müsse. Die Formulierung erklärt sich daraus, dass Murswiek im Sinne der abwehrrechtlichen Einheitstheorie argumentiert, als deren Mitbegründer er gilt.1263 Anders als seine Formulierung nahe legt, ist die staatliche Schutzpflicht nicht darauf gerichtet, alle privaten Eingriffe in Grundrechte Dritter zu verbieten. Die staatliche Verpflichtung bezieht sich nur darauf, die potentiell miteinander kollidierenden Freiheitssphären der Bürger zu koordinieren und miteinander in Ausgleich zu bringen.1264 Durch die Einheitstheorie wird die Unterscheidung zwischen privatem und hoheitlichem Handeln relativiert und der Eingriffsbegriff praktisch konturlos.1265 Auch kritikwürdig ist die Behauptung Murswieks, die primäre Schutzpflicht sei inhaltlich voll überprüfbar, wohingegen bei der sekundären Schutzpflicht grundsätzlich ein Ermessen eingeräumt sei.1266 Die Vorstellung, durch die Grundrechte seien Freiheitssphären der Bürger vorgegeben, die der Staat im Rahmen seiner primären Schutzpflicht dadurch voneinander zu trennen habe, dass er private Übergriffe für rechtswidrig erklärt, ist schon deshalb verfehlt, weil sich die grundrechtlichen Schutzbereiche allerorts überschneiden und eine klare Linie zwischen den Bereichen sich nicht gleichsam naturgesetzlich aufdrängt. Diese potentiell kollidierenden Freiheitssphären lassen sich an alltäglichen Beispielen illustrieren. Zwei Verkehrsteilnehmer, die sich an einer Kreuzung begegnen, haben zunächst ein gleichstarkes Freiheitsrecht, die Kreuzung zu passieren. Indem der Staat durch das Treffen einer abstrakten Vorrangsregelung dem einen den Vortritt zuweist, grenzt er die Freiheitssphären voneinander ab und erklärt einen Verstoß gegen die Regelung für rechtswidrig. Diese abstrakte Abgrenzung der Freiheitssphären würde die primäre Schutzpflicht des Staates verwirklichen, wollte man sich dieser Einteilung anschließen. Der Gesetzgeber ist nicht dahingehend gebunden, ob er dem rechten oder dem linken Verkehrsteilnehmer den Vortritt gibt. Die Behauptung, es komme auf der Ebene der primären Schutzpflicht dem Normgeber grundsätzlich kein Ermessen zu, ist schon deshalb unhaltbar. Man müsste also die Regelung, um im Bild zu bleiben, der sekundären Schutzpflicht zuschlagen, um zu begründen, warum dem Staat ein Auswahlermessen hinsichtlich des Regelungsgehalts zukommt. Um die Einteilung von Schutzpflichten in primäre und sekundäre zu retten, könnte man annehmen, die Unterscheidung gleiche der aus dem Verwaltungsrecht bekannten Trennung von Entschließungs- und Auswahlermessen.1267 Demnach beträfe die Ebene der primären Schutzpflicht das „Ob“ einer Regelung, also das Entschließungsermessen. 1263

Hierzu siehe 1. Kapitel F. – „Abwehrrechtliche Einheitstheorie“. Cornils, in: HStR VII, § 168 Rn. 23. 1265 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 86. 1266 Murswiek, WiVerw 1986, 179 (184); beipflichtend Vosgerau, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 144. 1267 Zu den verwaltungsrechtsdogmatischen Grundlagen dieser Unterscheidung siehe Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 31 m.w. N. 1264

A. Systematisierung der Schutzpflichten

223

Die sekundäre Schutzpflicht beträfe das „Wie“ einer Regelung, also das Auswahlermessen. Doch auch diese Einteilung wird den grundrechtlichen Funktionen nicht in aller Hinsicht gerecht. Zwar gibt es Rechtsgüter wie das Leben, für die dem Staat hinsichtlich der Entschließungsentscheidung kein Ermessen zukommt,1268 anders ist dies jedoch hinsichtlich der vom Eigentum und Erbrecht umfassten Rechtsgüter. Diese Grundrechte sind ausfüllungsbedürftig, weshalb dem primären Schutzpflichtenadressat notwendigerweise ein Entschließungsermessen zukommen muss.1269 Die Unterscheidung von primärer und sekundärer Schutzpflicht ist nicht nur aufgrund ihrer Herleitung aus der abwehrrechtlichen Einheitstheorie angreifbar, sondern auch angesichts ihrer zum Teil unzutreffenden Ergebnisse. Der Ansatzpunkt, zwischen abstrakter Schutzpflicht und konkreter Schutzgewährleistungspflicht zu unterscheiden, ist hingegen nicht obsolet. Es bedarf daher einer Modifikation der dargestellten Systematisierung.1270

III. Grundrechtliche und gesetzesmediatisierte Schutzpflicht In Anlehnung an Murswieks abwehrrechtliche Systematisierung schuf Dietlein eine alternative Einteilung.1271 Diese ist auf erster Ebene ebenfalls zweigliedrig aufgebaut, jedoch mit anderem Zuschnitt und wird auf einer weiteren Ebene dezidierter ausdifferenziert.1272 Zunächst werden grundrechtsunmittelbare und grundrechtsmittelbare Schutzpflichten unterschieden. Beide Kategorien unterteilen sich jeweils in präventive und repressive Schutzpflichten. Die grundrechtsunmittelbare präventive, also schadensvorbeugende Schutzpflicht richtet sich an alle drei Gewalten.1273 Für die Legislative beinhaltet sie die Pflicht, die Rechtsordnung so auszugestalten, dass zum einen nichtstaatlichen Schädigungen an grundrechtlich geschützten Gütern vorgebeugt wird und zum anderen Exekutive und Legislative im Schadensfall geeignete Eingriffsrechte zur Verfügung stehen. Exekutive und Judikative werden durch die grundrechtsunmittelbare präventive Schutzpflicht nur dort adressiert, wo sie keinen einfachgesetzlichen Vorgaben unterworfen sind und ihr Handeln nicht mit einem Grundrechts1268 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (41) [Schwangerschaftsabbruch I]. 1269 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14, Rn. 135; Shirvani, in: FS für Schmidt-Preuß, S. 310; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 86. 1270 So auch Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 130. 1271 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 128 ff. 1272 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 131; siehe auch Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 157 ff. 1273 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 131; ähnlich auch Grimm, Die Zukunft der Verfassung, S. 234; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 288 f.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

eingriff verbunden ist.1274 Ersteres ist Ausdruck des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, letzteres des Vorbehalts des Gesetzes. Die grundrechtsunmittelbare repressive Pflicht richtet sich ausschließlich an die Legislative.1275 Sie beinhaltet die Pflicht zum Erlass von Verbotstatbeständen, um die sich überschneidenden Freiheitssphären der Rechtssubjekte voneinander abzugrenzen.1276 Die grundrechtsmittelbaren Schutzpflichten richten sich ausschließlich an die Exekutive und Judikative bei der Durchsetzung des einfachen Rechts.1277 Die präventiven grundrechtsmittelbaren Schutzpflichten sind auf die Gefahrenabwehr und -beseitigung gerichtet. Hier ist der Exekutive eine breite Palette von Handlungsmöglichkeiten eröffnet, angefangen bei der polizeilichen Generalklausel bis hin zu fein ausdifferenzierten Ermächtigungsgrundlagen des Fachrechts.1278 Kommt die Exekutive ihrer präventiven Schutzpflicht nicht nach, sind die Gerichte gefragt, den gebotenen Schutz auf Verlangen des betroffenen Bürgers durchzusetzen. Grundrechtsmittelbare repressive Schutzpflichten bestehen darin, mittels Sanktionen die durch die Legislative aufgestellten Ge- und Verbote durchzusetzen.1279 Für die Exekutive bestehen diese Sanktionsmöglichkeiten vor allem im Ordnungswidrigkeitenrecht, aber auch in Form des Entzugs von zuvor gewährten Begünstigungen. Durch die Einteilung in unmittelbare und mittelbare, präventive und repressive Schutzpflichten sind deutlich voneinander abgehobene Kategorien entstanden. Diese deuten auf die von ihnen umfassten Funktionen der grundrechtlichen Schutzpflicht hin. Jedoch treten auch hier Überschneidungen nicht nur der Adressaten, sondern auch der Funktionen auf. So erfüllt die Grenzwertfestsetzung eine 1274

Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 132. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 132; Stern, DÖV 2010, 241 (247); diese Schutzpflichtendimension ähnelt der als primäre Schutzpflicht bezeichneten Funktion, vgl. Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 67; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 245; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (182). 1276 Calliess, JZ 2006, 321 (326); Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 20. 1277 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 132; Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 159; diese überschneiden sich mit den Schutzgewährleistungspflichten, die den sekundären Schutzpflichten zugerechnet werden, vgl. Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 67 f.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 267; Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 105; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 246 f.; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (184); Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 113. Grundlegend: Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 44. 1278 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 38. 1279 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 132; ähnlich in Bezug auf Menschenrechte Steiger, in: FS für Klein, S. 1326. 1275

A. Systematisierung der Schutzpflichten

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Doppelfunktion. Sie dient zum einen der Prävention, weil durch die festgelegten Belastungsgrenzen das Entstehen von Gefährdungssituationen von vornherein unterbunden werden soll. Sie hat zum anderen repressiven Charakter, weil die Grenzwerte Anknüpfungspunkt für Verbotsnormen sind, durch die das erlaubte vom unerlaubten Verhalten unterschieden wird und die Freiheitssphären der Grundrechtsträger koordiniert werden.1280 Die Pflicht zur Grenzwertsetzung kann sich sowohl als grundrechtsunmittelbar direkt an die Legislative richten als auch gesetzesmediatisiert, also grundrechtsmittelbar an den exekutiven Verordnungsgeber. Es handelt sich bei der Grenzwertfestsetzung demnach um ein Instrument der Schutzpflichtenerfüllung, das keiner der durch Dietlein vorgeschlagenen Kategorien eindeutig und abschließend zuzuordnen wäre. Auch die Ende des letzten Jahrhunderts entdeckte und seither diskutierte Idee des Grundrechtsschutzes durch Verfahren1281 kann als Instrument begriffen werden, das weder einer der oben aufgeführten Kategorien noch einem bestimmten Staatsorgan oder einer bestimmten Staatsgewalt zuzuordnen ist. So ist der Gesetzgeber in der Pflicht, die Verfahrensvorschriften zu schaffen, die Exekutive sie anzuwenden, die Judikative sie zu überwachen. Zugleich wird aber auch der Gesetzgeber selbst an die Einhaltung von Verfahrensvorschriften bei der Gesetzgebung gebunden, die nicht in jeder Hinsicht zu seiner freien Disposition stehen, obwohl er sie selbst erlässt. Genauso setzt sich die Exekutive selbst Verfahrensvorschriften und wird dabei von grundrechtlichen Anforderungen geleitet. Eine Zuordnung des Instruments zu einem bestimmten Adressaten der Grundrechte scheidet also genauso aus, wie die Zuteilung zu gesetzesunmittelbar und gesetzesmediatisiert, denn die Pflicht der Exekutive zur Wahrung der Grundrechte im Verwaltungsverfahren wird nicht dadurch suspendiert, dass der Gesetzgeber untätig geblieben ist, einfachgesetzliche Verfahrensvorschriften zu konkretisieren. Die Unterteilung in grundrechtsunmittelbare und gesetzesmediatisierte Schutzpflichten trägt dazu bei, die Auswirkungen des Vorbehalts des Gesetzes auf die Schutzpflichtendoktrin zu erfassen. Zur Systematisierung taugt sie hingegen nur bedingt, weil sich zwischen den Kategorien derart viele Überschneidungen ergeben, dass ihre Grenzen bei näherer Betrachtung unscharf werden.

IV. Funktionale Systematisierung Durch ihren umfassenden Anwendungsbereich und ihre Abstraktheit wirken die Schutzpflichten durch eine Vielzahl an rechtlichen Instrumenten hindurch und in eine Vielzahl von staatlichen Tätigkeitsfeldern hinein. Es lassen sich verschiedenste rechtliche Funktionen aufzeigen, auf die die Schutzpflichtenlehre 1280

Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 176. Siehe 3. Kapitel B. II. 1. c) – „Umweltbezogener Grundrechteschutz durch Verfahren“. 1281

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Einfluss nimmt. Zum Teil sind sie eng mit der Schutzpflicht verwandt, wie dies bei der zivilrechtlichen Ausstrahlungswirkung1282 der Fall ist. Andere sind wesentlich älter als die Schutzpflicht und werden durch diese aktualisiert, wie etwa das Verfahrensrecht1283 oder das Planungsrecht.1284 Im Folgenden wird eine Systematisierung vorgeschlagen, die bei den sich aus den Grundrechten ergebenden Schutzinstrumenten selbst ansetzt. Die Instrumente entsprechen den unterschiedlichen Funktionen und Handlungsformen des Staates. Es ergeben sich Pflichten zur Normgebung, Überwachung, Nachbesserung, Verfahrensgestaltung, Abwägung sowie zu faktischen Handlungen. Diese Pflichten können sich an mehrere Staatsgewalten und Organe richten, präventiver wie auch repressiver Natur sein, grundrechtsunmittelbar oder gesetzesmediatisiert wirken. Die funktionale Systematisierung versteht die grundrechtlichen Schutzpflichten nicht als in den Höhen des Verfassungsrechts freischwebend, sondern als anwendungsbezogen. Die Schutzpflichten wirken in der Regel nicht aus sich selbst heraus, weil sie hierfür auf einem zu hohen Abstraktionsniveau angesiedelt sind. Sie sind auf vorhandene Rechtsinstitute als Medium angewiesen, durch die sie ihre Wirkung entfalten. Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten stehen mit den Ordnungsfunktionen der jeweiligen Rechtsinstitute in Wechselwirkung. Rechtsgrundsätze wie das Demokratieprinzip, der Gesetzesvorbehalt, die freiheitliche und soziale Ausrichtung des Grundgesetzes, die Rechtsstaatlichkeit und der Vertrauensschutz werden durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten berührt und wechselseitig beschränkt. Hierdurch wird ihre Anwendung gelenkt und kanalisiert.

B. Gesetzgebungspflichten Anders als in der Weimarer Republik binden die Grundrechte auch den Gesetzgeber.1285 Die Grundrechte wirken nicht mehr im Rahmen der Gesetze, sondern Gesetze werden nur noch im Rahmen der Grundrechte aufgestellt.1286 Die grundrechtlichen Schutzpflichten haben keine unmittelbare Rechtswirkung zu Gunsten oder zu Lasten des Bürgers und bedürfen daher der Umsetzung durch das Gesetz.1287 Begründet wird dies zum einen damit, dass die grundrechtlichen 1282 Diese stellt strenggenommen einen Unterfall der grundrechtlichen Schutzpflicht dar, siehe hierzu 2. Kapitel A. II. 3. Näher zur Ausstrahlungswirkung als Fall der gesetzesmediatisierten Schutzpflichtenerfüllung 3. Kapitel C. III. 3. 1283 Ausführlich zum Grundrechtsschutz durch Verfahren 3. Kapitel B. II. 1. c). 1284 Zum Einfluss der grundrechtlichen Schutzpflichten auf die Planungsentscheidung siehe 3. Kapitel C. II. 1285 Dreier, in: Ius Publicum Europaeum I, § 1 Rn. 130. 1286 Kempen, in: HGR II, § 54 Rn. 25. 1287 Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 151; Calliess, JZ 2006, 321 (326); Calliess, in:

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Schutzpflichten abstrakt und konkretisierungsbedürftig sind,1288 zum anderen greift der Vorbehalt des Gesetzes ein.1289 Bezüglich der Normgebungspflicht kann unterschieden werden zwischen der Pflicht, einen bestimmten Gegenstand gesetzlich zu normieren, der Pflicht, eine bestimmte inhaltliche Regelung zu treffen und der Pflicht, sich dabei einer bestimmten Form zu bedienen. Über ihre Schutzfunktion erfordern die Grundrechte ein Einschreiten des Staates gegen Schädigungen an grundrechtlichen Schutzgütern. Diese Funktion steht damit im Gegensatz zu den Grundrechten als Abwehrrechte, die das Staatshandeln zurückdrängen. Aber auch die Schutzpflichten untereinander können kollidieren, wenn sich grundrechtlich geschützte Bereiche derart überlagern, dass nicht alle Grundrechtsträger die ihnen zugeordnete Freiheit betätigen können, ohne den anderen in der seinen zu beschränken oder an einem Rechtsgut zu schädigen. In erster Linie ist der Gesetzgeber berufen, diese sich überschneidenden grundrechtlichen Sphären voneinander abzugrenzen, weshalb diesem im grundrechtsrelevanten Bereich die „Erstzuständigkeit im Prozess der Verfassungskonkretisierung“ zukommt.1290

I. Regulierungsaufträge Die sich aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ergebenden Gesetzgebungspflichten stellen sich zunächst als Regulierungsaufträge dar.1291 Der Gesetzgeber ist unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht völlig frei darin, wel-

HGR II, § 44 Rn. 20; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 67; Dreier, in: Dreier GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 102; Fluck, UPR 1990, 81 (83); Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 69; Häberle, in: HStR II, § 22 Rn. 82; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 267; Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 151; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 324; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 42; Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 38; Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 48; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 116; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 159 f.; Stern, DÖV 2010, 241 (247); Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 113; Tilch/Arloth, Deutsches Rechts-Lexikon, S. 3766. 1288 Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 68. 1289 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 42. 1290 So Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 129; seinerseits in Anlehnung an BVerfG, Urteil vom 11.11.1999 – 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99 – BVerfGE 101, 158 (218) [Länderfinanzausgleich III]. 1291 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 157; Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 10, Rn. 40; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (190); Pietrzak, JuS 1994, 748 (753); Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 49; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 70, Rn. 11; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 69.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

cher Materien er sich annehmen möchte.1292 Schließen die Abwehrrechte es aus, bestimmte Bereiche der persönlichen Lebensführung zu regulieren, schließen es die Schutzpflichten aus, bestimmte Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens unreguliert zu lassen.1293 Durch die Grundrechte werden diese Felder abgesteckt. Die Schutzpflicht steht ranggleich neben dem Abwehrrecht und ist nicht etwa von niederer Normqualität.1294 Die Gesetzgebung wird durch die Grundrechte programmiert, in dem Sinne, dass durch sie die Themen vorgegeben werden, denen sich der Gesetzgeber annehmen muss.1295 Mit dem Fortschritt der Technik ergeben sich auch fortwährend neue gesellschaftliche Konfliktfelder zwischen Techniknutzern und Technikbetroffenen und damit neue Regulierungsaufträge dahingehend, zwischen den Interessen zu vermitteln.1296 Das Bundesverfassungsgericht selbst geht davon aus, dass sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten Gesetzgebungsaufträge ergeben. Es spricht von verfassungsrechtlich gebotenen Regelungen.1297 Daneben bestehen grundrechtsinspirierte Regelungen, die zwar nicht durch die Grundrechte vorgegeben sind, aber dennoch der Erfüllung der Schutzpflichten dienen.1298 Für den Bereich des Umweltrechts ist mit dem Art. 20a GG ein eigener Regulierungsauftrag geschaffen worden, der neben die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten tritt. Weder ersetzt er diese noch tritt er hinter diese zurück. Normhierarchisch stehen die Gesetzgebungsaufträge aus den Grundrechten und jene aus den Staatszielbestimmungen auf gleicher Stufe.1299 Sowohl der lex posterior- als auch der lex specialis-Grundsatz sind im Bereich des Verfassungsrechts einzuschränken. Durch den Erlass zusätzlicher Grundrechte und Gesetzgebungsaufträge möchte der Verfassungsgeber die früher erlassenen Normen in der Regel nicht beschränken oder aufheben, weshalb das spätere Recht nicht

1292 BVerfG, Beschluss vom 20.02.1957 – 1 BvR 441/53 – BVerfGE 6, 257 (264) [Armenrecht]: „Wenn bei dieser Voraussetzung der Gesetzgeber den Verfassungsauftrag unrichtig auslegt, demzufolge seiner Gesetzgebungspflicht nur unvollständig nachkommt und durch das Unterlassen einer erschöpfenden Regelung zugleich ein Grundrecht verletzt, ist die Verfassungsbeschwerde auch gegen dieses Unterlassen des Gesetzgebers zulässig.“ 1293 Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 253; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 190. 1294 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 300. 1295 Kersten, NVwZ 2018, 1248 (1249). 1296 Kersten, NVwZ 2018, 1248 (1252); Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 48 sowie 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) (1) – „Kontingenz und Komplexität“. 1297 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar I]. 1298 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 130 ff. 1299 Altenschmidt, NVwZ 2015, 559 (562); Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 26; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 11; Scholz, in: Maunz/ Dürig GG, Art. 20a, Rn. 13.

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dem früheren Recht vorgehen soll. Im Gegenteil verstärkt die Tatsache, dass der Grundrechtskatalog seit der Schaffung des Grundgesetzes im Jahr 1949, im Gegensatz zu anderen Teilen der Verfassung, durch wechselnde politische Mehrheiten hindurch weitgehend unangetastet blieb,1300 seine Geltungskraft. Der Spezialitätsgrundsatz als Kollisionsnorm ist mit dem Charakter der Grundrechte unvereinbar. Als notwendigerweise abstrakte Normen würden andere Vorschriften diesen stets vorgehen. Für den Bereich der Grundrechte und Staatszielbestimmungen gilt daher der Grundsatz, dass diese sich gegenseitig verstärken, wo ihre Zielrichtung miteinander in Einklang steht.1301 Wo sie einander widersprechen, sind sie im Wege der praktischen Konkordanz in möglichst schonenden Ausgleich zu bringen.1302

II. Instrumentale Vorgaben Zu den grundrechtlich gebotenen Normen gehört zuvorderst das Verbot privater Übergriffe.1303 Daraus folgen im Öffentlichen Recht Genehmigungsvorbehalte für gefährliches oder risikobehaftetes Verhalten, grundrechtsschützende Verwaltungsverfahrensvorschriften sowie behördliche Eingriffsermächtigungen, um gegen rechtswidrige Schadensverursachung einschreiten zu können.1304 Für den Bereich des Privatrechts ergeben sich Unterlassungs- und Schadensersatzan1300 Um so bemerkenswerter ist dieser über den Bestand der Grundrechte herrschende Konsens, weil eine Verfassungsänderung in der Bundesrepublik vergleichsweise einfach ist. Unter 20 OECD-Staaten liegt Deutschland, was die Leichtigkeit einer Verfassungsänderung angeht, auf Platz 4, vgl. Schulze-Fielitz, in: Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, S. 18. 1301 BVerfG, Beschluss vom 04.04.2006 – 1 BvR 518/02 – BVerfGE 115, 320 (358) [Rasterfahndung II]; BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (337) [Mitbestimmung]; BVerfG, Urteil vom 15.01. 1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (205) [Lüth]; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 477 f.; Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 50; Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 5; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 286; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1030); Soell, WiVerw 1986, 205 (213); Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 31; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 89; Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 30; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 35; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 280. 1302 Altenschmidt, NVwZ 2015, 559 (562); Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 76; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 34; Hof, in: Brendt/ Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 33; Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Einleitung, Rn. 221; Kirchhof, in: HStR V, § 99 Rn. 53; Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 26; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 11; Scholz, in: Maunz/Dürig GG, Art. 20a, Rn. 13; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 118; Weinrich, NuR 2019, 314 (316). 1303 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 103; Horn, in: Stern/Becker GG, Art. 2, Rn. 89; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 219; Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 67. 1304 3. Kapitel B. II. 1. d) – „Genehmigungsvorbehalte“.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

sprüche gegen den Schädiger.1305 Im Bereich des Strafrechts ist erwogen worden, grundrechtliche Schutzpflichten zu einem Strafanspruch der Gemeinschaft gegen den privaten Schädiger eines grundrechtlich geschützten Gutes zu verdichten.1306 1. Öffentliches Recht Bei der Dogmatik der Grundrechte handelt es sich um klassisches öffentliches Recht. Obschon sich das Strafrecht, wie auch das Privatrecht, unter dem Grundgesetz den grundrechtlichen Gewährleistungsgehalten nicht entziehen können,1307 teils sogar ausdrücklich adressiert werden,1308 entfaltet sich der durch den Staat zu gewährende grundrechtlich gebotene Schutz zuvorderst durch das Öffentliche Recht, das die Staat-Bürger-Beziehung zum Gegenstand hat. a) Ge- und Verbote Das Recht vermittelt die Freiheit des Einen mit der Freiheit des Anderen, indem es dort, wo sich beide Sphären berühren, für allgemein verbindliche Abgrenzung sorgt.1309 Die strikteste Form der Abgrenzung zweier Sphären ist das Verbot des Übergriffs von der Einen in die Andere. Durch die Allgemeinverbindlichkeit von Ge- und Verboten entsteht das für eine funktionierende Rechtsordnung wesentliche Vertrauen, dass andere sich ebenfalls an die durch das Recht vorgegebenen Grenzen halten.1310 Ge- und Verbote stellen die Grundform des Rechts dar. Nur von ihnen aus können andere Rechtsformen wie Erlaubnisse, Freistellungen, Eingriffsbefugnisse und Strafen erschlossen und gedacht werden.1311 Eine Strafe ohne vorheriges Verbot ist zwar denkbar, wäre aber eine willkürlich gesetzte und für den Bestraften nicht vorhersehbare. Das Recht würde seine Steuerungsfunktion einbüßen, weil der Einzelne sein Verhalten nicht an der abstrakten Norm ausrichten könnte, sondern darauf angewiesen wäre, den Willen desjenigen, der die Sanktion verhängt, vorherzusehen. Das Verbot ist nicht etwa ein überkommenes Instrument des Obrigkeitsstaates, sondern stellt historisch einen Fortschritt gegenüber der unvermittelten Macht des willkürlichen Herrschers 1305

3. Kapitel B. II. 2. – „Ausgestaltung des Zivilrechts“. 3. Kapitel B. II. 3. – „Pflicht zu Strafen?“. 1307 Befürworter verwenden Bezeichnungen wie Ausstrahlungswirkung oder sprechen von Impulsen, die aus dem Verfassungsrecht empfangen werden, andere von Kontamination oder Kolonisierung, vgl. Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 121 f. 1308 Dies gilt insbesondere für den Bereich des Strafrechts, das im Rahmen der Schrankenbestimmungen umfangreiche Überformung erfährt (Art. 9 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 13 Abs. 3, 5, Art. 102 GG), aber auch für das Prozessrecht im Allgemeinen (Art. 101, Art. 103 Abs. 1 GG) wie im Besonderen (Art. 103 Abs. 2, 3 GG). 1309 Kant, in: Kant’s Werke – Band VI „Die Metaphysik der Sitten“, S. 230; hierzu auch Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 134 f. 1310 Zado, Privatisierung der Justiz, S. 224. 1311 Lübbe-Wolff, Rechtsfolgen und Realfolgen, S. 32. 1306

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dar. Ge- und Verbote wirken nicht nur als Bindung des Adressaten, sondern auch als Bindung ihres Urhebers. Dieser bindet sich selbst bei der Ausübung der ihm zukommenden Gewalt, indem er dem Rechtsunterworfenen vorab abstrakt mitteilt, welches Verhalten er von ihm verlangt und welches er ihm freistellt. Dadurch, dass dem Adressaten der Ge- und Verbotsnormen die Rechtsmacht zugestanden wird, von dem Herrschenden die Einhaltung und Durchsetzung seiner selbst aufgestellten Ge- und Verbote zu verlangen, wird der Gesetzesadressat vom Untertan zum Bürger.1312 Die Aufstellung von Verboten dient nicht nur dem Schutz vor dem privaten Dritten, sondern auch dem Schutz vor der Willkür des Herrschers, dem sich die Rechtssubjekte unterworfen haben, deren Freiheit durch das Mittel des Verbots voneinander abgegrenzt wird. Die Verbotsnorm im bürgerlichen Rechtsstaat ist damit eine Norm, die der Vermittlung und Sicherung von Freiheit dient. Die Verbotsnorm sichert zunächst die Freiheit des Einzelnen vor einem Zugriff des Staates jenseits des Tatbestandes der Verbotsnorm und zum anderen vor einem Übergriff des privaten Dritten in den durch die allgemeine Verbotsnorm gesicherten Schutzbereich. Das Verbot stellt sich deshalb als zweifacher Schutzwall um die Freiheitssphäre dar. Zum einen steckt es dasjenige Verhalten ab, das der Staat vom Bürger als Tun oder Unterlassen verlangen darf. Zum anderen schützt es die Freiheitssphäre vor dem Übergriff durch andere Bürger. Die erste Funktion des Verbots wird durch die Grundrechte als Abwehrrechte garantiert, die zweite Funktion des Verbots ergibt sich aus den Grundrechten als Schutzpflichten. aa) Grenzwertfestsetzung Die Grenzwertfestsetzung stellt eine für das Umweltrecht zentrale Form des Verbots dar. Der Grenzwert ist Ausdruck der nach dem Prinzip der praktischen Konkordanz vorzunehmenden Vermittlung verschiedener grundrechtlicher Positionen.1313 Das regulierte Verhalten wird durch den Grenzwert nicht absolut verboten, sondern nur bis zu dem Grad, ab dem die Schädigung überhandnimmt. Bei der Grenzwertfestsetzung kommen verschiedene verfassungsrechtliche Prinzipien zum Tragen. Das Vorsorgeprinzip besagt, dass nicht nur konkrete Gefahren und sicher eintretende Schädigungen bei der Festlegung berücksichtigt werden müssen, sondern auch Risiken.1314 Letztere zeichnen sich im Gegensatz zur Gefahr dadurch aus, dass exaktes Wissen über den kausalen Zusammenhang von Schaden und möglicher Ursache bisher noch fehlt, aber Hinweise, beispielsweise in Form einer 1312

Merten, in: HGR II, § 35 Rn. 102 f. Zum Prinzip der praktischen Konkordanz Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 34; Epping, Grundrechte, Rn. 91 ff.; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 11; Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 62; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 91; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 197. 1314 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (136). 1313

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Korrelation, vorliegen, die auf eine Verknüpfung hindeuten.1315 Anders als bei der Gefahrenabwehr, der die Grenzwertfestsetzung ebenfalls dienen kann, besteht bezüglich der Risikovorsorge das Problem der Unsicherheit. Bei der Gefahrenabwehr kann zumindest ungefähr abgeschätzt werden, wie wahrscheinlich der Schadenseintritt ist. Da sich das Risiko demgegenüber aus dem Nichtwissen heraus definiert, ist eine exakte Prognose ausgeschlossen.1316 Derart unvermeidbare Risikofaktoren sind unumgängliche Unsicherheiten aufgrund notwendig simplifizierter Forschungsmodelle, individueller Empfindlichkeit von Menschen, Verschiebungen bei der Übertragung der Erkenntnisse von Tierversuchen auf Menschen, von einer Region auf die andere und so fort. Um diesem Nichtwissen hinreichend Rechnung zu tragen, werden bei der Grenzwertfestsetzung sogenannte Reservefaktoren als Sicherheitszuschläge eingerechnet.1317 Grenzwerte haben ihren Hintergrund nicht in der Exaktheit der Fachwissenschaften, sondern in der Notwendigkeit des Rechts zur Abstraktion. Für die Fachwissenschaften stellt sich der Übergang zwischen schädlicher und unschädlicher Wirkung einer Exposition nicht als starrer Wert dar, sondern als Bandbreite, als Bereich, in dem die Übergänge fließend sind.1318 Da die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten opferzentriert und nicht störerzentriert sind, kommt es für die verfassungsrechtlich gebotene Grenzwertfestsetzung nicht darauf an, ob eine Emission für sich genommen die Schädlichkeitsschwelle bereits überschreitet. Eine Unterscheidung von künstlich verursachten Belastungen, Hintergrundbelastung und natürlicher Vorbelastung ist hier nicht von Bedeutung. Abzustellen ist auf die Gesamtbelastungssituation für den Grundrechtsträger.1319 Aus der Funktion der Schutzpflichten als objektives Recht ergibt sich jedoch auch, dass nicht nur isoliert auf den einzelnen Grundrechtsträger abzustellen ist, sondern auf die Gesamtheit der Betroffenen. So sind durch Schutzmaßnahmen hervorgerufene Verlagerungswirkungen in die der Festsetzung zu Grunde liegende Kalkulation mit einzubeziehen.1320 Da rechtliche Grenzwerte, im Gegensatz zu naturwissenschaftlichen Grenzwerten, das Ergebnis einer 1315 Siehe zur Abgrenzung von Gefahr und Risiko nach dem kontingenten Risikobegriff, wie er der vorliegenden Untersuchung zu Grunde liegt 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) – „Kontingenter Risikobegriff“. 1316 Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 123; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 26 ff. 1317 Wiedemann, Vorsorgeprinzip und Risikoängste, S. 28. Siehe näher zum Vorsorgeprinzip 3. Kapitel B. III. 1. 1318 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (138); Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 135; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GKBImSchG, § 5, Rn. 304. 1319 Hofmann, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 175. 1320 Ausdruck hiervon ist die Regelung in § 7 Abs. 1 S. 2 BImSchG, nach der bei der Grenzwertfestsetzung nachteilige Auswirkungen durch Verlagerung auf ein anderes Schutzgut ebenso zu berücksichtigen sind.

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praktischen Konkordierung sind, beschreiben sie keine Schädlichkeitsschwelle, sondern eine Zumutbarkeitsschwelle.1321 Parallel zur Rechtsprechung zu § 906 BGB wird teilweise davon ausgegangen, es sei bei der Grenzwertfestlegung auf den „normalen Durchschnittsmenschen“ abzustellen.1322 Der Bezugswert „Durchschnittsmensch“ ist problematisch, weil unklar ist, wie dieser ermittelt werden soll. In der Rechtsprechung zu § 906 BGB wird nicht konsequent auf den Durchschnitt der Gesamtbevölkerung abgestellt, sondern beispielsweise auf den „durchschnittlichen Villenbewohner“,1323 der gerade nicht mit dem „normalen Durchschnittsmenschen“ identisch ist. Weiterhin ist bei dieser Begriffsbildung fraglich, wie voneinander anhand naturgegebener Merkmale unterscheidbare Bevölkerungsgruppen Berücksichtigung finden sollen. So haben Kinder eine andere Belastungstoleranz als Erwachsene, Kranke reagieren anders als Gesunde, Unbelasteten kann mehr zugemutet werden als bereits Vorbelasteten.1324 Diese Besonderheiten von vornherein außer Betracht zu lassen würde bedeuten zu verkennen, weshalb die Grenzwerte überhaupt aufgestellt werden – zum Schutz der jeweiligen Grundrechtsträger. Schon deshalb verbietet es sich, ausschließlich auf einen „normalen Durchschnittsmenschen“ abzustellen, sofern dieser überhaupt ermittelbar sein sollte. Es ist auf den jeweils einzelnen Grundrechtsträger abzustellen, wie er ist.1325 Die Grenzwerte müssen sich deshalb aber nicht automatisch am schwächsten Mitglied der betroffenen Gruppe orientieren. Die Grundrechte sind der Abwägung mit entgegenstehenden Interessen zugänglich. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, dass selbst das Rechtsgut Leben nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG unter Gesetzesvorbehalt gestellt ist, also abgewogen werden darf. Der besonders Empfindliche ist also grundsätzlich in dem Schutzbereich seines Grundrechts betroffen, wenn er durch Exposition mit einem Schadstoff geschädigt wird, der für andere, weniger empfindliche Menschen noch nicht die Erheblichkeitsschwelle überschritten hat. Seine grundrechtlich geschützten Interessen sind in die Gesamtabwägung mit einzustellen, womit freilich noch nicht entschieden ist, ob sie sich im Einzelfall auch durchsetzen können. Das Abstellen auf den Durchschnittsmenschen verbietet sich nicht nur aus den eben genannten rechtlichen Überlegungen, sondern auch aufgrund tatsächlicher Erwägungen. Würde man auf „den Durchschnittsmenschen“ abstellen, müsste die durchschnittliche Empfindlichkeit aller Betroffenen errechnet werden, wobei 1321

Roßnagel, UPR 1990, 86 (89). Braig, NuR 2017, 100 (108); Fickert, in: FS für Bartlsperger, S. 303; Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 92; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 103; kritisch Ekardt, in: Schlacke, Umwelt- und Planungsrecht, S. 47. 1323 BGH, Urteil vom 18.06.1958 – V ZR 49/57 – NJW 1958, 1393 (1393). 1324 Hierzu bereits ausführlich 2. Kapitel D. V. 2. d) – „Schutz überdurchschnittlich empfindlicher Grundrechtsträger“. 1325 Isensee, in: FS für Schmidt-Preuß, S. 124. 1322

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

die besonders Empfindlichen genauso in die Rechnung einfließen würden wie die besonders Unempfindlichen. Nun gibt es Reaktionen auf Schadstoffe, bei denen die Menge eine untergeordnete Rolle spielt.1326 Bei Allergien genügen bereits kleinste Mengen zur Auslösung der Reaktion, wohingegen Nichtallergiker vergleichsweise großen Mengen des Stoffes ausgesetzt sein können, ohne negative Folgen zu zeigen.1327 Hier einen Durchschnitt auszurechnen würde dazu führen, einen Grenzwert zu erhalten, der keinem Betroffenen etwas nützt, weil er notwendigerweise höher wäre als die Mindestmenge der Auslösung beim Allergiker, aber denjenigen, die als Nichtallergiker gegenüber dem Stoff unempfindlich sind, ebenfalls keinen Vorteil bringt. Dadurch kann in derartigen Situationen eine einheitliche Schwelle, ab der eine grundrechtsrelevante Gesundheitsschädigung vorliegt, nicht für alle Menschen einheitlich festgelegt werden.1328 Zumindest in Bezug auf derartige Stoffe kommt die Festlegung eines Grenzwertes, der auf eine durch Errechnung eines Mittelwertes gebildete Durchschnittsempfindlichkeit abstellt, nicht in Betracht.1329 Etwaige Befürchtungen, die Berücksichtigung empfindlicher Menschen könne zu einer unverhältnismäßigen Verkürzung von Freiheitsrechten anderer führen, sind unbegründet. So wie ein schädigendes Verhalten nicht erst zur rechtlich erheblichen Freiheitsbetätigung wird, wenn sie von einer Vielzahl an Personen ausgeübt wird, wird auch die Empfindlichkeit nicht erst dann relevant, wenn sie auf eine Vielzahl an Grundrechtsträgern zutrifft. Zu verhindern, dass die bloße Behauptung einer Überempfindlichkeit andere in ihrer Freiheitsausübung beeinträchtigen kann, ist Aufgabe der Beweislastverteilung. Eine überdurchschnittliche Empfindlichkeit muss regelmäßig von dem bewiesen werden, der sie behauptet. Imaginäre Gefahren oder Ängste alleine lösen keine grundrechtliche Schutzpflicht aus.1330 Die Furchtsamkeit des Einen kann keinen Rechtstitel zur Verengung der Freiheitssphäre des Anderen darstellen.1331 Rechtsfolgenseitig ist abzuwägen, wie mit der Überempfindlichkeit umzugehen ist. Sie kann voll zu berücksichtigen sein, aber auch gänzlich zurückstehen. Es können sich im Fall des Zurückstehens spezielle Schutz- oder Ausgleichsansprüche ergeben.1332 Für andere Regelungsmaterien des Umweltrechts kommt das Modell der Grenzwertsetzung grundsätzlich nicht in Betracht. Im Gentechnikrecht kommt es 1326 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 52 f.; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 5, Rn. 192. 1327 Kempken/Kempken, Gentechnik bei Pflanzen, S. 163 f. 1328 So auch BVerwG, Urteil vom 15.04.1999 – 3 C 25.98 – BVerwGE 109, 29 (38) [Sommersmog]. 1329 Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 130. 1330 Ausführlich am Beispiel des Infraschalls, der von Windenergieanlagen erzeugt wird, 2. Kapitel D. V. 2. e) – „Exkurs: Infraschall von Windenergieanlagen“. 1331 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 253. 1332 Höfling, in: BKGG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 149.

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nicht darauf an, ob eine bestimmte Menge an veränderter DNA freigesetzt wird. Aufgrund der Fähigkeit dieser DNA-Moleküle zur selbstständigen Reproduktion,würde die Freisetzung eines einzigen Moleküls genügen, um ein Risiko darzustellen und die Handlungsschwelle zu überschreiten. Hier kommt es nicht auf Grenzwerte an, sondern auf Sicherungsmaßnahmen, die ein vollständiges Einschließen der Risikostoffe garantieren.1333 bb) Administrative Normsetzung Insbesondere die Festsetzung von Grenzwerten wird häufig auf die Exekutive verlagert.1334 Wo die Exekutive zur untergesetzlichen Normsetzung berechtigt ist, wird sie unmittelbar von den grundrechtlichen Schutzpflichten adressiert.1335 Im Umweltbereich ist dies insbesondere relevant, wenn der Gesetzgeber der Exekutive die Festlegung von Grenzwerten überträgt, ab denen bestimmte Rechtsfolgen in Form von Schutzmaßnahmen ausgelöst werden. Dies ist etwa der Fall in § 12 Abs. 1 S. 1 AtG, wonach die Bundesregierung ermächtigt wird, Grenzwerte und Schutzmaßnahmen vor radioaktiver Strahlung zu erlassen.1336 Diese Ermächtigungen wurden unter anderem mit der Strahlenschutzverordnung umgesetzt. Damit ist die Aufgabe, die Schädigungsgrenzen so zu ziehen, dass sie den grundrechtlichen Schutzpflichten gerecht werden, vom parlamentarischen Gesetzgeber auf den gubernativen Verordnungsgeber übertragen worden. Das Bundesimmissionsschutzgesetz enthält gleich mehrere solcher Ermächtigungen, vgl. §§ 7 Abs. 1 Nr. 1, 43 Abs. 1 Nr. 1, 48a Abs. 1a BImSchG. Diese Übertragung der Grenzwertsetzungsbefugnis rechtfertigt sich dadurch, dass es dem Verordnungsgeber schneller möglich sein soll, auf veränderte Gefahrenlagen und neue Erkenntnisse zu reagieren. Das Bundesverfassungsgericht sieht den Verordnungsgeber in der Pflicht, bei „ungesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen [. . .] den Erkenntnisfortschritt der Wissenschaft [. . .] nach allen Seiten zu beobachten, um gegebenenfalls weiter gehende Schutzmaßnahmen treffen zu können“.1337 Durch die Übertragung von derartigen Befugnissen an die Exekutive werde ein „dynamischer Grundrechtsschutz“ gewährleistet.1338 Der Verordnungsgeber kann aber

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Breuer, NuR 1994, 157 (167). Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 35; Rausching, in: VVDStRL 38 (1980), S. 199; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 193 ff. 1335 Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 4, 28; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 244. 1336 Hierzu Roßnagel, UPR 1990, 86 (88). 1337 BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]. 1338 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (137) [Kalkar I]; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (168); Roßnagel, UPR 1990, 86 (90); Wagner, DÖV 1980, 269 (271). 1334

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

nur tätig werden, wenn er zum einen ausdrücklich i. S. d. Art. 80 GG ermächtigt wurde und zum anderen der parlamentarische Gesetzgeber die wesentlichen Entscheidungen über die Zulassung grundrechtsbelastender Technik selbst getroffen hat.1339 Die Übertragung der Befugnis zur Grenzwertsetzung stieß aus grundrechtsdogmatischen Erwägungen auf Kritik.1340 Die Festlegung von Grenzwerten stelle häufig nicht die Schwelle dar, unterhalb der eine Gesundheitsgefahr ausgeschlossen werden kann. Dies sei schon deshalb nicht möglich, weil eine solche starre Grenze zwischen „schädlich“ und „unschädlich“ nicht gezogen werden könne.1341 Vielmehr beschreiben die Grenzwerte des Umweltrechts die Schwelle, ab denen die grundrechtlichen Interessen des Emittenten die des Immissionsbetroffenen übersteigen.1342 Es handele sich bei den Immissionsgrenzwerten somit um grundrechtsbeschränkende Bestimmungen, die nach Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG nur der Gesetzgeber zu treffen befugt sei.1343 Erschwerend komme hinzu, dass die Grenzwerte in der Praxis nicht selbst durch den Verordnungsgeber festgesetzt werden, sondern dieser sich einer Vielzahl von demokratisch nicht legitimierten, beratenden Gremien bedient, auf die es rein faktisch bei der Grenzwertsetzung maßgeblich ankomme.1344 Dem heutigen Risikorecht fehle es an einem geeigneten Risikofeststellungsrecht, in dem die Abwägung standardisiert wird, um gerichtlich überprüfbar zu sein.1345 Von den Befürwortern der Verordnungsermächtigung wird vorgebracht, dass diese im technischen Sicherheitsrecht und Umweltrecht wohl unvermeidbar sei.1346 Welche Regelungsgegenstände delegiert werden dürfen und welche nicht, lässt sich weniger aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten entnehmen, denn für diese komme es nur darauf an, dass die Regelung hinreichend effektiv sei.1347 1339

Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 124. Böhm, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 31a, Rn. 8 f.; Roßnagel, UPR 1990, 86 (88). 1341 Roßnagel, UPR 1990, 86 (88). 1342 Roßnagel, UPR 1990, 86 (89); ähnlich BVerwG, Urteil vom 29.01.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 (378) [Grundrechtskonkretisierende Normen]. 1343 Böhm, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 31a, Rn. 9; Roßnagel, UPR 1990, 86 (90). 1344 Böhm, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 31a, Rn. 8; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 230. 1345 Buchheim, JZ 2019, 92 (95). 1346 Rauschning, in: VVDStRL 38 (1980), S. 199. 1347 Zum Teil wird angenommen, dass es sich bei der Verordnungsermächtigung nicht um eine Delegation der Gesetzgebung handelt, sondern um die Ausübung einer eigenen Staatsfunktion. In einem Umkehrschluss wird aus dem Wesentlichkeitsgrundsatz gefolgert, dass der „Erlass nicht-wesentlicher Rechtsnormen“ Aufgabe der Exekutive sei; vgl. Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 66. 1340

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Zur Abgrenzung der Notwendigkeit von formellem Recht und dem Genügen von materiellem Recht dient die Wesentlichkeitstheorie.1348 Welche Fragen so wesentlich für die Grundrechtsverwirklichung sind, dass der Gesetzgeber sie selbst beantworten muss, ist bis heute Gegenstand anhaltender Kontroversen.1349 Kein Abgrenzungskriterium zur Bestimmung der Wesentlichkeit ist die Frage, ob eine Entscheidung politisch umstritten ist.1350 Es kommt vielmehr auf eine Gesamtbetrachtung der sich gegenüberstehenden grundrechtlichen Interessen des Einzelfalls an.1351 Die Anforderungen an die einfachgesetzliche Regelungsdichte steigen proportional mit der Qualität und der Quantität der grundrechtlichen Relevanz.1352 Das Austarieren der grundrechtlichen Freiheitsbereiche muss durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber erfolgen. Eine Übertragung dieser Aufgabe auf die Exekutive durch eine „konturlose Generalklausel“ 1353 ist ausgeschlossen. Ihren historischen Ursprung hat die Wesentlichkeitstheorie in der Trennung vom demokratisch legitimierten Parlament und der monarchisch kontrollierten Exekutive.1354 Seit die Exekutive ebenfalls, wenn auch indirekt, demokratisch legitimiert ist,1355 hat die Wesentlichkeitstheorie an Bedeutung für den Erhalt der Volkssouveränität eingebüßt. Es rückt dagegen der Aspekt in den Vordergrund, welche Gewalt und welches Organ am besten für die jeweilige Normsetzung geeignet ist. Maßgeblich ist hier zum einen das bei den jeweiligen Stellen vorhandene Wissen. Häufig haben die Fachbehörden aufgrund ihrer größeren Sachnähe auch den höheren Wissenstand, um die jeweiligen Vorschriften oder Grenzwerte zu ermitteln. Auch kann lokaler Sachverstand gefragt sein, so dass eine Verlagerung der Ausgestaltung auf eine untere Ebene erforderlich scheint. Dem Wissensaspekt steht der Öffentlichkeitsaspekt entgegen. Die staatliche Ordnung unter dem Grundgesetz möchte keine Technokratie sein.1356 Expertenwissen alleine bringt noch keine Legitimation mit sich. Dem formellen Gesetzgebungsverfahren vorbehalten bleibt die Grundrechtsvermittlung deshalb, weil sie 1348 BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 (226) [Aussperrung]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (126) [Kalkar I]; Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 136; Enders, AöR 1990, 610 (630); Epping, Grundrechte, Rn. 405; Krebs, in: HGR II, § 31 Rn. 116. 1349 Badura, in: HStR XII, § 265 Rn. 35; Fluck, UPR 1990, 81 (82); Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 154 ff.; Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, 523 (524); Ossenbühl, in: HStR V, § 101 Rn. 52 ff.; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (557). 1350 Brinktrine, Jura 2000, 123 (130). 1351 Ossenbühl, in: HStR V, § 101 Rn. 56. 1352 Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, 523 (524). 1353 So das BVerwG, Urteil vom 15.04.1999 – 3 C 25.98 – BVerwGE 109, 29 (38) [Sommersmog]. 1354 Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, 523 (523). 1355 Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 235. 1356 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 24; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 342.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

in einem transparenten Verfahren erfolgen muss. Notwendige Schritte im Gesetzgebungsverfahren wie Parlamentslesungen, Aussprachen, Gegenzeichnung, Ausfertigung und Verkündung garantieren ein hohes Maß an Öffentlichkeit. Die damit verbundene „Lähmung“ des Verfahrens mag zwar einer schnellen Anpassungsfähigkeit des Rechts entgegenstehen, bietet aber die Möglichkeit zur Einflussnahme der betroffenen Interessen- und Grundrechtsträger, die dadurch Gelegenheit haben, ihre Belange auf vielfältige Art und Weise an die Entscheidungsträger heranzutragen. Der noch zu diskutierende Grundrechtsschutz durch Verfahren1357 hat in der formellen Gesetzgebung seine stärkste Ausprägung. Aus dieser Sicht am anderen Ende stehen die Verwaltungsvorschriften, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit zustande kommen können und noch nicht einmal veröffentlicht werden müssen.1358 Sie können zumindest mittelbare Wirkung gegenüber einem Betroffenen haben, ohne dass dieser von ihrer Existenz weiß.1359 Derartige Verwaltungsvorschriften sind deshalb nicht das geeignete Instrument, um die verschiedenen Grundrechtspositionen miteinander in Ausgleich zu bringen.1360 In einer Stellung zwischen der formellen Gesetzgebung und der verwaltungsselbstständigen Normgebung stehen die Satzungskompetenzen öffentlich-rechtlicher Körperschaften. Je stärker deren demokratische Legitimation und je stärker die Öffentlichkeitsbeteiligung, desto größer darf deren Grundrechtsrelevanz sein. So regelt beispielsweise der Bebauungsplan Inhalt und Schranken von Grundstücksnutzungen und damit wesentliche Aspekte der Eigentumsordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG.1361 Wird ein Grundstück zu Bauland erklärt, ändert sich damit der Inhalt des Eigentums nicht nur für den Eigentümer, sondern über Umwelteinflüsse, die durch den Bau wie auch die bauliche Nutzung entstehen, ergibt sich eine grundrechtliche Bedeutung auch für Drittbetroffene.1362 Die Vermittlung der grundrechtlichen Belange wird in diesem Rahmen weitgehend auf die Exekutive übertragen, § 1 Abs. 7 i.V. m. § 2 Abs. 1 S. 1 BauGB. Dieser weitgehende Einfluss des als Satzung erlassenen Bebauungsplans rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie durch die ausgiebigen Vorschriften über Verfahren und Öffentlichkeitsbeteiligung sowie die 1357

3. Kapitel B. II. 1. c) – „Umweltbezogener Grundrechteschutz durch Verfahren“. Der Bürger hat höchstens einen beschränkten Auskunftsanspruch bei ihn betreffenden Verwaltungsvorschriften, vgl. Maurer, in: HStR IV, § 79 Rn. 122. Eine generelle Veröffentlichungspflicht besteht jedoch nicht, Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 125 ff. 1359 Zur indirekten Wirkung von Verwaltungsvorschriften durch ihre ermessenslenkende Funktion innerhalb der Verwaltung siehe Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 97 ff. 1360 Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 82. 1361 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 1003. 1362 Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14, Rn. 199. 1358

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unmittelbare demokratische Legitimation des die Satzung erlassenden Organs. Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten wirken vor allem gesetzesmediatisiert auf die Planerstellung ein, da der parlamentarische Gesetzgeber umfangreiche Abwägungsbelange vorgegeben hat, die dem Umweltschutz Rechnung tragen, vgl. insbesondere §§ 1 Abs. 6 Nr. 1, 7, 12; 1a BauGB.1363 Gleichzeitig ist die durch die Gebietskörperschaft selbstständig aufzustellende Bauleitplanung Ausdruck des Prinzips der Regelung durch das sachnähere Staatsorgan und die Nutzbarmachung von lokalem oder fachlichem Spezialwissen, das auf höheren Hierarchieebenen nicht in gleichem Umfang vorhanden ist. Mit dem Recht zur Regelung geht für die delegierten Bereiche teils auch eine Pflicht zur Regelung einher. So ist für Bebauungspläne eine einfachgesetzliche Pflicht statuiert, dass diese aufzustellen sind, wenn sie erforderlich sind, § 1 Abs. 3 S. 1 BauGB. Für die nach § 7 BImSchG bestehende Möglichkeit der Regierung, Betreiberpflichten durch Verordnung festzulegen, ist eine solche mit dem Planungsgebot vergleichbare Pflicht nicht einfachgesetzlich statuiert. Dennoch kann sie sich aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ergeben. Im entsprechenden Fachrecht ist die Befürchtung geäußert worden, der Verordnungsgeber sei dieser Pflicht bisher nicht in ausreichendem Maße nachgekommen und habe nicht für alle Schadstoffe, die krebserregend, erbgutverändernd oder allergen wirken können, hinreichende Vorschriften erlassen.1364 cc) Nichtstaatliche Adressaten Private technische Normgeber sind keine Grundrechtsadressaten.1365 Wenn der Staat auf derartige Normen verweist, macht er sich diese zu eigen. Es kann daher auch kein unmittelbarer grundrechtlicher Anspruch des Bürgers auf Erlass einer privaten Norm bestehen.1366 Nicht nur bei privater Normsetzung vertraut der Staat auf externen Sachverstand, auch bei sachverständiger Beratung in Planungsverfahren oder dem Einsatz behördlicher Verfahrensbevollmächtigter stellt sich die Frage, inwieweit dieses private Handeln einer Grundrechtsbindung unterliegen kann. Zum Teil wird eine unmittelbare Grundrechtsverpflichtung dieser Akteure bejaht.1367 Dies wird damit begründet, dass der faktische Einfluss von Sachverständigen auf die staatliche Entscheidungsfindung so groß sein kann, dass die Behörde ihnen schlicht folgt.1368 Andererseits wird auf das staatliche Handeln für die Grundrechtsrele1363 Zum Einfluss der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auf die Planung im Allgemeinen siehe 3. Kapitel C. II. – „Planungsentscheidungen“. 1364 Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 7, Rn. 320. 1365 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 144. 1366 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 41. 1367 Burgi, in: HStR IV, § 75 Rn. 28; Voßkuhle, in: HStR III, § 43 Rn. 62. 1368 Voßkuhle, in: HStR III, § 43 Rn. 60.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

vanz abgestellt und eine Schutzpflichtverletzung des Staates erst angenommen, sobald dieser sich so weit aus der Aufgabenwahrnehmung zurückzieht, dass Grundrechtsträger schutzlos gestellt sind.1369 Vermittelnde Ansichten gehen von einer Gewährleistungsfunktion des Staates aus.1370 Durch den Rückzug des Staates rückt weder der private Aufgabenerfüller an seine Stelle als Grundrechtsadressat, noch wird der Staat vollständig aus seiner Verantwortlichkeit entlassen.1371 Die sich aus der Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte ergebende Garantenstellung des Staates richtet sich an den „legislativ Begleitenden, exekutiv Überwachenden und Fördernden“.1372 Die Aufgabe des Gesetzgebers ist es insbesondere, die den Privaten durch den Staat vermittelte Machtposition gegen Missbrauch zu schützen.1373 Dies geschieht zum einen durch Vorschriften zu Organisation und Verfahren, zum anderen durch die Einsetzung von administrativer Aufsicht.1374 Der These von der Gewährleistungsfunktion des Staates bei der Hinzuziehung privaten Sachverstandes ist beizupflichten. Die Fähigkeit Risiken zu begrenzen hat am ehesten derjenige, der die Risiken produziert.1375 Der Stand der Technik kann am besten von jenen beurteilt werden, die die Technik entwickeln und anwenden.1376 Die Beobachtung der technischen Entwicklung durch den Staat von außen bleibt notwendigerweise lückenhaft. Diese Lücke dadurch schließen zu wollen, die nichtstaatlichen Technikberater unmittelbar an die Grundrechte zu binden, geht fehl, denn der Mangel an staatlichem Expertenwissen kann nicht durch eine Intensivierung der rechtlichen Bindung der Experten aufgewogen werden. Der kontrollierende Richter wird durch die Rechtsbindung des Technikexperten nicht selbst zu einem Experten. Die Lücke zwischen privater Aktivität und staatlicher Kontrolle bleibt bestehen, wenn auf privater Seite das Wissen über die Technik kumuliert ist. Durch die Grundrechtsbindung privater Normgeber wäre deshalb nichts gewonnen. Mit der geteilten Verantwortlichkeit von Behörde und privatem Normgeber für die grundrechtlichen Gewährleistungsgehalte wäre jedoch ein Verlust an staatlicher Verantwortung für die Risiken der Technik verbunden, denn der Staat wäre nun nicht mehr alleiniger Adressat, sondern könnte bei Fehlkalkulationen stets auf den privaten Normgeber verweisen. 1369

Zado, Privatisierung der Justiz, S. 311. Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 145; Schmidt, in: HStR IV, § 92 Rn. 15; Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1176); ähnlich Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 10, Rn. 38; Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (790); Voßkuhle, in: HStR III, § 43 Rn. 59. 1371 Burgi, in: HStR IV, § 75 Rn. 28. 1372 Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1179). 1373 Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1179). 1374 Schulze-Fielitz, DÖV 2011, 785 (790); Voßkuhle, in: HStR III, § 43 Rn. 59; Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1180). 1375 Glinski, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 249 f. 1376 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 135 ff. 1370

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Wenn der Staat auf private Regelungswerke verweist, macht er sich diese zu eigen.1377 Sie werden zu eigenen Regelungen des Staates, für die dieser sich verantworten muss. Daraus folgt, dass es keinen Anspruch auf den Erlass von privaten Regelungswerken wie beispielsweise DIN-Normen geben kann. Diese bleiben „private technische Normen mit Empfehlungscharakter“.1378 Für sie muss sich der Staat nicht verantworten, im Gegenzug kommt ihnen unmittelbare Wirkung nur im relativen Verhältnis zu, wenn sich Vertragspartner auf diese geeinigt haben. Ein öffentlich-rechtlicher Anspruch auf Regelung ist grundsätzlich an den Staat gerichtet, der sich wiederum privater Normgeber bedienen kann. Tut er dies, kommt ihm eine Überprüfungs- und Garantenfunktion gegenüber dem Grundrechtsträger zu. Eine dynamische Verweisung auf private technische Normen ist von Verfassungs wegen ausgeschlossen.1379 Wäre es anders, würde der Staat sein Normgebungsmonopol aufgeben und seine grundrechtliche Gewährleistungsfunktion würde ausgehöhlt.1380 Möglich ist hingegen der statische Verweis auf eine konkrete private technische Norm, da hier der legitimierte Gesetzoder Verordnungsgeber vollständige Kontrolle über den Norminhalt hat. dd) Zwischenfazit Eine Delegation von Normsetzungbefugnissen ist grundsätzlich zulässig. Der Delegation sind im demokratischen Rechtsstaat allerdings Grenzen gesetzt, die vor allem im Vorbehalt des Gesetzes begründet liegen. Als Parlamentsvorbehalt ist er nach der Wesentlichkeitstheorie auf die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Entscheidungen beschränkt, was die Schutzpflichtenkomponente der Grundrechte miteinschließt. Normkonkretisierungen sind auf untergesetzlicher Ebene, auch mehrstufig, zulässig, sofern die Kette der Legitimation zum Parlament und damit zum Souverän im Sinne des Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG zurückgeführt werden kann. b) Begrenzte Steuerungswirkung von Verboten Die Steuerungswirkung von Verbotsnormen ist begrenzt, weshalb der Staat seiner Gewährleistungsverantwortung gegenüber den Grundrechtsträgern nicht schon durch den Erlass von Verboten vollständig nachkommt.1381 Die Bedrohun1377 1378

Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 41. BGH, Urteil vom 14.05.1998 – VII ZR 184/97 – BGHZ 139, 16 (19) [DIN-Nor-

men]. 1379 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 149; a. A. Voßkuhle, in: HStR III, § 43 Rn. 59. 1380 Strittig ist überdies, inwieweit der Exekutive bei der Setzung technischer Normen wie auch der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe eine Letztentscheidungskompetenz zukommt. Hierzu siehe 3. Kapitel C. III. 2. – „Naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum“. 1381 Willke, Ironie des Staates, S. 109.

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gen, die von Naturgewalten ausgehen, lassen sich über Verbotsnormen präventiv nur beschränkt, repressiv gar nicht steuern. So kann der Staat präventiv ein menschliches Verhalten verbieten, das im Falle einer Naturkatastrophe die Schädigungswirkung verstärken würde, er kann jedoch nicht der Natur verbieten, das Schadensereignis auszulösen. Die beschränkte Nützlichkeit von Verboten in Bezug auf Naturkatastrophen ändert nichts am Angewiesensein des Bürgers auf staatlichen Schutz in dieser Situation.1382 Weil der Mensch das ihm verbotene Verhalten meist nicht vollständig einstellt, sind Verbote ein zweischneidiges Schwert. Teilweise betreibt der Mensch das nun Verbotene im Verborgenen und unterminiert damit die Autorität des Rechts, das, entfernt es sich zu weit von der Lebensrealität der ihm Unterworfenen, seine Geltungskraft einzubüßen droht. Zum anderen ist der Mensch äußerst anpassungsfähig, erfinderisch und neigt dazu Verhaltensweisen zu substituieren und zu sublimieren. Nicht immer ist die an das Verbot angepasste Verhaltensweise die, die der Gesetzgeber dabei im Sinn hatte. Aus Gründen der ökologischen Gesamtbilanz wäre ein Verbot von Produkten dort nicht geboten, wo die zu erwartenden Verhaltensanpassungen der Konsumenten zu einer Verschlechterung führen würden. Einwegprodukte, beispielsweise aus Kunststoff, haben wegen ihrer angeblich ungünstigen CO2-Bilanz einen schlechten Ruf.1383 Würde der Gesetzgeber ein isoliertes Verbot von Kunststoffprodukten durchsetzen, würde dies zu einem Ausweichen auf Alternativprodukte führen, da der Zweck, dem die Kunststoffprodukte dienen, durch das Verbot in der Regel nicht wegfällt. Alternativprodukte sind beispielsweise aus Papier oder Stoff. Weil eine Tonne Papier bei ihrer Herstellung eine beträchtliche Energiemenge benötigt und eine höhere Wasserbelastung zur Folge hat als die Herstellung der gleichen Menge Kunststoff, wäre die Gesamtbilanz des Alternativproduktes schlechter, als die des ursprünglichen substituierten Plastikproduktes.1384 Die ökologische Bilanz von Baumwolle ist aufgrund des hohen Flächenbedarfs bei der Herstellung noch schlechter, so dass diese über hundertmal wiederverwendet werden müsste, um zumindest eine gleichwertige Umweltbilanz aufzuweisen wie das Kunststoffeinwegprodukt.1385 1382 Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 191; zur Anwendbarkeit der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auf Naturkatastrophen siehe 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“. 1383 Auch aus weiteren Gründen entwickelte sich Umgang mit Kunststoffprodukten, deren Herstellung, Verwendung und Entsorgung seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu einem weltweiten Umweltproblem, vgl. hierzu Beninde et al., NuR 2013, 410 (410); Fath, Mikroplastik kompakt, S. 1 ff.; Grambow, Nachhaltige Wasserbewirtschaftung, S. 2; Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 14.09.2016 „Leichte Ware, schwere Kost: Warum dem Planeten bei all dem Plastik übel wird“, S. N1. 1384 Nentwig, Humanökologie, S. 293 ff. 1385 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 14.04.2019 „So gut kann Plastik sein“, S. 17.

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So zeigt es sich, dass Verbote oft schon kein wirksames Mittel sind, um einen höheren Umweltschutzstandard durchzusetzen, zum Teil sogar schädlich wirken können. Eine hohe Bedeutung kommt deshalb den nachfolgend beschriebenen feiner ausdifferenzierten Steuerungsinstrumenten zu. c) Umweltbezogener Grundrechteschutz durch Verfahren Lange Zeit galten Grundrechte ausschließlich als dem materiellen Recht zugehörig. Abgesehen von den Prozessgrundrechten wurde zwischen Grundrechten und Verfahrensrecht keine Wechselwirkung erkannt.1386 Erst Anfang der 80er Jahre nahm die Diskussion um den Grundrechtsschutz durch Verfahren im Umweltrecht mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Atomkraftwerk Mülheim-Kärlich1387 an Fahrt auf.1388 Das materielle Recht ist ohne eine rechtsstaatliche Verfahrensregelung zu seiner Durchsetzung von begrenztem Wert.1389 Verfahrensvorschriften werden nicht „von außen an das materielle

1386 Vgl. die Literaturauswertung aus der Zeit der Weimarer Republik und danach bei Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 954 f. Zwar klingt bei Schmitt, Verfassungslehre, S. 126 f. ein derartiges Verständnis bereits an, wenn er aus „der Grundidee bürgerlichen Freiheit“ ein „Organisationsprinzip“ ableitet. Diese bezieht sich aber vor allem auf Gewaltenteilung und Komptenzzuweisung im Rechtsstaat und nicht auf ausdifferenzierte Behördenpflichten im Verwaltungsverfahren. 1387 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (55) [Mülheim-Kärlich]. Auch wenn dieser Beschluss den Auslöser der bis heute andauernden Debatte darstellt, erkannte das BVerfG schon vorher die grundrechtliche Brisanz des Organisationsrechts, vgl. BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/ 72 – BVerfGE 35, 79 (155) [Hochschul-Urteil]. Sowohl im Strafrecht (BVerfG, Beschluss vom 24.04.1974 – 2 BvR 236, 245, 308/74 – BVerfGE 37, 150 (153)) als auch im Sozialrecht (BVerfG, Beschluss vom 19.10.1977 – 2 BvR 42/76 – BVerfGE 46, 166 (178)) entschied das Gericht, dass die Möglichkeit einer starken Grundrechtsbetroffenheit es verbieten könne, durch die sofortige Vollziehung hoheitlicher Maßnahmen vollendete Tatsachen zu schaffen. 1388 Bethge, NJW 1982, 1 (1); Goerlich, DÖV 1982, 631 (631); Goerlich, NJW 1981, 2616 (2616); Mutius, NJW 1982, 2150 (2150); Redeker, NJW 1980, 1593 (1593); bereits vorher zum Eigentum als Verfahrensgarantie Goerlich, DVBl. 1978, 362 (362) Noch älter ist die einige Parallelen aufweisende bundesverfassungsgerichtliche Entscheidung zur akademischen Selbstverwaltung, BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (155) [Hochschul-Urteil]; hierzu Meinel, WissR 2017 (6). 1389 Schon zu Beginn des Zeitalters bürgerlicher Rechtsstaatlichkeit war man sich der überragenden Wichtigkeit von Verfahrensregelungen für den Grundrechtsschutz bewusst und formulierte daher heute beinahe selbstverständliche Rechtsprinzipien wie den Gesetzesvorbehalt oder das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung; Denninger, in: HStR IX, § 193 Rn. 24. Im Folgenden sollen diese spezialgeregelten verfahrensprägenden Verfassungsprinzipien außer Betracht bleiben und der Fokus auf jenen Verfahrensanforderungen liegen, die sich aus den Grundrechten selbst ergeben, inbesondere das auf Anhörung, Beteiligung und Transparenz gerichtete, freiheitschützende Verwaltungsverfahren.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Grundrecht beliebig herangetragen“.1390 Sie ergeben sich aus den Grundrechtsgehalten selbst, die zur Geltung drängen.1391 Einzelne Grundrechte enthalten spezielle Aussagen zu Organisation und Verfahren. So enthält der Grundrechtskatalog in Art. 5 Abs. 1 S. 3, Art. 6 Abs. 2 S. 2, Art. 7 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1, Art. 10 Abs. 2 S. 2, Art. 12 Abs. 3, Art. 12a Abs. 2 S. 3, Art. 13 Abs. 2–6, Art. 14 Abs. 3, Art. 16 Abs. 2–5, Art. 19 Abs. 4 GG ausdrückliche Verfahrensregelungen. Diese sind für das Umweltrecht in ihrer überwiegenden Mehrheit nicht nutzbar zu machen, da sie etwa die Kriegsdienstverweigerung, das Asylverfahren oder das Postgeheimnis betreffen.1392 Für das Umweltrecht von Bedeutung sind daher weniger diese verfassungsunmittelbaren Verfahrensvorschriften, sondern jene, die sich durch Auslegung aus den materiellen Grundrechtsgehalten ergeben und durch welche diese gesichert und verstärkt werden sollen.1393 Welche Verfahrensvorschrift aus dem materiellen Grundrechtsgehalt stammt, grenzt das Bundesverfassungsgericht nach dem Willen des Gesetzgebers ab.1394 Dieses Abgrenzungsmerkmal ist in zweierlei Hinsicht in die Kritik geraten. Zum einen wird auf die fehlende Objektivierbarkeit dieses Abgrenzungskriteriums hingewiesen; der Gesetzesanwender müsse sich auf eine „subjektiv-historische Motivationsforschung zur legislativen Willensbildung“ begeben.1395 Zum anderen werden die Grundrechtsgehalte dem einfachen Gesetzgeber überantwortet, wenn auf seinen Willen abgestellt wird, ob die Verfahrensvorschrift dem Grundrechtsschutz dienen sollte. Stattdessen müsse umgekehrt der Gesetzgeber aus den Grundrechten Vorgaben für zu erlassendes Verfahrensrecht empfangen.1396 aa) Organisation Angesichts der zum Teil großen Unsicherheitsfaktoren und enormen möglichen Schadensausmaße im Umwelt- und Technikrecht formulierten die Bundes1390

Denninger, in: HStR IX, § 193 Rn. 31. Di Fabio, in: Maunz/Dürig GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, S. 92; Papier, in: HStR VIII, § 177 Rn. 18. In diese Richtung auch Meinel, Selbstorganisation des parlamentarischen Regierungssystems, S. 102 ff. 1392 Anders die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG, die aufgrund ihrer Abstraktheit auch im Umweltrecht Wirkung entfaltet, indem sie dem Drittbetroffenen die Möglichkeit einräumt, sich gerichtlich zur Wehr zu setzen, Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 6. 1393 Horn, in: Stern/Becker GG, Art. 2, S. 87; Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 6; Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 750. 1394 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (65) [Mülheim-Kärlich]. 1395 Denninger, in: HStR IX, § 193 Rn. 32. 1396 Denninger, in: HStR IX, § 193 Rn. 33; in diese Richtung auch Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 6. 1391

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verfassungsrichter des Minderheitenvotums in der Mülheim-Kärlich-Entscheidung: „Wahrscheinlich läßt sich nur über das Verfahrensrecht verhindern, daß der Bereich zwischen Recht und Technik zum juristischen Niemandsland wird.“ 1397

Das behördliche Verfahren müsse so ausgestaltet sein, dass es im konkreten Fall zu „richtigen“ Entscheidungen führe.1398 Dazu gehört es, die Behörden in die Lage zu versetzen, die umweltrelevanten Sachverhalte technisch zu durchdringen. Behörden, die nicht mit hinreichend qualifizierten Fachleuten besetzt sind, drohen entweder zu ewigen Blockierern im Genehmigungsverfahren zu werden oder zu Spielbällen der verschiedenen Interessengruppen, deren Sicherheitsprognosen von der zuständigen Behörde, mangels Sachverstand nicht hinreichend überprüft werden können. Es könnte daher angenommen werden, dass es ein grundrechtsvermitteltes Recht des Anlagenbetreibers wie auch des Drittbetroffenen gibt, dass der umweltrelevante Vorgang von einem staatlichen Organ mit hinreichendem Sachverstand bearbeitet wird. Wenn es durch die öffentliche Besoldungsstruktur nicht möglich ist, hinreichend qualifizierte Beamte und Bedienstete für die Umweltbehörden zu akquirieren, können sich die umweltrechtlichen Schutzpflichten möglicherweise auf die beamtenrechtliche Besoldung auswirken, die sich in einzelnen Fallgruppen als zu niedrig herausstellen könnte.1399 Die Frage der Besoldung ist auch eine Frage der Sicherung amtlicher Qualität und damit grundrechtsintendierter Verwaltungsorganisation.1400 bb) Kooperationsprinzip Weil dem Umweltschutz starke gegenläufige, häufig wirtschaftliche Interessen gegenüberstehen, ist das staatliche Kontroll- und Durchsetzungsinstrumentarium unverzichtbar.1401 Der Staat kann durch imperative Regelung, abstrakt oder im Einzelfall, dem Umweltschutz in einer Weise zur Wirklichkeit verhelfen, wie es private Umweltschutzbemühungen nicht vermögen. Jedoch rein auf ein staatliches Umweltschutzmonopol zu vertrauen hieße, die Verteilung von Macht in der modernen, marktwirtschaftlich geprägten Gesellschaft grundsätzlich zu ver1397 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (76) [Mülheim-Kärlich]. 1398 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (76) [Mülheim-Kärlich]. 1399 Das Bundesverfassungsgericht leitete bisher aus Art. 33 Abs. 5 GG ein grundrechtsgleiches Recht auf amtsangemessene Besoldung her, vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]. Über ein der Drittwirkung gleiches Verhältnis können die grundrechtlichen Verfahrensanforderungen des Umwelt- und Technikrechts ergänzend neben Art. 33 Abs. 5 GG treten und einen zusätzlichen Maßstab für die Bestimmung der amtsangemessenen Besoldungshöhe liefern. 1400 So auch Voßkuhle, JuS 2019, 417 (420). 1401 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 62.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

kennen.1402 Zwar verfügt der Staat über das Gewaltmonopol, nicht jedoch über alles umweltrelevante Wissen und damit nicht über die alleinige Macht, umfassenden Umweltschutz zu betreiben. Hier setzt das Kooperationsprinzip als Grunddeterminante umfassenden Umweltschutzes ein.1403 Dadurch lassen sich nicht nur „erdrutschartige Machtverschiebungen zwischen Staat und Gesellschaft verhindern“, sondern auch staatliche und private Umweltverantwortung miteinander verknüpfen.1404 Das Kooperationsprinzip gehört systematisch zu den auf die Organisation des Verfahrens gerichteten Prinzipien.1405 Es ist grundrechtlich fundiert, da es ein verfahrenstechnisches Mittel zum schonenden Ausgleich der sich im Widerstreit befindlichen grundrechtlichen Interessen darstellt.1406 Auf Seiten des von einer privaten Umweltbelastung negativ Betroffenen stehen die Grundrechte als Schutzrechte. Aber auch der private Umweltstörer kann sich auf die Grundrechte in ihrer abwehrrechtlichen Dimension berufen.1407 Der Wandel von einer hierarchischen zu einer netzartigen Gesellschaftsstruktur und die Verschiebung klassischer Machtverhältnisse führen dazu, dass einseitig hoheitliches Handeln immer weniger geeignet ist, zwischen den unterschiedlichen privaten und öffentlichen Interessen zu vermitteln.1408 Folge ist eine Verantwortungsteilung zwischen dem privaten Umweltstörer und dem staatlichen Grundrechtsverpflichteten, das gewünschte Umweltschutzziel zu erreichen.1409 Der private Umweltstörer weiß selbst häufig am besten, wie er die staatlicherseits geforderten Ziele, unter gleichzeitiger Weiterverfolgung seiner eigenen (wirtschaftlichen) Interessen, erreicht, weshalb die Kooperation als Ausdruck des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, das mildeste effektive Mittel zu wählen, geboten sein kann. Seine verfassungsrechtliche Fundierung hat das Kooperationsprinzip vor allem in Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, 2 GG,1410 wohingegen es in Art. 20a GG keine Stütze findet.1411 1402

Willke, Ironie des Staates, S. 201. Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 56; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 7, Rn. 78. 1404 So Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 62. 1405 Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 2. 1406 Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 26; Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 10, Rn. 78; Stober, in: FS für Bartlsperger, S. 601 f. 1407 Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1172). 1408 Willke, Ironie des Staates, S. 201. 1409 Weiß, DVBl. 2002, 1167 (1172). 1410 Waechter, NuR 1996, 321 (322); a. A. Roßnagel, in: Koch/Pache/Scheuing GKBImSchG, § 10, Rn. 80. 1411 Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 28; Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 56a. 1403

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Private Aktivität bedeutet nicht nur umweltschädigende Freiheitsbetätigung, sondern auch umweltschützende private Initiative.1412 Auch hier ist umweltrelevantes Wissen bei privaten Akteuren kumuliert, welches der Staat kaum selbst generieren könnte.1413 Beispielsweise wäre es nicht möglich, die Bestandsgrößen unterschiedlicher Wildtierpopulationen flächendeckend zu überwachen, da das Personal für eine derart kleinteilige Beobachtung kaum zu akquirieren wäre.1414 Zur Informationsbeschaffung bedient sich der Staat daher Kooperationen mit privaten Umweltverbänden, Jägern, Fischern, Ornithologen usw., die ihre Beobachtungen an die untere Naturschutzbehörde melden,1415 wodurch überhaupt erst ein Bild von Bestandsgrößen der unterschiedlichen Populationen erzeugt werden kann (Umweltmonitoring).1416 Das Kooperationsprinzip ist in seinem Anwendungsbereich breit gefächert und kann in seiner Wirkung nicht einheitlich bewertet werden. Einige Anwendungsbereiche werden zumindest in Teilen kritisch betrachtet.1417 Mag das Kooperationsprinzip gegenüber der Industrie ein schonendes Mittel umweltschützender Maßnahmen sein, hat sich immer wieder herausgestellt, dass Selbstverpflichtungen der Wirtschaft, die dazu dienen, feste gesetzliche Grenzwerte oder Zielvorgaben abzuwehren, als Hinhaltetaktik missbraucht werden und damit das Gegenteil eines effektiven Umweltschutzes sind.1418 Das Kooperationsprinzip würde falsch verstanden, wenn es darauf hinausliefe, informelle Absprachen zwischen Staat und Wirtschaft mit der legitimierenden Kraft umweltrechtlicher Grundprinzipien zu adeln. Die Begründung des Kooperationsprinzips mit der höheren Akzeptanz der auf dieser Basis getroffenen Entscheidungen hat alle Beteiligten zu

1412

Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 85. Ladeur, Recht – Wissen – Kultur, S. 119 f. 1414 Zu weiten Aspekten der Jagd als umweltschutzrechtlicher Schutzmaßnahme siehe Munte, NuR 2009, 536 (540). 1415 Beispielsweise § 43 JWMG (BaWü). 1416 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 85. 1417 Bizer, in: Bizer/Linscheidt, Staatshandeln im Umweltschutz, S. 85; Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 885 f.; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 166 f. 1418 Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 167. Als Beispiel kann die freiwillige Selbstverpflichtung der Automobilindustrie aus dem Jahr 1998 gelten, die beinhaltete, die CO2-Emissionen der deutschen PKW-Flotte auf unter 140 Gramm je Kilometer bis zum Jahr 2008 zu reduzieren (vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 15.12.2007 – „Mehr Flexibilität im Klimaschutz“, S. 12). Nicht nur wurde das Ziel bis zum Jahr 2008 nicht erreicht, sondern es steigen, die CO2-Emissionen pro Kilometer, mangels verbindlicher Grenzwerte, wieder an, vgl. Center of Automotive Management & KBA, Durchschnittliche CO2-Emissionen der neu zugelassenen Pkw in Deutschland von 1998 bis 2018 (in Gramm CO2 je Kilometer) Statista, https://de.statista.com/ statistik/daten/studie/399048/umfrage/entwicklung-der-co2-emissionen-von-neuwagendeutschland/ (zuletzt abgerufen am 08.10.2019). 1413

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

umfassen und nicht nur den Umweltschädiger.1419 Richtig angewendet bedeutet das Kooperationsprinzip, alle betroffenen Seiten mit einzubeziehen. 1420 cc) Öffentlichkeitsbeteiligung Effektiver Grundrechtsschutz setzt Beteiligung am Verfahren voraus.1421 Nur wenn die von einer Entscheidung Betroffenen die Möglichkeit haben, ihre Belange vorzutragen, können diese überhaupt vollständig ermittelt werden.1422 Die behördlichen Entscheidungsträger können zwar die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigen, wie die sich aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ergebende Schutzpflicht zu Gunsten der öffentlichen Gesundheit,1423 die partikularen Interessen der Einzelnen, wie zum Beispiel die Interessen bestimmter Berufsträger, Wohnungsinhaber, Eigentümer, Religionsausübenden und so weiter kann die Behörde jedoch nicht oder nur eingeschränkt selbst ermitteln. Bei Entscheidungen mit einer Vielzahl Betroffener ist es andererseits unzweckmäßig, jedem Einzelnen die Rolle des Verfahrensbeteiligten zuzuweisen, weshalb es sich in diesem Fall anbietet, die Betroffenen in ihrer Gesamtheit als „Öffentlichkeit“ zu beteiligen. Die Idee, dass durch einen fairen und vernünftigen Kommunikationsprozess, an dem alle Interessensträger beteiligt sind, ein möglichst richtiges Ergebnis gefunden wird,1424 ist nicht zufällig eng verwandt mit der postmodernen Diskurstheorie.1425 Diese wurde parallel von Soziologen aber auch Rechtswissenschaftlern entwickelt.1426 Um im wechselseitigen Diskurs zwischen Behörde und Öffentlichkeit eine konstruktive Ergebnisfindung zu gewährleisten, ist eine zeitlich abgestufte Beteiligung erforderlich.1427 So steht am Beginn die Information über das umweltrelevante Vorhaben. Mit der Information wird aus grundrechtlicher Sicht der Zweck verfolgt, dass die betroffenen Grundrechtsträger in die Lage versetzt werden, ihre eigenen grundrechtlich geschützten Belange zu ermitteln. Auf 1419

Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 26. Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 26q. 1421 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (76) [Mülheim-Kärlich] (abw. M. d. Ri. Simon u. Heußner); Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 29. 1422 Stollmann/Beaucamp, Öffentliches Baurecht, § 6 Rn. 24. 1423 Häufig wird auch die gleichbedeutende Bezeichnung Volksgesundheit verwendet, vgl. BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377 (439) [Apotheken]; Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 116; Lorenz, in: BonnK GG, Art. 2, Rn. 152; Seewald, Zum Verfassungsrecht auf Gesundheit, S. 209. 1424 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (76) [Mülheim-Kärlich] (abw. M. d. Ri. Simon u. Heußner). 1425 Denninger, in: HStR IX, § 193 Rn. 8. Zur Kritik an dieser siehe Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 205 ff. 1426 Siehe Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 206 m.w. N. 1427 Stollmann/Beaucamp, Öffentliches Baurecht, § 6 Rn. 25 f. 1420

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einer zweiten Stufe ist die Kommunikation in die Gegenrichtung zu eröffnen und dem Grundrechtsträger die Möglichkeit zum Vorbringen seiner Belange zu geben. Die dritte Stufe der Kommunikation dient der Vermittlung der öffentlichen und privaten Einzelinteressen. Hat auf erster Ebene die Information funktioniert, werden auf zweiter Ebene nur Belange vorgetragen, die tatsächlich durch das Vorhaben berührt werden, wodurch die Vermittlung der Belange auf dritter Stufe einfacher gestaltet wird. Die Beteiligung der Öffentlichkeit muss intensiver erfolgen, je schwerwiegender die durch das Vorhaben berührten grundrechtlichen Belange sind. Grundrechtliche Belange können jedoch im Einzelfall durch öffentliche Interessen zurückgedrängt werden. So kann es beispielsweise geboten sein, das Sicherheitskonzept einer gefährlichen Anlage nicht oder nur eingeschränkt mit der Öffentlichkeit zu diskutieren, da Informationen hierüber die Effektivität desselben schwächen könnten.1428 Das öffentliche Interesse an der Sicherheit gefährlicher Anlagen lässt sich wiederum auf die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG zurückführen. Es handelt sich bei dieser Konstellation um einen Zielkonflikt, in dem die formellen Beteiligungsrechte soweit zurücktreten müssen, wie es die Herstellung materieller Sicherheit erfordert. dd) Anhörung Betroffener Im Umweltrecht kommt dem Grundsatz der Anhörung Betroffener für die Grundrechtssicherung eine herausgehobene Stellung zu. Im Gerichtsverfahren ist er für die Verfahrensbeteiligten gemäß Art. 103 Abs. 1 GG ausdrücklich verfassungsrechtlich garantiert. Aber auch das Recht auf Anhörung im Verwaltungsverfahren ergibt sich nicht bloß aus der einfachgesetzlichen Anspruchsgrundlage des § 28 VwVfG (bzw. § 66 VwVfG für das förmliche Verfahren). Es stellt auch einen allgemeinen verfassungsrechtlichen Rechtsgrundsatz dar.1429 Darüber hinaus ist das Anhörungsgebot unmittelbarer Ausfluss der jeweiligen grundrechtlichen Garantien in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG.1430 Deswegen ist § 28 VwVfG entsprechend auf sonstiges Verwaltungshandeln mit Grundrechtsrelevanz anwendbar.1431 1428

Leidinger, NVwZ 2019, 270 (276). „Audiatur et altera pars“ gilt als allgemeiner Rechtsgrundsatz mit unterschiedlichen Begründungen im gesamten europäischen Recht, vgl. Huck, in: Huck/Müller VwVfG, § 28, Rn. 1. Außerdem: Engel/Pfau, in: Mann et al. GK-VwVfG, § 28, Rn. 1; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 19 Rn. 28. 1430 Herrmann, in: BeckOK VwVfG, § 28, Rn. 5. Zum Teil wird auch die Objektformel herangezogen und das Anhörungserfordernis aus Art. 1 Abs. 1 GG hergeleitet. Der Bürger werde ohne Anhörung zum „bloßen Objekt staatlicher Entscheidung“, so Engel/ Pfau, in: Mann et al. GK-VwVfG, § 28, Rn. 17; Huck, in: Huck/Müller VwVfG, § 28, Rn. 2; Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, § 28, Rn. 2. Durch eine derartig weite Anwendung der Menschenwürdegarantie, droht diese entwertet zu werden. Wegen des Unantastbarkeitsdogmas, wäre ein Verzicht auf die Anhörung, aufgrund einer Abwägung mit entgegenstehenden öffentlichen Interessen, wie es § 28 Abs. 3 VwVfG vorsieht, nicht möglich. 1429

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten wirken sich insbesondere bei der Anhörung Drittbetroffener aus. Der Adressat von Verwaltungshandeln ist hingegen regelmäßig schon in der Abwehrdimension der Grundrechte betroffen. Für Drittbetroffene sieht das Umweltrecht an verschiedenen Stellen spezielle Anhörungs- und Mitwirkungsrechte vor.1432 Fehlen diese, und ist ein Dritter durch ein umweltrelevantes Vorhaben in seinen Grundrechten betroffen, gebietet es die grundrechtliche Überformung des Verwaltungsverfahrensrechts, dass der Drittbetroffene als Beteiligter gemäß § 13 Abs. 2 VwVfG gilt und entsprechend angehört wird.1433 Fehlt es an einer Anhörungsvorschrift, ist, bei Grundrechtsrelevanz des Verwaltungshandelns, § 28 VwVfG analog heranzuziehen.1434 Geht die zu befürchtende grundrechtsrelevante Schädigung von einem privaten Vorhaben aus, ist auf die Schutzpflichtendimension zurückzugreifen, handelt es sich um ein staatliches Vorhaben, auf die Abwehrfunktion der Grundrechte. Hier dürfte sich im Ergebnis kein großer Unterschied zwischen beiden Grundrechtsdimensionen ergeben, da die bei der Schutzpflicht häufig anzutreffende doppelte Grundrechtsbetroffenheit1435 im Falle der Anhörung entfällt. Die Anhörung stellt für den Nachbarn oder sonst Betroffenen nur die Möglichkeit dar, seine eigenen Belange vorzutragen. Damit ist noch kein Grundrechtseingriff auf Seite des Vorhabenträgers verbunden. Weil das Anhörungsrecht nicht nur eine einfachgesetzliche Verfahrensvorschrift, sondern Ausfluss grundrechtlicher Positionen ist, kann die Nichtanhö-

1431 Herrmann, in: BeckOK VwVfG, § 28, Rn. 6; a. A. Engel/Pfau, in: Mann et al. GK-VwVfG, § 28, Rn. 35. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Anhörung nur nötig, wenn ein Verwaltungsakt in die Rechte des Betroffenen eingreift, nicht hingegen, wenn der Erlass eines Verwaltungsakts abgelehnt wird, BVerwG, Urteil vom 14.10.1982 – 3 C 46.81 – BVerwGE 66, 184 (186). Angesichts der grundrechtlichen Überformung des Anhörungserfordernisses erscheint dies zweifelhaft. Stützt die Behörde ihre Ablehnung auf Gründe, zu denen sich der Betroffene noch nicht geäußert hat, ist eine Anhörung jedenfalls erforderlich. So auch Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 18 Rn. 950, der § 28 Abs. 1 VwVfG wegen seiner verfassungsrechtlichen Überformung in diesen Fällen analog anwenden möchte. Dies gilt inbesondere bei der Ablehnung grundrechtlich fundierter Leistungsansprüche, da hier die begünstigende Rechtsposition nicht erst durch den VA gewährt wird, sondern bereits grundrechtlich intendiert ist, so auch Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, § 28, Rn. 32. 1432 Spezielle umweltrechtliche Anhörungspflichten und Mitwirkungsrechte finden sich u. a. in §§ 10 Abs. 6, 51 BImSchG, § 63 Abs. 1, 2 BNatSchG, § 67 EnWG, § 32 FlurbG, § 9 Abs. 1 S. 3 UIG. 1433 Engel/Pfau, in: Mann et al. GK-VwVfG, § 28, Rn. 40. 1434 Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, § 28, Rn. 15. 1435 Gemeint ist die Grundrechtsbetroffenheit sowohl des Störers als auch des Opfers. Anders stellt sich die Situation dar, wenn auf der Gegenseite kein personeller Störer steht, z. B. im Fall von Naturkatastrophen, siehe hierzu 2. Kapitel B. II. 3. – „Schutz vor Naturkatastrophen“.

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rung auch als Anknüpfungspunkt für Schadensersatzansprüche nach § 839 BGB i.V. m. Art. 34 GG dienen.1436 Eine spezielle Form der Anhörung betrifft die Expertenanhörung nach § 51 BImSchG vor Erlass einer Rechtsverordnung. Dieses Anhörungserfordernis soll keine Rechtsstellung des angehörten Experten begründen,1437 sondern durch die Einholung unabhängigen Sachverständigenwissens zum präventiven Grundrechtsschutz durch Verfahren beitragen.1438 Wird ein umweltrelevantes Vorhaben in solcher Grenznähe verwirklicht, dass es sich auf die im Ausland angesiedelten Nachbarn auswirkt, folgt aus der Universalität der Grundrechte und ihrer menschenrechtlichen Herkunft, vgl. Art. 1 Abs. 2 GG, dass deren grundrechtlich geschützten Interessen nicht übergangen werden dürfen.1439 Deshalb besteht für betroffene, im Ausland ansässige Ausländer ein Anspruch auf die Möglichkeit der Verfahrensbeteiligung, um die für sie bestehenden Jedermannrechte geltend machen zu können.1440 ee) Grundrechtsschutz, Bestandskraft und Präklusion Nicht nur die aus den Schutzpflichten folgenden Sicherheitsinteressen kollidieren mit den Beteiligtenrechten. Auch das Interesse an der Herstellung von Rechtsfrieden, Verfahrensökonomie, Planungssicherheit sowie Vertrauens- und Bestandsschutz kann Beteiligungsrechten entgegenstehen. Für anhaltende Diskussion, nicht nur im Umweltrecht, sondern insbesondere auch im Verwaltungsprozessrecht, sorgen die Vorschriften um die Präklusion.1441 Träger von Belangen müssen diese bereits im Verwaltungsverfahren vortragen, weil sie sonst mit diesen in den folgenden Gerichtsprozessen nicht mehr gehört werden können.1442 Wurden die Präklusionsvorschriften nach nationalem Recht weitgehend gebilligt,1443 wurden sie nun aber vom EuGH zumindest bezüglich 1436 1437

Kallerhoff/Mayen, in: Stelkens/Bonk/Sachs VwVfG, § 28, Rn. 4. VGH Kassel, Beschluss vom 28.08.1982 – II TH 34/82 – NVwZ 1982, 689

(960). 1438

Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13 Rn. 11. Siehe bezüglich der Geltung grundrechtlicher Schutzpfllichten außerhalb des Hoheitsgebiets der Bundesrepublik: 2. Kapitel C. I. – „Räumliche Dimension“. Zum Gewährleistungsumfang der Grundrechte gegenüber Ausländern: 2. Kapitel C. II. 1. – „Ausländer“. 1440 So auch Schenke/Schenke, in: Kopp/Schenke VwGO, § 42, Rn. 90. 1441 Redeker, NJW 1980, 1593 (1593). Die Präklusion ist wegen der schieren Masse an Entscheidungen und Literatur zur Problematik, ein Thema, das in diesem Rahmen nicht annähernd erschöpfend darstellbar ist. Verfassungsrechtliche Zweifel ergeben sich vor allem aufgrund von außerhalb der Schutzpflichtendogmatik liegenden Bestimmungen, insbesondere Art. 103 GG. 1442 Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 137. 1443 BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (116). So auch das überwiegende Schrifttum: Becker, in: Stern/Becker GG, Art. 14, Rn. 134; 1439

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

der materiellen Präklusion überholt.1444 Die materielle Präklusion hat zur Folge, dass ein Belang, über ein bestimmtes Verfahren hinaus, generell keine Berücksichtigung mehr finden kann.1445 Dieser weitgehende Ausschluss eines grundrechtlich geschützten Belangs erscheint aus rechtsstaatlicher Sicht bedenklich. Mittlerweile gilt die materielle Präklusion als „tot“ – nicht nur für Verbandskläger,1446 sondern auch für Individualkläger – nicht nur für umweltrechtliche, sondern für jedwede Belange.1447 Die formelle Präklusion wird weiter Teil des deutschen Verwaltungs- und Prozessrechts bleiben. Auch wenn ein Interessenträger mit seinem Vorbringen formell präkludiert ist, kann sich aus dem jeder Planungsentscheidung zugrundeliegenden Abwägungsgebot ergeben, dass ein Belang dennoch mit in die Abwägung eingestellt wird.1448 Verfassungsrechtlich relevante Abwägungsbelange, die für die Präklusion sprechen, sind die Bewahrung der Funktionsfähigkeit und der Effektivität der Verwaltung, das Interesse des Anlagenbetreibers an einer Abschätzbarkeit seines Prozessrisikos sowie eine Straffung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens.1449 Der Ausschluss von Rechtsbehelfen besteht auch an anderer Stelle. So liegt eine vergleichbare Konstellation vor, wenn ein Verwaltungsakt nach §§ 43 ff. VwVfG trotz Rechtswidrigkeit in Bestandskraft erwächst.1450 Dabei handelt es sich um eine Regelung, die ebenfalls zu Gunsten der Rechtssicherheit besteht und die zum festen Inventar des Verwaltungsrechts gehört. Auch die Bestandskraft entfaltet keine absolute Wirkung dergestalt, dass ein bestandskräftiger Verwaltungsakt auch bei einem Schutzpflichtenverstoß nicht mehr aus der Welt geschafft werden könnte. So sind die Vorschriften über Rücknahme und Widerruf im Lichte der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auszulegen und anzuwenden.1451 Grundrechtliche Belange können sich im Rücknahme- und Widerrufsverfahren als Ermessensdirektiven und Ermessensgrenzen auswirken – im äußersten Fall gar das Ermessen auf Null reduzieren.1452 Auch auf tatbestandlicher Engel/Pfau, in: Mann et al. GK-VwVfG, § 28, Rn. 95; Heselhaus, in: FS für Koch, S. 311; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25 Rn. 45; Redeker, NJW 1980, 1593 (1598); Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 29. 1444 EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137/14 – CELEX 62014CJ0137 [Materielle Präklusion]. Siehe hierzu auch Franzius, DVBl. 2018, 410 (410); Held, DÖV 2019, 121 (126); Heß, ZUR 2018, 686 (688); Ludwigs, NVwZ 2018, 1417 (1421). 1445 Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 23 Rn. 18. 1446 So noch zuvor, vgl. Hufen, Verwaltungsprozessrecht, § 25 Rn. 45. 1447 Rennert, DVBl. 2019, 133 (137). 1448 Stollmann/Beaucamp, Öffentliches Baurecht, § 6 Rn. 22. 1449 BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (116); Wasielewski, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 6, Rn. 96. 1450 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 10 Rn. 5 ff. 1451 Selbiges gilt für die Vorschriften der §§ 44a VwGO und 45, 46 VwVfG. 1452 Hierzu näher 3. Kapitel C. I. – „Verwaltungsermessen“.

B. Gesetzgebungspflichten

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Ebene werden sie relevant, da eine Schutzpflichtverletzung eine Gemeinwohlbeeinträchtigung im Sinne des § 49 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG darstellen und somit zum Widerruf selbst von rechtmäßigen Verwaltungsakten führen kann.1453 Im Bereich des Umweltrechts sind teilweise spezialgesetzliche Regelungen einschlägig, die das VwVfG im Wege des Spezialitätsgrundsatzes verdrängen, vgl. § 21 BImSchG. In Kombination mit der Möglichkeit, nachträgliche Anordnungen nach § 17 Abs. 1 S. 2 BImSchG zum Schutz der Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen zu treffen, wird der Bestandsschutz des Anlagenbetreibers zu Gunsten grundrechtlich geschützter Umweltschutzbelange reduziert. Dies ist Ausdruck der besonders hohen Grundrechtsrelevanz emittierender Anlagen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten Instrumenten und Prinzipien wie dem Bestandsschutz und der Präklusion nicht absolut entgegenstehen. Es kann sich aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten jedoch eine Durchbrechung des Bestandskraftprinzips im Einzelfall ergeben. ff) Begründungserfordernis Für das Gesetzgebungsverfahren sind in den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Verfahrensvorschriften keine Begründungspflichten ausdrücklich aufgeführt. Daraus ist zum Teil gefolgert worden, der Gesetzgeber schulde nicht mehr als das verfassungsgemäße Gesetz.1454 Es gehöre zu einer guten Gesetzgebungstechnik, eine Begründung herauszugeben, sei aber rechtlich nicht vorgegeben, weshalb das unbegründete Gesetz nicht an einem eigenständigen Verfahrensfehler leide.1455 An der Allgemeingültigkeit der These bestehen vor dem Hintergrund der grundrechtssichernden Funktion von Verfahren Zweifel. In seiner jüngeren Rechtsprechung stellt das Bundesverfassungsgericht fest, dass dort, wo die Grundrechte selbst keine quantifizierbaren Vorgaben enthalten, der Gesetzgeber, wie auch der Verordnungsgeber gehalten sind, ihre Festsetzungen zu begründen, um sie für eine gerichtliche Überprüfung nachvollziehbar zu machen.1456 Eine bloße Begründbarkeit der Entscheidung genüge nicht, denn der durch die „Prozeduralisierung angestrebte Rationalitätsgewinn“ könne nur erreicht werden, wenn die Sachverhaltsermittlung und die Abwägung vorab erfolgen und in der Gesetzesbegründung dokumentiert würden.1457 Gerade im Finanzverfassungs- und Beamten1453

Abel, in: BeckOK VwVfG, § 49, Rn. 64. Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 829; Wallerath, in: FS für Schröder 70, S. 399. 1455 Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 829. 1456 BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]. 1457 BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]. 1454

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

recht hat das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber wiederholt dazu verpflichtet, seine Maßstäbe offenzulegen.1458 Es verfolgt aber keine einheitliche Linie bezüglich aller grundrechtlichen Leistungsansprüche, wie die Rechtsprechung zum menschenwürdigen Existenzminimum zeigt, in der eine Gesetzesbegründungspflicht ausdrücklich abgelehnt wird.1459 In der dargestellten jüngeren Rechtsprechung, zumindest des zweiten Senats, scheint sich eine selbstständige Begründungspflicht herauszubilden.1460 Schon seit längerem ist die Pflicht des Gesetzgebers statuiert worden, alle sachlich relevanten Belange und Interessen zu ermitteln, zu berücksichtigen und umfassend und nachvollziehbar gegeneinander abzuwägen.1461 Neu ist lediglich die Pflicht, diese Entscheidungsprozesse in der Gesetzesbegründung zu dokumentieren.1462 Diese Dokumentationspflicht rechtfertigt sich daraus, dass dem Bundesverfassungsgericht schon personell nicht die gleichen Ressourcen zur Verfügung stehen, wie den an der Gesetzgebung unmittelbar beteiligten Organen. Deshalb geht eine Nichterweislichkeit der umfassenden vorherigen Sachverhaltsermittlung und Abwägung zu Lasten des Gesetzgebers. Bisher wurde die Begründungspflicht nur in Bezug auf Leistungspflichten herangezogen.1463 Prinzipiell lässt sich das Begründungserfordernis auf jene Schutzpflichtenkonstellationen übertragen, in denen der Gesetzgeber einen zahlenmäßigen Grenzwert für eine Umweltschädigung festsetzt. Ähnlich wie im Falle der beamtenrechtlichen Besoldung kann hier kein exakter Wert aus den grundrechtlichen Bestimmungen ermittelt werden, weshalb das Bundesverfassungsgericht darauf beschränkt ist, zu überprüfen, ob die Sachverhaltsermittlung und Abwägung korrekt vorgenommen wurde. gg) Zusammenfassung und Fazit Die prozeduralen Vorgaben hinsichtlich Sachverhaltsermittlung, fachlicher Beurteilung und Interessenabwägung dienen dazu, einer zunehmenden Komplexität umweltrechtlicher Verfahren Herr zu werden. Durch hohe Anforderungen an das Verfahren und dessen Einhaltung kann die Lösung von Grundrechtskonflikten 1458 BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]; BVerfG, Beschluss vom 17.11.2015 – 2 BvL 19/09 – BVerfGE 140, 240 Rn. 112 [Sächsische Beamtenbesoldung]; BVerfG, Urteil vom 05.05. 2015 – 2 BvL 17/09 – BVerfG 139, 64 (127) [Richterbesoldung Sachsen-Anhalt]; BVerfG, Urteil vom 11.11.1999 – 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99 – BVerfGE 101, 158 (216) [Länderfinanzausgleich III]. 1459 BVerfG, Beschluss vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 2/11 – BVerfGE 132, 134 (163) [Asylbewerberleistungen]. 1460 So wohl auch Voßkuhle, JuS 2019, 417 (420). 1461 BVerfG, Beschluss vom 23.06.1987 – 2 BvR 826/83 – BVerfGE 76, 107 (122). 1462 BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]. 1463 Siehe die Nachweise in Fn. 1458.

B. Gesetzgebungspflichten

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bewirkt werden. Verfahrensvorschriften verbleiben gegenüber den materiellen Grundrechtsgehalten in einer dienenden Funktion und stellen kein Substitut für den gebotenen inhaltlichen Interessenausgleich dar.1464 Sie können jedoch zu einer Rücknahme der gerichtlichen Kontrolle führen. Administrative und legislative Verfahrenserfordernisse tragen dazu bei, die Funktionsfähigkeit der Gerichte dadurch zu erhalten, dass aufwändige Ermittlungen in vor- und außergerichtlichen Verfahren durchgeführt und dokumentiert werden. Diese Dokumentation erleichtert den Gerichten die Nachprüfung oder, wo Sachverhalte eine bestimmte Komplexität erreichen, ermöglicht sie erst die Nachprüfung durch die grundsätzlich fachfremde Justiz. Primär kommt dem Gesetzgeber die Pflicht zur Schaffung geeigneter Verfahrensvorschriften zu.1465 Auf sekundärer Ebene steht der Normvollzug, in dem Vorschriften, wie die zur Öffentlichkeitsbeteiligung und zur Anhörung Betroffener, durch die grundrechtliche Internierung eine subjektive Aufladung erfahren können, so dass ihr Unterbleiben eine Rechtsverletzung darstellt, gegen die nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG der Rechtsweg offensteht. Wenn sich aufgrund der Verletzung einer Verfahrensvorschrift ein Abwägungsfehler ergeben kann, ist dies regelmäßig rechtserheblich.1466 Aufgrund der grundrechtssichernden Funktion der Verfahrensvorschriften liegt die Beweislast der Unerheblichkeit des Verfahrensfehlers grundsätzlich bei der Behörde. Gerade in modernen Massenverfahren umweltrelevanter Großprojekte könnte die Behörde wegen des offenen, schwer vorhersehbaren Ausgangs komplexer Planungen die Verfahrensrechte der Drittbetroffenen ansonsten risikolos vernachlässigen.1467 d) Genehmigungsvorbehalte Der Grundsatz Prävention vor Repression kommt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verschiedentlich zum Ausdruck.1468 Er genießt auch

1464

Kirchhof, in: HStR V, § 99 Rn. 73. Gleichwohl der Einfluss der Grundrechte auf die behördliche Organisation immer wieder in Rechtsprechung und Literatur angesprochen wird und das Konzept auf grundsätzliche Zustimmung trifft, ist dieser bisher nicht verstärkt zum Tragen gekommen; Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 128. Dies mag daran liegen, dass das vorhandene Verwaltungsverfahrensrecht umfangreiche Regelungen beinhaltet und deshalb gemessen an der Evidenzformel des Bundesverfassungsgerichts so gut wie nie ein gänzliches Untätigbleiben des Gesetzgebers festgestellt werden kann; Leisner-Egensperger, NVwZ 2019, 425 (431). 1466 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 80; dies kommt auch in der einfachgesetzlichen Regelung des § 46 VwVfG zum Ausdruck. 1467 Grimm, NVwZ 1985, 865 (872). 1468 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (272) [Schwangerschaftsabbruch II]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1465

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

in der Literatur Anerkennung.1469 Aus diesem Grundsatz ergibt sich, dass Gefahren nicht erst dann abgewehrt werden müssen, wenn sie entstehen, sondern das Entstehen der Gefahren selbst abzuwehren ist.1470 In Bezug auf gefährliches oder risikobehaftetes Verhalten kann dies zur Verpflichtung des Gesetzgebers führen, das Verhalten unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen, um Schädigungen des Rechtsgutes im Vorfeld zu verhindern.1471 Damit einher geht die Pflicht zur Aufstellung hinreichend detaillierter Zulassungsvoraussetzungen eines umweltbelastenden Vorhabens sowie Verfahrenssicherungen, um die Einhaltung der Voraussetzungen zu gewährleisten.1472 Die Verwaltungsrechtsdogmatik bietet die Möglichkeit präventiver und repressiver Verbote mit Erlaubnisvorbehalt bzw. Befreiungsvorbehalt, um die Rechtmäßigkeit von privatem Verhalten sicherzustellen.1473 Je nach Intensität der Gefahr kann es verfassungsrechtlich vorgegeben sein, eine bestimmte Form verwaltungsverfahrensrechtlicher Kontrolle und damit entweder ein präventives oder repressives Verbot aufzustellen. Steht eine Tätigkeit hingegen unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, ist die Tätigkeit als solche nicht rechtlich missbilligt1474 – im Gegensatz zu einem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt, das die Wertung der rechtlichen Missbilligung impliziert.1475 Die Unterscheidung bedeutet rechtsfolgenseitig, dass der Behörde beim präventiven Verbot kein Ermessen hinsichtlich der Erlaubniserteilung eingeräumt wird. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, hat der Antragsteller einen Anspruch auf die Genehmigung. So ist etwa das Verfahren nach § 4 Abs. 1 BImSchG als präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt ausgestaltet. Die Behörde prüft, ob der Anlagenbetreiber die gesetzlichen Voraussetzungen einhält und erteilt sodann die Freigabe der Anlage. Die bundesimmissionsschutzrechtliche Genehmigung wird deshalb auch als „Unbedenklichkeitsbescheinigung“ bezeichnet.1476 Weil der Behörde im Verfahren weder Ermessens- noch Beurteilungsspielräume zustehen, verdichtet sich durch die grundrechtlichen Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG sowie Art. 14 Abs. 1 GG bei Vorliegen der Genehmigungsvoraussetzungen die Norm des § 4 Abs. 1 BImSchG zu einem Anspruch des An1469 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 263 f.; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 39; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 139 f. 1470 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 (50) [Mülheim-Kärlich]. 1471 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 139. 1472 Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 30. 1473 Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 96. 1474 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 155. 1475 Löwer, in: HGR IV, § 99 Rn. 30; Schwabenbauer, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 166. 1476 Schmidt-Kötters, in: BeckOK UmwR, § 4 BImSchG, Rn. 7.

B. Gesetzgebungspflichten

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tragstellers.1477 Dieser Anspruch des Anlagenbetreibers auf Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ist als mit den sowohl „aus den Schutzpflichten als auch aus der Staatszielbestimmung sich ergebenden prozeduralen Anforderungen [. . .] unvereinbar“ bezeichnet worden.1478 Es bedürfe eines „Optimierungs- oder Abwägungsermessens“, um die grundrechtlichen Belange der Drittbetroffenen mit denen des Anlagenbetreibers im Einzelfall in angemessenen Ausgleich zu bringen.1479 Dagegen spricht, dass nicht jede Anlage, die dem Bundesimmissionsschutzgesetz unterliegt, so komplex und/oder gefährlich ist, dass ein repressives Verbot die einzig mögliche Schutzmaßnahme wäre, auf die sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers verengen würde.1480 Der erhöhten Gefahrenlage und Risikoträchtigkeit umweltrelevanter Vorhaben wird mit einem – im Gegensatz zum allgemeinen Baurecht – reduzierten Bestandsschutz immissionsschutzrechtlicher Genehmigungen Rechnung getragen.1481 Im Bereich der Hochrisikotechnologie wird hingegen angenommen, dass der Staat ein repressives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt aufstellen muss, um eine Gefährdung der Allgemeinheit auszuschließen.1482 Das damit einhergehende Ermessen der Behörde bei der Erteilung einer beispielsweise atomrechtlichen Genehmigung setzt voraus, dass der Gesetzgeber die Entscheidung über die grundsätzliche Zulässigkeit dieser Technik selbst getroffen hat.1483 Aufgrund des Wesentlichkeitsgrundsatzes müssen die tatbestandlichen Voraussetzungen hinreichend klar gefasst sein. Wird der Behörde darüber hinaus ein Ermessen eingeräumt, stellt dies für den Nachbarn kein Weniger, sondern ein Mehr an Grundrechtsschutz dar, da der Behörde die Möglichkeit eingeräumt ist, zusätzliche Aspekte in ihre 1477

Schmidt-Kötters, in: BeckOK UmwR, § 4 BImSchG, Rn. 8. Steinberg, NJW 1996, 1985 (1993); die grundsätzliche Möglichkeit von verfassungsrechtlich strengeren Verfahrensanforderungen bei der Genehmigungserteilung hält auch Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 65a für nicht ausgeschlossen. 1479 Steinberg, NJW 1996, 1985 (1993). 1480 Genehmigungspflichtig nach der 1. Anlage zur 4. BImSchV sind zum Beispiel auch „Anlagen zum Brennen keramischer Erzeugnisse“ (2.10), „zur Herstellung von Papier“ (6.2) oder „zur Herstellung von Süßwaren oder Sirup“ (7.31.1). Zwar können diese Anlagen nachbarschaftliche Konflikte mit einer Vielzahl von Beteiligten hervorrufen. Technisch sind diese Produktionseinheiten nicht derart komplex, dass man von „Risikotechnologie“ sprechen könnte, deren Genehmigungsvoraussetzungen nicht vorab abstrakt vollständig festgelegt werden könnten, so dass ein Ermessen zum Zwecke der Möglichkeit zur Tatbestandsergänzung eingeräumt werden müsste. 1481 Vgl. die strengeren Anforderungen des § 17 Abs. 1 i.V. m. § 20 Abs. 1 BImSchG im Gegensatz zum allgemeineren § 49 VwVfG; hierzu auch Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 79. 1482 Kirchhof, in: Maunz/Dürig GG, Art. 3 Abs. 1, Rn. 328; mit einer anderen Konturierung Löwer, in: HGR IV, § 99 Rn. 30, der davon ausgeht, dass ein repressives Verbot mit Befreiungsvorbehalt, in Anbetracht grundrechtlicher Wertungen, überhaupt nur zulässig ist, wenn das Verhalten sozialschädlich oder sozial missbilligt ist. 1483 Zur Frage der Rechtsfolgen eines Unterlassen dieser Grundsatzentscheidung durch den Gesetzgeber siehe 3. Kapitel F. IV. – „Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis“. 1478

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Entscheidung miteinzubeziehen. Deshalb ist die Einräumung von Ermessen stellenweise auch als Tatbestandsergänzungskompetenz der Behörde begriffen worden.1484 Die damit verbundene Aufgabe der Trennung von Tatbestand und Rechtsfolge (Ermessen) ist zwar zu Recht kritisiert worden,1485 jedoch deutet die Tatbestandsergänzungstheorie auf den Umstand hin, dass, wenn der Behörde ein Ermessen eingeräumt wird, die Drittbetroffenen stärker geschützt sind, als wenn die Entscheidung, bei ansonsten gleichen Voraussetzungen, als gebundene Entscheidung ausgestaltet wird, da durch die Ermessenseinräumung zusätzliche Belange berücksichtigt werden können.1486 Die Anzeigepflicht stellt das mildere Mittel gegenüber der Genehmigungspflichtigkeit dar.1487 Sie beschränkt das private Handeln nicht unmittelbar, bietet aber der Behörde die Möglichkeit, zeitnah einzuschreiten. Beispielsweise ist gemäß § 16a Abs. 1 S. 4 GenTG die Abweichung von der guten fachlichen Praxis, beim Ausbringen von gentechnisch veränderten Pflanzen, der zuständigen Behörde so rechtzeitig vor der Aussaat oder Bepflanzung anzuzeigen, dass diese, gemäß ihrer Befugnisse, noch intervenieren kann, wenn dadurch eine erhöhte Gefahren- oder Risikosituation entsteht. Die Wahl des Verfahrens hängt vom Ausmaß der zu erwartenden Schäden, wie auch dem Grad des durch verbleibende Unsicherheiten bestehenden Risikos im Einzelfall ab. Dabei steht dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative und ein Gestaltungsspielraum zu.1488 Eine vollständige Genehmigungsfreistellung eines Vorhabens ist jedoch nur dann zulässig, wenn von ihm keine weitreichenden Umweltbelastungen ausgehen.1489 e) Interventionsmöglichkeiten Da die grundrechtliche Schutzpflicht keine Befugnisnorm der Verwaltung darstellt, kommt dem Gesetzgeber die Verpflichtung zu, die Verwaltung mit entsprechenden Eingriffsbefugnissen auszustatten, um den grundrechtlich gebotenen Schutz im Einzelfall gewähren und durchsetzen zu können.1490 Diese repressiven

1484 Ausführlich beschrieben bei Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 58 ff. m.w. N. 1485 Hoffmann-Riem, in: FS für Koch, S. 77; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 116. 1486 Zum Einfluss der grundrechtlichen Schutzpflichten auf die Ermessensausübung siehe 3. Kapitel C. I. – „Verwaltungsermessen“. 1487 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 103; Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 67. 1488 Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 65a. 1489 Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 21 Fn. 54. 1490 Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 69.

B. Gesetzgebungspflichten

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Instrumente der Verwaltung können sich je nach ihrem Inhalt als Untersagungs-, Stilllegungs- oder Beseitigungsverfügung darstellen.1491 Im Umweltrecht wird aufgrund des Vorsorgeprinzips, anders als im Baurecht, davon ausgegangen, dass der Einsatz repressiver Instrumente, insbesondere einer Nutzungsuntersagung, auch schon bei Vorliegen formeller Illegalität gerechtfertigt ist.1492 Jedoch ist auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, weshalb sich im Einzelfall eine Untersagung ausnahmsweise dennoch als rechtswidrig erweisen kann.1493 Die polizeilichen Generalklauseln bieten der Verwaltung die Möglichkeit, unabhängig von einem zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch, einer strafrechtlichen Sanktionsnorm oder einer öffentlich-rechtlichen Ge- oder Verbotsnorm, gegen eine Störung vorzugehen.1494 Dass die Tatbestandsvoraussetzungen der Generalklausel an das Vorliegen einer Gefahr, also eines zumindest möglichen Schadens an einem Schutzgut, anknüpfen und nicht an die Rechtswidrigkeit des Störerhandelns, zeigt ihre enge Verwandtschaft mit der grundrechtlichen Schutzpflicht, deren Verwirklichung die Generalklausel mitunter dient. Sie dient dem umfassenden Rechtsgüterschutz und ist immer dann heranzuziehen, wenn eine spezielle Interventionsbefugnis nicht vorhanden ist.1495 Die Generalklausel darf jedoch nicht genutzt werden, um das Nichtvorliegen gesetzlicher Tatbestandsmerkmale einer speziellen Befugnisnorm zu umgehen. 2. Ausgestaltung des Zivilrechts Auch die grundlegenden zivilrechtlichen Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche sind grundrechtlich gebotenes Recht, da durch sie der Bürger in die Lage versetzt wird, direkt gegen den Schädiger vorzugehen und Umweltschäden haftungsmäßig den Beteiligten zugeordnet werden.1496 Im nachbarschaftlichen Verhältnis enthalten insbesondere die sachenrechtlichen Vorschriften der §§ 903 ff. BGB sowie die Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche nach § 1004 BGB Instrumente zum Schutz vor Störerhandlungen. Bei kleinräumigen Umweltproblemen mit überschaubaren Personenkonstellationen kann durch das Zivilrecht 1491 Beispielsweise § 20 Abs. 1 S. 2 BImSchG; siehe auch Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 77. 1492 Diese Wertung findet ihren Niederschlag unter anderem in § 20 Abs. 2 S. 1 BImSchG, wonach die Stilllegung im Falle der formellen Illegalität als intendiertes Ermessen ausgestaltet ist, vgl. auch Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 78. 1493 Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die Gefahren für die Umwelt überschaubar gering sind, die Genehmigungsvoraussetzungen ersichtlich vorliegen oder ein entsprechendes Genehmigungsverfahren kurz vor der positiven Verbescheidung steht; vgl. Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 78. 1494 Selmer, JuS 1992, 97 (97). 1495 Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 79. 1496 Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2288).

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

effektive Problemlösung betrieben werden. In komplexeren Problemlagen stößt es jedoch aus unterschiedlichen Gründen schnell an seine Grenzen. So treten aufgrund der inter-partes-Wirkung zivilrechtlicher Regelungen und Absprachen Gemeinwohlbelange in den Hintergrund. Präventive Maßnahmen, Umweltplanung und ein Tätigwerden von Amts wegen sind durch das Zivilrecht nicht umsetzbar. Auch verhindern die strengen Beweislastregeln zulasten des beschwerten Klägers häufig, dass das Deliktsrecht zur effektiven Verfolgung von Umweltschäden eingesetzt wird.1497 Eine spezielle zivilrechtliche Haftungsgrundlage für das Umweltrecht ist durch das UmweltHG geschaffen worden. Es bildet den Kern der anthropozentrischen, zivilrechtlichen Umwelthaftung, in dem es in § 1 UmweltHG anordnet, dass Schäden an Leben, Gesundheit oder Sachen, die aufgrund von Umwelteinwirkungen herbeigeführt wurden, zu ersetzen sind.1498 Schutzgüter des Gesetzes sind demnach die sich aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten nach Art. 2 Abs. 2 S. 1, Art. 14 Abs. 1 GG ergebenden Rechtsgüter, die durch den Betrieb umwelteinwirkender Anlagen besonders gefährdet sind.1499 Dabei wird im Umwelthaftungsgesetz nicht auf das Verschulden des Anlagenbetreibers abgestellt, sondern auf die Verwirklichung eines mit dem Normalbetrieb einhergehenden Risikos.1500 Nach den allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsvorschriften wäre eine Verantwortlichkeit des Anlagenbetreibers nur gegeben, wenn dieser die Schädigungen verschuldet hätte.1501 Darüber hinaus stellt sich nach dem zivilprozessrechtlichen Beibringungsgrundsatz die Beweissituation für den von einer schädlichen Umwelteinwirkung Betroffenen als nachteilig dar, wenn er auf die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungstatbestände verwiesen wäre, da er auch die Kausalität zwischen Anlagenbetrieb und Schaden beweisen müsste. Durch § 6 Abs. 1 S. 1 UmweltHG wird die Beweislast weitgehend umgekehrt. Der Betroffene muss nur noch die Geeignetheit der Anlage, den im Einzelfall aufgetretenen Schaden verursachen zu können, beweisen, damit die Kausalität vermutet wird. Diese Vermutung ist zwar widerlegbar, jedoch geht die Unerweislichkeit zu Lasten des Anlagenbetreibers. Das Umwelthaftungsgesetz greift damit die Unausweichlichkeit der Risiken der Technik auf, die sich auch im Normalbetrieb nicht ausschließen lassen.1502 Diese Risiken sind nicht von der Allgemeinheit oder den zufällig Betroffenen zu tragen, sondern von demjenigen, der davon profitiert, dass er das Risiko schafft. Die Umwelthaftung motiviert die Betreiber von Anla-

1497

Schlacke, Umweltrecht, § 2 Rn. 17. Nitsch, in: BeckGOK UmweltHG, § 1, Rn. 2; Rehbinder, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmweltHG § 1, Rn. 1. 1499 Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1180). 1500 Nitsch, in: BeckGOK UmweltHG, § 1, Rn. 7; Schlacke, Umweltrecht, § 2 Rn. 18. 1501 Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1178). 1502 Kment, NVwZ 2015, 927 (927). 1498

B. Gesetzgebungspflichten

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gen dazu, ihre Anlagen zum einen risikoarm zu betreiben und zum anderen ihre Aktivitäten genau zu dokumentieren, um im Schadensfall eine Nichtursächlichkeit der eigenen Anlage beweisen zu können. Es kommt dem Zivilrecht hier eine wichtige Präventivfunktion im grundrechtsbezogenen Umweltschutz zu. In Bezug auf die im Umweltrecht besonders problematischen Distanz- und Summationsschäden hat sich das UmweltHG bisher als wenig durchschlagskräftig erwiesen.1503 Nicht zuletzt wegen der hohen Verfahrenskosten sondern auch wegen der Bagatellklausel des § 5 UmweltHG, sehen viele Einzelbetroffene davon ab, entsprechende Verfahren zu betreiben. Ausdifferenzierte Fonds-Lösungen könnten eine Möglichkeit darstellen, die Summations- und Distanzschäden abzudecken und einer Umwelthaftung zugänglich zu machen.1504 Kritisch betrachtet werden können die Haftungshöchstgrenzen nach § 15 S. 1 UmweltHG.1505 Diese beschränken die Haftung auf jeweils 85 Millionen Euro je Schadensfall für Personen- und Sachschäden.1506 Der Betrag ist nicht als individuelle Haftungshöchstgrenze ausgestaltet, sondern als globaler Haftungshöchstbetrag.1507 Das heißt, alle Betroffenen müssen sich die Schadenssumme untereinander aufteilen, wenn der Höchstbetrag erreicht ist.1508 Dadurch werden die potentiellen Verursacher großer Schäden mit Katastrophenausmaß faktisch privilegiert. Die Regelung lässt sich nicht dadurch rechtfertigen, dass ein schonender Ausgleich in der Verteilung des Schadensrisikos des Drittbetroffenen und des wirtschaftlichen Risikos des Anlagenbetreibers hergestellt werden würde, da die Regelung hierfür schon nicht geeignet ist. Die Regelung differenziert nicht zwischen der Größe der Anlage, der Anzahl der Betroffenen und der wirtschaftlichen Stärke des Betroffenen. Würde beispielsweise ein Eigentümer, der eine einzelne Anlage betreibt, einen Schaden verursachen, der den Wert der Anlage übersteigt, könnte er durch die Haftung schon weit unterhalb der 85 Millionengrenze in wirtschaftliche Not kommen. Umgekehrt würde ein hinreichend großer Konzern mit entsprechenden Finanzmitteln einen solchen Schaden unter „laufende Ausgaben“ verbuchen können. Hinzu kommt, dass ein Schaden im Sinne des UmweltHG auch dann als einheitlicher Schaden betrachtet wird, wenn er von mehre1503

Peter, LKV 2007, 493 (498); Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1178). Hippel, ZRP 2001, 145 (149); Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 65; Murswiek, ZRP 1988, 14 (19); Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2288); Roßnagel, in: Koch/ Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 14, Rn. 166. 1505 Nitsch, in: BeckGOK UmweltHG, § 15, Rn. 6; Peter, LKV 2007, 493 (493); Rehbinder, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmweltHG § 15, Rn. 1. Zur alten, aber im wesentlichen vergleichbaren Rechtslage ebenso Schmidt-Salzer, VersR 1991, 9 (9). 1506 Sach- und Personenschäden werden durch das Gesetz getrennt voneinander behandelt, weshalb sich für alle Schäden ein maximaler Betrag von 170 Millionen Euro ergibt. 1507 Nitsch, in: BeckGOK UmweltHG, § 15, Rn. 2; Rehbinder, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmweltHG § 15, Rn. 3. 1508 Nitsch, in: BeckGOK UmweltHG, § 15, Rn. 4. 1504

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

ren gleichartigen Anlagen ausgeht, die zusammenwirken.1509 Stehen die Anlagen im Eigentum Einzelner, haftet jeder Anlagenbetreiber auf den Höchstbetrag. Stehen sie hingegen im Eigentum eines einheitlichen Eigentümers, haftet dieser nur einmal.1510 Eine derartige Privilegierung großer Unternehmen, insbesondere, wenn diese große Schäden produzieren, erscheint nicht nur vor dem Hintergrund des Schutzzwecks des Gesetzes, sondern auch nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gegenüber den schwächeren Marktteilnehmern1511 nicht gerechtfertigt.1512 Die UmweltHG ersetzt nicht die bisherigen deliktischen Schadensansprüche, wie etwa § 823 Abs. 1 BGB, sondern tritt neben diese. Auch andere Ansprüche aus anderen Gefährdungshaftungen, wie §§ 7 ff. StVG, §§ 33 ff. LuftVG, §§ 29 ff. BJagdG werden durch das UmweltHG nicht verdrängt.1513 Eine zentrale Ausprägung der gesetzesmediatisierten grundrechtlichen Schutzpflicht im Zivilrecht stellt zudem § 134 BGB dar, der Geschäften, die gegen eine Verbotsnorm verstoßen, die rechtliche Anerkennung versagt.1514 Diese Verbotsnormen finden sich jedoch hauptsächlich im Öffentlichen Recht, das die für das Zivilrecht im Bereich des Umweltrechts wesentlichen Maßstäbe liefert. Die grundrechtliche Umweltschutzpflicht wird demzufolge meist unmittelbar durch das Öffentliche Recht umgesetzt und wirkt sich über die zivilrechtlichen Scharniernormen wie § 134 BGB mittelbar auf dieses aus. Verbotsnormen des Umweltstrafrechts werden über § 823 Abs. 2 BGB dergestalt in das Zivilrecht überführt, dass sie die Grundlage für Schadensersatzansprüche bilden. 3. Pflicht zu Strafen? Das „schärfste Schwert der Legislative“ 1515 bilden die strafrechtlichen Normen, die die schwerwiegendsten Grenzüberschreitungen von Privaten untereinan1509

Rehbinder, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmweltHG § 15, Rn. 4. Rehbinder, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmweltHG § 15, Rn. 4. 1511 Zu beachten ist, dass der Gleichheitssatz im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit durch Art. 12 Abs. 1 GG aufgeladen wird und sich die Schutzbereiche wechselseitig verstärken. Den schwächeren Marktteilnehmer ohne rechtfertigenden Grund schlechter zu stellen, widerpricht der sich hieraus ergebenden grundgesetzlichen Wertung. Zum Effekt der wechselseitigen Verstärkung von Gleichheitsrechten und Freiheitsrechten siehe BVerfG, Beschluss vom 23.03.2000 – 1 BvR 1460/99 – NJW 2000, 2658 (2659) [Duldungspflicht Treppenlift]. 1512 So auch Schmidt-Salzer, VersR 1991, 9 (9), der zu dem Ergebnis kommt, die Konstruktion des § 15 Abs. 1 UmweltHG sei „alles andere als ein von Gerechtigkeitsund Abwägungsvorstellungen geprägter Höchstbetrag und gehört eher in die Kuriositätenkiste rechtspolitischer Arabesken“. Zustimmend Rehbinder, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmweltHG § 15, Rn. 1. 1513 Schlacke, Umweltrecht, § 2 Rn. 18. 1514 Singer, in: GS Jeand’Heur, S. 176. 1515 Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 34. 1510

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der sanktionieren. Zum Teil wird die Verpflichtung des Staates zum Einsatz des Strafrechts auch zu Gunsten der grundrechtlichen Umweltschutzgüter, insbesondere vor den Risiken der Technik, bejaht.1516 Ob aus den Grundrechten überhaupt eine Pflicht zu Strafen abgeleitet werden kann, ist bis heute umstritten.1517 Auch wenn diese Frage in der ersten Schwangerschaftsabbruchentscheidung bejaht1518 und in der zweiten bekräftigt wurde,1519 stellte sich bereits in der ersten Entscheidung eine Minderheit der Senatsmehrheit entgegen.1520 In jüngster Zeit kommen gar Stimmen auf, die den Sinn und Zweck von Strafe überhaupt in Frage stellen.1521 Eine Gesetzesexegese des Grundgesetzes ergibt, dass das deutsche Verfassungsrecht die Existenz des Strafrechts jedoch voraussetzt.1522 Die einzige ausdrückliche verfassungsrechtliche Pflicht des Staates, sich des Mittels des Strafrechts zu bedienen, stellt die Vorbereitung eines Angriffskrieges nach Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG dar.1523 Aus der Existenz des Art. 26 Abs. 1 1516

Steinberg, NJW 1996, 1985 (1988). Die Möglichkeit einer Pflicht zur Strafe bejahend: BVerfG, Urteil vom 25.02. 1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (47) [Schwangerschaftsabbruch I]; VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (337) [Gentechnik]; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 69; Hecker, in: Schönke/Schröder StGB, vor § 1, Rn. 32; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 18; Horn, in: Stern/Becker GG, Art. 2, Rn. 67; Müller-Franken, in: SchmidtBleibtreu et al. GG, Vorbemerkung Art. 1, Rn. 23; Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 67; kritisch hingegen BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (73) [Schwangerschaftsabbruch I]; Hermes/Walther, NJW 1993, 2337 (2342); Herzog, JZ 1969, 441 (444). 1518 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (47) [Schwangerschaftsabbruch I]. 1519 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (257) [Schwangerschaftsabbruch II]. 1520 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (73) [Schwangerschaftsabbruch I]. 1521 Dübgen, Ethik und Gesellschaft 2018, 1 (6); Frisch, NStZ 2016, 16 (16). Eine frühe Entwicklung in diese Richtung stellt der skandinavische Abolitionismus dar, der seit den 50er Jahren des 20ten Jahrhunderts die Forderung der Abschaffung von Gefängnissen zum Gegenstand hat und vollständig auf alternative Ansätze zur Wiedereingliederung von Rechtsbrüchigen setzen möchte, siehe hierzu Papendorf, Acta Sociologica 2006, 127 (127). Über eine ähnliche Debatte, die in den 80er Jahren in Deutschland bezüglich des JGG geführt wurde, siehe Janssen, in: Diversion statt Strafe?, S. 15. 1522 Das Strafrecht ist beispielsweise Anknüpfungspunkt für Grundrechtsschranken (wie in Art. 9 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2 oder Art. 13 Abs. 3, 5 GG). Das Grundgesetz regelt in Art. 46 Abs. 2 GG die Bestrafung von Abgeordneten und setzt damit die Existenz eines Strafrechts voraus. Es weist die Regelungskompetenz für das Strafrecht zu (Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 Var. 2, 96 Abs. 2 GG) oder gibt Grundsätze des Strafprozessrechts vor (Art. 103 Abs. 2, 3, Art. 104 Abs. 3 GG). 1523 Herzog, JZ 1969, 441 (444). A. A. Maunz, in: Epirrhosis – Festgabe für Carl Schmitt, S. 291, der trotz des eindeutigen Wortlautes keine Pflicht, sondern nur ein Recht des Gesetzgebers erblicken möchte, den Angriffskrieg unter Strafe zu stellen. 1517

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S. 2 GG lassen sich zwei entgegengesetzte Schlussfolgerungen ziehen. Es könnte zum einen angenommen werden, dass Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG abschließend ist und darüber hinausgehende Strafpflichten nicht bestehen.1524 Dagegen spricht aber die Entstehungsgeschichte des Grundgesetzes. Es wurde nicht in der Stunde Null eines neu gegründeten Staates erlassen, sondern fand eine bestehende Rechtsordnung, insbesondere ein voll entwickeltes Strafrecht vor.1525 Eine Pflicht zur Bestrafung, beispielsweise der Fremdtötung, musste der Verfassungsgeber nicht ausdrücklich aufnehmen, da im einfachen Recht keine Regelungslücke bestand. Kaum jemand wird behaupten wollen, dass der Staat, gemessen an seiner ihm dem Rechtsgut Leben gegenüber zukommenden Schutzpflicht, die Fremdtötung straffrei stellen dürfe.1526 Im Grundsatz muss eine aus dem Grundrechtsgüterschutz abgeleitete Pflicht zu Strafen grundsätzlich also bestehen und der Gesetzgeber ist unter dem Grundgesetz nicht völlig frei zu entscheiden, was er bestrafen möchte und was straffrei bleiben soll. Eine Regelungslücke im Grundgesetz kann nicht dahingehend interpretiert werden, dass die Verfassungsmütter und -väter das jeweilige Gut als nicht schutzwürdig betrachteten, sondern nur, dass sie in der damaligen Situation keine hinreichend konkrete Gefährdung für das Gut erkennen konnten, die eine verfassungsrechtliche – doppelte – Unterschutzstellung erfordert hätte.1527 Wenn der Verfassungstext, dem bestimmte Wertungen und Gewichtungen von Belangen zu Grunde liegen, auf eine veränderte Realität trifft, verschieben sich auch die dem Text zu Grunde liegenden Wertungen. So kann sich, bei gleichbleibendem Textbefund, ein Wandel von Bedeutung und Tragweite bestimmter Normen ergeben und Pflichten aus ihnen resultieren, die früher nicht bestanden. Es besteht deshalb eine Pflicht des Gesetzgebers, das Strafrecht in einer Weise fortzuschreiben, dass die grundrechtlich geschützten Güter in die Richtung abgesichert werden, aus der ihnen heute Gefahr droht. Das Strafrecht in seiner zeitgenössischen Ausgestaltung, die in wesentlichen Teilen auf das 19. Jahrhundert zurück geht, sieht sich der Kritik ausgesetzt, in 1524 So Herzog, JZ 1969, 441 (445), der argumentiert, dass sogar der Ehebruch straffrei gestellt werden durfte, obwohl die Ehe nach Art. 6 Abs. 1 GG unter besonderem Schutz der staatlichen Ordnung stehe. Eine analoge Anwendung des Art. 26 Abs. 1 S. 2 GG auf andere Schutzgüter sei wegen seines singulären Anwendungsgebietes ausgeschlossen. 1525 Ein deutsches Strafgesetzbuch besteht seit 1871 und wird seitdem auf Basis der ersten Fassung fortentwickelt, RGBl. No. 24 vom 15.05.1871, S. 128 ff. 1526 Klein, NJW 1989, 1633 (1638). 1527 Aus den gleichen Gründen wie die damals geltenden Strafgesetze nicht im Grundgesetz ausdrücklich perpetuiert wurden, wurde im Parlamentarischen Rat eine Aufnahme des Naturschutzes in das Grundgesetz für unnötig erachtet. Es wurde auf das bestehende preußische Forstgesetz verwiesen, das einfachgesetzliche Naturschutzvorschriften enthielt; siehe Parl. Rat XIV, S. 1574. Aus heutiger Sicht wären die Vorschriften des damaligen Naturschutz- und Umweltrechts den heutigen Anforderungen an dieses Rechtsgebiet völlig unzureichend.

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Zeiten, in denen die Wirtschaft mehr von großen Kapitalgesellschaften beherrscht wird als von Einzelpersonen, an der Bestrafung nur natürlicher Personen festzuhalten.1528 Von Strafrechtswissenschaftlern wird die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts vor allem mit dem Argument abgelehnt, dass juristische Personen nicht schuldfähig seien.1529 Aus verfassungsrechtlicher Perspektive kann dahingestellt bleiben, ob das Argument stichhaltig ist. Der Gesetzgeber schuldet den Grundrechtsträgern einen hinreichend wirksamen Schutz. Wird dieser durch die bisher nach § 30 OWiG auf Unternehmen nur anwendbaren Bußgeldvorschriften nicht gewährleistet, ist eine Nachbesserung geboten.1530 Dabei steht dem Gesetzgeber ein großer Gestaltungsspielraum zu,1531 so dass sich die grundrechtliche Umweltschutzpflicht kaum auf die Schaffung eines Unternehmensstrafrechts verengen wird.1532 Der Gesetzgeber kann sich stattdessen auch dafür entscheiden, den Verstoß gegen umweltrechtliche Vorschriften durch juristische Personen unter der Ägide des öffentlichen Rechts zu ahnden. Das Mittel des Strafrechts allein ist kein Garant für die effektive Durchsetzung von Verbotsnormen.1533 Gerade wegen der strengen Anforderungen an die Beweisführung und dem Prinzip der Einzeltatschuld ist der Strafprozess nur beschränkt geeignet, bei komplexen, von Tatsachenunsicherheiten geprägten Risikotechnologien zur Anwendung gebracht zu werden.1534 Die Prävention, wie sie nach den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zuvorderst geboten ist, wird mittels der Repression durch das Strafrecht nur beschränkt erreicht.1535

1528 Henssler et al., NZWiSt 2018, 1 (5); Kubiciel, ZRP 2014, 133 (133). Siehe zu Rechtsproblemen beim Auseinanderfallen von Normadressaten der Verbotsnorm und der Verhaltensnorm Maier-Reimer, NJW 2007, 3157 (3158). 1529 Kubiciel, ZRP 2014, 133 (134). 1530 Zur Zeit deutet einiges darauf hin, dass es dem Ordnungswidrigkeitenrecht gegenüber juristischen Personen an Durchsetzungskraft fehlt, vgl. Henssler et al., NZWiSt 2018, 1 (6). 1531 Frisch, NStZ 2016, 16 (24). 1532 Hecker, in: Schönke/Schröder StGB, vor § 1, Rn. 32: „komplexe Kriminalpolitik lässt sich nicht durch Verfassungsdogmatik ersetzen“. 1533 Hassemer, NStZ 1989, 553 (558). Dass es vor allem auf eine ausreichende personelle Ausstattung der zuständigen Behörden mit qualifizierten Fachkräften ankommt, die in der Lage sind, die Abläufe in großen Unternehmen nachzuvollziehen und ein faires und effektives Verfahren gegen diese zu führen, erkennen auch die Befürworter eines Unternehmensstrafrechts an, Henssler et al., NZWiSt 2018, 1 (10). Zur Pflicht zur Ausstattung der zuständigen Behörden mit qualifiziertem Personal siehe 3. Kapitel B. II. 1. c) aa) – „Organisation“. 1534 Ein Ausweg wird in der zunehmenden Schaffung von Gefährdungsdelikten und der Vorverlagerung der Strafbarkeit gesehen, Hassemer, NStZ 1989, 553 (558). Dabei darf nicht verkannt werden, dass das Strafrecht vor allem punktuell begangenen Grenzüberschreitungen repressiv begegnen soll, die Prävention aber Hauptaufgabe des Verwaltungsrechts in seinen manigfaltigen sicherheitsrechtlichen Ausprägungen bleibt. 1535 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 261; Denninger, in: Präventionsstaat, S. 88 ff.; Gärditz, GSZ 2017, 1 (1).

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Der Wert des Strafrechts liegt vielmehr in der sozial-ethischen Missbilligung einer vorsätzlichen, ungerechtfertigten und schuldhaften Schutzgutschädigung. Gegenüber den grundrechtlichen Rechtsgütern von höchstem Rang, wie Leben, Gesundheit und Bewegungsfreiheit, darf der Staat auf den Ausdruck dieser schärfsten Form der Missbilligung einer Verletzung nicht gänzlich verzichten. Das Umweltstrafrecht enthält einen Grundbestand an Regelungen, die den grundrechtsbezogenen Mindestumweltschutz sicherstellen. Empirische Untersuchungen deuten auf ein Vollzugsdefizit hin. Die oben angesprochenen Geldbußen nach § 30 OWiG, die statt eines Unternehmensstrafrechts gegenüber juristischen Personen zur Anwendung kommen, werden so gut wie nie verhängt. Eine Umfrage unter 49 Staatsanwaltschaften ergab, dass 18 in den letzten 5 Jahren keine, die meisten anderen weniger als drei Geldbußen gegenüber Unternehmen verhängt hatten.1536 Die Mehrheit der befragten Staatsanwälte schätzte die Wahrscheinlichkeit, dass bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 30 OWiG tatsächlich eine Geldstrafe verhängt würde, auf unter 20 % und führte diesen Umstand auf mangelnde Expertise bei den Sachbearbeitern und unzureichende personelle Ausstattung zurück.1537 Auch in Bezug auf das natürliche Personen betreffende Strafrecht gehören Verfahren wegen Umweltvergehen zu den Exoten. So wurden im Jahr 2017 Verfahren wegen Verstoßes gegen die §§ 70 f. BNatSchG in 57 Fällen geführt.1538 Diese endeten in 40 Fällen mit einer Verurteilung, jedoch nie mit einer Freiheitsstrafe.1539 In Bezug auf die Umweltstraftaten der §§ 324 ff. StGB sieht es auf den ersten Blick so aus, als entfalteten diese mit 1119 Verurteilungen im Jahr 2017 höhere Durchschlagskraft.1540 Beachtet man jedoch, dass 885 Verurteilungen die unerlaubte Entsorgung von Abfällen betrafen und die restlichen sich auf alle anderen Umweltstraftaten verteilen, wird deutlich, dass das Strafrecht für den Umweltschutz bisher eine untergeordnete praktische Rolle einnimmt. Auch hier sprechen die Strafmaße für sich. Von den 1119 Urteilen entfallen 29 auf Freiheitsstrafen, was etwa 2,6 % entspricht.1541 Dabei sind nur die Verfahren berücksichtigt, die überhaupt mit einem Urteil endeten. Verfahrenseinstellungen mit oder ohne Auflagen sind genauso außen vorgelassen, wie Verfahren, die im Sande verliefen. Im Vergleich mit anderen Straftaten ergibt sich, dass Umweltstraftaten nicht nur 1536

Henssler et al., NZWiSt 2018, 1 (6). Henssler et al., NZWiSt 2018, 1 (10); zur Schutzpflichtenverletzung durch derartiges „Organisationsverschulden“ siehe 3. Kapitel B. II. 1. c) aa). 1538 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 52. 1539 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 120 f. 1540 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 110. 1541 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 110 f. 1537

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äußerst selten abgeurteilt werden, sondern auch das Strafmaß ausgesprochen niedrig ausfällt. So kommt es in den Fällen der §§ 267 ff. StGB (Urkundenfälschung) in 14,6 %, §§ 263 ff. StGB (Betrug und Untreue) in 11,8 %, §§ 123 ff. StGB (Straftaten gegen die Öffentliche Sicherheit und Ordnung) in 10,7 %, §§ 242 ff. StGB (Diebstahl und Unterschlagung) in 6,6 %, Beleidigung (§ 185 ff. StGB) in 4,5 % der Urteile zu einer Freiheitsstrafe.1542 In keinem Bereich des Strafrechts fallen die Strafmaße so niedrig aus, wie im Umweltstrafrecht. Die Kategorie „strafbarer Eigennutz“ der §§ 284 ff. StGB, die mit 4,8 % an Freiheitsstrafen weit unten in der Statistik steht, wird nur dadurch heruntergezogen, dass sich neben den nicht-umweltbezogenen Straftatbeständen wie Glücksspiel und Wucher auch die Umweltstraftaten Jagd- und Fischwilderei in dieser Kategorie befinden.1543 Im Bereich der Fischwilderei kam es in zwei von 319 Verurteilungen zu einer Freiheitsstrafe, im Bereich der Jagdwilderei kein einziges Mal.1544 Offenbar werden Umweltstraftaten, wenn sie überhaupt verfolgt werden, als opferlose Delikte betrachtet und entsprechend milde geahndet. Gleiches gilt für den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts. Das an den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten gemessene Defizit besteht im Bereich des Strafrechts also weniger auf normativer Ebene, als im Vollzug. Hierin liegt eine mittelbare Schutzpflichtenverletzung, die dazu führt, dass das Umweltstrafrecht praktisch zahnlos ist und große Teile seines Steuerungspotentials einbüßt.

III. Inhaltliche Vorgaben Konkrete inhaltliche Regelungspflichten lassen sich aus den Grundrechten nur ausnahmsweise ableiten, denn dem Gesetzgeber kommt beim Ausgleich der miteinander in Widerspruch stehenden Grundrechte ein Gestaltungsspielraum zu.1545 Eine konkrete Regelungspflicht besteht für den Gesetzgeber nur unter den alternativen Voraussetzungen zu, wenn der Gesetzgebungsauftrag im Grundgesetz hinreichend konkret bezeichnet ist oder sich durch äußere Umstände der Gestaltungsspielraum derart verengt, dass nur noch eine bestimmte Regelung als verfassungsrechtlich zulässig angesehen werden kann. Die Verengung auf eine Ermessensreduzierung auf Null ist wegen der Komplexität der umweltrechtlichen Sachverhalte, insbesondere auf Ebene des einfa1542 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 94 ff. 1543 Würde man beide Wildereitatbestände herausrechnen, käme man in dieser Kategorie auf 12,2 % an Freiheitsstrafen, vgl. Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 108 f. 1544 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege Strafverfolgung, Fachserie 10, Reihe 3 (2017), S. 108 f. 1545 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft].

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chen Rechts, das notwendigerweise abstrakt ist (vgl. Art. 19 Abs. 1 S. 1 GG), die Ausnahme.1546 Meistens stehen verschiedene zulässige Regelungen zur Auswahl. Maßstab für die Schutzpflichtenerfüllung ist daher seltener, im Gegensatz etwa zur gebundenen Konditionalnorm, ob die eine richtige Lösung gewählt wurde, sondern ob die das Umweltrecht beherrschenden Prinzipien beachtet wurden.1547 Diese Prinzipien schweben nicht frei oder sind durch den einfachen Gesetzgeber aus eigener Machtvollkommenheit heraus willkürlich gesetzt worden, sondern sind weitgehend verfassungsrechtlich vorgegeben, womit sie zum Kontrollmaßstab auch gegenüber dem Gesetzgeber werden. 1. Vorsorgeprinzip Das Vorsorgeprinzip ist nicht nur einfachgesetzlich, beispielsweise1548 in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG, verankert,1549 sondern findet seine Stütze auch im Verfassungsrecht.1550 Es ergibt sich aus der oben diskutierten Notwendigkeit, grundrechtsrelevante Entscheidungen unter Unsicherheit treffen zu müssen.1551 Das Umwelt- und Technikrecht ist Risikorecht.1552 Man bezeichnet es als solches, weil Risiken in diesem unvermeidbar sind und mit steter Regelmäßigkeit neu er1546

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 140. Möckel, Umweltabgaben zur Ökologisierung der Landwirtschaft, S. 296; Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (268); Reinhardt, NVwZ 2019, 195 (197). 1548 Aber auch in § 7 Abs. 2 Nr. 3, § 7d AtG, § 7 BBodSchG, § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GenTG, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 KSpG, § 6 Abs. 2 S. 1 KrWG, § 29 Abs. 1 Nr. 5 StrlSchG, §6, § 12 Abs. 1 WHG. 1549 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (133); Kloepfer/Kröger, NuR 1990, 8 (11); Sellner, NJW 1980, 1255 (1256); Sendler, NVwZ 1990, 231 (234). 1550 Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 191; Delgado del Saz, Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund, S. 193; Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 3; Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 50; Quambusch/Lauffer, ZFSH/SGB 2008, 451–455 (454); Roßnagel/Hentschel, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 23, Rn. 47; Trute, in: HStR IV, § 88 Rn. 28 ff.; ebenso Gassner, NVwZ 2014, 1140 (1141); Waechter, NuR 1996, 321 (327), die die verfassungsrechtliche Fundierung des Vorsorgeprinzips auf Art. 20a GG stützen, ohne jedoch eine danebenstehende Verankerung in den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auszuschließen. Im Umweltvölkerrecht wie auch im europäischen Umweltrecht ist das Vorsorgeprinzip mittlerweile anerkannt, vgl. Braig, NuR 2017, 100 (103); Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 74; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 10; Treutner, Globale Umwelt- und Sozialstandards, S. 331. Genauso in vielen Verfassungen der europäischen Staaten, weshalb dem Vorsorgeprinzip das Potential zugesprochen wird „sich zu einem allgemeinen Leitprinzip des Staatshandelns zu entwickeln“, Kahl, in: Ius Publicum Europaeum V, § 74 Rn. 19; Sommermann, in: Ius Publicum Europaeum V, § 86 Rn. 52. Außerhalb des europäischen Großraums findet sich das Vorsorgeprinzip beispielsweise auch in der südafrikanischen Verfassung, Heinicke, in: International – Europäisch – Regional, S. 30. 1551 Hiller, Der Zeitkonflikt in der Risikogesellschaft, S. 121 f.; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 159. Siehe zur Entscheidungsfindung unter Unsicherheit: 2. Kapitel E. III. – „Auslösung unter Unsicherheit“. 1552 Wagner, NJW 1980, 665 (668). 1547

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wachsen, sich also im fortgesetzten Prozess der technischen Entwicklung permanent reproduzieren.1553 Diesen durch das unvermeidbare menschliche Unwissen über komplexe Umweltzusammenhänge entstehenden Risiken wird durch das Vorsorgeprinzip begegnet, indem es nicht nur gesicherte Erkenntnis zur Basis umweltrechtlicher Entscheidungen macht, sondern auch die bestehende Ungewissheit.1554 Der Staat darf mit seinem Tätigwerden nicht abwarten, bis das Grundrecht verletzt ist, sondern muss die Rechtslage präventiv so ausgestalten, dass die Wahrscheinlichkeit von Grundrechtsbeeinträchtigungen reduziert ist.1555 In einem strengen Sinne könnte das Vorsorgeprinzip dahingehend verstanden werden, dass ein Verhalten unzulässig ist, wenn es ein Risiko birgt.1556 Eine solche Interpretation setzt ein unvollständiges Verständnis vom Begriff des Risikos voraus. Das Paradoxon des Risikomanagements ist, dass sich Risiken nicht notwendigerweise durch Passivität vermeiden lassen.1557 Wie oben beschrieben, können Handeln und Unterlassen gleichermaßen riskant sein, weil der darauf folgende Kausalverlauf nicht vollständig vorhersehbar ist.1558 Die Bewertung von Risiken ist weniger eine naturwissenschaftlich-technische, sondern eine normativ-politische Aufgabe, die zuvorderst von den demokratisch legitimierten Organen geleistet wird, deren Abwägungsvorgang durch die Rechtsprechung kontrolliert wird.1559 Da sich das Risiko aus der Unwissenheit über einen Kausalverlauf ergibt, setzt sein Bestehen voraus, dass die Grenzen technischen Erkenntnisvermögens bereits erreicht sind. Anderenfalls würde man sich im Bereich der Gefahrenabwehr befinden, in der es darum geht, bekannte Schadensursachen zu bekämpfen.1560 Das Bundesverfassungsgericht sieht Gesetzgeber und Wissenschaft im Bereich der Vorsorge in einer arbeitsteiligen Verantwortung. Umso weniger die Wissenschaft zur Bereitstellung gesicherter Erkenntnisse in der Lage ist, desto höher ist 1553 Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 213; Ladeur, Recht – Wissen – Kultur, S. 104; Schwabenbauer, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 170 f.; Trute, in: HStR IV, § 88 Rn. 33. 1554 Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2291); Reinhardt, NVwZ 2019, 195 (197); SchmidtSalzer, VersR 1991, 9 (13). 1555 Huber, in: HGR II, § 49 Rn. 3; Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 13; Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 72; Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 50; hierzu ausführlich 2. Kapitel E. – „Auslösung der Schutzpflicht“. 1556 Faltus, ZUR 2018, 524 (530); Ladeur, Recht – Wissen – Kultur, S. 104. 1557 Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 213: „Aufgrund der Möglichkeit falscher Projektionen könnte das risikominimierende Handeln im Namen des ,Vorsorgeprinzips‘, [. . .] gerade das Gegenteil bewirken und neue Risiken generieren.“ 1558 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) – „Kontingenter Risikobegriff“. 1559 Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 37. 1560 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) (3) – „Sieben (Un-)Sicherheitsstufen“.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

die Sorgfaltspflicht des Gesetzgebers bei der langfristigen Planung grundrechtsrelevanter Umweltmaßnahmen.1561 Im Umkehrschluss ergibt sich, je sicherer die wissenschaftliche Erkenntnis ist, desto geringer wird die gesetzgeberische Sorgfaltspflicht bei der Unsicherheitsabwägung; gleichzeitig verengt sich damit auch die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative.1562 Der Fokus der Justiz verschiebt sich in diesem Fall von der Überprüfung der Abwägungsentscheidung zu einer inhaltlichen Überprüfung der getroffenen Schutzmaßnahmen.1563 Neben dieser auf das unvermeidbare Risiko bezogenen Herleitung des Vorsorgeprinzips ist im Schrifttum noch ein weiterer Gedankengang auszumachen, den man gemeinhin als „Freiraumthese“ bezeichnet.1564 Demnach dient das Vorsorgeprinzip dem Erhalt von Freiräumen in ökologischer, räumlicher, zeitlicher und wirtschaftlicher Sicht.1565 Künftigen Generationen sollen Freiräume für ihre eigene Entwicklung offen gehalten werden.1566 Aber auch der Umwelt selbst sollen Freiräume verbleiben, die die selbstständige Regeneration ermöglichen. Die Freiräume beziehen sich auch auf die emittierende Industrie, der ebenfalls Freiräume zu eröffnen sind oder offen gehalten werden müssen, damit ihr Entwicklungspotential nicht dadurch beschnitten wird, dass kein Platz, keine Ressourcen, keine Verschmutzungsmargen mehr vorhanden sind, die neuartige wirtschaftliche Betätigung ermöglichen.1567 Der Vorsorgegrundsatz besteht demzufolge auch um der gerechten Verteilung des vorhandenen Potentials an Umweltbelastungen willens.1568 Die beiden Herleitungsmethoden des Vorsorgeprinzips, zum einen aus der Notwendigkeit menschlichen Unwissens (Kontingenzthese, stellenweise auch als Ignoranztheorie bezeichnet),1569 zum anderen die Freiraumthese, stehen sich nicht als miteinander konkurrierende, unvereinbare Schulen gegenüber, sondern betonen zwei Seiten einer Medaille.1570 Durch die ergänzende Interpretation des 1561 BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 (37) [Gentechnikgesetz]. Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 38 spricht insofern von einer „arbeitsteiligen Kognitionsverantwortung“. 1562 Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 329; Gassner, NVwZ 2014, 1140 (1141). 1563 Fülbier, ZUR 2017, 399 (403). 1564 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (135). Dem folgend Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 72; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 54; Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 4; Schulze-Fielitz, in: Raum und Recht, S. 721. 1565 Feldhaus, DVBl. 1980, 133 (135). 1566 Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 524. 1567 Grabitz, WiVerw. 1984, 232 (233); Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 72; Papier, DVBl. 1979, 159 (162). 1568 Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 75; Sellner, NJW 1980, 1255 (1257). 1569 Kohout, Vorsorge als Prinzip der Umweltpolitik, S. 106; Laskowski, Das Menschenrecht auf Wasser, S. 611; Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 4. 1570 So auch Grabitz, WiVerw. 1984, 232 (234); Schulze-Fielitz, in: Raum und Recht, S. 720 f.

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Vorsorgeprinzips anhand der Kontingenz- und Freiraumthese lassen sich weitere, feiner ausdifferenzierte Prinzipien herleiten. a) Vorsichtsprinzip Das Vorsichtsprinzip besagt, dass eine potentiell schädliche Verhaltensweise schon dann unterbunden werden kann, wenn ihre Unschädlichkeit nicht bewiesen ist.1571 Es stellt in gewisser Weise die extremste Form einer Auslegung des Vorsorgeprinzips dar, indem es bei strenger Anwendung eine generelle Beweislastumkehr zulasten der Freiheitsbetätigung bedeuten würde. Wer eine Freiheit betätigen wollte, müsste ihre Unschädlichkeit beweisen; es gelte in dubio pro securitate.1572 Unter dem Grundgesetz ginge, aufgrund seiner freiheitlichen Ausrichtung, eine solche Verabsolutierung des Vorsichtsprinzips zu weit.1573 Das Vorsichtsprinzip dient im Regelfall lediglich dazu, Vorsorgemaßnahmen mit keiner oder geringer Eingriffsintensität, wie Gefahrerforschungsmaßnahmen, Erhebungen, Kontrollen oder Evaluationen zu rechtfertigen. Liegt ein konkretes Risiko vor und ist zudem ein hoher Schaden denkbar, beispielsweise aufgrund der Vielzahl von betroffenen Personen oder letaler Wirkungen, kann eine solche Maßnahme für den Staat verpflichtend sein. Bei einem abstrakten Risiko erscheint eine Verdichtung zur Verpflichtung zu Vorfeldmaßnahmen ausgeschlossen, weil die möglicherweise schadensbegründende Ursache selbst noch nicht in der Welt ist.1574 Es wird bei der bloßen Berechtigung des Staates bleiben, Vorfeldmaßnahmen zu treffen. Mindestens muss ein Vorsorgeanlass vorliegen.1575 Ein Vorsorgeanlass ist ein abstraktes Besorgnispotential, das sich auf einen wissenschaftlich plausiblen Verdacht stützen kann. Eine „Vorsorge ins Blaue hinein“ ist hingegen nicht geboten und sogar unzulässig, wenn sie einen übermäßigen Grundrechtseingriff mit sich bringt.1576 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das Vorsichtsprinzip nicht gebietet, die Freiheit unter einen Sicherheitsvorbehalt zu stellen, sondern nur Vorfeldmaßnahmen mit geringer Eingriffsintensität rechtfertigt. 1571 Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 70; Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 69; Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 75; Nutzinger, in: Langzeitverantwortung im Umweltstaat, S. 67; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 159; Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 2. 1572 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 46. 1573 In der öffentlichen Debatte wird dieses Prinzip immer wieder zur Voraussetzung gemacht, wenn beispielsweise gefordert wird, dass beim Inverkehrbringen von Stoffen ausgeschlossen sein müsse, dass diese krebserregend sind. So teilweise gefordert im Rahmen der Neuzulassung des Pflanzenschutzmittels Glyphosat. 1574 Siehe zur Unterscheidung von konkreten und abstrakten Risiken 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) (2) – „Binnendifferenzierung“. 1575 Jaeckel, JZ 2011, 116 (123). 1576 Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 51.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

b) Nachhaltigkeitsprinzip Das Nachhaltigkeitsprinzip ist zwar älter als das Vorsorgeprinzip, wird aber gemeinhin als in einem engen Zusammenhang mit diesem stehend verstanden.1577 Ursprünglich aus der Forstwirtschaft stammend war damit gemeint, dass nur so viel Holz geschlagen werden darf, wie auch nachwächst.1578 Ziel eines modernen Nachhaltigkeitsprinzips ist, die Wirtschaft in einer Weise umzustrukturieren, dass allen Umweltmedien in mindestens dem Maße die Möglichkeit zur Regeneration verschafft wird, wie diese belastet werden.1579 Bei der nicht vermeidbaren Verschmutzung der Umwelt müssen sich die Belastungsgrenzwerte an der Aufnahmekapazität des jeweiligen Umweltmediums (Luft, Wasser, Boden, Flora, Fauna etc.) orientieren.1580 Eine Begrenzung der Belastung auf Null kann weder Ziel noch Zweck im Sinne des Nachhaltigkeitsprinzips sein, weil jedes Umweltmedium eine natürliche und selbstständige Regenerationsfähigkeit besitzt.1581 Aufgrund der intertemporalen Wirkung der Grundrechte, also der Vorwirkung der Lebensrechte künftiger Generationen in die Gegenwart, können wirtschaftspolitische Entscheidungen nur in jenem Rahmen getroffen werden, der durch die Regenerationsfähigkeit der Umweltmedien gewährt wird, auf die auch zukünftige Generationen angewiesen sein werden.1582 Die bewirtschaftungsrechtliche Variante des sicherheitsrechtlichen Vorsorgeprinzips ist das Prinzip der Ressourcenvorsorge.1583 Danach soll der Verbrauch nicht erneuerbarer Ressourcen zugunsten erneuerbarer Ressourcen vermieden werden.1584 Die Ressourcenvorsorge unterscheidet sich vom Nachhaltigkeitsprinzip im engeren Sinne dadurch, dass sie die Endlichkeit von Ressourcen in den Blick nimmt, wohingegen das Nachhaltigkeitsprinzip im engeren Sinne deren Potential der Erneuerung in den Fokus nimmt. Das Prinzip der Ressourcenvorsorge gebietet die künstliche Verknappung von endlichen Umweltgütern, um im Sinne der Freiraumthese die Handlungsfreiräume für künftiges Verfügen über diese offen zu lassen.1585

1577

Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 2. Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 515. 1579 Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 76; Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 85. 1580 Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 87. 1581 Sellner, NJW 1980, 1255 (1258). 1582 Ein Verbot des „gezielten Umweltverbrauchs zu Lasten der nachfolgenden Generationen“ sieht auch Brinktrine, JöR 61 (2013), 557 (571), der dieses auf Art. 20a GG stützt. Ähnlich Gassner, NVwZ 2014, 1140 (1142); Nutzinger, in: Langzeitverantwortung im Umweltstaat, S. 66. 1583 Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 159; in diese Richtung auch Schulze-Fielitz, in: Raum und Recht, S. 720 f. 1584 Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 72; Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 84. 1585 Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 116 Fn. 658. 1578

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Das Nachhaltigkeitsprinzip enthält mithin drei wesentliche Elemente. (1) Die Verwendung von nicht-erneuerbaren Ressourcen ist zu vermeiden, damit diese langfristig zur Verfügung stehen. (2) Erneuerbare Ressourcen sind nur bis zu einem Maß auszubeuten, das ihre Regenerationsfähigkeit nicht dauerhaft übersteigt. (3) Die Emittierung von Schadstoffen in die Umwelt darf nicht höher sein als ihre Aufnahmekapazität.1586 Durch Verknappung des Zugangs zur Umweltnutzung im hier und jetzt soll gewährleistet werden, dass die Umweltnutzung dauerhaft auf stabilem Niveau möglich bleibt.1587 c) Verschlechterungsverbot Aus dem Vorsorgeprinzip ist ein Verschlechterungsverbot abgeleitet worden, demzufolge sich die Umweltbedingungen nicht weiter verschlechtern, beziehungsweise Umweltbelastungen nicht weiter anwachsen dürfen.1588 Die Diskussion um das Verschlechterungsverbot hatte ihren Höhepunkt nach Erlass des Art. 20a GG.1589 Die kontroverse Kernthese lautete, dass die Einführung des Art. 20a GG das bis dato erreichte Umweltschutzniveau als Mindestmaß festsetzen würde, hinter das der einfache Gesetzgeber nicht mehr zurück dürfe.1590 Diese Ausprägung des Verschlechterungsverbots lässt sich als Rückschrittsverbot bezeichnen. Die Interpretation des Verschlechterungsverbots als Rückschrittsverbot muss Zweifel hervorrufen. So ist ist das damalige Umweltschutzniveau zum Teil schwer feststellbar, da Aufzeichnungen notwendigerweise lückenhaft sind und Messungen nicht nachgeholt werden können. Demgegenüber lässt sich die Rechtslage zwar lückenlos nachweisen, jedoch basiert diese zum Teil auf überholten Erkenntnissen und mag heute schlicht nicht mehr geboten sein, weshalb eine Perpetuierung nicht gerechtfertigt wäre. Auch ein Festsetzen der abstrakten „Höhe“ des Umweltschutzstandards scheitert an der mangelnden Quantifizierbarkeit.1591 Ein Verschlechterungsverbot ist damit überhaupt nur in Bezug auf ein hinreichend konkretes Umweltgut vorstellbar. So könnte für ein einzelnes Biotop, eine Tier- oder Pflanzenart oder eine Landschaft ein Erhaltungszustand anhand messbarer Kriterien festgelegt werden. Weitere Umweltbelastungen wären damit nur 1586

Nutzinger, in: Langzeitverantwortung im Umweltstaat, S. 66. Kluth, in: BKGG, Art. 20a, Rn. 86. 1588 Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 524; Schmidt/Müller, JuS 1985, 694 (696). 1589 Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 52. 1590 Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 2; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 44; mit Einschränkungen auch Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 94. 1591 Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 51. 1587

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

zulässig, wenn sie ausgeglichen werden.1592 Dies gilt unabhängig davon, ob die Umweltbelastung nach einfachem Recht erlaubt oder verboten ist. Eine erlaubte Umweltnutzung muss ausgeglichen werden, so dass beispielsweise bei der Versiegelung einer Fläche durch Neubau eine anderswo bestehende alte Versiegelung aufgebrochen werden muss. Ein Biotop, dass im Wege der Bauleitplanung weichen muss, ist an anderer Stelle wiederherzustellen und so weiter. Wird eine Umweltzerstörung in verbotener Weise, absichtlich oder unabsichtlich verursacht, beispielsweise durch Einsickern von Schadstoffen in das Erdreich, muss diese beseitigt werden. Zum Teil sind diese Kompensationspflichten im einfachen Recht verankert.1593 Ob sie sich allgemein auch aus dem Verfassungsrecht, insbesondere dem Vorsorgeprinzip ergeben, erscheint hingegen zweifelhaft. Pauschal wird man dies jedenfalls nicht annehmen können. Problematisch ist schon die Quantifizierung des Erhaltungszustandes der Umwelt auf einer hoch abstrakten Ebene, wie sie das Verfassungsrecht darstellt.1594 Eine Quantifizierung von Umweltqualität kann im Rahmen der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten jedenfalls nicht selbstbezüglich erfolgen. Es kann nicht automatisch davon ausgegangen werden, dass die Umweltqualität abnimmt, wenn der Bestand einer bestimmten Art zurückgeht. Wäre jede Lebensform gleichermaßen schützenswert, könnte nicht begründet werden, warum Trichinen oder der Fuchsbandwurm bekämpft werden. Genauso könnte man einen Dammbruch in Norddeutschland als Erfolg für die Ausweitung maritimer Lebensräume ansehen und deshalb für nicht ausgleichspflichtig halten. Dass wir eine Flut als Umweltschaden wahrnehmen, kann nicht nur dadurch begründet werden, dass eine Veränderung stattgefunden hat, denn andere Veränderungen werden als Verbesserung des Umwelterhaltungszustandes angesehen. Maßstab ist immer die Frage, inwieweit der Erhalt eines Umweltgutes für den Menschen nützlich ist. So kann beispielsweise der Artenschutz nur dann auf grundrechtliche Umweltschutzpflichten gestützt werden, wenn der Arterhalt dem Menschen nützt. Zurzeit werden im Rahmen der Malaria-Prävention Maßnahmen diskutiert, die die Reduzierung oder sogar Ausrottung der als Hauptkrankheitsüberträger geltenden Stechmücke anopheles gambiae führen würden. Gleichwohl bergen diskutierte neuartige Verfahren wie Gene Drives, also absichtliche Erbgutmanipulation, mit dem Zweck, eine Spezies unfruchtbar zu machen und damit auszurotten, abstrakte Risiken, die eine genaue Erforschung derartiger Verfahren erfordern, bevor diese eingesetzt werden könnten.1595

1592

Kloepfer, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 106 f. Beispielsweise in § 4 Abs. 3 S. 1 BBodSchG, § 15 Abs. 2 S. 1 BNatSchG, § 11 Abs. 1 BWaldG, § 32 Abs. 1 GenTG, § 23 Abs. 2 Nr. 5 KrWG. 1594 Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 524. 1595 Burt et al., Journal of Responsible Innovation 2018, 66–80; Hammond et al., Nature biotechnology 2016, 78. 1593

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Auch wenn man auf die Interessen des Menschen abstellt, hängt der Begriff der „Verschlechterung“ von der eingenommenen Perspektive ab.1596 So kann man die Frage stellen, ob eine Aufforstung einer Weidelandschaft eine Verbesserung oder Verschlechterung der Umweltsituation darstellt. Aus der Sicht eines Schäfers oder aus der Sicht eines Forstwirts wird diese Frage unterschiedlich beantwortet werden. Trotz dieser Abgrenzungsschwierigkeiten im Einzelfall wird man in vielen anderen Fällen zu deutlicheren Ergebnissen kommen. So kann man die Veränderung der Luft- und Wasserqualität hinreichend genau messen und feststellen, ob sich aus ihnen eine Schädlichkeit für den Menschen ergibt. Kategorisierungen und Skalierungen, ob ein Umweltzustand besser oder schlechter ist, lassen sich in diesem Fall treffen, womit ein rechnerischer Anknüpfungspunkt dafür gegeben wäre, zwischen besser und schlechter zu unterschieden. Ein Verschlechterungsverbot lässt sich aber auch in diesen Fällen nicht pauschal begründen. Stellt sich heraus, dass ein bestimmter Grenzwert nicht mehr angemessen ist, weil beispielsweise eine bestimmte Substanz, die unter Anwendung des Vorsorgeprinzips als möglicherweise schädlich kategorisiert wurde, tatsächlich unschädlich ist, muss auch eine Korrektur des Grenzwertes nach oben möglich sein. Auch darf es nicht generell verboten sein, neue Umweltbelastungen zu schaffen. Sonst wäre zum Beispiel der Bau einer Straße oder einer emittierenden Fabrik unter Verweis auf das Verschlechterungsverbot stets ausgeschlossen.1597 d) Abstandsgebot Statt eines Verschlechterungsverbots ergibt sich aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten vielmehr ein Abstandsgebot zu den gegebenen Belastungsgrenzen. Das Gebot ist darauf bezogen, dass kritische Belastungsgrenzen nicht nur nicht ausgereizt werden, sondern ein hinreichend großer Abstand zu ihnen gehalten wird, der dem Vorsorgeprinzip sowohl in seiner Ausprägung nach der Kontingenzthese, also auch nach der Freiraumthese Rechnung trägt.1598

1596 So ist die Ausrottung des Tollwut-Virus in Deutschland aus Perspektive des Grundrechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit positiv zu bewerten. Für die Artenvielfalt schlägt sich das Fehlen des Tollwut-Virus als Bestandsregulativ für Raubtierpopulationen wie vulpes vulpes negativ nieder. Über Rückkopplungseffekte kann sich eine Verschlechterung der Artenvielfalt wiederum negativ auf den Menschen auswirken. 1597 Ein generelles Minimierungsgebot ist verfassungsrechtlich nicht nur nicht geboten, sondern wäre sogar problematisch, weil es mit dem Umweltschutz einen Aspekt grundrechtlicher Handlungspflichten überbetont, wohingegen er nach der allgemeinen Grundrechtsdogmatik in möglichst schonenden Ausgleich mit anderen grundrechtlich geschützten Belangen zu bringen ist und diesen nicht vorgeht; so auch Grabitz, WiVerw. 1984, 232 (240). 1598 Lübbe-Wolff, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 181 ff.; Schulze-Fielitz, in: Raum und Recht, S. 721.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Für die Schaffung neuer und neuartiger Umweltbelastungen ist daher der Nachweis zu fordern, dass die Belastungsgrenzen des jeweils betroffenen Umweltguts noch nicht ausgereizt sind und der aufgrund bestehender Unsicherheiten zu wahrende Sicherheitsabstand eingehalten wird. Das Abstandsgebot ist eine Synthese aus der Freiraumtheorie und der Kontingenztheorie. Es berücksichtigt sowohl Freihaltung zugunsten der Umweltnutzungsinteressen zukünftiger Generationen, als auch die aufgrund bestehender Unsicherheiten gebotenen Sicherheitsmargen bei der Grenzwertfestsetzung. Wer hingegen Freiraumtheorie und Kontingenztheorie als miteinander konkurrierende Gegensätze darstellt, spielt Generationengerechtigkeit und Risikovorsorge gegeneinander aus, anstatt beide Aspekte unter dem gemeinsamen Dach der Vorsorge zusammenzuführen. Als Umkehrschluss aus dem Abstandsgebot ergibt sich dort, wo die Schwellen überschritten sind, tatsächlich ein Verschlechterungsverbot. Wo hingegen die Abstände eingehalten sind, besteht politischer Gestaltungspielraum dahingehend neue Umweltnutzung und -belastung zuzulassen. e) Die Dialektik vorsorgenden Umweltschutzes Das Vorsorgeprinzip beinhaltet keinen generellen Umweltvorbehalt, wonach Umweltbelange grundsätzlich höher zu gewichten sind als andere grundrechtlich geschützte Belange.1599 Umweltschutz kommt jedoch eine dialektische Funktion zu. Wie bereits ausgeführt, fallen Begünstigter und Belasteter einer Umweltschutzmaßnahme häufig in einer Person zusammen – wenn auch nicht in monokausaler Verknüpfung.1600 So sind Beschränkungen der Wirtschaft, die diese zu nachhaltiger Produktion verpflichten, langfristig auch in deren wirtschaftlichem Interesse. Für die Akteure des Marktes ist es zuvorderst wichtig, auf diesem im gegenwärtigen Wettbewerb zu bestehen. Wie auch die parlamentarische Demokratie, die mit ihren kurzen Wahlperioden nicht optimal dafür geeignet ist, langfristig vernünftige Entscheidungen hervorzubringen, ist auch das Management einer Aktiengesellschaft zuvorderst auf die nächste Hauptversammlung bedacht – die Aktionäre bemessen den Erfolg einer Firma viel zu oft an der aktuellen Dividendenausschüttung, höchstens noch an den Wachstumsaussichten im folgenden überschaubaren Zeitraum, der kaum länger als eine Legislaturperiode ist. Nach der Theorie des Marktversagens1601 können all die Umweltverschmutzungen, bei

1599

Leisner, in: HStR VIII, § 173 Rn. 193. Siehe hierzu 2. Kapitel B. II. 4. – „Schutz gegen sich selbst“. 1601 Badura, in: HGR II, § 29 Rn. 7; Grimm, in: HStR I, § 1 Rn. 60; Grimm, Die Zukunft der Verfassung, S. 410 ff.; Küll, Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO2-Zertifikaten, S. 11; Ossenbühl, in: HStR V, § 100 Rn. 74; Sanden, in: Brendt/Smeddinck – Grundgesetz und Umweltschutz, S. 89; zur Schwierigkeit einer Abgrenzung von „Marktversagen“ und „Politikversagen“ Schmidt, in: HStR IV, § 92 Rn. 57. 1600

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denen handelndes Wirtschaftssubjekt und derjenige, der die Auswirkungen zu tragen hat, auseinanderfallen, durch den Markt nicht reguliert werden.1602 Die Kosten, die der Allgemeinheit entstehen, werden auch dann nicht erfasst, wenn der Verursacher zu den negativ Betroffenen gehört, da er regelmäßig nur einen Bruchteil des Schadens selbst tragen muss. Probleme wie die Endlichkeit bestimmter Ressourcen, der Klimawandel und die Auswirkungen des weltweiten Artensterbens können in Geschäftsplänen kaum berücksichtigt werden und noch wichtiger, müssen es auch nicht.1603 Garant des Allgemeinwohls ist der den Grundrechten verpflichtete Staat, nicht der einzelne private Wirtschaftsakteur.1604 Das verfassungsrechtlich fundierte Vorsorgeprinzip enthält die Aufgabe des Staates, die langfristige Planung der Umweltnutzung vorzunehmen und eine Zuteilung der Nutzungsrechte unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Wertungen vorzunehmen.1605 f) Nachsorgeprinzip Spiegelbildlich zum Vorsorgeprinzip besteht das Nachsorgeprinzip.1606 Während das Vorsorgeprinzip die Schaffung zukünftiger Risiken zum Gegenstand hat, betrifft das Nachsorgeprinzip die in der Vergangenheit eingegangenen und bis in die Gegenwart bestehenden Risiken.1607 Stellen sich Vorsorgemaßnahmen als unzureichend heraus, tritt die Nachsorge anstelle der Vorsorgepflicht. Die Vorsorge ist primäre Pflicht und hat die Ursachen von Schäden zum Gegenstand. Sie wird durch die die Symptome betreffende Pflicht zur Nachsorge ergänzt, nicht ersetzt.1608 Im Bundesimmissionsschutzgesetz zeigt sich das Nachsorgeprinzip daran, dass das Vorsorgeprinzip sich auch nach der Genehmigung und Inbetriebnahme der Anlage als stetig fortwirkende Grundpflicht des Anlagenbetreibers darstellt.1609 Nach § 18 KSpG ist der Betreiber eines Kohlenstoffdioxidspeichers zur Nach-

1602

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 62. Gleichwohl ist dies im Ergebnis strittig. Würde man die Sozialbindung des Eigentums aus Art. 14 Abs. 2 GG als unmittelbare Eigentümerpflicht sehen, wäre das Gemeinwohl grundsätzlich zu berücksichtigen. Die h. M. sieht in der Sozialbindung nur eine weitere Eingriffsbefugnis des Staates, die diesem ermöglicht, den Eigentümer auf das gemeine Wohl zu verpflichten. Im Ergebnis unterscheiden sich beide Ansichten jedoch kaum, da es jeweils des Staates bedarf, der die Eigentumsnutzung in Richtung Allgemeinwohl steuert. Hierzu näher 2. Kapitel D. XII. 4. – „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“. 1604 Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 523. 1605 Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 51 f. 1606 Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 263. 1607 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 81. 1608 Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 81. 1609 Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 54; Roßnagel, in: Koch/ Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 7, Rn. 102. 1603

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

sorge gegen Beeinträchtigungen von Mensch und Umwelt verpflichtet, die sich aus der unterirdischen Speicherung ergeben können.1610 Aus Perspektive der grundrechtlichen Schutzpflichten ist es nicht geboten, diese Pflicht dem Betreiber aufzuerlegen, sondern nur, dass ein hinreichendes Schutzniveau garantiert wird.1611 g) Resümee Das Vorsorgeprinzip überlagert mit seinen oben beschriebenen vielfältigen Ausprägungen das gesamte Umweltrecht.1612 Es gebietet dem Staat, dort langfristige Planung zu übernehmen, wo die vereinzelten gesellschaftlichen Akteure hierzu nicht in der Lage sind (Theorie des Marktversagens im Umweltschutz). Da das Vorsorgeprinzip seinen Hintergrund im menschlichen Unwissen hat, wäre es mit ihm unvereinbar, konkrete gebotene Maßnahmen aus diesem ableiten zu wollen.1613 Es ist vielmehr handlungsleitende Auslegungsmaxime des Rechts. Eine positive Verpflichtung auf eine bestimmte Maßnahme kann nur ausnahmsweise festgestellt werden.1614 Das negative Pendant, die Nichtberücksichtigung des Vorsorgeprinzips, kann hingegen festgestellt werden. So könnte nicht aus dem Grundgesetz abgeleitet werden, welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um im Wirtschaftssektor das Nachhaltigkeitsgebot zu verwirklichen. Es kann jedoch der Nachweis erbracht werden, in welchen Wirtschaftszweigen das Nachhaltigkeitsgebot oder das Abstandsgebot nicht verwirklicht ist und der Staat seine entsprechende Umweltschutzpflicht verletzt.1615 1610 Desweiteren § 7 Abs. 3 AtG, § 6 Abs. 2 S. 2 GenTG, § 40 Abs. 2 KrWG, § 62 Abs. 4 Nr. 5 WHG. 1611 In der Praxis wird dies nur in einer wechselseitigen Verantwortungsübernahme privater und öffentlicher Stellen sichergestellt werden können. Nachsorge durch öffentliche Stellen kann an tatsächliche Grenzen kommen, wenn das Wissen über eine Anlage beim privaten Betreiber monopolisiert ist. 1612 Versuche, das Vorsorgeprinzip auf andere Rechtsgebiete zu übertragen, werden in der Literatur überwiegend als gescheitert betrachtet; Denninger, in: Präventionsstaat, S. 88 ff. m.w. N. So finden sich beispielsweise im Bereich der Terrorbekämpfung ebenfalls Risiken, Wissenslücken und große Schadenspotentiale, jedoch eine nicht vergleichbare grundrechtliche Gemengelage – sowohl in Hinsicht der betroffenen Grundrechte, als auch in der Art der Bedrohung. Im Umweltrecht geht es hauptsächlich um Risiken und Gefahren, die durch erlaubtes Verhalten entstehen. In der Terrorabwehr hingegen um die Risiken und Gefahren durch unerlaubtes Verhalten. Genehmigungserfordernisse, Grenzwerte, Selbstverpflichtungen etc. ergeben im Umweltrecht Sinn, in der Terrorabwehr weniger. 1613 Oder wie es Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 299 ausdrückt, es gebiete das Demokratieprinzip, „dass die Judikative die Prognose des Gesetzgebers nicht durch ihre gleich unsichere Prognose ersetzen darf“. 1614 Lohse, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 52. 1615 Es kann an dieser Stelle nicht darum gehen, eine Beweisaufnahme stattfinden zu lassen und die Nachhaltigkeitsfaktoren des nach wie vor auf Verbrennungsmotoren basierenden Verkehrssektors, der Kohleverstromung oder des stetig ansteigenden Luftverkehrs nachzurechnen. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich darauf, die verfas-

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2. Verursacherprinzip Gegenstand des Verursacherprinzips ist die Beseitigung von Umweltschäden und die Verteilung der Kosten, die durch die Umweltnutzung entstehen. Es besagt, dass derjenige, der eine Umweltbelastung verursacht, die rechtliche, tatsächliche und finanzielle Verantwortung für diese trägt.1616 a) Rechtsvergleich Das Verursacherprinzip ist nicht ausdrücklich im Grundgesetz verankert.1617 Auch aus dem Wortlaut des Art. 20a GG ergibt sich kein solches.1618 In den Verfassungen anderer Staaten hingegen findet sich das Verursacherprinzip ausdrücklich niedergelegt. Die Verfassung von Azerbaijan enthält in Art. 78 eine generelle Umweltpflichtigkeit jedes Einwohners, die das Verursacherprinzip vollständig mit umfasst. Eine solche generelle Umweltpflichtigkeit enthält auch die Verfassung Äthiopiens (Art. 92 Abs. 4), Brasiliens (Art. 225 Abs. 1 S. 2),1619 Bulgariens (Art. 55 S. 2), der Republik Kongo (Art. 65), Kroatiens (Art. 69 Abs. 3), Kubas (Art. 27 Abs. 2), Finnlands (Art. 20 Abs. 2), Georgiens (Art. 37 Abs. 3 S. 1), des Iran (Art. 50 S. 2), Litauens (Art. 53 Abs. 3), Mazedoniens (Art. 43 Abs. 2), Madagaskars (Art. 39), der Mongolei (Art. 17 Abs. 2), der Slovakei (Art. 44 Abs. 2), Serbiens (Art. 74 Abs. 3), Südkoreas (Art. 35 Abs. 1 S. 2), Vietnams (Art. 29 Abs. 2) und der Türkei (Art. 56 Abs. 2). Eine generelle Umweltpflichtigkeit geht einerseits über das Verursacherprinzip hinaus, indem es die Verantwortung des sungsrechtlichen Strukturen herauszuarbeiten, die im Einzelfall mit den Erkenntnissen der anderen Wissenschaften „gefüllt“ werden müssen. 1616 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 46; Dederer, in: HStR XI, § 248 Rn. 78; Murswiek, ZRP 1988, 14 (19); Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1177); Schenke, in: HGR III, § 78 Rn. 58; Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 11; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 126; Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 28. 1617 Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 185; Krings, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20a, Rn. 41. 1618 So auch Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 185; Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 49; Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 51; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (2); Waechter, NuR 1996, 321 (327). A. A. Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 35; Murswiek, in: Umweltverfassungsrechtsvergleich, S. 90. Differenzierend Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 69. Teilweise wird auch eine allgemeine Umweltpflichtigkeit aus Art. 20a GG abgeleitet, vgl. Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 21 ff.; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 95. 1619 Siehe hierzu auch die rechtsvergleichende Untersuchung bei Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 98.

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Einzelnen für die Umwelt unabhängig von seinem Verursacheranteil begründet. Andererseits bleibt die allgemeine Umweltpflicht hinter dem Verursacherprinzip zurück, da bei ersterer eben kein konkreter Verantwortlicher bestimmbar ist. Man wird kaum annehmen können, dass aufgrund einer allgemeinen Umweltpflichtigkeit jeder einzelne Bürger im Rahmen einer gesamtschuldnerischen Haftung für alle vorhandenen Umweltschäden zur Verantwortung gezogen werden kann. Eine generelle Umweltpflichtigkeit birgt deshalb die Gefahr, umweltrechtlicher Verantwortungsdiffusion Vorschub zu leisten.1620 Die allgemeine Umweltpflichtigkeit aller Bürger bedeutet deshalb die verfassungsrechtliche Adelung des Gemeinlastprinzips und damit das Gegenteil des Verursacherprinzips.1621 Es ist jedoch davon auszugehen, dass die Bestimmungen zur Umweltpflichtigkeit in die Verfassungen aufgenommen wurden, um den Umweltschutz zu stärken und nicht, um die Verursacher von der Kostentragung freizustellen.1622 Eine gesetzgebungstechnische Besonderheit enthält die französische Verfassung, die in ihrer Präambel auf mehrere Rechtstexte verweist, die als Teil der Verfassung anzusehen sind. Darunter die Umweltcharta aus dem Jahr 2004, die in Art. 2 eine generelle Umweltpflichtigkeit jedes Einwohners enthält, in Art. 3 eine Schadensvermeidungspflicht und in Art. 4 eine Beseitigungs- und Ausgleichspflicht des Verursachers. Ausdrücklich niedergelegt ist das Verursacherprinzip in Art. 74 Abs. 2 S. 2 der Verfassung der Volksrepublik Chinas, Art. 21 Abs. 2 des zweiten Teils der Verfassung Ungarns, Art. 8 Abs. 3 S. 2 der Verfassung Paraguays und Art. 74 Abs. 2 S. 2 der Schweizer Verfassung. Art. 41 Abs. 1 S. 2 der Verfassung Argentiniens enthält den Grundsatz, dass die Schädigung der Umwelt die Verpflichtung mit sich bringt, diese Schäden zu beseitigen, wobei Näheres durch einfaches Gesetz zu regeln ist. Eine solche unter Regelungsvorbehalt stehende Beseitigungspflicht des Schadensverursachers enthält auch Art. 50 der Verfassung von Costa Rica, Art. 53 S. 2 der Verfassung Estlands, Art. 86 der Verfassung Polens und Art. 72 Abs. 3 der Verfassung Sloweniens.1623 In Art. 8 Abs. 1 S. 2 der Verfassung Armeniens findet sich ein genereller Vorbehalt der Eigentumsgarantie, der die Verursachung von Umweltschäden aus der Nutzungsfreiheit des Eigentümers herausnimmt. Aus dem Verbot der Verursachung von Umweltschäden lässt sich eine Ausgleichs- und Schadensbeseitigungspflicht für den Fall ableiten, dass die Umwelt dennoch durch die Eigentumsnutzung geschädigt wird. Eine entsprechende Regelung findet sich in Art. 44 Abs. 3 der Verfassung Weißrusslands, Art. 33 Abs. 2 der Verfassung Tschetscheniens, 1620

Fernow, Der Klimawandel im Zeitalter technischer Reproduzierbarkeit, S. 89. Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 15; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 131 f. 1622 Angelin, Recht auf gesunde Umwelt in Brasilien und Deutschland, S. 98. 1623 Nowacki, in: FS für Stern 80, S. 1133. 1621

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Art. 67 Abs. 1 der Verfassung Sloweniens, Art. 20 Abs. 3 S. 3 der Verfassung der Slowakei und der Art. 41 Abs. 6 der Verfassung Rumäniens. Teilweise wird im Rahmen der Verfassungsexegese aus dem Umweltgrundrecht des Art. 24 der Verfassung Südafrikas das Verursacherprinzip abgeleitet.1624 Die Verfassung Brasiliens statuiert in Art. 170 Abs. 0 [sic!] Nr. VI eine Pflicht der Wirtschaft, den Umweltschutz zu berücksichtigen. In Art. 225 wird diese Pflicht konkretisiert, unter anderem mit einer ausdrücklichen Schadensbeseitigungspflicht bei der Ausbeutung natürlicher Ressourcen (Art. 225 Abs. 2 der Verfassung Brasiliens) und einer generellen Schadensbeseitigungspflicht, wenn der Umweltschaden einen Straftatbestand erfüllt (Art. 225 Abs. 3 der Verfassung Brasiliens). Eine auf die Ausbeutung natürlicher Ressourcen beschränkte Ausgleichspflicht enthält auch Art. 186 Abs. 4 lit. c der Verfassung der Fiji-Inseln. Ein Recht auf Ausgleich erlittener Schäden durch Umweltverschmutzung enthält Art. 70 Abs. 2 der Verfassung Kenias und Art. 42 der Verfassung Russlands. Allerdings richtet sich der Anspruch auf Ausgleich zunächst gegen den Staat, womit zumindest auf verfassungsrechtlicher Ebene das Verursacherprinzip nicht ausdrücklich festgeschrieben ist, sondern nur das Ausgleichsprinzip. Auch die meisten übrigen Länder enthalten lediglich eine an den Staat gerichtete Umweltschutzpflicht, die zumeist ähnlich wie die deutsche Staatszielbestimmung ausgestaltet ist. Eine Ausnahme bilden Länder des anglo-amerikanischen Rechtskreises, die in der Regel keine verfassungsrechtlichen Bestimmungen zum Umweltschutz enthalten. Dies mag in der generell unterschiedlichen Funktionsweise dieses Rechtssystems begründet liegen. Es gibt keine auffällige Proportionalität von verfassungsrechtlich verankertem Umweltschutzniveau und tatsächlichem Umweltschutzniveau in einem Staat. Regelungen zum Umweltschutz und zum Verursacherprinzip sind über die verschiedenen Kulturkreise und Kontinente hinweg in etwa gleich verteilt. Jüngere Verfassungen (etwa seit 1990) enthalten sowohl deutlich häufiger wie auch stärkere Umweltbezüge als ältere Verfassungen. Es ist daher festzustellen, dass auch wenn das Verursacherprinzip nicht überall verfassungsrechtlich verankert ist, es sich gleichwohl auf dem Vormarsch befindet und gerade jüngere Verfassungen diesen Aspekt der umweltbezogenen Verteilungsgerechtigkeit besonders betonen. b) Landesverfassungsrechtliche Regelungen Die Verfassungen der meisten Länder enthalten Vorschriften zum Umweltschutz – einige setzen dabei auch das Verursacherprinzip fest. Die bayerische Verfassung enthält verhältnismäßig umfangreiche Regelungen zum Natur- und Umweltschutz. Nach Art. 141 Abs. 1 S. 1 BayVf ist der Schutz 1624

Heinicke, in: International – Europäisch – Regional, S. 27 m.w. N.

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der natürlichen Lebensgrundlagen der Fürsorge jedes Einzelnen anvertraut. In Satz 3 folgt die Regelung, dass mit Naturgütern schonend und sparsam umzugehen ist. Art. 141 Abs. 3 S. 2 BayVf verpflichtet jedermann mit Natur und Landschaft pfleglich umzugehen. Aus der Gesamtschau dieser Bestimmungen lässt sich ableiten, dass dem Einzelnen Verantwortung für die Umwelt zukommt, insbesondere dann, wenn er sie nutzt. Diese Verantwortung umfasst zunächst ein Schonungsgebot und in zweiter Stufe, bei unvermeidbaren Umweltbelastungen, eine Folgenbeseitigungspflicht. Wo die Folgenbeseitigung nicht möglich ist, wird man im Zuge eines Erst-Recht-Schlusses eine Ausgleichspflicht statuieren müssen. In ähnlicher Weise enthält die Verfassung des Landes Sachsen-Anhalt in Art. 35 Abs. 2 SAnhVf die Verpflichtung jedes Einzelnen, zum Umweltschutz beizutragen und darauffolgend in Absatz 3 das Umweltschonungsgebot, die Beseitigungs- und Ausgleichspflicht. Inhaltlich entsprechen diese verfassungsunmittelbaren Bürgerpflichten den Maßgaben des Verursacherprinzips. Die Verfassung des Saarlands statuiert in Art. 59a Abs. 1 S. 1 SarlVf den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen nicht nur als Pflicht des Staates, sondern auch jedes Einzelnen. Ähnlich auch in der Verfassung des Freistaates Sachsen, in der der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen als Verpflichtung aller im Land in Art. 10 Abs. 1 S. 1 SaVf festgelegt ist. In Art. 10 Abs. 1 S. 3 SaVf findet sich ein an den Staat gerichtetes Gebot, auf die Ressourcenschonung hinzuwirken, jedoch kein allgemeines Ausgleichsprinzip. Ein ausdrückliches Ausgleichsprinzip findet sich hingegen in den Verfassungen Brandenburgs und Thüringens, die aber lediglich die Pflicht des Landes und der Gebietskörperschaften begründet, auf Schadensbeseitigung und Ausgleich hinzuwirken, vgl. Art. 39 Abs. 4 BbgVf, Art. 31 Abs. 2 S. 3 ThüVf. Die Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern beschränkt sich hingegen auf einen an jedermann gerichteten Appell zur Verwirklichung der Naturschutzziele beizutragen, so Art. 12 Abs. 3 S. 1 MVVf. Die Verfassungen der Länder Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hessen, Niedersachsen, NordrheinWestfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein enthalten den Staat verpflichtende Zielbestimmungen, die mit der des Grundgesetzes im Wesentlichen vergleichbar sind, vgl. Art. 3a Abs. 1 BaWüVf, Art. 31 Abs. 1 BerlVf, Art. 65 Abs. 1 BremVf, Art. 26b HessVf, Art. 1 Abs. 2 NdsVf, Art. 29a Abs. 1 NRWVf, Art. 51 S. 2 RhPfVf, Art. 11 SHVf. Die Hansestadt Hamburg erwähnt den Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen lediglich in der Präambel ihrer Verfassung. Freilich kommt diesen Regelungen nicht nur wegen ihres zumeist appellhaften Charakters, sondern vor allem wegen Art. 31 GG nur eingeschränkte praktische Bedeutung zu. Sie zeigen aber, dass das Verursacherprinzip dem deutschen Verfassungsrecht auf Landesebene nicht fremd ist und die dahinterstehende Idee der Verteilungsgerechtigkeit anhand der Verursachungsbeiträge vor allem in den jün-

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geren Verfassungen der neuen Länder auf Zustimmung stößt. Es lässt sich daher ein stattfindender Prozess des verfassungsrechtlichen Wandels konstatieren, der dahingeht, eine zumindest beschränkte Umweltpflichtigkeit des Einzelnen anzunehmen, die auf eine Schadensbeseitigungs- und Ausgleichspflicht der Umweltnutzer hinausläuft. c) Ableitung durch erweiterte Verfassungsexegese Teile der Literatur statuieren das Verursacherprinzip auch als verfassungsrechtliches Gebot des Grundgesetzes, obwohl der Textbefund zunächst negativ ausfällt.1625 Bisher nicht durchzusetzen vermochte sich der Vorschlag, schon auf tatbestandlicher Ebene die „individuelle Freiheit mit einer Verantwortlichkeit für die sich aus der Wahrnehmung eben dieser Freiheit ergebenden Folgen [zu] verknüpf[en]“.1626 Daneben ist die These anzutreffen, es sei aus der „Herausbildung einfachgesetzlicher Grundstrukturen des Umweltrechts“ in Verbindung mit den verfassungsrechtlichen Generalklauseln „eine Art umweltrechtliche Teilverfassung entstanden [. . .], die zwischen dem Grundgesetz und dem einfache[n] Recht anzusiedeln“ sei.1627 Das Vorsorgeprinzip sei Teil dieser umweltrechtlichen Grundstrukturen und damit quasi Verfassungsrecht. Gegen diese Auffassung spricht jedoch, dass gerade das einfache Recht dafür kritisiert wird, das Verursacherprinzip nicht flächendeckend umzusetzen weil vielerorts Umweltbelastungen immer noch von der Allgemeinheit getragen werden (Gesamtlastprinzip).1628 Es wäre demnach zirkelschlüssig, aus dem (lückenhaften) einfachen Recht eine verfassungsrechtliche Vorgabe für die Schließung dieser in erster Linie bestehenden Lücken ableiten zu wollen. Vielversprechender scheint eine Parallele zum Polizeirecht. Hier gilt es als anerkannter Grundsatz, dass Gefahrenabwehrmaßnahmen primär gegen den Verursacher der Gefahr zu richten sind und ein Nicht-Störer nur ausnahmsweise, vor allem wenn Maßnahmen gegen den Störer keinen Erfolg versprechen, herangezo1625 Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 64; Murswiek, in: Umweltverfassungsrechtsvergleich, S. 91; Schwabenbauer, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 169; wohl auch Czybulka, Potchefstroom Electronic Law Journal Vol 2, No 1 1999 (11); Hippel, ZRP 2001, 145 (148). 1626 Susnjar/Greiser, DVBl. 2018, 1329 (1336); ähnlich Ekardt, ZUR 2015, 579 (585); Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1109); Ekardt, in: Schlacke, Umwelt- und Planungsrecht, S. 33; in eine ähnliche Richtung, aber deutlich hinter einer umfassenden Umweltpflichtigkeit Privater zurückbleibend Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 65. 1627 Appel, in: Koch, Umweltrecht, § 2 Rn. 143. 1628 Hippel, ZRP 2001, 145 (148); Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 48; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 50.

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gen werden darf.1629 Dieser Grundsatz wird nicht nur mit der pragmatischen Überlegung begründet, dass die Heranziehung des Störers zur Gefahrenbeseitigung regelmäßig der geeignetste Weg ist, sondern auch mit den grundrechtlichen Positionen der Beteiligten. Es kommt hier eine Wechselwirkung von grundrechtlicher Schutzpflicht und Abwehrrecht zu tragen.1630 Dem Träger des gefährdeten Rechtsgutes ist der Staat aufgrund seiner ihm zukommenden Schutzpflicht zum Beistand verpflichtet. Die Lasten eines fremdschädigenden Verhaltens dem Betroffenen aufzuerlegen, würde gerade die Nichtbefolgung der Schutzpflicht bedeuten. Dem Störer die Drittschädigung zu verbieten, tangiert ihn in seinen freiheitsschützenden Abwehrrechten. Die Pflicht zur Schadensbeseitigung und Kostentragung stellt sich regelmäßig als milderes Mittel gegenüber dem Verbot dar. Das Verursacherprinzip ergibt sich demnach weniger aus einem bestimmten Grundrecht, als aus der abstrakten gemeinsamen Struktur der grundrechtlichen Drittwirkungsfälle, in denen sich Schutzpflichtenkonstellationen typischerweise1631 abspielen. Anders als die Thesen, die das Verursacherprinzip als Schutzbereichsverengung der Grundrechte verstanden wissen oder jede Freiheitsbetätigung bereits tatbestandlich mit der Folgenverantwortlichkeit verknüpft sehen wollen, setzt die hier vertretene Lösung auf Rechtsfolgenebene an. Dort wo die kollidierenden grundrechtlich geschützten Interessen miteinander in Ausgleich gebracht werden, ergibt sich das Verursacherprinzip als Ausfluss aus den Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der praktischen Konkordanz. Es stellt damit kein speziell umweltrechtliches Prinzip dar, sondern ein verfassungsimmanentes Prinzip, das die gesamte Rechtsordnung überlagert und in anderen Rechtsgebieten wie dem Polizeirecht, dem zivilrechtlichen Schadensersatzrecht oder dem Staatshaftungsrecht schon so selbstverständlich ist, dass es dort keiner gesonderten Hervorhebung mehr bedarf. Im Umweltrecht sticht es deshalb heraus, weil es bis dato nur unzureichend umgesetzt wurde. 3. Effektivitätsgebot Die geschaffenen Instrumente müssen hinreichend effektiv sein.1632 Es ist vorgeschlagen worden, für die Überprüfung der Schutzpflichtenerfüllung eine an das Verhältnismäßigkeitsprinzip angelehnte Prüfung zu etablieren, die, bei ansonsten 1629 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 45; Selmer, JuS 1992, 97 (97); diesen polizeirechtlichen Grundsatz in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 GG auf das Abfallrecht übertragend Becker, in: Stern/Becker GG, Art. 14, Rn. 217. 1630 Selmer, JuS 1992, 97 (99); Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 84. 1631 Aber nicht notwendigerweise, siehe hierzu die Ausführungen über Naturkatastrophen und andere Fälle außerhalb der typischen Dreieckskonstellation, 2. Kapitel B. II. – „Wirkung außerhalb eines klassischen Dreiecksverhältnisses“. 1632 Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 10, Rn. 40; Klein, JuS 2006, 960 (961); Murswiek, in: Umweltverfassungsrechtsvergleich, S. 92; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 656 f.

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identischen Voraussetzungen, statt der Erforderlichkeit der Maßnahme die Effektivität der Maßnahme prüft.1633 Steht eine alternative Maßnahme zur Verfügung, die die dem Schutz entgegenstehenden Interessen gleichermaßen wahrt, die Schutzinteressen jedoch weniger beeinträchtigt, ist diese Maßnahme als effektiver anzusehen.1634 Durch die Überprüfung der Effektivität einer Maßnahme wird nicht überprüft, ob ein stärkerer Eingriff in das Abwehrrecht verlangt werden kann, sondern ob bei gleicher Eingriffsintensität ein höherer Schutz zu erreichen wäre. So verstanden würde das Effektivitätsgebot über sich hinauswachsen und zu einem Effizienzgebot.1635 Diese vom Effektivitätsgebot zu unterscheidende Effizienzprüfung funktioniert nur, wenn das verfassungsrechtlich vorgegebene Umweltschutzniveau noch nicht erreicht ist. Nur dann kann eine Steigerung des Schutzniveaus überhaupt verlangt werden. Unter dieser Schwelle darf der Gesetzgeber auch ineffiziente, gleichwohl hinreichend effektive Maßnahmen wählen. Gesetzgebung beschränkt sich nicht nur auf ein Austarieren von Grundrechten. Ansonsten wäre das einfache Recht vollständig durch die Grundrechte vorgegeben und müsste nur durch Interpretation aus diesen gewonnen werden.1636 Der Gesetzgeber hat auch das Recht, einen niedrigeren Schutzstandard anzusetzen als möglich wäre, auch wenn dem keine konkurrierenden Grundrechte entgegenstehen, denn es dürfen auch Belange in die Gesetzgebung mit einfließen, die nicht grundrechtlich vorgezeichnet sind; sei es aufgrund ästhetischer, kultureller, politischer oder ethischer Neigung des jeweiligen Gesetzgebungsorgans. Eine Maßnahme darf deshalb auch weniger effektiv sein, als möglich wäre, solange sie insgesamt das erforderliche Mindestmaß an Umweltschutz gewährleistet.1637 Das Effektivitätsgebot liefert weniger eine Aussage über das verfassungsrechtlich vorgegebene Umweltschutzniveau, es zeigt vielmehr den Maßstab auf, mit dem die Erfüllung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten bewertet wird. Bei der Schutzpflichtenerfüllung kommt es nicht darauf an, ob es sich um die beste Maßnahme handelt, sondern nur dass im Ergebnis das gebotene Schutzniveau verwirklicht wird. Effektivität meint die Zielerreichung, nicht den Weg dorthin.1638 Letzterer ist vom zuständigen staatlichen Organ selbst zu wählen und wird anhand des Effektivitätsprinzips vom Ergebnis her bewertet. 1633 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 303; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1038); Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 135; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 209. 1634 Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 209. 1635 Zur Unterschiedung Sommermann, in: Ius Publicum Europaeum V, § 86 Rn. 43. 1636 Auch Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 135 f. weist zutreffend darauf hin, dass dem Gesetzgeber kaum mehr eine Einschätzungsprärogative verbliebe, würde man das Effektivitätsgebot als Effizienzgebot interpretieren. 1637 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 261. 1638 Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 56.

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Das heißt jedoch nicht, dass eine Überprüfung am Effektivitätsgebot den handelnden Staatsorganen hinsichtlich des einzuschlagenden Wegs völlig freie Hand lassen würde, solange das grundrechtlich intendierte Ergebnis erreicht wird. Bei komplexen Sachverhalten, wie sie im Umweltrecht regelmäßig auftreten, ist nicht nur auf die gerügte Verletzung des Grundrecht abzustellen, sondern ebenso das Zusammenspiel mit den anderen Grundrechtsfunktionen und Gewährleistungsgehalten zu berücksichtigen. Maßnahmen dürfen sich nicht gegenseitig konterkarieren. Auch können Maßnahmen zur Verwirklichung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten mit sich selbst in Widerspruch geraten. Aus diesem Grund wurde für den Bereich des Umweltrechts aus dem Effektivitätsgebot das Integrationsprinzip als umweltschutzspezifische Konkretisierung entwickelt.1639 Durch das Integrationsprinzip wird eine ganzheitliche Betrachtungsweise der Umwelt-Mensch-Beziehung angestrebt.1640 Anders als beim separativen Ansatz werden bei der Maßnahmenfestsetzung die einzelnen Umweltmedien nicht nur isoliert betrachtet, sondern in ihrer Wechselwirkung.1641 Damit sollen Verlagerungs- und Rückkopplungseffekte bei Schutzmaßnahmen vermieden werden. Auch die Bekämpfung von Umweltschäden soll nach dem integrativen Ansatz möglichst weit vorverlagert werden – die Schadensprävention der Schadensbeseitigung vorgezogen werden. So setzt die Vermeidung von Bodenverschmutzungen durch eine Abfalldeponie nicht erst bei der Gestaltung der Anlage an, sondern bei der Erzeugung und Vermarktung der Stoffe, die später der Deponie zugeführt werden.1642 Auch genügt es nicht, Rechtspflichten festzulegen, die mangels Vollziehbarkeit ohne Wirkung, also ineffektiv, bleiben. So würde eine behördliche Aufsichtspflicht ins Leere gehen, wenn zum Vollzug vorgesehene Organe nicht mit den nötigen Befugnissen ausgestattet wären, um diese zu erfüllen. 4. Fazit Prinzipien sind keine unbedingt zu beachtenden absoluten Grenzen des Rechts, sondern Maßstäbe der Entscheidungsfindung, Abwägungsbelange und Argumentationsmuster, die mit anderen solchen in Konkurrenz stehen und sich beständig aneinander messen lassen müssen. Nur in Einzelfällen wird es möglich sein, kon1639 Grambow, Nachhaltige Wasserbewirtschaftung, S. 82 sieht das Integrationsprinzip hingegen als einen Ausfluss des Nachhaltigkeitsprinzips, welches er als übergeordnet betrachtet. Kloepfer, in: BonnK GG, Art. 20a, Rn. 48; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 20 deutet das Integrationsprinzip als mittlerweile eigenständiges, viertes Grundprinzip des Umweltrechts. 1640 Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 4 Rn. 20 f.; Schlacke, Umweltrecht, § 3 Rn. 2. 1641 Durch das Integrationsprinzip wirken Umweltbelange in andere, lange Zeit autonome und zum Teil ältere Rechtsgebiete, wie das Agrarrecht, hinein, hierzu Köck, ZUR 2019, 67 (73), oder für das Jagdrecht Weinrich, NuR 2019, 314 (316). 1642 Kloepfer, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 106.

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krete Maßnahmen aus den Prinzipien abzuleiten. In den meisten Fällen lässt sich lediglich prüfen, ob die geltenden Prinzipien hinreichend Beachtung im Entscheidungsfindungsprozess gefunden haben.

IV. Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht Hat der Gesetzgeber eine Regelung getroffen, die zu diesem Zeitpunkt der Schutzpflicht genügt, kommt ihm gegebenenfalls eine Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht zu, sobald sich die tatsächlichen Gegebenheiten ändern.1643 Das Bundesverfassungsgericht führt dazu aus: „Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehenden Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist.“ 1644

Angesichts der umfangreichen Regelungsfülle im Umweltrecht kommt der Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht bestehender Gesetze eine höhere Bedeutung zu als die Pflicht zur Schaffung originärer, gänzlich neuer Gesetze.1645 Die Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht war in mehreren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht von Relevanz1646 und wurde in der Literatur breit rezipiert,1647 womit sie sich zu einem festen, eigenständigen Institut im Kanon der Dogmatik grundrechtlicher Schutzpflichten entwickelt hat. 1643 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (335) [Mitbestimmung]. 1644 Erstmals BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (130) [Kalkar I]; seit dem st. Rspr., vgl. statt vieler BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (72) [Schallschutzmaßnahmen] m.w. N. 1645 Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 152. 1646 BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1709) [Volkszählung 2011]; BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 23.05.2018 – 1 BvR 97/14, 1 BvR – BeckRS, 17604 Rn. 81 [Hofabgabe]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (994) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (309) [Schwangerschaftsabbruch II]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (79) [Fluglärm I]; BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (335) [Mitbestimmung]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (130) [Kalkar I]; ebenso das Bundesverwaltungsgericht, vgl. BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 (59) [Nachtflugverbot]. 1647 Clérico, in: Sieckmann, Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 164; Ekardt, ZUR 2015, 579; Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1110); Ekardt/Susnjar, JbUTR 2007, 277 (308); Gassner, DVBl. 2013, 547 (550); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 261; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 287; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 270; Ladeur, Recht – Wissen – Kultur, S. 91;

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

1. Überprüfungspflicht Während aus der Rechtswissenschaft das Diktum stammt, dass der Gesetzgeber nicht mehr schulde, als lediglich das Gesetz,1648 ergeben sich aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Teil weitergehende Pflichten: „Der Gesetzgeber ist bei der Entwicklung eines neuen Schutzkonzepts nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Erfahrungen der bisherigen Rechtspraxis zu bewerten und hieran sein Schutzkonzept auszurichten.“ 1649 Die Überwachungspflicht ergibt sich nicht nur aus dem Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 Hs. 1 GG,1650 sondern auch unmittelbar aus den grundrechtlichen Gewährleistungsgehalten.1651 Die Erfüllung der Überwachungspflicht muss zumindest im Ansatz nachvollziehbar sein.1652 Diese Gewährleistung von Nachvollziehbarkeit muss zwar nicht auf einem bestimmten, aber dennoch auf einem geeigneten Wege geschehen.1653 Das Bundesverfassungsgericht hält bei verbleibenden Zweifeln über die Effektivität eines Gesetzes „etwa Vorkehrungen in Gestalt einer wissenschaftlichen Begleitung oder Evaluationen des Gesetzesvollzugs [für] erforderlich“.1654 Es fordert nicht, dass „generell eine fortlaufende Kontrolle der Gesetze durch den Gesetzgeber“ erfolgt.1655 Vielmehr genüge es, wenn Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 189; Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 258; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1031); Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 184 ff.; Pietrzak, JuS 1994, 748 (752); Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes,; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung,; Schulze-Fielitz, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 120; Staben, Der Abschreckungseffekt auf die Grundrechtsausübung, S. 171; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 172; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 93; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 151; Voland, NVwZ 2019, 114 (119); Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (557); Wollenteit/ Wenzel, NuR 1997, 60 (64). 1648 Statt vieler Wallerath, in: FS für Schröder 70, S. 399 m.w. N. Zu den Zweifeln an der absoluten Gültigkeit dieser These, siehe bereits oben 3. Kapitel – B. II. 1. c) ff) – „Begründungserfordernis“. 1649 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (265) [Schwangerschaftsabbruch II]; in diese Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007 – 1 BvR 382/05 – BVerfGK 10, 208 (221) [Schutz gegen Mobilfunk]; BVerfG, Urteil vom 16.03.2003 – 1 BvR 1778/01 – BVerfGE 110, 141 (169) [Kampfhunde]. 1650 Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (411). 1651 BVerfG, Urteil vom 16.03.2003 – 1 BvR 1778/01 – BVerfGE 110, 141 (169) [Kampfhunde]; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 98. 1652 So auch Mann, in: Sachs GG, Art. 80, Rn. 32, der die oft mangelnde Transparenz speziell im Verordnugnsgebungsverfahren für verfassungswidrig hält. 1653 Schulze-Fielitz, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 121. 1654 BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1708) [Volkszählung 2011]. 1655 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (310) [Schwangerschaftsabbruch II]; anders Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestim-

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er sich in zeitlichen Abständen in angemessener Weise – beispielsweise durch periodische Berichte der Bundesregierung – unterrichten lasse, ob das Gesetz die Schutzerwartungen erfülle. In Bezug auf die Überprüfung der Fluglärmgrenzwerte sah es das Bundesverfassungsgericht beispielsweise als genügend an, wenn der Gesetzgeber die Bundesregierung zur Evaluation im Zehnjahres-Turnus verpflichtet und sich entsprechend Bericht erstatten lässt.1656 Für den Zustand der Umwelt im Gesamten hat der Gesetzgeber in § 11 UIG eine Verpflichtung der Bundesregierung festgelegt, spätestens alle vier Jahre einen Zustandsbericht über die Umwelt im Bundesgebiet zu veröffentlichen. Doch auch außerhalb eines solchen Turnus darf sich der Gesetzgeber neuen Erkenntnissen nicht verschließen.1657 Liegen hinreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die der Gesetzgebung zugrundeliegenden Verhältnisse geändert haben oder eine ursprüngliche Prognose fehlerhaft ist, ist eine erneute Überprüfung auch außerhalb dieses Turnus verpflichtend.1658 Eine strengere Beobachtungspflicht besteht vor allem dann, wenn der Gesetzgeber sich zur Zeit des Erlasses noch kein hinreichend zuverlässiges Urteil über die Voraussetzungen und Auswirkungen der Regelung machen konnte,1659 weil etwa noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Quellen vorlagen.1660 Andererseits genügt der „bloße Hinweis auf vereinzelt bleibende Warnungen [. . .] nicht, um eine gesteigerte staatliche Untersuchungs- oder gar Widerlegungspflicht anzunehmen“.1661 Die Besorgnis muss zumindest substantiiert und schlüssig dargelegt werden,1662 damit es den staatlichen Stellen möglich ist, „relevante Warnungen, denen sie prinzipiell nachzugehen haben, von irrelevanten hypothetischen Prophezeiungen zu unterscheiden“.1663

mungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 161, die von einer „allumfassende Beobachtungspflicht“ ausgeht, die sich aus der Schutzpflichtendimension der Grundrechte ableite. 1656 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 1558 Rn. 50 [Flughafen Berlin-Schönefeld]. 1657 BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1708) [Volkszählung 2011]. 1658 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (310) [Schwangerschaftsabbruch II]. 1659 BVerfG, Urteil vom 16.03.2003 – 1 BvR 1778/01 – BVerfGE 110, 141 (158) [Kampfhunde]. 1660 BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]. 1661 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (64) [CERN]. 1662 BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (215) [Chemiewaffen]. 1663 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (64) [CERN].

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Die Überprüfungs- und Beobachtungspflicht ist – im Gegensatz zur Nachbesserungspflicht1664 – nicht eigenständig justiziabel, da sie keine subjektiven Rechte vermittelt.1665 Auch in einem objektiven Verfahren wird man in einer Verletzung der Überwachungspflicht keinen eigenständigen Rechtsverstoß erblicken können, wenn nicht auch die Regelung selbst materiell verfassungswidrig geworden ist. Es handelt sich bei der Überprüfungs- und Beobachtungspflicht vielmehr um eine Obliegenheit des Gesetzgebers, deren Verletzung zu einer strengeren inhaltlichen Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht führen kann.1666 Hat der Gesetzgeber entgegen seiner Beobachtungspflicht die notwendigen Daten zur Beurteilung der Wirkung eines Gesetzes nicht ordnungsgemäß erhoben,1667 gehen verbleibende Zweifel, die aufgrund der vernachlässigten Überwachungspflicht bestehen, zu Lasten des Staates und nicht des Grundrechtsträgers.1668 2. Nachbesserungspflicht Anders als die Überprüfungs- und Beobachtungspflicht des Gesetzgebers ist die Nachbesserungspflicht und deren Außerachtlassung grundsätzlich justiziabel. Die Nachbesserungspflicht ist die Kehrseite des Prognosespielraums.1669 Die umfangreiche Einschätzungsprärogative, die dem Gesetzgeber bezüglich der prognostischen Abschätzung gewährt wird, wirkt nicht fort, wenn die ursprüngliche Prognose durch eine von der Erwartung abweichenden Realität überholt wird (prognostischer Fehlschlag).1670 Ein Gesetz, das auf einer Prognose beruht, ist immer zugleich ein Experiment. Schlägt dieses fehl, schrumpft die Experimentierfreiheit des Gesetzgebers.1671 Durch die sich ständig im Wandel befindliche Welt und die Unmöglichkeit, absolut verlässliche Aussagen über die Zukunft zu treffen, ergibt sich aus den nach Art. 20 Abs. 3 Hs. 1 GG den Gesetzgeber bindenden Grundrechten die legislative Pflicht, „das Recht zu verändern und stetig zu verbessern“.1672 1664 BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 (59) [Nachtflugverbot]. 1665 BVerfG, Beschluss vom 23.05.2018 – 1 BvR 97/14, 1 BvR – BeckRS, 17604 Rn. 82 [Hofabgabe]. 1666 Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (412). 1667 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (310) [Schwangerschaftsabbruch II]. 1668 Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 45a. 1669 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 270. 1670 BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1709) [Volkszählung 2011]; Schulze-Fielitz, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 120. 1671 Appel, in: FS für Koch, S. 458; Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 187; Schulze-Fielitz, in: Parlamentarische Souveränität und technische Entwicklung, S. 121. Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 172 spricht insofern von einer „Verpflichtung [des Gesetzgebers zur] Lernfähigkeit“. 1672 Kirchhof, in: HStR VIII, § 181 Rn. 14.

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Eine fehlerhafte Prognose alleine führt jedoch noch nicht automatisch zur Aktivierung der Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers. Zwar darf die ursprüngliche Prognose der Bewertung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht mehr zugrunde gelegt werden, jedoch ist es möglich, dass die veränderte Prognose das Gesetz weiterhin trägt. Dieser Umstand erklärt sich daraus, dass die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers sich nicht nur auf die notwendigen prognostischen Entscheidungen bezieht, sondern beispielsweise auch auf die Gewichtung grundrechtlich geschützter Interessen. In diesem Rahmen kommt ihm ein Gestaltungsspielraum zu, in dem ihm durch die Grundrechte auch bei eindeutiger Faktenlage, also ohne Vorliegen einer prognostischen Unsicherheit, kein einzig richtiges Ergebnis vorgegeben ist.1673 Das Nachbesserungsrecht verdichtet sich erst zur Nachbesserungspflicht, wenn „das Gesetz das von der Verfassung geforderte Maß an Schutz nicht zu gewährleisten vermag“.1674 Einer fehlerhaften Prognose insofern gleichgestellt ist die nachträgliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, auf die das Gesetz einwirkt. Haben sich diese grundlegend gewandelt, kann dies dazu führen, dass die ursprüngliche Einschätzung des Gesetzgebers korrigiert werden muss.1675 3. Prüfungsdichte der Überwachungspflicht Neue wissenschaftliche Erkenntnisse müssen nach der Fluglärm-Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,1676 die vom Bundesverfassungsgericht so bisher gebilligt wurde, „erst dann zu Grunde gelegt werden, wenn sie sich in der wissenschaftlichen Diskussion durchgesetzt haben“.1677 Solange eine Frage in der Wissenschaft noch kontrovers diskutiert werde, könne die Schwelle zur Schutzpflicht noch nicht überschritten sein.1678 Mag die Entscheidung in Bezug auf das konkrete Verfahren im Ergebnis überzeugen, so sind an der Allgemeingültigkeit dieser Aussage Zweifel angebracht. In Rede standen in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die durch Fluglärm entstehenden Gesundheitsschädigungen. Im Detail sind die Auswirkungen auf die körperliche Unver1673 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (81) [Fluglärm I]. 1674 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (309) [Schwangerschaftsabbruch II]; von einer „verfassungsrechtlich untragbar geworden[en] Situation“ ausgehend BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007 – 1 BvR 382/05 – BVerfGK 10, 208 211 f. [Schutz gegen Mobilfunk]. 1675 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (310 f.) [Schwangerschaftsabbruch II]. 1676 BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 (59) [Nachtflugverbot]. 1677 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]. 1678 BVerwG, Urteil vom 13.10.2011 – 4 A 4001.10 – BVerwGE 141, 1 (59) [Nachtflugverbot].

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

sehrtheit umstritten, jedoch bewegen sich die prognostischen Einschätzungen der Schädlichkeit von Fluglärm in einem Rahmen, der vergleichsweise harmlos ist. Der Fall ist anders gelagert, wenn schwerere Verletzungen in Rede stehen oder höherwertige Rechtsgüter, insbesondere das Leben, betroffen sind. Hier kann die Ansicht, eine Schädigungsursache müsse erst in der Wissenschaft allgemein anerkannt sein, bevor sie von grundrechtlicher Relevanz sein könne, angesichts des umweltrechtlichen Vorsorgeprinzips nicht haltbar sein.1679 Es ist die vom Bundesverfassungsgericht verwendete Je-desto-Formel heranzuziehen.1680 Je höher der zu erwartende Schaden, desto früher müssen Schutzmaßnahmen gegen in der Wissenschaft diskutierte Schädigungsursachen getroffen werden.1681 Neue wissenschaftliche Erkenntnisse setzen sich in der Regel nur allmählich durch. Gerade im Bereich der Hochrisikotechnologie kann, nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, „eine nur theoretisch herleitbare Gefährdung von Leben oder Gesundheit [. . .] ausnahmsweise als Grundrechtseingriff angesehen werden“, wenn der zu erwartende Schaden entsprechend hoch ist.1682 4. Überwachungspflicht der Exekutive Die dem Gesetzgeber zukommende verfassungsunmittelbare Pflicht zur Risikovorsorge,1683 die sich zunächst als Aufklärungs- und Gefahrerforschungspflicht auswirkt,1684 kann und muss dieser nicht in jedem Fall selbst erfüllen. Er ist befugt, Beobachtungspflichten auf die Exekutive zu übertragen und ihr mit untergesetzlichen Normsetzungsbefugnissen, Ermessensspielräumen und unbestimmten Rechtsbegriffen Instrumente an die Hand zu geben,1685 um auf eine technische Weiterentwicklung zu reagieren – sogenannter „dynamischer Grundrechtsschutz“.1686

1679 Delgado del Saz, Vorsorge als Verfassungsprinzip im europäischen Umweltverbund, S. 191. 1680 BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1783/05 – BVerfGE 119, 1 (30) [Esra]. 1681 Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 15; Denninger, in: Präventionsstaat, S. 101; Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Art. 20a GG Rn. 86; Kloepfer/Bosselmann, Zentralbegriffe des Umweltchemikalienrechts, S. 163; Leisner-Egensperger, DÖV 2018, 677 (683); Murswiek, WiVerw 1986, 179 (188); Roßnagel, UPR 1986, 46 (48); Scherzberg/Mayer, JA 2004, 51 (52). 1682 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 (62) [CERN]. 1683 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (356) [Rauchverbot in Gaststätten]. 1684 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (132) [Kalkar I]. 1685 Ausführlich hierzu 3. Kapitel C. – „Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten“. 1686 BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ 2010, 114 (117) [Endlager Schacht Konrad]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 –

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Auch unabhängig von einer expliziten Übertragung ergibt sich eine verfassungsunmittelbare Überprüfungspflicht für die anderen Staatsorgane, je nach ihrer jeweiligen Stellung und Aufgaben im Verfassungsgefüge.1687 Für die Exekutive stellt sie sich als Aufsichtsverantwortlichkeit insbesondere dort dar, wo der Staat sich aus vormals von ihm wahrgenommenen Aufgaben zurückgezogen hat.1688 Die aus der grundrechtlichen Umweltschutzpflicht folgende Beobachtungspflicht kann auch kollidierendes Verfassungsrecht darstellen, das einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen kann. So zum Beispiel die regelmäßigen Auskunftspflichten des Anlagenbetreibers im Rahmen des § 31 BImSchG1689 oder die jedermann treffende Auskunftspflicht gegenüber den Naturschutzbehörden nach § 52 Abs. 1 BNatSchG.1690

V. Schutzpflichten als Grundrechtsschranke Der Schutz der Freiheit des Einen kann die Beschränkung der Freiheit des Anderen erfordern.1691 Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten entfalten deshalb ihre Wirkung als Grundrechtsschranke der Rechte Anderer.1692 Sie wirken auf diesem Wege nicht nur als Beschränkung der Freiheit des Gesetzgebers, sondern auch als eine Erweiterung seiner Handlungsbefugnisse. Nach der abwehrrechtlichen Systematik begegnen die grundrechtlichen Schutzpflichten den grundrechtlichen Abwehrrechten auf Ebene der Eingriffsrechtfertigung.1693 Hier ist zwischen einfachem und qualifiziertem Gesetzesvorbehalt sowie vorbehaltlos gewährten Grundrechten zu unterscheiden.1694 1. Grundrechte unter einfachem Gesetzesvorbehalt Bei Grundrechten, die einem einfachen Gesetzesvorbehalt unterstehen, muss keine besondere Schranke beachtet werden. Der Gesetzgeber ist deshalb auf die grundrechtlichen Schutzpflichten zunächst nicht angewiesen, um das „Ob“ der BVerfGE 49, 89 (137) [Kalkar I]; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (168). 1687 Kluth, in: HGR VIII, § 258 Rn. 75. 1688 Gusy, in: Mangoldt/Klein/Starck GG, Art. 10, Rn. 38. 1689 Hansmann/Pabst, in: Landmann/Rohmer UmwR, BImSchG § 31, Rn. 1 ff.; Jarass, in: Jarass BImSchG, § 31, Rn. 1 ff. 1690 Gellermann, in: Landmann/Rohmer UmwR, BNatSchG § 52, Rn. 2 ff.; Gläß, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 52, Rn. 1 ff. 1691 Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 52. 1692 Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 23 ff.; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 401; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 52. 1693 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 292. 1694 Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 11.

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Gesetzgebung zu rechtfertigen.1695 Dennoch muss sich das einschränkende Gesetz im Rahmen der gängigen Schranken-Schranken halten. Der einfache Gesetzesvorbehalt ist kein allumfassender Gesetzesvorbehalt, sondern tatsächlich ein Vorbehalt des verhältnismäßigen Gesetzes.1696 Im Rahmen der Verhältnismäßigkeit können die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zur Untermauerung der Legitimität des Zwecks herangezogen werden.1697 Nötig ist ein Rekurs auf diese jedoch in der Regel nicht, da hier, aufgrund der breiten politischen Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers, jeder Zweck als legitim angesehen werden kann, der verfassungsmäßig nicht ausgeschlossen ist.1698 Erst bei der Angemessenheit im engeren Sinne wirken sich die grundrechtlichen Schutzpflichten entscheidend aus, weil sie im Rahmen der Güterabwägung dem Umweltschutz ein zusätzliches Gewicht verleihen und damit entgegenstehende Interessen stärker zurückgedrängt werden dürfen als dies der Fall wäre, wenn keine verfassungsrechtlichen Güter in die Waagschale gelegt werden könnten. Im Rahmen des einfachen Gesetzesvorbehalts eröffnen die grundrechtlichen Schutzpflichten dem Gesetzgeber einen sehr weitgehenden Gestaltungsspielraum für umweltschützende Eingriffsgesetzgebung. 2. Vorbehaltlos gewährte Grundrechte Anders im Bereich der vorbehaltlos gewährten Grundrechte. Obwohl diese keinen Grundrechtsschranken unterliegen, sind sie dennoch einschränkbar. Auf den ersten Blick widersprüchlich erscheint die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, es könnten „auch uneinschränkbare Grundrechte Begrenzungen erfahren; denn schlechthin schrankenlose Rechte kann eine wertgebundene Ordnung nicht anerkennen“.1699 Die Begrenzung uneinschränkbarer Grundrechte erklärt sich aus der Tatsache, dass jeder andere Grundrechtsträger jede Verletzung, die aus der Sphäre eines vorbehaltlos gewährten Grundrechts ausgeht, hinnehmen müsste, weil dem Staat jede Intervention versagt bliebe.1700 Die Einschränkbarkeit vorbehaltlos gewährter Grundrechte ist nur zugunsten von Grundrechten

1695

Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 289. Epping, Grundrechte, Rn. 576; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (460); in diese Richtung auch Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 110; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 81. 1697 Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, S. 550. 1698 Küll, Grundrechtliche Probleme der Allokation von CO -Zertifikaten, S. 226; 2 Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 205 f.; Susnjar/Greiser, DVBl. 2018, 1329 (1336). 1699 BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 – 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 – BVerfGE 49, 24 (56) [Kontaktsperre]. Hervorhebungen MW. 1700 BVerfG, Beschluss vom 01.03.1978 – 1 BvR 333/75 – BVerfGE 47, 327 (369) spitzt diese Überlegung exemplarisch am Beispiel der Wissenschaftsfreiheit zu: „ein Forscher darf sich z. B. bei seiner Tätigkeit, insbesondere bei etwaigen Versuchen, nicht über die Rechte seiner Mitbürger auf Leben, Gesundheit oder Eigentum hinwegsetzen“. 1696

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Dritter oder sonstiger Güter von Verfassungsrang zulässig.1701 Der Gesetzgeber hat bei der Begrenzung vorbehaltslos gewährter Grundrechte keinen dem einfachen Gesetzesvorbehalt vergleichbaren Gestaltungsspielraum. Derartige Grundrechtsbeschränkungen müssen auf Ausnahmen beschränkt sein und ihr Gegenstand hinreichend klar umrissen. Dies ist zum Beispiel für das sonstige Verfassungsgut des Art. 20a GG bezweifelt worden. Die Verfassungsbestimmung zum Natur- und Tierschutz vermittele „offensichtlich keinen absoluten Schutz“, weshalb er als solcher nicht geeignet ist „Grundrechte unmittelbar zu beschränken oder zusätzlich Beschränkungsermächtigungen (z. B. der Wissenschafts- oder Kulturfreiheit) zu rechtfertigen“.1702 Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten können zu Gunsten einer ergänzenden Auslegung des Art. 20a GG herangezogen werden. Mittels der dadurch möglichen Konkretisierung des Schutzgegenstandes tritt eine wechselseitige Wirkkraftverstärkung dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben ein, durch die auch Eingriffe in vorbehaltlos gewährte Grundrechte gerechtfertigt sein können. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind die sich aus der Kollision vorbehaltlos gewährter Grundrechte ergebenden Konflikte „nach Maßgabe der grundgesetzlichen Wertordnung und unter Berücksichtigung der Einheit dieses grundlegenden Wertsystems zu lösen“.1703 „Die schwächere Norm darf nur so weit zurückgedrängt werden, wie das logisch und systematisch zwingend erscheint; ihr sachlicher Grundwertgehalt muß in jedem Fall respektiert werden.“ 1704 3. Grundrechte unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt Bei Grundrechten, die unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehen, soll eine Einschränkung nur zu bestimmten Zwecken oder mit bestimmten Mitteln zu1701 BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (139) [Josefine Mutzenbacher]; BVerfG, Beschluss vom 07.03.1990 – 1 BvR 266/86, 913/87 – BVerfGE 81, 278 (292) [Bundesflagge]; BVerfG, Beschluss vom 24.02.1971 – 1 BvR 435/68 – BVerfGE 30, 173 (193) [Mephisto]; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1970 – 1 BvR 83, 244, 345/69 – BVerfGE 28, 243 (261) [Dienstpflichtverweigerung]; in diese Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 01.03.1978 – 1 BvR 333/75 – BVerfGE 47, 327 (369): „Auch ohne Vorbehalt gewährte Freiheitsrechte müssen im Rahmen gemeinschaftsgebundener Verantwortung gesehen werden“. Siehe auch Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 292. 1702 So Merten, in: HGR II, § 35 Rn. 98; allgemein bezweifelt auch Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 293, inwieweit sonstige objektive Verfassungsrechtsgüter aufgrund ihres hohen Abstraktionsgrad geeignet sind als Grundrechtsschranken herangezogen zu werden. 1703 St. Rspr. BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 – 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 – BVerfGE 49, 24 (59) [Kontaktsperre]; BVerfG, Beschluss vom 19.10.1971 – 1 BvR 387/65 – BVerfGE 32, 98 (108) [Gesundbeter]; BVerfG, Beschluss vom 26.05.1970 – 1 BvR 83, 244, 345/69 – BVerfGE 28, 243 (261) [Dienstpflichtverweigerung]. 1704 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1970 – 1 BvR 83, 244, 345/69 – BVerfGE 28, 243 (261) [Dienstpflichtverweigerung].

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

lässig sein.1705 Deshalb muss die Frage aufgeworfen werden, ob verfassungsunmittelbare Schranken, wie die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten, auch gegenüber den unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechten zur Anwendung gebracht werden dürfen. Durch die qualifizierten Gesetzesvorbehalte wollte der Verfassungsgeber die Einschränkbarkeit von Grundrechte gerade kanalisieren und beschränken.1706 Neben den qualifizierten Gesetzesvorbehalten kollidierendes Verfassungsrecht als allgemeine Schranke zuzulassen, hieße, die Schrankenvorbehalte der Beliebigkeit preiszugeben. Anderes gilt nur, wenn eine „gewährleistungsplanwidrige Lücke“ zu schließen ist, die der Verfassungsgeber nicht erkennen konnte. Dies wird insbesondere für die erst nach Inkrafttreten des Grundgesetzes entdeckten grundrechtlichen Schutzpflichten angenommen.1707 Auch sind Tendenzen auszumachen, die aus den qualifizierten Gesetzesvorbehalten den Schluss ziehen, dass zugunsten höherwertiger Rechtsgüter eine Einschränkung erst Recht möglich sein muss.1708 So könnte man beispielsweise annehmen, wenn eine Beschränkung der Meinungsfreiheit zugunsten der persönlichen Ehre und aufgrund allgemeiner Gesetze möglich ist, müsste dies erst Recht für höherwertige Rechtsgüter gelten.1709 Zum Teil wird aber auch vertreten, die grundrechtlichen Schutzpflichten sollten als Grundrechtsschranke nur gegenüber vorbehaltlos gewährten Gesetzen zur Anwendung kommen,1710 da sie einerseits gegenüber unter einfachem Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechten nicht nötig seien und bezüglich des qualifizierten Gesetzesvorbehalt gelte, dass die Beschränkungsmöglichkeiten abschließend beschrieben seien.1711 Tatsächlich wird man zwischen den einzelnen Grundrechten differenzieren müssen.1712 Bei einigen Grundrechten ist der Schutzbereich so klar umrissen und eng gefasst, dass über die qualifizierten Schranken hinaus keine Erweiterung durch verfassungsimmanente Schranken in Betracht kommt. So kann man beim Elternrecht nach Art. 6 Abs. 3 GG nicht annehmen, dass dieses über den klaren 1705 Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 73; Schlink, EuGRZ 1984, 457 (459). 1706 Epping, Grundrechte, Rn. 80. 1707 Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 23. 1708 Dörr, in: HGR IV, § 103 Rn. 102; Epping, Grundrechte, Rn. 89; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 124 f. 1709 Ausnahmsweise bejaht durch BVerfG, Beschluss vom 04.11.2009 – 1 BvR 2150/ 08 – BVerfGE 124, 300 (328) [Rudolf Heß Gedenkfeier]. 1710 Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 289. 1711 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 293 f. 1712 So auch Epping, Grundrechte, Rn. 82, der für eine grundsätzlich mögliche aber zurückhaltend anzuwendende Heranziehung kollidierenden Verfassungsrechts auf Grundrechte, die unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehen, plädiert.

B. Gesetzgebungspflichten

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Wortlaut der Schranke („nur [. . .] wenn“) einschränkbar sein soll. Anders hingegen bei der Vereinigungsfreiheit. Hier regelt Art. 9 Abs. 2 GG nur das Vereinigungsverbot. Dieser Vorbehalt entfaltet aber keine Sperrwirkung gegen die Heranziehung grundrechtlicher Schutzpflichten als verfassungsimmanente Schranke zur Regulierung der Vereinstätigkeit.1713 Für die Meinungsfreiheit bietet Art. 5 Abs. 2 GG mit den allgemeinen Gesetzen bereits eine weitgehende Beschränkungsmöglichkeit. Nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung handelt es sich dabei um alle Gesetze, die sich nicht gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung an sich richten.1714 Stellt man sich auf den Standpunkt, dass die Meinungsfreiheit auch das Recht falsche Tatsachen zu behaupten umfasse,1715 hätte beispielsweise ein Verbot der „Leugnung des Klimawandels“ vor dem Schrankenvorbehalt des Art. 5 Abs. 2 GG keinen Bestand.1716 Auch bezüglich der Beschränkung der Freizügigkeit nach Art. 11 Abs. 2 GG spricht einiges dafür, den qualifizierten Gesetzesvorbehalt als abschließend zu betrachten, auch wenn die Frage bis heute als nicht abschließend geklärt gilt.1717 Gegen eine Erweiterung der Einschränkbarkeit spricht der auf den ersten Blick eindeutige Wortlaut des Art. 2 Abs. 2 GG, in dem es heißt „nur für die Fälle“.1718 Das Grundgesetz setzt sich jedoch genau an dieser Stelle mit sich selbst in Widerspruch, da es in Art. 17a Abs. 2 Hs. 1 GG einen weiteren Vorbehalt zu Gunsten der Verteidigung aufstellt. Der Katalog des Art. 11 Abs. 2 GG ist gerade nicht abschließend, sonst wäre Art. 17a Abs. 2 Hs. 1 GG nicht gültig. Als weiteres Argument wird vorgebracht, dass eine verfassungsimmanente Schranke zumindest auch in Art. 33 Abs. 5 GG liegen muss, da sonst die Vorschriften über die Abordnung und Versetzung von Beamten nach §§ 27 ff. BBG nicht gerechtfertigt werden könnten.1719 Eine Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts wird deshalb zumindest in Ausnahmefällen zulässig sein müssen.1720 Entschärft wird die Problematik dadurch, dass ein Teil der ausdrücklich in Art. 11 Abs. 2 GG genannten Schranken („Bekämpfung von Seuchengefahr, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen“) bereits selbst eine umweltrechtliche Stoßrichtung aufweisen.

1713

Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 25. BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (209) [Lüth]; so auch die überweigenden Stimmen im Schrifttum Schwarz, JA 2017, 241 (243) m.w. N. 1715 Zum gegenwärtigen Meinungsstand: Bethge, in: Sachs GG, Art. 5, Rn. 25 ff. 1716 Eine Begrenzung ist nur zum Schutz der Jugend und der persönlichen Ehre zulässig, womit die §§ 186 f. StGB ihre Rechtfertigung erfahren. 1717 Ogorek, in: BeckOK GG, Art. 11, Rn. 45. 1718 Blanke, in: Stern/Becker GG, Art. 11, Rn. 34; Merten, in: HGR III, § 68 Rn. 38. Hervorhebung MW. 1719 Ogorek, in: BeckOK GG, Art. 11, Rn. 46.1. 1720 Durner, in: Maunz/Dürig GG, Art. 11, Rn. 160. 1714

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

4. Fazit Den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten kommt herausragende Bedeutung bei der Rechtfertigung von Begrenzungen anderer Grundrechte zu. Dabei lassen sich nicht nur Eingriffe in Grundrechte unter einfachem Gesetzesvorbehalt rechtfertigen, sondern insbesondere auch solche, die vorbehaltlos gewährt sind – gleichwohl bei letzterem unter deutlich strengeren Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit und damit verbundenem geringeren Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Bei Grundrechten, die unter qualifiziertem Gesetzesvorbehalt stehen, muss genau differenziert werden, ob die Struktur und innere Logik des Schrankenvorbehalts eine Erweiterung der Einschränkbarkeit aufgrund grundrechtlicher Umweltschutzpflichten erfordert und erlaubt.

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten beeinflussen nicht nur die Entstehung und Ausgestaltung des Rechts, sondern zwingen auch zu einer „grundrechtsfreundlichen Anwendung“ vorhandenen Rechts, wie es das Bundesverfassungsgericht ausdrückt.1721 Sie sind im Rahmen ihrer Befugnisse auch von der Exekutive wahrzunehmen und wirken als Ermessens-, Auslegungs- und Planungsdirektiven.1722 Für die Gerichte sind sie spiegelbildliche Kontrollmaßstäbe des entsprechenden Verwaltungshandelns. Bundesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht betonen in ständiger Rechtsprechung, dass den zuständigen Staatsorganen bei der Umsetzung der grundrechtlichen Schutzpflichten ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukomme.1723 Hiermit wird auf die rechtsfolgenseitige Unbe1721 BVerfG, Beschluss vom 14.05.1985 – 1 BvR 233, 341/81 – BVerfGE 69, 315 (355) [Brokdorf]; siehe auch Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 46. 1722 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 121; Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 27; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 405. 1723 So in ständiger Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (337) [Zwangsbehandlungen]; BVerfG, Beschluss vom 11.01.2016 – 1 BvR 2980/14 – NJW 2016, 1716 (1717) [Pflegenotstand]; BVerfG, Beschluss vom 23.01.2013 – 2 BvR 1645/10 – BeckRS 2013, 46932 Rn. 5 [Verschärfung des Waffengesetzes]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (993) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 [Schallschutzmaßnahmen]; BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (356) [Rauchverbot in Gaststätten]; BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2722/ 06 – BVerfGK 13, 303 (321) [Standortfeststellung Flughafen Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 24.01.2007 – 1 BvR 382/05 – BVerfGK 10, 208 (211) [Schutz gegen Mobilfunk]; BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (159) [Luftsicherheitsgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 –

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

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stimmtheit der Schutzpflichten rekurriert.1724 Seltener als dass die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten eine bestimmte Einzelmaßnahme vorgeben,1725 stellen sie Abwägungsbelange dar, die die staatliche Entscheidungsfindung lenken und Maßstäbe zu ihrer Überprüfbarkeit darstellen.

I. Verwaltungsermessen Im Bereich der Eingriffsverwaltung bedarf die Verwaltung einer gesetzlichen Grundlage. Sie darf die grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber Grundrechtsträgern nicht unmittelbar zur Geltung bringen,1726 sondern tut dies im Rahmen ihr eingeräumter Entscheidungsspielräume.1727 Die Behörden treffen hier im Rahmen eines ihnen eingeräumten Ermessens eine eigene Entscheidung als „normativ begründete, eingegrenzte und dirigierte Rechtsfolgenbestimmung“.1728 Das behördliche Ermessen ist also kein freies, sondern ein rechtlich gebundenes,

NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Beschluss vom 02.12.1999 – 1 BvR 1580/91 – NVwZ 2000, 309 (310) [DDR-Uranabbau]; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn]; BVerfG, Beschluss vom 17.02.1997 – 1 BvR 1658/96 – NJW 1997, 2509 (2509) [Elektro-Smog]; BVerfG, Beschluss vom 27.04.1995 – 1 BvR 729/93 – NJW 1995, 2343 (2343) [Promillegrenze]; BVerfG, Beschluss vom 09.03.1994 – 2 BvL 43, 51, 63, 64, 70, 80/92, 2 BvR 2031/92 – BVerfGE 90, 145 (205) [Cannabis]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (262) [Schwangerschaftsabbruch II]; BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (202) [Straßenverkehrslärm]; BVerfG, Beschluss vom 26.01.1988 – 1 BvR 1561/82 – BVerfGE 77, 381 (405) [Gorleben]; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (214) [Chemiewaffen]; zum Teil auch mit abweichender aber im Ergebnis gleichwertiger Formulierung BVerfG, Urteil vom 17.12. 2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (305) [Garzweiler]: „Einschätzungsund Auswahlspielraum“; BVerfG, Urteil vom 16.03.2003 – 1 BvR 1778/01 – BVerfGE 110, 141 (157) [Kampfhunde]: „Einschätzungs- und Prognosespielraum“. 1724 BVerfG, Beschluss vom 02.12.1999 – 1 BvR 1580/91 – NVwZ 2000, 309 (310) [DDR-Uranabbau]; BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]. 1725 Dabei wird vom Gericht ausdrücklich nicht ausgeschlossen, dass sich im Einzelfall eine konkrete Maßnahme aus den Schutzpflichten entnehmen ließe, auch wenn dies als Ausnahmefall gehandelt wird, vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (357) [Rauchverbot in Gaststätten]; BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (160) [Luftsicherheitsgesetz]. 1726 Siehe aber zur Debatte über den unmittelbaren Rückgriff auf grundrechtliche Wertungen in Ausnahmesituationen 3. Kapitel F. – „Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis“. 1727 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 119 f.; Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 43. 1728 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, S. 189.

300

3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

pflichtgemäßes Ermessen.1729 Zum einen ist die Behörde in ihrem Ermessen an die gesetzlichen Grenzen gebunden, zum anderen hat sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben, vgl. § 40 VwVfG, § 114 S. 1 VwGO. 1. Ermessenszwecke Zur Erfassung des Ermessenszwecks können verschiedene Anhaltspunkte herangezogen werden. So sind beispielsweise in § 1 BNatSchG die Ziele des Gesetzes detailliert aufgeschlüsselt, womit auch die Zwecke, an denen sich die Ermessensausübung zu orientieren hat, beschrieben sind. Die Zielbestimmungen des BNatSchG sind wiederum Ausfluss der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten und Staatszielbestimmungen. 1730 Andere Gesetze, wie beispielsweise die Gewerbeordnung, weisen im Bereich der einfachgesetzlichen Zielbestimmungen eine geringere Regelungsdichte auf. So findet sich hier kein dem BNatSchG vergleichbarer Katalog an Zielbestimmungen. Fehlt es an einfachgesetzlichen Ermessensdirektiven, muss unter anderem auf verfassungsrechtliche Vorgaben zurückgegriffen werden.1731 Aber auch dort, wo Ermessenszwecke einfachgesetzlich vorgegeben werden, darf Verfassungsrecht nicht unberücksichtigt bleiben.1732 Ein Ermessensfehler kann auch darin begründet liegen, dass die Gewichtung der einzelnen Ermessenszwecke zueinander nicht gemäß der Systematik der Gesamtrechtsordnung vorgenommen wurde.1733 So darf bei einer umweltrelevanten Verwaltungsentscheidung das wirtschaftliche Interesse eines Akteurs nicht derart in den Vordergrund gestellt werden, dass die grundrechtlichen Umweltschutzbelange anderer von der Entscheidung Betroffener von vornherein nicht zur Geltung kommen. Auch ist zu berücksichtigen, dass bloße Erwerbschancen und Verdienstmöglichkeiten nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts regelmäßig weder unter den Schutz von Art. 14 Abs. 1 GG fallen1734 noch unter die 1729 Grabenwarter, in: Ius Publicum Europaeum V, § 90 Rn. 10; Kahl, in: Ius Publicum Europaeum V, § 74 Rn. 133; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 8. 1730 Brinktrine, in: BeckOK UmwR, BNatSchG § 1, Rn. 38; selbiges gilt für die Zielbestimmungen des § 1 BImSchG; vgl. Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 2. 1731 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 95; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 54; Kahl, in: Ius Publicum Europaeum V, § 74 Rn. 133; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 405. 1732 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 320; Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 3; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 53; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 23. 1733 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 120. 1734 BVerfG, Beschluss vom 08.06.1977 – 2 BvR 499/74, 1042/75 – BVErfGE 45, 142 (171); siehe auch Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 200; Papier, in: HGR III, § 79 Rn. 32; Papier/Shirvani, in: Maunz/Dürig GG, Art. 14, Rn. 205; Sieckmann, in: BKGG, Art. 14, Rn. 45.

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

301

Berufsfreiheit.1735 Das Interesse an der Schaffung oder Erhaltung einer Erwerbschance des Umweltschädigers darf abstrakt nicht höher bewertet werden, als die auf den Umwelterhalt gerichteten grundrechtlichen Positionen. Eine Grenze der Ermessenszweckergänzung durch verfassungsrechtliche Bestimmungen besteht jedoch, wenn der Wortlaut der Norm eindeutig auf bestimmte Ermessenszwecke ausgerichtet ist und eine verfassungsrechtliche Ausstrahlungswirkung auf das einfache Recht wegen des Fehlens eines generalklauselartigen Anknüpfungspunktes nicht in Betracht kommt. So heißt es beispielsweise in § 40 Abs. 3 BNatSchG, dass invasive Arten aus der Natur entnommen werden können, „soweit es zur Abwehr einer Gefährdung von Ökosystemen, Biotopen oder Arten erforderlich ist“.1736 Hier ist der Gegenstand der tatbestandlichen Gefährdung genau umschrieben und somit auch das Ermessen auf die genannten Schutzgüter eingeengt.1737 Der Gesetzgeber hat gerade nicht zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Gesundheit oder zum Schutz etwaiger privater Rechtsgüter ermächtigt. Den Anwendungsbereich der Norm, entgegen ihres eindeutigen Wortlautes, beispielsweise auf die Abwehr von Fraßschäden an landwirtschaftlichen Flächen oder zu Zwecken der Gesundheitsvorsorge auszudehnen, würde einem Normerschaffungsrecht der Exekutive gleichkommen. Ein solches existiert ebenso wenig wie eine eigenständige Normverwerfungskompetenz. Wenn eine grundrechtlich intendierte Schutzpflicht besteht, der die Behörde im Rahmen des ihr eingeräumten Ermessens nicht nachkommen kann, besteht eine Schutzlücke, die zu schließen dem Gesetzgeber zukommt.1738 Inwieweit er hierzu verpflichtet werden kann, ist ganz wesentlich eine verfassungsprozessuale Frage.1739 2. Ermessensgrenzen Aufgrund der Normenhierarchie kann der einfache Gesetzgeber verfassungsrechtliche, insbesondere grundrechtliche Wertungen nicht ohne weiteres überlagern oder ausblenden.1740 Die Behörde hat die Grundrechte dabei in zwei Richtungen bei ihrer Ermessensbetätigung zu berücksichtigen. Zum einen muss sie die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion gegenüber dem Adressaten des Verwal1735 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (383) [Rauchverbot in Gaststätten]. 1736 Hierzu Gellermann, in: Landmann/Rohmer UmwR, BNatSchG § 40, Rn. 22; Stöckel/Müller-Walter, in: Erbs/Kohlhaas, StrafR Nebengesetze, BNatSchG § 40, Rn. 20. 1737 Köck, in: Schlacke, GK-BNatSchG, BNatSchG § 40, Rn. 63. 1738 In dringenden Fällen kommt ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel in Betracht. Auf diese können sich nur die Polizeibehörden, nicht aber die Naturschutzbehörden, stützen. 1739 Siehe hierzu 4. Kapitel – „Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten im demokratischen Rechtsstaat“. 1740 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 123 f.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

tungshandelns berücksichtigen. Zum anderen kommt der Verwaltung gegenüber den nicht unmittelbar betroffenen Adressaten des Verwaltungshandelns eine Schutzpflicht für deren grundrechtlich geschützte Interessen zu.1741 Grundrechtliche Schutzpflichten haben, in Zusammenspiel mit den Abwehrrechten, für die Verwaltung bei der Ermessensausübung die Funktion, den Korridor möglicher Rechtsfolgen abzustecken, innerhalb dessen zwischen mehreren zulässigen Rechtsfolgen gewählt werden kann.1742 Im Rahmen der Ermessensgrenze der Verhältnismäßigkeit bilden Schutzpflichten und Abwehrrechte die rechtlichen Bezugspunkte um Grund und Gegenstand der Abwägung überhaupt zu bestimmen.1743 Eine Ermessensüberschreitung ist nicht schon dann gegeben, wenn ein der Schutzpflichtenerfüllung entgegenstehendes Recht der Vorzug gegeben wurde, sondern wenn sich der dadurch erlittene Nachteil erkennbar als gegenüber dem bevorzugten Interesse überwiegend erweist.1744 Die Überschreitung der Ermessensgrenzen stellt einen Ergebnisfehler dar, der zur Rechtswidrigkeit des Gesamtaktes führt.1745 Je intensiver die Entscheidung die Grundrechte betrifft, desto enger wird der Korridor, den die Gerichte der Behörde bei der Kontrolle ihrer Ermessensentscheidungen überlassen dürfen.1746 Der Gesetzgeber ist bei der Zuerkennung von behördlichen Letztentscheidungsbefugnissen nicht völlig frei, insbesondere wird er durch die Grundrechte, die zur Geltung drängen, verpflichtet, den Umfang und den Gehalt subjektiver wehrfähiger Rechte in ausreichendem Maße festzulegen.1747 3. Subjektivierung von Ermessensnormen Die Einräumung von Verwaltungsermessen bei der Erteilung einer Genehmigung ist für sich genommen nicht drittschützend.1748 Das Ermessen stellt gerade eine vom Gesetzgeber gewollte Letztentscheidungsbefugnis der Verwaltung dar.1749 Damit aus einer Ermessensnorm ein Anspruch ableitbar ist, bedarf es eines zusätzlichen normativen Anknüpfungspunktes außerhalb der reinen Ermes1741

Ehlers, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 6 Rn. 28. Siehe hierzu näher 4. Kapitel D. V. 2. – „Kongruenzthese“. 1743 Cremer, DÖV 2008, 102 (102). 1744 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 134. 1745 Alexy, JZ 1986, 701 (707). Eine Teilaufhebung kommt in der Regel nicht in Betracht, weil der Behörde sonst ein Verwaltungsakt aufgedrängt würde, den sie möglicherweise so nicht erlassen wollte. Stattdessen ist die Behörde nach § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO zur Neuverbescheidung zu verurteilen, vgl. Papier, in: HStR VIII, § 177 Rn. 73. 1746 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 17; Geis, NVwZ 1992, 25 (29). 1747 BVerfG, Beschluss vom 31.05.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22) [Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe]; näher hierzu 3. Kapitel C. III. 2. 1748 BVerwG, Urteil vom 19.12.1985 – 7 C 65.82 – BVerwGE 72, 300 (315) [Wyhl]. 1749 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 26 ff. 1742

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

303

senseinräumung. Hier kommt den Grundrechten eine entscheidende Subjektivierungsfunktion zu.1750 So kommt es, dass Normen, die früher nur als im öffentlichen Interesse bestehend wahrgenommen wurden, durch die grundrechtlichen Schutzpflichten subjektiv-rechtlich aufgeladen werden.1751 So werden beispielsweise verkehrsregulierende Maßnahmen nach § 45 Abs. 1 S. 1 StVO grundsätzlich im öffentlichen Interesse ergriffen. Durch eine grundrechtliche Untermauerung, etwa wegen einer Gefahr für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit, kann sich der Normgehalt des § 45 Abs. 1 S. 1 StVO zu einem Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung verdichten.1752 Für den Fall, dass eine bestimmte Maßnahme das einzig fehlerfreie Ergebnis der Abwägung ist, verdichtet sich der Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung zu einem Anspruch auf die konkrete Maßnahme, die sogenannte Ermessensreduzierung auf Null.1753 Eine solche Ermessensreduzierung lässt sich nur ausnahmsweise annehmen.1754 Sie liegt vor allem dann nahe, wenn das Rechtsgut Leben auf dem Spiel steht,1755 da es Voraussetzung für jede andere Grundrechtsausübung ist und ein Rechtsgutverlust nicht nachträglich ausgeglichen werden kann.1756 Die Wahl des Mittels kann sich jedoch nur auf ein solches fokussieren, dessen Einsatz selbst mit der Verfassung in Einklang steht.1757 1750 Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 208. 1751 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 162. 1752 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 161; siehe zur subjektiv-rechtlichen Aufladung der Norm gegenüber in ihrer Gesundheit betroffenen Einzelpersonen BVerwG, Urteil vom 15.04.1999 – 3 C 25.98 – BVerwGE 109, 29 (36) [Sommersmog]; ähnlich die von Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (268) beschriebene Situation. 1753 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 1557 R. 41 [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2722/06 – BVerfGK 13, 303 (321) [Standortfeststellung Flughafen Schönefeld]; BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (160) [Luftsicherheitsgesetz]; BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (165) [Schleyer]; VGH Kassel, Beschluss vom 14.07.1988 – 11 TG 1736/85 – NJW 1989, 470 (475); Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 153 ff.; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 188; Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, § 11 Rn. 350; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 25; Müller-Terpitz, in: HStR VII, § 147 Rn. 74; Schenke, in: Kopp/Schenke VwGO, § 114, Rn. 6; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 183; zum Teil auch als Ermessensreduzierung auf Eins bezeichnet, vgl. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 153 m.w. N. 1754 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 208. 1755 BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (165) [Schleyer]. 1756 Hierzu bereits 2. Kapitel D. XIV. 2. – „Leben“. 1757 BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (160) [Luftsicherheitsgesetz].

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Demgegenüber sind viele umweltrechtliche Genehmigungsverfahren als gebundene Entscheidungen ausgestaltet, weshalb der Behörde kein Ermessen zukommt. Hier können die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten rechtsfolgenseitig nicht auf die Entscheidung einwirken. Ihren Einfluss auf die einfachgesetzliche Rechtsordnung üben sie bei der Interpretation der Tatbestandsmerkmale aus.1758

II. Planungsentscheidungen Staatliche Planung ist die einzelfallunabhängige, zukunftsgerichtete gestaltende Steuerung staatlicher Aufgabenbereiche.1759 Die Grundsätze über die eingeschränkte gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsermessen gelten grundsätzlich auch für Planungsentscheidungen.1760 Diese werden von den Gerichten vor allem darauf überprüft, ob die einzelnen betroffenen Belange berücksichtigt und richtig miteinander abgewogen wurden, um sie in einen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechenden Ausgleich zu bringen.1761 Es muss der Planungsbehörde hierbei ein Gestaltungsspielraum zukommen, da Planung ohne Planungsermessen ein Paradoxon wäre.1762 Dies gilt unabhängig davon, ob der Plan als formelles Gesetz, Satzung, Verwaltungsakt oder Verwaltungsvorschrift erlassen wird. Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten dienen zum einen der Bestimmung von Belangen, die überhaupt in die Abwägung einfließen müssen.1763 Darüber hinaus können sich auch Vorgaben für die Gewichtung der einzelnen Belange aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ergeben. So besteht für den Planungsgeber zunächst die Pflicht, alle Auswirkungen für die Grundrechtsverwirklichung der Planbetroffenen zu evaluieren und zu prognostizieren.1764 In

1758 So schon Murswiek, WiVerw 1986, 179 (198): „Ihre Hauptbedeutung haben die grundrechtlichen Schutzpflichten im Umweltschutzbereich also als Pflichten zur grundrechtskonformen Gestaltung und Interpretation des Umweltrechts“. Näher hierzu 3. Kapitel C. III. – „Unbestimmte Rechtsbegriffe“. 1759 Schlacke, Umweltrecht, § 5 Rn. 4. 1760 Schenke, in: Kopp/Schenke VwGO, § 114, Rn. 34; zur strittigen Frage, ob sich Verwaltungsermessen und Planungsermessen nur quantitativ oder auch qualitativ voneinander unterschieden siehe Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 68 ff. 1761 BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2389/06 – BVerfGK 13, 294 (296) [Enteignung Flughafen Schönefeld]; Schenke, in: Kopp/Schenke VwGO, § 114, Rn. 36. 1762 Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 5. 1763 BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2389/06 – BVerfGK 13, 294 (297) [Enteignung Flughafen Schönefeld]. Die Vollzugsdefizite des Umweltrechts zeigen sich aber auch hier. Eine empirische Studie ergab, dass die Städte und Kommunen von der Möglichkeit Klimaschutzaspekte bei der Bauleitplanung zu berücksichtigen, kaum Gebrauch machen, vgl. Diepes/Müller, ZfU 2018, 288 (315). 1764 BVerfG, Beschluss vom 19.12.2002 – 1 BvR 1402/01 – DÖV 2003, 376 (376) [Grünstreifen].

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einem zweiten Schritt sind sodann die betroffenen Schutzgüter abstrakt zu gewichten. Diese Gewichtung ergibt sich aus der allgemeinen Grundrechtsdogmatik und den Besonderheiten des jeweiligen Einzelgrundrechts, wie beispielsweise der spezifischen Schutzbedürftigkeit des in Rede stehenden Grundrechts. So kommt dem Rechtsgut „Leben“ abstrakt eine höhere Schutzbedürftigkeit und Wertigkeit als dem Schutzgut „Eigentum“ zu.1765 Denn zum einen sind Eingriffe in das Eigentum durch Entschädigung zumindest teilweise reversibel, wohingegen ein Verlust des Rechtsguts Leben irreversibel ist.1766 Zum anderen ist das Leben Voraussetzung für die Ausübung aller anderen Grundrechte, wohingegen das Eigentum nur als Hülle garantiert ist, deren Inhalt erst durch unterverfassungsrechtliche Normgebung ausgefüllt werden muss.1767 Nach einer abstrakten Wertung der betroffenen Schutzgüter sind diese sodann anhand der Schwere der konkreten Auswirkungen der Planung auf das grundrechtliche Schutzgut zu gewichten.1768 Dazu ist zum einen die zu erwartende Schadenshöhe zu quantifizieren und zum anderen die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts einzubeziehen. Derartige Bestimmungen im prognostischen Bereich gestalten sich aufgrund der insbesondere im Umweltrecht oft anzutreffenden hohen Komplexität der Sachverhalte als ausgesprochen schwierig, weshalb sich eine grundrechtlich intendierte Verpflichtung zum Tätigwerden auch schon im Vorfeld der Gefahrenabwehr ergeben kann.1769 Nach den abstrakten und konkreten Bestimmungen der zu berücksichtigenden Belange müssen diese gegeneinander abgewogen werden. Dabei dienen die grundrechtlichen Schutzpflichten vor allem als Rechtfertigungsmaßstab für die Verkürzung von Rechtspositionen von der Planung Betroffener. Ist der Schutzstandard zu niedrig angesetzt, bleibt grundsätzlich zunächst die Planungsbehörde in der Pflicht. Wegen des Grundsatzes der Planerhaltung wird der Plan wegen eines Schutzmangels nicht sofort unwirksam, sondern vorrangig ist eine Planergänzung vorzunehmen, in der nötige Schutzvorkehrungen zu Gunsten Dritter ergänzt werden.1770 Nicht nur auf das Wie der Planung nehmen die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten Einfluss, sondern auch auf das Ob. Umweltplanung ist ein bedeutendes Instrument des Vorsorgeprinzips.1771 Zwar ist die Umweltplanung nicht 1765

Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 54. Zur abstrakten Gewichtung der Grundrechte siehe 2. Kapitel D. XIV. – „Rangordnung der grundrechtlichen Positionen“. 1767 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 72. 1768 BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2389/06 – BVerfGK 13, 294 (297) [Enteignung Flughafen Schönefeld]. 1769 Scherzberg, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 12 Rn. 20. 1770 Pünder, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 15 Rn. 28; Ziekow, in: Ziekow, VwVfG, § 75, Rn. 32. 1771 Hoppe, in: HStR IV, § 77 Rn. 31; Hoppe, in: VVDStRL 38 (1980), S. 228 ff. 1766

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

ausdrücklich verfassungsrechtlich vorgegeben,1772 sie ergibt sich jedoch aus der Notwendigkeit, die komplexen, grundrechtsrelevanten Umweltbelange, deren Wechselwirkung auf abstrakter Ebene durch einfaches Gesetz entschieden wurde, auf die konkrete örtliche Situation anzuwenden. Die Erreichung bestimmter Umweltziele, wie zum Beispiel einer festgelegten Luftqualität, ist nur durch eine Bündelung verschiedener Einzelmaßnahmen möglich, die sich an unterschiedliche Adressaten richten und von unterschiedlichen Behörden umgesetzt und vollzogen werden müssen. Ohne Planung wären diese Maßnahmen nicht effektiv oder drohen sich gegenseitig aufzuheben, beispielsweise durch Verlagerungseffekte. Aus der Kombination des verfassungsrechtlich fundierten Vorsorgeprinzips mit dem grundrechtlichen Effektivitätsgebot kann sich deshalb eine Pflicht zur Planung ergeben, wenn aufgrund der Komplexität der Situation die Erreichung des Schutzziels mit voneinander unabhängigen Einzelmaßnahmen nicht möglich ist.1773

III. Unbestimmte Rechtsbegriffe Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten kommen bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung zum Zuge.1774 Unbestimmte Rechtsbegriffe sind Tatbestandsmerkmale, die inhaltlich vage und damit nicht auf einen bestimmten Wirklichkeitsausschnitt festgelegt sind, sondern der Auslegung im Einzelfall bedürfen.1775 Im Gegensatz zu behördlichem Ermessen sind diese durch die Verwaltungsgerichte uneingeschränkt überprüfbar.1776 Die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wird 1772 Anders die Verteidigungsplanung nach Art. 53a Abs. 2 GG, die Bildungsplanung nach Art. 91b GG, die Finanzplanung nach Art. 106 Abs. 4 GG, die Haushaltsplanung nach Art. 110 GG. Siehe hierzu auch Hoppe, in: HStR IV, § 77 Rn. 35 ff. 1773 In diese Richtung auch Schmidt/Müller, JuS 1985, 694 (695). Im europäischen Recht ist die Pflicht zur Planung mittlerweile höchstrichterlich anerkannt, weshalb auch die nationalen Gerichte immer mehr in diese Richtung schwenken; siehe EuGH, Urteil vom 25.07.2008 – C-237/07 – Slg. 2008 I-06221 Rn. 47 [Luftreinhalteplanung]; BVerwG, Urteil vom 05.09.2013 – 7 C 21.12 – BVerwGE 147, 312 Rn. 38. Hierzu ausführlich Franzius, in: FS für Kloepfer, S. 379 f. 1774 Ehlers, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 6 Rn. 28; Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 68. 1775 Aschke, in: BeckOK VwVfG, § 40, Rn. 22; Müller, in: Huck/Müller, VwVfG, § 40 Rn. 37; Pache, Tatbestandliche Abwägung und Beurteilungsspielraum, S. 35. 1776 So die heute h. M., vgl. Aschke, in: BeckOK VwVfG, § 40, Rn. 25; Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 73 ff.; BVerfG, Beschluss vom 17.04.1991 – 1 BvR 419/81 und 213/83 – BVerfGE 84, 34 (49 f.) [Gerichtliche Prüfungskontrolle]; BVerfG, Beschluss vom 28.06.1983 – 2 BvR 539/80 und 612/80 – BVerfGE 64, 261 (279); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 26 ff.; Müller, in: Huck/Müller, VwVfG, Rn. 37; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Rn. 147; Schönenbroicher, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, Rn. 86. Etwas soll etwa in begrenzten Rahmen bei Entscheidungen über unwiederholbare Situationen gelten, vgl. Decker, in: BeckOK VwGO, § 114, Rn. 33 f., der insofern zwischen voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen ohne Beurteilungsspielraum und ein-

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nicht nur als verfassungsrechtlich zulässig erachtet,1777 sondern dient gerade dazu, den grundrechtlichen Gewährleistungen im Einzelfall zur Geltung zu verhelfen.1778 1. Normative Ermächtigungslehre Im Umwelt- und Technikrecht ist die volle gerichtliche Überprüfbarkeit immer wieder an ihre Grenzen gestoßen.1779 Aufgrund der Komplexität einiger umweltrechtlicher Sachverhalte, spielen für gerichtliche Entscheidungen Fragen eine Rolle, die auch innerhalb der naturwissenschaftlichen Fachbereiche umstritten oder gänzlich ungeklärt sind. Dies bietet Anlass für die Überlegung, inwieweit Gerichte, angesichts ihrer knappen Ressourcen, diesen verbleibenden Unklarheiten der nicht-juristischen Fachdisziplinen nachgehen müssen. Es könnte angenommen werden, dass aufgrund der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG die Gerichte die unbestimmten Rechtsbegriffe nicht nur voll überprüfen dürfen, sondern überprüfen müssen.1780 Nach der normativen Ermächtigungslehre, die im Schrifttum überwiegend Anerkennung genießt1781 und auch in der Rechtsprechung Zuspruch erfährt,1782 kommt der Verwaltung nur dann ein eigener Beurteilungsspielraum zu, wenn dafür ein hinreichender Anknüpfungspunkt im Gesetz besteht. Alles andere würde eine unzulässige eigenmächtige Rechtsschutzverkürzung und damit einen Eingriff in das Grundrecht, das Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ist,1783 darstellen.1784 geschränkt überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriffen mit fachrechtlichem Beurteilungsspielraum unterscheidet. 1777 Aschke, in: BeckOK VwVfG, § 40, Rn. 23; Müller, in: Huck/Müller, VwVfG, Rn. 37; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Rn. 152; Schönenbroicher, in: Mann/ Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, Rn. 83; kritisch in Hinblick auf ihre extensive Verwendung in der Zeit des Nationalsozialismus: Limperg et al., NJW 2016, 3698 (3699). 1778 Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, Rn. 152. 1779 Siehe hierzu Führ/Schummers, UPR 2017, 411; Lenz, DVBl. 2018, 605; Peine, in: Braunschweigische Wissenschaftliche Gesellschaft 1999, S. 163; Rennert, DVBl. 2017, 69; Steenhof, UPR 2017, 467; Windmüller, DVBl. 2019, 42 m.w. N. Schon früh wies Schmitt auf die Notwendigkeit für die Jurisprudenz hin, sich auf „Hilfswissenschaften“ zu verlassen und sich Fiktionen auf Tatsachenebene zu bedienen, siehe Schmitt, DJZ 1913, 804 (804–806). 1780 Lenz, DVBl. 2018, 605 (606); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 34; Schmidt, Die Nichtzulassung der Revision mangels Erfolgsaussichten, S. 285. 1781 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 33; Buchheim, JZ 2019, 92 (95); Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (413); Jacob/Lau, NVwZ 2015, 241 (242); Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 62; Mayen, in: FS für Koch, S. 137; Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer VwVfG, § 40, Rn. 10; Schmidt, in: HStR IV, § 92 Rn. 54; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 185; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 293; a. A. bezüglich des Umwelt- und Technikrechts Kloepfer, in: Risiko im Umweltstaat, S. 85 f. 1782 BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (111); BVerwG, Urteil vom 28.11.2007 – 6 C 42.06 – BVerwGE 130, 39 (49). 1783 Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 7.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

2. Naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum Ob die normative Ermächtigungslehre in jenen Rechtsgebieten des Umweltrechts, die sich durch hohe Komplexität der zugrundeliegenden Sachverhalte auszeichnen, konsequent aufrechterhalten werden soll, ist Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse zwischen Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht.1785 a) Bundesverwaltungsgericht Das Bundesverwaltungsgericht nimmt bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe in begrenztem Maße auch ohne deutlichen gesetzlichen Anknüpfungspunkt einen naturschutzrechtlichen Beurteilungsspielraum an,1786 wenn die ökologische Fachwissenschaft nicht zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt, das behördliche Bewertungsverfahren sich nicht als unzulänglich oder ungeeignet darstellt und das Ergebnis naturschutzfachlich vertretbar ist.1787 Die Behörde darf dieser Einschätzung so lange folgen, bis sich zu der in Rede stehenden Fachfrage ein allgemein anerkannter Stand der Wissenschaft durchgesetzt hat.1788 Das Bundesverwaltungsgericht betont ausdrücklich, dass dies umgekehrt für die Verwaltungsgerichte heißt, eine nach den obigen Maßstäben getroffene Behördenentscheidung darf nicht deshalb als „falsch“ oder „nicht rechtens“ bewertet werden, weil noch andere Meinungen in der Fachwissenschaft vertreten werden, als die von der Behörde zugrunde gelegte. Es fehle den Gerichten an einer „auf besserer Erkenntnis beruhenden Befugnis“, abweichend zu entscheiden.1789 Dies würde bedeuten, dass es bei strittigen Fragen in den Fachwissenschaften ausschließlich den Behörden obliegt auszuwählen, welcher fachwissenschaftlichen Meinung zu

1784 Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 30; Maurer/ Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 56. 1785 Die zugrundeliegende Frage einer Letztentscheidungskompetenz der Verwaltung bei Entscheidungen unter notwendiger Tatsachenunklarheit ist in der Literatur schon vor ihrer aktuellen bundesgerichtlichen Zuspitzung aufgeworfen worden, vgl. Wagner, DÖV 1980, 269 (271). 1786 Zur uneinheitlichen Terminologie des Gerichts, das abwechselnd die Bezeichnungen „Beurteilungsermächtigung“, „Einschätzungsprärogative“ oder „Beurteilungsspielraum“ verwendet, ohne damit einen Unterschied in der Sache ausdrücken zu wollen, siehe Lenz, DVBl. 2018, 605 (606). 1787 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (125) [Windkraft vs. Rotmilan]; BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 (296) [Planfeststellung A30]. 1788 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (126) [Windkraft vs. Rotmilan]; BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 (297) [Planfeststellung A30]. 1789 BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 (296) [Planfeststellung A30]; Lenz, DVBl. 2018, 605 (606).

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folgen ist.1790 Für diese Auswahl soll keine Rolle spielen, ob die einer naturschutzfachlichen Meinung zugrundeliegende Forschungsmethode umfangreicher oder aufwändiger ist als eine andere. Auch gäbe es keine Pflicht, die Meinung zu Grunde zu legen, die strengere Anforderungen für richtig hält.1791 Das Gericht bleibe aber verpflichtet zu prüfen, ob die fachwissenschaftlichen „Untersuchungen sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe“ ausreichend sind.1792 Nach dem Amtsermittlungsgrundsatz hat der Richter die Tatsachen, auf die sich ein Urteil bezieht, selbst festzustellen.1793 Es gibt keinen behördlichen Beurteilungsspielraum bei der Feststellung des Sachverhalts.1794 Dieser Grundsatz ist eine einfachgesetzliche Ausprägung des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG.1795 Dieser Grundsatz wird durch das Bundesverwaltungsgericht im Naturschutzrecht durchbrochen.1796 Der Beurteilungsspielraum der Behörde, insbesondere bei der quantitativen Bestandserfassung einer geschützten Art, heißt, dass das Gericht keine Möglichkeit hätte, einen anderen Sachverhalt festzustellen, wenn die Behörde bei der Gutachterauswahl die oben genannten Mindestanforderungen eingehalten hat.1797 Auch der gegen eine Behörde klagende Bürger hätte in diesem Fall keine Möglichkeit mit dem Argument gehört zu werden, ein anderes, ebenfalls nach Stand der Fachwissenschaft zustande gekommenes Gutachten, käme zu einem anderen Ergebnis.1798 b) Bundesverfassungsgericht Das Bundesverfassungsgericht nahm eine Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil aus formellen Gründen nicht zur Entscheidung an1799, gab dem Bundes1790 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (126) [Windkraft vs. Rotmilan]. 1791 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (126) [Windkraft vs. Rotmilan]; BVerwG, Urteil vom 09.07.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 (297) [Planfeststellung A30]. 1792 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (127) [Windkraft vs. Rotmilan]. 1793 Breunig, in: BeckOK VwGO, § 86, Rn. 1; Bull, in: FS für Koch, S. 29. 1794 Lenz, DVBl. 2018, 605 (606). 1795 Breunig, in: BeckOK VwGO, § 86, Rn. 8. 1796 Lenz, DVBl. 2018, 605 (606); Windmüller, DVBl. 2019, 42 (47). 1797 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (126) [Windkraft vs. Rotmilan]. 1798 Beifall bekam diese Rechtsprechung in Teilen des Schrifttums, weil es „Verwaltung und den sie kontrollierenden Gerichten dringend benötigte Spielräume“ gäbe, vgl. Windmüller, DVBl. 2019, 42 (47). 1799 Die Nichtannahme wurde gar als „Flucht in die Subsidiarität“ bezeichnet Buchheim, JZ 2019, 92 (92).

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

verwaltungsgericht allerdings eine deutlichere Differenzierung zwischen Rechtsund Tatsachenfragen auf.1800 Die Verwaltungsgerichte dürfen der Behörde wegen Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht die Subsumtion unter den Tatbestand überlassen. Die Formulierung des Bundesverwaltungsgerichts, der Behörde sei „bei der Prüfung, ob der artenschutzrechtliche Tötungs- und Verletzungstatbestand erfüllt ist, ein[. . .] naturschutzfachliche[r] Beurteilungsspielraum eingeräumt“ 1801 darf daher nicht dahingehend verstanden werden, dass die Frage der Tatbestandserfüllung von der Behörde zu beantworten wäre. Die naturschutzfachliche Einschätzung bezieht sich nur auf die Tatsachenfrage, wie hoch der Bestand der geschützten Tiere ist und wie hoch die Tötungswahrscheinlichkeit. Die Frage, ob ein „signifikant erhöhtes Risiko“ im Sinne des Gesetzes vorliegt,1802 ist eine Wertungsfrage und muss der Beantwortung durch die Gerichte überlassen bleiben.1803 Soll der Behörde ein echter Beurteilungsspielraum zugestanden werden, innerhalb dessen sie Wertungsentscheidungen treffen kann, verlangt das Bundesverfassungsgericht dafür einen hinreichend deutlichen gesetzlichen Anknüpfungspunkt,1804 wie er im vorliegenden Fall offensichtlich fehlt.1805 c) Reaktionen im Schrifttum Die Entscheidungen von Bundesverwaltungsgericht und Bundesverfassungsgericht wurden gemischt aufgenommen. Einige warnten bereits im Vorfeld der Entscheidungen vor einer „Überforderung der Gerichte“, sollten diese alle naturschutzrechtlich relevanten Tatsachen selbst einschätzen müssen.1806 Andere kritisierten eine verfassungsrechtlich ungerechtfertigte Beschränkung des Rechts auf gerichtliche Nachprüfung nach Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sowie eine Verschiebung der Gewichte im Gewaltengefüge zulasten der Gerichte.1807 1800 BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (55 Rn. 32–34) [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft]; siehe hierzu auch Buchheim, JZ 2019, 92 (93); Helmes, NVwZ 2019, 56 (57). 1801 BVerwG, Urteil vom 27.06.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 (125) [Windkraft vs. Rotmilan]. 1802 Zur Zeit der Entscheidung des BVerwG noch Richterrecht, wurde diese Terminologie mittlerweile in § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 BNatSchG übernommen, vgl. Helmes, NVwZ 2019, 56 (56). 1803 BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (55 Rn. 32) [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft]; Buchheim, JZ 2019, 92 (93). 1804 BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (56, Rn. 34) [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft]. 1805 Helmes, NVwZ 2019, 56 (57). 1806 Decker, in: BeckOK VwGO, § 114, Rn. 36i.1; Muckel, JA 2019, 156 (158); zustimmend auch Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (413); Steenhof, UPR 2017, 467 (471); Windmüller, DVBl. 2019, 42 (49). 1807 Lenz, DVBl. 2018, 605 (608): „Nimmt ein Gericht ein behördliches Letztentscheidungsrecht an, das mangels gesetzlicher Grundlage nicht besteht, und unterlässt es deshalb die vollständige Prüfung der Behördenentscheidung auf ihre Gesetzmäßigkeit,

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Es wurden für den sogenannten naturschutzrechtlichen Beurteilungsspielraum Parallelen zum Beamtenrecht gezogen. So wie nur der Vorgesetzte eines Beamten dessen Leistung in einem zurückliegenden Zeitraum beurteilen kann, würden die Gerichte auch im Naturschutzrecht an ihre Funktionsgrenzen kommen.1808 Bei einer beamten- oder prüfungsrechtlichen Entscheidung besteht die Besonderheit, dass die zu bewertende Situation nicht wiederholt werden und das Gericht deshalb nicht zu einer besseren Einsicht gelangen kann.1809 Im Falle der Feststellung der Bestandsdichte einer Greifvogelpopulation besteht die Möglichkeit der Feststellung auch noch zu einem späteren Zeitpunkt. Allerdings würde ein späteres Gutachten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem anderen zahlenmäßigen Ergebnis kommen. Wildtiere sind in ihren Bewegungsmustern nicht vollständig berechenbar, die Bestandsdichte und der Bewegungsradius ändern sich kontinuierlich mit dem Jahreskreislauf, Wetterlage, menschlichen Aktivitäten und einer Vielzahl weiterer Faktoren. Die Situation, in der eine Zählung vorgenommen wurde, ist deshalb nicht wiederholbar. Eine derartige Parallele zum Beamtenrecht ist zwar wegen der aufgezeigten Gemeinsamkeiten naheliegend, verbietet sich jedoch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus einem anderen Grund: Der Fall des sogenannten naturschutzfachlichen Beurteilungsspielraums ist kein solcher.1810 Die reduzierte Kontrolldichte der Gerichte im Naturschutzrecht hat ihren Hintergrund nicht darin, dass der Gesetzgeber der Behörde eine Letztentscheidungskompetenz zubilligen wollte, sondern, dass die gerichtliche Kontrolle schlicht an objektive Grenzen stößt.1811 Der naturschutzfachlichen Einschätzung unterliegen nur quantitative Schätzungen. Rechtliche Wertungen bleiben ihr verwehrt. Im Beamsteht das nicht nur im Widerspruch zur Gesetzesbindung der Gerichte – Art. 20 Abs. 3, Art. 79 Abs. 1 GG –, sondern verletzt vor allem auch das Versprechen wirksamen Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG“. Kritisch auch: Buchheim, JZ 2019, 92 (95); Helmes, NVwZ 2019, 56 (57). Differenzierend weißt Rennert, DVBl. 2017, 69 (73) darauf hin, dass dies nur für den grundrechtsrelevanten Bereich gelte. Für Vorschriften, die lediglich im öffentlichen Interesse bestehen, greife das Recht auf subjektiven Rechtsschutz nicht. Durch Stüer, DVBl. 2019, 42 (49) wurde die Entscheidung als „richtige Mitte“ zwischen den in Widerstreit stehenden Interessen begrüßt. 1808 Muckel, JA 2019, 156 (158). 1809 Decker, in: BeckOK VwGO, § 114, Rn. 36a f. 1810 Bei der Frage naturschutzfachlicher Letztentscheidungsbefugnisse der Behörden sind unterschiedliche Deutungen der gerichtlichen Entscheidungen im Schrifttum feststellbar. Dies liegt vor allem daran, dass selbst die Gerichte nicht deutlich in ihrer Terminologie differenzieren. So werden in einschlägigen Entscheidungen Wörter wie „Beurteilungsspielraum“, „Einschätzungsprärogative“ und „Prognoseermächtigung“ synonym verwendet, obwohl sich unterschiedliche Begriffe hinter den Wörtern verbergen. Zur begrifflichen Unterscheidung: Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 188 ff. 1811 BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54, Rn. 18) [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft]; Helmes, NVwZ 2019, 56 (57); Rennert, DVBl. 2017, 69 (73).

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

tenrecht verhält sich dies anders. Hier trifft die Behörde eine echte Wertungsentscheidung, wenn sie zu beurteilen hat, ob sich ein Beamter auf Probe bewährt hat.1812 Im Beamtenrecht besteht zudem die Besonderheit, dass für die Ermittlung der Eignung, Befähigung und Leistung eines Beamten detaillierte untergesetzliche Maßstäbe, zumindest nach Behördeninnenrecht, bestehen. Die im Beamtenrecht entwickelten Maßstäbe lassen sich wegen der großen tatsächlichen Unterschiede beider Rechtsgebiete nicht übernehmen. Das Bundesverfassungsgericht wies deshalb darauf hin, dass der Gesetzgeber den Behörden nicht auf Dauer die Entscheidung in einem fachwissenschaftlichen „Erkenntnisvakuum“ übertragen dürfe. Mit Blick auf grundrechtliche Gewährleistungsgehalte und das Wesentlichkeitsprinzip müsse der Gesetzgeber auf Dauer für eine zumindest untergesetzliche Maßstabsbildung sorgen, beispielsweise durch die Einsetzung fachkundiger Gremien.1813 Mit der vom Bundesverfassungsgericht vorgezeichneten restriktiven Linie bleibe der Rückgriff auf die Figur der faktischen Unaufklärbarkeit des Sachverhalts auf seltene Ausnahmefälle beschränkt.1814 d) Ausblick Der Hinweis des Bundesverfassungsgerichts, dass es im Naturschutzrecht an abstrakten normativen Maßstäben für die Einschätzung von Bestandsentwicklung und Schädigungswahrscheinlichkeit fehlt, ist in erster Linie ein Auftrag an den Gesetzgeber und den gegebenenfalls von ihm zu ermächtigenden untergesetzlichen Normgeber, denn die Gerichte können nicht über das Maß des Möglichen verpflichtet werden.1815 Sie sind zwar von Verfassungs wegen für die Kontrolle der Verwaltung zuständig, können aber nicht immer bessere Erkenntnisse als die Fachbehörden produzieren.1816 Daher wird der Gesetzgeber aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG verpflichtet, dort für Maßstabsbildung und Standardisierung zu sorgen, wo Behörden und Gerichte einer uneinigen Fachwelt gegenüberstehen. Derartige Vereinheitlichung braucht Zeit und muss unter Umständen erst in der Praxis erprobt werden. Die Gerichte dürfen sich deshalb in der Übergangszeit auf eine Plausibilitätskontrolle der behördlichen Einschätzung zurückziehen. Darüber hin1812 Decker, in: BeckOK VwGO, § 114, Rn. 36b; Sauerland, in: BeckOK BeamtenR Bund, BeamtStG § 23, Rn. 56; Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 194. 1813 BVerfG, Beschluss vom 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13, 1 BvR 595/14 – NVwZ 2019, 52 (54, Rn. 24) [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft]; Voßkuhle, in: HStR III, § 43 Rn. 62; Windmüller, DVBl. 2019, 42 (49). Zur größeren Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers bei der Zuerkennung von Einschätzungsprärogative und Beurteilungsspielräumen außerhalb des grundrechtsrelevanten Bereichs Rennert, DVBl. 2017, 69 (73). 1814 Buchheim, JZ 2019, 92 (93). 1815 Rennert, DVBl. 2017, 69 (74); Wagner, DÖV 1980, 269 (272). 1816 Windmüller, DVBl. 2019, 42 (47).

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

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aus hat das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass es an der normativen Ermächtigungslehre festhalten möchte, wonach Beurteilungsspielräume der Verwaltung eines hinreichend deutlichen gesetzlichen Anknüpfungspunktes bedürfen. 3. Ausstrahlungswirkung In der vorliegenden Systematisierung wird die Ausstrahlungswirkung als Unterfall der grundrechtskonformen Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe aufgefasst. Die grundrechtliche Schutzpflicht ermöglicht es, die ausfüllungsbedürftigen zivilrechtlichen Generalklauseln wie Treu und Glauben, Sittengesetz oder gute Sitten von „unreflektierten Vorverständnisse[n], Weltanschauungen, Naturrechtslehren etc.“ zu befreien.1817 Hierdurch entfalten die Grundrechte mittelbare Wirkung zwischen Privaten – vermittelt über die Grundrechtsbindung des Zivilrichters, der die Grundrechte insbesondere bei der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe und zivilrechtlicher Generalklauseln zu beachten hat und ihnen somit zur Geltung im Privatrechtsverkehr verhilft.1818 Das Bundesverfassungsgericht stellte hierzu fest: „Verfehlt der Richter den Schutzgehalt des [Grundrechts] und beruht sein Urteil auf der Außerachtlassung dieses verfassungsrechtlichen Einflusses auf das Privatrecht, so liegt darin ein Grundrechtsverstoß.“ 1819

a) Zivilrechtliche Legalisierungswirkung aufgrund öffentlich-rechtlicher Genehmigung Diese Legalisierungswirkung von Genehmigungen, die im Polizeirecht fest etabliert ist,1820 ist für das Zivilrecht nicht selbstverständlich.1821 So ist nach § 1 1817

Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 58. Erstmalig: BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (206) [Lüth]; BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 (256) [Handelsvertreter]; BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 (229) [Bürgschaftsverträge]; BVerfG, Beschluss vom 06.07.2016 – 2 BvR 548/16 – NJW 2016, 3090 (3091) [Zwangsräumung bei Suizidgefahr]; jüngst: BVerfG, Beschluss vom 11.04.2018 – 1 BvR 3080/09 – NVwZ 2018, 813 (815) [Stadionverbot]; LG Heidelberg, Urteil vom 28.08.2018 – 1 O 71/18 – BeckRS 2018, 19784 Rn. 33; aus der Lit. siehe Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134, Rn. 34; Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 90, Rn. 287; Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 58 f.; Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 III. 1819 BVerfG, Beschluss vom 27.10.2006 – 1 BvR 1811/99 – NJW 2007, 3055 [Verkehrsdatenschutz]; BVerfG, Beschluss vom 26.01.1988 – 1 BvR 1561/82 – BVerfGE 77, 381 (405) [Gorleben]; auch schon BVerfG, Urteil vom 15.01.1958 – 1 BvR 400/51 – BVerfGE 7, 198 (206) [Lüth]. 1820 Pieroth et al., Polizei- und Ordnungsrecht, § 9 Rn. 63 f.; Schemmer, in: BeckOK VwVfG, § 43, Rn. 24. Die Legalisierungswirkung von Verwaltungsakten im Umweltrecht ist seit BVerwG, Urteil vom 02.12.1977 – 4 C 75.75 – BVerwGE 55, 118 (118) in ständiger Rechtsprechung anerkannt, vgl. auch Beckmann/Wittmann, in: Landmann/ Rohmer UmwR, USchadG, § 1 Rn. 24. 1821 Ruffert, NVwZ 2010, 1177 (1182). 1818

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

UmweltHG ein Schaden, der durch die Umwelteinwirkung einer Anlage entstanden ist, auch dann zu ersetzen, wenn die Anlage rechtmäßig betrieben wurde. Demgegenüber steht § 14 S. 1 Hs. 1 BImSchG, der besagt, dass in Bezug auf Anlagen, die bestandskräftig genehmigt wurden, zivilrechtlich keine Stilllegung wegen negativer Einflüsse auf ein Nachbargrundstück verlangt werden kann.1822 Es können jedoch Schutzmaßnahmen oder Schadensersatz verlangt werden, § 14 S. 1 Hs. 2, S. 2 BImSchG. Auch wenn der Zivilrichter über die Konstruktion der mittelbaren Drittwirkung durch Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Generalklauseln berufen ist, Grundrechtsschutz zu gewährleisten, kann ihm dies wegen § 14 S. 1 Hs. 1 BImSchG versagt sein. Daraus ergibt sich, dass ein Kläger, der die Verletzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten durch eine Anlage, die dem Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG unterliegt, geltend machen möchte, zwingend auf den Verwaltungsrechtsweg verwiesen ist, sofern die Anlage im förmlichen Verfahren genehmigt wurde.1823 b) Einfluss öffentlich-rechtlicher Grenzwerte auf das zivilrechtliche Nachbarrecht Anders verhält es sich, wenn nicht eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung vorliegt, sondern die Einhaltung allgemeiner umweltrechtlicher Grenzwerte in Rede steht. aa) Grundstücke Gemäß § 906 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 BGB kann ein Grundstückseigentümer wesentliche Beeinträchtigungen der Nutzung seines Grundstücks durch einen anderen verbieten. Jedoch besteht nach § 906 Abs. 1 S. 2 BGB eine generelle Vermutungswirkung, dass aus öffentlich-rechtlich zulässigem Verhalten nur eine unwesentliche Beeinträchtigung folge, gegen die kein zivilrechtlicher Abwehranspruch geltend gemacht werden kann. Die Vermutung des § 906 Abs. 1 S. 2 BGB zu Gunsten des Emittenten ist nur eine Regelvermutung, kann also widerlegt werden und wirkt prozessual als Regel zur Beweislasttragung. Es kann sich auch die zivilrechtliche Wesentlichkeit der Beeinträchtigung trotz Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften im Einzelfall ergeben.1824 Somit können zivilrechtliche Unterlassungsansprüche gegen

1822

Brückner, in: MüKo BGB, § 906, Rn. 106. Vgl. Giesberts, in: BeckOK UmwR, § 14 BImSchG, Rn. 4, wonach die zivilrechtliche Bindungswirkung nur eintritt, wenn der Nachbar die Möglichkeit hatte, seine Abwehransprüche als Einwendung im Genehmigungsverfahren geltend zu machen, was beim vereinfachten Verfahren nach § 19 Abs. 2 BImSchG aber gerade nicht der Fall ist. 1824 Berger, in: Jauernig BGB, § 903, Rn. 3. 1823

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

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Umweltschädiger bestehen, obwohl dieser die öffentlich-rechtlichen Grenzwerte einhält.1825 Die möglichen unterschiedlichen Ergebnisse in Prozessen vor der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Verwaltungsgerichtsbarkeit rechtfertigen sich damit, dass das Privatrecht teilweise „feinere einzelfallgerechtere Interessenabwägung“ vornehmen kann als das öffentliche Recht.1826 Andererseits sind Zivilprozesse auf die Interessen der beiden Streitparteien konzentriert. Eine Gesamtbetrachtung aller privaten und öffentlichen Belange ist in dieser Zweiparteienkonstellation nicht selbstverständlich. Aus diesem Grund ist ein „Rückzug des Zivilrechts“ aus dem Umweltschutz konstatiert worden.1827 bb) Sonstige Rechte Bei sonstigen Rechtsverletzungen, die sich nicht auf das Eigentum an Grundstücken beziehen, steht dem Bürger gegen Dritte der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zu. Der Anspruch ist über seinen Wortlaut hinaus auch auf andere Rechte als das Eigentum anwendbar und bietet damit ein Einfallstor für die Berücksichtigung grundrechtlicher Positionen im Zivilrecht.1828 Nach § 1004 Abs. 2 BGB ist ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch jedoch ausgeschlossen, wenn der Kläger die Beeinträchtigung zu dulden hat. Zu dulden ist die Beeinträchtigung, wenn der Störer zu ihr berechtigt ist.1829 Hier kommen insbesondere zivilrechtliche Berechtigungen, beispielsweise durch Vertrag, in Betracht. Öffentlich-rechtliche Genehmigungen begründen hingegen keine Duldungspflicht.1830 Auch die §§ 138 und 242 BGB, die eine Inhaltskontrolle schuldrechtlicher Verträge ermöglichen, sind im Lichte der grundrechtlichen Bestimmungen auszulegen.1831 c) Verhältnis von öffentlich-rechtlichem und privatrechtlichem Umweltschutz Grundsätzlich besteht zwischen dem Privatrecht und dem öffentlichen Recht kein Verdrängungswettbewerb im Bereich des Umweltrechts. Aus Warte des Verfassungsrechts sind beide gleichermaßen adressiert, die umweltbezogenen Kon1825

Comes, KJ 2018, 115 (119). Brückner, in: MüKo BGB, § 906, Rn. 21. 1827 Brückner, in: MüKo BGB, § 906, Rn. 38. 1828 BVerfG, Beschluss vom 11.05.1976 – 1 BvR 671/70 – BVerfGE 42, 143 (147); Armbrüster, in: MüKo BGB, § 134, Rn. 34; Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 1004, Rn. 4. 1829 Berger, in: Jauernig BGB, § 1004, Rn. 21. 1830 Spohnheimer, in: Beck-Online GK, BGB § 1004, Rn. 215. 1831 BVerfG, Beschluss vom 19.10.1993 – 1 BvR 567, 1044/89 – BVerfGE 89, 214 (229) [Bürgschaftsverträge]. 1826

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

flikte unter Einbeziehung der grundrechtlichen Wertungen auszutarieren. Es gibt jedoch einige Gründe, aus denen das öffentliche Recht in Bezug auf den gesetzlichen Umweltschutz eine faktische Vorrangstellung eingenommen hat. Zum einen enthält das öffentliche Recht häufig die detaillierteren Regelungen. Seien es Feinstaubgrenzwerte nach der 39. BImSchV, Strahlungsgrenzwerte nach der StrlSchV oder Gefahrstoffgrenzwerte nach der GefStoffV – die Grenzwerte werden von staatlicher Seite einseitig gesetzt und bestehen im öffentlichen Interesse, sind also nach der modifizierten Subjektstheorie1832 als auch nach der Interessentheorie1833 öffentlich-rechtliche Normen, auch wenn sie für zivilrechtliche Streitigkeiten partiell Wirkung entfalten. Das Zivilrecht bietet mit den §§ 906, 1004 BGB umfassende Unterlassungsansprüche, mit denen sich ein Betroffener gegen Umweltschäden zur Wehr setzen kann.1834 Diese zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche setzen voraus, dass eine Schädigung einer bestimmten Gefahrenquelle zuzuordnen ist. Dies ist im Umweltrecht aufgrund der Komplexität der zugrundeliegenden Sachverhalte und der Vielzahl der Ursachen und Verursachern oft nur eingeschränkt möglich. Genauso verhält es sich mit Schadensersatzansprüchen, die, über den (vorbeugenden) Unterlassungsanspruch hinaus, voraussetzen, dass ein entsprechender Schaden bereits entstanden ist. Die durch die grundrechtlichen Gewährleistungen vorgegebene Aufgabe der Umweltvorsorge, lässt sich durch das Zivilrecht kaum verwirklichen.1835 Das Zivilrecht bietet hingegen die Möglichkeit, dort gegen Umweltbeeinträchtigungen und -gefahren vorzugehen, wo das öffentliche Recht noch keine hinreichend detaillierte Regelungsdichte aufweist. Dieser Weg führt dazu, dass es dem Betroffenen aufgrund der zivilprozessualen Beweislastverteilung obliegt, die Tatsachen vorzutragen, die eine Grundrechtsverletzung begründen, vgl. § 282 ZPO. Dahingegen trägt im Verwaltungsprozess der Anlagenbetreiber die materielle Beweislast, dass er die dem Stand der Wissenschaft und Technik entsprechende Gefahrenvorsorge getroffen hat.1836 Beruft sich eine öffentliche Stelle auf gesetzliche Ausnahmetatbestände, liegt die materielle Beweislast bei ihr.1837 Bevor ein ungewisser Sachverhalt als unaufklärbar angenommen wird, gebietet es der Amtsermittlungsgrundsatz im Verwaltungsprozessrecht, alle nach Lage der Dinge zumutbaren Erkenntnismöglichkeiten auszuschöpfen.1838 Die Beweislastsituation 1832

Sodan, in: Sodan/Ziekow VwGO, § 40, Rn. 302 ff. m.w. N. Sodan, in: Sodan/Ziekow VwGO, § 40, Rn. 290 ff. m.w. N. 1834 Fritzsche, in: BeckOK BGB, § 1004, Rn. 21. 1835 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 13. 1836 OVG Lüneburg, Urteil vom 22.12.1978 – VII A 61/74 – DVBl. 1979, 686 (690); Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 101. 1837 Schnabel, ZUR 2019, 74 (77). 1838 Ramsauer, in: Kopp/Ramsauer VwVfG, § 40, Rn. 81. 1833

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

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ist für den in grundrechtlich geschützten Gütern betroffenen Bürger vor den Verwaltungsgerichten meist besser als vor den Zivilgerichten. Auch wenn das Privatrecht durchaus Potential bietet, Umweltschutz gerichtlich durchzusetzen, wird die Materie schwerpunktmäßig eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit bleiben.1839 Diese Situation wird durch den § 14 BImSchG verfestigt, der zivilrechtliche Ansprüche gegen genehmigte Anlagen beschränkt und den Kläger auf Sicherungsund Schadensersatzansprüche beschränkt.1840 4. Strafgerichtsbarkeit Auch die Strafrichter haben bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Umweltstrafrechts der §§ 324 ff. StGB sowie des Nebenstrafrechts deren Bedeutung für die Verwirklichung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zu berücksichtigen. Umweltschutz wird daher in der strafrechtlichen Literatur auch als „vorgelagerter Menschenrechtsschutz“ betrachtet.1841 Dies stellt sogleich die Rechtfertigung dafür dar, dass der Staat auf dem Gebiet des Umweltrechts überhaupt strafen dürfe, da es sich ohne den menschenrechtlichen Schutzpflichtenaspekt bei Umweltstraftaten um opferlose Delikte handeln würde.1842 Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten sind daher für all jene rechtswissenschaftlichen Diskurse von besonderer Relevanz, in denen ein anthropozentrischer Umweltschutzbegriff zu Grunde gelegt wird.

IV. Exkurs: Privater Umweltaktivismus Umweltaktivisten berufen sich teils unmittelbar auf die Verletzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten durch den Staat, um Widerstandshandlungen zu legitimieren.1843 Sie stützen sich dabei auf das Konzept des zivilen Ungehorsams, um gegen angebliche oder tatsächliche Verfassungsverstöße im Umweltbereich zu protestieren. Das Konzept geht auf den amerikanischen Philosophen Henry Thoreau zurück1844 und wurde seither breit rezipiert.1845 Als zeitgemäße Defini1839

Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 12. Diese ausdrückliche einfachgesetzliche Zurückdrängung des Zivilrechtswegs gegenüber dem Primat des öffentlichen Umweltrechts wird auch außerhalb des BImSchG angewendet, vgl. § 11 LuftVG; § 30 NRG. 1841 Schmitz, in: MüKo StGB, vor §§ 324 ff., Rn. 19. 1842 Schmitz, in: MüKo StGB, vor §§ 324 ff., Rn. 21. 1843 Müller-Franke, in: Wörterbuch der Polizei, Stichwort: „Ziviler Ungehorsam“. Siehe auch Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 361. 1844 Thoreau, in: Æsthetic Papers, S. 189 ff. 1845 Bethge, in: HStR VII, § 158 Rn. 58; Dreier, in: Demokratie und Wirtschaft, S. 175 ff.; Heinold, Die Prinzipientheorie bei Ronald Dworkin und Robert Alexy, S. 131; Juchler, Narrationen in der politischen Bildung, S. 95 f.; Kästner/Droege, in: Stern/ Becker GG, Art. 4, Rn. 26; Kühl, in: FS für Puppe, S. 656; Schmidt, in: FS für Würtenberger, S. 399; Würtenberger, in: FS für Krause, S. 432. 1840

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

tion des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungstatbestand wurde die folgende ins Spiel gebracht: „Wer allein oder mit anderen öffentlich, gewaltlos und aus politisch-moralischen Gründen den Tatbestand einer Verbotsnorm erfüllt, handelt grundsätzlich gerechtfertigt, wenn er dadurch gegen schwerwiegendes Unrecht protestiert und sein Protest verhältnismäßig ist.“ 1846 Schon frühe Interpretationen des grundgesetzlichen Grundrechtekatalogs gingen in die gleiche Richtung: „Die Grundrechtsbetätigung, die den äußeren Tatbestand des Gesetzesverstoßes erfüllt, ist dennoch rechtmäßig und von der Verwaltung im Dispenswege zu gestatten, wenn im Einzelfall die Anwendung des Beschränkungsgesetzes zum Konflikt mit höherwertigen Grundrechten führt.“ 1847 Darin spiegelt sich die Vorstellung des Rebellen als dem wahrhaft Getreuen, des illegalen Verfassungsfreundes.1848 Der zivile Ungehorsam wird teilweise als kleine Münze des großen Widerstandsrechts nach Art. 20 Abs. 4 GG gedeutet.1849 Im Falle des zivilen Ungehorsams aufgrund verfassungsrechtlicher Wertung habe der durch das einfache Gesetz Verpflichtete die Beweislast in Bezug auf die Tatsachen, aus denen sich der Konflikt von einfachem Recht und verfassungsrechtlicher Wertung ergibt, der ihn zum Außerachtlassen des Ge- oder Verbots berechtigt.1850 Die Wirkung staatlicher Umweltschutzpflichten auf das Zivilrecht spielte in Verfahren gegen Umweltaktivisten eine Rolle, die den Betrieb von Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft störten, um gegen Klimaschäden zu demonstrieren.1851 Die betroffenen Unternehmen klagten gegen die Aktivisten und forderten Unterlassung weiterer Störungen und Schadensersatz für Produktionsausfälle. Die Aktivisten bestritten in beiden Verfahren die Forderungen mit der Argumentation, dass Schadensersatzansprüche nach §§ 823 ff. BGB sowie Unterlassungsansprüche nach § 1004 BGB an der fehlenden Rechtswidrigkeit der Betriebsblockaden scheitern würden. Die Blockaden seien durch die Rechtfertigungstatbestände aus §§ 227, 228 BGB und § 34 StGB gerechtfertigt, weil die Energieunternehmen durch die Kohleverbrennung Schadstoffe emittieren, die Menschen an ihrer Gesundheit schädigen und Lebensverkürzung zur Folge habe.1852

1846

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 361. Dürig, AöR 1956, 117 (148). 1848 Formulierungen zitiert nach Püttmann, Ziviler Ungehorsam und christliche Bürgerloyalität, S. 42, dort m.w. N. 1849 Würtenberger, in: FS für Krause, S. 432. 1850 Dürig, AöR 1956, 117 (148). 1851 LG Aachen, Urteil vom 16.03.2006 – 1 O 126/05 – NJW-RR 2007, 89; LG Köln, Urteil vom 16.08.2013 – 24 O 392/12 – BeckRS 2015, 11196. 1852 LG Aachen, Urteil vom 16.03.2006 – 1 O 126/05 – NJW-RR 2007, 89 (90); LG Köln, Urteil vom 16.08.2013 – 24 O 392/12 – BeckRS 2015, 11196. 1847

C. Gesetzesmediatisierte Abwägungspflichten

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Von den Gerichten wurden die behaupteten, durch Kohleverstromung entstehenden Schäden nicht in Zweifel gezogen. Dennoch wurde die Rechtswidrigkeit der Schädigung mit dem Hinweis auf die staatlich erteilte Genehmigung verneint. Das Gewaltmonopol des Staates verbiete es, das Recht auf eigene Faust durchzusetzen. Wäre dies anders, müsste man auch erlauben „jedes Kraftfahrzeug, Flugzeug oder jede emittierende Anlage zu zerstören“.1853 Der „ökologische Ernstfall“, der als „permanent gegeben“ gilt, wäre eine Legitimationsgrundlage für jederzeitiges Vorgehen gegen private Umweltverschmutzer.1854 Das Recht würde im Umweltbereich seine Steuerungsfunktion verlieren, würden die Gerichte den Privaten das grundrechtliche Recht zur Selbsthilfe zuerkennen. Die Rechtsdurchsetzung auf eigene Faust wurde durch den modernen Staat verboten und dem Einzelnen ein Gewaltverzicht abgerungen. Ziel der Grundrechte ist es, das dadurch geschaffene Gewaltmonopol zu bändigen, nicht das Faustrecht durch die Hintertüre wiedereinzuführen. Auch das Bundesverfassungsgericht lehnte die Einführung eines grundrechtsunmittelbaren Rechtfertigungstatbestandes in Form der Figur des zivilen Ungehorsams ab.1855 Bei dem Konzept des zivilen Ungehorsams gehe es um gezielte Rechtsbrüche, um auf den öffentlichen Willensbildungsprozess einzuwirken. Die Illegalität des eigenen Handelns und der bewussten Inkaufnahme des Risikos von Sanktionen sei der Idee des zivilen Ungehorsams immanent, weshalb es widersprüchlich erscheine, es als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen.1856 Andererseits dürften die verfolgten Ziele derlei Aktionen bei der Interpretation von Straftatbeständen (beispielsweise der Verwerflichkeitsklausel im Rahmen des § 240 StGB) und der Strafzumessung nicht außer Betracht bleiben.1857 Zwar dürfe der Richter eine politische Meinung nicht als „richtig“ oder „falsch“ bewerten, müsse aber in Betracht ziehen, dass bei Umweltaktivismus häufig nicht eigennützige sondern gemeinnützige Ziele und Motive handlungsleitend sind.1858 Welche Ziele unter dem Grundgesetz als gemeinnützig Anerkennung finden können, bestimmt sich unter anderem anhand grundrechtlicher Wertungen. Gerade wenn dem Staat hier eine Schutzpflichtverletzung vorwerfbar ist, muss den verfolgten

1853 LG Köln, Urteil vom 16.08.2013 – 24 O 392/12 – BeckRS 2015, 11196; hierzu auch Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 419 f. 1854 Isensee, in: Eigentumsgarantie und Umweltschutz, S. 10. 1855 BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – BvR 713/83, 921, 1190/84 und 333, 248, 306, 497/85 (250) [Sitzblockaden]. 1856 BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – BvR 713/83, 921, 1190/84 und 333, 248, 306, 497/85 (252) [Sitzblockaden]; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 40; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 366. 1857 BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – BvR 713/83, 921, 1190/84 und 333, 248, 306, 497/85 (257) [Sitzblockaden]. 1858 BVerfG, Urteil vom 11.11.1986 – BvR 713/83, 921, 1190/84 und 333, 248, 306, 497/85 (258) [Sitzblockaden].

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Gemeinwohlbelangen ein hoher Stellenwert in der rechtlichen Abwägung eingeräumt werden.

D. Grundrechtsunmittelbare Verwaltung Der staatliche Schutzauftrag ist vielerorts zweistufig aufgebaut. Der abstrakte Schutz der Gesetze stellt die erste Stufe dar und wird im konkreten Fall durch die Verwaltung auf zweiter Stufe um- und durch die Gerichte gegebenenfalls durchgesetzt. Wenn gegenüber personalen Gefahrverursachern eingeschritten werden soll, ist die Behörde durch den Vorbehalt des Gesetzes auf die Handlungsoptionen reduziert, die ihr durch das einfache Recht eingeräumt werden.1859 Außerhalb der Eingriffsverwaltung bedarf die Exekutive meist keiner ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die grundrechtliche Schutzgewährleistung erfolgt in diesem Fall nicht zweistufig sondern nur einstufig.1860 Es kommt eine breite Palette an Handlungsfeldern für Verwaltung und Regierung, je nach ihrer gesonderten Aufgabe, in Betracht. So kann Umweltschutz durch Information, Bildung und Öffentlichkeitsarbeit gefördert werden.1861 Der bereits oben dargestellte Grundsatz der Prävention vor der Repression verlangt geradezu, dass die grundrechtsunmittelbare Verwaltung sich dieser Mittel bedient, sofern dadurch der Entstehung von Umweltschäden im Vorfeld begegnet werden kann.1862 Wegen des oft beschworenen Vollzugsdefizits im Umweltrecht, ist der die Umwelt schützende Staat auf das einsichtige Handeln seiner Bürger weitgehend angewiesen.1863 Die Vermeidung von Müll, dessen Entsorgung oder die Senkung des Energie- und Wasserverbrauchs lassen sich durch strikte Verbote oft schlecht steuern, weil sie in der Vielzahl der Einzelfälle nicht kontrollierbar und durchsetzbar sind,1864 weshalb „softe“ Maßnahmen nicht nur das mildere, sondern auch das effektivere Mittel sein können.

I. Information In der Glykol-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wurde der Grundsatz aufgestellt, dass staatliches Informationshandeln dann keinen Eingriff in die Berufsfreiheit darstelle, wenn sich das handelnde Staatsorgan im Rahmen seiner Aufgaben halte, keine Marktverzerrung eintrete und das Gebot der Sachlichkeit 1859 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 71 f.; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 28. 1860 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 249. 1861 Ekardt, Theorie der Nachhaltigkeit, S. 452 ff.; Engel, in: HStR IV, § 80 Rn. 6; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 250. 1862 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 39. 1863 Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 62. 1864 Ausführlich hierzu bereits 3. Kapitel B. II. 1. b) – „Begrenzte Steuerungswirkung von Verboten“.

D. Grundrechtsunmittelbare Verwaltung

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und Richtigkeit beachtet werde.1865 Unter diesen Voraussetzungen bedürfe es keiner Ermächtigungsgrundlage für staatliches Informationshandeln.1866 Der Exekutive, insbesondere der Gubernative, käme demnach ein wirkkräftiges Instrument zur Wahrnehmung grundrechtlicher Umweltschutzaufträge zu. Kritisiert wurde die Entscheidung vor allem dafür, dass sie den Grundrechtsschutz in der abwehrrechtlichen Dimension zugunsten der Schutzpflichtendimension verkürze.1867 Die grundrechtlichen Schutzpflichten dürften nicht als Eingriffstitel fehlinterpretiert werden.1868 Diese Kritik verkennt, dass sich das Bundesverfassungsgericht in seiner Glykol-Entscheidung gerade nicht auf die grundrechtlichen Schutzpflichten stützte. Es wurde schon der Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts verneint, weshalb sich die Frage nach einem Eingriffstitel für das Bundesverfassungsgericht nicht mehr stellte.1869 Unter den Voraussetzungen der Informationsbefugnisse der Bundesregierung kann diese ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage grundrechtliche Umweltschutzpflichten wahrnehmen. Beispielsweise durch das Zurverfügungstellen von umweltspezifischen Produktinformationen, solange die in der Glykol-Entscheidung aufgestellten Voraussetzungen eingehalten werden. Sobald staatliches Informationshandeln die Schwelle zum Grundrechtseingriff überschreitet, muss der Gesetzgeber zuvor eine entsprechende Ermächtigungsgrundlage geschaffen haben. Spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen für das Informationshandeln im Umweltrecht bestehen insbesondere durch das Umweltinformationsgesetz (UIG). So gebietet § 10 Abs. 1 UIG, dass die Verwaltung in angemessenem Umfang aktiv Umweltinformationen verbreitet. Damit wird die Pflicht zu einem effektiven Informationsmanagementsystem vorausgesetzt. Eine systemimmanente Bremse sind insbesondere in Deutschland die föderalen Strukturen, die aufgrund der Selbstständigkeit ihrer Einzelglieder eine Kommunikation unter den verschiedenen zuständigen Stellen und Ebenen naturgemäß erschweren. Gerade weil sich die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten an den Staat in seiner Gesamtheit richten, besteht die Pflicht, das Umweltinformationsmanagement zwischen Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltung fortzuentwickeln und zu verbessern.1870 1865 BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002 – 1 BvR 558, 1428/91 – BVerfGE 105, 252 (268) [Glykol]. 1866 BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002 – 1 BvR 558, 1428/91 – BVerfGE 105, 252 (271) [Glykol]. 1867 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, VII f. 1868 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, IX. 1869 BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002 – 1 BvR 558, 1428/91 – BVerfGE 105, 252 (273) [Glykol]. 1870 Stober/Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 (130); in diese Richtung auch Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 182 ff. Bezüglich der Informationszugangsfreiheit im Umweltrecht ist die Bun-

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II. Bildung und Öffentlichkeitsarbeit Eine gesellschaftliche Veränderung lässt sich nicht von oben befehlen, sondern wächst von unten. Der Staat hat nur begrenzte Möglichkeiten, auf die Entwicklung von Kultur und Weltanschauung seiner Bürger einzuwirken.1871 Durch die weltanschaulichen und politischen Freiheitsgrundrechte, insbesondere der Art. 4 und 5 GG, sind dem Staat hier zusätzliche verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt auf seine Bürger einzuwirken. Eine der mächtigsten Instrumente des Staates zur Prägung des öffentlichen Bewusstseins ist im Grundrechtsteil des Grundgesetzes selbst angelegt. Nach Art. 7 Abs. 1 GG steht das gesamte Schulwesen unter der Aufsicht des Staates. Dieser bestimmt was gelehrt und geprüft wird. Der Schutz der Grundrechte vor Übergriffen Privater kann effektiv dadurch verfolgt werden, dass den Schülern die grundrechtlichen Wertungen frühzeitig vermittelt und im Bewusstsein gehalten werden.1872 Das gilt sowohl für diejenigen Handlungen des Einzelnen mit Umwelt- und Naturbezug, die für andere von unmittelbarer grundrechtlicher Relevanz sind als auch jene, die vermittelt über die Umweltmedien zu Folgeschäden für andere führen.1873 In seiner zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch äußerte das Bundesverfassungsgericht, dass aus den Grundrechten eine Pflicht für die Organe von Bund und Ländern bestehe, erkennbar für das grundrechtliche Schutzgut einzutreten.1874 Sogar die Rundfunkfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG sei in diesem Lichte auszulegen, weshalb die als öffentlich-rechtliche Anstalten organsierten Sender dies in ihrer Programmgestaltung zu berücksichtigen haben.1875 Wenn das Bundesverfassungsgericht eine solche Pflicht zugunsten des ungeborenen Lebens annimmt, muss dies erst Recht für die bereits geborenen Grundrechtsträger gelten. Die Vermittlung von Problembewusstsein in der breiten Bevölkerung wie auch die Befähigung zum Umgang mit Gefahrenlagen und Risiken gehört, vermittelt über das Vorsorgeprinzip, zu den Handlungsformen, die durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten vorgegeben werden.1876 desrepublik im Vergleich zu anderen westlichen Demokratien als „Entwicklungsland“ bezeichnet worden, vgl. Schnabel, ZUR 2019, 74 (75). 1871 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 39; Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 184. 1872 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (261) [Schwangerschaftsabbruch II]; diesen Gedanken verallgemeinernd Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 181. 1873 Schulze-Fielitz, in: Dreier GG, Art. 20a, Rn. 25. 1874 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (261) [Schwangerschaftsabbruch II]. 1875 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (261) [Schwangerschaftsabbruch II]. 1876 Stober/Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 (130); Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 180.

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Ihre verfassungsrechtliche Grenze findet die Pflicht zur Öffentlichkeitsarbeit im Neutralitätsgebot.1877 Zwar ist es der Regierung erlaubt für die Akzeptanz „unpopulärer Maßnahmen“ zu werben,1878 Staatsorgane dürfen sich aber nicht parteiergreifend zu Gunsten oder zu Lasten einer politischen Partei äußern.1879 Gesteigerte Zurückhaltung ist wegen des Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien in Wahlkampfzeiten gefordert.1880

III. Subventionen und Leistungsverwaltung Eine weitere Möglichkeit staatlicher Wirtschaftssteuerung fernab von Verboten ist es, vorbehaltlich europarechtlicher Zulässigkeit, Subventionen zu vergeben und steuerliche Anreize zu setzen (Verschonungssubventionen). Diese Maßnahmen der Leistungsverwaltung können zur Verwirklichung der durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten vorgegebenen Ziele geeignet sein.1881 Ein konkreter Anspruch auf derartige Maßnahmen dürfte aber auf Situationen beschränkt sein, in denen ein „ökologisches Existenzminimum“ auf dem Spiel steht.1882 Außerdem ist bei der Leistungsverwaltung zu berücksichtigen, dass diese nicht immer neutral gegenüber Dritten, zum Beispiel dem wirtschaftlichen Konkurrenten sind und sich deshalb hier eine geringere,1883 aber nichtsdestoweniger bestehende Grundrechtsbindung der öffentlichen Hand ergibt.1884 Insbesondere das Recht der Europäischen Union enthält hier umfangreiche Einschränkungen ihrer Mitgliedstaaten. Zwar lassen sich aus den Grundrechten keine Ansprüche auf bestimmte Subventionen herleiten, Förderungen können aber im allgemeinen Teil eines Konzepts sein, grundrechtliche Umweltschutzaufträge zu verfolgen. So kann beispielsweise die Finanzierung von Aufforstungen der Verfolgung von Umweltschutzpflichten dienen.1885 Auch Forschung und Entwicklung können zum Umweltschutz beitragen. Gerade wo der freie Markt entsprechende Forschung nicht selbst vorantreibt, kann der Staat als Impulsgeber gefragt sein, um entsprechende Entwicklungen anzustoßen. 1877 Detterbeck, in: FS Bethge, S. 177; Kotzur/Vasel, in: Stern/Becker GG, Art. 7, Rn. 20; Vitzthum, in: HGR II, § 48 Rn. 66. 1878 Engel, in: HStR IV, § 80 Rn. 5. 1879 BVerfG, Urteil vom 02.03.1977 – 2 BvE 1/76 – BVerfG 44, 125 (146) [Öffentlichkeitsarbeit]. 1880 BVerfG, Urteil vom 02.03.1977 – 2 BvE 1/76 – BVerfG 44, 125 (149) [Öffentlichkeitsarbeit]; Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 16. 1881 Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 177 ff. 1882 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 66. 1883 Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 299 ff. 1884 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 67. 1885 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 (3266) [Waldschäden durch Luftverschmutzung].

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IV. Exkurs: Gubernative und grundrechtliche Umweltschutzpflichten am Beispiel des Atommoratoriums Die Gubernative steht an der Schnittstelle von Verwaltung und Politik. Als solche kommt ihr die Aufgabe zu, die politische Agenda mitzubestimmen. Damit entsteht ein Spagat zwischen der Sphäre des Politischen, in der das Verfassungsrecht nur beschränkt wirken möchte, um die Verfassung selbst nicht zu politisieren und dem exekutiven Bereich der Regierung, der vollständig vom Verfassungsrecht überlagert wird. Dennoch sind auch der politischen Gestaltungsfreiheit der Gubernative verfassungsrechtliche Grenzen gezogen, wie der Umgang der Regierung mit einem Parlamentsgesetz im Falle des sogenannten Atommoratoriums zeigt. Am Abend des 14. März 2011 verkündete die Bundeskanzlerin vor laufenden Fernsehkameras: „Wir setzen ein Moratorium zu dem Gesetz in Kraft, das wir beschlossen haben.“ 1886 Gemeint war die im Dezember 2010 in Kraft getretene Laufzeitverlängerung für Kernkraftwerke.1887 Der Bundestagspräsident kritisierte, dass die vom Bundestag beschlossene Laufzeit der Atomkraftwerke nicht ohne weiteren Parlamentsbeschluss rückgängig gemacht werden dürfe.1888 1. Einfachgesetzliche Rechtsgrundlage Die Bundesregierung versuchte ihr Vorgehen im Nachgang auf § 19 Abs. 3 AtG zu stützen.1889 Nach § 19 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 AtG kann die Aufsichtsbehörde anordnen, dass der Betrieb von Kernkraftwerken einstweilen eingestellt wird. Voraussetzung dafür ist gemäß § 19 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 AtG, dass der Betrieb entgegen der gesetzlichen Vorschriften erfolgt. Alternativ darf eine solche Anordnung gemäß § 19 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 AtG erfolgen, wenn sich „durch die Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Leben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können“.

1886 Mitschrift Pressekonferenz vom 14.03.2011: Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu den Folgen der Naturkatastrophen in Japan sowie den Auswirkungen auf die deutschen Kernkraftwerke, https://www.bundeskanzlerin.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Mitschrift/Pressekonferen zen/2011/03/2011-03-14-bkin-lage-japan-atomkraftwerke.html (abgerufen am: 07.05. 2017). 1887 Vgl. BGBl. I 2010, Nr. 62 vom 13.12.2010, S. 1814 ff. 1888 Atom-Moratorium: Lammert zweifelt an Rechtmäßigkeit, Süddeutsche Zeitung vom 27. April 2011, http://www.sueddeutsche.de/politik/bundestagspraesident-vs-bundes kanzlerin-lammert-zweifelt-an-rechtmaessigkeit-des-atom-moratoriums-1.1072637 (abgerufen am: 07.05.2017). 1889 Pressemitteilung der Bundesregierung vom 15. März 2011: Kernkraftwerke kommen auf den Prüfstand, https://www.bundesregierung.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/ Artikel/2011/03/2011-03-15-bund-laender-kkw-pruefungen.html (abgerufen am: 07.05. 2017).

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Da die Kraftwerke nach den gesetzlichen Vorschriften betrieben wurden, die das Parlament kurz zuvor beschlossen hatte, scheidet eine Betriebseinstellung gestützt auf § 19 Abs. 3 S. 1 Alt. 1 AtG aus. Die zweite Tatbestandsalternative ist mit dem Verweis auf eine Gefahr für Leben, Gesundheit oder Sachgüter offener gefasst. Sie gibt dem Rechtsanwender die Möglichkeit auf tatsächliche Lageänderungen zu reagieren. Jedoch ist hier zweifelhaft, ob eine solche tatsächliche Lageänderung eingetreten ist. Bereits in der Ankündigung des Atommoratoriums gab die Bundeskanzlerin an, dass „derartig gewaltige Erdbeben und Flutwellen nach menschlichem Ermessen bei uns nicht eintreffen werden“.1890 Auch hinsichtlich der Sicherheitsstandards der deutschen Kernkraftwerke wurden keine Zweifel angeführt. Die Bundeskanzlerin verkündete: „Wir wissen, wie sicher unsere Kraftwerke in Deutschland sind.“ 1891 Nicht einmal die Bundesregierung selbst wollte behaupten, dass sich die Gefahrenlage in Deutschland durch das Unglück in Fukushima geändert hätte. Auch sind im Nachhinein keine Tatsachen bekannt geworden, die eine geänderte Gefahrenprognose gestützt hätten. In Literatur und Rechtsprechung setzte sich daher weitgehend die Feststellung durch, dass das sogenannte Atommoratorium mangels konkret geänderter Gefahrenlage nicht rechtmäßig war.1892 2. Atommoratorium als Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten Teilweise wurde jedoch vertreten, dass die Bundesregierung zu entsprechendem Handeln unter Rückgriff auf die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 GG ermächtigt sei.1893 Da § 19 Abs. 3 AtG eine Konkretisierung der grundrechtlichen Schutzpflicht sei, müsse diese Rechtsgrundlage in diesem Lichte ausgelegt werden. Wegen des „extrem hohen Gefährdungspotenzials“, das 1890 Mitschrift Pressekonferenz vom 14.03.2011: Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu den Folgen der Naturkatastrophen in Japan sowie den Auswirkungen auf die deutschen Kernkraftwerke, https://www.bundeskanzlerin.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Mitschrift/Pressekonferen zen/2011/03/2011-03-14-bkin-lage-japan-atomkraftwerke.html (abgerufen am: 07.05. 2017). 1891 Mitschrift Pressekonferenz vom 14.03.2011: Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle zu den Folgen der Naturkatastrophen in Japan sowie den Auswirkungen auf die deutschen Kernkraftwerke, https://www.bundeskanzlerin.de/ContentArchiv/DE/Archiv17/Mitschrift/Pressekonferen zen/2011/03/2011-03-14-bkin-lage-japan-atomkraftwerke.html (abgerufen am: 07.05. 2017). 1892 BVerwG, Beschluss vom 20.12.2013 – 7 B 18.13 – ZUR 2014, 236 (236); Ewer/ Behnsen, NJW 2011, 1182 (1186); Hauer, EWS 2012, 372 (373); Kloepfer, DVBl. 2011, 1437 (1437); Kloepfer/Bruch, JZ 2011, 377 (386); LG Bonn, Urteil vom 6.4. 2016 – 1 O 458/14 – EnWZ 2016, 426 (430); Rebentisch, NVwZ 2011, 533 (536); VGH Hessen, Urteil vom 27.2.2013 – 6 C 824/11.T – EnWZ 2013, 233 (238). 1893 Frenz, NVwZ 2011, 522 (525).

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sich in Japan gezeigt habe, seien „die Anforderungen an solche Gefahren jedoch niedrig“ anzusetzen.1894 Ungeachtet dessen, dass die Bundesregierung für eine Stilllegungsverfügung gar nicht zuständig ist, da das Atomgesetz nach § 22 I 1 AtG im Rahmen der Auftragsverwaltung durch die Länder auszuführen ist, wäre eine entsprechende Anordnung auch durch die Länder nicht auf die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zu stützen gewesen. Es darf nicht ausgeblendet werden, dass die in Folge des Tsunami eingetretene Kernschmelze kein Phänomen ist, das vorher unbekannt gewesen wäre.1895 Die Auswirkungen einer Kernschmelze sind spätestens seit den Ereignissen von Tschernobyl bekannt. Die Menge des 2011 in Fukushima ausgetretenen radioaktiven Materials entspricht etwa einem Zehntel der Menge, die in 1986 in Tschernobyl freigeworden war.1896 Der Gesetzgeber hat in Kenntnis des Risikos entschieden, die Nutzung der Kernenergie unter den Voraussetzungen des AtG weiter zuzulassen. Für die Atomkraftwerke in der Bundesrepublik ist durch den Reaktorunfall keine Veränderung der Sicherheitslage eingetreten. Die Gefahren der Kernenergie, die sich in Fukushima verwirklicht haben, waren dem Gesetzgeber bewusst.1897 Sie sind in seine Abwägung im Gesetzgebungsprozess eingeflossen.1898 Da die einfachgesetzlich aufgestellten Anforderungen von den Kraftwerkbetreibern eingehalten wurden, wäre ein Rückgriff auf die grundrechtlichen Um1894 Frenz, NVwZ 2011, 522 (525). Gemeint ist damit, dass die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit, wegen der zu erwartenden Schadenshöhe niedrig anzusetzen sind. 1895 Die Ursachen, die zu einer Kernschmelze führen, sowie deren Folgen, wurden bereits lange vor den Ereignissen von Fukushima in der Fachliteratur beschrieben. Statt vieler: Hennies, Naturwissenschaften, Jahrgang 74, Heftnummer 11, 1987, 520 (523– 525), Sicherheitsvorkehrungen bei Kernkraftwerken mit Druckwasserreaktoren und ihr Funktionsnachweis durch großtechnische Experimente, II. Im zitierten Beitrag von Hennies wird auch die in Fukushima aufgetretene Wasserdampfexplosion, die in Folge einer Kernschmelze die Reaktorhülle beschädigen kann, beschrieben. 1896 Ministry of Economy, Trade and Industry (Japan), in: „INES (the International Nuclear and Radiological Event Scale) Rating on the Events in Fukushima Dai-ichi Nuclear Power Station by the Tohoku District – off the Pacific Ocean Earthquake“ vom 12. April 2011, http://www.webcitation.org/5xsyUr2Wx?url=http://www.nisa.meti.go. jp/english/files/en20110412-4.pdf (abgerufen am: 08.05.2017). Daher sind Behauptungen, durch Fukushima sei eine Gefahrdimension offenbar geworden, die vorher unvorstellbar gewesen wäre, schon deshalb falsch, da mit Tschenobyl eine Katastrophe von größerem Ausmaß sich bereits 25 Jahre zuvor realisiert hatte. Die Gefahren der Atomkraft waren daher bekannt. Vgl. auch Debus, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 29. 1897 So auch Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 85; a. A. Wollenteit, ZUR 2013, 323 (328). 1898 Anders Roßnagel/Hentschel, die anführen, der Gesetzgeber sei durch die Betreiber von Kernkraftanlagen mittels tausender Seiten abstrakter Kalkulationen gleichsam hinters Licht geführt worden, indem Sicherheit suggiert worden sei, die nicht realistisch war. Für diese Behauptung führen die Autoren jedoch keine Belege an: Roßnagel/Hentschel, in: Bulletin of the Atomic Scientists, Volume 68/6, S. 63 f.

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weltschutzpflichten nur denkbar, wenn die grundsätzliche gesetzliche Zulassung der Atomkraft bereits gegen die grundrechtliche Gewährleistungsgehalte verstoßen hätte.1899 Die Außerachtlassung der Grundsatzentscheidung über die Zulassung der Atomkraft darf die Gubernative jedoch nicht aus eigner Machtvollkommenheit ignorieren.1900 Ihr kommt eine eigene Verwerfungskompetenz gegen Gesetze auch dann nicht zu, wenn sie von dem Parlament der aktuellen Legislaturperiode erlassen wurden, das auch die Regierung trägt.1901 Stattdessen steht der Bundesregierung die Möglichkeit zu, nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG das Bundesverfassungsgericht im Wege einer abstrakten Normkontrolle anzurufen und um die Überprüfung des fraglichen Gesetzes zu ersuchen.1902 Eine vorläufig eigene Entscheidung selbst treffen zu müssen, wird in Bezug auf die Regierung die Ausnahme bleiben, da die Bundesregierung im Verfahren der abstrakten Normkontrolle selbst antragsbefugt ist und nicht dem Umweg über die behördliche Hierarchie beschreiten muss, wie ihn § 63 Abs. 2 BBG vorsieht.1903 Außerdem ist das Bundesverfassungsgericht nach § 32 Abs. 1 BVerfGG befugt, einstweilige Anordnungen, nach § 32 Abs. 2 BVerfG bei besonderer Dringlichkeit sogar ohne mündliche Verhandlung und die Einholung von Stellungnahmen der Beteiligten zu treffen.1904 1899 Die generelle Verfassungwidrigkeit der Atomkraft wegen ihres hohen Schadenspotentials bei gleichzeitig hoher Komplexität und damit Risikobehaftetheit des Anlagenbetriebs ist durchaus diskutiert worden, siehe hierzu Roßnagel, Radioaktiver Zerfall der Grundrechte?, S. 213. 1900 Kritisch hingegen Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 11: „So muß es nach wie vor zu den nicht recht einleuchtenden Dogmen im Grundrechtsstaat gezählt werden, daß die Exekutive ein förmliches Gesetz auch dann soll anwenden bzw. den Erlaß eines solchen Gesetzes auch dann soll abwarten müssen, wenn dies die Hinnahme oder die Herbeiführung grundrechtswidriger Zustände bedeutet“. Die ganz h. M. sieht jedoch die Normverwerfungskompetenz beim Bundesverfassungsgericht monopolisiert Farahat, in: Ius Publicum Europaeum VI, § 97 Rn. 71; Herdegen, in: Maunz/Dürig GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 94; Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 250; KreuterKirchhof, in: HStR XII, § 272 Rn. 30; Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 79; Ossenbühl, in: HStR V, § 101 Rn. 10; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 122. 1901 Zum Grundsatz der fehlenden Verwerfungskompetenz der Exekutive im Allgemeinen BVerwG, Urteil vom 11.10.2016 – 2 C 11.15 – BVerwGE 156, 180 (192) [Einstellungshöchstaltersgrenze]; so auch Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 129. 1902 Battis, in: HStR XII, § 275 Rn. 46; Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 250; Maurer, Staatsrecht I, § 20 Rn. 76. 1903 Hierzu Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rn. 129; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 287. 1904 Die Entscheidung BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (165) [Schleyer] zeigt, dass eine kurzfristige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts möglich ist, selbst wenn sie bedeutet, dass das Gericht die Verantwortung an die Regierung zurückverweist. Zu den Anforderungen an eine einstweilige Anordnung wegen drohenden Schäden an Leben und Gesundheit siehe jüngst BVerfG, Beschluss vom 07.12.2018 – 2 BvR 2425/18 – BeckRS 2018, 33453 [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft].

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

Das Atommoratorium ist daher keine Maßnahme der Regierung, die auf die Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten gestützt werden kann.1905 Auch wenn im konkreten Fall, schon mangels Lageänderung und mangels Dringlichkeit, die Frage einer grundrechtsunmittelbaren Notbefugnis von Exekutive und Judikative nur angeschnitten wurde, bleibt sie vorerst unbeantwortet im Raum und verdient es näher beleuchtet zu werden.

E. Vertikale Aufgabenverteilung Die breite Adressatenschaft grundrechtlicher Schutzpflichten unter den staatlichen Organen und Ebenen birgt die Gefahr, dass eine Gewalt auf die jeweils andere verweist und dem Einzelnen am Ende effektiver Schutz versagt bleibt.1906 Dem kann bezüglich der Gesetzgebung durch genaue Differenzierung nach Kompetenzen begegnet werden. So wie Kompetenzen keine Befugnisse zum Handeln verleihen, erweitern Schutzpflichten keine Kompetenzen.1907 Das Bestehen einer Schutzpflicht setzt eine entsprechende Kompetenz beim Adressaten gerade voraus.1908 Kann der Bund mit den ihm nach Art. 73 Abs. 1, 74 Abs. 1 GG zustehenden Kompetenzen seine Schutzpflicht nicht gemäß des grundrechtlich gebotenen Mindestschutzes erfüllen, müssen die Länder gemäß ihrer originären Gesetzgebungskompetenz (Art. 30, 72 Abs. 1 GG) Schutzergänzungen vornehmen.1909 Sind Bund und Länder beide kompetent den gebotenen Schutzstandard herzustellen, sei es auf dem Gebiet der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 74 Abs. 1 GG oder sei es, weil verschiedene Möglichkeiten zum gleichen Ziel führen, kann nicht das eine Organ mit Verweis auf das jeweils andere sein Unterlassen rechtfertigen. Oder wie Möstl es ausdrückt, sie „haften im Fall offener Kompetenz also quasi gesamtschuldnerisch für schutzpflichtkonforme Gesetzgebung“.1910 Gleiches gilt für das Verhältnis von Gesetzgebung und Verwaltung. Die Verwaltung wird durch die Untätigkeit des Gesetzgebers nicht aus ihren grundrechtlichen Verpflichtungen entbunden, denn diese gelten nach Art. 1 Abs. 3 GG auch für diese unmittelbar.1911 Freilich werden ihre Handlungsalternativen durch den 1905 1906 1907

Im Ergebnis auch Ewer/Behnsen, NJW 2011, 1182 (1186). Ullrich, DVBl. 2015, 204 (208). BVerfG, Urteil vom 22.05.1990 – 2 BvG 1/88 – BVerfGE 81, 310 (334) [Kal-

kar II]. 1908 Gärditz, in: Landmann/Rohmer UmwR, Art. 20a GG, Rn. 29; Gärditz, in: HStR IX, § 189 Rn. 33. 1909 Gärditz, in: HStR IX, § 189 Rn. 33. 1910 Möstl, DÖV 1998, 1029 (1037). 1911 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]: „Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb in ständiger Rechtsprechung betont, daß die Aufstellung und normative Umsetzung eines Schutzkonzepts

F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis

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Vorbehalt des Gesetzes auf Maßnahmen beschränkt, die nicht in den freiheitsverkürzenden, grundrechtsrelevanten Bereich fallen. Hier bieten sich Instrumente wie staatliches Informationshandeln, öffentlich-rechtliche sowie privatrechtliche Verträge, Setzung von Anreizen und Kooperation mit privaten Akteuren als Alternativen zur klassischen Eingriffsverwaltung an, auch wenn diese zum Teil mit erhöhtem Aufwand verbunden sind.

F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis Fehlt es sowohl an einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen, um den grundrechtlich gebotenen Schutz zu gewährleisten, als auch an Schutzmöglichkeiten, die nicht mit einem Eingriff in die Grundrechte des Störers verbunden sind, stehen Exekutive und Judikative vor einem Dilemma, sofern Gefahr im Verzug besteht.1912 Eine englische Rechtsweisheit lautet „justice delayed is justice denied“, weshalb ein Verweis auf die Untätigkeit des Gesetzgebers einer Rechtsschutzverweigerung gleichkommen könnte. Andererseits unterliegen Rechtsprechung und Verwaltung der Gesetzesbindung und dürfen im freiheitsrelevanten Bereich nur aufgrund vorheriger Ermächtigung tätig werden.1913 Es ist deshalb eine grundrechtsunmittelbare Notbefugnis für die Fälle einer Schutzpflichtverletzung in Verbindung mit einer akuten Gefährdungslage vorgeschlagen worden.1914

I. Umfassende grundrechtliche Gesetzesersetzungsbefugnis Der Begriff der Gesetzesersetzung wurde von Horn eingeführt und ist vereinzelt geblieben.1915 Es handelt sich um eine Grundrechtsinterpretation, wonach, neben dem Verbot für die Exekutive selbst in Grundrechte einzugreifen, ein unmittelbares Verbot bestehe, den Eingriff in Grundrechte durch Dritte zu dulden.1916 Begründet wird dies mit der „eigenständigen Normativität der beteiligten Grundrechtsgehalte“, die auch dann miteinander in Ausgleich gebracht Sache des Gesetzgebers ist, dem grundsätzlich auch dann ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zukommt, wenn er verpflichtet ist, Maßnahmen zum Schutz eines Rechtsguts zu ergreifen (vgl. BVerfGE 88, 203 [262]). Gleiches gilt, wenn die Zivilgerichte mangels einer Entscheidung des Gesetzgebers im Wege der Rechtsfortbildung oder der Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe die Schutzpflicht wahrnehmen oder diese Pflicht von einem Organ der Exekutive zu erfüllen ist.“ Siehe hierzu auch Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (415). 1912 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 44; Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (557). 1913 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 109; Erichsen, Jura 1997, 85 (88); Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 208. 1914 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 285 ff. 1915 Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 197. 1916 Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 155.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

werden müssten, wenn die „parlamentarische Leitentscheidung“ fehle.1917 Dies würde bedeuten, dass immer dann, wenn der Gesetzgeber eine Eingriffsbefugnis nicht geschaffen hätte und ein Bürger in seiner Schutzpflichtendimension betroffen wäre, Verwaltung und Justiz keiner Ermächtigungsgrundlage bedürften, um in die Grundrechte des Störer einzugreifen.

II. Unbedingter Gesetzesvorbehalt Auf der anderen Seite steht die herrschende Meinung, die den unbedingten Vorbehalt des Gesetzes betont, der es in jedem Fall verbiete, ohne gesetzliche Grundlage in die Abwehrrecht eines Grundrechts einzugreifen.1918 Der Vorbehalt des Gesetzes wird als oberster verfassungsrechtlicher Grundsatz gedeutet, an dem unter keinen Umständen gerüttelt werden dürfe.1919 Der Vorbehalt des Gesetzes wird somit zu einem Vorrang der Abwehrdimension vor der Schutzpflichtendimension, da, mangelt es an einem gesetzlichen Verbotstatbestand, der Störer, der sich auf die Abwehrdimension berufen kann, durch den Vorbehalt des Gesetzes geschützt wird, wohingegen das Opfer, das sich „nur“ auf die Schutzpflichtendimension der Grundrechte berufen kann, also in dieser Konstellation faktisch schutzlos gestellt wäre.1920 Dies soll unabhängig von der Schwere der in Rede stehenden Grundrechtsverletzungen gelten, so dass dem Abwehrrecht im gesetz1917 Horn, Die grundrechtsunmittelbare Verwaltung, S. 156; Horn, in: FS für Stern 80, S. 366. 1918 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 102; Dreier, Jura 1994, 505 (513); Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 95 ff.; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 208; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 42 ff.; Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, S. 372. 1919 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 126. Dabei ist diese Vorstellung ohnehin obsolet. Wie alle verfassungsrechtlichen Prinzipien, mit Ausnahme der Menschenwürde, kommt dem Vorbehalt des Gesetzes keine absolute Wirkung zu, sondern nur eine relative, die mit anderen Verfassungsprinzipien zu konkordieren ist. Dem entspricht es, dass die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, mit Billigung der Literatur, wegen der zunehmenden Komplexität umweltrechtlicher Sachverhalte die Verlagerung von Verantwortung weg vom Gesetzgeber, hin zu exekutiven Entscheidungsträgern und die Schaffung umfangreicher untergesetzlicher Regelungswerke akzeptiert, die den Vorbehalt des Gesetzes aufweichen; hierzu BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (137) [Kalkar I]; BVerwG, Urteil vom 22.03.2012 – 7 C 1/11 – BVerwGE 142, 159 (168); Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 79 ff. Zwar wird damit der Vorbehalt des Gesetzes keineswegs aufgegeben, wie auch die Diskussion um richtlinienfreie Beurteilungsspielräume der Verwaltung zeigt (hierzu bereits 3. Kapitel C. III. 2. – „Naturschutzfachlicher Beurteilungsspielraum“), jedoch relativiert, was darauf hinweist, dass von verfassungsrechtlichen Grundsätzen streng umgrenzte Ausnahmen zu Gunsten entgegenstehender Verfassungsgüter möglich sind. 1920 Kritisch hierzu Bock, Umweltschutz im Spiegel von Verfassungsrecht und Verfassungspolitik, S. 145 ff.; Suhr, JZ 1980, 166 (167).

F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis

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lich nicht geregelten Rahmen ein absoluter, undurchbrechbarer Vorrang zukommen würde.1921 Wohingegen die Abwehrrechte unmittelbar anwendbares Recht für die Exekutive sind, gilt für die Schutzpflichtendimension der ansonsten überwundene Grundsatz aus der Weimarer Zeit fort, dass die Grundrechte nur im Rahmen des Gesetzes gewährt werden.1922 Dabei ist diese Verfassungsinterpretation, der die Schutzpflichten nur unter absolutem Gesetzesvorbehalt gegenüber dem Abwehrrecht zur Geltung bringen möchte, gemessen am Text des Grundgesetzes nicht zwingend.1923 Der Vorbehalt des Gesetzes lässt sich an Art. 20 Abs. 3 GG festmachen, wonach der Gesetzgeber an die verfassungsmäßige Ordnung, Rechtsprechung und Verwaltung an Recht und Gesetz gebunden sind.1924 Betrachtet man diese Norm isoliert, ergibt sich aus ihr die verbreitete Unterscheidung von Gesetzgebungsorganen, die die verfassungsrechtlichen Wertungen in einfache Gesetzesform gießen und allen anderen Staatsorganen, die diese verfassungsgemäßen Gesetze vollziehen.1925 Die Bindung von Rechtsprechung und Verwaltung an Recht und Gesetz umfasst aber auch die Grundrechte, die gemäß Art. 1 Abs. 3 GG als unmittelbar geltendes Recht für diese bindend sind. Dafür, dass die unmittelbare Geltung der Grundrechte für alle Gewalten nur auf die Abwehrdimen-

1921 So ausdrücklich Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 109; Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 43; auch Schwabenbauer, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 161. 1922 Hopfauf, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Einleitung, Rn. 160; Schmitt, in: Materialien zu einer Verfassungslehre, S. 140; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 37. 1923 Auch aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergibt sich nichts gegenteiliges. Es statuiert, dass der Vorbehalt des Gesetzes eine Pflicht des Gesetzgebers darstelle, die für die Freiheitsverwirklichung wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, vgl. BVerfG, Urteil vom 19.12.2017 – 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14 – BVerfGE 147, 253 (236) [Numerus Clausus III]; BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 (226) [Aussperrung]; BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (195) [Straßenverkehrslärm]. Es wird keine allgemeine Begünstigung des Abwehrrechts vor der Schutzpflicht aufgestellt, sondern stellenweise vielmehr davon gesprochen, dass die Verpflichtung des Gesetzgebers „vom Merkmal des Eingriffs“ unabhängig sei, was vielmehr auf eine Gleichstufigkeit der unterschiedlichen Grundrechtsdimensionen hindeutet, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (230) [Chemiewaffen]; BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 (75) [Familiennachzug]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (126) [Kalkar I]. Hierzu auch Horn, in: FS für Stern 80, S. 366 ff. 1924 Ausdrücklich ergibt sich der Vorbehalt des Gesetzes jedoch nicht aus dem Grundgesetz, vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (126) [Kalkar I]. Wie auch die grundrechtlichen Schutzpflichten muss dieser im Wege der Auslegung entnommen werden. 1925 So die Unterschiedung von primärer (Legislative) und sekundärder Schutzpflicht (Exekutive und Judikative), siehe hierzu bereits oben 3. Kapitel A. II. – „Primäre und sekundäre Schutzpflicht“.

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

sion beschränkt wäre, enthält der Verfassungstext keine Anhaltspunkte. Vielmehr sind auch die Schutzpflichten unmittelbar geltendes Recht.1926 Als Argument, die Schutzpflichten nicht gegenüber den Abwehrrechten unmittelbar heranzuziehen, wird vorgebracht, dass nur durch den Vorbehalt des Parlamentsgesetzes der Eingriff in das Abwehrrecht die notwendige demokratische Legitimation erhalte.1927 Dieses Argument ist so alt wie der Vorbehalt des Gesetzes selbst und stammt aus einer Zeit, in der sich der demokratisch legitimierte Gesetzgeber und die monarchisch kontrollierte Verwaltung gegenüberstanden.1928 Die Grundrechte dienten dazu, der monarchischen Verwaltung äußerste Grenzen zu ziehen. Heute ist auch die Verwaltung, gleichwohl indirekt, demokratisch legitimiert,1929 weshalb das Legitimationsargument zwar nicht obsolet wird, jedoch an Durchschlagskraft verliert.1930 Die Relativierung des Vorbehalt des Gesetzes durch entgegenstehende Verfassungsprinzipien ebnet den Weg zu einer grundrechtsunmittelbaren Notbefugnis, die es Exekutive und Judikative in einer beschränkten Zahl an Fällen erlaubt, dem Opfer auch dann beizustehen, wenn sie keine eindeutige Eingriffsbefugnis gegenüber dem Störer in Händen halten.

III. Vermittelnde Ansicht Zur Konkretisierung der verfassungsunmittelbaren Notbefugnis wurde durch Krings ein Katalog von Voraussetzungen herausgearbeitet, unter denen Eingriffstitel ad-hoc entstehen können.1931 Erstens muss sich der Rechtsanwender innerhalb des einschlägigen Verfassungsrechts halten und dem hypothetischen Willen 1926 A. A. Gellermann, Grundrechte in einfachgesetzlichem Gewande, S. 238 f., der die grundrechtlichen Schutzpflichten wegen des Demokratieprinzips auch dann unter Gesetzesvorbehalt stehen sieht, wenn durch ihre Umsetzung keine Abwehrrechte Dritter betroffen sind. Diese Ansicht droht jedoch schnell widersprüchlich zu werden, weil sonst jedes Staatshandeln einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfte. Dies würde entweder zur Aufweichung des Begriffs der gesetzlichen Ermächtigung führen oder zu einer praxisfernen Überregulierung. Auch mit der Garantie kommunaler Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG wäre ein solcher universeller Gesetzesvorbehalt allen Staatshandelns unvereinbar. 1927 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 126. 1928 Hierzu Enders, in: BKGG, vor Art. 1, Rn. 14 f.; Kalscheuer/Jacobsen, DÖV 2018, 523 (524). 1929 Hierzu Dreier, Jura 1997, 249 (256). 1930 Auch noch im 19. Jahrhundert verhaftet ist die mit dem Vorbehalt des Gesetzes verbundene Vorstellung, das bürgerliche Parlament sei der Hort der Freiheit, wohingegen Bedrohungen der Freiheit von der Verwaltung ausgingen. Im modernen Parteienstaat zeigt sich, dass auch parlamentarische Mehrheiten sich teils von pertikalaren Einzelinteressen leiten lassen und die Legislative auch zur Bedrohung der Freiheit werden kann, vgl. Merten, in: HGR II, § 35 Rn. 65. Eine historisch-kritische Analyse des Begriffs des Gesetzesvorbehalts findet sich außerdem bei Meinel, Selbstorganisation des parlamentarischen Regierungssystems, S. 23 ff. 1931 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 289 f.

F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis

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des Gesetzgebers „möglich authentisch Rechnung tragen“.1932 Dafür muss er sich an vergleichbaren Eingriffsermächtigungen orientieren. Zweitens darf die Eingriffstitelergänzungsermächtigung nur für den Einzelfall angewendet werden, muss den Charakter einer temporären Ausnahme haben und entlässt den Gesetzgeber deshalb nicht aus seiner generellen Verantwortung. Drittens müsse die Rechtsfortbildung auf besonders dringliche Fälle beschränkt sein, bei denen hochwertige Rechtsgüter auf dem Spiel stehen.1933 Viertens dürften keine alternativen Schutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die gleich effektiv sind, den Schaden abzuwehren und keinen Eingriff in die Grundrechte Dritter erfordern.1934 Mit diesen Voraussetzungen bewegt sich Krings nahe an denen der Analogie, wie sie im allgemeinen für das gesamte Recht anerkannt ist. Gerade das im Strafrecht ausdrücklich statuierte Verbot der Analogie zu Lasten des Täters nach Art. 103 Abs. 2 GG lässt sich dahingehend deuten, dass es außerhalb des Strafrechts eben kein generelles Analogieverbot zu Lasten des Störer gibt.1935 Der differenzierten Lösung ist der Vorzug zu geben, weil sich mit ihr der ungerechtfertigte absolute Vorrang des Abwehrrechts vor der Schutzpflicht, den die herrschende Meinung behauptet, im Einzelfall durchbrochen werden kann.1936 Dennoch bestehen zwischen beiden Dimensionen Unterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung in der Grundrechtsdogmatik rechtfertigen und erfordern. Wohingegen die Rechtsfolge des Abwehrrechtes leicht bestimmbar ist – der Staat hat sich eines Eingriffs zu enthalten – ist die Schutzpflicht in der Rechtsfolge zunächst unbestimmt.1937 Diesem Umstand ist dadurch Rechnung zu tragen, dass auf tatbestandlicher Ebene bereits eine Zuspitzung der Schutzpflichtenfunktion gegeben sein muss. Ein bloß abstraktes Risiko genügt nicht, um die schutzpflichtenbasierte Notbefugnis auszulösen. Notwendig ist entweder eine bereits begonnene Schädigung oder zumindest eine konkrete Gefahr einer solchen. Bei einem konkreten Risiko ist der unmittelbare Rückgriff nur zu Gunsten höchster Grundrechtsgewährleistungen, wie Leben und körperliche Unversehrtheit, zulässig und

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Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 289. Zum umstrittenen Begriff der „Hochwertigkeit“ eines Verfassungsgutes und seiner Eingrenzung siehe 2. Kapitel D. XIV. – „Rangordnung der grundrechtlichen Positionen“. 1934 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 290. 1935 Der Grundsatz der strengen Gesetzesbindung des Strafrechts, wie er sich aus Art. 103 Abs. 2 GG ergibt, kennt selbst Einschränkungen, wenn etwa tatbestandlicher Anknüpfungspunkt für eine Genehmigung eine untergesetzliche Vorschrift oder gar das Vorliegen eines Verwaltungsaktes ist, vgl. Brüning, in: Stern/Becker GG, Art. 103, Rn. 64 ff. 1936 Ähnlich Schwabenbauer, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 172 ff. 1937 Calliess, JZ 2006, 321 (328); Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 407 ff. 1933

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

auch nur zu Lasten im Nachhinein entschädigungsfähiger oder geringfügiger Rechte. So kann es beispielsweise zulässig sein, dass in die Berufsfreiheit eines Anlagenbetreibers eingegriffen wird, wenn konkrete Schäden an höchsten Verfassungsgütern durch den Anlagebetrieb konkret zu befürchten sind. Der Eingriff in die Berufsfreiheit ist, etwa durch Ausgleich des entgangenen Gewinns und Erteilung der Genehmigung für die Zukunft, weitgehend reversibel, sollte sich die getroffene Abwägung als falsch herausstellen. Eine Schädigung an höchstpersönlichen Rechtsgütern, insbesondere dem Leben, ist regelmäßig irreversibel und nur unzureichend entschädigbar, weshalb hier – unter den sonstigen oben genannten Voraussetzungen – eine Notbefugnis zur Schutzgewährleistung in Betracht kommen muss, auch wenn die Rechtsfolge der Schutzpflichtendimension einen höheren Grad an Unbestimmtheit aufweist, als die der Abwehrdimension.1938 Von Steinberg wurde die Befürchtung geäußert, eine verfassungsunmittelbare Notbefugnis führe dazu, dass die „Begrenzung [von Grundrechten] nicht mehr rechtfertigungsbedürftig“ wäre, stattdessen „der Hinweis auf entgegenstehende Grundrechte genüge“ und Eingriffe „nicht mehr überprüfbar wäre[n]“.1939 Hierbei wird jedoch der Charakter einer Notbefugnis grundlegend verkannt. Es geht nicht um die Beseitigung des Vorbehalts des Gesetzes, sondern um eine streng umrissene Ausnahme von diesem. Auch im Falle einer verfassungsunmittelbaren Notbefugnis bleibt der Grundrechtseingriff in das Abwehrrecht des Störers rechtfertigungsbedürftig. Es genügt eben nicht der bloße Hinweis auf entgegenstehende Grundrechte, sondern diese müssen konkret gefährdet oder verletzt sein und auch abstrakt auf einer höheren Stufe stehen,1940 als das zu beschränkende Grundrecht.1941 Auch der Hinweis, das derartige Eingriffe nicht mehr überprüfbar seien, ist verfehlt. Gerade auch für die verfassungsunmittelbare Notbefugnis steht dem in seinem Grundrecht negativ Betroffenen nach Art. 19 Abs. 4 Abs. 1 GG die Rechtsweggarantie zur Seite, sofern sich nicht schon aus einfachem Recht eine Klagemöglichkeit ergibt. 1938 In eine ähnliche Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 20.06.2002 – 1 BvR 558, 1428/91 – BVerfGE 105, 252 (258) [Glykol], das bei vergleichbarer Rechtsgüterabwägung (Leben und körperliche Unversehrtheit gegen rein wirtschaftliche Interessen) die Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes (im Rahmen eines obiter ditum, denn in erster Linie verneinte es schon den Eingriff) so weit zurücknimmt, dass bereits aus der Aufgabennorm die entsprechende Eingriffsermächtigung erwachsen könne. Ebenso zuvor BVerfG, Beschluss vom 15.08.1989 – 1 BvR 811/89 – NJW 1989, 3269 (3270) [Jugendsekten]. 1939 Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 122. 1940 Zu der – im Schrifttum umstrittenen – jedoch auch vom Bundesverfassungsgericht in seiner Rechtsprechung vorausgesetzten Stufenordnung, siehe 2. Kapitel D. XIV. – „Rangordnung der grundrechtlichen Positionen“. 1941 Damit bleibt auch ein Grundrechtseingriff in die Menschenwürde oder das Leben, wie in den Konstellationen finaler Rettungsschuss und Luftsicherheitsgesetz diskutiert, aufgrund einer grundrechtsunmittelbaren Notbefugnis ausgeschlossen.

F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis

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IV. Exkurs: Gentechnikentscheidung des VGH Hessen Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte die Debatte1942 mit dem Verbot einer gentechnischen Anlage durch den VGH Hessen, das ohne gesetzliche Grundlage erging und nur auf grundrechtliche Schutzpflichtenerwägungen gestützt wurde.1943 Ein Chemie- und Pharmaunternehmen beantragte eine Genehmigung zur Errichtung einer gentechnischen Versuchsanlage, in der unter Verwendung gentechnischer veränderter Mikroorganismen Humaninsulin hergestellt werden sollte.1944 Anwohner aus einem Umkreis von 8,5 km wendeten sich gegen die erteilte Genehmigung vor dem VG Frankfurt und unterlagen im Eilrechtsschutzverfahren erster Instanz.1945 Das VG Frankfurt sah in § 4 Abs. 1 BImSchG i.V. m. § 2 Abs. 3 der 4. BImSchV eine ausreichende rechtliche Grundlage zur Erteilung einer Genehmigung.1946 1. Die Selbstermächtigung des VGH Hessen Der VGH Hessen widersprach dieser Auffassung und führte aus, dass die allgemeinen Vorschriften des BImSchG keine ausreichende Grundlage für die Erteilung einer Genehmigung darstellen würden.1947 Angesichts der hohen Gefahren für Leben und körperliche Unversehrtheit, die das Gericht ausgehend von den Gentechnikanlage für möglich hielt, und der überragenden Bedeutung der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, sei eine besondere gesetzgeberische Zulassung der Gentechnik nötig. Das Gericht bestreitet nicht, dass Art. 5 Abs. 3, 12 und 14 GG grundsätzliche Forschungs-, Berufs- und Gewerbefreiheit gewähren. Angesichts der Schutzverpflichtung des Staates für das Leben und die körperliche Unversehrtheit seiner Bürger, kehre sich das Verhältnis hier aber um und es sei von einem Zulassungsvorbehalt der Gentechnik durch den Gesetzgeber auszugehen.1948 Eine solche Zulassung sei im BImSchG der damaligen Fassung nicht zu erblicken, da der Gesetzgeber bei dem Erlass desselben die Gentechnologie 1942 Befürwortend: Eiberle-Herm, NuR 1990, 204 (207); Wahl/Masing, JZ 1990, 553 (563); ablehnend: Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 97; Enders, AöR 1990, 610 (636); Fluck, UPR 1990, 81 (86); Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 119; Rose, DVBl. 1990, 279 (282); Vitzthum, VBlBW 1990, 48 (51). 1943 VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (336) [Gentechnik]. 1944 VG Frankfurt, Beschluss vom 03.02.1989 – II/2 H 3022/88 – NVwZ 1989, 1097 (1097). 1945 VG Frankfurt, Beschluss vom 03.02.1989 – II/2 H 3022/88 – NVwZ 1989, 1097 (1098). 1946 VG Frankfurt, Beschluss vom 03.02.1989 – II/2 H 3022/88 – NVwZ 1989, 1097 (1099). 1947 VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (337) [Gentechnik]. 1948 VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (337) [Gentechnik].

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noch nicht im Blick hatte und diese weder subjektiv regeln wollte noch objektiv geregelt habe.1949 2. Befürworter der Gentechnikentscheidung Tatsächlich bestanden für das Gebiet der Gentechnik im Zeitpunkt der Entscheidung noch keine einfachgesetzlichen Regelungen, die aber bereits mit Verweis auf den Wesentlichkeitsgrundsatz und den Parlamentsvorbehalt in der Rechtswissenschaft gefordert wurden.1950 Gelobt wurde die Entscheidung unter anderem dafür, dass „das Gericht [. . .] auf einen konkreten Gefahrennachweis der Gentechnologie, insbesondere auf belegbare Schäden [verzichtete]“.1951 Es würden bereits potentielle Risiken und Gefahren dieser Technologie genügen, da man nicht darauf warten könne „daß das Kind nicht erst in den Brunnen fallen soll“.1952 Das Gericht habe den durch die nicht wahrgenommene Aufgabenerfüllung des Gesetzgebers entstandenen „Funktions- und Verantwortungszuwachs“ von Justiz und Exekutive an den Gesetzgeber zurückgegeben, der durch den Beschluss unter Zugzwang gesetzt würde, eine Leitentscheidung über das „Ob“ der Zulässigkeit den gentechnischen Forschung zu treffen.1953 Schon vor der Entscheidung des VGH Hessen war vereinzelt im Schrifttum gefordert worden, im Fall von außergewöhnlich schwerwiegenden drohenden Umweltschäden „unmittelbar aus den Grundrechten [. . .] eine Handlungspflicht des Staates zu begründen, gegebenenfalls auch ohne die Zwischenschaltung weiterer rechtlicher Grundlagen“.1954 3. Kritik an der Gentechnikentscheidung Grundsätzliche Ablehnung erfuhr die Entscheidung schon aus dogmatischen Gründen.1955 Der VGH Hessen setze in seinem Beschluss voraus, dass staatliche Genehmigungen sich als Grundrechtseingriffe gegenüber den vom privaten Verhalten betroffenen Dritten darstellen, weil die Dritten durch die Genehmigung

1949 VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (338) [Gentechnik]. 1950 Zur damaligen Rechtslage und der Notwendigkeit eines Parlamentsgesetzes: Kloepfer/Meßerschmidt, Umweltrecht (1. Aufl. 1989), § 13 Rn. 201; Hofmann, JZ 1986, 253 (255); Nicklisch, NJW 1986, 2287 (2291). 1951 Bizer, KJ 1990, 127 (128); eben dieser Punkt wurde an anderer Stelle aber auch kritisch bewertet, vgl. Rose, DVBl. 1990, 279 (282). 1952 Bizer, KJ 1990, 127 (128). 1953 Eiberle-Herm, NuR 1990, 204 (205). 1954 Steiger, Mensch und Umwelt, S. 54. 1955 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 97; Enders, AöR 1990, 610 (636); Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 119; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 120 ff.

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von staatlicher Seite zur Duldung des schädigenden Verhaltens verpflichtet würden.1956 Deshalb könne, in der Logik des VGH Hessen, die Verwaltung eine Genehmigung im Bereich neuer Technologien schon allein deshalb nicht erteilen, weil eine gesetzliche Bewertung dieser Technologien zu dieser Zeit noch nicht stattgefunden habe. Dabei stützt sich der Beschluss ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten, in der statuiert wurde, dass eine justiziable Schutzpflichtverletzung erst dann erkannt werden könne, wenn der Gesetzgeber „gänzlich untätig geblieben ist“.1957 Dabei verschweigt der VGH Hessen, dass das Bundesverfassungsgericht keine generelle Aussage zur Justiziabilität der grundrechtlichen Umweltschutzverpflichtung traf, sondern lediglich die Voraussetzungen beschrieb, unter denen eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann.1958 In der zitierten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung ist hingegen kein Auftrag an die Fachgerichtsbarkeit zu erblicken, den Grundsatz der Privatautonomie, wonach nicht verbotenes Verhalten grundsätzlich erlaubt ist, umzukehren.1959 Das Bundesverfassungsgericht hat hingegen schon in seiner frühen Rechtsprechung zu den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates festgestellt, dass vom Gesetzgeber keine Regelungen gefordert werden können, die eine Gefährdung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschlössen, da dies „weithin jede staatliche Zulassung der Nutzung von Technik verbannen“ würde.1960 Wenn schon vom Gesetzgeber keine solche Regelung gefordert werden kann, dann erst Recht nicht durch ein Gericht, das ohne hinreichende Ermächtigungsgrundlage entsprechende Verbote erteilt.1961 Anders könnte dies höchstens sein, wenn umgekehrt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ein Schaden droht. Es erfolgt in der Begründung des Beschlusses keine Auseinandersetzung mit den tatsächlichen Gefahren der Gentechnik, geschweige denn, dass der Nachweis einer tatsächlichen Schädigung gefordert worden

1956 Näher zu dieser zwischenzeitlich in der Umweltrechtswissenschaft populären Ansicht, die aber heute kaum noch Anhänger hat: 1. Kapitel F. – „Abwehrrechtliche Einheitstheorie“. 1957 VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (337) [Gentechnik]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (71) [Fluglärm I]. 1958 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (71) [Fluglärm I]. 1959 So auch Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 432; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 97; Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 3 Rn. 119. Demgegenüber weist Vosgerau, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 142 darauf hin, dass durch „heute infolge einer immer engmaschigeren Schutzgesetzgebung“ der Grundsatz, dass alles verboten ist, was nicht erlaubt wurde, tatsächlich positiviert sei. 1960 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (143) [Kalkar I]. 1961 Vitzthum, VBlBW 1990, 48 (48).

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wäre.1962 Der VGH stützt sich in seinem Beschluss nicht auf konkrete Erkenntnisse über tatsächlich bestehende Gefahren, sondern nur auf „potentielle Risiken“ und abstrakte Gefahren. Es genügt dem Gericht, dass „schwer überschaubare Wechselwirkungen [. . .] irreversible Umweltveränderungen denkbar erscheinen lassen“.1963 Obwohl der VGH Hessen keine eigene Gefahrprognose aufstellte, ging er davon aus, dass die Gefahren der Gentechnik mindestens so hoch seien, wie die Gefahren der Kernenergie, weshalb hier ein selbstständiges Einschreiten des Gerichts angezeigt sei.1964 Unabhängig davon, wie gefährlich man die Kernenergie einschätzt,1965 wäre der VGH Hessen höchstens dann dazu berechtigt gewesen von einer Schutzpflichtverletzung auszugehen, die den Grundsatz der Privatautonomie umkehrt, wenn eine hinreichend wahrscheinliche Schädigung konkret abzusehen wäre, sodass bei einem Nichteinschreiten des Gerichts, der Staat sehenden Auges die schwerwiegende Verletzung eines privaten Rechtsguts nicht abgewendet hätte.1966 Es ist dem VGH Hessen zurecht vorgeworfen worden, dass er die grundrechtlichen Interessen der Anlagenachbarn gegen die grundrechtlichen Interessen des Anlagebetreibers „durchschlagen“ ließ, ohne im Rahmen der Abwägung eine „Konkordierung“ vorzunehmen.1967 Weiterhin wurden Zweifel an der sachlichen Zuständigkeit des VGH laut. So wie zur Abwägung und Konkordierung der grundrechtlichen Schutzbereiche primär der Gesetzgeber zuständig ist,1968 müsse auch für die Überprüfung einer Schutzpflichtverletzung des Gesetzgebers das Bundesverfassungsgericht zuständig sein, weshalb Instanzgerichten die Feststellung einer legislativen Schutzpflichtverletzung verwehrt sei.1969 4. Zwischenfazit Zwar bestand zum Zeitpunkt der Entscheidung des VGH Hessen eine schutzpflichtenwidrige Regelungslücke, dennoch lagen die Voraussetzungen einer verfassungsunmittelbaren Notbefugnis nicht vor. Die Errichtung der Anlage befand sich noch im Genehmigungsverfahren, weshalb von einer dringlichen Gefahren1962

Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 121. VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (338) [Gentechnik]. 1964 VGH Hessen, Beschluss vom 06.11.1989 – 8 TH 685/89 – NJW 1990, 336 (339) [Gentechnik]. 1965 Näher hierzu siehe 3. Kapitel D. IV. 2. – „Atommoratorium als Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten“. 1966 Fluck, UPR 1990, 81 (83); Rose, DVBl. 1990, 279 280 f. 1967 Vitzthum, VBlBW 1990, 48 (51). 1968 Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 102. 1969 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 432 f.; Enders, AöR 1990, 610 (636); Fluck, UPR 1990, 81 (86). 1963

F. Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis

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lage nicht die Rede sein konnte. Außerdem hatte die Entscheidung des VGH Hessen nicht den Charakter einer temporären Ausnahmeentscheidung, sondern es maßte sich an, so lange selbstständig zu entscheiden, bis der Gesetzgeber sich mit der Sache beschäftige. Es handelt sich daher nicht um die Ausübung einer Notbefugnis, sondern um einen Fall der unzulässigen richterlichen Rechtsfortbildung. 5. Alternativen Da die Entscheidung vor allem für das mangelnde methodische Vorgehen kritisiert wurde, darüber hinaus aber kaum bestritten wurde, dass es sich bei der Gentechnik bis zum späteren Erlass des GenTG um ein stark regulierungsbedürftiges Feld handelte, stellt sich die Frage, wie Verwaltung und Gerichte stattdessen mit der Situation hätten umgehen sollen. Im Schrifttum sind einige Wege angesprochen worden, wie mit dem fehlenden Genehmigungserfordernis einer Risikotechnologie umzugehen ist. Die erste Möglichkeit ist eine Verpflichtungsklage auf polizeiliches oder ordnungsbehördliches Einschreiten aufgrund der jeweiligen landesrechtlichen Generalklauseln des Sicherheits- und Polizeirechts.1970 Voraussetzung dafür ist das Vorliegen einer Gefahr, wobei die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit sinken, je höher der zu befürchtende Schaden ist. Verbunden damit sind Beweislastprobleme der Klägerseite, die, neben dem Vorliegen einer Gefahr, die Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null darlegen muss. Außerdem ergeben sich rechtliche und praktische Probleme in der Zuständigkeit. Die Zuständigkeit einer Fachbehörde schließt gemeinhin die Zuständigkeit der Polizei aus. Auch ganz praktisch ist die sachnähere Behörde, seien es Naturschutzbehörden, Immissionsschutzbehörden, Katastrophenschutz etc. mit größerer Sachkompetenz ausgestattet, als die auf einem breiteren Feld tätigen Polizeibehörden. Umgekehrt können aber die Fachbehörden nicht auf die polizeiliche Generalklausel zurückgreifen. Im Rahmen der Anfechtungsklage vor dem VGH Hessen war polizeilichen Handeln kein Prüfungsgegenstand, weshalb ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel ausschied. Die zweite Möglichkeit wäre, im Rahmen einer Drittanfechtungsklage der jeweiligen Bau- oder Immissionsschutzgenehmigung, das Verfahren auszusetzen und das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer konkreten Normkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 GG anzurufen und über die Genehmigungspflichtigkeit der neuartigen gefährlichen Anlage entscheiden zu lassen.1971 Stellt das Bundesverfassungsgericht eine verfassungswidrige Regelungslücke fest, darf es 1970

Vitzthum, VBlBW 1990, 48 (50). Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 138; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 290; Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 50. 1971

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3. Kap.: Analyse der Rechtsfolgenseite

gemäß § 31 Abs. 2 S. 1 i.V. m. § 13 Nr. 11 BVerfGG eine Übergangsregelung treffen und dem Gesetzgeber den Auftrag zur Schaffung einer endgültigen Regelung erteilen.1972 Inwieweit ein Normkontrollantrag gegen gesetzgeberisches Unterlassen tatsächlich möglich ist, ist im Verfassungsprozessrecht bis heute strittig.1973 Das Bundesverfassungsgericht scheint davon auszugehen, dass im Falle eines vollständigen Unterlassens eines Gesetzes, im Gegensatz zum schutzlückenhaften bestehenden Gesetz, eine Antragsbefugnis der Gerichte nicht gegeben ist.1974 Stattdessen scheint ein verfassungsrechtlicher Rechtschutz gegen das Unterlassen des Gesetzgebers erst nach Durchschreiten des Instanzenzuges mittels Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil möglich zu sein, was zu der gleich zu erörternden Frage nach der gerichtlichen Durchsetzbarkeit grundrechtlicher Schutzpflichten, insbesondere durch das hierzu besonders berufene Bundesverfassungsgericht, überleitet.

1972

Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 142. Diese Frage ist für den Moment zurückzustellen, da den prozessualen Fragen im Anschluss eine ausführliche eigene Auseinandersetzung gewidmet ist. Siehe 4. Kapitel C. I. – „Konkrete Normkontrolle“. 1974 Vgl. hierzu die Nachweise in 4. Kapitel C. I. – „Konkrete Normkontrolle“. 1973

4. Kapitel

Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten im demokratischen Rechtsstaat Obschon sich umfangreiche Umweltschutzpflichten des Staates aus den Grundrechten ergeben, ist ihre Durchsetzung nicht selten durch prozessuale Hürden versperrt, die es zu überwinden gilt. Zur Durchsetzung der Grundrechte sind keinesfalls nur die Gerichte berufen. Auch das Aufsichtsrecht, sei es kommunalrechtlich, beamtenrechtlich oder verfassungsunmittelbar, kennt Instrumente und Mechanismen, um verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Geltung zu verhelfen. Besondere Aufmerksamkeit wird jedoch dem Bundesverfassungsgericht als „Hüter der Verfassung“ geschenkt. Diesem wird nicht nur von Verfassungs wegen, sondern auch in der Bevölkerung traditionell beachtliches Vertrauen entgegengebracht.1975 Deshalb sind die Erwartungen an das verhältnismäßig kleine Gericht und seine 16 Richter hoch. Nur durch strenge Zulassungsvoraussetzungen kann es bei einer höheren vierstelligen Zahl an jährlichen Verfahrenseingängen seine Funktionsfähigkeit wahren.1976

A. Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld Auch wenn die Figur der grundrechtlichen Schutzpflichten, und damit wie gezeigt auch der Umweltschutzpflichten, aus dem verfassungsrechtlichen Diskurs kaum noch wegzudenken ist, fügt sich diese nicht immer bruchlos in die verfassungsrechtliche Ordnung des Grundgesetzes ein, wie Enders schon Ende des letz1975 Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 136. So sieht Graser, ZUR 2019, 271 (277) die dritte Gewalt als „offenes Forum“ auch für jene an, deren Belange im parlamentarischen Diskurs nicht ausreichend Gehör gefunden haben. In eine ähnliche Richtung Steiner, NJW 2001, 2919 (2921). 1976 Die folgende Bearbeitung soll nicht die umfangreiche Judikatur zum Verfassungsprozessrecht, inklusive der Geltendmachung von Grundrechten im vorher zu erschöpfenden Rechtsweg, nachzeichnen. Eine derartige Studie wäre so umfangreich, dass sie mindestens eine eigene Bearbeitung rechtfertigen würde, zumal die Entscheidungspraxis des Bundesverfassungsgerichts immer wieder dafür kritisiert wird, dass Fragen der Zulässigkeit mit Fragen der Begründetheit vermischt werden und deshalb die Entscheidungen häufig Anlass zu Missverständnissen sind, vgl. hierzu Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 7; Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1106).

342

4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

ten Jahrhunderts konstatierte.1977 An diesem Befund hat sich seither nichts geändert. Das latente Spannungsverhältnis zwischen den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten und anderen Verfassungsgütern wie den Freiheitsgarantien, der Gewaltenteilung oder der Haushaltsstabilität, bleibt bestehen. Wo sie nicht auflösbar sind, müssen in Widerstreit stehende Verfassungsprinzipien in schonenden Ausgleich gebracht werden. Ein bedeutender Einwand gegen die Geltendmachung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten ist, dass derartige Pflichten dem Gewaltenteilungsgrundsatz und dem Demokratieprinzip zuwiderlaufen würden. Die Warnungen vor dem Jurisdiktionsstaat begleiten das Bundesverfassungsgericht seit seiner Gründung und sind seither nicht verhallt.1978 Es wird die Gefahr gesehen, dass sich das Bundesverfassungsgericht zum Ersatzgesetzgeber aufschwingt und damit als Fremdkörper in den Kompetenzbereich einer anderen Staatsgewalt übergreift.1979 Luhmann formulierte bewusst provokant die These, die Grundrechte wandeln sich von Freiheitsrechten des Bürgers zu Freiheitsrechten des Richters. Denn dieser bekommt durch die Grundrechte die Möglichkeit, Gesetze auf ihre Gründe hin zu untersuchen.1980 Für manchen stellt sich der Konflikt von grundrechtlichen Schutzpflichten und Demokratie als binäre Alternative dar. So schreibt etwa Böckenförde: „Die Entscheidungsfrage, um die es geht, liegt letztlich darin, wem es unter Gesichtspunkten der Demokratie und des Rechtsstaats, der politischen und der bürgerlichen Freiheit zukommen soll, die Rechtsordnung, soweit es um ihre substantiellen Gehalte geht, zu gestalten. Vertraut sich der Bürger hierfür dem gewählten parlamentarischen Gesetzgeber oder vertraut er sich dem Verfassungsgericht an?“ 1981

Der Vorwurf lautet, das Bundesverfassungsgericht würde, ermutigt von einer justizgläubigen Öffentlichkeit, die Verfassung so extensiv interpretieren, dass es dadurch die Ausgestaltung der Rechtsordnung selbst übernehmen würde. Auch wenn die so geartete Kritik an einzelnen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts verfangen mag,1982 scheint eine generelle Ablehnung von Gewaltenverschränkung zu kurz zu greifen. Im Gegenteil, ein Trennungsrigorismus würde zu starren und strikt voneinander getrennten, monolithisch nebeneinanderstehenden 1977

Enders, AöR 1990, 610 (636). Hierzu bereits oben mit ausführlichen Nachweisen 1. Kapitel H. III. 4. – „Vom Hüter zum Herren der Verfassung“. 1979 Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 61; Klein, in: FS für Schenke, S. 207; Maurer, in: FS für Stern 80, S. 112; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (190); Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 35; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 298 f. 1980 Luhmann, Grundrechte als Institution, S. 207. 1981 Böckenförde, Staat, Verfassung, Demokratie, S. 197 f. 1982 Gerbig, Grundrecht auf staatlichen Schutz, S. 101 f.; Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 35. Siehe hierzu auch die Ausführungen unter 1. Kapitel H. III. – „Kritik des Wertordnungsdenkens“. 1978

A. Schutzpflichtendurchsetzung

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Teilbereichen der Staatsgewalt führen.1983 Eine solche Situation wäre weder funktionsgerecht, noch entspräche sie der Verfassungswirklichkeit. Tatsächlich sind die Gewalten innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik auf vielfältige Art und Weise miteinander verflochten und fließen ineinander über. So nehmen die Abgeordneten im Rahmen des Art. 10 Abs. 2 S. 2 GG Kontrolltätigkeiten wahr, die funktionell dem Bereich der Judikative zuzuordnen sind.1984 Auch die zunehmenden Ausmaße der Bundestagsverwaltung lassen diese immer weniger als parlamentarische Hilfseinrichtung, sondern als Behörde erscheinen.1985 Die Justiz nimmt ihrerseits Aufgaben der Verwaltung wahr, wenn beispielsweise das Amtsgericht als Grundbuchamt tätig wird, vgl. § 1 Abs. 1 S. 1 GBO. Die Verwaltung wird im Rahmen der Rechtsaufsicht von Behörden in einer der Judikative ähnlichen Position tätig. Im Rahmen des Satzungsrechts von Gemeinden oder der Verordnungsermächtigung von Fachbehörden werden von diesen Aufgaben der abstrakten Rechtssetzung übernommen, die strukturell verwandt mit der Gesetzgebung durch die Legislative sind. Zwar ist die Exekutive bei der Ausgestaltung des zu erlassenden Rechts an die höherrangigen Ermächtigungsgrundlagen gebunden, nichts anderes gilt jedoch auch für den einfachen Gesetzgeber, der an die Verfassung und für den verfassungsändernden Gesetzgeber, der an die Ewigkeitsgarantie gebunden ist. Frei in seiner Rechtssetzung ist nach Art. 146 GG lediglich das Volk in seiner Eigenschaft als verfassungsgebender Souverän.1986 An diesen Beispielen zeigt sich, dass die Gewaltenverschränkung mehr Regel als Ausnahme ist. Sie findet sich auf allen Ebenen, sei es in den hohen Sphären des Verfassungsrechts, als auch auf lokaler Ebene, im Kommunalrecht. Ohne sie wäre ein wechselseitiges Kontrollsystem der Gewalten nicht vorstellbar. Gegenseitige Kontrolle ist notwendigerweise mit Übergriffen in die Machtsphäre der anderen Gewalt verbunden.1987 1983

Di Fabio, in: HStR II, § 27 Rn. 39. Zu den verfassungsrechtlichen Bedenken dieser im geheimen operierenden Justiz siehe Roggan, in: Roggan, G-10-G§ 14 Rn. 1. 1985 Vgl. hierzu die Ausführungen von Meinel, Selbstorganisation des parlamentarischen Regierungssystems, S. 101 m.w. N. 1986 Obschon gewichtige Stimmen auch die Verfassungsneuschöpfung nur in den Grenzen des Art. 79 Abs. 3 GG für zulässig erachten, vgl. Hillgruber, in: BeckOK GG, Art. 146, Rn. 8 m.w. N. Wenn diese Ansicht zuträfe, wäre es dem deutschen Volk nicht erlaubt, die in Art. 79 Abs. 3 GG festgeschriebene Staatsform der föderalen Republik hinter sich zu lassen. In Anbetracht der Tatsache, dass sich keine Staatsform der menschlichen Entwicklungsgeschichte langfristig behauptet hat und auch das, was uns heute als richtig erscheinen mag, nicht das Ende der Geschichte, sondern nur ein Durchgangsstadium zu künftigen, uns heute noch unbekannten Formen menschlicher Vergesellschaftung sein könnte, erscheint diese Überbetonung der Ewigkeitsgarantie ahistorisch. 1987 In diese Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (125) [Kalkar I]: „Die konkrete Ordnung der Verteilung und des Aus1984

344

4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Historisch gesehen war die Trennung der Gewalten kein Selbstzweck, sondern diente dazu, die Bündelung von Macht in einem Staatsorgan zu verhindern.1988 Zu Grunde liegt der Gewaltenteilung also die Teilung von Macht, nicht ihre Trennung in voneinander hermetisch geschiedene Sphären. Bereits 1928 führte Kelsen auf der Staatsrechtslehrertagung hierzu aus: „Es ist der Gedanke der Aufteilung der Macht auf verschiedene Organe, nicht so sehr zum Zweck ihrer gegenseitigen Isolierung, als vielmehr zu dem ihrer gegenseitigen Kontrolle. Und dies nicht nur zu dem Zwecke, um eine der Demokratie gefährliche, allzu große Machtkonzentration in einem Organ zu verhindern, sondern insbesondere um die Rechtmäßigkeit der Funktion der verschiedenen Organe zu garantieren. Dann aber bedeutet die Institution der Verfassungsgerichtsbarkeit nicht nur keinen Widerspruch zum Prinzip der Trennung der Gewalten, sondern gerade im Gegenteil dessen Bestätigung.“ 1989

Es liegt in der Natur einer liberalen Verfassung, keinem Staatsorgan uneingeschränkte Macht zukommen zu lassen, sondern kontrollierbaren und durchsetzbaren Bindungen zu unterwerfen.1990 Selbst in Großbritannien, wo die Souveränität des Parlaments besonders hoch gehalten wird, deutet die jüngere Entwicklung auf eine Relativierung dieses Prinzips zugunsten menschenrechtlicher Gewährleistungen hin.1991 Die Grundrechte im modernen Verfassungsstaat dienen gerade dazu, das Parlament zu binden, um einer möglichen Tyrannei der Mehrheit entgegenzutreten.1992 Die Gesetzgebung durch die repräsentativ zusammengesetzte Volksvertretung soll nicht in einfacher Mehrheit frei entscheiden können, sondern die Grundrechtssubstanz durch Gesetze typisierend fixieren.1993 Es ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausgeschlossen, aus dem Demokratieprinzip „einen Vorrang des Parlaments und seiner Entscheidungen gegenüber den anderen Gewalten als einen alle konkreten Kompetenzzuordnungen überspielenden Auslegungsgrundsatz herzuleiten“.1994 Nicht nur ist die Verfasgleichs staatlicher Macht, die das Grundgesetz gewahrt wissen will, darf nicht durch einen aus dem Demokratieprinzip fälschlich abgeleiteten Gewaltenmonismus in Form eines allumfassenden Parlamentsvorbehalts unterlaufen werden.“ 1988 In engem Zusammenhang hiermit auch die Entwicklung der Wesentlichkeitstheorie. Dazu bereits oben 3. Kapitel B. II. 1. a) bb) – „Administrative Normsetzung“. 1989 Kelsen, in: VVDStRL 5 (1928), S. 55. 1990 Ekardt, ZUR 2015, 579 (583). 1991 So deutete der High Court in einem obiter dictum an, dass die absolute Souveränität des Parlaments im Zeitalter der Menschenrechtserklärungen nicht mehr zeitgemäß sei, weshalb sich das Gericht vorbehalte, menschenrechtswidrige Gesetze für ungültig zu erklären, House of Lords, Entscheidung vom 13.10.2005, UKHL 56, Rn. 102 [Jackson and others v. Her Majesty’s Attorney General]. Siehe zu dieser Entwicklung auch Murkens, in: Ius Publicum Europaeum VI, § 108 Rn. 119. 1992 Limperg et al., NJW 2016, 3698 (3704); Mußgnug, in: FS für Klein, S. 252; Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 243 f.; Windthorst, in: FS Bethge, S. 111. 1993 Morgenthaler, Freiheit durch Gesetz, S. 253. 1994 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (126) [Kalkar I].

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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sung ein Instrument des Minderheitenschutzes, sondern es kommt dieser auch eine höhere demokratische Legitimation zu. Durch ihre erschwerte Abänderbarkeit stellt sie selbst einen qualifizierten Mehrheitsentscheid dar, der die Grenzen des durch einfache Mehrheit auszufüllenden Gestaltungsspielraums absteckt.1995 Die Sorge, das Bundesverfassungsgericht könnte sich zu einer die Gesetzgebung ersetzenden Macht entwickeln, würde es über Umweltschutzpflichtverletzungen des Gesetzgebers urteilen, überschätzt die faktischen Möglichkeiten des Gerichts bei weitem.1996 Tatsächlich sind die Funktionsgrenzen des Gerichts schon jetzt, mit mehreren tausend jährlichen Verfahrenseingängen bei nur zwei Senaten mit je acht Richtern, erreicht. Die zum Zwecke des Umweltschutzes getroffenen Maßnahmen sind vielfältig und in ihren Wirkungsweisen komplex. Häufig werden negative Folgen von umweltschützenden Maßnahmen erst im praktischen Vollzug sichtbar. Die Gerichte stehen nicht selbst auf dem Feld und überprüfen die tatsächliche Wirksamkeit von Umweltschutzmaßnahmen, sondern sind darauf angewiesen, dass andere Stellen ihnen die nötigen Informationen beschaffen. Die Menge an anfallenden Umweltinformationen kann durch die Gerichte nicht vollständig erfasst werden, weshalb die Kontrolle immer nur punktuell erfolgen kann. Eine umfassende Abwägung aller Umweltbelange unter Berücksichtigung aller schutzwürdigen, entgegenstehenden Interessen ist der Rechtsprechung deshalb schon aus tatsächlichen Gründen versagt. Aus der Begrenztheit der eigenen Möglichkeit einer besseren Erkenntnis, übt sich die Rechtsprechung im judicial self-restraint.1997 Im Folgenden wird das im nachgezeichneten Spannungsfeld der widerstreitenden Interessen stehende einschlägige Verfassungsprozessrecht dargestellt und im gleichen Zug der Grad an Durchsetzbarkeit der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten untersucht.

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren Grundfunktion des gerichtlichen Rechtsschutzes in Deutschland ist das subjektive Recht. Eine Popularklage ist bis auf wenige Ausnahmen ausgeschlossen.1998

1995

Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 211 f. Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 90, Rn. 227. 1997 Zu diesem aus dem anglo-amerikanischen Recht stammenden Begriff Kriele, in: HStR IX, § 188 Rn. 9 ff.; Spielmann/Röper, DÖV 2018, 928 (928). 1998 Zu nennen ist hier die bayerische Popularklage nach Art. 98 S. 4 BV, mit der landesrechtliche Parlamentsgesetze angegriffen werden können, die ein Grundrecht verfassungswidrig einschränken. Die im Rahmen der Aarhus-Konvention eingeführten Verbandsklagen sind eine eigene Verfahrensart, in der das Erfordernis der subjektiven Rechtsverletzung nicht wie bei der Popularklage entfällt, sondern durch andere Zulässigkeitsvoraussetzungen substituiert wird. Siehe hierzu auch Heß, ZUR 2018, 686 (687). 1996

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

I. Die Verfassungsbeschwerde Das wichtigste Instrument zur eigenständigen Durchsetzung der Grundrechte durch den Bürger ist die Verfassungsbeschwerde. Sie kann nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG von jedermann erhoben werden, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt ist. Potentielle Beschwerdegegner sind damit alle Gewalten, an die sich die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten, je nach ihrer Stellung im Verfassungsgefüge, richten.1999 1. Beschwerdegegenstand Typischerweise richten sich Verfassungsbeschwerden gegen ein letztinstanzliches Urteil oder gegen ein Gesetz. Ein bestehendes Gesetz kann bei Verfassungswidrigkeit mittels der sogenannten Elfes-Konstruktion angegriffen werden, da es als nicht zur verfassungsmäßigen Ordnung gehörend die grundrechtlich garantierte umfassende allgemeine Handlungsfreiheit einschränkt, ohne sich in den Schranken des Art. 2 Abs. 1 Hs. 2 GG zu halten.2000 Die Elfes-Rechtsprechung bezieht sich jedoch auf die Grundrechte in ihrer Dimension als Abwehrrechte, weshalb bezüglich der Schutzpflichtendimension, bei der nicht ein Handeln, sondern ein Unterlassen Beschwerdegegenstand sein soll, die Zulässigkeit gesondert zu prüfen ist. Dass ein Unterlassen der Justiz Beschwerdegegenstand sein kann, ergibt sich schon aus Art. 19 Abs. 4 S. 1, 103 Abs. 1 GG auf die Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG ausdrücklich verweist. Auch für ein Unterlassen der Exekutive ist die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde ausdrücklich anerkannt.2001 Anders verhält sich dies bei Beschwerden über legislatives Unterlassen. Es könnte angenommen werden, dass nur ein aktives Handeln des Gesetzgebers, also der Erlass eines Gesetzes, mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden kann. Demokratietheoretische Überlegungen könnten für diese Einschränkung streiten.2002 Da, wie oben bereits ausgeführt, aus dem Demokratieprinzip kein allesumfassender Parlamentsvorbehalt abgeleitet werden kann, betrifft das Demokratieprinzip nicht das Ob der Überprüfung gesetzgeberischen Unterlassens, sondern das Wie. So wurde konsequenterweise bereits früh durch das Bundesverfassungsgericht klargestellt, dass nicht nur ein Handeln des Gesetzgebers Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein kann, sondern auch ein gesetzgeberisches Unterlassen: 1999

Siehe hierzu 3. Kapitel E. – „Vertikale Aufgabenverteilung“. Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 190; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (5); grundlegend: BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 (41) [Elfes]. 2001 BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (214) [Chemiewaffen]. 2002 Brüning, Jura 2001, 155 (156); Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 745. Für eine Statthaftigkeit der Verfassungsbeschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen: Battis, in: HStR XII, § 275 Rn. 76; Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 90, Rn. 32; Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 184; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 393. 2000

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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„Wenn bei dieser Voraussetzung der Gesetzgeber den Verfassungsauftrag unrichtig auslegt, demzufolge seiner Gesetzgebungspflicht nur unvollständig nachkommt und durch das Unterlassen einer erschöpfenden Regelung zugleich ein Grundrecht verletzt, ist die Verfassungsbeschwerde auch gegen dieses Unterlassen des Gesetzgebers zulässig.“ 2003

Diese Rechtsprechung ist in Anbetracht des klaren Wortlautes des Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG nur konsequent, denn die Beschwerde setzt lediglich die Geltendmachung einer Rechtsverletzung voraus, die grundsätzlich auch durch ein Unterlassen möglich ist, sofern eine Handlungspflicht besteht.2004 Auch der einfache Gesetzgeber teilt diese Auffassung, denn in § 92 BVerfGG wird ausdrücklich auch auf ein mögliches Unterlassen als Beschwerdegegenstand verwiesen.2005 Die demokratietheoretischen Überlegungen, insbesondere die potentielle Kollision mit dem Gewaltenteilungsgrundsatz bei der Überprüfung gesetzgeberischen Unterlassens, werden vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Begründetheit beim zu wählenden Kontrollmaßstab, also der Prüfungsdichte, berücksichtigt.2006 Darüber hinaus spielt die Tenorierung eine entscheidende Rolle.2007 Festzuhalten bleibt, dass ein Unterlassen des Gesetzgebers grundsätzlich Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde sein kann. 2. Frist Auch wenn die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen des Gesetzgebers für die Zulässigkeit des Beschwerdegegenstandes nicht ins Gewicht fällt, spielt sie in Bezug auf die Verfristung der Beschwerdemöglichkeit eine Rolle. Die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG für die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gilt nur bei positiven Akten der öffentlichen Gewalt – denn bei verfassungswidrigem Unterlassen ist kaum ein Zeitpunkt für den Beginn der Rechtsverletzung feststellbar.2008 Verfassungsbeschwerden, die sich gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen oder eine nicht vorgenommene Nachbesserung an einem Gesetz richten, sind deshalb nicht an die Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG

2003 BVerfG, Beschluss vom 20.02.1957 – 1 BvR 441/53 – BVerfGE 6, 257 (264) [Armenrecht]; anders noch BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (100) [Hinterbliebenenrente I]. 2004 Gusy, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 339. 2005 Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 7. 2006 Hierzu 4. Kapitel D. – „Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte“. 2007 Zu Fragen der Tenorierung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts siehe 4. Kapitel D. V. – „Tenorierung“. 2008 BVerfG, Beschluss vom 09.01.1962 – 1 BvR 662/59 – BVerfGE 13, 284 (287); BVerfG, Beschluss vom 20.02.1957 – 1 BvR 441/53 – BVerfGE 6, 257 (266) [Armenrecht]; Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 90, Rn. 225.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

gebunden.2009 Ist der Gesetzgeber hingegen ablehnend tätig geworden, dann hat er eine Entscheidung nicht unterlassen, sondern eine aktive Regelung getroffen, mithin ein positiver Akt der öffentlichen Gewalt. In diesem Fall ist die Jahresfrist für das Einlegen der Beschwerde einzuhalten.2010 Die Jahresfrist für die Beschwerde gegen gesetzgeberisches Unterlassen beginnt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch dann, wenn der Gesetzgeber sich „erkennbar und eindeutig weigert“ tätig zu werden.2011 3. Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte Die Einforderung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten mittels der Verfassungsbeschwerde setzt eine Beschwerdebefugnis und damit ein subjektives Recht voraus. Die Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten als objektives Verfassungsrecht durch Teile des Schrifttums und des Bundesverfassungsgerichts wirft die Frage auf, ob mit diesen ein subjektiv-rechtlicher Anspruch auf Schutz verbunden ist.2012 a) Der Begriff des subjektiven Rechts Subjektivität eines Rechts bedeutet, dass der Einzelne befugt ist, ein bestimmtes Verhalten einzufordern.2013 Bei der Schutzpflicht bezieht sich das Einzufordernde auf die Gewährung des jeweilig gebotenen Schutzstandards. Das subjektive Recht weist eine dreigliedrige Struktur auf, in der Inhalt des Rechts, Inhaber und Adressat wechselseitig aufeinander bezogen sind.2014 Es unterscheidet sich vom bloßen Rechtsreflex, der den Einzelnen zwar ebenfalls begünstigt, der aber nicht um des Begünstigten Willen existiert.2015 Der faktisch Begünstigte ist passiver Empfänger einer objektiv-rechtlichen Wirkung.2016 Die einem subjektiven Recht inhärente staatliche Handlungspflicht wird erst durch die Geltendmachung 2009 BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (214) [Chemiewaffen]; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 354. 2010 BVerfG, Beschluss vom 02.05.2018 – 1 BvR 3250/14 – NVwZ 2018, 1635 (1635) [Jagdliche Befriedung]; BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (71) [Fluglärm I]; BVerfG, Beschluss vom 09.01.1962 – 1 BvR 662/59 – BVerfGE 13, 284 (287). 2011 BVerfG, Beschluss vom 11.03.2003 – 2 BvK 1/02 – BVerfGE 107, 286 (293) [Kommunalwahl-Sperrklausel II]; BVerfG, Beschluss vom 08.03.2001 – 2 BvK 1/97 – BVerfGE 103, 164 (171) [ÖDP]. 2012 Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 234 spricht etwa davon, das Bundesverfassungsgericht habe sich mit der Deduktion der Schutzpflicht aus der objektiven Wertordnung in eine Sackgasse begeben. 2013 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 2. 2014 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 267. 2015 Bachof, in: GS für Jellinek, S. 291; Brüning, Jura 2001, 155 (160); Bühler, in: GS für Jellinek, S. 278; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 137; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 57; Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 50. 2016 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 137.

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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eines Trägers des subjektiven Rechts aktiviert.2017 Grundsätzlich kann der Träger subjektiver Rechte auf deren Geltendmachung verzichten.2018 Subjektives und objektives Recht sind keine sich ausschließenden Gegensätze.2019 Vielmehr umfasst das objektive Recht alle Geltung beanspruchenden Normen einer Rechtsordnung. Das subjektive Recht ist der Ausschnitt aus dem Gesamtbestand des objektiven Rechts, auf dessen Vollzug der Einzelne einen Anspruch geltend machen kann.2020 Das subjektive Recht fließt demnach aus dem objektiven Recht und kann nicht ohne dieses gedacht werden.2021 Aus der Differenzierung von objektivem Recht und subjektiven Rechten folgt, dass es einen allgemeinen Anspruch auf Gesetzesvollzug nicht gibt.2022 Im Gegensatz zur objektiven Rechts- und Gesetzesbindung der Staatsorgane nach Art. 20 Abs. 3 GG vermittelt das subjektive Recht dem Bürger eine eigenständige Position. Die Zuerkennung der Möglichkeit eines jeden Bürgers, „selbständig gegenüber dem Staat aufzutreten und die Beachtung der ihn betreffenden Gesetze zu verlangen“, ist Ausdruck der Menschenwürdegarantie aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG.2023 Ohne diese Möglichkeit wäre er Untertan und nicht Bürger – bloßes Objekt des staatlichen Handelns.2024 b) Das subjektive Recht im System des Öffentlichen Rechts Die Subjektivität von Rechten nimmt im Öffentlichen Recht bundesdeutscher Prägung eine herausgehobene Stellung ein.2025 Das subjektive Recht ist für den Bürger, abgesehen von wenigen prozessualen Ausnahmen, Zugangsvoraussetzung zur Gerichtsbarkeit. Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG bestimmt, dass jedem, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, der Rechtsweg offen steht. In der VwGO wird diese verfassungsrechtliche Einengung des Rechtsschutzes auf die subjektive Rechtsverletzung mit dem gleichklingenden Erfordernis der Klagebe2017 Hofmann, JZ 1986, 253 (255); Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 221; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 5. 2018 Inwiefern dies auf die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zutrifft, hängt vom Einzelfall ab. Hierzu siehe 2. Kapitel B. II. 4. – „Schutz gegen sich selbst“. 2019 Auch andere Rechtsordnungen kennen derartige Begriffspaare, so bspw. die anglo-amerikanische Unterscheidung zwischen „law“ (objektivem Recht) und „right“ (subjektiver Berechtigung), Hofmann, ZRP 1986, 87 (88). 2020 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 15; Maurer/ Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 3. 2021 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 139; a. A. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 148 ff. 2022 Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 135. 2023 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 8 Rn. 4. 2024 BVerwG, Urteil vom 24.06.1954 – V C 78.54 – BVerwGE 1, 156 (160) [Existenzminimum]. 2025 Zum historischen Hintergrund dieser Entwickung siehe Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 30 ff.

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fugnis in § 42 Abs. 2, § 47 Abs. 2 S. 1 VwGO übernommen. Auch die Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG steht unter dem Vorbehalt der subjektiven Rechtsverletzung. Die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG setzt subjektive Rechte voraus, schafft diese jedoch nicht.2026 Im Verfassungsprozessrecht sind die Normen, aus denen sich die Beschwerdebefugnis ergeben kann, enumerativ aufgelistet, vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG. Damit erfolgt zum einen eine Beschränkung des verfassungsgerichtlichen Schutzes auf die genannten Normen. Anders als die obersten Gerichtshöfe der USA oder der Schweiz, die zugleich eine Doppelfunktion als Verfassungsgericht wahrnehmen, ist das Bundesverfassungsgericht nicht als Superrevisionsinstanz ausgestaltet.2027 Eine Beschwerdebefugnis ist damit auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränkt. Andererseits erweitert das Grundgesetz die Beschwerdebefugnis, indem es durch die enumerative Auflistung zum Ausdruck bringt, dass sich subjektive Rechte aus den Grundrechten ergeben können.2028 Es ist hiermit aber nicht festgelegt, dass alle Inhalte, die sich aus dem Katalog der Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte ergeben, den subjektiven Rechten zuzuordnen sind. Möglicherweise ist die subjektiv-rechtliche Seite der Grundrechte auf ihre Abwehrdimension beschränkt,2029 sodass die Schutzpflichtenfunktion der Grundrechte vollständig dem rein objektiven Verfassungsrecht zuzuordnen ist. Auch denkbar erscheint, dass jeder objektiven Schutzpflicht ein subjektiver Schutzanspruch gegenübersteht.2030 Eine weitere Möglichkeit ist eine Differenzierung nach Adressaten und Begünstigten vorzunehmen, um die jeweilige Schutzfunktion dem objektiven Recht oder den subjektiven Rechten zuzuordnen. c) Objektive Schutzpflichten und subjektive Schutzrechte Bis heute wird immer wieder in Zweifel gezogen, ob die grundrechtlichen Schutzpflichten dem Einzelnen überhaupt eine subjektiv-rechtliche Position einräumen.2031 Die von Stern in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts festgestellte „Abneigung“ von Rechtsprechung und Schrifttum, sich auf Bestand und Umfang subjektiver Rechte, die aus objektiven Grundrechtsfunktionen folgen, festzulegen,2032 ist bis heute nicht vollkommen ausgeräumt.2033 Es ist jedoch zu 2026 Brüning, in: Stern/Becker GG, Art. 19, Rn. 94; Enders, in: BeckOK GG, Art. 19, Rn. 60. 2027 Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 65 f. 2028 Bühler, in: GS für Jellinek, S. 20. 2029 Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, S. 49. 2030 So Murswiek/Rixen, in: Sachs GG, Art. 2, Rn. 24. 2031 Steinberg, NJW 1996, 1985 (1990). 2032 Stern, in: Stern, Staatsrecht III/1, § 69 S. 979. 2033 Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 46; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 400.

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konstatieren, dass sich die Anerkennung subjektiver Schutzrechte sowohl in Schrifttum als auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht auf dem Vormarsch befindet.2034 aa) Subjektive Schutzrechte als Grundlage der Staatlichkeit Wie auch die staatlichen Schutzpflichten selbst, wird ihre Subjektivität mit der Ideengeschichte des Rechts begründet. Wenn man mit den Vertragstheoretikern (Hobbes/Locke) davon ausgeht, dass die Menschen auf Selbsthilfe verzichten und sich eine Friedenspflicht auferlegen, um im Gegenzug von der Schutz- und Befriedungsfunktion des Staates zu profitieren, haben grundrechtliche Umweltschutzpflichten einen friedensstiftenden Charakter gegenüber jedem einzelnen Mitglied der Vertragsgesellschaft. Der Einzelne muss daher die Einhaltung der Pflichten des Staates verlangen können, wenn der Staat im Umkehrverhältnis die Einhaltung der Friedenspflicht durch den Bürger verlangen möchte.2035 Dem entspricht es, dass die staatliche Ordnung durch §§ 32, 34 StGB, §§ 227, 228, 229, 561, 859, 860, 904 BGB, § 127 Abs. 1 StPO die Friedenspflicht des Bürgers suspendiert, wenn staatliche Hilfe nicht rechtzeitig möglich ist.2036 Die allgemeine Staatslehre kann dazu beitragen, zu begründen, dass es ein auf Schutz gerichtetes subjektives Recht des Bürgers gegenüber dem Staat geben muss. Wie dies im Einzelnen ausgestaltet ist, kann durch eine auf naturrechtlichen oder strukturalistischen Ansätzen beruhende Lehre nicht lückenlos hergeleitet werden.2037 Die staatstheoretischen Ansätze deuten auf das Bestehen der subjektiven Schutzrechte hin, nicht auf ihren jeweiligen Inhalt. Wie uneindeutig der Rückgriff auf Hobbes und die frühen Vertragstheoretiker im Ergebnis ist, zeigt sich auch daran, dass er nicht nur für die Begründung von subjektiven Schutzrechten zur Grundlage genommen werden kann, sondern auch für das Gegenteil: der Rechtfertigung einer Diktatur.2038 Um den Krieg aller gegen alle dauerhaft zu unterdrücken, müsse der Staat seinen Bürgern gegenüber permanente und absolute Macht ausüben, da der Krieg ansonsten sofort wieder ausbrechen würde.2039 So heißt es bei Schmitt in diesem Sinne, es „bestimmt der Sou-

2034 Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 34; Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 234. 2035 Schöbener/Knauff, Allgemeine Staatslehre, § 4 Rn. 66; Schwarz, in: Sicherheit statt Freiheit?, S. 37; Stern, in: HStR IX, § 185 Rn. 86; Stern, DÖV 2010, 241 (242); Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 77; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 74. 2036 Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 103; Zado, Privatisierung der Justiz, S. 283. 2037 In diese Richtung auch Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, S. 33; sowie Dreier, Dimensionen der Grundrechte, S. 32 Fn. 110. 2038 Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, S. 17. 2039 Stern, in: Stern/Becker GG, Einleitung, Rn. 5; Stern, in: HStR IX, § 184 Rn. 14.

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verän, was dem Staate nützlich und was ihm schädlich ist“.2040 Nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG ist Souverän in der Bundesrepublik das Volk, das nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 i.V. m. Art. 38 GG seinen Willen demokratisch bildet und durch Gesetze zum Ausdruck bringt, in höchster Instanz durch das Verfassungsrecht. Wenn es nun das Volk als Souverän ist, das durch Rechtsetzung entscheidet, was dem Staat nützlich oder schädlich ist, wäre es zirkelschlüssig, aus der Vertragstheorie den Inhalt und Umfang der Rechte der einzelnen Staatsbürger ableiten zu wollen.2041 Der subjektive, also einklagbare Bestand an Rechten, kann sich deshalb nur aus den Normen ergeben, die sich das Staatsvolk selbst gegeben hat.2042 bb) Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts Stellenweise ist im Schrifttum der Eindruck zu gewinnen, das Bundesverfassungsgericht verhalte sich in Bezug auf die Zuerkennung subjektiver Rechte aus der objektiv-rechtlichen Schutzpflicht zurückhaltend bis ablehnend.2043 Dieser Eindruck mag daher rühren, dass das Bundesverfassungsgericht sich in vielen Entscheidungen zur grundrechtlichen Schutzpflicht nicht zu ihrer subjektiven Seite äußerte oder die Frage ausdrücklich offen ließ. Dies liegt weniger in dem Umstand begründet, dass das Bundesverfassungsgericht sich in der Sache nicht positionieren wollte, sondern dass dies häufig nicht nötig war. Das erste Urteil zum Schwangerschaftsabbruch erging im Rahmen einer abstrakte Normkontrolle, die durch Mitglieder des Bundestages sowie mehrere Landesregierungen erhoben wurde.2044 In derlei objektiven Verfahrensarten spielt die subjektive Rechtsverletzung keine Rolle, weshalb in dem Schweigen des Bundesverfassungsgerichts keine Verneinung einer subjektiv-rechtlichen Wirkung der Schutzpflichten erblickt werden kann.2045 Durch die Schutzpflichtenkonstruktion kommt es dem Staat zu, sich „schützend und fördernd“ vor den Rechtsträger zu stellen, der im Schutzbereich seines Grundrechts betroffen ist.2046 Es ist kaum zu begründen, dass diese Schutzfunktion nicht in den Interessenbereich des jeweils individuell 2040

Schmitt, Die Diktatur, S. 22. In diese Richtung auch Krause, in: FS für Schröder 70, S. 680. 2042 Calliess, JZ 2006, 321 (321); Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 2. 2043 Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 34; Steinberg, NJW 1996, 1985 (1990); Steinberg/ Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 744; Stern, DÖV 2010, 241 (248). 2044 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 [Schwangerschaftsabbruch I]. 2045 So auch Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 47. 2046 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 (1556) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (993) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 04.02.2010 – 2 BvR 2307/06 – BeckRS 2010, 46477 Rn. 19 [Klageerzwingung]; BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (45) [Gesetzliche Krankenversicherung]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (251) [Schwangerschaftsabbruch II]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I]. 2041

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betroffenen Rechtsträgers fällt.2047 Es verhält sich umgekehrt: Das Bundesverfassungsgericht musste in seiner Entscheidung begründen, warum die Grundrechte, die subjektive Rechte des Bürgers par excellence darstellen,2048 auch in einem Streit zwischen Staatsorganen eine Rolle spielen können – diese sich gleichsam auf Grundrechte „berufen“ können. Die Konstruktion der grundrechtlichen Schutzpflichten als auch objektive Rechte diente dazu, den antragsstellenden Staatsorganen die Grundrechte nicht als eigene subjektive Rechte zuerkennen zu müssen, sondern als Verletzung einer bloß objektiven Rechtspflicht rügen zu können. In anderen Fällen dient die grundrechtliche Schutzpflicht als Rechtfertigung für den Eingriff in Grundrechte Dritter.2049 Für den Dritten, der in der abwehrrechtlichen Dimension eines Grundrechts betroffen ist, entfalten die Schutzpflichten keine subjektive, sondern objektive Wirkung. Zwar wirken die Schutzpflichten unmittelbar auf seinen Rechtskreis ein, der Dritte ist in dieser Konstellation jedoch nur Betroffener, nicht Berechtigter.2050 Die Verneinung der subjektiven Wirkung der grundrechtlichen Schutzpflicht bezieht sich jeweils auf die genannten Konstellationen, in denen sich eine nur objektive Wirkung aus der Stellung der Verfahrensbeteiligten ergibt. Diejenigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen eine subjektive Wirkung der Schutzpflichten verneint wurden, dahingehend zu interpretieren, dass eine solche grundsätzlich nicht in Betracht kommt, wäre deshalb verfehlt. Bereits in einer zwei Jahre vor dem vielbeachteten ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch ergangenen Entscheidung leitete das Bundesverfassungsgericht nicht nur ein Recht auf bestimmte staatliche Maßnahmen aus der „Wertentscheidung“ der Grundrechte her, sondern auch deren subjektiv-rechtliche Qualität. Diese subjektiv-rechtliche Aufladung sei erforderlich, da ansonsten „die wertentscheidende Grundsatznorm ihrer Schutzwirkung weitgehend beraubt“ würde.2051 In der die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten prägenden ersten Entscheidung zum Atomkraftwerk Kalkar war eine Auseinandersetzung mit der subjektivrechtlichen Wirkung der Schutzpflichten wiederum nicht nötig. In diesem Verfahren legte ein Oberverwaltungsgericht dem Bundesverfassungsgericht die Frage der Verfassungsmäßigkeit des § 7 AtG vor.2052 Die Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit bezogen sich auf das Prinzip der Gewaltenteilung, wonach politi2047

Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 48 f. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 198. 2049 Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 38. 2050 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (251) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2051 BVerfG, Urteil vom 29.05.1973 – 1 BvR 424/71 und 325/72 – BVerfGE 35, 79 (155) [Hochschul-Urteil]; aus der jüngeren Rechtsprechung BVerfG, Beschluss vom 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02 – BeckRS 2008, 36962 Rn. 31 [Vertragsschluss II]. Zustimmend auch Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 36. 2052 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (93) [Kalkar I]. 2048

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sche Leitentscheidungen vom Parlament selbst getroffen werden müssten.2053 In diesem Zusammenhang untersuchte das Bundesverfassungsgericht auch die Vereinbarkeit des vorgelegten Gesetzes mit den Grundrechten. Es greift auf die Lüth-Rechtsprechung zurück, wenn es formuliert, die Grundrechte enthielten „nicht lediglich subjektive Abwehrrechte des Einzelnen gegen die öffentliche Gewalt, sondern stellten zugleich objektive Wertentscheidungen der Verfassung dar“.2054 Es deduziert hieraus das Bestehen verfassungsrechtlicher Schutzpflichten, die es gebieten, „die Gefahr von Grundrechtsverletzungen“ einzudämmen.2055 In der C-Waffen-Entscheidung knüpft das Bundesverfassungsgericht an seine Kalkar-Rechtsprechungslinie an und leitet die grundrechtlichen Schutzpflichten wieder aus der „objektiven Wertentscheidung“ im Sinne der LüthRechtsprechung her. Daran anschließend stellt es klar: „Werden diese Schutzpflichten verletzt, so liegt darin zugleich eine Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, gegen die sich der Betroffene mit Hilfe der Verfassungsbeschwerde zur Wehr setzen kann.“ 2056

Dieser Grundsatz wird seitdem in ständiger Rechtsprechung verfolgt.2057 Zwischenzeitlich wurde durch das Bundesverfassungsgericht der Standpunkt vertreten, dass eine Beschwerdebefugnis in einem Verfahren gegen gesetzgeberisches Unterlassen grundsätzlich nur dann gegeben sei, wenn sich der Beschwerdeführer auf einen ausdrücklichen Verfassungsauftrag berufen könne.2058 Zum Teil wurde diese Rechtsprechung so interpretiert, dass eine Beschwerde, die sich auf eine Schutzpflichtenverletzung stützt, deshalb von vorherein unzulässig sei, weil die Schutzpflicht sich nicht ausdrücklich aus dem Grundgesetz ergebe, sondern erst im Wege der Verfassungsauslegung hergeleitet worden sei.2059 Zwi2053

BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (94) [Kal-

kar I]. 2054

BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (141) [Kal-

kar I]. 2055

BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kal-

kar I]. 2056 BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (214) [Chemiewaffen]. 2057 BVerfG, Urteil vom 01.12.2009 – 1 BvR 2857, 2858/07 – BVerfGE 125, 39 (78) [Adventssonntage Berlin]; BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (49) [Gesetzliche Krankenversicherung]; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn]; BVerfG, Beschluss vom 18.04.1989 – 2 BvR 1169/84 – BVerfGE 80, 81 (93) [Volljährigenadoption I]; BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (202) [Straßenverkehrslärm]. 2058 BVerfG, Beschluss vom 20.02.1957 – 1 BvR 441/53 – BVerfGE 6, 257 (264) [Armenrecht]. 2059 Kritisch hierzu Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 146 f.; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (192); Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 744 f.

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schenzeitlich relativierte das Bundesverfassungsgericht seine ursprüngliche Einschränkung der Beschwerdebefugnis erheblich. Innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 1 BVerfGG gelten diese strengen Anforderungen nicht. Auch außerhalb der Jahresfrist soll eine Schutzpflichtenverletzung genügen, wenn der Gesetzgeber ein Schutzkonzept völlig unterlassen habe oder die Regelungen evident unzulässig seien.2060 Auch wenn sich eine ursprünglich rechtmäßige Regelung durch Änderung der äußeren Umstände als nachträglich unzureichend erweist,2061 soll sich der Bürger auf Schutzpflichten berufen können. Die strenge Zulässigkeitsvoraussetzung des ausdrücklichen Verfassungsauftrages wurde nur noch gefordert, wenn ein fortdauerndes Unterlassen des Gesetzgebers ohne Einhaltung der Jahresfrist und ohne vorheriges Beschreiten des Rechtswegs sofort gerügt werden können soll.2062 Darüber hinaus erscheint es zweifelhaft, dass der Grad der Nachprüfbarkeit der Gesetzgebungstätigkeit davon abhängen soll, ob die Gesetzgebungspflicht im Wege der Interpretation ermittelt wurde oder explizit geregelt ist.2063 Wäre dem so, müsste man annehmen, dass die ausdrückliche Gewährleistungspflicht des Bundes für den Schienenausbau und das Eisenbahnwesen aus Art. 87e Abs. 4 GG eine verfassungsprozessual höherwertige Pflicht wäre als die Schutzpflicht zu Gunsten von Leben und körperlicher Unversehrtheit, die erst im Wege der Interpretation aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG hergeleitet worden ist. Die Rechtsprechungslinie, die zwischen grundrechtlicher Schutzpflicht und anderen Verfassungsaufträgen unterscheiden möchte, wird mittlerweile auch als stillschweigend aufgegeben angesehen.2064 cc) Schutzpflicht und Schutzrecht In der Debatte um die subjektive Komponente der grundrechtlichen Schutzpflichten wird offenbar, für welches Maß an Unsicherheit die Konstruktion der „objektiven Wertordnung“ in den folgenden Jahrzehnten und bis heute führte. Das Bundesverfassungsgericht leitete aus unbestritten subjektiven Grundrechten 2060 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (71) [Fluglärm I]. 2061 Siehe näher zu dieser Konstalltion 3. Kapitel B. IV. 2. – „Nachbesserungspflicht“. 2062 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (70) [Fluglärm I]. 2063 Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (258). 2064 So Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 745. Die Formulierung wurde lediglich in den Verfahren über die den Finanzmarkt betreffenden staatlichen Interventionen während der letzten Wirtschaftskrise ab dem Jahr 2007 aufgegriffen. Hier sollten Maßnahmen gegen „Spekulanten“ eingeklagt werden, ohne dass ein grundrechtlicher Bezug hergestellt wurde, vgl. BVerfG, Urteil vom 07.09.2011 – 2 BvR 987, 1485, 1099/10 – BVerfGE 129, 124 (176) [EFS]. Diese Rechtsprechung wurde kurz danach wieder aufgegeben, siehe hierzu die Ausführungen der Verfassungsrichterin Lübbe-Wolff: BVerfG, Beschluss vom 14.01.2014 – 2 BvR 2728, 2729, 2730, 2731/13, 2 BvE 13/13 – BVerfGE 134, 366 (424) [OMT-Beschluss].

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

die „objektive Wertordnung“ her, die es anschließend wieder „versubjektivieren“ musste,2065 um zu begründen, warum der Bürger, um dessen Schutzes Willen es die Konstruktion ursprünglich aus der Taufe hob, sich auf diese berufen können soll. Dieser Umweg mit all seinen Unwägbarkeiten wird umgangen, wenn man bezüglich des Grundrechtsträgers auf die Wertordnungstheorie verzichtet und stattdessen auf die im Wortlaut der Grundrechte angelegten Garantien in Verbindung mit der ausdrücklich festgelegten Schutzpflicht des Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG zurückgreift.2066 Sind die Grundrechte der wesentliche Anknüpfungspunkt für die Herleitung von Schutzpflichten, muss den Schutzpflichten auch die den Grundrechten eigene subjektiv-rechtliche Komponente innewohnen.2067 Die grundrechtlichen Schutzpflichten zeichnen sich dadurch aus, dass diese gerade dem Schutz zu dienen bestimmt sind und eben nicht die Garantie einer bloß objektiven Ordnung enthalten.2068 Die Objektivierung der Schutzpflichtengehalte diente dazu, sie in objektiven Verfahren unabhängig von ihrem Anspruchsinhaber zur Geltung bringen zu können, nicht sie ihrer subjektiven Komponente zu berauben. Für den Grundrechtsträger stellen sich die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten des Staates als Schutzrechte dar.2069 Er kann sich auf diese berufen, wenn er personell vom Schutzbereich des Grundrechts umfasst ist. Die grundrechtlichen Umweltschutzrechte sind auf den Einzelnen bezogen, der den Nachweis führen muss, dass zwischen ihm und einem Umweltschaden ein grundrechtsrelevanter Zusammenhang besteht, sei es auch in Form einer bloßen Risikoerhöhung.2070 Die Umweltschutzrechte sind daher partiell, der Einzelne kann nicht den Schutz der Umwelt als solches verlangen, sondern nur soweit sie ihn in grundrechtsrelevanter Weise betrifft.2071

2065

So Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 235. Zu dieser Herleitung siehe 1. Kapitel G. – „Mehrdimensionaler Freiheitsbegriff“. In diese Richtung auch Krings, Grund und Grenzen grundrechtlicher Schutzansprüche, S. 235. 2067 So Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 64. 2068 Alexy, Recht, Vernunft, Diskurs, S. 277. 2069 Alexy, in: Sieckmann, Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 105 ff.; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 144; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 264; Hermann, Schutz vor Fluglärm bei der Planung von Verkehrsflughäfen im Lichte des Verfassungsrechts, S. 99 f.; Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 10; Isensee, in: HStR IX, § 191 Rn. 321; Nipperdey, in: Neumann/Nipperdey, Grundrechte, S. 17; Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 124 f.; Starck, in: HStR XII, § 271 Rn. 65; Vosgerau, in: Risiko im Recht – Recht im Risiko, S. 140 f. 2070 Hierzu siehe 2. Kapitel E. III. 2. – „Risikovorsorge“. 2071 Haddenhorst, Die allgemeine Umweltnutzungsfreiheit, S. 7 f. Außerdem Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 81: „Umweltgüter als solche [werden] von den grundrechtlichen Schutzpflichten nur dann erfaßt, wenn es sich bei ihnen um Individualrechtsgüter handelt. Umgekehrt werden damit nicht erfaßt Flora und Fauna, an denen Menschen keine Rechte haben oder die keinen Vermögenswert aufweisen.“ 2066

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Daneben bestehen die allgemeinen grundrechtlichen Umweltschutzpflichten, die unabhängig von der Geltendmachung eines Schutzanspruchs eines Einzelnen bestehen. In der Prinzipientheorie nach Alexy werden diese allgemeinen grundrechtlichen Schutzpflichten als Optimierungsgebote begriffen,2072 das Bundesverfassungsgericht benennt sie in seiner wechselhaften Terminologie als aus der objektiven Wertentscheidung2073 folgende Regelungspflicht.2074 Andere Staatsrechtslehrer sprechen wiederum von Gewährleistungs- und Ausgestaltungspflicht.2075 Diese Funktionen können sich mit dem subjektiven Schutzrecht eines Einzelnen überschneiden, aber auch unabhängig von diesem bestehen. Dies erklärt sich nicht mit unterschiedlicher Zielsetzung von Umweltschutzrechten und Umweltschutzpflichten, sondern mit den unterschiedlichen Adressaten. Wohingegen sich Umweltschutzpflichten an die Gewalten in ihrer Gestaltungsfunktion richten (und damit in erster Linie an Gesetzgeber und Exekutive), adressieren die grundrechtlichen Umweltschutzrechte die Staatsgewalten in ihrer Kontrollfunktion (die hauptsächlich, aber nicht ausschließlich, durch die Rechtsprechung wahrgenommen wird).2076 Das Bundesverfassungsgericht schränkt die Kontrolle desjenigen Teils der Umweltschutzpflichten, für die es ein korrespondierendes Umweltschutzrecht im Sinne einer Beschwerdebefugnis anerkennt, dadurch wieder ein, dass auf Seite der Begründetheit der Kontrollmaßstab heruntergefahren wird.2077 Nur so ist die zunehmend großzügigere Zuerkennung subjektiver Umweltschutzrechte erklärbar, durch die, entgegen den Warnungen vor einer zu befürchtenden „Umwelt-

2072 Zuerst Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 75, des Weiteren auch Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit, S. 185; Böckenförde, Zur Lage der Grundrechtsdogmatik nach 40 Jahren Grundgesetz, S. 55; Cremer, DÖV 2008, 102 (104); Denninger, in: HStR IX, § 193 Rn. 46; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20, Rn. 3; Klein, JuS 2006, 960 (962). 2073 Oder die oben aufgeführten Synonyme, vgl. 1. Kapitel H. III. 2. – „Mangelnde Bestimmbarkeit“. 2074 BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1711) [Volkszählung 2011]; BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 (226) [Aussperrung]; BVerwG, Urteil vom 21.03. 1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 (10) [Verkehrslärm]. 2075 Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 75. 2076 Klein, JuS 2006, 960 (962). Der Exekutive kommt mit dem Aufsichtsrecht eine eigene Kontrollfunktion zu. Auch die Legislative kann vereinzelt Kontrollfunktionen übernehmen, wie Art. 10 Abs. 2 GG iVm § 14 Abs. 1 G10 zeigt, wodurch ein parlamentarisches Kontrollgremium vorgesehen ist oder die Möglichkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, Art. 44 GG. Diese Kontrollverfahren außerhalb des Aufgabenbereichs der Judikative haben gemeinsam, dass sie gerade nicht der Durchsetzung subjektiver Rechte dienen, sondern nur der Einhaltung des objektiven Rechts. 2077 Siehe hierzu 4. Kapitel D. III. – „Triadisch abgestufter Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts“.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

diktatur“ 2078 oder einem „totalen Ökostaat“,2079 keine wesentliche Verschärfung der verfassungsrechtlichen Umweltschutzmaßstäbe in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung eingetreten ist.2080 Das Recht auf Umweltschutz wird im Moment seiner Entstehung zugleich wieder geschwächt, da es als Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, bei gleichzeitig großem Ermessensspielraum der zu kontrollierenden Staatsorgane, ausgestaltet wird.2081 Die immer wieder anzutreffende These, für die Subjektivierung der Schutzpflichten spräche, dass damit „ein höheres Maß an Realisierung“ einhergehe als bei der Statuierung rein objektiver Gebote,2082 ist in dieser Form eher ein frommer Wunsch als verfassungsgerichtliche Realität. dd) Antragsbefugnis staatlicher Stellen Weder die Kommunen2083 noch die Länder2084 sind Grundrechtsträger. Sie können daher weder ihre Aktivlegitimation noch eine Antragsbefugnis aus den Grundrechten herleiten. Zwar können juristische Personen des öffentlichen Rechts ausnahmsweise Grundrechtsträger sein, jedoch betrifft dies mit der Pressefreiheit,2085 der Wissenschaftsfreiheit2086 und dem grundrechtsverwandtem Recht auf kommunale Selbstverwaltung2087 nicht die Sphäre des Umweltrechts. Die Länder, Kommunen und sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts können auch nicht in einem Verfahren die Interessen ihrer Einwohner oder Mitglieder geltend machen.2088 Auch die objektive Dimension der Grund2078 Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, S. 50; Mayer-Tasch, Ökologie und Grundgesetz, S. 17 f.; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 342 f.; Unger/Hurtado, Energie, Ökologie und Unvernunft, S. 30; auf das bedeutungsgleiche Stichwort „Ökodiktatur“ verweist Wegener, ZUR 2019, 3 (10). 2079 Kloepfer, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 45. 2080 Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (7). 2081 Hierzu 4. Kapitel D. – „Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte“. 2082 Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 414; in diese Richtung auch Jarass, in: Badura/Dreier, Festschrift BVerfG Bd. I, S. 48. 2083 BVerfG, Beschluss vom 08.07.1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 (103). 2084 BVerfG, Urteil vom 22.05.1990 – 2 BvG 1/88 – BVerfGE 81, 310 (334) [Kalkar II]. 2085 BVerfG, Beschluss vom 24.03.1987 – 1 BvR 147, 478/86 – BVerfGE 74, 297 (317) [5. Rundfunkentscheidung]. 2086 BVerfG, Beschluss vom 12.05.2015 – 1 BvR 1501/13, 1 BvR 1682/13 – BVerfGE 139, 148 (170) [Hochschulfusion]. 2087 BVerfG, Urteil vom 24.07.1979 – 2 BvK 1/78 – BVerfGE 52, 95 (117) [Schleswig-Holsteinische Ämter]; zu einer möglichen Ausweitung der Klagebefugnisse kommunaler Gebietskörperschaften, Gärditz, NVwZ 2014, 1 (9); Rennert, DVBl. 2019, 133 (134). 2088 Eine Ausnahme stellt die Prozessstandschaft kollegialer Organe für ihre Angehörigen dar, z. B. Fraktionen für ihre Angehörigen, vgl. Detterbeck, in: Sachs GG, Art. 93, Rn. 49. Eine Geltendmachung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten scheidet jedoch

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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rechte und ihre Stellung als Sachwalter des Allgemeinwohls vermitteln ihnen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Befugnis, die Interessen des Einzelnen bei der Wahrnehmung seiner Grundrechte durchzusetzen.2089 4. Rechtswegerschöpfung Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lassen sich anhand der drei Gesichtspunkte nachfolgend, nachvollziehend und nicht ersetzend charakterisieren.2090 Sie sind zeitlich den Entscheidungen der Fachgerichte nachgeordnet, sind also ihnen nachfolgend. Das Bundesverfassungsgericht beschränkt sich darauf, die zu überprüfende Entscheidung eines Fachgerichts unter dem Aspekt der verfassungsrechtlichen Vorgaben nachzuvollziehen. In der Konsequenz heißt das, dass es wegen der Beschränktheit des Prüfungsumfangs keine vollständige Neuentscheidung trifft, das Urteil des Instanzgerichts also nicht ersetzen soll.2091 Das Bundesverfassungsgericht stellt meist strenge Voraussetzungen an den zu erschöpfenden Rechtsweg, bevor eine Verfassungsbeschwerde für zulässig erklärt wird – und zwar auch dann, wenn gesetzgeberisches Unterlassen gerügt wird.2092 Es kann sich dabei auf Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG i.V. m. § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG stützen.2093 Auch bei einer Schutzpflichtverletzung des Gesetzgebers verlangt das Gericht, dass zuvor alle anderen Möglichkeiten Rechtsschutz zu erlangen ausgeschöpft werden.2094 Eine Rechtfertigung dieser strengen Zugangsvoraussetzung liegt darin, dass das Bundesverfassungsgericht sich nicht als herkömmliches Gericht betrachtet.2095 Es sieht sich nicht dazu berufen, Fragen des Fachrechts zu beantworten, weshalb ausgeschlossen sein muss, dass in diesem eine Lösung für den strittigen Grundrechtskonflikt gefunden werden kann. Dies geht so weit, dass es selbst dann die Erhebung einer verwaltungsgerichtlichen Verpflichtungsklage verlangt, wenn keine Ermächtigungs- bzw. Anspruchsgrundlage im Fachrecht vorhanden ist.2096 Dies ergibt im Umkehrschluss die Verpflichtung der Verwalaus, da der Abgeordnete, wie auch die Fraktion, nicht als Grundrechtsträger antragsbefugt sind, sondern als Amtsträger bzw. Verfassungsorgan, vgl. Butzer, in: BeckOK GG, Art. 38, Rn. 88 ff. 2089 BVerfG, Urteil vom 22.05.1990 – 2 BvG 1/88 – BVerfGE 81, 310 (334) [Kalkar II]. 2090 Hoffmann-Riem, EuGRZ 2006, 492 (496). 2091 Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 185. 2092 BVerfG, Beschluss vom 02.05.2018 – 1 BvR 3250/14 – NVwZ 2018, 1635 (1636) [Jagdliche Befriedung]; BVerfG, Beschluss vom 14.09.1983 – 1 BvB 920/83 – NJW 1983, 2931 (2931). 2093 Brüning, Jura 2001, 155 (161). 2094 BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (996) [Fluglärmschutzgesetz]. 2095 Detterbeck, in: Sachs GG, Art. 100, Rn. 3. 2096 BVerfG, Beschluss vom 02.05.2018 – 1 BvR 3250/14 – NVwZ 2018, 1635 (1636) [Jagdliche Befriedung].

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

tungsgerichte, wie auch der anderen Fachgerichte, den einschlägigen einfachgesetzlichen Normbestand so weit wie möglich mit den gängigen Auslegungsmethoden verfassungskonform zu interpretieren.2097 Ist dies nicht möglich, kann das Verfahren nur ausgesetzt werden, wenn der Gesetzgeber eine unzureichende Schutznorm geschaffen hat (sog. unechtes Unterlassen). Fehlt eine Norm komplett, liegt also ein echtes gesetzgeberisches Unterlassen vor, ist eine Vorlage nach dem Wortlaut des Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nicht zulässig, weil dieser „ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt“ 2098 zur tatbestandlichen Voraussetzung hat, also auf ein bereits bestehendes Gesetz ausgerichtet ist und nicht auf ein fehlendes. Nur in diesem Fall wird auch das Erfordernis einer Rechtswegerschöpfung zu verneinen sein, weil es gegen echtes gesetzgeberisches Unterlassen keinen Rechtsweg gibt.2099

II. Fachgerichtliche Verfahren Vor den Verwaltungsgerichten existiert ein breites Spektrum an Verfahrensarten, um die unterschiedlichsten Arten staatlichen Handelns, Duldens oder Unterlassens gerichtlich überprüfen zu lassen.2100 Auch hier gilt für die meisten Verfahren das Prinzip des subjektiven Rechtsschutzes. Nach § 42 Abs. 2 VwGO, der auf fast alle der über Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hinausgehenden Klagearten analog angewandt wird, muss der Kläger glaubhaft machen, dass eine Verletzung von subjektiven Rechten, auf die er sich berufen kann, möglich ist. Für die Normen des einfachen Rechts ist im Einzelfall umstritten, ob diese ein subjektives Recht begründen. Dafür wird meist auf die Schutznormtheorie im Sinne Bühlers zurückgegriffen:2101 2097 Auf diese Weise fangen die Instanzgerichte viele Verahren ab, bevor sie überhaupt zum Bundesverfassungsgericht kommen können, vgl. Steiner, NJW 2001, 2919 (2921). 2098 Hervorhebung MW. 2099 Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 90, Rn. 226. 2100 Für Rechtsschutzlücken, die trotz der umfangreich bemessenen Klagebefugnisse bestehen und nicht durch extensive Auslegung der VwGO geschlossen werden (bspw. die allgemeine Leistungsklage oder die erweiterte Fortsetzungsfeststellungsklage), bestimmt Art. 19 Abs. 4 S. 2 GG den ordentlichen Rechtsweg. 2101 BVerwG, Urteil vom 28.11.2007 – 6 C 42.06 – BVerwGE 130, 39 (42); BVerwG, Urteil vom 22.12.1989 – 7 C 84/78 – BVerwGE 61, 256 (262) [Ionisierte Strahlung]; Brüning, in: Stern/Becker GG, Art. 19, Rn. 97; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 28; Ekardt, in: Schlacke, Umwelt- und Planungsrecht, S. 27; Enders, Der Staat 1996, 351 (353–354); Enders, AöR 1990, 610 (611); Fischer-Lescano, KJ 2017, 475 (476); Guckelberger, JA 2014, 647 (650); Lübbe-Wolff, Die Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte, S. 200; Murswiek, WiVerw 1986, 179 (200); Rennert, DVBl. 2019, 133 (135); Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4, Rn. 136; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 186; Stern, DÖV 2010, 241 (248); Sußmann, Vollzugs- und Rechtsschutzdefizite im Umweltrecht unter Berücksichtigung supranationaler und internationaler Vorgaben, S. 149.

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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„Subjektives öffentliches Recht ist diejenige rechtliche Stellung des Untertanen zum Staat, in der er auf Grund eines Rechtsgeschäftes oder eines zwingenden, zum Schutz seiner Individualinteressen erlassenen Rechtssatzes, auf den er sich der Verwaltung gegenüber soll berufen können, vom Staat etwas verlangen kann oder ihm gegenüber etwas tun darf.“ 2102

Damit eine Norm des objektiven Rechts als einklagbare Schutznorm zu qualifizieren ist, müssen demnach drei Kriterien kumulativ erfüllt sein. Erstens muss es sich um einen zwingenden Rechtssatz handeln. Zweitens muss die Norm dem Schutz von Individualinteressen dienen. Drittens muss sie dazu bestimmt sein, „als Grundlage eines Verlangens der Verwaltung gegenüber gebraucht zu werden“.2103 Auch wenn die grundrechtlichen Schutzpflichten selbst kein drittschützendes Recht vermitteln, durch das verlangt werden kann, dass Exekutive und Judikative in den Rechtskreis eines Dritten eingreifen, so wirkt der subjektiv-rechtliche Charakter der Grundrechte in demjenigen einfachen Recht fort, das zur Erfüllung der jeweils korrespondierenden Schutzpflichten erlassen wurde.2104 Konsequent ist es insofern, wenn der Bundesgerichtshof bezüglich Normen, die über eine Verbesserung der Umweltbedingungen den Schutz der menschlichen Gesundheit bezwecken, diesen drittschützende Wirkung zuerkennt.2105 Besteht eine untergesetzliche Normgebungspflicht, kann für die Frage der Klagebefugnis nicht auf die gewählte Rechtsform abgestellt werden. Ansonsten würde der administrative Normgeber, der sich entscheidet, einen nicht außenwirksamen Rechtsakt zur Erfüllung seiner grundrechtlichen Schutzpflicht zu erlassen, gegenüber demjenigen, der mit der „stärkeren“, weil außenwirksamen Rechtsnorm Schutz gewährt, privilegiert. Stattdessen ist auf den hypothetischen 2102 Bühler, Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz in der deutschen Verwaltungsrechtsprechung, S. 224. 2103 Bühler, in: GS für Jellinek, S. 285 f. 2104 BVerfG, Beschluss vom 26.01.1988 – 1 BvR 1561/82 – BVerfGE 77, 381 (405) [Gorleben]; BVerwG, Urteil vom 29.01.1991 – 4 C 51.89 – BVerwGE 87, 332 (380) [Grundrechtskonkretisierende Normen]; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 136. 2105 BGH, Urteil vom 20.03.1975 – III ZR 215/71 – BGHZ 64, 220 (223) [Verkehrsimmissionen]: „Die neue gesetzliche Regelung erstrebt eine Verbesserung des Umweltschutzes. Freisein von Krankheit und körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden setzen neben anderem bestimmte, dem Menschen gemäße Lebensbedingungen voraus. Hierzu gehören auch die den Lebensraum prägenden Umweltbedingungen. Da der menschliche Organismus außerordentlich anpassungsfähig ist, vermag er die störenden Umwelteinwirkungen, die eine Erscheinung der heutigen Zivilisation sind, bis zu einem gewissen Grad auszugleichen. Eine allzu starke Verfremdung der adäquaten äußeren Lebensbedingungen erzeugt jedoch – offen oder versteckt – Krankheiten, körperliche, seelische oder soziale Störungen oder begünstigt sie. In diesen Fällen werden Umweltstörungen zu Umweltgefahren. Soweit das Gesetz gegen schädliche Umwelteinwirkungen schützen oder ihnen vorbeugen will, dient es dem öffentlichen Interesse an einer dem Menschen gemäßen Umwelt, hat aber auch nachbarschützenden Charakter.“

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Charakter der Rechtsnorm abzustellen, der erforderlich wäre, um den gebotenen Schutz zu gewähren. Veröffentlicht eine Behörde beispielsweise eine bloße Verwaltungsvorschrift, obwohl eine Verordnung geboten wäre, kann die Klagebefugnis nicht mit dem Argument verneint werden, die Verwaltungsvorschrift habe keine Außenwirkung. Abzustellen ist auf die zu wählende Rechtsform, da in ihrem Unterlassen die Schutzpflichtverletzung begründet ist. Drittschützend können zudem Genehmigungsvoraussetzungen wie auch Tatbestandsvoraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage sein.2106 Diese sind keine behördlichen Letztentscheidungsbefugnisse und voll gerichtlich überprüfbar. Besonders deutlich ist die in der grundrechtlichen Basis fußende Drittschutzwirkung bei Grenzwerten, die dem grundrechtlich gebotenen Schutz von Leben und Gesundheit dienen.2107 Hier kann dem Drittschutz nicht entgegengehalten werden, dass der Anspruchsteller nicht deutlich genug aus dem Kreis der Betroffenen herausgehoben ist, wie es im Rahmen der Schutznormtheorie als Ausschlussmerkmal des Drittschutzes der Fall ist.2108 Stellt die Norm eine Konkretisierung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten dar, darf der Individualrechtsschutz nicht dadurch geschwächt werden, dass neben dem Anspruchsteller noch eine Vielzahl weiterer Betroffener existieren. Das Individualrecht geht in diesem Fall nicht in einem Kollektivrisiko unter.2109 Die Nichtanwendung der Schutznormtheorie in diesen Fällen begründet sich damit, dass die aus grundrechtlichen Schutzpflichten fließenden Tatbestandsmerkmale keine Gewährung, sondern eine Ausgestaltung des Gesetzgebers darstellen.2110 Ausgestaltet werden durch den einfachen Gesetzgeber die Grundrechte, die bereits im Vorfeld durch den verfassungsgebenden Gesetzgeber als subjektive Rechte gewährt wurden. Im Unterschied zur Verfassungsgerichtsbarkeit kann das Verwaltungsgericht nicht alle Akte der öffentlichen Gewalt auf ihre Rechtmäßigkeit kontrollieren, sondern ist bezüglich Parlamentsgesetzen in seinen Befugnissen beschränkt. Zwar darf es diese überprüfen, jedoch nicht eigenständig verwerfen, wie Art. 100 Abs. 1 GG klarstellt. Der Ausschluss einer eigenen Gesetzesverwerfungskompetenz wird im Zuge eines Erst-Recht-Schlusses auf das Nichtbestehen einer Normerschaffungskompetenz ausgeweitet.2111 Wohingegen die Schaffung von Normen zum Kernbestand der Legislative gehört, obliegt der Justiz die Auslegung dieser 2106

BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (137). Für Grenzwerte hinsichtlich ionisierter Strahlung: BVerwG, Urteil vom 14.01. 1998 – 11 C 11.96 – BVerwGE 106, 115 (127); BVerwG, Urteil vom 22.12.1989 – 7 C 84/78 – BVerwGE 61, 256 (264) [Ionisierte Strahlung]. 2108 BVerwG, Urteil vom 28.11.2007 – 6 C 42.06 – BVerwGE 130, 39 (42). 2109 BVerwG, Urteil vom 10.04.2008 – 7 C 39.07 – BVerwGE 131, 129 (139). 2110 BVerfG, Beschluss vom 31.05.2011 – 1 BvR 857/07 – BVerfGE 129, 1 (22) [Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe]. 2111 Nicht jedoch völlig unbestritten, vgl. die Nachweise in 3. Kapitel F. I. – „Umfassende grundrechtliche Gesetzesersetzungsbefugnis“. 2107

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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Normen. Der Bedeutungsgehalt von Gesetzen ist deshalb auch dann wandelbar, wenn der Gesetzgeber nicht tätig wird. Den Gerichten wird seit jeher schon ein größeres Vertrauen entgegengebracht als der Verwaltung, weshalb der Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes gegenüber diesen traditionell weniger streng gehandhabt wird.2112 Die Möglichkeit zur richterlichen Rechtsfortbildung ist in der Rechtswissenschaft weitgehend anerkannt.2113 Diese These wird durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gestützt, das den Gerichten eine weitgehende Normergänzungskompetenz für den Fall einer schutzpflichtswidrigen Regelungslücke zuspricht: „Die Gerichte müssen bei unzureichenden gesetzlichen Vorgaben das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind. Das gilt auch dort, wo eine gesetzliche Regelung, etwa wegen einer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht, notwendig wäre.“ 2114

Es wird den Gerichten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zur richterlichen Rechtsfortbildung zuerkannt.2115

III. Exkurs: Wiener Flughafen-Entscheidung Ein aufsehenerregendes Beispiel richterlicher Rechtsfortbildung war das Erkenntnis2116 des österreichischen Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) zum geplanten Ausbau des Wiener Flughafens.2117 Das BVwG kam darin zu dem Ergebnis, dass die Errichtung der dritten Startbahn „den öffentlichen Interessen des Umweltschutzes, insbesondere des Klimaschutzes“ widerspreche.2118 Die Ent2112

Hermes, in: VVDStRL 61 (2001), S. 136 f. Aulehner, Grundrechte und Gesetzgebung, S. 7 f.; Bonk, in: FS für Bull, S. 83; Kreuter-Kirchhof, in: HStR XII, § 272 Rn. 58; Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 209; Pöschl, in: VVDStRL 74 (2014), S. 415; Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 635; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 129; Schröter/Bosselmann, ZUR 2018, 195 (196). 2114 BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 (226) [Aussperrung]. Dem entspricht die Regelung aus dem Schweizer Zivilrecht, wonach es in Art. 1 Abs. 2 ZGB Schweiz heißt: „Kann dem Gesetz keine Vorschrift entnommen werden, so soll das Gericht nach Gewohnheitsrecht und, wo auch ein solches fehlt, nach der Regel entscheiden, die es als Gesetzgeber aufstellen würde.“ 2115 Zur Pflicht zur richterlichen Rechtsfortbildung BVerfG, Beschluss vom 11.10. 1978 – 1 BvR 16/72 – BVerfGE 49, 286 (303) [Transsexuelle I]. 2116 Das Erkenntnis bezeichnet im österreichischen Recht die inhaltliche Entscheidung eines Gerichts und entspricht in der deutschen Rechtsterminologie dem Urteil. 2117 BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E S. 126 f.; hierzu Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (467); Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (589); Merli, WBl. 2017, 682 (682); Saurer, ZUR 2018, 679 (682); Saurer, NVwZ 2017, 1574 (1576); Schmelz, ZVG 2017, 288 (288); Voland, NVwZ 2019, 114 (120); Wegener, ZUR 2019, 3 (8). 2118 BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E S. 117. 2113

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scheidung ist auch aus deutscher Perspektive von Interesse, da die Rechtsfortbildung in den beiden Staaten sich immer wieder gegenseitig befruchten. Ein nicht nur für diese Arbeit herausragend wichtiges Beispiel ist das österreichische Verfassungsrecht selbst, das ausgehend von der von Hans Kelsen entworfenen, im Kern bis heute geltenden österreichischen Verfassung, Pate bei der Schaffung des Grundgesetzes stand. Auch in der späteren Fortentwicklung beider Verfassungen existieren parallelen. So wurde in beiden Ländern eine Staatszielbestimmung zum Umweltschutz in die Verfassung aufgenommen, deren Anwendung und Reichweite in der Wiener-Flughafen-Entscheidung in Streit stand. In Erwägung des Vorstehenden sei, trotz des Zuschnitts der vorliegenden Arbeit auf das deutsche Verfassungsrecht, im Folgenden ein Blick über die Grenze gestattet. 1. Entscheidungsgründe Nach § 71 Abs. 1 lit. d) (Ö)LFG2119 dürfen Flughäfen nur zugelassen werden, wenn sonstige öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Dieses generalklauselartige unbestimmte Tatbestandsmerkmal machte das BVwG Wien zur Scharniernorm für seine weiteren Überlegungen. Inhaltlich stützte das BVwG Wien seine Entscheidung, den Flughafenausbau nicht zuzulassen, im Wesentlichen auf Gesichtspunkte des Klimaschutzes.2120 Das österreichische Verfassungsrecht verpflichte den Staat zu umweltschützenden Maßnahmen. Einfaches Recht sei daher in diesem Lichte auszulegen.2121 Österreich habe sich durch internationale Abkommen und deren Umsetzung in nationales Recht zur Senkung der CO2-Emissionen verpflichtet. Diese Verpflichtungen wurden bisher unter dem Strich nicht eingehalten. Zwar konnten die Treibhausgasemissionen in Sektoren wie Gebäuden sowie Energie und Industrie seit 1990 gesenkt werden, jedoch nahmen die Treibhausgasemissionen aus dem Verkehrssektor in der Zwischenzeit umso stärker zu.2122 Der Flughafenausbau würde einen Anstieg der gesamten Treibhausgasemissionen Österreichs von 1,79 % bis zu 2,02 % verursachen.2123 Der mit dem CO2-Anstieg verbundene Klimawandel gehe unmittelbar mit Schädigungen in grundrechtsrelevanten Bereichen einher. Es komme bei Nichteinhaltung der Reduktionsziele zu beträchtlichen Eigentumswertminderungen, zum Verlust von Arbeitsplätzen, Produktionsverlusten, zu Hochwasserkatastrophen sowie einer drastischen Zunahme von schweren Hitzetagen. In der Folge befürchtet das Gericht den Verlust von Tier- und Pflanzenarten sowie zusätzliche menschliche Todesfälle und schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen. Im Text der Erkenntnis findet sich eine Wiedergabe der umfassenden Beweisaufnahme. Im Er2119 Österreichisches Luftfahrtgesetz, (Ö)LFG, (Ö)BGBl. Nr. 253/1957, i. d. F. (Ö)BGBl. I Nr. 80/2016. 2120 BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E (117). 2121 BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E (125). 2122 BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E (94). 2123 BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E (117).

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gebnis konstatiert das Gericht, der Bau der dritten Piste des Wiener Flughafens „widerspricht den öffentlichen Interessen des Umweltschutzes, insbesondere des Klimaschutzes“.2124 Das Gericht legte sich in der Entscheidung nicht fest, ob § 71 Abs. 1 (Ö)LFG der Behörde ein Ermessen einräume. Jedenfalls sei ein etwaiges Ermessen ebenfalls wegen der Nichtberücksichtigung des öffentlichen Interesses des Umweltschutzes fehlerhaft.2125 Das Ermessen der Behörde sei deshalb nicht im Sinne des Gesetzes ausgeübt worden, vgl. Art. 130 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. Nr. 3 (Ö)B-VG.2126 2. Bewertung nach deutschem Recht Zunächst muss festgestellt werden, dass ein wesentlicher Unterschied des österreichischen und des deutschen Verwaltungsprozessrechts die gerichtliche Überprüfung von Ermessensentscheidungen darstellt. Die gerichtliche Kontrolle von Ermessensentscheidungen in Österreich gilt – verglichen mit Deutschland – als weitgehender.2127 Im österreichischen Verwaltungsrecht wird – wie auch im deutschen Verwaltungsrecht2128 – der Frage nachgegangen, ob die Verwaltung von ihrem Ermessen „im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat“.2129 Die österreichischen Verwaltungsgerichte deuten „Kann“-Vorschriften zu gebundenen Entscheidungen um, wenn im Gesetz ermessensleitende Zielbestimmungen fehlen.2130 Anders ist dies in Deutschland, wo die Gerichte den Behörden im Rahmen des Ermessens einen weiteren, wenn auch nicht unbeschränkten, Entscheidungsspielraum überlassen.2131 Darüber hinaus können die Verwaltungsgerichte in Österreich auch eine eigene Ermessensentscheidung treffen, wenn sie der Meinung sind, die Behörde habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt, der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder eine eigene Entscheidung des Gerichts „im Interesse der Raschheit gelegen“ ist, vgl. § 28 Abs. 2 i.V. m. Abs. 4 (Ö)VwGVG.2132 2124

BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E (117). BVwG Wien, Erkenntnis vom 02.02.2017 – W109 2000179-1/291E (113 f.). 2126 Österreichisches Bundes-Verfassungsgesetz, (Ö)BGBl. Nr. 1/1930 i. d. F. (Ö)BGBl. I Nr. 106/2016. 2127 Wiederlin, in: Ius Publicum Europaeum III, § 46 Rn. 39. 2128 Vgl. hierzu Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 95. 2129 Art. 130 Abs. 1 Nr. 1 i.V. m. Nr. 3 (Ö)B-VG. 2130 Wiederlin, in: Ius Publicum Europaeum III, § 46 Rn. 39; auch der deutschen Verwaltungsrechtsdogmatik ist eine derartige Umdeutung einer „Kann“-Vorschrift in eine gebundene Norm nicht völlig fremd, jedoch ist der Anwendungsbereich dieser Umdeutung eher Ausnahme als Regel, vgl. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 43; Jestaedt, in: Erichsen, Allgemeines Verwaltungsrecht (2016), § 11 Rn. 56. 2131 Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7 Rn. 17; ausführlich oben 3. Kapitel C. I. – „Verwaltungsermessen“. 2132 Österreichisches Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, (Ö)BGBl. I Nr. 33/2013 i. d. F. (Ö)BGBl. I Nr. 82/2015; anders die Rechtslage in Deutschland, vgl. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 17. 2125

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Auch wenn die Verwaltungsgerichte in Deutschland lediglich eine Ermessensfehlerkontrolle vornehmen und im Gegensatz zu Österreich keine eigene Ermessensentscheidung anstelle der Behörde treffen, kennt auch die deutsche Ermessensfehlerlehre die Ermessensüberprüfung anhand des Gesetzeszwecks.2133 Fehlen ausdrückliche einfachgesetzliche Vorgaben, wird im deutschen Verwaltungsrecht unter anderem auf verfassungsrechtliche Wertungen zurückgegriffen, um den Gesetzeszweck näher zu bestimmen.2134 In Deutschland nimmt das Gericht bei Ermessensnormen keine eigene Abwägung vor, sondern überprüft lediglich die Abwägung der Behörde. Im Ergebnis hat jedoch auch hier eine fehlerhafte Abwägung die Aufhebung des angefochtenen Verwaltungsaktes zur Folge, vgl. § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Ein Urteil, in dem ein Verwaltungsgericht der Behörde eine fehlerhafte Abwägung im Rahmen des Ermessens vorwirft und sich dabei auf die Nicht-Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Umweltschutzpflichten stützt, ist daher auch in Deutschland grundsätzlich vorstellbar.2135 Hinzu kommt, dass die Ermessenskontrolle vom Gericht nur hilfsweise vorgenommen wurde. Im Wesentlichen stützte das Gericht seine Entscheidungsbegründung auf das Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der Genehmigungsermächtigung. Die in diesem Rahmen anzuwendenden unbestimmten Rechtsbegriffe sind auch nach deutscher Verwaltungsrechtsdogmatik uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar.2136 Die Genehmigungsvoraussetzungen für Flughäfen sind nach deutschem Recht ähnlich, wenn auch nicht identisch, wie in Österreich ausgestaltet. Im deutschen § 6 Abs. 3 LuftVG befindet sich das Ausschlusskriterium, dass die Genehmigung zu versagen ist, wenn „die öffentlichen Interessen in unangemessener Weise beeinträchtigt werden“. Man könnte sich trefflich darüber streiten, ob zwischen der österreichischen Formulierung, die verlangt, dass „öffentliche Interessen nicht entgegenstehen“ und der deutschen Formulierung, wonach auszuschließen ist, dass „öffentlichen Interessen in unangemessener Weise beeinträchtigt werden“, ein qualitativer und quantitativer Unterschied besteht. Für die Zwecke der Verfassungsrechtsdogmatik ist hingegen vordergründig von Interesse, dass in beiden Rechtsordnungen eine Generalklausel besteht, die die Abwägung von privaten mit öffentlichen Interessen innerhalb des einfachen Rechts ermöglicht. Auch auf verfassungsrechtlicher Ebene bestehen Ähnlichkeiten zwischen der Republik Österreich und der Bundesrepublik Deutschland. Österreich hat wie 2133

Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 107. Brinktrine, Verwaltungsermessen in Deutschland und England, S. 95. 2135 Trotz mancher Unterschiede der Ermessenslehre in beiden Ländern konstatiert Grabenwarter, in: Ius Publicum Europaeum V, § 90 Rn. 24 als Fazit eines Rechtsvergleichs: „Sowohl das österreichische als auch das deutsche Verwaltungsrecht bewegen sich hinsichtlich des Verwaltungsermessens auf einem ähnlichen dogmatischen Terrain.“ 2136 Hierzu 3. Kapitel C. III. – „Unbestimmte Rechtsbegriffe“. 2134

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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Deutschland den Umweltschutz als Staatsziel in der Bundesverfassung verankert.2137 Über die Europäische Union, das Kyoto-Protokoll (1997) und das Pariser Klimaschutzabkommen (2015) ist die Republik Österreich in die gleichen internationalen Klimaschutzsysteme eingebunden wie die Bundesrepublik Deutschland. Das in dem Verfahren relevante einfache Recht wie das (Ö)UVPG2138 als auch die Vorschriften über die Verbandsklagen2139 gehen auf Unionsrecht zurück2140 und sind von ihrem Regelungsgehalt weitgehend identisch.2141 Die grundrechtlichen Gewährleistungen des österreichischen Verfassungsrechts sind mit denen des Grundgesetzes vergleichbar.2142 3. Aufhebung der Entscheidung Der österreichische Verwaltungsgerichtshof hob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Wien gemäß Art. 144 B-VG auf.2143 Vorgeworfen wurde dem Gericht eine willkürliche und denkunmögliche Rechtsanwendung – zwei Rechtsbegriffe, die dem Verfassungsgerichtshof die Kontrolle fachgerichtlicher Entscheidungen anhand des verfassungsmäßig verbürgten Rechts auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz ermöglicht. Der (Ö)VfGH stützte seine Entscheidung im Wesentlichen auf die Erwägung, dass der Klimaschutz kein öffentliches Interesse im Sinne des § 71 Abs. 1 lit. d) (Ö)LFG sei.2144 Was unter den Begriff des öffentlichen Interesses im Sinne dieser Vorschrift falle, könne sich nur aus dem (Ö)LFG selbst ergeben. Dort sei der Klimaschutz nicht genannt. Eine Erweiterung der berücksichtigungsfähigen öffentlichen Interessen könne sich auch nicht aus der Staatszielbestimmung des 2137 Die Aufnahme des Staatsziels Umweltschutz in die Verfassung der Republik Österreich erfolgte mit dem „Bundesverfassungsgesetz vom 27. November 1984 über den umfassenden Umweltschutz“, (Ö)BGBl. Nr. 491/1984. Seit dem Jahr 2013 wurde die Staatszielbestimmung erweitert durch das „Bundesverfassungsgesetz über die Nachhaltigkeit, den Tierschutz, den umfassenden Umweltschutz, die Sicherstellung der Wasser- und Lebensmittelversorgung und die Forschung“, (Ö)BGBl. I Nr. 111/2013. 2138 Österreichisches Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, (Ö)BGBl. Nr. 697/1993 i. d. F. (Ö)BGBl. Nr. I 4/2016. 2139 Diese sind in Österreich, anders als in Deutschland, nicht in einem eigenen Gesetz (UmwRG) aufgeführt, sondern in § 19 Abs. 6, 10 (Ö)UVPG umgesetzt worden. 2140 Das nationale Recht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung dient der Umsetzung der Richtline 2011/92/EU. Die Vorschriften zur Verbandsklage setzen die Richtline 2003/35/EG um. 2141 Im deutschen Recht wurden die europäischen Vorgaben mit dem UVPG und dem UmwRG umgesetzt. 2142 Der Grundrechtskatalog ist, wie das gesamte österreichische Verfassungsrecht, über mehrere Einzelgesetze verteilt. Die meisten Grundrechtsgarantien finden sich im Staatsgrundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger für die im Reichsrathe vertretenen Königreiche und Länder aus dem Jahr 1867 (StGG 1867). 2143 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (2). 2144 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (57).

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

§ 3 BVG Nachhaltigkeit [sic!] ergeben.2145 Weiterhin sei bei der Berechnung der mit dem Flughafenausbau verbundenen CO2-Emissionen fehlerhaft verfahren worden. So habe das Gericht nur auf sogenannte LTO-Emissionen (solche, die bei Start oder Landung entstehen) abstellen dürfen, habe aber stattdessen auch sogenannte Cruise-Emissionen (solche, die während des eigentlichen Fluges entstehen) zu Grunde gelegt.2146 4. Reaktionen im Schrifttum Ob die ausführlich begründete Entscheidung des BVwG Wien tatsächlich willkürlich im strengen Wortsinne war oder ob der Verfassungsgerichtshof hier eher vom Ergebnis her dachte, die Entscheidung aufheben zu wollen, ist im Schrifttum daran anschließend unterschiedlich bewertet worden.2147 Da der österreichische Verfassungsgerichtshof, ähnlich wie das deutsche Bundesverfassungsgericht, nicht über die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts entscheidet, wird durch den Willkürbegriff die zwischen den Verwaltungsgerichten und dem Verfassungsgericht verlaufende Kompetenzgrenze beschrieben.2148 In der Literatur wurde angemerkt, dass der österreichische Verfassungsgerichtshof selbst eine Kompetenzgrenze überschritt, indem er dem Bundesverwaltungsgericht Wien diktierte, wie das einfache Recht zu verstehen sei, ohne dabei zwingende verfassungsrechtliche Gründe anzuführen.2149 So gesteht der (Ö)VfGH zunächst selbst ein, dass der Wortlaut des Art. 71 Abs. 1 lit. d (Ö)LFG eine solch weite Interpretation, wie sie durch das Fachgericht vorgenommen wurde, stützen würde.2150 Zwar kann der (Ö)VfGH dem BVwG Wien dessen eigene Rechtsprechung vorhalten, aus der sich ergibt, dass die Verwaltungsgerichte die betreffende Norm bisher eher eng ausgelegt hatten2151 – der Vorwurf einer denkunmöglichen Rechtsanwendung, wie er gegen die Verwaltungsrichter erhoben wurde,2152 er2145

östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (61). östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (61). 2147 Die „Willkür-Entscheidung“ des östVfGH wird zum Teil scharf kritisiert bei Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (476); Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (599); Merli, WBl. 2017, 682 (686). Dem Willkürvorwurf zumindest im Ergebnis zustimmend Schmelz, ZVG 2017, 288 (289); Voland, NVwZ 2019, 114 (120). Selbst der Präsident des östVfGH gab in einer Pressemitteilung zu verstehen, dass der Willkürvorwurf nicht in einem moralischen Sinne zu verstehen sei und sich die Verwaltungsrichter in dieser Hinsicht korrekt verhalten hätten; siehe https://www.vfgh.gv.at/medien/Flughafen_3._ Piste.de.php (zuletzt abgerufen am 13.11.2019). 2148 Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (594). Allgemein zum Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtshofs; Grabenwarter, in: Ius Publicum Europaeum VI, § 102 Rn. 85 f. 2149 Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (475). 2150 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (59). 2151 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (58). 2152 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (3). 2146

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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scheint jedoch angesichts des Wortlauts der Norm überzogen.2153 Das BVwG Wien verteidigte sich vor dem (Ö)VfGH mit Verweis darauf, dass es nur einen Verfahrensfehler begründet hätte, wenn sie überraschenderweise im Urteil von den zuvor festgestellten Tatsachen abgewichen wären, es hingegen keinen Vertrauensschutz auf die Beibehaltung einer Rechtsprechungslinie gebe.2154 Auf dieses Vorbringen ging das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung nicht ein. Ferner wurde im Schrifttum kritisiert, dass der Verfassungsgerichtshof es als unzulässig ansah, auf alle Emissionen, die mit dem Flughafenausbau in Verbindung stehen, abzustellen und stattdessen nur die Start- und Landeemissionen zu zählen.2155 Das Verfassungsgericht konnte keine konkrete Norm angeben, aus der sich dieser Berechnungsschlüssel ergibt.2156 Stattdessen wurde darauf verwiesen, dass für Emissionen der Bezugsrahmen nur das österreichische Staatsgebiet sein könnte.2157 Diese auf nationale Grenzen beharrende Sicht führt zu einem unvollständigen Bild, wenn das Weltklima zur Diskussion steht. So wirken sich die CO2-Emissionen der in Österreich startenden Flugzeuge auch dann auf das österreichische Staatsgebiet aus, wenn diese freigesetzt werden, nachdem die Landesgrenze überflogen wurde. Für den Einfluss auf das Weltklima spielt der Ort der Freisetzung schlichtweg keine Rolle.2158 Die Entscheidung des VfGH läuft darauf hinaus, dass Verfassungsbestimmungen nicht durch Generalklauseln zur Geltung gebracht werden können, sondern nur dort, wo ausdrücklich auf bestimmte Verfassungsbestimmungen verwiesen wird.2159 Die anderenorts durch die Verfassungsgerichte entwickelte viel gefeierte Ausstrahlungswirkung der verfassungsrechtlichen Grundsatzentscheidungen in das einfache Recht wird damit ausgerechnet im Umweltrecht geschwächt. Die Wirkung des Verfassungsrechts wird zur Disposition des einfachen Gesetzge2153 Vor allem weil eine frühere Abweichung in vergleichbaren Fällen nicht nur unbeanstandet blieb, sondern auch vom Verfassungsgericht in seiner Entscheidung gar nicht gewürdigt wurde, worauf Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (476); Madner/SchulevSteindl, ZöR 2017, 589 (596) hinweisen. 2154 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (22). 2155 Merli, WBl. 2017, 682 (683). 2156 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (61). 2157 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 (59). 2158 Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (597). Umgekehrt wird dieses Argument durch Schmelz, ZVG 2017, 288 (295) versucht, der meint, bei einem Verzicht auf den Ausbau der Piste würden die CO2-Emissionen dann eben anderswo erzeugt. Dieses Argument läuft auf das abstrakte Schema hinaus, dass jeder Umweltschädiger sich darauf beruft, dass es ja nicht nütze, die eigene Umweltschädigung zu unterlassen, solange die Mehrheit noch weiter mache. Der Verweis auf weitere Schädiger taugt auch in anderen Rechtsgebieten nicht als Verteidigung. Was Verlagerungseffekte angeht, bleiben diese sicher nicht aus. Durch ortsnahe Flugverbindungen wird aber jedenfalls die Attraktivität dieses Verkehrsmittels erhöht, was in der Tendenz zu einer Erhöhung des CO2-Ausstoßen führen wird. 2159 Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (596).

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

bers gestellt. Es mag sein, dass die verfassungsrechtlichen Vorgaben zum Umwelt- und Klimaschutz in dem österreichischen Luftfahrtsgesetz aus dem Jahr 1957 nicht zur Geltung kommen und der Anknüpfungspunkt der „sonstigen öffentlichen Interessen“ sehr wage und aus Bestimmtheitsgesichtspunkten kritisch zu bewerten ist.2160 Aber dann wäre es Aufgabe eines Verfassungsgerichts gewesen, das veraltete Luftfahrtgesetz einer Überprüfung dahingehend zuzuführen, ob der Gesetzgeber durch die Nichtanpassung des Gesetzes an die Erkenntnisse und Entwicklungen der letzten Jahrzehnte seine grundrechtliche Umweltschutzpflicht verletzt hat.2161 Für Verwunderung sorgte in Fachkreisen die Tatsache, dass der Verfassungsgerichtshof die Entscheidung überhaupt an sich zog.2162 Das Bundesverwaltungsgericht ist in Österreich, anders als in Deutschland, nicht die letzte Instanz des Rechtszuges. Stattdessen hätte dem österreichischen Verwaltungsgerichtshof, bei dem parallel ein Rechtsmittel anhängig war, der Vortritt gelassen werden können, den Klägern abzuhelfen. Als Fachgericht hätte es eine feinere Prüfung des einfachen Rechts vornehmen können als das Verfassungsgericht, was für zukünftige Entscheidungen hilfreich gewesen wäre.2163 5. Stellungnahme Die schnelle Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshof, die nach Aussagen des österreichischen Schrifttums „in Rekordgeschwindigkeit“ 2164 und ohne mündliche Verhandlung erging,2165 mag unter anderem strategischen Überlegungen geschuldet gewesen sein. Das erst vor wenigen Jahren eingerichtete Bundesverwaltungsgericht testete in der Entscheidung zum Wiener Flughafen seine Grenzen aus, die ihm sogleich, wenn auch in überschießender Weise, aufgezeigt wurden. Die Reaktionen auf die Entscheidung des BVwG Wien waren in der Öffentlichkeit gemischt und stark polarisiert. Teils wurde aus der Politik der Ruf nach einer Abschaffung der erst wenige Jahre zuvor geschaffenen zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit laut.2166 Die Vereinigung der Europäischen Verwaltungsrichter hingegen rügte die unausgewogene Kritik an der Entschei2160

Es liegt nahe, dass der historische Gesetzgeber den Klimaschutz noch nicht als öffentliches Interesse erkannt haben kann. 2161 Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (475); Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (598); eine solche Überprüfung partiellen Unterlassens des Gesetzgebers liegt auch im Kompetenzbereich des östVfGH, vgl. Grabenwarter, in: Ius Publicum Europaeum VI, § 102 Rn. 74. 2162 Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (474). 2163 Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (475). 2164 Merli, WBl. 2017, 682 (682). 2165 östVfGH, Erkenntnis vom 29.06.2017 – E 875/2017-32, E 886/2017-31 S. 67. 2166 Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (473); Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (594).

B. Subjektiv-rechtliche Verfahren

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dung des Gerichts von Seiten administrativer Amtsträger als Verletzung europäischer Standards.2167 Die Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs kann als Versuch verstanden werden, die Wogen zu glätten, die zwischenzeitlich aufgekommen waren. So ist in die niederösterreichische Landesverfassung im Anschluss an die Flughafen-Entscheidung des BVwG Wien eine Staatszielbestimmung „Wirtschaftswachstum“ aufgenommen worden, um die Staatszielbestimmung „Nachhaltigkeit“ zu neutralisieren.2168 Das Verfassungsgericht verhinderte mit seiner Eilentscheidung vielleicht weitere, schärfere Maßnahmen, auch gegen die Justiz, durch eine in Reaktion auf die erstinstanzliche Entscheidung heißlaufende Politik.2169 Die Wiener-Flughafen-Entscheidung und ihre Folgen sind ein Lehrstück über richterlichen Aktivismus, seine Möglichkeiten und Grenzen. Die oft diskutierte Diskrepanz von (Grund-)Rechtsschutz und Demokratie holte die Justiz ein.2170 Auch wenn Gerichte nicht demokratisch legitimiert sind, sind sie nicht unabhängig von der öffentlichen Meinung. Ein zu schnelles Vorpreschen der Justiz gefährdet ihre Akzeptanz.2171 Schlimmstenfalls führt ein zu starker Machtausbau der Justiz letzten Endes zu ihrem Machtverfall. So bleibt von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Wien der ungewollte Verdienst, eine mit Staatszielbestimmungen und unverbindlichen Zusagen operierende Klimapoltik als „primär symbolischen Akt“ enttarnt zu haben.2172

IV. Rechtsschutzlücken in subjektiven Verfahren Die Beschränkung der gerichtlichen Kontrollbreite durch Klagezulassungserfordernisse haben ihre Legitimation in der Steigerung der Kontrolltiefe. Da in subjektiven Verfahren grundsätzlich eine eigene Betroffenheit verlangt wird, kann der einzelne Bürger nicht eine umfassende Einhaltung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten erwirken, sondern er bleibt notwendigerweise auf seinen Rechtskreis beschränkt. Eine Besonderheit besteht, wenn eine grundrechtliche Schutzpflichtenverletzung geltend gemacht wird, die alle Menschen in ähnlicher Weise betrifft. Wird jemand durch die globale Verschlechterung einer Umweltbedingung betroffen, könnte der Einzelne nach der Schutznormtheorie nicht geltend machen, sich aus der Allgemeinheit hervorzuheben, weshalb ihm ein subjektives 2167 Vgl. CCJE (Hg.), Report on judicial independence and impartiality in the Council of Europe member States in 2017, Rn. 302 ff. 2168 Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (600). 2169 Hollaus, ICL Journal 2017, 467 (474). 2170 In Bezug auf den österreichischen Verfassungsgerichtshof wird diese Debatte seit seiner Gründung im Jahr 1920 geführt, vgl. Grabenwarter, in: Ius Publicum Europaeum VI, § 102 Rn. 42. 2171 Hierzu auch Freytag, ZUR 2019, 572 (573). 2172 So Madner/Schulev-Steindl, ZöR 2017, 589 (600).

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Recht versagt bliebe. Die Schutznormtheorie führt in diesen Fällen zu Ergebnissen, die mit Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG unvereinbar sind und muss deshalb grundrechtskonform reduziert werden. Die subjektive Betroffenheit darf nicht deshalb verneint werden, weil viele betroffen sind. Anders als im Unionsrecht, wo über die Zuerkennung weitgehender Klagebefugnisse versucht wird, den Bürger zur Durchsetzung der europäischen Umweltvorschriften zu mobilisieren, ist das deutsche Recht traditionell zurückhaltend mit der Zuerkennung subjektiver Rechte. Durch die grundrechtliche Fundierung einfachen Rechts kann dieses eine subjektive Aufladung erfahren, auch wenn nach einer Wortlautinterpretation anhand der restriktiven Schutznormtheorie ein Anspruch ausgeschlossen wäre. Zwar mögen die Grundrechte oftmals nicht so weit konkretisierbar sein, dass sich der Anspruch des Bürgers auf eine bestimmte Maßnahme verdichtet, hat sich der Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums aber für ein Schutzkonzept entschieden, muss der Grundrechtsträger die Einhaltung des Schutzkonzepts auch verlangen können, wenn er zum Personenkreis gehört, dessen Grundrechte tangiert sind.2173 Wenn die Hürde der subjektiven Betroffenheit einmal genommen ist, stellt sich das Gerichtsverfahren theoretisch als scharfes Schwert dar, durch das die anderen Gewalten zum Handeln oder Unterlassen verpflichtet werden können. Praktisch stumpf ist dieses Schwert hingegen, wenn die verurteilten Staatsorgane sich nicht der Autorität des Gerichts unterwerfen. Das Zwangsgeld von 10.000 A, das nach § 172 S. 1 VwGO gegen die Behörde verhängt werden kann, wenn sie einem Urteil des Verwaltungsgerichts nicht nachkommt, führt bei Verurteilung eines Landes nur zur Umbuchung im Staatshaushalt und ist deshalb praktisch wirkungslos.2174

C. Objektive Verfahren Bei objektiven Verfahren entfällt das Erfordernis der eigenen Betroffenheit ebenso wie das der subjektiven Rechtsverletzung. Eine Begrenzung der Verfahrensmasse erfolgt hier über die Reduktion des Kreises der Antragsberechtigten, die in der Regel selbst aus der staatlichen Sphäre stammen und zur Willensbildung intern erst ein bestimmtes Quorum erreichen müssen. 2173

Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 83. Es handelt sich hierbei um ein Schutzdefizit auf einfachgesetzlicher Ebene, das zur Zeit von Wissenschaft und Praxis intensiv diskutiert wird; vgl. Berkemann, DÖV 2019, 761 (761); Klinger, NVwZ 2019, 1332 (1332); Kring, NVwZ 2019, 23 (23); Schneider, NJW 2019, 24 (24). Lösungsvorschläge reichen von einer Reform der Verwaltungsgerichtsordnung bis zu einer analogen Anwendung des § 888 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 ZPO, um den Leiter der verurteilten Behörde in Zwangshaft nehmen zu können. Welchen Weg des einfache Recht unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch einschlagen mag, aus Sicht der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten ergibt sich die Notwendigkeit zur Durchsetzbarkeit von Gerichtsentscheidungen schon aus dem Effektivitätsgebot, vgl. hierzu 3. Kapitel B. III. 3. – „Effektivitätsgebot“. 2174

C. Objektive Verfahren

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Vor dem Bundesverfassungsgericht steht den wenigen subjektiven Klagearten eine Vielzahl objektiver Verfahrensarten gegenüber, die den Staatsorganen zur wechselseitigen Kontrolle dienen. Für die Fachgerichte hingegen stellen objektive Verfahren die Ausnahme von der Regel des subjektiven Rechtsschutzes dar. Objektive Verfahren vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit nehmen, nicht zuletzt aufgrund des Einflusses des internationalen und europäischen Rechts, in der Tendenz zu.2175

I. Konkrete Normkontrolle Bei der konkreten Normkontrolle stehen sich nicht etwa Kläger und Beklagter oder Antragsteller und Antragsgegner gegenüber. Den betroffenen Bundes- und Landesorganen wird im Verfahren nach § 77 BVerfGG lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. Faktisch adressiert wird durch ein Verfahren wegen gesetzgeberischen Unterlassens primär das Parlament.2176 Auf sekundärer Ebene richtet sich der Gesetzgebungsauftrag des Bundesverfassungsgerichts an die Bundesregierung im Allgemeinen und die jeweiligen Fachreferate in den Ministerien im Besonderen, die die eigentlichen Akteure der Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Entscheidung sind.2177 Die Vorlagebefugnis im Rahmen der konkreten Normkontrolle ist als Ausgleich für die fehlende Normverwerfungskompetenz der Instanzgerichte konzipiert.2178 Deshalb ist das Bundesverfassungsgericht das einzige Gericht, das alles Staatshandeln umfassend auf seine Vereinbarkeit mit den Anforderungen der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten überprüfen kann.2179 Daneben sind auch die Landesverfassungsgerichte dazu berufen, die Staatsgewalt der Länder im Rahmen des ihnen nach Art. 70 Abs. 1, 72, 74 Abs. 1 GG zukommenden Kompetenzrahmens auf die Erfüllung ihrer landesgrundrechtlichen Umweltschutzpflichten zu kontrollieren, Art. 100 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 GG.2180 Die Vorlagepflicht von verfassungswidrigen Gesetzen bedeutet für die Instanz- und Revisionsgerichte zugleich ein beschränktes Auslegungsverbot für Verfassungsrecht. Zwar dürfen die Gerichte einfachgesetzliche Normen verfassungskonform auslegen, es ist ihnen jedoch verwehrt, diese als nichtig zu verwerfen. Damit wird die einheitliche Anwendung von Verfassungsrecht im Staatsgebiet sichergestellt.2181 2175 Hier sind insbesondere die Aarhus-Konvention und die zu ihrer Umsetzung getroffenen Maßnahmen der Europäischen Union sowie des deutschen Rechts zu nennen – inbesondere das Umweltrechtsbehelfsgesetz, das Umweltverbänden die Möglichkeit gibt, Gerichtsverfahren unabhängig von der eigenen Rechtsbetroffenheit zu führen. 2176 Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 431. 2177 Reese, Die Verfassung des Grundgesetzes, S. 432. 2178 Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 100, Rn. 2. 2179 Anders noch unter der WRV, als die richterliche Überprüfung eines Gesetzes für ausgeschlossen gehalten wurde, vgl. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, S. 18. 2180 Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 100, Rn. 26. 2181 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 112.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Fraglich ist jedoch, wie sich die Situation für Instanzgerichte darstellt, die mit einer Schutzpflichtverletzung des Gesetzgebers konfrontiert sind. Den Verfassungsgerichten des Bundes und der Länder können nach Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nur verkündete und in Kraft getretene Gesetze im Rahmen der konkreten Normkontrolle vorgelegt werden.2182 Hat der Gesetzgeber den Erlass einer Norm unterlassen, wie häufig der Fall bei der Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten, fehlt es am nach Art. 100 Abs. 1 GG vorlagefähigen Verfahrensgegenstand.2183 Anders verhält sich dies, wenn ein formelles Gesetz eine Schutzlücke enthält. In diesem Fall kann das schutzlückenhafte Gesetz vorgelegt werden.2184 Fehlt es gänzlich an einer gesetzlichen Regelung, kommt allenfalls eine Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG in Betracht, mit der auch gesetzgeberisches Unterlassen gerügt werden kann. Das Bundesverfassungsgericht lehnte es darüber hinaus schon früh ab, seinen gesetzlich gezogenen Kompetenzrahmen durch analoge Anwendung von Zuständigkeitsbestimmungen auszudehnen2185 und verfolgt diese Linie noch heute: „Schlichtes gesetzgeberisches Unterlassen kann nicht Gegenstand einer Vorlage gem. Art. 100 I GG sein. Dagegen ist eine Vorlage zulässig, wenn der Gesetzgeber auf einem Rechtsgebiet bereits tätig geworden ist und ein Gericht die geschaffenen Vorschriften angesichts einer grundrechtlichen Schutzpflicht für unzureichend hält.“ 2186

Zwar wurden Stimmen in der Literatur laut, die eine Erweiterung des Vorlagerechts analog Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG fordern und dies mit entstehenden Rechtsschutzlücken begründen,2187 bei genauerer Analyse entstehen durch die Begrenzung der Vorlagebefugnis auf bestehende Gesetze jedoch keine Rechtsschutzlücken. Es handelt sich lediglich um eine Modalität der Arbeitsteilung von Fachgerichten und Verfassungsgericht. Während die Fachgerichte das einfache Recht so weit wie möglich verfassungskonform auszulegen haben, um Schutz2182 Detterbeck, in: Sachs GG, Art. 100, Rn. 8; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 100, Rn. 11. 2183 BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (331) [Zwangsbehandlungen]. Brüning, Jura 2001, 155 (161); Müller-Terpitz, in: MSKB BVerfGG, § 80, Rn. 118. 2184 Dederer, in: Maunz/Dürig GG, Art. 100, Rn. 83; Müller-Terpitz, in: MSKB BVerfGG, § 80, Rn. 121. 2185 BVerfG, Beschluss vom 17.06.1953 – 1 BvL 122/52 – BVerfGE 2, 341 (346) [Speiseeissteuer]. 2186 BVerfG, Beschluss vom 16.01.2013 – 1 BvR 2004/10 – NJW 2013, 1148 Ls. 2 [Prozesskostenhilfe]. 2187 Rüfner, in: HStR IX, § 197 Rn. 93: „Der zuständige Richter kann das Unterlassen oder die Mangelhaftigkeit der Aufgabenerfüllung durch den Gesetzgeber ggf. im Rahmen seines richterlichen Prüfungsrechts beanstanden (Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 3 BVerfGG).“ Brüning, Jura 2001, 155 (161) hält hingegen in den Fällen, in denen gemäß Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG nicht vorgelegt werden kann, die direkte Erhebung der Verfassungsbeschwerde für zulässig, ohne den Rechtsweg weiter ausschöpfen zu müssen.

C. Objektive Verfahren

375

lücken zu schließen, soll das Bundesverfassungsgericht sich mit der Frage erst beschäftigen, wenn auch nach Durchschreiten des Instanzenzuges kein anwendbares Recht gefunden werden konnte, um den Rechtsstreit beizulegen.2188 Ist dies der Fall, kann das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen das letztinstanzliche Urteil angerufen werden.2189 Diese unterschiedlichen Verfahrenswege rechtfertigen sich dadurch, dass die Schutzpflicht rechtsfolgenseitig häufig nicht genau zu bestimmen ist.2190 Durch welche Maßnahme der Gesetzgeber den gebotenen Schutz gewähren möchte, ist seinem Ermessen überlassen.2191 Hat sich der Gesetzgeber festgelegt, muss er sich hieran messen lassen, weshalb das Bundesverfassungsgericht den Gerichten eine Vorlagebefugnis einräumt. Liegt hingegen noch gar kein Regelungskonzept vor, müsste das Bundesverfassungsgericht zunächst den gesamten einfachgesetzlichen und untergesetzlichen Normbestand prüfen, um festzustellen, ob tatsächlich eine Regelungslücke vorhanden ist.2192 Gerade hierfür ist jedoch der fachgerichtliche Instanzenzug gedacht und nicht das konkrete Normkontrollverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Eine einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts kann gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG nur im Streitfall ergehen. Das heißt, ein Antragsbefugter muss die Sache vor das Bundesverfassungsgericht bringen, was den Gerichten beim echten Unterlassen verwehrt ist.2193 Zum Ausgleich der fehlenden Vorlagebefug2188

BVerfG, Beschluss vom 14.09.1983 – 1 BvB 920/83 – NJW 1983, 2931 (2931). Möstl, DÖV 1998, 1029 (1034). 2190 Anders hingegen Ekardt, NVwZ 2013, 1105 (1108), der meint, bei einer multipolaren Lesart der Grundrechte wären die Rechtsfolgen im Bereich der Abwehrrechte wie auch der Schutzrechte gleichermaßen indeterminiert, weshalb eine diesbezügliche Unterscheidung nicht gerechtfertigt sei. 2191 BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (214) [Chemiewaffen]. 2192 Das Bundesverfassungsgericht betonte bereits im ersten Band seiner amtlichen Entscheidungssammlung, dass es sich auf die Prüfung der Verletzung spezifischen Verfassungsrechts beschränke, BVerfG, Beschluss vom 18.09.1952 – 1 BvR 612/52 – BVerfGE 1, 418 (420) [Ahndungsgesetz]; grundlegend BVerfG, Beschluss vom 10.06. 1964 – 1 BvR 37/63 – BVerfGE 18, 85 (92) [Spezifisches Verfassungsrecht]: „Die Gestaltung des Verfahrens, die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes, die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den einzelnen Fall sind allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen; nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht durch die Gerichte kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen“. Zur Kritik an der Offenheit dieser Formulierung siehe Walter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 93, Rn. 151 f. 2193 Erweist sich die Hauptsache von vornherein als unzulässig, darf nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch keine einstweilige Anordnung ergehen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.12.2018 – 2 BvR 2425/18 – BeckRS 2018, 33453 (2) [Erkenntnisstand der Fachwissenschaft]; BVerfG, Beschluss vom 16.12.1983 – 2 BvR 1160, 1565, 1714/83 – BVerfGE 66, 39 (56). 2189

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

nis bei umfassenden Regelungslücken steht den Instanzgerichten die verfassungsunmittelbare Notbefugnis zur Seite, um schwere Schäden an hochwertigen Rechtsgütern einstweilen abwehren zu können.2194

II. Abstrakte Normkontrolle Wie bei der konkreten Normkontrolle ist auch bei der abstrakten Normkontrolle der Antragsgegenstand auf in Kraft getretene Normen beschränkt.2195 Entscheidend soll es für die Zulässigkeit des Klagegegenstandes auf die Außenwirkung der Norm ankommen.2196 Eine Ausnahme lässt das Bundesverfassungsgericht nur für Zustimmungsgesetze zu völkerrechtlichen Verträgen zu, um Widersprüche mit der internationalen Rechtsordnung zu vermeiden, wonach ein Staat sich nach Zustimmung zu einem Vertrag nur in Ausnahmefällen darauf berufen können soll, dass die Zustimmung nach innerstaatlichem Recht ungültig war, vgl. Art. 46 Abs. 1 WVRK.2197 Aus dieser eng umgrenzten Ausnahme lässt sich im Umkehrschluss ableiten, dass eine Ausdehnung des zulässigen Antragsgegenstandes auf sich noch nicht mal in der Entstehung befindliche Normen ausgeschlossen ist. Die abstrakte Normkontrolle eignet sich daher nicht, um ein völliges Untätigbleiben des Gesetzgebers anzugreifen. Wie auch bei der konkreten Normkontrolle kann aber ein bestehendes Gesetz Antragsgegenstand sein, von dem geltend gemacht wird, es würde hinter dem gebotenen Schutz zurückbleiben. Aufgrund dieser Reduktion der verfassungsrechtlichen Prüfungskompetenz auf bestehende Gesetze, zumindest im abstrakt-objektiven Verfahren, wird das Bundesverfassungsgericht auch als „negativer Gesetzgeber“ aufgefasst.2198 Die abstrakte Normkontrolle ist dem Gesetzgebungsprozess zeitlich nachgeordnet und deshalb nicht geeignet auf zukünftiges, noch ausstehendes Handeln des Gesetzgebers gerichtet zu werden.

III. Organstreitverfahren Das Verfahren nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG ist in seinem Wortlaut verhältnismäßig weit gefasst. Antragsgegenstand kann jedes Handeln, Dulden oder Unter2194

Siehe hierzu 3. Kapitel F. – „Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis“. Hiermit setzt sich beispielsweise Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 7, der die Zulässigkeit von abstrakter und konkreter Normkontrolle ohne weiteres annimmt, nicht auseinander, weshalb seine diesbezügliche Aussage in ihrer Allgemeingültigkeit unzutreffend ist. 2196 Walter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 93, Rn. 237. 2197 Grundlegend hierzu BVerfG, Urteil vom 30.07.1952 – 1 BvF 1/52 – BVerfGE 1, 396 (413) [Deutschlandvertrag]; seit dem ständige Rechtsprechung, zuletzt BVerfG, Beschluss vom 14.01.2014 – 2 BvR 2728, 2729, 2730, 2731/13, 2 BvE 13/13 – BVerfGE 134, 366 (391) [OMT-Beschluss] m.w. N. 2198 Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, S. 469. Das Konzept des Verfassungsgerichts als negativer Gesetzgeber findet sich bereits in der Staatsrechtslehre der Weimarer Republik, vgl. Kelsen, in: VVDStRL 5 (1928), S. 55 f. 2195

C. Objektive Verfahren

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lassen eines Organs sein, das im Grundgesetz mit eigenen Rechten ausgestattet ist.2199 Prinzipiell kann mittels Organstreitverfahren auch ein Unterlassen des Gesetzgebers gerügt werden, denn eine diesbezügliche Einschränkung ergibt sich weder aus dem Grundgesetz noch aus den ausgestaltenden Vorschriften der §§ 63 ff. BVerfGG.2200 Das Organstreitverfahren dient gerade dazu, die Staatsorgane zur Erfüllung ihrer verfassungsrechtlichen Pflichten anzuhalten.2201 Der Zulässigkeit der meisten Organstreitverfahren dürfte jedoch seine Ausgestaltung als kontradiktorische Parteistreitigkeit im Wege stehen.2202 Als solcher muss der Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis nachweisen, aufgrund dessen er befugt ist ein bestimmtes Verhalten von einem anderen Staatsorgan zu verlangen.2203 Das Organstreitverfahren dient gerade nicht zur abstrakt-objektiven Rechtmäßigkeitskontrolle beliebiger Handlungen eines Organs.2204 Das antragstellende Organ muss durch das Verhalten des angegriffenen Organs in seinen „ihm durch das Grundgesetz übertragenen Rechten und Pflichten verletzt oder unmittelbar gefährdet“ sein.2205 Das Organstreitverfahren ist aufgrund seiner Zielsetzung, die verfassungsrechtlichen organschaftlichen Rechte der Beteiligten zu wahren, zur Durchsetzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten nicht geeignet. Aus den gleichen Gründen fallen auch die föderativen Streitigkeiten nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 3 und 4 GG heraus, da diese von ihrer Zielsetzung ebenfalls nicht auf die prozessstandschaftliche Durchsetzung von Grundrechten ausgelegt sind.2206

IV. Altruistische Verbandsklagen Durch die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Vorgaben kommt in Deutschland mit der Verbandsklagebefugnis eine umfassende objektive Klagebe2199

Walter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 93, Rn. 220. Detterbeck, in: Sachs GG, Art. 93, Rn. 50; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 93, Rn. 24; offen gelassen bei Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 131a. 2201 Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 352 f. 2202 BVerfG, Beschluss vom 11.12.2018 – 2 BvE 1/18 – NVwZ 2019, 159 (159) [Flüchtlingspolitik]; Detterbeck, in: Sachs GG, Art. 93, Rn. 42; Löwer, in: HStR III, § 70 Rn. 7; Morgenthaler, in: BeckOK GG, Art. 93, Rn. 17; Walter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 93, Rn. 196 ff. 2203 BVerfG, Beschluss vom 13.10.2016 – 2 BvE 2/15 – BVerfGE 143, 101 (132) [NSA-Untersuchungsausschuss]; BVerfG, Urteil vom 03.05.2016 – 2 BvE 4/14 – BVerfGE 142, 25 (37) [Oppositionsrechte]; BVerfG, Urteil vom 16.02.1983 – 2 BvE 1, 2, 3, 4/83 – BVerfGE 62, 1 (33) [Bundestagsauflösung I]; Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 131a. 2204 BVerfG, Beschluss vom 10.10.2017 – 2 BvE 6/16 – BVerfGE 147, 31 (31) [Kölner Domplatte]. 2205 BVerfG, Beschluss vom 11.12.2018 – 2 BvE 1/18 – NVwZ 2019, 159 (159) [Flüchtlingspolitik]. 2206 Walter, in: Maunz/Dürig GG, Art. 93, Rn. 276. 2200

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

fugnis hinzu.2207 Die Umsetzung der sogenannten Aarhus-Konvention und der daran anschließenden unionsrechtlichen Akte erfolgte vor allem durch das mehrfach überarbeitete Umweltrechtsbehelfsgesetz. 2208 Es tritt neben den im deutschen Verwaltungsprozess bis dato vorherrschenden subjektiven Individualrechtsschutz.2209 Viele verwaltungsprozessuale, völker- und unionsrechtliche Fragen rund um das Umweltrechtsbehelfsgesetz sind bisher noch ungeklärt und werden kontrovers diskutiert. So ist bisher umstritten, ob der Kreis der Klagebefugten im deutschen Recht zu eng zugeschnitten wurde, da Art. 9 Abs. 3 der Aarhus-Konvention generell „Mitglieder der Öffentlichkeit“ begünstigt, wohingegen sich § 2 Abs. 1 S. 1 UmwRG auf anerkannte Umweltvereinigungen beschränkt.2210 Derartige Fragen betreffen mittelbar auch die Durchsetzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten, müssen aber näher im jeweiligen Fachrecht ausdiskutiert werden, denn aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten selbst lässt sich kein Maßstab zur Beantwortung derart detaillierter prozessualer Fragen herleiten.2211 Vorliegend ist deshalb fraglich, ob die bestehenden Vorschriften des Umweltrechtsbehelfsgesetzes prinzipiell dafür genutzt werden können, grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zur Durchsetzung zu verhelfen. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 UmwRG muss mit dem Rechtsbehelf die Verletzung einer umweltbezogenen Rechtsvorschrift geltend gemacht werden.2212 Hierbei besteht keine normhierarchische Einschränkung, weshalb sowohl einfachgesetzliche, untergesetzliche, aber auch verfassungsrechtliche Normen Verfahrensgegenstand sein können.2213 Daher muss grundsätzlich auch eine Verletzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten mittels des Umweltrechtsbehelfsgesetzes angegriffen werden. Durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz wird keine eigene Verfahrensordnung geschaffen, sondern die darin aufgestellten Maßgaben zur Verfahrensbeteiligung und Klagebefugnis sind nach § 2 Abs. 1 S. 1 UmwRG gemäß der Verwaltungsgerichtsordnung umzusetzen.2214 Zum Teil wird diese Vorschrift so gelesen, dass das Gesetz daher nicht für verfassungsgerichtliche Rechtsbehelfe, insbesondere 2207 Schon länger besteht daneben die altruistische Klagemöglichkeit in § 64 BNatSchG sowie etwaige landesrechtliche Regelungen; vgl. hierzu ausführlich Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 161 ff. 2208 Enders, ZUR 2016, 387 (389); Gärditz, NVwZ 2014, 1 (3); Rennert, DVBl. 2017, 69 (71); Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 232 ff. 2209 Rennert, DVBl. 2019, 133 (134). 2210 Bunge, in: Bunge UmwRG, § 1, Rn. 40; Gärditz, NVwZ 2014, 1 (5). 2211 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmwRG, Vorb. Rn. 76; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 71. 2212 Dieses Erfordernis gilt aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben nicht für Verfahren die § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 UmwRG betreffen, Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmwRG, § 2 Rn. 14. 2213 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmwRG, § 2 Rn. 13 f. 2214 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmwRG, Vorb. Rn. 4.

C. Objektive Verfahren

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für die Verfassungsbeschwerde, gilt.2215 Eine extensive Auslegung ergibt sich nicht aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben, denn nach dem Grundgesetz ist die Verbandsklage weder geboten noch geschützt.2216 Zum Teil wird aber auch die Verfassungsbeschwerde als zulässig erachtet, da der Begriff „Rechtsbehelf “ als Oberbegriff weit auszulegen sei und auch alle ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmittel bezeichne, die in einem Verfahren eingelegt werden können.2217 Auch wird eine „Flexibilisierung“ der Verfassungsbeschwerde analog der Vorschriften des UmwRG für erforderlich gehalten, um vorhandene Rechtsschutzdefizite auszugleichen.2218 Selbst wenn man die Anwendung des UmwRG auf Verfassungsbeschwerden bejahen wollen würde, verbliebe das Problem des enumerativen Anwendungsbereichs des Gesetzes nach § 1 Abs. 1 UmwRG, der auf exekutives Handeln zugeschnitten ist und für eine Klage gegen parlamentarisches Unterlassen nicht nutzbar gemacht werden kann.2219 Die Umweltverbandsklage kann daher nur zur Durchsetzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten genutzt werden, wenn ein einfachgesetzlicher Anknüpfungspunkt bereits vorhanden ist. Bei einem völligen Untätig bleiben des Gesetzgebers kann sie hingegen keine Abhilfe verschaffen.

V. Verbleibende Rechtsschutzlücken Das Verfassungsprozessrecht enthält im Bereich der objektiven Verfahren Rechtsschutzlücken bezüglich der Rüge eines echten gesetzgeberischen Unterlassens, grundrechtlich geforderte Umweltschutznormen zu schaffen. Der Rückgriff auf eine dem § 40 Abs. 1 S. 1 VwGO ähnliche Generalklausel scheidet im Verfassungsprozessrecht aufgrund des Enummerationsprinzips aus.2220 Die zum Zwecke der Umsetzung der Aarhus-Konvention geschaffene Verbandsklagebefugnis erweist sich wegen ihrer Ausrichtung auf das Verwaltungsrecht für das Verfassungsrecht von beschränkter Nützlichkeit. Ein Verstoß gegen die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG ist in der starken Reduktion objektiv-rechtlicher Überprüfungsmöglichkeiten nicht zu erblicken, da der gebotene subjektive Rechtschutz durch die um § 42 Abs. 2 VwGO zentrierten fachgerichtlichen Verfahren sowie die Verfassungsbeschwerde hinreichend verwirklicht wird. Die subjektiv-rechtlichen Verfahren haben den 2215 Bunge, in: Bunge UmwRG, § 1, Rn. 49; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 286 f. 2216 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmwRG, Vorb. Rn. 76; Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 71. 2217 Fellenberg/Schiller, in: Landmann/Rohmer UmwR, UmwRG, § 1 Rn. 10. 2218 Heß, ZUR 2018, 686 (690). 2219 Vgl. hierzu die Darstellung der Klagegegenstände bei Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 283 ff. 2220 Bickenbach, Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers, S. 461.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Nachteil, dass Gemeinwohlbelange nur reflexhaft mit diesen verfolgt werden. Die daraus resultierende Lücke, die für das einfache Recht durch das Umweltrechtsbehelfsgesetz zum Teil geschlossen wird, besteht auf Ebene des Verfassungsrechts unverändert fort. Über objektive Verfahren können andere Staatsorgane den jeweils zuständigen Gesetzgeber zur Nachbesserung bereits bestehender Gesetze anhalten. Die Verabschiedung gänzlich neuer Schutzgesetze zu verlangen, bleibt dem Bürger im Rahmen der Verfassungsbeschwerde vorbehalten und beschränkt sich auf den individuellen Rechtskreis des Klägers.2221 Demgegenüber bestehen umfassende Rechtsschutzmöglichkeiten gegen das schutzpflichtenwidrige Unterlassen von Exekutive und Judikative, da den Kontrollinstanzen für untergesetzliche Akte eine umfassende Prüfungs-, Verwerfungs- und Anordnungskompetenz zukommt.

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte Der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle der Schutzpflichtenerfüllung steht eine Einschätzungsprärogative der adressierten Staatsgewalt bei ihrer Anwendung gegenüber. Insbesondere dem Gesetzgeber kommt ein politischer Gestaltungsspielraum dahingehend zu, wie er die ihn treffenden Umweltschutzverpflichtungen erfüllen will. Er ist hinsichtlich des Ziels, nicht der Mittel gebunden. Es fragt sich daher, welches die justiziablen Grenzen sind, bei denen ein gesetzgeberisches Unterlassen eine feststellbare Grundrechtsverletzung darstellt.

I. Einschätzungsprärogative der handelnden Staatsorgane Die Einschätzungsprärogative ergibt sich aus dem Spannungsfeld zwischen der universellen Grundrechtsbindung des Gesetzgebers wie auch aller anderen Staatsorgane nach Art. 1 Abs. 3 GG sowie der Aufgabe der Rechtsprechung als lediglich kontrollierende, nicht ausführende oder regelnde Instanz. Soll der vielbeschworene Jurisdiktionsstaat vermieden werden,2222 müssen den anderen Organen Befugnisse bleiben, die von der Rechtsprechung nur eingeschränkt kontrolliert werden können. So kommt nicht nur dem Gesetzgeber,2223 sondern auch der Exekutive nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Erfüllung der grund2221

So auch Heß, ZUR 2018, 686 (690). Zu diesem Terminus bereits ausführlich 1. Kapitel H. III. 4. – „Vom Hüter zum Herren der Verfassung“. 2223 BVerfG, Urteil vom 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11, 321, 1456/12 – BVerfGE 143, 246 (334) [Atomausstieg]; BVerfG, Urteil vom 24.11.2010 – 1 BvF 2/05 – BVerfGE 128, 1 (39) [Gentechnikgesetz]; BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (332) [Mitbestimmung]. 2222

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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rechtlichen Schutzpflichten eine Einschätzungsprärogative zu.2224 Das Bundesverfassungsgericht betont, dass den handelnden Staatsorganen „ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich zu[kommt], der auch Raum lässt, konkurrierende öffentliche und private Interessen zu berücksichtigen“.2225 Im Gegensatz zum Abwehrrecht, das in seiner Zielsetzung klar umrissen sei, in dem es vom Staat fordere ein bestimmtes Verhalten zu unterlassen, sei die grundrechtliche Schutzpflicht grundsätzlich unbestimmt.2226 Weil das Bundesverfassungsgericht betont, dass es sich nicht an die Stelle des Gesetzgebers setzen wolle,2227 stellt sich die Frage, wie eine Schutzpflichtverletzung abstrakt und nicht nur im Einzelfall bestimmbar sein soll, wollte das Gericht die Schutzgewährung nicht völlig verweigern.

II. Menschenwürdekern als justiziable Verletzungsgrenze Zum Teil wurde angenommen, dass eine justiziable Schutzpflichtenverletzung nur dann in Betracht komme, wenn der Menschenwürdekerngehalt eines Grundrechts verletzt sei.2228 Begründung für diese These ist, dass die Schutzpflicht des Staates sich aus Art. 1 Abs. 2 S. 2 GG herleite,2229 weshalb die Schutzfunktion auf die Menschenwürde beschränkt bleiben müsse.2230 Um die justiziable Schutz-

2224 BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (342) [Garzweiler]; BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 (976) [Forschungsflug Saturn]. 2225 BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2622) [Fixierung Psychatrie]; BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/ 12 – NVwZ 2018, 1555 (1557) [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (262) [Schwangerschaftsabbruch II]. Ähnlich BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/ 05 – BVerfGE 115, 118 (159) [Luftsicherheitsgesetz]. 2226 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]. 2227 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (51) [Schwangerschaftsabbruch I]; BVerfG, Beschluss vom 19.12.1951 – 1 BvR 220/51 – BVerfGE 1, 97 (101) [Hinterbliebenenrente I]. 2228 Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 47; Klein, NJW 1989, 1633 (1635); ablehnend Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 83; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 92; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 96. 2229 Ausführlich zur dogmatischen Herleitung 1. Kapitel D. – „Ableitung aus dem Würdeschutz nach Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG“. Zu der beschränkten Wirkmacht des sogenannten Menschenwürdekerns im Umweltverfassungsrecht siehe 2. Kapitel D. IV. – „Art. 1 I GG: Das Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum“. 2230 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 42.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

pflichtenkomponente eines Grundrechts zu bestimmen, müsste der Menschenwürdekern eines Grundrechts herausgearbeitet werden.2231 Bereits hier setzen die Probleme dieser Theorie ein, denn bisher ist es nicht gelungen, eine klar abgrenzbare und konsensfähige Umschreibung dessen zu finden, was diesen Würdekern des jeweiligen Grundrechts ausmachen soll,2232 zumal sich schon der Begriff des Würdekerns nicht unerheblicher Kritik ausgesetzt sieht.2233 Die Objektformel, die dazu dienen soll, den Menschenwürdebegriff justiziabel auszuformen, ist für die Frage der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten unergiebig.2234 Außerdem ist, wie oben dargestellt, die Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 2 S. 2 GG nur eine von mehreren, nebeneinanderstehenden und sich nicht in jedem Fall einander ausschließenden Begründungen für die dem Staat zukommenden Schutzpflichten.2235 Die Menschenwürdegarantie soll den Grundrechtsschutz stärken. Die Reduktion der Schutzpflicht auf diese würde hingegen eine Schwächung bedeuten.2236 Die Orientierung am Menschenwürdekern birgt den Nachteil, dass sich aus dem Begriff der Menschenwürde kein differenzierter Kontrollmaßstab ableiten lässt. So wie die Rechtsordnung des Grundgesetzes auf dem Konzept der Menschenwürde fußt, sich aber nicht in diesem erschöpft, stellt sie auf Ebene des Rechtsschutzes den innersten Schutzring zur Wahrung der Verfassungsidentität dar. Auf ihn ist erst zurückzukommen, wenn die spezielleren, der Ausformung der Menschenwürde dienenden Schutzrechte, nicht greifen. Da sich die Privatrechtssubjekte, die Begünstigte der grundrechtlichen Schutzpflichten sind, alle mittelbar oder unmittelbar auf die Menschenwürde berufen können, taugt die Menschenwürde nicht, um eine Gewichtung der miteinander konkurrierenden Einzelinteressen vorzunehmen. Es bedarf der Einzelgrundrechte, ihrer abgrenzbaren Schutzbereiche und differenzierten Eingriffsdogmatik, um einen abgestuften Kontrollmaßstab zu erhalten, innerhalb dessen eine Abwägung vorgenommen werden kann, die dem Rechtsanwender Orientierung bietet und für den Rechtsadressaten möglichst vorhersehbare Ergebnisse hervorbringt.

2231

Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 71. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 43. 2233 Siehe hierzu die Nachweise in Fn. 727 auf S. 135. 2234 Nach der Objektformel schließt die Verpflichtung des Staates zur Achtung der Menschenwürde aus, „den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen“, da diesem ein Eigenwert „um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt“, vgl. statt vieler BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (153) [Luftsicherheitsgesetz]. 2235 Siehe zur diskurstheoretischen Deutung und Vereinigung der unterschiedlichen Herleitungsansätze: 1. Kapitel I. – „Diskurstheoretische Deutung und Fazit“. 2236 Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, S. 125. 2232

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

383

III. Triadisch abgestufter Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts Für die Überprüfung gesetzgeberischen Handelns entwickelte das Bundesverfassungsgericht einen triadisch abgestuften Kontrollmaßstab.2237 Allein die Tatsache, dass die Auswirkungen eines Gesetzes in der Zukunft ungewiss sind, könne nach der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nicht die Befugnis des Gesetzgebers ausschließen, ein Gesetz zu erlassen. Umgekehrt könne aber eine bestehende Ungewissheit noch nicht ausreichen, um einen Prognosespielraum des Gesetzgebers zu begründen, der der verfassungsgerichtlichen Kontrolle entzogen sei.2238 Das in der Prognose enthaltene Wahrscheinlichkeitsurteil sei jedenfalls gerichtlich kontrollierbar. Wie streng der Maßstab dieser Kontrolle ist, hänge von verschiedenen Faktoren ab.2239 So sind die besonderen Eigenarten der Regelungsmaterie genauso von Relevanz wie die Bedeutung der auf dem Spiel stehenden Rechtsgüter und die Schwere ihrer Betroffenheit.2240 Auch die zeitliche Nähe und der Rang des grundrechtlich geschützten Rechtsguts haben Einfluss auf den anzuwendenden Kontrollmaßstab.2241 Dementsprechend reichen die Maßstäbe von einer reinen Evidenzkontrolle2242 über eine Vertretbarkeitskontrolle2243 bis hin zu einer intensiven inhaltlichen Kontrolle.2244 2237 Grundlegend BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (333) [Mitbestimmung]. Diese Rechtsprechungslinie hat in der Literatur breiten Anklang gefunden, siehe Alexy, in: GS für J. Sonnenschein, S. 789; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 495 ff.; Badura, in: HStR XII, § 265 Rn. 50; Borowski, in: HStR XII, § 274 Rn. 38; Breuer, in: HStR VIII, § 171 Rn. 26; Bull, in: FS für Koch, S. 41 f.; Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 6; Dederer, in: BonnK GG, Art. 14, Rn. 836; Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 257; Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 68; Kreuter-Kirchhof, in: HStR XII, § 272 Rn. 36; Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 57 f.; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 134; Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, S. 3; Starck, in: HStR XII, § 271 Rn. 54; Steinberg, Der ökologische Verfassungsstaat, S. 319; Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 190 f.; Wallerath, in: FS für Schröder 70, S. 424. 2238 Siehe hierzu ausführlich 2. Kapitel E. III. 2. a) – „Risiko in der Rechtsprechung“. 2239 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (332) [Mitbestimmung]. 2240 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (333) [Mitbestimmung]; so auch Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GKBImSchG, § 1, Rn. 33; offen gelassen in BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (262) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2241 Führ, in: Koch/Pache/Scheuing GK-BImSchG, § 1, Rn. 33. 2242 BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (225) [Hartz IV]; BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; BVerfG, Beschluss vom 19.03.1975 – 1 BvL 20, 21, 22, 23, 24/73 – BVerfGE 39, 210 (225) [Mühlenstrukturgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 05.03.1974 – 1 BvL 27/72 – BVerfGE 37, 1 (20) [Weinabgabe]; BVerfG, Beschluss vom 09.03. 1971 – 2 BvR 326, 327, 341, 342, 343, 344, 345/69 – BVerfGE 30, 250 (263) [Absi-

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

1. Prüfungsumfang der Maßstabsstufen Der Prüfungsmaßstab bei der Evidenzkontrolle „ist, dass eine erstmalige oder ursprünglich rechtmäßige Regelung aufgrund neuer Erkenntnisse oder einer veränderten Situation verfassungsrechtlich schlichtweg untragbar geworden ist“.2245 Eine Schutzpflichtenverletzung liegt nur vor, wenn die zuständigen Staatsorgane entweder überhaupt nicht tätig geworden sind oder gänzlich unzureichende Maßnahmen ergriffen haben.2246 Das Bundesverfassungsgericht gesteht dem Gesetzgeber eine hohe tolerierbare Fehlerquote in seiner Prognoseentscheidung zu.2247 Es prüft hier vor allem, ob sich der Gesetzgeber von offensichtlich unzutreffenden Erwägungen leiten ließ.2248 Verbleibende Zweifel gehen zu Gunsten des Gesetzgebers und somit der Erfüllung der Schutzpflicht durch die gesetzgeberische Maßnahme.2249 Quantifizierbare Vorgaben an gesetzgeberische Leistungs- und Schutzgewährungen lassen sich innerhalb des Maßstabes, den die Evidenzkontrolle ermöglicht, nicht herleiten.2250 Bei der Vertretbarkeitskontrolle überprüft das Gericht, ob eine getroffene Regelung anhand ihrer Zielsetzung ausreichend ist. Als vertretbar gilt eine Entscheicherungsgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 18.12.1968 – 1 BvL 5/64 – BVerfGE 25, 1 (17) [Mühlengesetz]. 2243 BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (338) [Zwangsbehandlungen]; BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76 – BVerfGE 45, 187 (238) [Lebenslange Freiheitsstrafe]; BVerfG, Urteil vom 23.03.1960 – 1 BvR 216/ 51 – BVerfGE 11, 30 (45) [Kassenarzt]; BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 – 1 BvR 596/ 56 – BVerfGE 7, 377 (415) [Apotheken]. 2244 BVerfG, Beschluss vom 14.10.1975 – 1 BvL 35/70, 1 BvR 307/71, 61, 255/73, 195/75 – BVerfGE 40, 196 (226) [Güterkraftverkehr]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (51) [Schwangerschaftsabbruch I]; BVerfG, Urteil vom 31.07.1973 – 2 BvF 1/73 – BVerfGE 36, 1 (17) [Grundlagenvertrag]; BVerfG, Urteil vom 04.03.1964 – 1 BvR 371, 373/61 – BVerfGE 17, 269 (276) [Arzneimittelgesetz]. 2245 BVerfG, Beschluss vom 28.2.2002 – 1 BvR 1676/01 – NJW 2002, 1638 (1639) [Beaucamp]; so auch Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 187. 2246 BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 (202) [Straßenverkehrslärm]; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/ 83 – BVerfGE 77, 170 (215) [Chemiewaffen]; Calliess, JZ 2006, 321 (323); Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 6; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 292; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1037); Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 59; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 190; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (7). 2247 BVerfG, Beschluss vom 09.03.1971 – 2 BvR 326, 327, 341, 342, 343, 344, 345/ 69 – BVerfGE 30, 250 (263) [Absicherungsgesetz]. 2248 BVerfG, Beschluss vom 19.03.1975 – 1 BvL 20, 21, 22, 23, 24/73 – BVerfGE 39, 210 (225) [Mühlenstrukturgesetz]. 2249 Rupp, Die grundrechtliche Schutzpflicht des Staates für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung im Pressesektor, S. 59. 2250 BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (226) [Hartz IV].

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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dung, wenn sie sich an einer sachgerechten Beurteilung des zugrundeliegenden Tatsachenmaterials orientiert und vorhandene Erkenntnisquellen ausgeschöpft worden sind, um die Folgen einer Regelung so genau wie möglich absehen zu können.2251 Die Überprüfung von gesetzgeberischen Maßnahmen wird zum Teil mit den Mitteln der Rechtsvergleichung durchgeführt, in dem die Regelungssituation in vergleichbaren Ländern betrachtet wird und deren Auswirkungen gegenüberstellt, um zu bewerten, ob die deutschen Regelungen ausreichend sind.2252 Wenn der Gesetzgeber seiner Entscheidung wirtschaftliche oder statistische Berechnungen zugrunde legt, kann das Gericht diese anhand eigener summarischer Berechnungen überprüfen.2253 Eine inhaltliche Kontrolle nahm das Bundesverfassungsgericht bisher nur ausnahmsweise vor. In der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch reichte die Kontrolle so weit, dass das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber detaillierte Vorgaben machte, welche Vorkehrungen er zum Schutz des Rechtsguts treffen muss.2254 Diese inhaltliche Kontrolle rechtfertigte das Gericht dadurch, dass mit dem Leben nicht nur ein überragend wichtiges Verfassungsgut in Rede stand, sondern gerade auch aufgrund des hohen Risikos dem dieses ausgesetzt ist, wenn ihm kein strafrechtlicher Schutz zuteil wird.2255 2. Anwendung der Maßstäbe Zwar hat das Bundesverfassungsgericht mit der Unterscheidung von Evidenzkontrolle, Vertretbarkeitskontrolle und Inhaltskontrolle ein System entwickelt, dass die Kontrollmaßstäbe differenziert voneinander abgrenzt, bei der Bestimmung, wann welcher Maßstab anzulegen ist, bleibt das Gericht aber vage.2256 Hier komme es insbesondere auf die „Eigenart des in Rede stehenden Schutzbereichs“ an.2257 Die Evidenzkontrolle ist der niedrigste anzulegende Maßstab, hinter dem eine gerichtliche Überprüfung nicht zurückbleiben kann, ohne dass dies gegenüber 2251

Hillgruber, in: HStR IX, § 201 Rn. 69. So geschehen in BVerfG, Urteil vom 11.06.1958 – 1 BvR 596/56 – BVerfGE 7, 377 (415) [Apotheken]. 2253 BVerfG, Urteil vom 23.03.1960 – 1 BvR 216/51 – BVerfGE 11, 30 (45) [Kassenarzt]. 2254 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (51) [Schwangerschaftsabbruch I]. 2255 BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (47) [Schwangerschaftsabbruch I]; weitere Fälle weitgehender inhaltlicher Kontrolle: BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76 – BVerfGE 45, 187 (238) [Lebenslange Freiheitsstrafe]; BVerfG, Urteil vom 31.07.1973 – 2 BvF 1/73 – BVerfGE 36, 1 (17) [Grundlagenvertrag]. 2256 Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 407. 2257 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532, 533/77, 419/78 und BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 (333) [Mitbestimmung]. 2252

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

dem Kläger oder Antragsteller einer Verweigerung des Rechtsschutzes gleichkäme. Dies wäre vor dem Hintergrund der Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG sowie Art. 103 Abs. 1 GG nicht möglich, da das Unterlassen einer Schutzpflichtenerfüllung eine Verletzung der in Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG genannten Grundrechte darstellt, für die die Verfassungsbeschwerde ausdrücklich offen steht.2258 Es fragt sich also, in welchen Fällen ein Maßstab anzulegen ist, der über die Evidenzkontrolle hinausgeht. Im Minderheitenvotum zur Chemiewaffenentscheidung wurde angedeutet, dass eine bloße Evidenzkontrolle immer dann ausgeschlossen sein könnte, wenn „Rechtsgüter von höchster Bedeutung auf dem Spiele stehen“.2259 Es finden sich auch Entscheidungen in denen vergleichbare Überlegungen seitens der Senatsmehrheit anklingen. In der im Minderheitenvotum angeführten ersten Fluglärmentscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis auf eine Evidenzkontrolle ab, begründete dies aber damit, dass schon zweifelhaft ist, ob durch Fluglärm überhaupt der Schutzbereich eines Grundrechts des Klägers berührt wird.2260 Eine intensivere Kontrolle könne nur für „Rechtsgüter von höchster Bedeutung“ 2261 erfolgen.2262 Darin könnte ein Hinweis erblickt werden, dass bei jenen Rechtsgütern, insbesondere Leben, Gesundheit und Freiheit im engeren Sinne, ein strengerer Maßstab grundsätzlich indiziert sei. Auch in der später ergangenen zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch scheint sich die Auffassung zu bestätigen, dass wenn das Rechtsgut Leben auf dem Spiel stehe, eine bloße Evidenzkontrolle unzureichend sei. Das Gericht stellt fest, dass es „Abstufungen des Lebensrechts und seines Schutzes“ nicht gebe.2263 Als Prüfungsmaßstab lässt das Gericht deshalb nicht schon genügen, dass überhaupt eine nicht völlig unzureichende Schutzvorkehrung getroffen ist, sondern diese müsse „für einen angemessenen Schutz wirksam und ausreichend sein“.2264 Im Folgenden der Entscheidung werden detaillierte „Mindestanforderungen“ an den gesetzgeberischen Schutz aufgestellt,2265 also eine inhaltliche Kontrolle vorgenommen. 2258

Siehe 4. Kapitel B. I. 3. c) cc) – „Schutzpflicht und Schutzrecht“. BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (236) [Chemiewaffen]. 2260 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (82) [Fluglärm I]. 2261 Zu diesem Begriff, dessen Berechtigung und Eingrenzung im Einzelnen umstritten ist, siehe 2. Kapitel D. XIV. 2262 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (81) [Fluglärm I]. 2263 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (254) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2264 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (254) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2265 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (255) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2259

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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Auch in der Literatur bestehen Stimmen darauf, dass zumindest beim Schutz des Lebens höhere Maßstäbe als eine bloße Evidenzkontrolle angelegt werden müssen.2266 Auch für den Schutz des Einzelnen vor umweltrechtlichen Gefahren und Risiken wird teils eine über die Evidenzkontrolle hinausgehende Prüfung von Angemessenheit und Wirksamkeit gefordert.2267 Dies wird in dieser Form kaum haltbar sein, denn neben der Wertigkeit des betroffenen Grundrechts, wird man auch die Schwere seiner Betroffenheit sowie die Komplexität des zugrundeliegenden Sachverhalts mit in Betracht ziehen müssen.2268 Für Gefahren und Risiken spielen außerdem noch „Art, Nähe und Ausmaß“ 2269 eine Rolle, um den staatlichen Handlungsspielraum bzw. die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte zu determinieren. Nur aus einer Gesamtschau lässt sich der anzulegende Maßstab entwickeln. a) Abstrakte Wertigkeit des Grundrechts Das erste Kriterium zur Bestimmung des Prüfungsmaßstabes einer Grundrechtsverletzung ist die abstrakte Wertigkeit eines Grundrechts. Zum Teil wird die Möglichkeit einer solchen Abstufung an sich bestritten.2270 Das Bundesverfassungsgericht scheint hingegen davon auszugehen, dass eine solche Abstufung nicht nur möglich ist, sondern leitet auch Folgen aus dieser Abstufung her. Wenn es davon ausgeht, dass der Prüfungsmaßstab für Rechtsgüter von höchster Bedeutung ein strengerer ist, muss es auch Rechtsgüter von weniger hoher Bedeutung geben.2271 Festzuhalten bleibt jedenfalls die Erkenntnis, dass unabhängig von den weiteren Besonderheiten des Einzelfalls, der Kontrollmaßstab bezüglich des Schutzes von Leib und Leben grundsätzlich höher anzusetzen ist, als beispielsweise bei reinen Wirtschaftslenkungsmaßnahmen.2272 Besteht zwischen mehreren betroffenen Grundrechten Gesetzeskonkurrenz, verdrängen diese sich nicht, sondern verstärken sich.2273 Dies begründet sich mit dem auf Thoma zurückgehenden Grundsatz des Bundesverfassungsgerichts, dass derjenigen Interpretation der Grundrechte der Vorrang gegeben werden soll, die 2266 Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 338; Starck, in: HStR XII, § 271 Rn. 54; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 27. 2267 Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 253. 2268 Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 32. 2269 So BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar I]. 2270 Statt vieler Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 160; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 129. 2271 Hierzu ausführlich 2. Kapitel D. XIV. – „Rangordnung der grundrechtlichen Positionen“. 2272 Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, S. 257. 2273 BVerfG, Urteil vom 19.12.2017 – 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14 – BVerfGE 147, 253 (305) [Numerus Clausus III].

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

ihre Wirksamkeit am meisten zur Geltung bringt.2274 Sind mehrere Grundrechtsträger betroffen, spricht man von „Hebelwirkung“, wenn die grundrechtlichen Positionen nicht in entgegengesetzte Richtung wirken, sondern eine einheitliche Schutzmaßnahme den unterschiedlichen Schutzberechtigten gleichermaßen dient. Folge der Hebelwirkung ist, dass sich die unterschiedlichen Grundrechte trotz personeller Heterogenität gegenseitig verstärken.2275 Die Hebelwirkung steht in einem potentiellen Spannungsverhältnis mit dem aufgedrängten Grundrechtsschutz, wenn nicht alle Betroffenen Teil des Verfahrens sind, weshalb die hierfür aufgestellten Grundsätze zu berücksichtigen sind.2276 b) Konkrete Betroffenheit des Grundrechts Die konkrete Betroffenheit des Grundrechts ergibt sich aus dem Grad seiner Verletzung und seiner Bedeutung für den jeweiligen Grundrechtsträger.2277 Für den konkreten Grad der Verletzung dient als erste grobe Unterscheidung die Frage, ob der entstehende Schaden im Nachhinein kompensierbar ist. Bei grundrechtlich geschützten monetären Interessen, wie der Ausübung eines Berufs oder dem Eingriff in eine Eigentumsposition, wird häufig, gleichwohl nicht immer, eine nahezu vollständige Entschädigung im Nachhinein möglich sein. Es ist in diesen Fällen möglich, dem Gesetzgeber eine weitergehende Einschätzungsprärogative zuzugestehen, weil die Folgen von sich erst später offenbarenden Fehlprognosen leichter abzufedern sind. Anders wenn das Rechtsgut Leben auf dem Spiel steht, dessen Verletzung nie ausreichend kompensiert werden kann.2278 Im konkreten Einzelfall kann jedoch auch ein Grundrecht wie die Berufsfreiheit so stark betroffen sein, dass die Auswirkungen für den Einzelnen existenziell sind. Auch im Bereich des Eigentums ist eine nachträgliche monetäre Kompensation nicht immer geeignet den erlittenen Verlust auszugleichen. In diesen Fällen kann ein strengerer Überprüfungsmaßstab trotz verhältnismäßig niedrigem abstrakten Rang des Grundrechts angezeigt sein.

2274 BVerfG, Beschluss vom 17.01.1957 – 1 BvL 4/54 – BVerfGE 6, 55 (72) [Steuersplitting]. 2275 Spielmann, Konkurrenz von Grundrechtsnormen, S. 284. 2276 Siehe hierzu 2. Kapitel B. II. 4. – „Schutz gegen sich selbst“. 2277 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (254) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2278 BVerfG, Urteil vom 15.02.2006 – 1 BvR 357/05 – BVerfGE 115, 118 (139) [Luftsicherheitsgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – BVerfGE 115, 25 (45) [Gesetzliche Krankenversicherung]; BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (236) [Chemiewaffen]; BVerfG, Beschluss vom 01.08.1978 – 2 BvR 1013, 1019, 1034/77 – BVerfGE 49, 24 (53) [Kontaktsperre]; BVerfG, Urteil vom 16.10.1977 – 1 BvQ 5/77 – BVerfGE 46, 160 (164) [Schleyer]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (42) [Schwangerschaftsabbruch I].

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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c) Vorhersehbarkeit und Komplexität des Sachverhalts Das dritte Kriterium, das in die Bestimmung der gebotenen Kontrollintensität einfließt, sind die Komplexität des zugrundeliegenden Sachverhalts und damit die Möglichkeit des Bundesverfassungsgerichts, überhaupt zu einer besseren Erkenntnis als der Gesetzgeber zu gelangen,2279 sowie die Vorhersehbarkeit der folgenden Entwicklung. Generell gilt „je höher sich die Komplexität einer Materie dabei ausnimmt, desto größer ist der Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers“.2280 Für die Vorhersehbarkeit der Folgen kann auf die oben entwickelte Abstufung juristisch relevanter Wahrscheinlichkeitsurteile zurückgegriffen werden.2281 Im Falle eines bereits eingetretenen oder mit Sicherheit eintretenden Schadens, kommt dem Gesetzgeber kein Ermessen mehr in Hinblick auf das „Ob“ einer Schutzmaßnahme zu. Der Schutz muss hinreichend effektiv und gemessen an den entgegenstehenden Belangen verhältnismäßig sein. Bei einem entsprechend überschaubaren Sachverhalt, kann sich hier nicht nur das Entschließungsermessen sondern auch das Auswahlermessen auf wenige verbleibende Handlungsalternativen reduzieren. In diesem Fall kommt das Bundesverfassungsgericht zu einer intensiven inhaltlichen Kontrolle und kann dem Gesetzgeber klar umrissene Vorgaben machen, sofern dieser untätig bleibt. Im Falle einer bloß abstrakten Gefahr besteht Unklarheit über den Eintritt der schädigenden Ursache, wobei der mögliche Kausalverlauf im Wesentlichen vorhersehbar ist. Dies wäre beispielsweise bei eintretenden Naturkatastrophen der Fall. Ob ein Hochwasser, ein Erdbeben oder ein Waldbrand auftreten, ist nur beschränkt vorhersehbar und die einzelnen Ursachen meist nicht ermittelbar. Dennoch sind die darauf folgenden kausalen Zusammenhänge bis zum Schadenseintritt gut vorhersehbar. In diesen Fällen ist ebenfalls eine inhaltliche Kontrolle der getroffenen Schutzmaßnahmen dahingehend möglich, ob sie im möglichen Schadensfall ausreichenden Schutz vermitteln. Für den Bürger kann sich dies zu einem Anspruch auf Schaffung von Reserveschutzmaßnahmen verdichten. Da es in diesem Fall aber noch keinen konkreten Schaden als Maßstab gibt, muss dem Gesetzgeber wegen der Vielfalt möglicher Ereignisse eine höhere Einschätzungsprärogative zugestanden werden. Das Entschließungsermessen ist hier voll, das Auswahlermessen nur eingeschränkt überprüfbar. Regelmäßig wird sich dies im triadischen Maßstabsmodell des Bundesverfassungsgerichts als Vertretbarkeitskontrolle darstellen. 2279 BVerfG, Beschluss vom 02.12.1999 – 1 BvR 1580/91 – NVwZ 2000, 309 (310) [DDR-Uranabbau]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (132) [Kalkar I]. 2280 BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1708) [Volkszählung 2011]. 2281 2. Kapitel E. III. 2. b) cc) (3) – „Sieben (Un-)Sicherheitsstufen“.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Die weitestgehende Einschätzungsprärogative ist dem Gesetzgeber im Falle des Risikos zuzugestehen. Beim konkreten Risiko ist eine Ursache in der Welt, deren kausale Verknüpfung mit einem Schaden nicht bewiesen ist. Hier kommt es für das Bestehen einer Handlungspflicht auf das Maß der konkreten Wahrscheinlichkeit eines bestehenden Zusammenhangs von Ursache und Schaden, konkretes Schadensmaß sowie abstraktes Gewicht des geschädigten Rechtsgutes an. Für ein Gericht ist es in diesem Fall schwer, zu besseren Erkenntnissen als die sachnäheren staatlichen Stellen zu gelangen. Es erfolgt in diesem Fall vor allem eine Überprüfung der Bewertungsmaßstäbe, mit der das jeweilige Staatsorgan die Risikobewertung vornahm. Es ergibt sich deshalb schon aus der Natur der Sache, dass in diesen Fällen nur eine Vertretbarkeits- oder Evidenzkontrolle vom Gericht geleistet werden kann. Im Falle des abstrakten Risikos liegt weder der Beweis der Schädlichkeit einer Ursache, noch die Ursache selbst vor. Es handelt sich lediglich um eine bloße Befürchtung in Bezug auf hypothetische Sachverhalte. Zwar kann es auch hier bei entsprechenden Anhaltspunkten zu einer Verpflichtung des Staates kommen, bereits Reservemaßnahmen vorzuhalten, aufgrund des starken prognostischen Elements derartiger zukunftsbezogener Entscheidungen, muss sich das Gericht aber auf eine Evidenzkontrolle beschränken. d) Zwischenergebnis Im Schrifttum wird konstatiert, das Bundesverfassungsgericht beschränke sich meist auf eine bloße Evidenzkontrolle.2282 Dies ist in Hinblick auf die oben aufgestellten Maßstäbe und die vom Bundesverfassungsgericht zu entscheidenden Fälle häufig nur konsequent. Die mannigfaltigen Entscheidungen zur Atomkraft2283 richteten sich nicht gegen tatsächlich eingetretene oder bevorstehende Schäden, sondern bezogen sich auf die prognostische Einschätzung der Schadenswahrscheinlichkeit, die vom Gericht nur eingeschränkt überprüft werden kann. Selbiges gilt für die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, in denen es sich mit hypothetischen Weltuntergangsszenarien auseinandersetzen musste2284, oder 2282 Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 161; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 293; Führ/Schummers, UPR 2017, 411 (412); Jarass, in: HGR II, § 38 Rn. 32; Schmitz, Grundrechtliche Schutzpflichten und der Anspruch auf Straßenverkehrssicherung, S. 134; Stern, DÖV 2010, 241 (248). 2283 BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ 2010, 114 [Endlager Schacht Konrad]; BVerfG, Urteil vom 22.05.1990 – 2 BvG 1/88 – BVerfGE 81, 310 [Kalkar II]; BVerfG, Beschluss vom 26.01.1988 – 1 BvR 1561/82 – BVerfGE 77, 381 [Gorleben]; BVerfG, Beschluss vom 20.12.1979 – 1 BvR 385/77 – BVerfGE 53, 30 [Mülheim-Kärlich]; BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 [Kalkar I]. 2284 BVerfG, Beschluss vom 18.02.2010 – 2 BvR 2502/08 – BVerfGK 17, 57 [CERN]; BVerfG, Beschluss vom 02.10.1997 – 1 BvR 1908/97, 1 BvQ 12/97 – NJW 1998, 975 [Forschungsflug Saturn].

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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für die Waldschadensentscheidung, in der sowohl Schaden, Kausalität als auch Ursache im gerichtlichen Verfahren nicht geklärt werden konnten.2285 Bei anderen Entscheidungen erklärt sich der angesetzte reduzierte Kontrollmaßstab mit der geringen Betroffenheit des Rechtsgutes. Zwar erzeugen Zigarettenrauch2286 oder Verkehrslärm2287 grundrechtliche Spannungen, die der Gesetzgeber in Ausgleich bringen muss, wegen der geringen Schädigungsintensität im Einzelfall ergibt sich für diesen jedoch kein verfassungsrechtlich vorgezeichnetes Ergebnis für die Rechtsgüterabwägung, weshalb hier eine intensive inhaltliche Kontrolle ausscheidet.2288 3. Kritik an der verfassungsgerichtlichen Judikatur Der abgestufte Kontrollmaßstab sieht sich von verschiedenen Seiten der Kritik ausgesetzt. Zum Teil klingen Zweifel an der Abgrenzbarkeit der drei Überprüfungsmaßstäbe in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts selbst an.2289 Kritik wird dabei insbesondere an der Evidenzkontrolle geübt, die als zu starke Zurücknahme der richterlichen Kontrolle gesehen wird.2290 Gerade im Bereich des Umweltschutzes sei es stets möglich zu behaupten, dass der Gesetzgeber irgendeine Regelung getroffen habe, die nicht völlig unzureichend ist.2291 2285 BVerfG, Beschluss vom 26.05.1998 – 1 BvR 180-88 – NJW 1998, 3264 [Waldschäden durch Luftverschmutzung]. 2286 BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 [Rauchverbot in Gaststätten]. 2287 BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 612/12 – NVwZ 2018, 1555 [Flughafen Berlin-Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 02.07.2018 – 1 BvR 682/12 – NVwZ 2018, 1561 [Nachtflugverbot]; BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 20.02.2008 – 1 BvR 2722/06 – BVerfGK 13, 303 [Standortfeststellung Flughafen Schönefeld]; BVerfG, Beschluss vom 30.11.1988 – 1 BvR 1301/84 – BVerfGE 79, 174 [Straßenverkehrslärm]; BVerfG, Beschluss vom 12.03.1986 – 1 BvL 81/79 – NJW 1986, 2188; BVerfG, Beschluss vom 14.10.1975 – 1 BvL 35/70, 1 BvR 307/71, 61, 255/73, 195/75 – BVerfGE 40, 196 [Güterkraftverkehr]; siehe auch BVerwG, Urteil vom 21.03.1996 – 4 C 9.95 – BVerwGE 101, 1 [Verkehrslärm]. 2288 So auch Schuppert, Funktionell-rechtliche Grenzen der Verfassungsinterpretation, S. 56 f. 2289 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (262) [Schwangerschaftsabbruch II]; kritisch auch das Minderheitenvotum in BVerfG, Beschluss vom 29.10.1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83 – BVerfGE 77, 170 (236) [Chemiewaffen]; in der Literatur Breuer, in: HStR VIII, § 171 Rn. 26; Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 112; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 407; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 28. 2290 Ekardt, in: Schlacke, Umwelt- und Planungsrecht, S. 27; Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 746; teilweise wird die Zurücknahme der Kontrolldichte als gerade noch zulässig erachtet, vgl. Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 187: „Mehr Zurückhaltung des Bundesverfassungsgericht hieße seine Funktionen anheim stellen“. 2291 Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 746; zur Offenheit des Evidenzbegriffs siehe auch Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 187.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

Diese Rücknahme des Prüfungsmaßstabs sei mit dem Gebot des effektiven Grundrechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG nicht vereinbar.2292 Das Bundesverfassungsgericht verweigere dem Bürger den Rechtsschutz und unterstütze mit dem Evidenzkriterium eine „Symbolpolitik“ des Gesetzgebers im Umweltbereich.2293 Das Evidenzkriterium in der umweltverfassungsrechtlichen Diskussion ist älter als das Bundesverfassungsgericht. Der Verweis darauf, dass der Staat nicht völlig untätig in Bezug auf den Umweltschutz geblieben sei, wurde schon im Parlamentarischen Rat zum Vorwand genommen, sich nicht mit dem Thema beschäftigen zu müssen. So wurde im Hauptausschuss darauf hingewiesen, dass es bereits vor dem Krieg in Preußen Bemühungen hinsichtlich des Umweltschutzes gegeben habe. So wurde eine „Landesstelle für Naturschutz“ mit 40 Mitarbeitern gegründet und dem Reichsforstminister unterstellt.2294 Die Argumentation ähnelt dem Evidenzkriterium des Bundesverfassungsgerichts, weil in beiden Fällen nur darauf abgestellt wird, dass der Staat nicht völlig untätig geblieben ist. Dieses Argumentationsmuster wird dabei unter ständig wechselnder Rechts- und Tatsachenlage wiederholt, während die Anzahl an neuversiegelten Flächen zunimmt, die Artenvielfalt immer neue Tiefstände erreicht und die Warnungen der Klimaforscher immer lauter werden. Es stehen schwere Vorwürfe gegen das Bundesverfassungsgericht im Raum, die sich nicht mit dem Hinweis entkräften ließen, dem Verfassungsgericht sei es mit seinen Kontrollmaßstäben bisher gelungen, die anderen Staatsorgane zu höheren Umweltschutzstandards zu bewegen. Im Gegenteil, eine grundrechtliche Schutzpflichtverletzung im Umweltbereich ist bisher in keinem einzigen Fall erkannt worden.2295 Die ehemals innovative Avantgardefunktion des deutschen Umweltrechts in Europa hat sich umgekehrt. Die Bundesrepublik ist zunehmend Getriebene in einer immer dichter werdenden europäischen Umweltgesetzgebung. Es mag auch dies ein Grund sein, warum die deutschen Verfassungsrichter in Bund und Ländern in den letzten Jahrzehnten kaum Anstrengungen unternahmen, den grundrechtlichen Schutzpflichten im Umweltbereich zur Geltung zu verhelfen.

IV. Untermaßverbot Analog zum bereits seit längerem anerkannten Übermaßverbot, wurde für die Bestimmung des verfassungsrechtlich gebotenen Schutzminimums das Untermaßverbot diskutiert.2296 Auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge2292

Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 746. Murswiek, Die Verwaltung 2000, 241 (249). 2294 Parl. Rat XIV, S. 1574. 2295 Schlacke, Umweltrecht, § 4 Rn. 28; Voßkuhle, NVwZ 2013, 1 (7). 2296 Erstmalig bei Canaris, AcP 1984, 201 (228); siehe auch Brüning, Jura 2001, 155 (162); Calliess, JZ 2006, 321 (328); Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 31; Dietlein, ZG 2293

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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richts war dieses Modell in den letzten Jahren gehäuft anzutreffen.2297 Bisher steht das Untermaßverbot noch alternativ neben dem triadischen Kontrollmaßstab, verdrängt diesen bisher aber nicht.2298 In der Literatur sind Stimmen auszumachen, die fordern, das Untermaßverbot zum universellen Maßstab aller Schutzpflichtverletzungen zu machen.2299 1. Begriff des Untermaßverbots Literatur und Rechtsprechung, die den Begriff des Untermaßverbots verwenden, haben bisher weitgehend offengelassen, wie dieser zu konturieren ist.2300 Durch das Untermaßverbot werde der Gesetzgeber zur Schaffung eines dem jeweiligen Grundrechts angemessenen und wirksamen Schutzes verpflichtet.2301 Inhaltlich erfolgt in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts keine weitere abstrakte Bestimmung des grundrechtlich gebotenen Untermaßes, sondern es wird anhand der in Widerstreit stehenden grundrechtlichen Positionen er1995, 131 (132); Isensee, in: HStR IX, § 191 S. 292; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 404; Wrase, Zwischen Norm und sozialer Wirklichkeit, S. 334 f.; eine umfassende Untersuchung findet sich bei Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 17 ff. 2297 Grundlegend BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (254) [Schwangerschaftsabbruch II]; in der Folge BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (994) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (72) [Schallschutzmaßnahmen]; BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (380) [Rauchverbot in Gaststätten]; BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 834, 1588/02 – BVerfGE 109, 190 (247) [Nachträgliche Sicherungsverwahrung]; BVerfG, Beschluss vom 29.11.1995 – 1 BvR 2203/95 – NJW 1996, 651 (651) [Ozon]; BVerfG, Beschluss vom 27.04.1995 – 1 BvR 729/93 – NJW 1995, 2343 (2343) [Promillegrenze]; sowie Minderheitenvotum Bryde in BVerfG, Urteil vom 30.07.2008 – 1 BvR 3262/07, 402, 906/08 – BVerfGE 121, 317 (380) [Rauchverbot in Gaststätten]. 2298 Der triadische Kontrollmaßstab, insbesondere auf Stufe der Evidenzprüfung, wird in der jüngeren verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung weiterhin herangezogen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]; BVerfG, Urteil vom 19.09.2018 – 2 BvF 1/15, 2 BvF 2/15 – NVwZ 2018, 1703 (1708) [Volkszählung 2011]; BVerfG, Urteil vom 05.05.2015 – 2 BvL 17/09 – BVerfG 139, 64 (146) [Richterbesoldung Sachsen-Anhalt]; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2012 – 1 BvL 10/10, 2/11 – BVerfGE 132, 134 (165) [Asylbewerberleistungen]; BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (226) [Hartz IV]. 2299 Calliess, JZ 2006, 321 (328); Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 404 f.; Steinberg/Müller, in: Ooyen/Möllers, HdB BVerfG, S. 746. 2300 Calliess, Rechtsstaat und Umweltstaat, S. 323; Dietlein, ZG 1995, 131 (132– 133); Tian, Objektive Grundrechtsfunktionen im Vergleich, S. 190. 2301 BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (72) [Schallschutzmaßnahmen]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (254) [Schwangerschaftsabbruch II]; Blasberg, Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Grundeigentums zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, S. 54; Calliess, JZ 2006, 321 (328).

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

mittelt, welche Schädigung den Grundrechtsträgern gerade noch zuzumuten ist.2302 Teilweise wird in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts für die Konturierung des Untermaßverbots ein der Evidenzkontrolle vergleichbarer Maßstab angelegt. Demnach sei das Untermaßverbot erst verletzt, wenn der Staat keine oder nur evident unzureichende Maßnahmen ergriffen habe.2303 Deshalb wird das Untermaßverbot teils nur als terminologische Neuerung betrachtet, die dem Prinzip der Einschätzungsprärogative nichts Neues hinzufügen würde.2304 2. Kongruenzthese Nach der Kongruenzthese leiten sich Über- und Untermaßverbot gleichermaßen aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit her.2305 Es handele sich um die jeweiligen Grenzen staatlichen Handelns, die sich aus der Sicht des Belasteten als Übermaßverbot, aus Sicht des Begünstigten als Untermaßverbot darstelle. Die Unterscheidung sei deshalb verfassungsdogmatisch überflüssig.2306 Für den Fall, dass keine Dreieckskonstellation vorliegt, also die Schutzpflicht nicht mit einer entgegenstehenden Grundrechtsposition eines Dritten kollidiert, muss die sich aus dem Untermaßverbot ergebende Pflicht uneingeschränkt erfüllt werden. Kritisiert wird, dass sich aus einem Untermaßverbot keine zusätzlichen Maßstäbe für die Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflicht gewinnen.2307 Die Behauptung eines Untermaßverbotes wirft tatsächlich mehr Fragen auf, als durch sie beantwortet werden. Die Frage, wie das gebotene Maß des Schutzes für die einzelnen Grundrechte zu ermitteln ist, lässt sich durch die Dogmatik des Untermaßverbots genauso wenig beantworten, wie die Frage des Übermaßes für das Abwehrrecht. Es bleibt der Dogmatik der Einzelgrundrechte überlassen, den Grenzverlauf des jeweiligen Schutzbereiches abzustecken. In allen Grundrechtsdimensionen bedeutet die Eröffnung des Schutzbereiches noch nicht, dass das Grundrecht verletzt ist. Erst auf Ebene der Rechtfertigung kann im Zusammen2302 BVerfG, Beschluss vom 29.07.2009 – 1 BvR 1606/08 – BVerfGK 16, 68 (73) [Schallschutzmaßnahmen]. Ähnlich Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 26. 2303 BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (994) [Fluglärmschutzgesetz]; BVerfG, Beschluss vom 27.04.1995 – 1 BvR 729/93 – NJW 1995, 2343 (2343) [Promillegrenze]; ähnlich das Minderheitenvotum in BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 834, 1588/02 – BVerfGE 109, 190 (247) [Nachträgliche Sicherungsverwahrung]. Diesem Verständnis folgend Bruch, Umweltpflichtigkeit der grundrechtlichen Schutzbereiche, S. 118. 2304 Sachs, in: Sachs GG, Vorbemerkung zu Abschnitt I, Rn. 36. 2305 Dietlein, ZG 1995, 131 (133); Jaeckel, Schutzpflichten im deutschen und europäischen Recht, S. 93 f. 2306 Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 85. 2307 Dietlein, ZG 1995, 131 (139); Dreier, in: Dreier GG, Vorbemerkung, Rn. 103; Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 88.

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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spiel mit den in Rede stehenden konkurrierenden Rechtspositionen das Untermaß des gebotenen Schutzes im Einzelfall ermittelt werden. Unter- und Obermaßverbot bilden somit die Grenzlinien für den verfassungsgemäßen Korridor staatlichen Handelns.2308 3. Weiterentwicklung zur Effektivitätskontrolle Über den mit dem Untermaß verbundenen Begriff des angemessenen und wirksamen Schutzes2309 wurde die Möglichkeit erblickt, eine spiegelbildliche Verhältnismäßigkeitsprüfung durchzuführen.2310 Das Untermaßverbot würde sich damit dem bereits oben diskutierten Effektivitätsgebot annähern.2311 Durch diese Effektivitätskontrolle wird eine Überprüfung staatlicher Schutzpflichtenerfüllung möglich, die dem durch Art. 19 Abs. 4 S. 1 GG gebotenen Maßstab gerecht wird. Sie stellt einen Ausgleich her zwischen dem materiellen Verwirklichungsanspruch der grundrechtlichen Garantien, der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers und den Funktionsgrenzen der Rechtsprechung. Maßstab der Effektivitätskontrolle ist nicht, wie bei der bisher hauptsächlich angewandten Evidenzkontrolle, dass der Gesetzgeber irgendeine Maßnahme getroffen hat, die nicht evident unzureichend ist,2312 sondern es muss im Gegenteil überprüft werden, ob die Maßnahme hinreichend effektiv ist, den grundrechtlich gebotenen Schutzstandard zu gewährleisten.2313 Eine Effektivitätskontrolle setzt beim tatsächlich erreichten Schutzniveau an. Die Maßnahme wird aus der Perspektive ihres Resultates beurteilt. Dabei erlaubt die retrospektive Betrachtungsweise eine intensivere Kontrolle, je länger der zugrundeliegende Gegenstand bekannt und die Regulierung in Kraft ist.2314 Mit steigender Zeit steigt auch das Erfahrungswissen und zufällige statistische Häufungen lassen sich mit zunehmender Anzahl der Fälle ausschließen. Eine Maßnahme, die für die Zukunft verlangt wird, kann hingegen nur eingeschränkt auf ihre Effektivität hin überprüft werden. Die hierfür erforderliche Prognose ist feh2308 Calliess, in: HGR II, § 44 Rn. 33; Cremer, Freiheitsgrundrechte, S. 314; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 405. 2309 BVerfG, Beschluss vom 29.11.1995 – 1 BvR 2203/95 – NJW 1996, 651 (651) [Ozon]: „Der Staat muß Maßnahmen normativer und tatsächlicher Art treffen, die dazu führen, daß ein unter Berücksichtigung entgegenstehender Rechtsgüter angemessener und wirksamer Schutz erreicht wird“. 2310 Alexy, in: Sieckmann, Die Prinzipientheorie der Grundrechte, S. 115; Ullrich, DVBl. 2015, 204 (209). 2311 3. Kapitel B. III. 3. – „Effektivitätsgebot“. 2312 Siehe zu dieser Rechtsprechungslinie 4. Kapitel D. III. – „Triadisch abgestufter Kontrollmaßstab des Bundesverfassungsgerichts“. 2313 Isensee, in: FS für Kloepfer, S. 62. 2314 Damit sinkt das Maß an Unsicherheit, durch das der Prognosespielraum des Gesetzgebers begründet wird, vgl. 2. Kapitel E. III. – „Auslösung unter Unsicherheit“.

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

leranfälliger als die retrospektive Betrachtung. Die vielbeschworene Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers kommt deshalb nur de lege ferenda in Bezug auf einzufordernde, noch nicht bestehende Gesetze zum Tragen. Häufiger ist jedoch der Fall, dass eine Überprüfung der Schutznormen de lege lata vorgenommen wird. Hier liegt bereits Erfahrungswissen über die Effektivität einer Regelungslage2315 vor, weshalb es sich insofern verbietet, noch auf das Konstrukt der prognostischen Einschätzungsprärogative abzustellen. So verengt sich der Maßstab der Effektivitätskontrolle in zeitlicher Hinsicht zunehmend von der weiten Prognosebefugnis des Gesetzgebers im Vorfeld, zu einer immer intensiveren inhaltlichen Kontrolle im Nachgang. Je deutlicher jedoch eine künftige Entwicklung vorhersehbar ist, desto enger wird der Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum der verantwortlichen Staatsorgane. Entsprechend schärfer wird der Kontrollmaßstab der Judikative gegenüber den anderen Staatsgewalten. Können beispielsweise die Belastungsgrenzen der natürlichen Umwelt durch neuere Modelle exakter berechnet werden als zuvor, werden diese naturwissenschaftlichen Erkenntnisse über das Abstandsgebot2316 zu äußeren Gestaltungsgrenzen der Staatsgewalten.2317 4. Prozeduralisierung der Schutzpflichtenerfüllung Die tatsächliche Neuerung des Untermaßverbots ist weniger im materiellen Prüfungsmaßstab zu erblicken, sondern in den formellen Voraussetzungen, die an die Verfassungsmäßigkeit der einfachgesetzlichen Rechtslage gestellt werden.2318 Das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass die getroffenen Schutzmaßnahmen „auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen“.2319 Umgekehrt gilt, dass das Unterlassen des Erlasses einer Schutznorm schon dann verfassungswidrig ist, wenn der Staat von der Möglichkeit eines grundrechtsrelevanten Umweltschadens Kenntnis erhält, aber keine Ermittlungen anstellt, um zu evaluieren, ob eine Schutzmaßnahme nötig ist.2320 Das Untermaßverbot ist also verletzt, wenn die Abwägung auf erkennbar unzutreffenden Annahmen und Prognosen beruht.2321

2315 Der Terminus Regelungslage meint in diesem Zusammenhang auch die für die Schutzpflichtverletzung besonders relevante Situation des Fehlens einer schützenden gesetzlichen Regelung. Siehe hierzu auch Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 38 f. 2316 Hierzu 3. Kapitel B. III. 1. d) – „Abstandsgebot“. 2317 Calliess, ZUR 2019, 385 (386). 2318 Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 223. 2319 BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (254) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2320 3. Kapitel B. II. 1. c) – „Umweltbezogener Grundrechteschutz durch Verfahren“. 2321 Störring, Das Untermaßverbot in der Diskussion, S. 223.

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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Wie oben festgestellt,2322 gilt für bestehende Gesetze eine turnusmäßige Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht, wenn der ursprüngliche Erlass unter Zuhilfenahme von Prognosen erfolgte. Diese umfassende Kontrollierbarkeit des sogenannten Grundrechtsschutzes durch Verfahren durch das Bundesverfassungsgericht trägt einem gebotenen effektiven Grundrechtsschutz Rechnung, berücksichtigt die Funktionsgrenzen der Rechtsprechung2323 und lässt dem Gesetzgeber seinen gebotenen eigenen Entscheidungsspielraum. Im Rahmen des Untermaßverbots wird die zurückgenommene materielle Prüfung grundrechtlicher Mindeststandards durch eine erhöhte formelle Prüfung des Verfahrens kompensiert. Dadurch rechtfertigt sich, dass die durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten prozeduralen Anforderungen,2324 wie auch die Dokumentationspflichten derselben weder im Grundgesetz selbst noch im überwiegenden einfachen Recht festgehalten sind. Für untergesetzliche Normen der Exekutive gilt selbstverständlich nichts geringeres.2325 Auch in Verordnungen festgelegte Grenzwerte müssen einer regelmäßigen Kontrolle zugeführt werden, ob diese noch dem Stand von Wissenschaft und Technik entsprechen. Zum Teil gibt es hier einfachgesetzliche Verfahrensvorgaben. Die Einhaltung dieser Pflichten ist deshalb primär von den Fachgerichten zu überprüfen. 5. Zwischenergebnis Die Prüfung des Untermaßverbots in Gestalt der retrospektiven Effektivitätskontrolle, in Kombination mit der präventiven Prozeduralisierung der prognostischen Entscheidungsfindung im Vorfeld, ermöglicht einerseits eine breite Überprüfbarkeit staatlichen Handelns, Duldens oder Unterlassens und tastet andererseits die Kompetenzen der anderen Gewalten nicht in ihrem Kern an. Durch die Unterscheidung von schwacher präventiver Kontrolle und starker retrospektiver Kontrolle bei gleichzeitiger fortgesetzter Informationsbeschaffungspflicht der jeweils zuständigen Staatsorgane wird der beschränkten menschlichen Erkenntnismöglichkeit bei den häufig äußerst komplexen Umweltangelegenheiten Rechnung getragen.

2322

3. Kapitel B. IV. – „Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht“. Eichberger, NVwZ-Beilage 2013, 18 (21); Rennert, DVBl. 2017, 69 (74). 2324 BVerfG, Beschluss vom 17.11.2015 – 2 BvL 19/09 – BVerfGE 140, 240 (296) [Sächsische Beamtenbesoldung]; BVerfG, Urteil vom 05.05.2015 – 2 BvL 17/09 – BVerfG 139, 64 (127) [Richterbesoldung Sachsen-Anhalt]. Ausführlich 3. Kapitel B. II. 1. c) ff) – „Begründungserfordernis“. 2325 3. Kapitel B. IV. 4. – „Überwachungspflicht der Exekutive“. 2323

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

V. Tenorierung grundrechtlicher Umweltschutzpflichtverletzungen Hält das Bundesverfassungsgericht wegen der Unterschreitung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Umweltschutzniveaus ein staatliches Handeln, Dulden oder Unterlassen für verfassungswidrig, kann es auf unterschiedliche Weise tenorieren. 1. Aufhebungsentscheidung Richtet sich eine Klage gegen ein Urteil oder eine Verwaltungsentscheidung, kann das Bundesverfassungsgericht eine Aufhebungsentscheidung treffen.2326 In Bezug auf die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten kann hier der Vorwurf lauten, diese wären von einem Gericht oder einer Behörde bei der Rechtsanwendung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das Bundesverfassungsgericht ordnet die Aufhebung der Entscheidung an und verweist die Sache zurück an die zuständige Stelle, in der Regel das höchste Instanzgericht.2327 In der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung hat sich die Praxis etabliert, in der Sache selbst zu entscheiden, wenn dem Gericht, an das zurückverwiesen wird, nichts zu tun bliebe, als die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu repetieren.2328 Dabei ist besondere Vorsicht geboten, denn zum einen fehlt es dem Bundesverfassungsgericht hierfür an einer ausdrücklichen Ermächtigung, zum anderen muss die Eigenständigkeit des einfaches Rechts und der Fachgerichte gewahrt bleiben.2329 Beruht die aufgehobene Entscheidung auf einer verfassungswidrigen Norm, wird zeitgleich die Nichtigkeit selbiger ausgesprochen, § 95 Abs. 3 S. 2 i.V. m. Abs. 2 BVerfGG.2330 Es liegt in der Natur der Sache, dass im Falle einer grundrechtlichen Umweltschutzverletzung entweder gar kein Gesetz vorliegt, das aufgehoben werden könnte oder ein zwar schutzlückenhaftes Gesetz, dessen Aufhebung aber den Betroffenen nicht abhilft. Das Bundesverfassungsgericht wird also die Aufhebungsentscheidung lediglich mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Regelungslücke kombinieren und dem Gesetzgeber einen entsprechenden Regelungsauftrag erteilen.2331

2326 Hömig, in: MSKB BVerfGG, § 95, Rn. 24; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 374 ff. 2327 Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (28). 2328 BVerfG, Beschluss vom 08.02.1994 – 1 BvR 765, 766/89 – BVerfGE 89, 381 (394) [Volljährigenadoption II]; BVerfG, Urteil vom 05.06.1973 – 1 BvR 536/72 – BVerfGE 35, 202 (244) [Lebach]; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 376. 2329 Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 31, Rn. 6. 2330 Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 377. 2331 Hierzu ausführlich 4. Kapitel D. V. 4. – „Unvereinbarkeitserklärung“.

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

399

2. Verfassungskonforme Auslegung Anstatt den vorgefundenen Normenbestand für verfassungswidrig zu erklären, kann das Bundesverfassungsgericht die verfassungskonforme Auslegung einer oder mehrerer Normen anordnen.2332 Lässt sich mit dem bestehenden Recht eine verfassungskonforme Lösung erreichen, stellt dies, in Anbetracht des Gewaltenteilungsgrundsatzes und des Demokratieprinzips, das verhältnismäßig mildere Mittel dar. In der Sache entspricht die verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht einer Teilnichtigkeitserklärung, mit der bestimmte Elemente einer Norm ausgesondert werden.2333 Das Bundesverfassungsgericht sieht die Gerichte jedoch im Rahmen der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung verpflichtet, ein grundrechtswidriges Unterlassen des Gesetzgebers auszugleichen.2334 Sie müssen sich dabei an die „anerkannten Methoden der Rechtsfindung“ halten und dadurch die grundrechtlichen Schutzpflichten zur Geltung bringen.2335 Verkennt das Gericht seinen Handlungsspielraum, der ihm im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung zukommt und wäre damit ein den grundrechtlichen Verpflichtungen entsprechendes Schutzniveau zu erreichen gewesen, kann das Urteil vom Bundesverfassungsgericht aufgehoben und an das erkennende Gericht gemäß §§ 95 Abs. 2 i.V. m. 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG zurückverwiesen werden, anstatt den Regelungsauftrag dem Gesetzgeber zuzuspielen.2336 Hierin zeigt sich die Wirkung der als „quasi gesamtschuldnerischen Haftung“ bezeichneten gemeinsamen Verpflichtung der Staatsorgane für die grundrechtlichen Gewährleistungen.2337 3. Nichtigkeitserklärung Stellt das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Norm wegen eines Verstoßes gegen ein Grundrecht in seiner Abwehrdimension fest, kann es aussprechen, dass die betreffende Norm nichtig ist.2338 Der Urteilstenor hat 2332

Aust/Meinel, JuS 2014, 113 (117). Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 95. 2334 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (64) [Vaterschaftsauskunft]; BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 (227) [Aussperrung]; BVerfG, Beschluss vom 07.02.1990 – 1 BvR 26/84 – BVerfGE 81, 242 (256) [Handelsvertreter]. 2335 BVerfG, Beschluss vom 26.06.1991 – 1 BvR 779/85 – BVerfGE 84, 212 (226) [Aussperrung]. 2336 BVerfG, Beschluss vom 06.05.1997 – 1 BvR 409/90 – BVerfGE 96, 56 (65) [Vaterschaftsauskunft]. 2337 3. Kapitel E. – „Vertikale Aufgabenverteilung“. 2338 BVerfG, Urteil vom 04.11.1986 – 1 BvF 1/84 – BVerfGE 73, 118 (120). Auch andere Verfassungsprinzipien außerhalb des Grundrechtekatalogs, wie die Gleichheit der Wahl, können zu einer Nichtigkeitserklärung führen, vgl. BVerfG, Urteil vom 26.02.2013 – 2 BvE 2, 5–10, 12/13, 2 BvR 2220, 2221, 2238/13 – BVerfGE 135, 259 (299) [Drei-Prozent-Sperrklausel Europawahl]. 2333

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

damit unmittelbare Gestaltungswirkung. Auch bei einer Schutzpflichtenverletzung gibt es Konstellationen, in denen eine Nichtigkeitserklärung in Betracht kommt. Steht beispielsweise ein bestimmtes Verhalten unter repressivem Verbot mit Befreiungsvorbehalt, kann der Befreiungsvorbehalt ganz oder teilweise für nichtig erklärt werden, wenn in der Befreiungsmöglichkeit die grundrechtliche Umweltschutzpflichtverletzung liegt. Anders verhält es sich, wenn der Vorwurf darauf gerichtet ist, dass ein schädigendes Verhalten nicht verboten ist oder gegen einen grundrechtswidrigen Zustand keine Schutzmaßnahmen ergriffen wurden.2339 Hier richtet sich der Vorwurf der Schutzpflichtenverletzung nicht gegen ein Handeln, sondern gegen ein Unterlassen. Ist der Gesetzgeber überhaupt nicht tätig geworden, liegt ein Fall des echten Unterlassens vor.2340 Im Falle eines echten Unterlassens kommt eine Nichtigkeitserklärung aus denknotwendigen Gründen nicht in Betracht. Mangels Gestaltungswirkung kann dieses echte Unterlassen nicht Gegenstand einer Nichtigkeitserklärung sein.2341 Ein Fall des unechten Unterlassens liegt hingegen vor, wenn der Gesetzgeber nicht völlig untätig geblieben ist, sondern ein, wenn auch unzureichendes, Schutzgesetz erlassen hat.2342 Auch der Fall des gleichheitswidrigen Ausschlusses von einem Schutzgesetz wird zu dieser Kategorie gezählt.2343 In der Regel hilft auch hier eine Nichtigkeitserklärung nicht weiter. Ist eine Regelung verfassungswidrig, weil das durch sie gewährte Schutzniveau zu niedrig ist, hätte eine Nichtigkeitserklärung den Effekt, dass das wenige, das bisher gewährt wurde, auch noch genommen wird. Im Fall der gleichheitswidrigen Begünstigung ist dies zumindest eine theoretische Option. Sie ist aber verfassungsrechtlich meist nicht vorgezeichnet.2344 4. Unvereinbarkeitserklärung und Feststellungsurteil Für die Fälle, in denen durch eine Nichtigkeitserklärung dem klägerischen Begehren nicht entsprochen werden kann, stellt das Bundesverfassungsgericht lediglich die Unvereinbarkeit der aktuellen Regelungslage mit dem Grundgesetz fest.2345 Auch wenn der Gesetzgeber die Verfassungswidrigkeit auf verschiedene 2339

Battis, in: HStR XII, § 275 Rn. 60; Möstl, DÖV 1998, 1029 (1039). Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 129 ff. Wegen der hohen Regelungsdichte im Umweltrecht, ist eine echte oder auch absolute Schutzpflichtenverletzung die Ausnahme. Meist wird der Vorwurf lauten, dass der durch bestehende Gesetze gewährte Schutz nicht ausreichend sei. 2341 BVerfG, Beschluss vom 12.01.1965 – 2 BvR 454, 470/62 – BVerfGE 18, 288 (301) [Wiedergutmachung]; hierzu auch Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 126. 2342 Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 132 f. 2343 Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 133. 2344 Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 69; Hömig, in: MSKB BVerfGG, § 95, Rn. 45; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 403. 2345 Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (28). Zum Teil wird darauf verwiesen, dass im Bereich des echten gesetzgeberischen Unterlassens nicht von einer Unvereinbarkeitserklä2340

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

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Art und Weise beseitigen kann, ergeht lediglich ein Feststellungsurteil.2346 Die Unvereinbarkeitserklärung ist die regelhafte Folge eines schutzpflichtswidrigen Unterlassens des Gesetzgebers, weil sich nur in Ausnahmefällen das gesetzgeberische Gestaltungsermessen auf Null reduzieren wird.2347 Mit der Unvereinbarkeitserklärung wird das Gericht vielmehr die Pflicht des Gesetzgebers zum Erlass von geeigneten Schutzmaßnahmen feststellen.2348 Es kann dem Gesetzgeber Maßgaben an die Hand geben, an denen sich eine verfassungsmäßige (Neu-)Regelung zu orientieren hat.2349 Zudem kann es dem Gesetzgeber eine Frist zur Behebung der verfassungswidrigen Rechtslage setzen.2350 Es bleibt jedoch auf die loyale Befolgung seiner Urteile durch das Parlament angewiesen.2351 rung gesprochen werden könne, weil es hier gerade an der Normsubstanz fehle, die unvereinbar mit dem Grundgesetz sein könne, vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 409. Tatsächlich wird man aber annehmen müssen, dass auch ein Unterlassen unvereinbar mit dem Grundgesetz sein kann und es vielmehr auf eine Abgrenzung zur Nichtigkeitserklärung ankommt. 2346 BVerfG, Beschluss vom 07.05.2013 – 2 BvR 909, 1981/06, 288/07 – BVerfGE 133, 377 (423) [Ehegattensplitting]; BVerfG, Urteil vom 19.02.2013 – 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09 – BVerfGE 133, 59 (99) [Sukzessivadoption]; BVerfG, Beschluss vom 10.11.1998 – 1 BvR 2296-96 u. 1 BvR 1081-97 – BVerfGE 99, 202 (215) [Wettbewerbsvereinbarung]. 2347 Aust/Meinel, JuS 2014, 113 (116). Insgesamt greift das Bundesverfassungsgericht immer seltener auf das scharfe Schwert der Nichtigkeitserklärung zurück und tenoriert stattdessen eine Unvereinbarkeitserklärung verbunden mit der Anordnung der künftigen Unanwendbarkeit der Norm, vgl. Steiner, NJW 2001, 2919 (2922). 2348 BVerfG, Urteil vom 04.11.1986 – 1 BvF 1/84 – BVerfGE 73, 118 (172). 2349 BVerfG, Urteil vom 26.07.2005 – 1 BvR 782/94, 957/96 – BVerfGE 114, 1 (70) [Lebensversicherung]; BVerfG, Beschluss vom 18.01.2000 – 1 BvR 321/96 – BVerfGE 103, 397 (410) [Rechtspfleger]; BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 – 2 BvL 26/91, 5, 6, 7, 8, 9, 10/96, 3, 4, 5, 6/97 – BVerfGE 99, 300 (332) [Beamtenkinder]; BVerfG, Urteil vom 28.01.1992 – 1 BvR 1025/82, 1 BvL 16/83 und 10/91 – BVerfGE 85, 191 (212) [Nachtarbeitsverbot]; auch in Entscheidungen, in denen das Bundesverfassungsgericht die bestehende Regelung als nach aktuellem Kenntnisstand vereinbar angesehen hatte, stellte es Maßgaben für eine den Schutzpflichten entsprechende Regelung auf, vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (142) [Kalkar I]. 2350 BVerfG, Urteil vom 19.12.2017 – 1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14 – BVerfGE 147, 253 (252) [Numerus Clausus III]; BVerfG, Urteil vom 06.12.2016 – 1 BvR 2821/11, 321, 1456/12 – BVerfGE 143, 246 (246) [Atomausstieg]; BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (259) [Hartz IV]; BVerfG, Urteil vom 26.07.2005 – 1 BvR 782/94, 957/96 – BVerfGE 114, 1 (71) [Lebensversicherung]; BVerfG, Urteil vom 25.07.2005 – 1 BvR 80/95 – BVerfGE 114, 73 (103) [Vertragsschluss I]; BVerfG, Beschluss vom 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 – BVerfGE 109, 64 (95) [Mutterschaftsgeld II]; BVerfG, Urteil vom 11.11.1999 – 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99 – BVerfGE 101, 158 (238) [Länderfinanzausgleich III]; BVerfG, Beschluss vom 27.11.1990 – 1 BvR 402/87 – BVerfGE 83, 130 (154) [Josefine Mutzenbacher]. Zum Teil verzichtet das Bundesverfassungsgericht auch auf die Festsetzung einer konkreten Frist und ordnet ein unverzügliches Schließen der Schutzlücke durch den Gesetzgeber an, so geschehen in BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (353) [Zwangsbehandlungen]. 2351 Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (29). Gleiches gilt für die Befolgung der Entscheidungen durch die anderen Bundesgerichte. In diesem Zusammenhang kritisiert Bethge, in:

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

5. Appellentscheidung Als gegenüber dem Gewaltenteilungsgrundsatz schonendere Tenorierung hat das Gericht die Möglichkeit, eine Appellentscheidung auszusprechen.2352 Eine solche ergeht typischerweise, wenn durch eine mögliche künftige Entwicklung die Notwendigkeit eines Schutzgesetzes absehbar, aber noch nicht akut ist. Aus der Appellentscheidung ergeben sich vor allem eine Beobachtungspflicht und gegebenenfalls eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers.2353 In Folge einer Appellentscheidung bleibt dem Gesetzgeber „bei komplexen, in der Entwicklung begriffenen Sachverhalten ein zeitlicher Anpassungsspielraum“.2354 Es wird gar von einem „,Recht‘ des Gesetzgebers auf Sammlung von Erfahrungen mit neuen und komplexen Regelungen“ gesprochen.2355 Die Appellentscheidung kann deshalb Teil eines abgestuften Konzepts sein. Sie dient dazu, den Gesetzgeber auf den Handlungsbedarf hinzuweisen. Bei einer erneuten Entscheidung kann eine inhaltliche Kontrolle der auferlegten Nachbesserungspflicht erfolgen. Ein wiederholtes Nichtbefolgen der Urteile des Bundesverfassungsgerichts kann dazu führen, dass dieses zum Instrument der Übergangsregelung greift.2356 6. Übergangsregelung Zwar ist das Bundesverfassungsgericht befugt, selbst zu entscheiden, wer seine Entscheidungen vollstreckt.2357 Eine Vollstreckung ist jedoch bei einer festgestellten Schutzpflichtenverletzung des Gesetzgebers gegen diesen nicht möglich. Zum einen fehlt es Feststellungsurteilen grundsätzlich an vollstreckungsfähigem Inhalt. Zum anderen verbietet die verfassungsrechtlich festgeschriebene Weisungsungebundenheit des Abgeordneten nach Art. 38 Abs. 1 S. 2 GG jede klassi-

MSKB BVerfGG, § 31, Rn. 8 „die bereitwillige, ja bedingungslose Orientierung oberster Bundesgerichte“ an den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts. 2352 Aust/Meinel, JuS 2014, 113 (117); Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 131; Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, Rn. 431; eine solche Konstellation beschreibt auch Steiner, NJW 2001, 2919 (2921). 2353 Aust/Meinel, JuS 2014, 113 (117). 2354 BVerfG, Beschluss vom 03.06.1980 – 1 BvR 967, 973, 627, 737/78 – BVerfG 54, 173 (202) [Studienbewerber]; ähnlich BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (81) [Fluglärm I]. 2355 Steiner, NJW 2001, 2919 (2922). 2356 So geschehen in BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 – 2 BvL 26/91, 5, 6, 7, 8, 9, 10/96, 3, 4, 5, 6/97 – BVerfGE 99, 300 (332) [Beamtenkinder]. 2357 Der Begriff der Vollstreckung an dieser Stelle ist nicht indentisch mit jenem aus der ZPO. Hier meint Vollstreckung vielmehr „den Inbegriff aller Maßnahmen, die erforderlich sind, um solche Tatsachen zu schaffen, wie sie zur Verwirklichung des vom Bundesverfassungsgericht erkannten Rechts notwendig sind“, vgl. Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 88.

D. Kontrollmaßstäbe und Prüfungsdichte

403

sche Vollstreckungshandlung gegen das Parlament in seiner Eigenschaft als Gesetzgebungsorgan.2358 Das Bundesverfassungsgericht kann aber, um einen gesetzlosen Zustand zu überbrücken, eine Übergangsregelung treffen.2359 In der Regel handelt es sich dabei um eine Weitergeltungsanordnung, nachdem ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt wurde. Diese hat den Zweck, dass ein verfassungswidriger Zustand nicht durch einen noch verfassungswidrigeren Zustand ersetzt wird2360 oder die Betroffenen „weitgehend schutzlos gestellt“ wären.2361 In der Literatur werden hierfür, teils kritisch, Formulierungen verwendet wie Ersatzgesetzgebung, Notrechtssetzung, Auffangregelung, Reservegesetzgebung oder Interimsrecht.2362 Das Grundgesetz selbst sieht die Möglichkeit vor, dass dem Bundesverfassungsgericht die Autorität zugesprochen werden kann, Entscheidungen mit Gesetzeskraft zu erlassen (Art. 94 Abs. 2 S. 1 GG). Es räumt ihm damit eine Sonderstellung unter den Staatsorganen ein, die anderen rechtsanwendenden Organen gerade nicht zukommt.2363 Nach § 31 Abs. 2 S. 2 i.V. m. § 13 Nr. 8a BVerfGG ordnet der Gesetzgeber die Gesetzeskraft für Entscheidungen an, in denen ein Gesetz im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde für nichtig erklärt wird. Die Gesetzeskraft gilt nicht nur für den Tenor, sondern auch für die tragenden Entscheidungsgründe.2364 Ansonsten hätte der Gesetzgeber „soweit“ anstatt „wenn“ als Formulierung wählen müssen. Das Bundesverfassungsgericht ist deshalb ermächtigt, im Urteil auch Regelungen über die Nichtigkeitserklärung hinaus mit Gesetzeskraft zu versehen.2365 Bei einem echten Unterlassen des Gesetzgebers stößt das Konzept der Übergangsregelung allerdings an logische Grenzen. Hier fehlt es an Anknüpfungs2358

Butzer, in: BeckOK GG, Art. 38, Rn. 94 ff. Aust/Meinel, JuS 2014, 113 (116); Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 134; Steiner, NJW 2001, 2919 (2923). 2360 BVerfG, Urteil vom 24.07.2018 – 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16 – NJW 2018, 2619 (2628) [Fixierung Psychatire]. Außerdem BVerfG, Urteil vom 10.02.2004 – 2 BvR 834, 1588/02 – BVerfGE 109, 190 (246) [Nachträgliche Sicherungsverwahrung]; BVerfG, Urteil vom 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94, 1 BvR 2420/95, 1 BvR 2437/95 – BVerfGE 100, 313 (402) [Telekommunikationsüberwachung I]; BVerfG, Beschluss vom 02.03.1993 – 1 BvR 1213/85 – BVerfGE 88, 103 (117) [Streikeinsatz von Beamten]; BVerfG, Urteil vom 18.07.1972 – 1 BvL 32/70, 25/71 – BVerfGE 33, 303 (347) [numerus clausus I]; BVerfG, Beschluss vom 14.03.1972 – 2 BvR 41/71 – BVerfGE 33, 1 (13) [Strafgefangene]. So auch Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 20, Rn. 86; Winkler, in: BKGG, Art. 12, Rn. 82. 2361 BVerfG, Beschluss vom 25.03.1992 – 1 BvR 1430/88 – BVerfGE 85, 386 (401) [Fangschaltungen]. 2362 Aufzählung nach Bethge, in: MSKB BVerfGG, § 78, Rn. 89. 2363 Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (26). 2364 Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (27). 2365 Siehe beispielsweise die Übergangsregelungen in BVerfG, Urteil vom 09.02. 2010 – 1 BvL 1, 3, 4/09 – BVerfGE 125, 175 (259) [Hartz IV]; BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (336) [Schwangerschaftsabbruch II]. 2359

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4. Kap.: Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten

punkten im einfachen Recht, zu denen es Anordnungen erlassen könnte. Es kann beim echten Unterlassen nicht der Kreis der Begünstigten einer Regelung erweitert werden, weil hier in erster Linie keine Begünstigung existiert. Auch kann keine Weitergeltung einer Norm angeordnet werden, wie das beim Normvakuum in Folge einer Nichtigkeitserklärung der Fall ist. Eine Übergangsregelung zu schaffen, hieße für das Bundesverfassungsgericht, gestalterisch tätig zu werden, was demokratietheoretisch problematisch wäre. Ein Verweis auf das Demokratieprinzip hilft jedoch nicht weiter, wenn das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit einer Regelungslücke festgestellt hat, der einfache Gesetzgeber sich aber nicht darüber einigen kann wie diese zu schließen ist und auch der verfassungsändernde Gesetzgeber sich nicht zu einer Entschärfung des Verfassungstextes durchringen kann. In diesem Fall entsteht ein Spannungsverhältnis zwischen verfassungsrechtlicher Vorgabe und einfacher Rechtslage, das zur Auflösung drängt.2366 Das Bundesverfassungsgericht könnte eine eigenmächtige Entscheidung treffen und so den Gesetzgeber unter Druck setzen.2367 Das Demokratieprinzip würde insofern nicht ausgehebelt, sondern lediglich bis zum Tätigwerden des Gesetzgebers überbrückt. Das Bundesverfassungsgericht trifft hier keine Entscheidung, die den parlamentarischen Gesetzgeber bindet und auf eine Maßnahme festlegt, sondern überlässt ihm die prinzipielle Entscheidungsbefugnis. Die Übergangsregelung dient nur dazu, den noch verfassungswidrigeren Zustand des gesetzeslosen Zustandes zu beenden. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn das Gericht befürchten muss, dass das Parlament auf ein bloßes Feststellungsurteil nicht reagieren wird, weil es bereits auf ein vergangenes solches hin untätig geblieben ist.2368 Die Übergangsregelung unterscheidet sich von der verfassungsunmittelbaren Notbefugnis der Instanzgerichte dadurch, dass ihr abstrakt-generelle Geltung zukommt und nicht nur inter partes Wirkung entfaltet.2369 Wenn der Gesetzgeber den ihm zugewiesenen Gestaltungsauftrag nicht wahrnimmt, hebelt er damit selbst die demokratische Verantwortungsverteilung aus. Das Bundesverfassungsgericht hingegen erhebt sich mit seiner Übergangsgesetzgebungstätigkeit nicht über die Verfassung, sondern handelt im Sinne der ihm von der Verfassung selbst zugewiesenen Verantwortung, vgl. Art. 94 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 GG. Indem es eine eigene Regelung2370 schafft, bricht es nicht die verfas-

2366

Hillgruber, in: HStR IX, § 200 Rn. 29. Steiner, NJW 2001, 2919 (2923) spricht gar davon, dass das Gericht im „legislativen Verzugsfall Regelungen trifft, die dem Gesetzgeber lästig genug sind, um aktiv zu werden“. 2368 So geschehen in BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 – 2 BvL 26/91, 5, 6, 7, 8, 9, 10/96, 3, 4, 5, 6/97 – BVerfGE 99, 300 (332) [Beamtenkinder]. 2369 Hierzu 3. Kapitel F. – „Grundrechtsunmittelbare Notbefugnis“. 2370 Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (26) weisen darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht dadurch nicht zum Gesetzgeber wird, sondern es sich bei der Gesetzeskraft sei2367

E. Fazit

405

sungsmäßige Ordnung, sondern verhilft der Verfassung zur Geltung, wo sie ansonsten ihre Wirkung zu verlieren droht.2371 Der Gesetzgeber kann die Geltung der Übergangsregelung jederzeit durch eigene, verfassungskonforme Gesetzgebung beenden, womit das Kräftegleichgewicht zwischen Bundesverfassungsgericht und Parlament gewahrt bleibt.

E. Fazit Resümierend lässt sich konstatieren, dass in den objektiven grundrechtlichen Umweltschutzpflichten subjektive Umweltschutzrechte als individuell einklagbare Teilmengen enthalten sind. Die Verfassungsbeschwerde ermöglicht eine tiefgehende Kontrolle gesetzlicher Umweltschutzlücken, wenn die Hürden der Klagezulässigkeit überwunden wurden. Diese liegen allerdings mit Frist- und Eigenbetroffenheitserfordernissen, Rechtswegerschöpfung und Subsidiarität sehr hoch und werden in der Praxis selten erklommen. Niedriger sind diese Hürden für Jene, die berechtigt sind, ein objektives Verfahren anzustoßen. Für diese besteht jedoch die Einschränkung, dass ein echtes Unterlassen des Gesetzgebers nach dem gegenwärtigen Zuschnitt der objektiven Verfahrensarten mit diesen nicht gerügt werden kann. Ein Ausweg könnte die entsprechende Anwendung der Verbandsklagebefugnis auf die Verfassungsbeschwerde sein. So ließen sich die Kontrolltiefe der Verfassungsbeschwerde mit der Kontrollbreite der objektiven Verfahrensarten kombinieren und die Einhaltung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten umfassend überprüfen. Da der Inhalt der grundrechtlichen Umweltschutzpflicht unbestimmt ist, also nur das Ziel und nicht der Weg dorthin vorgegeben wird, ist der Kontrollmaßstab im Vergleich zur Überprüfung der Abwehrrechte reduziert. Bei der Überprüfung von Schutzpflichten sind im Wesentlichen zwei Fälle zu unterscheiden. Bereits bestehende zurückliegende Konstellationen können mittels einer Effektivitätskontrolle überprüft werden. Bei Prognoseentscheidungen wird die inhaltliche Kontrolle zurückgenommen und durch eine verstärkte Prozeduralisierung und Überprüfung der Entscheidungsfindung kompensiert.

ner Urteile nur um ein technisches Mittel handelt, die materielle Rechtskraft auf eine Wirkung erga omnes zu erstrecken. 2371 Derartige eigenständige Übergangsregelungen sind bisher die absolute Ausnahme in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geblieben, so auch Aust/ Meinel, JuS 2014, 113 (116). Prominentestes und weitreichenstes Beispiel ist wohl die zweite Schwangerschaftsabbruchsentscheidung, in der sich detaillierte Übergangsregelungen finden, vgl. BVerfG, Urteil vom 28.03.1993 – 2 BvF 2/90 und 4, 5/92 – BVerfGE 88, 203 (209) [Schwangerschaftsabbruch II]. Aber auch in beamtenrechtlichen Entscheidungen werden teils Übergangsregelungen festgelegt, die über eine reine Weitergeltungsanordnung hinausgehen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.11.1998 – 2 BvL 26/91, 5, 6, 7, 8, 9, 10/96, 3, 4, 5, 6/97 – BVerfGE 99, 300 (332) [Beamtenkinder].

5. Kapitel

Ausblick Bei den anstehenden Umstrukturierungen, die nötig sind, um die menschliche Gesellschaft an sich verändernde Umweltbedingungen anzupassen,2372 werden die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten als höchste rechtliche Leitentscheidungen eine wichtige begleitende Rolle spielen.2373 Im Zusammenspiel mit den Abwehrrechten, Staatszielbestimmungen und Leistungsrechten bilden sie den verfassungsrechtlichen Korridor, innerhalb dessen die Transformationsprozesse ablaufen können.2374

A. Klimaklagen Das Verfassungsrecht nicht nur als Gestaltungsrahmen, sondern als Triebfeder gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Transformations- und Anpassungsprozesse zu nutzen, ist die Intention der sogenannten Klimaklagen.2375 Unter dem Begriff der Klimaklagen werden verschiedene Verfahren zusammengefasst, die den Klimawandel zum Gegenstand haben. Mit einigen wird versucht, die Exekutive und Legislative zu klimaschützendem Handeln zu verpflichten. Andere Klimaklagen haben die Verantwortung privater Unternehmen zum Gegenstand.2376 Einige Klagen sind auf konkretes Handeln gerichtet, andere auf allgemein gehaltene Zielvorgaben. Gerade im anglo-amerikanischen Rechtskreis sind die einzelfallbezogenen Klimaklagen auf lokaler Ebene verbreitet und zum Teil äußerst erfolgreich.2377 In Deutschland sind derartige Klagen noch die Ausnahme.

2372

Hierzu Calliess, ZUR 2019, 385 (385). Graser, ZUR 2019, 271 (277). 2374 4. Kapitel D. IV. – „Untermaßverbot“. 2375 Graser, ZUR 2019, 271 (277); Köck/Till, ZUR 2019, 257 (258). Zum Spannungsfeld von Demokratieprinzip und verfassungsrechtlichem Geltungsanspruch siehe bereits oben 4. Kapitel A. – „Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld“. 2376 Keller/Kapoor, BB 2019, 706 (706); Kling, KJ 2018, 213 (213). 2377 So konnten Burckhardt/Sommerer, VersR 2013, 1107 (1107) bereits vor Jahren eine beachtliche Anzahl an Klimaklagen in den Vereinigten Staaten ausmachen, als diese Klagekonstruktion in Europa noch weitgehend unbekannt war. Mittlerweile befinden sich auch auf dem hiesigen Kontinent Klimaklagen auf dem Vormarsch und sind zum Teil bereits erfolgreich gewesen. So sorgte die Urgenda-Entscheidung des Gerechtshof in Den Haag über die niederländischen Grenzen hinaus für Aufsehen, hierzu Wegener, ZUR 2019, 3 (6) sowie die Erwiderung von Graser, ZUR 2019, 271 (271). 2373

A. Klimaklagen

407

In Bezug auf die vorliegende Untersuchung sind vor allem drei laufende Verfahren vor deutschen Gerichten interessant.2378 Die erste anhängige Klage wurde von einem peruanischen Landwirt gegen RWE auf dem Zivilrechtsweg erhoben (I.). Zweitens wurde jüngst eine Klimaklage gegen die Bundesregierung vor dem VG Berlin geführt, deren Fortsetzung in zweiter Instanz erwartet wird (II.). Zum dritten die Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht, die sich gegen den Bundestag, Bundesrat und die Bundesregierung richtet (III.).

I. Ordentliche Gerichtsbarkeit Die erste echte Klimaklage in Deutschland wurde vor dem LG Essen auf dem Zivilrechtsweg geführt.2379 Der peruanische Landwirt Saúl Lliuya klagte gegen RWE auf Schadensersatz. Der deutsche Energiekonzern ist der größte Emittent von Treibhausgasen in der Bundesrepublik. Der peruanische Landwirt sieht RWE in einer Mitverantwortung für das klimawandelbedingte Schmelzen der peruanischen Gletscher, die zu einem Schaden an seinem dortigen Grundstück geführt hätten. Er beantragt deshalb, dass RWE sich anteilsmäßig an den getroffenen Schutzmaßnahmen gegen in Zukunft zu befürchtende Überschwemmungen beteilige.2380 In der ersten Instanz unterlag der Kläger, weil die Kausalitätskette zwischen der wirtschaftlichen Aktivität von RWE und dem Schaden an den landwirtschaftlichen Flächen in Peru aus Sicht des Gerichts mit zu vielen Unsicherheiten behaftet sei.2381 Das Gericht stellte zur Bestimmung der Kausalität auf die Adäquanztheorie ab und kam zu dem Ergebnis, dass die Gletscher auch ohne den Beitrag der Beklagtenseite abgeschmolzen wären, weshalb der Verursachungsbeitrag nicht wesentlich sei.2382 Eine konkrete Schadenshöhe könne nicht berechnet werden.2383 Ein vollstreckbares Urteil sei nicht tenorierbar.2384 In der Literatur ist diese Entscheidung vor allem wegen der praktisch durch keinen Beweis zu überwindenden, hohen Anforderungen an die Kausalität kri2378 Parallel hierzu laufen mehrere Verfahren zum Klimaschutz vor den Gerichten der europäischen Union; hierzu näher Freytag, ZUR 2019, 572 (572); Winter, ZUR 2019, 259 (259). 2379 LG Essen, Urteil vom 15.12.2016 – 2 O 285/15 – ZUR 2017, 370 (370) [Lliuya vs. RWE I]; hierzu auch Köck/Till, ZUR 2019, 257 (257); Wegener, ZUR 2019, 3 (8). 2380 LG Essen, Urteil vom 15.12.2016 – 2 O 285/15 – ZUR 2017, 370 (371) [Lliuya vs. RWE I]. 2381 LG Essen, Urteil vom 15.12.2016 – 2 O 285/15 – ZUR 2017, 370 (372) [Lliuya vs. RWE I]. 2382 LG Essen, Urteil vom 15.12.2016 – 2 O 285/15 – ZUR 2017, 370 (373) [Lliuya vs. RWE I]. 2383 Dies ist als drop in the ocean-Phänomen beschrieben worden und stellt ein Grundproblem der climate change litigation im deutschen Zivilrecht dar, hierzu Keller/ Kapoor, BB 2019, 706 (708). 2384 LG Essen, Urteil vom 15.12.2016 – 2 O 285/15 – ZUR 2017, 370 (372) [Lliuya vs. RWE I].

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5. Kap.: Ausblick

tisiert worden.2385 Wenn sich selbst einer der weltweit größten Verursacher bezüglich des Kausalzusammenhangs in der Masse verstecken könne, wäre eine Umwelthaftung bezüglich der Klimawandelfolgeschäden generell ausgeschlossen.2386 Vor dem OLG Hamm ist die Berufung gegen die Entscheidung zugelassen worden. Dort hält man die rechtlichen Erwägungen des Klägers zumindest für derart schlüssig, dass man in die Beweisaufnahme eingetreten ist.2387 Teils ist im Schrifttum jedoch das fortgesetzte Scheitern der Bemühungen einer climate change litigation nach der aktuellen deutschen Rechtslage prognostiziert worden, weshalb der Gesetzgeber, auch in Anbetracht seiner verfassungsrechtlichen Umweltschutzpflichten gehalten sei, die einfachrechtlichen Grundlagen für einen gerechten Interessenausgleich zu schaffen.2388

II. Verwaltungsgerichtsbarkeit Die Klage vor dem VG Berlin wurde vor allem von Landwirten und sonstigen Grundstückseigentümern erhoben, die geltend machen vom Klimawandel negativ betroffen zu sein.2389 Die Klage richtete sich gegen das Unterlassen der Bundesregierung, geeignete Maßnahmen zu treffen, um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen. Es sei bereits abzusehen, dass die Treibhausgasreduktionsziele für das Jahr 2020 nicht erreicht würden, weshalb die Schwelle zur Handlungspflicht überschritten sei. Die Klagebefugnis ergebe sich daraus, dass die Kläger durch das Unterlassen des Staates in ihren Grundrechten, insbesondere der Berufsfreiheit,2390 sowie durch eine Substanzgefährdung, beispielsweise durch Steigen des Meeresspiegels, in ihrem Eigentumsrecht verletzt werden.2391 Das Gericht in erster Instanz lehnte die Klage aus verschiedenen Gründen ab.2392 Zum einen seien die Klageanträge zu unbestimmt. Die Forderung nach 2385

Köck/Till, ZUR 2019, 257 (257). Frank, NVwZ 2017, 664 (669). 2387 OLG Hamm, Beschluss vom 30.11.2017 – I-5 U 15/17 – ZUR 2018, 118 (119) [Lliuya vs. RWE II]. 2388 Chatzinerantzis/Appel, NJW 2019, 881 (886); zusätzlich auf den internationalen Handlungsrahmen weisen Keller/Kapoor, BB 2019, 706 (712) hin. Näher zum Einfluss der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten auf das Zivilrecht 3. Kapitel B. II. 2. – „Ausgestaltung des Zivilrechts“ und seine Anwendung durch den Zivilrichter 3. Kapitel C. III. 3. – „Ausstrahlungswirkung“. 2389 Siehe zum Inhalt der Klage die letzte Klageschrift vom 11.09.2019 im Verfahren Az.: T-330/18, abrufbar unter: greenpeace.de/sites/www.greenpeace.de/files/publica tions/replik_final.pdf (zuletzt abgerufen am 19.11.2019). Hierzu auch Wegener, ZUR 2019, 3 (9). 2390 Siehe zu den grundrechtlichen Positionen der Landwirte 2. Kapitel D. X. – „Art. 12 I GG: Erhalt der Umweltnutzungsfreiheit“. 2391 Hierzu näher 2. Kapitel D. XII. 2. – „Substanzschutz“. 2392 Siehe hierzu die Zusammenfassung des Inhalts der mündlichen Verhandlung vom 31.10.2019 unter becklink 2014561. 2386

A. Klimaklagen

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geeigneten Maßnahmen sei nicht vollstreckungsfähig und könne daher kaum tenoriert werden. Darüber hinaus sei zweifelhaft, ob die Kläger ihre Klagebefugnis hinreichend substantiiert vorgetragen hätten.2393 Der bloße Verlust von Erwerbschancen und befürchtete Gewinneinbußen seien nicht grundrechtlich geschützt.2394 Da das Gericht die Frage, ob sich aus den grundrechtlichen Schutzpflichten überhaupt eine Klagebefugnis ergeben könne, als dringend klärungsbedürftig ansah, ließ es die Berufung jedoch ausdrücklich zu.2395 In der nächsten Instanz wird es also ganz wesentlich darauf ankommen, Tatsachen vorzutragen, die darauf hindeuten, dass die befürchteten Schädigungen zum einen hinreichend wahrscheinlich sind und zum anderen die Schäden über bloße Vermögensschäden hinausgehen und ihnen deshalb grundrechtliche Relevanz zukommt.2396

III. Bundesverfassungsgericht Des Weiteren ist das Bundesverfassungsgericht mit einer sogenannten „Klimaklage“ befasst.2397 Erhoben haben die Verfassungsbeschwerde sowohl Einzelpersonen als auch Verbände. Anders als vor dem VG Berlin wenden sich die Beschwerdeführer nicht nur an die Regierung, sondern auch an den Gesetzgeber. Im Wesentlichen wird beantragt festzustellen, dass die Beschwerdegegner keine ausreichenden Maßnahmen getroffen haben, um den Gefahren des Klimawandels vorzubeugen, insbesondere die international vereinbarten Treibhausgasgrenzwerte einzuhalten. Zum anderen soll festgestellt werden, dass mit der aktuellen Klimapolitik der Parlamentsvorbehalt missachtet wird, wonach der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss und den anderen Gewalten hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlagen für den Klimaschutz an die Hand geben muss.2398 Auch in diesem Verfahren wird von vordergründiger Bedeutung sein, inwiefern die Beschwerdeführer 2393 Insbesondere die Klagebefugnis des mitklagenden Vereins Greenpeace erscheint mangels direkter Eigenbetroffenheit zweifelhaft. Auch eine Anerkennung nach § 3 UmwRG blieb dem Verein bisher versagt, hierzu Wegener, ZUR 2019, 3 (9). 2394 Hierzu 2. Kapitel D. XII. 3. – „Vermögensschutz und Erheblichkeitsschwelle“. 2395 Zu den Voraussetzungen siehe 4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“. 2396 Zu den abstrakten Anforderungen an Schaden und Wahrscheinlichkeit und die daraus ableitbaren Kategorien staatlicherseits gebotener Maßnahmen, siehe 2. Kapitel E. – „Auslösung der Schutzpflicht“. 2397 Zum Zeitpunkt der Abfassung dieser Arbeit lag hierzu nur die Antragsschrift vom 22.11.2018 vor, abrufbar unter https://sfv.de/media/3292/download/Klageschrift %20Klimaklage-Endfassung.pdf (zuletzt abgerufen am 18.05.2021). Zwischenzeitlich ergint die entsprechende Entscheidung BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946, welche in einem Nachwort zu dieser Arbeit besprochen wird 7. Kapitel – „Nachwort“. 2398 Vgl. Klageschrift vom 22.11.2018, S. 4, abrufbar unter klimaklage.com/wp-con tent/uploads/2019/04/Klageschrift.-Stand-Nov.-2018-2.pdf (zuletzt abgerufen am 19.11. 2019).

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5. Kap.: Ausblick

ihre Antragsbefugnis substantiiert darlegen können.2399 Bei den beschwerdeführenden Vereinigungen wird dies vor allem auf die Frage hinauslaufen, inwiefern das Bundesverfassungsgericht eine prozessstandschaftliche Geltendmachung von Klimaschutzinteressen zulässt.2400 Die übrigen Beschwerdeführer sind zum Teil Klimaforscher oder Personen des öffentlichen Lebens, die keine über den Durchschnittsbürger hinausgehende Eigenbetroffenheit geltend machen können. Da durch den Klimawandel umfassende Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft zu erwarten sind, wie auch in der Beschwerdeschrift ausführlich dargelegt wird, erscheint eine Rechtsverletzung nicht von vornherein ausgeschlossen.2401 Wie oben ausgeführt, verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass auch bei Verfassungsbeschwerden, die ein gesetzgeberisches Unterlassen zum Gegenstand haben, zunächst der Rechtsweg beschritten wird.2402 Bevor eine Schutzpflichtverletzung des Gesetzgebers festgestellt werden kann, muss von den Fachgerichten geprüft werden, ob das bestehende einfache Recht keine Möglichkeit bietet, beispielsweise durch extensive Auslegung, dem klägerischen Begehren Rechnung zu tragen. Da die Beschwerdeführer es unterlassen haben, den Rechtsweg zu beschreiten, könnte die in Karlsruhe als „Klimaklage“ erhobene Verfassungsbeschwerde an dieser simplen prozessualen Voraussetzung scheitern.2403 Insofern könnte die Berliner Klimaklage, trotz ihres vorläufigen Scheiterns in erster Instanz, eine entscheidende prozessuale Voraussetzung für eine spätere erfolgreiche Verfassungsbeschwerde sein.2404

B. De constitutione ferenda Der Kritik an einer zu starken Einmischung der Justiz in ihr fremde Hoheitsbereiche steht eine Tendenz gegenüber, die eine stärkere Bindung der Exekutive und Legislative an verfassungsrechtliche Vorgaben wünscht. Die hierzu aufgekommenen Vorschläge sind vielfältig und werden in regelmäßigen Abständen von unterschiedlichsten Seiten in den Ring geworfen. Vorgeschlagene Verfassungsänderungen erfolgen mit wechselndem Inhalt an unterschiedlichen Orten. Unterteilt werden können die Vorschläge in bloß objektive und wehrfähige subjektiv-rechtliche Verfassungsbestimmungen. 2399

4. Kapitel B. I. 3. – „Beschwerdebefugnis: Schutzpflichten als subjektive Rechte“. 6. Kapitel C. IV. – „Altruistische Verbandsklagen“. 2401 Köck/Till, ZUR 2019, 257 (257). Zu den konkreten grundrechtlichen Schutzpositionen mit Umweltrelevanz siehe 2. Kapitel D. – „Schutzbereiche der Einzelgrundrechte“. 2402 4. Kapitel B. I. 4. – „Rechtswegerschöpfung“. 2403 Skeptisch auch Freytag, ZUR 2019, 572 (572). 2404 Denn ein Verwerfen der Klage wegen unterbliebener Rechtswegerschöpfung durch Prozessurteil würde keine Sperrwirkung entfalten und somit einer erneuten, prozessual geheilten Klage, nicht entgegenstehen. Siehe hierzu Aust/Meinel, JuS 2014, 25 (27). 2400

B. De constitutione ferenda

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I. Objektive Verfassungsbestimmungen 1. Staatsziel Nachhaltigkeit Etwa ist die Schaffung eines an Art. 11 AEUV angelehnten Art. 20b GG mit folgendem Inhalt vorgeschlagen worden: „Die Erfordernisse des Nachhaltigkeitsprinzips müssen bei der Festlegung und Durchführung aller staatlichen Politiken und Maßnahmen, insbesondere im Interesse künftiger Generationen, berücksichtigt werden. Insoweit haben der Bund und die Länder geeignete institutionelle und organisatorische Vorkehrungen zu treffen.“ 2405

Dabei handelt es sich teils um eine Doppelung des vorhandenen Art. 20a GG, der ebenfalls den Schutz künftiger Generationen vorschreibt. Außerdem ist der Art. 20b GG ebenfalls als Staatszielbestimmung ausgestaltet, die sich in der gerichtlichen Durchsetzbarkeit als weitgehend zahnlos erwiesen hat.2406 Hinzu kommt, dass sich der Begriff der Nachhaltigkeit wegen seiner begrifflichen Unschärfe bisher nicht als das universelle Prinzip durchzusetzen vermochte, als dass seine Befürworter es gerne sehen würden. Selbst Befürworter der Staatszielbestimmung zur Nachhaltigkeit gestehen zu, dass diese allem voran „erzieherische, appellative und symbolische Wirkung“ habe.2407 Wenn es dem Umweltrecht in seiner Geschichte an einem nicht fehlte, dann sind dies Appelle und symbolische Maßnahmen,2408 von denen weitere sich zu ersparen sicher kein Schaden für ein Umweltrecht ist, das sich selber ernst nimmt. 2. Dynamische Inkorporierung des Umweltvölkerrechts Ein alternativer Vorschlag zur Ergänzung der Staatszielbestimmung nimmt nur den Klimawandel in den Blick. Der bestehende Art. 20a GG solle um folgenden Satz ergänzt werden: „Für die Bundesrepublik Deutschland völkerrechtlich verbindliche Ziele und Verpflichtungen des Klimaschutzes binden alle staatliche Gewalt unmittelbar.“ 2409

2405 Calliess, in: FS für Schröder 70, S. 527. Der Vorschlag geht auf einen Gesetzentwurf aus dem Jahr 2006 zurück, in dem der Text vorgeschlagen wurde: „Der Staat hat in seinem Handeln das Prinzip der Nachhaltigkeit zu beachten und die Interessen künftiger Generationen zu schützen.“ Vgl. BT-Drs. 16/3399, S. 3. Siehe auch Calliess, ZUR 2019, 385 (386); Deter, ZUR 2012, 157 (159); Hebeler, NZS 2018, 848 (851); Kahl, ZRP 2014, 17 (17); Kahl, DÖV 2009, 2 (2); Wieland, ZUR 2016, 473 (474). 2406 Brinktrine, JöR 61 (2013), 557 (573); Hebeler, NZS 2018, 848 (852); Schladebach, JuS 2018, 118 (121); Wieland, ZUR 2016, 473 (477). 2407 Kahl, Nachhaltigkeitsverfassung, S. 137; a. A. Deter, ZUR 2012, 157 (159). 2408 Siehe hierzu Schwarz zitiert nach Hauer, EWS 2012, 372 (373). Hahn, in: FS für Vitzthum, S. 116 f. spricht insoweit von einem „narrativen Konstutionalismus“, der nicht vollziehbar und deshalb kaum steuerungsfähig sei. 2409 BT-Drs. 19/4522, S. 3.

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5. Kap.: Ausblick

Der Vorschlag ist ersichtlich von der Erkenntnis getragen, dass globaler Klimaschutz auf nationaler Ebene nicht sinnvoll möglich ist, sondern nur eingebettet in die internationale Gemeinschaft zum Erfolg führen kann.2410 Die Vorschrift ist offen gestaltet und soll die Möglichkeit bieten, zukünftigen Entwicklungen des internationalen Rechts Rechnung zu tragen. Sie bietet auf den ersten Blick im Gegensatz zur bisherigen Regelung oder den häufig bewusst unbestimmt gelassenen Reformvorschlägen ein hohes Maß an Bestimmbarkeit. Da in den internationalen Abkommen, insbesondere im Klimaabkommen von Paris, konkrete Reduktionsziele vorgegeben sind, lässt sich die Einhaltung der Zielbestimmung kontrollieren und nachvollziehen. Der oft zu vernehmende Einwand, zu strenge umweltrechtliche Vorgaben auf Verfassungsebene würden das Parlament zu sehr in seiner Handlungsfreiheit einschränken, mag bei der vorgeschlagenen Änderung nicht recht verfangen.2411 Die für die Bundesrepublik Deutschland geltenden Klimaschutzziele des Völkerrechts werden nur durch die Zustimmung des Parlaments nach Art. 59 Abs. 2 GG ratifiziert, weshalb dieses seinen Einfluss nicht verliert.2412 Im Gegenteil, durch die automatische Aufwertung der mit einfacher Mehrheit getroffenen Ratifizierungsentscheidung in den Verfassungsrang, wird die Macht des einfachen Gesetzgebers ausgeweitet. Durch die dynamische Verweisung des vorgeschlagenen Art. 20a S. 2 GG wirkt sich der einfache Mehrheitsentscheid wie eine materielle Verfassungsänderung aus, ohne jedoch die Formvorschriften des Art. 79 GG einzuhalten. Nach Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG kann das Grundgesetz nur durch ausdrückliches Änderungsgesetz fortgeschrieben werden. Zweck dieser Regelung ist, eine Verfassungsdurchbrechung wie in der Weimarer Republik zu verhindern, in der sich verfassungsrechtliche Bestimmungen über verschiedene Gesetze in unübersichtlicher Weise verteilt fanden.2413 Ein dynamischer Verweis auf Texte außerhalb des Grundgesetzes ist nur in engen Grenzen zulässig.2414 Das Grundgesetz ist als starre Verfassung konstruiert, die Publizität und Kontinuität sicherstellen soll.2415 Ein dynamischer Verweis, um externen Regelungs-

2410

So der Gesetzesentwurf BT-Drs. 19/4522, S. 2. Siehe hierzu bereits die Ausführungen unter 1. Kapitel H. III. 4. – „Vom Hüter zum Herren der Verfassung“ sowie 4. Kapitel A. – „Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld“. 2412 Cremer, ZUR 2019, 278 (279). 2413 Grundlegend zum Begriff der Verfassungsdurchbrechung Schmitt, Verfassungslehre, S. 99 ff.; daran anknüpfend Thoma, in: Rechtsstaat – Demokratie – Grundrechte, S. 214 ff. Zum Sinn und Zweck des Art. 79 Abs. 1 S. 1 GG als bewusstem Gegensatz zur alten Bestimmung des Art. 76 WRV siehe Dreier, in: Ius Publicum Europaeum I, § 1 Rn. 27; Kloepfer, in: FS für Leisner, S. 347 f.; Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 79, Rn. 1. 2414 Sannwald, in: Schmidt-Bleibtreu et al. GG, Art. 79, Rn. 17. 2415 Isensee, in: HStR XII, § 268 Rn. 51. 2411

B. De constitutione ferenda

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werken zu verfassungsrechtlicher Geltung zu verhelfen, widerspräche dem Geist dieser Konzeption. Der vorgeschlagene Art. 20a S. 2 GG müsste deshalb nicht automatisch verfassungswidriges Verfassungsrecht darstellen, sondern wäre restriktiv dergestalt zu interpretieren, dass den über die Scharniernorm inkorporierten internationalen Klimaschutzzielen, Gesetzesrang nur unterhalb der Verfassung zukäme. Aus Gründen der Rechtsklarheit wäre es sinnvoll, ähnlich wie bei Art. 25 GG geschehen, eine normenhierarchische Selbsteinordnung in die Vorschrift aufzunehmen. Jedenfalls könnte es sich bei der Norm nicht um eine Staatszielbestimmung handeln, da sie rechtsfolgenseitig nicht auf Verfassungsebene angesiedelt ist. Sie kann deshalb nicht als mit anderen auf Verfassungsebene getroffenen Bestimmungen gleichwertig gelten. Es handelt sich vielmehr um eine Scharniernorm zur unmittelbaren Anwendbarkeit von spezifischem Völkerrecht als Recht unterhalb des Verfassungsrangs.2416 Die im Gesetzentwurf vorgeschlagene systematische Einordnung in engem Zusammenhang mit der Staatszielbestimmung Umweltschutz scheint daher unglücklich gewählt. Eine Platzierung in einem zu schaffenden Absatz 2 des Art. 25 GG würde der Struktur des Änderungsvorschlages eher gerecht. Ob dies allerdings der Intention des Reformvorschlages entspricht, erscheint zweifelhaft.2417 Ziel der Regelung sollte es ausdrücklich sein, eine Bindung „alle[r] staatlichen Gewalten [. . .] auf Ebene der Verfassung“ zu erreichen.2418 Wie gezeigt wird dies auf den gewählten Wegen wegen des Verbots der Verfassungsdurchbrechung nicht zu erreichen sein. Stattdessen müssten konkrete Ziele im Grundgesetz selbst festgeschrieben werden, um zu einer verfassungsrechtlichen Bindung zu kommen.2419 2416 Umso problematischer wird der Vorschlag dadurch, dass unklar ist, welche Klimaschutzvorschriften überhaupt von der Scharniernorm umfasst sein sollen. Was sind die „völkerrechtlich verbindliche[n] Ziele und Verpflichtungen des Klimaschutzes“? Es könnten damit nur explizite Klimaabkommen gemeint sein, aber auch jedes Handelsabkommen, das unter anderem Vorschriften zum Klimaschutz enthält. Falls letzteres gemeint sein sollte, stellt sich die Frage, inwieweit die Regelungen zum Klimaschutz von den Regelungen zum Handel zu trennen sind, falls diese, wie häufig, miteinander verwoben sind. Kurzum wird es durch den als flexibel gedachten, dynamischen Verweis auf völkerrechtliche Klimaverpflichtungen kaum möglich sein zu bestimmen, welche Regelungen hierunter fallen und welche nicht. 2417 Ohnehin lässt sich die Intention der Verfassungsreform einfacher umsetzen. Da eine völkervertragsrechtliche Verpflichtung gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG durch das Zustimmungsgesetz in nationales Recht transformiert wird, stellt dieses für die drei Staatsgewalten ohnehin unmittelbar geltendes Recht dar. Da der innerstaatliche Rang einer völkerrechtlichen Norm im Zustimmungsgesetz selbst festgelegt wird, wäre die vorgeschlagene Verfassungsänderung kein Fortschritt zur bisherigen Rechtslage. 2418 BT-Drs. 19/4522, S. 1. 2419 Da die Verfassung nicht der richtige Ort für spezifisch ausdifferenzierte Regelungen ist, müsste dies entweder im Wege einer Generalklausel erfolgen oder durch die

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5. Kap.: Ausblick

II. Subjektive Ansprüche Um die oben aufgezeigte geringe Wehrfähigkeit von Staatszielbestimmungen zu vermeiden und den Bürger als Kläger für die Durchsetzung des Umweltschutzes zu mobilisieren, wurden verschiedene subjektiv-rechtliche Verfassungsergänzungen vorgeschlagen. 1. Umweltgrundrecht Schon früh kam in der umweltverfassungsrechtlichen Diskussion der Vorschlag auf, Art. 2 GG um ein Umweltgrundrecht zu ergänzen.2420 Eine mögliche Formulierung sollte lauten: „Jeder hat ein Recht auf ein Leben in menschenwürdiger Umwelt. Die natürlichen Grundlagen stehen unter dem besonderen Schutz des sozialen Rechtsstaates. Die Grenze der zulässigen Umweltbelastung wird durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt. Die gesetzliche Grenzwertfestlegung richtet sich nach dem Gemeinwohl.“ 2421

Die Hoffnungen der Befürworter eines solchen Umweltgrundrechts haben sich in der Diskussion, die der Einführung des Art. 20a GG im Jahr 1994 vorausging, zerschlagen.2422 Gegen ein solches Umweltgrundrecht wurde eingewandt, dass sich ein solches von den aus den grundrechtlichen Schutzpflichten unterscheidbarer Regelungsgehalt kaum ergebe.2423 Das Recht auf ein Leben in einer menschenwürdigen Umgebung ginge kaum über das Recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum hinaus, wobei sich letzteres, trotz seiner angeblichen Einklagbarkeit, vor Gericht als wenig schlagkräftig herausstellte.2424 Aus diesem Grund ist die Einführung eines Naturschutzgrundrechts als Eingriffsabwehrrecht beziehungsweise Unterlassungsanspruch vorgeschlagen worden.2425 Dabei solle nicht auf den aus der Grundrechtsdogmatik bekannten Eingriffsbegriff abgestellt werden, sondern auf den „Eingriff in die Natur“, auf deren Erhalt jedem Einzelnen ein subjektiv-individuelles Recht als Kehrseite der korrespondierenden objektiv-rechtlichen Verpflichtung des Staates zukommen Festlegung konkreter Schwellenwerte. Eine Generalklausel, die den Klimaschutz als bloßes Staatsziel festlegt, war gerade nicht gewollt, weshalb nur ein Grenzwert in Betracht käme. Präzedenzlos wäre eine solche Regelung nicht, wie Art. 109 GG zeigt, in dem konkrete Grenzwerte für die Staatsverschuldung festgeschrieben wurden. 2420 Murswiek, ZRP 1988, 14 (19); Soell, NuR 1985, 205 (205); Ule, DVBl. 1972, 437 (438). Vgl. auch die zahlreichen Nachweise bei Kloepfer, Zum Grundrecht auf Umweltschutz, S. 31 ff. 2421 Ule, DVBl. 1972, 437 (438). 2422 Füks, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 14. 2423 Gehlhaar, VR 2015, 145 (146); Heinicke, in: International – Europäisch – Regional, S. 28. 2424 Kahl, in: HGR V, § 124 Rn. 72. Siehe hierzu ausführlich bereits 2. Kapitel D. IV. – „Art. 1 I GG: Das Grundrecht auf ökologisches Existenzminimum“. 2425 Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 93.

B. De constitutione ferenda

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solle.2426 Die gerichtliche Durchsetzung könnte mittels einer zu schaffenden Popularklage erfolgen.2427 Würde man den Schutzbereich eines Umweltgrundrechts so weit fassen, würde der Einzelne zum Sachwalter des Allgemeinwohls gemacht werden.2428 Dies entspricht aber nicht dem Charakter der Grundrechte, die als Individualrechte konzipiert sind. Um die Allgemeinwohlbelange zur Geltung zu bringen, finden sich im Fachrecht umfangreiche Ansätze. 2. Haftungsrechtliche Ausgestaltung Ein weiterer Vorschlag, der im Vorfeld der Schaffung der heutigen Staatszielbestimmung gemacht wurde, ist die Einführung eines Umwelthaftungsgrundsatzes in das Grundgesetz: „Für immissionsbedingte Schäden haftet der Bund, sofern nicht die gesetzliche Haftpflicht des Verursachers oder eines Entschädigungsfonds eingreift. Ein Schaden gilt als immissionsbedingt, wenn die Einwirkung von Immissionen auf die geschädigte Person oder Sache feststeht und andere Schadensursachen nicht nachgewiesen werden können.“ 2429

Diese Konstruktion böte den Vorteil, dass Umweltschutz ökonomisch und fiskalisch durchsetzbar wäre. Dem großen Defizit des heutigen Umweltverfassungsrechts, seine geringe Durchschlagskraft vor Gericht, sollte mit dieser Bestimmung begegnet werden. Der Bund könnte sich aus seiner Haftungspflicht befreien, in dem er diese durch einfaches Gesetz an den Verursacher weitergibt. Zwischenzeitlich ist mit dem Umwelthaftungsgesetz eine beschränkte einfachgesetzliche Haftpflicht des Verursachers eingeführt worden, die nur für die in Anhang 1 zum UmweltHG genannten Anlagen gilt und für Sachschäden nach § 5 UmweltHG eingeschränkt ist, wenn die Anlage bestimmungsgemäß betrieben wurde. Die vorgeschlagene verfassungsrechtliche Umwelthaftungsnorm wäre hingegen umfassender gewesen und hätte auch Schäden aus beispielsweise Straßenverkehr und Fluglärm abgedeckt. Dadurch, dass der Schadensersatz nicht auf bestimmte Rechtsgüter wie Leben oder Eigentum beschränkt ist, würde sich der Ersatzanspruch nach der Differenzhypothese bestimmen, also auch reine Vermögensschäden einschließen. Solche, letztendlich zivilrechtliche Regelungen in die Verfassung aufzunehmen, erscheint nicht zweckmäßig. Die inhaltliche Zielsetzung der vorgeschlagenen Verfassungsänderung ließe sich einfacher durch eine Ergänzung des zwischenzeitlich inkraftgetretenen Umwelthaftungsgesetzes erreichen. 2426

Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 93. Czybulka, in: GS Jeand’Heur, S. 94. Eine solche wäre in der deutschen Rechtsordnung keinesfalls präzedenzlos, wie die Existenz der bayerischen Popularklage zeigt; siehe hierzu ausführlich Schlacke, Überindividueller Rechtsschutz, S. 154 ff. 2428 Kloepfer, DVBl. 1988, 305 (314). 2429 Murswiek, ZRP 1988, 14 (19). 2427

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5. Kap.: Ausblick

III. Fazit Materiell-rechtlich ist der anthropozentrische Umweltschutz durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten umfassend garantiert. Ein Grundrecht auf Umweltschutz würde kaum eine Erweiterung der bestehenden grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zur Folge haben. Als Auffangtatbestand schützt Art. 20a GG die Natur und die Tiere auch um ihrer selbst Willen. Eine Erweiterung der bestehenden verfassungsrechtlichen Pflichten ist deshalb nicht erforderlich. Das bestehende Schutzdefizit liegt vielmehr in einem Vollzugsdefizit aufgrund formeller und prozessualer Regelungslücken. Eine Erweiterung der verfassungsprozessualen Möglichkeiten würde eher Not tun, als die Ergänzung des Grundgesetz um weitere wohlklingende Staatszielbestimmungen. Dem Einzelnen steht zwar mit der Verfassungsbeschwerde die Möglichkeit zu, ein Unterlassen des Gesetzgebers anzugreifen. Dabei muss aber die subjektive Rechtsverletzung eines Grundrechts geltend gemacht werden können. Wie auch im einfachen Recht bewirkt die Fokussierung auf die subjektive Rechtsverletzung im Verfassungsrecht, dass Gemeinwohlbelange, um die es sich bei Umweltschädigungen häufig handelt, wenig durchsetzungsstark vor den Gerichten sind. Wie gezeigt, bieten auch die objektiven Verfahrensarten keinen lückenlosen Schutz. Im Verwaltungsrecht hat die Verbandsklagebefugnis zu großen Fortschritten in der Durchsetzung des Umweltrechts geführt. Zwar war die Implementierung dieser Klageart in die auf subjektiver Klagebefugnis beruhende deutsche Verwaltungsrechtsdogmatik nicht widerspruchsfrei möglich. Der Vorgang hat aber gezeigt, dass Verbandsklagen auch im hiesigen Rechtsschutzsystem ihren Platz finden können. Ob man die Verbandsklage auf über den Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 S. 1 UmwRG hinausgehende Bereiche erstrecken möchte, ist letztlich eine politische Frage. Auch wenn sich aus den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten durchaus Verfahrenspflichten ergeben, sind diese aus sich heraus nicht in einem Maße präzisierbar, dass sich hieraus konkrete Vorgaben für die Fortschreibung des Prozessrechts ergeben würden.2430 Genauso ist die Frage, ob man über die in § 2 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 UmwRG genannten verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Verbänden die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde gegen die letztinstanzliche Entscheidung eröffnen sollte, nicht durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten determiniert. Jene, die meinen, im unzureichenden Umweltschutz, insbesondere dem Klimaschutz, ein Versagen der demokratischen Strukturen zu erkennen, blicken oft voller Hoffnung auf die Verfassungsgerichte. Deren Aufgabe ist es jedoch nicht, 2430 Eine Reform des Verfassungsprozessrechts, um die aufgezeigten Lücken im Bereich der objektiven Verfahren zu schließen, muss weiteren Bearbeitungen vorbehalten bleiben.

C. Deutet das Verfassungsrecht über sich selbst hinaus?

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einen möglichst schonenden Transformationsprozess hin zu einer nachhaltigen Bewirtschaftung der Umwelt anzustoßen. Durch das Untermaßverbot greift die grundrechtliche Umweltschutzpflicht vor dem Bundesverfassungsgericht erst, wenn sich der noch zulässige Handlungskorridor soweit verengt hat, dass die jetzt noch zu ergreifenden Maßnahmen sich als offensichtlich aufdrängen. Anders ist dies im parlamentarischen Prozess der Gesetzgebung. Hier wirken die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten als starker Rechtfertigungsgrund für Grundrechtseingriffe gegenüber den Umweltschädigern. Sie eröffnen den demokratisch legitimierten Organen daher einen weiten Gestaltungsspielraum, den sie nutzen können, um die tiefgreifenden rechtlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen umzusetzen, die nötig sein werden, um die natürliche Umwelt langfristig in einem den menschlichen Zwecken entsprechenden Zustand zu erhalten.

C. Deutet das Verfassungsrecht über sich selbst hinaus? Das Verfassungsrecht bietet keine ausreichende Basis, um alle Probleme, die durch seine Gewährleistungen aufgeworfen werden, einer befriedigenden Lösung zuzuführen. Dort, wo die Grundrechtsgefährdung einen globalen Maßstab annimmt, muss eine nationale Verfassung an ihre Grenzen stoßen. Das dem Grundgesetz innewohnende Ideal des menschenwürdigen Lebens für Jeden muss deshalb nicht preisgegeben werden. Die Integrationsoffenheit des Grundgesetzes, also die Möglichkeit durch Kooperation mit anderen Staaten und internationalen Organisationen die Konzeption von Hoheitsgewalt in internationalem Maßstab fortzuentwickeln, ist kein Fremdkörper in der Konzeption der Verfassung, sondern eine Strebetendenz. Da sich die grundrechtlichen Verbürgungen in ihrer Schutzpflichtendimension im Umweltbereich auf nationalstaatlicher Ebene nicht ausreichend garantieren lassen, bedarf es der internationalen Kooperation.2431 Wie auch bei inländischen Staatshandeln kommt bei der Ausübung der auswärtigen öffentlichen Gewalt den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten eine Rechtfertigungsfunktion beim Eingriff in Grundrechte, insbesondere in wirtschaftliche Freiheiten, zu.2432 Dort, wo der Abschluss internationaler Verträge nicht den Umweltschutz bezweckt, etwa bei Handelsabkommen, drängen die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zur Geltung. Die privaten Wirtschaftsakteure müssen mittels der in die Handelsabkommen aufzunehmende Umweltstandards in hinreichendem Maße für den Umweltschutz in die Pflicht genommen werden. Der deutsche Staat darf sich nicht an internationalen Organisationen oder Übereinkünften beteiligen, durch die ein Umweltschutzniveau verursacht wird, das wesentlich unter dem des durch die deutschen Grundrechte Gebotenen liegt. Die 2431 2432

Keller/Kapoor, BB 2019, 706 (712). Hierzu 3. Kapitel B. V. – „Schutzpflichten als Grundrechtsschranke“.

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5. Kap.: Ausblick

grundrechtlichen Umweltschutzpflichten geben dem Bundesverfassungsgericht somit die Möglichkeit, internationale Abkommen darauf zu überprüfen, ob der Umweltschutz hinreichende Berücksichtigung gefunden hat, um Schäden an den grundrechtlich geschützten Gütern,2433 nicht nur im deutschen Hoheitsbereich, zu verhindern.2434 Schwieriger gestaltet sich die Überprüfung, wenn es um den Abschluss von dezidierten Umweltschutzabkommen geht. Werden hier die Standards aus grundrechtlicher Perspektive zu niedrig gesetzt, kann die Folge der Verfassungswidrigkeit nicht die Nichtigkeit sein.2435 Welchen Inhalt die Umweltabkommen zwischen den Staaten haben, hängt bei weitem nicht vom deutschen Verfassungsrecht ab. Oft müssen niedrigere Standards akzeptiert werden, um Abkommen zu retten, die sonst nicht zustande gekommen wären. Wie oben bereits gezeigt, kommt der auswärtigen Gewalt ein besonders umfangreicher Gestaltungsspielraum zu.2436 Wohl besteht aber eine Pflicht auf die Einführung internationaler Standards im Umweltbereich hinzuwirken. In vielen Bereichen ist noch nicht das Nötige erreicht worden, um eine langfristige menschenwürdige Existenzgrundlage auf dem Planeten zu bewahren.2437 Die Überfischung der Meere, der menschliche Einfluss auf den Klimawandel, die Vermüllung der Natur mit nicht abbaubaren und zum Teil giftigen Stoffen, das globale Artensterben oder der Raubbau an nicht regenerativen Ressourcen bilden Ansatzpunkte, um eine gerichtliche Beweisaufnahme darüber zu führen, ob die bisher getroffenen Maßnahmen gemessen an den oben aufgezeigten Maßstäben, inbesondere dem Abstandsgebot,2438 ausreichend sind.2439

2433

Hierzu 2. Kapitel D. – „Schutzbereiche der Einzelgrundrechte“. Hierzu 2. Kapitel C. I. – „Räumliche Dimension“. 2435 Genauso verhält es sich bei rein nationaler begünstigender Gesetzgebung, wenn die Aufhebung zu einem der Verfassung noch ferner stehenden Zustand führen würde, vgl. 4. Kapitel D. V. – „Tenorierung“. 2436 Hierzu 2. Kapitel B. II. 2. – „Schutz vor ausländischen Staaten“. 2437 Zur intertemporalen Umweltgerechtigkeit siehe auch 2. Kapitel C. III. – „Zeitliche Dimension“ sowie 3. Kapitel B. III. 1. b) – „Nachhaltigkeitsprinzip“. 2438 3. Kapitel B. III. 1. d) – „Abstandsgebot“. 2439 Zweifel hinsichtlich der Einhaltung des Abstandsgebotes Calliess, ZUR 2019, 385 (386); Hofmann, NVwZ 2019, 1145 (1145). 2434

6. Kapitel

Zusammenfassung Einleitung und Begriffsbestimmungen Der Umweltbegriff, wie er dieser Arbeit zugrunde liegt, beschränkt sich auf die natürliche Umwelt des Menschen. Unter Umwelt sind demnach die Umweltmedien Boden, Luft und Wasser als die natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen zu verstehen sowie die Beziehung der nicht-menschlichen Lebewesen untereinander und zum Menschen. Grundrechtliche Umweltschutzpflichten können sich aus einer Vielzahl von Menschen- und Grundrechtskatalogen ergeben und auf verschiedenen Ebenen des hoheitlichen Handelns Bedeutung erlangen. Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung wird der Fokus auf die Grundrechte des Grundgesetzes und die sich daraus ergebenden Umweltschutzpflichten für die Staatsorgane der Bundesrepublik verengt. 1. Kapitel – Herleitung der grundrechtlichen Schutzpflichten Obschon die Existenz grundrechtlicher Schutzpflichten im Allgemeinen kaum noch bestritten wird, herrscht bezüglich ihrer verfassungsrechtsdogmatischen Herleitung nach wie vor Uneinigkeit. Gewichtige Stimmen betrachten die Schutzpflicht weniger als Ausfluss der Grundrechte, sondern vielmehr als den ureigensten Zweck des Staates, dessentwegen sich die Menschen überhaupt erst zu solchen zusammengeschlossen hätten. Demgegenüber möchte die rechtspositivistische Schule nur streng am Wortlaut orientierte Herleitungen gelten lassen. Verwandt hiermit ist die kaum noch in Reinform anzutreffende abwehrrechtliche Einheitstheorie, die die Existenz von grundrechtlichen Schutzpflichten bestreitet. Über eine extensive Interpretation der Grundrechte als Abwehrrechte kommt sie aber in vielen Fällen zu identischen Ergebnissen. Das Bundesverfassungsgericht stützt sich abwechselnd auf eine am Schutz der Menschenwürde orientierte Herleitung als auch auf die tradierte Wertordnungsrechtsprechung. Letztere findet sich schon früh in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung und ist seither in der Literatur kritisch begleitet worden. Mittels der Diskurstheorie lassen sich die unterschiedlichen Theorien als unterschiedliche Betrachtungsweisen derselben Sache miteinander vereinen, so dass die Theorien nur dort diskutiert werden müssen, wo sich nicht nur unterschiedliche, sondern unvereinbare Ergebnisse aus ihnen ergeben. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass die grundrechtlichen Schutzpflichten aus dem grundrechtsdogmatischen Diskurs nicht mehr wegzu-

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6. Kap.: Zusammenfassung

denken sind. Sie stellen in einer Gesellschaft, in der Gefahren für den Einzelnen immer öfter von Privaten und nicht vom Staat ausgehen, einen unverzichtbaren Begründungstopos des Bundesverfassungsgerichts dar. 2. Kapitel – Tatbestand grundrechtlicher Umweltschutzpflichten Unmittelbar verpflichtet werden durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten nur die Träger hoheitlicher Gewalt, nicht jedoch Private. Gegenüber diesen entfalten die Grundrechte in dieser Konstellation allerdings mittelbare Drittwirkung. Die Umweltschutzpflichten wirken nicht nur dort, wo Störungen von Privaten ausgehen, sondern auch dann, wenn die Ursache der Störung unbekannt ist, keiner konkreten Person zugeordnet werden kann oder es sich um zufällige Naturereignisse handelt, durch die ein grundrechtlich geschütztes Gut bedroht wird. Die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten bestehen grundsätzlich auch außerhalb des Territorialbereichs der Bundesrepublik Deutschland. Liegt die Ursache für eine Schädigung im Inland, der Geschädigte befindet sich aber im Ausland, besteht die Schutzpflicht, genauso wie im umgekehrten Fall. Der wesentliche Unterschied besteht darin, dass der Staat gegenüber Störern im Ausland nicht zu hoheitlichem Handeln befugt ist, weshalb ein solches aus den Schutzpflichten heraus nicht verlangt werden kann. Auch Ausländer können sich auf die meisten grundrechtlichen Umweltschutzpflichten berufen, da die meisten umweltrelevanten Grundrechte als Jedermannsrechte ausgestaltet sind, wohingegen die reinen Deutschengrundrechte hier nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. Durch die Ausgestaltung der Grundrechte als Menschenrechte erzeugen diese einen anthropozentrischen Umweltschutz. In zeitlicher Hinsicht erzeugen die Grundrechte künftiger Generationen, vermittelt über die Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes, bereits eine Vorwirkung, so dass auch die Interessen künftiger, jetzt noch nicht geborener Menschen Berücksichtigung finden. Aus der Verfassung ergibt sich kein reines Umweltgrundrecht. Auch die Staatszielbestimmung des Art. 20a GG stellt kein solches dar. Sie führt sogar manchenorts zu einer Schwächung des verfassungsrechtlichen Umweltschutzes. Wegen der objektiv-rechtlichen Ausgestaltung der Staatszielbestimmung entsteht mancherorts das Missverständnis, dass Umweltschutz auf Verfassungsebene grundsätzlich nicht einklagbar sein soll. Tatsächlich handelt es sich nur um einen Auffangtatbestand mit geringem verbleibenden Schutzbereich, sofern die spezielleren Grundrechte zuvor genau auf ihren subjektiv-rechtlichen Umweltschutzgehalt untersucht worden sind. Die Ableitung des „ökologischen Existenzminimums“ aus Art. 1 Abs. 1 GG garantiert ein Mindestmaß an Umweltschutz. Wegen des wenig konkreten

6. Kap.: Zusammenfassung

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Schutzbereichs wird eine Verletzung desselben aber auf Extremfälle beschränkt bleiben. Zudem wird gewarnt, die Menschenwürde nicht zur „kleinen Münze“ verkommen zu lassen und sie gerade auch wegen der Rechtsfolge der Unabwägbarkeit nur sparsam einzusetzen. Konkreter und für die Praxis wesentlich bedeutender ist das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, das deshalb auch schon als Ersatz für das fehlende Umweltgrundrecht bezeichnet wurde. Gerade im Bereich der Abwehr schädlicher Umwelteinwirkungen spielt dieses Grundrecht auf Betroffenenseite eine wesentliche Rolle und ist hier regelmäßig gegen die Berufsfreiheit des Anlagenbetreibers abzuwägen. Vermittelt über den Gesundheitsbegriff und die Bedeutung der psychischen Gesundheit für das physische Wohlbefinden ist aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sogar ein Recht auf ein Mindestmaß an Naturgenuss abgeleitet worden. Die absolute Verletzungsgrenze wird freilich nur in Ausnahmefällen überschritten. Nichtsdestoweniger kann das Grundrecht als Rechtfertigungsgrund für die Beschränkung anderer Grundrechte herangezogen werden. Die geistigen und politischen Freiheitsrechte haben nur am Rande einen Umweltbezug. Von weitaus größerer Durchschlagskraft sind die wirtschaftlichen Grundrechte, auch wenn diese häufig als in einem strikten Gegensatz zum Umweltschutz stehend gesehen werden. Die Schutzpflicht zu Gunsten der Berufsausübung kann zu einem Recht auf Schutz und Erhalt der Umweltnutzungsfreiheit führen. Hier zeigt sich in besonderem Maße die anthropozentrische Ausrichtung der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten. Es wird die natürliche Umwelt dort geschützt, wo die Menschen ein Interesse an einer langfristigen Nutzungsperspektive haben. Über die Vermittlung durch das Eigentum partizipieren einzelne Umweltgüter am Grundrechtsschutz. Das Eigentum kann deshalb auch als Instrument des Umweltschutzes verstanden werden, weil der Eigentümer ein natürliches Interesse am Substanzerhalt des Eigentumsgegenstandes hat. Anders als die herrschende Meinung unter Führung des Bundesverfassungsgerichts annimmt, kommt auch dem Recht auf Freizügigkeit eine negative Komponente zu. In das Recht, von einem Ort nicht fortziehen zu müssen, darf nur innerhalb der dort genannten Schranken eingegriffen werden. Auch das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung enthält einen Umweltbezug, da es die Auswirkungen schädlicher Umwelteinwirkungen zusätzlichem Rechtfertigungszwang unterwirft. In den meisten Fällen tritt dieses Recht aber hinter das spezielle Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit zurück. Auf abstrakter Ebene lässt sich zwischen den Grundrechten eine zumindest grob gegliederte Rangfolge erkennen. An oberster Stelle steht die abwägungsfeste Menschenwürde. Daran anschließend folgt das Leben als höchstes abwägbares Grundrecht. Zwar steht dieses nur unter einfachem Gesetzesvorbehalt, jedoch ist es Voraussetzung für die Ausübung aller anderen Grundrechte, weshalb diesem in der Abwägung abstrakt ein besonders hoher Rang zukommt. Auf drit-

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6. Kap.: Zusammenfassung

ter Stufe folgen die übrigen Grundrechte, bei denen zwischen reversiblen und irreversiblen Rechten unterschieden werden kann. Auch das Bundesverfassungsgericht scheint einer solchen Einordnung zu folgen, wenn es in Bezug auf Grundrechte von „hohen“ und andererseits von „höchsten“ Verfassungsgütern spricht. Die Schlussfolgerungen aus dieser Erkenntnis dürfen aber nicht überspannt werden. Denn eine abstrakte Höherwertigkeit bedeutet nicht, dass sich das im konkreten Fall stärker und mit höherer Wahrscheinlichkeit betroffene, abstrakt auf niedriger Ebene stehende Grundrecht gegen das schwächer und nur im unwahrscheinlichen Fall überhaupt betroffene höherwertige Grundrecht in einer Gesamtabwägung nicht durchsetzen könnte. Relevant wird die abstrakte Wertigkeit in Kombination mit der konkreten Betroffenheit und der Wahrscheinlichkeit einer Schädigung bei der Frage der Auslösung der grundrechtlichen Schutzpflichten. Einigkeit besteht darüber, dass weder verlangt werden kann, dass ein Schaden für ein grundrechtliches Gut mit Sicherheit droht, noch, dass bereits jede noch so unwahrscheinliche Schädigung genügt. Zwischen diesen beiden Extremen ist der kontingente Risikobegriff entwickelt worden, um abstrakte Abstufungen der Wahrscheinlichkeit der Schutzgutschädigung zu beschreiben und Rechtsfolgenkategorien ableiten zu können. 3. Kapitel – Analyse der Rechtsfolgenseite Die Rechtsfolgen grundrechtlicher Umweltschutzpflichten lassen sich in verschiedener Art und Weise kategorisieren. Unterschieden wird zwischen primären und sekundären, aber auch zwischen grundrechtsunmittelbaren und gesetzesmediatisierten Schutzpflichten. Teilweise wird auch nach adressierter Staatsgewalt abgegrenzt. Wegen der Vielfältigkeit der mittlerweile entdeckten Schutzpflichtenfunktionen verfolgt die vorliegende Arbeit eine funktionale Systematisierung der Rechtsfolgenseite. Grundrechtliche Umweltschutzpflichten richten sich primär an den Gesetzgeber als Koordinator der grundrechtlichen Freiheitssphären, der die für die Grundrechtsverwirklichung erheblichen Entscheidungen selbst zu treffen hat. Es ergeben sich somit Regulierungsaufträge aus den Schutzpflichten. Inhaltlich werden diese durch die umweltrechtlichen Grundprinzipien konkretisiert. Diese Grundprinzipien stehen zum Teil, wie gezeigt werden konnte, selbst unmittelbar im Verfassungsrang, weil sie sich als grundrechtliche Gebote herleiten lassen. Dort wo dem Gesetzgeber oder untergesetzlichen Normgeber eine Vielzahl von Möglichkeiten zur Schutzpflichtenerfüllung zukommt, kann das Verfassungsrecht keine bestimmte Entscheidung determinieren. Es hat sich deshalb das Institut des Grundrechtsschutzes durch Verfahren etabliert, das in diesem Bereich die ausreichende Berücksichtigung und Kontrollierbarkeit der Schutzpflichten sicherstellen soll. Daneben treten die Überprüfungs- und Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers. Eine zu einem bestimmten Zeitpunkt verfassungsgemäß bestehende Rege-

6. Kap.: Zusammenfassung

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lung kann sich durch die Änderung äußerer Umstände als nachträglich verfassungswidrig erweisen. Die Beobachtungspflicht kann auf die Exekutive übertragen werden. Bei der Nachbesserung kann eine Übertragung von Regelungskompetenz an die Exekutive einem dynamischen Grundrechtsschutz dienen. Es muss aber insgesamt der Wesentlichkeitsgrundsatz beachtet werden, der verlangt, dass der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Entscheidungen selbst trifft. Auch bei der Konkretisierung und Überprüfung unbestimmter Rechtsbegriffe darf der Gesetzgeber die anderen Gewalten nicht in einem dauerhaften Erkenntnisvakuum belassen. Ist eine Frage in der Fachwissenschaft umstritten, muss der Gesetzgeber Maßstäbe entwickeln, wie die daran anknüpfenden Rechtsfragen zu beurteilen sind. Dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes kommt für den Schutzauftrag gegenüber der Exekutive besondere Bedeutung zu. An sie richtet sich die grundrechtliche Schutzpflicht zum einen mittelbar dadurch, dass sie an die Gesetze gebunden ist, die die Legislative zur Erfüllung ihrer Schutzpflichten erlässt. Zum anderen unmittelbar dort, wo der Gesetzgeber der Verwaltung im Rahmen von Ermessen und Beurteilungsspielräumen die Möglichkeit zur Feinsteuerung im Einzelfall einräumt. Hier wirken grundrechtliche Umweltschutzpflichten als Ermessensdirektiven. Sie leiten das Ermessen, können einer unbestimmten Ermessensnorm aber auch weitere Ermessenszwecke hinzufügen. Umso unbestimmter die Ermessensnorm gefasst ist, umso offener ist sie für den Einfluss grundrechtlicher Erwägungen. Im Extremfall kann der Einfluss grundrechtlicher Umweltschutzpflichten zu einer Ermessensreduzierung auf Null führen. Außerhalb des Bereichs der Eingriffsverwaltung ist auch grundrechtsunmittelbare Verwaltungstätigkeit möglich und zum Teil geboten. Durch Informationstätigkeit des Staates, die Verwirklichung seines Bildungsauftrages oder durch lenkende Subventions- und Leistungsverwaltung können grundrechtliche Umweltschutzbelange umgesetzt werden, ohne in die Abwehrrechte Dritter einzugreifen. In Ausnahmefällen kommt Verwaltung und Gerichten eine grundrechtsunmittelbare Notbefugnis zu. Diese darf aber nicht verwechselt werden mit einer Normerzeugungsbefugnis, da die im Einzelfall getroffene Maßnahme kein abstraktgenerelles Präjudiz darstellen darf und ein Handeln des Gesetzgebers weiterhin geboten bleibt. Die Gerichte werden durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten in ihrer Aufgabe als Kontrollinstanz adressiert. Außerdem dienen sie ihnen als Maßstäbe bei der Rechtserkenntnis. Es werden alle drei Staatsgewalten auf Bundes- wie auch auf Landesebene nach ihren spezifischen Funktionen, Aufgaben und Kompetenzen adressiert. Im Falle einer legislativen Schutzpflichtenverletzung kommt ausnahmsweise eine streng umrissene temporäre Notbefugnis zur Normergänzung von Exekutive und Judikative in Betracht.

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6. Kap.: Zusammenfassung

4. Kapitel – Gerichtliche Durchsetzbarkeit verfassungsrechtlicher Pflichten im demokratischen Rechtsstaat In die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten wird zum einen die Hoffnung gesetzt, es könnten sich verkrustete politische Strukturen damit aufbrechen lassen. Zum anderen wird befürchtet, dass die Demokratie Schaden nehmen könnte, wenn dem Parlament durch das Bundesverfassungsgericht die Umweltpolitik diktiert würde. Eine nüchterne Analyse ergibt, dass beide Befürchtungen unzutreffend sind. Zum einen ist das Bundesverfassungsgericht schon angesichts der Vielfalt seiner Aufgaben bei gleichzeitig knappen Kapazitäten nicht in der Lage, das Parlament zu ersetzen. Zum anderen ist die Gewaltenteilung kein Prinzip, das strikt voneinander getrennte, monolithisch errichtete Staatsgewalten vorsieht, sondern ein Prinzip der wechselseitigen Gewaltenverschränkung – so nimmt das Parlament selbst Kontrollaufgaben wahr, die Exekutive betätigt sich in der Normsetzung und Gerichte fungieren teilweise als Verwaltungsbehörden. Dass das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe hat, die Gesetzgebungstätigkeit zu überwachen, ist kein Widerspruch zum Demokratieprinzip, sondern gerade Ausdruck dessen. Das Gericht kommt seiner Kontrollfunktion nicht von Amts wegen nach, sondern in enumerativ aufgezählten Verfahren. Als subjektives Verfahren hat die Verfassungsbeschwerde den am breitesten bemessenen möglichen Beschwerdegegenstand. Es kann auch ein vollständiges Unterlassen des Gesetzgebers angegriffen werden. Der prozessuale Flaschenhals besteht hier in der Rechtswegerschöpfung und der Beschwerdebefugnis. Die Verfassungsbeschwerde ist auf den Rechtskreis des Beschwerdeführers beschränkt. Das hohe Maß an Kontrolltiefe wird durch eine geringere Kontrollbreite in dieser Verfahrensart ausgeglichen. Auch in fachgerichtlichen Verfahren können die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten zur Geltung kommen. Vor der Erhebung einer Verfassungsbeschwerde mit der Behauptung, der Gesetzgeber habe es schutzpflichtenwidrig unterlassen, eine schützende Regelung zu erlassen, hat die Fachgerichtsbarkeit die Aufgabe, die einfache Rechtslage gründlich nach möglichen Anspruchs- und Ermächtigungsgrundlagen abzutasten, mit denen dem klägerischen Begehren doch noch abgeholfen werden kann. Daneben stehen die objektiven Verfahrensarten, in denen die Zulassungsvoraussetzungen niedriger sind. Dafür ist der Kreis möglicher Antragsteller beschränkt. Noch schwerer wiegen die Einschränkungen beim Verfahrensgegenstand. In keinem objektiven Verfahren ist es möglich, ein echtes Unterlassen des Gesetzgebers zu rügen. Vielmehr können nur bestehende, schutzlückenhafte Gesetze vorgelegt werden. Den Gesetzgeber zum erstmaligen Tätigwerden zu animieren, kann nur der Bürger mittels der Verfassungsbeschwerde. Das Bundesverfassungsgericht schränkt die tatbestandliche Weite der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten dadurch ein, dass es rechtsfolgenseitig dem

6. Kap.: Zusammenfassung

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Gesetzgeber einen äußerst weiten Einschätzungs-, Gestaltungs- und Ermessensspielraum bei der Umsetzung zugesteht. Die damit verbundene Evidenzkontrolle, wonach eine Schutzpflichtenverletzung nur erkannt werden kann, wenn der Gesetzgeber entweder untätig geblieben ist oder nur völlig unzureichende Maßnahmen getroffen hat, ist wiederholt auf Kritik gestoßen. Bei einer derart komplexen Regelungsmaterie wie dem Umweltrecht ist eine absolute Nullmaßnahme fast nie anzutreffen. Deshalb wird als alternativer Ansatz, angelehnt an das etablierte Übermaßverbot, das Untermaßverbot für die Überprüfung der Schutzpflichtenerfüllung vorgeschlagen. Übermaß- und Untermaßverbot bilden in ihrem Zusammenspiel den grundsätzlich breiten Korridor für politisches Gestalten. 5. Kapitel – Ausblick Umweltklagen im Allgemeinen und Klimaklagen im Besonderen wird von verschiedenen Seiten gesteigerte Bedeutung in der Zukunft prognostiziert. In Deutschland hat der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2021, der zum Abschluss dieser Arbeit im Dezember 2019 noch nicht vorlag, für Aufsehen gesorgt. Insbesondere im anglo-amerikanischen Rechtsraum ist im Bereich der Instanzgerichte eine große Vielfalt an Klimaklagen auszumachen. Für den zivilrechtlichen Klageweg sehen gewichtige Stimmen in der Literatur das deutsche Delikts- und Prozessrecht nicht als fähig an, zwischen den Interessen der Schädiger und denen der Geschädigten ausreichend zu vermitteln. Die Geschädigten tragen den Schaden, während die Schädiger sich in der Masse der Vielzahl an Emittenten verstecken können. Teils wird in diesem Haftungsdefizit eine mittelbare Verletzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten gesehen. Vorschläge zur Fortschreibung des Umweltverfassungsrechts haben nach wie vor Konjunktur. Einige der Vorschläge bewegen sich im Bereich der politischen Programmsätze, denen, auch in den Rang des Verfassungsrechts erhoben, nur wenig rechtliche Steuerungswirkung zukäme. Andere Vorschläge, wie die dynamische Inkorporation des Umweltvölkerrechts, sind schon verfassungsrechtlich, wegen des Verbots der Verfassungsdurchbrechung, unzulässig. Weitere Vorschläge, wie der einer Ausweitung des zivilrechtlichen Umwelthaftungsrechts, ließen sich genauso effektiv aber sachnäher im einfachen Recht verwirklichen. Viele der gemachten Vorschläge sind erkennbar von dem Willen getragen, den Umweltschutz durch eine stärkere verfassungsgerichtliche Kontrolle zu intensivieren. Eine intensivere Kontrolle scheitert bisher aber nicht an den fehlenden materiellen Prüfungsmaßstäben. Durch die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten wird ein umfassender anthropozentrischer Umweltschutz vorgezeichnet. Die begrenzte Durchsetzungskraft dieser Schutzpflichten erklärt sich vielmehr durch die begrenzten Möglichkeiten des Verfassungsprozessrechts. Es wäre vorstellbar, für den Bereich des Umweltverfassungsrechts eine Verbandsklage zu schaffen, um der begrenzten Überprüfbarkeit des Umweltverfassungsrechts ent-

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6. Kap.: Zusammenfassung

gegenzuwirken. Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass das eng zugeschnittene Verfassungsprozessrecht zum einen Ausdruck des Gewaltenteilungsgrundsatzes und des Demokratieprinzips ist und zum anderen den Funktionsgrenzen des Gerichts geschuldet. Hinzu kommt, dass die Vollstreckbarkeit von Urteilen gegen den Gesetzgeber wegen der Freiheit des Abgeordnetenmandats faktisch nicht gegeben ist. Auch eine Ausweitung der Beschwerdebefugnisse würde hieran nichts ändern. Weitaus größer als das Maß des einklagbaren Umweltschutzes ist der Gestaltungsspielraum, der der Exekutive wie auch der Legislative bei der Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen zukommt. Hier dienen die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten als verfassungsrechtliche Rechtfertigung auf hoher und höchster abstrakter Stufe, weshalb andere grundrechtliche Interessen, insbesondere wirtschaftlicher Art, zurückgedrängt werden können.

7. Kapitel

Nachwort Zwischen der Fertigstellung der Arbeit im Dezember 2019 und dem Abschluss des Promotionsverfahrens im Juli 2021 haben sich die Ereignisse in mancherlei Hinsicht sprichwörtlich überschlagen. So brach im Jahr 2020 eine zu unseren Lebzeiten bisher beispiellose Pandemie über die Welt herein, die an den Grundrechten keineswegs spurlos vorüberzog. Die grundrechtsdogmatische Aufarbeitung der Ereignisse wird die Rechtswissenschaft auch nach Ende der pandemischen Lage noch lange beschäftigen. Der Infektions- und Seuchenschutz gehörte bisher nicht zu den Kernmaterien des Umweltrechts,2440 weshalb die Behandlung dieses komplexen Themas einer gesonderten Bearbeitung vorbehalten bleibt. In der ersten Jahreshälfte 2021 entschied das Bundesverfassungsgericht über die sogenannten „Klimaschutzklagen“ – mehrere Verfassungsbeschwerden, die von einer Vielzahl unterschiedlicher Kläger erhoben wurden. Beide Ereignisse sind von hoher Relevanz – nicht nur für die vorliegende Arbeit. So kamen neue Erkenntnisse hinzu, die für eine Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten im Allgemeinen und der Umweltschutzpflichten im Besonderen eine Rolle spielen. Aus Sicht des Verfassers ist es erfreulich, dass sich die in dieser Arbeit dargelegten Ergebnisse weitgehend bestätigen. Dies zeigt, dass die sorgsame Auswertung von jahrzehntelang entwickelter Grundrechtsdogmatik zu durchaus belastbaren Ergebnissen führt. Sogar ein pandemisches Jahrhundertereignis und eine verfassungsgerichtliche Meilensteinentscheidung führten nicht dazu, dass die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit grundlegend in Frage gestellt werden müssten. Vielmehr ist es erstaunlich, wie hochaktuell sich gerade die verfassungsrechtlichen Klassiker, denen zum Teil ein angebliches Dasein im Elfenbeinturm vorgeworfen wurde, in Krisen- und Umbruchszeiten erweisen.2441 Nichtsdestoweniger ist die Flut von gerichtlichen Entscheidungen, aber auch Literaturstimmen zu grundrechtsdogmatischen Fragen seit letztem Jahr kaum

2440 Teils wird das Infektionsschutzrecht dem öffentlichen Gesundheitsrecht als eigenes Rechtsgebiet zugeordnet, Axer, in: HStR IV, § 95 Rn. 43. Teils wird der Begriff des Umweltrechts entsprechend weit gefasst und das Infektionsschutzrecht hinzugezählt, Schlacke, Umweltrecht, § 2 Rn. 21. Im umfassenden Standardwerk Kloepfer/Neugärtner, Umweltrecht, § 1 Rn. 68 wird das Infektionsschutzrecht hingegen nicht zum Umweltrecht gezählt und auch sonst quasi nicht behandelt. 2441 Schneider, in: FS für Scholz, S. 109.

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7. Kap.: Nachwort

noch zu überblicken und wird Stoff für viele weitere rechtswissenschaftliche Arbeiten bieten. Etwa 30 Veröffentlichungen zum Klimabeschluss alleine in den ersten sechs Monaten nach seiner Veröffentlichung liegen bisher vor.2442 Es handelt sich bei den grundrechtlichen Schutzpflichten um einen der großen juristischen Problemkreise unserer Zeit – in der konkreten praktischen Anwendung wie auch in Bezug auf abstrakte dogmatische Fragen. Die Nachauflage dieser Arbeit zur Drucklegung erfolgt in Erwägung des Vorstehenden in Form dieses Nachworts, in dem der Klimabeschluss gewürdigt und in einen Bezug zur vorliegenden Monografie gesetzt wird.

A. Der Klimabeschluss Am 24. März 2021 erklärte das Bundesverfassungsgericht das Bundes-Klimaschutzgesetz vom 12. Dezember 2019 für mit den Grundrechten unvereinbar und verpflichtete den Gesetzgeber zur Neuregelung. Im Klimabeschluss beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht ausführlich mit den grundrechtlichen Schutzpflichten. Diese wurden an mehreren Stellen relevant. Zum einen leitete das Bundesverfassungsgericht die Beschwerdebefugnis der Beschwerdeführer gestützt auf die subjektiv-rechtlichen Umweltschutzpflichten her, wie sie aus den Grundrechten entspringen. Zum anderen beschäftigte es sich mit der Frage, ob die grundrechtlichen Umweltschutzpflichten bereits heute durch den fortschreitenden Klimawandel verletzt seien, was im Ergebnis verneint wurde. Zum Dritten ging es der Frage nach, unter welchen Voraussetzungen eine Verletzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten in Zukunft zu erwarten sei. Hier kam man zu dem Ergebnis, dass ein Untätigbleiben des Gesetzgebers angesichts der prognostizierten Klimaschäden eine Schutzpflichtverletzung in der Zukunft erwarten lasse, weshalb bereits heute ein Tätigwerden geboten sei. Ansonsten laste die freiheitsbeschränkende Hauptlast der Treibhausgasemissionsreduktion auf der jungen Generation in den folgenden Jahrzehnten. Im Folgenden wird zunächst der Verfahrensgegenstand des Klimabeschlusses dargestellt werden (hierzu „I.“). Danach wird die Entscheidung auf ihre Gründe untersucht und in Bezug zur vorliegenden Arbeit gesetzt (hierzu „II.“). 2442 Alleine im ersten halben Jahr nach der Entscheidung: Beckmann, UPR 2021, 241; Berkemann, DÖV 2021, 701; Burgi, NVwZ 2021, 1401; Calliess, ZUR 2021, 355; Ehrmann, UWP 2021, 139; Eifert, Jura 2021, 1085; Ekardt/Heß, NVwZ 2021, 1421; Ekardt/Heß, ZUR 2021, 579; Ekardt/Heß/Wulff, EurUP 2021, 1; Faßbender, NJW 2021, 2085; Frenz, NuR 2021, 583; Frenz, DVBl. 2021, 808; Frenz, DÖV 2021, 715; Frenz, EnWZ 2021, 201; Frenz, EnWZ 2021, 358; Hofmann, NVwZ 2021, 1587; Janda, ZRP 2021, 149; Kahl, EnWZ 2021, 268; Kloepfer/Wiedmann, DVBl. 2021, 1333; Muckel, JA 2021, 610; Ruttloff/Freihoff, NVwZ 2021, 917; Sachs, JuS 2021, 708–711; Schlacke, NVwZ 2021, 912; Schlacke/Köster/Thierjung, EuZW 2021, 620; Schütte/ Winkler, ZUR 2021, 497; Seibert, DVBl. 2021, 1141; Sinner, UPR 2021, 281; Stäsche, EnWZ 2021, 193; Wagner, NJW 2021, 2256; Wickel, ZUR 2021, 332.

A. Der Klimabeschluss

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I. Gegenstand des Klimabeschlusses Mit dem Klimabeschluss entschied das Bundesverfassungsgericht mehrere Verfassungsbeschwerden, die bereits im Jahr 2018 durch verschiedene Beschwerdeführer – natürliche wie juristische Personen2443 – Ausländer2444 wie Deutsche – Volljährige wie Minderjährige2445 – eingelegt wurden. Die Beschwerdeführer beanstandeten, dass der Staat keine ausreichenden Regelungen zur Reduktion von Treibhausgasen getroffen hätte.2446 Um die Folgen des anthropogenen Klimawandels abzumildern, dürfe ein Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur von 2 ëC über dem vorindustriellen Niveau nicht überschritten werden; anzustreben sei vielmehr eine Begrenzung auf 1,5 ëC. In rechtlicher Hinsicht wurden die Verfassungsbeschwerden auf die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und aus Art. 14 Abs. 1 GG gestützt. Daneben wurden ein Grundrecht auf menschenwürdige Zukunft und ein Grundrecht auf das ökologische Existenzminimum geltend gemacht. Diese leiteten die Beschwerdeführenden aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20a GG und aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG her. Außerdem wurden der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts sowie von den Beschwerdeführenden als ,Rationalitätspflichten‘ bezeichneten Ermittlungs- und Darlegungspflichten des Gesetzgebers bemüht.2447 Die Verfassungsbeschwerden wurden zum Teil eingelegt, bevor am 12. Dezember 2019 das Bundes-Klimaschutzgesetz in Kraft trat. Die teils noch jungen Beschwerdeführer legten in ihrer Beschwerdeschrift dar, in welcher Weise sie künftig von den Folgen des Klimawandels beeinträchtigt sein würden. Insbesondere wurde auf mögliche gesundheitliche Schäden sowie Eigentumsbeeinträchtigungen durch Substanzschädigung, etwa im Falle von Dürren oder Überschwemmungen, verwiesen.2448 Die bisherigen Maßnahmen des 2443 Bei den Beschwerdeführern zu 12) und zu 13) in dem Verfahren 1 BvR 2656/18 handelt es sich um eingetragene Vereine, die in Deutschland als klagebefugte Umweltvereinigungen i. S. d. UmwRG anerkannt sind, vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03. 2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 40. 2444 Die Verfassungsbeschwerde, die unter dem Aktenzeichen 1 BvR 78/20 geführt wurde, wurde von in Bangladesch und Nepal lebenden Menschen erhoben, vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/ 20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 78. 2445 Neun der zehn Beschwerdeführer des Verfahrens 1 BvR 96/20 waren minderjährig als sie die Klage durch ihre gesetzlichen Vertreter erhoben, vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 71. 2446 Zum Vorstehenden vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 38. 2447 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 38. 2448 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 43.

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Gesetzgebers böten keinen ausreichenden Schutz vor diesen Gefahren. Gesetzgeber und Regierung seien bei ihren bisher festgelegten Maßnahmen erkennbar von einer falschen Tatsachengrundlage ausgegangen. Einerseits hätten sie selbst den Erwärmungsobergrenzen, wie sie sich aus dem Paris-Abkommen ergeben, zugestimmt, aber andererseits keine ausreichenden Maßnahmen getroffen, um diese nach dem überwiegenden fachwissenschaftlichen Dafürhalten einhalten zu können. Der Gesetzgeber sei daher zur Nachbesserung gezwungen.2449 Zudem müsse der Gesetzgeber die für die Grundrechtsverwirklichung wesentlichen Entscheidungen selbst treffen und dürfe sie nicht, wie dies im Bundes-Klimaschutzgesetz 2019 für die Zeit nach 2030 geschehen, dem Verordnungsgeber überantworten.2450

II. Entscheidungsgründe2451 Vom Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts wurden viele – auch ausgewiesene Fachleute – überrascht.2452 Selbst wer eine solche Entscheidung in der Hoffnung auf eine klimaschutzrechtliche Wende ersehnt hatte, konnte die Entscheidung in ihrer Begründung kaum vorhersehen.2453 1. Zulässigkeit Die erste Überraschung war, dass das Gericht überhaupt in der Sache entschieden hat.2454 Für eine Verwerfung als unzulässig wurden in der Rechtswissenschaft im Vorfeld viele Argumente formuliert, von denen viele nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen waren. a) Rechtswegerschöpfung Es stellte sich etwa die Frage, ob die Voraussetzung der Rechtswegerschöpfung überhaupt erfüllt gewesen war. Bisher stellte das Bundesverfassungsgericht hier – 2449 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 45. 2450 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 46. 2451 Die folgenden Ausführungen zum Klimabeschluss wurden in gekürzter Form auch auf der Jahrestagung der Gesellschaft für Umweltrecht präsentiert. Der Vortrag erscheint in Heft 4 2021 der Zeitschrift Umweltrechtliche Beiträge aus Wissenschaft und Praxis (UWP) vorab sowie im Tagungsband der Gesellschaft für Umweltrecht. 2452 Burgi, NVwZ 2021, 1401 (1401); Calliess, ZUR 2021, 355 (355); Schlacke, NVwZ 2021, 912 (912). 2453 Siehe exemplarisch Groß, NVwZ 2021, 337 (342), der die Erfolgsaussichten der Klima-Verfassungsbeschwerde umfassend mit rechtsvergleichenden Instrumenten anhand der deutschen Schutzpflichtendogmatik untersuchte. Der Hoge Raad der Niederlande hatte zuvor eine „Klimaklage“ auf Basis der grundrechtlichen Schutzpflichten entschieden. Dieser Weg lag auch für das Bundesverfassungsgericht nahe. 2454 Seibert, DVBl. 2021, 1141 (1142).

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auch bei einer gesetzgeberischen Schutzpflichtverletzung – strengste Anforderungen. So formulierte es noch 2011 in der Entscheidung zum Fluglärmschutzgesetz, dass es den Antragstellern sogar zumutbar gewesen wäre, zunächst gegen einen bestandskräftig gewordenen Planfeststellungsbeschluss fachgerichtlich vorzugehen. Ein gesetzgeberischer Schutzpflichtverstoß könne dann inzident gerügt werden. Der erkennende erste Senat gab damals selbst zu: „Zwar ist gegen die Verletzung gesetzgeberischer Schutzpflichten fachgerichtlicher Rechtsschutz nur schwer vorstellbar, weil dies voraussetzte, dass die jeweils angerufenen Fachgerichte gewissermaßen als Ersatzgesetzgeber tätig würden.“ 2455 Er fährt aber fort mit der Feststellung, dass sich andererseits eine Lücke in der gesetzlichen Konzeption nur dann zuverlässig feststellen ließe, „wenn zuvor die Fachgerichte den zu Grunde liegenden Sachverhalt und die einfachrechtliche Rechtslage auch unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Vorgaben umfassend aufgearbeitet“ hätten.2456 Hiermit war eine hohe Hürde bereitet, denn wenn eine noch so geringe Chance besteht, einen Schutzpflichtenverstoß inzident prüfen zu lassen, müssen zuvor die Fachgerichte angerufen werden. Es wäre durchaus vertretbar gewesen, diese Möglichkeit auch hier anzunehmen, denn immerhin war eine Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin gegen die Bundesregierung in Sachen Klimaschutz zuvor zwar als unbegründet abgewiesen, die Berufung von der Kammer aber ausdrücklich zugelassen worden.2457, 2458 Andere Verfahren vor den Verwaltungsgerichten wegen der Verletzung grundrechtlicher Umweltschutzpflichten sind zur Zeit noch anhängig.2459 Nirgendwo war der fachgerichtliche Rechtsweg bisher ausgeschöpft worden. Aus dieser großzügigen Auslegung des Erfordernisses der Rechtswegerschöpfung kann für die Zukunft nicht abgeleitet werden, dass Schutzpflichtenverstöße des Gesetzgebers unter geringeren Voraussetzungen gerügt werden können. Der Senat hat den Fall entschieden, weil er ihn entscheiden wollte, nicht weil er ihn entscheiden musste. So erklärt es sich, dass das Gericht zu dem vorher als besonders kritisch gesehenen Zulässigkeitskriterium der Rechtswegerschöpfung kaum 2455 BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (996) [Fluglärmschutzgesetz]. 2456 BVerfG, Beschluss vom 04.05.2011 – 1 BvR 1502/08 – NVwZ 2011, 991 (996) [Fluglärmschutzgesetz]. 2457 VG Berlin, Urteil vom 31.10.2019 – 10 K 412/18 – NVwZ 2020, 1289 (1296). 2458 Daneben wurde in jüngster Zeit eine Reihe weiterer „Klimaklagen“ auf unterschiedlichsten Ebenen entschieden. Eine Übersicht hierzu bietet Ehrmann, UWP 2021, 139 (140). 2459 So etwa ist die Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen die Bundesregierung seit 09. März 2021 vor dem OVG Berlin anhängig, vgl. Legal Tribune Online vom 11.03.2021, https://www.lto.de/persistent/a_id/44477/ (abgerufen am: 02.11.2021). Weitere „Klimaklagen“ werden nach der jüngsten Entscheidung des BVerfG nicht lange auf sich warten lassen; so auch Beckmann, UPR 2021, 241 (250).

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etwas geschrieben hat.2460 Wohl auch um etwaigen Spekulationen über eine Aufweichung dieses Kriteriums in Bezug auf die Schutzpflichten kein Futter zu geben. b) Gewaltenteilung und Demokratieprinzip Auch in Hinblick auf die Gewaltenteilung und das Demokratieprinzip kamen im Vorfeld Zweifel auf. Das Bundesverfassungsgericht dürfe sich nicht als Ersatzgesetzgeber betätigen. Deshalb könne es nicht dergestalt über legislatives Unterlassen entscheiden, dass damit konkrete Gesetzgebungspflichten des Parlaments begründet würden. Die seit Jahrzehnten2461 durchgehend gegenüber den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten erhobenen Mahnungen vor der nahenden „Ökodiktatur“ wurden wieder lauter.2462 Im November 2018 hatte der Autor dieser Zeilen die Gelegenheit, den damaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts und Vorsitzenden des zweiten Senats im Rahmen einer Vortragsreihe über „Aufgaben und Grenzen der Verfassungsgerichtsbarkeit“ 2463 zu befragen. Auf die Frage, ob er es für möglich hielte, dass ein Verfahren gegen den Gesetzgeber wegen Verletzung seiner grundrechtlichen Umweltschutzpflichten im Bereich des Klimaschutzes erfolgreich sein könnte, sprach er mit Verweis auf die Notwendigkeit eines judicial self-restraint – gerade gegenüber dem Gesetzgeber – einem solchen Verfahren die Aussicht auf Erfolg ab.2464 c) Antragsbefugnis Die Antragsbefugnis der Beschwerdeführer wurde sowohl auf die mögliche Verletzung der grundrechtlichen Schutzpflicht als auch auf die mögliche Verletzung eines Abwehrrechts gestützt. Nun könnte man meinen, mit der abwehrrechtlichen Konstruktion der „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ sei die Schutzpflicht für die Antragsbefugnis entbehrlich geworden. Entscheidend war die Schutzpflicht aber schon für die Antragsbefugnis der Antragsteller aus Bangladesch und Nepal.2465 Als Ausländer im Ausland werden 2460 Die Begründung, dass gegen einen gesetzgeberischen Schutzpflichtenverstoß sofort vorgegangen werden dürfe überzeugt nicht zur Gänze. Dies erklärt nämlich gerade nicht, warum in anderen Verfahren eine inzidente Prüfung durch die Fachgerichte verlangt wurde. 2461 Kloepfer, in: Wege zum ökologischen Rechtsstaat, S. 45. 2462 Hierzu bereits ausführlich 4. Kapitel A. – „Schutzpflichtendurchsetzung im verfassungsrechtlichen Spannungsfeld“. 2463 Referat von Andreas Voßkuhle zum Thema „Entgrenzung der Verfassungsgerichtsbarkeit?“ vor der Würzburger Wissenschaftliche Gesellschaft e. V. im ToscanaSaal der Würzburger Residenz am 09. November 2018. 2464 Siehe in diesem Zusammenhang auch Beckmann, UPR 2021, 241 (251). 2465 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (101).

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sie durch künftige deutsche Klimaschutzmaßnahmen nicht in ihren Abwehrrechten betroffen sein.2466 Die eingriffsähnliche Vorwirkung auf die Freiheitsrechte ist deshalb ihrem Wesen nach schon nicht auf diese Beschwerdeführer anwendbar. d) Internationale Dimension der Grundrechte Das Bundesverfassungsgericht beleuchtete in diesem Zusammenhang2467 eine Frage, die bisher in der Rechtsprechung offengeblieben war – und zwar, ob sich Ausländer, die sich im Ausland aufhalten, auf die Grundrechte des Grundgesetzes in ihrer Schutzpflichtendimension berufen können. Dies ist bis heute nicht geklärt und in der Literatur umstritten.2468 Hintergrund ist, dass die Grundrechte als Abwehrrechte nur dort wirken, wo die deutsche Staatsgewalt ausgeübt wird – die Schutzpflichten aber auch dort, wo die deutsche Staatsgewalt nicht ausgeübt wird. Der Vorwurf bezieht sich ja gerade auf ein Unterlassen. Die Kritiker bringen vor, eine Anwendbarkeit der Schutzpflichten auf Auslandssachverhalte drohe uferlos zu werden. Die Befürworter verweisen darauf, dass deutsche Verantwortung für deutsche Emissionen nicht an der Landesgrenze ende.2469 Das Gericht hatte hier bisher keine einheitliche Linie gefunden. In der Vergangenheit war darauf verwiesen worden, dass es bei Auslandssachverhalten wegen deren Besonderheiten stets auf den Einzelfall ankäme.2470 Auch hier positioniert sich der erste Senat mit seiner ausführlichen Auseinandersetzung leider nicht so deutlich zur Anwendbarkeit der grundrechtlichen Schutzpflicht auf Ausländer im Ausland, wie man zunächst annehmen möchte.2471 Das Gericht äußert sich detailliert zu den Maßstäben einer Schutzpflichtverletzung gegenüber Ausländern im Ausland.2472 Es stellt seine Ausführungen im Obersatz aber unter den Vorbehalt, dass die grundrechtliche Schutzverpflichtung von Ausländern im Ausland 2466 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (132). 2467 Wesentliche Ausführungen finden sich im Beschluss des BVerfG erst in der Begründetheit, vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (173). Diese Ausführungen können aber für die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung von Bedeutung sein, weshalb die Behandlung des Themas an dieser Stelle gerechtfertigt erscheint. 2468 Siehe zum bisherigen Meinungsstand hinsichtlich der Reichweite der Schutzpflichten zum einen 2. Kapitel C. I. – „Räumliche Dimension“ sowie 2. Kapitel C. II. – „Personell“. 2469 Zusammenfassend Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, S. 210 ff. 2470 BVerfG, Beschluss vom 04.05.1971 – 1 BvR 636/68 – BVerfGE 31, 58 (77) [Spanier-Beschluss]. 2471 Insofern muss der Autor dieser Zeilen seine frühere Auffassung, das Gericht hätte mit der Etablierung von Maßstäben für eine Schutzpflichtverletzung gegenüber Ausfändern im Ausland zugleich bejaht, dass derlei Schutzpflichten auch existieren würden, revidieren. 2472 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (176).

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zwar prinzipiell denkbar sei, hier aber keiner Entscheidung bedürfe.2473 Gerechtfertigt werden soll diese Vermeidung einer endgültigen Positionierung mit einer Flucht nach vorn. Im Beschluss wird darauffolgend ausführlich dargelegt, unter welchen Voraussetzungen eine Schutzpflichtverletzung gerügt werden könnte, wenn eine solche bestehen würde. Dabei geht das Gericht sowohl darauf ein, was der Inhalt einer solchen Schutzpflicht sein könnte,2474 als auch an welchem Maßstab eine Verletzung zu messen sei.2475 Der Maßstab, an dem die Erfüllung der Schutzverpflichtung gemessen wird, müsse bei Auslandssachverhalten gemäß der eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten des deutschen Staates reduziert werden. Bei Inlandssachverhalten stehen neben der Reduzierung von Emissionen auch Anpassungsmaßnahmen zur Verfügung. Diese Möglichkeit entfällt gegenüber Ausländern im Ausland.2476 Das Gericht will deshalb bei Auslandssachverhalten ausdrücklich nur die berüchtigte „Evidenzkontrolle“ vornehmen. Danach genügt irgendeine Maßnahme, die nicht von vornherein aussichtslos erscheint.2477 Die Verfassungsbeschwerde der ausländischen Beschwerdeführer scheitere jedenfalls daran, dass der Bund in Sachen Klimaschutz dem Maßstab der Evidenzkontrolle gegenüber der Weltgemeinschaft gerecht werde, weil er durch den Beitritt zum Parisabkommen und durch das Klimaschutzgesetz zwei nicht von vornherein ungeeignete Maßnahmen verfolge.2478 Dass das Gericht sich hier detailliert zu etwas äußert, von dem es nicht sagen möchte, ob es existiert, erscheint zunächst irritierend. Bezüglich der Motive des Gerichts so vorzugehen, ließe sich nur spekulieren.2479 e) Verfassungsrechtliche Verbandsklage Der Idee einer, möglicherweise europarechtlich Überformten, „Verbandsverfassungsbeschwerde“, erteilte das Bundesverfassungsgericht eine, wenn auch nur vorläufige, Absage. Hierfür fehle es an einer hinreichend konkreten einfachrechtlichen oder verfassungsgesetzlichen Rechtsgrundlage. Wenn das Verfassungsgericht betont, dass der Gesetzgeber eine solche, wie auch eine Aufnahme des 2473

BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (174). 2474 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (179). 2475 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (181). 2476 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (181). 2477 Schlacke, NVwZ 2021, 912 (913). 2478 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (179). 2479 Zu möglichen Motiven ausführlich Berkemann, DÖV 2021, 701 (713).

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Art. 20a GG, in den Katalog der grundrechtsgleichen Rechte nach Art. 93 I Nr. 4a GG, hätte schaffen können und damit die „Durchsetzung [des verfassungsrechtlichen Umweltschutzauftrages, Amk. Verfasser] durch die Möglichkeit verfassungsgerichtlichen Individualrechtsschutzes gestärkt wäre“, dies jedoch bisher nicht geschehen sei,2480 kann dies als Wink an den Gesetzgeber mit dem verfassungsgerichtlichen Zaunpfahl gelesen werden. 2. Kontrollmaßstab für die Schutzpflichten Während der erste Senat es bei Auslandsachverhalten bei der Evidenzkontrolle belässt, sei bei Inlandssachverhalten hingegen ein strengerer Maßstab anzulegen, der über die Evidenzkontrolle hinaus geht. Es müsse geprüft werden, ob die getroffenen Maßnahmen nicht erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleiben.2481 Dieser auch als Vertretbarkeitskontrolle bezeichnete Maßstab scheint auf den ersten Blick kaum über die Evidenzkontrolle hinauszugehen. „Nicht völlig ungeeignet“ und „nicht erheblich hinter dem Schutzziel zurückbleibend“ scheinen sprachlich zunächst nicht weit voneinander entfernt. Der Unterschied in der Prüfungstiefe ist jedoch erheblich. Bei der Vertretbarkeitskontrolle nimmt das Gericht die vom Gesetzgeber zu Grunde gelegten Tatsachen genauer unter die Lupe. Es wird die Effektivität einer Maßnahme anhand des Schutzziels bewertet.2482 Damit greifen die Richter tief in das Gesetzgebungsverfahren ein. Zwar verneint der erste Senat eine selbstständige Begründungspflicht für Gesetze weiterhin.2483 Dennoch führt er diese quasi durch die Hintertür ein und nähert sich damit der Rechtsprechung des zweiten Senats an.2484 Verbleibende Unsicherheiten wegen unzureichend ermittelter und in der Begründung dokumentierter Tatsachengrundlagen gingen in der Vergangenheit oft zu Lasten des Gesetzgebers.2485 2480 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 136. 2481 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (181) unter Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (388) [Zwangsbehandlungen]. 2482 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (158). 2483 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (239). 2484 Berkemann, DÖV 2021, 701 (714). 2485 BVerfG, Beschluss vom 16.10.2018 – 2 BvL 2/17 – NVwZ 2019, 152 (155) [Beamtenbesoldung BaWü]; BVerfG, Urteil vom 05.05.2015 – 2 BvL 17/09 – BVerfG 139, 64 (127) [Richterbesoldung Sachsen-Anhalt]; BVerfG, Urteil vom 11.11.1999 – 2 BvF 2, 3/98, 1, 2/99 – BVerfGE 101, 158 (216) [Länderfinanzausgleich III]. Im Klimabeschluss wird von der Pflicht des Gesetzgebers, seine Gesetzgebung auf „hinreichend fundierte Kenntnisse von Tatsachen und Wirkzusammenhängen zu stützen“, geschrie-

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Der Gesetzgeber ist also gehalten, seine Beweggründe spätestens im Kontrollverfahren detailliert offen zu legen, um dem Gericht die Vertretbarkeitsprüfung zu ermöglichen. Diese fast nebenbeigesagte Festlegung der Vertretbarkeitskontrolle als Prüfungsmaßstab für Schutzpflichtverletzungen bei Inlandssachverhalten ist erstaunlich. Das Gericht begründet seine Festlegung inhaltlich nicht näher. Es verweist an dieser Stelle nur auf eine einzige seiner vorangegangenen Entscheidungen. Diese ist im Beschluss mit dem Zusatz „stRspr“ – ständige Rechtsprechung – versehen.2486 Der erste Senat ignoriert an dieser Stelle all jene Judikate des Bundesverfassungsgerichts, in denen andere Maßstäbe für die Überprüfung einer Schutzpflichtverletzung herangezogen wurden.2487 Er übergeht auch die andauernde Debatte in der Literatur, ob sich aus der bisherigen Rechtsprechung abstrakte Kriterien dafür gewinnen ließen, wann welcher Maßstab herangezogen werden müsse.2488 Ob sich der erste Senat damit endgültig auf einen fixen Überprüfungsmaßstab grundrechtlicher Umweltschutzpflichten festgelegt haben will, bleibt offen. Beachtenswert in diesem Zusammenhang ist, dass das für weitere Nachweise als ständige Rechtsprechung zitierte Judikat den Hinweis „stRspr“ noch nicht enthält.2489 Das zitierte Judikat – die Zwangsbehandlungsentscheidung – verweist seinerseits auf die erste Fluglärmentscheidung.2490 In dieser ist mit einer bloßen Evidenzkontrolle ein wesentlich geringerer Maßstab herangezogen worden als es der erste Senat im Klimabeschluss tut. Was hier also ständige Rechtsprechung sein soll, erschließt sich nicht. Berkemann nimmt hierzu in seiner Entscheidungsbesprechung in der DÖV kein Blatt vor den Mund, wenn er dem Gericht im Umgang mit den Schutzpflichten erhebliche handwerkliche Mängel bescheinigt.2491 ben, BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (240). 2486 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (172). 2487 So beispielsweise die weitergehende „inhaltliche Kontrolle“ in BVerfG, Urteil vom 21.06.1977 – 1 BvL 14/76 – BVerfGE 45, 187 (238) [Lebenslange Freiheitsstrafe]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (47) [Schwangerschaftsabbruch I]; BVerfG, Urteil vom 31.07.1973 – 2 BvF 1/73 – BVerfGE 36, 1 (17) [Grundlagenvertrag]. 2488 Kahl, in: BonnK GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 338; Lange, Grundrechtsbindung des Gesetzgebers, S. 407; Starck, Praxis der Verfassungsauslegung, S. 27. 2489 Im zitierten Judikat BVerfG, Beschluss vom 26.07.2016 – 1 BvL 8/15 – BVerfGE 142, 313 (336) [Zwangsbehandlungen] (die Stelle auf die vom Gericht Bezug genommen wird findet sich tatsächlich erst auf Seite 337) fehlt der Zusatz „stRspr“ noch. 2490 BVerfG, Beschluss vom 14.01.1981 – 1 BvR 612/72 – BVerfGE 56, 54 (80) [Fluglärm I]. 2491 Berkemann, DÖV 2021, 701 (710).

A. Der Klimabeschluss

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Die geringe Begründungstiefe für den herangezogenen Prüfungsmaßstab überrascht umso mehr, da das Gericht in der Begründetheitsprüfung selbst demonstriert, was für einen erheblichen Unterschied beide Maßstäbe bedeuten. Für die Evidenzkontrolle gegenüber Ausländern lässt es es ausreichen, dass der Gesetzgeber das Ziel der Klimaneutralität zumindest anstrebe und die Erreichung dieses Ziels zumindest möglich erscheine. Bei der Vertretbarkeitskontrolle gegenüber den eigenen Bürgern wird das Zwei-Grad-Ziel an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen gemessen. Die Richter führen aus, dass das Zwei-Grad-Ziel zwar als politisch wenig ambitioniert beurteilt werden mag, jedoch könnten die daraus resultierenden Klimaschäden noch durch Anpassungsmaßnahmen in ihren Effekten abgemildert werden. Die möglichen Anpassungsmaßnahmen, die dem Gesetzgeber zur Verfügung stehen, zählt das Gericht sogar ganz konkret auf.2492 Es hält im Ergebnis zwei schutzpflichtenkonforme Wege für zulässig. Einmal ambitioniertere Klimaziele von unter 1,5 ëC oder 2 ëC und Anpassungsmaßnahmen. Welchen der beiden Wege der Gesetzgeber wähle, sei diesem im Rahmen seines Einschätzungs- und Gestaltungsspielraumes überlassen. Klargestellt ist aber, dass das Bundesverfassungsgericht nur umfassende, konkret benannte Gegenmaßahmen und klar benannte Temperaturhöchstschwellen als schutzpflichtenkonform ansieht.2493 Eine kleine, nicht nur stilistische Anmerkung hierzu: Normalerweise spricht das Bundesverfassungsgericht immer vom „weiten“ Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum, der dem Gesetzgeber bei der Umsetzung von Schutzpflichten zustehe.2494 An der eben beschriebenen Stelle des Beschlusses ist vom Adjektiv „weit“ keine Rede mehr. Auch wenn zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Schwelle der Verletzung einer grundrechtlichen Umweltschutzpflicht in Form einer Klimaschutzpflicht noch nicht verletzt sei, sind die grundrechtlichen Schutzpflichten nicht ohne Belang für das Klimaschutzgesetz. Dieses sei gerade Ausdruck der grundrechtlichen Klimoschutzpflichten. Dass der Gesetzgeber zur Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Klimaschutzauftrages die Temperaturzielwerte aus dem Parisabkommen von deutlich unter 2 ëC zu Grunde legte, sei nach derzeitigem Erkenntnis2492 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (164). 2493 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (165); BVerfG, Urteil vom 17.12.2013 – 1 BvR 3139, 3386/08 – BVerfGE 134, 242 (338) [Garzweiler]; BVerfG, Urteil vom 13.02.2007 – 1 BvR 421/05 – BVerfGE 117, 202 (227) [Vaterschaftsfeststellung]; BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 101, 313/84 – BVerfGE 76, 1 (80) [Familiennachzug]; BVerfG, Urteil vom 25.02.1975 – 1 BvF 1, 2, 3, 4, 5, 6/74 – BVerfGE 39, 1 (34) [Schwangerschaftsabbruch I]. 2494 BVerfG, Beschluss vom 10.11.2009 – 1 BvR 1178/07 – NVwZ 2010, 114 (116) [Endlager Schacht Konrad].

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7. Kap.: Nachwort

stand nicht evident unzureichend.2495 Allerdings sei es angesichts der jetzt schon zu erwartenden Schäden unzureichend, wenn man dem Klimawandel freien Lauf ließe und den grundrechtlichen Schutzauftrag allein durch Anpassungsmaßnahmen umsetzen wollte.2496 Diese auf den ersten Blick sehr unbestimmte Angabe lässt sich durchaus quantifizieren. Bei der Sachverhaltsdarstellung unter Gliederungspunkt A. II. 2. des Beschlusses stützt sich das Bundesverfassungsgericht auf eine Veröffentlichung des BMU (2019) aus der hervorgeht, dass ohne Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels von einem Temperaturanstieg von mindestens 3 ëC bis zum Jahr 2100 als wahrscheinlich ausgegangen werden muss.2497 Da das Gericht einen Versuch, nur durch Anpassungsmaßnahmen der Folgen des Klimawandels Herr zu werden als Verletzung der verfassungsrechtlichen Pflichten des Gesetzgebers ansieht und es zeitgleich von einem prognostizierten Anstieg von mindestens 3 ëC bis 2100 ausgeht, wenn keine Gegenmaßnahmen getroffen werden, definiert das Gericht eine äußerste Grenze, durch die eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Klimaschutzpflichten jedenfalls evident wäre. Das heißt jedoch nicht, dass nicht schon unter der Drei-Grad-Grenze eine Schutzpflichtverletzung denkbar ist. Zu einer konkreteren Angabe schweigt sich der Beschluss jedoch aus. Dies ist auch nicht anders zu erwarten, da es sich schon bei der Angabe der Drei-Grad-Grenze um ein obiter dictum handelt, auf dem die Entscheidung nicht beruht. Da die Richter in ihrem Beschluss zwar einerseits das Ziel von deutlich unter 2 ëC und möglichst 1,5 ëC als noch verfassungsgemäß billigen, aber andererseits andeuten, dieses könne als „wenig ambitioniert“ angesehen werden,2498 ist davon auszugehen, dass ein Zurück hinter die aktuellen Klimaschutzziele vom Bundesverfassungsgericht bei gleichbleibender Tatsachenkenntnis kaum akzeptiert werden würde. Auch wenn dies wörtlich aus dem Beschluss nicht hervorgeht, kann dieser daher so gelesen werden, dass das Klimaschutzziel aus dem Parisabkommen das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß darstellt. Aus der verfassungsrechtlichen Klimaschutzpflicht folgert das BVerfG, dass „dem Gesetzgeber eine permanente Pflicht aufgegeben [ist], das Umweltrecht den neuesten Entwicklungen und Erkenntnissen in der Wissenschaft anzupassen“.2499 Daraus folgt, dass ein Rückschritt hinter das bisher Erreichte nur nach aktuellem Kenntnisstand unzulässig sein dürfte. Stellte sich hingegen heraus, 2495 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 163. 2496 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rnn. 120, 157. 2497 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 19. 2498 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 162. 2499 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 212.

1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/

A. Der Klimabeschluss

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dass die Folgen des Klimawandels doch weniger gravierend sind als heute angenommen, ist kein Grenzwert in Stein gemeißelt. Angesichts der auszumachenden Tendenz, dass in den letzten Jahren die Prognosen mit steigendem Erkenntnisfortschritt der Klimaforschung eher düsterer wurden, ist es nicht unwahrscheinlich, dass durch künftig hinzukommende Erkenntnisse eine Verschärfung der Klimaschutzziele nötig werden könnte, um den Erfordernissen der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten gerecht zu werden. Aber auch ohne eine prognostische Veränderung hinsichtlich der Klimawandelgefahren ist die aktuelle Tendenz auf Überschreitung der Schutzschwellen gerichtet. Das Bundesverfassungsgericht legt seiner Entscheidung die Prognose zu Grunde, dass für die Begrenzung des Klimawandels auf das Ziel von deutlich unter 2 ëC noch ein bestimmtes Rechtsbudget an Treibhausgasemissionen verbliebe, das die Menschheit in die Atmosphäre freisetzen könne.2500 Davon entfalle auf Deutschland ab 2020 ein nationales Restbudget von 6,7 Gigatonnen CO2-Äquivalent, die noch ausgestoßen werden dürften, um das Ziel von deutlich unter 2 ëC, also 1,75 ëC zu erreichen.2501 Sollte sich herausstellen, dass die vielbeschworenen Kipppunkte ab dieser Schwelle schon überschritten werden würden, wäre das Restbudget noch geringer.2502 Auch wenn andere Länder sich nicht ausreichend am Klimaschutz beteiligen und über Gebühr CO2 emittieren, geht dies zu Lasten des nationalen Restbudgets. 3. Verhältnis der Schutzpflicht zur „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ Diese Überlegungen zu den Anforderungen der grundrechtlichen Schutzpflichten an die Klimapolitik machen einen Großteil der Begründetheitsprüfung aus. Auf ihnen fußt die im weiteren Verlauf entwickelte innovative eingriffsähnliche Vorwirkung.2503 Diese kann nämlich nur deshalb begründet werden, weil dem Gesetzgeber zuvor aus den Schutzpflichten ein derart enges Maßnahmenkorsett geschneidert wurde. Das Gericht lässt dem Gesetzgeber nach der Schutzpflichtenprüfung nur scheinbar die Wahl. Egal, ob radikale Minderungsmaßnahmen oder moderate Minderungsmaßnahmen kombiniert mit weitgehenden Anpassungsmaßnahmen, beide gehen mit erheblichen Freiheitseinbußen einher. Die Auseinandersetzung mit der interessanten Frage, was die auf dieser Überlegung fußende „eingriffsähnliche Vorwirkung“ in rechtsdogmatischer Hinsicht 2500 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 216. 2501 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 219. 2502 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 228. 2503 BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 Rn. 183.

2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/

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7. Kap.: Nachwort

darstellt, wird die Rechtswissenschaft sicher noch eine Weile beschäftigen. Ein Streitpunkt scheint bisher in der Frage zu liegen, ob die Konstruktion der „eingriffsähnlichen Vorwirkung“ auch auf andere Sachverhalte anwendbar ist. Zum Teil wird davon ausgegangen, das Gericht habe hiermit eine neue Eingriffskategorie geschaffen, die in das Arsenal der grundrechtlichen Instrumente aufzunehmen sei. Andere weisen darauf hin, dass die „eingriffsähnliche Vorwirkung“ auf die ganz spezifische Situation des Klimaschutzrechts zu unserem Zeitpunkt in der Menschheitsgeschichte zugeschnitten sei. Sie lasse sich deshalb nicht auf andere Sachverhalte übertragen. Die Beantwortung dieser Frage muss an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Sie würde zu weit weg vom Thema der grundrechtlichen Umweltschutzpflichten führen und bedarf einer künftigen, umfassenden, eigenständigen Aufarbeitung. 4. Verhältnis der Schutzpflichten zu Art. 20a GG Auch die Aufwertung des Art. 20a GG wurde teils mit Erstaunen zur Kenntnis genommen.2504 Was mag der Grund sein, dass das Bundesverfassungsgericht diesen in der Prüfung der eingriffsähnlichen Vorwirkung kurzerhand zur umweltrechtlichen Universalschranke erhob? Er wurde für die Rechtfertigung des Eingriffs in alle künftigen Freiheitsrechte herangezogen. Darin kann jedoch keine Verabschiedung von den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten erblickt werden. Vielmehr ist dieses Vorgehen der hochabstrakten Argumentationsstruktur des Beschlusses an dieser Stelle geschuldet.2505 Das Gericht bewertete hier keine Einzelmaßnahme. Es hatte einen gesamtgesellschaftlichen Wandel von epochalem Ausmaß zu beurteilen. Dieser Wandel betrifft nahezu alle Bereiche menschlichen Lebens. Deshalb hatte das Gericht an dieser Stelle nicht das geringste Interesse daran, in eine einzelfallbezogene Grundrechteabwägung einzusteigen. In einer solchen hätte man sich ob der Komplexität des Sachverhalts nur verlieren können. Stattdessen stellte es seitens der Freiheitsrechte die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG in den Vordergrund, obwohl auch hier fast alle spezielleren Grundrechte auf die ein oder andere Weise von der Anpassung an den Klimawandel betroffen sein werden. So wie Art. 2 Abs. 1 GG den übrigen Grundrechten in ihrer Ausprägung als Abwehrrechte nicht vorgeht, geht auch Art. 20a GG den Grundrechten in ihrer Ausprägung als Schutzpflichten nicht vor.2506 Naheliegend ist deshalb die Prognose, dass es in beiden Fällen in Zukunft beim 2504

Berkemann, DÖV 2021, 701 (701). BVerfG, Beschluss vom 24.03.2021 – 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/ 20, 1 BvR 288/20 – BeckRS 2021, 8946 (185). 2506 Murswiek, in: Sachs GG, Art. 20a, Rn. 21; Streuer, Die positiven Verpflichtungen des Staates, S. 348. 2505

B. Zusammenfassende Würdigung

441

Grundsatz lex specialis derogat legi generali bleiben wird. Im Klimabeschluss jedoch bot die Staatszielbestimmung Umweltschutz dem Bundesverfassungsgericht für seine Argumentation einen entscheidenden Vorteil gegenüber den grundrechtlichen Umweltschutzpflichten: sie bezweckt neben dem Schutz des Menschen auch den Schutz der Natur und Umwelt um ihrer selbst willen. Die grundrechtlichen Schutzpflichten hingegen sind wegen ihrer menschenrechtlichen Herkunft notwendigerweise anthropozentrisch und auf konkrete Schutzgüter bezogen.2507 Bei der Bewertung der Verfassungsmäßigkeit konkreter Maßnahmen werden die grundrechtlichen Schutzpflichten in Zukunft weiter heranzuziehen sein, weil sie eine wesentlich feinere Aufschlüsselung der beteiligten Einzelinteressen ermöglichen.

B. Zusammenfassende Würdigung Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgericht bestätigt im Wesentlichen die in der vorliegenden Arbeit gewonnenen Erkenntnisse. Er trägt in Teilen auch zur Weiterentwicklung der Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten bei. Die Entscheidung lässt jedoch manches offen. So wird bezüglich der Frage, wann welcher Maßstab für eine Schutzpflichtenverletzung anzusetzen ist, im Beschluss eine Differenzierung von Inlands- und Auslandssachverhalten aufgestellt, die weder verallgemeinerungsfähig scheint, noch in der vergangenen Rechtsprechung des Gerichts eine Stütze findet. Sie leistet daher in dieser Hinsicht keinen Beitrag zu einem besseren Verständnis der anzulegenden Kontrollmaßstäbe, weshalb die hiermit verbundene Kontroverse wohl weiter anhalten wird. Die Schaffung der eingriffsähnlichen Vorwirkung als neue Kategorie in der grundrechtlichen Dogmatik steht in engem Zusammenhang mit den grundrechtlichen Schutzpflichten. Die eingriffsähnliche Vorwirkung setzt eine Schutzpflicht voraus und verdrängt diese nicht etwa in ihrem Anwendungsbereich.

2507

Isensee, in: HGR IV, § 87 Rn. 66.

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Sachwortverzeichnis abstrakte Gefahr 193, 198, 199, 338 abstraktes Risiko 197, 200, 333 Abwägungsgebot 186, 252 Abwasser 186 Anthropozentrismus 24, 112, 113, 128, 260, 317, 416 Atomkraft 64, 66, 68, 116, 176, 177, 188, 207, 243, 324, 326, 327, 353, 390 Berufsfreiheit 44, 68, 123, 153, 154, 155, 167, 168, 173, 301, 320, 334, 388, 408, 421 Beurteilungsspielraum 96, 306, 307, 308, 309, 310, 311 Boden 25, 94, 128, 134, 155, 159, 210, 272, 286 Demokratieprinzip 77, 226, 342, 344, 399, 404 Diskurstheorie 248, 419 Einschätzungsprärogative 258, 270, 290, 291, 380, 381, 388, 389, 394, 396 Elfes 58, 129, 346 Enteignung 151, 157, 172, 176 enteignungsgleicher Eingriff 185 Erdbeben 325, 389 Ermessensdirektiven 252, 300 Ermessensgrenze 252, 301 Faktizität 40 Familie 41, 59, 172 Freizügigkeit 41, 148, 149, 150, 152, 297 Gentechnik 25, 51, 68, 120, 121, 195, 196, 197, 207, 214, 234, 335, 336, 339 Gleichheit 141, 142, 143, 144, 169, 262, 367, 400

Industrie 133, 150, 159, 247, 270, 364 Infraschall 139, 140 invasive Arten 301 Jagd 160, 267 judicial self-restraint 345, 432 Katastrophenschutz 100, 151, 152, 339 Klima 103, 106, 130, 212, 318, 363, 367, 369, 370, 371, 392, 406, 408, 409, 412, 413, 416, 418 Klimawandel 187, 212, 277, 297, 364, 406, 407, 408, 410, 411 Kommune 26, 27, 93, 133, 358 konkrete Gefahr 198, 199, 231, 333 konkretes Ordnungsdenken 57 konkretes Risiko 197, 198, 271 Kontrollmaßstab 268, 347, 357, 382, 383, 387, 391, 393, 396 Landwirtschaft 155, 159, 164, 301, 407 Lärm 44, 45, 68, 137, 140, 141, 176, 181, 289, 291, 386, 391 Luft 25, 49, 128, 130, 134, 210, 272, 275, 306 Meer 418 Meeresspiegel 19, 408 Menschenwürde 40, 43, 45, 62, 68, 81, 112, 118, 129, 135, 169, 170, 173, 210, 349, 381 mittelbare Drittwirkung 88, 89, 90, 91 Nachhaltigkeit 272, 278, 286, 367, 371, 411 Naturrecht 39, 74, 113, 313, 351

Sachwortverzeichnis ökologisches Existenzminimum 132, 138, 323 Ökozentristismus 24

Tiere 111, 112, 128, 310, 416

Präklusion 251, 253 Prinzipientheorie 208, 211, 214, 357

Übermaßverbot 392, 394, 425

Rechtspositivismus 41, 56, 72, 73, 74 Rechtssicherheit 252 Rechtsstaat 37, 73, 86, 119, 168, 226, 231, 241, 243, 249, 252, 288, 341 Regierung 95, 96, 220, 235, 239, 289, 320, 323, 324, 327, 373 Religion 42, 116, 135, 144, 145, 248 Restrisiko 200, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 211, 214

Umweltstaat 168

493

Tierrechte 111

Umweltgrundrecht 125, 126, 133, 165, 281, 414, 415 unmittelbare Drittwirkung 53 Untermaßverbot 393, 394, 395, 396, 397, 417 Verhältnismäßigkeit 105, 152, 156, 160, 180, 215, 246, 259, 284, 294, 298, 302, 304, 394, 395 Volksgesundheit 248

SARS 152 Schutznorm 50, 360, 361, 396 Schutznormtheorie 360, 362, 371 Seuche 152, 297, 427 Staatshaftung 185, 284 Straßenverkehr 44, 68, 116, 181, 415 subjektives Recht 65, 76, 348, 351, 360, 372 Subvention 323

Waldbrand 389 Waldsterben 44 Wasser 25, 103, 128, 130, 134, 147, 152, 242, 272, 275, 320, 364, 389 Wertordnung 56, 57, 58, 61, 66, 73, 74, 75, 77, 78, 79, 82, 295, 355 Windkraft 140, 141, 207