Die große Geschichte der Kreuzzüge: Von den Soldaten Christi bis zum Dschihad 3806244197, 9783806244199

Religionskriege, Ideologiekriege oder frühe Formen der Kolonialkriege? Kreuzzüge sind nicht nur ein Phänomen des 12. un

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German Pages 600 [602] Year 2022

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Table of contents :
Cover
Titel
Impressum
INHALT
Einführung
ERSTER TEIL
Kapitel eins Die Kreuzzugsidee und ihre Wurzeln
Heiliger Krieg, Dschihad und Kreuzzug
Die Rechtfertigung des Krieges
Die Sakralisierung des Krieges
Der miles christianus
Kapitel zwei Europa und der Mittelmeerraum vor den Kreuzzügen
Europa erwacht
Eine Gesellschaft in Bewegung
Ein Jahrhundert der Reformen
Expansion und Eroberung
Fenster nach Osten
Kapitel drei Die Eroberung des Ostens
Der Aufruf von Clermont
Die peregrinatio der pauperes
Die Ilias der Barone
Die Odyssee der Kaufleute
Auf nach Jerusalem
Die Einnahme der Heiligen Stadt, 15. Juli 1099
Kapitel vier Das fränkische Königreich von Jerusalem und die Fürstentümer im Heiligen Land
Gesta Dei per Francos
Ein Reich errichten
Die Rolle der Seestädte
»Denn wir, die wir Abendländer waren, sind nun Orientalen geworden«
Die Ritterorden
Kapitel fünf Kurzlebige Erfolge
Der Fall von Edessa, 1144
Bernhard und der Kreuzzug
»Nolite confidere in principibus«
Saladin
Der aussätzige König
So viel Köpfe, so viel Sinne
Die Niederlage von Hattin und der Fall Jerusalems, 1187
Kapitel sechs Der Kreuzzug der Könige
Die Rückeroberung Jerusalems
Barbarossas Kreuzzug
Ein König für ein Königreich
Weder Gewinner noch Verlierer
Der Kreuzzug der Venezianer
ZWEITER TEIL
Kapitel sieben Der Kreuzzug im 13. Jahrhundert
Der Kreuzzug als Bewegung und als Institution
Ein gerechter und legitimer Krieg?
Gelübde und Ablässe
Kreuzzug und Ketzerei
Kreuzzug und Mission
Kapitel acht Das zweite Königreich
Outremer
Eine neue Hauptstadt
Die Verteidigung des Königreichs
Ein labiles Gleichgewicht
Kapitel neun Der Kopf der Schlange
In des Sultans Land
Tod auf dem Nil
Der Kreuzzug des exkommunizierten Kaisers
Der Kreuzzug der Barone
Der Kreuzzug des heiligen Königs
Von Sklaven zu Sultanen
Kapitel zehn Der Verlust des Heiligen Landes
Der Krieg von Sankt Sabas
Zwischen Mongolen und Mamluken
Der Kreuzzug der Italiener
Akkon, 1291
Rückeroberungsversuche
Kapitel elf Das Heilige Land zurückgewinnen?
Ein Kreuzzug mit Tinte und Feder
Vorwürfe über Vorwürfe
Deus vult?
1300 – Kreuzzug und Jubeljahr
Kapitel zwölf Wechselnde Ziele
Heiliges Land oder Konstantinopel
Clemens V. und die Traktate zur Rückgewinnung des Heiligen Landes
Das Problem der Ritterorden
Der Kreuzzug in der Ägäis
Das Konzil von Vienne und das Ende der Templer
DRITTER TEIL
Kapitel dreizehn Die Erfindung des Feindes
Beinamen und Schmähwörter
Die Wiederkehr der Volksbewegungen
Die Kustodie des Heiligen Landes
Zwischen Smyrna und Alexandria
Kapitel vierzehn Eine europäische Leidenschaft
Die Söhne Osmans
Mahdia, 1390
Nikopolis, 1396
Ex Oriente lux
Boucicauts aventure
Kapitel fünfzehn Osmanischer Triumph
Auf nach Konstantinopel
Der Kreuzzug auf dem Konzil
Varna, 1444
Rachegelüste
Konstantinopel, 1453
Kapitel sechszehn Die Verteidigung des christlichen Europas
Ein neuer Kreuzzug?
Belgrad, 1456
Pius II. und der Kreuzzug
Otranto, 1480
Kreuzzüge und Propaganda
Kapitel siebzehn Die zwei Mittelmeere
Kreuzzug und Kaperkrieg
Der Kreuzzug in Afrika
Algier
Karl V. und der Kreuzzug
Kapitel achtzehn Gegenangriff
Heiliger Krieg gegen die Türken
Die Barbaresken, Schrecken des Mittelmeers
Der Tod Süleymans
Neue Bündnisse
Lepanto, 1571
Die Früchte des Sieges
VIERTER TEIL
Kapitel neunzehn Die Abrechnung
Kreuz und Halbmond
Sklaven, Renegaten, Admiräle und Wesire
Der Kreuzzug in Marokko
Schmelztiegel für Europa
Eine aus der Mode gekommene Idee?
Wien, 1683
Kapitel zwanzig Im Zeichen des Kreuzes
Exaltation und Verdammnis
Vendée-Aufständische, Sanfedisten und andere »Kreuzzügler«
Eine neue Blüte
Das romantische Gesicht der Kreuzzüge
Das Risorgimento der Kreuzzüge
Die Société de l’Orient latin
Kapitel einundzwanzig Das Mittelmeer der Gegensätze
Der kranke Mann am Bosporus
Die heiligen Stätten und die »orientalische Frage«
Die Eröffnung des Suezkanals
Mare nostrum
Kapitel zweiundzwanzig Die große Zerstückelung
Das Great Game im Mittelmeer
Nationalismen
Kriegswinde
Ein Gigant in Trümmern
Kapitel dreiundzwanzig Die Erinnerung an die Kreuzzüge
Die Kreuzzüge aus Sicht der Araber
Dschihad und Dschihadismus
Wir und sie: wo verlaufen die Grenzen?
Nicht melting pot, sondern salad bowl
Schluss
ANHANG
Belegangaben zur deutschen Übersetzung
Chronologie
Karte
Personenregister
Ortsregister
Abbildungsnachweis
Rückcover
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Die große Geschichte der Kreuzzüge: Von den Soldaten Christi bis zum Dschihad
 3806244197, 9783806244199

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»Ganz ungewöhnlich, ganz modern: ›Die große Geschichte der Kreuzzüge‹ ist eine wunderbar lesbare, reich bebilderte Gesamtdarstellung.« PROF. NIKOL AS JASPERT

Kommen Sie ins Gespräch mit Leser:innen und Autor:innen auf wbg-community.de

Umschlagabbildung: Émile Signol, Die Einnahme von Jerusalem, 1847. © incamerastock/Alamy Stock Photo Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de

wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4419-9

DIE GROSSE GESCHICHTE DER KREUZZÜGE

ANTONIO MUSARRA lehrt mittelalterliche Geschichte an der Universität Sapienza in Rom. Er ist spezialisiert auf das mittelalterliche Genua, die Kreuzzüge und die italienische Expansion im mittelalterlichen Mittelmeer. Seine Forschungsinteressen umfassen Handelsnetzwerke, Navigation und Seekriegsführung.

Es war nicht nur ein Phänomen des 11. bis 13. Jahrhunderts – religiös überformte und angeheizte Kriege durchziehen die europäische Geschichte vom Hochmittelalter bis in die Neuzeit. Die beiden Großmeister der europäischen Mediävistik, Franco Cardini und Antonio Musarra, legen die erste Gesamtdarstellung europäischer Kreuzzüge vor. Sie reicht vom Aufkommen des Kreuzzugsgedankens über den Kampf gegen Häresien und Luthers »Türkenbriefe« bis zur Verteidigung der Grenzregionen im Balkan. So entsteht ein neues Gesamtbild zu einem Zentralthema unserer Geschichte.

FR ANCO CARDINI / ANTONIO MUSARRA

© privat

© Leonardo Cendamo

FR ANCO CARDINI, emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte der Universität Florenz, arbeitete und lehrte u. a. in Paris, Göttingen, Wien, Madrid, Boston, Turku, São Paulo, Jerusalem, Damaskus und Bari. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Mittelalters allgemein sowie Jerusalem, die Kreuzzüge und insbesondere das Verhältnis zwischen Christenheit und Islam. 2000 erschien auf Deutsch das Standardwerk »Europa und der Islam. Geschichte eines Missverständnisses«, 2012 sein Bestseller »Atlas des Mittelalters«.

REICH BEBILDERT UND GLÄNZEND ERZÄHLT: DAS NEUE STANDARDWERK

FR ANCO CARDINI ANTONIO MUSARRA

DIE GROSSE GESCHICHTE DER KREUZZÜGE VON DEN SOLDATEN CHRISTI BIS ZUM DSCHIHAD

Mit 185 farbigen Abbildungen

»GEWISS, DIE IDEE DER KREUZZÜGE hat sich im Laufe der Zeit als äußerst flexibel erwiesen. Die Veränderungen, denen sie unterlag, wurden sehr unterschiedlich bewertet: als Erweiterung ihres ursprünglichen Charakters oder schlicht und einfach als Abweichung von ihrer ursprünglichen Intention. Das ändert jedoch nichts daran, dass im spätmittelalterlichen und vormodernen Europa eine Art Kreuzzugskultur entstand, die sich vom kanonischen Recht in die Literatur, Kunst und Musik, in die volkstümliche Propaganda und das allgemeine Empfinden hinein verlagerte. Gespeist von Gesten, Riten und Traditionen blieb die Kreuzzugsidee bis zu ihrer polemischen Kritik durch die Aufklärung, ihrer Neubelebung in der Romantik und schließlich ihrer unverblümt politischen Instrumentalisierung in den beiden Weltkriegen und im Spanischen Bürgerkrieg 1936 – 1939 lebendig. Als eine ›Kraftidee‹ oder Ideenkraft war sie vor allem ein Faktor der Sammlung, ja der Einheit und der Identitätsstiftung – und als solcher keinesfalls auf das Heilige Land und die Zeit zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert beschränkt.« Franco Cardini, Antonio Musarra

Franco Cardini/Antonio Musarra

DIE GROSSE GESCHICHTE DER KREUZZÜGE

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Franco Cardini Antonio Musarra

DIE GROSSE GESCHICHTE DER KREUZZÜGE VON DEN SOLDATEN CHRISTI BIS ZUM DSCHIHAD Aus dem Italienischen von Victoria Lorini und Rita Seuß

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Die italienische Originalausgabe ist 2019 bei il Mulino unter dem Titel Il grande racconto delle crociate erschienen. © 2019 by Società editrice il Mulino, Bologna Die deutsche Übersetzung wurde vom Centro per il libro e la lettura des italienischen Kulturministeriums gefördert. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. wbg THEiSS ist ein Imprint der wbg. © 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Lektorat: Daphne Schadewaldt, Wiesbaden Satz: Arnold & Domnick, Leipzig Umschlagabbildung: Émile Signol, Die Einnahme von Jerusalem, 1847. © incamerastock/Alamy Stock Photo Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de Abb. auf Seite 2 und Seite 599: Adolfo Wildt, Il crociato, 1906. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Europe Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4419-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): ISBN 978-3-8062-4421-2 eBook (epub): ISBN 978-3-8062-4422-9

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INHALT Einführung

S. 9

ERSTER TEIL Kapitel eins Die Kreuzzugsidee und ihre Wurzeln

S. 20

Kapitel zwei Europa und der Mittelmeerraum vor den Kreuzzügen Europa erwacht | Eine Gesellschaft in Bewegung | Ein Jahrhundert der Reformen | Expansion und Eroberung | Fenster nach Osten

S. 42

Heiliger Krieg, Dschihad und Kreuzzug | Die Rechtfertigung des Krieges |  Die Sakralisierung des Krieges | Der miles christianus

S. 65 Kapitel drei Die Eroberung des Ostens Der Aufruf von Clermont | Die peregrinatio der pauperes | Die Ilias der Barone |  Die Odyssee der Kaufleute | Auf nach Jerusalem | Die Einnahme der Heiligen Stadt, 15. Juli 1099 Kapitel vier Das fränkische Königreich von Jerusalem und die Fürstentümer S. 98 im Heiligen Land Gesta Dei per Francos | Ein Reich errichten | Die Rolle der Seestädte | »Denn wir, die wir Abendländer waren, sind nun Orientalen geworden« | Die Ritterorden Kapitel fünf Kurzlebige Erfolge S. 125 Der Fall von Edessa, 1144 | Bernhard und der Kreuzzug | »Nolite confidere in principibus« | Saladin | Der aussätzige König | So viel Köpfe, so viel Sinne |  Die Niederlage von Hattin und der Fall Jerusalems, 1187 Kapitel sechs Der Kreuzzug der Könige Die Rückeroberung Jerusalems | Barbarossas Kreuzzug | Ein König für ein Königreich | Weder Gewinner noch Verlierer | Der Kreuzzug der Venezianer

S. 171

ZWEITER TEIL Kapitel sieben Der Kreuzzug im 13. Jahrhundert S. 204 Der Kreuzzug als Bewegung und als Institution | Ein gerechter und legitimer Krieg? | Gelübde und Ablässe | Kreuzzug und Ketzerei | Kreuzzug und Mission Kapitel acht Das zweite Königreich Outremer | Eine neue Hauptstadt | Die Verteidigung des Königreichs |  Ein labiles Gleichgewicht

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S. 223

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Inhalt

Kapitel neun Der Kopf der Schlange In des Sultans Land | Tod auf dem Nil | Der Kreuzzug des exkommunizierten Kaisers | Der Kreuzzug der Barone | Der Kreuzzug des heiligen Königs |  Von Sklaven zu Sultanen

S. 243

Kapitel zehn Der Verlust des Heiligen Landes Der Krieg von Sankt Sabas | Zwischen Mongolen und Mamluken |  Der Kreuzzug der Italiener | Akkon, 1291 | Rückeroberungsversuche

S. 275

Kapitel elf Das Heilige Land zurückgewinnen? Ein Kreuzzug mit Tinte und Feder | Vorwürfe über Vorwürfe | Deus vult? |  1300 – Kreuzzug und Jubeljahr

S. 302

Kapitel zwölf Wechselnde Ziele S. 321 Heiliges Land oder Konstantinopel | Clemens V. und die Traktate zur Rückgewinnung des Heiligen Landes | Das Problem der Ritterorden | Der Kreuzzug in der Ägäis |  Das Konzil von Vienne und das Ende der Templer

DRITTER TEIL Kapitel dreizehn Die Erfindung des Feindes Beinamen und Schmähwörter | Die Wiederkehr der Volksbewegungen |  Die Kustodie des Heiligen Landes | Zwischen Smyrna und Alexandria

S. 346

Kapitel vierzehn Eine europäische Leidenschaft Die Söhne Osmans | Mahdia, 1390 | Nikopolis, 1396 | Ex Oriente lux |  Boucicauts aventure

S. 363

Kapitel fünfzehn Osmanischer Triumph Auf nach Konstantinopel | Der Kreuzzug auf dem Konzil | Varna, 1444 |  Rachegelüste | Konstantinopel, 1453

S. 388

Kapitel sechszehn Die Verteidigung des christlichen Europas Ein neuer Kreuzzug? |  Belgrad, 1456 | Pius II. und der Kreuzzug |  Otranto, 1480 | Kreuzzüge und Propaganda

S. 413

S. 432 Kapitel siebzehn Die zwei Mittelmeere Kreuzzug und Kaperkrieg | Der Kreuzzug in Afrika | Algier | Karl V. und der Kreuzzug Kapitel achtzehn Gegenangriff S. 452 Heiliger Krieg gegen die Türken | Die Barbaresken, Schrecken des Mittelmeers |  Der Tod Süleymans | Neue Bündnisse | Lepanto, 1571 | Die Früchte des Sieges

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Inhalt

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VIERTER TEIL Kapitel neunzehn Die Abrechnung S. 476 Kreuz und Halbmond | Sklaven, Renegaten, Admiräle und Wesire | Der Kreuzzug in Marokko | Schmelztiegel für Europa | Eine aus der Mode gekommene Idee? |  Wien, 1683 Kapitel zwanzig Im Zeichen des Kreuzes S. 501 Exaltation und Verdammnis | Vendée-Aufständische, Sanfedisten und andere »Kreuzzügler« | Eine neue Blüte | Das romantische Gesicht der Kreuzzüge |  Das Risorgimento der Kreuzzüge | Die Société de l’Orient latin Kapitel einundzwanzig Das Mittelmeer der Gegensätze Der kranke Mann am Bosporus | Die heiligen Stätten und die »orientalische Frage« | Die Eröffnung des Suezkanals | Mare nostrum

S. 524

Kapitel zweiundzwanzig Die große Zerstückelung S. 542 Das Great Game im Mittelmeer | Nationalismen | Kriegswinde | Ein Gigant in Trümmern Kapitel dreiundzwanzig Die Erinnerung an die Kreuzzüge S. 560 Die Kreuzzüge aus Sicht der Araber | Dschihad und Dschihadismus |  Wir und sie: wo verlaufen die Grenzen? | Nicht melting pot, sondern salad bowl Schluss

S. 573

ANHANG Belegangaben zur deutschen Übersetzung

S. 580

Chronologie

S. 581

Karte

S. 582

Personenregister

S. 584

Ortsregister

S. 593

Abbildungsnachweis

S. 600

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Einführung Die gesamte Menschheitsgeschichte lässt sich in vier Zeitabschnitte teilen, nämlich in die der »Verirrung«, der »Erneuerung«, der »Versöhnung« und schließlich der »Pilgerschaft […]. Die Zeit der Pilgerschaft ist der jetzige Abschnitt der Menschheitsgeschichte, in dem wir pilgern und uns in einem stetigen Kampf befinden.« Jacobus de Voragine, Legenda aurea Die Geschichte der Kreuzzüge ist lang. Um sie mit der nötigen Genauigkeit zu erzählen, beginnen wir mit dem Spannungsverhältnis zwischen dem Begriff, der sie bezeichnet und heute allzu häufig im Munde geführt wird, und dem, was eigentlich geschah. Am Ende des 11. Jahrhunderts, also als dem üblichen historischen Narrativ zufolge 1096–1099 der sogenannte »erste Kreuzzug« stattfand, gab es keinen Kreuzzug. Es gab nicht einmal das Wort, das erst später aufkam und die gebräuchlicheren Bezeichnungen expeditio, succursus, auxilium, peregrinatio, iu­ bilaeum, passagium, negotium crucis oder negotium Ihesu Christi ablöste, allerdings nie ganz. Schon die zugrunde liegende Idee selbst erscheint verworren, wenn man die fragmentierte Abfolge kriegerischer und religiöser Aktivitäten betrachtet, denen es an ideologischer Kohärenz fehlte: militärische Expeditionen, bewaffnete Pilgerfahrten, Volksbewegungen. Doch auch wenn es an Institutionalisierung und theoretischem Unterbau noch mangelte – sie zumindest gab es schon: die cruce­ signati. Als peregrini auf dem Weg nach Jerusalem trugen sie auf ihrem Gewand, auf Schulter oder Brust aufgenäht oder -gestickt, oder auch auf dem Pilgersack ein kleines Kreuz. Ihre Reise war sowohl iter als auch peregrinatio, ebenso Waffengang wie Bußgang. Der Kreuzzug, als bewaffnete Pilgerfahrt nach Jerusalem entstanden, wurde hauptsächlich auf dem Landweg durchgeführt, wobei sich der Transport über das Meer fast sofort als geeignetes Hilfsmittel erwies: zuerst bei der Eroberung des Heiligen Landes und dann bei der Versorgung jener sozialen und bürgerlichen Strukturen lateinisch-westlicher Art, die sich dort bald entwickelten.

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Einführung

Mit der Zeit wurde das gesamte Unternehmen mit dem Begriff benannt, der ursprünglich die Überquerung des Meeres bezeichnete: das passagium. Später, seit dem Konzil von Lyon 1274, wurde feiner unterschieden. Das pas­ sagium generale galt als allgemeine Christenpflicht. Man konnte ihr entweder durch den persönlichen Einsatz im Kampf nachkommen oder auf andere Weise seinen Beitrag dazu leisten, etwa durch Zehntzahlungen, Almosen, Geldbußen oder testamentarische Vermächtnisse. Dagegen sprach man von passagium par­ ticulare, wenn die Unternehmung genau umrissene Ziele hatte oder nur eine bestimmte Gruppe von Berufskriegern dazu aufgerufen wurde. Sogar den Fall eines passagium quasi particulare hat es gegeben, bei dem einige vornehme Genueser Damen als Wegbereiterinnen einer Expedition im großen Stil auftraten, die dann allerdings nie zustande kam. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts tauchten in den Werken von Chronisten wie Geoffroi de Villehardouin und Johannes von Joinville gelegentlich Wörter und Wendungen auf, die sich auf den eigentlichen Akt der Kreuznahme bezogen (firent croise oder se croizer) oder auf das ganze Unternehmen (croiserie und croisement) oder dessen Teilnehmer (croize und croisse). Doch wurden diese Begriffe eher beliebig eingesetzt. Der Terminus cruciata kam zuerst während des sogenannten Albigenserkreuzzuges und dann im iberischen Bereich in Gebrauch und wurde lange Zeit typischerweise für den wirtschaftlich-finanziellen Aspekt des Unternehmens verwendet. So machte die bulla cruciatae genaue Angaben zu den Zehnten und anderen Beiträgen in klingender Münze, die die Christen für die jeweilige Expedition zu entrichten aufgefordert waren. Erst irgendwann im Laufe des 17. oder 18. Jahrhunderts  – die erste Verwendung des Begriffs in diesem Sinne scheint auf die 1638 in Lyon veröffentlichte Histoire des croisades von Archange de Clermont zurückzugehen  – bekam die Bezugnahme auf das Kreuz jene allumfassende Relevanz, die wir dem Begriff heute beimessen. Nun konnte »Kreuzzug« nicht mehr nur die Gesamtheit aller Handlungen bezeichnen, die 1099 zur Eroberung Jerusalems geführt hatten und im Folgenden zur Verteidigung des lateinischen Königreichs im Heiligen Land und seiner Vasallenfürstentümer bis zu ihrem Fall im Jahr 1291 beigetragen hatten. Gemeint waren jetzt auch all jene Anstrengungen, die zur Verteidigung ganz Europas unternommen wurden, dem in den folgenden Jahrhunderten Gefahr vonseiten der Osmanen und Barbaresken drohte. Der Terminus cruciata, der in alle europäischen Sprachen Eingang fand,

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Einführung

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nahm bald weitere, übertragene Bedeutungen an. In den Jahren der Französischen Revolution bemühten ihn sowohl Jakobiner als auch Konterrevolutionäre, meinten damit aber ganz Verschiedenes: Die einen verurteilten die Entscheidung der anderen, sich den Werten der Revolution mit Waffen zu widersetzen, als fanatisch und reaktionär, während ebendiese anderen ihre religiösen und politischen Vorstellungen verherrlichend aufs Schild hoben. Die propagandistische Kreuzzugsterminologie wehte auch durch die folgenden Jahrhunderte und reicht, der Mythenbildung reichlich Stoff liefernd, von der Vendée bis ins Süditalien der Sanfedisten, von Rom unter Pius IX. bis zur mexikanischen Cristiada in den Jahren 1926–1929, vom Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 bis zum war against terror eines George W. Bush. Das eigentliche Bild vom Kreuzzug ist dabei mit der Zeit verblasst, obwohl er als kulturelles Phänomen weiterhin außerordentliches Bedeutungspotenzial besitzt. Wie erklärt sich eine solche semantische Anpassungsfähigkeit? Die Gründe dafür liegen vielleicht in der Natur der Sache selbst. Ein Jahrhundert nach seinen Anfängen wurde der Kreuzzug erstmals einer gewissen Kodifizierung unterzogen. Die Kanonisten versuchten sich im Verlauf des 13. Jahrhunderts an einer genauen Bestimmung der Eigenart des Kreuzzugsgelübdes, also jenes feierlichen Versprechens, das die crucesignati vor ihrer Abreise ablegen mussten und worin sie sich zur Einhaltung der Bedingungen verpflichteten, die der Papst in der entsprechenden bulla formuliert hatte. Im Gegenzug zu diesem feierlichen Versprechen kamen die Kreuzfahrer, die diese peregrinatio sui generis auf sich nahmen, in den Genuss einiger konkreter Vorteile – zum Beispiel der Aussetzung bestimmter Strafurteile oder eines Schuldenmoratoriums für sich und ihre Familien bis zur Rückkehr von der Expedition. Dazu gab es einen hochbegehrten geistlichen Lohn, der in einem vollständigen Sündenablass bestand. Es war derselbe Ablass, den die Päpste, beginnend mit dem Jahr 1300, anlässlich eines Heiligen Jahres gewährten und der die für die jeweilige Schuld des Sünders vorgesehenen zeitlichen Sündenstrafen nach dem Tod vollständig tilgte. Es waren die Kanonisten, insbesondere Sinibaldo Fieschi, der als Papst Innozenz IV. zwischen 1243 und 1254 auf dem Heiligen Stuhl saß, und Heinrich von Susa, der ab 1262 Kardinalbischof von Ostia war, die für solche Unternehmungen die Bezeichnung crux einführten. Sie unterschieden zwischen einer crux transmarina, die über das Meer ins Heilige Land führte, aber auch gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel oder die Heiden im Ostseeraum gerichtet sein konnte, und einer crux cismarina,

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Einführung

die der Bekämpfung der religiösen oder politischen Feinde von Kirche und Papsttum galt, die im Innern der Christenheit lauerten. So wurde ab der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts das Engagement gegen die Ungläubigen praktisch mit dem gegen die mali christiani gleichgesetzt. Sache der Kirche war es, von Fall zu Fall die opportunen Ziele aufzuzeigen. Nachdem man einmal kirchenrechtlich verankert hatte, dass der spezifische Zweck der bewaffneten Pilgerfahrt ins Heilige Land weniger der Schutz der heiligen Stätten war als vielmehr die tuitio, exaltatio und dilatatio christianitatis, konnte man all jene Expeditionen, die die Kriterien der Verteidigung und Verherrlichung von Christi Namen erfüllten, dem iter hierosoly­ mitanum dem Wesen nach gleichstellen und dafür die entsprechenden geistlichen und weltlichen Privilegien gewähren. Damit erschufen Päpste und Kanonisten ein außerordentliches Herrschaftsinstrument über den corpus christianorum, und dies obwohl sich parallel dazu eine breite Front der Ablehnung herauszubilden begann, die einem Kampf unter Christen jegliche Rechtmäßigkeit absprach. Nicht selten wurden sogar die christlichen Misserfolge im Heiligen Land auf ebendiese päpstliche Politik zurückgeführt, der man vorwarf, die Anwendung von Gewalt innerhalb der Christenheit zuzulassen. Der solcherart institutionalisierte Kreuzzug koexistierte lange Zeit mit der Kreuzzugsbewegung, soll heißen jenem Komplex an Mythen und Vorstellungen, die mit der Praxis der peregrinatio und der Idee der Erlösung, aber auch der ritterlichen aventure verknüpft waren, dabei immer wieder apokalyptische Töne anstimmten und jedenfalls über die rein juristischen oder politischen Aspekte des Phänomens hinausgingen. In der Gedankenwelt und dem täglichen Leben des einfachen Volkes konnte der Kreuzzug lange Zeit seine außergewöhnliche Suggestionskraft bewahren. Die Päpste riefen weiterhin Kreuzzüge aus: gegen Heiden und Ketzer und ab dem 14./15. Jahrhundert gegen die Europa bedrohenden Türken. Die Praxis setzte sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts fort. War das, mit Blick auf seine ursprünglichen Ziele, eine Abweichung oder eine Erweiterung des Kreuzzugsgedankens? Ob erster Kreuzzug oder späte Nachläufer, wir haben es in allen Fällen und aus gutem Grund mit echten Kreuzzügen zu tun. Auch wenn sie verschiedene, wechselnde Ziele verfolgten, haben sie doch miteinander gemein, dass sie von derselben Autorität in derselben Absicht ausgerufen wurden, nämlich die Christenheit auszuweiten oder zu verteidigen. Abgesehen von den zahlreichen Chroniken, die sich mit den Ereignissen im Orient befassen und sich ab dem 12. Jahrhundert auf den lateinischen Osten konzentrieren, wurde der Kreuz-

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Einführung

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zug wiederholt auch zum Gegenstand des humanistischen Nachdenkens vor dem Hintergrund des Türkenproblems. So spricht ein Werk wie La Gerusalemme li­ berata (Das befreite Jerusalem) dem Anschein nach zwar über den ersten Kreuzzug, beschäftigt sich in Wirklichkeit aber mit der eigenen Zeit: Torquato Tasso beschwört Gottfried von Bouillon und das Heilige Land herauf, meint dabei aber Don Juan de Austria und Lepanto. Der Kreuzzug als religiöses Phänomen zog seitens der Philosophen – von Voltaire bis Gibbon, Montesquieu, Mailly und Robertson – Verachtung, ja sogar Zorn auf sich. Sie sahen darin eine der ultimativen Manifestationen jenes Fanatismus, der genau das Gegenteil zu dem von ihnen hochgehaltenen Ideal der Toleranz war. Dabei erkannten sie durchaus seine historische Geltung, die sich aus den erheblichen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Folgen einer ständigen Konfrontation mit dem Anderen ergeben hatte. So gesehen galt der Kreuzzug im Kern als ein politisch-ökonomisches Phänomen, für das die religiöse Sphäre kaum mehr als eine formale Hülle, wenn nicht gar nur ein Vorwand war. Eine Sichtweise, die kaum in stärkerem Gegensatz stehen könnte zu der wachsenden romantischen Begeisterung, mit der die Helden und Antihelden der Kreuzzüge verherrlicht wurden: von Gottfried von Bouillon über Richard Löwenherz bis hin zum kurdischen Sultan Ṣalāḥ al-Dīn  – dem Saladin der westlichen Tradition  –, der mal als Ungeheuer gezeichnet wurde (wie der »feroce Saladino« auf den Sammelbildchen eines italienischen Lebensmittelkonzerns in den 1930er-Jahren), mal als großzügiger, ritterlicher und fairer Gegner, zu dem viele Kreuzfahrer dauerhafte Beziehungen pflegten. Dieser Saladin ist es, den Gotthold Ephraim Lessing, inspiriert von Boccaccios Novelle Die drei Ringe, in seinem Drama Nathan der Weise von 1779 zum Sinnbild der Toleranz machte. Ein ähnliches Bild zeichnete Walter Scott, der die geheime Freundschaft zwischen Saladin und Richard Löwenherz in den Mittelpunkt seines Romans Der Talisman (1825) stellte. War den Aufklärern der Kreuzzug nur Unwissenheit, Barbarei und Fanatismus, so bedeutete er Romantikern wie dem Historiker und Royalisten Joseph-François Michaud, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine monumentale sechsbändige Histoire des croisades, gefolgt von einer vierbändigen Bibliothèque des croisades, verfasste, nichts weniger als eine heilige Unternehmung mit dem Ziel, die Christen des Ostens aus der Tyrannei der Sarazenen zu befreien und auf diesem Weg zugleich zur Verbreitung des Christentums und der europäischen Zivilisation in der Welt beizutragen. Vor diesem Hintergrund fand letztlich eine Gleichsetzung von Kreuzzügen mit Hei-

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Einführung

ligen Kriegen oder Missionskriegen statt. Beide kulturelle Haltungen haben in den vergangenen zwei Jahrhunderten die Vorstellungen vom Kreuzzug geprägt und in der Öffentlichkeit – wie eben schon angedeutet – eine ethisch-politische Polemik genährt, die in den unterschiedlichsten Situationen erneut aufflammen konnte. Das war der Fall beim katholischen Widerstand in der Vendée gegen die bewaffneten Kräfte der Französischen Revolution; bei den Freiwilligen, die aus fast ganz Europa, vor allem aber aus Frankreich herbeiströmten, um den Kirchenstaat zwischen 1860 und 1870 gegen die Eroberung durch die italienischen Nationalisten zu verteidigen (wofür sie im Übrigen eine Generalabsolution in Aussicht gestellt bekamen); bei der guerra cristera in Mexiko, als es in den Jahren 1926– 1929 zum Aufstand gegen die Regierung des Präsidenten und Freimaurers Plutarco Elías Calles kam. Das galt schließlich auch für die Verwendung des Begriffs cruzada während des Spanischen Bürgerkriegs 1936–1939 durch die franquistische Propaganda, von wo er in den Sprachgebrauch der nacionales überging. Der eine oder andere übereifrige Prälat hätte es gerne gesehen, wenn die Freiwilligen, die zur Unterstützung der Nationalisten nach Spanien eilten, als Kreuzritter anerkannt worden wären, der vollkommene Ablass natürlich inklusive. Davon wollte Pius XI. allerdings nichts wissen. In den letzten Jahren hat das Aufkommen von Fundamentalismen das Thema erneut ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Durch die Ereignisse seit dem 11. September 2001 wurden die spätestens 1979, dem Gründungsjahr der Islamischen Republik Iran, wieder erwachten Vorurteile an die Oberfläche gespült – allen voran die Vorstellung von Europa und Islam als »historische Feinde«, geopolitisch dazu bestimmt, miteinander in Konflikt zu geraten. Sie ist einer verzerrten, oberflächlichen und rhetorisch zugespitzten Sichtweise geschuldet, die Geschichte vor allem als eine Geschichte der Kriege versteht und dabei vergisst, all diese Einzelepisoden in dem reichen und vielschichtigen Kontinuum zu kontex­tualisieren, das die gewinnbringenden und engen wirtschaftlichen, kulturellen und diplomatischen Beziehungen bilden. Ein weiteres zäh sich haltendes Vorurteil besagt, der Islam habe sich immer mit Gewalt durchgesetzt – eine Lüge, die manche Publizisten und Pseudohistoriker um die noch lächerlichere Behauptung haben ergänzen wollen, dass sich das Christentum (oder gar der Westen, ob christlich oder postchristlich) im Gegensatz dazu stets nur dank seiner gewaltlos propagierten positiven Modelle von Frieden und Toleranz, repräsentativer Demokratie und technischem Fortschritt ausgebreitet habe. Es waren Fundamentalismen, von denen es

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Émile Signol, Reiterbildnis Gottfrieds von Bouillon, König von Jerusalem, 1844, Versailles, Musée du Château.

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keineswegs nur islamische, sondern auch christliche, jüdische und laizistische gibt, die den Kreuzzug beziehungsweise etwas, das ihm ähnlich sehen möchte, wieder in Mode gebracht haben. Und wie in einem Flashback ist dadurch der echte, einer komplexen und nicht allzu bekannten historischen Vergangenheit angehörende Kreuzzug zurückgekehrt und zieht das Publikum von Neuem in seinen Bann. Bücher, Fernsehserien und Filme sind der Beweis dafür. Doch bevor auch wir uns auf die Reise in das Universum der Kreuzzüge begeben, wollen wir noch einmal kurz auf die erwähnte semantische Anpassungsfähigkeit des Begriffs zurückkommen, auf seine verschiedenen Bedeutungsschichten. Denken wir an den Gebrauch (und Missbrauch) des Wortes crusade in der amerikanischen Politpropaganda, beginnend mit den 1948 unter dem Titel Crusade in Europe veröffentlichten Kriegserinnerungen Dwight D. Eisenhowers bis hin zu den Ereignissen seit dem 11. September. Denken wir aber auch an den Ge- und Missbrauch desselben Begriffs in der islamistischen Propaganda, wofür es zahlreiche Belege gibt, so zum Beispiel in dem vom sogenannten »Islamischen Staat«, bekannt unter dem Namen ISIS oder Daesh, verbreiteten Magazin Dābiq, das nicht davor zurückscheut, seine Gegner im Westen als »Kreuzfahrer« und deren Kriege als »Kreuzzüge« zu bezeichnen. Dies geschieht im Übrigen unter Verwendung eines Ausdrucks, der dem klassischen Arabisch fremd ist, das die Kreuzzüge noch weit bis ins 19. Jahrhundert als al-hu­ rub al-franjyya (»Kriege der Franken«, sprich: der Westeuropäer) bezeichnete, bevor sich in den Schulbüchern die eingängigere Bezeichnung al-hurub as-salibyya (»Kriege des Kreuzes«) durchsetzte. Heute hat die – dezidiert westliche – Rhetorik vom »Kampf der Kulturen« auch unter Muslimen ihre Anhänger gefunden. Der metaphorische, auch bildhafte Gebrauch des Begriffs bleibt zulässig, solange wir dabei in einer gründlichen und umfassenden Kenntnis seines immensen historischen Potenzials verankert bleiben. In Wahrheit ist der Kreuzzug so etwas wie der »weiße Wal« der europäischen Geschichte. Er ist eines und vieles. Er folgt einem strengen Regelwerk und artikuliert sich doch in einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Einzelfälle, die je nach Epoche und Kontext, in dem ein Kreuzzug ausgerufen wurde, ihre eigenen Ziele verfolgen. Eher als eine Utopie ist er eine Art Proteus der abertausend Formen: immer gleich und doch immer anders. Als juristisch-politisches Instrument und »Kraftidee«, als unerschöpfliche Quelle für Metaphern, als Mythos und, immer und immer wieder, als Anlass für Rechtfertigungen, Verdammungen, Polemiken und Missverständnisse entfaltete sich der Kreuzzug in unterschiedlichen Situationen immer wieder neu, wobei er sich

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Hubert und Jan van Eyck, Die Ritter Christi, 1432, Gent, St.-Bavo-Kathedrale.

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einer allmählich oder auch plötzlich hereinbrechenden Abenddämmerung ebenso fügte wie dem unerwarteten Morgen, der ihn mit neuem Leben erfüllte. Er war der Protagonist zahlreicher Revivals, in denen er durch die metaphorische und propagandistische Verwendung des Begriffs seine Aktualität zurückgewann. Ziel und Zweck hat er wiederholt gewechselt, seinen Schauplatz ebenfalls. Er spielte nicht nur im Heiligen Land, sondern auch in den iberischen Königreichen, im französischen Süden, auf der italienischen Halbinsel und in Nordosteuropa. Mehrfach hat er sich neu definiert: als bewaffnete Pilgerfahrt, als Kampf gegen die Ketzerei, als Instrument politischer Kontrolle, als Verteidigungsmaßnahme an der Vormauer der europäischen Christenheit gegen die osmanischen Offensiven des 15. bis 18. Jahrhunderts, als custodia maris gegen die Barbareskenkorsaren, als Einsatz für die Christianisierung der Neuen Welt. Diese Vielschichtigkeit hat die Wasser getrübt und für zahlreiche Missverständnisse gesorgt, die selbst umsichtige Historiker in die Irre geführt haben. Und doch hätte dies nicht geschehen können, hätten wir es nicht mit einer so wandelbaren Realität zu tun, eben einer wahrhaftigen »Kraftidee« (idée-force) des europäischen Westens. Es ist die Kenntnis ihrer historischen Entwicklung, zu der dieses Buch beitragen will, um gegen die immer wieder auflebende Rhetorik vom »Kampf der Kulturen« immun zu machen. Heute ist das große Meer der internationalen Politik von allzu vielen Walfängern wie der »Pequod« bevölkert, und allzu oft erschallt aus dem Mastkorb der verhängnisvolle Ruf: »Da bläst er! Da!« Von Herman Melville stammt auch der Rat, sich vor den vielen Ahabs unter den Kapitänen in Acht zu nehmen: Wenn sie uns Zeichen geben, ihnen zu folgen, ist es besser, die Einladung nicht anzunehmen.

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ERSTER TEIL

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Kapitel eins

Die Kreuzzugsidee und ihre Wurzeln Heiliger Krieg, Dschihad und Kreuzzug Am Ausgang des 11. Jahrhunderts als bewaffnete Pilgerfahrt ins Leben gerufen, entwickelte sich der Kreuzzug zum Kampf um die Bewahrung oder Rückeroberung des Heiligen Landes. Er war die unmittelbare und quasi natürliche Fortsetzung jener Kriege, die gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel, die Muslime auf Sizilien und die sarazenischen Freibeuter im Mittelmeer geführt worden waren und wurden. Von der Kirche institutionalisiert und instrumentalisiert, sollte er noch verschiedenen Zwecken dienen, sei es die kirchliche Expansion im Nordosten Europas, sei es die Unterdrückung von Häretikern und politischen Gegnern. Häufig trafen Kreuzzug und christliches Missionsideal zusammen, wobei sie mal im Widerspruch zueinander standen, mal einander ergänzten. In jedem Fall ging der Kreuzzug mit dem Streben nach innerem Frieden der Christenheit einher, lag darin doch die Grundvoraussetzung für ein wirksames Vorgehen gegen die Ungläubigen. Als die südöstlichen Grenzen Europas im 14. und 15. Jahrhundert zunehmend durch die osmanische Expansion bedroht wurden, änderte er erneut sein Erscheinungsbild und gab sich nun als Verteidigungskrieg eines geeinten Kontinents und »seines« Meeres gegen die neue Bedrohung durch die Barbaren. Die folgende Phase einer Politik der Bündnisse gegen den Türken, die bis ins 18. Jahrhundert andauerte, ließ neben das religiöse Element ein politisch-diplomatisches treten, wobei Ersteres nie ganz verloren ging, sondern im kollektiven Bewusstsein bis heute weiterlebt.

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Es stellt sich also die Frage: Was waren die Kreuzzüge? Religionskriege, ideologische Kriege oder doch Kolonialkriege? Ein frühes Beispiel systematischer Aggression des Okzidents gegenüber dem Orient? Ein fernes Modell rassistisch motivierter Bluttaten? Im gesammelten Schrifttum  – mittelalterlichem wie modernem – werden die Kreuzzüge häufig bella sacra, Heilige Kriege, genannt. Bisweilen wird das Adjektiv sacrum, nicht immer mit der gebührenden Sorgfalt gegenüber den theologischen Implikationen, durch sanctum ersetzt. Dessen ungeachtet ist es im Christentum nie zur Ausbildung einer wirklichen Theologie des Heiligen Krieges gekommen. Ebenso wenig waren die Kreuzzüge – also die von dem Wunsch, die heiligen Stätten in Besitz zu behalten oder (zurück) zu erobern, befeuerten Feldzüge, die seit dem 13. Jahrhundert kanonistisch entsprechend untermauert waren – jemals als Religionskriege konzipiert. Und noch weniger galten sie bei der Bekehrung der Ungläubigen als parallele oder gar alternative Form zum Missionsauftrag. Kam es trotz allem zu Fällen von erzwungener Konversion, sind diese von der Kirche nie als Ergebnis einer Missionsabsicht legitimiert worden. Dies gilt im Übrigen auch für den Islam: Der Dschihad ist kein Heiliger Krieg, sondern eine absolute Bemühung (eine Anstrengung), die man im Namen einer Sache auf sich nimmt, die theologisch und rechtlich als gottgefällig gilt. Zwar kann sie unter Umständen auch in einem militärischen Akt bestehen, ist aber meist ziviler, moralischer oder humanitärer Natur. Heute scheint der Begriff des Dschihadismus die älteren Begrifflichkeiten von Fundamentalismus und Islamismus ersetzt zu haben. Tatsächlich ist er insofern besser legitimiert als diese, als muslimische Gruppierungen existieren, die sich über ihren Einsatz im Dschihad definieren. Doch wie immer sind die Dinge vielschichtiger. Das klassische islamische Recht teilt die Welt in zwei große Gebiete ein: den dār al-Islām, wo der Islam die Vorherrschaft hat, das Leben seinen Gesetzen unterliegt und Krieg nicht nur verboten, sondern völlig unmöglich und undenkbar ist; und den dār al-Harb, wo die Heiden leben (sprich die Götzenanbeter, die durch Vernichtung oder Konvertierung verschwinden müssen) und die sogenannten »Leute des Buchs« (ahl al-Kitāb). Gemeint sind Monotheisten, die den wahren, ihnen von einem heiligen Buch enthüllten Gott kennen: Juden und Christen, einigen islamischen Schulen zufolge aber auch Mazdaisten, Mandäer, Jesiden und Buddhisten. Diese »Buchbesitzer« müssen dem Islam unterworfen werden und seine Überlegenheit als »Siegel der Prophezeiung« und vollkommenen Glauben anerkennen, sollen jedoch nicht ge-

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Kapitel eins 

zwungen werden, sich zum Islam zu bekehren. Unter Vorbehalt diverser zivilrechtlicher Einschränkungen dürfen sie im dār al-Islām bleiben und ihren Kult als dhimmi (»Subjekte«, aber auch »Schutzbefohlene«) privat ausüben. Im Übrigen bedeutet das Wort harb, Krieg, das genaue Gegenteil von Islam, welcher Begriff mit salam, Frieden, eng verwandt ist. Da das Arabische eine konsonantische Sprache ist, handelt es sich in letzter Konsequenz sogar um dasselbe Wort, nämlich s-l-m, und bedeutet somit ureigentlich genau das: Frieden, Eintracht, innerstes Einverständnis (soll heißen zwischen göttlichem Willen und menschlichem Wollen, das gehalten ist, jenem zu entsprechen). Islam ist damit ein Synonym von din (Glaube) und nicht zu trennen von dawla (Recht). Der Islam stützt sich auf fünf Säulen oder Grundprinzipien (Arkan al-Islam). Es sind die fünf wesentlichen Pflichten, die ein guter Muslim zu erfüllen hat: das Glaubensbekenntnis, das tägliche rituelle Gebet, das Fasten im Ramadan, die Pilgerreise nach Mekka mindestens einmal im Leben und die »Almosensteuer« (zakāt). Viele islamische Rechtsschulen fügen diesen fünf Säulen auch den Dschihad hinzu, der buchstäblich in der verdienstvollen Anstrengung des Gläubigen besteht, der aus freiem Willen in eine gottgefällige Richtung strebt. Dies kann, wie gesagt, auch Krieg beinhalten, was in der muslimischen Welt faktisch häufig der Fall gewesen ist. Tatsächlich ist aber jedes im Namen Gottes oder in Erfüllung seines Willens eingegangene Engagement Dschihad – auch ziviles, soziales oder humanitäres. Weder der Islam noch das Juden- oder Christentum kennen einen Heiligen Krieg im eigentlichen Sinne, einen Krieg also, der allein aufgrund der bloßen Tatsache, dass eine Person daran teilnimmt, diese »heiligt«, sprich ganz und gar gottgefällig sein lässt. Ein solcher Krieg, der heiligt, nur weil er aus religiöser Absicht geführt wird, existiert in keiner der drei abrahamitischen Religionen. Der Mensch muss vielmehr vor Gott für jede einzelne seiner Taten Rechenschaft ablegen, nicht nur für den Zweck, dem sie dienen sollen. Dennoch steht fest, dass man sich im Islam oft auf jenen Aspekt des Dschihad berufen hat, der auf den von Gott gewollten, Gott wohlgefälligen Krieg abzielt. Ebenso hat der Islam, obwohl er für sich in Anspruch nimmt, ein einender, befriedender Glaube für alle Gläubigen zu sein, seit dem Tod des Propheten Spaltung und Bürgerkrieg (fitna) zwischen seinen beiden Hauptgruppen, den Sunniten und den Schiiten, erlebt. Dabei ist die unterschiedliche Konfession in gewisser Hinsicht auch Ausdruck ethnokultureller Unterschiede und Rivalitäten: Das Schiitentum hat sich vornehmlich auf persischem Gebiet durchgesetzt, während die Sunniten als größte Glaubensgruppe fast

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alle übrigen ethnischen Gruppen umfassen. Schiiten finden sich jedoch auch unter Arabern und ural-altaischen Völkern. Die fitna hat zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert vor allem die Form eines Konflikts zwischen Osmanischem Reich (Sunniten) und persischen Safawiden (Schiiten) angenommen. Dabei ist der Dschihadismus, so wie wir ihn heute kennen, das Ergebnis einer komplexeren Situation, die sich erst seit dem Ende des 18. Jahrhunderts herausgebildet hat. Der Kreuzzug, obgleich mit dem Konzept des Heiligen Krieges ebenso wie mit dem des Dschihad verknüpft, ist etwas anderes. Seine Entstehung ist das Ergebnis eines langen, peinvollen Prozesses, der mindestens bis zu Augustinus von Hippo und seiner Idee vom »gerechten Krieg« zurückreicht, die er nach dem Modell der von Gott gewollten Kriege im Alten Testament entwickelte. Als iustum bellum konnte nur derjenige Krieg gelten, der von einer legitimen Obrigkeit befohlen wurde, deren Macht von Gott selbst verliehen worden war. Als es im Laufe des 11. Jahrhunderts dann zum Bruch zwischen Papsttum und Kaisertum kam, schwand damit zwangsläufig die Möglichkeit, diese Art von Kriegen zu erklären. Das Papsttum kompensierte dies, indem es sich zum Sprachrohr eines vermeintlich göttlichen Willens machte und eine ganze Reihe von Kriegen rechtfertigte, mit seinem Segen versah, gar heiligte. So beispielsweise Papst Alexander II. (1061– 1073), der in einem Brief an den Klerus von Volterra Anweisung gab, wie mit jenen Kämpfern verfahren werden sollte, die gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel ziehen wollten: Ein jeder von ihnen solle seine Sünden beichten und die dafür angemessene Buße auferlegt bekommen. »Wir für unseren Teil«, bekräftigte der Papst, »befreien sie kraft Autorität der heiligen Apostel Petrus und Paulus von dieser Buße und vergeben ihnen ihre Sünden.« Noch handelt es sich nicht um einen Ablass, der erst gegen Mitte des 12. Jahrhunderts seine theoretische Fundierung erfuhr, sondern um eine Umwandlung: Der Feldzug trat an die Stelle der Buße. Genau dies geschah auch im Fall des ersten Kreuzzuges. Alexander II. rief noch nicht zu einem Feldzug auf, sondern beschränkte sich auf die Unterstützung jenes Vorhabens, das man später als Reconquista definieren würde. Im November des Jahres 1095 wagte sich dann Papst Urban II. in der Schlussphase des Konzils von Clermont ein ganzes Stück weiter vor, als er die christlichen Ritter zu einer Unternehmung anstachelte, die andere Ziele verfolgte. Dabei ging es um die Unterstützung der Christen im Orient und, wie zumindest eine Version seiner Rede glauben macht, womöglich sogar um die Rückeroberung Jerusalems. Der Feldzug nahm in dem Moment die ambiva-

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lenten Züge eines Heiligen Krieges an – »Deus vult!«, Gott will es!, sollen die Teilnehmer manchen Chronisten zufolge gerufen haben  –, als die vereinte christianitas zur Überzeugung gelangte, dass sich der Sieg mit himmlischer Hilfe würde erringen lassen. Der Appell Urbans II. entspricht faktisch den Kriterien einer echten »Geschichtstheologie«: Unserer Sünden wegen  – nostris pecca­ tis exigentibus  – habe Gott zugelassen, dass die Sarazenen die heiligen Stätten besetzten. Nun aber vergebe er seinem Volk, das so begierig auf Besserung sinne, und gewähre deshalb seine Hilfe bei der christlichen Rückeroberung, die vielerorts vorangetrieben werde, von der Iberischen Halbinsel bis nach Sizilien – Der byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos, und nun weiter bis in den Orient. Istanbul, Hagia Sophia. Doch im Vergleich zur iberischen Reconquista und zur Bekämpfung der sarazenischen Piraterie im Mittelmeer, die von den italienischen Hafenstädten aus gesteuert wurde, stellte der Jerusalem-Auftrag ein Novum dar. Nehmen wir den Feldzug nach Mahdia, der nur wenig früher, im Jahr 1087, auf Betreiben Papst Viktors III. stattfand und an dem sich Einwohner der Städte Pisa und Genua beteiligten: Er besaß alle Merkmale eines Kreuzzuges wie päpstliche Billigung, Dämonisierung des Gegners, Vergebung der Sünden für die Kämpfer, Aussicht auf die Märtyrerkrone für diejenigen, die im Kampf den Tod finden würden. Dazu kamen selbstredend die materiellen Anreize, die allgegenwärtig waren. Und doch lag Jerusalem fern. Dabei war die Vorstellung von der Befreiung der Heiligen Stadt ganz sicher nicht neu. Einen Vorboten solcher Bestrebungen kann man zu Beginn des Jahrhunderts ausmachen, nachdem der fatimidische Imam al-Hākim im Jahre 1009 die Jerusalemer Grabeskirche hatte zerstören lassen. Ein weiteres, noch deutlicheres Warnsignal bedeutete in den 1060er-Jahren die Ankunft der seldschukischen Türken in der Levante, die innerhalb kurzer Zeit die gemäßigtere

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arabische Dominanz ablösten, nachdem sie das byzantinische Heer in der Schlacht in der Ebene von Manzikert 1071 geschlagen und keinen geringeren als den Basileus Romanos IV. Diogenes gefangen genommen hatten. Drei Jahre später verkündete Gregor VII. unmittelbar nach der Besteigung des päpstlichen Throns in wenigstens sechs Briefen sein Vorhaben, sich höchstpersönlich an die Spitze eines Feldzuges in den Orient zu setzen und bis nach Jerusalem vorzudringen. In die Tat umgesetzt wurde dieser Plan allerdings erst gegen Ende des Jahrhunderts und man fragt sich, weshalb. Nun, sagen wir, dass der Appell von Clermont nicht nur lang gehegte Erwartungen aufgriff, sondern auch die Vorstellungswelt eines Publikums ansprach, das überaus empfänglich für eine »starke« Idee wie jene war, manu militari zur Befreiung Jerusalems zu schreiten. In dieser Idee läuft manches zusammen: Seit geraumer Zeit dienten im byzantinischen Heer auch Söldner aus dem Westen, in der Regel Normannen, die in den 1080er-Jahren allerdings

Francesco Hayez, Papst Urban II. ruft in Clermont zum ersten Kreuzzug auf, 1835, Mailand, Gallerie di Piazza Scala.

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Kapitel eins 

auch etliche Überfälle auf die dalmatinischen Küstenregionen des Kaiserreichs verübten. Der neue Basileus Alexios I. Komnenos rief ausdrücklich den Papst um Hilfe an. Im Frühling des Jahres 1095 empfing Urban II. während eines Konzils in Piacenza mehrere griechische Gesandte, die auf Entsendung eines Kontingents »fränkischer« Krieger drängten, die als Söldner verdingt werden sollten. Möglich, dass dies die Entscheidungen des Papstes in eine bestimmte Richtung gelenkt hat. Im darauffolgenden November schilderte Urban im auvergnischen Clermont jedenfalls eindringlich die Notlage der Christen im Orient und forderte die anwesende Ritterschaft auf, sich auf Pilgerfahrt über das Meer zu begeben. »Wer die Reise nach Jerusalem allein aus Frömmigkeit unternimmt, um die Kirche Gottes zu befreien«, so liest man in den Kanones des Konzils, »und nicht um Ehre und Geld zu gewinnen, dem wird diese Reise als vollständige Buße angerechnet.« Nun ist alles beisammen. Wir haben das Ziel des Feldzuges: Jerusalem, seinen Zweck: die Befreiung der Christen, seinen Wert: die Buße. Und das unter nur einer Bedingung: dass die Reise im Geiste der Buße und frei von weltlichen Beweggründen sei. Wie sollen wir also den Kreuzzug verstehen, wie seine konkreten und seine verborgenen Motive deuten? Handelte es sich um einen Heiligen Krieg, eine bewaffnete Pilgerreise, um beides zusammen oder um noch etwas anderes? Alles kreist zweifelsohne um das Ziel Jerusalem, mit dem sich eine ganze apokalyptische und eschatologische Vorstellungswelt verknüpft, die es so vorher nicht gab. Allein dieser Aspekt genügt, um aus dem Kreuzzug (oder zumindest aus dem ersten Kreuzzug) auch eine Pilgerfahrt zu machen. Doch die Meinungen über das Wesen des Kreuzzugsgeschehens sind so vielfältig wie das Thema. Kurzgefasst lassen sich vier grundlegende Linien ausmachen: Die »Generalisten« wollen jegliche Form kriegerischer Handlung als Kreuzzug bezeichnen, die mit dem heiligen Willen zur Rückeroberung Jerusalems gerechtfertigt wird (das brisante Thema des Heiligen Krieges). Die »Popularisten« (abgeleitet von dem lateinischen Wort populares, das insbesondere die Chronisten des ersten Kreuzzuges gern verwenden) glauben, dass die Essenz des Kreuzzuges in seinem prophetischen und eschatologischen Charakter, in seiner kollektiven Exaltation zu finden ist. Die »Traditionalisten« hingegen wollen Kreuzzüge nur jene Feldzüge nennen, die in engerem Sinne der Karte von Jerusalem, unten Tempelritter, Fragment eines Psalters, 12.–13. Jh., Den Haag, Koninklijke Bibliotheek.

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Kapitel eins 

Eroberung, Verteidigung oder Rückgewinnung Jerusalems und des Heiligen Grabes galten. Die »Pluralisten« schließlich begreifen die Geschichte der Kreuzzüge in langen Zeiträumen und richten ihren Blick auf die mannigfaltigen Fronten, die unter dem Etikett des Kreuzzuges zum Ziel militärischer Expeditionen wurden. Was die Ursachen der Kreuzzüge angeht, so teilt sich das Lager in »Materialisten« unterschiedlicher kultureller Provenienz, die in den religiösen Beweggründen einen »Überbau« zur sozialen und wirtschaftlichen Realität im östlichen Mittelmeerraum lesen, und in die Vertreter eines »holistischen« Ansatzes. Diesen Letzteren zufolge sollte der lebendige, dynamische Prozess einer komplexen Realität, wie sie etwa die Kreuzzugsbewegung darstellt, unter Berücksichtigung aller ihrer Komponenten angegangen werden, vom Glauben bis zu den Praktiken der Pilgerfahrt, zu millenaristischen Erwartungen, wirtschaftlichen Interessen, diplomatischen Ereignissen, zu den Vorstellungen über den Islam und den durch Propaganda und Predigt verbreiteten Vorurteilen. In der Vielfalt dieser Ansätze ist eines gewiss: Nach dem Wenigen zu urteilen, was wir sicher wissen, ist der Kreuzzug aus einer komplizierten Gemengelage von einzelnen Elementen und Beweggründen entstanden. Um über den Kreuzzug zu sprechen, bedarf es also notgedrungen einer Vielzahl von »Zutaten«: Es bedarf des heiligen Augustinus und seines Konzepts des bellum iustum, der germanischen Krieger, Karls des Großen und seiner »Missionskriege«, eines Papsttums und einer Kirche auf der Suche nach Verteidigern, eines neuen Konzepts des miles Christi, des Sündenerlasses, der Verbreitung von Bußwallfahrten, eines Rahmens kirchlicher und spiritueller Reformen, der im 11. Jahrhundert von Genua und Pisa ausgehenden militärischen Unternehmungen im Tyrrhenischen Meer, der Reconquista auf der Iberischen Halbinsel, der morgenländischen Christen in Gefahr, eines mutigen Papstes. Und zu guter Letzt bedarf es der Heiligen Stadt Jerusalem, des ureigentlichen Ziels jener bewaffneten Pilgerreise mit den Merkmalen eines Heiligen Krieges, die wir üblicherweise Kreuzzug nennen. Der Kreuzzug besteht nicht aus alledem zugleich und doch entspringt er aus alledem.

Die Rechtfertigung des Krieges Die Idee vom Kreuzzug als Krieg, insbesondere als »Heiliger Krieg«, fand ihren Nährboden zum einen in dem kriegerisch auftrumpfenden Christentum in Byzanz, zum anderen in der Sakralisierung jener Konflikte, mit denen die Christianisie-

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rung Ost- und Mitteleuropas zur Zeit der karolingischen und ottonischen Kaiser vorangetrieben wurde. Krieg und Mission, das war eine tragische Liaison, die im letzten Viertel des 8. Jahrhunderts konkrete Formen annahm. Es handelte sich um eine mit Gewalt christianisierte Welt, die zwar in den Institutionen, nicht aber in den Strukturen, in den äußeren Riten, nicht jedoch in den Bräuchen von Grund auf überzeugt werden konnte. Seit den Kriegen, welche die Franken gegen die Sachsen und Slawen führten, war ein Thema von brisanter Aktualität, nämlich die Wahl zwischen Taufe und Tod. Es begegnet später wieder in den chansons de geste, die durchaus als Spiegel für den Kampf gegen einen als Heidentum inszenierten Islam gelten dürfen, aber auch eine dunkle Erinnerung an jene fernen Ereignisse bewahren. Das Christentum, das dieser Auffassung zugrunde lag, war eindeutig alttestamentlich und apokalyptisch geprägt. Darin verbinden sich sakrale und herrscherliche Sphäre: Reliquien werden mit in die Schlacht geführt, Waffen werden geweiht. Und Bischöfe verstehen sich besser auf die Kunst der Truppenaufstellung oder darauf, den Bär in der Höhle aufzuspüren oder dem Wildschwein nachzujagen, als auf die Lehren und Riten des Allmächtigen. Ein Christentum, ererbt von Theodosius und Justinian, geschmiedet mit der barbarischen Wucht der Söhne des Waldes und der Steppe, die sich womöglich in aller Aufrichtigkeit der Taufe unterzogen hatten, dabei jedoch ihre alten Götter, jene Gebieter über Schlachten und Stürme, niemals ganz vergaßen. Ein Christentum ohne Evangelium gewissermaßen – oder zumindest so gut wie ohne. In jedem Fall aber eines, das dem Irenismus Jesu oder den Metaphern des Paulus den brennenden Zorn des allmächtigen Gottes aus der Apokalypse (Offb 19,11–15) oder die Erbarmungslosigkeit des Herrn der Heere im Buch Jesajas (Jes 3,1) und all der Krieger wie Josua, Gideon, David oder der Makkabäer vorzog. Gemetzel und Verstümmelungen wurden als Werke Gottes gelobt, vollstreckt durch die Hand seiner Auserwählten (Ex 32,26–38; 1 Sam 15,3 oder 2 Makk 15,27–28). Aus solchen Geschehen, Visionen und Zeichen würde sich die Vorstellungswelt der ersten Kreuzfahrer nähren. Dabei war das Christentum in seinen Ursprüngen eine Religion des Friedens. Die Worte Jesu und sein Beispiel – und noch vor ihm die Johannes’ des Täufers – lehrten, sich dem Bösen nicht mit Gewalt zu widersetzen (Mt 5,21–26, 38–48; Mt 22,21; Lk 3,14; Lk 49–53, Joh 18,10–11). Das galt vor allem für den privaten Bereich, dann aber, beginnend mit dem berühmten Satz »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, auch für die öffentliche Sphäre. Die neue Religion hatte im Römischen Reich außerordentliche Verbreitung erfahren und sich gegen die ebenfalls

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Kapitel eins 

Leander Russ, Die Grabeskirche in Jerusalem, 1842, Wien, Albertina.

auf Erlösung und ewiges Leben ausgerichteten Mysterienkulte wie den Mithraskult durchsetzen können, indem sie ihre Loyalität gegenüber den kaiserlichen Institutionen und somit ihre Vereinbarkeit mit der pax romana unter Beweis stellte. In der langen Zeitspanne zwischen dem 2. und 5. Jahrhundert, in der das römische Heer vor allem Verteidigungszwecke erfüllte, war es möglich gewesen, den christlichen Glauben und sein ausgeprägtes Friedensstreben mit dem Militärdienst in Einklang zu bringen. Wie die Acta martyrium belegen, befanden sich nicht wenige Christen in den Reihen der Legionäre. Wohl sahen einige von ihnen in der völligen Unterwerfung unter den Staat eine Form von Götzendienst, sie stellten aber eine Minderheit dar. Tatsächlich kam es unter den Christen, die im Heer dienten, nicht allzu häufig zu Gewissenskonflikten. Die Unvereinbarkeit zeigte sich eher in den möglichen Kontakten mit den für Götzendienst gehaltenen Kulten, die unter den anderen Soldaten praktiziert wurden. So berichtet beispielsweise Tertullian in De corona, wie ein christlicher Soldat unter Septimus Severus sich weigerte, als sein Haupt in der Zeremonie des donativum zur Belohnung mit Lorbeer bekränzt werden sollte. Nach dem Grund seiner Verweigerung befragt, habe der Soldat dem Tribun geantwortet, er sei Christ – »christianus sum« –, und sei daraufhin unverzüglich in den Kerker geworfen worden.

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Bald zeigte sich, dass man der anhaltenden Gewalt in der Gesellschaft Rechnung tragen, sich zumindest vor ihr schützen musste. Einen ersten Meinungsumschwung in der Kriegsfrage erlebte die Westkirche, als sich das Kaiserreich allmählich dem Christentum öffnete. Der Einfachheit halber könnten wir Kon­ stantins Sieg über Maxentius in der Schlacht an der Milvischen Brücke zum Symbol dieses Umschwungs erklären. Immerhin hatte er ihn nach einer himmlischen Erscheinung errungen und nachdem man das Christogramm auf dem labarum, der Heeresfahne, angebracht hatte. Ohne hier auf Konstantins sogenannte Bekehrung einzugehen, lässt sich feststellen, dass er den Christen damals eine Reihe von Vergünstigungen zugestand, die wir ideell als die Basis der künftigen Allianz zwischen Kirche und Reich ansehen dürfen. Zwischen dem 4. und 5. Jahrhundert begannen die Kirchenväter, systematisch über Themen wie Krieg und insbesondere über das Konzept eines gerechten Krieges nachzudenken. Es war dies ein Erbe des Aristoteles, der sich mit der Frage in seiner Politik auseinandergesetzt hatte (I, 8; VII, 14). Dem Philosophen zufolge durfte Waffengewalt kein Selbstzweck sein. Gerechtfertigt war ihr Einsatz zum Schutz des Gemeinwesens, aber auch bei Eroberungsfeldzügen und zur Unterwerfung von Bevölkerungen, die für das Sklavendasein bestimmt waren, oder, vor allem, »um des Friedens willen«. An solche Konzepte knüpften die römischen Überlegungen zum gerechten Kriegsgrund an, von Livius’ causa belli, die im Bündnisbruch verankert war, bis zu Ciceros Gegenüberstellung von bellum iustum und bellum iniustum. Aus der Begegnung der griechischen und römischen Rechtstradition mit der biblisch-jüdischen entsprang die Idee, derzufolge der Umstand, dass der Kaiser nun Christ war, in vollem Umfang legitimierte, für ihn zu kämpfen. Eine Minderheit stand dem Kriegseinsatz der Christen weiter ablehnend gegenüber, ihr Widerstand ließ jedoch mit der Zeit nach. Das christlich gewordene römische Kaiserreich fungierte als der natürliche Beschützer von Gottes Kirche und musste natürlich als solcher selbst auch verteidigt werden. Heiden und Häretiker konnten eine Bedrohung für seine Stabilität darstellen. Eusebius von Caesarea zufolge waren die Laien gehalten, sich in den gerechten Kriegen des Reiches zu engagieren. Ambrosius, Bischof von Mailand und ein ehemaliger kaiserlicher Amtsträger, säumte nicht, Ende des 4. Jahrhunderts das unauflösliche Band zwischen Kaiserreich und Christentum zu betonen: Der Krieg des einen sei der Krieg des anderen. Ihm zufolge waren alle Kriege des Kaisers gerecht, so wie es auch alle Kriege der Israeliten gewesen seien.

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Kapitel eins 

Es war vor allem Augustinus von Hippo, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts mit Nachdruck auf die Bedrohung hinwies, welche die Barbaren für das Kaiserreich darstellten und die Häretiker, insbesondere die Donatisten, für die Einheit der Kirche. Diese Gefahr rechtfertige den Gebrauch von Waffengewalt, ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch sein Werk De civitate Dei zieht. Der Krieg, so betont unser Autor, sei zwar mit Sicherheit ein Übel; bisweilen stelle er aber ein notwendiges Übel dar, mit dem sich größeres Unglück abwenden oder ein Unrecht wiedergutmachen lasse. Welche Fälle aber legitimieren es, von einem iustum bel­ lum zu sprechen? Ein Krieg ist für Augustinus dann gerecht, wenn er von einer legitimierten Autorität erklärt wird, wenn er dem Wiederherstellen von Frieden und Gerechtigkeit dient, der Verteidigung von Haus und Hof oder der Rückgewinnung unrechtmäßig entwendeten Eigentums. Schließlich muss er noch von Soldaten geführt werden, die frei sind von Hass oder persönlichen Interessen. Weit entfernt also davon, als Alibi für Kriegshandlungen jeglicher Art herzuhalten, ermöglichte die Formel des iustum bellum eine klare Abgrenzung, in welchen Fällen der Gläubige sich beim Gebrauch der Waffe im Recht fühlen durfte. Dies ließ keine anarchische Entfesselung der Gewalt zu, im Gegenteil: Der gerechte Krieg wandte sich gegen die Gewalt selbst, indem er eine ständig überwachte Ausübung von Macht einforderte, die verhindern sollte, dass die Schwachen unterdrückt werden und Unrecht über Gerechtigkeit obsiegt. Aus augustinischer Sicht ist es ein ausdrücklicher Befehl Gottes, der den Krieg legitimiert. Obschon Krieg eine Frucht der Sünde ist, kann er zu einem Förderer der Tugend werden, nämlich sobald er zugunsten der Opfer eines Unrechts geführt wird und sich auf diese Weise in einen Akt der Nächstenliebe verwandelt. Unter allen Umständen muss der Christ immer und überall friedliebend sein und, auch wenn er Waffen benutzt, als Friedensstifter agieren. Wilhelm Durandus der Ältere, Bischof von Mende, gab Ende des 13. Jahrhunderts in seinem Pontifikale die sakramentalisierte liturgische Form vor, in der die Zeremonie der Einkleidung zum Ritter (das sogenannte addobbamento), die wahrscheinlich vorchristlichen und auf jeden Fall weltlichen Ursprungs war, vonstattenging. Dabei legte er dem Zelebranten als Wegweiser für den neuen Ritter ein Zitat aus Augustinus auf die Lippen: »Sis miles pacificus«. Dass der christliche Krieger pacificus (ein Friedensbringer) sein solle, war nicht allein auf den Zweck des Krieges bezogen, an dem er mit dem Auftrag beteiligt sein würde, einen gerechten Frieden anzustreben. Um pacificus zu sein, war auch eine bestimmte Weise

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der Kriegsführung vonnöten. Es hieß, unnötige Gewalt zu vermeiden, nach dem Sieg Hassgefühle und Rachegedanken zu überwinden, keine Taten zu verüben, die nachteilige Folgen für die Schwachen haben könnten, und die Feinde nicht mehr als notwendig zu schädigen. Hier zeichnet sich die wesentliche Problematik des künftigen Kriegsrechts ab: die Unterscheidung zwischen ius ad bellum (welche Gründe zum Eintritt in den Krieg berechtigen) und ius in bello (das Verhalten der Kombattanten während eines Konflikts).

Die Sakralisierung des Krieges Die augustinischen Ideen wurden sicher nicht von der gesamten Christenheit geteilt: Im Verlauf der christlichen Geschichte fehlte es nicht an Stimmen, die einen Rückzug aus der Welt forderten und bereit waren, sich den Irenismus auf die Fahnen zu schreiben. Ihr Erbe sollte in jedem Fall sehr lebendig bleiben. Mit dem Aufkommen der römisch-barbarischen Reiche zwischen dem 5. und 6. Jahrhundert musste die Kirche sich mit neuen Werten auseinandersetzen, die sich nicht einfach ignorieren ließen. Die germanischen Völker räumten dem Krieg einen besonderen Stellenwert ein, ja er besaß in ihren Augen regelrecht sakrale Züge. Dass es in der Kirche ein Bewusstsein dafür gab, beweist die Praxis, in den Schwertgriff Reliquien einzulassen, was mit aller Wahrscheinlichkeit dem Versuch geschuldet war, die Sitten dieser Völker zu christianisieren. Der Brauch begegnet auch im Rolandslied: Wer erinnert sich nicht an das berühmte Schwert Durendal, dessen Heft einen Zahn des Apostels Petrus, Blut des heiligen Basilius, einige Haare des heiligen Dionysius und ein Stück vom Gewand der Jungfrau Maria enthalten haben soll? Um die Neuankömmlinge, angefangen bei ihren Anführern, zu bekehren, hatte die Kirche keine andere Wahl, als ihre Werte anzuerkennen und christlich umzuformen, um im Gegenzug Schutz zu erhalten. Begünstigt wurde dies durch einen aristokratischen Episkopat, der selbst einer Welt angehörte, in der der Gebrauch von Waffen alltäglich war. Diese Verbindung von germanischer und kirchlicher Welt charakterisierte das Gallien der Franken: Sie lässt sich bereits bei den Merowingern, noch mehr bei den Pippiniden und in der Folge bei den Karolingern beobachten. Mit Letzteren schloss die Kirche eine starke Allianz, untermauert von der renovatio imperii, der Wiedergeburt des römischen Reiches im Westen, die durch die Krönung Karls des Großen in Rom am Weihnachtstag

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Kapitel eins 

des Jahres 800 bekräftigt wurde. Diese Erneuerung wertete die Idee des »legalisierten« Krieges wieder auf, also des von einer legitimen Autorität erklärten Krieges. Die Figur des Kaisers wurde sakralisiert dank der kirchlichen Salbung nach einem Ritus, der dem biblischen Vorbild Sauls folgte und von dem Merowingerkönig Chlodwig eingeführt worden war. Die Aufgabe des Kaisers war eine doppelte: das Reich zu verteidigen und die Kirche. Die zu diesem Zweck geführten Kriege nahmen mithin einen sakralen Charakter an. Wir erinnern an die militärischen Unternehmungen gegen die zwischen Rhein und Elbe angesiedelten Sachsen, die eine dermaßen starke religiöse Komponente besaßen, dass sie als geheiligte Kriege oder Missionskriege bezeichnet worden sind. Den Feldzügen gingen Messen und Fastenzeiten voraus, begleitet wurden sie von der Verkündigung des Glaubens und von der Verpflichtung zur Annahme des Christentums gemäß der in der Diözese Rom geltenden Lehre und liturgischen Praxis. Dessen ungeachtet handelte es sich keineswegs um heilige, von Gott gewollte Kriege. Verschiedene Stimmen – wie Alkuin von York, der Berater Karls des Großen, oder Johannes Scotus Eriugena, der Lehrer seines Neffen Karl des Kahlen – beharrten weiterhin auf der moralischen Überlegenheit des mit geistigen Mitteln geführten Kampfes. Der sakrale Kern der zur Verteidigung der Kirche und, weiter gefasst, der gesamten Christenheit geführten Kriege, die pugna spiritualis der Seele gegen das Böse und die Sünde, sollte sich zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert noch stärker ausprägen. Das geschah zeitgleich mit den Einfällen von Sarazenen, Ungarn und Normannen, die sich vorwiegend gegen kirchliche Niederlassungen richteten, wo ganz offensichtlich reichere Beute zu machen war. Eine bewaffnete Verteidigung wurde nun zur Notwendigkeit. Man denke nur an die Plünderung Roms durch die Sarazenen im Jahre 846 und an den darauffolgenden Appell Papst Leos IV. an die Franken. In der kurz nach den Ereignissen verfassten Epistola ad exercitum Francorum bekräftigt der Bischof von Rom nachdrücklich, dass jene, die zur Verteidigung des Apostels Petrus herbeieilten, ohne Schwierigkeiten ins Himmelreich gelangen würden. Neu ist hieran die Idee vom Sündenerlass, die später zu einem konstituierenden Merkmal des Kreuzzuges wurde. Der gleiche Gedanke findet sich in der Antwort, die Papst Johannes VIII. in den 870er-Jahren einigen fränkischen Bischöfen gab, als diese fragten, wie es um das Schicksal derjenigen bestellt sei, die in den zur Verteidigung des Glaubens geführten Schlachten fielen. Sie würden, so erklärte der Papst, die Ruhe des ewigen Lebens finden, weil der Herr so gnädig gewesen sei, durch seinen Propheten zu verkünden: »Zu welcher Stunde auch immer er bereut,

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ich werde mich nicht mehr an alle seine Freveltaten erinnern.« Obwohl Reue keineswegs die Sünde ungeschehen machen konnte, die vielmehr weiterhin schwer wog, nahm der Papst dank der ihm verliehenen Autorität für sich die Befugnis in Anspruch, zu vergeben. Dies ist ein wichtiger Schritt in Richtung der Lehre vom Sündenablass, die in der ersJahrhunderts ten Hälfte des 13.  festgeschrieben wurde. Selbst das kirchliche Vokabular wurde den Umständen angepasst, indem es Jesus metaphorisch als siegreichen Labarum Kaiser Konstantins mit Christusmonogramm, Vatikanische Museen. Krieger darstellte und immer beherzter mit Konzepten wie Loyalität und Rache hantierte. Dies war nicht zuletzt das Ergebnis der Allianz, die im Rahmen einer weiteren renovatio imperii geschmiedet worden war. Deren Protagonist war das Haus Sachsen unter der Führung von Otto I., der Geißel der Ungarn, der 962 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde. Die Verteidigung der Kirche war auch und vor allem auf lokaler Ebene erforderlich: Kirchen und Klöster bedurften des Schutzes, nicht nur gegen Überfälle von außen, sondern auch angesichts der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft. Ausgehend von den Klöstern vollzog sich daher ein weiterer Schritt zu einer Sakralisierung des Krieges. Sie zeigte sich beispielsweise in der Verehrung, die man einer Reihe von heiligen Kämpfern, den sogenannten Kriegerheiligen, entgegenbrachte – Merkurios, Sebastian, Mauritius, Demetrios, Georg – oder auch ihrem Archetyp, dem Erzengel Michael, der im Verlauf des ersten Kreuzzuges häufig in Erscheinung treten sollte. Man denke aber auch an die Verehrung für Gerald von Aurillac, dessen Leben Abt Odo von Cluny in einer Vita verewigt hat. Darin entwirft er das Modell eines Ritters, der stets bereit ist, die Armen zu verteidigen. Oder man denke an Fides von Agen: Als Protagonistin zahlreicher Geschichten, in denen sie nicht vor einem grausamen Vorgehen gegen Kleriker und Laien zurück-

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Kapitel eins 

scheut, die sich des Raubes an dieser oder jener Klostergemeinschaft schuldig gemacht hatten, verkörperte die Heilige eine Form der Gewalt, die seitens der Kirche gleichsam abgesegnet wurde. Wie war das möglich? Der wesentliche Grund lag darin, dass Gewalt hier der Verteidigung kirchlicher Besitztümer galt. Diese wurden immer häufiger einem adligen Laien, dem advocatus, anvertraut, dessen Investitur eindeutig sakrale Züge trug. Das Konzept stellt eine bedeutende Etappe in den Überlegungen der Kirche zum Thema Krieg dar – es wird uns später in dem Titel wiederbegegnen, den Gottfried von Bouillon, einer der Anführer des Kreuzzuges, in Jerusalem erhielt: advocatus sancti sepulchri. Die Gewaltbereitschaft einer militarisierten Gesellschaft, an deren Spitze eine kriegerische Aristokratie stand, die von Truppen von milites umringt war, die einen eigenen Stand von Kriegern zu Pferd bildeten, wurde für die Ziele und Interessen dieser Gesellschaft selbst »kanalisiert«. Dafür setzte man seit dem 10. Jahrhundert und vor allem im 11. Jahrhundert lokale oder regionale Instrumente ein. Friedensversammlungen wurden dazu genutzt, die pax Dei (Gottesfrieden) oder die treuga Dei (Waffenruhe Gottes) zu verkünden. Man erklärte die Unverletzlichkeit bestimmter Personengruppen – insbesondere Mönche und allgemein Angehörige des Klerus, dazu die Schwachen, die Witwen, die Armen und Wehrlosen – und bestimmter Orte, in den meisten Fällen Kirchen und Abteien, aber auch Marktplätze. Darüber hinaus war entsprechend den besonderen Momenten im liturgischen Kalender zu bestimmten Zeiten des Jahres, des Monats, der Woche jegliche Form von Kampfhandlungen verboten. Es war die große Abtei von Cluny, die im Herzogtum Burgund die Initiative ergriff und entschied, die Waffenruhe auf die Zeit zwischen Mittwochabend und Montagmorgen einer jeden Woche auszudehnen sowie auf die beiden kompletten Zeitspannen zwischen dem ersten Adventssonntag und der Oktav von Epiphanias und von Aschermittwoch bis zur Osteroktav. Da die Kriege der Feudalherren strikt saisonal waren und hauptsächlich im Frühling ausgetragen wurden, gab es jetzt nur noch wenige Tage, an denen der Gebrauch von Waffen überhaupt erlaubt war – einmal abgesehen davon, dass solche Proklamationen offenbar kaum beachtet wurden. Damals wurden regelrechte Friedensbünde gegründet, in denen bewaffnete Bürger, bisweilen auf Befehl ihres Bischofs, bisweilen unabhängig von ihm oder sogar gegen seinen Willen und seine Interessen, mit Gewalt den Frieden durchzusetzen versuchten. Dass der Sache ein starker innovatorischer Impuls innewohnte, erkannten diejenigen Prälaten am besten, die der alten Ordnung am treuesten

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ergeben waren. So der Bischof von Cambrai, der 1023 auf die Einladung seiner Kollegen aus Soissons und Beauvais, einer Liga zur Wahrung des Friedens beizutreten, protestierte, dass nicht einem Mann der Kirche, sondern allein dem Kaiser die Rolle zufalle, die öffentliche Ordnung zu erhalten. Die Friedensbünde, wie beispielsweise die berühmte Liga, die Erzbischof Aimon von Bourges 1038 ins Leben rief, waren dennoch alles andere als Werkzeuge des Friedens. Vielmehr boten sie in vielen Fällen einen Vorwand für Plünderungen und Verwüstungen um ihrer selbst willen. Welch grausame Ironie, dass ausgerechnet das Konzil von Narbonne, das 1054 ausdrücklich verfügt hatte, dass »kein Christ einen anderen töten [darf], da derjenige, der einen Christen tötet, ohne Zweifel Christi Blut vergießt«, ebendiese mörderischen Werkzeuge einsetzen musste, um die Einhaltung der beschlossenen Grundsätze sicherzustellen. Solcherart ist häufig das Los der Pazifisten … Friedensbünde bildeten sich in jedem Fall noch im gesamten 12. Jahrhundert, beseelt von einem mystischen Impetus einerseits und Impulsen aus dem Volk andererseits. In ihnen kommt der Zusammenhang zwischen der Idee einer inneren Befriedung der Christenheit, einer kirchlichen Erneuerung und einer kriegerischen Praxis zum Ausdruck, die darauf abzielte, den Willen Gottes und der Kirche zu erfüllen, und sich dafür, angefangen bei den auf die Fahnen gemalten Symbolen, unter göttlichen Schutz stellte. Das Papsttum begann seinerseits, die in ganz Europa umherziehenden Ritterbanden durch ein feudales Instrument an sich zu binden: die Vergabe des vexillum sancti Petri, das seinen Träger als Vasallen des Papstes auswies. So verfuhr man beispielsweise mit den Normannen, deren kriegerische Aristokratie auf der Suche nach Ländereien und Geld quer durch den Kontinent zog. Wir finden sie als Söldner in Süditalien, in Kleinasien im Sold der byzantinischen Kaiser, im England der Sachsen. Häufig wurden sie mit Erfolg belohnt: So gelang es zum Beispiel den Hautevilles innerhalb weniger Jahrzehnte, weite Teile des italischen Südens unter ihre Herrschaft zu bringen. Der Herzog der Normandie, Wilhelm der Eroberer, errang sogar die Krone Englands. Die damalige Kirche verlieh den Kriegen einen sakralen Anstrich, indem sie den Kämpfern die Ideale des Dienstes an der christlichen Sache und am Stuhl Petri einschärfte. Von der Iberischen Halbinsel über das Land der Angeln bis nach Sizilien kamen die Eroberer mit dem vexillum in der Rechten daher. Die Petersfahne legitimierte ihre Unternehmungen – zumindest in den Augen des christlichen Westens – und begründete eine Art Lehnsverhältnis zum Bischof von Rom. Doch nicht einmal in diesem Fall handelte es sich um

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Kapitel eins 

Heilige Kriege. So sehr die Kirche sich auch bemühte, den Berufskriegern legitime Beweggründe für ihr Tun an die Hand zu geben, und sie im Fall eines Sieges zur Demut anhielt, blieb der Krieg an sich doch eine verwerfliche Tat, für die man sich schämen musste. 1070 wurden die Krieger, die vier Jahre zuvor in Wilhelms Gefolge an der Schlacht von Hastings teilgenommen hatten, dazu angehalten, Buße zu tun. Die Vorstellung, dass die Kampfhandlung selbst als Buße dienen konnte, sollte sich erst gegen Ende des Jahrhunderts durchsetzen. Die den Kriegern zu Pferde zuteilwerdende Gunst trug jedoch dazu bei, einer neuen Art von Christuskrieger, dem miles Christi, Gestalt zu verleihen. Diese Bezeichnung, die zuerst im Kontext der psychomachia, des inneren Seelenkampfes, aufkam und für Märtyrer und Asketen verwendet wurde, diente nun zur Benennung jener bellatores, die sich bereit erklärten, ihre Kampfeskraft in den Dienst der Kirche zu stellen. Hier entstand eine neue ritterliche Ethik, die es einem ganzen Stand von Berufskämpfern erlaubte, Kampf und Lebensgefahr als Mittel zur spirituellen Erlösung zu begreifen. Und hierin lag bereits der Kern des Kreuzzuges.

Der miles christianus Ein großer Teil der allegorisch-mystischen Literatur aus Mittelalter und Neuzeit hat Betrachtungen über jene Seelenverfassung angestellt, mit der der Christ kämpfen sollte, und vor allem zu verhindern versucht, dass Laster, Begierden und Leidenschaften sich seiner bemächtigten. Solche Gedanken sind von Bernhard von Clairvaux, Petrus Johannis Olivi, Raimundus Lullus, Caterina Benincasa (Katharina von Siena) und Bernardino degli Albizzeschi geäußert worden und durch die katholische Reform ins Christentum eingeflossen. Ihre spirituellen Grundlagen finden wir in einer berühmten Passage des heiligen Paulus über die arma lucis und im Besonderen über das gladium spiritus, quod est verbum Dei (Eph 6, 17). Dies ist eine Metapher, die im Mittelalter ein weites Feld für die allegorische Deutung von Waffen und für die Vorstellung vom Kampf zwischen Tugenden und Lastern als psychomachia, pugna spiritualis geliefert hat. Um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert hatte der Dichter Prudentius in seinem als Psychomachia betitelten Werk ein berühmtes Bild aus Aischylos’ Sieben gegen Theben (das Statius später in seinem Epos Thebaid aufgreift) in einen allegorischen Rahmen übersetzt: Die Helden, die zum Angriff auf die Stadt oder zu ihrer Verteidigung Partei er-

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griffen hatten, wurden in christliche Tugenden und Laster verwandelt; die Stadt selbst galt als Symbol für die menschliche Seele. Das Ganze erinnerte an den seelischen Kampf, den der Gläubige ausfechten musste, um rein zu bleiben, seine Seele zu retten und das ewige Leben zu verdienen. Das gesamte Mittelalter hindurch sollten Fresken, Skulpturen und epische Gedichte unaufhörlich das große Thema vom Kampf der Tugenden gegen die Laster durchspielen. Dies war der einzig wahre christliche Krieg, für den die materiellen Kriege nur eine Metapher sein konnten. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts griff Bernhard von Clairvaux das Bild auf und münzte es kühn auf den Kampf gegen die Ungläubigen: Ihre physische Beseitigung, die im Vergleich zur Ausbreitung des Unrechts als geringeres Übel und in letzter Konsequenz als unvermeidlich angesehen wurde, sollte nicht als homicidium, sondern als malicidium aufgefasst werden. Der Heide, der die Christenheit mit Waffengewalt zu unterdrücken versuchte, konnte nichts anderes sein als ein Verbreiter des Bösen in der Welt. Zwischen dem 5. und dem 11. Jahrhundert war der Krieg jedoch alles andere als ein schöner Turnierkampf zwischen Tugenden und Lastern. Eine neue Art von Konflikt war im Zuge der Migrationsbewegungen von germanischen und uralaltaischen Bevölkerungsgruppen entstanden, die sie bis ins Zentrum Europas hineinführten. Sie griff in der düsteren Zeit der normannischen, ungarischen und sarazenischen Einfälle des 9. bis 10. Jahrhunderts um sich und mündete schließlich in die grausamen Auseinandersetzungen zwischen den milites des 10. und 11. Jahrhunderts  – in einer Christenheit, in der die öffentliche Macht zu Staub zerfallen war und gleichzeitig die mittlerweile weit verbreitete Gewohnheit, zu Pferd und in schwerer Eisenrüstung zu kämpfen, das Ritterdasein zu einem teuren Privileg hatte werden lassen. Bei der Austragung von Konflikten ging es nicht mehr nur um Kraft und Mut, man musste auch über ausreichenden materiellen Wohlstand verfügen. Überhaupt war das nicht mehr der geordnete bellum der Römer, sondern werra, das tumultartige Aufeinanderprallen von grausamen und wie im Wahnsinn kämpfenden Kriegern. Einander Wölfe den Wölfen geworden, schlachteten sich die Männer in unbändiger Wildheit gegenseitig ab: Die Akten von kirchlichen Synoden des 10. und 11. Jahrhunderts quellen über vor Hinweisen dieser Art. Die »Freude am Krieg«, die etwas später in den blutigeren chansons de geste (zum Beispiel im Epos Raoul de Cambrai) von jenen Barden und Troubadouren besungen wurde, die wie Bertran de Born die Blumen und Wiesen des lieblichen Monats Mai gern in blutige Farben tauchten, war nichts anderes als

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Kapitel eins 

ein Massaker, das weder Grenzen noch Verbote kannte. Die Chroniken der Epoche bestätigen die Beschreibungen der Dichter. Und es drehte sich nicht nur um zerbrochene Schilde, Kettenpanzer, die bis aufs Fleisch aufgeschlitzt wurden, um menschliche Körper, die von den Hieben im Pferdesattel zerteilt wurden, um eingeschlagene Schädel und vom Körper abgetrennte Gliedmaßen, die durch die Luft flogen. Da waren auch und vielleicht vor allem das Leid der pauperes, die Gewalt gegen Frauen und Kinder, die gebrandschatzten Dörfer, niedergemachten Weinberge, zerstörten Ernten, Kirchen und Klöster, die in frevlerischer Raserei entweiht wurden. Am Ausgang des ersten Jahrtausends, als die Einfälle all der Völkerschaften dank einer allgemeinen Verbesserung der klimatischen, ökologischen, demographischen und sozialen Bedingungen an Heftigkeit verloren, begann der europäische Westen aus langem Schlaf zu erwachen. Immer offensichtlicher wurde, dass der anhaltende Kriegszustand das größte Hemmnis für eine positive Entwicklung darstellte. In Ermangelung starker zentraler Mächte war es die lateinische Kirche, die einen neuen institutionellen Rahmen aufzubauen begann und die Entstehung einer neuen Ethik beförderte. Die Gottesfriedensbewegung erhielt neue Impulse. Der miles des 11. Jahrhunderts war auf dem besten Weg, ein veritabler Ritter zu werden. Als Gegenleistung für den Schutz und die unerlässlichen wirtschaftlichen Mittel, um die teure und schwere Ausrüstung zu finanzieren, schwor er seinem senior oder dominus die fidelitas. Die komplexe Beziehung zwischen Herrn und Vasall kann man zwar in rechtlichem Sinn erklären, aber ihr doch nur vor dem Hintergrund jenes ethischen Verhaltenskodexes wirklich gerecht werden, der die chansons de geste beseelt. Der miles ritt auf einem stolzen Kriegspferd und verfügte über schwere Angriffs- und Verteidigungswaffen, die für ihre Zeit beeindruckend waren. Da waren der große mandelförmige Schild, der mit einem Nasenschutz versehene konische Helm, der lange Harnisch aus eng gefügten Kettengliedern, der über einem Hemd aus schwerem Tuch oder Leder getragen wurde, das doppelschneidige Schwert, die schwere Lanze. Die Hufe des Pferdes waren mit Eisen beschlagen und auf dem Rücken trug es einen hohen Sattel samt Steigbügeln, was dem Reiter eine bis dato unbekannte Sattelfestigkeit verlieh. Wenn der miles in den Kreis der Krieger um einen Herrn aufgenommen wurde, erhielt er nicht einfach nur seine Waffen, sondern wurde einer Art Initiationsritual unterzogen. All dies – Waffen, Kampftechniken, Gesten der Treue und Solidarität – war Ausdruck einer geteilten vielschichtigen Vorstellungswelt, die uns auch in den Abzeichen

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Wandteppich von Bayeux, 2. Hälfte 11. Jh., Bayeux, Centre Guillaume-le-Conquérant. Rechts: Szene der Einkleidung eines Ritters.

auf Schilden und Fahnen wiederbegegnet. Diese Welt wird auch von einem ganz außerordentlichen Zeitdokument illustriert: dem herrlichen, mit Wolle auf einen langen Streifen Leinen gestickten Wandteppich der Königin Mathilde, der in der Stadt Bayeux in der Normandie aufbewahrt wird. Dieser miles des 11. Jahrhunderts hatte fast alles, um den Namen »Ritter« zu verdienen. Ihm fehlte allein die militia, die Ritterschaft. Gemeint ist nicht so sehr der Gemeinschaftsgeist innerhalb der Gruppe oder der Stolz, einer Kriegerelite anzugehören – das waren Dinge, über die er bereits verfügte. Was ihm fehlte, war vielmehr ein Ethos, das auf der Erfüllung des göttlichen Willens und auf der Verteidigung der pauperes gründete, das heißt: auf der Verteidigung nicht nur derjenigen, denen es an Geld und Gütern mangelte, sondern vor allem derjenigen, die schutzlos waren – der Unterdrückten. Diese ethische und spirituelle Erneuerung war eingebettet in ein Umfeld und eine Gesellschaft, die sich gerade selbst strukturell erneuerte – dieselbe Gesellschaft, die den ersten Kreuzzug ins Leben rufen sollte.

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Kapitel zwei

Europa und der Mittelmeer­ raum vor den Kreuzzügen Europa erwacht Um die Jahrtausendwende begann Europa, Zeichen eines langsamen, aber sicheren Erwachens zu zeigen. Dies geschah nicht plötzlich und auch nicht innerhalb weniger Jahrzehnte. Eine Reihe glücklicher Ereignisse begünstigte das wirtschaftliche Wachstum und den demographischen Aufschwung, die den Kontinent bis zur ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts begleiten würden. Die europäische Bevölkerung, welche die engen Grenzen der in den vorigen Epochen bewirtschafteten Anbauflächen aufbrach, machte sich daran, Wäldern und Heiden neue Areale für die Urbarmachung abzutrotzen. Große und kleine Landherren – zunächst kirchliche, später auch weltliche – begünstigten diese Entwicklung, die ihnen neue Einnahmequellen in Aussicht stellte. Insbesondere in den Randgebieten des alten karolingischen Territoriums (der Süden Frankreichs, die germanischen Gebiete jenseits von Rhein und Donau und auch Oberitalien) wurden neue Anbauflächen geschaffen und entstanden neue Städte. Man gewöhnte sich an den Anblick von zuweilen großen Gruppen von Bauern, die auf der Suche nach Land und Arbeit von Ort zu Ort zogen. Innerhalb der Stadtmauern, die teils wiederaufgebaut worden waren, begannen sich die Straßen mit neuem Leben zu füllen: Neue Werkstätten wurden eröffnet, Handel und Handwerk bekamen neue Impulse. Die großen saisonalen Märkte, die alljährlich vor allem an den Kreuzungspunkten der Verkehrswege zu Land und zu Wasser abgehalten wurden, standen unter der Obhut, pax, der weltlichen Herrscher oder unter dem Schutz der Kirche, der pax Dei. Zumindest in der

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Europa und der Mittelmeer­raum vor den Kreuzzügen

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Theorie und unter Androhung schwerster irdischer und spiritueller Strafen durfte niemand den sich dort einfindenden Marktgästen willkürlich Abgaben abpressen oder sie behelligen. Die Lebensbedingungen der Bevölkerung und die allgemeine Sicherheit verbesserten sich merklich. Diverse technische Innovationen begünstigten die Entwicklung der Landwirtschaft nachhaltig: Eine rationellere Einteilung der Anbauzyklen, eine sorgfältigere Auswahl des Saatguts, die Verbreitung verbesserter Pflugformen und Fortentwicklungen beim Anschirren und Beschlagen der Pferde führten zu einer qualitativen und quantitativen Steigerung der Nahrungsmittelproduktion. Das wiederum war die Grundlage für eine schrittweise Zunahme der Bevölkerung, die parallel zur Erweiterung der Anbauflächen und der Gründung neuer Dörfer stattfand. Auch die Einführung von Hülsenfrüchten in der Ernährung begünstigte den Bevölkerungszuwachs. Nicht alles geschah überall auf dieselbe Art und Weise, zur selben Zeit und mit gleicher Intensität: Es gab Regionen, in denen die Landwirtschaft immer intensiver betrieben wurde und dabei strikten Regeln folgte, die auf antiken Traktaten wie jenen von Varro und Columella beruhten. Andernorts stagnierte sie über längere Zeiträume; das chronische Phänomen der Hungersnöte blieb allgegenwärtig, die in den 1040er- und 1050erJahren und dann nochmals im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts grausame Höhepunkte erreichten. Doch vorwiegend verzeichneten Landwirtschaft und Handel große Fortschritte. So kam es in Mitteleuropa im Wesentlichen entlang der Flussläufe von Rhein, Donau und Po zur Ausbildung einer hochzivilisierten, dicht besiedelten Region, die das östliche Frankreich, den Südwesten Deutschlands, Flandern und Norditalien umfasste und mit ihrer Vitalität schon bald auf die umliegenden Gebiete auszustrahlen begann. In Frankreich entfalteten sich die Gebiete entlang der Rhône und der Garonne, wo die städtische Zivilisation auch in größten Krisenzeiten lebendiger geblieben war als im Norden. In Deutschland dehnten sich Handelsrouten und Besiedlung allmählich auch östlich des Rheins bis zum Elbbecken aus. Genau hier, im Herzen Europas, eingerahmt von den großen französischen und deutschen Flüssen und dem Po, entstanden Städte und Handelsplätze. Zugleich mit den villenove, den für die frisch der Landwirtschaft erschlossenen Gebiete so charakteristischen Neugründungen, kam neues Leben auch in die bereits bestehenden, nie ganz untergegangenen Städte, die vorwiegend in den am stärksten romanisierten Regionen lagen, also in Italien und in der Provence. Die maßgeblichen städtischen Bauten, der neue Mauerring und die Kathe-

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drale, nahmen innerhalb weniger Jahre Gestalt an und bezeugen mit den zahlreichen neuen Handelsstraßen das Gesamtbild eines lebendigen, pulsierenden Treibens. In Italien füllten sich Städte wie Pisa und Genua mit neuem Leben. Tyrrhenische Seerepubliken, die imstande waren, den Sarazenen aus Afrika und Sardinien die freie Schifffahrt streitig zu machen, waren auf dem besten Weg, sich zu bedeutenden Seemächten im Mittelmeer zu entwickeln. An der Adria unterhielt Venedig seit geraumer Zeit stabile Handelsbeziehungen zu Konstantinopel, Syrien und Ägypten. Nicht zu vergessen Amalfi, die erste der italienischen Städte, die sich zu einer unabhängigen blühenden Seerepublik aufschwang, auch wenn sie im 11. Jahrhundert bereits an Dynamik eingebüßt hatte. Eine einträgliche Handelsroute, die entlang des Rheins verlief, verband Flandern mit der Poebene. Rheinstädte wie Köln, Mainz, Worms und Speyer waren bereits bedeutende Handelsplätze. Vom Rhein erreichte man über eine Straße, die von Chur über den Splügenpass durch Chiavenna und Como nach Mailand führte, relativ bequem sowohl den Adriahafen von Venedig als auch den Hafen von Genua am Tyrrhenischen Meer oder auch den Straßenkreuzungspunkt Piacenza, wo die Via Francigena auf den Po stieß. Diese bedeutende Schlagader für den Handel ebenso wie für die mittelalterlichen Pilgerströme verlief über den Mons Iovis (Großer Sankt Bernhard) und führte weiter durch das Aostatal und das Piemont an Ivrea und Vercelli vorbei in die alte langobardische Metropole Pavia, überquerte bei Piacenza den Po, kreuzte Borgo San Donnino (das heutige Fidenza) und führte über den Cisa-Pass hinunter nach Pontremoli, weiter über Luni nach Lucca, von wo sie Richtung Siena weiterverlief und von dort bis nach Rom. Bereits im 11. Jahrhundert war Piacenza ein bedeutendes Zentrum für die Herstellung hochwertiger Stoffe. Die Stadt Pavia war berühmt für ihre Münze, obwohl ihr Lucca zum Ende des Jahrhunderts nach und nach den Rang ablief, das sich überdies als Textil- und Agrarzentrum wie auch als Pilgerstation einen Namen gemachte hatte. Grundsätzlich war der Lebensstandard in den italienischen Städten im Vergleich zu ihren transalpinen Schwestern recht hoch. Wenn der demographisch-gesellschaftliche Aufschwung in Italien nach dem Jahr 1000 weniger spürbar war als andernorts, so erklärt sich dies durch einen weniger drastischen Niedergang in den Jahrhunderten zuvor. Und doch wurde auch Italien von der allgemeinen Blütezeit erfasst. Am Ende des 11. und in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erhielten die Städte der Halbinsel ihren

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zweiten oder gar dritten Mauerring. Zugleich schwanden innerhalb der Mauern rapide die ländlichen Areale und wurden stattdessen imposante Kathedralen errichtet. Aus dem Umland kamen Bauern, die sich ihrer feudalen Verpflichtungen entledigen wollten – »Stadtluft macht frei nach Jahr und Tag«, hieß es –, und dienten den cives vor Ort als billige Arbeitskräfte. Gleichzeitig ließen sie sich von den Stadtbürgern als Manövriermasse gegen die Bestrebungen der mehr oder minder formell über die Stadt regierenden kirchlichen oder weltlichen Herren einsetzen. Gespeist wurde das weiträumige Stadtnetz in Europa durch einen vitalen Lebenssaft: den Handel, der wesentlich von den Hafenstädten an Adria und Tyrrhenischem Meer dominiert wurde, zumindest was Luxusgüter und Waren aus dem Orient betraf.

Eine Gesellschaft in Bewegung Den Aufschwung begleitete allerorts eine optimistische Grundstimmung, ein wiedergewonnenes Vertrauen in das Leben und die menschlichen Fähigkeiten. Die gewaltsamen Einfälle der Jahrhunderte zuvor gehörten der Vergangenheit an: Die zum Christentum bekehrten Ungarn hatten sich in Pannonien niedergelassen und die Normannen im Nordwesten Frankreichs, von wo aus sie nach Süditalien und England vorstießen. Und die sarazenischen Piraten Afrikas, Sardiniens und der Balearen führten ihre Angriffe nicht nur sporadischer durch, sondern sahen sich außerdem dem wachsenden Druck der christlichen Flotten ausgesetzt. Die Legende von den Schrecken des Jahres 1000 entspringt nicht in allen Teilen blanker Phantasie. Tatsächlich war das 10. Jahrhundert eine beklemmende Epoche gewesen und hatte zu einem Erstarken der christlich-eschatologischen Erwartungen und einem verbreiteten Millenarismus geführt. Im Jahr 998 berichtete Abt Abbo von Fleury, dass er als junger Mann in Paris einen Prediger gehört habe, der das Ende der Welt und das darauf folgende Jüngste Gericht verkündet habe. Solche Schreckensvisionen gingen in ganz Europa um. Zuhauf kamen Schriften in Umlauf, die das nahende Reich des Antichrist und die endzeitliche zweite Wiederkunft Jesu Christi verkündeten und die Gläubigen zur Buße drängten. Die Bußbewegungen waren zu einem alltäglichen Phänomen geworden, das die Kirche – angeführt von dem tatkräftigsten und intellektuell versiertesten monastischen Zusammenschluss jener Zeit, der Kongregation des Benediktinerordens, an deren

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Spitze die Abtei von Cluny stand – zu disziplinieren wusste und bevorzugt in den Bau neuer Kirchen umlenkte. Die Bautätigkeit war von höchster Bedeutung für das Leben in jenem Jahrhundert: »Man hätte glauben können«, schrieb der zeitgenössische Chronist Rodulfus Glaber, »die Welt schüttele die alten Lumpen ab, um sich mit dem weißen Gewand der neuen Kirchen zu kleiden.« Die Kirche und ganz besonders die Kathedrale als Zentrum und Symbol des wiederauferstandenen städtischen Lebens wurde zwar von spezialisierten Werkstätten erbaut, doch aus Steinen, welche die Bußfertigen (häufig eigenhändig) herbeitrugen. So wurde sie zum eigentlichen Symbol des Friedens und der Versöhnung der Christen untereinander; sie war das himmlische Jerusalem, ein Abbild der Stadt Gottes, errichtet auf Erden als Ergebnis einer kollektiven Läuterungsanstrengung. Kein Ort war zu weit auf der Suche nach Reliquien, die ihr Ruhm verleihen und einen Pilgerbesuch lohnend machen würden. In ihrem Schatten gedieh der Wohlstand der Stadtbewohner, weil diese das Fest des Heiligen, dem die Kirche geweiht war, mit einem Markt, auf Italienisch fiera, verbanden (von feria, religiöser Feiertag). Gleichzeitig wurde die Praxis, die heiligen Stätten der Christenheit aufzusuchen, immer populärer. Das hatte zu tun mit dem allgemein wieder stärkeren Bedürfnis nach Ortswechseln, sei es aus der wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus, diesen oder jenen Markt zu besuchen, sei es von dem Wunsch beflügelt, fruchtbareres Land und einträglichere Arbeit zu finden. Manch einer folgte auch dem Ruf einer für ihre akademischen Lehrer und ihren Bücherbestand berühmten Schule. Auf Pilgerreise begab man sich, um zu beten, eine Wallfahrtskirche zu bewundern oder um eine Gnade zu erflehen, sie konnte aber auch in der Absicht unternommen werden, Handel zu treiben oder sich zu bilden. Die Kirche, und hier wieder besonders die cluniazensische Kongregation, unterstützte die Bewegung, indem sie Hospize eröffnete, die Pilger unter ihren Schutz stellte, sich für den Bau und die Erhaltung der Straßen und die Wiederherstellung der alten Verkehrswege einsetzte, die jahrhundertelang nahezu brachgelegen hatten und nun wieder benutzt wurden. Bisweilen diente die Pilgerreise als Buße für besonders schwere Sünden und wurde so zu einer regelrechten Bußwallfahrt, einer peregrinatio poenitentialis. Doch ob Gläubiger, Kaufmann oder Wissbegieriger, ob reuiger Verbrecher, Arbeitssuchender, Wanderprediger, Bandit oder Schmarotzer, der peregrinus war und blieb im Wesentlichen ein »Suchender nach Gott«. Das Leben selbst war eine Reise, für deren Ziel die Kirche oder das Heiligengrab, zu denen man pilgerte, nichts als ein unzureichendes Symbol, ein blasser Abglanz waren. Noch galt der

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Pilger per Definition als »arm«. Es war die Zeit der großen Wallfahrtskirchen und Wallfahrtsorte: Santiago de Compostela, Mont-Saint-Michel, Chartres, Rom, San Michele im Gargano, Jerusalem. Quer durch ganz Italien zogen diejenigen Pilger, die über die Via Francigena zu den Häfen von Apulien und von dort nach Epirus reisten. Weiter ging es über die Via Egnatia nach Konstantinopel und von dort aus, sofern es die politische Lage zuließ, über Land, andernfalls über das Meer ins Heilige Land.

Hugo I. von Vaudémont wird bei seiner Rückkehr vom Kreuzzug ins Heilige Land von seiner Ehefrau Anna von Lothringen empfangen, 12. Jh., Nancy, Saint-François des Cordeliers.

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1062/63 wies der Kalif al-Mustansir den »lateinischen« (westlichen) Christen in Jerusalem ein eigenes Quartier zu, worin sich zugleich Ursache und Wirkung eines verstärkten Zustroms zu den heiligen Stätten offenbart. Aus einer anglonormannischen Chronik wissen wir, dass sich im Frühjahr 1064 eine Gruppe englischer, flämischer und deutscher Pilger unter der Führung des Erzbischofs von Mainz und der Bischöfe von Regensburg, Bamberg und Utrecht nach absolviertem Jerusalembesuch wieder in Jaffa (dem Hafen von Jerusalem) auf einer Genueser Flotte einschiffte und dann in Brindisi geschlossen an Land ging. Handelte es sich dabei um eine zufällige Mitreisegelegenheit oder um einen Dienst, den die Genuesen für gewöhnlich anboten und der von den Pilgern angefragt wurde? Wir wissen es nicht. Tatsache ist, dass der erste genuesische Chronist, Caffaro di Caschifellone, von zwei großen Anführern der Kreuzfahrer berichtet, Gottfried von Bouillon und Robert von Flandern, die sich auf dem Genueser Schiff »Pomella« eingeschifft haben sollen, um ihre Pilgerreise ins Heilige Land anzutreten. Und bei dieser Gelegenheit sei letztlich die eigentliche Idee des Kreuzzuges geboren worden. Eine Legende, gewiss, die jeglicher Grundlage entbehrt. Wenn sie allerdings Caffaro, der zu einer Zeit schrieb, als die Erinnerung an den Kreuzzug in der Stadt noch lebendig war, so einfach aus der Feder fließt, dürfte der Kontext, in den er sie einbettet, an sich plausibel sein. Auch berichtet uns ein Chronist aus dem späten 13. Jahrhundert, der Bischof und Hagiograph Jacobus de Voragine, dass am äußersten Zipfel jenes Küstenstreifens, den die genuesische Flotte anlief, schon lange Zeit vor dem ersten Kreuzzug ein Hospiz für die Pilger ins Heilige Land stand. Zu Recht wird man anmerken, dass es sich um ein jüngeres Zeugnis handelt. Zu bedenken ist andererseits zweierlei: Piacenza, ein bedeutender Straßenkreuzungspunkt, an dem wie gesagt die Via Francigena den Po überquerte, lag nicht nur in der Nähe von Genua, sondern war auch gut an die Hafenstadt angebunden. Überdies war der Landweg nach Jerusalem – vor allem auf dem Streckenabschnitt durch Anatolien – deutlich riskanter und unbequemer als die Reise über das Meer. Also mutet es nicht unwahrscheinlich an, dass sich die Pilger oder zumindest jene unter ihnen, die es sich leisten konnten, für die Überfahrt an die Genuesen wandten. Dasselbe ließe sich über Pisaner, Venezianer und Amalfitaner sagen, wobei Letztere sogar ein Hospiz in der Heiligen Stadt unterhielten. Entlang der Pilgerwege lag eine große Zahl von stationes, Pilgerstationen, jede von ihnen mit ihrem eigenen Heiligen, ihrer wundertätigen Reliquie, ihrer Kirche, in der man Ablässe erwerben konnte. Hospize und Marktflecken reihten

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sich aneinander. Die Reise des Pilgers vollzog sich unter dem ständigen Schutz der pax Dei. Sein Leib und seine Habe waren heilig und die Abzeichen, die er trug – signa super vestes –, ein sichtbares Symbol seines Reiseziels und zugleich Zeichen für den Respekt, den die Kirche von allen Christen ihm gegenüber einforderte: die Muschel für Santiago, das Kreuz für Rom oder Jerusalem, für das auch die Palme als Pilgermarke stand. Die allgemeine Belebung nach der Jahrtausendwende ist eng mit einem religiösen Aufbruch verknüpft, der mit der cluniazensischen Reform das spirituelle Gesicht der Christenheit zu verändern begann. Die Mönche aus Cluny spielten eine bedeutende Rolle in der Geschichte des Straßennetzes, der Stadtentwicklung, der Sakralarchitektur, der Märkte. Als Förderer des Pilgerwesens taten sie sich als Beschützer all jener hervor, die sich immer zahlreicher und immer häufiger zu den bedeutendsten Kultstätten der Christenheit aufmachten. Die Jakobswege, also jene Straßen, die zu dem berühmten Wallfahrtsort Santiago de Compostela in Galicien führten, überzogen Frankreich und die Iberische Halbinsel mit einem für jene Zeit ausgesprochen engmaschigen Wegenetz. Im 11. und 12. Jahrhundert wurden im Gebiet der Garonne, das alle diese Straßen zwingend passierten, Siedler angesetzt, deren Aufgabe es war, die Region für die Durchreise der Bußfertigen fruchtbarer und sicherer zu machen. Dasselbe geschah in der Auvergne, durch die ebenfalls ein Abschnitt des Jakobsweges verlief. Die berühmteste der nach Santiago führenden französischen Straßen begann in Paris, passierte Orléans und Cléry, erreichte anschließend Tours, wo sie sich mit der aus Chartres kommenden Straße vereinigte. Von hier aus ging es weiter nach Poitiers, Blaye, Bordeaux, Dax und Os­tabat, wo zwei weitere Straßen einmündeten – die eine, über Bourges, Limoges und Péri­ gueux, aus Vézelay kommend, die andere durch Le Puy, Conques, Cahors und Moissac aus Clermont kommend. Zu nunmehr einem Weg vereint, überquerte die Strecke bei den Übergängen von Roncesvalles und Puente la Reina die Pyrenäen und stieß südwestlich von Pamplona auf den provenzalischen Streckenabschnitt, der von Arles kommend, vorbei an Saint-Gilles und Toulouse, die Pyrenäen bei Somport passiert hatte. Burgos, León, Astorga, das waren die wichtigsten spanischen Etappen vor dem berühmten Wallfahrtsort. Über die Jakobswege war auch die Via Francigena bequem zu erreichen, jene wichtigste, auch als Via Romea bekannte italienische Verkehrsader, von der wir bereits sprachen. Von Rom konnte man auf der Via Appia Antica oder der Via Latina zu den Häfen Apuliens gelangen und sich von dort nach Jerusalem einschiffen. Zu Lande erreichte man Konstan-

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tinopel durch das Donautal vom ungarischen Territorium aus. Dieses hatte sich für die Pilger geöffnet, als sich König Stephan von Ungarn zu Beginn des Jahrhunderts mit seinem gesamten Volk zum Christentum bekehrte hatte. Entlang dieses Straßennetzes, das die bedeutendsten Kultstätten der Christenheit – Santiago, Rom, Jerusalem  – miteinander verband, lagen weitere nicht ganz so bedeutende, aber dennoch berühmte Wallfahrtsorte. Die Wallfahrtsstätte auf dem Monte Sant’Angelo im Gargano, die dem Erzengel Michael geweiht und schon im 8. Jahrhundert bekannt war, begründete mit ihrer machtvollen Ausstrahlung den Kult von Mont-Saint-Michel au péril de la mer in der Normandie. Da man von Rom aus über Montecassino leicht nach San Michele im Gargano gelangen konnte, ging auch hier die Entwicklung von Straßennetz und Religion Hand in Hand. Der kriegerische Erzengel war quasi der Nationalheilige der Normannen, wie er es auch schon für die Langobarden gewesen war. Dem an der Via Francigena gelegenen Lucca wiederum war es gelungen, den Kult vom Santo Volto zu etablieren. Und fast jeder der französischen Orte, die als Etappen nach Santiago genannt wurden, besaß seinen eigenen wundertätigen Heiligen oder verwahrte irgendeine wertvolle Reliquie. Religiöser Kult und Handel gingen eine unauflösliche Verbindung ein: Jedes spirituelle Zentrum, das eine große Zahl Pilger anzog, machte eine aufwändige Logistik erforderlich, die für die ansässigen Bürger, Handwerker und auch die Bauern aus der Gegend Wohlstand bedeuten konnte und außerdem die damals so verbreiteten Wanderkaufleute anlockte. In regelmäßigen Abständen wurden Märkte und Jahrmärkte abgehalten, bei denen diese oder jene religiöse Festivität den Zustrom des Publikums sicherstellte. Zur Unterstützung der Pilger gründete man in den Städten hospitalia oder xenodochia für ihre Unterbringung. Auch versuchte man, Reliquien zu ergattern, um Pilger anzulocken. Deren Ruhm vertraute man sodann der poetischen Ader eines Verseschmieds an – oder der Pracht der Gebäude oder dem aufwändigen Gehäuse, in dem sie verwahrt wurden. Bisweilen waren die Reliquien buchstäblich Trophäen frommer Akte von Raubrittertum. Man denke nur daran, wie die Venezianer sich der Tradition zufolge den Leib des heiligen Markus beschafft haben oder die Einwohner von Bari den des heiligen Nikolaus: indem sie nämlich ihre Überreste mit List und Gewalt aus Alexandria respektive Myra entwendeten. Die heilige Beute bekam angemessenes Asyl gewährt und man beauftragte artifices, auch diese in der Regel auf Wanderschaft, mit der Herstellung von Reliquiaren aus wertvollem Metall. Vor allem aber widmete

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man sich mit Eifer dem Bau jener grandiosen steinernen Schreine der städtischen Kathedralen, dieser sichtbaren Zeichen für die Wiedergeburt der Städte, die zugleich Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens und stolzer Ausdruck von Glauben, Reichtum und Tatendrang eines aufsteigenden Bürgertums waren. Voller Bewunderung berichten die Quellen der Zeit von jenen gemeinschaftlich errichteten Kirchenbauten. Männer und Frauen jeden Alters und aller Schichten luden Steine auf Karren und zogen sie zur Baustelle. Während der Rast ermahnte ein Prediger zum Frieden und zur gegenseitigen Vergebung. Weigerte sich jemand, seinem Schuldiger zu vergeben, wurden die von ihm transportierten Steine ausgesondert, er selbst aus der Gruppe ausgeschlossen. Kam der Prozession ein Gewässer in die Quere, erwarteten die Gläubigen, dass es sich dem Roten Meer gleich vor ihnen teilen würde. Heute mögen diese Vorstellungen belustigen und wie das Resultat einer fabelhaften Überhöhung, fast einer Mythisierung anmuten. Und doch sprachen jene kollektiven Phänomene, die wir heute ohne Zögern fanatisch nennen

Kreuzfahrende Pilger mit Pilgerstab und -beutel vor den von Sarazenen bewachten Mauern Jerusalems, aus einem Manuskript des Roman de Godefroy de Bouillon, 14. Jh., Paris, Bibliothèque nationale de France.

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würden, zu den Menschen jener Zeit in einer symbolischen Sprache, die sie von Kindesbeinen an einstudiert hatten und die auf kultureller Ebene, auch über den religiösen Bereich hinaus, ihre wertvollste Stütze war. Während die Prozession zur Baustelle zog, identifizierten sich ihre Teilnehmer mit dem auserwählten Volk, das in das Gelobte Land zurückkehrt. Entsprechend war die Errichtung der Kirche aus Stein und Mörtel Symbol und Gedenken nicht nur für den Tempelbau in Jerusalem, sondern vor allem für die Errichtung des Himmelreichs auf Erden, wozu ein jeder seinen konkreten Beitrag leistete und mit Händen herbeitrug. In einer feudalen Welt waren das die aide, die der Christ dem Herrn für den Bau Seines Reiches darbot, und die corvée, die er Gott leistete. Im Evangelium hatte Jesus sich mit dem Tempel von Jerusalem und dem Eckstein verglichen: Der Christ, der seinen Stein zur Kathedrale brachte (obschon dieser Stein in Wirklichkeit oft im materiellen Gegenwert in Form eines monetären Almosens bestand), fühlte sich auf metaphysischer Ebene dazu aufgerufen, den mystischen Leib Christi zu erbauen, für den der Sakralbau symbolisch stand. Und da ein jeder verpflichtet war, seine Spende reinen Herzens zu geben, wuchs der Bau gestützt von den allerfrömmsten Absichten inmitten der Stadt empor. So konnte er als göttlicher Mittler in der Menschenstadt dienen und als sicheres Pfand für das baldige Kommen der Gottesstadt.

Ein Jahrhundert der Reformen Auch kirchenpolitisch gärte es in der christlichen Gemeinschaft des 11. Jahrhunderts allenthalben. Auf die Intervention der sächsischen und salischen Kaiser, die nachhaltig zu ihrer moralischen Besserung beigetragen hatten, sie gleichzeitig jedoch zu eng vor den Karren der weltlichen Macht gespannt hatten, war denn auch eine Reformbewegung gefolgt, an der Theologen, Kanoniker, Prälaten und Mystiker mitwirkten und deren Dreh- und Angelpunkt, wie schon gesagt, Cluny war. Die Säuberung der kirchlichen Hierarchien von ihren weltlichen, simonistischen und nikolaitischen Elementen erfolgte unter Führung des Papstes und unter Einbindung unterschiedlichster Kräfte, darunter nicht zuletzt die Bürger und einfachen Leute in den Städten. Die Rolle, die in einigen französischen Städten die Friedensbünde wahrnahmen, übernahmen anderorts die Patarener. Mailand bildete dafür das beste Beispiel: Als Mitglieder einer religiösen Volksbewegung mit

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pauperistischem und antihierarchischem Hintergrund, die sich patarìa nannte (ein Wort unklarer etymologischer Abstammung, das sich vielleicht von einer bescheidenen kaufmännischen Tätigkeit herleitet), rekrutierten sich die Patarener hauptsächlich aus den weniger betuchten Schichten, deren wirtschaftliche Verhältnisse unter der rasch voranschreitenden Urbanisierung gelitten hatten. Angesichts der unerhörten Weltlichkeit der Prälatenfürsten in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts postulierte die Pataria eine ethische Erneuerung der kirchlichen Strukturen und eine Verringerung der sozialen Distanz zwischen Priesterstand und Volk. Propagandathemen wie die Anfechtung der Gültigkeit der von unwürdigen Priestern gespendeten Sakramente, wodurch im Grunde eine Feindseligkeit gegenüber dem Priestertum als solchem zum Ausdruck gebracht wurde, konnte die Kirche sicher nicht mit Wohlwollen betrachten. Die Patarener waren jedoch keine Ketzer, und ihr Kampf für die Erneuerung der Kirche stimmte zunächst auf ganzer Linie mit der neuen Reformausrichtung überein. Dies war auch der Grund, weshalb das Papsttum die Patarener gegen den sich eng um ihren Erzbischof scharenden hohen Klerus von Mailand massiv unterstützte. Die hohe Geistlichkeit wiederum suchte ihre herrscherlichen Vorrechte und ihre partielle Unabhängigkeit von Rom zu verteidigen, die in der Liturgie stolzen Ausdruck im Ambrosianischen Ritus fand. Im Verlauf der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts waren die Reformatoren, die Minderjährigkeit von Heinrich IV. für ihre Zwecke nutzend, in die Offensive gegangen. Während sie eine selbst aus dogmatischer Sicht ausgesprochen rigide Politik einläuteten, die 1054 zum Morgenländischen Schisma führen sollte, arbeiteten sie zugleich darauf hin, die Bande zu kappen, die sie der weltlichen Autorität unterstellten: Auf dem Konzil von 1059 sprachen sie dieser jegliche Mitwirkung bei der Wahl des Bischofs von Rom und der anderen Bischöfe ab; auch wenn diese weltliche, öffentliche Herrschaftsrechte innehatten. Im Investiturstreit, als dessen wichtigste Akteure Papst Gregor VII. und Heinrich IV. auftraten, schlugen sich, wie man sich in Erinnerung rufen sollte, viele  – auch sittenfromme  – Bischöfe auf die Seite des kaiserlichen Lagers, während die Ordensgeistlichkeit praktisch geschlossen Partei für den Papst ergriff. Der römischen Kurie bot der Streit die Möglichkeit, die Doktrin von der Oberhoheit des Papstes über Könige und Kaiser auf den Weg zu bringen. Das theokratische Ideal erhob den Bischof von Rom an die Spitze der gesamten Christenheit. Die Reformer sahen sich bald in blutige Kämpfe um die libertas ecclesiae verwickelt, also die Befreiung der geistlichen Institutionen aus der Unterordnung unter die weltlichen Mächte, in die sie die

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Herrscher von Karl dem Großen bis zu Otto I. und Heinrich III. gezwungen hatten. Dabei stützten sie sich häufig auf weltliche Kräfte wie die Pataria, die nach geistlicher Erneuerung strebten. Den politischen und religiösen Agitatoren boten die Städte sowohl Raum zur Entfaltung ihrer Ideen als auch eine Anhängerschaft, mittels derer sie sich durchsetzen konnten. So wurde in Mailand der miles Erlembaldo Cotta, der militärische Anführer der Patarener, durch seinen Kampf gegen den im Konkubinat lebenden und simonistischen Mailänder Klerus zum Modell für den aufsteigenden Ritterstand, der auf der Suche war nach einer Ethik, zu der er sich bekennen konnte. So auch in Florenz, wo der Vallombrosaner Pietro, später »Igneo« genannt (von lateinisch igneus, aus Feuer, brennend), nicht zögerte, die Waffe des Gottesurteils in Form einer Feuerprobe gegen einen Vertreter der alten feudalen Kirche einzusetzen. Auf diese Weise wiegelte er die Bevölkerung auf, um den in der Kritik stehenden Bischof aus seinem Amt zu verjagen. So auch in Pisa, wo Erzbischof Dagobert, ein alter Parteigänger des Kaisers, dank der persönlichen Unterstützung durch Papst Urban II. über seine Gegner triumphierte; später würde er die Pisaner höchstselbst ins Heilige Land führen und sich zum Patriarchen von Jerusalem wählen lassen. Und in Genua wusste Bischof Airaldo auf dieselbe Weise vielfältige Kräfte um sich zu sammeln. Um ihr hegemonistisches Programm voranzubringen, griffen die Reformatoren klug zu einer Vielzahl von Mitteln. Dazu zählte insbesondere die Unterstützung von religiösen Laienbewegungen im Volk, die sich gegen den Sittenverfall im Klerus richteten oder auch militärisch gegen jene Herren vorgingen, die den Gottesfrieden zu brechen wagten. Den Anführern solcher Gruppen, die sich häufig den Idealen von Armut und Kampf verschrieben, verlieh das Papsttum das vexillum sancti Petri. Den Reformpäpsten war bewusst, wie sehr ihre Sache bewaffneter Arme bedurfte. Kampfhandlungen waren ja legitim, sofern sie auf die libertas ec­ clesiae abzielten. Als Erster handelte in diesem Sinne Papst Leo IX. (1049–1054), indem er die Gefallenen der Schlacht von Civitate, die 1053 von schwäbischen, italienischen und langobardischen Kontingenten im Sold des Papstes gegen die Normannen in Süditalien ausgetragen wurde, zu Märtyrern erklärte. Bonizo von Sutri, einem Kanoniker und glühenden Gregorianer, galten diese Märtyrer zweifelsfrei als heilig. 1090 sollte Bruno di Segni, Abt von Montecassino, ausdrücklich von den milites beati Petri als milites Christi sprechen. Wie dem auch sei, das vexillum war nicht ausschließlich getreuen Parteigängern vorbehalten. Eine große Zahl von Eroberern erklärte sich allein deshalb zum fidelis des Apostelfürsten, um sich einen

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Rechtsstatus zu verschaffen, der es ihnen erlauben würde, rechtmäßige Besitzansprüche über die mit Waffengewalt eroberten Güter anzumelden. Indem der Papst all diesen sein Banner zugestand, dem in England einfallenden Wilhelm, den im Süden Italiens um sich greifenden Hautevilles, den Fürsten Kastiliens und Aragóns, die den Mauren Stück um Stück spanischen Bodens entrissen, und den unter Pisa, Genua und Amalfi segelnden Flotten, die 1087 im Golf von Hammamet die Stadt Mahdia überfielen, legitimierte er, was andernfalls ein reiner Akt der Gewalt gewesen wäre. Gleichzeitig trat er vor den Mächtigen und Völkern der Welt als Herr über all diejenigen auf, die seine Insignien anlegten und ihm so Ehrerbietung erwiesen, und damit zugleich als der oberste Souverän ihrer Herrschaftsgebiete. Es mag merkwürdig erscheinen, dass der Bischof von Rom, dem viele Prälaten die Oberhoheit über die Christenheit in geistlichen Dingen noch immer kaum zugestanden, so sehr nach ihrer Durchsetzung in weltlichen Dingen strebte. Doch war dies die Logik, der der Kampf mit dem Kaiserreich gehorchte, der immer mehr zu einer Auseinandersetzung zwischen zwei ökumenischen Mächten wurde. Der Schlüssel zum Verständnis dieses erbitterten Streits zwischen den höchsten ökumenischen Autoritäten des Mittelalters liegt im Konflikt von Macht und Kompetenz. Doch liegt er auch, und sehr viel tiefer, in der radikalen Ähnlichkeit und somit gescheiterten Komplementarität beider Mächte begründet. Es gab zur damaligen Zeit nicht die religiöse und die weltliche Sphäre, hier eine heilige Welt und dort eine profane. Man lebte, wie ein Jahrhundert später der Zisterzienser und Bischof Otto von Freising schrieb, »in einer einzigen Gemeinschaft, der Kirche, in der sich alles vermischt«. Dies ist der Hintergrund der Delegitimierung kaiserlicher Macht, in den die Kreuzzugsidee sich einfügte als ein Produkt der nachgregorianischen Phase der Reform. Darin spiegelt sich die Erkenntnis wider, dass der Papst fähig war, sich an die Stelle des Kaisers zu setzen, indem er einen Krieg unter sakralen Vorzeichen erklärte, der vor allem gerecht war. Im Zuge der sukzessiven Durchsetzung seiner eigenen Führungsrolle gegenüber den Bischöfen im Westen hatte der Papst das Vorrecht auch auf die weltliche Führung der Christen für sich beansprucht – und damit den Platz des Kaisers eingenommen. Die komplexe kirchliche Reformbewegung des 11. Jahrhunderts verwandelte sich für zahlreiche milites in eine Gelegenheit zur Einsicht, zu einer Veränderung ihrer Lebensweise, zur conversio. Die Friedenskonzile hatten diesen Profis der Kriegsführung ein Ideal an die Hand gegeben, das ihnen die Möglichkeit gab, ihre Mittel zu heiligen, während sie weiterhin für jetzt klar umrissene Ziele kämpften:

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für die Verteidigung der Kirche und der pauperes und zum Schutz der Weisen, Witwen und Mündel. Wenn es sich also bei den feudalen Machtmissbrauchern um mali christiani handelte und wenn auch die simonistischen, im Konkubinat lebenden Kleriker und ihre Anhänger, gegen die die Patarener ins Feld zogen, schlechte Christen waren, dann war gegen sie zu kämpfen gleichbedeutend damit, die Heiden zu bekämpfen. Im Kampf gegen sie zu fallen kam einer Krönung mit dem Märtyrerkranz gleich. Wenn sich, wie es häufig der Fall war, ehemalige Machtmissbraucher oder tyranni zur Sache des Friedens und der Kirchenreform bekehrten, dann bekam ihr Opfer und etwaiges Unterliegen in einem gerechten Krieg den Stellenwert eines Bußaktes, jenem vergleichbar, der zur selben Zeit so viele reuige Ritter auf die Wege der peregrinatio poenitentialis ins Heilige Land führte. Der Dienst an der guten Sache tilgte die Schuld für die Missetaten eines ganzen Lebens voller Gewalt. Die neue Aufgabe des Ritters erfüllte sich unter dem Dreiklang von tuitio, ultio und dilatatio – die Schwachen verteidigen, Übergriffe zurückschlagen, die Grenzen der Christenheit ausweiten. Das gregorianische Ideal der militia Christi, ein Erbe, das auch Papst Urban II. übernahm, fand in Bonizo von Sutri einen glänzenden Theoretiker. Den abschließenden Seiten seines Liber ad amicum und dem VII. Buch seines Liber de vita christiana verdanken wir die klare Ausformulierung einer kriegerischen Ethik, die sich in eine »ritterliche« Ethik wandelt, bereit für ihre Verbreitung sowohl durch die Traktatliteratur als auch durch die chansons de geste. In der gregorianischen Konzeption des miles Christi waren die politischen Beweggründe allerdings nicht so stark ausgeprägt, als dass sie über die Erfordernisse spiritueller oder seelsorgerischer Art dominiert hätten. Der Papst betrachtete den kriegerischen Einsatz eines Ritters gegen die »Heiden« oder pro defendenda iustitia als Äquivalent für eine Zeit der Buße. Kriegsführung im Dienste der Kirche wurde so für öffentliche Sünder zu einem legitimen Weg der Buße.

Expansion und Eroberung Über weite Teile des 11. Jahrhunderts boten sich dem christlichen miles Möglichkeiten, sich zu beweisen, insbesondere auf der Iberischen Halbinsel, dem Schauplatz der christlichen Reconquista. Diese Rückeroberung wurde von der Kirche unterstützt, indem sie den daran beteiligten Kämpfern Ablässe analog zu denen

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der Pilger in Aussicht stellte. Gewiss lässt sich mit dem einen Etikett der Reconquista schwerlich ein Konflikt beschreiben, der rund acht Jahrhunderte währte. Vor langer Zeit war die Halbinsel von arabischen Berbern erobert worden. Im April oder Mai des Jahres 711 durchquerte der Statthalter von Tanger, Ṭāriq ibn Ziyād al-Laythī – in der spanischen Version der Legende Taric el Tuerto –, die Meerenge und ließ Aufstellung nehmen rings um das Gebiet, das nach ihm benannt werden würde: Gibraltar (auf Arabisch Jabal Târiq, Berg des Ṭāriq). Im Oktober 711 fiel Córdoba; nur wenig später wurde Toledo eingenommen, die alte Hauptstadt der Westgoten. 714 waren Saragossa und das gesamte mittlere Ebrotal an der Reihe. Der Vorstoß kam im Westen vor dem Kantabrischen Gebirge zum Erliegen und im Osten in den Pyrenäen, obwohl einige Expeditionen bis ins südliche Gallien vorgedrungen waren. Genau genommen will die fränkische Tradition, dass den Sarazenen von Karl Martell, dem Großvater des künftigen Kaisers Karl des Großen, Einhalt geboten wurde, in der berühmten Schlacht von Poitiers 732 (oder vermutlich 733). In der Schilderung dieses Ereignisses bezeichnet ein anonymer Chronist die christlichen Kämpfer erstmals als Europeenses. Jedenfalls war das von den Muslimen kontrollierte Gebiet – auf Arabisch »al-Andalus« genannt (eine Bezeichnung unsicherer Herkunft, die vielleicht mit dem Namen des germanischen Stammes der Vandalen in Zusammenhang gebracht werden kann, der sich im 5. Jahrhundert dort niedergelassen hatte) – derweil zu einer Provinz des Kalifats von Damaskus geworden, die dank der Einführung neuer Techniken in der Landwirtschaft und eines verstärkten Handels mit den christlich gebliebenen Regionen im Norden florieren sollte. Den Höhepunkt seiner Blütezeit erreichte al-Andalus unter Abd al-Rahmān I. (756–788), dem Begründer der in Córdoba ansässigen Umayyaden-Dynastie, Abd al-Rahmān II. (822–852), der eine Zentralisierung der Verwaltung auf den Weg brachte, und Abd al-Rahmān III. (912–961), der sich 929 selbst den Titel eines Kalifen verlieh und damit in Konkurrenz zum alten abbasidischen – also ebenfalls sunnitischen – Kalifat von Bagdad und zum fatimidischen – schiitischen – Imam von Kairo trat (den er seinerseits fälschlich als Kalifen bezeichnete). Mit Beginn des folgenden Jahrhunderts büßten die umayyadischen Kalifen einen Großteil ihrer Autorität zugunsten der Provinzgouverneure ein, die sich nach und nach unabhängig gemacht hatten. 1031 zerfiel die Zentralmacht und das Kalifat wurde in zahlreiche Fürstentümer, die sogenannten Taifas, aufgeteilt. Davon profitierten die christlichen Herrscher des Nordens, die die Rivalitäten unter den

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Machthabern ausnutzend eine Reihe militärischer Operationen durchführten. Ein erster unabhängiger christlicher Herrschaftskern hatte sich unmittelbar nach der muslimischen Eroberung in der Region Asturien im Nordwesten gebildet, begünstigt durch die Zuwanderung aus dem Süden und die Beziehungen zum karolingischen Gallien. Die asturischen Herrscher hatten einstweilen ein immer stärkeres Bewusstsein für ihre monarchische Würde entwickelt, was sich in der Rückbesinnung auf ihre westgotischen Traditionen und darüber auf ihre antikrömischen Wurzeln beispielhaft zeigte. Im 10. und 11. Jahrhundert hatte sich das asturische Reich südlich des Kantabrischen Gebirges ausgedehnt. Die Hauptstadt war von Oviedo nach León verlegt worden, in Richtung der üppigen iberischen Meseta. In der Zwischenzeit bildeten sich im Osten die ersten Keimzellen des navarresischen Reichs, zu dem die Grafschaften Kastilien und Aragón gehörten. Das berühmte Rolandslied aus der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts schildert Rolands Tod in der Schlacht bei Roncesvalles, das auf dem Pilgerweg nach Compostela liegt: Graf Roland hört ihr heidnisch Feldgeschrei und sagt: »Heut leiden wir für Gott den Tod, der Tod ist nicht mehr fern, ein Feigling der, der seinen Kopf nicht teuer heut verkauft. Braucht, edle Herren, die wohl gefegten Schwerter, das süße Frankreich falle nicht in Schmach! Und kommt mein Kaiser Karl und sieht uns hier, und sieht für unser einen fünfzig Heiden, dann wird er sagen: ›Herr Gott! segne sie!‹« Ganz Europa kannte diese Verse, sie gehören zu den anrührendsten des Rolandsliedes und wurden von Markt zu Markt, von Burg zu Burg weitergetragen. Wie viele Pilger mögen auf ihrem Weg des heldenhaften Endes des Paladins gedacht haben, während sie die Pyrenäenpässe überquerten? Die immer wieder aufflammenden Kämpfe gegen die Muslime, die gelegentlich Unterstützung seitens der italienischen Seestädte erfuhren, fanden ihren Höhepunkt in der großen Schlacht bei Las Navas de Tolosa im Jahr 1212 und dauerten schlussendlich bis zum Fall von Granada im Jahr 1492 an. An ihnen beteiligten sich die Sprösslinge eines Lehnsadels, der durch steigende Preise, die auf-

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kommende Geldwirtschaft und sich auflösende Familienvermögen verarmt war. Und so zogen die milites, Ritter, die nichts anderes ihr eigen nennen konnten als ihre Träume, ihre Waffen und ein oder zwei Pferde, in Begleitung von ein paar Dienern auf den Straßen von Europa umher. Der »fahrende Ritter«, die romantische Figur par excellence, war Wirklichkeit, wenn auch bei Weitem nicht so verbreitet, wie die ritterliche Dichtung glauben machen wollte. In der Praxis muss es sich um arme Teufel gehandelt haben, die, abgesehen von der Wegelagerei, keine andere Einkunftsquelle hatten, als sich bei irgendeinem Machthaber als Söldner zu verdingen. Für diese Kriegerschicht bildete die Iberische Halbinsel ein traditionelles Betätigungsfeld, wobei sie sich nicht nur bei Christen verdingten: Krieger, die in der christlichen Lehre erzogen worden waren, traten nicht selten auch in den Dienst arabisch-hispanischer oder maghrebinischer Emire. So war zum Beispiel der Kastilier Rodrigo Díaz (um 1043–1099), bekannt als el Cid Campeador, ein Berufskrieger, der seine Dienste Christen wie Muslimen gleichermaßen anbot. Später stieg er zum Protagonisten einer lateinischen Chronik über sein Leben auf, der Historia Roderici, die wenige Jahrzehnte nach seinem Tod verfasst wurde. Auch im noch berühmteren Cantar de Mio Cid, dem ältesten Werk der spanischen Heldenepik, wurde er besungen. Aber der Kampf gegen den Islam wurde auch auf dem Mittelmeer und vor allem auf dem Tyrrhenischen Meer ausgetragen, wo die jungen genuesischen und pisanischen Flotten dabei waren, ihre Brückenköpfe in Korsika und Sardinien zu konsolidieren. Nach und nach verdrängten sie aus den von ihnen kontrollierten Gewässern die Überbleibsel der muslimischen Piratenkönigreiche, die im 8. und 9. Jahrhundert entstanden waren und ihre traditionellen Stützpunkte auf den Balearen und an der Nordküste Afrikas hatten. Dieser Kampf um die Vorherrschaft auf dem Meer und um die Absicherung des Warenhandels, der die christlichen Handelsflotten auch zur Eroberung einiger nordafrikanischer Küstenstädte veranlasste, erzeugte – da er gegen die »Ungläubigen« geführt wurde – eine gewisse religiöse Spannung. Diese war vielleicht noch diffus und mit Sicherheit nicht uneigennützig (schließlich handelte es sich um Kriege unter Freibeutern), aber dennoch real. Die Quellen berichten von Tausenden aus Stadt und Land herbeiströmenden Fußsoldaten und berittenen Kriegern, die auf Segelschiffen und Galeeren eng zusammengepfercht mit mitgeführtem Kriegsgerät und Triböcken die feindlichen Küsten anliefen und wild entschlossen waren, zu kämpfen und Beute zu machen. Es sind Merkmale, die die meisten Expeditionen, von denen

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wir Kenntnis haben, verbinden: von jener der Pisaner gegen Reggio und Messina im Jahr 1005 bis zu den Kampagnen gegen Bona (das antike Hippo und heutige ’Annāba in Algerien) im Jahr 1034 und Palermo im Jahr 1064; von den im pisanisch-genuesischen Flottenverbund durchgeführten Kampagnen gegen Sardinien und Korsika in den Jahren 1015–1116, gegen Mahdia im Jahr 1087 (oder 1088), gegen Valencia im Jahr 1092 und Tortosa im Jahr 1093 über die Kampagne von 1114/15 gegen die Balearen, die die Pisaner allein für sich in Anspruch nahmen, bis zur genuesischen Expedition gegen Almería und Tortosa 1146–1148. So befand sich der Islam im gesamten Westen des Mittelmeerraums, der zu dieser Zeit keineswegs ein einheitliches Ganzes bildete, zum ersten Mal seit den Tagen des Propheten auf dem Rückzug. In den vor Waren und geschäftigem Treiben überquellenden Städten, in den Häfen, in denen sich Schiffe drängten, die die Seewege nach Osten befuhren, beschwor die um den Bischof von Rom neu gegründete Christenheit eine »Kraftidee« herauf, die imstande war, den Namen des Erlösers mit jener Explosion von Energien zu verknüpfen, die sie selbst erfasst hatte.

Fenster nach Osten Ungeachtet der starken Präsenz von Amalfitanern, Genuesen und Venezianern in Ägypten und in den Häfen des Byzantinischen Reiches blieben die Mittelmeerküsten der Levante entlegen und schwer erreichbar für Schiffe, die gezwungen waren, in ständigem Sichtkontakt mit der Küste zu navigieren und für Nachschub und Wartungsarbeiten häufig an Land zu gehen. Der Osten lag in weiter Ferne und auf dem Mittelmeer kreuzten meist arabische, berberische und byzantinische Segler. Lange Zeit schlug die Handelsbilanz vor allem zugunsten der Häfen im Süden und im Osten aus: Der Westen kannte bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts ausschließlich die Silbermünze, während im östlichen Mittelmeer und in der muslimischen Welt die Goldmünze weit verbreitet war. Nicht, dass die Gemeinschaft der Umma frei von Zwist gewesen wäre: Die arabischen Kräfte in ihrem Inneren hatten allmählich und unwiderruflich an Boden verloren. Längst vorbei waren die Zeiten der Eroberung von Ktesiphon, der prächtigen Hauptstadt des Sassanidenreiches in den Jahren 636/37, als die Beduinen nicht merkten, welch unermessliche Schätze ihnen in die Hände gefallen waren. Sie würzten ihre Speisen mit Kampfer – den sie für Salz hielten –

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und verteilten den fabelhaften Königsteppich, genannt »Frühling des Chosrau«, aus dem Thronsaal des Palastes – in Stücke geschnitten. Das Kalifenreich war für die stolze, aber zahlenmäßig kleine Gruppe der arabischen Aristokratie zu groß geworden. Die Umma räumte zwar der arabischen Tradition einen unbestreitbaren Vorrang ein, der in der privilegierten Rolle der Familie des Propheten und im Gebrauch des Arabischen als heilige Sprache (nicht nur des Gebets und der Theologie, sondern auch des Rechts und der philosophischen Spekulation) zum Ausdruck kam. Zugleich aber erlaubte ihr universalistischer und egalitärer Charakter jedem, der den wahren Glauben annahm, ein vollwertiger Bruder der anderen Gläubigen zu werden, jenseits aller ethnischen, sprachlichen oder sonstigen Unterschiede. Dies ermöglichte Nicht-Arabern, insbesondere den Persern, sich mit der Zeit in der Umma zu etablieren. So vollzog sich in der Beziehung zwischen arabischer und iranischer Welt ein ganz ähnlicher Vorgang, wie er sich im 2. und 1. Jahrhundert v. Chr. zwischen der römischen und der griechischen Welt abgespielt hatte. Wie das mit Waffengewalt eroberte Griechenland den stolzen römischen Sieger unterworfen hatte, so eroberte Persien den wilden arabischen Sieger. Fiel die Eroberung des Sassanidenreichs mit einer Arabisierung Persiens zusammen, so kam es doch auch zu einer Iranisierung des östlichen Islams und des abbasidischen Kalifats, wo der persische Einfluss zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert dominierte. In der Praxis war die zoroastrische Religion (wie auch der Buddhismus und Hinduismus im Sindh) mit jener der »Leute des Buchs« gleichgesetzt worden. Und doch ging vom Islam eine Anziehungskraft aus, die sich nicht nur dadurch erklären lässt, dass er die Religion der Sieger war und die Entscheidung zur Konversion Zugang zur herrschenden Klasse verschaffen konnte. Frisch Bekehrte wurden im Übrigen als mawali (Klienten, Freigelassene) in einem Zustand teilweiser Unterwerfung gehalten; sie mussten sogar – wenn auch unrechtmäßig – weiterhin die jiziya, eine Art Kopfsteuer für dhimmi, entrichten. Diese Situation änderte sich jedoch bald. Die vom östlichen Teil des Reiches ausgehende abbasidische Revolution wurde zum Teil von ebenjenen mawali ausgelöst und unterstützt. Das geschah im Namen einer Bewahrung des reinen, ursprünglichen Islams, den die autokratischen und zentralistischen Entscheidungen der Umayyaden, die hierin als Nachahmer von Byzanz auftraten, verraten zu haben schienen. In jedem Fall entstand aus der byzantinisch-arabisch-iranischen Verschmelzung die große muslimische Kulturtradition, aus der al-Biruni, Avicenna und al-Razi (Rhazes) hervorgingen.

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Kapitel zwei 

Unterdessen kamen im 10. und 11. Jahrhundert neue Konvertiten aus dem Osten und Nordosten in die Kalifenländer: die Türken, ural-altaische Völker, deren Kultur sowohl den Arabern als auch den indoeuropäischen Iranern fremd war. Es waren Völker, die in der Vergangenheit das Eindringen der Muslime jenseits von Oxus und Jaxartes, wie die Flüsse Amu-Darja und Syr-Darja in der Antike hießen, erbittert bekämpft hatten. Nun war es die ursprünglich turkmenische Dynastie der Seldschuken, Nachfahren eines Khans des 10./11. Jahrhunderts namens Selgiuq, die den geschwächten arabisch-persischen Streitkräften zu Hilfe kam. Im Verlauf des 11. Jahrhunderts gelang es ihnen, die Kontrolle über Persien und den Irak zu erlangen, wobei ihr Anführer es verstand, sich an die Seite des abbasidischen Kalifen zu stellen. Mit dem Titel des Sultans übernahm er zugleich die ehrenvolle Aufgabe, den sunnitischen Islam im Osten zu verteidigen. Für diesen konnte Bagdad angesichts des schiitischen Kalifen von Kairo und des autonomen sunnitischen Kalifen von Córdoba zwar nicht mehr als theokratisch-politische Hauptstadt gelten, aber immerhin als Sitz des Stellvertreters und Nachfolgers des Propheten. Die seldschukischen Sultane mit ihrem System untergeordneter Beamter (agha, beg, atabeg) und ihren über die gesamte anatolische Halbinsel verteilten Vasallenmächten waren in der Lage, das Kalifat, das Zeichen der Erschöpfung zeigte, durch ihre Kampfstärke und ihren Mut aufrechtzuerhalten. Und doch war dies der Beginn jener stocktauben Rivalität zwischen Türken und Arabern, die die Jahrhunderte mit all ihren Bevölkerungsverschiebungen und Veränderungen überleben und letztlich eine bedeutende Rolle in den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts spielen sollte. Doch nicht einmal die Türken waren in der Lage, zumindest nicht vor dem 15. Jahrhundert, das große Bollwerk gegen den aufstrebenden Islam im Nordwesten ganz zu bezwingen – das Byzantinische Reich. Die explosionsartige Ausbreitung des neuen Glaubens hatte es allerdings stark geschwächt: Sie hatte ihm Palästina, Syrien, Armenien, Teile der anatolischen Halbinsel, Ägypten, Nordafrika, Kreta und Sizilien entrissen. Der Islam hatte sich in diesen Ländern relativ leicht und rasch ausgebreitet. Die dort lebenden Christen waren zumindest in Teilen Monophysiten, Anhänger einer Konfession, die von den Byzantinern lange Zeit als häretisch unterdrückt und verfolgt worden war, weshalb sie notgedrungen eine muslimische Vorherrschaft bevorzugten. Byzanz sah sich seiner thalassokratischen Stärke beraubt, ohne dass sich das Mittelmeer jedoch vollständig in ein muslimisches Binnengewässer verwandelt hätte. Im 7. und 8. Jahrhundert musste die Hauptstadt wiederholt schwere Belagerungen von

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muslimischer Seite über sich ergehen lassen. Nach dem Sieg bei Manzikert im Jahr 1071 gründeten die Türken 1080 im Herzen Anatoliens das Sultanat Rūm (so genannt, weil es sich auf byzantinischem, rhomäischem Boden befand) und machten Konya (griechisch Ikónion) zur Hauptstadt. Trotz dieser heftigen Rückschläge hielt die kaiserliche Streitkraft von Konstantinopel stand. Die Geschichte des Mittelmeerraums zwischen dem 7. und dem 10. Jahrhundert ist auch die einer ständigen Konfrontation zwischen Muslimen und Byzantinern. Obwohl es Westeuropäer waren, die die Legenden von Poitiers und Roncesvalles hervorgebracht haben – Letztere poetisch ergreifender, aber historisch weniger korrekt als Erstere –, bleibt die Tatsache bestehen, dass die Wucht der muslimischen Offensive am stärksten Byzanz traf. Die Lage änderte sich im Zuge des 11. Jahrhunderts grundlegend. Mit Mühe versuchte sich Byzanz gegen den Islam zu behaupten, der vom inzwischen turkisierten Anatolien herandrängte. Zu diesem Zweck verfeinerten die Byzantiner einerseits die Methoden ihrer traditionell geschickten Diplomatie noch weiter, andererseits suchten sie im Westen unablässig nach schwer bewaffneten, im Reiterkampf geübten Barbarenkriegern, die sie dann als Söldner an die im Fluss befindlichen Grenzen Kleinasiens schickten. Auch der Westen erwachte nun aus seinem langen Schlaf und erkannte neue Möglichkeiten zur Expansion neben der kontinentalen Ausdehnung nach Nordosten, die das junge germanische Christentum seit karolingisch-ottonischer Zeit gekennzeichnet hatte. Der Blick richtete sich nun nach Spanien, in den Mittelmeerraum und den Nahen Osten. Für die »Franken«, wie die Westeuropäer von den Muslimen genannt wurden, materialisierte sich der Feind in jenen, die man für gewöhnlich Sarazenen, die »Söhne Sarahs«, oder, näher an der biblischen Geschichte, Agarener (oder Hagarener), die »Söhne Hagars«, nannte. Jenseits der Pyrenäen kannte man sie unter dem lateinischen Namen mauri – da sie aus dem alten Mauretanien stammten – oder, wie die Kastilier und Katalanen zu sagen pflegten, als moros, eine Bezeichnung, der großer Erfolg beschieden sein würde. Wo immer sie hinkamen, trafen die Europäer auf Sarazenen: in Spanien, wo sie die Wege zu einem der großen Pilgerziele im Westen, dem galizischen Wallfahrtsort Santiago de Compostela, unsicher machten; auf dem Mittelmeer, wo sich die pisanischen und genuesischen Flotten in brutalen Kämpfen aufrieben, um die tyrrhenische Küste vom Alptraum der Piratenüberfälle zu befreien und die Muslime von Korsika und später von den Balearen zu vertreiben; auf der anatolischen

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Halbinsel, wo normannische Söldner auf die seldschukischen und danischmendischen Türken trafen. Diese andauernde Präsenz des Islams, dem der Gebrauch der arabischen Sprache eine einheitliche Patina verlieh, die aber der ethnischen Vielfalt und politischen Zersplitterung, die ihn kennzeichneten, in keiner Weise entsprach, nährte in der westlichen Christenheit den Eindruck, geradezu umzingelt zu sein. In Wirklichkeit war es umgekehrt: Dass die Muslime entlang einer breiten Front präsent waren, die sich von den Pyrenäen über das Mittelmeer bis zum Kaukasus erstreckte, war nicht ihrem aggressiven Expansionsdrang geschuldet, der sie zwischen dem 7. und 10. Jahrhundert angetrieben hatte, nun aber zum Stillstand gekommen war, sondern der Wucht und dem Ungestüm, mit dem sich die Europäer über ihre gewohnten Grenzen hinweg ausbreiteten. Es war eine ungestüme Energie, die sich da auf unterschiedliche Weise Bahn brach: von der Zunahme der Pilgerreisen und Handelsgeschäfte über die wiederholten Expeditionen französischer Ritter über die Pyrenäen, um an der Reconquista teilzunehmen, bis hin zur normannischen Diaspora, die ihre kühnen rotschopfigen Krieger mit den großen mandelförmigen Schilden in den Kampf gegen die arabisch-berberischen Muslime Siziliens und die türkischen Muslime Anatoliens führte. In diesem Schmelztiegel muss man den Aufruf verorten, der Christenheit im Osten zu Hilfe zu eilen und zur Rückeroberung Jerusalems aufzubrechen. Es war die Geburtsstunde dessen, was die Moderne voreilig als den »Geist der Kreuzzüge« bezeichnet hat – ein Konglomerat aus Idealen und Praktiken, die sich in ungeahnter Weise entwickeln sollten.

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Die Eroberung des Ostens Der Aufruf von Clermont Am 12. März des Jahres 1088 wurde Odo de Lagery, vormals Abt von Cluny, zu Papst Urban gewählt, dem zweiten in der Nachfolge Petri dieses Namens. Seine Position war prekär, obwohl die Partei, der er angehörte, als Beförderin der Kirchenreform nur einen Schritt vom Sieg entfernt war. Der Stern Kaiser Heinrichs IV. war im Sinken begriffen, auch wenn sich selbst in Rom noch diverse kaisertreue Gruppierungen um Erzbischof Wibert von Ravenna hielten, dem Gegenpapst unter dem Namen Clemens III. Im Herbst 1094 brach Urban zu einer Reise auf, die ihn in einige wichtige Zentren in Mittel- und Norditalien sowie in Mittel- und Südfrankreich führen sollte. Es galt, seine Parteigänger mittels einer Reihe von Konzilien einzuschwören, auf denen ein für alle Mal die dogmatische und politische Ausrichtung der Kirche und der kirchlichen Lehre geklärt werden sollte. Im März 1095 empfing der Papst während eines Konzils, das in Piacenza tagte, Gesandte des griechischen Kaisers Alexios I. Komnenos. Wahrscheinlich verhandelte er mit ihnen die Wiedervereinigung der beiden Kirchen, die sich in der Folge des Schismas von 1054 aufgespalten hatten. Möglich, dass ihn die Gesandten außerdem um die Entsendung von Truppenkontingenten baten, die als Söldner gegen die in Anatolien vorrückenden seldschukischen Türken eingesetzt werden könnten (»Hilfe zu bringen […] gegen die Heiden zur Verteidigung der heiligen Kirche«, so berichtet es der Chronist Bernold von Konstanz). In der Tat ist nicht auszuschließen, dass der Papst ein bereits von Gregor VII. geäußertes Vorhaben aufgriff und gemeinsam mit den weltlichen und kirchlichen Machthabern, denen er auf seiner Reise begegnete,

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Kapitel drei 

über eine Expedition in Gestalt einer Bußpilgerreise nachdachte, die vielleicht sogar als Beistand für die Christenheit im Osten gedacht war. Am 18. November berief Urban II. zur neuerlichen Bekräftigung seiner Autorität ein weiteres Konzil in Clermont in der Auvergne ein, an dem etwa 300 Prälaten teilnahmen. Die Stadt lag an der alten, von Osten nach Westen quer durch Frankreich verlaufenden Straße, die von Lyon nach Saintes führte und Teil des Jakobsweges war. Zeitgleich verbreitete sich das Gerücht, der Papst habe eine Verkündigung von besonderer Bedeutung zu machen, mit der er die Arbeit der Konzilien abzuschließen gedenke. Die Neuigkeit – nach allen Regeln der Kunst in Umlauf gebracht – zog eine derart große Menschenmenge in die Stadt, dass die Versammlung nach Abschluss des Konzils auf ein Feld außerhalb von Clermont verlegt werden musste. Die päpstliche Ansprache, die viele Beobachter für den entscheidenden Anstoß zu jener Bewegung hielten, die keine vier Jahre später zur Eroberung Jerusalems führen sollte, ist uns in fünf verschiedenen Fassungen überliefert. Alle wurden in zeitlichem Abstand zu den Ereignissen verfasst, sind also Interpretationen,

Auf dem Weg nach Clermont weiht Papst Urban II. am 25. Oktober 1095 den Hochaltar der Abtei von Cluny. Rechts: die Mönche mit Hugo von Cluny.

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die keinen Rückschluss auf ihren authentischen Gehalt erlauben. Die Anwesenheit einiger Gesandter des Grafen von Toulouse und Markgrafen der Provence, Raimund IV. von Saint-Gilles, den der Papst auf seiner Reise in Nîmes getroffen hatte, gibt zu der Vermutung Anlass, dass Urban ihn zusammen mit dem Legaten Adhémar de Monteil, Bischof von Le Puy, zu Anführern der Expedition bestimmen wollte. In jedem Fall kann als gesichert gelten, dass der Papst die ständigen Bruderkämpfe beklagte, die das europäische Christentum erschütterten, und dass er eine Pilgerreise ins Gelobte Land als Mittel zur Reinigung von den begangenen Sünden in Aussicht stellte. Sich aufzumachen zu diesem Ziel würde außerdem die Möglichkeit eröffnen, der von den Ungläubigen bedrohten Ostkirche zu Hilfe zu eilen und geistlichen Lohn zu erwerben. Urban trieben vor allem drei Anliegen: Er wollte zunächst einmal seine Autorität in der Auseinandersetzung zwischen dem Papsttum und jenen Kräften innerhalb der Kirche, die sich der Reform noch entgegenstellten, geltend machen. Er wollte außerdem den europäischen Feudalherren, die sich durch ihr Engagement für die Sache des Kaisers kompromittiert hatten, den

Urban II. predigt den Kreuzzug im Beisein von Philipp I., Miniatur von Jean Fouquet aus den Chroniques de France, 1455–1460, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Kapitel drei 

Weg einer peregrinatio poenitentialis aufzeigen, die sie mit der Kirche befrieden, sie von ihren Sünden befreien und dem Westen zudem eine kurze Erholungspause verschaffen würde. Und schließlich wollte er dem Kaiser von Konstantinopel Ritter zu Hilfe schicken und auf diese Weise die Beziehungen zur griechischen Christenheit wiederherstellen. In den Chroniken überwiegt jedoch als alleinige Motivation die vom türkischen Vorrücken ausgehende Gefahr. Hören wir zum Beispiel, was der französische Geistliche und spätere Kanoniker der Grabeskirche von Jerusalem, Fulcher von Chartres, zu berichten weiß: Denn es ist notwendig, dass ihr Euren Brüdern im Osten, die sich in Bedrängnis befinden, auf schnellem Wege die schon erbetene Hilfe bringt. Es sind nämlich – den meisten von Euch hat man es schon gesagt – die Türken, ein persisches Volk, über sie hergefallen und bis zum Mittelmeer vorgestoßen, bis in die Gegend, die sie Brachium S. Georgii (Arm des heiligen Georg, d.h. Bosporus und Marmarameer) nennen, indem sie mehr und mehr die Gebiete der christlichen Romania (gemeint ist das Byzantinische Reich) besetzten; in siebenfacher Kriegsschlacht haben sie sie überwunden, viele getötet oder gefangen, die Kirchen zerstört, das Reich Gottes verwüstet. Ließe man sie noch eine Zeit lang in Ruhe gewähren, dann würden sie noch viele weitere Gebiete der Gläubigen einnehmen. Deshalb ermahne ich Euch mit flehentlicher Bitte, nicht ich, nein Gott, dass Ihr, Vorkämpfer Christi, allen, gleich welchen Standes, den Rittern und dem Fußvolk, den Reichen und den Armen, in häufiger Aufforderung ratet, dass sie beizeiten den Christusverehrern beizustehen sich bemühen, dieses nichtsnutzige Volk in unseren Gegenden auszurotten. Den Anwesenden sage ich es, den Abwesenden tue ich es kund, Christus aber befiehlt es. Allen, die dorthin gehen, wenn sie bei der Reise über Land oder der Fahrt zur See oder im Kampf gegen die Heiden ihr Leben durch den Tod verlieren, wird die Vergebung der Sünden unmittelbar zuteil: das sichere ich den Wegziehenden zu, ich gebe es, durch Gott dazu befugt. Gewiss, die von den westlichen Chronisten verbreitete Sicht der Dinge, die ebenso die objektive Notwendigkeit der Unternehmung aufzeigen sollte wie den Undank oder vielmehr die Böswilligkeit der Griechen in Konstantinopel  – die nämlich keine große Wertschätzung für die von den crucesignati verursachten Unruhen zeigten –, verhüllt die Komplexität der Entwicklungen. Alexios, der seit 1081 auf

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Antoine Rivalz, Raimund von Saint-Gilles nimmt das Kreuz, 1706, Toulouse, Musée des Augustins.

dem Thron von Konstantinopel saß, hatte viele gute Gründe, um mit den Türken auszukommen, und beinahe ebenso viele, den Lateinern zu misstrauen. Wohl hatte er unter dem Druck der Seldschuken Anatolien verloren. Doch ein Kompromiss war rasch gefunden, auch weil die Türken in eine unübersichtliche Zahl von Machthabern aufgesplittert waren, unter denen dauerhaft Spannungen herrschten. Die ausgefeilte Diplomatie der Byzantiner hatte leichtes Spiel mit ihnen. Umgekehrt waren die Beziehungen des byzantinischen Kaisers zur lateinischen Kirche ziemlich angespannt, hatte er doch seinen westlichen Gegenpart, Heinrich IV., unterstützt. Das Papsttum hatte reagiert, indem es die Invasion der Normannen in Epirus, dem westlichen Ausläufer des Byzantinischen Reichs, beförderte. Angeführt wurde sie von Robert Guiscard, Ritter und Spross einer Familie des niederen normannischen Adels, die weite Teile Süditaliens unter ihre Herrschaft gebracht hatte. Überdies war es ihm gelungen, in das Fürstengeschlecht von Salerno einzuheiraten. Der normannische Angriff war dank des Beistands der Venezianer zurückgedrängt worden, doch Ressentiments und gegenseitige Schuldzuweisungen lebten fort. Außerdem gilt es, an dieser Stelle einige Missverständnisse

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Kapitel drei 

bezüglich der Situation der Christen, die in den muslimisch kontrollierten Gebieten lebten, auszuräumen. Abgesehen von kurzen und situativ bedingten Episoden waren die Christen allgemein respektiert. Eine solche Ausnahmesituation war etwa die Zerstörung der Grabeskirche, die 1009 durch al-Ḥākim, das Oberhaupt des ismailitisch-fatimidischen Imamats von Kairo, angeordnet worden war. Sie stand in Zusammenhang mit einer sowohl gegen Juden und Christen als auch gegen die muslimischen Sunniten gerichteten Politik der Zwangsbekehrung. Normalerweise aber lebten die Christen in teilautonomen Gemeinschaften, wo sie ihre Religion in Maßen frei praktizieren durften und lediglich zur Zahlung bestimmter Steuern verpflichtet waren. Das waren Bedingungen, von denen die wenigen Muslime, die sich mit einem Leben in den von Christen zurückeroberten Gebieten arrangiert hatten, nicht einmal träumen konnten. Die Ankunft der seldschukischen Türken um die Mitte des 11. Jahrhunderts und die Durchsetzung ihrer Vorherrschaft in dem Gebiet, das der Obrigkeit des Kalifats von Bagdad unterstand, änderte nichts an der Situation. Die türkische Herrschaft war zwar bedeutend raubeiniger und militärischer als die der Araber. Als Neophyten des Islams zeigten sich die Neuankömmlinge auch weniger tolerant. Doch die Lebensbedingungen der Christen scheinen sich in den von ihnen unterworfenen Regionen nicht substantiell verschlechtert zu haben. Obwohl es den Tatsachen entspricht, dass sich um 1055 eine Reihe besonders brutaler Vorfälle zum Schaden der Pilger aus dem Westen ereigneten, hatte man es etwas zu eilig, sie den Türken in die Schuhe zu schieben, nur weil sie sich zeitlich mit ihrer Machtergreifung deckten. Die muslimische Obrigkeit von Jerusalem erachtete den Kaiser von Byzanz als Schutzherrn über die Christen aller Konfessionen. Ihm getreue Amtsträger hatten entsprechend die Aufsicht über das Heilige Grab und die Ordnungsgewalt über die Pilger inne. Auch als unmittelbar nach dem Schisma von 1054 die lateinischen Kirchen in der Heiligen Stadt zeitweise geschlossen worden waren, geschah dies nicht auf türkisches oder muslimisches Geheiß. Die Anweisung kam vielmehr vom Patriarchen von Konstantinopel. Und ja, beim Betreten der Stadt und beim Besuch der heiligen Stätten war ein Tribut zu entrichten, was zu Machtmissbrauch geführt haben dürfte. Desgleichen werden in den xeno­ dochia – den Hospizen, in denen die Reisenden und Pilger beherbergt wurden – und am Heiligen Grab Provokationen und Schikanen an der Tagesordnung gewesen sein. Mit Blick auf all die Unbill in Form von Abgaben, Risiken und langen Wartezeiten war die Pilgerreise beim besten Willen keine Vergnügungsreise. Un-

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erträglich waren die Bedingungen jedoch auch nicht. Dies beweisen die im Verlauf der zweiten Hälfe des 11. Jahrhunderts deutlich zunehmenden Bußreisen ins Heilige Land. Die von Urban II. beworbene Pilgerfahrt ritt geradezu auf dieser Welle. Der Aufruf zur Verteidigung des Heiligen Grabes konnte auch gar nicht anders als allgemein gehalten gewesen sein: Für das damalige Europa war, was in Asien geschah, größtenteils entweder unbekannt oder unverständlich. Man wusste wenig bis gar nichts über die östlichen Christengemeinden und noch weniger über die Beziehungen zwischen Arabern und Byzantinern, zwischen Arabern und Türken und so fort. Der Islam selbst war ebenfalls weitgehend unbekannt. Man bedenke allein, dass die erste lateinische Übersetzung des Korans und anderer Texte der islamischen Tradition erst Mitte des 12. Jahrhunderts durch den Abt von Cluny,

Papst Urban II. predigt den Kreuzzug auf dem Konzil von Clermont, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Kapitel drei 

Petrus Venerabilis, in Auftrag gegeben wurde. Der heimkehrende Pilger pflegte von seiner Reise freilich Erzählungen über die Gefahren, Beschwernisse und Demütigungen mitzubringen, die auf das Konto der Ungläubigen gingen. In den chansons de geste wurden sie als Heiden, Götzenanbeter und halbe Dämonen dargestellt. Ob Sarazene, Araber, Berber oder Türke – sie alle waren bestens geeignet, die Rolle des »metaphysischen Feindes« zu übernehmen. Die anhaltende Krise innerhalb der kirchlichen Strukturen, die um sich greifenden religiösen Volksbewegungen mit der gesamten Last der sozialen Probleme, die darin auf konfuse Weise zum Ausdruck kam, die Beredsamkeit der Prediger, die sich an den Rändern der kirchlichen Hierarchien bewegten und auf Jahrmärkten und rund um die Wallfahrtskirchen die Wiedergeburt per ignem prophezeiten, erledigten den Rest. Der Appell von Clermont, an dessen Ende laut der Überlieferung immer wieder der Ruf »Deus vult!« ertönte, tat nichts anderes, als diese Elemente zur Reife zu bringen. Weit über die eigenen Absichten hinausschießend, sah der Papst sich sogar gezwungen, eine ganze Reihe von Vorschriften zu erlassen, um die Teilnahme an der großen Bußreise zu regeln, deren Beginn auf das Fest von Mariä Himmelfahrt am 15. August 1096 festgelegt wurde.

Die peregrinatio der pauperes Eine Schlüsselrolle in der Entstehung der Kreuzfahrerbewegung wird traditionell dem im Dunkel bleibenden Petrus von Amiens zugesprochen, auch genannt Petrus der Einsiedler. Er ist eine historische Figur, die jedoch schnell von Legenden umrankt wurde, weshalb das tatsächliche Gewicht seines Beitrags nicht leicht zu bestimmen ist. Petrus war ein Wanderprediger, ein propheta, wie man damals sagte. Wir wissen nicht, welche Rolle er im Schoß der Kirche spielte, es lässt sich nicht einmal ausschließen, dass er gar Laie war. In jedem Fall stand er in einem gewissen Ruf der Heiligkeit, weil er schon einige Zeit zuvor als Initiator einer Heilsbewegung in Erscheinung getreten war. Diese hatte sich neben anderen Zielen die Erlösung jener Frauen auf die Fahnen geschrieben, die durch die Verurteilung des Nikolaitismus, also der Übertretung des geistlichen Zölibats, jegliche Achtung in der Gesellschaft verloren hatten und ins Elend gestürzt waren. Es ist kein Zufall, dass zu seiner Anhängerschaft eine ganze Schar von mulierculae zählte.

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Gédéon de Forceville, Petrus der Einsiedler, 1854, Amiens, Place Saint-Michel.

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Kapitel drei 

Gegen Ende des Jahres 1095 begann Petrus, auf dem Rücken eines Esels umherzuziehen und von der Notwenigkeit einer Bußpilgerfahrt zu predigen. Zunächst in Berry, unweit von Clermont, dann im Umland von Orléans, von wo er in Richtung Champagne und Lothringen weiterzog, dicht bevölkerte, von sozialen Gegensätzen geprägte Gebiete, die noch dazu eine schwere Hungersnot hinter sich hatten und mit den Folgen einer Mutterkornepidemie kämpften, die weite Teile Nordeuropas heimgesucht hatte. Am Karsamstag des folgenden Jahres predigte er in Köln, wo zu Ostern ein weithin bekannter Jahrmarkt stattfand. Weder der Zeitpunkt – das Fest der Auferstehung war der perfekte Moment, um über Jerusalem zu sprechen – noch der Ort waren schlecht gewählt. In Köln war es 1074 nach einem Aufstand gegen den Erzbischof, der gleichzeitig der weltliche Herr der Stadt war, zu Ansätzen einer städtischen Selbstverwaltung gekommen, welcher Funke auch auf andere Städte am Rhein übersprang. In diesem Klima fand Petrus bald Nachahmer und Anhänger. Unter den vielen befanden sich ein deutscher Priester namens Gottschalk und ein kampferprobter Ritter aus dem Burgund, Gautier, genannt »Sans-Avoir«, Walter »ohne Habe« also. Das bezog sich auf seinen Besitzstand, mit ziemlicher Sicherheit aber auch auf die Beweggründe für seinen Enthusiasmus. Die Propaganda war simpel, aber wirksam. Sie bestand aus der Beschreibung der heiligen Stätten und der von den Pilgern erlittenen Qualen, der Bekundung von Abscheu für die Sarazenen gefolgt von Abscheu für die Juden als »Feinde Jesu«, dem Herzeigen von Reliquien und auch von Briefen (den berühmten excitatoria), die der allgemeinen Vorstellung nach von bedeutenden Persönlichkeiten der Gegenwart oder der Vergangenheit geschrieben, wenn nicht gar vom Himmel gefallen oder von himmlischen Boten irgendeinem Pilger überbracht worden waren, und vor allem aus dem Heraufbeschwören von Jerusalem, der terra promissionis. Gemeint war nicht nur die irdische, geschichtlich wie geographisch fest verortete Stadt, sondern das himmlische Jerusalem: das Jerusalem der Apokalypse, die Hauptstadt des kommenden Gottesreiches, das äußerste Ziel dieses Jahrtausends nach dem Erscheinen des Antichrist. Fatalerweise nahm das Jerusalem, zu dem die Menschen aufgefordert waren ihre Schritte zu lenken, immer mehr die Konturen jenes zweiten an, wodurch die Pilgerreise sich zu einer Rückkehr in das »Haus des Herrn« wandelte. Eine Botschaft dieser Art, so konfus sie verpackt war, besaß eine ungeheure evokative Kraft. Alle hörten sie zu: der Ausschuss der Feudalhierarchie, jene besitzlosen Ritter, die sich erfolglos in den Kämpfen der großen Herren engagiert hatten;

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die Kleriker und religiösen Aufwiegler, die bis vor wenigen Jahren die Menschen in ganz Europa gegen korrupte Bischöfe, gegen den simonistischen, im Konkubinat lebenden Klerus und gegen Adlige, die sich der treuga Dei verweigerten, aufgebracht hatten und die sich nun im Schatten einer Amtskirche zurückgestoßen sahen, die eine Ordnung herzustellen entschlossen war, die sich starr an den päpstlichen Dekreten orientierte und weit entfernt war von den in den Jahren des Kampfes in Rückbesinnung auf das Evangelium errungenen Freiheiten; die Schwachen, die daran gewöhnt waren, von Ort zu Ort zu ziehen auf der Suche nach Land, das sie bestellen, oder Arbeit, die sie in den Werkstätten der Städte verrichten konnten. 1077 war es in Cambrai unter der Führung des Priesters Ramihrdus zu einem Aufstand der Weber gegen den der Simonie beschuldigten Bischof gekommen; in

Petrus der Einsiedler an der Spitze einer Gruppe von Kreuzfahrern, Miniatur aus den Pasazia et auxilia terre sancte (provenzalischer Auszug aus der Chronologia magna von Paolinus Venetus, 14. Jh.).

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Kapitel drei 

Flandern hatte der berühmte Tanchelm mit seinen Predigten gegen den Reichtum und die Raffgier der Prälaten den Funken zu einer Rebellion gezündet. Die Nachwirkungen dieser verworrenen gesellschaftlichen Turbulenzen fanden nun im Bußaufruf des Papstes, den Petrus und andere Prediger aufgriffen und modifizierten, ein geeignetes Ventil. Es waren folglich die Mittellosen, die sich dem iter anschlossen, Männer, Frauen und Kinder, die gewohnt waren, bettelnd umherzuziehen, und für die die Wanderschaft zur Lebenswirklichkeit gehörte; es waren Bauern, die sich in die Städte geflüchtet hatten, um den feudalen Pflichten zu entkommen, denen es jedoch nicht immer gelang, sich erfolgreich in das städtische Umfeld zu integrieren; es waren die Hoffnungslosen, die Ausgestoßenen der Gesellschaft, die es nach ewigem Lohn dürstete. Aber auch eine ansehnliche Zahl von Rittern aus dem niederen Adel war unter ihnen, willens, sich zu Paladinen dieses unerfahrenen Gesindels zu machen und Ruhm und Ehre zu erlangen, und etwas Wohlstand vielleicht auch. Die ersten Gruppen machten sich Mitte April kurz nach dem Osterfest 1096 auf den Weg, lange vor den Mächtigen, die noch dabei waren, sich zu organisieren. Sie brachen in Wellen auf, ohne die geringste Koordination. Die meisten davon lösten sich – oft unter tragischen Umständen – wieder auf, nachdem sie in losen Verbünden durch die Flusstäler von Rhein und Donau gezogen waren, wobei sie auf ihrem Weg das umliegende Land plünderten, über die Städte hereinfielen und insbesondere die jüdischen Gemeinden in Rouen, Speyer, Worms, Mainz und Köln niedermetzelten – über die Kölner Juden kam das Unheil am 29. Mai. Das geschah trotz des von den Bischöfen vielerorts gewährten Schutzes (häufig nach Zahlung stattlicher Summen Geld). Prälaten, die sich diesen Grausamkeiten entgegenstellten, wurden ihrerseits Opfer von Angriffen. Äußerliche Ähnlichkeiten haben dazu verleitet, diese Gewaltausbrüche mit den Jacquerien zu vergleichen, den bewaffneten Revolten der Bauern, die sich im Frankreich des 14. Jahrhunderts gegen die Adeligen und die Städte richteten. Während jedoch in den Jacquerien die antibürgerlichen und antifeudalen Züge überwiegen, zielten die Aktionen des »Volkskreuzzuges« fast ausschließlich auf den hohen Klerus und die Juden als die Geldverleiher der Bischöfe. Unmöglich konnten die von diesen befremdlichen Pilgern verübten Massaker – die Voltaires Sicht der Kreuzzüge als Sammelbecken für das europäische Verbrechertum rechtfertigen –, die sich auf ungarischem Gebiet wiederholten, von den christlichen Fürsten geduldet werden. Tatsächlich antworteten sie mit Gewalt. Die Wenigen,

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die – zwischen Juli und August 1096 – Konstantinopel erreichten, ließ man eilig in türkisches Territorium passieren und in ein befestigtes Lager bei Civetot umleiten, das noch in griechischer Hand war. Das Warten war nervenzehrend. Die Abwesenheit ihres Anführers Petrus ausnutzend, der nach Konstantinopel zurückgekehrt war, um zusätzliche Vorräte zu beschaffen, wurde beschlossen, auf freiem Feld den Kampf gegen die Armee von Kılıç Arslan zu suchen, dem türkischen Sultan von Iconium (Konya), der sich der Horde armseliger christlicher Streiter inzwischen genähert hatte. Die Türken hieben die Angreifer, denen sie bis in die Lagerfeste nachjagten, buchstäblich in Stücke. Nur die jungen und wohlgestalten verschonten sie, um sie in die Sklaverei zu verkaufen. Alte, Kranke, Frauen und Kinder fielen durch das Schwert. Petrus von Amiens hielt es für das Beste, auf die fürstlichen Streitkräfte zu warten. Die Unternehmung hatte auf die denkbar schlechteste Weise begonnen.

Petrus der Einsiedler und der Kreuzzug der Armen im Jahr 1096, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Kapitel drei 

Die Ilias der Barone Unter den Adligen stieß der päpstliche Appell auf breiteste Zustimmung. Urbans Hauptsorge galt der Neuordnung der Kirche, die geschwächt und zerrissen aus dem Kampf mit dem Kaiserreich hervorgegangen war. Mit seinen Vorschriften gegen einen wahllosen massenhaften Aufbruch – so mussten etwa Geistliche die Zustimmung ihrer Oberen einholen, Eheleute die ihrer Angetrauten  – war der Papst darauf bedacht, die soziale Ordnung zu wahren und das Neue in die Tradition einzubetten. Deshalb hatte er mit solcher Dringlichkeit auf die Mächtigen eingewirkt, damit sie seine Sache zur ihren machen und den Gehorsam gegenüber dem Kaiser aufgeben würden. Sie also sollten die Unternehmung anführen. Die ersten Kontingente von Edelleuten setzten sich im Sommer 1096 in Bewegung, angeführt von einigen der bekanntesten Namen der damaligen Christenheit. Der einflussreichste unter ihnen war zweifellos Hugo von Vermandois – Bruder des seinerzeit wegen Bigamie exkommunizierten Königs Philipp I. von Frankreich –, der an der Spitze eigener Truppen, die aus der Region um Paris kamen, die italienische Halbinsel durchquerte, mit einigen Schwierigkeiten den Kanal von Otranto passierte und im Oktober Konstantinopel erreichte. Gottfried von Bouillon, Herzog von Niederlothringen, verließ seine Lande im August zusammen mit seinem älteren Bruder Eustach und seinem jüngeren Bruder Balduin und erreichte, indem er dem Lauf der Donau folgte, kurz vor Weihnachten den Bosporus. Ihnen folgte Bohemund von Hauteville, Sohn von Robert Guiscard, der mit seinem Vetter Tankred aus dem eben noch belagerten Amalfi aufbrach. Über Norditalien und die Balkanküste der Adria stießen Raimund von Saint-Gilles, Graf von Toulouse, und mit ihm Adhémar, Bischof von Le Puy und päpstlicher Legat, als Befehlshaber der Truppen aus der Provence und der Auvergne dazu. Die Letzten, die am Hof von Alexios I. eintrafen, waren Graf Robert II. von Flandern und der Herzog der Normandie, der ebenfalls Robert hieß, den Beinamen »Curtehose« (Kurzhose) trug und der Sohn von Wilhelm dem Eroberer war. Begleitet wurden sie von einem weiteren Legaten, Arnulf von Chocques, dem Kaplan des Herzogs, sowie dem betagten und vermögenden Grafen Stephan von Chartres, der sich ebenfalls in Begleitung eines Legaten, seines Kaplans Alexander, befand. Man kann sich die Besorgnis am kaiserlichen Hof vorstellen, als die Nachricht von der Ankunft einer so großen Schar von »Barbaren« eintraf – wie Alexios’ Tochter Anna Komnena sie in ihrer Alexiade bezeichnete –, vor allem nach den Unruhen,

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die die pauperes unter der Führung von Petrus von Amiens gestiftet hatten. Zudem ließ es ihr Auftreten sehr an Disziplin fehlen, noch waren ihre Absichten eindeutig. Alexios überhäufte sie mit Ehren und Geschenken, gab ihnen aber zu verstehen, dass er sie als in seinen Diensten stehend betrachtete, und zwang sie zu einem Treueeid. Damit mussten sie sich verpflichten, sämtliche eroberten Städte, die einmal Byzanz gehört hatten, an das Kaiserreich abzutreten, wobei der Kaiser selbstredend im Gegenzug Vorräte und Hilfstruppen zusicherte. Anschließend expedierte er sie eilig über den »Arm des heiligen Georg« an die Küste Kleinasiens. Nicht alle schworen den Eid bereitwillig: Sowohl Gottfried von Bouillon als auch Raimund von Saint-Gilles sträubten sich anfangs ziemlich, wobei Letzterer sich am Ende darauf beschränkte zu schwören, dass er Alexios keinen Schaden zufügen werde. Tankred, der die byzantinischen Waffen zu spüren bekommen hatte, als er im Februar von einer Gruppe von Turkopolen – der leichten Kavallerie im Sold der byzantinischen Armee – angegriffen worden war, während er gerade mit der Nachhut durch einen Fluss watete, zog es vor, als Fußsoldat verkleidet den Bospo-

Kupferstich nach Merry-Joseph Blondel, Bohemund I. von Antiochia, 1843, Schloss Versailles, Salles des Croisades.

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Kapitel drei 

Die Figuren auf diesem Kapitell aus Clermont (12. Jh.) stellen den Kampf zwischen Tugenden und Lastern (zwischen christlichem Glauben und heidnischem Götzendienst) nach der Psychomachia des Prudentius (5. Jh.) dar.

rus zu überqueren, ohne den Eid zu leisten. Bohemund hingegen, den wahrscheinlich die Absicht leitete, die seit über einem Jahrzehnt abgerissenen Beziehungen zu kitten – zwischen 1082 und 1084 waren der Fürst und der Kaiser wiederholt aneinandergeraten –, zeigte sich ausgesprochen gefügig. Welche Beweggründe trieben diese illustre Adelsgesellschaft an? Das Rückgrat der Expedition bildeten nicht nur kleine Ritter, die aufgrund der Unteilbarkeit des Lehens nach fränkischem Recht keinen Zugang zum angestammten Erbe hatten und daher gezwungen waren, ihr Glück zu suchen, indem sie ihr Schwert in den Dienst eines Fürsten stellten. Auch wenn solche Leute gewiss darunter waren – Tatsache ist auch, dass am iter hierosolymitanum die Crème de la Crème der europäischen Feudalgesellschaft teilnahm. Sie kamen aus ebenjenen Ländern, in denen die demographische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung am dynamischsten war:

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Flandern, Lothringen, Provence. Wie erklärt es sich, dass sie ihre jeweiligen Herrschaftsgebiete verließen? Es war wohl so, dass die Initiative des Papstes die Hauptprobleme der damaligen Feudalherrschaft schonungslos aufdeckte. Mit immer schwierigeren Beziehungen zu ihren Städten konfrontiert, unfähig, den sich vollziehenden Wandel zu verstehen, hatten jene mächtigen Barone jeweils ihre eigenen unmittelbaren und konkreten Gründe, andernorts neue Herausforderungen zu suchen. Auf Gottfried von Bouillon lastete die schwere Hypothek seiner politischen Vergangenheit, da er einer der glühendsten Unterstützer Heinrichs IV. gewesen war. Bei ihm handelte es sich also mehr oder weniger unverhüllt um eine peregrinatio poenitentialis, eine Wiedergutmachung für das an der Kirche Urbans verübte Unrecht. Robert, Herzog der Normandie, hingegen stand im Zwist mit seinem jüngeren Bruder Wilhelm, dem König von England, der dennoch bereit war, ihn mit 10 000 Mark zu unterstützen, im Austausch gegen die vorübergehende Abtretung seines Herzogtums. Raimund von Saint-Gilles dagegen wurde dermaßen bedrängt von Herzog Wilhelm IX. von Aquitanien, der im Namen seiner Ehefrau Philippa Ansprüche auf die von Raimund kontrollierten toulousanischen Gebiete geltend machte, dass er gelobte, nicht mehr in die Heimat zurückzukehren. Bohemund von Hauteville schließlich war von seinem Halbbruder Roger Borsa, Herzog von Apulien und Kalabrien, und seinem Onkel Roger I. von Sizilien marginalisiert worden und hegte keinerlei Hoffnung auf Wiedergutmachung. In ihrem Gefolge marschierten Männer, die ihnen durch Treuebündnisse oder auch Verwandtschaft verbunden waren und in ihrer Loyalität auf eine harte Probe gestellt wurden. Rein wirtschaftliche Beweggründe trieben nur eine überschaubare Zahl unter den Streitern an, für die eine solche Reise vielmehr ausgesprochen kostspielig war. Viele Kreuzfahrer ließen sich vom Sühnecharakter der Reise leiten, was nahelag angesichts ihrer Ausübung einer militärischen Profession, deren Sündhaftigkeit evident war. Andere hegten ritterliche Aspirationen und träumten davon, ihren Familien Ehre zu machen, indem sie eine verdienstvolle Tat verrichteten, wie sie die Verteidigung jener Stätten darstellte, an denen Christus gewirkt hatte. Dies sollte in der Folgezeit regelrechte Kreuzfahrerdynastien begründen, in denen der Beitrag der Vorfahren durch die eigene Teilnahme am Kreuzzug geehrt wurde. Insgesamt kann man wohl festhalten, dass zwar einige am Ende von der Eroberung der syrisch-palästinensischen Küste materiell profitierten, die meisten von ihnen jedoch mit nichts als hohen Schulden, ein paar Verletzungen und einer guten Geschichte heimkehrten.

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Kapitel drei 

Die Truppen der Barone bestanden nicht nur aus Kämpfern. Unter das Gefolge hatten sich Akolythen unterschiedlicher Art gemischt: Kaufleute, Handwerker, Geistliche, von denen viele sich erst im Verlauf der Reise dem Zug anschlossen. Wie viele Pilger es waren, ist schwer zu sagen. Zwischen 1099 und 1131 wurden nur 791 namentlich verzeichnet, und die Schätzungen sind unsicher und willkürlich. Die einzigen Quellen, die Zahlenangaben liefern, sind die Chroniken. Deren Zahlen sind jedoch generisch, in der Regel übertrieben und folgen symbolischen Mustern. Machten sich, wie heute angenommen wird, an die 100 000 Personen auf den Weg? Unwahrscheinlich. Einige zehntausend Menschen ist wohl eine zuverlässigere Schätzung. Das Problem liegt nicht zuletzt darin, dass die Quellen sich hauptsächlich mit den Anführern und den Kriegern beschäftigen und darauf verzichten, das Verhältnis zwischen Kämpfern zu Pferd und pedites anzugeben. Darüber hinaus wird jede Zahl durch den Umstand verfälscht, dass viele sich dem Unternehmen erst entlang des Weges anschlossen und viele andere es wieder verließen, die Gefallenen natürlich nicht mitgerechnet. Im Großen und Ganzen gab es jedenfalls nicht den einen Grund, sich das Kreuz an die rechte Schulter zu heften, was nicht selten mit dramatischer Geste geschah: Bohemund zum Beispiel zerriss dabei seinen kostbaren Mantel aus Seide. Möglicherweise kamen bei den einzelnen Pilgern oder Kämpfern verschiedene Beweggründe zusammen, die alle in irgendeiner Weise mit der Anziehungskraft zusammenhingen, die von der Praxis der Buße in der damaligen Gesellschaft ausging. Wir müssen diese erste Jerusalemexpedition folglich als eine Art bewaffnete Pilgerfahrt betrachten – eine Neuheit in der Religiosität dieser Zeit. Durch sie fand der Laienstand einen angemessenen Platz in der Heilsgeschichte, wenn auch unter der Ägide der Kirche – insbesondere des Papsttums, das seinen Primat gegenüber den übrigen Bischöfen der Christenheit erfolgreich durchsetzen konnte.

Die Odyssee der Kaufleute An der Expedition nahmen in unterschiedlicher Form auch die italienischen Städte teil, deren Rolle – ob Seestädte oder nicht – häufig vor dem Hintergrund wirtschaftlich-kommerzieller Faktoren gesehen wurde. Nicht zu Unrecht: Die Eroberung der syrisch-palästinensischen Küste fungierte tatsächlich als Katalysator für den Handel mit dem Osten, indem sie den Transfer von Menschen und Gü-

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tern zwischen den verschiedenen Mittelmeerküsten allgemein begünstigte. Zu den herausragenden und gut dokumentierten Akteuren zählen die Einwohner aus Bari und Florenz, außerdem Genuesen, Mailänder, Pisaner und Venezianer, nicht zu vergessen die Kreuzzugsbeteiligung kleinerer Zentren, wie sie durch zahlreiche Chroniken bezeugt ist. Ohne Frage war ihr Expansionsdrang zumeist von einem starken religiösen Eifer aufgeladen, in dem sich ein antisarazenischer Impetus mit der Gewissheit göttlicher Gunst vermischte. Doch blieben nicht vielleicht die Hauptziele des Kreuzzuges – die Befreiung des Heiligen Grabes und der Beistand für die Ostchristen – vergleichsweise hinter den Gewinnmöglichkeiten zurück, die sich durch die politische Kontrolle der syrisch-palästinensischen Küste eröffneten? Die Antwort muss Ja lauten, wenn wir ex post auf die Ereignisse schauen und sie im Licht der zahlreichen Handelsprivilegien betrachten, die die Städte vonseiten der fürstlichen Kreuzfahrer im Gegenzug für ihre Flottenhilfe erhielten. Aber bei einer aufmerksamen Betrachtung dieser Privilegien wie auch der Transitströme auf dem Mittelmeer wird deutlich, dass das Gebiet, das Genuesen, Pisaner und Venezianer lange Zeit am stärksten frequentierten, Ägypten war. Die Einrichtung von fon­ daci – Handelsniederlassungen – oder gar von regelrechten eigenen Quartieren in den wichtigsten Küstenstädten würde erst mit der Zeit erfolgen. Die italienische Beteiligung an der Kreuzfahrerbewegung ist vielmehr vor allem im Kontext der von Urban II. und seinem Nachfolger Paschalis II. vorangetriebenen Kirchenreform zu lesen. Beide Päpste waren bestrebt, wirtschaftlich bedeutende Städte an sich zu binden, und wussten um die Notwendigkeit logistischer und militärischer Unterstützung, wenn die Unternehmung gelingen sollte. Sehr wahrscheinlich bilden Frömmigkeit, Millenarismus, Hunger nach Land, soziale Spannungen in der oberen Mittelschicht und blanke Gier die Facetten der Entscheidung, das Kreuz zu nehmen, nur unzureichend ab; ein jeder hatte seine ganz persönlichen Gründe. Der Fall Genuas ist dafür recht exemplarisch. Caffaro di Caschifellone, der erste Chronist der Stadt, war Augenzeuge der Ereignisse, die er im Prolog seiner An­ nales wie auch in einem eigens verfassten kleineren Werk De liberatione civitatum Orientis festhält. Nach seinem Bericht fand in Genua die Predigt zu der von Papst Urban initiierten Unternehmung zwischen Sommer 1096 und den ersten Monaten des Jahres 1097 in der Klosterkirche San Siro statt. Die Bischofskirche unterstand nämlich dem kaisertreuen Bischof Ogerio, dem der Papst einen eigenen Kandidaten entgegensetzte: den Propst von Mortara Airaldo. Die Anstrengungen mündeten in mehrere erfolgreiche Expeditionen. Eine erste Flotte, bestehend aus

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Kapitel drei 

zwölf Galeeren und einem weiteren Schiff, legte im Juli 1097 mit rund tausend Personen an Bord ab, unter ihnen viele hochgestellte Genuesen (»multi de melioribus Ianuensium«), und landete vier Monate später in Antiochias Hafen Sankt Simeon, dem antiken Solino, das nahe der Mündung des Orontes lag. Die Operation war im Vorfeld mit Raimund von Saint-Gilles abgestimmt worden, der den Kreuzfahrertruppen Nachschublieferungen über das Meer zusicherte. Im darauffolgenden Jahr rüsteten die Pisaner eine gut 120 Schiffe starke Flotte aus, die unter dem Kommando von Bischof Dagobert, dem künftigen Patriarchen von Jerusalem, segelte. Gleichzeitig stachen die Genuesen mit nur zwei Galeeren in See, die unter dem Befehl von Guglielmo Embriaco und seinem Bruder Primo standen. Die Schiffe transportierten wahrscheinlich eine Pilgergruppe, die nach Jerusalem reisen wollte. De facto sollte sich ihr Beitrag, genau wie der der ligurischen Schiffszimmerleute, noch als entscheidend für die Eroberung der Heiligen Stadt herausstellen. Eine weitere Expedition wurde 1100 ausgerüstet und endete im folgenden Jahr mit der Einnahme von Arsuf und Cäsarea. Diesmal stand hinter dem Projekt der neue Papst Paschalis II., der auch die Bistümer im Nordwesten Italiens zu einer Beteiligung bewegen wollte. Der Bischof des Erzbistums Mailand, Anselmo IV. da Bovisio, dem das Bistum Genua als Suffraganbistum unterstellt war, setzte sich höchstpersönlich an die Spitze einer Expedition zu Land, die sich mit einigen Truppen aus dem nördlichen Europa zusammenschloss, aber in Anatolien zerschlagen wurde. Die genuesischen Expeditionen des folgenden Jahrzehnts hatten einen anderen Charakter. Die von den Kreuzfahrerfürsten gewährten Privilegien und die Zuteilung von Handelsniederlassungen und Quartieren in den wichtigsten Küstenstädten sorgten dafür, dass sich das Ziel der Reise änderte, standen doch nun kommerzielle Vorteile in Aussicht. Die Eroberung der syrisch-palästinensischen Küste brachte einige Probleme mit sich, und nicht zuletzt mussten die Niederlassungen vor Ort organisiert werden. Auch wirtschaftlich gesehen bot das Gebiet keinen interessanten Markt. Aus geopolitischer Perspektive handelte es sich hingegen um eine strategisch wichtige Region, die eine Kontrolle der Kommunikationskanäle im südöstlichen Mittelmeer möglich machte. Genuesen und Pisaner entwickelten diverse Strategien, um in den Genuss von Privilegien, Steuerbefreiungen, Handelsniederlassungen oder ganzen Quartieren in den wichtigsten Anlaufhäfen zu kommen. Dafür pflegten sie enge Beziehungen mit den Baronen in Outremer und involvierten diese in eine zwanglos praktizierte Politik, die ganz auf dem Besitz

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jener Flotte beruhte, die für das Überleben der im Heiligen Land neu entstehenden Herrschaftsgebilde entscheidend war. Die Chronisten beider Städte sprechen mit Stolz von den Erfolgen, auch in wirtschaftlicher Hinsicht, die ihre cives erzielen konnten, und führen diese Erfolge auf rein religiöse Beweggründe zurück. Tatsächlich ist es unmöglich, wirtschaftliche Ambitionen und religiösen Impetus klar voneinander abzugrenzen – zumal es zwischen beiden Polen reichlich Raum für Positionen irgendwo in der Mitte gab. Gut möglich, dass religiöse Erfordernisse und materielles Interesse als zwei Seiten derselben Medaille erachtet wurden. Und doch zögern manche Chronisten wie Albert von Aachen nicht, gerade die Italiener für ihre Geldgier zu erwähnen. Laut seiner Schilderung hielten Genuesen und Pisaner nach der Eroberung von Akkon 1104 die Kapitulationsvereinbarungen nicht ein, die mit der lokalen Obrigkeit getroffen worden waren. Getrieben von ihrer Gier sollen sie die Einwohner angegriffen und ein Blutbad angerichtet haben. Wir haben keinen Anlass, diese Behauptungen anzuzweifeln. Es waren typische Verhaltensweisen für eine Gesellschaft, die gewohnt war, ihre Streitigkeiten mit Gewalt zu lösen.

Auf nach Jerusalem Wie erklärt sich der Erfolg des ersten Jerusalemkreuzzuges? Eine wirklich gute Frage. Die Christen waren unzureichend bewaffnet, sowohl mit Blick auf die Bedingungen vor Ort, besonders das Klima, als auch im Hinblick auf das übliche Kampfverfahren der Türken. Das beruhte nämlich auf dem massiven Einsatz ihrer berittenen Bogenschützen, die zu blitzschnellen Kehrtwenden imstande waren. Weder kannten die Kreuzfahrer die Gegenden, durch die sie zogen, noch stellte sich der Einsatz von Führern als besonders glücklich heraus. Auch ihre Kenntnisse in der Kunst der Belagerung waren unzureichend, weshalb sich die Unterstützung der italienischen Seeleute, unter denen äußerst erfahrene Schiffszimmerer waren, als entscheidend erwies. Feindseligkeiten und Rivalitäten unter den Baronen brachten das Unternehmen häufig an den Rand des Scheiterns, vor allem als man durch den Tod des angesehenen päpstlichen Legaten Adhémar von Le Puy den entscheidenden Mediator verlor. Hilfreich war sicher der Überraschungseffekt: Die Türken waren von inneren Konflikten zerrissen und in eine Vielzahl von Machthabern aufgesplittert, weshalb sie eine Weile brauchten, um zu realisieren,

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was vor sich ging. Den Kreuzfahrern kam außerdem zugute, dass sie entlang des Weges auf christliche Gemeinschaften trafen  – monophysitische Armenier, Libanesen, Syrer –, die den Zug bereitwillig unterstützten, hauptsächlich, um den Schwarm der Hungrigen wieder loszuwerden. Es wäre zudem ein schwerer Fehler, den Glauben außer Acht zu lassen, die religiöse Euphorie, die messianische Erwartung der Menschen, die sie in einer Atmosphäre angespannter Sinnenschärfung leben ließ, die reich war an Wundererscheinungen. Von den Chronisten wird all dies so gewissenhaft wiedergeben, dass es sich unmöglich als reines Produkt epischer Erfindung abtun lässt. Glaube, Wille, Heroismus – diese Werte darf man nicht vergessen, will man die sozialen, politischen und ökonomischen Beweggründe begreifen, die so viele zum Aufbruch veranlassten. Die Barone aus dem Westen verfolgten ihrerseits kein genau definiertes Programm. Die Idee der Eroberung Jerusalems erschien vage und nebulös. So selbstverständlich sie uns vorkommt, die wir den Kreuzzug im Nachhinein betrachten – damals wurde sie in erster Linie von den pauperes geteilt, die für die Dimension der Pilgerfahrt besonders empfindsam waren. Mit welchen Mitteln man die Unternehmung durchführen sollte, war ebenfalls unklar. Kein Europäer von damals durchschaute die Komplexität der politischen, strategischen und logistischen Probleme, die eine Durchquerung Anatoliens mit sich bringen würde. Trotz ihrer Antipathie und ihres Misstrauens gegen die Griechen akzeptierten die meisten Lateiner daher die byzantinische Unterstützung. Die anatolische Kampagne lief mit beträchtlichem Tempo an. Am 6. Mai 1097 belagerten die Lateiner unterstützt von einem überschaubaren Kontingent griechischer Soldaten Nicäa, die Perle des seldschukischen Territoriums, während Kılıç Arslan an der östlichen Front gegen die Danischmendiden vorging, einen Zusammenschluss von Turkstämmen, der sich um das Sultanat der anatolischen Stadt Sivas formiert hatte. Am 19. Juni ergab Nicäa sich dem Basileus. Die lateinischen Streiter wurden großzügig belohnt, allerdings auch aufgefordert, unverzüglich ostwärts weiterzuziehen, angeführt von einer griechischen Patrouille, deren Kommando General Tatikios innehatte. Aus Gründen der Manövrierfähigkeit teilte sich das Heer der crucesignati in zwei große Trupps. Die Vorhut unter Bohemund marschierte auf Dorylaion zu, dessen Ruinen nahe der heutigen Stadt Eskişehir liegen. Es war ein strategisch bedeutender Straßenknotenpunkt, von dem man sowohl nach Kappadokien und ins Euphratgebiet als auch ans Mittelmeer gelangte. Am 1. Juli wurden die Lateiner in ihrem Lager am Rande der Stadt von Kılıç Arslans Truppen angegriffen. Die

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Belagerung von Antiochia, 1097–1098, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France. Man beachte den »nördlichen« Charakter der Stadt.

Jean-Joseph Dassy, Robert von der Normandie bei der Belagerung von Antiochia, 1097–1098, 1850, Schloss Versailles, Salles des Croisades.

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Kapitel drei 

zweite Gruppe unter Adhémar von Le Puy stieß hinzu und konnte die Situation retten. Man entschied, ab jetzt in einem einzigen Heeresverband weiterzuziehen, was Schwierigkeiten wieder anderer Art implizierte, angefangen beim chronischen Bedarf an Vorräten. Der Marsch war lang und qualvoll. Über eine Route, die südlich der großen Salzwüste um den See Tuz über Iconium führte, das man verlassen vorfand, erreichte der Heerhaufen Herakleia (Ereğli), wo es zu einer weiteren Schlacht kam. Trotz des Geschicks der leichten türkischen und turkomannischen Reiterei – insbesondere der ’askar, der Elitetruppe des Herrschers – stellte sich die schwere Kavallerie der Europäer als unschlagbar heraus, was gewiss auch ihrer strengen Disziplin zu danken war. Allen war klar, dass man von hier aus nach Antiochia ziehen musste, dem eigentlichen Tor nach Nordsyrien. Die Versorgungslage stellte sich allerdings immer komplizierter dar, nicht nur weil das Gebiet durch jahrelange Kleinkriege ohnehin verheert war. Dazu wendeten die Türken angesichts der Schwierigkeit, die lateinische Armee auf offenem Feld zu schlagen, auch noch die Taktik der verbrannten Erde an. Dem Rat ihrer byzantinischen Führer folgend, willigten die Kreuzzügler ein, Syrien über eine längere, doch vergleichsweise bequeme Strecke zu erreichen, die von Cesarea Mazacha über das Antitaurusgebirge nach Marasch führte; von dort ging es weiter über das Amanos-Massiv – die Gebirgskette des Nur Dağları – bis zur Pforte Syriens. Nur Bohemunds Vetter Tankred und Balduin von Boulogne entschieden sich für die kürzere Route, die durch das Kilikische Tor zu den von Christen bevölkerten Städten im kleinen armenischen Reich verlief, von denen sich die beiden Fürsten vielleicht Unterstützung erhofften. Die Führer hatten ihnen von diesem Weg abgeraten, weil er, verstärkt durch die Wetterlage im Herbst, für ein großes Herr unpassierbar sei. Doch den beiden kleinen Kontingenten gelang es, wenn auch unter großen Opfern, alle Schwierigkeiten zu meistern. Balduin stieß in Marasch wieder zum Hauptheer hinzu. Nachdem er seiner sterbenden Ehefrau die letzte Ehre erwiesen hatte, zog er ostwärts weiter in Richtung Euphrat und trennte sich erneut von der Expedition, um das nahe dem heutigen Şanlıurfa (Urfa) gelegene Edessa zu besetzen, das er dem betagten Thoros, dem armenischorthodoxen Herrscher der Stadt, mittels einer Hinterlist entriss. Tankred wiederum stieß vor Antiochia wieder zum Heer der Kreuzfahrer, nachdem er auf dem Weg Mamistra und Alexandretta erobert hatte. Antiochia war damals eine wahre Metropole und vollständig von massiven Mauern umgeben, was selbst das größte Heer vor ein Problem stellte, wollte es sie vollständig umzingeln. 1085 der Herr-

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schaft des Alexios Komnenos entrissen, unterstand die Stadt nominell dem Emir von Aleppo, faktisch hatte jedoch ihr Statthalter Yağısıyan nahezu unbeschränkte Macht inne. Dieser betrieb eine geschickte Pendelpolitik zwischen seinem rechtmäßigen Herrn und dessen Gegnern – Duqāq, Emir von Damaskus, und Kürboğa, Atabeg von Mossul. Die Belagerung begann am 21. Oktober und stellte sich als außerordentlich schwierig heraus. Es war Bohemund, der die Lösung fand, indem er mit einem gewissen Firuz – wohl ein Armenier von Rang –, der für die Verteidigung einiger Türme verantwortlich war, einen Ausfall inszenierte, der es den Normannen ermöglichte, nachts über die Stadtmauer zu gelangen. Am 3. Juni 1098 fiel die Stadt mit Ausnahme der Zitadelle in die Hände der Kreuzfahrer. Am darauffolgenden Tag erreichten Kürboğas Truppen Antiochia und umzingelten die Stadt. Gefangen zwischen zwei Fronten, fanden die christlichen Truppen die Kraft für einen Gegenschlag, auch dank der Auffindung einer Reliquie, die man trotz Zweifeln an ihrer Echtheit als ein Werkzeug der Passion Christi, die Heilige Lanze, identifizierte. Manch einer zog es vor zu fliehen, wie Graf Stephan von Chartres und Blois, dessen öffentliches Ansehen dadurch allerdings dermaßen sank, dass

Die Entdeckung der Heiligen Lanze, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Balduin I., Miniatur aus der Estoire d’Eracles, einer französischen Übersetzung der Historia rerum in partibus transmarinis gestarum des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.), um 1250, Paris, Bibliothèque nationale de France.

Belagerung von Jerusalem, 1099. Man beachte das Wappen des Königreichs Jerusalem auf der Schabracke des Pferdes: ein goldenes Kreuz, mit vier weiteren Kreuzen in den Quadranten.

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Belagerungen von Antiochia und Jerusalem, Miniaturen aus einem Manuskript von 1460 der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).

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Kapitel drei 

er sich einige Zeit später gezwungen sah, ins Heilige Land zurückzukehren, um die Schmach wiedergutzumachen. Der Flüchtige traf ein paar Tage später in der Nähe von Iconium auf Alexios, der sich gerade anschickte, eine Hilfsexpedition zu organisieren, und überzeugte ihn von der Vergeblichkeit dieses Unterfangens, da die in Antiochia verbarrikadierte christliche Streitmacht im Begriff sei zu fallen. Dies sollte jede Chance auf eine Aussöhnung zwischen Griechen und Lateinern zunichtemachen, weil Letztere die fehlende Hilfeleistung als Rechtfertigung dafür nahmen, die Rückgabe der Stadt nach der Niederlage der feindlichen Truppen am 28. Juni 1098 ebenfalls zu unterlassen. Die Niederlage war einem wilden, verzweifelten Ausfall der crucesignati zu verdanken, die sich in sieben Abteilungen vor der Stadt aufreihten. Der frontale Sturmangriff der schweren europäischen Kavallerie erwies sich als vernichtend. Der Sieg grenzte an ein Wunder und mehr als nur einer der Kämpfer behauptete hinterher, dass weiß gekleidete himmlische Ritter an seiner Seite gekämpft hätten. Die Heldentat sollte in der berühmten Chanson d’Antioche verewigt werden.

Die Einnahme der Heiligen Stadt, 15. Juli 1099 Der Weg nach Jerusalem schien geebnet. Feindseligkeiten und Eifersüchteleien unter den Fürsten, die sich nicht auf einen Regenten für Antiochia einigen konnten, drohten allerdings die Früchte der Eroberung zu gefährden. Mit ihrem geistlichen Oberhaupt Adhémar verlor die Expedition, die keinen wirklichen militärischen Anführer besaß, am 1. August auch noch die einzige mäßigende Stimme, die von allen geschätzt und respektiert worden war. Eine Seuche – Typhus vielleicht – wütete indessen unter den bereits reichlich dezimierten Truppen. Im September informierten die Anführer Papst Urban II. über die errungenen Erfolge und den Tod seines Legaten und rieten ihm zugleich dringend davon ab, sich selbst auf den Weg zu ihnen zu machen, um die heilige Unternehmung höchstpersönlich nach Syrien zu führen. Zwei Monate später setzte sich der Zug erneut in Bewegung. Nicht darunter war Bohemund mit seinen Truppen, dem es gelang, sich in Antiochia zu halten. Unmöglich hätte man die Stadt unbewacht zurücklassen können, da ihre Rückeroberung die christlichen Streitkräfte vor ein ernsthaftes Problem gestellt hätte. Der Zug kam nur langsam voran. Einen weiteren Monat verlor man damit, Ma‘arrat al-Nu’mān zu erobern. Traurige Be-

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Erster Kreuzzug: Die Kreuzfahrer werden während des zweiten Angriffs zurückgeschlagen, 1099, kolorierter Stich von Gustave Doré für die Histoire des croisades von Joseph-François Michaud, 1877. Man beachte die Belagerungstürme.

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Kapitel drei 

rühmtheit erlangte diese Militäroperation durch Akte des Kannibalismus, die durch die tafur verübt wurden, eine wüste Bande, die dem Verhungern nahe war. Sowohl Raimund als auch Bohemund nahmen an der Eroberung teil, obwohl die Divergenzen zwischen den beiden unübersehbar waren. Am 4. Januar 1099 fand auf Initiative des Grafen von Toulouse in Ruj ein Treffen statt, bei dem die Frage der Regentschaft über Antiochia geklärt werden sollte. Im Vorfeld der Begegnung hatte Raimund den anderen Fürsten Geld geboten, sollten sie sich in seinen Dienst stellen, doch nur Tankred und Robert, Herzog der Normandie, willigten ein. Die anderen Barone lehnten das Angebot ab und überließen dem Normannen die Kontrolle über die Stadt. Der Marsch wurde wieder aufgenommen, diesmal ohne nennenswerte Zwischenfälle. Beihilfe kam vonseiten der lokalen Emire, die sich nichts dringender wünschten, als alle diese Leute – circa 25 000 Menschen – so schnell wie möglich durch ihre kleinen Herrschaftsgebiete zu schleusen. Endlich, am 7. Juni, erblickte man aus der Ferne, von der Höhe eines Berges, den die Franken Monjoie und die Araber – nach dem Propheten Samuel – Nabi Samuil nannten, die Heilige Stadt Jerusalem. Im Jahr zuvor war die Stadt in die Hände der ägyptischen Fatimiden gefallen, die sich die von den Lateinern in der Region ausgelösten Wirren zunutze gemacht hatten, um sich gegen die Türken durchzusetzen. Laut dem Chronisten Raimund von Aguilers schlug das christliche Heer im Norden und Süden vor den Mauern der Stadt sein Lager auf und versuchte am 12. Juni einen ersten Angriff, der jedoch scheiterte. Dies lag unter anderem am Fehlen von Belagerungsmaschinen samt dem erschwerenden Umstand, dass in der umliegenden Gegend kaum Holz für ihren Bau zu finden war. Am 15. des Monats kamen alle Anführer zu einem Kriegsrat zusammen und beschlossen, so viel Belagerungsgerät zu bauen wie möglich und dafür alles Holz aufzutreiben, das die Region hergab. Zwei Tage später – die Kreuzfahrer litten in der Glut des Sommers immer größeren Durst, weil die fatimidischen Statthalter noch vor ihrer Ankunft die Brunnen hatten unbrauchbar machen lassen  – traf ein Bote aus Jaffa ein, der Kunde brachte vom Eintreffen von sechs (andere Versionen berichten von neun) Galeeren, die zur Unterstützung kommen würden. Mit aller Wahrscheinlichkeit gehörten zu diesem Geschwader zwei Galeeren unter dem Kommando des Genuesen Guglielmo Embriaco, an Bord eine Gruppe Pilger, die sich den Kreuzfahrern anschließen wollte. Die Neuankömmlinge erbaten Geleitschutz für die Wegstrecke, die zwischen ihnen und der Heiligen Stadt lag, außerdem eine Besatzung, die ihre Schiffe

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bewachen würde. Der Graf von Saint-Gilles reagierte als Erster auf ihr Gesuch. Er schickte ihnen einen Trupp von siebzig Reitern und fünfzig Fußsoldaten, möglicherweise in der Absicht, den anderen Fürsten zuvorzukommen, die ihr Lager im Norden aufgeschlagen hatten. Bei Sonnenuntergang wurde die Schar freudig in Empfang genommen. Doch am nächsten Morgen wandelte sich die Freude in Bestürzung: Eine imposante ägyptische Flotte tauchte am Horizont auf und näherte sich mit der Flut. Den christlichen Galeeren war somit jede Möglichkeit zur Flucht genommen, und nur einer einzigen gelang es, die Linie zu durchbrechen und Laodicea zu erreichen. Rasch brach man also das Lager ab und lud Lebensmittel und Handwerkszeug auf die Reittiere. Die übrigen Galeeren setzte man in

Eroberung von Jerusalem, Miniatur aus dem 14.–15. Jh. Man beachte die Kriegsmaschinen.

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Kapitel drei 

Brand. Am Abend schlug die Gruppe ihr Lager nahe Jerusalem auf, nachdem sie einen Umweg über den Jordan gewählt hatte, um dort die rituellen Waschungen vorzunehmen. Dies war, glaubt man den Chroniken, der Moment, in dem die Gruppe entschied, sich der Belagerung anzuschließen. Die genuesischen Schiffszimmerleute errichteten daraufhin einen fünfzehn Meter hohen Turm aus Holz auf dem Hügel Sion, in der Nähe des Lagers der Provenzalen. Einen weiteren großen Turm, der sich bewegen ließ, bauten die Lothringer. In der Nacht vom 9. auf den 10. Juli wurde Letzterer auseinandermontiert und vor dem Mauerabschnitt wieder aufgebaut, hinter dem sich die Kirche der heiligen Maria Magdalena erhob. Am 15. Juli entschloss man sich zu einem geballten Angriff. Nach erbitterten Kämpfen gelang es den Brüdern Ludolf und Engelbert von Tournai, die dem Kontingent Gottfried von Bouillons angehörten, als Erste die Mauern zu überwinden und, gefolgt von den Provenzalen unter dem Kommando des Grafen von Tou-

Francesco Hayez, Der Durst der ersten Kreuzfahrer vor den Mauern von Jerusalem, 1833–1849, Turin, Palazzo Reale.

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louse, in die Heilige Stadt einzudringen. Sie fiel innerhalb weniger Stunden. Juden und Muslime wurden niedergemetzelt. In den darauffolgenden drei Tagen starb durch das Schwert, wer nicht beweisen konnte, Christ zu sein. Raimund von Aguilers findet dafür harte Worte: Da hättest du schreckliche Dinge zu sehen bekommen. Einige wurden gnädig enthauptet, andere fielen von Pfeilen durchbohrt von den Mauern herab; zahllose andere mehr verbrannten in den Flammen. Auf den Straßen und Plätzen lagen Haufen von Köpfen, Hände und Füße, Männer und Pferde trampelten über die Leichen hinweg. Noch haben wir nur wenig berichtet: Kommen wir auf den Tempel Salomons zu sprechen, wo die Sarazenen gewöhnlich ihre religiösen Riten zelebrieren. Was war hier geschehen? Wenn wir schildern, wie es war, würde man uns nicht glauben. So soll genügen zu berichten, dass man in Salomons Tempel und in der Vorhalle bis zu den Knien und den Zäumen der Pferde im Blut ritt. Und es war göttliche Gerechtigkeit, dass der Ort das Blut jener empfangen sollte, der so lange Zeit ihre gotteslästerlichen Flüche ertragen musste. Gegen Mitte August gelang es den Eroberern, der von al-Afḍal, dem Großwesir des fatimidischen Sultanats in Kairo, befehligten Armee in der Ebene vor Askalon Einhalt zu gebieten. Das Ziel war erreicht. Urban II. wäre über diese Nachricht sicher hocherfreut gewesen, wenn er nur davon erfahren hätte. Er starb zwei Wochen nach der Einnahme Jerusalems, ohne den Ausgang der Expedition zu kennen, deren Folgen noch längst nicht absehbar waren.

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Kapitel vier

Das fränkische Königreich von Jerusalem und die Fürstentümer im Heiligen Land Gesta Dei per Francos Das Grab war befreit. Das Königreich Jerusalem stand kurz vor seiner Gründung. Doch nicht alles war zum Besten gelaufen und die erste Unternehmung der vereinten Christenheit stand im Zeichen von Uneinigkeit. Zwietracht herrschte unter den Fürsten, zwischen Fürsten und Kämpfern, Rittern und Pilgern, Fürsten und Basileus. In Ermangelung einer Führungspersönlichkeit von unangreifbarer Autorität oder, einfacher gesagt, von jemandem mit herausragenden politischen und militärischen Fähigkeiten taten die Fürsten nichts anderes, als das europäische Drama der feudalen Konflikte im Osten neu aufzuführen. Die Schlimmsten waren diejenigen, die nicht mehr mit einer Rückkehr nach Europa rechneten und bald erkannten, dass sie nichts zu verlieren hatten. Balduin, der mit Frau und Kindern aufgebrochen war, die allesamt die Strapazen der Reise nicht überlebt hatten, versuchte, sich ein unabhängiges Fürstentum im oberen Euphrat-Tal zu schaffen. Und Bohemund, dessen ursprünglicher Plan, sich den Kreuzfahrern als Stellvertreter des Basileus zu präsentieren, gescheitert war, wurde durch die Einnahme von Antiochia wieder zu seinem Hauptgegenspieler. Raimund von Saint-Gilles gab sich als neuer Moses aus  – womit er es Adhémar gleichtat, der sich in der Rolle des Aaron gesehen hatte – und schlug sich wiederholt auf die Seite der demütigen Pilger, von denen er im Tausch bedingungslose Unterstützung erwartete.

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Auf ihn und seine Entourage, vor allem auf seinen Chronisten und Kaplan Raimund von Aguilers, geht die Verbreitung des Kultes um die Heilige Lanze von Antiochia zurück. An deren Echtheit als Reliquie bestanden freilich außerhalb der provenzalischen Gefolgschaft begründete Zweifel. Adhémar selbst hatte deutlich zu verstehen gegeben, dass er der Geschichte keinen Glauben schenkte. Nach seinem Tod wussten die Provenzalen denn auch von Visionen zahlreicher Pilger zu berichten, denen der Bischof im Jenseits beim Abbüßen der Strafe für seine Ungläubigkeit erschienen war. Das Schauspiel von Fürsten, die sich um den Besitz jeder einzelnen Stadt oder die Aufteilung der Beute stritten, musste das Unrechtsbewusstsein der pauperes erschüttern. Die gärende Unzufriedenheit nutzte mal der eine, mal der andere für die eigenen Zwecke. Der Ausgang der Expedition war indes alles andere als sicher. Eine militärische Unternehmung unter widrigsten strategischen und logistischen Bedingungen, schwerwiegende Fehler wie der, eine Offensive gegen die anatolische Halbinsel im Hochsommer zu unternehmen, keinerlei Kenntnisse über den zu bekämpfenden Feind und keine Klarheit über die zu erreichenden Ziele: Alles schien auf eine Katastrophe hinauszulaufen. Tatsächlich verliefen mehrere darauffolgende Expeditionen, die auf der Welle der Begeisterung übereilt organisiert wurden, verhängnisvoll: der Heereszug, der im September 1100 von Mailand aufbrach und im Sommer 1101 zerschlagen wurde; die Unternehmungen des Wilhelm von Nevers, Wilhelm IX. von Aquitanien, Welf von Bayern und von Ida, Markgräfin von Österreich, die allesamt im selben Zeitraum und im selben Gebiet in Anatolien ihr vorzeitiges Ende fanden. Denn die Türken waren sich inzwischen der Gefahr, die von diesen Invasionen ausging, voll bewusst. In Syrien bot sich den Lateinern hingegen eine Situation, die einen Eroberungsfeldzug begünstigte. Die Kämpfe zwischen Sunniten und Schiiten wie auch zwischen den Emiren von Aleppo und Damaskus hatten dem Vormarsch der Christen den Weg geebnet. Nach dem Verlust von Antiochia war den Fatimiden nichts Besseres eingefallen, als die Lage des Emirs von Damaskus auszunutzen, um ihm Jerusalem zu entreißen, womit sie den Invasoren ihre Sache nur leichter machten. Erst sehr spät und vage erkannte man in Bagdad und Kairo die Gefahr. Ein Vorteil der Kreuzfahrer beruhte auf ihrer strategischen und taktischen Unberechenbarkeit. Militärisch gesehen war das ganze Unternehmen nicht mehr als eine Reihe überfallartiger Angriffe, die unter den Türken verständlicherweise für Verwirrung sorgten. Hinzu kommt der Unterschied in den Kampftechniken. So wie die Fran-

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Schlachtszenen während des ersten Kreuzzuges (Belagerung von Antiochia), Miniaturen aus dem 13. und 14. Jh.

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ken bei den türkischen Offensiven von den in Wellen vorstoßenden Angriffen der leichten Reiterei und der Bogenschützen überrascht wurden, hatten ihrerseits die Türken der massiven, in Keilformation vorstoßenden schweren Kavallerie nichts entgegenzusetzen. Erst vor den Mauern der befestigten Städte hielt die Flut inne. Die westliche Poliorketik, wie die Kunst der Belagerung und Eroberung von Städten bezeichnet wird, war zu jener Zeit ausgesprochen primitiv: Die Lateiner verstanden sich nicht darauf, den Mauerring einer Stadt so zu belagern, dass der Informationsaustausch nach außen, die Lieferung von Nahrungsmitteln und Ausfälle wirksam unterbunden wurden. Ihre Belagerungsmaschinen waren im Vergleich zu jenen der Sarazenen und Byzantiner, die das Erbe der hellenistisch-römischen Belagerungstradition übernommen hatten, wenig wirksam, außerdem fehlte es ihnen an fähigen Ingenieuren. Nicäa wäre nie eingenommen worden, hätten nicht byzantinische Schiffe den Teil der Stadt abgeschnitten, der dem im Westen angrenzenden Askania-See zugewandt ist, über den die Belagerten Nachschub erhielten. Antiochia war erst nach Monaten vergeblicher Versuche und nur durch den Verrat einer Turmwache eingenommen worden. Und in Jerusalem wären die Belagerungstürme, mit denen die Einnahme der Stadt möglich wurde, ohne die Hilfe der Christen vor Ort und jene der genuesischen Schiffszimmerleute nie errichtet worden. Der Erfolg der Unternehmung, die als »erster Kreuzzug« in die Geschichte eingehen sollte, lässt sich folglich durch eine ganze Reihe zusammenwirkender Faktoren erklären, die sowohl politischer als auch strategischer Natur waren. Die mittelalterlichen Chronisten dagegen sahen den ersten iter hierosoly­ mitanum schlicht als gesta Dei per Francos – die Taten Gottes durch die Franken.

Ein Reich errichten Wer sollte die Stadt regieren? Das galt es am Tag nach der Eroberung von Jerusalem zu entscheiden. Die Edelleute, die einen möglichen Angriff der Fatimiden fürchteten, entschieden sich für Gottfried von Bouillon, zumal Hugo von Vermandois und ebenso Stephan von Chartres und Blois das Heer noch während der Belagerung von Antiochia verlassen hatten. Bohemund war weit weg, Robert von Flandern und Robert von der Normandie trugen sich mit der Absicht, in die Heimat zurückzukehren, und Tankred fehlte es schlicht an Autori-

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Die christlichen Ritter Friedrichs II. ziehen unter den Augen von Jesus Christus in Jerusalem ein. Miniatur aus dem 14. Jh., aus der Descriptio terrae sanctae des Burchardus de Monte Sion, Padua, Biblioteca del Seminario Vescovile.

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Einnahme von Jerusalem, 1099, Miniatur aus einem Manuskript des 13. Jhs. der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.). Prominent dargestellt sind die Glasfenster der Kirche, die Episoden aus dem Leben Christi zeigen.

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Kapitel vier 

tät, um als glaubwürdiger Kandidat zu gelten. Der Einzige, der es mit Gottfried aufnehmen konnte, war Raimund von Saint-Gilles. Anscheinend lehnte dieser jedoch ab  – aus Demut vor Christus, dem einzigen rechtmäßigen Herrscher über die Heilige Stadt. Erst jetzt trat Gottfried vor und übernahm am 22. Juli 1099 unter dem Titel advocatus sancti sepulcri als Vogt und Verteidiger des Heiligen Grabes die Macht. Ein offizieller Titel war dies wohl nicht, und in jedem Fall trug er nicht den Königstitel. In streng juristischem Sinn war Vogt die Bezeichnung für einen Laien, dem die Wahrung eines kirchlichen Besitzes oblag, den er mit Waffen verteidigen würde. Der Gedanke, dass niemand »eine goldene Krone tragen kann, wo Christus mit Dornen gekrönt wurde«, war mit Sicherheit im kirchlichen Kontext entstanden, und allein schon der Titel advocatus zeugt davon, dass der lateinische Klerus das neue christliche Fürstentum als unter der Oberhoheit der Nachfolger Petri stehend betrachtete. Außerdem war es gängige Praxis, neu getätigte Eroberungen unter das Lehnsrecht der Kirche zu stellen, um sie dann als deren Vasall zurückzuerhalten, wodurch sich ein rechtsgültiger Herrschaftsanspruch schaffen ließ. So war Roger von Hauteville auf Sizilien verfahren, Wilhelm der Eroberer in England, die christlichen Könige Spaniens mit den Gebieten, die sie den Mauren abgerungen hatten. Während jedoch in England und Süditalien auf diese Weise solide zentralisierte Königreiche entstanden, weil der normannische Adel im Umfeld des jeweiligen Herrschers aus barones minores bestand, war in Jerusalem das Gegenteil der Fall: Die Anführer der Expedition, darunter viele Herren von einigem Rang, wollten möglichst frei sein von Verpflichtungen gegenüber einem Souverän. Die Wahl des Titels spricht somit für sich. Im Gegensatz zu den epischromanhaften Zügen der Legende, auf die auch Torquato Tasso sich beruft, war der »fromme Bouillon« niemals das absolute und unangefochtene Oberhaupt der Kreuzfahrer. Der iter hierosolymitanum hat nie ein Oberhaupt gekannt. Der einzige, der unter ihnen eine allgemein anerkannte Autorität genoss, war der vorzeitig verstorbene päpstliche Legat Adhémar gewesen. Und wenn einer Herrscherattitüden gezeigt hatte, war es nicht Gottfried, sondern Raimund von Saint-Gilles. Brüskiert durch die Ernennung des Lothringers, verbarrikadierte er sich im Davidsturm, der Zitadelle der Stadt, die bald zur Residenz der Könige von Jerusalem werden sollte, musste sich aber rasch eines Besseren besinnen. Da er alle Reichtümer und Hoffnungen in das Unternehmen gesetzt hatte, waren für den provenzalischen Fürsten die Brücken zu Europa abgebrochen. In ent-

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Federico de Madrazo y Kuntz, Gottfried von Bouillon wird zum König von Jerusalem ernannt, 1838, Schloss Versailles, Salles des Croisades.

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Kapitel vier 

scheidenden Momenten hatte er sich gar mit messianischer Geste als Verteidiger der pauperes stilisiert. Vielleicht war es gerade seine starke Persönlichkeit, sein unbeugsamer und gewalttätiger Charakter, der dazu führte, dass ein Mann von seinem Prestige abgelehnt wurde; wahrscheinlich fürchtete man auch seine engen Beziehungen zum Kaiser von Byzanz, mit dem er den Hass auf die Normannen teilte. Ihm vorgezogen wurde ein ausgebrannter, bereits schwer kranker Mann, den die Quellen – mit Ausnahme des Lothringers Albert von Aachen, der das verklärende Gottfriedbild entscheidend geprägt hat – als guten Soldaten, aber schwachen und unentschlossenen Fürsten beschreiben. Man stellte ihm am 1. August einen Prälaten normannischer Herkunft an die Seite, Arnulf von Chocques, Kaplan Roberts von der Normandie. In Erwartung der päpstlichen Bestätigung ernannte man den Kaplan zum lateinischen Patriarchen von Jerusalem. Die Bestätigung blieb jedoch aus, was das Feld freigab für Dagobert, den Erzbischof von Pisa und Vertrauten Urbans II., der gegen Ende des Jahres im Heiligen Land eintraf. Dieser bestätigte Gottfrieds Rechte in Jerusalem und die von Bohemund in Antiochia. Eine schwerwiegende, bedeutsame Geste: Die lateinische Kirche erklärte sich nicht nur zur Herrscherin über die Heilige Stadt, sondern beanspruchte auch Antiochia für sich. Das war ein heftiger Affront gegen den Basileus, der Bohemund als Usurpator und Rebellen betrachtete  – ein weiterer Schritt auf dem Weg zu Unverständnis und Schisma. Während Raimund nun versuchte, die Stadt Tripolis als Lehen zu erobern, organisierte Gottfried gemäß den Befugnissen, die ihm der Titel des advocatus verlieh, die militärische Verteidigung des Heiligen Grabes und überließ es faktisch dem Patriarchen, die Stadt zu regieren. Doch als Gottfried am 18. Juli 1100 starb, waren seine Anhänger unmöglich daran zu hindern, seinen Bruder Balduin als seinen Nachfolger zu fordern. Sicher war es notwendig, die Eroberungen in ein stabiles System einzubetten, das gewährleisten würde, die lateinische Präsenz im Heiligen Land aufrechtzuerhalten. Die »Franken« hatten ein großes Gebiet in Nordsyrien, südöstlich des Antitaurusgebirges und rings um das obere Euphratbecken sowie den schmalen syrisch-libanesischen Küstenstreifen erobert, obgleich viele Städte in sarazenischer Hand blieben und das Jordanbecken zu sichern suchten. Den Norden besetzten zwei unabhängige Herrschaften: die von Balduin von Boulogne gegründete Grafschaft Edessa und das Fürstentum Antiochia, das fest in der Hand von Bohemund war. Hier berief man umgehend einen lateinischen Patriarchen, Bernhard von Va-

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Das fränkische Königreich von Jerusalem und die Fürstentümer im Heiligen Land

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lence, der anstelle des griechischen Patriarchen Johannes Oxites ernannt wurde und damit den ersten Sitz Petri einnahm. Sowohl Balduin als auch Bohemund beeilten sich, ihre Besitztümer zu sichern, schließlich waren sie dafür nach Outremer gekommen. Weiter südlich bildete die Grafschaft von Tripolis, das Raimund von SaintGilles ab 1103 belagerte, aber erst sein Sohn Bertrand 1109 einnehmen konnte, die Brücke zu dem, was das Herz des christlichen Heiligen Landes werden sollte: das Königreich Jerusalem. Nicht überraschend also, dass Balduin ohne Zögern akzeptierte, als ihm das Amt seines Bruders angeboten Merry-Joseph Blondel, Balduin I. von Jerusalem, wurde. Die Grafschaft Edessa hinter1844, Schloss Versailles, Salles des Croisades. ließ er seinem Vetter Balduin von Bourcq und eilte mit einer kleineren Streitmacht, einem exercitulum, in die Heilige Stadt, wo es ihm gelang, den schwachen Widerstand des Patriarchen Dagobert zu brechen, der die Stadt gerne kirchlicher Rechtsprechung unterworfen gesehen hätte. In der Weihnachtsnacht des Jahres 1100 wurde Balduin, gleichsam wie ein neuer Karl der Große, unter »Akklamation des Klerus, der Fürsten und des Volkes« in der Geburtskirche zu Betlehem gesalbt. In dem Bewusstsein, dass er die Grundlagen für das Herrschaftsgebilde erst legen musste, das er regieren sollte, wollte der neue Herrscher zur Neubelebung der Wirtschaft die Eroberung der syrisch-palästinensischen Küste zu Ende bringen und die Sicherheit entlang der Pilger- und Karawanenstraßen wiederherstellen. Gefördert wurde das Vorhaben durch eine Reihe von Expeditionen, die hauptsächlich von Genuesen durchgeführt wurden. Der neue Papst Paschalis II. hatte sie schon vor Balduins Krönung in das Unternehmen einbezogen. Am 1. August 1100 legte eine Flotte von 26 Galeeren und vier (oder sechs) weiteren Schiffen aus Genua ab, angeführt unter anderem von

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Kapitel vier 

Guglielmo Embriaco. Mit an Bord war auch der päpstliche Legat Kardinalbischof Moritz von Porto. Die Neuankömmlinge, die im September in Laodicea an Land gingen, wurden zunächst einmal über den Tod Gottfrieds und die Gefangenschaft Bohemunds informiert, der einen Monat vorher auf der Straße nach Melitene in einen Hinterhalt der Danischmendiden geraten war. Mit Balduin vereinbarten die Genuesen, im folgenden Sommer eine Expedition entlang der Küste durchzuführen. Im März 1101 nahm die Flotte von Laodicea Kurs auf Jaffa. Bei Haifa wurden die Genuesen von einem Sturm überrascht und mussten ihre Galeeren an Land ziehen. In der Nacht gelang es einem Verbund aus vierzig ägyptischen Schiffen, die aus Askalon kamen und auf dem Weg zum Hafen von Akkon waren, ungestört an ihnen vorbeizuziehen, wobei ein ungeschickter Verfolgungsversuch von einem weiteren Unwetter vereitelt wurde. Man fasste nun den Entschluss, nach Jaffa weiterzusegeln, denn die heilige Osterwoche stand kurz bevor. In Sichtweite des Hafens nahmen zwei saettì, kleine, wendige Segler, die genuesischen Galeeren in Empfang. Auf einem von ihnen befand sich Balduin, der die Neuankömmlinge nach Jerusalem geleitete, wo sie gerade rechtzeitig eintrafen, um am Karsamstag am bekannten »Feuerwunder« in der Grabeskirche teilzunehmen. Von vielen Chronisten geschildert, ist das Ereignis  – in Wahrheit ein Ritus äthiopisch-koptischen Ursprungs, der im geheimnisvollen Entzünden des neuen, österlichen Feuers bestand – bezeichnend für das Klima religiöser Gärung zur Zeit der Eroberung Jerusalems. Nach den Osterfeierlichkeiten und nach Absolvierung der Bußriten im Jordan kehrten die genuesischen Seeleute nach Jaffa zurück. Balduin versprachen sie, ihm bei der Belagerung von Arsuf zu helfen, die Anfang Mai innerhalb von nur drei Tagen mit Erfolg gekrönt wurde. Wenig später zog man gegen Cäsarea, mit dessen Fall am 17. desselben Monats die gesamte syrisch-palästinensische Küste von Haifa bis Jaffa unter der Kontrolle des neu entstandenen lateinischen Königreichs Jerusalem stand. Dies erwies sich als entscheidender Faktor, um die »fränkische« Vorherrschaft in der Region zu festigen, die Versorgung sicherzustellen und die eroberten Gebiete besser verteidigen zu können. Im Februar 1102 brach eine weitere genuesische Flotte, bestehend aus acht Galeeren, acht Golabi – kleineren Kriegs- und Transportschiffen – und einem großen Segler, mit Rittern und Pilgern an Bord ins Heilige Land auf. Gemäß dem Ansinnen von Raimund von Saint-Gilles wurde die Stadt Tortosa kurz darauf erobert.

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Eine weitere, noch beeindruckendere Expedition – bestehend aus vierzig oder sechzig Galeeren – lief gegen Ende 1103 Laodicea an und blieb den Winter über dort. Im darauffolgenden Frühling segelten die Genuesen entlang der Küste nach Süden. Das geschah möglicherweise in der Absicht, in Jaffa anzulegen und nach Jerusalem zu reisen, um dort an den Riten der Karwoche teilzunehmen. Nahe Tripolis verständigten sie sich mit Raimund von Saint-Gilles darauf, die zwischen Tripolis und Beirut gelegene Küstenstadt Jebail (Gibelet) anzugreifen, die zwischen März und April fiel. Die Flotte segelte in südlicher Richtung weiter und traf am 5. oder 6. Mai in Akkon ein. Die Belagerung der Stadt begann: Sie wurde von Landund Meerseite her eingeschlossen, sodass keine Hilfe von außen mehr durchdringen konnte. Die Kapitulation erfolgte nach etwa zwanzig Tagen, anscheinend ohne Blut zu vergießen. Darauf verzichtete man auf direktes Geheiß von Balduin, der mit einer leeren Stadt in Trümmern nichts habe anfangen können. Der Chronist Albert von Aachen berichtet jedoch, dass Genuesen und Pisaner, als sie sahen, wie die Bewohner der Stadt mit ihrer kostbaren Habe die Flucht ergriffen, von ihrer Gier verblendet ein Blutbad unter den Unglückseligen anrichteten. Was auch immer tatsächlich geschah: Balduin selbst war es, der den kriegerischen Heldenmut der Genuesen in feierlichen Tönen pries und ihnen äußerst umfangreiche Privilegien zugestand. Der Text dieser Urkunde wurde offenbar an keinem geringeren Ort als im Inneren der Rotunde des Heiligen Grabes in Stein gemeißelt, wo er zusammen mit der Inschrift praepotens Genuensium praesidium dem von den Genuesen geleisteten Beistand ein Denkmal setzte. Damit war der lange Kreuzzug der Genuesen jedoch längst nicht beendet. Eine neue große Expedition sollte 1109 zur erfolgreichen Eroberung von Tripolis beitragen. Wenig später kämpften die ligurischen Seeleute an der Seite von Tankred um die Einnahme von Gabala, das eine wichtige Verbindung zwischen dem Fürstentum Antiochia und der Herrschaft von Tripolis darstellte. Im Februar 1110 wiederum begann die Belagerung des byzantinischen Mamistra, nördlich von Alexandretta, das innerhalb weniger Monate fiel. Kurz zuvor, 1107/08, war der von Bohemund, der in der Zwischenzeit nach Europa zurückgekehrt war, lancierte Feldzug gegen Epirus vor den Mauern von Durrës kläglich gescheitert. Zur gleichen Zeit fielen Beirut und Sidon in die Hände der Lothringer, die dabei Unterstützung von einer norwegischen Flotte erhielten, die unter dem Kommando von König Sigurd Magnusson stand. Der König, hinfort mit Beinamen »Jórsalafari«, Jerusalemfahrer, genannt, wurde in unzähligen Sagen verewigt.

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Kapitel vier 

Wie steht es aber um die Legitimität solcher Eroberungen? Bevor wir fortfahren, bedarf es einer kurzen »institutionellen« Vorbemerkung. Das »fränkische Königreich Jerusalem« ist die erste Feudalmonarchie des Mittelalters, die keine übergeordneten Rechte anerkannte, von denen sie ihre eigene Legitimität im Namen einer universalistischen Autorität ableitete. Bis dahin wurden die Könige im Westen auf die eine oder andere Weise durch den Kaiser oder den Papst legitimiert. Für eine Versammlung von Adligen war es grundsätzlich undenkbar, einen König zu wählen (und ein Königreich zu gründen) ohne eine solche Legitimation. Doch hatten die fürstlichen Kreuzfahrer (der Markgraf der Provence, der Herzog der Normandie, der Graf von Flandern) nun einmal trotz ihres hohen Einflusses keine universalistische Autorität zur Hand, die ihre Entscheidungen legitimiert hätte. Bereits auf dem Weg ins Heilige Land hatten sie sich an Urban II. gewandt, doch der Papst verspürte nicht die geringste Lust, in einen Konflikt mit dem byzantinischen Basileus verwickelt zu werden. Schließlich war er gerade damit beschäftigt, das Schisma zu heilen, zu dem es 1054 zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche gekommen war. Sie konnten sich natürlich an den Herrscher in Konstantinopel wenden: Sein Rechtsanspruch auf die nahöstlichen Gebiete, die dem Kaiserreich im 7. Jahrhundert durch den aufkommenden Islam entrissen worden waren, hätte ihn zweifellos dazu prädestiniert und er hätte sich auch bereit erklärt, den Neuankömmlingen mit seiner Autorität den Rücken zu stärken – allerdings um den Preis ihrer Unterwerfung, gerade die zu akzeptieren sie nicht bereit waren. An den römisch-deutschen Kaiser Heinrich IV., der inzwischen der Partei der Kirchenreformer und ihrer Anhänger unterlegen war, war nicht zu denken. Aus diesen Gründen wurde die neue Krone von Jerusalem ohne Zustimmung einer universalistischen Macht geboren. Jerusalem war das erste Königreich superiorem non recognoscens und eilte damit dem Königreich Frankreich, das sich erst mit Philipp IV. als solches proklamieren würde, zwei Jahrhunderte voraus. Da haben wir unser Paradox: Das erste »weltliche« und »moderne« Königreich des Westens entstand gewaltsam durch eine für heilig erachtete Unternehmung wie den ersten Kreuzzug.

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Die Rolle der Seestädte Zwischen den Regierungszeiten von Balduin I. (1100–1118) und Balduin IV. (1174–1185) nahmen die »franko-syrischen« Fürstentümer  – die Grafschaft Edessa, die allerdings 1146 fiel, das Fürstentum Antiochia, das 1108 von Bohemund an Tankred abgetreten wurde, und die Grafschaft Tripolis, die sich in den Händen der Provenzalen befand  – die Form großer Signorien an, die formal der Krone von Jerusalem unterstanden. In Antiochia war allerdings der Einfluss des Kaisers von Konstantinopel merklich spürbar, der die Stadt nie aufgegeben hatte und ihre Aneignung durch Bohemund als Usurpation betrachtete. Natürlich hatte jeder Fürst seine eigenen Vasallen, und die des Königs  – insbesondere die Feudalherren in Transjordanien – waren besonders kampflustig und schwer zu kontrollieren. Auf dynastischer Ebene kam es innerhalb dieser Herrschaftsgebilde zu häufigen Wechseln – so etwa im Fürstentum Antiochia, das seit 1136 in den Händen von Raimund von Poitiers lag, nachdem die männliche Linie der Hautevilles erloschen war. Balduin I. heiratete dreimal, konnte sich aber keine Nachkommenschaft sichern. Nach seinem Tod am 2. April 1118 wurde sein Vetter Balduin von Bourcq zu seinem Nachfolger bestimmt, den man eigens aus Edessa herbeirief. Er konnte jedoch erst nach dem Tod seines Widersachers, des betagten Patriarchen Arnulf von Chocques, 1119 gekrönt werden, weil es diesem gelungen war, das ihm von Dagobert von Pisa entrissene Amt zurückzuerobern. Es herrschte auch kein Mangel an sozialen Problemen. Von denen, die das Kreuz genommen hatten, waren nur wenige nach der Eroberung Jerusalems im Heiligen Land geblieben. Die meisten von ihnen kehrten nach Europa zurück, nachdem sie ihr Gelübde am Grabfelsen eingelöst hatten. Die »fränkische« Minderheit sah sich mit einem feindlichen Land konfrontiert. Darüber hinaus hatten die wahllosen Massaker, die an den Einwohnern in den frühen Phasen der Eroberungen verübt worden waren, das wirtschaftliche Leben in den reichen Küstenstädten wie Akkon, Tyros, Tripolis, Beirut und Sidon beeinträchtigt, deren Wohlstand gerade auf der Arbeit tüchtiger Händler und Handwerker beruhte. Wohl gab es noch die einheimischen Christen: Libanesen, Syrer, im Norden auch Griechen und Armenier. Aber sie wurden von den neuen Herren oft mit Misstrauen betrachtet, da sie ihnen als Ketzer galten und den Sarazenen allzu ähnlich erschienen. Außerdem büßten auch die eigenen Aktivitäten der Kreuzfahrer an Wirtschaftlichkeit ein, wenn

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Kapitel vier 

Édouard Alexandre Odier, Balduin II., König von Jerusalem, um 1843, Schloss Versailles, Salles des Croisades.

sie von den ­großen Märkten in der Region wie Aleppo, Damaskus und Mossul abgeschnitten waren. Besser sah es auf dem Land aus, wo die Bauern, zumeist Muslime, nicht unter den Massakern zu leiden gehabt hatten, die innerhalb der Mauern der eroberten Städte stattgefunden hatten, und wo die neuen »fränkischen« domini sich beeilten, die Produktionsprozesse zumindest auf niedrigem Niveau wieder in Gang zu bringen.

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Einen wesentlichen Beitrag zum wirtschaftlichen Aufschwung leisteten die italienischen Seestädte. Nachdem sie sich von den politischen Strukturen der nachkarolingischen Zeit befreit hatten, nutzten sie jede Gelegenheit, um ihre Selbstverwaltung auszubauen und das Netz ihrer wirtschaftlichen Interessen zu erweitern. Die Stadteliten bemühten sich um Privilegien, Steuerbefreiungen, Handelsniederlassungen oder ganze Quartiere in den wichtigsten Küstenhäfen und sorgten so für eine engmaschige Präsenz in diesen Gebieten. Die innere Ordnung der neuen Staatengebilde in der Levante sollte das tiefgreifend beeinflussen. Außerdem erkannten die Barone in Outremer schnell, dass sie, um den Kontakt zu Europa nicht zu verlieren und den Handel in der Region wiederzubeleben, die Schiffe der Lateiner in den Osten rufen mussten. Zunutze machten sich dies vor allem Genuesen und Pisaner. Venedig dagegen blieb lange Zeit misstrauisch gegenüber der neuen Situation, die ihr eigenes Monopol auf den Osthandel bedrohte und bei ihrem wichtigen Verbündeten, dem Hof von Byzanz, zunehmend auf Ablehnung stieß. 1082 hatte Alexios Komnenos ihnen einen kaiserlichen Chrysobullos (bulla aurea, eine Urkunde mit goldenem Siegel) gewährt als Belohnung für die Byzanz gewährte Unterstützung während der Offensive von Robert Guiscard in Epirus. Damit besaßen die Venezianer die Erlaubnis, im gesamten Kaiserreich zollfrei Handel zu treiben und in der Hauptstadt und anderen Städten florierende Kolonien mit eigenen Handelsniederlassungen zu unterhalten. Darüber hinaus liefen die venezianischen Kaufleute häufig auch Städte wie Antiochia, Laodicea und Alexandria an, weshalb ihre Befürchtung groß gewesen sein muss, dass das Kreuzfahrtsunternehmen eine Belastung für die bewährten Verkehrswege bedeuten könnte. Da die Eroberung aber nun einmal unumkehrbar war, lohnte es sich, daran teilzunehmen. Ohne aus den Augen zu verlieren, dass Byzanz das Zentrum ihrer Handelsaktivitäten war und blieb, und ohne die Beziehungen zu den ägyptischen Märkten zu vernachlässigen, kamen auch die Venezianer ins Heilige Land, und zwar mit der Absicht zu bleiben. Nach einem Appell von König Balduin II., dem sich Papst Calixt II. anschloss, stach Venedig 1122 mit 120 Schiffen und einer Gesamtbesatzung von etwa 15 000 Mann unter dem Kommando des Dogen Domenico Michiel höchstselbst in See. Im folgenden Jahr besiegte die Flotte einen Schiffsverband der Fatimiden und nahm anschließend an der Belagerung von Tyros teil, einem der wichtigsten Häfen an der syrisch-palästinensischen Küste. Noch vor der Eroberung der Stadt, die am 7. Juli 1124 fiel, schlossen die Venezianer

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Kapitel vier 

einen Pakt mit Garmond, dem Patriarchen von Jerusalem, den sogenannten pactum Warmundi, der ihnen weitreichende Privilegien einräumte. Im Vorgehen der italienischen Seefahrer gilt es zwei Aspekte zu unterscheiden. Erstens war das Angreifen und Erobern muslimischer Städte in ihren Augen ein gutes Geschäft, bot Gelegenheit zu rücksichtslosem Plündern und Morden und ließ sie mit Beute und gar Reliquien zurückkehren. Zweitens konnte man den fränkischen Feudalherren Handelsprivilegien abringen, die späterhin geltend gemacht werden konnten, als man die Lage mit größerer Klarsicht für die eigenen Zwecke zu nutzen begann. Erst dann wurden echte Handelskolonien gegründet, kleine Siedlungen innerhalb der wirtschaftlich bedeutendsten Städte, die speziellen Regeln unterlagen. Im Allgemeinen sahen die ihnen eingeräumten Zugeständnisse die Nutzung eines Quartiers oder zumindest einer Straße und eines Platzes samt aller notwendigen Strukturen für ein unabhängiges Gemeinschaftsleben vor: Kirche, Brunnen, Bäcker, Geschäfte, Handelshäuser, Säulengänge und Wohnhäuser. In den wichtigsten Städten entlang der Küste entstanden so jeweils ein kleines Genua, ein kleines Pisa und ein kleines Venedig, verwaltet von eigenen Magistraten (consoli oder baiuli), die aus dem Mutterland entsandt oder von den Kolonisten selbst ausgewählt wurden. Aus den ursprünglichen Herbergen für durchreisende Händler waren rasch organisierte Viertel geworden, die groß genug waren, eine vielköpfige Einwohnerschaft aufzunehmen. Die Wohnhäuser, Geschäfte und Lager reihten sich entlang einer Hauptstraße, die ruga genannt wurde und bisweilen von einem Portikus gesäumt war. Von ihr zweigten einige kleinere Gassen ab, die zu den Handelsniederlassungen am Hafen führten, die als Zollhäuser, Lager oder auch zur vorübergehenden Unterbringung dienten. In den größeren Ansiedlungen, die in der Regel von befestigten Mauern und Toren umgeben waren, mündete die ruga in einen Platz, an dem die öffentlichen Gebäude standen: der Kommunalpalast als Sitz für Zivil- und Justizverwaltung, die einem Schutzpatron geweihte Kirche, seltener eine Münze. In den nahen Gassen pulsierte das geschäftige Treiben des bürgerlichen Lebens: Handwerker, Bankiers, Kleriker, Bauern, Gemüsehändler, Metzger, Seemänner, Kaufleute, Notare, Schankwirte, Weberinnen, Mägde … Die italienische Präsenz war zweifellos eine raumgreifende, weshalb sich die lokalen Behörden immer wieder zu Maßnahmen gezwungen sahen, die ihre wachsende Autonomie eindämmten. Dennoch war der Beitrag dieser Enklaven lateinischer Kaufleute zur Entwicklung der christlichen Gebiete in Übersee, zur Erneuerung der Beziehungen zum asiatischen Hinterland

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und für den wirtschaftlichen Aufschwung des Westens enorm. Enorm waren auch die Unannehmlichkeiten, bedenkt man die Kämpfe zwischen den einzelnen Gemeinschaften im Verlauf des 13. Jahrhunderts. Die ständige Anwesenheit großer Gruppen von Kaufleuten erwies sich angesichts ihrer Neigung, separate Vereinbarungen mit den muslimischen Machthabern zu treffen, in Kriegszeiten als tückisch. Nicht vergessen darf man außerdem, dass es christliche Kaufleute waren, die trotz wiederholter päpstlicher Verbote die Sarazenen mit kriegswichtigen Gütern wie Holz, Pech, Eisen und Waffen versorgten.

»Denn wir, die wir Abendländer waren, sind nun Orientalen geworden« Die neu entstandenen Staatsgebilde in Outremer sahen sich in der gesamten Zeit ihres Bestehens mit dem Problem ihrer Verteidigung konfrontiert. Wer sich das Gebiet des neuen Königreichs und seiner Vasallenfürstentümer auf einer Landkarte als einen Streifen vorstellt, der sich vom Gebiet südlich des Golfs von Alexandretta bis zum Toten Meer erstreckt, begeht einen schwerwiegenden Fehler. Denn man hat sich die Sache nicht wie einen Streifen, sondern eher wie eine Art Spinnennetz vorzustellen. Die eroberten Städte waren nichts weiter als lateinisch-christliche Inseln in einer Umgebung, die im Süden zutiefst islamisiert und im armenischen Norden gräzisiert war. Das weite Land zwischen diesen Städten war die Domäne sarazenischer Räuberbanden und die Straße, die vom Hafen von Jaffa in die Heilige Stadt führte, war für Reisende äußerst gefährlich. Kaum hatte man die Stadtmauern der eroberten Städte hinter sich gelassen, fiel man der Anarchie anheim, war man im Niemandsland. Wie also ließ sich das eroberte Territorium verteidigen? Die Zahl der im Heiligen Land zurückgebliebenen fränkischen Ritter war gering und der einheimischen Bevölkerung konnte man nicht trauen. Den frisch eingetroffenen Kreuzfahrern erschienen die franko-syrischen Herren, die sich auf orientalische Art kleideten und gaben, die die arabische Sprache beherrschten, die sich ihrer Freundschaften mit Emiren und sarazenischen Kaufleuten rühmten und sich oft mit einheimischen Familien verschwägerten, bei wiederholten Gelegenheiten als eine korrupte Spezies, wenn nicht gar als Verräter am Christentum. Fulcher von Chartres hat diesen Eindruck in einer berühmten Stelle zum Ausdruck gebracht:

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Ritter des Johanniterordens, später bekannt als Malteserritter; gegenüber: Tempelritter; folgende Seite: Ritter des Deutschen Ordens und des Schwertbrüderordens.

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Denn wir, die wir Abendländer waren, sind nun Orientalen geworden. Einer, der Römer oder ein Franke war, wurde in diesem Land zu einem Galiläer oder Palästinenser. Einer, der aus Reims oder Chartres stammte, ist nun ein Bürger von Tyros oder Antiochia geworden. Wir haben unseren Geburtsort bereits vergessen; schon kennen ihn viele von uns nicht mehr oder er wird nicht mehr erwähnt. Einige besitzen bereits ein Heim oder einen Hausstand aufgrund einer Erbschaft. Einige haben Frauen nicht nur aus ihrem eigenen Volk genommen, sondern Syrerinnen oder Armenierinnen oder gar Sarazeninnen, welche das Sakrament der Taufe empfangen haben. Bei dem einen lebt nicht nur sein Schwiegervater, sondern auch die Schwiegertochter oder sein eigen Fleisch und Blut, wenn nicht gar sein Stiefsohn oder Stiefvater. Hieraus leiten sich Enkel und Urenkel ab. Die einen kultivieren Weinberge, andere bestellen Felder. Die Leute gebrauchen die Wortwahl und Ausdrucksweise verschiedener Sprachen, wenn sie sich über dies und jenes unterhalten. Worte unterschiedlicher Sprachen sind Gemeingut geworden, das jeder Volkszugehörigkeit geläufig ist, und gegenseitiges Vertrauen vereint jene, denen ihre Herkunft nicht bekannt ist. Es steht in der Tat geschrieben: »Der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind« (Jes 65,25). Wer als ein Fremder geboren wurde, gleicht nun einem hier Geborenen; wer als Ausländer auf die Welt kam, ist zu einem Einheimischen geworden. Unsere Verwandten und Eltern opfern gemeinsam mit uns von Zeit zu Zeit, wenn auch zögernd, alles auf, was sie einst besaßen. Jene, die im Abendland arm waren, macht Gott in diesem Lande reich. Jene, die dort wenig Geld hatten, nennen hier unzählige Bézants [byzantinische Goldmünzen] ihr eigen, und jene, die kein stattliches Eigenheim hatten, besitzen hier durch das Geschenk Gottes eine ganze Stadt. Warum also sollte einer ins Abendland zurückkehren, der einen Orient wie diesen vorgefunden hat? Es scheint, dass Balduin von Beginn an offen im Umgang mit den Einheimischen war. Er gestand den Muslimen freie Ausübung ihrer Religion zu, heiratete eine armenisch-christliche Prinzessin und ermutigte seine Vasallen, dasselbe zu tun. Eine Politik der Toleranz, nicht frei von gewaltsamen Auseinandersetzungen, die aber doch viele Muslime veranlasste, sich wieder in jenen Städten niederzulassen,

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die als Anlaufstationen der Karawanenrouten dienten, die über Syrien und Mesopotamien Waren aus dem Orient ans Mittelmeer brachten. Kurz, man fand ein Gleichgewicht, eine Form der Koexistenz, vergleichbar mit anachronistischen Formen der Apartheid. Zwischen den vielen ethnischen Gruppen im Heiligen Land entwickelte sich eine Beziehung der gegenseitigen Akkulturation. Je mehr sich jedoch die Beziehungen zwischen Franken und Muslimen auf politischer Ebene stabilisierten, desto notwendiger wurde es, über wirksame militärische Kräfte und eine gute Kenntnis der Umgebung, in der sie operieren sollten, zu verfügen. Die italienischen Siedler waren zwar durchaus an den Gebrauch von Waffen gewöhnt, aber sie führten ein von der Feudalmacht unabhängiges Leben, stets darum bemüht, ihre Handelsfreiheit zu wahren. Vor allem zu Ostern, wenn die Schifffahrts- und Handelssaison im Frühjahr begann, kamen Pilgergruppen ins Heilige Land, von denen ein Teil an den Militärexpeditionen der jeweiligen Saison teilnahm, doch beinahe umgehend mit der Palme von Jericho als Erinnerung des eingelösten Gelübdes wieder abreiste. Die muslimische Welt hatte sich ihrerseits von der ersten Überraschung erholt und, die atavistischen inneren Konflikte hinter sich lassend, begonnen, sich neu zu organisieren. Als Reaktion darauf geschah etwas, das als neue Erfahrung innerhalb der mittelalterlichen Religiosität bezeichnet wurde: die Gründung von Ritterorden, die sich eine monastische Regel gaben. Die wichtigsten von ihnen waren die Templer und die Johanniter – später folgten die Deutschordensritter und viele andere  –, die mit ihrer ursprünglichen Berufung im medizinisch-karitativen Bereich eine militärisch-defensive verbanden. Die Tempelritter waren milites, die sich zur Verteidigung der Pilgerwege verpflichteten, die Ritter vom Johanniterorden fratres, die sich vor allem der Pflege der Kranken widmeten.

Die Ritterorden Die Gründung der nach ihrem ersten Sitz, dem Hospital San Giovanni Elemosiniere (Johannes der Almosengeber) in Amalfi, benannten Johanniter (auch: Hospitaliter) stellte noch keine wirkliche Neuheit dar. Die Ordensmitglieder verpflichteten sich durch ein Gelübde dazu, den Pilgern Beistand und Führung zu gewähren. Sie waren dem Papst zu Gehorsam verpflichtet. Dem Orden gehörte außerdem eine Gruppe von Rittern an, die sich durch ein Gelübde zu Keusch-

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heit, Gehorsam und persönlicher Armut verpflichteten. Ihre Aufgabe war es, die Pilgerwege auch unter Einsatz von Waffengewalt zu sichern. Der Wandel hin zu einer – neben der traditionellen karitativen Mission – stärker militärischen Berufung vollzog sich zu Beginn des dritten Jahrzehnts des neuen Jahrhunderts unter dem zweiten Meister des Ordens, Raimund von Puy. Zur gleichen Zeit wurde auch der frühere Schutzpatron Johannes der Almosengeber durch den heiligen Johannes den Täufer ersetzt. Ihre kriegerischen Aufgaben unterschieden die Johanniter von anderen Hospitalorden wie dem Orden des heiligen Lazarus, der unmittelbar nach der Eroberung Jerusalems im Heiligen Land gegründet worden war und mit seinem Auftrag der Aufnahme und Pflege von Aussätzigen rein karitativ tätig war. Im Gegensatz zu den Johannitern wurden die Templer, salopp gesprochen, bereits mit der Waffe in der Hand geboren. Um 1120 erhielt Hugo von Payns, ein Ritter aus der Champagne, über den wenig bekannt ist, von König Balduin einen Flügel in der vormaligen Al-Aqṣā-Moschee, von der man glaubte, dass sie auf den Fundamenten des salomonischen Tempels (sprich Palastes) erbaut worden sei. Der Trakt sollte zur Unterbringung der Angehörigen einer Bruderschaft mit starkem Bußcharakter dienen, deren Aufgabe es war, den Weg von der Küste nach Jerusalem frei von Gefahren zu halten. Dies war die Keimzelle des künftigen Ordens, der aufgrund seines ursprünglichen Sitzes den Namen »Templer« erhielt: die pauperes commilitones Christi templique Salomonici. Die Gründung von Orden, die den Krieg zu einer ihrer Pflichten erhoben, ist eines der am meisten verstörenden, aber auch bezeichnenden Phänomene in der Geschichte der mittelalterlichen Kirche, weil es zeigt, wie gut sie es verstand, sich in die damalige Kriegergesellschaft einzufügen. Sowohl Balduin II. als auch sein Nachfolger Fulko V., Herr von Anjou und Maine – und Ehemann von Melisende, der ältesten Tochter Balduins, der keine männlichen Nachfolger hatte  –, dann König in Jerusalem zwischen 1131 und 1143, überließen dem Orden Ländereien und den Geldwert von zu erhebenden Zehnten und legten damit den Grundstein für die ungeheure politische und wirtschaftliche Macht der Templer. Die militärischen Orden waren die Antwort auf ganz spezifische Bedürfnisse: Im zweiten Jahrzehnt des Jahrhunderts war die Situation der fränkischen Fürstentümer besonders heikel, da es ihnen an Kämpfern fehlte, mit denen die gefährdeten Landverbindungen zwischen den einzelnen Städten gesichert werden konnten. Was man brauchte, war ein stehendes Heer, das den Kampf gegen die Ungläubigen zu seinem festen Auftrag, zu einer Art

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permanentem Kreuzzug machen würde. Eine hochexplosive Idee, die zwar im Heiligen Land begeistert begrüßt wurde, außerhalb dieses Kontextes jedoch zwangsläufig mit Aufmerksamkeit und Sorge betrachtet werden würde. Es war sicher nicht leicht, die kriegerische Betätigung mit den klösterlichen Idealen in Einklang zu bringen. Die lateinische Kirche hatte im Gegensatz zur griechischen immer fein unterschieden: Während die griechischen Theologen Mord und Totschlag in jeder Form verurteilten, zogen es die Lateiner vor, Augustinus’ Theorie vom bellum iustum weiterzuentwickeln. Das erlaubte den Christen den Gebrauch von Waffen, sofern die Sache gerecht und legitim war. Davon blieb jedoch die – von den Kanonisten des 11. Jahrhunderts mit allem Nachdruck festgeschriebene – Verpflichtung zur Buße unberührt, wenn man denn einen Bruder in Christus, und sei es mit Recht, getötet hatte. Allerdings hat das Christentum nie ein dem Heiligen Krieg vergleichbares Ideal gekannt, das einer gewaltsamen Verbreitung und Verteidigung des Glaubens gegolten hätte. Krieg blieb dem Geist und den Worten des Evangeliums radikal fremd. Doch bereits mit der Christianisierung des Rittertums und dem propagandistischen Aufruf zur Vertreibung der Mauren von spanischem Boden hatte die Sachlage sich geändert. Zwar hatte die Kirche den

Balduin II. übergibt den künftigen Tempelrittern einen Flügel des Palastes Salomons zur Nutzung, Miniatur aus einem Manuskript des 13. Jhs. der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).

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Das fränkische Königreich von Jerusalem und die Fürstentümer im Heiligen Land

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Rittern nun edle Ziele gesetzt, wie es die Verteidigung der Unterdrückten, Schwachen, Witwen, Waisen und des Geburtslandes war, forderte sie also dazu auf, nur für gerechte Zwecke zu kämpfen. Dennoch konnte sie in ihrem Schoß keine Männer akzeptieren, deren ureigene Aufgabe das Kämpfen war, ohne ihre Haltung zum Krieg selbst zu überdenken. Zunächst wurde das Problem umgangen, indem man den gedanklichen Schwerpunkt auf die Heiligung des Ritters legte, der durch seinen Tod in einer im Namen des Glaubens geführten Schlacht fast einem Märtyrer gleichkam. Das Martyrium war es, welches das Opfer des christlichen Kriegers rechtfertigte und sublimierte, ihn sogar von seinen vergangenen Fehlern erlöste. Das war viel, aber nicht genug. Es ist vor allem dem Wirken Bernhards von Clairvaux zu verdanken, dass Papst Honorius II. am 13. Januar 1129 auf dem Konzil von Troyes in Anwesenheit des päpstlichen Legaten, des Kardinalbischofs Matthäus von Albano, den Templerorden anerkannte und die ritterlichen Ideale damit vollständig in ein kirchlich normiertes christliches Ethos einband. In seiner Schrift De laude novae militiae, die zusammen mit der 71 Kapitel umfassenden Regel als Manifest des Ordens gilt, wetterte der kurz nach seinem Tod heiliggesprochene Abt von Clairvaux gegen die Weltlichkeit und den Prunk, die private Gewalt und Ruhmsucht der Ritter seiner Zeit. Mit den Templern hielt er ihnen die milites novi entgegen. Diese pries er für ihre völlige Besitzlosigkeit und ihren Kampf gegen die Ungläubigen, der – einmal zur einzigen Daseinsberechtigung erwählt – zu einem psychomachischen Symbol für den Kampf des Guten gegen das Böse wurde, der seit den Tagen der Schöpfung auf kosmischer Ebene geführt und von jedem Christen in seiner Seele wieder und wieder durchlebt wird. Der weltliche Kampf war nun nur noch ein äußerer Ausdruck des geistlichen; die Tötung von Heiden indes wurde zum malicidium. Bernhard ging nicht so weit, der Tötung von Ungläubigen Vorschub zu leisten oder ihre Unterdrückung zu befürworten, sofern sie sich weigerten zu konvertieren (auch wenn dies von vielen so gesehen wurde). Der iter hierosolymitanum blieb in jeder Hinsicht ein Verteidigungskrieg gegen die Unterdrücker und ein Kampf zur Befreiung der terra promissionis, welche die Christenheit, die sich als Erbin Israels sah, als ihr Eigentum betrachtete. Seine Verteidigung der Templermiliz und mit ihr der neuen Figur des Mönchskriegers konnte jedoch nicht umhin, eine faktische Neubewertung des Krieges als solchen und unabhängig von seinem Kontext vorzunehmen. Verderbt war das alte Rittertum: non militia, sed malitia, ruft unser Abt in Anlehnung an einen Ausspruch des heiligen Anselm von Canterbury aus.

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Kapitel vier 

In Gold und Seide gekleidet, den Vergnügungen und dem Luxus zugetan, führten die weltlichen Ritter ungerechte Kriege zwischen Christenmenschen, aus Geldgier, Zorn und eitler Ruhmsucht, ganz so, wie sie es auch in ihren Turnieren hielten. Demgegenüber kämpfen die milites Christi, armati et non ornati, gegen die Heiden und vor allem gegen die Sünde. Ihr Krieg ist ein gerechter Krieg. Damit wird der Templerkrieg fast zu einem »Antikrieg« stilisiert, sind seine Ziele doch der Frieden und die Sicherheit der Christenwelt wie auch das Heil der Seele. Der Tempelritter mit seinem weißen Gewand, das jenem der Zisterzienser glich, und den Waffen aus blankem Eisen, die weder emailliert noch vergoldet waren, gleicht dem Kirchengebäude, wie es der architektonischen und liturgischen Reformbewegung von Cîteaux vorschwebte. Die einzigen Ornamente sind hier der nackte Stein und das reine Licht, das durch Fenster einfällt, die keine vielfarbige Glasmalerei kennen. Auf der Welle dieser Ermahnungen erlebten die Ritterorden einen unvergleichlichen Zuwachs. Sie waren es, die man mit der Kontrolle der wichtigsten Festungen im Heiligen Land betraute. Mut, Disziplin, ihre anfängliche Armut – das waren Eigenschaften, die sie bei allen, auch bei den Muslimen, in hohem Ansehen stehen ließen. Ordenshäuser, Konvente und Kommenden legten sich bald wie ein Teppich über Europa, während immer mehr Hinterlassenschaften und Schenkungen ihre Geldtruhen füllten. Später wurden sie darüber hinaus mit finanziellen Aufgaben betraut, zum Beispiel mit der Eintreibung des Kirchenzehnten. Mit ihrer Finanzmacht erlangten die Templer bald auch politische Bedeutung. Die Ritterorden begannen nun, ihre eigenen Ziele zu verfolgen, verhielten sich wie eigene Staaten in dem Staat, in dem sie agierten. Mit den Sarazenen führten sie Krieg oder handelten Frieden aus, unabhängig von den Bestrebungen der weltlichen Herren des Heiligen Landes. Ihre Streitigkeiten mit Letzteren, aber auch untereinander – die Rivalität zwischen Johannitern und Templern war sprichwörtlich – sollten das Leben der Christen in Outremer überschatten. Und ihr wirtschaftlicher Wohlstand auf vielen Seiten Neid erregen.

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Kapitel fünf

Kurzlebige Erfolge Der Fall von Edessa, 1144 Angesichts der militärischen Erfolge der Lateiner überwanden die muslimischen Machthaber, die sich zunächst in der Defensive befanden, ihre politischen Differenzen. Diese hatten sie gegenüber dem Feind schwach gemacht und waren durch das dicht gewebte Netz aus Hass und Rivalitäten zwischen den beiden konkurrierenden Kalifaten – den Abbasiden in Bagdad und den Fatimiden in Kairo – noch verschärft worden. Das syrisch-palästinensische Gebiet, das geographisch zwischen den beiden Kontrahenten lag, hatte die Folgen mit aller Macht zu spüren bekommen. Doch seit den 1120er-Jahren sahen sich die im Heiligen Land ansässigen Lateiner wiederholte Male und bisweilen auf offenem Feld muslimischen Angriffen zu Land und zu Wasser ausgesetzt. Mehrere Kreuzfahrerfürsten lernten türkische Gefängnisse kennen: Bohemund zwischen 1100 und 1103, Balduin II. zwischen 1104 und 1108 und als Regent der Grafschaft Edessa noch einmal 1123/24. Mit Beginn der 1140er-Jahre ging die größte Bedrohung für das Fortbestehen der lateinischen Staaten von ’Imād al-Dīn Zangī aus, dem Atabeg von Mossul und Aleppo. Diesem war es gelungen, zwischen Tigris und Orontes ein Herrschaftsgebiet für sich zu erringen, das nur nominell dem Kalifen von Bagdad unterstellt war. Nun machte er Anstalten, seinen Besitz nach Westen hin auszuweiten. Den Christenfürsten, die seine Angriffe ebenfalls zu spüren bekamen, fehlte es hier an politischem Gespür: Sie versäumten es, sich mit jenen muslimischen Kräften zu verbünden, die ein Interesse daran hatten, sich nicht von Zangī einverleiben zu lassen. So geschah es, dass der Atabeg am 23. Dezember 1144, nach 28 Tagen Belagerung, Edessa einnehmen konnte. Im Oktober 1146 unternahm der

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Kapitel fünf 

Herrscher von Edessa, Joscelin II., den Versuch, die Stadt zurückzuerobern, der Anfang November von Nur ad-Din, dem Sohn und Nachfolger von Zangī – im Westen vor allem als Norandino oder Nureddin bekannt  – zurückgeschlagen wurde. Der älteste Kreuzfahrerstaat in Syrien ging endgültig unter. Wohl wahr, dass die Anfänge der muslimischen Rückeroberung auf einen für die Lateiner besonders kritischen Moment fielen: 1143 verstarben, im Abstand weniger Monate, sowohl der Basileus Johannes Komnenos, Sohn von Alexios – der mehrfach gezeigt hatte, dass er sich um die Sicherung seiner östlichen Grenzen bemühte (auch um seinen Rechten an Antiochia Geltung zu verschaffen) –, als auch Fulko von Anjou, der dritte König von Jerusalem. In Konstantinopel war Johannes sein Sohn Manuel auf den Thron gefolgt, der wenig Interesse an den syrischen Angelegenheiten zeigte. In Jerusalem hatte man mit Balduin III. die Krone einem vierzehnjährigen Jungen unter der Regentschaft seiner Mutter Melisende aufgesetzt. Im Schatten des wankenden Throns verschafften sich die Vasallen von Antiochia und Tripolis in einer stürmischen Folge von Intrigen wieder volle Handlungsfreiheit. Und die ganze Zeit über drängte der Feind vor die Tore des Königreichs, ohne dass der junge König etwas dagegen hätte unternehmen können. Bereits nach dem ersten Fall von Edessa waren eindringliche Hilfegesuche in den Westen gesandt worden. Der Moment war ausgesprochen heikel. Am 2. Januar 1145 wurde der Zisterzienser Bernardo von Pisa, Abt von Santa Anastasia, dank der Unterstützung durch Bernhard von Clairvaux in der Abtei von Farfa zum Papst geweiht. Nachdem er den Namen Eugen III. angenommen hatte, musste er sich notgedrungen nach Viterbo zurückzuziehen, weil die Übermacht des römischen Senats ihn daran hinderte, seinen Amtssitz in Rom einzunehmen. Hier also traf die von den lateinischen Fürsten des Heiligen Landes delegierte Gesandtschaft aus diversen armenischen Persönlichkeiten unter der Leitung des syrischen Bischofs Hugo von Gabala ein. Die Nachricht von der Gefahrenlage im Osten wurde allerdings mit ganz anderen Begebenheiten vermischt. Vier Jahre zuvor war der seldschukische Sultan Sanjar bei Samarkand von Ye-lü Ta-shah aus der Liao-Dynastie besiegt worden, die über das heutige Kirgisistan herrschte. Die Kunde von den Ereignissen hatte Syrien auf verworrene Weise erreicht und für die Verbreitung einer Legende gesorgt, die von einem mächtigen Priesterkönig aus dem Geschlecht der Heiligen Drei Könige zu berichten wusste. Der war angeblich aus dem Osten in Anmarsch, um der Christenheit zu Hilfe zu eilen. In Viterbo erzählte Hugo von Gabala die Geschichte dem Zisterziensermönch Otto, Bischof von Freising und Mitglied des

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Die Schlacht von Edessa, 1146: Kampf zwischen Christen und Sarazenen, aus einer französischen Übersetzung des 14. Jhs. der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.). Man beachte die Schilde der barfuß kämpfenden Sarazenen, die Phantasiewappen zeigen (Maurenköpfe und Drachen).

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Kapitel fünf 

bayerischen Herzogsgeschlechts, der im Folgenden einen wichtigen Anteil an ihrer raschen und weiten Verbreitung hatte. Ihr Inhalt stimmte mit einigen Aussagen der sibyllinischen Weissagungen überein, insbesondere jenen der Tiburtinischen Sibylle. Prophetischen Texten schenkte wiederum insbesondere Bernhard von Clairvaux große Aufmerksamkeit. Ihr glühender Kompilator, der im 10. Jahrhundert lebende Mönch Adso von Montier-en-Der, hatte Gerberga, der Gattin König Ludwigs IV. und Schwester von Otto I., eine berühmte Schrift über den Antichrist gewidmet. In den französischen Kapetingern, die mit Nachdruck die heilige Tradition ihrer Dynastie pflegten, fand sie begeisterte Leser – umso mehr, als aus dem umgearbeiteten Text der Sibylle hervorging, dass der König von Frankreich (oder alternativ auch der von Deutschland) als Endkaiser regieren und am Ende der letzten Tage die königlichen Insignien auf dem Kalvarienberg niederlegen werde. Darauf werde die Ankunft des Antichrist und die schlussendliche Theophanie folgen. Auf die mit solchen endzeitlichen Hoffnungen verbundene Frömmigkeit Ludwigs VII., des damaligen Königs von Frankreich, baute Papst Eugen III., als er sich mit der Bulle Quantum praedecessores vom 1. Dezember 1145 an ihn wandte, um einen neuen Kreuzzug zur Verteidigung der Eroberungen im lateinischen Osten zu organisieren. Am Weihnachtstag verkündete Ludwig VII. in Bourges den französischen Adligen feierlich seine Absicht, das Kreuz zu nehmen, und berief sie für Ostern des folgenden Jahres nach Vézelay. Viele taten dem König ihren Unmut darüber kund, da sie als Folge dieser Entscheidung mit systematischen Forderungen nach auxilium, also im Ergebnis einer zunehmenden militärischen und steuerlichen Belastung, rechneten. Auch Bernhard, der sich Sorgen über die Ausbreitung der häretischen Katharer im Süden Frankreichs machte, äußerte Zweifel an der Opportunität dieses Aufrufs. Er hielt dafür, dass der christliche novus miles, den er in seiner Schrift De laude novae militiae gepriesen hatte, sich vor allem dem wahren iter hierosolymitanum verschreiben sollte, der sich als geistliche conversio verstand. Dem ganz entsprechend war der wahre Kampf gegen die Ungläubigen derjenige, der in der Stille der eigenen Seele und im Kampf gegen sich selbst, das Böse und die Sünde geführt wurde. Daher rührt auch die mangelnde Sensibilität für die Gebiete in Übersee, wie sie sich in seinen Ausführungen über die heiligen Stätten in De laude niederschlägt. Er hatte sie verfasst, ohne die Stätten selbst gesehen zu haben oder Informationen über ihr tatsächliches Aussehen einzuholen, inspiriert allein von der Heiligen Schrift und dem symbolischen Wert jener Länder. Der Abt hatte auch keinerlei

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Interesse an der Gründung von Zisterzienserklöstern im Heiligen Land gezeigt. Die Nachricht vom Fall Edessas ließ ihn daher relativ unberührt. Bernhard bewegte sich nicht vor dem Erlass der Bulle Quantum praedecessores, die mit einigen Änderungen am 1. März 1146 an den König von Frankreich und seine gläubigen Untertanen geschickt wurde.

Bernhard und der Kreuzzug Neben dem Eindruck, den die Nachricht vom Fall Edessas bei den Gläubigen hinterließ, gab eher der Wunsch nach Buße und Sühne den eigentlichen Anstoß für den »zweiten Kreuzzug«. Wir wissen nicht, ob es tatsächlich Bernhards Predigten in Vézelay Ende März 1146 oder in Speyer am 27. Dezember desselben Jahres waren, die jene Begeisterung auslösten, die den französischen Adel und in der Folge auch den deutschen König Konrad III. von Hohenstaufen dazu veranlasste, das Kreuz zu nehmen. Letzterer (der außerdem der designierte Kaiser war, dessen Krönung durch den Papst in Rom freilich noch ausstand) handelte vielleicht nach dem Beispiel seines Widersachers, des bayerischen Herzogs Welf, der kurz zuvor dieselbe Verpflichtung eingegangen war. Bernhard ließ die eng gefassten, nur auf Frankreich abzielenden päpstlichen Pläne hinter sich und begann, eine groß angelegte Expedition zu entwerfen, mit der er den Papst prophetisch zum Handeln zwang. Für Eugen III. stand der Schutz des Heiligen Landes im Vordergrund – und dazu war Ludwig VII. bereit –, aber es ging ihm auch darum, die Kontrolle über Rom zu behalten und die von den Grenzen im Süden Italiens her drohende Gefahr einzudämmen. Diese Ziele gedachte der Papst durch das militärische und politische Eingreifen des deutschen Königs zu erreichen. Doch die glühende Begeisterung, die Bernhards Predigt auf deutschem Boden auslöste, machte die Lage kompliziert: Wie war es möglich, die beteiligten Parteien voneinander getrennt zu halten, sprich die französischen Kräfte für die Expedition übers Meer und zugleich die deutschen Kräfte für ein Engagement im Zentrum und im Süden der italienischen Halbinsel zu gewinnen? Zwischen 1146 und 1147 reiste der Abt kreuz und quer durch Konrads Reich und half an mehreren Orten dabei, den Mob wieder zu beruhigen, der gegen die Juden aufgehetzt worden war. Das war das Werk eines gewissen Radulf, eines Wandermönchs, der möglicherweise selbst Zisterzienser war. Bernhards Wirken

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Émile Signol, Bernhard von Clairvaux predigt am 31. März 1146 in Vézelay den zweiten Kreuzzug im Beisein von König Ludwig VII., Königin Eleonore von Aquitanien und Abt Suger, 1840, Schloss Versailles, Salles des Croisades.

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als Prediger war beachtlicher Erfolg beschieden. Er selbst erinnert sich in einem Brief vom 1. Mai 1147 an Eugen III. an das, was er unterwegs sah: Alle Welt zog nach Jerusalem, Dörfer und Städte lagen verlassen. Es sei kaum ein Mann auf sieben Frauen gekommen, schätzt Bernhard, und die Christenheit sei voller Witwen gewesen, deren Männer noch am Leben waren. Tatsächlich verfolgte der Papst das Geschehen mit Unmut. Es lag auf der Hand, dass Bernhard seine Leitidee einer reductio saeculi ad claustrum verfolgte, die ihn bereits in De laude veranlasst hatte, die nova militia ihren weltlichen Standesgenossen, den Angehörigen der militia huius saeculi, entgegenzustellen. Doch gerade diese Letzteren hatten die Reformpäpste des vorangegangenen Jahrhunderts für ihre Zwecke eingesetzt. Während der Papst in seiner Intention, die Christenheit in Zuständigkeitsbereiche aufzuteilen, die Figuren zweier Schachbretter verschob, den Kreuzzug den Franzosen und die Verteidigung der libertas ecclesiae in Italien den Deutschen zu übertragen gedachte, betrachtete Bernhard die Expedition aus einem ganz anderen Blickwinkel. Er sah darin den von der Vorsehung bestimmten Zeitpunkt, um auf dem Weg der Heiligung der Gesellschaft voranzuschreiten. Dennoch wich seine Predigt weder von den die Details regelnden Bullen ab, die Urban II. 1096 zur Dämpfung allzu spontaner Begeisterung erlassen hatte, noch von Eugens Positionen. Auch für Bernhard durfte der Kreuzzug die gesellschaftliche Ordnung in keiner Weise trüben, durfte, als ein Werk des Friedens, einen Frieden nicht stören, der als tranquillitas ordinis verstanden wurde. In Bernhards Vision steht der Friedensgedanke im Mittelpunkt: Die Voraussetzung für den iter müsse die Versöhnung aller Christen sein. Der Weg war ein Mittel gegen die Feindseligkeit, gegen die bestehenden Spannungen. Aber niemals würde er als Rechtfertigung für unbedachte oder planlose Aufbrüche dienen dürfen, noch eine Bedrohung für die soziale Ordnung, die Familie, die kirchliche Lehre oder das Leben der Mönche darstellen dürfen. Mit anderen Worten: Der Abt stellte den Schutz des von den Ungläubigen bedrohten Heiligen Landes als unmittelbares Ziel der Expedition nicht infrage. Er bezweifelte auch nicht, dass die bewaffnete Pilgerfahrt das technisch, militärisch, theologisch und unter dem Gesichtspunkt der angestrebten Buße am besten geeignete Werkzeug war, um dieses Ziel zu erreichen. Aber die tiefere Bedeutung des iter hierosolymitanum war für ihn eins mit der Zeit der Gnade, dem tempus acceptabile. Der Pilgerweg war lediglich eine Gelegenheit, eine den Sündern von der göttlichen Vorsehung gebotene Möglichkeit zu Reue und Buße. Das signum crucis brachte allen das Heil, nicht nur

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Kapitel fünf 

Konrad III. von Schwaben, Ludwig VII. von Frankreich und Balduin III. von Jerusalem auf dem Konzil von Akkon, 1148, Miniatur aus einem Manuskript des 13. Jhs. der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).

den milites. Aus diesem Grundgedanken ergeben sich zwei Konsequenzen: Zum einen verlor das irdische Jerusalem seine zentrale Rolle als zu erreichendes Ziel und als zu verteidigendes christliches Erbe. Zum anderen nahm der hierarchische Charakter der Unternehmung zu, in deren Namen die Kreuzfahrer nach dem Vorbild des von Moses geleiteten Volks Israel einen novus exodus durchführten. Iter und peregrinatio wurden zu Abbildern des Heilsgedankens und gleichzeitig zu einem Mittel, um dieses Heil zu erreichen, nicht mehr unter der Leitung zufälliger Anführer, sondern unter dem Kommando ihrer rechtmäßigen Herrscher. So war es in der Tat das neue Israel – das Volk Gottes –, das ins Gelobte Land aufbrach. Diese terra promissionis wurde zwar durchaus mit Palästina identifiziert, verstand sich aber vor allem als Erlangung des Seelenheils – und damit des ewigen Lebens.

»Nolite confidere in principibus« War Bernhards Vision weit von der politischen und militärischen Realität entfernt? Der Chronist der Annales Herbipolenses lag wohl richtig, wenn er im großen Exodus von 1146/47 den allgemeinen Wunsch ausmachte, in den Genuss der materiellen Vorteile zu kommen, die in der Kreuzzugsbulle Quantum praedecessores

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in Aussicht gestellt worden waren, und in dem ganzen Unternehmen faktisch eine Störung des geordneten gesellschaftlichen Lebens sah. Bernhard jedoch öffnete sich für die von der gesamten christlichen Welt geteilte Vision, als er in der Pilgerfahrt gen Osten einen besonderen Moment der Gnade für alle Gläubigen erkannte. Es ging nicht mehr um den Herrschaftsanspruch über das irdische Jerusalem, dem er stets wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte. Der Einsatz schien jetzt die Ökumene zu sein. Die Normannen waren dabei, ihren militärischen Arm nach Nordafrika auszustrecken; Katalanen, Aragonesen und Genuesen setzten ihre Eroberungen an den iberischen Küsten fort; in Portugal waren die Muslime auf dem Rückzug und Lissabon sollte bald in die Hände der Lateiner fallen; in Nordosteuropa schließlich hatten sich deutsche Ritter und Siedler aufgemacht, die heidnischen Wenden zu unterwerfen. Am 13. März 1147 sicherte Bernhard einem derartigen Unterfangen seine Unterstützung zu, gefolgt vom Papst, der einen Monat später die Bulle Divina dispensatione erließ. Darin führte er die Verteidigung Jerusalems mit der Verbreitung des Christentums auf der Iberischen Halbinsel und in den Ostseeregionen durch das Tragen des signums, des Kreuzzeichens auf dem Gewand, zusammen. Bernhard stieß damit einen Prozess an, in dessen Verlauf die Ziele der crucesignati erweitert wurden und nun in Richtungen gingen, die dem

Alfredo Roque Gameiro, Die Belagerung von Lissabon 1147, in: Quadros da Historia do Portugal, 1917.

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Kapitel fünf 

Ziel der Befreiung und Verteidigung des Heiligen Grabes ursprünglich fremd waren. Dies führte im folgenden Jahrhundert zur kanonischen Lehre von der com­ mutatio der entsprechenden Gelübde und zum allgemein verbreiteten Einsatz des Kreuzzuges als – auch politische – Waffe. Im Übrigen folgt das Scheitern des neuen Kreuzzuges, an dem die großen Herrscher der damaligen Zeit teilnahmen, dieser Tendenz. Im Gegensatz zu den Ereignissen am Ende des vorigen Jahrhunderts war die von Eugen  III. ausgerufene zweite große bewaffnete Pilgerreise keine Abfolge von Einzelexpeditionen, in denen sich Pilger und Krieger tummelten, sondern das geordnete Unterfangen zweier Kreuzfahrerheere: des französischen und des deutschen. Im August 1146 versprach Kaiser Manuel von Konstantinopel dem Papst und dem König von Frankreich tätige und rasche Unterstützung, wofür er im Gegenzug, nach dem Vorbild von Alexios Komnenos, einen Treueeid seitens der Kreuzfahrer einforderte. Es war Konrad, der sich als Erster in Bewegung setzte. Er brach Ende Mai 1147 auf und führte sein Heer entlang desselben Weges, den schon Gottfried von Bouillon gewählt hatte – um den 20. Juli erreichte er byzantinisches Territorium. Trotz guter politischer Beziehungen zu Byzanz und sogar verwandtschaftlicher Bindungen zwischen den beiden Herrschern, die miteinander verschwägert waren, warf die Ankunft der Deutschen aufgrund der Verwüstungen, die jedes große Heer auf dem Durchmarsch unweigerlich hinterlässt, einige Probleme auf. Nachdem die deutsche Streitmacht Ende Oktober Asien betreten hatte, rückte sie ins Landesinnere nach Dorylaion in der Nähe des heutigen Eskişehir vor, wo das Heer eine vollständige Niederlage erlitt. Nur knapp entkamen der König und weitere Persönlichkeiten von Rang der Katastrophe und konnten mit einer Handvoll Gefolgsleuten nach Nicäa zurückkehren, wo sie mit Ludwig VII. zusammentrafen. Letzterer hatte Metz im Juni 1147 verlassen und war Anfang Oktober in Konstantinopel eingetroffen. Die nun vereinigten Armeen zogen von hier aus weiter nach Süden entlang der von christlichen Gemeinden gesäumten Küste. In Ephesos beschloss der mittlerweile erkrankte Konrad III., das Unternehmen seinerseits abzubrechen, verbittert durch die deprimierende Situation, die ihn gegenüber dem französischen König herabwürdigte, und durch die Streitigkeiten, die immer wieder zwischen seinen und Ludwigs Männern ausbrachen. Er kehrte nach Konstantinopel zurück, wo er von Manuel so weit wiederhergestellt wurde, dass er im März 1148 mit einer byzantinischen Flotte Richtung Süden nach Jaffa reisen konnte.

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Ludwig VII., der sich auf seinem Weg der offenen Feindseligkeit nicht nur der Türken, sondern auch der Griechen stellen musste, hatte in der Zwischenzeit Sankt Simeon, den Hafen von Antiochia, erreicht, wo ihn Raimund von Poitiers am 19. März freudig in Empfang nahm. Es war dieser Moment, der auf ziemlich dramatische Weise ein eklatantes Missverständnis zwischen den frisch aus Europa gekommenen Kreuzfahrern und der fränkischen Feudalherrschaft in Syrien zutage brachte. Der französische Herrscher, der seine bewaffnete Pilgerreise zum Heiligen Grab abzuschließen gedachte, lehnte Raimunds Vorschlag ab, Nur adDin anzugreifen und Aleppo zu erobern. Dabei wollte der Herr von Antiochia Ludwig keineswegs aus egoistischen Gründen für dieses Vorhaben gewinnen, um etwa sein eigenes Herrschaftsgebiet vor der sarazenischen Bedrohung zu schützen. Vielmehr handelte es sich dabei um eine strategische Notwendigkeit, die für das Überleben der lateinischen Fürstentümer in Outremer insgesamt unerlässlich war. Ludwig reiste überstürzt aus Antiochia ab, wobei er seine Frau Eleonore, die Herzogin von Aquitanien, mehr oder weniger gewaltsam mit sich nahm. Diese wurde nämlich beschuldigt, sich in Antiochias Fürst verliebt zu haben. Ludwig lenkte den Marsch nach Jerusalem, wo er Konrad wiedertraf, der auf dem Seeweg dorthin gekommen und in Jaffa an Land gegangen war. Am 24. Juni wurde auf einer Versammlung, an der neben den Herrschern etliche Barone des Königreichs teilnahmen, unbegreiflicherweise der Beschluss gefasst, mit vereinten Streitkräften ausgerechnet Damaskus anzugreifen, zu dem die Beziehungen alles andere als angespannt waren. Dieser Spielzug trug nicht die gewünschten Früchte. Die Belagerung von Damaskus endete nicht nur mit einem Misserfolg, sondern führte sogar zu einer Annäherung der Damaszener an Nur ad-Din, dessen Machtstreben sie bis dahin mehr als alles andere gefürchtet hatten. Die fränkischen Barone Syriens teilten den religiösen Elan der französischen und deutschen Neuankömmlinge keineswegs. Vielmehr favorisierten sie eine kluge Politik des Gleichgewichts mit ihren muslimischen Nachbarn und übten deshalb Druck auf die beiden Herrscher aus, ihre Feindseligkeiten einzustellen. Dabei machten sie deutlich, dass sie zu der gemäßigten Politik von König Fulko zurückkehren wollten. Hier zeichnet sich eine der wesentlichen Konstanten in der Geschichte der fränkischen Überseegebiete ab: dass sie chronisch unter den unterschiedlichen Auffassungen der in regelmäßigen Abständen aus dem Westen eintreffenden Kreuzfahrer und der ortsansässigen lateinischen Bevölkerung litten. Jedenfalls scheiterte der von Papst Eugen III. ausgerufene Kreuzzug kläglich und ebnete den Weg für die Warnung

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Kapitel fünf 

Die Hochzeit von Eleonore von Aquitanien und Ludwig VII. von Frankreich im Jahr 1137, rechts: der Aufbruch zum zweiten Kreuzzug 1147, Miniatur aus den Chroniques de Saint-Denis, Ende 14. Jh.

»Nolite confidere in principibus« (Vertraut nicht auf die Fürsten), die die folgenden Heerfahrten begleiten sollte. Ein trauriger Trost waren die zeitgleichen Erfolge der christlichen Heere auf der Iberischen Halbinsel, wo es mit Unterstützung der Genuesen gelungen war, verschiedene Städte einzunehmen: von Santarém bis Lissabon, von Tortosa bis Almería und Lérida. Den beiden Kreuzzügen, die gleichzeitig in Syrien und Spanien stattfanden, war nicht das gleiche Schicksal beschieden.

Saladin Das Scheitern des zweiten Kreuzzuges beschleunigte die Ausdehnung und Stärkung der Macht der Zengiden-Dynastie. Nur ad-Din war nicht wie sein Vater Zangī, der vor allem die eigenen Erfolge und die seines Hauses im Sinn hatte und stets vor religiösem Eifer brannte. Zu dessen Lebzeiten hatte es allerdings auch viele Widersacher und Konkurrenten in jenem weiten Gebiet zwischen den Ober-

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läufen der drei großen Flüsse – Orontes, Euphrat, Tigris – gegeben, das noch heute den arabischen Namen Dschazīra (Insel) trägt. Nur ad-Din hatte keine Rivalen: Wenn überhaupt, so veranlasste ihn sein starker sunnitischer Glaube zu der Frage, ob es nicht an der Zeit wäre, darüber nachzudenken, wie man dem Ketzertum der schiitischen Kalifen von Kairo ein Ende setzen könne, die sich dem Kampf gegen die an der Mittelmeerküste ansässigen Franken nicht angeschlossen hatten. Es schien sogar, als hätten Abtrünnige und Ketzer sich bei vielen Gelegenheiten verbündet. Vielleicht hätten die Lateiner die südliche Hafenstadt Askalon nie besetzt, wie 1153 geschehen, wenn die ägyptischen Flotten zumindest teilweise ihre Pflicht getan hätten. Dies nahm Nur ad-Din zum Anlass für ein Ablenkungsmanöver gegen Banyas  – das unterhalb der Golanhöhen gelegene antike Caesarea Philippi –, scheiterte jedoch bei dem Versuch, die Stadt einzunehmen. Der Misserfolg stärkte freilich nur seine Entschlossenheit, gegen die Anbeter des Kreuzes vorzugehen und einen Dschihad auszurufen. Dafür heuerte er sunnitische Prediger an. Im folgenden Jahr gelang es dem Atabeg, Damaskus einzunehmen, auf das er schon lange ein Auge geworfen hatte, und so die muslimischen Gebiete zwischen

Grabmal für Eleonore von Aquitanien in der Abtei von Fontevraud (Loire).

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Kapitel fünf 

Nil und Euphrat zu vereinen. Damaskus wurde seine neue Hauptstadt. In den folgenden Jahren kam es zu mehreren Zusammenstößen mit den Truppen des Königs von Jerusalem, Balduin III., dessen Grenzen nun an die des neuen mächtigen Sultans stießen. Die Ehe zwischen Balduin und Theodora Komnena, die nach langen Verhandlungen im Jahr 1157 geschlossen worden war, sorgte für das Eingreifen des griechischen Kaisers Manuel. 1158 setzte er sich an die Spitze seines Heeres und zog reichlich unerwartet vor Antiochia, wo sich ihm Rainald von Châtillon, ein skrupelloser Ritter, den die Heirat mit der Witwe von Raimund von Poitiers zum Herren der Stadt gemacht hatte, mit theatralischer Geste unterwarf. Beunruhigt durch den neuen griechischen Aktivismus befahl Nur ad-Din die Befestigung von Aleppo. Gleichwohl fand die Expedition keine Fortsetzung, denn Manuel beschloss, sich auf einen Handel einzulassen – vielleicht unter dem Eindruck der Nachricht von einem Aufruhr bei Hof –, und unterzeichnete im Mai 1159 einen Friedensvertrag. So konnte der Heerführer der Zengiden 1161 seinen Hadsch (Pilgerfahrt) nach Mekka antreten, um vor aller Welt seine islamischen Werte deutlich zu machen. Es war ein Sieg auf ganzer Linie. Ein Teil des Verdienstes gebührte seinen Hauptleuten, unter denen sich ein gewisser Schirkuh, der kurdischer Herkunft war, besonders hervortat. Dessen Bruder Ayyūb sollte noch eine bedeutende Zukunft bevorstehen. Die Türken mochten die Kurden nicht, die sich in Sprache und Traditionen von ihnen unterschieden, doch gehörte das von ihnen besiedelte Gebiet, Kurdistan, zu den türkisch kontrollierten Territorien. Sowohl Schirkuh als auch Ayyūb hatten schnell Karriere gemacht. In den Jahren 1137 oder 1138 bekam Ayyūb einen Sohn, der in Tikrit zur Welt kam und den er Yūsuf, Joseph, nannte. Unter dem Ehrennamen (laqab) Ṣalāḥ al-Dīn, was mit »Redlichkeit des Glaubens« übersetzt werden kann, sollte er, der im Westen als Saladin bekannt ist, in die Geschichte eingehen. Nur ad-Din, Sultan von Damaskus, flieht vor zwei Rittern, die Beine nackt und den Helm offen, Miniatur des 13. Jhs. aus dem Manuskript Yates Thompson 12, f. 132, London, British Library. Man beachte das imaginäre Wappen, die Streitaxt, auf der Schabracke des Pferdes links.

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Yūsuf war vermutlich der älteste von sechs Brüdern. Wie es die Tradition vor-

schrieb, wurde er seinem Onkel Schirkuh anvertraut und war bereits im Alter von vierzehn Jahren ein getreuer Diener Nur ad-Dins, der ihm eine an Land gebundene Pacht (iqta‘) gewährte, die zur Eintreibung von Abgaben berechtigte. Die Jahre des Heranwachsens und der frühen Jugend verbrachte er damit, sich auf die politischen, militärischen und administrativen Aufgaben vorzubereiten, zu denen ihn der von Vater und Onkel erworbene Rang berief. Uns ist eine Beschreibung überliefert, die ihn in seinen jungen Jahren schildert: mittelgroß, schlank, mit brauner Haut und braunen Augen und einem kurzen Bart nach kurdischer Art. Wir wissen, dass er eine strenge Erziehung in einer von seinem Vater gegründeten Sufi-Schule erhalten hatte. Sein frühes religiöses Interesse mag durch die Wertschätzung und Bewunderung für den frommen Nur ad-Din beeinflusst worden sein, während das Interesse an Schach, der Falkenjagd und Polo ein Erbe der kriegerischen und sportlichen Gewohnheiten seines Vaters und Onkels gewesen sein mag. Er war 25 Jahre alt, als die Krise in Ägypten ausbrach. Das fatimidische (fälschlich als Kalifat bezeichnete) Imamat war zu diesem Zeitpunkt bar kriegerischer Absichten, ohne Autorität, zerrissen durch den Kampf zwischen Wesiren, die sich gegenseitig die Macht streitig machten und sich dabei entweder auf das Königreich Jerusalem oder auf das zengidische Sultanat in Syrien stützten. Untreue, Mord und Verrat bestimmten einen langen Kampf, der etwa zehn Jahre dauerte und aus Schlachten, Gesinnungswechseln und Intrigen bestand. Die Franken Jerusalems mit ihrem ritterlichen König Amalrich versuchten vergeblich, die europäischen Mächte von einem neuen Kreuzzug zur Eroberung Ägyptens und seiner für den Gewürzhandel bedeutenden Häfen Alexandria und Damiette zu überzeugen, wofür sie auch den Basileus von Konstantinopel gewinnen wollten. Nur ad-Din hingegen hatte seinerseits mehrere Kriegsfronten an den nordöstlichen Grenzen des Kreuzfahrerreichs eröffnet und die ägyptische Frage Schirkuh übertragen, der 1168 seinen Neffen Yūsuf einbezog. Durch den plötzlichen Tod des Onkels rückte der Neffe schlagartig in den Vordergrund und spielte nunmehr eine wichtige Rolle bei der Gefangennahme und Hinrichtung des Wesirs Shawār, der sich eines Komplotts mit den Kreuzrittern schuldig gemacht hatte. So kam es, dass der Fatimidenkalif al-ʿĀḍid im März 1169 Yūsuf zu seinem Wesir ernannte und ihm den Titel al-malik, König, verlieh. Nur ad-Din erwartete sich von seinem getreuen Mitstreiter die Auslöschung des ketzerischen Kalifats. Doch Yūsuf zögerte; vielleicht zog er eine Herrschaft über Ägypten unter der nur noch formalen Autorität des schwachen al-ʿĀḍid der-

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Kapitel fünf 

Belagerung von Askalon durch König Balduin III. von Jerusalem, 1153, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

jenigen im Namen des starken Sultans von Damaskus, Aleppo und Mossul vor. Das Land hatte gerade ein halbes Jahrzehnt der Auseinandersetzungen mit dem neuen Herrscher in Jerusalem, Amalrich von Anjou, hinter sich, dem zweiten Sohn von Fulko und Melisende, der 1162 die Nachfolge seines Bruders Balduin III. angetreten hatte. Yūsufs Wesirat bildete folglich das Ende einer langen Periode der Instabilität. Inzwischen war er fest in Kairo installiert, wobei er von eigens aus Syrien angereisten Mitgliedern des eigenen Hauses, den Ayyubiden, unterstützt wurde. Nachdem er sich auch noch der Loyalität der Mamluken versichert hatte, jener freigelassenen Sklaven, die das Rückgrat der ägyptischen Armee bildeten, ließ Yūsuf am 10. September 1171 den Namen al-ʿĀḍid aus der khuṭba, der Freitagspredigt, streichen, ohne dass die Bevölkerung sich besonders daran störte. Der Kalif, alt und krank, wie er war, dürfte es nicht einmal mitbekommen haben. Er starb wenige Tage später, wodurch Yūsuf sich seiner Reichtümer bemächtigen

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konnte. Es handelte sich um ein beachtliches Vermögen, das er allerdings unter al-ʿĀḍids Getreuen und Verwandten verteilen ließ. Am darauffolgenden Freitag wurde der Name des abbasidischen Kalifen von Bagdad, al-Mustadī, in allen Moscheen Kairos verkündet. Nach etwas mehr als zwei Jahrhunderten kehrte Ägypten unter sunnitische Herrschaft zurück. Al-Mustadī schickte Nur ad-Din, den er für den Architekten der Operation hielt, ein prächtiges Gewand und eine schwere goldene Kette zum Zeichen des Danks; dieselben Gaben erhielt auch Yūsuf. Die Probleme ließen trotzdem nicht lange auf sich warten. Immer düstere Schatten fielen auf die Beziehung zwischen Nur ad-Din und seinem Statthalter. Die nun folgenden Jahre waren von dem Versuch geprägt, Nubien wieder unter ägyptische Kontrolle zu bringen. Aber natürlich konnte das Problem der lateinischen Präsenz nicht ungelöst bleiben. Aus der Sicht Nur ad-Dins mussten die Franken vertrieben werden; Ägypten sollte vor allem als Quelle dienen, mit der sich dieses Ziel finanzieren ließ. Yūsuf hingegen war überzeugt, dass die Kreuzfahrer sich früher oder später erneut auf die Häfen am Nil stürzen würden. Eine zwischen beiden Seiten vereinbarte Kampagne gegen die Kreuzritterburgen Kerak und Shawbak in Transjordanien scheiterte kläglich. Der Sultan warf Yūsuf vor, ihn im Dschihad gegen die Franken nicht zu unterstützen, tat gleichzeitig aber alles, um einen Aufstand gegen ihn im Jemen zu schüren, wo es viele Schiiten gab, die loyal gegenüber den abgesetzten Fatimiden-Kalifen waren. Gegen den Jemen wurde daher ein militärisches Vorgehen notwendig. So standen die Dinge, als Nur ad-Din am 15. Mai 1174 plötzlich starb. Die Beamten seines Hofes und die Offiziere seiner Armee wetteiferten um die Vormundschaft für seinen Sohn, den jungen al-Malik al-Ṣāliḥ Ismā‘īl. Vorerst erkannte Yūsuf den Jungen als seinen Herrn an. Die Kreuzfahrer nutzten dann allerdings die Schwäche des syrischen Fürstentums für einen erneuen Angriff und Wilhelm II. von Sizilien schickte noch im selben Sommer eine Flotte gegen Alexandria, die vergeblich Kapital aus der Situation zu schlagen versuchte. Infolge der Krise zerfielen Nur ad-Dins Besitzungen in eine Reihe teilautonomer Fürstentümer, die eigene lokale Interessen verfolgten. Das war der Moment, als Yūsuf, damit einem Appell des Gouverneurs von Damaskus Folge leistend, der die Lage für ansonsten hoffnungslos erklärte, das Erbe der Zengiden für sich beanspruchte. Am 28. Oktober zog er in Damaskus ein, offiziell um den jungen al-Malik alṢāliḥ Ismā‘īl zu verteidigen. Die arabischen Emire und die türkischen Aghas von Syrien taten alles, um sich dem neuen Herrn zu verweigern, der zwar das Land

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Porträt von Saladin (vor 1185), aus einer Abschrift des Jahres 1354 von Ismail Al-Dschazarīs Buch des Wissens von sinnreichen mechanischen Vorrichtungen.

befriedet und vor den Kreuzfahrern geschützt, sie aber auch mit eiserner Hand unterjocht hätte. Den stolzen Arabern und kriegerischen Türken fiel es überdies nicht leicht, die Oberhoheit eines Kurden zu tolerieren. Um ihn zu beseitigen, traf man eine Vereinbarung mit Graf Raimund von Tripolis und dem Anführer der Nizariten, Anhänger einer Form des ismailitischen Schiismus. Im Westen unter der Bezeichnung »Assassinen« bekannt (wahrscheinlich abgeleitet vom arabischen ’asās, Fundament, Basis, was sich auf einen Grad der religiösen Initiation bezieht und nicht, wie gewöhnlich angenommen, auf die Gewohnheit des Haschischkonsums), waren die Nazariten in den Bergen nordöstlich von Beirut ansässig. Alle Versuche, Yūsufs Aufstieg zu verhindern, der in der Zwischenzeit Nur adDins Witwe geheiratet hatte, erwiesen sich indes als vergeblich. Im April 1175 übertrug ihm der Kalif von Bagdad unter dem Titel eines Sultans die Herrschaft

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Dirham (Silbermünze) mit dem Bildnis Saladins, um 1215.

über Ägypten, Jemen und Syrien. Yūsuf war auf dem besten Weg, Saladin, »Redlichkeit des Glaubens«, zu werden. Vergeblich war auch der Versuch von Manuel Komnenos, den Dynastiewechsel für eine Erweiterung seines Herrschaftsgebietes in Nordsyrien zu nutzen. Am 17. September 1176 wurde das kaiserliche Heer bei Myriokephalon in Phrygien von den türkischen Truppen des seldschukischen Sultans Kılıç Arslan II. besiegt, wodurch Saladin sich auf seine inneren Feinde konzentrieren konnte, die ihre Hochburgen in Mossul und Aleppo hatten. Der Sultan würde von da an zwischen Damaskus und Kairo hin- und herpendeln und das Königreich Jerusalem dabei genau im Auge behalten. Das schien beinahe stündlich zu zerfallen, auch wenn gelegentlich aus Europa Fürsten und Ritter zu seiner Rettung herbeieilten. Bald wurde klar, dass sich eine Konfrontation mit den an der Küste ansässigen Franken nicht länger aufschieben ließ.

Der aussätzige König Im Juli 1174 starb Amalrich von Anjou. Wieder einmal saß ein Kindkönig auf dem Thron von Jerusalem. Balduin IV., der aus der Ehe von Amalrich mit Agnes von Courtenay hervorgegangen war, erreichte die Volljährigkeit – nämlich vierzehn Jahre, das Alter, in dem man ein bewaffneter Ritter werden und ein Erbe antreten konnte  – erst 1177. Der Junge hatte großes Vertrauen in seinen Onkel mütter-

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Kapitel fünf 

licherseits, Joscelin III. von Courtenay, für den er eine große Herrschaft in Galiläa schuf. Der eigentliche Gebieter über die Krone aber war der mächtige Graf von Tripolis, Raimund III. Wann bemerkten die Menschen wohl, dass der König krank war? Hatte jemand aus seinem Gefolge – vielleicht sein Lehrer Wilhelm, der gelehrte Bischof von Tyros, der sich als hervorragender Historiograph seines eigenen Herrschaftsgebietes erwies – bemerkt, dass Balduin auf die kleinen Wunden, die Verbrennungen einer Öllampe etwa oder die Stiche der vielen lästigen Insekten, von denen die schönen Gärten des Orients voll waren, nicht zu reagieren schien? Gewiss, den jungen Männern, die eine Laufbahn im Waffendienst einschlugen – und Könige waren davon nicht ausgenommen –, wurde beigebracht, Schmerzen zu ertragen, aber im Fall des Königssohnes war es etwas anderes: eine Unempfindlichkeit des Körpers gegenüber Reizen. Das war ein schreckliches Zeichen – der Junge hatte Lepra. Kreuzfahrer aus dem Osten hatten dazu beigetragen, die Krankheit nach Europa zu exportieren. Schon lange gab es einen Orden leprakranker Ritter – den Lazarusorden –, die an ihren gelb und grün gestreiften Mänteln zu erkennen waren, gallige Farben, die das Zeichen der Ausgestoßenen waren. Lepra,

Tod Amalrichs I. von Jerusalem und Krönung Balduins IV., Miniatur aus einem Manuskript von 1460 der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).

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so hieß es, sei das äußere Zeichen von Sünde; aber gerade weil sie offenkundige Sünder waren, vor denen es die Leute grauste, umgab die Aussätzigen eine Art angstvoller Respekt. Ihre Anwesenheit war ein Zeugnis jener Sünde, für die der Sohn Gottes die Kreuzigung auf sich genommen hatte, um die Menschheit zu retten: Wie Simon von Cyrene halfen sie Jesus, das Kreuz zu tragen. Balduin IV. regierte nur wenige Jahre und sah dabei zu, wie sein Körper und sein Reich zerfielen. Er starb 1185 im Alter von 24 Jahren, nach einer furchtbaren, langsamen Agonie, an deren Ende er fast blind, sein Gesicht ein vom Fleisch gelöster Schädel war. Und doch war es ein mannhaft ertragenes Leiden, festen Glaubens und in steter Erfüllung seiner Herrscherpflichten: gegen die inneren Kräfte, die den Zerfall des Königreichs betrieben, und gegen die äußere Bedrohung durch den Sultan von Kairo und Damaskus, den er in Schach zu halten wusste und mitunter im Kampf besiegen konnte. Im Jahr 1176, als der Junge kurz davor stand, in den Vollbesitz seiner Rechte zu gelangen, aber die Anzeichen der Krankheit schon ahnen ließen, dass er keine direkten Nachkommen haben würde, denen er die Krone würde weitergeben können, wurde seine Schwester Sibylle mit einem der mächtigsten Fürsten Europas verheiratet: Wilhelm von Montferrat, genannt »Langschwert«, Sohn des Markgrafen Wilhelm V. von Montferrat, eines treuen Freunds von Kaiser Friedrich  I. Barbarossa. Wilhelm Langschwert starb im darauffolgenden Jahr, hatte aber bereits ein Kind gezeugt, das, wieder einmal, den Namen Balduin erhielt. Doch auch dieser Junge zeigte Anzeichen mangelnder physischer Widerstandskraft. Schon formierten sich am Hof verschiedene Parteien in der Frage der Nachfolge. Kurz darauf heiratete Sibylle einen französischen Adligen, der ein Vasall des Königs von England war: Guido von Lusignan. Balduin IV. hatte ihn zunächst willkommen geheißen, ihm dann aber, enttäuscht von seinem Geiz und seinem Mangel an Mut, das Vertrauen entzogen. Stattdessen ließ er seinen Neffen, den kleinen Balduin, der nun schon der fünfte seines Namens war, auf den Thron setzen und zum König ausrufen. Er unterstellte ihn der Obhut von Bohemund III. von Antiochia und Raimund III. von Tripolis, die beide Parteigänger von Isabella, einer weiteren Schwester des Königs, waren. Guido versuchte, sich zu halten, und verschanzte sich in der Grafschaft Jaffa und Askalon, doch der König schlug ihn wiederholt und nahm ihm so jede noch verbliebene Macht. Das Problem der Nachfolge blieb allerdings bestehen, und alle Versuche, den Papst, den Kaiser sowie die Könige von Frankreich und England dazu zu bewegen, Position zu beziehen, blieben vergebens.

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Kapitel fünf 

So viel Köpfe, so viel Sinne Der kleine Balduin überlebte den Tod des Königs nicht lange: Er starb im Spätsommer des Jahres 1186 in Akkon. Erbitterter denn je brach der Kampf um die Nachfolge aus und brachte das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Mitte September 1186 wurden Guido von Lusignan und Sibylle von ihren Gefolgsleuten zu König und Königin von Jerusalem gekrönt. Zu ihnen zählten der Patriarch von Jerusalem, Heraclius, der Großmeister des Templerordens, Gérard de Ridefort, der Herr von Galiläa, Joscelin von Courtenay, Sibylles Onkel mütterlicherseits, und der skrupellose Rainald von Châtillon, Herr von Transjordanien. Ein Sturm der Entrüstung brach unter Isabellas Anhängern los: Sie versammelten sich in Nablus, in Samarien, auf halbem Weg zwischen Judäa und Galiläa, und planten nun ihrerseits die Krönung ihrer Herrin und ihres Gemahls, Humfried von Toron. Der war allerdings ein scheuer, entscheidungsschwacher Mensch, den die Vorstellung, eine Hauptrolle im Streit um den Thron zu spielen, dermaßen verschreckte, dass er nach Jerusalem eilte, um sich Guido von Lusignan zu unterwerfen. Wutentbrannt über solche Abtrünnigkeit, die seine Ziele gefährdete, zog Raimund sich nach Tiberias zurück, wo er mit Saladin ein separates Friedensbündnis aushandelte. Der hatte zwischenzeitlich den letzten Widerstand der Zengiden-Dynastie in Aleppo und Mossul gebrochen und die nubischen und jemenitischen Rebellen in Schach gehalten. Nun hielt er die Zeit für gekommen, dem Gefüge der fränkischen Herrschaft im Heiligen Land den Gnadenstoß zu versetzen. Raimund von Tripolis konnte sich eine unabhängige Politik de facto leisten; auf ihn schauten im fränkischen Lager alle, die auf eine mögliche Einigung mit dem kurdischen Heerführer vertrauten. Aufseiten von Guido von Lusignan hingegen standen waghalsige Abenteurer. Ein paar von ihnen haben wir schon erwähnt, so zum Beispiel den aus der Auvergne stammenden Heraclius, der in seiner Jugend in Bologna studiert hatte und später die Würde des Patriarchen in Jerusalem erlangte, dies vielleicht als Folge einer Liebesbeziehung mit Königin Agnes, der Mutter des aussätzigen Königs. Oder auch Gérard de Ridefort, ein Flame, der zur Zeit des zweiten Kreuzzuges nach Outremer kam und sich zunächst in den Dienst von Raimund von Tripolis stellte, um dann zu dessen erbittertem Feind zu werden. Scheinbar hatte ihm der Graf die Hand eines jungen Mädchens namens Cäcilia versprochen, Erbin der Herrschaft Botrun, sie dann aber einem sehr reichen Kaufmann aus Pisa, einem gewissen Plebano, zur Frau gegeben, der dem König von Tripolis das Gewicht des

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Mädchens in Gold aufgewogen hatte. Von einem Mann wie Gérard durfte man sich keine Berufung im religiösen Sinn erwarten. So war es dann auch Rachedurst, der ihn zum Eintritt in den Templerorden veranlasste, zu dessen Großmeister er 1185 aufstieg. Die schillerndste Figur unter den Abenteurern, die so sehr um die Legitimierung des Königstitels von Guido von Lusignan bemüht waren, war jedoch Rainald von Châtillon. Als jüngster Sohn eines Grafen aus dem Tal der Loire verkörperte er auf vollkommene Weise den Typus des fahrenden Ritters. Er war Ludwig VII. auf den zweiten Kreuzzug gefolgt und hegte in der harten, tapferen Brust zweifellos auch ein gehöriges Maß an christlichem Glauben, den er im Rahmen der Möglichkeiten lebte, die sich einem Krieger seiner Zeit boten. Ins Heilige Land war er auf der Suche nach Krieg und klingender Münze gekommen und kehrte am Ende des

Saladin nimmt nach dem Sieg in der Schlacht von Hattin (1187) Guido von Lusignan gefangen, Miniatur aus einem Manuskript des 15. Jhs. der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).

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Kapitel fünf 

Kreuzzuges nicht mehr nach Hause zurück. Anfangs trat er in die Dienste von König Balduin III. 1151 folgte er ihm nach Antiochia und gewann dort das Herz der verwitweten Fürstin Konstanze. Zwei Jahre später heiratete er sie, ungeachtet der Widerstände der mächtigen Protektoren der jungen Frau, des Königs von Jerusalem und des Kaisers von Konstantinopel, die für sie einen erlauchteren Gatten vorgesehen hatten. Rainald war nunmehr kein Geringerer als der Fürst von Antiochia. Er brach mit der alten Freundschaft zu Byzanz und verbündete sich stattdessen mit Thoros, dem Herrscher des armenischen Königreichs Kilikien. Gemeinsam mit diesem führte er einen Raubzug gegen die Insel Zypern durch, bei dem es zu beispiellosen Gewalttaten gegen die wehrlose Bevölkerung und den griechischen Klerus kam. Manuel Komnenos antwortete mit einem Marsch auf Antiochia. Rainald sah keinen anderen Ausweg, als sich zu unterwerfen, um das Fürstentum nicht zu verlieren. Zwei Jahre später ging der hitzköpfige Ritter bei einem Viehdiebstahl dem türkischen Gouverneur von Aleppo ins Netz. Auf ihn wurde ein stattliches Lösegeld ausgesetzt, das offenbar niemand zu zahlen gedachte. Im Gegenteil nutzten der Kaiser von Konstantinopel, der König von Jerusalem und das Volk von Antiochia die Situation, um Bohemund III., Konstanzes Sohn aus erster Ehe, zum rechtmäßigen Herrscher auszurufen. Rainald blieb sechzehn Jahre in Gefangenschaft. Nach seiner Freilassung im Jahr 1175 heiratete er Stephanie von Milly, die Herrin von Transjordanien, deren früherer Ehemann, Milon von Plancy, bei einem Hinterhalt ums Leben gekommen war, den ihm offenbar Raimund von Tripolis und die ihn unterstützenden Feudalherren gestellt hatten: die mächtige Familie der Ibelin, Herren von Samarien, Balduin von Ramla und Rainald von Sidon. Als neuer Herr von Transjordanien kontrollierte Rainald von Châtillon nun die imposanten Burgen Kerak, Shawbak und Wouaira, die an der Einmündung des Gebirgspfades lagen, der zur Karawanenstadt Petra führte. Zu Füßen der Burg Kerak verlief die Karawanenstraße zwischen Damaskus und Mekka, auf der Pilger und Waren in Fülle unterwegs waren; Beduinenstämme zogen mit ihren Schafund Kamelherden vorbei. Und für solche, die sich weigerten, den Zoll zu entrichten, gab es Verliese. Doch Rainald begnügte sich nicht damit, über Pilger und Kaufleute herzufallen: Er träumte davon, weiter nach Süden vorzustoßen, auf der Arabischen Halbinsel bis nach Medina und Mekka vorzudringen, das Grab des falschen Propheten Mohammed zu erobern und das frevlerische Heiligtum der Sarazenen zu zerstören. 1181 machte er sich auf den Weg nach Arabien und plünderte

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Der siegreiche Saladin, kolorierter Stich von Gustave Doré für Joseph-François Michauds Histoire des croisades, 1877.

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Kapitel fünf 

eine Pilgerkarawane. Saladin, der sich zu dieser Zeit in Ägypten aufhielt, entsandte seinen Neffen Farukschah mit einem militärischen Aufgebot, um ihn aufzuhalten. Zugleich legte er formell Protest ein bei Balduin IV., mit dem er einen Waffenstillstand vereinbar hatte. Obwohl der bündnistreue Herrscher Jerusalems die Schuld seines rastlosen Vasallen als erwiesen ansah, weigerte sich Rainald, Wiedergutmachung zu leisten, und die Kriegspartei, mit dem Rückhalt der Königinmutter Agnes, unterstützte ihn darin. Als Vergeltung ließ Saladin etwa 1500 christliche Pilger ins Gefängnis werfen, die nach einem Sturm im Hafen von Damiette Schutz gefunden hatten. Im Herbst des Jahres 1182 übertraf der unruhige Räuberfürst sich selbst. Jenseits des Jordans gab es etliche Wälder mit hoch gewachsenen Bäumen. Rainald befahl den Bau einiger Schiffe, die er im Toten Meer erprobte. Anschließend ließ er sie zerlegen und durch die Wüste nach Eilat am Golf von Akaba transportieren.

Agnolo Gaddi, Legende vom Heiligen Kreuz: Auffindung des Wahren Kreuzes durch die heilige Helena, 1380–1390, Florenz, Hauptchorkapelle von Santa Croce.

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Nachdem man sie wieder zusammengezimmert hatte, überantwortete er sie den einheimischen Piraten und segelte am Westufer des Roten Meeres entlang zum nubischen Hafen Aidhab, gegenüber von Mekka. Allein die Burg der Sarazenen auf der vor der Halbinsel Sinai liegenden Koralleninsel – bei den Arabern als Jezira Firawuun, Pharaoneninsel, bekannt – hielt ihm stand. Von Aidhab aus, wo sie aus Aden und Indien kommende Waren plünderten, überquerten seine kreuzfahrenden Piraten das Meer und überfielen die Küstenhäfen, die die Städte Mekka und Medina versorgten. Angesichts solcher Freveltaten ging ein Aufschrei der Empörung durch die muslimische Welt. Eine ägyptische Flotte machte sich an die Verfolgung der Missetäter und konnte ein paar Erfolge verbuchen. Rainald aber entkam. Also schwor Saladin feierlich, dass dieser Affront keine Vergebung finden und er den gottlosen Frevler eigenhändig hinrichten werde. Von September bis Oktober 1183 fielen die Truppen des Sultans von Damaskus aus in Galiläa ein. Doch so herausragend sein politisches Geschick und seine diplomatische Begabung waren – mit seinen Fähigkeiten als militärischer Führer vermochte er weniger zu überzeugen. Der Feldzug verlief ergebnislos und so beschloss Saladin zwei Jahre später, einen Waffenstillstand mit dem Königreich Jerusalem zu schließen. Im September 1186 nahm Rainald in Jerusalem an der Krönung von Guido von Lusignan und Sibylle teil. Zum Jahresende hielt er sich in der Burg Kerak auf, als vor seinen Augen eine lange Karawane vorbeizog, die kostbarste Waren aus Kairo mitführte. Der Herr über Transjordanien fiel über sie her und richtete unter den Kaufleuten ein Blutbad an. Saladin blieb vertragstreu und erhob Protest bei König Guido, der jedoch nichts gegen den rebellischen Vasallen unternehmen konnte, dem er zudem seine Krone verdankte. Saladin entschied, dass die Zeit gekommen war, der fränkischen Herrschaft in Syrien ein Ende zu setzen. Er sammelte ein großes Heer und zog von Syrien zum südlichen Ende des Sees Genezareth. Zur selben Zeit sammelten die Lateiner ihre Truppen bei Akkon. Die Stunde des Kampfes war gekommen.

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Kapitel fünf 

Die Niederlage von Hattin und der Fall Jerusalems, 1187 Am 1. Juli überquerten die Truppen des Sultans den Jordan. Am nächsten Tag besetzten sie Tiberias, mit Ausnahme der Zitadelle, die eine Handvoll Kreuzfahrer verteidigte, an ihrer Spitze Gräfin Eschiva, die Gemahlin Raimunds von Tripolis. Seinem Naturell gemäß beschwor der Graf die christlichen Streitkräfte zur Vorsicht, als die Nachricht die Runde machte. Es war mitten im Sommer, und ein Angriff wäre zu ihrem Nachteil gewesen: Tiberias war sein Besitz, seine eigene Ehefrau wurde bedroht, aber trotzdem riet er abzuwarten. Die »Kriegspartei« und vor allem der Großmeister der Templer, Gérard de Ridefort, der ihn wegen der nicht zustande gekommenen Eheschließung in Botrun hasste, und natürlich Rainald von Châtillon schimpften ihn einen Feigling und einen Verräter, der sich an die Ungläubigen verkauft habe. Am Morgen des 3. Juli setzten sich die Kreuzfahrer von Sepphoris (für Araber Saffuriya) bei Tiberias in Marsch. Es gibt dort einen Punkt, wo die Straße abzufallen beginnt und von wo aus man das glitzernde Wasser des Sees sehen kann: Diesen Ort nennt man wegen seiner bescheiden aufragenden Doppelhügel »die Hörner von Hattin«. Hier schlugen die Kreuzfahrer ihr Lager auf. Sie taten dies erneut gegen den Rat von Rainald, der Recht behalten sollte, weil es dort kein Wasser gab. In der Nacht stand der Wind günstig und die muslimischen Kämpfer frohlockten: Sie setzten das trockene Buschwerk auf den Hügeln in Brand und schürten, das feindliche Lager ausräuchernd, die Angst und den Durst der Christen ins Unermessliche. Im Morgengrauen versuchten die fränkischen Krieger, sich den Weg zum See freizuschlagen. Dabei trugen sie die Reliquie des Wahren Kreuzes voran, das man eigens aus Jerusalem herbeigeschafft hatte. Es dürstete sie allein nach Wasser, doch sie waren vom Feind umzingelt und die Sonne blendete ihnen die Augen. Manch einer von ihnen, wie Raimund von Tripolis und Balian von Ibelin, warf sich mit einer Handvoll Krieger den muslimischen Reihen entgegen, die sie mit vielfach erprobter Taktik durchbrechen ließen, um sie so vom Rest des Kreuzfahrerheeres zu isolieren. Entmutigt oder von jener Angst ergriffen, die zuweilen auch die Kühnen erfasst, entschloss sich der Graf von Tripolis zur Rückkehr in seine Hauptstadt. Der größte Teil der Kreuzfahrer versuchte, sich tapfer zu halten, oben auf dem Hügel, um das leuchtend rote Zelt von König Guido gedrängt, das aber doch bald überrannt wurde. Alle Hoffnung war ver-

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Die Schlacht von Hattin (1187) mit dem Verlust des Wahren Kreuzes, Miniatur aus dem 14. Jh.

loren. Die meisten Kreuzfahrer wurden getötet, die übrigen ergaben sich. Die Reliquie des Wahren Kreuzes fiel in die Hände des Feindes. Man errichtete in aller Eile ein prächtiges Zelt für den Sultan und führte die gefangenen Anführer vor: König Guido, seinen Bruder Amalrich von Lusignan (und Liebhaber der Königsmutter Agnes), Gérard de Ridefort, Humfried von Toron, Rainald von Châtillon. Nun geschah etwas Unerhörtes: Saladin empfing die Besiegten mit Wohlwollen, behandelte sie beinahe wie alte Freunde. Dem vom Durst

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Kapitel fünf 

gepeinigten König bot er freundlich einen Kelch an, darin mit Rosenblüten aromatisiertes Wasser, gekühlt mit dem Schnee vom Berg Hermon, den die Muslime trotz der großen Hitze am Schmelzen zu hindern verstanden. Der König benetzte die Lippen und reichte den Kelch an Rainald weiter. Nun ist die Geste, einen Gast im Zelt zu empfangen und ihn mit Speisen und Getränken zu bewirten, in der arabischen Tradition gleichbedeutend damit, ihn zu heiligen und unantastbar zu machen. Glaubt man dem Chronisten, soll Saladin dem Dolmetscher zugeflüstert haben: »Sag dem König, dass er dem Mann dort zu trinken gegeben hat, nicht ich.« Und an Rainald gewandt, zählte er ihm alle Verbrechen und Ruchlosigkeiten auf, derer er sich schuldig gemacht hatte. Auf die arrogante Erwiderung Rainalds hin, der im vollen Bewusstsein des Schicksals, das ihn erwartete, völlig ungerührt blieb, packte Saladin ein Schwert und versetzte ihm einen schweren Hieb in die Schulter, bevor er ihn enthaupten ließ. Für die Muslime wurde Rainald zu einem afrit, einem Dämon in der Wüste. Für die Christen in Europa aber, die seine Geschichte aus der Ferne verfolgten, war dieses schreckliche Ende ein heroischer Tod. Der gelehrte Kleriker Petrus von Blois verfasste zu seinem Gedenken sogar eine Pas­ sio Reginaldi. Wie dem auch sei, beim Anblick der Hinrichtung ergriff den König eine veritable Angstattacke. Saladin aber wendete sich dem Bebenden zu und versicherte ihm, dass ein König niemals einen König töte. Er verfügte nun, dass alle Gefangenen mit Menschlichkeit zu behandeln seien, ausgenommen Tempelritter und Johanniter, die er an Ort und Stelle von einer Bande Sufis töten ließ, die auf nichts anderes gewartet hatten (wer hätte das gedacht von einer asketisch-frommen Bruderschaft von Mystikern?). Verschont wurde allerdings Gérard de Ridefort. In der Folgezeit erwies er dem Sultan einige zweifelhafte Gunstbeweise, sodass man sich fragen könnte, ob es die Angst vor dem Tod war, die diesen Sinneswandel herbeiführte, oder ob er nicht schon seit geraumer Zeit ein doppeltes Spiel spielte. Wahrscheinlicher ist aber, dass Saladin in ihm ein nützliches Druckmittel sah. Die Gefangenen wurden nach Damaskus gebracht. Dort warteten die Edelleute unter ihnen darauf, dass jemand das Lösegeld für sie zahlte, die anderen wurden als Sklaven verkauft. Die Grausamkeit, mit der die Sarazenen gegen die Ritter vorgingen, hat ihre eigene harte Logik. Templern und Johannitern war es verboten, sich in der Schlacht jemals zu ergeben. Wurden sie lebend gefangen, konnte kein Lösegeld für sie verlangt werden; wurden sie freigelassen, hätten sie erneut kämpfen müssen. Sie waren Kämpfer und wurden als solche von ihren Feinden bewundert. Aber aus demselben Grund gab es auch keine Alternative zu ihrer Vernichtung.

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Jan Lievens, König Guido von Lusignan und Saladin, 1625, Privatsammlung. Der Künstler stellt Saladin, obwohl kurdischer Abstammung, als Afrikaner dar.

Wenig später marschierte Saladin gegen die Stadt Akkon, die ihr Herr, Joscelin von Courtenay, ohne Gegenwehr übergab. Die Stadt wurde geplündert, aber keine weitere Gewalt verübt. Anschließend besetzten die Muslime einen nach dem anderen etliche befestigte Orte, wobei sie kaum auf Widerstand trafen: Jaffa, Nablus, Sidon, Beirut, Jebail (der Herr dieser Stadt, Hugo III. aus der Genueser Familie der Embriaco, war ein Gefangener Saladins) und zuletzt Askalon, wo

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Kapitel fünf 

der Sultan für die Kapitulationsverhandlungen die handzahmen Dienste König Guidos und des Tempelritters Gérard bemühte. Die fränkische Besatzung, die zur Bewachung der Stadt dort stationiert war, wies die duckmäuserischen Anerbieten der beiden bestimmt zurück und verlangte, sich direkt Saladin zu unterwerfen. An diesem Punkt war die Küste vollständig in muslimischer Hand, mit Ausnahme einzig von Tripolis und Tyros. Gaza wurde von den Tempelrittern verteidigt, doch weil ihre Ordensregel sie ihrem Großmeister gegenüber zu unbedingtem Gehorsam verpflichtete, würden die Tore der Stadt sich dank Gérards Intervention öffnen. Saladins Heer war am 4. September in Askalon eingezogen, exakt zwei Monate nach der Schlacht und begleitet von einer Sonnenfinsternis. Ausgerechnet an diesem Tag, den die geheimnisvolle Himmelserscheinung so denkwürdig machte, empfing der Sultan eine Delegation von Bürgern aus Jerusalem. Sie waren gekommen, um mit ihm über die Kapitulation der Heiligen Stadt zu verhandeln, die zu diesem Zeitpunkt bereits unumgänglich schien. Das Königreich hatte rundum niemanden mehr, der zu seiner Verteidigung hätte herbeieilen können. Der Graf von Tripolis, Raimund III., war im Sommer gestorben, vielleicht an den Folgen der Strapazen, die er in der Schlacht von Hattin und auf seiner unrühmlichen Flucht durchlitten hatte. Es trat nun ein unerwartetes Ereignis ein, das dem Sultan erneut die Möglichkeit bot, großzügige Milde walten zu lassen. In Tyros befand sich, zusammen mit einer großen Menge fränkischer Geflüchteter, Balian von Ibelin. Auf Saladins großherzige Haltung bauend, erbat er freies Geleit nach Jerusalem zu seiner Gemahlin, der byzantinischen Prinzessin Maria Komnena, die ihm mehrere Kinder geschenkt hatte. Sie war die frühere Gattin Amalrichs, des Königs von Jerusalem. Balian wurde tatsächlich freies Geleit gewährt, das jedoch nur für einen einzigen Tag Gültigkeit haben würde. Kaum war der Edelmann in der Stadt eingetroffen, wurde er von einer weinenden Menge Menschen umringt, die ihn anflehten, nicht wieder fortzugehen. Am Ende hinderten sie ihn mit Gewalt daran, das dem Sultan gegebene Wort einzuhalten. Balian sandte daraufhin zutiefst beschämt über den ungewollten Wortbruch einen Brief an den großmütigen Feind. Der verstand, verzieh und schickte sogar einen Begleitschutz nach Jerusalem, um die Dame und Balians Kinder (zusammen mit anderen Sprösslingen des Kreuzfahreradels) nach Tyros zu geleiten. Es heißt, der Sultan sei angesichts jener Kinder, deren Schultern viel zu schmal waren für ein derart großes Unglück, in Tränen ausgebrochen.

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Balian tat das Mögliche. Die Stadt quoll über vor Geflüchteten aus dem Umland, war aber ohne eigentliche Verteidiger. Selbst die Jüngsten, ja selbst Kaufleute musste man mit Waffen ausrüsten. Alles Geld der Stadt und sogar den Schatz des Heiligen Grabes setzte man für die Kosten der Verteidigung ein. Die Belagerung Jerusalems durch die muslimische Streitmacht dauerte indes nur wenige Tage, vom 20. September bis zum 20. Oktober. Am Ende wurde Balian von den völlig erschöpften Verteidigern gebeten, die Übergabe der Stadt auszuhandeln. Die Verhandlungen zogen sich hin, weil man sich nicht auf den Preis einigen konnte, den die Franken für die Unversehrtheit der Stadt entrichten sollten. Der Patriarch Heraclius führte bei seinem Abzug Wagenladungen von goldenem Tafelgeschirr mit, nachdem er sich geweigert hatte, seine Reichtümer dafür herzugeben, die Ärmsten der Stadt freizukaufen. Doch Templer und Johanniter wurden von Balian gezwungen, hohe Summen zur Verfügung zu stellen. Tausende von Unglücklichen, die niemanden hatten, der ihr Kopfgeld aufbringen würde, drohten in die Sklaverei verkauft zu werden. Der Bruder des Sultans, al-ʿĀdil, bat darum, dass man ihm 1000 dieser Elendigen überließ, und schenkte ihnen die Freiheit. Saladin gestand dem Patriarchen Heraclius weitere 700 zu und Balian noch einmal 500, die frei abziehen durften. Anschließend sorgte er dafür, dass alle Greise, Kinder und Frauen wie auch ihre gefangenen Ehemänner in Freiheit gesetzt wurden, und schenkte den Witwen und Waisen Geld, das aus seinem persönlichen Vermögen stammte. Der eine oder andere muslimische Würdenträger versuchte die Situation für sich auszunutzen, indem er ein paar der Freigelassenen einfing und sie mit einem neuen Kopfgeld belegte. Aber der Sultan wachte mit Strenge über allem und unterband solchen Missbrauch. Verglichen mit der Haltung des Sultans vermochten die frommen Christen nicht zu glänzen. In Tyros ließ man von den heranströmenden Flüchtlingen nur diejenigen ein, die waffentauglich waren und sich somit für die Verteidigung einsetzen ließen – Pech für all die anderen. Manch ein niederer lokaler Kreuzfahrerherr fiel auch noch über die Verstoßenen her und raubte ihnen die wenige armselige Habe. In Tripolis schlugen die fränkischen Stadtoberen dem unglücklichen flüchtigen Haufen die Stadttore vor der Nase zu. Auch in Antiochia gewährte man ihnen nur unwillig Einlass. Ein besseres Schicksal erwartete diejenigen, die sich nach Askalon gewandt hatten, das sich mittlerweile in der Hand eines ägyptischen Statthalters befand. Die italienischen Handelsschiffe im Hafen wollten nichts davon wissen, Leute mit an Bord zu nehmen, die sich die Rückreise nach Europa nicht leisten konnten, doch der Statt-

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halter erklärte kurzerhand, dass er ein Auslaufen der Schiffe verhindern werde, sollten sie sich weigern, die Flüchtlinge aufzunehmen. Kein Erbarmen zeigte man gegenüber den Symbolen eines Kultes, den die Muslime als unrein erachteten. Von der Umar-Moschee, dem Felsendom, wurde das große goldene Kreuz, das die Stadt überragte, herabgerissen. In der Al-Aqṣā-Moschee beseitigte man sämtliche Spuren, die von der langen Anwesenheit der Tempelritter zeugten, die hier ihr Hauptquartier gehabt hatten; dann wurde die gesamte Tempelanlage gereinigt und mit Rosenwasser parfümiert. In der Zwischenzeit ereigneten sich an der Küste Dinge, die den Franken Anlass zu neuer Hoffnung gaben. Am 13. Juli 1187 war in den Hafen von Akkon – das sich erst drei Tage zuvor den Muslimen ergeben hatte – ein genuesisches Schiff eingelaufen. Die Seeleute erklärten den Hafenaufsehern, sie hätten die Stadt froher Hoffnung angesteuert, um ihre Waren hier zu löschen, da sie wüssten, dass der Sultan diesen schönen Hafen in Besitz genommen habe. Die muslimischen Aufseher fanden daran nichts Ungewöhnliches. Dieses Schiff aber segelte, sobald der Wind es zuließ, schnell Richtung Norden davon und legte in der folgenden Nacht in einem anderen großen Hafen in der Nähe an – dem immer noch unter christlicher Besatzung stehenden Tyros. An Bord des Schiffes reiste ein interessanter Mann, Konrad von Montferrat, Sohn von Markgraf Wilhelm V. »dem Alten«. Letzterer, der nach dem Tod seines anderen Sohnes Wilhelm Langschwert ins Heilige Land gekommen war, um über die Geschicke seines Neffen Balduin V. zu wachen, war in der Schlacht von Hattin gefangen genommen worden. Konrad war also der Schwager von Königin Sibylle seitens ihres ersten Ehemannes, der eben Wilhelm Langschwert gewesen war. Um 1140 geboren, war Konrad ein Altersgenosse Saladins. Gemeinsam mit dem Vater hatte er sich in jungen Jahren den Italienfeldzügen Kaiser Friedrich Barbarossas angeschlossen, mit dem das Haus Montferrat – wie wir schon sagten – treu verbündet war. Später verließ er, nachdem er sich mit dem kaiserlichen Erzkanzler Christian von Mainz überworfen hatte, Italien und ließ sich in Konstantinopel nieder, wo sein jüngerer Bruder Rainer eine byzantinische Prinzessin geheiratet hatte. Nach Rainers Tod zeichnete sich für Konrad ein außergewöhnliches Schicksal ab: die Heirat mit Theodora, der Schwester des byzantinischen Kaisers Isaak II. Angelos. Doch eine Reihe von gegen die Ausländer gerichteten Aufständen, wie sie in der Hauptstadt des Kaiserreiches immer wieder ausbrachen, und auch Isaaks Feindseligkeit ihm gegenüber, von der ihn Theodora selbst unterrichtet hatte, ließen ihn zu dem Entschluss kommen, dass

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die Zeit reif sei für eine Veränderung. So kam es, dass er sich auf den Weg machte ins Heilige Land. Konrad, der von Konstantinopel aus losgesegelt war, hatte noch nicht erfahren, dass sein Vater am 4. Juli gefangen genommen worden war. Kaum aber hatte er die Küsten Palästinas erreicht, setzte man ihn über die Ereignisse in Kenntnis. In Tyros begrüßte man ihn wie einen Retter. In der schönen Stadt am Meer waren die Geflohenen aus Hattin und die aus Akkon zusammengetroffen. Es war bekannt, dass Saladin mit seinem Heer sehr bald vor den Mauern aufziehen würde, und man war bereit für die Übergabe der Stadt. Scheinbar stand Rainald von Sidon, der Kommandant der Zitadelle, bereits in Kontakt mit dem Feind, um die Kapitulation auszuhandeln. Doch der Herr von Montferrat erbat sich volle Handlungsmacht und erhielt sie auch: Bereits im August schlug er einen ersten Angriff der Sarazenen zurück, hielt die muslimischen Schiffe mithilfe pisanischer und genuesischer Seeleute in Schach und setzte sein eigenes Vermögen zur Wiederherstellung von Teilen der Stadtmauer ein. Anfang November nahm Saladin die Belagerung von Tyros wieder auf. Die Stadt bildete fast eine Insel im Meer und besaß nur auf einem kurzen Stück Mauern, die überhaupt vom Festland aus erobert werden konnten. Es war unmöglich, Tyros ohne Schiffe zu belagern. Herren auf dem Meer aber waren die pisanischen Schiffe, die die Belagerten mit Verpflegung versorgten, während Konrad kleine, mit Leder überspannte und mit Bogenschützen beladene Schiffe losschickte, die die Truppen der Belagerer an den Flanken unter Beschuss nahmen. Nicht einmal die als Verstärkung herbeigeholten Schiffe aus Akkon und Jebail vermochten die Verteidigung zu überwinden. In der Nacht vom 1. auf den 2. Januar 1188 gab der Sultan auf, verbrannte die Belagerungsmaschinen, brach sein Lager ab und kehrte nach Akkon zurück. Konrads Ruhm wurde legendär. Die Gelehrten bemerkten, dass einige seiner taktischen Finessen an Themistokles erinnerten, von dem sie laut Cornelius Nepos während der Perserkriege eingesetzt wurden. Der Volksmund erzählte lieber, wie Saladin ihm eines Tages keinen Geringeren als seinen Vater, den alten Markgrafen Wilhelm, als Gefangenen vorgeführt habe. Konrad soll geantwortet haben, dass er im Tausch für seinen Vater »nicht einmal ein Steinchen der Mauern von Tyros« hergeben würde und dass er, wenn nötig, nicht zögern würde, auch den Vater erschlagen zu lassen, »der schon alt war und lange genug gelebt hatte«. Das klingt wie eine Geschichte aus dem alten Rom – und dennoch aus dem Munde eines zum Widerstand entschlossenen Mannes gar nicht so unglaubwürdig.

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Die Abbildungen auf den vohergehenden Seiten zeigen Gemälde der Salles des Croisades im Schloss Versailles, die Louis-Philippe I. 1843 zur propagandistischen Verherrlichung der Kreuzzüge in Auftrag gab: – Gottfried von Bouillon leistet den Eid vor Alexios I. Komnenos, Alexandre Hesse. – Die Einnahme von Jerusalem, Émile Signol, 1847. – Die Schlacht von Askalon am 12. August 1099, Jean-Victor Schnetz, 1847. – Die Einnahme von Tripolis im Jahr 1100, Charles-Alexandre Debacq, 1842. – Ludwig VII. nimmt in Saint-Denis im Beisein von Eleonore von Aquitanien die Oriflamme, das Kriegsbanner der französischen Könige, und erhält von Papst Eugen III. Pilgerstab und Pilgertasche, JeanBaptiste Mauzaisse, 1839. – Die Übergabe der Stadt Ptolemais (Akkon) an Philipp August und Richard Löwenherz am 13. Juli 1191, Merry-Joseph Blondel, 1840, Ausschnitt: Auszug der Muslime.

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Kapitel sechs

Der Kreuzzug der Könige Die Rückeroberung Jerusalems Seit geraumer Zeit versuchte Konrad von Montferrat, eingeschlossen in den Mauern von Tyros, eine wie auch immer geartete Wiedereroberung zu organisieren. Im Sommer 1188 hatte Saladin entschieden, Guido von Lusignan freizulassen, der sich zunächst nach Antiochia und dann nach Tripolis begeben hatte, um auf Verstärkung aus dem Westen zu warten. Konrad konnte seinem Rivalen unmöglich freie Hand lassen. Zu Recht oder zu Unrecht sah er sich als rechtmäßigen Nachfolger seines verstorbenen Neffen Balduin V. auf dem Jerusalemer Thron. Und sollten diese Ansprüche aus juristischer Sicht auch anfechtbar sein, so waren die auf politischer und militärischer Ebene errungenen Verdienste und die daraus resultierenden Anrechte ungleich solider. Die adligen Herren im Heiligen Land betrachteten ihn als ihren natürlichen, unbestrittenen Führer. Guido hingegen habe, so wurde argumentiert, die Krone zumindest moralisch verwirkt, als er in Hattin gefangen genommen worden war, ehrlos sein Haupt vor dem Sultan geneigt und den Verlust der Heiligen Stadt in Kauf genommen hatte, um mit dem Leben davonzukommen. Wo war der König, der sie hätte verteidigen sollen, als das goldene Kreuz von der Kuppel des templum Domini herabgeholt worden war? Aber auch Konrad hatte sein Aktionismus zahlreiche Gegner eingebracht: Sowohl die Ritterorden als auch die pisanischen Kaufleute und Kolonisten begannen sich Sorgen zu machen und stellten sich auf die Seite von Guido, dem man im Frühjahr 1189 die Tore von Tyros ohne viel Federlesen vor der Nase zugeschlagen hatte. Im August fanden sich die europäischen Kreuzfahrer versammelt vor den Mau-

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Kapitel sechs 

ern von Akkon ein, wo sich auch Guido aufhielt, und belagerten den bereits damals größten Hafen im Heiligen Land. Im Herbst 1190 starb nicht nur Königin Sibylle, sondern auch die beiden Töchter, die sie Guido geschenkt hatte. Da die Krone von Jerusalem auch über die weibliche Linie vererbbar war, hätte sie nicht an Lusignan, sondern an Isabella, Sibylles Halbschwester, gehen müssen, weil sie beide Töchter von Amalrich waren. Ein Teil des Adels – darunter Balian von Ibelin, der Jerusalem 1187 so couragiert verteidigt hatte und der als Ehemann von Maria Komnena Stiefvater der blutjungen Isabella war – opponierte gegen die Ehe zwischen der Edeldame und Humfried von Toron, zumal sie keine Früchte getragen hatte. Man entführte Isabella aus ihrem Zelt und übergab sie Konrad, während gleichzeitig ihre 1183 mit Humfried geschlossene Ehe für ungültig erklärt wurde. Dies war ein Racheakt gegen Humfried, der 1186 –

Philipp II. und sein Heer brechen zum dritten Kreuzzug auf, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Philipp II. bei seiner Ankunft in Palästina, Miniatur von 1332–1350 aus den Chroniques de SaintDenis, Royal MS 16 G VI, fol. 350v, London, British Library.

vielleicht auf Betreiben seines schrecklichen Stiefvaters Rainald von Châtillon – Guido als König anerkannt hatte. Wie stand es aber um die Gültigkeit der Ehe zwischen Isabella und Konrad, die ja beide bereits in Griechenland verheiratet waren? Ungeachtet der schweren Bedenken des Erzbischofs von Canterbury, die dieser in Vertretung des Patriarchen von Jerusalem äußerte, hatten die politischen Interessen hier allemal mehr Gewicht als jede andere Überlegung. Guido dachte jedenfalls nicht daran, seine Ansprüche aufzugeben, zumal die Berichte über die Mobilisierung des Westens beruhigend waren. Die Nachricht vom Fall Jerusalems erreichte die westliche Welt Ende Oktober 1187. Der greise Papst Urban III. soll am 20. desselben Monats vor Kummer gestorben sein. Zu den ersten Amtshandlungen seines Nachfolgers Gregor VIII., dessen Pontifikat weniger als zwei Monate dauern sollte, gehörte die Veröffentlichung der Bulle Au­ dita tremendi am 29. Oktober, die eine neue Expedition ankündigte. Denjenigen, die das Kreuz nehmen würden, sicherte der Papst im Kielwasser der Quantum praedecessores von 1145 einen vollständigen Ablass sowie den Schutz ihres Eigentums durch die Kirche zu. Dass Jerusalem fallen musste, begründete man mit nos­ tris peccatis exigentibus, was von nun an zur festen Überzeugung werden sollte: Nur durch die Reue der gesamten Christenheit würde es möglich sein, Jerusalem zurückzuerobern. Mit allem Nachdruck bat Konrad von Montferrat, der den Erz-

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Kapitel sechs 

bischof von Tyros, Joscius, an der Spitze einer Delegation nach Europa entsandte, um Hilfe für das bedrängte Königreich. Er schrieb Briefe an Kaiser Friedrich Barbarossa, den König von England, an König Béla von Ungarn, an die Pisaner und die Genuesen und ließ sogar ein Gemälde anfertigen, das einen Sarazenen bei der grausamen Schändung des Heiligen Grabes zeigte. Es sollte als Prozessionsbild durch die Städte Europas getragen werden. Erste Resultate ließen nicht lange auf sich warten: Schon wenige Monate später schickte Wilhelm II., König von Sizilien, nach feierlich abgelegter Buße eine Flotte von sechzig Galeeren mit 200 Rittern an Bord nach Tyros und Tripolis. Wohl vermochte sie nicht viel auszurichten, sondern scheint vielmehr die allgemeine Verwirrung noch verstärkt zu haben, setzte aber ein mehr als deutliches Zeichen. Im Winter 1188 reiste Joscius nach Gisors weiter und traf dort mit Heinrich II. von England und Philipp II. von Frankreich zusammen. Die Stadt lag an der Grenze zwischen den Ländern des französischen Königs und der Normandie, deren Herzog der englische König war (und damit Vasall des französischen Königs, was die Situation verkomplizierte). Bei dieser Gelegenheit beschlossen die beiden Herrscher, das Kreuz zu nehmen, begannen ihre Unternehmung aber gleich mit der Erfindung einer neuen Steuer zur Finanzierung des Vorhabens, die man dem Anlass entsprechend als Saladinszehnten titulierte. Einer durchaus fragwürdigen Quelle zufolge wurde außerdem beschlossen, dem Kreuzzugsabzeichen – sprich dem Kreuz – je nach Nation eine andere Farbe zu geben: Rot für die Franzosen, Weiß für die Engländer, Grün für die Flamen. Das zwischen Engländern und Franzosen herrschende Misstrauen und dynastische Rangfragen, die mit dem Zerwürfnis zwischen den Söhnen Heinrichs und Eleonores von Philipp II. von Frankreich und Heinrich II. von England nehmen das Kreuz, Miniatur von 1332–1350 aus den Chroniques de Saint-Denis, Royal MS 16 G VI, fol. 344v, London, British Library.

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Christian Siedentopf, Kaiser Friedrich I. Barbarossa, 1847, Frankfurt am Main, Römer.

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Kapitel sechs 

Aquitanien, Richard und Johann, zusammenhingen, sowie Heinrichs Tod am 6. Juli 1189 und Richards Krönung im September verzögerten die Organisation dieses »dritten Kreuzzuges«. Auch der König von Frankreich brannte nicht unbedingt auf den Aufbruch. Die Expedition ins Heilige Land trat gemessen an seinem Hauptanliegen, der Vergrößerung des kapetingischen Herrschaftsgebietes, in den Hintergrund. Der dreißigjährige Richard hingegen, der zwei Jahre zuvor in Tours gegen den Widerstand seines um die Nachfolge besorgten Vaters sein Kreuzzugsgelübde abgelegt hatte, ergriff die Gelegenheit, sich zu profilieren. Heinrich selbst hatte fünfzehn Jahre zuvor gelobt, sich auf den Weg in den Osten zu machen, sich dann aber gegen große Geldsummen freigekauft, die in den schwierigsten Momenten zur Finanzierung der laufenden Auseinandersetzungen dienten. Erst im Spätsommer 1190 brachen Engländer und Franzosen auf, wobei beide den Seeweg wählten: Erstere starteten von Marseille, Letztere zogen nach Genua, wo sie erkleckliche Summen für die Anheuerung der notwendigen Schiffe verausgabten. Mitte September trafen die Flotten in Messina zusammen und stachen Richtung Osten in See. Zuvor hatte Richard die sizilianische Etappe dafür genutzt, den normannischen Hof zur Freigabe seiner Schwester Johanna zu zwingen. Als Witwe von Wilhelm II. aus dem Hause Hauteville war sie Gefangene von Tankred, dem Grafen von Lecce und leiblichen Sohn Rogers III. von Apulien. Der nämlich stand in offenem Konflikt zu den Aspirationen Heinrichs VI. auf die sizilianische Königskrone: Heinrich, Sohn von Friedrich Barbarossa, hatte die nach dem Tod ihres Vaters König Roger II. von Sizilien geborene Konstanze geheiratet. Bei derselben Gelegenheit löste Richard sein Eheversprechen mit der Halbschwester Philipps II. und brachte die Situation damit endgültig zum Kochen. Während der Weihnachtsfeiertage wurde Messina von den Kreuzfahrertruppen, die wild entschlossen waren, sich gegenseitig zu bekriegen, in die Zange genommen – die Expedition begann auf denkbar schlechteste Weise. Ab Frühjahr war das Meer wieder schiffbar: Philipp segelte am 30. März los und kam am 20. April in Akkon an; Richard, der etwa zehn Tage später aufbrach, musste wegen schlechten Wetters auf Zypern Zuflucht suchen, das seinerzeit Isaak Angelo unterstand, einem griechischen Aristokraten, der sich gegen die Dynastie der Komnenen aufgelehnt und selbst zum Kaiser der Insel ausgerufen hatte. Unter dem Vorwand eines Angriffs der zypriotischen Truppen auf die Schiffe seiner Flotte beschloss der König, die Hauptstadt Limassol zu stürmen, die am

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6. Mai 1191 fiel. Am Ende des Monats war die gesamte Insel in seiner Hand. Später würde Richard die Insel an die Tempelritter verkaufen, die sie wiederum an Guido von Lusignan abtraten, dessen Familie zu den Vasallen des englischen Königs auf französischem Boden gehörte.

Barbarossas Kreuzzug Konrad von Montferrat weigerte sich, Richard in Tyros aufzunehmen, den er der Unterstützung Guido von Lusignans zieh. Die Engländer nahmen also Kurs auf Akkon, das sie am 8. Juni, ganze fünfundvierzig Tage nach den Franzosen, aber noch rechtzeitig erreichten, um an den letzten Vorbereitungen für die Belagerung mitzuwirken. Vor den Mauern der Stadt hatte sich eine gewaltige Menge von Kämpfern gesammelt, viele davon aus Italien: Pisaner, Genuesen und Venezianer natürlich, aber auch Männer aus Amalfi, Bologna, Brescia, Cremona, Florenz, Parma, Pistoia und Verona. Nur einer glänzte durch Abwesenheit, er, der als einer der Ersten aufgebrochen war, sehnlichst erwartet wurde und vielleicht allein durch sein Prestige Ordnung in das konfuse, uneinige Kreuzfahrerheer hätte bringen können: Kaiser Friedrich. In seiner Jugend hatte er im Gefolge seines Onkels Konrad III. von Hohenstaufen am zweiten Kreuzzug teilgenommen. Seit seiner Kaiserkrönung 1152 hatte er jedoch wenig Zeit, sich der Orientfrage zu widmen, da er alle Hände voll zu tun hatte, seine Rechte an Norditalien zurückzuerobern. Dennoch entsprach die Idee, Jerusalem zu verteidigen und sich an die Spitze einer Expedition ins Heilige Land zu stellen, voll und ganz seiner Vorstellung von kaiserlicher Macht. In dem zeitgenössischen geistlichen Spiel Ludus de Antichristo wird der Kaiser als Protagonist einer bewaffneten Pilgerfahrt nach Jerusalem dargestellt, wo er die Insignien seiner Herrschaft am Grabfelsen ablegt, gegen den Antichrist kämpft und damit das Ende der Welt und das Jüngste Gericht vorwegnimmt. Den Chroniken zufolge hatte eine glühende Predigt des Bischofs Heinrich von Straßburg Friedrich im Dezember 1187 tief beeindruckt. Am liebsten wäre er demnach sofort ins Heilige Land aufgebrochen, musste seine Reise aber noch einige Monate lang aufschieben, um innere Angelegenheiten des Reichs zu regeln. Am 27. März 1188 berief er in Mainz einen Reichstag ein, den er als curia Iesu, einen Hoftag Jesu also, bezeichnete. Das sollte bedeuten, dass nicht er, son-

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Friedrich I. Barbarossa im Gewand des Kreuzfahrers, Zeichnung nach einer Miniatur aus der Historia hierosolymitana von Robert dem Mönch, 1188. Man beachte das Pilgerkreuz auf der kaiserlichen Chlamys und die Kreuzsymbolik auf Schild und Reichsapfel (globus cruciger).

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dern Christus selbst der Versammlung vorsaß. Es war der vierte Fastensonntag, der Sonntag, an dem die Messe mit den Worten Laetare, Jerusalem (Freue dich, Jerusalem!) anhob. Der Kaiser heftete sich das Kreuzzeichen ans Gewand und übertrug seinem Sohn Heinrich die Regierungsgeschäfte im Reich. Dann verkündete er den Tag, auf den der Aufbruch des kaiserlichen Heeres festgesetzt war: am Georgstag, dem 23. April 1189. Am 10. Mai 1189 erreichte Friedrich Regensburg, wo ihn etwa 15 000 Mann erwarteten. Nachdem Herolde ausgesandt worden waren nach Ungarn, Serbien, Byzanz und zum türkischen Sultan von Iconium, um anzukündigen, dass die kaiserlichen Truppen durch ihre Gebiete ziehen würden, setzte das Heer sich in Bewegung. Die Route war genau festgelegt worden. Man würde über den Balkan ziehen und dabei einem Weg folgen, den der Kaiser bereits vierzig Jahre zuvor, zur Zeit des zweiten Kreuzzuges, eingeschlagen hatte. Anders als damals würden sie diesmal allerdings nicht entlang der Küste ziehen, sondern wie die Kreuzfahrer in den Jahren 1097/98 die anatolische Halbinsel durchqueren. Laut schallend verbreitete sich die Kunde der gewaltigen Unternehmung. Den Landweg wählte man vielleicht, weil man ihn für schneller hielt – die Organisation einer Flotte war zu jener Zeit ausgesprochen langwierig und teuer –, oder auch, weil man weder den Schiffen noch ihren Mannschaften vertraute. Sicher ist, dass der Kaiser die österreichischen und ungarischen Gebiete durchquerte, von König Béla III. empfangen wurde und Ende Juni Belgrad erreichte. Die Disziplin war eisern, doch je weiter man auf byzantinisches Gebiet vordrang, häuften sich die Überfälle durch Räuberbanden. Außerdem begann das Gerücht zu kursieren, dass der Kaiser von Konstantinopel, Isaak II. Angelos, mit Saladin ein Bündnis geschlossen habe, um die Kreuzfahrer daran zu hindern, das Heilige Land zu erreichen  – ein Pakt, der tatsächlich existierte. Isaak gedachte die Armee mit allen Mitteln am Einmarsch in die Hauptstadt zu hindern. Das Ausbleiben benötigter Vorräte führte in Philippopolis – dem heutigen Plowdiw – zu brutalen Plünderungen. Friedrichs Truppen schlugen ihr Winterlager bei Adrianopel auf, in einer Anordnung wie zu einer Belagerung. Nach ausgesprochen zähen Verhandlungen, die Friedrich ernsthaft erwägen ließen, die italienischen Seestädte um Hilfe für einen Angriff auf Konstantinopel zu bitten, erklärte sich Isaak bereit, den Franken eine Flotte zur Verfügung zu stellen, die sie über den Hellespont an die kleinasiatische Küste bringen würde.

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Das aufwändige Übersetzen über die Meerenge begann am 21. März 1190 und dauerte eine Woche lang. Im Frühjahr durchquerten die deutschen Kontingente Anatolien und stießen dabei auf wenig Widerstand der Seldschuken, deren Sultan Kılıç Arslan II. mit Nachfolgestreitigkeiten in der eigenen Familie Friedrich I. Barbarossa ertrinkt im Fluss Saleph in zu kämpfen hatte. Die Hauptstadt Kilikien, Miniatur, um 1250. Iconium fiel am 23. Mai nach kurzer Belagerung. Die Nachricht verbreitete sich in Windeseile und drang bis zu Saladin vor, der mit seinem Heer vor Akkon lag. Ende des Monats war Friedrich in Karaman an der Grenze zum ar-

Julius Schnorr von Carolsfeld, Die Schlacht von Iconium, 1190, Zeichnung von 1835.

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menischen Kilikien. Vor den bewaffneten Pilgern lag nun ein Gebiet voller Berge, Schluchten und tiefer, reißender Flüsse. Am 10. Juni, einem Sonntag, erreichte der Kaiser, der damals fast siebzig Jahre alt war, inmitten des anstrengenden Marsches in Richtung Seleucia die Ufer des Flusses, den die Türken Göksu und die Araber Saleph nannten. Man weiß nicht genau, was passierte. Wollte er wegen der Hitze baden und bekam durch die Kälte des Wassers einen Herzinfarkt? Oder wurde er womöglich vom Gewicht der Rüstung nach unten gezogen und dann von den Strudeln mitgerissen? So jedenfalls starb der Mann, der Saladin hätte erzittern lassen können, durch einen jener Zufälle, in denen sich das Unwägbare der Geschichte mit voller Wucht offenbart. Verstört entschlossen sich viele seiner Gefolgsleute zur Umkehr und verließen das Heer. Diejenigen, die sich an ihr Gelübde gebunden fühlten, machten sich unter Führung von Herzog Friedrich von Schwaben, dem Sohn des Herrschers, traurigen Schrittes auf den Weg nach Antiochia, obgleich Hitze und Krankheiten die Truppen so drastisch reduzierten, dass alle Anstrengung vergeblich war. Der junge Fürst erreichte Akkon im Oktober 1190, aber auch er starb einige Monate später. Der deutsche Kreuzzug war vorbei.

Ein König für ein Königreich In der Zwischenzeit war die Belagerung von Akkon unvermindert weitergegangen. Unter den christlichen Streitmächten hatten sich zwei Lager gebildet  – das eine stand auf der Seite Guidos, das andere auf der Konrads  –, um die sich die zahlreichen Kontingente sammelten. Johanniter und Genuesen ergriffen Partei für Konrad und den König von Frankreich. Templer, Pisaner und Venezianer hingegen hatten keine Bedenken, Guidos Ansprüche zu unterstützen. Konrad gestand den Genuesen daraufhin weitreichende Privilegien in seiner Stadt Tyros zu, während Pisaner und Venezianer hauptsächlich um Akkon konkurrierten. Die Stadt kapitulierte am 12. Juli 1191, obwohl Saladin im letzten Moment einen halbherzigen Versuch zur ihrer Rettung unternahm. Als Hauptstadt des sogenannten zweiten Königreichs wurde Akkon vorübergehend den beiden englischen Herrschern unterstellt, die ein Schiedsgericht abhalten sollten, das entscheiden würde, wem die Krone von Jerusalem zuzusprechen sei. Das Urteil erging am 28. August. Es war ein Kompromiss, der besagte, dass Guido von Lusignan die Königswürde bis zu seinem Tod behalten

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Belagerung von Akkon, 1189–1191, Miniatur aus dem Manuskript 828, fol. 3, Lyon, Bibliothèque municipale.

Philipp II. und Richard Löwenherz nehmen die Schlüssel von Akkon entgegen, Miniatur aus den Grandes chroniques de France, 14. Jh., Paris, Bibliothèque nationale de France.

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und die Krone anschließend an Isabella und Konrad oder ihre Nachkommen übergehen sollte. Das auf einen schmalen, an die Küste gedrängten Landstreifen zusammengeschrumpfte Königreich Jerusalem sollte zwischen den beiden Parteien aufgeteilt werden: Jaffa und Askalon im Süden würden an Guidos Bruder Gottfried von Lusignan gehen; im Norden hingegen sollten Tyros, Sidon, Beirut und die Hälfte von Akkon, die dem König von Frankreich zugesprochen worden war, an Konrad fallen. König Philipp August von Frankreich hatte derweil die Nachricht über den schlechten Gesundheitszustand seines Thronfolgers erreicht. Zudem erkannte er, dass mit dem Tod Philipps I. von Flandern in der Schlacht um Akkon die Machtspiele um die Kontrolle der begehrten Grafschaft Flandern wieder eröffnet waren. Er beschloss daher, den Schauplatz des Geschehens zu verlassen und Hugo II., Herzog von Burgund, die Krieger und die Mittel anzuvertrauen, um in seinem Namen zu handeln. Von seinem Gelübde sah er sich entbunden. Diese Entscheidung rief viel Kritik hervor, deren Nachhall lang war, wie es noch zu Beginn des 14. Jahrhunderts die Missbilligung durch Johannes von Joinville, den Biographen Ludwigs IX., zeigt. Während die Gestalt Guidos von Lusignan verblasste und immer mehr in den Hintergrund geriet, blieben die eigentlichen Protagonisten des Kreuzzuges Konrad und Richard: so kalt und berechnend der eine, so sprunghaft und ungestüm der andere. Der König von England war ein großartiger Krieger (der Beiname »Löwenherz« kam nicht von ungefähr), aber ein mittelmäßiger Heerführer und schlechter Politiker. Seine leidenschaftliche, zum Jähzorn neigende Natur sorgte ununterbrochen für Wutausbrüche, die sich mit Anwandlungen tiefer Niedergeschlagenheit abwechselten. Er hatte gelobt, Jerusalem zurückzuerobern, und obwohl er allen Grund zur Sorge hatte, was während seiner Abwesenheit in England geschehen könnte, dachte er nicht daran, sein Wort zu brechen. Mit Saladin verhandelte er über die Herausgabe der Reliquie des Wahren Kreuzes, für die er im Tausch etliche in Akkon gefangen genommene Geiseln anbot. Nach dem Scheitern der Verhandlungen ordnete er in einem unbändigen Zornesausbruch ihre Hinrichtung an – es sollen etwa 3000 gewesen sein – und ließ sie vor den Augen des muslimischen Heeres töten, das hilflos von seinem Lager aus der Gräueltat zusehen musste. Ende August 1191 beschloss er, von Akkon aus an der Küste entlang nach Jaffa zu ziehen, von dort ins Landesinnere vorzudringen und Jerusalem anzugreifen. Auf dem Weg kam es zu zahlreichen Überfällen durch die muslimische Reiterei. Am 7. September erfolgte in der Nähe von Arsuf ein

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Dominique Papety, Die Belagerung von Akkon im Jahr 1291, 1840, Schloss Versailles, Salles des Croisades. Der Marschall der Johanniter, Wilhelm von Clermont, verteidigt die Stadtmauer.

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Richard Löwenherz wohnt dem Massaker an den muslimischen Gefangenen bei, Miniatur von Jean Colombe, aus: Sébastien Mamerot, Les Passages d’outremer, um 1474, Paris, Bibliothèque nationale de France.

weiterer Angriff, den die Nachhut, gebildet von einem großen Kontingent Johannitern, erwiderte und sich dann auf die feindlichen Truppen stürzte. Weil er befürchtete, das gesamte Heer könne zerfallen, entschloss sich der König zu einem Wechsel der Taktik. Er befahl den Rittern, sich im Sturmlauf kompakt gegen den Feind zu werfen und dafür die weite Ebene vor der Stadt auszunutzen. Die Maßnahme erwies sich als erfolgreich und stellte einmal mehr die Tapferkeit der christlichen Reiterei unter Beweis. Hattin wurde zwar nicht gerächt, doch sorgte der Sieg dafür, die Moral zu heben und den Funken der Hoffnung neu anzufachen. Der Armee gelang es, Jaffa zu erreichen. Sie waren jetzt nur noch zwei Tagesmärsche von Jerusalem entfernt. Saladin hatte indes Befehl gegeben, die Befestigungsanlagen von Askalon zu zerstören, weil er eine Einnahme der Stadt durch die Kreuzfahrer befürchtete. Dann beschloss er, auf die Waffen der

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Kapitel sechs 

Diplomatie umzuschwenken, wohl wissend, dass sein Feind früher oder später nach Hause zurückkehren musste. Die Verhandlungen wurden seinem Bruder al-ʿĀdil, »dem Gerechten«, anvertraut, den der Westen als Saphadin kennt. Mehrfach hatte dieser Gelegenheit, das christliche Lager aufzusuchen. Richard forderte die Rückerstattung Jerusalems und des zugehörigen Territoriums sowie die Herausgabe der bei Hattin erbeuteten Reliquie des Wahren Kreuzes. Doch die Annahme des Vorschlags hätte in der Umma, wo Saladin mittlerweile als Meister des Dschihad galt, einen Skandal ausgelöst, weshalb er dann auch abgelehnt wurde. Die Verhandlungen dauerten den ganzen Winter über an. Der christliche Herrscher bat Konrad von Montferrat um Hilfe, der nach

Die Eroberung von Akkon durch Guido von Lusignan im dritten Kreuzzug, Miniatur aus dem Speculum maius des Vinzenz von Beauvais, 1244, Chantilly, Musée Condé.

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seinem gescheiterten Versuch, Akkon einzunehmen, nach Tyros zurückgekehrt war und nicht zögerte, die Karten an zwei Tischen zu mischen. Einerseits hielt er Richard in der offensichtlichen Absicht hin, ihn zu einer Aufgabe der Causa Lusignan zu bewegen; andererseits ließ er Saladin wissen, dass er zu einem Waffenstillstand, vielleicht sogar zu einem Bündnis bereit war. Derweil schleuste er geschickt agierende Agenten in die Reihen Richards ein, um so viele Kämpfer wie möglich davon zu überzeugen, dass der von ihrem König angeführte Feldzug aussichtslos sei. Es dauerte in der Tat nicht allzu lange, bis diese Einsicht die Oberhand gewann. Durch die Nachrichten aus England unter Zeitdruck geraten, berief Richard am 13. April einen Rat der Barone des Heiligen Landes ein, die er über seine baldige Abreise informierte. Zugleich sicherte er ihnen zu, dass er ein ausreichendes Kontingent seiner Truppen im Heiligen Land zurücklassen werde. Was die Barone aber eigentlich wünschten, war ein verlässlicherer Herrscher als Guido. Selbst diejenigen, die bis dahin der Fraktion von Lusignan angehört hatten, waren dieser Auffassung. Richard blieb nichts anderes übrig, als sie des Wankelmuts zu bezichtigen und einen Boten nach Tyros zu schicken, um Konrad die ersehnte Ankündigung überbringen zu lassen, dass er König werden würde. Guido stellte der englische König die Herrschaft über die Insel Zypern in Aussicht, von der die Templer kürzlich zurückgetreten waren. Saladin benötigte den Frieden ebenso dringend. Angehörige seiner eigenen Familie und das, was von der Zengiden-Dynastie übrig geblieben war, bereiteten ihm sowohl in Syrien als auch in Mesopotamien beträchtliche Schwierigkeiten. So beschloss er, zumindest mit Konrad unverzüglich Friedensverhandlungen aufzunehmen. Am 24. April trafen seine Gesandten in Akkon ein, um Montferrat den Abschluss eines entsprechenden Vertrages vorzuschlagen, erlebten aber eine böse Überraschung: Im Austausch für die Krone von Jerusalem hatte Konrad sich formell zur Fortsetzung des Krieges verpflichtet. War dies wirklich seine Absicht oder nur ein Versuch, Richard ruhigzustellen und seine Abreise zu beschleunigen? Wir werden es nie erfahren. Seine Herrschaft war jedenfalls von kurzer Dauer. Am 28. April wurde der neu gewählte König auf dem Rückweg von einem Abendessen, das der Bischof von Beauvais gegeben hatte, von zwei gedungenen Mördern, die zumindest laut eigener Aussage Angehörige des nizaritischen Geheimbundes waren, mit Dolchen angegriffen und erstochen. Über die möglichen Auftraggeber des Mordes wurde ausführlich spekuliert. Neben Saladin kommt vor allem Lusignan infrage, dem Konrad verhasst war. Verabscheut wurde er aber auch von Humfried von Toron, dem er die Frau und mit

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Kapitel sechs 

ihr die Rechte auf den Thron genommen hatte und den er als unfähigen Toren hatte dastehen lassen. Der Leichnam des Mannes, der nur für so kurze Zeit König von Jerusalem gewesen war, wurde bei den Johannitern im Hospital des heiligen Johannes beigesetzt (nach anderen Angaben in der Kirche zum Heiligen Kreuz). Unterdessen gestanden die beiden Attentäter – die offenbar zum Schein zum Christentum übergetreten waren, um in Konrads Dienste zu gelangen, was bedeuten würde, dass das Komplott von langer Hand geplant war – unter der Folter, dass der wahre Anstifter kein Geringerer als der König von England gewesen sei. Angesichts der Widersprüchlichkeit der Quellen, von denen jede auf die Entlastung ihrer »Seite« abzielte, empfiehlt es sich nicht, Hypothesen aufzustellen. Natürlich nutzte Richard das Verbrechen, um das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden, indem er für Isabella eine dritte Ehe arrangierte, diesmal mit dem ihm gewogenen Grafen Heinrich von Champagne, der das Königreich bis 1197 regieren würde. Der war nicht irgendjemand, sondern Sohn der Maria von Champagne, der mächtigen Gönnerin von Chrétien de Troyes, dem Erzähler der Contes du Graal, die wiederum aus der ersten Ehe von Eleonore von Aquitanien mit dem französischen König Ludwig VII. stammte. Maria war also König Richards Halbschwester und Heinrich der Mann, der die französischen und englischen Interessen im Heiligen Land miteinander versöhnen konnte. Das Heilige Land brauchte mehr denn je eine starke Führung und die Entscheidung für Heinrich war eine gute Wahl. Ist es von Bedeutung, dass Herzog Leopold V. von Österreich, ein Vetter Konrads, der an der Belagerung von Akkon teilgenommen hatte, den englischen Herrscher bei seiner Rückkehr vom Kreuzzug gefangen nahm? Durchaus möglich. Ebenso gut könnte die Anklage wegen Mordes aber auch nur als Vorwand gedient haben. Man sollte auch nicht zu sehr darauf abheben, Richard sei zwar ein großer Krieger, aber ein konfuser Stratege gewesen. Es ist zutreffend, dass sein Verhalten im Osten Verwunderung ausgelöst hat. Auch hier war die Rede von improvisierten Lösungen, überstürzten Schritten und grausamen Entscheidungen. Hätte er Jerusalem nicht doch einnehmen können? Stattdessen mühte er sich, die küstennahen Festungen zu verstärken und Verbindungstraßen zu sichern. War das Unentschlossenheit? Oder eine kluge, wenn auch unpopuläre Entscheidung, da die Rückeroberung der Heiligen Stadt ohne die notwendige Kontrolle über das Territorium und reichhaltige Wasserressourcen sinnlos gewesen wäre? Und warum machte er so viel Aufhebens um den Hafen von Askalon? Erwog er womöglich einen Angriff auf Ägypten? Die Eroberung Ägyptens war sicher ein lang gehegter Wunsch der Kreuzfahrer, und das Land am Nil sollte im folgenden Jahrhundert im Mittelpunkt

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der Rückeroberungsphantasien der versammelten Christenheit stehen. Saladin, der seinen Feldzug gegen die Kreuzfahrer ausschließlich auf Syrien ausgerichtet hatte, hätte ein solches Manöver in Verlegenheit gebracht.

Weder Gewinner noch Verlierer Der englische König setzte seinen Kampf gegen den Sultan weiter fort. Er sicherte sich den Besitz von Askalon, erkrankte dann jedoch Mitte August schwer. Außerdem erreichten Richard Nachrichten aus Europa, die ihn zunehmend beunruhigten. Am 2. September unterzeichneten Vertreter an seiner Stelle einen Waffenstillstand für drei Jahre und acht Monate: Die Franken würden die Kontrolle über die Küste zwischen Tyros und Jaffa behalten; Ramla und Lydda sollten im Kondominat (munāṣafa) verwaltet werden; Askalon hingegen würde unter der Auflage, dass die Befestigungsanlagen der Stadt wieder geschleift wurden, an die Sarazenen zurückgegeben. Jerusalem sollte in muslimischer Hand bleiben, doch war den Christen

James William Glass, Richard Löwenherz auf dem Weg nach Jerusalem, 1854, Privatsammlung.

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während des Waffenstillstands freier Zugang zur Stadt gewährt, um ihr Gelübde erfüllen zu können. Viele Kreuzfahrer, die nach Oktober 1187 ins Heilige Land kamen, nutzten diese Gelegenheit, um ihre Pilgerreise zum Abschluss zu bringen. Mehr ließ sich vorerst nicht ausrichten. Richard, der ungeachtet der vielen Legenden Saladin nie persönlich begegnet ist, weigerte sich, die heiligen Stätten aufzusuchen – vielleicht, weil er die Niederlage nicht eingestehen wollte, oder doch eher aufgrund seines schlechten Gesundheitszustands. Am 9. Oktober schiffte er sich von Akkon aus nach Europa ein, wo ihn lange Monate der Gefangenschaft erwarteten, zunächst im Verlies des Herzogs von Österreich, dann auf der Reichsburg Kaiser Heinrichs VI. Von hier wurde er am 4. Februar 1194 gegen Zahlung von 150 000 Kölner Silbermark freigelassen: eine ungeheure Geldsumme, die seine Mutter Eleonore eigens dafür zusammengebracht hatte. Es blieben ihm noch fünf Jahre zum Leben, Kämpfen und Herrschen. Keine der beiden Seiten konnte von sich behaupten, gewonnen zu haben. Die Region blieb territorial aufgesplittert zwischen lateinischen und sarazenischen Herrschaftsgebieten. Fast die Gesamtheit der politischen, wirtschaftlichen, militärischen und kirchlichen Institutionen des Königreichs wurde nach Akkon verlegt,

Jacopo Palma der Jüngere, Die Einnahme von Konstantinopel 1204, um 1600, Venedig, Dogenpalast.

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Domenico Tintoretto, Der Fall oder die zweite Einnahme von Konstantinopel, 1598–1605, Venedig, Dogenpalast.

das zur neuen Hauptstadt wurde. Heinrich von Champagne nahm gleich nach seinem Amtsantritt die friedensfördernde Entspannungspolitik wieder auf, die viele Kreuzfahrerfürsten verfolgt hatten. Eine seiner ersten Amtshandlungen soll darin bestanden haben, den Sultan um die Gabe eines muslimischen Ehrengewandes zu bitten. Auch der inzwischen 55 Jahre alte Saladin spürte allmählich die Last eines auf Schlachtfeldern verbrachten Lebens. Jerusalem war zurückerobert, Syrien und Ägypten unter eine Herrschaft gebracht, die fränkischen Fürstentümer auf einen schmalen Küstenstreifen geschrumpft. Im Winter 1192/93 reiste der Sultan nach Jerusalem, unternahm von dort aus eine ausgedehnte Reise zur Inspektion von Festungsanlagen in Syrien und Palästina und kehrte dann nach Damaskus zurück. Im Februar begrüßte er die Karawanen, die von ihrem Hadsch zurückkehrten, der Pilgerfahrt nach Mekka, die er selbst nie unternommen hat. Noch am selben Abend überfiel ihn ein heftiges Fieber. Er starb am 4. März 1193, beweint von seinem ganzen Volk. Und er starb arm, weil er alles, was er besaß, den Bedürftigen vermachte. Die Nachfolger Saladins hatten es nicht leicht, sein Erbe anzutreten, wobei die Probleme eher von innen als von der fränkisch-westlichen Welt ausgingen. Der Tod des Eroberers von Jerusalem bedeutete für die neue Herrscherdynastie in ­Ägypten

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Eugène Delacroix, Die Einnahme von Konstantinopel durch die Kreuzritter: Enrico Dandolo und Balduin IX. von Flandern reiten in die Stadt ein, 1840, Paris, Musée du Louvre.

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Kapitel sechs 

und Syrien einen Moment großer Instabilität. Obwohl das Gebiet bereits unter Söhnen, Brüdern und Neffen aufgeteilt worden war, entbrannten heftige Kämpfe um die Kontrolle dessen, was sich allmählich zu regelrechten persönlichen Apanagen entwickelt hatte. Das Glück wollte, dass die meisten der siebzehn Söhne des Sultans noch zu jung waren, um irgendwelche Ansprüche zu stellen. Erst in den Jahren 1200 und 1201 gelang es seinem Bruder al-ʿĀdil, sich als Sultan zu profilieren, nachdem er sich seines Neffen al-Afḍal entledigt hatte, der von seinem Vater die Herrschaft über Damaskus geerbt hatte, und den Tod eines anderen Neffen, al-ʿAzīz, für sich hatte nutzen können. Der hatte einen tödlichen Sturz vom Pferd ausgerechnet in der Nähe einer Pyramide erlitten, die er gerade ihrer Verkleidung aus kostbaren Steinplatten hatte berauben lassen. Der neue Sultan war ehrgeizig, beredt und ein guter Verwalter, der den Franken wohlgesinnt war. Anscheinend war er gerade deshalb von seinem Bruder, der ihm die Gebiete entlang des rechten Jordanufers und einige Besitztümer in der Dschazīra zugewiesen hatte, im Hintergrund gehalten worden. Nun verfolgte al-ʿĀdil eine versöhnliche Politik gegenüber Outremer. Einerseits gedachte er, die wirtschaftlichen Möglichkeiten der Lateiner für sich zu nutzen, deren Handelsschiffe weiterhin die Nilhäfen anliefen, andererseits versuchte er, die Ankunft neuer militärischer Expeditionen aus dem Westen zu verhindern. Eher waren es die Lateiner, die ihm gegenüber eine wankelmütige Politik betrieben, indem sie die guten, auf Handel basierenden Beziehungen mit einer Reihe von Störaktionen insbesondere in Syrien unterminierten (welche der lateinische König in keiner Weise guthieß). Das gilt etwa für die 1197 von Kaiser Heinrich VI. organisierte Expedition, an der er nicht einmal teilnahm und deren einziges Ergebnis – abgesehen davon, dass sie Beirut und einige andere Gebiete wieder in christliche Hand brachte – darin bestand, den 1192 in Jaffa zwischen Saladin und Richard geschlossenen Friedensvertrag zu untergraben. Dennoch war al-ʿĀdils Haltung gegenüber Outremer von der Suche nach friedlichen Lösungen geprägt. Im Juli 1198, noch vor seiner Anerkennung als Sultan, schloss er mit Amalrich von Lusignan, der 1194 seinem Bruder Guido auf den Thron von Zypern und 1197 Heinrich von Champagne auf den Thron von Jerusalem gefolgt war, einen Waffenstillstand. Dieser garantierte den Ayyubiden die Kontrolle über Jaffa, überließ Beirut und Jebail ihrem fränkischen Herrn und richtete eine Art Mitherrschaft über Sidon ein. Die Vereinbarung wurde im September 1204 für einen Zeitraum von sechs Jahren erneuert, um neue Angriffe aus dem Westen zu verhindern. Zu dieser Zeit hatten Kreuzfahrer nämlich Konstantino-

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pel angegriffen und erobert. Der Sultan hatte von den italienischen Kaufmannsgemeinschaften wenig zu befürchten, die auf die ägyptischen Märkte zurückgekehrt waren, nachdem diese während der Auseinandersetzungen mit Saladin vorübergehend aufgegeben worden waren. Insbesondere Pisaner und Venezianer durften ihre Handelsniederlassungen in Alexandria wieder eröffnen und erhielten darüber hinaus das Recht, neue fondaci in Damiette anzusiedeln, das aufgrund seiner direkten Flussverbindung mit Kairo immer wichtiger wurde. Ebenso gelang es den Genuesen, sich im wichtigsten ägyptischen Hafen niederzulassen, und einige von ihnen schafften es sogar in das Gefolge des Sultans. Auch die Beziehungen zum Jerusalemer Königshaus, das inzwischen nach Akkon umgezogen war, blieben gut. Um den Frieden zu wahren, ging al-ʿĀdil sogar so weit, einige wichtige Zentren – Lydda, Ramla und Jaffa – an die Franken abzutreten und ihnen freien Zugang zu den Heiligtümern von Nazareth zuzusichern. Immer wieder kam es

Ankunft der Kreuzfahrer in Konstantinopel, an der Spitze Ludwig VII. und Konrad III., im Hintergrund die Schlacht zwischen Franzosen und Türken 1147/48, Miniatur von Jean Fouquet, aus den Grandes chroniques de France, 1455–1460, Paris, Bibliothèque nationale de France. Man beachte den kaiserlichen Adler auf der Schabracke des Pferdes.

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trotzdem zu Feindseligkeiten: Die Chroniken erinnern beispielsweise daran, dass Amalrich eine kleine Flotte aufstellte, die offiziell gegen sarazenische Kaperfahrten eingesetzt werden sollte, aber dann bis Rosetta vordrang. 1204 marschierten die Johanniter von der imposanten Festung Crac des Chevaliers gegen den Fürsten von Hama, von dem sie im Jahr zuvor angegriffen worden waren, erlitten aber eine schwere Niederlage. Ein wenig später durchgeführter Angriff der Templer auf dieselbe Stadt scheiterte am hartnäckigen Widerstand der Bevölkerung. Im Jahr 1207 entsandte al-ʿĀdil selbst Kontingente gegen Tripolis und den Crac, ohne nennenswerte Ergebnisse zu erzielen. Es handelte sich zumeist um Provokationen: Keine der beiden Seiten war auf einen offenen Krieg aus, der nur Schaden für alle bedeutet hätte. Niemand konnte jedoch ahnen, mit welch glühendem Eifer man im Westen versuchen würde, es den Vorfahren gleichzutun, die noch vor den muslimischen Machthabern in Syrien versucht hatten, Ägypten zu unterwerfen.

Der Kreuzzug der Venezianer Der sogenannte »vierte Kreuzzug« kann nicht losgelöst von dem vorangegangenen betrachtet werden, da er auf dessen Trümmern mit dem Ziel der Wiedergutmachung entfacht wurde. Seine Umlenkung nach Konstantinopel war zwar schon geraume Zeit in Erwägung gezogen worden, doch nicht Teil des ursprünglichen Plans. Die Idee war alt und wurde mit den Eroberungszügen der Normannen weitergesponnen, die sich seit den 1080er-Jahren Gebiete des Byzantinischen Reichs anzueignen versuchten. Im Oktober 1147, die Franzosen hatten am Rande der Kaiserstadt ihr Lager aufgeschlagen, rief Bischof Gottfried von Langres – ein ruchloser Zisterzienser und vermeintlicher Verkünder der Ideen des heiligen Bernhard –, der die Feindseligkeit des Basileus und dessen Ränke mit den Türken witterte, dazu auf, die Stadt zu stürmen und gewaltsam zu besetzen. Schließlich war es das Scheitern des Kreuzzuges der hohen Könige des Westens, das Anlass gab für eine neue Expedition. Kaum hatte Innozenz III. den päpstlichen Thron bestiegen, begann er an die Christenheit zu appellieren, dass Jerusalem wieder in christliche Hände kommen müsse. Die Beteiligung von Venedig, das sich bis dahin in der Kreuzfahrerbewegung bedeckt gehalten hatte, sollte sich als entscheidend erweisen. Schon lange agierte die Stadt in völliger Autonomie gegenüber Byzanz und genoss dabei exorbitante Vorteile. Mit der Zeit hatte sich jedoch

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ein immer deutlicherer Bruch zwischen den beiden Mächten abgezeichnet. Am 12. März 1171 ordnete Kaiser Manuel Komnenos an, alle in der Hauptstadt tätigen Kaufleute Venedigs zu verhaften und ihren Besitz zu konfiszieren. Damit wollte er seine ehemaligen Untertanen und Verbündeten dafür bestrafen, dass sie sich geweigert hatten, das Reich gegen die Normannen in Süditalien zu unterstützen. Die Beziehung war dadurch schwer beschädigt. Die Schande musste mit Blut abgewaschen werden. Die vom Dogen Vitale II. Michiel organisierte Strafexpedition plünderte auf ihrem Weg zunächst die Städte Trogir und Ragusa, erreichte dann Euböa, belagerte die Hauptstadt und besetzte anschließend Chios, um am Ende ergebnislos zu versanden. Die Abrechnung würde folgen, der verzögerten Freilassung der Gefangenen und einem 1183 geschlossenen Friedensabkommen zum Trotz, das einen Ausgleich für die erlittenen Verluste vorsah. 1187 gewährte Isaak II. Angelos der Stadt als Gegenleistung für ihre Hilfe bei der Abwehr eines abermaligen Versuchs der Normannen, Reichsgebiet zu besetzen, drei Chrysobullen, mit denen die Venezianer wieder in ihren Vierteln in Konstantinopel eingesetzt und die wechselseitigen Beziehungen gefestigt wurden.

Papst Innozenz III., Fresko aus dem 13. Jh. in der Unterkirche des Klosters San Benedetto (Sacro Speco), Subiaco.

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Die Eroberung Konstantinopels zu Lande und zu Wasser, 1204, Miniatur aus einem Manuskript von 1460 der Historia des Wilhelm von Tyrus (12. Jh.).

Die Eroberung von Konstantinopel durch die Kreuzfahrer, 1204, Miniatur aus der Chronique des em­ pereurs von David Aubert, 1462, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Ein weiteres Privileg wurde 1189 in Erwartung eines möglichen Angriffs auf das Byzantinische Reich durch keinen Geringeren als Friedrich Barbarossa erteilt, der damals am dritten Kreuzzug teilnahm. Der 1171 erlittene Schaden war aber in den Augen der Venezianer noch lange nicht wiedergutgemacht. Die Situation spitzte sich durch die Thronbesteigung von Alexios III. Angelos im Jahr 1195 weiter zu, die von einer neuen Welle des Protektionismus und antivenezianischen Ressentiments begleitet wurde. Die Unterbrechung der vereinbarten Zahlungen und die den Genuesen gewährten Vergünstigungen waren die Gründe, die Venedig veranlassten, sich an einem neuen Kreuzzug zu beteiligen. Und dies, obwohl 1198 ein neuer Friedensvertrag zwischen den Parteien geschlossen wurde, in dem die Frage der Reparationen jedoch weitgehend ausgeklammert blieb. Kurzum, die Zeit war reif für Venedig, sich das zurückzuholen, was der Stadt zustand. An die Spitze der Expedition wurde Bonifatius von Montferrat, der Bruder des 1192 verstorbenen Konrad, berufen. Er ersetzte Theobald von Champagne, der zunächst ausgewählt worden war, dann aber an Typhus starb. Im April 1201 unterzeichnete Bonifatius einen Vertrag mit dem venezianischen Dogen Enrico Dandolo, in dem die Modalitäten für den Transport von Soldaten und Pilgern festgehalten waren. Die exorbitante Summe von 85 000 Silbermark, zahlbar in vier vierteljährlichen Raten, deckte die Bereitstellung der notwendigen Schiffe, den Transport des Heeres – geschätzt auf 4500 Reiter mit ihren Pferden, 9000 Knappen und 20 000 Fußsoldaten – sowie die notwendigen Vorräte für ein Jahr. Venedig würde sich außerdem mit einer eigenen Flotte von fünfzig Galeeren an der Expedition beteiligen und im Gegenzug das Recht auf die Hälfte aller Eroberungen und Gewinne erhalten. Dann nahm der Doge selbst das Kreuz. Am 8. Oktober 1202 brachen etwa 300 Schiffe von San Nicola di Lido aus zu einem Unternehmen auf, das ganz zum Vorteil der Serenissima gereichte. In die Gewässer vor Zara gelangt, bot der Doge den Kreuzfahrern an, einen Teil ihrer Schulden zu begleichen, indem sie ihm bei der Unterwerfung der aufständischen Stadt halfen. Er rechtfertigte ein solches Vorgehen mit dem Vorwand, dass die Stadt am Weg ins Heilige Land liege. Die Plünderung einer Stadt lateinischen Glaubens sorgte indes für einen Aufschrei der gesamten Christenheit und zwang den Papst, die Venezianer zu exkommunizieren, nicht aber die Kreuzfahrer. Diese Unterscheidung sorgte dafür, dass die Bemühungen um das Zustandekommen der Expedition nicht umsonst gewesen waren. Hier nun nahmen die Dinge eine unerwartete Wendung: Bevor die Venezianer wieder in See stechen konnten, tauchte

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Kapitel sechs 

der byzantinische Fürst Alexios auf. Der Sohn des entthronten Kaisers Isaak II. Angelos bat die Kreuzfahrer um Hilfe im Kampf gegen den Usurpator, seinen Bruder Alexios Angelos, und bot ihnen als Gegenleistung Geld und, mehr als das, die Wiedervereinigung der beiden Kirchen an. Im Juli 1203 zogen die Venezianer an der Spitze der Kreuzfahrer in Konstantinopel ein, besiegten Alexios III. und setzten Isaak und seinen Sohn Alexios IV. wieder auf den Thron. Ihr arrogantes Auftreten provozierte jedoch einen Aufstand von Teilen der Bevölkerung, die die ständige Einmischung des Westens in die Reichspolitik und in das Leben der Hauptstadt leid war. Im Februar 1204 wurde Alexios IV. ermordet. An seiner Stelle rief man nun Alexios V. Dukas Murtzuphlos, den Anführer der antilateinischen Opposition, zum Kaiser aus. Als Reaktion darauf plünderten die Kreuzfahrer die Stadt und stürzten den neuen Herrscher. Auf den Thron kam nun Balduin von Flandern – das lateinische Kaiserreich von Konstantinopel war geboren. Ein Drittel des Reichsgebietes sollte ihm gehören, ein weiteres Drittel den anderen Kreuzfahrerfürsten; das verbleibende Drittel ging an die Venezianer, die sich der Küsten und Inseln der Ägäis bemächtigten, um so ihr Handelsmonopol abzusichern. Genuesen und Pisaner beobachteten die Einnahme von Konstantinopel voller Sorge. Während Venedig mit Letzteren umgehend ein Friedensabkommen schloss, das ihre jeweiligen Einflussgebiete abgrenzte, verschlechterten sich die Beziehungen zu den Genuesen zunehmend. Einem frontalen Aufeinandertreffen zog man die Unübersichtlichkeit von Kaperkriegen vor. In jenem Jahr griffen sechs genuesische Galeeren ein aus Konstantinopel zurückkehrendes venezianisches Schiff an, das mit Geld und Reliquien beladen war, darunter ein bedeutendes Fragment des Wahren Kreuzes. Im folgenden Jahr segelte ein Schiff namens Leonepardo in Begleitung zweier unter Waffen stehender Galeeren des Freibeuters Enrico Pescatore, Graf von Malta, bis zur syrisch-palästinensischen Küste und versuchte, in Tyros und Akkon zu landen, was jedoch aufgrund der starken venezianischen Präsenz vor Ort nicht gelang. Der Konflikt konzentrierte sich auf die Gewässer der Ägäis, wo die Venezianer zwei wichtige Handelsstützpunkte verteidigen mussten: das über die Adria wachende Korfu und Kreta, das den Hauptknotenpunkt für die Kommunikation zwischen den Mittelmeerländern bildete. Die erstere Insel wurde von dem Genuesen Leone Vetrano erobert. Zur selben

Andrea Vicentino, Die Einnahme von Zadar im Jahr 1202, Ende 16. Jh, Venedig, Dogenpalast.

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Kapitel sechs 

Zeit besetzte der Graf von Malta die zweite, die nur von einer Handvoll Männern bewacht wurde, und rief sich selbst zum Herrn über die Insel aus. Mit dreißig Galeeren segelten die Venezianer daraufhin in die Gewässer, überwältigten Vetrano, nahmen ihn gefangen und hängten ihn an Ort und Stelle. Was Kreta anging, so sah sich Enrico Pescatore gezwungen, das Mutterland um Hilfe zu bitten, das ihm Galeeren und Schiffe in großer Zahl und mit voller Bewaffnung zur Verfügung stellte und dafür – dem zeitgenössischen genuesischen Annalisten Ogerio Pane zufolge – die erkleckliche Summe von 20 000 Lire aufbrachte. Enrico seinerseits sagte der Kommune von Genua ein eigenes Quartier in sämtlichen Städten der Insel zu, außerdem die Befreiung von Abgaben sowie einen jährlichen Tribut. Er erklärte sie sogar zu seinem Erben für den Fall, dass er keine Nachkommen haben würde. Jedoch beschränkten sich seine Erfolge darauf, ein paar Handelsschiffe zu entern und einen Aufstand unter der kretischen Bevölkerung zu schüren, ohne damit die venezianische Herrschaft auf der Insel wirklich erschüttern zu können. Der Kampf um die Insel zog sich einige Zeit hin. Im Jahr 1217 versuchte der Genuese Alamanno da Costa erneut, Kreta zu besetzen, wurde aber gefangen genommen. Am 23. Januar 1217 schrieb Honorius III. an alle Erzbischöfe, Bischöfe, Äbte, Priore und anderen Prälaten der Kirche, an alle Konsuln und Podestas sowie an die Gläubigen der Lombardei und der Toskana und forderte sie auf, sich an einem neuen Kreuzzug zu beteiligen und die Befehle von Ugo, dem Bischof von Ostia und Apostolischen Legaten, zu befolgen. Dieser traf im Mai in Genua ein, in Begleitung eines sehr jungen Magisters, der einer bedeutenden lokalen Familie angehörte: Sinibaldo Fieschi, der als Innozenz IV. einst die Papstkrone tragen sollte. Der Legat predigte nicht nur den Kreuzzug, sondern forderte außerdem mit Nachdruck einen Kompromiss zum Wohle des Heiligen Landes. Einen Monat später schloss man Frieden mit den Pisanern; im folgenden Jahr wurde ein Vertrag zwischen Genua und Venedig besiegelt. Der Vertrag, der in den folgenden Jahren viermal erneuert werden würde, stellte die Privilegien, die die Genuesen vor der Eroberung in Konstantinopel innegehabt hatten, wieder her und garantierte die venezianischen Herrschaftsgebiete im Osten. Die Serie der Übergriffe, die allen Beteiligten schweren Schaden zugefügt hatte, fand damit ein Ende. Der Waffenstillstand sollte ein paar Generationen andauern, danach würde der Kampf wieder aufflammen, härter denn je.

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ZWEITER TEIL

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Kapitel sieben

Der Kreuzzug im 13. Jahrhundert Der Kreuzzug als Bewegung und als Institution Wie wir gesehen haben, stellte der Kreuzzug seit seiner Entstehung eine eigentümliche Synthese aus bereits bestehenden christlichen Praktiken wie der Pilgerfahrt und dem Krieg gegen die Ungläubigen dar. Anfangs bemühte sich die Kirche kaum darum, seine Grundlagen theoretisch abzuklären, sondern beschränkte sich allenfalls darauf, im Rahmen ihrer Lehre und ihrer Rechtssätze Regeln für die Praxis festzulegen. Das Kreuz zu nehmen bedeutete, ein Gelübde abzulegen, das nur dann Verbindlichkeit besaß, wenn es vonseiten der Kirche bestätigt und im Fall seiner Erfüllung an Ablässe beziehungsweise im Fall seines ungerechtfertigten Bruchs an Strafen geknüpft war. Der Frage nach dem Schicksal der Familien der christlichen Streiter, die Feinden oder Gläubigern ausgeliefert sein mochten, begegnete das kanonische Recht bald mit dem Grundsatz der Unantastbarkeit des Kreuzfahrers, seiner Familie und seines Besitzes, die bis zur Rückkehr von der Pilgerreise währte. Dies warf erste Schatten auf die Praxis des passagium: Die Reise nach Übersee bot einen hervorragenden Vorwand, um sich der Begleichung von Schulden zu entziehen oder sie zumindest aufzuschieben. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde der Kreuzzugsgedanke erstmals im Kirchenrecht verankert und schickte sich an, zu einem mächtigen Werkzeug in den Händen des Papsttums zu werden. Nicht, dass er dies nicht auch schon in der Vergangenheit gewesen wäre, nun aber wurde der Kreuzzug zu einem Instrument von umfassender Tragweite. Es waren die Kanonisten – unter ihnen Sinibaldo Fieschi, der als Papst Innozenz IV. zwi-

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schen 1243 und 1254 auf dem Heiligen Stuhl saß, und Heinrich von Susa, der 1262 Kardinalbischof von Ostia wurde –, die für Kreuzzüge die Bezeichnung crux verwendeten und die Unterscheidung trafen zwischen crux transmarina, die über das Meer ins Heilige Land führte, aber auch gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel oder die Heiden im Baltikum gerichtet sein konnte, und crux cismarina, die der Bekämpfung religiöser oder politischer Feinde der Kirche und des Papsttums im Innern der Christenheit galt. Damit bot sich gleich auch noch die Möglichkeit, die Einnahme von Konstantinopel zu rechtfertigen. Der Einsatz gegen die infideles wurde mit allen Konsequenzen dem gegen die mali christiani gleichgestellt. Und die Kirche behielt sich das Recht vor, von Mal zu Mal die opportunen Ziele aufzuzeigen, womit sie jede Expedition, die der tuitio, exaltatio und dilatatio christi­ anitatis galt, auf eine Stufe mit dem iter hierosolymitanum stellte und ihren Teilnehmern dieselben weltlichen und geistlichen Privilegien zugestand. Wir haben uns daran gewöhnt, acht große Kreuzzüge zu zählen. Die Wahrheit ist: Es waren viele mehr. So konnte schlicht jede bewaffnete Pilgerfahrt, wie sie weiterhin und zumindest solange die franko-syrischen Fürstentümer sich hielten, fast alljährlich zu Ostern stattfand, durch die Teilnahme von crucesignati als Kreuzzug gelten. Die conditio sine qua non, um eine derartige Expedition als einen Kreuzzug einzustufen, bestand in dem Verweis auf die jeweils jüngste päpstliche Bulle, mit der das Unternehmen angekündigt wurde, das Datum zu seinem Aufbruch festgelegt wurde und die geistlichen und weltlichen Belohnungen sowie die Strafen für diejenigen bestimmt wurden, die das abgelegte Gelübde einseitig brachen. Diese Bullen folgten weitgehend dem Vorbild der Quantum praedecessores Eugens III. aus dem Jahr 1145. Sobald der Christ »das Kreuz genommen« hatte, unterlag er der Disziplinargewalt der Kirche. Als Kreuzfahrer war seine Person ebenso wenig angreifbar wie die eines Klerikers, andererseits stellte sein Gelöbnis eine unwiderrufliche Verpflichtung dar. Der Kirche stand damit ein riesiges Aufgebot an christlichen Streitern zur Verfügung, die sich zur Rückeroberung oder zum Schutz des Heiligen Grabes einsetzen ließen, doch waren ihre Interessen weiter gefasst. Sicher stand Jerusalem vielen noch immer wie ein Traum vor Augen, wobei sich die Vorstellungen von dem irdischen Jerusalem mit denen des himmlischen vermischten. Die Gründung eines neuen weltumspannenden Reiches war bereits während des ersten Kreuzzuges der Grundgedanke einer egalitären Projektion gewesen, die im 13. und 14. Jahrhundert weiter genährt wurde  – Jahrhunderte, die zutiefst von Millenniumshoffnungen geprägt waren. Vom Kreuzzug

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Kapitel sieben 

der pueri von 1212, der Scharen von Enterbten aus West- und Mitteleuropa an die ligurisch-provenzalische Küste führte und allerorten Besorgnis erregte, über den Hirtenkreuzzug der pastoureaux, die 1251 durch Frankreich zogen, bis hin zu den Flagellantenbewegungen von 1260 und den Wellen kreuzzugsbewegter Armer von 1309 und 1320 führt ein roter Faden von diesen Bewegungen zu den religiösen Wirren, die die wirtschaftliche und soziale Krise des 14. Jahrhunderts und die Pestepidemie von 1347–1350 begleiteten. Wir haben es mit einer Abfolge oft heterogener Ereignisse zu tun, die mal friedlich, mal gewaltsam abliefen (in diesem Fall regelrechte Revolten gegen die städtische Gesellschaft, die sich gegen die reiche Oberschicht, die Priester und die Juden richteten). Immer aber besaßen sie zwei grundlegende Merkmale: Zunächst einmal waren sie Ausdruck einer Frustration, die umso größer wurde, je weiter es auf der sozialen Leiter nach unten ging, an ihrem Fuße die Ausgebeuteten von Stadt und Land, die Marginalisierten und Ausgegrenzten der Gesellschaft. Zweitens sprachen sie die millenaristische Sprache der Erlösung, auch einer sozialen Erlösung, die jener der spontanen Bewegungen glich, die auf der Welle der einzelnen Kreuzzüge entstanden waren. Kurz, hinter dem Mythos von der Rückeroberung Jerusalems und vom Ende der Zeiten reifte kraftvoll, wenn auch doppeldeutig formuliert, das Ideal von einem Reich der Gerechtigkeit heran. Zum einen war da also die Kreuzzugsbewegung, womit der über die eher juristischen oder politischen Aspekte des Phänomens hinausgehende Komplex an Mythen und Vorstellungen gemeint ist, die mit der Praxis der peregrinatio, der Idee der Erlösung und der ritterlichen aventure verknüpft waren und immer wieder auch apokalyptische Töne anstimmten. Daneben begann sich der Kreuzzug als Institution abzuzeichnen. Nachdem zunächst die Interessen der Christenheit mit denen des theokratischen Papsttums gleichgesetzt worden waren, stellte man bald fest, dass im Herzen Europas noch ganz andere Feinde lauerten, die »schlimmer als die Sarazenen« waren, wie es die päpstliche Kanzlei ausdrückte. Die Sarazenen – so die Meinung Heinrichs von Susa – hatten den Christen das Heilige Land entrissen, die Ketzer aber drohten ihnen das Christentum selbst zu nehmen, das nahtlose Gewand Christi (das die Einheit der Kirche symbolisierte) zu zerreißen. Die crux cismarina war demnach so notwendig wie die crux transmarina. Schon zwei Kinderkreuzzug, 1212, kolorierter Kupferstich von Gustave Doré für Joseph-François Michauds Historie des croisades, 1877.

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Kapitel sieben 

Jahrhunderte zuvor war in den polemischen Streitschriften der Reformbewegung die Behauptung aufgetaucht, dass die Tötung eines Exkommunizierten weniger schwer wiege als die eines Ungläubigen  – an die gregorianische Theokratie des 11. Jahrhunderts schließen sich die theokratischen Ansprüche von Innozenz III. im 13. Jahrhundert lückenlos an. Der bereits fragwürdigen Gleichsetzung von Heiden und Häretikern folgte die Gleichsetzung von Häretikern und politischen Feinden auf dem Fuße. Indem sie ihre Gegner exkommunizierte und jeden Exkommunizierten mit einem Glaubensfeind gleichsetzte, konnte die Kurie Kreuzzüge gegen den byzantinischen Kaiser – einen Glaubensspalter –, gegen die Katharer – Häretiker –, gegen die Wenden des Ostseeraums – Heiden –, gegen echte politische Gegner wie Roger II. von Sizilien, Markward von Annweiler, Johann Ohneland, Ezzelino da Romano, Friedrich II., Manfred von Sizilien, Peter III. von Aragón, Ludwig den Bayern, ja, sogar gleich gegen ganze unliebsame Familien ausrufen, wie im Fall des Kreuzzuges von Papst Bonifatius VIII. gegen die Colonna. Die Liste ist lang. Die kanonische Lehre von der commutatio, der Umwandlung der Gelübde, eignete sich ganz wunderbar zu diesem Zweck. Das Versprechen, an einer Expedition nach Outremer teilzunehmen, konnte unter Beibehaltung derselben geistlichen und weltlichen Privilegien umgewandelt werden, wenn man tatsächlich zu einem anderen Kreuzzug aufbrach. Es ließ sich auch durch die Zahlung eines bestimmten Geldbetrags an die Kirche einlösen (was im Grunde genommen dem käuflichen Erwerb eines Ablasses gleichkam). Viele ließen sich auf dem Sterbebett überzeugen, für ihr Seelenheil oder zur Wiedergutmachung begangener Sünden, etwa von Wucher, einen Teil ihres Besitzes pro passagio ge­ nerali zu bestimmen. Der Kreuzzug hatte sich in einen aufwändigen politischen und wirtschaftlichen Apparat verwandelt, in ein komplexes Machtspiel, in dem Bischöfe, Äbte, Könige, Almoseneinnehmer und Bankiers die treibenden Kräfte waren. Und in diesem Spiel, so paradox dies auch scheinen mag, fiel das Grab Jesu kaum mehr ins Gewicht. Die Kreuzzüge des 12. Jahrhunderts hatten nicht nur gezeigt, dass Europa nicht in der Lage war, das Heilige Land zu halten, sondern auch, dass die im Zeichen des Kreuzes gegen die Sarazenen unternommenen Anstrengungen nutzlos waren. Die von den Theologen des 13. Jahrhunderts betriebene Wiederbelebung des eucharistischen Kultes führte letztlich dazu, dass in jeder Kirche, auf jedem Altar, in jedem Ziborium Leib, Blut, Seele und Gottheit Christi wahrhaft gegenwärtig waren. Man musste nicht mehr in die Levante reisen, um ein leeres Grab zu besuchen, wenn jede Messe und jede Konsekration von Brot

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und Wein das Opfer erneuerte, an das die Jerusalempilger nur bloße Erinnerungen finden mochten. Es hallten die Worte wider, die der Engel im Evangelium an die Marien gerichtet hatte: »Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?« Indem der Kreuzzug sich erschöpfte, büßte auch die Pilgerfahrt an Bedeutung ein.

Ein gerechter und legitimer Krieg? Verschiedene päpstliche Verlautbarungen zum Kreuzzugsgelübde und zum Kreuzzug gegen Ketzer haben in die Dekretalensammlungen der Compilatio prima von 1191 und der Compilatio secunda von 1210 Eingang gefunden. Die 1234 zusammengestellten Dekretalen Gregors IX., die später das Rückgrat des Corpus iuris canonici bilden sollten, befassten sich ausführlich mit dem Kreuzzug, wie auch Raimund von Peñafort in seiner Summa casuum. Dies führt uns zu den wichtigsten Texten in unserer Frage, dem 1245 verfassten Apparatus Innozenz’ IV. und der Summa aurea Heinrich von Susas aus dem Jahr 1253, denen er 1268 seine Commentaria folgen ließ. Hier finden wir die kirchliche Verankerung des Kreuzzuges bezüglich seiner theoretischen Legitimität und der Kriterien, die seine korrekte Durchführung regulieren sollten. Auch die Ausweitung von einem Kampf gegen Muslime und Heiden im Allgemeinen auf den Kampf gegen schismatische oder aufrührerische Christen, Häretiker und politische Feinde des Papsttums erfährt ihre Rechtfertigung. Nicht, dass sich die Juristen hierin völlig einig gewesen wären. Heinrich von Susa vertrat in der Frage einen extremen Standpunkt und Innozenz IV. einen gemäßigten, doch fielen diese Diskrepanzen realiter kaum ins Gewicht. Dem Kardinalbischof zufolge war der Kreuzzug gegen die Ungläubigen immer gerecht. Indem er sich auf römisches Recht berief und die Kirche als legitime Erbin des römischen Reiches betrachtete, da infolge der Menschwerdung Christi alle Rechte von den Ungläubigen auf die Christgläubigen übergegangen seien, erklärte er den Kreuzzug zu einem »römischen« Krieg, weil er den Kampf gegen die »Barbaren« fortsetze. Dabei galten nach der Ankunft Christi nicht länger die Nicht-Römer als Barbaren, sondern die Nicht-Bürger des himmlischen Jerusalem. Der Fremde war also der Nichtchrist, der Ungläubige, derjenige, der außerhalb der Gesetze des Evangeliums stand. Da die Kirche als Erbin des Römischen Reiches das Recht hatte, über die Ökumene, den gesamten bewohnten Erdenkreis, zu herrschen, war jeder Kreuzzug per definitionem gerecht, da er die Ungläubigen

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zwang, die Souveränität der Kirche anzuerkennen. Diese These, Ausdruck strengsten theokratischen Denkens, wurde durch die vorsichtigeren und auf den ersten Blick abweichenden Argumente des Papstes letztlich einmal mehr bekräftigt. Innozenz IV. räumte den Ungläubigen bestimmte Rechte als zum Naturrecht gehörend ein, wie das Recht auf Eigentum und Selbstregierung. Diese Rechte waren auch durch die Offenbarung nicht aufgehoben worden und durften nicht verletzt werden. Man dürfe auch keinen Krieg gegen die Ungläubigen führen, um sie gewaltsam zu bekehren. Diese These wurde mit äußerster Entschlossenheit vertreten und deckte sich im Übrigen mit der tiefen Überzeugung der größten kirchlichen Denker der damaligen Zeit, darunter Thomas von Aquin. War der Kreuzzug womöglich ein ungerechter Krieg, da er das naturrechtlich legitime Eigentum anderer und ihre ebenso legitimen Regierungen angriff? Nein, antwortete Innozenz, denn das Heilige Land sei kein rechtmäßiger Besitz der Ungläubigen, und zwar aus zwei guten Gründen: Erstens, weil schon Justinians In­ stitutiones zufolge alle res sanctae – und allen voran die terra sancta – in gewisser Weise Gott und niemandem sonst gehörten, was die Sarazenen zu Usurpatoren göttlichen Eigentums machte. Zweitens, weil das Heilige Land nach dem Tod von Jesus in einem gerechten Krieg von einem römischen Kaiser erobert worden war. Somit gehörte es der Kirche als der Erbin des Römischen Reiches. Konnte daher der Krieg gegen die Sarazenen nur insofern als gerecht bezeichnet werden, als er die Rückeroberung des Heiligen Landes und der bereits zum Reich gehörenden Gebiete zum Ziel hatte? Zur Rechtfertigung aller anderen Fälle, die sich nicht in diesen Rahmen fügten, griff Innozenz auf eine Lehre zurück, die bereits von Augustinus und Isidor von Sevilla vertreten worden war: Jeder Krieg, der geführt wurde, um ein Unrecht zu beheben, war gerecht. Und die Sarazenen hatten durch ihre Angriffe auf Christen Unrecht gegen sie verübt. Weil sie störrisch auf ihrem Heidentum beharrten und Gottes Wort ablehnten, das ihnen von seinen Dienern auf den verschiedenen Expeditionen wiederholt verkündet worden war, hatten sie Strafe verdient. Und da das Decretum des Kirchenrechtlers Gratian bereits erklärt hatte, dass ein gerechter Krieg als legitimes Ziel auch die Bestrafung beinhaltete, genügte dies ipso facto für die Rechtfertigung des Kreuzzuges. Auch Thomas von Aquin vertrat die Ansicht, dass ein Krieg gegen einen Ungläubigen zwar nicht geführt werden könne, um ihn zu bekehren, wohl aber als Strafe für die Anmaßung, mit der er sich dem wahren Gott verweigere. Und so konnte der moderate Innozenz zur selben Schlussfolgerung gelangen wie der sehr viel extremere Heinrich

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von Susa: Der Kreuzzug gegen die Ungläubigen war in jedem Fall gerecht und legitim. Im Übrigen stieß der Krieg gegen die Sarazenen bei den Christen im Westen allseits auf Zustimmung. Anders war die Reaktion, als sich auf den Straßen und in den Städten Europas unschöne Szenen abspielten und diejenigen, die das Kreuzeszeichen auf Schulter oder Brust trugen, andere Christen abschlachteten und zur Belohnung Segnungen, Ablässe und päpstliche Schlüssel erhielten, die als signaculo in vessilo das Banner des Bruderkrieges zwischen Kindern desselben himmlischen Vaters zierten. Da wurde auf verschiedenen Seiten – natürlich nicht immer in redlichem Glauben – ein Aufschrei der Empörung laut. Theologen und Kirchenrechtslehrer reagierten mit einer Radikalisierung ihrer Positionen: Sie waren zwar bereit, die Frage zu erörtern, ob eine Bestrafung der Heiden angesichts ihrer hartnäckigen Weigerung, den wahren Gott anzuerkennen, angemessen sei, da die Unkenntnis der Wahrheit an sich nicht als Sünde betrachtet werden konnte. Doch waren sie sich auch einig, dass Häretiker oder jedenfalls diejenigen, die sich freiwillig von der Kirche und der Rechtgläubigkeit entfernt hatten, dafür bestraft und außerdem gezwungen werden sollten, in die Reihen zurückzukehren, die sie verlassen hatten. Das Vierte Laterankonzil von 1215 erklärte im Kanon Excom­ municamus, den der Kardinalbischof von Ostia später in die Grundlagentexte zur Rechtspraxis der Kreuzzüge aufnahm, dass es rechtens sei, das Kreuz gegen Ketzer und jedermann, der sie in Schutz nehme, zu predigen. Von da an wurde es üblich, die Besitzungen eines Exkommunizierten, auf die er kein Anrecht mehr besaß, denjenigen »als Beute freizugeben«, die sie erobern wollten: terram exponere ca­ tholicis occupandam. Diese Praxis würde vor allem in Frankreich fortbestehen, wo die exposition en proie ab dem 16. Jahrhundert vielen eifrigen Hugenottenjägern zu Reichtum verhalf. Doch bereits während des Kreuzzuges gegen die Albigenser kam es dadurch zu schaurigen Exzessen.

Gelübde und Ablässe Wenn der Kardinalbischof von Ostia die Rechtmäßigkeit des Kreuzzuges gegen Häretiker und Schismatiker vorbehaltlos anerkannte, tat er dies mit dem Argument, dass diese mit weitaus größerer Schuld behaftet seien als die Sarazenen. Während Letztere sich nämlich darauf beschränkten, den Christen das Heilige Land zu ent-

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reißen, spalteten Erstere in einer den Glauben als solchen gefährdenden Weise die Kirche und die gesamte Christenheit geistig und materiell oder drohten sie zu spalten. Daher kam er zu dem Schluss, dass »obwohl der Kreuzzug nach Übersee (crux transmarina) gemeinhin wohlwollender betrachtet wird, denjenigen, die nach Vernunft und gesundem Menschenverstand urteilen, der innere Kreuzzug (crux cismarina) noch mehr mit der Vernunft übereinzustimmen scheint«. Nachdem die Kirchenrechtler die Legitimität der Kreuzzüge, ob nun jenseits oder diesseits des Meeres, grundsätzlich festgestellt hatten, gingen sie dazu über, ihre näheren Umstände und Merkmale zu beschreiben. Da ein Krieg, um als gerecht zu gelten, von einer legitimen Macht wie einem weltlichen Fürsten erklärt werden musste, der dafür verantwortlich zeichnete, konnte das passagium generale ins Heilige Land nur vom Papst autorisiert werden. Er war verantwortlich für den Glauben und hatte die Gefahren zu gewärtigen, die ihm drohten. Nur er konnte den Ablass zu den Bedingungen gewähren, die der Kreuzzug erforderte, und über das entsprechende Gelöbnis verfügen. Tatsächlich wurde das Gelübde, eine Pilgerfahrt ins Heilige Land zu unternehmen, durch den Akt der Kreuznahme in Kraft gesetzt. Das Gleiche galt später für das Gelübde zur Teilnahme an den militärischen Expeditionen in Spanien, Preußen, der Provence und überall dort, wo diese sonst den Charakter von Kreuzzügen annahmen. So gesehen fügte sich das Kreuzzugsrecht dem allgemeineren rechtlichen Rahmen des Gelübdes ein, der wesentlich älter ist. Da die Formulierung frei gewählt werden konnte, wurde das Gelöbnis grundsätzlich bindend, sobald es ausgesprochen war. Mit anderen Worten brachte das Gelübde eine vertragsähnliche Verpflichtung mit sich, aus der man sogar eine Übertragbarkeit auf die Erben ableitete: Dies galt zumindest für den Fall, dass das Gelübde pro subsidio erfolgt war, soll heißen in der Absicht, dem Heiligen Land militärische Hilfe zu leisten. Wurde es dagegen pro devotione abgelegt, sprich mit dem alleinigen Ziel, am Heiligen Grab zu beten, vermochte selbstredend nur der Schwurleister selbst es einzulösen. Gelübde konnten jedoch mit Zustimmung der Kirche in andere Gelübde umgewandelt werden, die als gleich- oder höherwertig erachtet wurden. Obwohl einige, wie beispielsweise auch Heinrich von Susa, überzeugt waren, dass keine Menschenmacht das Kreuzzugsgelübde lösen oder umwandeln könne, weil es sich um einen direkten Vertrag zwischen Mensch und Gott handele, wurde es ab Innozenz III. üblich, auch den Schwur der Kreuzfahrer zu lösen oder umzuwandeln. Dafür genügten nach Ansicht von Raimund von Peñafort ein triftiger Grund und

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die päpstliche Einwilligung. Wenn also das Kreuz prinzipiell niemandem, der es zu nehmen gewillt war, verweigert werden konnte – einschließlich Klerikern aller Orden und Ränge, alten Männern, Kranken, Frauen und Kindern –, so eröffnete doch im Folgenden die redemptio die Möglichkeit, das Gelübde auch mit einer Geldsumme einzulösen. Auf diesem Weg trugen auch diejenigen, die nicht mit Waffen zum Schutz des Heiligen Grabes beisteuern konnten, zur Finanzierung der Expeditionen kriegstüchtiger Streiter bei. Oder man überzeugte die Ritter, die ihr Gelübde für das Heilige Land abgelegt hatten, die commutatio anzunehmen und ihr Versprechen als Soldaten Christi einzulösen, indem sie nicht gegen die Ungläubigen Palästinas, sondern gegen die Ungläubigen Spaniens oder gegen die Heiden Nordeuropas oder gar gegen die Ketzer oder, im Konflikt zwischen Guelfen und Ghibellinen, gegen die Kaisertreuen kämpften. Der Herrscher oder Baron, der das Gelübde abgelegt hatte, aber aufgrund schwerwiegender und unaufschiebbarer öffentlicher oder privater Angelegenheiten gezwungen war, seine Abreise zu verschieben, oder zumindest vorgab, sie verschieben zu müssen, konnte ohnehin mit der dilatio rechnen. Europa sah nun immer mehr Könige und Fürsten ihr Versprechen nicht einhalten, sondern das Kreuz auf ihren Gewändern zur Schau stellen, um sich unter dem Schutz der Immunität, die die Kirche den Kreuzfahrern gewährte, ungestraft mit Übergriffen übelster Art zu beflecken. Dies war einer der Hauptgründe für die Feindseligkeit und das Misstrauen, die der Kreuzzug ab dem 13. Jahrhundert erregte. Grundsätzlich möglich war schließlich auch eine vollständige Aufhebung des Gelübdes, die dispensatio, die jedoch, den erhaltenen Zeugnissen nach zu urteilen, nur selten gewährt wurde. Die verschiedenen Manipulationen, die im Nachhinein an dem abgelegten Gelübde vorgenommen wurden, mögen aus heutiger Sicht alles andere als löblich erscheinen. Dennoch stellten sie in einigen Fällen eine erforderliche Maßnahme dar, bedenkt man die Masse an Menschen aller Verhältnisse, die das Kreuz nehmen wollten: einige befeuert, ja wie elektrisiert durch die inspirierende Rede eines Predigers; andere im Angesicht des Todes von der Hoffnung getrieben, vor dem göttlichen Gericht in extremis Verdienst zu erwerben (in diesem Fall ging das Gelübde auf die nahen Verwandten des Verstorbenen über, die es in der Regel durch Zahlung eines bestimmten Geldbetrags, einer Art frommen Erbschaftssteuer, einlösten); wieder andere unter kirchlichem Zwang, da die Kirche den Kreuzzug – wie auch die Pilgerfahrt – als Buße für besonders schwere Verbrechen auferlegen konnte; andere schließlich verlockt von den unmittelbaren Vorteilen geistiger und

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weltlicher Art, die sie aus dem Gelübde ziehen konnten. Aber worin bestanden diese eigentlich? Zu nennen ist vor allem der Ablass, soll heißen der Erlass der zeitlichen Sündenstrafe für alle Sünden, über die der Gläubige eine vollständige Beichte abgelegt hatte. Tatsächlich wurde der Kreuzzug im italienischen Volksmund auch »giubileo«, »tempo di indulgenza« (Gnadenzeit) und »perdono« genannt. Thomas von Aquin widmete sich der Frage, ob der Ablass als der geistlichen Sphäre zugehörig überhaupt durch einen Krieg, also etwas rein Weltliches, erlangt werden könne oder nicht. Im Fall des Kreuzzuges lautete seine Antwort Ja, weil dieser, obwohl ein Krieg, strikt der geistlichen Sphäre anbefohlen war. Anfänglich wurde der Ablass vollumfänglich allen Teilnehmern der Unternehmung gewährt, später aber ein ausgeklügeltes Ablasssystem eingeführt, das je nach Leistung gestaffelt war. Alexander III. legte fest, dass nur diejenigen in den Genuss des vollständigen Ablasses kommen konnten, die einen Dienst von mindestens zwei Jahren leisteten. Dass es ein Regelwerk für die Handhabung der Ablässe gab, ist sicher, auch wenn ein solches in den Dekretalen Gregors IX. keine Erwähnung findet. Bei Heinrich von Susa jedenfalls tritt offen zutage, dass es ihm vertraut ist. Das Konzept des Ablasses entwickelte sich vor allem im 13. Jahrhundert, als die Bezeichnung indulgentia frühere, allgemeiner gefasste Begrifflichkeiten wie re­ missio, absolutio und venia ablöste. Der Kreuzzugsablass blieb lange Zeit der vollkommene Ablass par excellence, dem auch Thomas von Aquin mit großer Hochachtung begegnete: »Wer in Übereinstimmung mit den päpstlichen Anordnungen das Kreuz genommen hat, wird keinerlei Strafe für seine Sünden erleiden und seine Seele direkt in den Himmel aufsteigen.«

Kreuzzug und Ketzerei Die theologischen Überlegungen zum Kreuzzug waren noch nicht ausgearbeitet, als infolge der Ermordung Pierre de Castelnaus, des päpstlichen Legaten, der mit der Bekämpfung der katharischen Bewegung im Languedoc beauftragt war, jene erbitterte Verfolgung einsetzte, die in den Volkssprachen mit dem Begriff des Kreuzzuges bezeichnet wurde, wie er auch uns noch geläufig ist. Der Tod des Legaten gab den Ausschlag für die Bulle, die am 10. März 1208 den Albigenserkreuzzug einläutete, so benannt nach der provenzalischen Stadt Albi, die als eine der Hochburgen der Ketzer galt. Nachdem es 1209 die Rhône überquert hatte, plünderte ein

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Heer von Kreuzzüglern Béziers und löschte fast die gesamte Bevölkerung aus. Die Stadt wurde einem Seigneur der Île-de-France, Simon de Montfort, übergeben, den man nun an die Spitze des Kreuzfahrerheeres stellte. Schnell wurde klar, dass es hier nicht nur um die Unterdrückung der Ketzerei ging: Der französische König hatte die Regelung der Angelegenheit den Herren aus dem Norden des Landes anvertraut, die wild entschlossen waren, die reichen südlichen Provinzen zu plündern und dauerhaft in Besitz zu nehmen. Zu dieser Zeit begann sich in der Region zwischen der Rhône und dem Unterlauf des Ebro eine katalanisch-okzitanische Identität herauszubilden, deren Entfaltung die französische Feudalmonarchie in keiner Weise zuzusehen gewillt war. König Peter II. von Aragón, der auch über die Grafschaft Barcelona herrschte und seit 1204 Herr von Montpellier war, erkannte dies. 1212 war er einer der Protagonisten des großen christlichen Triumphs über die Mauren bei Las Navas de Tolosa zwischen Kastilien und Andalusien. Ohne sich über die Absichten der kriegerischen nordfranzösischen Feudalherren Illusionen zu machen, eilte der Held der Kreuzfahrer nicht den Katharern, wohl aber den okzitanischen Herren zu Hilfe, die nicht geneigt waren, sich berauben zu lassen. In der blutigen Schlacht von Muret fiel er am 13. September 1213. Innozenz III., dem bereits die Legitimation des Raubkreuzzuges gegen Byzanz im Jahr 1204 auf dem Gewissen lastete, weigerte sich, die Beschlüsse eines Konzils zu akzeptieren, das in der König Peter entrissenen Stadt Montpellier abgehalten worden war. Dessen Beschlüssen zufolge hätten die Sieger die Ländereien der Besiegten rechtmäßig unter sich aufteilen können. Auf dem Laterankonzil von 1215 bemühte sich dann der Papst darum, sowohl die Art der Sanktionen gegen die Ketzer als auch die Ansprüche der Anführer des Kreuzzuges zu regeln. Insbesondere war Innozenz darauf bedacht, der Praxis der Hinrichtungen in keiner Weise Vorschub zu leisten; dennoch wusste er sehr wohl, dass bereits viele Ketzer dem Scheiterhaufen überantwortet worden waren. Sein Tod im Jahr 1216 verhinderte, dass die Vorgänge im Languedoc eine Regelung erfuhren. In der Zwischenzeit waren die okzitanischen Adligen, unter denen sich tatsächlich viele Anhänger der Katharer befanden, erneut in die Offensive gegangen. Simon de Montfort wurde 1218 getötet und der neue Papst Honorius III. ersuchte vergeblich um ein direktes Eingreifen von König Philipp August von Frankreich, dem es nicht gelang, Toulouse unter seine Gewalt zu bringen. Die Gegenoffensive der Katharer beeindruckte ganz Europa und bestärkte allerorten diejenigen, die mit der katharischen Häresie sympathisierten. Die deutlichste Antwort kam von

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dem jungen römisch-deutschen Kaiser und König von Sizilien, Friedrich II., der seinem Beschützer und Wohltäter Innozenz III. bereits 1213 – noch vor seiner Kaiserkrönung – feierlich versprochen hatte, sich mit Macht für die Ausrottung der Häresie einzusetzen. Als seine Kaiserkrönung in Rom dann im November 1220 erfolgte, erließ er die Constitutio in basilica sancti Petri, die das bis dahin geltende Kirchenrecht in Bezug auf die Bekämpfung der Häresie übernahm. Weiter ordnete er an, dass ein jeder, der vom Bischof seiner Diözese zum Ketzer erklärt wurde, von der weltlichen Obrigkeit festgenommen und unverzüglich zum Flammentod auf dem Scheiterhaufen verurteilt werden sollte, während seine Besitztümer zu beschlagnahmen seien. Der neue Graf von Toulouse, Raimund VII., konnte dem vereinten Druck der Kirche und der französischen Waffen nicht länger standhalten und bat sowohl den Papst als auch den neuen König Ludwig IX. um einen Waffenstillstand. Dies

Francisco de Paula van Halen, Die Schlacht von Las Navas de Tolosa, 1864, Madrid, Museo Nacional del Prado.

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Papst Innozenz III. exkommuniziert die Albigenser (links), die später massakriert werden (rechts), Miniatur um 1332–1350 aus den Chroniques de Saint-Denis, Royal MS 16 G VI, fol. 374v, London, British Library.

führte zum Vertrag von Paris vom 12. April 1229, der Raimunds vollständige Unterwerfung unter den Papst und den König besiegelte. Im November desselben Jahres verkündete der päpstliche Legat Kardinal Romano Bonaventura auf einem Konzil in Toulouse einen Erlass, der grundlegend für die Inquisitionsgerichtsbarkeit wurde. In jeder Pfarrgemeinde sollte eine gemischte Kommission (bestehend aus einem Priester und zwei oder drei Laien) systematisch nach Ketzern suchen und sie dem Bischof und dem lokalen Seigneur melden. Solchen Herren, die Ketzerei nicht verfolgten, und Untertanen, die Ketzer schützten, drohten schwere Strafen. Niemand durfte allerdings als Ketzer verurteilt werden, ohne dass die kirchliche Obrigkeit zuvor über ihn geurteilt und ihn zum Ketzer erklärt hatte. In der Zwischenzeit nahm der Kreuzzug gegen die Albigenser unter der Führung von Amalrich, dem Sohn von Simon de Montfort, seinen schrecklichen Lauf. Die Tode auf dem Scheiterhaufen und die Plünderungen, begleitet von schärfsten inquisitorischen Repressalien, dauerten bis 1244 an, als die letzte Katharerfeste, die Burg Montségur, fiel. Am 16. März 1244 wurden 200 perfecti (Vollkommene), die keine Reue gezeigt und sich geweigert hatten zu konvertieren, am Fuße der Burg bei lebendigem Leib verbrannt. Verfolgung und Terror bestimmten auch die kommenden Jahre. Mit Beginn des 14. Jahrhunderts gelten die Katharer als ausgerottet, allerdings haben sich die Spuren

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von Angst und Ressentiments unter die politischen Bestrebungen nach einer Unabhängigkeit Okzitaniens und die folkloristischen Überreste alter heidnischer Kulte gemischt. In Südfrankreich wie auch andernorts wurde dergestalt eine neue Periode des Ketzertums eingeläutet, die mit der Verbreitung von abergläubischen Vorstellungen einherging und in den folgenden Jahrzehnten das Phänomen der »Hexenjagd« hervorbringen würde.

Kreuzzug und Mission Der Kreuzzug stellte für die Kirche eine Möglichkeit dar, sich nicht nur geistig, sondern auch weltlich – und wir meinen damit militärisch – an die Spitze Europas zu stellen. Da überrascht es nicht, dass diese Form kirchlicher Aktivität schon bald zur polemischen Zielscheibe der Gegner der päpstlichen Politik wurde. Ursprünglich hatte die Enttäuschung über die militärischen Rückschläge diese kritische Haltung hervorgerufen. Die Idee einer immanenten Gerechtigkeit Gottes durchdrang schließlich die religiöse Mentalität jener Zeit. Sieg und Niederlage in der Schlacht nahmen den Stellenwert göttlicher Zeichen wahlweise der Zustimmung oder Missbilligung an. Man fragte sich daher, wie es möglich sei, dass Gott jene im Stich ließ, die in seinem Namen kämpften. Die Schuld wurde mal den allzu weltlichen Prälaten, mal den ihr Amt missbrauchenden Fürsten, mal den Pilgern zugeschoben, die ihren heiligen Auftrag aus den Augen verloren und weiter sündigten. So gesehen waren die Niederlagen sowohl Strafen als auch Prüfungen, die der Himmel seinen Kindern auferlegte. Die Troubadourdichtung der Jahrzehnte um die Wende zum 13. Jahrhundert strotzt vor Invektiven gegen Rom, das beschuldigt wurde, Jerusalem schmachvoll im Stich gelassen zu haben, um stattdessen Christen niederzumetzeln. Die Propaganda der Ghibellinen hatte leichtes Spiel, diese Anschuldigungen – gutgläubig oder in böser Absicht – zu wiederholen. Doch das Misstrauen, das die Predigten für den Kreuzzug hervorriefen, wurde auch aus wirtschaftlichen Gründen genährt. Die von der Kirche auferlegten Zehnten und Almosen, die oft von skrupellosen Eintreibern verwaltet oder an Territorialherren oder raffgierige Bankiers vergeben wurden, lösten ein wachsendes Klima des Unmuts aus. An der Schwelle zum 16. Jahrhundert sollte Luther dann die Früchte ernten, deren Samen jahrhundertelang gesät worden waren.

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Die Katharer werden 1209 aus Carcassonne vertrieben, Miniatur von 1415 aus den Grandes chroniques de France, Cotton MS Nero E II, fol. 20v, London, British Library.

War der Kreuzzug nun gerecht oder nicht? Das Problem seiner Rechtmäßigkeit mit Blick auf die Bekehrung der Ungläubigen blieb bestehen. Salimbene von Parma berichtet, dass es 1251, als Ludwig IX. in die Gefangenschaft der Sarazenen geriet, unmöglich war, in Frankreich Almosen für den Kreuzzug zu sammeln, weil die Menschen nur tiefe Verachtung für die Kreuzzüge hegten und Mohammed für mächtiger hielten als Christus. Der brave Ordensmann empört sich über diese Gotteslästerung, aber hinter den bitteren Schimpftiraden ist seine stillschweigende Enttäuschung leicht auszumachen. Er vergisst allerdings zu erwähnen, dass Franziskaner und Dominikaner zwar in Frankreich, dessen König in den Händen der

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Ungläubigen war, um Almosen für den Kreuzzug warben, aber keineswegs die Absicht hatten, eine neue Expedition zu seiner Befreiung zu organisieren. Tatsächlich war die Almosensammlung für den Kreuzzug gegen den exkommunizierten Konrad IV. von Schwaben bestimmt. Während also der heiligste aller christlichen Könige in Ketten lag, ließ die Kurie pro Christi nomine Geld für den Kreuzzug gegen einen Christen zusammenraffen! Mit den Ungläubigen ging man jedenfalls weniger zimperlich um. Obwohl die Kreuzzüge gewöhnlich mit religiöser Intoleranz in Verbindung gebracht werden, beschränkten sie sich darauf, für die Christen den Besitz des Heiligen Landes und die Pilgerfreiheit einzufordern. Wohl trifft es zu, dass die Quellen – vor allem die epische Dichtung – oft den Moment wiedergeben, in dem Christen die besiegten »Heiden« vor die Wahl zwischen Taufe und Tod stellen, und hier ist der Aspekt der Intoleranz zweifellos vorhanden. Niemals jedoch wurde eigens ein Krieg gegen die Ungläubigen geführt, um sie zu bekehren (die Scholastik sollte vielmehr die Unrechtmäßigkeit einer solchen Praxis verkünden). Versuche in dieser Richtung blieben in jedem Fall vereinzelt. Das Wissen des christlichen Abendlandes über den Islam und Mohammed blieb bis zum Ende des 12. Jahrhunderts verworren und voller abstruser Vorstellungen. Die muslimische Religion galt als ketzerische Verfälschung des Christentums oder als eine Mischung aus Götzenanbetung, Heidentum, Judentum und Vereinigung mit dem Teufel. In Mohammed sah man, wie Joachim von Fiore behauptete, eine Präfiguration des Antichrist, und viele sollten dies im Laufe des 13. Jahrhunderts bekräftigen. Oder man kolportierte die Legende, die aus dem Propheten einen abtrünnigen Glaubensbruder machte und aus seinem Gesetz eine christliche Häresie. Erst im intellektuellen Umfeld des Petrus Venerabilis begann man sich mit dem Studium der arabischen Sprache und der muslimischen Theologie zu beschäftigen, was zu einer ersten Übersetzung des Korans durch Robert von Chester führte – fruchtbare Annäherungen, die jedoch nicht im Heiligen Land, sondern auf der Iberischen Halbinsel stattfanden, dem wichtigsten Bindeglied zwischen den beiden Welten. Christen begannen als Folge der Kreuzzüge, Neugier und Interesse für die Muslime zu entwickeln. Wer in Spanien, Sizilien und Syrien aus welchen Gründen auch immer mit den Sarazenen in Berührung kam, konnte nicht umhin zu bemerken, wie grob und falsch das Bild war, das man sich in Europa von ihnen machte – ein Zerrbild, das auch in der epischen Dichtung fortlebte. Ebenso wenig waren die tiefen Bande zu ignorieren, die Christentum und Islam mit dem alttestamentarischen Urtext gemeinsam hatten, oder die wesenhafte Ähnlichkeit

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beider Gesetzesbücher auf moralischer Ebene. Mit dem Scheitern des zweiten und dritten Kreuzzuges hatte sich in Europa außerdem ein tiefes Misstrauen eingenistet, ob die Macht der Ungläubigen mit Waffengewalt überhaupt zu bändigen war. In diesem Klima ist die Orientreise des Franz von Assisi zu verorten und seine Predigt »vor des mächtgen Sultans Throne« während jenes Unternehmens, das wir gemeinhin als den »fünften Kreuzzug« bezeichnen. Franziskus war nichts als ein Pilger im Gefolge des Kreuzfahrerheeres. Ja, er war selbst ein Kreuzfahrer, weil ein Kreuzfahrer, wie wir gesehen haben, nicht nur derjenige war, der kämpfte, und weil das Kreuzfahrergelübde die unabdingbare Voraussetzung für die Teilnahme an den vom Papst ausgerufenen Kreuzfahrten war. Und doch war seine Haltung gänzlich neu. Nicht nur, weil er nach der Krone des Märtyrertums strebte, die aus theologischer Sicht die grundlegende Rechtfertigung der Kreuzzugserfahrung darstellte. Ein Märtyrer war, wer im Kampf gegen die Ungläubigen den Tod fand, aber auch der wehrlose Mensch, der von den Ungläubigen niedergemetzelt wurde. Worin liegt also das Neue, das Franziskus einführte? Es gründet sich zuallererst auf seine Anwesenheit unter den Ungläubigen oder besser gesagt: auf sein Zeugnis und die Diskussion, auf die Gegenüberstellung der beiden Gesetzesbücher, auf die Liebe zum Gegner, die selbst in dem brennenden Verlangen mitschwingt, ihn im Inneren zu bewegen und zu überzeugen. Die Minderbrüder (Franziskaner) blieben der Lehre ihres Meisters treu, die sie in einem grundsätzlich missionarischen Sinne weiterentwickelten. Ihnen ist (neben den Dominikanern) die Gründung der studia arabica zu verdanken: Junge Menschen betrieben das Studium der Sprache und der Botschaft Mohammeds und schärften ihre Waffen in der Kunst der con­ futatio, der Widerlegung. Es mag seltsam erscheinen, dass die Bettelorden zwei so unterschiedliche Funktionen erfüllten, indem sie einerseits  – bis zum Ende des 15. Jahrhunderts – die Kreuzzugspredigt und -propaganda monopolisierten und andererseits Studien und Aktivitäten förderten, die sich so offensichtlich als Alternative zum »Heiligen Krieg« gegen die Ungläubigen anboten. Tatsache ist jedoch, dass die Alternative, die uns so eklatant erscheint, für die damaligen Menschen keine war. Kreuzzug und Mission konnten sehr wohl Hand in Hand gehen, wobei Ersterer darauf abzielte, die Heiden vom rechtmäßigen Erbe des Gottesvolkes fernzuhalten, Letztere darauf, ihre Seelen zu retten. Die scholastische Kultur spielte eine grundlegende Rolle bei der Entwicklung des missionarischen Geistes: Wer in den Ländern der Heiden predigen wollte, setzte vor allem auf die Methode der Diskussion, der Widerlegung und der sub-

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tilen Konfrontation mit dem Widersacher. Der Islam war schließlich nicht der einzige unbestellte Boden, den es zu bearbeiten galt. Im 13. Jahrhundert war die Welt der Tataren erwacht und mit dem Westen in Berührung gekommen, eine junge Welt, beängstigend und faszinierend zugleich. Da waren einerseits die immensen wirtschaftlichen Vorteile, die sich denjenigen boten, denen es gelang, in sie vorzudringen, und andererseits die seltsam anmutenden Legenden, die sich um diese Welt rankten. So brachte man mit den Mongolen das Geschlecht der Heiligen Drei Könige und den mythischen Priesterkönig Johannes in Verbindung, den legendären Herrscher über das christliche Reich im Osten. Hieraus entstand die Idee, dass die Tataren bekehrt und zu Verbündeten im Kreuzzug gemacht werden konnten, eine große, sich zäh haltende Illusion, die das gesamte Jahrhundert über gehegt und in späteren Epochen wiederbelebt wurde. Die Welt, aus welcher der Kreuzzug hervorgegangen war, war dabei, sich unvergleichlich auszuweiten, und dabei erwiesen sich die alten Ideale als nicht mehr ausreichend. Zwei bedeutende franziskanische Philosophen, Robert Grosseteste und Roger Bacon, zögerten nicht, die Kreuzzüge scharf zu verurteilen und mit ungetrübtem Blick auf die nichtchristlichen Religionen ihre universellen Berührungspunkte zum Christentum herauszuarbeiten. Auf diesem Weg schritt ein origineller und in vielerlei Hinsicht befremdlicher Denker voran: der Katalane Raimundus Lullus. Er war ein Eiferer des Kreuzzuges, zugleich aber auch ein glühender Befürworter missionarischer Bestrebungen und ein genialer Kenner der philosophischen und wissenschaftlichen Welt der arabischen und jüdischen Kultur und ihrer beider Berührungspunkte zur christlichen Offenbarung. Diese ökumenischen Bestrebungen sollten das Christentum nachhaltig prägen.

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Kapitel acht

Das zweite Königreich Outremer Als der Franzose Jakob von Vitry am 4. November 1216 in Akkon eintraf, um dort seinen Bischofsstuhl einzunehmen, erkannte er auf den ersten Blick, wie schwer die Aufgabe sein würde, die ihn erwartete. Seit dem Fall Jerusalems war die Stadt zum politischen, administrativen und religiösen Zentrum der Region geworden und beherbergte die wichtigsten Institutionen des Königreichs, die Sitze der kirchlichen Würdenträger des Heiligen Landes und die Hauptquartiere der Ritterorden – ein beengter, lärmender Mikrokosmos, in dem man sich leicht gegenseitig auf die Füße treten konnte. In seinen Briefen an Freunde und Bekannte zögert der Prälat denn auch nicht, die Stadt als ein Ungeheuer mit neun Köpfen darzustellen, die einander gegenseitig zu verschlingen trachten. Er zeigt sich erstaunt über die Vielzahl der Riten, die in Akkon praktiziert wurden: Christen nach lateinischem Ritus mischten sich unter Jakobiten, Melchiten, Nestorianer, Georgier und Armenier. Unter ihnen gab es solche, die sich beschneiden ließen, solche, die ihre Sünden direkt vor Gott bekannten, solche, die ihren Priestern erlaubten, zu heiraten, solche, die das Abendmahl mit gesäuertem Brot feierten ... Und als ob das nicht genügte, verweigerten sich die Genuesen, Pisaner und Venezianer unter den Lateinern der Autorität des Bischofs, da sie sich allein ihren eigenen Klerikern verpflichtet fühlten. Nur die poulains – die in Outremer geborenen »Franken« – gaben sich, wie es scheint, untertänig. Ihr Betragen schildert der Bischof allerdings als verwerflich: Sie seien überaus interessiert an der Unzucht, den Freuden des Fleisches zugetan und nicht im Geringsten daran gewöhnt, dem Wort Gottes Gehör zu schenken. In Wahrheit sei die ganze Stadt ein Sündenpfuhl für alle Laster. Ihre Bewohner trü-

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gen weite Gewänder und parfümierten sich wie Frauen, die Prostitution grassiere, Wunderelixiere und tödliche Gifte gebe es überall zu kaufen, Mord und Totschlag seien an der Tagesordnung. Die Christen – wenn man denn von Christen sprechen könne – seien dermaßen verderbt, dass sie sich weigerten, ihre sarazenische Dienerschaft taufen zu lassen, damit sie sie weiter nach Belieben ausbeuten könnten. Wie man sich denken kann, entspricht das Babylon, das der neue Bischof von Akkon hier beschreibt, nur teilweise der Realität. Auf jeden Fall rühmt sich unser Autor, dass es ihm dank einer intensiven Predigtkampagne gelungen sei, viele Schafe in die Herde zurückzuführen. Mehr noch: Frauen und Männern habe er das Zeichen des Kreuzes auferlegt, also jenes Zeichen, das eindeutig und unmissverständlich diejenigen ausweist, die am iter hierosolymitanum teilnehmen würden. Dies ist ein ziemlich einzigartiger Vorgang. Zum ersten Mal wurde der Kreuzzug in Outremer selbst gepredigt. Die Zeiten hatten sich geändert, hier wie im Westen war der Kreuzzug nunmehr von dauerhafter Aktualität. Auch wenn es dem Papsttum gelungen war, ihn zu einem Herrschaftsinstrument des corpus christianorum zu machen und damit die eigenen Universalansprüche zu verteidigen, so hatte man es doch nicht versäumt, den Fokus auf Jerusalem zu lenken und die Massen zu begeistern. Warum also dieses Instrument nicht auch im Heiligen Land selbst einsetzen, bedachte man die jüngsten Rückschläge, die die aus dem Westen in die Levante ausgezogenen Kontingente erlitten hatten? Jakob von Vitry brannte darauf, die Gemüter wieder anzustacheln und die Bevölkerung in Outremer aufzurufen, sich für den Kampf gegen den Feind zu wappnen, der  – so viel war sicher  – in Ägypten lauerte und nur auf den geeigneten Moment wartete, um zum letzten Schlag auszuholen. Die Predigtkampagne sollte dazu auf die wichtigsten urbanen Zentren des Königreichs Hauptturm der Templerburg Chastel Blanc in Syrien.

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Jerusalem, die Grafschaft Tripolis und das Fürstentum Antiochia ausgedehnt werden: Es galt, ganz Outremer einzubeziehen. Der Prälat versäumte es jedoch, bei seinen Überlegungen den Wandel zu berücksichtigen, den der lateinische Osten durchlaufen hatte. Outremer hatte viel von seinem einstigen heroischen Glanz und seiner früheren Macht eingebüßt. Das Königreich Jerusalem war durch Saladins Eroberungen auf einen schmalen Küstenstreifen zusammengeschrumpft, grob gesagt zwischen Tyrus und Jaffa, nicht mehr vergleichbar mit den früheren Grenzen bis 1187, die einen Teil des Südlibanon umfasst und sich nach Osten bis jenseits des Jordan erstreckt hatten. Das Fürstentum Antiochia – das zweite große fränkische Staatsgebilde in der Region – blieb immerhin teilweise verschont. Der Verlust einiger Küstenzentren wie Laodicea und Gabala  – die erst in den 1260er-Jahren zurückerobert wurden  – und einiger bedeutender Festungen im Landesinneren, die die Straße zwischen Aleppo und der Küste sicherten, wurde durch die (nicht unproblematische) Aufrechterhaltung anderer befestigter Anlagen kompensiert, die von den Ritterorden befehligt wurden, wie der Crac des Chevaliers, das Chastel Blanc und die Burgen von Margat und Tortosa. Einige Gebiete in der Grafschaft Tripolis ausgenommen, hatte man das ländliche Umland aufgegeben, was die Haupteinnahmequelle der meisten lokalen Barone versiegen ließ. Die Bevölkerung strömte massenweise in die Städte, vor allem in die küstennahen Zentren, die als sicherer galten und vor allem dank der ständigen Präsenz westlicher Kaufleute und Geldhändler einen gewissen Wohlstand garantieren konnten. In seiner maximalen Ausdehnung hatte das Fürstentum bis Zypern gereicht, das den Griechen von Byzanz 1191 von Richard Löwenherz abgerungen und kurz darauf an das Haus Lusignan abgetreten worden war. Die strategische Lage der Stadt in der Nähe der Hauptverkehrswege gewährleistete immerhin ihre kontinuierliche Versorgung. Mehrere Familien aus dem Fürstentum Antiochia waren allerdings in das armenische Fürstentum Kilikien übergesiedelt, das den Golf von Alexandretta überblickte und 1197 zum Königreich wurde. Hier bildete sich eine einzigartige Mischkultur heraus, in der sich Merkmale der armenischen Kultur mit jenen der fränkisch geprägten höfischen und ritterlichen verbanden. Mehr noch als im Jahrhundert zuvor glich Outremer einem Mosaik, dessen Teile so oft neu zusammengesetzt worden waren, dass schwer zu sagen war, wer hier Macht über wen hatte. Nur die mächtigsten Barone, wie die Grafen von Jaffa oder die Herren von Beirut, Sidon, Toron, Arsuf und Haifa, hatten ihre Herr-

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Die Burg von Margat und der Crac des Chevaliers in Syrien, zwei bedeutende Festungen der Johanniter.

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schaftsgebiete wieder in Besitz nehmen können, wenn auch nicht vollständig. Die Mehrheit musste sich mit einigen wenigen Gütern mit zugehörigem Gesinde begnügen, die nur den nötigsten Lebensunterhalt deckten – und dies, obwohl es den Franken innerhalb weniger Jahrzehnte gelungen war, beträchtliche Teile des Territoriums zurückzuerobern. Dabei profitierten sie maßgeblich von der inneren Zerrissenheit der sarazenischen Welt, die in diverse Fürstentümer aufgesplittert war, die sich von der Schutzhoheit des Sultans von Kairo zu emanzipieren versuchten. Wie wir gesehen haben, wurde die Bildung des sogenannten zweiten Königreichs Jerusalem von einem unerbittlichen Kampf zwischen den Erben des im März 1193 verstorbenen Saladin begleitet. Es handelte sich um einen schrittweise verlaufenden Prozess, der in einem verschlungenen diplomatischen Ringen aus Friedensschlüssen, Waffenstillständen und Bündnissen im Wechsel mit sporadischen Machtdemonstrationen dazu führte, dass die Franken einen Großteil Galiläas, die Küstenebene zwischen Tortosa und Askalon und, wenn auch nur für einige Jahre, Jerusalem selbst wieder unter ihre Kontrolle bringen konnten. Auch die Grenzgebiete ließ man nicht völlig unbesetzt, ja es entwickelte sich sogar eine Art Koexistenz zwischen fränkischen und sarazenischen Ansiedlern, Mischehen eingeschlossen. Die Städte besaßen allerdings ihre ganz eigene Anziehungskraft, weshalb ein großer Teil der Geschichte von Outremer im 13. Jahrhundert Stadtgeschichte war. Das Land litt mit Sicherheit an einer ganzen Reihe chronischer Probleme, die vor allem auf die fehlende innere Einheit und die latent vorhandenen diversen Autonomiebestrebungen zurückzuführen waren, die nur durch ein in hohem Maß strukturiertes politisches System im Zaum gehalten wurden. Fakt ist, dass die Königsherrschaft das gesamte Jahrhundert über eine kontroverse Rolle spielte und über längere Zeiträume sogar abwesend war. Die großen Städte ihrerseits zeichneten sich durch eine einzigartige innere Fragmentierung aus: Neben den königlich kontrollierten Bereichen gab es die im Wesentlichen selbst verwalteten Quartiere der verschiedenen italienischen Gemeinden sowie die den Ritterorden und Kirchen zugehörigen Bereiche, was insgesamt beim Betrachter von außen einen hochgradig segmentierten Eindruck hinterlassen haben muss. Auch die Sitten waren davon betroffen. In den Schriften der damaligen Zeit – Reise- oder Pilgerberichte, Abhandlungen zur Geographie, militärische Traktate etwa über die Frage, wie die Rückeroberung Jerusalems zu bewerkstelligen sei – findet man scharfe Kritik am moralischen Gebaren der Bürger von Outremer und insbesondere der Einwohner von Akkon, die einem ausschweifenden Lebensstil

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frönten. Die Vorwürfe reichten von Luxus, sexuellen Vorlieben oder dem Glücksspiel über Neid und Habgier (invidia et avaritia), was sich gegen die italienischen Kaufleutegemeinschaften richtete, bis hin zu Gleichgültigkeit oder gar Kollaboration mit dem Feind, womit die Ritterorden gemeint waren. Die standen nämlich im Verdacht, die Landesverteidigung ihren eigenen Interessen hintanzustellen. Nun, dies alles war eine Folge der wachsenden Bedeutung, die den Städten in Syrien und Palästina mittlerweile in politischer, wirtschaftlicher und religiöser Hinsicht zukam. Schon lange spielten die Häfen von Outremer eine gewichtige Rolle als Bindeglied zwischen Ost und West. Gegen Ende des 12. Jahrhunderts hatte die syrisch-palästinensische Küste trotz der dem Kriegsgeschehen geschuldeten Destabilisierung begonnen, Ägypten die Position als wichtigster Markt im gesamten südöstlichen Mittelmeerraum streitig zu machen. Der Übergang war schrittweise erfolgt. Befördert wurde die Entwicklung durch die Sehnsucht der Bevölkerung nach westlichen Waren wie auch durch die wenig ertragreiche Beschaffenheit des Bodens, die das Land eher für den Fernhandel als für den Export eigener Produkte prädestinierte. Outremer besaß auch einen eigenen, wenngleich schwachen Binnenmarkt, der sich auf die Sicherung der Grundbedürfnisse beschränkte. Die wichtigsten Anbauflächen lagen in den Ebenen von Jesreel und Scharon, im schmalen Küstenstreifen zwischen dem Meer und den Bergen des Libanon, in der Bekaa-Hochebene und in der ausgedehnten Ebene vor Antiochia, die zusammen mit Transjordanien die Hauptkornkammer des Landes bildete (gegen Ende des Jahrhunderts, als die lateinische Präsenz auf einige wenige Küstenenklaven zusammengeschrumpft war, musste das Getreide aus Ägypten oder dem muslimischen Syrien importiert werden). Im Großen und Ganzen bot das Gebiet keine großen Möglichkeiten: Das hügelige Hinterland erlaubte die Haltung von Ziegen, Schafen und Schweinen; der Anbau von Obst- und Olivenbäumen wurde in großem Stil betrieben; es gab außerdem einen regen Exporthandel mit Zuckerrohr, das in vielen Küstenregionen (insbesondere in der Nachbarschaft von Tyrus und Akkon) und im Jordantal angepflanzt wurde. Darüber hinaus wurden Rohgewebe wie das Leinen aus Nablus sowie verarbeitete Stoffe hergestellt. Dazu zählte etwa das Samit, ein Seidentuch, das man in verschiedenen Formen und Farben in Akkon, Beirut und Laodicea produzierte, oder der Zendale, ebenfalls ein Seidengewebe, aber dünner, das für die Kopfbedeckungen der Frauen verwendet wurde und meist aus Tyrus kam. Alles in allem bot dies jedoch nur einem begrenzten Handel Raum und stand in keinem Vergleich mit der Durchfuhr von Waren, die

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aus Innerasien, Ägypten, Indien, Konstantinopel oder den Ländern im Westen kamen. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts gewannen Städte wie Akkon, Tyrus, Beirut und Tripolis zunehmend an Bedeutung für den Fernhandel und bildeten den Kreuzungspunkt zweier Transitstrecken: Die erste, die von West nach Ost und von Ost nach West verlief, verband die Mittelmeerregionen mit den »Seidenstraßen« im Orient; die zweite, die in Nord-Süd- beziehungsweise Süd-NordRichtung verlief, verband die Märkte in Konstantinopel und am Schwarzen Meer mit Ägypten und dem Roten Meer. Die Rolle Outremers im Spiel der Mächte war – mutatis mutandis – vergleichbar mit der Zentralasiens im 19. Jahrhundert, als Großbritannien und das Zarenreich darum kämpften, sich die Kontrolle über das geostrategisch bedeutende Gebiet zu sichern. Für Ägypten bildete das Land einen Pufferstaat gegen die ständigen Unruhen unter den iranischen und mesopotamischen Volksstämmen, denen es wiederum als Korridor auf dem Weg zum Nil und seinen Reichtümern diente. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurde Outremer dann zum Spielball einer ganz besonderen Variante des Great Game, in dem verschiedene Akteure aus dem einen oder anderen Grund Interesse daran hatten, das Land unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Königreich Jerusalem und seine Satellitenstaaten waren von einem Ort der Pilgerfahrt und der Wahrung des Andenkens Christi zu Schlüsselstellen in den zwischenstaatlichen und interkulturellen Beziehungen zwischen dem europäisch-mediterranen Westen und dem afrikanisch-griechisch-syrisch-asiatischen Osten geworden, in einem geopolitischen Rahmen, der weniger von den westlichen Mächten als von den großen politischen und kulturellen Akteuren im Orient beherrscht wurde: dem Ägypten der Ayyubiden und Mamluken und dem Persien der Ilchane.

Eine neue Hauptstadt All dies wies Akkon, der bedeutendsten Stadt an der Küste, eine tragende Rolle zu, als Schnittstelle der Handels- und Verkehrswege zu Land und zu Wasser und zugleich geopolitisches Gravitationszentrum der gesamten Region. Der Hafen der Stadt war schon vor Saladins Eroberungen stark frequentiert. Italienische Kaufleute besaßen dort ganze Viertel, in denen es vor Geschäfts- und Gewerbetätigkeit nur so wimmelte und von denen aus der Warenfluss relativ leicht zu kon-

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trollieren war. Zucker, Gewürze, Erzeugnisse aus Glas und Metall, Schmuck und Sklaven wurden gegen Ladungen von Getreide, Wein, Trockenfrüchten, Textilien, Eisen und Holz eingehandelt. Ein Teil davon war wiederum für den Export bestimmt, insbesondere nach Ägypten. Wie der Florentiner Kaufmann Francesco Balducci Pegolotti vermerkt, der in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte, unterhielt Akkon, als es noch »in Händen der Christen war« (also bevor es 1291 an die Mamluken fiel), Verbindungen zu Alexandria, Konstantinopel, Thessaloniki, Sivas, Laiazzo, Glarentza, Ancona, Messina, Palermo, Tunis, Barletta, Neapel, Venedig, Florenz, Pisa, Genua, Marseille, Nîmes, Montpellier, den Messen in der Champagne, Famagusta, Aleppo, Laodicea, dem libanesischen Tripolis, Damaskus und Antiochia, sprich zu allen wichtigen Handelszielen im mittleren und östlichen Mittelmeerraum, ob an der Küste oder im Landesinneren gelegen. Aus einer Liste der an die Krone zu entrichtenden Verkaufssteuern aus der Mitte des 13. Jahrhunderts geht hervor, dass der Handelsplatz Akkon reich an orientalischen Produkten war, von denen einige, wie Pfeffer oder bestimmte Gewürze, aus dem Indischen Ozean über das Rote Meer dorthin gelangten. Muslimische oder nestorianische Kaufleute handelten mit Gewürzen und Düften, darunter auch Weihrauch aus Arabien, außerdem mit Produkten wie Wolle, Seide, Baumwolle, Alaun, Färbemitteln für Stoffe, Elfenbein, Keramik, Wein und gesalzenem Fisch. Es gab außerdem einen regen Handel mit turkmenischen Pferden, die sich besser als die arabischen dazu eigneten, das Gewicht von Reitern in schwerer Rüstung zu tragen. Anscheinend belief sich die an die Krone zu entrichtende Abgabe für den Handel mit den muslimischen Ländern grundsätzlich auf zehn Prozent des Warenwerts. Die italienischen und provenzalischen Gemeinschaften profitierten allerdings von umfassenden, zum Teil schon lange gewährten Ermäßigungen. Sie gingen noch auf die Zeit der Eroberung zurück, bei der ihre Unterstützung sich als unerlässlich erwiesen hatte. Im 12. Jahrhundert hatte die fränkische Monarchie diese mittlerweile anachronistischen Privilegien einzuschränken versucht, ruderte aber zurück, als die Region sich dem Angriff von Saladins Armeen ausgesetzt sah. In dieser Zeit kam es zu einer neuen Flut von Privilegien für die Gemeinschaften aus dem Westen, die den Umstand zur Ausweitung ihrer Vorrechte zu nutzen wussten. Das geschah nicht immer in transparenter Weise: Einige dieser Privilegien sollten in die Hände von Fälschern gelangen, die willkürlich weitere Zugeständnisse hinzufügten, was in Anbetracht der zentralen Bedeutung von Outremer die Mühe durchaus wert

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war. Doch nicht nur der Handel lebte von dieser Betriebsamkeit. Die Schiffe der westlichen Kaufleute waren groß genug, um weitere Transportmöglichkeiten zu bieten. Sehr einträglich war etwa die Beförderung von Reisenden, Kreuzfahrern und Pilgern, die man häufig zusammen mit den Waren auf die Decks oder in die Laderäume pferchte. Sie sind es, die uns von heiklen Überfahrten berichten, den Wellen ausgeliefert, in Gesellschaft von Ratten und Insekten, dazu verdorbenes Essen und fauliges Wasser. Wohl hatte die Pilgerfahrt ins Heilige Land nach den Auseinandersetzungen im späteren 12. Jahrhundert einige Rückschläge erlitten. Doch war die Praxis nie ganz zum Erliegen gekommen, sondern blühte, befördert durch die sarazenischen Herren über die heiligen Stätten, im Gegenteil wieder auf, da diese durch die Erhebung von Eintrittsgeldern reichlich Profit erzielten. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts kam es jedoch zu einigen wichtigen Veränderungen. Akkon kristallisierte sich allmählich als bedeutendes religiöses Zentrum heraus. In den Pardouns de Acre, einem Text aus den späten 1250er-Jahren, sind nicht weniger als 39 Kirchen aufgelistet, in denen sich Ablässe erwerben ließen – ganz so, als ob sich die Stadt als eine Art Jerusalem-Ersatz zu profilieren gedachte. Saladins Eroberungszüge hatten in der Tat großen Einfluss auf die Organisation der lateinischen Kirche genommen. Der Fall vieler Bischofsstädte neben dem von Jerusalem selbst zwang deren Prälaten zur Flucht an die Küste nach Akkon, Tyrus und Tripolis oder dorthin, wo sie über Ländereien verfügten, die den Lebensunterhalt ihrer jeweiligen Gemeinschaft gewährleisten konnten. In der neuen Hauptstadt hielten sich zu Beginn des Jahrhunderts nachweislich der Patriarch von Jerusalem, die Erzbischöfe von Tyrus, Nazareth und Cäsarea sowie die Bischöfe von Akkon, Beirut, Bethlehem, Lydda, Sidon, Sebaste und Tiberias auf, de facto alle wichtigen kirchlichen Autoritäten des Königreichs. Es ist leicht auszumalen, dass die Präsenz so vieler mit der Mitra bekrönter Häupter an einem Ort zu einzigartigen Kompetenzstreitigkeiten führte. Zu einer ersten Umstrukturierung in der kirchlichen Hierarchie kam es zwischen 1197 und 1202 unter dem Patriarchat des Monachus. Sie beruhte im Wesentlichen auf pragmatischen Grundsätzen, das heißt auf der Fähigkeit, Einnahmen und Erträge zu erzielen. Nur in einigen wenigen Fällen  – Nazareth oder Bethlehem, deren Diözesen ganz in sarazenische Hände gefallen waren  – sprachen andere Faktoren wie die religiöse Bedeutung des Ortes oder der Besitz beträchtlicher Güter im Westen für die Beibehaltung des hierarchischen Rangs. Sicher ist, dass viele Prälaten keinen Fuß mehr in ihre Amtssitze setzten  – nicht einmal der Patriarch von Jerusalem, ungeachtet der

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friedlichen Rückeroberung der Stadt durch Friedrich II. im Jahr 1229. Gerald von Lausanne, der vier Jahre zuvor gewählt worden war, zog es vor, weiterhin in Akkon zu residieren, offenbar um die Kultorte nicht mit Muslimen teilen zu müssen (oder vielleicht, ganz prosaisch, um die Kosten für den Wiederaufbau der Stadtmauern nicht tragen zu müssen). Bisweilen wurden Titularsitze wieder begründet, so zum Beispiel in Hebron, wo man den Rang als Bistum 1251 wiederherstellte. Doch sollte kein lateinischer Prälat jemals dort amtieren. Die Fälle liegen jedoch von Mal zu Mal anders. Der Erzbischof von Nazareth weilte ab 1198 in Akkon und kehrte erst zwischen 1250 und 1255 an seinen Amtssitz zurück, nur um im darauffolgenden Jahr seinen Aufenthalt wieder in Akkon zu haben. Das Amt des Bischofs von Bethlehem hingegen, der in der Schlacht von Adrianopel (1205) fiel, wurde (zumindest im Osten) nicht mehr neu besetzt (möglicherweise wurde aber im Westen ein Titularbischof von Bethlehem ernannt). Diözesen wie Petra, die keine Besitzungen mehr hatten, besetzten die Ämter im Kapitel nicht wieder neu. Tiberias wählte erst 1241 einen neuen Bischof. Grundsätzlich bildeten die urbanen Zentren den äußeren Rahmen für die Jurisdiktion des lateinischen Klerus. Wie bereits erwähnt, lebte die große Mehrheit der Bevölkerung innerhalb der schützenden Stadtmauern oder in ihrer unmittelbaren Umgebung. Die meisten Einkünfte stammten somit aus Pfarrkirchen, Grundbesitz oder Spenden der Pilger. In den größten Städten, so in Akkon, Tyrus und Tripolis, gab es gleich mehrere Kirchen. Zuständig für die Seelsorge waren vor allem die Klöster, die Kirchen der Ritterorden oder die Kirchen der »Nationen«, also der verschiedenen innerstädtischen Gemeinschaften, unter denen die italienischen eine prominente Stellung einnahmen. Die größte Kirche in Akkon war die dem Heiligen Kreuz geweihte Bischofskirche, die auch Sitz des Patriarchen von Jerusalem war. San Marco, San Pietro und San Lorenzo waren danach die drei bedeutendsten Kirchen und gehörten den Venezianern, den Pisanern und den Genuesen. In der Kirche des heiligen Martin versammelte sich eine bretonische Gemeinschaft und die Marienkirche bildete das Herz einer Gemeinde, deren Mitglieder aus Marseille und der Provence stammten. Auch die militärischen Orden – Templer, Johanniter, Deutscher Orden, Lazarusorden, Orden von Montjoie und Thomasorden – besaßen jeweils eigene Gotteshäuser, oft mit angeschlossenem Hospital. Gleiches galt für die Bettelorden – Franziskaner, Dominikaner und auch die Eremiten vom Berg Karmel –, die schon früh Niederlassungen in den Küstenstädten gegründet hatten. Wie leicht auszumalen ist, war eine solche Konstellation religiöser Gemein-

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schaften und kirchlicher Ämter durch die Autorität des Patriarchen oder des Akkoner Bischofs nur schwer zu kontrollieren. Die meisten von ihnen fielen zudem gar nicht unter die rechtliche Zuständigkeit der lokalen Autoritäten, ein Umstand, der die von Jakob von Vitry geschilderten Zustände weiter verschärfte.

Die Verteidigung des Königreichs Wenden wir uns nun den Ritterorden zu, die monastische Ideale und Rittertum miteinander verbanden. Mittlerweile versiert darin, ihre ursprüngliche Berufung zu Krankenpflege und Beistand mit einem militärischen und defensiven Auftrag zu verbinden, übernahmen sie in jenem komplexen Gefüge eine entscheidende Rolle. Zwischen den verschiedenen Orden gab es durchaus erhebliche Unterschiede. Bezeichnend ist beispielsweise die Titulierung der Templer als milites, die sie ihrer Rolle in der Verteidigung der Pilgerwege verdankten, während die Johanniter als fratres bezeichnet wurden, was stärker auf ihre krankenpflegerische Arbeit im Spital abhob. Aber alle diese Orden verfügten über umfangreiche Besitztümer in der Hauptstadt und ihrer Umgebung, dazu kamen Burgen und Weiler im gesamten fränkischen Gebiet. Dezimiert durch die Kriege gegen Saladin, gelang es den beiden bedeutendsten Orden, den Templern und den Johannitern, sich rasch zu erholen, obwohl sie ihre Niederlassungen in Jerusalem und zahlreiche Festungsbauten verloren hatten. Dazu zählten die Templerburgen von Safed und Gaza oder die Johanniterburgen von Belvoir und Beth Gibelin. Ihre Rolle bei der Verteidigung von Outremer – die, wie schon gesagt, mit einer Art »immerwährendem Kreuzzug« vergleichbar war  – hatte nach und nach an Gewicht gewonnen und wurde von der Errichtung oder dem Ausbau der wichtigsten Festungsanlagen in der Region begleitet. Mächtige Bauwerke entstanden entlang der Küstenstraße, die den Norden und den Süden des Landes miteinander verband, oder wurden zur Verteidigung der Verbindungswege ins Landesinnere errichtet, von denen aus sich die Karawanenstraßen in vielfachen Windungen bis in iranisches und mesopotamisches Gebiet zogen. Die meisten Wehranlangen finden sich im Norden und dort vor allem im Fürstentum Antiochia, wo sich der Lauf des Euphrat zwischen Balis und Aleppo der Küste nähert. Von dort reihten sie sich hinunter bis nach Damaskus, erreichten die Ebene von Hula und den See Genezareth und zogen sich von dort hinauf nach Jerusalem. Saladin hatte fast alle Festungen im Grenz-

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gebiet zwischen dem Fürstentum Antiochia und der Grafschaft Tripolis unversehrt gelassen. Dreh- und Angelpunkte im Verteidigungssystem der Region waren die Johanniterburgen Margat und Crac des Chevaliers sowie die Templerfestungen von Tortosa und Chastel Blanc, die zusammen mit Akkar und Le Moinestre rings um Tripolis und Tortosa in Richtung Hama und Homs lagen; etwas weiter südlich bewachten Beaufort und Toron die Straße, die von Tyrus nach Damaskus führte. Das Königreich Jerusalem hingegen war geschützt durch das Bergmassiv des Hermon im Norden – wenn sich auch an seinen südlichen Ausläufern die Burg Nimrod erhob, die seit 1164 in muslimischer Hand war –, durch den Jordangraben im Osten und die Wüste im Süden. Obwohl es also eigentlich keine besonderen Wehranlagen benötigte, verfügte es über ein Verteidigungsnetz, dessen Festungen, wie beispielsweise das Chastel Neuf im Norden, in der Nähe der wichtigsten Städte und entlang der Hauptverkehrsachse des Landes errichtet worden waren. Diese Straße, die von Tyrus nach Akkon führte, setzte sich nach der Umrundung der als Passe Poulain bekannten Landzunge (des heutigen Rosh Hanikra an der Grenze zwischen Israel und dem Libanon) über den Berg Karmel – den zum Meer hin die mächtige Feste Château Pèlerin (Pilgerburg) bei Atlit verteidigte – bis nach Jaffa fort. Dort bog sie nach Lydda ab und führte, vereint mit der von Megiddo kommenden Straße, nach Ramla, Askalon und Gaza in Richtung Sinai-Halbinsel und damit weiter bis nach Ägypten. Die Hauptstadt selbst umgaben mehrere Festungen, die teils an der Küste und teils im Landesinneren lagen und zwei Wegstrecken kontrollierten. Die weiter nördlich verlaufende Route, deren Startpunkt die Kreuzfahrerburg Montfort sicherte – in französischsprachigen Quellen »Montfort des Alemans« genannt, weil sie in Händen deutscher Kreuzfahrer war –, diente hauptsächlich militärischen Zwecken. Nachdem sie die imposante Burg von Safed erreicht hatte, zweigte sie, über Kapernaum und Magdala führend, wahlweise in Richtung Damaskus oder Tiberias ab. Eine zweite Route führte zum südlichen Ende des Sees von Genezareth und verlief entlang einiger bedeutender Stätten christlicher Tradition, darunter Nazareth, Kana und der Berg Tabor. Diese Strecke bevorzugten jene Pilger, die Galiläa besuchen wollten, bevor sie sich nach Jerusalem aufmachten. Die Heilige Stadt selbst erreichte man über drei Hauptwege, die sich ab Afula verzweigten: Der erste, weiter westlich, führte fernab des Meeres die Ebene hinunter, verlief an den bergigen Ausläufern Samariens bis nach Lydda, um dann scharf nach Osten abzubiegen und sich mit der Straße zu vereinen, die aus Jaffa kam, dem natürlichen Hafen Jerusalems. Die zweite Strecke, kürzer und sicherer, wenn auch weniger leicht zu begehen,

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führte über die Wasserscheide des Jordan an Sebaste und Nablus vorbei. Der dritte und wahrscheinlich bequemste Weg, obwohl entlang der Straße Räuber lauerten, führte über Bet Sche’an und Jericho durch die Jordansenke, wo die Menschen zum Gedenken an die Taufe Jesu badeten, und dann von Nordosten hoch nach Jerusalem. Von dort aus konnte man, wenn man die Grabeskirche besucht und vielleicht am Feuerwunder während der Osterfeierlichkeiten teilgenommen hatte, nach Bethlehem, Hebron und En Kerem gelangen oder in die Wüste Negev hinabsteigen. Der unentbehrliche Dienst, den die Templer und Johanniter zur Verteidigung der Hauptpilgerrouten leisteten, war nur ein Aspekt ihres Wirkens in Outremer. Beide Orden nannten umfangreiche Besitzungen ihr Eigen: Wohnhäuser, kleinere Burgen, Landgüter, Mühlen, ausgedehnte Anpflanzungen, häufig Schenkungen adliger Herren, die in den Orden eingetreten waren. Die Verwaltung dieser Liegenschaften nahm zusammen mit der Leitung der Spitäler und dem unabdingbaren Gottesdienst einen großen Teil ihrer Zeit in Anspruch. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts häuften Templer und Johanniter beträchtliche Reichtümer an. Sie breiteten sich nicht nur in Syrien und Palästina, sondern in ganz Europa mit einem weit verzweigten Netzwerk von Häusern und Komtureien engmaschig aus, was es ihnen ermöglichte, nahezu kontinuierlich neue Mitglieder zu rekrutieren. War dies die Erklärung für ihre Resilienz in der Bewältigung von Niederlagen? Die Wirtschafts- und Finanzmacht des Templerordens, der das Haus in Paris – den temple – zu seinem Hauptstützpunkt erkoren hatte, wuchs stetig. Die französischen Herrscher vertrauten den Templern ihre Einnahmen an und ließen sich aus dem Ordensvermögen oft große Darlehen geben, die sie zu üppigen Zinsen zurückzahlten. Vollkommen unabhängig von jedweder lokalen kirchlichen Gerichtsbarkeit und – ein nicht unbedeutendes Detail – im Besitz einer eigenen Flotte (die freilich der von Genua oder Venedig nicht vergleichbar war), waren Templer und Johanniter der entscheidende Machtfaktor in Outremer. Sie kompensierten die chronischen Unzulänglichkeiten der dortigen Barone, die immerzu auf der Suche nach Wegen waren, an Geld und an die Krone zu kommen. Vor diesem Hintergrund verfolgten beide Orden gegenüber den sarazenischen Nachbarn eine unabhängige und gegenüber den Interessen des Königreichs und seiner aktuellen politischen Orientierung rücksichtslose Politik. Wie wir noch sehen werden, schlossen beide Orden mehr als einmal separate Friedensverträge mit dem Feind, wobei sie stets die eigenen Interessen über die allgemeinen stellten, um den Status quo so weit wie möglich zu wahren. Nicht selten mischten sich ihre Ordensmeister und hochrangige Ordensritter in die lokale Politik ein und

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bezogen eigene Positionen: In der Auseinandersetzung zwischen den Baronen und Kaiser Friedrich II. in den 1230er-Jahren stellten sich die Templer entschieden gegen Letzteren. Als ein Konflikt unter den italienischen Gemeinschaften ausbrach, die sich 1256/57 in Akkon niederließen, ergriffen die Johanniter Partei für die Genuesen und gegen die Pisaner und Venezianer, die ihrerseits von den Templern und mehreren fränkischen Baronen unterstützt wurden. Gewiss fehlte es auch nicht an offiziellen Versöhnungen und gemeinsam vertretenen Positionen, und doch sollte die Rivalität zwischen den beiden bedeutendsten Ritterorden die Geschichte Outremers bis zu ihrem Ende begleiten.

Ein labiles Gleichgewicht Über weite Teile des 13. Jahrhunderts verfolgte Outremer im Inneren keine stringente Politik. Die häufigen Rivalitäten – nicht nur zwischen den Orden und den Bewohnern der Küstenstädte, sondern auch unter den Baronen, die um die Vormachtstellung konkurrierten – erhöhten die Verwundbarkeit des Landes. Diese Fragilität wurde durch die chronische Schwäche der Monarchie noch verschärft. Die Krone lag nicht selten in den Händen des schönen Geschlechts und somit in den Händen desjenigen, der die Königin der Stunde ehelichte, oder in den Händen minderjähriger Herrscher, die eines Regenten bedurften. Im Laufe des Jahrhunderts wurde Jerusalems Krone erworben, streitig gemacht, weitergereicht, angefochten und sogar verkauft – mit katastrophalen Folgen für das Königreich. Hatten die Herrscher Jerusalems zu Zeiten von König Amalrich 1162–1174 noch ein gewisses Prestige genossen, so folgte auf seinen Tod eine lange Zeit der Krise. Die letzten drei (von vier) Ehemännern seiner Tochter Isabella I. waren auf ungewöhnliche Weise dahingeschieden (der letzte, Amalrich von Lusignan, im Jahr 1205 nach dem Verzehr einer verdorbenen Meeräsche). Maria, die Tochter aus Isabellas Ehe mit Konrad von Montferrat, welcher der Thron rechtmäßig zustand, heiratete einen wackeren französischen Kreuzfahrer, Johann von Brienne, und starb 1212 bei der Geburt ihrer Tochter, der zukünftigen Isabella II. 1225 wurde Letztere mit keinem Geringeren als Kaiser Friedrich II. verheiratet. Vier Jahrzehnte lang trugen die Staufer die Krone von Jerusalem, ihre Herrschaft war jedoch umstritten und eher schwach – abgesehen von Friedrichs kurzer Kreuzzugserfahrung, von der noch die Rede sein wird. Das hatte mit dem zwischen Friedrich und dem

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Papsttum schwelenden Konflikt zu tun und mit den Exkommunikationen, von denen sich der Herrscher eine ganze Reihe einhandelte. Es hinderte ihn allerdings nicht daran, Erfolg zu haben, wo andere gescheitert waren, nämlich bei der – wenn auch nur kurzzeitigen – Rückgewinnung Jerusalems. Diese Verwicklungen verstand eine Familie für sich zu nutzen: die dem lokalen Hochadel angehörenden Ibelin. Sie hatten ferne Wurzeln in Italien und waren dazu bestimmt, mit Johann, dem Halbbruder Isabellas I. mütterlicherseits, der als »der alte Herr von Beirut« in die Geschichte eingegangen ist, zu unangefochtener Macht aufzusteigen. Johann, der bei Streitigkeiten unter den Baronen von Outremer selten abseits stand, war es gelungen, seinen Einfluss auch auf Zypern auszudehnen, wo die Familie zahlreiche Besitzungen hatte. Er war es, der 1225 seine schützende Hand über die Krönung des erst acht Jahre alten Heinrich von Lusignan zum König der Insel hielt. Damit legte er sich direkt mit Friedrich II. an, der auf-

Papst Honorius III. vermählt Friedrich II. und Isabella II., die Tochter des Königs von Jerusalem, Johann von Brienne (rechts), Miniatur des 14. Jhs. aus: Giovanni Villani, Nuova cronica, ms. Chigiano L VIII 296, Biblioteca apostolica vaticana.

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grund des kürzlich errungenen Jerusalemer Throns die Herrschaft für sich selbst beanspruchen wollte. Der Pseudokreuzzug des exkommunizierten Kaisers fand, wie wir noch sehen werden, in den Jahren 1228/29 statt und löste einen heftigen Bürgerkrieg aus. Die kaiserlichen Truppen bekriegten sich mit den einheimischen Baronen, die um die Bedrohung ihrer Privilegien durch die bevorstehende Eingliederung der überseeischen Gebiete in das Kaiserreich wussten. Die Ereignisse sind wohlbekannt, nicht zuletzt, weil sie von verschiedenen Beobachtern, insbesondere von Filippo da Novara, einem nach Zypern ausgewanderten Italiener und treuen Anhänger der Ibelin, überaus detailliert geschildert worden sind. In der Nähe von Nikosia kam es zu den ersten Zusammenstößen zwischen den Streitkräften der Barone und den kaiserlichen Truppen: Die fünf vom Kaiser auf der Insel zurückgelassenen Baillis (Landvögte) erlitten eine schwere Niederlage, die es Johann ermöglichte, im Namen des mittlerweile zwölfjährigen Heinrich die Regentschaft zu übernehmen. Friedrich reagierte mit der Entsendung eines großen Trupps von Fußsoldaten und Rittern aus Italien unter dem Kommando des Hauptmanns Riccardo Filangieri. Johanns Abwesenheit ausnutzend, belagerte Filangieri Beirut, besetzte Sidon und Tyrus und richtete in Akkon seinen Hauptstützpunkt ein, wo er von den Baronen des Königreichs die Bestätigung seiner Ernennung zum Bailli erhielt. Während der Versammlung verkündete er offiziell die Konfiszierung der Ländereien der Ibelin, die sie seinen Worten zufolge unrechtmäßig innehatten. Daraufhin wechselte die Mehrheit der Barone auf die gegnerische Seite. Es war ihr Sprecher Balian von Sidon, der Filangieri an die besondere Konstituierung des Königreichs Jerusalem erinnerte, das, wie er betonte, aus einem freien Zusammenschluss von Kreuzfahrern und Pilgern entstanden war, die ursprünglich einen Anführer gewählt hatten, der sie regieren würde, und eine Reihe von Gesetzen verabschiedet hatten. Ibelin brauchte nicht lange, um die Festung von Beirut (nicht aber die Stadt) zurückzuerobern, und machte Akkon zum eigentlichen Zentrum des antiimperialen Widerstands. Im Jahr 1232 schlossen sich die Bürger der Stadt zu einer communitas nach dem Vorbild der westlichen Bürgergemeinden zusammen. Der Sieg bei Casal Imbert am 3. Mai desselben Jahres zwang die kaiserlichen Truppen zum Rückzug nach Tyrus, bevor sie zurückschlugen und den Konflikt auf das zypriotische Königreich ausdehnten. Die italienischen Kaufmannsgemeinschaften waren davon direkt betroffen, weil sie ihren Handel mit der Insel bedroht sahen. Über die Vermittlung des jungen Heinrich von Zypern beeilte sich Johann, den Genuesen weitreichende

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Privilegien in Aussicht zu stellen, und erhielt so ihre Unterstützung bei der Besetzung von Famagusta. Am 15. Juni besiegten die Truppen der Barone bei Gride in der Nähe von Nikosia die kaiserliche Armee und zwangen Filangieri zum Rückzug in die nahe gelegene Festung Kyrenia, die nun einer Belagerung unterzogen wurde. Die Kapitulation des kaiserlichen Heeres zu Ostern 1233 bereitete dem Konflikt ein vorläufiges Ende; mit Johanns Tod drei Jahre später setzte ein fünfjähriger Waffenstillstand ein. Friedrich war in großen Schwierigkeiten und sah sich gezwungen aufzugeben. Die Situation wurde auch nicht besser, als die Volljährigkeit Konrads von Schwaben, des Sohnes von Friedrich und Isabella von Brienne, jeglichen Anspruch Friedrichs auf den Thron in Luft auflöste. Das Fernbleiben des neuen Herrschers von Jerusalem, der nicht die geringste Absicht zeigte, nach Outremer zu kommen, veranlasste die Barone, die Regentschaft der Königin von Zypern, Alice von Champagne, anzutragen. Dieser Umstand ist von Bedeutung: Von diesem Zeitpunkt an übten die zypriotischen Herrscher eine Art Protektorat über das Königreich aus und regierten durch einen eigenen Bailli, der allerdings den Wünschen der Barone unterworfen war. Dies bedeutete das Ende aller kaiserlichen Ambitionen: Mithilfe der Genuesen und Venezianer gelang es den Baronen, Tyrus zu besetzen und Filangieri aus der Region zu vertreiben. Friedrich ersetzte ihn durch den getreuen Tommaso d’Acerra, dem allerdings nichts anderes übrig blieb, als sich ohne die geringsten Machtbefugnisse in Tripolis niederzulassen. Der Kampf würde sich bis zu Friedrichs Tod im Jahr 1250 hinziehen. Das Königreich Jerusalem, das weiterhin unter dem Fehlen eines vor Ort befindlichen Herrschers litt, war den Kapriolen der einflussreichsten Barone ebenso ausgesetzt wie der wachsenden Macht der Ritterorden und der Kaufmannsgemeinden. Die Geschichte vom Niedergang und Fall des zweiten Königreichs ist folglich mit der Geschichte seiner inneren Zerrissenheit verbunden, die es bis zum Ende begleiten sollte. Auch das Fürstentum Antiochia war in den ersten beiden Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts Gegenstand eines Zwists zwischen Bohemund IV. und dem benachbarten Leon von Armenien, der versuchte, sich das Territorium einzuverleiben. Der Konflikt zwischen den beiden zog sich bis 1218 hin, als es Bohemund gelang, die Kontrolle über seine Hauptstadt zurückzugewinnen. Der Frieden zwischen den Parteien wurde durch die Heirat seines Sohnes Philipp mit der armenischen Prinzessin Isabella besiegelt. Von da an handelten die beiden Staatsgebilde in gegenseitigem Einvernehmen und bezogen gemeinsam Position in den großen Ereignissen des Jahrhunderts: die Ankunft der Mongolen und der

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Henri Delaborde, Konstantin V. von Armenien auf dem Thron, umgeben von Rittern des heiligen Johannes von Jerusalem im Jahr 1347, 1844, Schloss Versailles, Salles des Croisades.

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Zusammenstoß zwischen ihnen und dem ägyptischen Sultanat. Das Fürstentum sollte jedoch noch weitere Spannungen erleben. In der zweiten Jahrhunderthälfte mussten die Fürsten von Antiochia den Verlust ihrer Stadt hinnehmen, die 1268 von den mamlukischen Streitkräften eingenommen wurde, nebst der Schrumpfung ihres Territoriums auf die alleinige Grafschaft Tripolis, die ebenfalls fortschreitend erodierte. Damit nicht genug, mussten sie sich der Rebellion der Herren von Jebail stellen, ihrer wichtigsten Vasallen, die von der genuesischen Familie Embriaco abstammten und zeitweise von den Templern unterstützt wurden – und das, obwohl der Vormarsch der Mamluken immer bedrohlicher wurde. Einem »Templer von Tyrus« genannten Chronisten zufolge veranstalteten die Pisaner von Akkon im Jahr 1282 sogar ein großes Fest zu Ehren der Gefangennahme Guidos, des Herrn von Jebail, indem sie Festbeleuchtungen in den Straßen und an den Häusern anbrachten und Trompeten, Schalmeien, Trommeln und viele andere Instrumente mehr erklingen ließen. Es wird erzählt, dass zu diesem Anlass amüsante Szenen nachgestellt wurden: Ein reich gekleideter Mann wurde in der Rolle des Fürsten Bohemund auf einen Thron gesetzt, während ein anderer als Guido, angetan mit Schulterriemen und einem mit Feh gefütterten Mantel, den Gefangenen mimte. Eine Atmosphäre naiver Unbeschwertheit scheint sich über die letzten Jahre von Outremer gelegt zu haben. Zweifellos trugen die inneren Spaltungen wesentlich zum Untergang des Königreichs bei; aber dies wird den Zeitgenossen wohl kaum bewusst gewesen sein.

Templer in Kriegsrüstung, kolorierter Stich für Jacques Joseph van Beveren und Charles Du Pressoir, Costume du Moyen Age d’après les manuscrits, les peintures et les monuments contemporains, 1847.

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Der Kopf der Schlange In des Sultans Land Im 13. Jahrhundert war das Hauptziel der crux transmarina die Eroberung Ägyptens, des politisch bedeutendsten Landes der arabischsprachigen Welt. Schon seit Jahrhunderten bereisten westliche Kaufleute die Küsten und tauschten dort Waren aller Art. Über das ägyptische Gebiet berichtete der anonyme Autor der Relatio tri­ partita ad Innocentium III de viribus Agarenorum zu Beginn des 13. Jahrhunderts: [Es] ist flach und sehr heiß, es regnet dort nur selten. Für die Bewässerung sorgt der Gyon, der auch Nil genannt wird; er verzweigt sich in sieben Arme, die durch Ägypten fließen. Er ist ein größerer Fluss als der Rhein; seine Quellen liegen im irdischen Paradies, und er ist reich an Fischen, die nicht besonders schmackhaft sind [...] Mitte Juni bis zum Fest der Kreuzerhöhung beginnt der Nil zu steigen und dann zieht sich das Wasser bis Epiphanias zurück. Und man beachte, dass die Bauern nach einem längeren Zeitraum der gestiegenen Wasser überall dort, wo das Land nach dem Rückzug des Flusses wieder auftaucht, aussäen und im März ernten. Dieser Boden bringt kein anderes Getreide als Gerste hervor und einen hervorragenden Weizen. Die Sitten und religiösen Traditionen der ägyptischen Welt waren alles andere als unbekannt. Ihre Bewohner, so der anonyme Autor weiter, glauben an Gott den Erlöser; sie glauben auch, dass die selige Maria Jungfrau war, bevor sie gebar, und sie sagen, dass ihr Sohn ein Prophet war und von Gott mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen wurde. Sie leugnen allerdings, dass er der Sohn Gottes war,

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dass er getauft wurde, starb und begraben wurde. Sie behaupten, Mohammed sei der Prophet und ihr Gesetzgeber. Sie sagen weiter, dass es jedem Sarazenen erlaubt sei, sieben Ehefrauen zugleich zu haben, wobei er für jede von ihnen gemäß dem Ehevertrag aufkommen müsse; darüber hinaus sei er frei, mit so vielen Sklavinnen oder Dienerinnen zu sündigen, wie er sich leisten kann. Wenn eine seiner Sklavinnen einen Sohn zur Welt bringt, bekommt sie die Freiheit geschenkt, und er kann als Erben einsetzen, wen immer er von seinen Söhnen auswählt, ob er nun von seiner Ehefrau stammt oder von einer Sklavin. Viele Sarazenen seien jedoch so religiös, dass sie nur eine Frau haben. Während des gesamten 12. und über weite Teile des 13. Jahrhunderts spielte das Land eine Schlüsselrolle im Handel mit Gewürzen und Textilerzeugnissen, insbesondere Leinen und Baumwolle, aber auch mit Zucker, der in verschiedenen Sorten hergestellt wurde, und mit Alaun, der für die Fixierung der Farben auf den Stoffen unerlässlich war. Die Waren, die aus dem Landesinneren – darunter auch Gold aus den Minen im Sudan – oder auf den Schiffsrouten über das Rote Meer kamen, wurden in den großen Hafen von Alexandria geleitet, wo sie gegen Erzeugnisse aus dem Westen eingetauscht wurden: Leintuch, Barchent, Wollstoffe, Weizen, Wein, Handwerkskunst (bisweilen aus Gold oder Silber) und dann zunehmend auch Eisen, Waffen, Holz, Teer und Kriegsmaterialien, deren Handel immer wieder Gegenstand ausdrücklicher päpstlicher deveta (Verbote) war. Die lateinischen Kaufleute genossen hohes Ansehen, insbesondere wegen ihrer Mittlerrolle im großen Handelsnetzwerk des Mittelmeerraums. In die ägyptische Staatskasse flossen im Übrigen hohe Summen aus den Handelszöllen (»aus diesem Geschäft«, so erinnert unser Anonymus, »bezieht der König von Babylon beträchtliche Einkünfte«). Es lag im allgemeinen Interesse, gute Beziehungen zu pflegen, und sei es nur, um den Tauschhandel in Schwung zu halten. Dessen ungeachtet stand Ägypten über das gesamte 13. Jahrhundert im Mittelpunkt der Kreuzzugsstrategien des Papsttums. Die Idee, die wichtigsten Küstenhäfen des Landes zu erobern, um die Schifffahrt vor der sarazenischen Piraterie zu schützen und den wirtschaftlichen Wohlstand an der syrisch-palästinensischen Küste zu sichern, war keineswegs neu. Bereits im Jahrhundert zuvor war sie von König Amalrich von Jerusalem in den Raum gestellt worden, der zwischen 1163 und 1169 eine Phase der Instabilität innerhalb des fatimidischen Imamats zu wiederholten Versuchen nutzte, eine Art Protektorat über das Land zu errichten. Diese Manöver blieben jedoch erfolglos und wurden Mitte der 1170er-Jahre endgültig

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zunichte gemacht durch die Etablierung der neuen Ayyubiden-Dynastie, die mehr als ein halbes Jahrhundert lang über Ägypten, Syrien, Dschazīra und Südarabien regierte und unter der Oberhoheit des Abbasidenkalifen von Bagdad den Sultanstitel beibehielt. Eine Herrschaft also im Zeichen des sunnitischen Islams, der sich fast überall in Ägypten und Syrien (mit Ausnahme einiger schiitischer Enklaven in den Bergen Syriens und des Libanon) durchgesetzt hatte. Bekanntlich übte Saladin eine starke Herrschaft aus und betrieb gegenüber den Lateinern in Outremer eine zielgerichtete Eroberungspolitik, wie die Rückgewinnung Jerusalems im Jahr 1187 zeigte. Nach dem Tod des Sultans im März 1193 gewann jedoch das Profitstreben eindeutig die Oberhand. Man beachte, dass am Vorabend des »fünften Kreuzzuges«, 1215/16, etwa 3000 Christen aus dem Westen allein in Ägypten Handel trieben. Dies änderte jedoch nichts daran, dass schon vor geraumer Zeit die Theorie aufgestellt worden war, die einzige Möglichkeit, Jerusalem zurückzuerobern und zu schützen, bestünde darin, einen massiven Angriff auf ägyptischen Boden zu starten. Ein solcher Angriff sollte von einer Handelsblockade begleitet sein, die verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft des Landes haben würde. Die Schlange, so hieß es, müsse am Kopf gepackt werden. Aber sollte es wirklich möglich sein, die italienischen Kaufmannsgemeinschaften von ihren so lukrativen Geschäften abzuhalten?

Tod auf dem Nil Dies alles kollidierte mit der um Ausgleich bemühten Haltung des Sultans al-ʿĀdil, des Bruders von Saladin. Im Juli 1211 verlängerte er den Waffenstillstand mit dem neuen König von Jerusalem, Johann von Brienne, um weitere sechs Jahre. Damit endete eine Reihe von Scharmützeln, die einerseits zum Wiederaufbau einer Gipfelburg geführt hatten, die die steilen Hänge des Bergs Tabor dominierte und von der aus sich die fränkischen Manöver gut kontrollieren ließen, und andererseits zu Drohgebärden wie der neuerlichen Entsendung einer Flotte ins Nildelta. Die Verlängerung des Waffenstillstands war allein schon deshalb notwendig, um einen ordnungsgemäßen Ablauf der Handelstätigkeiten zu gewährleisten, die wieder das Niveau früherer Zeiten erreicht hatten. Gleichzeitig aber begann Papst Innozenz III. im Vollgefühl seiner Prärogative erneut, die Christenheit mit Nachdruck zur Rückeroberung Jerusalems aufzufordern. Konnte denn die Heilige Stadt

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Kapitel neun 

ungestraft in sarazenischer Hand bleiben? Das neue passagium generale, das der Papst während des Laterankonzils von 1215 ausrief und das, wie gesagt, auch vor Ort in den fränkischen Fürstentümern von Outremer gepredigt wurde, würde vor allem darauf zielen, das Herz des ayyubidischen Herrschaftsgebietes zu erobern  – mit besten Grüßen an al-ʿĀdil, der sich über fünfzehn Jahre lang um ein mehr als versöhnliches Verhältnis mit den Lateinern bemüht hatte. Für den Sultan bedeutete das nicht, einer großen Armee die Stirn bieten zu müssen, sondern – was noch schlimmer sein konnte – Truppen zu bekämpfen, die in unregelAndreas II. von Ungarn, Millenniumsmäßigen Abständen eintreffen, dabei einem denkmal, Ende 19./Anfang 20. Jh., Budalückenhaften Kommando unterstehen und pest, Heldenplatz. sich immer wieder neu rekrutieren würden. Eine Handvoll Kreuzfahrer mit Andreas II. von Ungarn und Herzog Leopold VI. von Österreich an der Spitze landete im September 1217 in Akkon und unternahm mehrere erfolglose Versuche, die Burg auf dem Berg Tabor zu erobern. Al-ʿĀdil blieb keine andere Wahl, als nach Syrien zu eilen, um seinem Sohn al-Muʿaẓẓam, dem Statthalter von Damaskus, beizustehen. Er startete ein Ablenkungsmanöver gegen Cäsarea, bei dem die Mauern der Stadt zerstört wurden. Kurze Zeit später traten die Kreuzfahrer die Heimreise an, ohne etwas zuwege gebracht zu haben. Um sich abzusichern, hielt der Sultan es für ratsam, Burg Tabor, die anfällig und teuer im Unterhalt war, teilweise schleifen zu lassen. Genau in dieser Zeit errichteten die Templer die Burg Château Pèlerin (oder Castrum Peregrinorum) in der Nähe von Atlit, zwischen Haifa und Cäsarea, der bei der Verteidigung der Küstenstraße nach Jerusalem eine entscheidende Rolle zukam. Mit einem trefflichen Naturhafen ausgestattet, der die Hilfsentsendungen aus dem Westen aufnehmen konnte, stand die Burg auf einer 300 Meter langen Landzunge, die auf drei Seiten durch das Meer und die Felsen und zum Landesinneren hin durch eine Wehranlage namens Destroit geschützt war (die man jedoch bald schleifen würde, um zu verhindern, dass der Feind sie als Stützpunkt nutzte). Trotz ihrer rechtwinkligen und veralteten Türme,

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die man fast allerorten durch runde oder halbkreisförmige Konstruktionen ersetzt hatte, die besser geeignet waren, die Geschosse von Belagerungsmaschinen abzuwehren, stand sie im Ruf, uneinnehmbar zu sein. Aus diesem Grund wurde die Burg erst im August 1291, nach dem Fall von Akkon, aufgegeben. Bald wurde klar, dass Ägypten das Hauptziel der Kreuzfahrer war. Die ersten Kontingente landeten Ende Mai 1218 in Damiette, angeführt von Johann von Brienne. Dass die Wahl anstelle von Alexandria auf den Nilhafen gefallen war, lag wahrscheinlich an seiner strategischen Position: Von hier führte eine wichtige Flussverbindung nach Kairo. Die Stadt galt daher – um wieder die anonyme Re­ latio zu zitieren – als »Haupt und Schlüssel von ganz Ägypten«. Die fränkischen Truppen ergossen sich in Strömen über die Stadt, entschlossen, sie zum Brückenkopf für die Eroberung des Landes zu machen. Al-ʿĀdil, der sich zu dieser Zeit in Kairo aufhielt, übertrug die Verteidigung einem anderen Sohn, Nāṣir al-Dīn Abu ’l-Maʿālī Muḥammad, besser bekannt als al-Kāmil, der Vollkommene. Er konnte jedoch die überaus mühselige, mehrere Monate dauernde Schleifung des Kettenturms von Damiette, der den Hauptarm des Flusses vor der Stadt kontrollierte, nicht verhindern. Die Lage war schwierig, zumal der Sultan am 31. August völlig unerwartet für immer die Augen schloss und al-Kāmil, der zwischenzeitlich bei Fariskur südlich von Damiette sein Lager aufgeschlagen hatte, mit der zweifachen Bürde zurückließ, den Angriff zurückzuschlagen und von den hohen Würdenträgern Kairos die Anerkennung als neuer Sultan zu erlangen. Im Herbst nutzte er die Unentschlossenheit der Kreuzfahrer, die auf Verstärkung aus dem Westen warteten, und startete eine Reihe von Offensiven gegen ihr Lager, von denen keine entscheidend war. Dann zog er sich nach Kairo zurück, nachdem man ihn vor einem Komplott gewarnt hatte, das durch die Unterstützung seines Bruders al-Muʿaẓẓam vereitelt werden konnte, der eilig aus Syrien angerückt war. Weil er sich in die Enge getrieben sah, versuchte der neue Sultan, mit den Kreuzfahrern in Verhandlung zu treten. Dies tat er jedoch nicht, ohne zuvor seinem Bruder, der sich eben zur Rückkehr nach Syrien anschickte, den Befehl zu erteilen, Jerusalems Mauern niederzureißen. Die Stadt sollte für den Fall, dass sie in die Hände der Lateiner fallen würde, nicht mehr verteidigt werden können. Dieser Vorgang, der ein weites Echo in der muslimischen Welt auslöste, muss im Zusammenhang mit al-Kāmils Angebot eines Waffenstillstands gelesen werden, der nämlich die Rückgabe der Heiligen Stadt an die Franken, die Aushändigung der 1187 erbeuteten Reliquie des Wahren Kreuzes, die Freilassung der noch lebenden

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Der heilige Franziskus predigt den Muslimen im Beisein von Sultan al-Kāmil, Episoden aus dem Leben des heiligen Franziskus, 13. Jh., Florenz, Bardi-Kapelle in Santa Croce.

Gefangenen aus ägyptischen und syrischen Gefängnissen und das vollständige Eigentumsrecht an den Burgen von Belvoir, Safed und Toron beinhaltete. Ein einzigartiges Pendant zu den unterbreiteten Vorschlägen bildete der Besuch eines Ausnahme-Kreuzfahrers beim Sultan. Franz von Assisi stach im Sommer vom Hafen von Ancona aus in See und erreichte das Lager der Kreuzfahrer zu einem nicht näher bestimmten Zeitpunkt zwischen dem 29. August, dem Datum eines erbitterten Kampfes zwischen den Parteien, und dem 5. November, als die Stadt schließlich in die Hände der Lateiner fiel. Er schlug sich bis ins feindliche Lager durch und trat vor den Sultan. Mit welchen Absichten kam er? War seine Botschaft eine Friedensbotschaft? Zielte er mit seiner Predigt darauf ab, den erlauchten Gesprächspartner zu bekehren? Kann es sein, dass Franziskus gar die vom Papst ausgerufene Expedition missbilligte? Franzikus’ Aktion fügt sich in Wahrheit nahtlos in den Rahmen des Kreuzzuges ein, wenn auch sui generis. Es besteht kein Zweifel daran, dass Franziskus Gewalt verabscheute, gleichwohl bedeutete ein Kreuzzug – oder in der Sprache der Zeit gesagt: das negotium fidei (die Unternehmung für den Glauben) – zu dieser Zeit nicht ausschließlich Krieg. Seine kanonische Ausarbeitung war noch im Gange, und die Teilnehmer an diesen Expeditionen handelten – wie

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die zeitgleichen Volksbewegungen, von denen einige ebenfalls die Befreiung Jerusalems anstrebten, nur ohne Waffen – aus den unterschiedlichsten Beweggründen. Möglich, dass die Erfahrungen in Damiette (und vielleicht auch in Syrien) Franziskus von der Sinnlosigkeit oder gar dem Schaden solcher Expeditionen überzeugt haben, zumal Erlösung ganz sicher nicht durch die Eroberung des irdischen Jerusalem, sondern durch den demütigen Glauben an den gekreuzigten Christus zu erlangen war. Wahrscheinlich ist dennoch, dass Franziskus vor seiner Abreise das Kreuzzeichen super vestem angelegt hat, auch wenn sich in den Quellen nichts dazu findet. Ein crucesignatus zu sein, bedeutete zunächst einmal einen Zustand der Buße; es bedeutete, sich sinnbildlich zum Anhänger des gekreuzigten Christus zu erklären. Und schlussendlich: War der Kreuzfahrer nun in erster Linie ein Pilger oder war er es nicht? Einer Sache kann man sich immerhin sicher sein: Der künftige Heilige erwies dem Papst, der zu jener Expedition aufgerufen hatte, seinen Gehorsam, weshalb es gewiss nicht angezeigt war, das Unternehmen gleichzeitig zu verleugnen. Könnte es sein, dass er das Martyrium suchte? Möglich wäre es, obschon es im Widerspruch zu einigen Passagen der Regula non bullata stünde, die 1221 – also nach den Erlebnissen im Orient – verfasst wurde und die Brüder zur Besonnenheit aufrief.

Benozzo Gozzoli, Episoden aus dem Leben des heiligen Franziskus: Die Feuerprobe vor dem Sultan, 1450–1452, Montefalco, Chorkapelle von San Francesco. Die Feuerprobe sollte den wahren Glauben erweisen.

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Kapitel neun 

Wie also hat man die Anwesenheit von Franziskus im Lager der Sarazenen zu bewerten? Das älteste Zeugnis, das sich in zwei der drei existierenden Versionen eines Briefs von Jakob von Vitry findet, den er am 6. Februar (oder März) 1220 aus Damiette an einige Freunde in Flamen sendete, beschränkt sich auf die Feststellung: »Ihr Meister, der diesen Orden gegründet hat, war damals zu unserem Heer gestoßen. In seinem Eifer für den Glauben ließ er sich nicht davon abhalten, in das Heer unserer Feinde hinüberzugehen. Obwohl er den Sarazenen während mehreren Tagen das Wort Gottes predigte, richtete er nur wenig aus.« Er fährt fort: »Doch der Sultan, der König von Ägypten, bat ihn insgeheim, für ihn zum Herrn zu beten, damit er auf göttliche Erleuchtung hin derjenigen Religion anhangen könne, die Gott mehr gefalle.« Solche Übertreibungen sind bei dem Prälaten nicht neu, seine Briefe sind voll davon. Und doch steht außer Zweifel, dass Franziskus die Gelegenheit für einen Austausch mit dem Sultan nutzte, als er im majlis, dem großen traditionellen Versammlungszelt, zu Gast war. Vitry selbst schrieb um 1223 in seiner Historia occidentalis: »Im Übrigen hören alle Sarazenen gerne zu, wenn die genannten Minderen Brüder vom Glauben an Christus und von der Lehre des Evangeliums predigen.« Fest steht, dass jeder Versuch einer Aussöhnung zwischen den Parteien ins Leere lief. Die Friedensangebote des Sultans wurden abgelehnt. Der päpstliche Legat, Kardinalbischof Pelagius von Albano aus Spanien, der sich als Anführer der Expedition durchsetzte und dadurch in Konflikt mit dem König von Jerusalem geriet, drängte zu einem massiven Angriff auf Damiette, das Anfang November fiel. Auch der sofortige Vorstoß auf Kairo sollte erfolgreich sein (obschon es nicht gelang, das Landesinnere vollständig unter Kontrolle zu bringen). Die Anführer der Kreuzfahrer beschlossen nun allerdings, die Ankunft des jungen und energischen Friedrichs II. abzuwarten, der kurz davor stand, zum Kaiser gekrönt zu werden. Dies führte zu weitreichenden Spannungen. Nachdem man ihn streng genommen von der Führung des Unternehmens entbunden hatte, erreichte ihn die Nachricht vom Fall Cäsareas, das von al-Muʿaẓẓam erobert worden war. Johann von Brienne beschloss daraufhin, nach Akkon zurückzukehren und die Kreuzfahrertruppen ihrem Schicksal zu überlassen. Trotz des Kreuzzugsgelübdes, das er 1215 zum ersten Mal abgelegt hatte, kam Friedrich nicht. Stattdessen schickte er ein mageres, aber kampflustiges Kontingent unter der Führung Herzog Ludwigs von Bayern, das den Legaten umgehend bei der Vorbereitung eines Angriffs auf das neue Lager von al-Kāmil unterstützte.

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Dieser hatte seine Zelte in der Nähe der Ortschaft Talcha südlich von Damiette aufgeschlagen, an der Stelle, wo später die bedeutende Stadt al-Manṣūra (die Siegreiche) entstehen sollte. Beide Seiten bemühten sich um Verstärkung: Der Kardinal befahl dem König von Jerusalem, nach Ägypten zurückzukehren, während der Sultan seine Brüder al-Muʿaẓẓam und al-Aschraf zu Hilfe rief, deren Unterstützung sich als entscheidend erweisen sollte. Als nützlichster Verbündeter al-Kāmils erwies sich jedoch der Nil. Die Kreuzfahrer wurden auf einem schmalen Landstreifen zwischen dem Hauptarm des Flusses, der anzuschwellen begonnen hatte, und einem seiner Nebenflüsse auf halbem Weg zwischen dem Lager und der kleinen Stadt eingeschlossen. Sehr schnell sahen sie ein, dass sie einem Gegenangriff der ägyptischen Truppen, die sich in dem durch die Nilschwemme versumpften Flussdelta um einiges besser bewegten, nicht standhalten würden. Sie entschlossen sich zur Umkehr, doch selten war eine Entscheidung unheilvoller: Die Mehrzahl der Kämpfer versank im Schlamm, der durch die Öffnung der Schleusen und das über die Ufer der Nilkanäle tretende Wasser entstanden war. Die Reittiere blieben stecken. Es war das Ende. Der erste ernsthafte Versuch des Westens, Ägypten zu erobern, war spektakulär gescheitert. Die Kapitulation wurde am 29./30. August 1221 ausgehandelt. Ein achtjähriger Waffenstillstand wurde geschlossen, der von beiden Seiten strikt eingehalten wurde: Die Kreuzfahrer gaben Damiette auf und ließen ihre Gefangenen frei; al-Kāmil seinerseits verpflichtete sich zur Rückgabe der Reliquie des Wahren Kreuzes, auch wenn man nie wieder etwas von ihr hörte.

Der Kreuzzug des exkommunizierten Kaisers Obwohl er die Franken erfolgreich zurückgedrängt hatte, ging al-Kāmil ziemlich angeschlagen aus diesem Konflikt hervor. Ägyptischer Boden war geschändet worden, was sich zwangsläufig auf die Popularität des Sultans auswirkte. Hatte al-ʿĀdil im Umgang mit den Lateinern durchaus Voraussicht bewiesen, so blieb al-Kāmil keine Wahl: Ungewollt in einen Krieg verwickelt, der angesichts der fast vollständigen Handelsblockade zwischen den Parteien auch wirtschaftlich katastrophal war, hatte er reagiert und war als Sieger hervorgegangen. Dies genügte jedoch nicht, um den Machthunger seiner Konkurrenten zu stillen. Alle Schwachstellen der Ayyubiden-Herrschaft waren offen zutage getreten. Ohne die Unterstützung seiner Brüder, insbesondere von al-Muʿaẓẓam, würde al-Kāmil schwer-

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Kapitel neun 

lich die Nachfolge seines Vaters angetreten haben. Kurze Zeit später geriet die gemeinsame Linie der Erben Saladins in eine Krise. Die internen Probleme der Ayyubiden-Dynastie waren vor allem struktureller Natur. So bestand beispielsweise in keiner Weise Klarheit darüber, inwieweit sich die Autorität des Sultans auf die syrischen Gebiete erstreckte, die in teilautonome Herrschaften untergliedert waren. Die herrschende Dynastie erwies sich als unfähig, eine wirkliche Kontrolle über die eigene Verwandtschaft auszuüben, unter der die ayyubidischen Gebiete aufgeteilt waren. Als die fränkische Bedrohung gebannt war, musste al-Kāmil vor der wachsenden Feindseligkeit al-Muʿaẓẓams auf der Hut sein, obwohl dieser ihm in der Stunde der Not zu Hilfe geeilt war. Doch hatte der Bruder 1223 Salamiyya in Syrien besetzt und kurz darauf erfolglos versucht, Hama einzunehmen. Seine Ambitionen wurden durch das Bündnis zwischen al-Kāmil und al-Aschraf blockiert, der die Gebiete des Vaters in Dschazīra geerbt hatte. 1226 bat der ägyptische Sultan jedoch um al-Muʿaẓẓams Hilfe bei der Abwehr der Einfälle der Choresmier. Sie waren eine ursprünglich im Amu-Darja-Delta in der Nähe des Aralsees ansässige türkisch-iranische Bevölkerungsgruppe, die ihre Kontrolle über Zentren wie Urganch, Samarkand, Buxoro, Merw und Nischapur ausgedehnt hatte. Nun gab es deutliche Anzeichen dafür, dass die Choresmier die Errichtung eines schiitischen Imamats im sunnitischen Bagdad vorantreiben wollten. Um die Bedrohung abzuwenden, war der abbasidische Kalif al-Nāṣir al-Dīn Allāh so weit gegangen, die Mongolen ins Spiel zu bringen, bereute dies dann aber angesichts des schlechten Rufs, der ihre Eroberungen begleitete. Um sich abzusichern, bat er die syrischen Ayyubiden um Hilfe, die sich angesichts der Gleichgültigkeit, mit der man ihnen im Krieg gegen die Franken begegnet war, taub stellten. Der stetige Vormarsch der Mongolen hatte eine große Gruppe von Choresmiern unter der Führung von Jalāl al-Dīn Mankūbirnī, dem Sohn des letzten Choresm-Schahs, nach Westen getrieben: 1225 war Täbris erobert, 1226 Tiflis, die Hauptstadt des christlichen Königreichs Georgien, geplündert worden. Kurz, man hatte es mit einer realen Bedrohung zu tun, die wahrscheinlich wesentlich ernster war als die fränkische und die durchaus auch Outremer betraf. Angesichts eines möglichen Bündnisses zwischen den Choresmiern und alMuʿaẓẓam tat al-Kāmil das Undenkbare: Er bat ebenjene Franken um Hilfe, die ihn einige Jahre zuvor angegriffen hatten. Den Leser mag dies überraschen. In Wahrheit aber waren Friedensschlüsse, Waffenstillstände und Bündnisse zwischen den Parteien gang und gäbe und völlig unabhängig von religiösen Erwägungen (sehr

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zum Leidwesen der führenden kirchlichen Autoritäten von Outremer, ganz zu schweigen vom Papsttum). Al-Kāmils Pläne wurden indirekt dadurch begünstigt, dass Friedrich II. seit seiner Heirat mit Isabella von Brienne im Jahr 1225 die Krone von Jerusalem trug. Für Outremer begann eine neue Phase, gleichwohl sich die Politik des Kaisers gegenüber seinen Nachbarn  – das muss gesagt sein  – nicht wesentlich von der seiner Vorgänger unterschied. Ohne Rücksicht auf sein Kreuzfahrergelübde bestätigte der Staufer den laufenden Waffenstillstand, wofür er im Frühjahr 1226 Erzbischof Bernhard von Palermo in Begleitung des getreuen Tommaso d’Acerra in seiner Funktion als kaiserlicher Stellvertreter zu al-Kāmil sandte. Der Sultan schickte daraufhin eine Delegation nach Palermo, an deren Spitze einer der führenden Männer seiner Entourage stand, der Emir Fakhr ad-Dīn, Mitglied einer Familie von Sufis und Rechtsgelehrten persischer Herkunft. Die Vertreter des Sultans hatten den Auftrag, die sich im Osten abzeichnende Allianz zu verhindern, die gleichermaßen unheilvoll für Outremer wie für das Sultanat war. In weniger als einem Lustrum wurden Christen und Muslime – oder, wie wir vielleicht besser sagen sollten, Franken und Sarazenen – von Erzfeinden zu Verbündeten. Geopolitische Gründe waren (damals wie heute) ausschlaggebend. Dabei ist durchaus möglich, dass al-Kāmil um Friedrichs Vertrautheit mit der islamischen Kultur wusste, die bisweilen Züge aufrichtiger Bewunderung annahm. Sehr wahrscheinlich ist andererseits, dass sich ihm die Feinheiten jener christlichen Verpflichtung de voto entzogen, die den Kaiser seit einem Jahrzehnt an die Durchführung des passagium nach Outremer band und die von Papst Honorius III. mit einigem Nachdruck eingefordert wurde. Tatsache ist, dass der Sultan Friedrich nach Akkon einlud und ihm die Kontrolle über Jerusalem versprach. Das war ein verlockendes Angebot, das sowohl dem Kaiser zupasskam, der sein Gelübde würde erfüllen können und sich der ganzen Welt als derjenige würde präsentieren können, der Jerusalem in den Schoß des Christentums zurückzuführen vermochte, als auch dem Sultan, der einen Pufferstaat brauchte, um die Machtbestrebungen seines Bruders und dessen lästiger Verbündeten einzudämmen. Alles schien angesichts einer für beide Seiten vorteilhaften Allianz auf eine Normalisierung der Beziehungen hinauszulaufen. Doch wie so oft trat ein unerwartetes Ereignis ein, das alle Pläne über den Haufen warf. Der Tod von al-Muʿaẓẓam im November 1227 und die vergleichsweise Schwäche seines Sohnes al-Nāṣir Dāwūd, der kaum älter als zwanzig Jahre war, verringerten die Chancen einer choresmischen Invasion erheblich

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Kapitel neun 

Friedrich II. mit Sultan al-Kāmil, Miniatur des 14. Jhs., aus: Giovanni Villani, Nuova cronica, ms. Chigiano L VIII 296, Biblioteca apostolica vaticana. Rechts die Stadtmauern von Jerusalem, man beachte den der Phantasie entsprungenen muslimischen Schild.

und überzeugten al-Kāmil von der Möglichkeit, das formal ihm gehörende ayyubidische Syrien unter seine Kontrolle zu bringen. Wie aber umgehen mit den Zusagen an Friedrich, nachdem der eigene Hauptgegner nicht mehr am Leben war? Sollte man es wirklich zu einer Konfrontation kommen lassen? Am Ende war Friedrichs Kreuzzug, der manch einem angesichts der Vermeidung von Kriegshandlungen, wodurch sich die kaiserliche Strategie auszuweisen schien, ohnehin als eine Art Anti-Kreuzzug erschien, der einzige, der mit diplomatischen Mitteln gelöst wurde. Und vor allem war er der einzige, der die Heilige Stadt für die Christenheit zurückzugewinnen vermochte. Ein feines Paradox, noch dazu für einen exkommunizierten Herrscher! Wir dürfen darin jedoch weder einen Beweis für eine pro-islamische Haltung lesen noch eine wie auch immer geartete Aversion Friedrichs gegen die Kreuzzugsbewegung oder die Idee des Kreuzzuges an sich. Auch wenn Friedrich sich durchaus bewusst war, dass der iter hierosolymi­ tanum zu einem politischen Instrument in den Händen des Papsttums geworden

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war, erhob er als Kaiser Anspruch auf dessen Führung  – ganz so, wie es sein illustrer Ahne Barbarossa etwa vierzig Jahre zuvor getan und ausdrücklich für sich beansprucht hatte. Friedrich hatte am 25. Juli 1215 in Aachen das Kreuz genommen, am Tag des heiligen Apostels Jakob, dem der bedeutende Wallfahrtsort in Santiago de Compostela geweiht war, neben Rom und Jerusalem das Hauptziel der Phchristlichen Pilgerströme. Derzeit trug er die Krone des römisch-deutschen Königs (als »König der Römer«). Er galt damit zugleich als erwählter römischer Kaiser, der erwarten durfte, in Rom das kaiserliche Diadem aus den Händen des Papstes zu empfangen. Das Kreuzzugsvorhaben war für ihn insofern von unverzichtbarer Bedeutung, als es an seine Rolle als römischdeutscher Kaiser geknüpft war. Es muss nicht eigens erwähnt werden, dass die Exkommunikation des 1220 zum Kaiser gekrönten Friedrich darauf abzielte, all dem den Boden zu entziehen. Die von Papst Gregor IX. zunächst angedrohte Maßnahme war im Herbst 1227 in Kraft getreten, nachdem der Kaiser nicht wie geplant von Brindisi aus in See gestochen war, was mit einer im Heer ausgebrochenen Epidemie gerechtfertigt wurde. Zu diesem Zeitpunkt erhielt Friedrich die Nachricht von al-Muʿaẓẓams Tod. Da er befürchtete, dass das Abkommen mit al-Kāmil hinfällig werden könnte, beschloss er den Aufbruch: Jerusalem war einen Kirchbann wert! Darin gab er sich mehr wie ein Herrscher von Outremer denn wie ein Kreuzfahrerfürst, wobei seine Vorstellung von einem universellen Kaisertum bald mit der komplexen legalistischen Praxis des Königreichs von Jerusalem in Konflikt geraten würde, die auf eine konstitutionelle Kontrolle der Krone ausgerichtet war. Am 28. Juni 1228 schiffte sich der Kaiser, nachdem ihn die Nachricht von der Geburt seines Sohnes Konrad und dem Tod seiner Frau im Kindbett erreicht hatte, auf einer der venezianischen Galeeren in Richtung Levante ein. Seine Exkommunikation sorgte in Outremer für einiges Kopfzerbrechen, vor allem bei den militärischen Orden, die unschlüssig waren, wie sie sich verhalten sollten. Friedrich bemühte sich unverzüglich um die Gunst seiner Untertanen und insbesondere die der lokalen Barone. Er erwirkte auch den Vasalleneid der Ibelin, die sich jedoch bald an die Spitze des Widerstands gegen die kaiserlichen Herrschaftsansprüche stellen sollten. Die Annäherung zwischen Friedrich und al-Kāmil wurde durch die Rebellion des neuen Herrschers von Damaskus, al-Nāṣir Dāwūd, sowie durch die Nachrichten aus dem Königreich Sizilien begünstigt, wo sich eine Invasion durch die päpstliche Armee abzeichnete. Friedrich drängte es also, nach Italien zurück-

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Kapitel neun 

zukehren, was der Sultan für eine Neuverhandlung der ursprünglichen Vereinbarungen zu nutzen wusste. Im Laufe des Winters bereiteten zahlreiche Gesandtschaften die Unterzeichnung des Vertrages vor, der am 18. Februar 1229 in Jaffa mit einer Dauer von zehn Jahren, fünf Monaten und vierzig Tagen geschlossen wurde. Der Vertrag sah die Rückgabe Jerusalems an die Christen vor, mit Ausnahme des Ḥaram al-Sharīf, des Tempelberges also, einer den Muslimen heiligen Stätte – was vor allem bei den Templern, die ihren Hauptsitz in der Al-Aqṣā-Moschee hatten, für einigen Unmut sorgte –, außerdem das Recht zur Wiederherstellung der Stadtmauern, den Vollbesitz der Ländereien zwischen der Heiligen Stadt und Jaffa und zwischen Nazareth und Akkon sowie die Erlaubnis zum Wiederaufbau einiger Burgen. Im Gegenzug sollte der Kaiser die Franken und andere Feinde des Sultans davon abhalten, Krieg in die Gebiete des Sultans hineinzutragen, und ihm, wenn nötig, Beistand leisten. Es ist schwer zu sagen, wer von beiden der größere Nutznießer der Vereinbarungen war. Jedenfalls löste das Abkommen, das im Übrigen durch den Adel von Outremer gegengezeichnet wurde, der einige Ländereien zurückerhielt, ebenso Empörung unter den Kirchenvertretern aus (und brachte den lateinischen Patriarchen fast dazu, den Gläubigen den Zugang zu den heiligen Stätten zu verbieten), wie es in der muslimischen Welt erbitterte Kritik hervorrief. An-Nāṣir Dāwūd zum Beispiel startete eine regelrechte Kampagne zur Diskreditierung al-Kāmils, wovon der Prediger Sibṭ ibn al-Jawzī als aktiv Beteiligter wie folgt Zeugnis gibt: Als die Nachricht von der Übergabe Jerusalems an die Franken eintraf, ging ein Aufschrei durch alle Länder des Islams. Die Sache war so schwerwiegend, dass öffentliche Trauerfeiern anberaumt wurden. Der Malik al-Nāṣir Dāwūd lud mich ein, einer Versammlung in der Hauptmoschee von Damaskus vorzusitzen und über die Geschehnisse in Jerusalem zu sprechen. Ich konnte ihm dies nicht abschlagen, da ich die Erfüllung seines Wunsches als Teil der religiösen Pflichten und des Eifers für die Sache des Islams erachtete. Ich nahm also meinen Platz auf der Kanzel der Hauptmoschee in Damaskus ein, und al-Nāṣir Dāwūd wohnte der Versammlung von der Tür des Mashhad‘Alī[Schreins] bei – ein denkwürdiger Tag, an dem nicht ein Einziger von Damaskus’ Bevölkerung fernzubleiben gedachte.

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Der Widerstand der syrischen Ayyubiden gegen die Politik des Sultans machte sich bald bemerkbar. Sie lieferten sich mehrere Scharmützel mit den Franken, insbesondere den Johannitern, um das Abkommen zu untergraben: 1230 wehrte der Herr von Hama einen Angriff ab, der vom Crac des Chevaliers ausging; im folgenden Jahr griff der Herr von Aleppo die Burg Margat an und befreite zahlreiche Gefangene; einige Zeit später, 1236, unternahm er einen neuen Angriff, diesmal auf die Templerfestung Baghras, die im Norden zwischen Antiochia und Alexandretta an der Grenze zum armenischen Königreich Kilikien lag. Al-Kāmil brauchte jedoch nicht lange, um jegliche Opposition zu unterdrücken. Nachdem er sich so gegen die Lateiner abgesichert hatte, nahm der Sultan sich al-Nāṣir vor und überzeugte ihn, Damaskus im Tausch gegen Kerak, Nablus, Balka und einige Gebiete in Transjordanien aufzugeben. Das Resultat war bemerkenswert, weil sich damit die Möglichkeit einer Vereinigung der ayyubidischen Herrschaftsgebiete unter einem einzigen Sultanat in Kairo abzeichnete. Al-Kāmils Pläne zielten im Wesentlichen darauf ab, das dār al-Islām, das »Haus des Islam«, neu zu errichten. Sie mündeten in den Versuch, den Herrschaftsgebieten des Sultans auch noch das seldschukische Territorium einzuverleiben, um Südanatolien und Ägypten in einem einzigen großen Zentralstaat zusammenzuführen. Dieser Versuch wurde durch den vorübergehenden Abzug der Choresmier zunächst begünstigt, scheiterte dann aber am Widerstand von al-Aschraf und anderen hochrangigen Ayyubiden, die keinesfalls gewillt waren, ihre Privilegien zu verlieren. Ein hochfliegender Plan, der kurz vor seiner Verwirklichung stand, als der Sultan nach dem Tod von al-Aschraf im Jahr 1237 Damaskus besetzen konnte und es erneut an al-Nāṣir übergab, mit dem er sich zwischenzeitlich versöhnt hatte. Als al-Kāmil 1238 starb, lösten sich diese Bestrebungen in Rauch auf.

Der Kreuzzug der Barone Friedrichs Kreuzzug endete zwar mit einem Erfolg, doch zwischen den Baronen im Heiligen Land und den Truppen, die der Kaiser im Osten zurückließ, herrschte sofort eine feindselige Spannung, die rasch in einen Konflikt mündete. Gleichzeitig entbrannte auf den Gebieten des Sultanats ein erbitterter Machtkampf. Der junge al-ʿĀdil, nachrangiger Sohn von al-Kāmil, der zur Unterscheidung von seinem Vorfahren väterlicherseits al-ʿĀdil II. genannt wurde, musste sich

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gegen die Ambitionen seines älteren Bruders al-Ṣāliḥ durchsetzen, eines strengen, wortkargen Mannes, den der Vater zur Abwechslung in das Gebiet jenseits des Euphrat geschickt hatte, aus Angst, von ihm gestürzt zu werden. Solche Befürchtungen waren mehr als begründet, denn al-Ṣālih hatte eine beachtliche Zahl Sklaven erworben und seiner persönlichen Miliz, sprich seinen Mamlukentruppen, einverleibt. Bedeutete der Begriff mamlūk ursprünglich einfach nur »Sklave«, änderte sich seine Konnotation um die Mitte des 13. Jahrhunderts und bezeichnete nun insbesondere den freigelassenen Militärsklaven, der in der Regel eine enge Bindung zu seinem früheren Herrn aufrechterhielt und ihm üblicherweise selbstlos und zuverlässig diente. Es handelte sich hierbei um eine althergebrachte Praxis, die auf die Umayyadenzeit (7.–8. Jahrhundert) zurückgeht und im Osmanischen Reich mit der Bildung des Janitscharenkorps fortgesetzt wurde. Sklaven, die für den Militärdienst vorgesehen waren, wurden in der Regel schon im Kindesalter ausgewählt, um ihnen eine solide Ausbildung zu geben und einen starken Korpsgeist einzubläuen. Die begehrtesten Sklaven waren hellhäutig  – dunkelhäutige Abessinier und Inder dienten in der Regel als Eunuchen – und vorzugsweise von gutem Aussehen, was als synonym für Wohlergehen und körperliche Stärke galt. Besondere Wertschätzung genoss ein türkischer oder kumanischer Stammbaum aufgrund der Geschicklichkeit im berittenen Kampf, die diese Völker auszeichnete, aber auch Slawen, Russen, Tscherkessen, Georgier, Griechen und Mongolen wurden keineswegs verschmäht. In jedem Fall waren sie keine Muslime, da der Islam die Versklavung von Gläubigen ausdrücklich verbot. Durch den Einsatz solcher Milizen konnte ein Muslim zugleich das Verbot umgehen, gegen die eigenen Glaubensgenossen zu kämpfen. Auch war dadurch die Bildung einer unparteiischen Regierungselite gewährleistet, ein weiterer Vorteil in einer ausgeprägten Stammesgesellschaft wie der muslimischen. Die Emire (vom arabischen amīr, Befehlshaber), die mit der militärischen Führung der Truppen betraut waren, kamen aus ausgewählten Korps des Sultans und genossen deutliche Vorteile in Bezug auf Prestige und Macht. Die Sklaven von al-Ṣāliḥ, von denen die meisten aus der Kiptschakensteppe nahe dem Schwarzen Meer stammten, hatten daher großes Interesse an seiner Machtübernahme. Die gelang mit Beginn des Jahres 1240, pünktlich zum Auslaufen des zehnjährigen Waffenstillstands mit Friedrich II. Die Situation war dadurch in höchstem Maße belastet: Niemand konnte die nächsten Schritte des neuen Sultans vorausahnen.

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Und im Westen? Die Zeiten waren schwierig. Der Konflikt zwischen dem Papsttum und dem Kaiserreich war in seine härteste Phase eingetreten, und die Tatsache, dass Friedrich anstelle seines Sohnes Konrad weiterhin die Krone von Jerusalem für sich beanspruchte, verhieß nichts Gutes. Schon seit geraumer Zeit plante Papst Gregor IX. einen neuen Kreuzzug, der später als »Kreuzzug der Barone« bekannt wurde. Friedrich bot logistische Unterstützung an, sofern die Bedingungen des Abkommens von 1229 eingehalten würden. Dem päpstlichen Appell folgten Theobald, Graf von Champagne, einige französische Adlige, die von dem jungen französischen König Ludwig IX. (auch finanziell) unterstützt wurden, sowie eine ansehnliche Zahl englischer Ritter unter dem Kommando Richards von Cornwall, des Schwagers des Kaisers, der seinerseits die Abreise um ein Jahr verzögerte. Das Ziel war die Erneuerung des Waffenstillstands, der Friede in Outremer sollte erhalten bleiben. Zum Dynastiewechsel in Ägypten kam folglich noch eine neue Bedrohung hinzu, wenn auch mehr dem Schein nach als tatsächlich. Theobald landete im September in Akkon mit der Absicht, die Verhandlungen aufzunehmen. Die erneute Exkommunikation, die Friedrich ein paar Monate vor seiner Abreise im März 1239 getroffen hatte, sorgte für einige Aufregung unter den Kreuzfahrern, die schließlich in Outremer waren, um zu verteidigen, was rechtmäßig den Staufern gehörte. Die Situation geriet den Anführern der Unternehmung bald völlig außer Kontrolle. Während eines Marsches nach Süden griffen einige Splittergruppen den Stützpunkt der ägyptischen Garnison in Gaza an, gegen den Rat des Grafen und der Großmeister der Ritterorden. Die Ayyubiden reagierten mit einem heftigen Gegenschlag, der Trupp wurde zerstreut. Doch der Waffenstillstand war gebrochen. Al-Nāṣir Dāwūd nutzte die kurzsichtige Aktion der Kreuzfahrer, um Jerusalem zu besetzen und einen Teil des Davidsturms, der Zitadelle beim Jaffa-Tor, zu zerstören. Als Friedrich davon erfuhr, antwortete er energisch mit der Entsendung von Proviant und einer neuen Flotte unter dem Kommando von Richard von Cornwall und mahnte den Ayyubiden zur Herausgabe der Heiligen Stadt. Gleichzeitig war es jedoch notwendig, weiterhin Offenheit zu signalisieren, umso mehr angesichts der Nachricht, dass al-Ṣālih, ein Mann, mit dem man besser gute Beziehungen pflegte, siegreich aus dem Bruderkrieg hervorgehen würde. Nach seiner Ankunft in Übersee im Oktober 1240 nahm Richard die Friedensverhandlungen sofort wieder auf und bot dem neuen Sultan die Neutralität der Franken in den andauernden inneren Konflikten auf seinem Territorium an. Wie man sich leicht ausrechnen kann, wurde der Vorschlag angenommen, so-

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Kapitel neun 

dass kurz darauf ein neues Abkommen vereinbart und im Februar 1241 in Askalon unterzeichnet wurde. Darin wurden die Grenzen des Königreichs Jerusalem in dem Verlauf wiederhergestellt, den sie vor Saladins Eroberungen gehabt hatten, einschließlich ganz Galiläas, der Burg Beaufort im Südlibanon und der Städte Askalon, Beth Gibelin und Bethlehem – ein bemerkenswertes Resultat, das man wiederum der Diplomatie verdankte. Im folgenden Jahr bekräftigte der Kaiser die Freundschaft mit dem Sultan durch die Entsendung einer imposanten Delegation nach Ägypten. Die über hundert Persönlichkeiten wurden in Alexandria mit allem Prunkt empfangen und im Geleit nach Kairo geführt. Wieder einmal hatte Friedrich eine Sternstunde. Man könnte nach der Mühelosigkeit fragen, mit der dies erreicht wurde. Tatsächlich legte al-Ṣāliḥ gegenüber den Abendländern von Anfang an eine auffallende Nachgiebigkeit an den Tag, die sich aus der permanenten Gefährdung seiner Herrschaft von innen heraus erklärte. In Bedrängnis brachte ihn unter anderem sein Onkel al-Ṣāliḥ Ismā‘īl, dem es gelungen war, Damaskus in Besitz zu nehmen, dazu al-Nāṣir Dāwūd, der sich in Kerak niedergelassen hatte, und die Herren von Aleppo und Homs. Einige Zeit nach der Abreise der Kreuzfahrer schlossen diese ein Abkommen mit den Franken von Outremer, das von den Templern befürwortet, von den Johannitern jedoch abgelehnt wurde. Den Ersteren sicherte es die Burg Safed in Galiläa zu als Gegenleistung für eine Allianz, die der Eindämmung des ägyptischen Einflusses in Syrien galt. Wieder einmal standen Franken und Sarazenen auf derselben Seite. Viel wichtiger aber war, dass ein weiterer Riss durch die Welt der Ayyubiden gehen würde, mit schwerwiegenden Folgen. Zwischen 1241 und 1243 versuchten die Streitkräfte von Damaskus mit Unterstützung einiger Kontingente der Templer vergeblich, Gaza einzunehmen, das fest in der Hand von al-Ṣāliḥ war. Wie schon in der Vergangenheit rief al-Ṣāliḥ choresmische Freischärler zu Hilfe und drängte sie, in Syrien einzumarschieren und das Territorium ungestraft zu plündern. Für den Moment wurde die Operation durch die prompte Reaktion des seldschukischen Sultans von Rūm und der Fürsten von Homs und Aleppo vereitelt. Im Herbst 1243 war es hingegen al-Ṣāliḥ Ismā‘īl, der die Initiative ergriff und den Franken von Outremer als Gegenleistung für ihre Hilfe Hebron, Nablus und Bet Sche’an versprach, außerdem die Gebiete zwischen dem Jordan und der Küste, die al-Nāṣir Dāwūd gehörten. Sie sollten außerdem das Recht erhalten, in der Heiligen Stadt sämtliche Spuren muslimischer Kultstätten zu beseitigen. Das war ein gewagter Vorschlag, der zeigt, wie unbehelligt von reli-

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giösen Zwängen die ayyubidischen Herrscher Syriens agierten. Und ohne Zweifel war es ein verlockender Vorschlag für die Franken, die trotz der kurzen feindlichen Besetzung Jerusalems immer noch im Besitz der Stadt waren. Al-Manṣūr Ibrāhīm, der Herrscher von Homs, begab sich persönlich nach Akkon, wo er mit großen Ehren empfangen wurde. Der Vorschlag wurde angenommen, allerdings nur von jenem Teil der Barone des Königreichs, der dem Templerorden nahestand. Der Chronist Ibn Wāṣil, der die Heilige Stadt 1244 auf seinem Weg nach Ägypten besuchte, berichtete jedenfalls, er habe Mönche und Priester gesehen, die im Felsendom die Messe feierten. Weinflaschen hätten auf dem Felsen gestanden und in der Al-Aqṣā-Moschee habe eine Glocke gehangen.

Der Kreuzzug des heiligen Königs Es erübrigt sich zu erwähnen, dass dies sowohl Friedrich ein Dorn im Auge war, dem die Templer die Gefolgschaft verweigerten, als auch al-Ṣāliḥ, den die eigenen entfernten syrischen Verwandten verhöhnten. Also wandte er sich wieder an die Choresmier. Im Juni 1244 überquerte eine stattliche Zahl von Kämpfern, möglicherweise 10 000 Mann, unter dem Kommando von Husām al-Dīn Berke Khan den Euphrat, drang in Syrien ein und verwüstete das Land und die Dörfer um Damaskus. Nachdem sie Tiberias und Nablus geplündert hatte, zog die Horde zur Küste und nahm dann den Weg nach Jerusalem. Der lateinische Patriarch Robert von Nantes, der zu Beginn des Frühjahrs gerade rechtzeitig in Übersee eingetroffen war, um eine Pilgerreise in die Heilige Stadt zu unternehmen, die Großmeister des Templer- und des Johanniterordens, Armand de Périgord und Guillaume de Châteauneuf, und ein paar wenige Barone taten ihr Bestes, um die Garnison zu verstärken, die die Zitadelle zu verteidigen hatte. Viele zogen es stattdessen vor, zu fliehen und Jerusalem seinem Schicksal zu überlassen. Am 11. Juli stürmten die choresmischen Freischärler die Stadt und metzelten jeden nieder, der ihnen in die Quere kam. Kirchen und Klöster wurden in Brand gesetzt. Auch die Grabeskirche wurde geschändet und einige betagte Priester auf barbarische Weise abgeschlachtet; die sterblichen Überreste der Könige von Jerusalem wurden ausgegraben und in alle Winde verstreut. Eine Zeit lang konnte die Garnison der Zitadelle den Angriffen standhalten. Doch die Hoffnung auf Hilfe währte nicht lange. Nur einige wenige Kontingente aus Kerak trafen in

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Episoden aus dem Leben des heiligen Ludwig: Aufbruch zum siebten Kreuzzug; Ludwig IX. baut eine Festung und pilgert nach Nazareth; Ludwig IX. verlässt Damiette, ist zu Schiff unterwegs und kommt in Akkon an; Ludwig IX. erhält die Dornenkrone, die Heilige Lanze, das Wahre Kreuz und andere Reliquien aus Konstantinopel; Ludwig IX. auf dem Sterbebett.

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Kapitel neun 

Jerusalem ein, die leichtes Spiel hatten, den Choresmiern freies Geleit für die Überlebenden im Gegenzug für die Kapitulation abzuhandeln. Am 23. August verließen etwa 6000 Menschen  – Männer, Frauen und Kinder  – die Heilige Stadt. Auf dem Weg nach Jaffa sahen einige von ihnen fränkische Fahnen auf den Mauern wehen, inmitten des Rauchs der brennenden Stadt und des Staubs der Hufe. In dem Glauben, dass Verstärkung unterwegs war, entschlossen viele sich zur Umkehr und gerieten in einen Hinterhalt. Noch einmal 2000 Menschen kamen hierbei ums Leben. Die übrigen wurden Opfer von Räuberbanden. Nur 300 von ihnen gelang es, die Küste zu erreichen. Die tapfersten Ritter von Outremer versammelten sich eilig in Akkon, kurze Zeit später trafen auch die Truppen der syrischen Verbündeten ein. Philipp von Montfort, Herr von Tyrus und Toron, und Walter von Brienne, der Graf von Jaffa, eilten mit 600 Rittern herbei. Den Großmeistern der Templer und Johanniter gelang es, weitere 700 aufzutreiben, denen sich 400 Ritter des Deutschen Ordens anschlossen. Zusätzliche Truppen trafen aus Antiochia ein, unter dem Kommando von Johann und Wilhelm von Botrun, Vettern Bohemunds V., und des Konstablers von Tripolis, Johann von Ham. Die Choresmier hingegen schlossen sich dem Heer von al-Ṣāliḥ an, das vor Gaza lag. Beide Armeen zählten jeweils etwa 15 000 Mann. Am 17. Oktober fand nordöstlich von Gaza in der Nähe von Ḥarbīya – das La Forbie der Franken – eine der bedeutendsten Schlachten statt, die Outremer je gesehen hatte. Es handelte sich um eine Feldschlacht, die der traditionellen militärischen Strategie der Franken zuwiderlief, keine großen Heere in offenem Gelände aufzustellen, da Verluste an Mensch und Tier hier nicht leicht auszugleichen waren. Innerhalb weniger Stunden wurde die franko-syrische Armee vollständig ausgelöscht. Der Großmeister der Templer fand auf dem Schlachtfeld den Tod, zusammen mit dem Erzbischof von Tyrus, dem Bischof von Ramla und den Herren von Botrun. Der Großmeister der Johanniter, der Graf von Jaffa und der Konstabler von Tripolis wurden zusammen mit 800 Kämpfern gefangen genommen. Philipp von Montfort und der Patriarch von Jerusalem flohen mit einigen wenigen Überlebenden (den Chroniken zufolge 33 Templer, 27 Johanniter und drei Deutschordensritter) nach Askalon. Es war die verheerendste militärische Niederlage, die Outremer seit Hattin erlitt, und bedeutete für die dortigen fränkischen Barone das Ende ihrer Fähigkeit, aus eigener Kraft groß angelegte Offensiven durchzuführen. Jerusalem würde niemals zurückgewonnen werden. Von nun an würde das Überleben der Kreuz-

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fahrerstaaten vom Engagement der westlichen Mächte abhängen sowie von ihrer eigenen Politik gegenüber ihren muslimischen Nachbarn. Kann man sagen, dass al-Ṣāliḥ den Sieg nicht voll ausgeschöpft hat? In Wirklichkeit galt das Hauptinteresse des Sultans, mehr noch als den Kreuzfahrerstaaten, dem muslimischen Syrien, dessen Herrscher seine Autorität unterminierten und dadurch eine ernsthafte Gefahr für den Erhalt der Macht im Sultanat darstellten. Daher waren es die rebellischen Ayyubiden, gegen die alṢāliḥ nach der gewonnenen Schlacht auszog. Im Frühjahr 1245 belagerte er Damaskus. Die Stadt fiel im Oktober, und die Versuche seines Onkels al-Ṣāliḥ Ismā‘īl, sie wieder unter seine Herrschaft zu bringen, blieben erfolglos. Die zu Hilfe gerufenen choresmischen Trupps wurden nachdrücklich aufgefordert, die Region zu verlassen. Allerdings war die Gelegenheit, einen Teil des Küstengebietes in Besitz zu nehmen, um sich gegen weitere Feindseligkeiten der Verwandtschaft abzusichern, zu günstig, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen. Dies galt umso mehr, als die Franken, ihrer wichtigsten Kommandeure beraubt, den Ereignissen ohnmächtig ausgeliefert zu sein schienen. Der Sultan besetzte also einige strategische Orte in Galiläa, darunter Tiberias, den Berg Tabor und die Festung Belvoir, die kurzzeitig wieder in die Hände der Johanniter gefallen war. Anschließend zog er gegen Askalon. Die von einer Handvoll Johannitern verteidigte Zitadelle fiel am 15. Oktober 1247, trotz beachtlicher Verstärkungen, die aus Akkon und Zypern hinzugeeilt waren. Befriedigt reiste al-Ṣāliḥ nach Jerusalem, um dem Ḥaram al-Sharīf, dem Tempelberg, einen Besuch abzustatten, bevor er nach Ägypten zurückkehrte. Die Franken nutzten die Atempause und beeilten sich, den Westen um Hilfe zu bitten, obwohl die Spannungen zwischen Papsttum und Kaiserreich nicht viel Anlass zur Hoffnung gaben. An wen sich wenden? Wer würde sich die Last der Rückeroberung aufladen? Da Friedrich II. wegen seiner alles andere als freundschaftlichen Beziehungen zum Papst nicht mehr im Spiel war, war die Frage angebracht. Nicht viele gekrönte Häupter standen zur Auswahl: Heinrich III. von England war damit beschäftigt zu verteidigen, was von der englischen Herrschaft in Frankreich übrig geblieben war; die Herrscherhäuser Spaniens waren in ihre eigene Reconquista verstrickt. Blieb die Hoffnung auf den frommen Eifer des französischen Königs Ludwig IX., genannt »der Heilige«, der während einer schweren Krankheit gegen Ende des Jahres 1244 gelobt hatte, einen Kreuzzug anzuführen. Als Einziger war er offensichtlich bereit, sich persönlich für den Erfolg der Unternehmung einzusetzen.

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Kapitel neun 

Ankunft Ludwigs IX. in Nikosia, Miniatur von Guillaume de Saint-Pathus, Vie de Saint Louis, 1330– 1340, Paris, Bibliothèque nationale de France.

Der neuerliche Kreuzzug, der 1245 auf dem Konzil von Lyon von Papst Innozenz IV. ausgerufen wurde, sollte dann auch fast ausschließlich vom französischen König angeführt und getragen werden. Das Unternehmen fand – und dies ist kein unbedeutendes Detail – ohne aktives Mitwirken seitens der Staufer, der legitimen Herrscher von Jerusalem, statt. In diesem Zusammenhang hat die vom Chronisten Ibn Wāṣil überlieferte Nachricht einiges für sich, wonach Friedrich – den der Papst gerade für abgesetzt erklärt hatte, wodurch alle seine Untertanen von ihrer Treuepflicht entbunden waren – einen eigenen Gesandten zum Sultan schickte, um ihn vor der anstehenden Expedition zu warnen. Für einen Mann, der seit Jahrzehnten daran gewöhnt war, wie der Antichrist persönlich behandelt zu werden, war das offenbar ein normaler Verwaltungsakt. Wie schon dreißig Jahre zuvor war das Hauptziel des Kreuzzuges erneut Ägypten. Der Angriffsplan sah als Einschüchterungsmaßnahme die Besetzung des Landes vor (zumindest aber des Nildeltas), womit man den Sultan zu einem Tauschgeschäft zwingen wollte. Worum es dem König eigentlich ging, war Jerusalem.

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Dessen konnte man sich angesichts der Leidenschaft, mit der er sich für das Unternehmen einsetzte, sicher sein. Für die Überfahrt bediente sich Ludwig genuesischer Schiffe und wählte in Genua auch seine eigenen Admiräle aus, Ugo Lercari und Jacopo da Levanto, die sich im vorangegangenen Jahrzehnt durch ihre Loyalität zur antikaiserlichen Bewegung ausgezeichnet hatten. Ende August 1248 stach man von Aigues-Mortes aus in See. Das Kreuzfahrerheer überwinterte auf Zypern, wo vorausschauend große Vorräte an Getreide und Wein angelegt worden waren, und machte sich dann auf den Weg nach Damiette, wo es Anfang Juni eintraf. Der Großteil der Truppen des Sultans lagerte südlich der Stadt, unter dem Kommando von Emir Fakhr al-Dīn, dem Mann, der zwanzig Jahre zuvor die Verhandlungen zwischen al-Kāmil und Friedrich II. geführt hatte. Wahrscheinlich ging man davon aus, dass die Kreuzfahrer keinen direkten Angriff auf die Stadt wagen würden. Ibn Wāṣil zufolge befahl Fakhr al-Dīn bei Einbruch der Dunkelheit, die Brücke, die sein Lager mit der Stadt verband, zu zerstören, womit er den Franken faktisch

Ludwig IX. geht während des siebten Kreuzzuges bei Damiette an Land, Stich aus der Grand voyage de Hierusalem, 1522.

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Kapitel neun 

die Kontrolle über das Westufer des Nils überließ. Die Bevölkerung von Damiette floh aus Angst vor einer langen Belagerung aus der Stadt, gefolgt (wenn nicht gar angeführt) von der kleinen Garnison, die dort zu ihrer Verteidigung postiert war. Kurze Zeit später wehte die Fahne des heiligen Dionysius über den Mauern. Der Chronist nannte dies eine schändliche Tat von ihnen [der Bevölkerung], von Fakhr al-Dīn und den Truppen: Hätte Fakhr al-Dīn Yūsuf sie an der Flucht gehindert und wäre er standhaft geblieben, hätte Damiette verteidigt werden können, denn als die Franken es zur Zeit von al-Malik al-Kāmil zum ersten Mal angegriffen hatten, war die Versorgung mit Nachschub und Munition noch schwieriger gewesen, und dennoch hatte der Feind die Stadt erst nach Ablauf eines ganzen Jahres erobern können. Die unerwartete Entwicklung der Ereignisse beflügelte alle ein wenig, löste bei der Heeresleitung aber auch eine gewisse Ratlosigkeit aus. Wie sollte es weitergehen, jetzt, da die Stadt in christlicher Hand war? Sollte man die Truppen über al-Manṣūra in Richtung Kairo bewegen oder zuerst den reichen Hafen von Alexandria einnehmen? Nach eingehenden Beratungen entschied man sich für die erste Alternative, denn, wie Robert von Artois, einer der Brüder des Königs, sagte: »Wer eine Schlange töten will, muss ihr zuerst den Kopf zertreten.« Sich daran erinnernd, wie die Dinge 1218/19 gelaufen waren, beschloss der französische Herrscher, bis zum Ende der Hochwassersaison zu warten, damit die ganze Aktion nicht buchstäblich ins Wasser fiel. Die Eroberung Kairos lag zum Greifen nah: AlṢāliḥ war krank und zu schwach, um seine Armee weiter zu befehligen, niemand konnte vorhersagen, wie lange er noch leben würde. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, dem französischen König, der ihm gedroht hatte, eine Antwort überbringen zu lassen. Laut al-Maqrīz schrieb al-Ṣāliḥ an Ludwig: Dein Brief ist eingetroffen, in dem du uns mit der Masse deiner Heere und der Zahl deiner Krieger zu drohen gedenkst. Nun, wir sind ein Kriegervolk, und noch nie ist einer unserer Besten gefallen, ohne dass wir ihn ersetzt hätten, und noch nie hat ein Feind es gewagt, uns anzugreifen, ohne dass wir ihn vernichtet hätten. Törichter! Würden deine Augen die Schärfe unserer Schwerter und die Ungeheuerlichkeit der von uns über das Land gebrachten Ver-

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wüstungen gesehen haben, die Burgen und Küsten, die wir dort eroberten, und die Länder der Alteingesessenen und der Neuankömmlinge, die wir geplündert haben, dann müsstest du dir reumütig in die Finger beißen! Kurz darauf schloss der Sultan für immer die Augen. Es war der 22. November 1249. Ende des Monats setzte sich das Kreuzfahrerheer in Bewegung, nachdem es das Ende der Nilschwemme abgewartet hatte, und marschierte entlang dem Lauf des Baḥr al-Ṣaghīr, des Hauptarms des Flusses. Es war ein mühevoller Marsch, der durch die mangelnde Kenntnis des schwierigen Geländes noch erschwert wurde. Einen Monat später schlugen die Kreuzfahrer in der Nähe von al-Manṣūra ihr Lager auf. Hier erreichte den König sichere Nachricht vom Tod seines Hauptgegners. Weil sie die Auswirkungen der Nachricht befürchtete, hatte dessen Ehefrau Schadschar ad-Durr seinen Tod geheim zu halten versucht und den Beistand des designierten Erben al-Malik al-Mu‘azzam Turan Schah erfleht, der in Ḥiṣn Kayfā im Südosten Anatoliens residierte. Nun bat sie ihn, umgehend nach Ägypten zurückzukehren. Für die Franken schien die Lage angesichts der verständlichen Unsicherheit in Kairo günstig. Ludwig vermochte den Vorteil jedoch nicht zu nutzen. Seine Truppen wurden von einer wilden Gegenattacke des ägyptischen Heeres auf das Kreuzfahrerlager überrannt und Letzteres dem Dauerbeschuss mit eigens präparierten Brandpfeilen ausgesetzt. Als ob dies nicht genug wäre, schlugen alle Versuche fehl, Behelfsbrücken und Stege zur Überquerung des Nilarms Baḥr al-Ṣaghīr zu bauen. Es scheint, dass ein einheimischer Bauer zur Lösung dieser festgefahrenen Situation beitrug, indem er den Kreuzfahrern gegen großzügige Bezahlung die Existenz einer Furt verriet. Am 8. Februar führte Robert von Artois eine Vorhut gegen die Sarazenen, die in der Nähe von al-Manṣūra lagerten. Als sie die Kreuzfahrer kommen sahen, entschlossen sich viele Bewohner der Stadt, diese zu verlassen, und flohen Richtung Kairo (wo eines der Haupttore der Stadt, das heute noch existierende »Tor des Sieges«, Bāb al-Naşr, für sie eigens die ganze Nacht geöffnet blieb). Völlig überrumpelt von dem Angriff, bestieg Fakhr al-Dīn sein Pferd, ohne seine Rüstung angelegt zu haben, und wurde kurz darauf tödlich verwundet. Die Kreuzfahrer hatten ins Schwarze getroffen, so schien es jedenfalls. Ohne auf Verstärkung zu warten, verfolgte Robert mit seinen Rittern die Feinde in die Stadt hinein, sehr zum Missfallen der Templer, die traditionell die Vorhut des Heeres bildeten und sich nun notgedrungen der Offensive an-

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Kapitel neun 

Arthur Georg von Ramberg, Friedrich II. empfängt die Gesandten des Sultans al-Kāmil, 1865, München, Neue Pinakothek.

schließen mussten. Kurze Zeit später schlossen sich hinter ihnen die Tore der Stadt. Die Sache endete in einem Blutbad. Tatsächlich hatten Ludwigs Männer die Stärke der Mamluken unterschätzt. Die Verteidigung wurde nämlich von jenem Teil der Mamluken al-Ṣāliḥs unterstützt, die dem Regiment der Baḥri, der »Fluss-Mamluken«, angehörten. Diese wurden so genannt, weil sie ihr Hauptquartier in Kairo am Ufer des Nils – Baḥr al-Nīl – respektive auf der Nilinsel Rōdah hatten. Es handelte sich um eine speziell ausgebildete Eliteeinheit, die zwischen 800 und 1000 Mann zählte, hauptsächlich Kiptschaktürken, deren Heldenmut im Kampf sprichwörtlich war. Ibn Wāṣil, der sich zum Zeitpunkt des Angriffs in Kairo aufhielt, zögerte nicht, sie als »die Tempelritter des Islams« zu bezeichnen. Es geschah nun Folgendes: Die Franken ergossen sich in die engen Gassen der Stadt, während Soldaten, Bürger und einfaches Volk in alle Richtungen auseinanderstoben; dem Islam drohte ein tödlicher Schlag, die Franken wähnten sich des Sieges sicher. Es war ein Glück für die Muselmanen, dass die Franken sich in den Straßen ver-

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teilten. Im Moment allergrößter Gefahr rückte das türkische Mamlukenbataillon al-Malik al-Ṣāliḥs an, Baḥriten und Jamdariten, diese Löwen des Krieges und tollkühnen Reiter, die den Feind wie ein einziger Mann angriffen und zurückschlugen. Die Franken wurden von allen Seiten mit Schwertern und Knüppeln niedergemacht. Die Baḥriten metzelten sie nieder und trieben sie durch die Straßen von al-Manṣūra vor sich her, wo die Franken eintausendfünfhundert ihrer besten Ritter verloren. Der Chronist fügt hinzu: »Dies war die erste Schlacht, in der die türkischen Löwen die ungläubigen Hunde besiegten.« Ludwig, dem es in der Zwischenzeit gelungen war, die bisherigen ägyptischen Stellungen zu besetzen, konnte gegen die Übermacht des Feindes nichts ausrichten. Der Kreuzzug stand kurz vor dem Scheitern, wieder einmal. Und mit ihm ging auch der nie ausgesprochene, aber aus den Handlungen des Königs ersichtliche Wunsch unter, in Ägypten einen neuen fränkischen Staat zu gründen.

Von Sklaven zu Sultanen Die Nachricht vom Sieg der Mamluken erreichte al-Malik al-Mu‘azzam Turan Schah gegen Ende Februar, als er gerade auf dem Weg nach al-Manṣūra war. Wir wissen nicht viel über seine Taten. Die Chronisten stellen ihn in ein schlechtes Licht und schildern ihn als einen Mann, der zu Lastern neigte und wenig Interesse daran hatte, in die Fußstapfen seiner Vorgänger zu treten, die trotz allem weise Regenten gewesen waren. Ohne Frage machte er eine Menge Fehler. So entließ er beispielsweise einige hohe Amtsträger seines Vaters, darunter auch Angehörige des Baḥri-Regiments, und ersetzte sie mit seinen eigenen Mamluken, wodurch er einen großen Teil der politisch-militärischen Elite Ägyptens verprellte. Die Bedrohung durch die Franken bestand aber weiterhin, sodass alle Überlegungen hinsichtlich der Thronfolge in Erwartung besserer Zeiten ausgesetzt wurden. Den Kreuzfahrern erging es auch nicht besser. Das Massaker von al-Manṣūra hatte große Beunruhigung ausgelöst und zu einer Pattsituation geführt. Da die sarazenischen Schiffe die Hauptarme des Nils blockiert hatten, war es für Ludwigs Flotte äußerst schwierig, weiter voranzukommen. Hunger und Seuchen taten ihr Übriges. Bald wurde beschlossen, Richtung Norden um-

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Kapitel neun 

zukehren. Ludwig versuchte, einen Waffenstillstand auszuhandeln, in dem er Damiette im Austausch gegen Jerusalem anbot, was die Würdenträger in Kairo jedoch ablehnten, die ihrerseits die weitere Entwicklung der Ereignisse abwarten wollten. Er hätte genauso gut die Flucht ergreifen können. Einige französische Barone schlugen dem König vor, sich einzuschiffen und so in Sicherheit zu bringen. Obwohl er heftig an der Ruhr litt – die Erkrankung scheint so schwer gewesen zu sein, dass er sich gezwungen sah, seine Hose unten abzuschneiden, um den Durchmarsch nicht aufzuhalten –, weigerte sich der König, seine Männer im Stich zu lassen. Kurz darauf wurde er zusammen mit dem größten Teil seines Heeres gefangen genommen, das den Quellen zufolge etwa 12 000 Mann stark war. Dies war das erste Mal, dass ein westlicher Herrscher in ägyptische Gefangenschaft geriet. Dort wurde er  – das muss gesagt werden  – mit allen Ehren behandelt, die seinem Rang gebührten. Bald jedoch beschloss man, sich auf einen Handel zu einigen. Ibn Wāṣil gibt das Zeugnis eines Emirs wieder, der Gelegenheit hatte, sich mit dem König zu unterhalten: Dazu erzählte mir der Emir Husam al-Din Folgendes: Der König von Frankreich war ein weiser, überaus kluger Mann und so sagte ich im Laufe einer unserer Unterhaltungen zu ihm: »Wie nur konnte es Eurer Hoheit, mit all der Tugend und der Vernunft und dem gesunden Menschenverstand, den ich in Euch erkenne, in den Sinn kommen, ein Schiff zu besteigen, auf dem Rücken des Meeres dahinzureiten und in dieses mit Muselmanen so reich bevölkerte, vor Truppen strotzende Land zu kommen und zu glauben, es erobern und sich zu seinem Herrn aufschwingen zu können?« Dieses Unterfangen stellt doch das größte Wagnis dar, dem er sich und seine Untertanen aussetzen konnte. Der König lächelte und erwiderte nichts. »In unserem Gesetz«, fügte ich hinzu, »besitzt das Zeugnis eines Mannes, der dieses Meer wiederholte Male überquert und dabei Leib und Habe aufs Spiel setzt, keinen Wert vor Gericht.« »Und weshalb?«, fragte da der König. »Weil wir aus einer solchen Handlungsweise ableiten, dass er schwachsinnig ist, und von einem, der schwachsinnig ist, sollte man besser kein Zeugnis akzeptieren.« Darauf mit einem Lächeln der König: »Herrgott, da hat, wer so gesprochen, wohl gesprochen, und wer so geurteilt, nicht geirrt.«

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Auf das Getöse der Waffen folgte also wieder die stille Kunst der Diplomatie. Am 6. Mai 1250 wurde Ludwig gegen Zahlung eines beträchtlichen Lösegeldes (das offenbar von den Templern und Genuesen vorgestreckt wurde) und gegen das Versprechen der Rückgabe von Damiette schließlich wieder in Freiheit gesetzt. Nur wenige Tage zuvor hatte in Ägypten ein neuerlicher Umsturz das Schicksal des gesamten Nahen Ostens endgültig besiegelt. Der schwache al-Malik alMu‘azzam Turan Schah war von Anfang an ein Problem gewesen, und sei es nur wegen seiner mangelnden Kenntnis darüber, wie die Fäden der Macht zusammenliefen. Am 2. Mai war er ermordet worden. An der Spitze der Verschwörung standen ein gewisser Baybars al-ʿAlā‘ī al-Bunduqdārī (»der Bogenschütze«) und der Mamlukenkommandant Fāris al-Dīn Aqṭāy al-Jamdār. Die Situation war reichlich kompliziert. Die Franken hatten das Land zwar verlassen, doch die Bevölkerung war durch die monatelangen Überfälle schwer in Mitleidenschaft gezogen worden. In einer Versammlung beschlossen die Emire, die Regierung zumindest vorläufig der Witwe von al-Ṣāliḥ, Schadschar ad-Durr, zu übertragen, selbst eine ehemalige türkische Sklavin und Mutter des rechtmäßigen Thronfolgers Khalīl, der gestorben war, als er noch in den Windeln lag. Diese für die muslimische Welt recht ungewöhnliche Ernennung war dem noch immer andauernden Notstand geschuldet. So rief sie denn auch umgehend die Opposition des Kalifen von Bagdad, al-Musta‘ṣim, und der syrischen Ayyubiden hervor, die es ablehnten, die Macht in die Hände einer Frau zu legen. Gleichwohl wurden sogar Münzen mit ihrem Namen geprägt. Schadschar ad-Durr übte tatsächlich einige Monate lang die Regierungsgeschäfte eines Sultans aus, zumindest bis zu ihrer arrangierten Hochzeit mit einem der wichtigsten Offiziere von al-Ṣāliḥ, Aybak al-Turkumānī, die im Juli gefeiert wurde. Aybak al-Turkumānī war ein Militärsklave türkischer Herkunft und bekleidete seinerzeit das Amt des atābak al-‘asākir. Damit war er der Oberbefehlshaber der Armee, aller Wahrscheinlichkeit nach in diese Position befördert, um ein Gegengewicht zu den übermächtigen Baḥri zu bilden. Aybak saß nur fünf Tage lang auf dem Thron, dann beschloss er, zugunsten des rechtmäßigen Erben der Ayyubiden-Dynastie, al-Aschraf Mūsā, eines entfernten Verwandten Saladins, abzudanken. Kurz darauf gelang es dem atābak jedoch, sich als Mitsultan wieder auf den Thron zu setzen. Aybaks Position blieb prekär angesichts der anhaltenden Opposition der syrischen Ayyubiden – dem Herrscher von Aleppo, al-Nāṣir Yūsuf, war es gelungen, Damaskus zu besetzen – und des Regiments der Baḥri-Mamluken, das nun in der

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Kapitel neun 

Zitadelle von Kairo stationiert war. Aybak fühlte sich bedroht und befahl einem seiner eigenen Mamluken, einem gewissen Sayf al-Dīn Quṭuz, den Kommandeur des Regiments Aqṭāy zu töten und die Truppen zu zerstreuen. Die Operation war erfolgreich: Mehrere Mitglieder des Regiments wurden getötet oder gefangen genommen; eine Abteilung von etwa 700 Mann, angeführt von Baybars, flüchtete nach Syrien; eine andere zog es vor, in das seldschukische Sultanat Rūm zu ziehen. Aybak entschloss sich daraufhin, das Sultanskind abzusetzen und regierte die nächsten drei Jahre als Despot. Eine Situation, der keine Dauer beschieden sein konnte: Im April 1257 wurde der Sultan in einer Blutlache liegend aufgefunden, erschlagen von seiner Frau Schadschar ad-Durr. Bei dem Mord soll, wie es heißt, Eifersucht im Spiel gewesen sein, obwohl durchaus möglich ist, dass sie auf Anweisung von einer der beiden Mamlukenfraktionen handelte. Doch auch die Sultanin fand kurze Zeit später ein schlimmes Ende: Ihre Leiche wurde einen Monat später zerschmettert unter den Mauern der Zitadelle gefunden. Die Mamlukenführer wählten Aybaks erst fünfzehnjährigen Sohn Ali zum Sultan, verliehen ihm aber nur nominelle Befugnisse. Die Parteiungen innerhalb der Mamluken gerieten indessen aneinander und das ganze Land stürzte unweigerlich ins Chaos. Im Jahr 1258 bedrohte Baybars sogar Kairo. Am Ende setzte sich der Anführer von Aybaks Mamluken, Quṭuz, durch, der bei den Baḥri aufgrund des Mordes an Aqṭāy verhasst war. Es gelang ihm, sich als Verwalter des Sultanats anerkennen zu lassen. Im November 1259 riss er die Sultanswürde an sich und verpflichtete sich, das Land gegen die zu den syrischen Ayyubiden geflohenen Mamluken zu verteidigen, die trotz der sich abzeichnenden neuen Bedrohung durch die Mongolen weiterhin Widerstand leisteten. Die Herrschaft der Dynastie Saladins über die ägyptischen Gebiete endete so auf denkbar schlechteste Weise. Das Land trat in eine neue Phase ein, in der freigelassene ehemalige Sklaven nach der Macht griffen und sie jahrhundertelang ausüben sollten.

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Kapitel zehn

Der Verlust des Heiligen Landes Der Krieg von Sankt Sabas Nachdem Ludwig IX. im Mai 1250 in Akkon gelandet war, machte er sich noch reichlich gebeutelt von der vernichtenden Niederlage daran, zu ordnen, was vom Königreich Jerusalem übrig geblieben war. Er verbrachte die folgenden vier Jahre in der Levante und erwies sich in der Ungewissheit, ob der rechtmäßige Thronfolger, Friedrichs zweiundzwanzigjähriger Sohn Konrad von Schwaben, eintreffen würde oder nicht, als großer Regent. Das Land muss ihm wie ein Flickenteppich aus Herrschaftsgebieten erschienen sein, die nur formal Teile eines Königreichs bildeten. In Akkon regierte Heinrich I. von Zypern, der nicht die geringste Absicht zeigte, die Insel zu verlassen und sich auf dem Festland niederzulassen. Der einzige Fürst in Outremer, der sich wirklich Gehör verschaffen konnte, war Bohemund V. von Antiochia, und der hatte alle Hände voll zu tun, die Fliehkräfte, die sein Fürstentum zu zerreißen drohten, in Schach zu halten. Ludwig konnte also ohne Schwierigkeit eine gewisse Entscheidungsgewalt erlangen. Obwohl ihm kein Titel das Recht gab, die Regentschaft über das Gebiet zu beanspruchen, genügte allein die Wertschätzung, die er in der Bevölkerung genoss, um ihm die nötige Autorität zu verleihen. Seine Hauptsorge galt der Befreiung der etwa 12 000 Gefangenen, die noch in der Hand der Mamluken waren – eine moralische Verpflichtung, aber durchaus nicht ohne propagandistischen Wert. Ludwig fühlte sich in hohem Maße verantwortlich für das Scheitern des Kreuzzuges. Würde er sich gegenüber dem Schicksal derjenigen, die daran teilgenommen hatten, gleichgültig gezeigt haben, hätte er sicher kein gutes Bild abgegeben neben einigen seiner ­illustren Vorgänger – zum Beispiel Richard Löwenherz –, die bis zum Ende für die

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Kapitel zehn 

Stadtplan von Akkon, nach einer Zeichnung von Marin Sanudo, aus: Secreta fidelium crucis, 1321– 1324, Oxford University, Bodleian Library.

Befreiung der in sarazenischen Gefängnissen festgehaltenen Christen gekämpft hatten. Er veranlasste intensive diplomatische Bemühungen, um eine antisyrische Allianz mit Ägypten und die Rückgabe Jerusalems an die Franken zu erreichen, doch die Verwirklichung dieses Plans gestaltete sich schwierig. Stattdessen wurde mit den syrischen Ayyubiden ein Waffenstillstand vereinbart, der Outremer wieder zu einer ausgleichenden Rolle in der Region verhalf. Ludwig war sich der Probleme der innerlich gespaltenen muslimischen Welt bewusst. Und doch durfte man in der Wachsamkeit nicht nachlassen, das Königreich musste verteidigt werden. Vor seiner Abreise stellte er ein ehrgeiziges Bauprogramm auf die Beine, das er durch eine Verlängerung des Kreuzzugszehnten in Frankreich und durch Darlehen der Bankiers von Piacenza und Genua wie auch der Ritterorden finanzierte. Mehr als 100 000 livres tournois wurden für den Ausbau der Verteidigungsanlagen der Burgen von Cäsarea, Jaffa, Atlit und Sidon ausgegeben. Auch die Befestigungen von Akkon wurden verstärkt. Die Stadt hatte sich, wie gesagt, zu einem wichtigen Handelsumschlagplatz entwickelt: Kaufleute verschiedener Herkunft  – insbesondere aus Genua, Venedig, Pisa, Ancona und

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Marseille – ließen sich dort dauerhaft nieder. Akkon lag am Kreuzungspunkt mehrerer wichtiger Handelsstraßen, die das Mittelmeer mit den Karawanenstraßen auf dem Festland und folglich mit den »Seidenstraßen« verbanden, und spielte eine wichtige Vermittlerrolle zwischen den Marktplätzen von Konstantinopel, dem Schwarzen Meer und Ägypten. Konvergierende Interessen waren jedoch eine Quelle ständiger Reibereien, insbesondere zwischen den streitsüchtigen italienischen Gemeinschaften, zwischen denen nach heftigen Scharmützeln, die die engen Gassen der Stadt mit Blut tränkten, bald ein regelrechter Kampf entbrannte. Den Auslöser bildete Ludwigs Abreise im April 1254, die erhebliche Auswirkungen auf den Status quo hatte. Der im Juni verstorbene Patriarch von Jerusalem, Robert von Nantes, wurde durch Jacques Pantaléon – den späteren Papst Urban IV. – ersetzt, der jedoch erst im Juni 1256 nach Outremer reiste. Beide Königreiche, Jerusalem und auch Zypern, wurden von Regenten regiert. Belastet wurde die Situation außerdem durch das Machtvakuum, das durch Konrads Tod im Jahr 1254 und die Minderjährigkeit seines Sohnes Konradin, des rechtmäßigen Erben der Krone von Jerusalem, entstanden war. Gab es für die Kaufleute eine bessere Gelegenheit, die Oberhand über die verhasste Konkurrenz zu gewinnen und die immer reicheren Handelsströme zu kontrollieren?

Konradin von Schwaben bei der Jagd mit einem Falken, Miniatur aus dem Codex Manesse, 1305–1340, fol. 7r, Universität Heidelberg.

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Kapitel zehn 

Für den Moment handelte es sich vor allem um Grenzstreitigkeiten. Das genuesische Viertel in Akkon, das im Süden an das pisanische und im Osten an das venezianische Viertel grenzte, hatte keinen Zugang zum Meer. Im Bereich des inneren Hafenbeckens, das durch eine gewaltige Kette geschützt war, stand ein Gebäude, das dem griechisch-orthodoxen Kloster Sankt Sabas gehörte und an dem sich die Begehrlichkeiten aller entzündeten. Kurzum, jeder Vorwand war gut, den Gegner zu eliminieren. Nehmen wir den Fall des Genuesen Barocio Mallone, der 1256 ein rechtmäßig erworbenes Schiff nach Akkon brachte, das sich nun aber als ein von den Venezianern gestohlenes herausstellte. Anstatt auf das herrschende Recht zu bauen, das eine Schlichtung zwischen den Parteien von dritter Seite – in diesem Fall durch die Pisaner – vorsah, entschlossen sich die Venezianer zu einem Angriff auf das genuesische Viertel, um sich ihr zu Unrecht erworbenes Gut zurückzuholen, und lösten damit einen Kleinkrieg aus, der die nächsten zwei Jahre andauern sollte. Es ist nicht leicht, die Abfolge der Ereignisse zu rekonstruieren. Es scheint jedoch, dass die Genuesen auf den Angriff reagierten, indem sie einige im Hafen vor Anker liegende venezianische Galeeren in Brand setzten, bevor sie sich hinter den Mauern ihres eigenen Viertels verschanzten. Fest steht, dass der Konflikt schnell die wichtigsten Mächte im Heiligen Land einbezog, die sich gezwungen sahen, Partei zu ergreifen. Die Einmischung Philipps von Montfort, des Herrn von Tyrus, der schon lange die Vorrechte anfocht, die die Venezianer an bestimmten Orten seines Herrschaftsgebietes genossen, und daher nicht zögerte, sich auf die Seite der Genuesen zu stellen, löste eine Kettenreaktion aus. Der Bailli des Königreichs, Johann von Arsuf, und sein Vetter Graf Johann Ibelin von Jaffa, die wahrscheinlich befürchteten, dass Montfort sich von der Macht der Krone emanzipieren wollte, stellten sich auf die Seite Venedigs, gefolgt von den Pisanern, einigen religiösen Bruderschaften, den Templern, den Deutschrittern und der Gemeinschaft der Provenzalen. Die Genuesen ihrerseits erhielten die Unterstützung der Johanniter, mit denen sie im Norden der Stadt aneinandergrenzten, der Einwohner Anconas, der Gemeinschaft der Melchiten und all jener Barone in Outremer, die die Vorherrschaft der Ibelin untergraben wollten. Unter ihnen befanden sich auch Mitglieder des Hauses Embriaco, das genuesischer Abstammung und seit dem ersten Kreuzzug in Gibelet ansässig war. Mit ihrer Parteinahme für das alte Mutterland zogen sie den Zorn ihres rechtmäßigen Herrn Bohemund VI. von Antiochia auf sich, der sich nach einem Vermittlungsversuch auf die Seite Venedigs stellte. Outremer stürzte in einen Bürgerkrieg.

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Im Frühjahr 1257 brach eine Flotte aus vierzehn Galeeren unter dem Kommando von Lorenzo Tiepolo, dem Sohn des Dogen Giacomo, von Venedig auf, um den üblichen Handelskonvoi in die Levante zu unterstützen. In Akkon angekommen, gelang es Lorenzo, die Kette zur Bewachung des inneren Hafenbeckens zu durchbrechen und einige Boote in Brand zu setzen. Das dem Kloster Sankt Sabas gehörende Haus wurde besetzt, zahlreiche Gebäude gingen in Flammen auf. Die Ankunft einer genuesischen Flotte unter dem Kommando von Paschetto Mallone schien das Blatt zu wenden. Paschetto zog es jedoch vor, in Richtung Tyrus zu segeln, in einigem Abstand gefolgt von den Venezianern, die auf einen Kampf aus waren. Beim Anblick der feindlichen Flotte rückten die Genuesen ungeordnet vor und erlitten eine schwere Niederlage. In der Zwischenzeit bewarfen sich Genuesen, Pisaner und Venezianer von den Spitzen ihrer jeweiligen Türme aus mit allen möglichen Gegenständen, wofür sie eigens zu diesem Zweck gebaute Kriegsmaschinen einsetzten. Zu einer weiteren Schlacht kam es im darauffolgenden Jahr. Genua rüstete eine Flotte von etwa vierzig Galeeren unter dem Kommando des alten Rosso Della Turca aus. Venedig schickte seinerseits weitere fünfzehn Galeeren nach Akkon, gefolgt von zehn kleineren Schiffen unter dem Kommando von Andrea Zeno und Paolo Faliero. Ein zu Wasser und zu Land geführter Doppelangriff auf die Stadt, unterstützt durch die Truppen Montforts und der Johanniter: So lautete der Schlachtplan der Genuesen, deren Flotte  – ein Verband von achtundvierzig Galeeren und vier Segelschiffen – am 24. Juni 1258 vor der Küste von Akkon erschien. Hätten sie umgehend angegriffen, wäre der Plan wohl aufgegangen. Venezianer und Pisaner verfügten zwar über dieselbe Anzahl Galeeren, zögerten aber, diese zu bemannen, aus Angst, von hinten angegriffen zu werden. Die Situation wurde von den Templern gelöst, die sich bereit erklärten, die Quartiere im Stadtinneren zu sichern und den Verbündeten damit den Rücken zu decken. Nun konnten diese mit einem großen Teil der Bevölkerung, die sie mit der Aussicht auf reiche Entschädigung für die Unternehmung gewonnen hatten, die Schiffe besteigen. Die Schlacht tobte lang und blutig. Die Genuesen hatten die größten Verluste zu verschmerzen: Sie verloren fast die Hälfte ihrer Flotte und etwa 1700 Mann, wenn man neben den Toten auch die Gefangenen mitrechnet. Ihre Besitztümer wurden beschlagnahmt und ihre Befestigungsanlagen zerstört. Die Steine verwendeten die Venezianer als Baumaterial, wobei sie die schönsten Beutestücke als Trophäen aufstellten. Erst die Ankündigung eines von Papst Alexander IV. vermittelten Kompromisses beendete die Auseinandersetzung.

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Genuas Gegenschlag ließ nicht lange auf sich warten. Die Regierung schloss Vereinbarungen mit Venedigs damaligem Hauptgegner, den Griechen von Nicäa, die 1204 aus Konstantinopel vertrieben worden waren und sich anschließend in Kleinasien niedergelassen hatten. Ihr Traum von einer Restauration des byzantinischen Kaisertums lebte allerdings fort. Vereinzelte Versuche, die Reichshauptstadt 1236 und 1260 zurückzuerobern, scheiterten jedoch kläglich am Fehlen einer Flotte, die es mit der venezianischen hätte aufnehmen können. Verständlich, dass Michael Palaiologos, der seit 1258 Kaiser von Nicäa war, auf den Vorschlag der Genuesen, ein Offensivbündnis gegen die Venezianer einzugehen, wohlwollend reagierte. Der Vertrag wurde am 13. März 1261 in Nymphaion bei Smyrna unterzeichnet und am 10. Juli in Genua ratifiziert. Die genuesische Flotte, die zur Unterstützung der Griechen in die Levante entsandt wurde, erreichte den Bosporus allerdings erst, als Konstantinopel bereits gefallen war. Die Truppen des Palaiologos hatten eine vorübergehende Abwesenheit der venezianischen Besatzung auszunutzen können und die Stadt in der Nacht vom 24. auf den 25. Juli erobert. Die geopolitische Landkarte des östlichen Mittelmeers wurde damit regelrecht umgewälzt. Obwohl die Genuesen an der Operation nicht beteiligt gewesen waren, hielt der Kaiser seine Zusagen ein und gewährte ihnen das Recht, einen Teil der venezianischen Besitztümer zu beschlagnahmen. Die genuesischen Handelsinteressen verlagerten sich in der Folge von der syrisch-palästinensischen Küste an die Küsten des Schwarzen Meeres – eine Richtung, die im Übrigen auch die Venezianer einschlugen, die sich einige Zeit später mit Palaiologos aussöhnten. Zu diesem Zeitpunkt war das Heilige Land schon längst aus dem Fokus der Interessen geraten – wenn auch nicht bei allen. Bald darauf sollte der fromme französische König einen weiteren Versuch starten, der auf höchst drastische Weise endete. 1267 ersuchte Ludwig die Genuesen um eine neue Flotte, um zu Ende zu bringen, was ihm beim ersten Mal nicht gelungen war. Genua verpflichtete sich, für den Herrscher bis zum 1. April 1270 für 14 000 livres tournois zwei Schiffe zu bauen und ihm weitere zu vermieten, sodass ein Verband von insgesamt fünfundfünfzig Schiffen zusammenkam. Die Abreise von Aigues-Mortes wurde auf Mai 1270 festgelegt. Die Genuesen trafen jedoch mit Verspätung ein, was allgemeine Unzufriedenheit auslöste und dazu führte, dass die Flotte erst am 2. Juli in See stach. Bevor man Cagliari anlaufen konnte, wurde die Francesco Montemezzano, Sieg der Venezianer über die Genuesen in Akkon, zweite Hälfte 16. Jh., Venedig, Dogenpalast.

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Expedition von einem Sturm überrascht. Wie Guillaume de Nangis schildert, kam Ludwigs Schiff, die Paradisus, dabei vom Kurs ab, konnte aber dank der Verwendung einer Seekarte durch die genuesischen Seeleute (die erste Erwähnung eines solchen Hilfsmittels) die Orientierung wiederfinden. Als sie im Hafen vor Cagliari Anker geworfen hatten, enthüllte der König seine Pläne: Das Kreuzfahrerheer würde Tunis angreifen, um dort zu überwintern, bevor es nach Ägypten weitersegeln würde. Dies rief den Protest der Genuesen hervor, die seit Langem mit der Stadt in Nordafrika Handel trieben. Dennoch wurde die Operation durchgeführt. Die Neuankömmlinge gingen in der Nähe der Stadt an Land und griffen umgehend Karthago an, dessen Besitz für die Wasserversorgung des Heeres unabdingbar war. Doch schon kurze Zeit später nahmen die hygienischen Bedingungen im Lager der Kreuzfahrer eine desaströse Entwicklung. Ludwig selbst erkrankte an der Ruhr und starb umringt von seinen Kriegern am 25. August 1270. Das letzte große Kreuzzugsunternehmen des Jahrhunderts nahm ein jämmerliches Ende.

Zwischen Mongolen und Mamluken Ludwig war sich des komplexen orientalischen Herrschaftsmosaiks durchaus bewusst. Die Kreuzfahrerstaaten waren nur ein Teil dieser Welt, als deren Protagonisten weitaus gewichtigere Mächte auftraten: Ägypten, das die Militärkaste der Mamluken 1250 den Ayyubiden entrissen hatte, und die Mongolen des Ilchanats in Persien, die sich zwischen Maragheh und Täbris im Nordwesten des heutigen Irans niedergelassen hatten, doch ihre Interessen bald an die syrisch-palästinensische Küste verlagerten. Den Mamluken dienten die Kreuzfahrerstaaten im Wesentlichen als Pufferstaaten, um den Expansionsdrang der Steppenvölker aufzufangen; für die Ilchane hingegen war Outremer neben einem potenziellen Reservoir zur Erhebung von Steuern vor allem ein leicht passierbarer Korridor zum Nil und seinen Reichtümern. Schon der Begründer der Dynastie, Hülegü Khan, Bruder des Großkhans Möngke und Eroberer von Bagdad, liebäugelte mit einer Gebietserweiterung, ohne sie zu verwirklichen. Gegen Ende des Jahres 1259 drang Hülegü an der Spitze eines mongolischen Heeres, das durch türkische, armenische und georgische Kräfte verstärkt wurde, in Nordsyrien ein. Aleppo fiel sofort. Als ihn die Nachricht vom Tod des Großkhans erreichte, kehrte er um und ließ ein großes Kontingent unter dem

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Kommando eines nestorianischen Christen namens Kitbughā in der Region zurück. Der zog unverzüglich gegen Damaskus, das er im Frühjahr des folgenden Jahres eroberte. Der Fall der syrischen Hauptstadt, die zum Herrschaftsgebiet der Mamluken gehörte, aber in Händen einer Ayyubiden-Dynastie war, löste allergrößte Besorgnis aus. Sultan Quṭuz setzte sich in Marsch und schickte eine gut gerüstete Vorhut unter dem Kommando des uns bereits bekannten Baybars alBunduqdārī voraus, der leichtes Spiel hatte, die Mongolen in das Gebiet von ’Ayn Jālūt, »Goliathsquelle«, südöstlich von Akkon zu locken – eine weite Ebene mit sanft geschwungenen Hängen, einigen Wäldern und reichlich Wasser, wo der Sultan mit dem Rest seiner Truppen wartete. Am 3. September standen sich die beiden jeweils 10 000 bis 12 000 Mann starken Armeen in einer wahrhaft epischen Schlacht gegenüber. Eine Zeit lang schien der Kampf ausgeglichen. Wie hätte es auch anders sein können, war doch die Kampftechnik, die im Wesentlichen auf

Hülegü Khan an der Spitze seines Heeres, aus einem Manuskript von 1430, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Kapitel zehn 

dem Einsatz berittener Bogenschützen beruhte, auf beiden Seiten die gleiche, da die meisten Kämpfer aus den eurasischen Steppen stammten. Nach vielen Stunden setzte sich Quṭuz jedoch durch. Kitbughā wurde gefangen genommen und, vor den Sultan geführt, auf der Stelle enthauptet. Der Rest des mongolischen Heeres wurde zerstreut. Dies war der erste große Sieg der Mamluken, der den neuen Herrschern über Ägypten den Ruf von unbesiegbaren Kriegern und Verteidigern von Islam und Dschihad einbrachte. Der Sieg war nicht zuletzt dem Mut und der Findigkeit Baybars’ zu verdanken, der kurz darauf interne Streitigkeiten am Hof dafür nutzte, sich zum Sultan wählen zu lassen. Dunkelhäutig, mit blauen Augen, von denen eines durch einen weißen Fleck entstellt war – was seinen Preis auf dem Sklavenmarkt von Aleppo gedrückt hatte –, und von robuster, aber nicht allzu großer Statur, flößte Baybars Erscheinung Furcht und Respekt ein. Kaum an der Macht kümmerte er sich unverzüglich um eine Verstärkung seiner Armee. Er sorgte dafür, dass sein Name in der Freitagspredigt ausgerufen wurde, und ordnete die Prägung neuer Münzen mit dem Abbild eines Löwen an. Im Kampf gegen die Bedrohung durch die Mongolen musste er sich frei zwischen seinen syrischen und ägyptischen Gebieten bewegen können. Somit stellten die Kreuzfahrerstaaten ein Problem dar, insbesondere das Fürstentum Antiochia, das seit einiger Zeit den Mongolen tributpflichtig war. Baybars nutzte den Umstand, dass im Reich kein Herrscher präsent war – die Krone von Jerusalem trug formell der blutjunge Konradin von Schwaben –, und begann, mit den Franken von Outremer wie die Katze mit der Maus zu spielen, indem er ihnen einige Stützpunkte am Meer und die wichtigsten Festungen im Landesinneren entriss und Akkon so in die Zange nahm. Nach der Eroberung von Arsuf und Cäsarea startete er 1266 einen mächtigen Angriff auf die Templerhochburg Safed, dank deren Eroberung seine Truppen nun leichten Zugang zur Küste von Akkon hatten. Dann schickte er eines seiner Kontingente, das der Fürst von Hama und ein junger Mamlukenanführer namens Qalāwūn befehligten, gegen das ebenfalls den Mongolen tributpflichtige Königreich Kilikien und ließ auf dem Raubzug die Städte Mamistra, Adana, Tarsus und Laiazzo und die Hauptstadt Sis verwüsten. Im März 1268 wandte er sich gegen Antiochia, das sein rechtmäßiger Herrscher Bohemund VI. in wilder Hast verlassen hatte. Auf den Fall der Stadt am 20. Mai folgte ein verheerendes Blutbad: Die Zahl der Toten belief sich auf etwa 17 000, die der Gefangenen auf mehrere Tausend; die erbeuteten Schätze waren so groß, dass der Sultan in Kairo eine neue Moschee bauen konnte. Nach 170 Jahren hörte

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das Fürstentum Antiochia faktisch auf zu existieren. Sein Territorium war bis auf die Grafschaft Tripolis zerschlagen und niemand vermochte zu sagen, wie lange es sich noch halten würde. Die Franken versuchten es mit einem Gegenschlag, der jedoch schwach und unangemessen ausfiel. Gegen Ende des Jahres verlegte der Regent Hugo von Antiochia-Lusignan eine große Truppe von Templern, Johannitern, Deutsch- Ein Golddinar, eine mamlukische Münze, hier rittern und einigen Männern der fran- mit dem Löwen als dem Symbol Baybars’. zösischen Garnison, die seit dem Kreuzzug Ludwigs IX. in Akkon stationiert war, nach Galiläa, vielleicht mit dem Ziel, Safed zurückzuerobern. Die Armee erlitt eine vernichtende Niederlage und überzeugte den Sultan von der Notwendigkeit, seine Politik der verbrannten Erde fortzusetzen. 1271 fiel er über die Johanniterburg Crac des Chevaliers her, die bedeutendste und imposanteste der fränkischen Burgen in Syrien, die das wichtigste Glied in der Verteidigung der Grafschaft Tripolis darstellte. Die Belagerung begann um den Monatswechsel von Februar auf März 1271, wurde aber durch heftige Regenfälle im Frühjahr verzögert und dauerte über einen Monat. Bald boten die Belagerten die Kapitulation an, die prompt angenommen wurde. Die Johanniterkirche wandelte man in eine Moschee um und brachte über dem Portal der Stadtmauer, flankiert von zwei brüllenden Löwen, eine Inschrift an, die der Eroberung feierlich gedachte. Es war ein letzter großer Erfolg für Baybars. In den kommenden Jahren sollte er mit der Sicherung seiner Grenzen und der Bekämpfung innerer Querelen beschäftigt sein. Er starb im Juli 1277 in Damaskus, nach dem Genuss von qumiz, einem alkoholischen Getränk aus vergorener Stutenmilch, das möglicherweise von jemandem aus seinem Umfeld vergiftet worden war. In den Wirren, die auf seinen Tod folgten, zeichnete sich der Emir der syrischen Truppen aus: Qalāwūn, ein Kiptschaktürke, dessen Stammesname »Gans« bedeutete. Wie Baybars würde auch er unter seinen Zeitgenossen ein Zeichen setzen. Seine physische Erscheinung und sein Charakter erweckten Bewunderung: Die breiten Schultern, mandelförmigen Augen und seine Haut, die man als »heller als Blumen strahlend« beschrieb, verliehen ihm ein imposantes und zugleich wohlgefälliges Aussehen. Er

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Kapitel zehn 

Ludwig IX. geht 1270 während des achten Kreuzzuges bei Tunis an Land, aus: P. L. Jacob, Military and religious life in the Middle Ages and at the period of the Renaissance, London, Bickers & Son, 1870. Man beachte die Stirnhaube des Pferdes, die ein Einhorn schmückt.

war für einen beträchtlichen Preis gekauft worden: 1000 goldene danānīr, womit er sich gerne brüstete und weshalb er sich den arabischen Beinamen al-Alfī, »1000 Münzen«, gab. Vielleicht war dies seine Art, den Unterschied zum Kaufpreis von Baybars zu betonen – der hatte lediglich 40 danānīr gekostet. Als der neue Sultan 1279 an die Macht kam, sah er sich sofort in einen Abwehrkampf gegen die Mongolen verstrickt, die gerade dabei waren, eine Strategie der Anbindung an die westliche Welt zu verfolgen, die die letzten Jahre von Outremer prägen sollte. Am 29. Oktober 1281 schlugen die Mamluken nahe Homs ein starkes mongolisches Kontingent und stellten erneut ihre Überlegenheit unter Beweis. Die Franken, die diese Geschehnisse staunend verfolgten, hatten keine

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andere Wahl, als eine Einigung zu suchen. Am 3. Juni 1283 schloss Qalāwūn mit den Oberhäuptern von Akkon, Sidon und Château Pèlerin einen Waffenstillstand von zehn Jahren, zehn Monaten, zehn Tagen und zehn Stunden – womit der in der muslimischen Welt geltende Mondkalender und der Sonnenkalender harmonisiert werden sollten. Nicht Teil des Abkommens waren allerdings Tyrus, Beirut, Tripolis, Margat und weitere Orte, wo Qalāwūn nunmehr freie Hand hatte und mit eiserner Faust vorging. Margat fiel 1285, gefolgt von Meraclea und zwei Jahre später von Laodicea. 1289 war Tripolis an der Reihe, das man 47 Tage lang hart belagerte. Sein Zusammenbruch rüttelte endlich den gesamten Westen wach, der die Ereignisse bis dahin eher gleichgültig verfolgt hatte.

Philipp IV. (in der Mitte) und Philipp V., Karl IV., Isabella von Frankreich, Ludwig X. »der Zänker«, Karl von Valois (von links nach rechts), Miniatur aus dem 14. Jh.

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Kapitel zehn 

Der Kreuzzug der Italiener Der neue Papst Nikolaus IV., ein Franzikaner namens Girolamo d’Ascoli, der im Februar 1288 gewählt worden war, sah sich mit einer heiklen Situation konfrontiert. Der sizilianische Vesperkrieg, der sich seit etwa sechs Jahren hinzog, hatte beträchtliche Mittel verschlungen, von denen einige ursprünglich für das Heilige Land bestimmt gewesen waren. Um hier Abhilfe zu schaffen, ordnete er an, den Kreuzzug in der mittleren und nördlichen Adriaregion zu predigen. So wollte er die Unterstützung des Volkes gewinnen, und wahrscheinlich auch die Venedigs, obwohl dessen Handelsbeziehungen mit Alexandria bekannt waren. Die Dogenregierung gab jedenfalls ihre Zustimmung zu dem Unternehmen und stellte etwa zwanzig Schiffe zur Verfügung, wenn auch auf Kosten des päpstlichen Hofs. Zwischen 1500 und 3500 Kreuzfahrer wurden an Bord genommen, die meisten von ihnen aus Mittel- und Norditalien: »de Lombardia, de Romagna, della Marcha d’Anchona e della Marcha Trivisiana e de Toscana e de Bologna e de tuta Italia«, so ein Bologneser Chronist. Am 5. Januar 1290 erließ der Papst außerdem einen allgemeinen Kreuzzugsaufruf, der sich an die Herrscher von Frankreich und England richtete. Wahrscheinlich wurde er dazu durch die Anwesenheit einer Gesandtschaft des Ilchan Arġun an der römischen Kurie veranlasst, die das wiederholt intendierte Bündnis gegen den gemeinsamen Feind, die Mamluken, auf den Weg bringen sollte. Es versteht sich von selbst, dass die Reaktion auf die päpstlichen Appelle nicht den Erwartungen entsprach. Philipp IV. von Frankreich erklärte sich zum Aufbruch bereit, jedoch nicht vor 1293, gefolgt von einem zögerlichen Eduard I. von England, obschon der in seiner Jugend durchaus großen Kreuzzugseifer gezeigt hatte. Kurz, der Plan eines vereinten Kreuzzuges stieß auf taube Ohren. Anfang 1290 stach die venezianische Flotte in See. Nikolaus’ Mann war der Patriarch von Jerusalem, Nikolaus von Hanapes, der auch Bischof von Akkon und päpstlicher Legat in Outremer war. Er konnte jedoch nicht verhindern, dass einige der zum Nichtstun verdammten Kreuzfahrer – zumeist bäuerlicher oder bürgerlicher Herkunft – vor Ort unüberlegte Aktionen durchführten: Zwischen April und August lieferte eine Reihe von Vorfällen Qalāwūn den Vorwand, zur Belagerung Akkons zu schreiten. Die Chronik des Templers von Tyrus berichtet: Als diese Leute sich in Akkon aufhielten, wurde der Waffenstillstand, den der König mit dem Sultan geschlossen hatte, von beiden Seiten strikt eingehalten.

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Eduard I. Das mutmaßliche Bildnis des Herrschers befindet sich in Westminster Abbey, die während seiner Regierungszeit (1272–1307) erbaut wurde.

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Belagerung von Tripolis in Syrien durch die Mamluken im Jahr 1289, Miniatur, um 1330, aus: Ms. Add 27695, fol. 5, London, British Library.

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Einnahme von Akkon, 1291. Man beachte die Ringmauer, den Fliegenturm (Leuchtturm) und das Feldlager der Mamluken am oberen Bildrand. Miniatur, um 1330, aus dem Codex Cocharelli, Ms. 2065 Carrand, Florenz, Museo Nazionale del Bargello.

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Da geschah es eines Tages, dass diese Kreuzfahrer, die für ihr Seelenheil gekommen waren und um Gutes zu tun und der Stadt zu Hilfe zu eilen, zu ihrer Zerstörung beitrugen, als sie über die Region herfielen und mit der Klinge ihrer Schwerter all die armen sarazenischen Bauern aus den umliegenden Dörfern töteten, die ihre Waren, Weizen und andere Dinge nach Akkon brachten, um sie zu verkaufen; und sie töteten auch viele Syrer, die Bärte trugen und der griechischen Religion angehörten, denen sie wegen ihrer Bärte das Leben nahmen, weil sie sie für Sarazenen hielten. Das war eine ganz ungeheuerliche Sache und der Grund, warum Akkon von den Sarazenen eingenommen wurde, wie ihr nun hören werdet. Der seit 1283 geltende Waffenstillstand war gebrochen. Nachdem er von den Franken Genugtuung verlangt hatte, begann Qalāwūn, Vorbereitungen zu treffen: Er sandte mehrere Emire aus, die die Straßen um Akkon bewachen sollten, ließ entlang des Weges Vorräte anlegen und zahlreiche Belagerungsmaschinen aufstellen. Gegen Ende Oktober verließ er die Zitadelle von Kairo, wahrscheinlich in der Absicht, nach Damaskus zu reisen und dort zu überwintern. Doch ein unerwartetes Ereignis durchkreuzte die Pläne. Der Sultan starb am 9. oder 10. November 1290, wahrscheinlich an der Ruhr. Die Bewohner von Akkon jubilierten beim Eintreffen der Nachricht und wiegten sich in falschen Hoffnungen. Denn der neue Sultan al-Aschraf Khalīl, zweitgeborener Sohn von Qalāwūn, beschloss, das Werk des Sultans fortzusetzen und wies eine aus Akkon eintreffende Delegation zurück, die einen eindringlichen Friedensappell überbrachte. Die Kampagne wurde auf das folgende Frühjahr verschoben.

Akkon, 1291 Nachdem er Kairo Anfang März verlassen hatte, traf al-Aschraf am 5. April 1291, einem Donnerstag, in Sichtweite von Akkon ein und schlug sein Lager in der Nähe des Hügels Tall al-Fukhkhār gegenüber der Ostmauer auf, wo General Bonaparte 1799 sein Hauptquartier einrichten würde. Die Stärke der Armee lässt sich nur schwer einschätzen. Nach Angaben des Templers von Tyrus verfügte der Sultan über etwa 70 000 Reiter und mehr als 150 000 Fußsoldaten, einschließlich einiger Truppen aus dem vor Kurzem unterworfenen Nubien sowie mehrerer syrischer

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Kontingente. Diese Zahlen sind wahrscheinlich übertrieben, aber sie lassen die Dimensionen eines riesigen Heeres erahnen, vor allem, wenn man sie den etwa 12 000 bis 14 000 Mann gegenüberstellt, die zur Verteidigung von Akkon bereitstanden. Zu ihnen zählten gerade einmal 800 Ritter, die meisten von ihnen Angehörige der Ritterorden. Es war zweifellos das größte Heer, das die Mamluken jemals aufgestellt hatten, und übertraf die Armeen von Baybars und Qalāwūn. Beim Anblick dieses Aufmarschs reagierten die Franken so gut sie konnten, indem sie Vorräte, Waffen und Munition anhäuften, sich mit Kriegsmaschinen ausrüsteten und noch letzte Arbeiten für den Notfall durchführten. Der Sultan begann sofort, die Schwachstellen in ihrem Verteidigungssystem auszuloten. Ein Angriff in Meeresnähe? Der wäre durch die christlichen Galeeren vereitelt worden, von denen einige für die Aufnahme schwerer Katapulte umgebaut worden waren. Sollte man versuchen, über den nördlichen Vorort Montmusard in die Stadt einzudringen? In diesem Fall wären des Sultans Männer gezwungen gewesen, den Graben der alten Stadtmauer zu überqueren, der die Vorstadt vom alten Teil der Stadt trennte. Also positionierte er die besten Truppen und die mächtigsten Belagerungsmaschinen vor dem mittleren und östlichen Mauerabschnitt und sorgte dafür, die Stadt von der Landseite vollständig einzuschließen. Die Franken im Innern der Stadt teilten ihre Streitkräfte in vier Teile auf: Die Templer unter Führung von Guillaume de Beaujeau würden die Mauer um Montmusard verteidigen, unterstützt von den Lazarusrittern und wahrscheinlich einem Teil der italienischen Kreuzfahrer. Die Johanniter unter dem Kommando von Jean de Villiers schützten die Befestigungsanlagen der östlichen Vorstadt mit dem wichtigen Sankt-Antonius-Tor, unterstützt von den englischen Rittern vom Orden des heiligen Thomas Becket und den Venezianern. Den Deutschordensrittern unter Meister Konrad von Feuchtwangen oblag die Verteidigung des Mauerabschnitts zwischen dem Kreuzungspunkt der Nordmauer von Montmusard mit dem Mauerring der Altstadt, zu ihrer Rechten flankiert von den königlichen Truppen unter der Führung von Amalrich von Tyrus, dem Bruder Heinrichs II. von Antiochia-Lusignan, König von Zypern und Jerusalem. Das französische Regiment und einige englische Truppen unter dem Kommando von zwei Savoyarden, Johannes von Grailly und Otto von Grandson, verteidigten schließlich den südöstlichen Teil, flankiert von den Pisanern im Süden, deren Quartier bei San Romano lag. In den ersten sieben bis acht Tagen, in denen die Stadttore nach Angaben von Augenzeugen offen blieben, kam es zu mehreren Scharmützeln. Es ging vor allem darum, den Gegner zu studieren, seine Schwachstellen zu erkennen und

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den Bau der Belagerungsmaschinen so weit wie möglich zu behindern. Zwischen dem 11. und 12. April begann die muslimische Seite, die wichtigsten Wachposten der Stadt mit dichtem Steinhagel zu beschießen; gleichzeitig begannen Einheiten von mamlukischen Ingenieuren und Mineuren, in Richtung der Mauern und Türme Tunnel zu graben. Es handelte sich um eine für die westlichen Armeen relativ neue Technik, die sich als entscheidend für den Erfolg der Belagerung erweisen sollte: Man grub eine unterirdische Kammer unter dem Teil der Befestigung, den man zum Einsturz bringen wollte, stützte sie ab, füllte sie mit Holz, trockenen Zweigen und Pech und setzte sie anschließend in Brand. Sobald die hölzernen Stützbalken verbrannt waren und sofern das Ganze sachgemäß ausgeführt worden war, folgte kurz darauf der Einsturz. Eine gut befestigte Stadt wie Akkon hätte solchen Aktionen lange Zeit standhalten können, aber die Kräfte waren zu ungleich verteilt. Den Franken blieb nichts anderes übrig, als auf Hilfe von außen zu hoffen. Schon seit einiger Zeit munkelte man von der Ankunft König Heinrichs von Zypern, der mit ausreichender Verstärkung anrücken würde. Tatsächlich landete der König am 4. Mai in Akkon, wo er mit Feuerwerk, feierlicher Illumination und Festtagsglocken begrüßt wurde. Die Stadt war in

Griechisches Feuer, ein Gemisch aus Pech und Schwefel, das in Fässer gefüllt und mittels eines Tribocks geschleudert wurde, Stich aus dem 19. Jh.

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schlechtem Zustand: Mehrere Türme und Festungsanlagen waren unterminiert, die Einschläge wurden immer heftiger. Vier Tage später stürzte die zum Schutz des Königsturms errichtete Bastei König Hugos – ein vorgelagertes rundes Verteidigungswerk, dessen Bau der Herrscher von Zypern finanziert hatte – in sich zusammen. Die Situation wurde immer kritischer. Der ständige Beschuss mit Pfeilen, Steinen, spitzen Gegenständen und brennenden Holzbalken zwang die Belagerten, unaufhörlich die Schäden zu reparieren und Brände zu löschen. Am 16. Mai mussten sich die Truppen der Zyprioten zurückziehen, nachdem die syrischen Streitkräfte einen erfolgreichen Angriff auf das Sankt-Antonius-Tor im Nordosten der Stadt durchgeführt hatten. Hier konzentrierte sich der Widerstand der Templer und Johanniter, die von Montmusard herangestürmt kamen und die Angreifer aus den Mauern zurückdrängen und das Tor wieder besetzen konnten. Der erzwungene Rückzug muss al-Aschraf beeindruckt haben, denn er rief nun das Heer dazu auf, sich zu sammeln. Am Freitag, dem 18. Mai, befahl der Sultan den Großangriff. Wieder berichtet uns der Templer: Vor dem Morgengrauen des nächsten Tages erscholl der gewaltige Schlag einer Trommel, und beim Klang dieser Trommel, die eine schreckliche und eindringliche Stimme hatte, stürmten die Sarazenen die Stadt Akkon von allen Seiten. [...]. Sie kamen zu Fuß, so viele, dass sie nicht zu zählen waren. Vorne kamen Männer, die große, hohe Schilde trugen, danach kamen Männer, die griechisches Feuer warfen, und wieder danach Männer, die Speere schleuderten und gefiederte Pfeile in einer so dichten Wolke schossen, dass sie wie Regen vom Himmel zu fallen schienen. Die Mamluken drangen in den Zwischenraum zwischen den beiden Mauerringen ein, wo sich ein etwa zehn Meter breiter Graben befand, der sich bald mit Steinen und toten Körpern von Tier und Mensch füllte. Kurz darauf stürzte der MaledettaTurm ein, woraufhin sich die Angreifer wie ein Schwall in die Stadt ergossen. Ein gewaltiger Kampf entbrannte. Der Großmeister der Johanniter wurde von einem Speer in den Rücken getroffen, zur Hafenmole geschleppt und auf das erste verfügbare Boot gerettet. Den Templermeister hingegen traf ein Pfeil in die Achsel, sein Tod wenige Stunden später stürzte die Franken in Verzweiflung. Auch die englischen und französischen Truppen entschlossen sich nun zum Rückzug, sodass

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alles in einer verzweifelten Flucht zum Hafen endete. Unter denen, die sich auf die verfügbaren Boote drängten, war auch der Patriarch Nikolaus von Hanapes, der ins Meer stürzte und ertrank. Eindringlich schildert der Templer die Szene: Wisset, dass dieser Tag schrecklich anzusehen war, denn Edelfrauen und Bürgerinnen und Mädchen, die sich versteckt hatten, und andere aus dem niederen Volk kamen durch die Straßen geflohen, ihre Kinder auf dem Arm, weinend und verzweifelt, während sie zum Meeresufer liefen, um sich vor dem Tod zu retten. Und wenn sie auf Sarazenen stießen, griff sich der eine die Mutter und der andere das Kind, und sie verschleppten sie von einem Ort zum anderen und trennten sie voneinander; dabei kam es ein ums andere Mal zwischen zwei Sarazenen zum Streit um eine Frau und dabei wurde sie von ihnen getötet; und dann wieder geschah es, dass die Frau mitgenommen und das Kind, das sie an der Brust stillte, auf den Boden geworfen wurde, sodass die Pferde darauf herumtrampelten und es so starb; und es gab Frauen, die schwanger waren und im Gedränge der Flucht mitgerissen und erdrückt wurden und das Leben in ihrem Leib mit ihnen; und es gab solche, deren Mann oder Kind, krank oder verwundet, still daheim lag, und sie ließen sie allein und liefen weg, und die Sarazenen töteten sie alle. Außerhalb des Hafens, in sicherer Entfernung, hissten die größeren Schiffe die venezianische Flagge. Unter ihnen waren auch einige Schiffe der Templer, aber von diesen scheint nur der berühmte »Falke«, der gewaltige Segler des aus Brindisi stammenden Roger de Flor, Bruder des Templerordens und zukünftiger Kommandant der Söldnertruppe der Almogàvers, versucht zu haben, so viele Menschen wie möglich zu retten. Offenbar verlangten die anderen Schiffspatrone eine Gebühr für die Einschiffung, was angesichts der Tragik der Ereignisse besonders verachtenswert ist. Man kann sich die Erleichterung vorstellen, mit der zwei genuesische Schiffe empfangen wurden, die sich wahrscheinlich zu Handelszwecken in der Gegend aufhielten, sich nun aber – so der Templer – »vorbildlich verhielten, wie jeder weiß, denn sie haben eine große Zahl Menschen aus dem Meer an Bord geholt«. Wer keinen Platz auf den christlichen Schiffen fand, musste sich auf das Schlimmste gefasst machen. Etwa 10 000 Menschen – glaubt man den Quellen – flüchteten sich in die Festung der Tempelritter, die am südlichen Ende der Stadt stand, mit soliden Mauern und zahlreichen Türmen ausgestattet war und auf einer

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Seite durch das Meer geschützt wurde. Doch bald wurde auch sie belagert. Zehn Tage später ergaben sich am 28. Mai auch die letzten Verteidiger von Akkon und starben durch das Schwert. Es war das Ende. Die Überlebenden, darunter eine Gruppe von Franziskanern, Klarissen und Dominikanern, wurden alle massa­ kriert. Die Verluste waren groß, auch wenn die Zahl der Toten nicht bekannt ist (seinerzeit fabulierte man von Zahlen irgendwo zwischen 10 000 und 100 000 Toten). Die Stadt wurde gebrandschatzt und dem Erdboden gleichgemacht. Gold und Marmor gingen als Belohnung an die tüchtigsten Emire oder wurden mit der Armee als Beute nach Ägypten gebracht. Das Portal einer Akkoner Kirche wurde nach Kairo transportiert und in den Bau der madrasa al-Nāṣirs, des Bruders von al-Aschraf, integriert, wo es noch heute zu bewundern ist. Die verbliebenen christlichen Enklaven an der Küste – Tyrus, Sidon, Beirut, Haifa – fielen nacheinander; die Burg Atlit wurde am 30. Juli aufgegeben, gefolgt von Tortosa am 3. August. Es war das Ende der lateinischen Herrschaft in Syrien und Palästina.

Überreste der Templerfestung Atlit.

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Rückeroberungsversuche Die Mehrheit derjenigen, die sich retten konnten, strömte auf die Insel Zypern, die letzte Bastion der latinitas in der Levante. Das zypriotische Königreich, das seit Ende des vorangegangenen Jahrhunderts unter der Herrschaft des Hauses Lusignan stand und bis 1247 ein Lehen des Kaisers gewesen war, bot mehr noch als das kilikische den bestmöglichen militärischen Stützpunkt für einen neuen Kreuzzug. Im Verlauf des 13. Jahrhunderts war die Bevölkerung der Insel gewachsen und hatte Händler und Handwerker aufgenommen, die gleichermaßen aus dem Westen und aus dem Heiligen Land kamen. Schon seit einiger Zeit waren in den wichtigsten zypriotischen Städten Nikosia  – dem Sitz des königlichen Hofes  –, Limassol, Famagusta und Paphos Händler, Bankhäuser, illustre Familien westlicher Herkunft und lateinische kirchliche Gemeinschaften ansässig. Ein wichtiger Pfeiler der Wirtschaft war der An- und Verkauf von Getreide, hauptsächlich vom Schwarzen Meer, der von einigen Familien meist genuesischer Herkunft kontrolliert wurde, den Bestagni, Ceba, Cibo, Cigala, Doria, Ghisolfi, Grimaldi, Lercari, den de Mari und de Nigro, den Panzano, Piccamiglio, Spinola, Squarciafico und Tartaro, die wiederum auf die Finanz- und Bankdienstleistungen von Florentiner Familien wie den Bardi, Mozzi und Peruzzi oder von Familien aus Piacenza wie den Borrini, Cavazoli, Diani, Guagnabene und Scozzi zurückgreifen konnten. Die Einwanderung hatte im Zuge der fortschreitenden Bedrohung durch die Mamluken nach 1265, dem Fall von Cäsarea und Arsuf, und nach 1268, der Eroberung von Antiochia, zugenommen und schließlich ihren Höhepunkt darin gefunden, dass fast alle Flüchtlinge, die dem Massaker von 1291 entkommen waren, auf der Insel Zuflucht nahmen. Die starke Zuwanderung hatte gravierende Folgen für die lokale Wirtschaft, die durch die jähe Verschiebung der geopolitischen Rahmenbedingungen ohnehin angespannt war. Die Unterschiede in Sprache, Religion – im Falle der syrischen Christen – und Kultur benachteiligten viele der Neuankömmlinge. Sie waren bei der einheimischen Bevölkerung alles andere als gern gesehen und landeten oft im Elend. Der Tempelritter von Tyrus, der ebenfalls zu den Überlebenden zählte, findet dafür folgende Worte: Nachdem Akkon und Syrien verloren waren, wandelte sich das Volk so sehr vom Guten zum Bösen, dass niemand mehr den anderen lieben oder ihm

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dienen oder beistehen wollte, und ich sah, wie edle Menschen so gedemütigt und entmutigt waren, weil niemand ihnen auch nur die geringste Beachtung schenkte, und das bereitete mir solches Weh und Mitleid, dass ich tiefen Schmerz darüber empfand. Heinrich II., der König von Zypern und Jerusalem, intervenierte zu ihren Gunsten, indem er 1296 eine Senkung des Brotpreises anordnete und einen Teil der Adligen unter seine eigenen Ritter und Kriegsknechte aufnahm, um ihren Lebensunterhalt zu sichern. Diese Maßnahmen betrafen jedoch hauptsächlich die vornehmen Schichten. Sogar Karl II. von Anjou interessierte sich anscheinend für das Schicksal der verarmten nobiles und sammelte Geld für sie. Die armen Leute blieben arm beziehungsweise ihre Lebensbedingungen verschlechterten sich noch weiter. Wie der Templer bemerkt: Auf dieser Insel Zypern fanden die Menschen Zuflucht, die aus Akkon und anderen Orten in Syrien geflohen waren; dort lebten sie in großer Armut, denn wenn jemand etwas von seinem Besitz hatte mitnehmen können, war es nur noch die Hälfte wert, weil die Lebensmittel eine große Teuerung erfuhren und auch die Häuser, die vorher für zehn bezants im Jahr vermietet wurden, nun bis zu hundert bezants im Jahr kosteten, während zugleich alle Freunde Zyperns sie wie Fremde behandelten und ihnen weder aus Mitleid noch aus Freundschaft Beachtung schenkten. Aber König Heinrich setzte sich für sie ein und ließ die verarmten Ritter und Kriegsknechte besolden und übte also große Nächstenliebe und tat viel Gutes; auch richteten die Königin und der König feste Almosengaben ein, die an das arme Volk verteilt werden sollten. Darüber hinaus engagierten sich die Ritterorden, indem sie zur Linderung der Not, wie mehrere Augenzeugen berichten, aus süditalienischen Häfen stammende Lebensmittel und Almosen verteilten. Die geschäftstüchtigsten unter den Zuzüglern, vor allem die italienischen Kaufleute, von denen die meisten in Famagusta lebten, integrierten sich rasch in die zypriotische Bevölkerung und lenkten ihre Handelsaktivitäten auf die Romania (die von den Lateinern eroberten byzantinischen Gebiete) oder die Karawanenrouten nach Laiazzo um. Sowohl Zypern als auch das kleine armenische Königreich Kilikien, das am Nordrand des syrischen Mamlukengebietes lag, mussten verteidigt werden. Ni-

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kolaus IV. veranlasste, dass ein Flottenverband von zwanzig Galeeren, von denen zehn unter dem Kommando von Vitale Torzevalle und Ruggero de Todhinis standen und im Hafen von Ancona ausgerüstet wurden, so schnell wie möglich in die Levante segelte. Für die Kämpfer würden dabei die gleichen Ablässe gelten wie für den Kreuzzug. Sein Tod am 4. April 1292, auf den eine mehr als zweijährige Vakanz des Heiligen Stuhls folgte, machte jeden weiteren Versuch zunichte, die geplante Expedition zur Vorhut des für das folgende Jahr geplanten passagium ge­ nerale zu machen. Einstweilen kümmerte sich das Kardinalskollegium um die Angelegenheit und konnte dank der – durchaus berechnenden – Eilfertigkeit zweier genuesischer Privatbürger, Tedisio Doria und Manuele Zaccaria, die notwendigen Schiffe zusammenbringen. Letzterer wurde zum Admiral der Flotte ernannt, die zu den zehn Galeeren aus Ancona und fünfzehn weiteren, von König Heinrich II. ausgerüsteten Schiffen hinzustieß. Weiter ging es dem Templer zufolge so: Alle diese Galeeren segelten gemeinsam zu einer Türkenburg namens Candeloro und eroberten den Turm, der am Meer liegt, und gedachten auch den anderen einzunehmen, konnten es aber nicht, weil die Türken von ihrem Kommen unterrichtet worden waren, deshalb Wache hielten und gut gerüstet für die Verteidigung waren; und wäre ihre Armee nicht so groß gewesen, hätten sie auch diesen Turm nicht eingenommen. Da sie nun nichts weiter ausrichten konnten, gaben sie den Turm wieder auf und segelten weiter bis Alexandria; dort blieben sie einige Tage und kehrten dann nach Zypern zurück. Die Gründe für den Abstecher der Flotte an die anatolische Küste bleiben unklar, möglicherweise hängt die Episode mit der Notwendigkeit einer Verteidigung des armenischen Königreichs Kilikien zusammen. Der Versuch, eine Seeblockade vor Alexandria zu errichten, war in jedem Fall eine Provokation. Al-Aschraf reagierte, indem er befahl, hundert Galeeren bauen zu lassen  – anderen Quellen zufolge etwa sechzig –, mit denen er einen Angriff auf Zypern durchzuführen gedachte: Im Jahre unseres Herrn Jesus Christus 1291 sah der Sultan von Babylon, der auf diese Weise die Christenheit von Syrien vernichtet hatte, dass Galeeren gekommen waren, um seinen Hafen von Alexandria zu belagern, wie ich es euch schilderte, und er war darüber sehr aufgebracht; der Gedanke, dass Zypern ihm sehr schaden könnte, erschreckte ihn; da versammelte er also seine

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Emire und verkündete ihnen, dass er Zypern einnehmen würde, komme, was da wolle, und zu diesem Zweck bestimmte er, dass hundert Emire ihm hundert Galeeren ausrüsten sollten, jeder Emir nach seinen Mitteln. Die Emire willigten ein, weil sie sich sehr vor ihm fürchteten. Wie ihr vernommen habt, wollte er die gesamte Christenheit vernichten und auch die armen Menschen, die auf Zypern Zuflucht gefunden hatten, aber Gott, der voller Barmherzigkeit ist, gab den Dingen eine andere Wendung. Tatsächlich zog al-Aschraf unverzüglich gegen das kilikische Königreich und eroberte es im folgenden Frühjahr. Sein Tod am 13. oder 14. Dezember 1293 und die Wirren des nachfolgenden Machtkampfes brachten die Initiative zum Scheitern. Für den Westen hätte es keinen besseren Zeitpunkt für einen Gegenschlag gegeben als diesen, aber er blieb aus. Die italienischen Seehandelsstädte sollten die letzten Jahre des Jahrhunderts damit zubringen, einander zu bekriegen, bis ein 1299 unterzeichnetes Friedensabkommen half, wieder Ruhe herzustellen. Doch da war es bereits zu spät, sich das Verlorene zurückzuholen.

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Das Heilige Land zurückgewinnen? Ein Kreuzzug mit Tinte und Feder Die Ereignisse von Akkon lösten eine wahre Flut von Schriften aus, die mit Kommentaren und Vorwürfen gegen die Hauptakteure des Geschehens gespickt waren und Vorschläge machten, wie das Verlorene zurückzugewinnen sei. Nennenswerte Maßnahmen wurden jedoch nicht ergriffen – zumindest nicht kurzfristig, denn wie wir noch sehen werden, zeigten der König von Zypern und die Ritterorden ein knappes Jahrzehnt später ein letztes kraftvolles Aufbäumen von Kampfesstolz. Zweifellos hatte die Christenheit den Nackenschlag eingesteckt. Die wichtigsten Mächte der damaligen Zeit hatten die Angelegenheit zwar weiterhin auf der Tagesordnung, betrachteten sie aber doch – wenn nicht mit völliger Gleichgültigkeit – mit kalkuliertem Desinteresse. Die Hauptakteure der europäischen Politik verarbeiteten den Misserfolg mit viel Getöse und gegenseitigen Schuldzuweisungen, ohne aktiv zur Behebung des Schadens beizutragen. Auch das Sendschreiben Dire amaritudinis calicem, mit dem Nikolaus IV. am 13. August 1291 den Fall von Akkon kundtat, bot keinerlei theologische Erklärung für die Katastrophe, sondern beschränkte sich auf ideologische und militärische Feststellungen. Indem er den brennenden Eifer und die Hingabe der letzten Verteidiger Akkons betonte, deutete der Papst an, welche Richtung eine Politik einschlagen müsse, die es sich zum Ziel setzte, die verlorenen Posten zurückzuerobern: sofortige Hilfe für Zypern und das armenische Königreich Kilikien, die unverzichtbar für jedweden Versuch der Rückeroberung waren, dazu eine Seeblockade Ägyptens und der

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Erlass eines passagium generale mit vorgesehenem Aufbruch am 24. Juni 1293. Und doch kam nichts von alledem zustande. Das Heilige Land und seine Rückeroberung waren Gegenstand umfangreicher theoretischer Ergüsse, sodass die allgemeine Untätigkeit durch einen regelrechten Kreuzzug von Tinte und Feder, der mit Worten ausgefochten wurde, kompensiert wurde. Es entstanden Unmengen von Berichten, Pamphleten, Denkschriften, Traktaten, wenn nicht gar veritablen militärischen Plänen, die mit taktisch-strategischen Anmerkungen, wirtschaftlichen Berechnungen, politisch-diplomatischen Überlegungen, Vorschlägen zur

Philipp der Schöne, aus dem Recueil des rois de France von Jean du Tillet, um 1566, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Kapitel elf 

moralischen Reform des Klerus und der gesamten Christenheit aufwarten konnten. All dies richtete sich mal an den Papst, mal an den Kandidaten, der sich mehr und mehr als Idealbesetzung für die Leitung einer eventuellen Expedition herausstellen sollte: nicht Eduard I. von England, sondern Philipp IV. von Frankreich, genannt »der Schöne«. Der beanspruchte für sich eine Art Primat in Sachen Kreuzzugseifer (mit vor allem antienglischer Stoßrichtung) und berief sich dabei auf die früheren Ruhmestaten seiner Familie. Der Textkorpus, der aus den Ereignissen von Akkon resultierte, stellt ein wertvolles Zeugnis dar, um die Veränderungen zu verstehen, die die Idee des Kreuzzuges am Übergang vom 13. zum 14. Jahrhundert erfahren hat. Wir haben es mit keinem homogenen Schriftgut zu tun, es gibt keine Gemeinsamkeit in den Ansichten der zahlreichen Autoren. Es handelt sich auch nicht um reine Propagandawerke, die einen Westen wachrütteln sollten, der für alle Rückeroberungsbestrebungen taub zu sein schien. Die etwa dreißig überlieferten Traktate, die zwischen 1291 und 1430 verfasst wurden, sind sehr unterschiedlicher Natur und stammen von den unterschiedlichsten Individuen. Sie alle, ob Ordensbrüder, Intellektuelle, Ärzte, Herrscher, Prälaten oder Kämpfer, verfolgten ihre ganz eigenen Beweggründe und Ziele. Obwohl sie einige der klassischen Themen der einschlägigen, insbesondere auf das Konzil von Lyon im Jahr 1274 zurückgehenden Traktatliteratur aus der Zeit vor 1291 aufgreifen, wie die Notwendigkeit der Bekehrung der Ungläubigen, das Verhältnis zwischen Kreuzzug und Mission, die militärischen und moralischen Qualitäten der Kämpfer oder die historische und theologische Rechtfertigung der wiederkehrenden christlichen Niederlagen, haben die betreffenden Texte eine ausgesprochen praktische Ausrichtung gemein: Sie liefern präzise Beschreibungen der Situation in der Levante und entwerfen in den meisten Fällen regelrechte Strategien, wie das Verlorene zurückzugewinnen sei. Das Problem bei der Analyse dieser umfangreichen Literatur besteht darin, die Ziele eines jeden Autors zu verstehen: Will er es im Grunde nur seinem Adressaten recht machen, indem er sich in Gefälligkeitsreden verliert, oder schreibt er, weil er wirklich überzeugt ist, einen positiven Beitrag zur Sache leisten zu können? Jede Abhandlung folgt ihrer eigenen inneren Logik, und darin sind die Schriften so vielfältig wie die höchst individuellen Sichtweisen ihrer Autoren auf die Welt und deren Geschichte. Das Umdenken in Bezug auf den Kreuzzug selbst sowie auf das Verhältnis zwischen Kreuzzug und Mission wurde ausgelöst durch ein allgemeines Gefühl der Verlorenheit, das sich mit dem Jahrhundertende einstellte, und führte zu einem

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grundlegenden Perspektivwechsel: Der Kreuzzug als Ilias der Barone, Odyssee der Kaufleute, peregrinatio der pauperes, Instrument der Disziplinierung in den Händen des Papsttums kehrte, wenn auch nur für kurze Zeit, zu seinem ausdrücklichen Ziel zurück, nämlich der Rückgewinnung Jerusalems und des Heiligen Grabes. Nur geschah dies in neuem Gewand, indem nämlich auf rein militärischer Ebene argumentiert wurde. Und daraus folgte schlicht, dass ein Kreuzzug, verstanden als große Volksbewegung, nicht länger ratsam war, da wenig effektiv – erst recht im Vergleich zu einer gut organisierten Armee wie der mamlukischen. So finden sich in diesen Schriften neben Vorschlägen zur Reform des Klerus und Verurteilungen der Bruderkriege, in die sich die europäischen Herrscher verstrickt hatten, auch genaue Eroberungspläne, begleitet von Überlegungen zu den erforderlichen Eigenschaften des Heeres, detaillierten Analysen zur Finanzierung der Kriegsführung und Entwürfen für Bündnisse mit den Feinden der Feinde – den Mongolen in Persien. Das Spektrum der Vorschläge war weit gefächert: Es gab solche, die zu einem Angriff auf Ägypten vom Meer aus rieten, so wie man es seit Anbeginn des 13. Jahrhunderts getan hatte. Andere empfahlen, den alten Landweg zu nehmen, der über den Balkan und die Gebiete des Byzantinischen Reiches führte. Wieder andere schlugen vor, eine Seeblockade über die Länder des Sultans zu verhängen, um seine Wirtschaft lahmzulegen. Und schließlich gab es diejenigen, die alle diese Maßnahmen gleichzeitig empfahlen. In allen Fällen ist es die Figur des Kreuzfahrers als solche, die sich am meisten veränderte, und nicht der Kreuzzug selbst. Die Anforderungen des Kampfes machten den Einsatz von motiviertem und gut ausgebildetem Personal notwendig. Fehler, wie sie die pauperes von 1290 begangen hatten, konnte man sich nicht mehr erlauben. Der großen Herausforderung, die die Mamluken im Mittelmeerraum darstellten, musste mit einer starken Militärmacht begegnet werden. Vor diesem Hintergrund zeichnete sich die Notwendigkeit ab, eine Reform jener Orden auf den Weg zu bringen, deren Daseinszweck ausdrücklich diesem Zweck diente, allen voran Templer und Johanniter. Mittlerweile zeigten sie freilich eine gewisse Ermüdung, die in der Vergangenheit oft zu Absprachen mit dem Feind geführt hatte. Diese Orden sollten nun zusammengelegt und unter ein einziges Kommando gestellt werden. Die Analyse der Traktatliteratur, die der Rückgewinnung des Heiligen Landes gewidmet ist, hilft uns, die Meinungen der Zeitgenossen über den Kreuzzug nachzuvollziehen und zu verstehen, welche Themen nach allgemeiner Auffassung die

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Kapitel elf 

Christenheit am meisten bewegten. Die wichtigsten Fragen waren demnach die allgemeine Befriedung zwischen den christlichen Mächten, die Reform des Klerus, die Gefahr durch die Ausbreitung der Häresie, die Spaltung in lateinische und griechische Kirche, der Vormarsch der Sarazenen an mehreren Fronten, die Möglichkeit eines Bündnisses mit den Mongolen. Es besteht kein Zweifel, dass wir es mit Texten von außerordentlicher Bedeutung zu tun haben, die es uns erlauben, uns dem Kreuzzug in derselben Sprache und nach denselben Denkmustern zu nähern wie die Zeitgenossen. Die Texte lassen sich in zwei große Gruppen einteilen. Da sind auf der einen Seite die Schriften von Personen, die in direkten Kontakt mit dem lateinischen Osten oder der sarazenischen Welt gekommen waren wie der Franziskaner Fidenzio da Padova, die Großmeister des Templer- und Johanniterordens, Jacques de Molay und Foulques de Villaret, der Mallorquiner Raimundus Lullus und der Venezianer Marin Sanudo. Zuweilen wurden sie von Orientalen selbst verfasst, was etwa für den anonymen Autor des als Via ad terram sanctam bekannten Textes gilt, der kurz vor dem Fall von Akkon entstand und später überarbeitet wurde, oder für den Armenier Hethum von Korykos. Auf der anderen Seite stehen Schriften vorwiegend theoretischer Natur, die von Autoren stammen, die wenig oder gar nicht mit der Levante vertraut waren, jedoch einen ausgeprägten Erfindungsgeist bei der Verarbeitung der wenigen im Westen kursierenden Informationen erkennen lassen. Zu dieser zweiten Gruppe gehören die Schriften Karls II. von Anjou, des Genuesen Galvan da Levanto und zweier Berater Philipps IV, des französischen Juristen Pierre Dubois und Guillaume de Nogarets. Sie alle sind sich jedoch darin einig, dass die entstandene Situation genauestens zu untersuchen sei, womit sie sich deutlich von früheren Werken abgrenzen, die auf einer theologischen Sicht der Geschichte beruhten.

Vorwürfe über Vorwürfe Das Echo vom Fall Akkons hallt auch in Testamenten, Handelsbriefen, Reiseberichten, Annalen, Chroniken und prophetischen Texten aller Art nach. Aus Letzteren erklingt womöglich die authentischste Stimme des europäischen Christentums. Auch wenn einige wenige Chronisten sich darauf beschränkten, allein die Nachricht zu vermelden, fragten viele doch nach den Gründen eines

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so schweren Rückschlags für die Christenheit. Obwohl Nikolaus IV. es in seinem Schreiben nicht eigens erwähnte, erklärten die meisten das Geschehen nach dem klassischen Deutungsmuster »nostris peccatis exigentibus«, also durch die Sünden der Christen, und damit folglich als Teil eines von Gott vorherbestimmten Plans. In der Gesamtschau bietet sich, wie wir sehen werden, ein ausgesprochen vielfältiges Bild. Stigmatisiert wird in erster Linie der moralische Verfall der Bürger von Akkon, die sich allen möglichen frivolen Vergnügungen hingegeben haben sollen. Die Stadt mit all ihrem Reichtum gilt vielen Kommentatoren als Brutstätte der Laster, wofür sie den unglaublichen Machtzuwachs verantwortlich machen, den sie in ihren letzten Jahren erlebte. Nicht minder verurteilt wird die Rivalität unter den Kaufleuten der italienischen Seestädte, die beschuldigt werden, ihren eigenen wirtschaftlichen Vorteil rücksichtslos verfolgt zu haben. Gleiches gilt für die Rivalität zwischen den Angehörigen der verschiedenen Ritterorden, insbesondere zwischen Templern und Johannitern, gegen die sich der Vorwurf richtet, Absprachen mit dem Feind getroffen zu haben. Aus dieser Haltung spricht freilich eine gewisse Unkenntnis der Ausgleichspolitik, wie sie im Osten praktiziert wurde. Einige Kommentare gehen sogar so weit, die europäischen Herrscher der Untätigkeit zu bezichtigen. Auch das Papsttum bleibt von Vorwürfen nicht verschont, da es Männer und Gelder, die ursprünglich für das Heilige Land bestimmt waren, für den laufenden Krieg zwischen den Häusern Anjou und Aragón abzog. Dieser Vorwurf richtet sich explizit gegen Bonifatius VIII., der es nicht versäumte, die Ursache für den Fall von Akkon auf den Vesperkrieg zu schieben und damit die absolute Notwendigkeit der Rückeroberung Siziliens zu begründen. Für den Moment konzentrierten sich die Vorwürfe auf die Lasterhaftigkeit der Gesellschaft in Outremer im Allgemeinen und der Einwohner Akkons im Besonderen. Vor der Folie der Heiligkeit Jerusalems wurde Akkon geradezu als eine Art modernes Babylon beschrieben. Allerdings gab es unter den vielen Stimmen auch solche, die nicht zögerten, seine Funktion als refugium für die Christen des Heiligen Landes hervorzuheben. Im Übrigen gestand auch Nikolaus IV. in Dire amaritudinis cali­ cem der Stadt den Rang zu, die letzte Bastion des Königreichs zu sein. Die bissigen Anschuldigungen waren jedoch weitaus lauter. Taddeo di Napoli zum Beispiel spricht von der Hauptstadt des Königreichs als dem Hort aller Laster. Der Franziskaner Fidenzio da Padova hebt das verweichlichte Verhalten seiner Bewohner hervor (und widmet dem Thema gleich ein ganzes Kapitel!); Johannes der Almosengeber hält die Einwohner von Akkon für wahrhaft verdorben und außer-

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stande, für das Schicksal des Heiligen Landes Verantwortung zu übernehmen. Der anonyme Verfasser der Gesta Boemundi archiepiscopi Trevirensis, worin die Jahre zwischen 1286 und 1299 geschildert werden, macht den Hochmut und die Geldgier der Bewohner des neuen Sodom für die Katastrophe verantwortlich. Ins gleiche Horn wie der Franziskaner Johannes von Winterthur, der die Franken beschuldigt, den Zorn Gottes heraufbeschworen zu haben, stößt auch der Pilger Ludolf von Sudheim, der Ende der 1230er-Jahre das Heilige Land besuchte. Sein Reisebericht schildert ausführlich die verlorenen Schönheiten der Kreuzfahrerstadt Akkon und brandmarkt das Verhalten seiner Bewohner, vor allem der Lombarden, Venezianer, Pisaner und Genuesen, wegen deren Hoffart Akkon zerstört worden sei. Kurze Zeit später sollte der Florentiner Chronist Giovanni Villani ein wirklichkeitsnahes Bild der Situation zeichnen: Dadurch erlitt die Christenheit sehr großen Schaden, denn durch den Verlust von Akkon blieb im Heiligen Land keine Stadt mehr übrig, die den Christen gehörte; und keine der guten Handelsstädte, die an unseren Küsten und Grenzen liegen, ist auch nur die Hälfte des Gewinns an Waren und Künsten wert, den die Stadt Akkon durch ihre gute Lage direkt gegenüber von unserem Meer hat, inmitten von Syrien und fast in der Mitte der bewohnten Welt, siebzig Meilen von Jerusalem entfernt, ein Quell und ein Hafen für alle Arten von Waren, sowohl aus dem Osten als auch aus dem Westen; und alle Generationen der Völker der Welt kamen dort zusammen, um Waren zu tauschen; und es gab dort Dragomanen [Übersetzer] für alle Sprachen der Welt, so als wäre die Stadt ein [notwendiger] Bestandteil der Welt. Und dieses Unglück geschah nicht ohne das große und gerechte Gericht Gottes, denn diese Stadt war voller Sünder, Männer und Frauen, in allen Arten ausschweifender Laster, mehr als jede andere Stadt der Christen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich die Anschuldigungen auf die Sexualmoral der Bevölkerung konzentrieren. Einem anonymen englischen Mönch zufolge war die Wollust eine der Hauptursachen für die Katastrophe. Auch Taddeo di Napoli lässt sich über die Sünden aus, die in carnis desideriis begangen wurden. Verschiedene Autoren behaupten, dass die Anwesenheit Tausender Prostituierter für die Ausschweifungen verantwortlich gewesen sei, ein Geschäft, das für Herrscher wie Kaufleute gleichermaßen von Interesse war. Der Dominikaner Jacopo d’Ac-

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qui bläst ihre Zahl auf 10 000 auf und bringt die Niederlage mit einer göttlichen Strafe für die peccata carnis in Verbindung. Walter of Guisborough, ein englischer Geistlicher, der um die Mitte des 14. Jahrhunderts lebte, behauptet gar, dass es zum Jahrhundertende mehr als 14 000 Prostituierte in der Stadt gegeben habe – womit ihre Zahl der der Verteidiger entsprochen hätte, die gegen die Truppen des Sultans kämpften! –, und verortet das Bordellviertel an der Stelle, wo die Truppen al-Aschrafs in die Stadt eindrangen. Außerdem weist Burchard vom Berg Zion bereits vor dem Fall von Akkon darauf hin, dass Outremer dazu neige, Menschen aller Art anzuziehen, darunter viele von europäischem Boden Verstoßene, die vor den Fängen der Justiz fliehen und, wie er es mit einem Zitat von Horaz sagt, »wohl den Himmelsstrich wechseln, doch nicht der Seele Stimmung«. Es wird berichtet, dass die Bewohner weite Kleidung trugen und sich weibisch parfümierten; dass pflichtvergessene Priester und Mönche ihre Häuser an Dirnen vermieteten und so ein unrühmliches Beispiel abgaben; dass Wunderelixiere und tödliche Gifte überall zu haben waren und Mord und Totschlag an der Tagesordnung. Die Stadt lebte entschieden in der Sünde, wie der päpstliche Legat Eudes de Châteauroux betont: »Niemand weiß so gut wie ich, wie viele unredliche Sünden in Akkon begangen werden; deshalb ist es notwendig, dass Gott sich dafür rächt, auf dass die Stadt mit dem Blut ihrer Bewohner gewaschen und dann mit anderem Volk neu besiedelt werde.« Es waren folglich die immer gleichen Gerüchte, die von den verschiedensten Seiten verbreitet wurden. Nach dem Fall der Stadt häuften sich solche Anschuldigungen, wie der Ausdruck eines verzweifelten Versuchs, eine stichhaltige Erklärung dafür zu finden, warum die Ereignisse eine solche Wende genommen hatten. Es fehlte auch nicht an Versuchen, die Darstellung des Geschehenen zu instrumentalisieren. Joinville, der sein Werk um 1309 vollendete, wollte gar nicht die Geschichte Ludwigs IX., des Kreuzfahrerkönigs schlechthin, erzählen, geschweige denn seine eigene. Vielmehr ging es ihm darum, die französische Monarchie als Modell in Vorschlag zu bringen, das bei der Wiederbesiedlung eines Landes zugrunde gelegt werden könne, das, noch bevor es den Sarazenen unterlag, der eigenen Lüsternheit zum Opfer gefallen war. Ein weiterer Vorwurf, der nach dem Fall der Stadt immer wieder erhoben wurde, richtete sich gegen die Existenz einer großen Zahl eigenständiger Machtzentren in Akkon. Auch dies war ein altes Problem, das bereits zu Beginn des Jahrhunderts von Jakob von Vitry angeprangert worden war, der die Stadt mit einem

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neunköpfigen Ungeheuer verglichen hatte. Dieser Situation war man sich auch noch zu Zeiten Villanis bewusst, der sie so umreißt: Weil die Sarazenen in früheren Zeiten den Christen die Stadt Antiochia und Tripolis und Tyrus und viele andere Städte, die die Christen an der Küste besaßen, weggenommen hatten, war die Stadt Akkon an Volk und Macht stark angewachsen, da keine andere Stadt in Syrien von den Christen gehalten werden konnte, sodass nun der König von Jerusalem und der von Zypern und der Fürst von Antiochia und die von Tyrus und von Tripolis und die Orden der Templer und der Johanniter und andere Orden und die Gesandten des Papstes und diejenigen, die sich für die Könige Frankreichs und Englands jenseits des Meeres aufhielten, sich alle in Akkon versammelten, und es gab dort siebzehn über die Blutlinie erbliche Herrschaften, was große Verwirrung stiftete. Das Problem betraf in erster Linie die kirchliche Sphäre. Zu Beginn des Jahrhunderts hatte Akkon zahlreiche geistliche Körperschaften mit eigener Gerichtsbarkeit aufgenommen, die aus ihren Sitzen vertrieben worden waren. Sie hatten dort nun keine wirklichen Befugnisse mehr, waren aber entschlossen, sich ihre nominellen Rechte zu wahren. Neben dem Patriarchen von Jerusalem weilten in der Stadt auch die Erzbischöfe von Tyrus, Nazareth und Cäsarea, der Bischof von Akkon selbst (wobei dieses Amt zur Vermeidung von Kompetenzstreitigkeiten 1262 mit dem des Patriarchen vereint wurde) und die Bischöfe von Beirut, Bethlehem, Lydda, Sidon, Sebaste und Tiberias – und damit faktisch die wichtigsten geistlichen Würdenträger des gesamten Königreichs. Die Stadt beherbergte neben den Chorherren des templum Domini auch die Kanoniker vom Berg Sion, vom Berg Tabor und vom Ölberg, außerdem die Kleriker der Abtei der heiligen Maria im Tal Josaphat, der Sankt-Anna-Kirche und der Kirche von Bethanien, dazu die Kirchen der italienischen Gemeinschaften  – die im Wesentlichen autonom waren   –, die Ritterorden, den Orden von Montjoie, die Prämonstratenser von Sankt Samuel, die Gemeinschaften der Franziskaner und Dominikaner, diverse Vertreter der griechischen und syrischen Priesterschaft, eine beträchtliche Zahl Juden und ein paar Muslime. Inmitten von diesem Durcheinander gab die politische Situation zu allergrößten Bedenken Anlass. Da mag es opportun erschienen sein, die Vermehrung der Gewalten in der Stadt anzuprangern, statt etwa einzelnen Repräsentanten der

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Gesellschaft von Outremer eine Mitschuld am Untergang des Heiligen Landes zuzuweisen – frei nach dem Motto: alle schuldig, keiner schuldig. Natürlich bezweifelte niemand die Rolle, die die innere Zerrissenheit der Stadt beim Niedergang Akkons gespielt hatte. Der Dominikaner Tolomeo da Lucca zum Beispiel schließt sich der Meinung an, dass Akkon wegen seiner Vielzahl von Herren und wegen der Verschiedenheit der dort ansässigen »Nationen« verloren ging, wobei er sieben Machtzentren ausmacht – »videlicet Templarii, Hospitalarii, Theutonici, Consul Pisanus, Rex Cypri, Rex Carolus, item Patriarcha« – und das Fehlen einer einheitlichen Führung beklagt. Diesen Mangel unterstreichen auch Fidenzio da Padova, der mit Nachdruck auf die aus einem solch ungeordneten Haufen erwachsenden Probleme für die Verteidigung hinweist, und Ludolf von Sudheim, den die sprachlichen und kulturellen Auswirkungen eines solchen Mischmaschs umtreiben. Kurz, die Zersplitterung war real. Und war es nicht so, dass König Hugo III. Akkon 1276 in Richtung Zypern zu verlassen beschloss, weil die Stadt aufgrund der ständigen Rivalitäten zwischen den Baronen, den Bürgern der verschiedenen italienischen Gemeinschaften, den Ritterorden, den zahlreichen religiösen Gruppen und den Bruderschaften unregierbar war? Im Oktober 1290 hatte Papst Nikolaus den wichtigsten Würdenträgern in Outremer geschrieben, ohne einem von ihnen den Vorzug zu geben: Heinrich von Zypern, dessen Bruder Amalrich, dem Regenten des Königreichs, den Ordensmeistern, dem Baiulo der Venezianer, dem Konsul der Pisaner und bestimmten, nicht näher bezeichneten »comitatibus civitatis Acconensis«, die sich wahrscheinlich aus einheimischen Bürgern und Honoratioren zusammensetzten. Er forderte sie auf, sich mit Entschlossenheit für die Bewahrung und Verteidigung des Heiligen Landes einzusetzen. Am 8. Oktober befahl er allerdings dem Patriarchen von Jerusalem, einen Generalkommandanten für die Verteidigung des Heiligen Landes zu ernennen, der dem Willen der Kirche unterworfen sein würde. Die Ernennung stand wahrscheinlich nur auf dem Papier. Und wenn sie doch mehr als toter Buchstabe war, dann hatte sie wenig Gewicht, da die Leitung der Operationen kollektiv erfolgte, obwohl die Großmeister von Templer- und Johanniterorden sich in der eigentlichen Aktion durch ihre Erfahrung und Autorität auszeichneten. Das Fehlen einer zentralen Führung war jedoch ein brennendes Thema. Ein großer Teil der Traktate sah, nicht anders als die Akten der Provinzkonzilien, in der Ernennung oder Wahl eines einzigen Anführers, eines dux oder, wie Raimundus Lullus ihn 1305 nannte, eines rex et bellator, eine Bedingung für

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die Rückeroberung des Heiligen Landes. Ein solcher Anführer müsste in der Lage sein, mindestens ebenso weise die Verwaltung zu leiten wie das Heer zum Sieg zu führen. Mächtig müsste er sein, gefürchtet, imstande, seine Triebe zu beherrschen, frei von Lastern, intelligent, unparteiisch, mutig wie die Makkabäer, weise, großzügig, edel und freundlich. Kurz: Er müsste exakt jenes Ideal der Heilslehre verkörpern, das über das gesamte Jahrhundert hinweg zugunsten der auf europäischem Boden aufkeimenden »Nationen« geschwächt worden war. Der Kreuzzug folgte im Grunde genommen dem Zeitgeist. Von einer Maßnahme zur universellen Erlösung – war es nicht die Hoffnung auf das ewige Leben, die die Menschen nach Jerusalem trieb? – wandelte er sich zu einer konstituierenden Komponente jener nationalen Monarchien, die die kommenden Jahrhunderte prägen sollten. Es war eine lange Entwicklung, die von derselben Institution ausging, die ihn gefördert hatte, und damit nicht wenige Unstimmigkeiten hervorrief.

Deus vult? Die Kritik am Kreuzzug geht auf die Anfänge der Bewegung zurück, oder besser gesagt: auf ihre ersten Misserfolge. Nach dem Debakel des zweiten Kreuzzuges und dem Scheitern des folgenden proklamierte der anglofranzösische Kleriker Radulfus Niger sein strenges »Deus non vult!«. Wie wir gesehen haben, hatte die Umlenkung der Expedition der Jahre 1202–1204 nach Konstantinopel, obgleich sie von Innozenz III. verurteilt worden war, nur den Verdacht der Instrumentalisierung des Unternehmens verstärkt. Diese unterstellte man dem nach Reichtum gierenden Venedig ebenso wie dem Papst, der sich schuldig gemacht hatte, indem er – Schisma hin oder her – Christen erlaubt hatte, gegen andere Christen zu kämpfen. Im Laufe des Jahrhunderts hatte das Papsttum zu leichtfertig vom Kreuzzug Gebrauch gemacht und damit die unterschiedlichste Kritik auf sich gezogen, von der totalen Ablehnung der Gewalt, wie sie beispielsweise von Katharern, Waldensern, Joachimiten oder Spiritualen, aber auch von einigen Troubadouren aus weitaus weniger gewichtigen Gründen propagiert wurde, bis hin zu der Vorstellung, dass die Anwendung von Gewalt innerhalb der Christenheit letztlich die Aufmerksamkeit vom Heiligen Land abgelenkt habe. So zum Beispiel die Kritik, die Dante in der Göttlichen Komödie an Bonifatius VIII. äußerte:

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Allein der Fürst der neuen Pharisäer, Als Krieg er führte dort beim Lateran, Und nicht mit Sarazenen oder Juden, Denn Christen waren seine Feinde sämtlich, Und keiner war bei Akkons Fall beteiligt, Noch Kaufmann in des Sultans Land gewesen. Eine tiefe Missbilligung kam einige Zeit später auch bei Petrarca in seinem Triumph des Ruhms zum Ausdruck: Geht, stolze Christen, nur, geht, ihr Elenden, Mordet einander! Sehet mit Verachten, Dass Christi Grab ist in der Hunde Händen! Dante spitzte seine Kritik aber noch weiter zu, indem er behauptete, dass Päpste und Kardinäle mehr Interesse am fiorino (der von Florenz, »der Blühenden«, ausgegebenen Münze) gezeigt hätten als am Heiligen Land: So viel beklagt wird, die verwünschte Blume (fiore), Die ab vom Wege führt so Schaf als Lämmer, Weil sie zum Wolf gewandelt hat den Hirten. Die Evangelien und die Kirchenväter Versäumt man ihrethalb; nur Dekretalen Studiert man, daß die Ränder davon zeugen. Nach ihr nur streben Papst und Kardinäle, Nicht ist ihr Sinn nach Nazareth gewendet, Dorthin, wo Gabriel die Flügel auftat. Dies alles waren weit verbreitete Meinungen, wenn wohl auch immer eine Spur von Missgunst und rhetorischer Überzeichnung mitschwingt. Aber nicht nur das Papsttum oder die christlichen Fürsten, die die Möglichkeiten der Immunität, die das Gelübde gewährte, gern nutzten  – man denke hier allein an das Recht, die Zahlung von Schulden auszusetzen –, wurden dafür getadelt, den Kreuzzug als instrumentum regni zu missbrauchen. Auch die Idee des Kreuzzuges an sich wurde infrage gestellt. Das kann nicht erstaunen, wenn man bedenkt, dass etwa der Do-

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minikaner Humbert de Romans anlässlich des Konzils von Lyon 1274 eine Reihe von Gründen zu seiner Legitimation anführte und den Tod von Unschuldigen damit rechtfertigte, dass er dem Wohle aller gelte. (War es nicht schließlich Aufgabe der Kirche, den Himmel zu bevölkern? Mit Seligen, versteht sich.) Schwer getadelt wurde vor allem der Missbrauch, der die Kreuzzugspredigt und das Einsammeln des Kreuzzugszehnten begleitete. Bereits Gilbert von Tournai hatte in der zur Zeit des Konzils von Lyon verfassten Collectio de scandalis ecclesiae auf zwei Punkte besonders hingewiesen: den Widerwillen des Klerus, sich an der Finanzierung des Kreuzzuges zu beteiligen, und den Usus, sich von dem Kreuzzugsgelübde freizukaufen, was dem käuflichen Erwerb eines Ablasses gleichgesetzt wurde. Und mehr als ein Troubadour bekannte freimütig, dass ihm derartige Unternehmungen völlig sinnlos erschienen. So der aus der Auvergne stammende Troubadour Peirol, der in seinem Vortrag zuerst die Fürsten Europas anspornt, sich Konrad von Montferrat im dritten Kreuzzug anzuschließen, dann aber erklärt, sich aus Liebe entschlossen zu haben, in der Heimat zu bleiben. Die menschliche Natur eigne sich eben doch eher dazu, »zu lieben und viel zu singen«. Andere wiederum sahen im Kreuzzug ein unverhältnismäßiges Mittel, jedenfalls im Hinblick auf das, was sein eigentliches Ziel sein sollte, nämlich die Bekehrung der Ungläubigen. Diese Meinung vertritt Wilhelm von Tripolis in seinem Tractatus de statu Saracenorum, der ebenfalls anlässlich des Konzils von Lyon verfasst wurde. Und Raimundus Lullus ging in seinem in den 1280er-Jahren geschriebenen Roman Blaquerna so weit, die Anmaßung, das Heilige Land mit Gewalt erobern zu wollen, als absurd zu bezeichnen. In Kapitel 80 inszeniert er die Szene, in der ein Gesandter des ägyptischen Sultans am päpstlichen Hof erscheint und einen Brief seines Herrn verliest. Darin drückt der Sultan dem Papst seine Verwunderung darüber aus, dass die Christen, abweichend von der Lehre Jesu über die Gewalt, zu denselben Mitteln griffen wie der Prophet Mohammed, der seine Eroberungen mit Waffengewalt durchführte. Das allein sei der Grund, warum Gott ihnen nicht erlaubte, das Land zu bekommen. Sie hätten wohl besser daran getan, dem Beispiel der Apostel zu folgen, die die Welt mit der Kraft der Predigt und dem Siegel des Martyriums bekehrten! Tatsächlich wird hier ein bereits bekanntes Argument aus den Jahrzehnten unmittelbar nach dem ersten Kreuzzug aufgegriffen. Am deutlichsten wurde es von dem Genuesen Caffaro di Rustico da Caschifellone vertreten, einer außergewöhnlichen Kreuzfahrerpersönlichkeit, Verfasser einer Chronik und uomo politico. In

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seiner Schilderung der Einnahme von Cäsarea 1104 berichtet er, wie zwei Sarazenen vor den Patriarchen von Jerusalem, den Pisaner Dagobert, und den päpstlichen Legaten Moritz von Porto hintraten und sie über das Verhalten der christlichen Scharen befragten: Ihr Herren, die ihr Meister und Gelehrte des christlichen Rechts seid, warum befehlt ihr eurem Volk, uns zu töten und unser Land zu nehmen, wo doch in eurem Gesetz geschrieben steht, dass man die, die nach dem Bilde Gottes geschaffen sind, nicht töten darf und ihnen nicht nehmen soll, was ihnen gehört? Im Wissen um die gemeinsamen Wurzeln des christlichen und des muslimischen Monotheismus benötigt Caffaro eine Rechtfertigung für die Anwendung von Gewalt, wobei er zu verstehen gibt, dass ihm die Einwände seiner Zeitgenossen durchaus bekannt sind. Er vertraut seine Überlegungen zu diesem Thema einer Rede des Patriarchen an, in der dieser unter Bezugnahme auf das Lied des Mose (Dtn 32,35–39) das Recht bekräftigt, die göttliche Rache auf die Übertreter seines Gebots herabzubeschwören: Es ist wahr, dass in unserem Gesetz geschrieben steht, dass man das Eigentum anderer nicht stehlen und nicht töten soll, etwas, das wir weder tun noch befehlen wollen. Aber diese Stadt gehört nicht euch, sondern war und muss die Stadt des seligen Petrus sein, den eure Vorfahren mit Gewalt aus ihr vertrieben haben. Und wenn wir, die wir Vikare des seligen Petrus sind, sein Land zurückgewinnen wollen, ist unser Ansinnen folglich nicht, euch euer Eigentum wegzunehmen. Was das Töten betrifft, so antworten wir euch so: Wer gegen das Gesetz Gottes verstößt und kämpft, um es zu zerstören, den soll man aus Rache töten; wenn er getötet wird, so verstößt das nicht gegen das göttliche Gesetz, denn Gott hat gesagt: »Mein ist die Rache, ich will vergelten, spricht der Herr. Ich habe zerschlagen, ich werde auch heilen, und niemand kann aus meiner Hand erretten!« So war der Tenor fast aller Streitschriften, deren Intention es war, Jerusalem und die heiligen Stätten als das Gelobte Land kraft der Passion und Auferstehung Christi darzustellen. Ähnlichen Dialogen begegnen wir in zahlreichen Texten, die

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sich mit dem Kreuzzug befassen, etwa in den Gesta Francorum, in dem anonymen Werk eines Mönchs aus dem Kloster San Nicolò al Lido zur Überführung der Reliquien des heiligen Nikolaus nach Venedig oder in De expugnatione Lyxbonensi, das von einem der wenigen Siege der christlichen Streiter während des zweiten Kreuzzuges berichtet, nämlich dem Sieg über Lissabon im Oktober 1147. Caffaro könnte mit seinen Ausführungen auf Argumentationen reagiert haben, die die muslimische Sicht auf die Kreuzzüge wiedergeben. Viel wahrscheinlicher ist allerdings, dass er Kritik an den Kreuzzügen, wie sie insbesondere nach dem Scheitern des zweiten Kreuzzuges von Christen selbst erhoben wurde, den Sarazenen in den Mund legte. Die Absicht dahinter war, zu rechtfertigen, was sich zu Beginn des 12. Jahrhunderts in der Levante zugetragen hatte, nämlich die Verwandlung eines Befreiungskrieges – zur Befreiung des Heiligen Grabes, versteht sich – in einen reinen Eroberungskrieg. Dabei berief man sich auf Augustinus’ Theorie des bel­ lum iustum, die zu jener Zeit von Hugo von Sankt Viktor, Bernhard von Clairvaux und Gratian weiterentwickelt wurde. Noch am Vorabend des Falls von Akkon fühlte sich Fidenzio da Padova berufen, erneut an die theoretisch erwiesene Rechtmäßigkeit der Rückeroberung zu erinnern, und widmete ihr das gesamte Kapitel 74 seines Liber recuperationis terrae sanctae.

1300 – Kreuzzug und Jubeljahr Der Fall von Akkon muss die Kritik am Kreuzzug, wenn auch nur für den Moment, zum Verstummen gebracht haben, und trug dazu bei, dass die crux trans­ marina wieder aktuell wurde. Doch es war ein Interesse, das nicht von Dauer sein würde. Der Nachfolger von Nikolaus IV., der schwache Coelestin V., der nur wenige Monate im Amt war, widmete einen großen Teil der für den Kreuzzug bestimmten Mittel zugunsten der Ziele Karls II. von Anjou bezüglich Siziliens um. Bonifatius VIII. – »als Krieg er führte dort beim Lateran, und nicht mit Sarazenen oder Juden« – verstand es dann glänzend, die allgemeine Aufmerksamkeit in eine neue Richtung zu lenken, indem er 1300 das erste große Jubiläumsjahr in der Geschichte ausrief und für die Pilgerreise nach Rom die gleichen Ablässe versprach wie für das Heilige Land. Das war ein herber Schlag für den Kreuzzug, war doch das Kreuzzugsgelübde in dieser Hinsicht bisher einzig gewesen in dem, was es garantierte. Im Übrigen war es gerade der Verlust von Jerusalem gewesen, zuerst

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1187 und dann 1244, der für die Umorientierung der christianitas nach Westen und damit nach Rom sorgte, wo sich im Laufe der Jahrhunderte viele Reliquien aus der Heiligen Stadt angesammelt hatten. Die Feier des ersten Jubeljahres in der Geschichte hatte damit zwar denselben Bußwert, wie er zuvor im Kreuzzug seinen höchsten Ausdruck gefunden hatte, aber sie lenkte auch die Aufmerksamkeit vom Heiligen Land ab. Gleichzeitig wurde die alte Praxis wiederbelebt, die heiligen Stätten und insbesondere das Heilige Grab im Westen als Andachtsräume nachzubilden und diesen Reproduktionen dieselbe Heiligkeit beizumessen wie ihren Vorbildern in der Heiligen Stadt. All dies hielt neue Pilgerscharen natürlich nicht davon ab, an die Ufer des Jordan zurückzukehren und im Fluss zu baden, besonders nachdem 1342 der Sultan die Güte hatte, die custodia terrae sanctae zu begründen und den Franziskanern anzuvertrauen. Nach dem Fall von Akkon kamen die Fahrten zu den Pilgerstätten jedoch vorerst zum Erliegen, da man auf eine Stabilisierung der Lage wartete. Außerdem geriet der Kreuzzug an der Schwelle zum 14. Jahrhundert erneut unter Druck, weil er sich anschickte, zum Vorrecht mal des einen, mal des anderen Herrschers zu werden. Insbesondere hatte die französische Krone mit Karl von Valois wieder begonnen, von einer Rückkehr Konstantinopels in lateinische Hände zu träumen. Das Papsttum verabschiedete sich allmählich von der Idee, das Grab Christi zurückzuerobern, und bemühte sich um eine Übertragung, eine translatio der Heiligkeit Jerusalems in den Westen. Zugleich verstiegen sich die Schriften zur Rückgewinnung des Heiligen Landes in Angriffsplänen, die überwiegend nicht realisierbar waren, und Teile der Gesellschaft standen dem Kreuzzug als solchem kritisch gegenüber. Konnte die Kreuzzugsidee dieselbe bleiben? Die großen Debatten, die in den anderthalb Jahrzehnten zwischen dem Fall von Akkon und der Wahl Clemens’ V. im Jahr 1305 stattfanden, trugen nicht die gewünschten Früchte und machten den Weg frei für andere Ziele: vom Heiligen Land in die Ägäis, zu einem (»heiligen«) Krieg gegen die Türken – auch dieser in jeder Hinsicht ein »Kreuzzug«. Doch auch wenn der Westen den Gedanken der Rückeroberung der verlorenen Stellungen schnell aufgab, wurden jenseits des Euphrat immer noch Stimmen laut, die die Mamluken mit Macht angreifen und sogar Jerusalem zurückerobern wollten. Eine ziemlich peinliche Situation für das damalige Europa, wenn man bedenkt, dass diese Vorschläge von dem neuen Ilchan Ghazan kamen, dessen Affinität zum Islam wohlbekannt war. Im Jahr 1299 folgte Ghazan dem Appell eines syrischen Emirs, der mit dem Sultanat von Kairo

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Bonifatius VIII. eröffnet von der Loggia delle Benedizioni des Lateran das erste Jubeljahr (1300), aus: Jacopo Grimaldi, Instrumenta translationum, ms. 1622, fol. inf. 227 (Kopie nach Giotto), Mailand, Biblioteca Ambrosiana.

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im Streit lag, marschierte mit einem starken Heer in Syrien ein, unterstützt von den Truppen seines Schwiegersohnes Hethum II. von Kleinarmenien und einem großen georgischen Kontingent, und konnte Aleppo besetzen. Auf dem Weg nach Damaskus schrieb er wiederholt an Heinrich von Zypern und die Großmeister der Templer und Johanniter und lud sie ein, sich dem Feldzug anzuschließen. Maßnahmen zu seiner Unterstützung wurden jedoch nicht ergriffen. Am 24. Dezember errangen die Mongolen in der Schlacht von Wādī al-Khāzindār bei Homs einen vollständigen Sieg über die Mamluken und verfolgten sie bis nach Gaza, sodass der neue Sultan, der vierzehnjährige al-Nāṣir al-Dīn Muḥammad, um sein Leben fliehen musste. In der Zwischenzeit landete ein zypriotisches Heer mit einer 400 Mann starken Kavallerie von Turkopolen und sechzig Bogen- und Armbrustschützen in Botrun und begann mit der Befestigung der Burg Nephin, um von dort aus einen Angriff auf Tripolis zu starten, was jedoch nicht gelang. Anfang Januar 1300 zog Ghazan jedenfalls an der Seite von Hethum II. in Damaskus ein. Nach so vielen Jahren des Kämpfens und Leidens schien der Weg für eine Rückkehr der Christen nach Syrien frei zu sein. Die Nachricht verbreitete sich schnell und es dauerte nicht lange, bis ganz Europa von einem Wunder sprach: Der König von Kleinarmenien, so hieß es, habe Jerusalem als Geschenk erhalten; der Sultan sei sein Gefangener; die Mongolen bereiteten sich auf die Eroberung Ägyptens vor. Der Papst persönlich schrieb am 7. April an Eduard I. von England und verkündete die gute Nachricht. Doch der Traum war allzu schnell verflogen. Nach der Eroberung von Damaskus war Ghazans Feldzug durch den Ausbruch von Unruhen in Persien und den chronischen Bedarf an Futter für die Pferde ins Stocken geraten. Die Franken ihrerseits hatten sich nicht die Umstände gemacht, die eroberten Gebiete in Besitz zu nehmen, obwohl im Sommer desselben Jahres eine vereinte Flotte der Zyprioten, Templer und Johanniter, bestehend aus nicht weniger als sechzehn Galeeren, sechs saettì und mehren Jagdschiffen, bis nach Rosetta segelte und in den Hafen von Alexandria eindrang. Dann segelte sie die Küste bis nach Akkon hinauf und postierte sich vor Aruad, einer kleinen Insel gegenüber von Tortosa, um hier ihren Stützpunkt zu errichten. Wahrscheinlich handelte es sich um ein von langer Hand vorbereitetes Unternehmen, mit dem man sich eine Art Brückenkopf für die geplante geballte Landung an der Küste verschaffen wollte, die wahrscheinlich mit den Mongolen koordiniert war. Und vielleicht wäre der Plan angesichts der Entschlossenheit der Beteiligten sogar aufgegangen, hätte nicht der Verrat des Gouverneurs von Da-

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maskus alles zunichte gemacht. So war es für die Mamluken ein leichtes Spiel, die eroberten Gebiete, die Insel eingeschlossen, zurückzugewinnen. Die Mongolen rückten im folgenden Winter und erneut 1303 in Syrien ein, ohne viel ausrichten zu können. Dieser letzte Feldzug endete in einer Katastrophe, als das mongolische Heer nahe Damaskus in einer entscheidenden Schlacht geschlagen wurde. Kurz darauf kapitulierte auch die kleine Templergarnison auf Aruad. Das Heilige Land wurde seinem Schicksal überlassen. Jerusalem würde nie wieder zurückerobert werden.

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Wechselnde Ziele Heiliges Land oder Konstantinopel? Mit dem Jubiläumsjahr von 1300, das mit dem Scheitern der franko-mongolischen Allianz einherging, wandelte sich die Idee des Kreuzzuges. Obwohl das Heilige Land weiterhin im Mittelpunkt zahlreicher Kriegspläne stand und unter Papst Clemens V. sogar ein regelrechtes Revival erlebte, sollten sich die mit dem Kreuzzug angestrebten Ziele ändern. Bereits zur Zeit Benedikts XI. – Niccolò di Boccassio, seines Zeichens Generalmagister der Dominikaner, wurde am 23. Oktober 1303 zum Papst gewählte und verstarb bereits am 7. Juli des darauffolgenden Jahres – ist in den Quellen vom Aufkommen einer neuen Gefahr für den Westen die Rede. Schon eine ganze Weile zogen türkische Volksstämme durch Nordanatolien und waren bis zum Bosporus vorgestoßen. Die Küstenstädte waren voll mit Flüchtlingen, die vor Massakern und Raubüberfällen flohen. 1301 (oder 1302) wurden die Truppen von Kaiser Andronikos II. Palaiologos bei Bapheus, zwischen Nikomedia und Nicäa, von den Männern eines gewissen Osman  – in osmanischem Türkisch Osmân Beğ – geschlagen. Diesem Stammesführer war es gelungen, einen großen Teil des Gebietes zwischen Söğüt und Bursa zu besetzen, von wo aus es ein Leichtes war, immer wieder Überfälle auf die byzantinische Grenze durchzuführen. Sein subversiver Aktionismus stellte eine reale Bedrohung dar. Im Frühjahr 1303 vertraute der Kaiser die Angelegenheit einem ehemaligen Mönch des Templerordens an, Roger de Flor, der zur Zeit des Falls von Akkon zur Rettung eines Teils der Bevölkerung beigetragen hatte, und versprach ihm den Ehrentitel eines megadux und die Hand seiner Nichte Maria, Tochter des bulgarischen Zaren Iwan Assen III. Dem Templer gelang es, eine große Zahl Kämpfer zu Fuß

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und zu Pferd aus den Reihen der Söldner, die während des Vesperkrieges unter Friedrich III. von Sizilien gedient hatten und nach dem Frieden von Caltabellotta keine Beschäftigung mehr fanden, unter seine Fahne zu scharen. Zwischen April und Oktober 1304 konnte das Söldnerheer, das als Katalanische Kompanie in die Geschichte eingehen sollte, im kleinasiatischen Bithynien mehrere Erfolge verbuchen. Roger konnte jedoch nicht verhindern, dass seine Männer – deren Zahl größer war als mit dem Kaiser vereinbart – wahllos plündernd über die byzantinischen Lande herfielen, vielleicht um sich für nicht gezahlten Sold schadlos zu halten. Er selbst hatte Ansprüche auf bestimmte Gebiete erhoben und ging so weit, für sich den Titel eines Cäsaren einzufordern, womit er den Zorn des jungen Mitkaisers Michael Palaiologos, des ältesten Sohnes von Andronikos, auf sich zog. Sein Abenteuer endete am 30. April des folgenden Jahres, als er einer Einladung des Prinzen folgte und in dessen Palast von alanischen Söldnern ermordet wurde. Zeitgleich mit dem neuen türkischen Vorstoß lebte das alte Projekt der Eroberung Konstantinopels wieder auf, das diesmal auf die Unterstützung Karls von Valois zählen konnte, des Bruders des Königs von Frankreich und Ehemanns von Katharina von Courtenay, der Erbin des lateinischen Kaiserthrons. Nach der Normalisierung der

José Moreno Carbonero, Roger de Flor, Anführer der Katalanischen Kompanie, zieht in Konstantinopel ein, 1888, Madrid, Palacio del Senado.

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Beziehungen zwischen dem Papsttum und der französischen Krone, die am 25. März 1304 mit der Aufhebung der über Philipp IV. verhängten Exkommunikation besiegelt wurde, hatte sich Valois an Benedikt XI. gewandt, um seine Zustimmung einzuholen. Indem er sich als rex christianissmus zum Beschützer der Kirche (umso mehr, wenn diese korrupt war und daher korrigiert werden musste) und Verfechter des Kreuzzuges aufschwang, hatte der französische Herrscher auf internationaler Ebene eine gewichtige Rolle übernommen. Gleichzeitig schränkte der Skandal, der durch die gegen Benedikts Vorgänger Bonifatius VIII. lancierten Vorwürfe ausgelöst worden war, den Handlungsspielraum des Papsttums ein. Benedikt erlaubte Karl daher, seine Pläne voranzutreiben, gestand ihm einen Teil der in subsididio terrae sanctae auf französischem Gebiet erhobenen Steuern zu und räumte den Teilnehmern des Unternehmens sogar dieselben Ablässe ein, die für den Kreuzzug ins Heilige Land gewährt wurden. Einen vollständigen Sündenerlass durften auch all diejenigen erwarten, die zwar nicht selbst an der Expedition teilnehmen konnten, aber andere Teilnehmer finanzierten. Diese Praxis war ein Charakteristikum fast aller nachfolgenden Kreuzzüge gegen die Türken. Das ganze Unternehmen wurde mit der Angst begründet (und beworben), dass Konstantinopel in die Hände der Neuankömmlinge fallen könne. Es schien also, dass ein Kreuzzug nach Konstantinopel – genau ein Jahrhundert nach dem vorherigen – kurz bevorstand. Wenig später nahm der Papst seine Entscheidung jedoch zurück, da ihm die Umstände in der Christenheit und insbesondere im französischen Königreich für die Durchführung eines passagium generale nicht geeignet schienen. Warum die plötzliche Kehrtwende? Es gab viele Gründe. Nicht zuletzt ging eine gewisse Gefahr von der besonderen Aufmerksamkeit aus, mit der noch andere Herrscher auf die Hauptstadt des Kaiserreichs schauten. Konstantinopel war nicht nur das Ziel Karls von Valois. Im selben Zeitraum äußerten sowohl Jakob II. von Aragón als auch Friedrich III. von Sizilien das Vorhaben, die Stadt zu erobern, und konnten dafür auf den Einsatz katalanischer Söldner zählen. Das Interesse an der Stadt am Bosporus erhielt eine weitere Rechtfertigung durch die in zahlreichen Traktaten skizzierten Strategien zur Rückgewinnung des Heiligen Landes, die über eine – nötigenfalls auch erzwungene – Kollaboration des Konstantinopolitanischen Reiches nachdachten. Die ausgedehnte Inselwelt der Ägäis, die zum kaiserlichen Territorium gehörte, bildete in der Tat einen ausgezeichneten Ausgangspunkt für die Maßnahme, die von allen Seiten als bestmögliche bezeichnet wurde: eine Wirtschaftsblockade des mamlukischen Ägypten.

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Einer der ersten Autoren, der einen solchen Plan vorschlug, war Fidenzio da Padova, der am Vorabend des Falls von Akkon auf die Abhängigkeit der Mamluken von der Einfuhr von Sklaven, die sie zur Wiederauffüllung ihrer Heeresreihen benötigten, und von Kriegsmaterial wie Pech, Eisen und Holz hingewiesen hatte. Die Idee eines Wirtschaftskrieges war dann von Karl II. von Anjou und Raimundus Lullus vorgebracht worden. Sowohl Bonifatius VIII. als auch Benedikt XI. hatten immer wieder das Verbot bekräftigt, mit den Sarazenen Handel zu treiben, obwohl es immer wieder geschah, dass ein Kirchenbann aufgehoben wurde, der vor allem über Kaufleute aus Genua, Venedig und Dubrovnik verhängt worden war. Am 7. Juli 1304, am gleichen Tag, als der Papst starb, bat Friedrich III. um die Erlaubnis, eine Flotte von zehn Galeeren unter dem Befehl seines Halbbruders Sancho von Aragón in byzantinisches Territorium zu entsenden. Seinen Worten zufolge würde die Eroberung der griechischen Inseln den Versuch, Ägypten einer Wirtschaftsblockade zu unterwerfen, erheblich erleichtern. Sancho segelte tatsächlich mit einer Flotte in die Levante und machte im April 1305 vor der Halbinsel Gallipoli Halt, bevor er nach Sizilien zurückkehrte, wo er offenbar eine große Flotte für die Eroberung von Konstantinopel ausrüstete. Zu dieser Zeit nahm der Genuese Benedetto Zaccaria die Insel Chios in Besitz und machte sie zu einem wichtigen Handelsstützpunkt, den er mit Waffen und Diplomatie zu verteidigt wusste. Kurzum, der allgemeine Fokus schien sich entlang der Route zu verlagern, die die Ägäis mit der Hauptstadt des Kaiserreichs verband. Dem großen Kapitel des Kreuzzuges gegen die Türken ging das des Kreuzzuges gegen Byzanz voraus, der nun unmittelbar bevorstand. Kreuzzugspropagandisten wie der Venezianer Marin Sanudo der Ältere bemühten sich, das Interesse an dem von Ägäis und Schwarzem Meer gebildeten geographischen Raum um Konstantinopel mit dem Projekt der Rückgewinnung Jerusalems zu verbinden, das man nie ganz aufgegeben hatte. In den zwischen 1306 und 1309 verfassten Conditiones terrae sanctae – dem ersten Band des berühmten Liber secretorum fidelium crucis, von dem 1323 ein Exemplar Johannes XXII. und eines Karl IV. von Frankreich übergeben wurde – entwarf er einen ausgefeilten, von der Kirche zu finanzierenden Angriffsplan, der sich über einen Zeitraum von fünf Jahren erstreckte: Auf die Wirtschaftsblockade gegen Ägypten, die mit den Galeeren der Seestädte umgesetzt werden sollte, würde ein Feldzug zu Lande folgen, der unter der Leitung von Venedig von Berufskriegern bestritten werden sollte. Am Ende dieses passagium particulare könne man dann die gesamte Christenheit für ein passagium generale ins Heilige Land zu den Waf-

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fen rufen. Große Aufmerksamkeit schenkte Sanudo dem in der Ägäis gelegenen, in venezianischer Hand befindlichen Herzogtum Archipelagos und zeigte damit, worin der wichtigste Einsatz im Spiel bestand.

Clemens V. und die Traktate zur Rückgewinnung des Heiligen Landes Der auf Benedikt XI. folgende Clemens V. sorgte für eine echte Wiederbelebung der Kreuzzugsprojekte und versuchte außerdem, die Aufregung um das Heilige Land mit den an Konstantinopel geknüpften Interessen der wichtigsten europäischen Herrscherhäuser zu verbinden. Der aus Villandraut in der Gascogne stammende Clemens, der ursprünglich Bertrand de Got hieß und einer adligen, nicht besonders wohlhabenden Familie entstammte, brachte viel Erfahrung mit der unbeständigen politischen Situation der damaligen Zeit mit. Im Oktober 1294 war er, wahrscheinlich auf Betreiben seines Bruders Béraud, des Erzbischofs von Lyon und späteren Kardinals, von Coelestin V. zu Eduard I. geschickt worden, um ihn zu Friedensverhandlungen mit Philipp IV. zu bewegen. Als Erzbischof von Bordeaux seit 1299 – dem wichtigsten Lehen der englischen Krone auf dem Kontinent – war es ihm gelungen, sich durch den Konflikt zu balancieren, der zwischen dem Papst und dem französischen Herrscher ausgebrochen war. Und das, obwohl er im April 1302 an der von Philipp nach Paris einberufenen Versammlung der Generalstände teilgenommen und das an Bonifatius VIII. gerichtete Protestdokument des französischen Klerus unterzeichnet hatte. Als ein geistlicher Würdenträger des englischen Souveräns hatte er sich seine Autonomie bewahren können. Kurze Zeit später nahm er an dem vom Papst einberufenen Konzil gegen Philipp in Rom teil, mit dem er später wieder Kontakt aufnahm. Wahrscheinlich waren es die während seines Aufenthalts in Rom geknüpften Beziehungen, die zu seiner Wahl im Juni 1305 führten. Die Ankündigung eines neuen Kreuzzuges folgte unmittelbar darauf. Wir wissen nicht, inwieweit seine Worte reine Rhetorik waren. Sicher ist indes, dass sich während seines Pontifikats die Zahl der Abhandlungen über die Rückgewinnung des Heiligen Landes vervielfachte. Stagnierte die Abfassung solcher Projekte nach der von Raimundus Lullus 1294/95 verfassten Petitio, so setzte mit der Ausarbeitung des Liber

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de fine durch den Katalanen 1305 eine neuerliche Flut von Vorschlägen ein, die im Übrigen nicht besonders originell waren. Die in dieser Zeit verfassten Traktate lassen sich in zwei Gruppen unterteilen: Da waren auf der einen Seite Schriften, die von den königlichen Machthabern, insbesondere dem französischen Hof, gefördert wurden. Für sie war die Einnahme Konstantinopels ein unverzichtbarer Schritt zur Rückeroberung Jerusalems. Auf der anderen Seite standen Abhandlungen, die sich an den Papst richteten und es, der Tradition folgend, für notwendig hielten, sofort zur Verteidigung Zyperns und des armenischen Königreichs Kilikien einzuschreiten und Ägypten einer rigorosen Seeblockade zu unterwerfen. Besondere Aufmerksamkeit verdient Lullus’ Werk, das wahrscheinlich während der fast elfmonatigen Vakanz des Heiligen Stuhls vor der Wahl von Bertrand de Got entstand. Mit seinem in einer rhetorischen Prosa, die nicht frei von autobiographischen Anspielungen ist, verfassten Werk wandte sich Lullus erneut an den Papst, die Kardinäle und die Herrscher Europas und wies auf die Gefahren hin, die einer von Griechen, orientalischen Christen, Juden, Sarazenen und Heiden umgebenen Christenheit drohten. Er hielt es für notwendig, eine neue Ordensgemeinschaft zu gründen, die sich ausdrücklich der Verkündigung des göttlichen Wortes an Heiden und Sarazenen widmen und in der Lage sein solle, eigens für diesen Zweck Missionare mit Sprachkenntnissen auszubilden. Darüber hinaus umriss er in großen Zügen die Konturen eines neuen militärischen Ordens, den er als Orden von der Ritterschaft bezeichnete. Er sollte von einem Meister von königlicher Abstammung angeführt werden, der dazu bestimmt war, die Krone Jerusalems zu tragen. Sein Emblem sollte ein rotes Kreuz sein, das für das Blut Christi stehen würde und auf den Schultern der Tunika getragen werden sollte. Zum Zeichen der Trauer über den Verlust des Heiligen Landes würden die Brüder lange Bärte tragen. Anschließend beleuchtete Lullus die Routen früherer Kreuzzüge und bewertete ihre Länge, Kosten und Risiken. Gleichzeitig insistierte er auf der Bedeutung, die der Kontrolle über das Meer durch eine ordenseigene Flotte zukam. Sie sollte Ägypten eine rigorose Handelsblockade auferlegen, mit besonderem Augenmerk auf dem Sklavenhandel. Er plädierte dafür, dass es in den Reihen des Ordens arabischsprechende Prediger geben sollte, die noch vor dem Abschluss des Unternehmens mit der Erfüllung ihrer Aufgabe beginnen würden. Für den Fall, dass die Sarazenen nicht zu ihrer alten Religion zurückkehren wollten, soll heißen zum Christentum, das sie aufgegeben hatten, um sich den Abirrungen

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von Mohammeds Sekte anzuschließen, waren die Ordensbrüder gehalten, sie vor ihrem baldigen Ende zu warnen. Ganz anderer Natur war das Werk des Armeniers Hethum von Korykos, das den Titel Flor des estoires de la terre d'Orient trug. Es wurde 1307 dem Papst überreicht und fand im Westen weite Verbreitung. Autoren wie Marin Sanudo der Ältere, Paolinus Venetus und Giovanni Villani machten von ihm Gebrauch. Hethum ging es darum, den allgemeinen Fokus auf die Verteidigung Zyperns und des armenischen Königreichs Kilikien zu lenken. Während Letzteres immer stärker den Druck der anatolischen Turkvölker zu spüren bekam und außerdem unter den Einfällen der Mamluken an seinen südlichen Grenzen zu leiden hatte, waren die Probleme der Insel politischer Natur. Die Regierung Heinrichs II., des Königs von Zypern und Jerusalem, hatte schwere Kritik hervorgerufen, die seinen schlechten Gesundheitszustand unterstrich und für eine zunehmende Regierungsunfähigkeit verantwortlich machte. Im April 1306 wurde Heinrich von seinem Bruder Amalrich vom Thron ausgeschlossen, wobei diesen einige Barone des Königreichs und wahrscheinlich auch die Ritterorden unterstützten, die der Herrscher sich zum Feind gemacht hatte. Amalrich nahm den Titel eines Regenten (gubernator et rector) an – den er bis 1310 innehatte, als es seinem Bruder gelang, die Macht wiederzuerlangen – und bemühte sich, Hilfe und Soldaten aus dem Westen herbeizuholen, um die 1291 verlorenen Besitzungen des Königreichs auf dem Festland zurückzugewinnen. Die Entscheidung, Hethum von Korykos, den ein Zerwürfnis mit dem kilikischen Herrscher Hethum II. aus dem armenischen Königreich vertrieben hatte, in einer Mission zum Papst zu schicken, war eine Folge dieser Ereignisse. Auf Zypern war Hethum Prämonstratenserchorherr geworden und hatte sich Amalrichs Partei angenähert. Die Entsendung an den päpstlichen Hof war folglich ein Versuch, die Ansprüche seines Herrn offiziell zu legitimieren. Hethum nutzte die Gelegenheit, um Clemens sein Werk zu überreichen. Es beinhaltet eine ausführliche Geschichte Asiens mit besonderem Augenmerk auf den Nahen Osten, gefolgt von seinem Plan zur Rückeroberung. Er schlägt vor, eine Seeblockade gegen das Sultanat zu errichten und gleichzeitig alle Karawanenrouten nach Zentralasien durch die Mongolen blockieren zu lassen, wodurch die ägyptische Wirtschaft weiter geschädigt würde. Erst danach solle ein passagium generale ausgerufen werden. Das Kreuzfahrerheer würde zunächst in Kilikien landen und von dort nach Syrien weiterziehen, um in einem zweiten Schritt Stellungen wie Tripolis zu besetzen, von denen aus man leicht in die Region vordringen konnte. Weder berücksichtigte der Plan allerdings die schwie-

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rige Lage im armenischen Königreich, wo die herrschenden Unruhen im Herbst 1307 zur Ermordung des kilikischen Herrschers und seines Neffen Leon durch einen mongolischen Offizier führten, noch das mangelnde Interesse des Westens an einem erneuten Bündnis mit den Mongolen. Genau zu dieser Zeit traf die letzte ilchanidische Gesandtschaft, von der man Kenntnis hat, auf europäischem Boden ein: Nachdem sie in Venedig, am englischen und am päpstlichen Hof ihre Aufwartung gemacht hatte, kehrte sie unverrichteter Dinge wieder zurück.

Das Problem der Ritterorden Bei seiner Rückkehr nach Zypern im Jahr 1308 hatte Hethum das päpstliche Schreiben im Gepäck, mit dem die Eröffnung von Sonderprozessen gegen die Mitglieder des Templerordens gefordert wurde. Dies war eine Entscheidung, die offensichtlich jedem Versuch der Rückgewinnung des Heiligen Landes zuwiderlief, bei der man auf die militärische und wirtschaftliche Macht der Templer nicht verzichten konnte. Nach dem Fall von Akkon waren die Orden – wie auch die Seestädte, denen man vorwarf, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen auf Kosten des Heiligen Landes verfolgt zu haben – zum Ziel scharfer Kritik geworden. Templer, Johanniter und Deutschordensritter hatten demnach ihre Pflicht nicht erfüllt und zugelassen, dass Outremer von den Mamlukenarmeen geschluckt worden war. Man bezichtigte sie, ihre eigenen Interessen systematisch über das gemeinsame Vorgehen gegen den Feind gestellt zu haben. In Wirklichkeit handelte es sich dabei nicht um neue Anschuldigungen; es waren dieselben, die bereits 1274 auf dem Konzil von Lyon erhoben worden waren. Sie fügten sich in den allgemeinen Wirrwarr aus Bedenken, Misstrauen und Äußerungen von Besorgnis ein, der schon die Gründung der Ritterorden begleitet hatte. Damals hatte ein Zisterzienserabt aus Mittelfrankreich auf die Lobeshymnen reagiert, die sein Ordensbruder Bernhard von Clairvaux auf die neue Ritterschaft (nova militia) sang, und den Templerorden stattdessen als novum monstrum bezeichnet. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte Erzbischof Wilhelm von Tyrus die Ritterorden als valde molesti gegeißelt und ihre Unabhängigkeit von den kirchlichen Autoritäten im Heiligen Land verurteilt. Tatsächlich unterstanden sie direkt dem Papst (insbesondere die Templer seit der Bulle Omne datum optimum von 1139, dieselbe, mit der Clemens V. später ihre Auflösung erwirken konnte) und bewegten sich damit außer-

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halb jeglicher Hierarchie. Mit der Zeit und mit der Zunahme ihrer politischen und finanziellen Macht wuchsen die Zweifel an ihrem Status. Im 13. Jahrhundert standen Templer und Johanniter oft auf gegnerischen Seiten, so zum Beispiel im Krieg von Sankt Sabas, als die Templer die Venezianer und die Johanniter die Genuesen unterstützten. Die Nähe zwischen Venedig und dem Templerorden hatte eine bedrohliche Front geschaffen, die sich gegen die Ansprüche des Hauses Lusignan auf den Thron von Jerusalem stellte und stattdessen die Linie der Anjou unterstützte. In diese Rivalität war auch der Deutsche Orden hineingezogen worden, wie der Regensburger Erzdiakon Eberhard anprangerte, der die ganze Situation als eine Hauptursache für den Fall von Akkon ansah. Die schändlichste Anschuldigung jedoch war die des Verrats. Nach Ansicht des Benediktiners Matthäus von Paris hatten Templer und Johanniter den Kreuzzug Friedrichs II. nicht nur absichtlich behindert – und bis zu diesem Punkt ließe sich das angesichts der Exkommunikation des Kaisers sogar nachvollziehen  –, nein, sogar den Sultan von Ägypten um Intervention gebeten! In Wirklichkeit manifestierte sich in solchen Anschuldigungen vor allem die mangelnde Fähigkeit der westlichen Beobachter, die komplexe Ausgleichspolitik im Heiligen Land zu durchschauen. In der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts wurden die Orden einer fundierteren Kritik unterzogen, die sich auf konkrete Vereinbarungen bezog, ein Zeichen dafür, dass der Westen die Situation besser einzuordnen begann. Sowohl Templer als auch Johanniter hatten sich mehr als einmal entschieden, mit den Sarazenen getrennte Friedensverträge zu schließen, um Gebiete und Burgen zu schützen, die ihrer Gerichtsbarkeit unterstanden. Es ist jedoch auch wahr, dass ihre Ritter in vielen Fällen tapfer gekämpft haben. Nach ihrem Fall stellten deshalb viele Kommentatoren weniger die Nützlichkeit der Aufrechterhaltung so ausgedehnter und mächtiger Strukturen an sich infrage, sondern dachten vielmehr über die Art und Weise nach, wie man bei ihrer Neugründung vorgehen sollte. In den meisten Traktaten, die unter dem Pontifikat Clemens’ V. entstanden, wurde eher ihre Zusammenlegung als ihre Auflösung erwogen, ein alter Vorschlag, den bereits Papst Nikolaus IV. nach dem Verlust des Heiligen Landes gemacht hatte. Eine Spur davon findet sich sogar in der burlesk-allegorischen (auch polemischen) Versdichtung Renart le Nouvel des Flamen Jacquemart Giélée, deren endgültige Fassung auf die Jahre zwischen 1289 und 1291 zurückgeht. Das Werk setzt ein Streitgespräch in Szene, das in Rom vor dem Papst stattfindet und bei dem ein Templer und ein Johanniter jeweils die Vorzüge ihres Ordens darlegen, um den

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mächtigen Fuchs Renart zum Eintritt in einen der beiden Orden zu bewegen. Dem Templer zufolge solle Renart seine Reichtümer bei den Templern einbringen, um Syrien gegen den Sultan von Babylon zu verteidigen. Der Johanniter dagegen hält seinen eigenen Orden für verdienter und wirkungsvoller, da er die militärische Aufgabe mit dem Dienst an den Kranken zu verbinden wisse. Dem sei es zu verdanken, dass im Kampf verwundete Ritter behandelt und wieder in die Schlacht geschickt werden könnten. Außerdem wirft er den Templern vor, sich aus Neid geweigert zu haben, mit den Johannitern zusammenzuarbeiten; hätten sie dies nämlich getan, wären Jerusalem und Babylon zweifellos längst in ihrer Hand. Aus all diesen Gründen solle Renart ihr, also der Johanniter, Großmeister werden. Da der Papst ratlos ist, was zu tun sei, schlägt Renart eine salomonische Lösung vor: Die Orden sollten zusammengelegt werden. Er selbst würde ein in zwei Hälften unterteiltes Gewand in den Farben beider Orden tragen und einen Bart wie die Templer, allerdings nur auf der linken Seite. Unter dem Pontifikat Clemens’ V. wurde der Gedanke an eine Zusammenlegung der Orden refrainartig immer und immer wiederholt. Der Papst ersuchte daraufhin die Großmeister beider Orden um eine schriftliche Stellungnahme. Am 6. Juni 1306 wurden Jacques de Molay für die Templer und der im Jahr zuvor gewählte neue Großmeister der Johanniter, Foulques de Villaret, nach Poitiers gerufen, um die Angelegenheit zu besprechen, was mit Blick auf eine etwaige neue Expedition un-

Johanniter und Templer mit dem Fuchs Renart im Gewand beider Orden, Paris, Bibliothèque nationale de France.

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erlässlich schien. Clemens forderte sie auf, ihre jeweiligen Positionen in einer Denkschrift darzulegen und ihm vorab zuzuschicken, damit er die Schriften in Ruhe analysieren könne. Molay traf gegen Ende des Jahres in Marseille ein und erfuhr von den Anschuldigungen, die seit einiger Zeit gegen seinen Orden und ihn selbst erhoben wurden. Das Treffen fand jedoch durch Indisposition des Papstes erst im folgenden Sommer statt. In seiner Denkschrift weist der Meister darauf hin, dass es zwischen den Gebräuchen der beiden großen Orden beträchtliche Unterschiede gebe. Insbesondere hielt er die Ordensregel der Templer für strenger als die der Johanniter. So habe er selbst sich für bestimmte restriktive Maßnahmen eingesetzt, wie beispielsweise die Reduzierung des Fleischkonsums von drei- auf einmal pro Woche. Eine Vereinigung der Orden sei aus diesen Gründen ausgeschlossen. War die Rivalität zwischen ihnen denn nicht produktiv gewesen und hatte den Eifer für das Heilige Land noch gesteigert? Offensichtlich war Molays Befürchtung, dass die europäischen Höfe und der Papst eine Vorliebe für die Johanniter hegen könnten, die eben dabei waren, sich auf dem Schachbrett des Ostens eine neue Rolle zu geben. Im Hinblick auf den Kreuzzug riet Molay von einer Landung an der Küste Kilikiens ab, da die einheimische Bevölkerung den Lateinern gegenüber misstrauisch sei, außerdem die türkischen Volksstämme hier allzu nahe kämen. Ebenso wenig hielt er es für sinnvoll, eine Seeblockade zu finanzieren, und sprach sich stattdessen für die Idee eines klassischen großen Kreuzzuges aus: Die Insel Zypern als Ausgangspunkt nutzend, sollte ein starkes Heer von schätzungsweise 20 000 Mann an der syrisch-palästinensischen Küste an Land gehen. Bereitgestellt werden sollte es von den Königreichen Frankreich, England, Deutschland, Sizilien, Aragón und Kastilien und weiteren Verbündeten des Papstes. Darüber hinaus empfahl er die Entsendung einer Flotte von zehn Galeeren, um Zypern zu verteidigen und jeglichen Handel mit den Sarazenen zu unterbinden. Wir kennen Villarets Meinung über die Zusammenlegung der Orden nicht, da seine Denkschrift nicht erhalten ist. Wir wissen jedoch, welche Hinweise er zum Kreuzzug gab. Da er mit der Eroberung von Rhodos beschäftigt war, auf das sich die Interessen der Johanniter nach dem Ausbruch des Konflikts mit dem Herrscher von Zypern verlagert hatten, konnte Foulques erst im Sommer 1307 nach Poitiers reisen und dem Papst seine Pläne vorstellen. Im Gegensatz zu Jacques de Molay unterteilte er das Unternehmen in drei Phasen eines Fünfjahresplans und betonte die Notwendigkeit einer sorgfältigen Vorbereitung und einer angemessenen finanziellen Ausstattung. Nach der Verhängung einer Wirtschaftsblockade gegen die

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Jacques de Molay, letzter Großmeister der Templer, Farblithographie aus dem 19. Jh.

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Länder des Sultanats sollte eine Serie von Überfällen auf die feindlichen Küsten unternommen werden, gemäß der Strategie des passagium particulare, die mittlerweile in den meisten der dem Papst vorgelegten Plänen bevorzugt wurde. Erst dann wäre es sinnvoll, einen Großangriff zu starten, der auf die militärische Besetzung des Heiligen Landes abzielte. Positiv bewertete Foulques die Möglichkeit eines Bündnisses mit den Mongolen, wodurch ein Teil der mamlukischen Truppen vom Rest des Heeres abgelenkt werden könne, ebenso wie eine Landung an der armenischen Küste, von der aus man nach Nordsyrien vordringen könne. Diese Pläne sollten in einen weiteren Traktat einfließen, der aus dem Umkreis der Johanniter, aber nicht allein vom Ordensmeister stammte und zwischen Herbst 1306 und Sommer 1307 zur Ergänzung der früheren Schrift im Osten verfasst wurde. Er sah die Eroberung von Rhodos (die im Wesentlichen bereits im Gange war), Konstantinopel, Antiochia und Jerusalem innerhalb von fünf Jahren vor. Nun, dieser Plan war der einzige, der teilweise umgesetzt wurde. Das geschah ausgerechnet zu derselben Zeit, als ein boshafter Propagandafeldzug gegen die französischen Templer lief, die bekanntermaßen am 13. Oktober 1307, einem Freitag, auf Befehl Philipps IV. in Massen verhaftet wurden. Diese Aktion machte bei genauer Betrachtung jede Möglichkeit eines Zusammenschlusses zunichte, der

Das Verhör des Jacques de Molay, Druck aus dem 19. Jh.

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immer noch als beste Lösung für die Situation im Heiligen Land angesehen wurde. Zumindest ist davon der Genuese Cristiano Spinola überzeugt, der am 2. November in einem Brief an Jakob II. von Aragón festhält: Der Papst und der König tun dies des Geldes wegen und weil sie aus Johannitern, Templern und all den anderen Orden einen einzigen Orden machen wollen, indem sie sie vereinigen; der König will einen seiner Söhne zum Großmeister machen und gedenkt dies auch zu tun. Der Templerorden wehrt sich jedoch vehement gegen diese Pläne und wird ihre Umsetzung nicht zulassen. Doch die Realität sah anders aus. Bekanntlich wurden die Templer für den Verlust des Heiligen Landes im Jahr 1291 verantwortlich gemacht. So brachte die Bulle Regnans in excelsis vom 12. August 1308, mit der das Konzil von Vienne einberufen wurde, den Verlust des Heiligen Landes mit dem Templerorden und dem Vorwurf der Ketzerei in Verbindung. Die Entschlossenheit Philipps IV. des Schönen tat ihr Übriges und führte innerhalb weniger Jahre zur Auflösung des Ordens. Für seine Zwecke wusste er die französischen Inquisitionsgerichte einzuspannen, die über die notwendigen Mittel verfügten, um gegen Fälle von Ketzerei und Hexerei vorzugehen. Der Einsatz der Folter zur Erzwingung von Geständnissen war entscheidend. Aber auch die Templer selbst begingen Fehler. Molay gab zu, sich zweier Punkte der Anklage schuldig gemacht zu haben: Christus verleugnet und auf das Kreuz gespuckt zu haben, und seine Brüder aufgefordert zu haben, dasselbe zu tun. Clemens V. nahm sich der Sache an, erhielt vom Großmeister einen Widerruf des Geständnisses und lieferte sich ein Tauziehen mit dem französischen König. Am Ende kam es im August 1308 in Chinon zu einem neuen Geständnis und einer vollständigen Absolution. Philipp seinerseits reagierte mit einer breiten Propaganda- und Verleumdungskampagne, begleitet von der Drohung, den Leichnam von Bonifatius VIII. und damit auch die gegen den Papst seinerzeit erhobenen Anschuldigungen zu exhumieren. Er verstieg sich sogar dazu, prahlerisch von einem angeblich drohenden Schisma zu sprechen. Kurzum, das Schicksal des Ordens begann sich abzuzeichnen. Gewiss ist, dass von da an alle weiteren Pläne nur noch die Johanniter betreffen würden.

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Der Kreuzzug in der Ägäis Im Nachhinein lässt sich sagen, dass weder Lullus’ Projekt noch das von Hethum oder das der Ordensmeister den wahren Absichten des Papstes nahekam. Hatte Benedikt XI. die Kreuzzugspläne Karl von Valois’ gegen Konstantinopel gebremst, so tat Clemens genau das Gegenteil und erließ am 14. Juni 1306 mehrere Bullen, die denjenigen, die das Kreuz nehmen würden, Ablässe, Zehnten und andere Privilegien garantierten. Die Konstantinopel-Frage drängte sich erneut mit aller Macht in den Mittelpunkt des Interesses. Der Papst tat sein Bestes, um den Bruder des Königs in jeder Hinsicht zu unterstützen, und lud Venezianer und Genuesen ein, sich an dem Unternehmen zu beteiligen. Während Letztere angesichts ihres Bündnisses mit dem Kaiser von Konstantinopel eher zurückhaltend reagierten, griffen die Venezianer den Vorschlag mit Begeisterung auf. Am 19. Dezember 1306 schloss Doge Pietro Gradenigo mit französischen Bevollmächtigten einen Vertrag über die Lieferung einer Flotte, die zwischen März 1307 und März 1308 von Brindisi aus in See stechen sollte. Darüber hinaus dehnte der Papst den Kreuzzugsaufruf auf Süditalien, die Mark von Ancona, die Romagna und andere Orte aus. Die neuerliche Expedition begründete er sowohl mit der Notwendigkeit, die Kirchen zu einen, als auch – wie bereits unter Benedikt XI. geschehen – mit der Gefahr, dass Konstantinopel in türkische Hände fallen könnte. Am 3. Juni 1307 wurde Andronikos zusammen mit seinen genuesischen Verbündeten exkommuniziert. Der Kreuzzug schien damit kurz vor der Verwirklichung zu stehen. Karl konnte auf die Unterstützung der wichtigsten lateinischen Mächte zählen, soll heißen jener Machthaber in der Ägäis und auf dem Balkan, die die formale Abhängigkeit von Byzanz nicht ertragen konnten. Wahrscheinlich würde sich auch die Katalanische Kompanie auf seine Seite schlagen, die sich zwischenzeitlich mit dem Kaiser überworfen hatte. Ihr Kommando war nach dem Tod von Roger de Flor auf dessen Schwager Berenguer de Entença übergegangen. Doch obwohl die Bemühungen sich vervielfachten, kam es nicht zum Feldzug. Das Scheitern wird üblicherweise mit dem Tod von Karls Ehefrau Katharina von Courtenay, der Kaiserin von Konstantinopel, im Oktober desselben Jahres in Verbindung gebracht, woraufhin die Erbrechte auf ihre gleichnamige Tochter, Katharina von Valois, übergingen. Auch die Abzweigung eines Teils der von Philipp IV. für die Expedition bereitgestellten Mittel für näherliegende Ziele, wie die Unterdrückung einiger Unruheherde in Flandern, hatte sicherlich etwas damit zu tun. Nicht zu vergessen ist auch der

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Kapitel zwölf 

Bruch des Bündnisses durch Venedig aufgrund der Nichtabreise der Flotte, gefolgt von der Vereinbarung eines Waffenstillstands mit Andronikos am 11. November 1310. Ungeachtet dessen wurde der Versuch, Hand an das Ostreich zu legen, mit der von Philipp IV. energisch durchgesetzten Heirat zwischen Katharina von Valois und Philipp von Tarent, dem Sohn Karls II. von Anjou, und damit zwischen den beiden Hauptanwärtern auf den Thron des Lateinischen Kaiserreiches, weiterverfolgt. Faktisch wurden aber alle diese Bestrebungen blockiert durch die Ansiedlung der Katalanischen Kompanie im Herzogtum Athen und ihre neuerliche Unterwerfung unter Friedrich III. von Sizilien sowie die Androhung ihrer Exkommunikation durch Clemens V. wegen der zahlreichen Verbrechen, derer sie sich schuldig gemacht hatte. Waren die Pläne des Valois im Sande verlaufen, so traf der des Papstes und der Johanniter ins Schwarze. Am 11. August 1308 rief Clemens mit Zustimmung Philipps IV. ein passagium particulare zur Verteidigung Zyperns und des armenischen Königreichs Kilikien aus, um den Weg für ein künftiges passagium generale zu bereiten. Die erforderlichen Mittel in Höhe von geschätzten 400 000 Goldflorin sollten nicht aus neu erhobenen Zehnten stammen, obwohl die Gläubigen natürlich aufgefordert waren, den Johannitern im Gegenzug für weitreichende Ablässe finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen (vollkommener Ablass wurde nur dem gewährt, der mindestens die Hälfte des für die Reise ins Heilige Land erforderlichen Betrags gab; in der Regel konnte man für jeden gezahlten livre tour­ nois ein Jahr Ablass erhalten). Vielmehr stammten drei Viertel der Finanzierung aus der päpstlichen Schatulle und ein Viertel vom französischen König, der als Wohltäter und Schirmherr des Unternehmens auftrat. Der Papst ordnete außerdem an, dass während der Feierlichkeiten einige explizit gegen die Heiden gerichtete Gebete gesprochen werden sollten  – das Omnipotens sempiterne Deus, das Sacrificium Domine und das Protector. Allerdings erging an die christifideles keine Aufforderung, das Kreuz zu nehmen, obwohl es, wie wir noch sehen werden, auf kaiserlichem Territorium zeitgleich zu einigen spontanen Ansätzen in dieser Richtung kam. Die Angelegenheit hätte ausschließlich die Johanniter betreffen sollen. Nirgends erwähnt wurde ihr Engagement gegen Rhodos, wo der Orden ein neues Hauptquartier zu gründen gedachte – ein Ziel, dass er bereits seit 1306 auf der Grundlage einer Vereinbarung verfolgte, die Foulques de Villaret mit einem gewissen Vignolo de’ Vignoli aus Genua getroffen hatte. Die Insel befand sich dafür in einer ausgezeichneten Position, sowohl mit Blick auf die beliebtesten

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Handelsrouten als auch was die von Foulques geplante Wirtschaftsblockade gegen Ägypten anging. Vignolo besaß einige Lehen in der Ägäis, die ihm der Kaiser von Kon­stantinopel zugestanden hatte. Im Mai verkaufte er seine Besitztümer an die Johanniter und behielt sich nur ein Drittel der Einkünfte aus den Ländereien und aus Larcom vor. Irgendetwas muss allerdings schiefgelaufen sein, denn der Orden sah sich gezwungen, sowohl gegen die Griechen als auch gegen einige türkische Kontingente militärisch vorzugehen. Am 23. Juni verließ eine kleine Flotte, bestehend aus zwei Galeeren, die von den Genuesen zur Verfügung gestellt wurden, und vier Transportschiffen mit fünfunddreißig Rittern und 500 Fußsoldaten an Bord Zypern in Richtung Rhodos, das die Johanniter bis Ende des Jahres weitgehend unter ihre Herrschaft brachten. Einige Orte konnten gleichwohl noch bis 1310 ihre Autonomie wahren, bis schließlich eine Flotte von vierzig Galeeren aus Marseille, Narbonne, Genua, Pisa und Venedig mit 1000 Rittern und 4000 Fußsoldaten zu Beginn des Jahres von Brindisi aus in See stach und allen Widerstand beendete. Dies glückte, obwohl die Geldgeber mittlerweile abgetaucht waren: Philipp IV. sollte jegliche Beteiligung verweigern (vielleicht weil er mit Verspätung erkannte, welche Gefahr für seine eigene Führungsrolle im Kreuzzug durch die Inbesitznahme von Rhodos seitens der Johanniter drohte), und Jakob II. von Aragón versuchte, das Unternehmen nach Granada umzuleiten, das er quasi als erste Etappe auf dem Weg ins Heilige Land darstellte. Das vom Papst ausgerufene pass­ agium hatte sich in einen Eroberungsfeldzug verwandelt, gerechtfertigt durch die Notwendigkeit, Rhodos zu einem vorgeschobenen Stützpunkt für den Angriff auf die Mamluken zu machen. Die Insel schwang sich zu einem wichtigen Handelsknotenpunkt zwischen dem Westen und den türkischen Emiraten im Südwesten Anatoliens auf und blieb bis 1523 in den Händen der Johanniter, bevor diese nach Malta umzogen.

Das Konzil von Vienne und das Ende der Templer Allseits schwand die Aufmerksamkeit für das Heilige Land mehr und mehr. Obwohl jede militärische Unternehmung als Beistand für das Heilige Land ausgelobt wurde, zeigte sich in der Praxis, dass sich das allgemeine Interesse auf andere Gebiete am Mittelmeer, im Westen wie im Osten, verlagerte. Ein letztes Aufflackern von Kreuzzugsstimmung zeigte sich während des Konzils von Vienne, das am

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12. August 1308 mit der Bulle Regnans in excelsis einberufen wurde, dessen für Oktober 1310 vorgesehene Eröffnung jedoch um ein Jahr verschoben wurde. Auf der Tagesordnung standen die Templerfrage, die Rückgewinnung des Heiligen Landes und die Reform der Kirche. Wie in der Vergangenheit bat der Papst darum, dass der Kurie vor der Eröffnung diverse Denkschriften zugesandt würden. Es folgte eine neue Flut von Schriften, die sich im Vergleich zu ihren Vorgängern geradezu durch exzessive Genauigkeit auszeichneten und mit detaillierten technischen Analysen und ausgeklügelten Finanzierungsplänen zur Durchführung des Unternehmens aufwarteten. Einig waren sich die Texte durchweg in der Anerkennung der Rolle Philipps IV. von Frankreich in der künftigen Kreuzzugsunternehmung. In diesem Sinne äußerten sich sowohl ihre französischen Promotoren Pierre Dubois und Guillaume de Nogaret als auch Persönlichkeiten wie Raimundus Lullus oder der Jurist Wilhelm Durandus der Jüngere, obgleich sie weiterhin die Notwendigkeit betonten, dass das Papsttum die Führung des Kreuzzuges übernehmen müsse. Heinrich II. von Zypern, der inzwischen wieder in sein Amt eingesetzt worden war, beteiligte sich ebenfalls an der Diskussion und sandte ein Dokument mit dem Titel Consilium nach Vienne, in dem er sich für die Einrichtung einer vom Papsttum finanzierten ständigen Flotte aussprach, die ihm unterstellt sein sollte. Insbesondere empfahl er, gegen Ägypten zu ziehen und dabei den Überraschungseffekt zu nutzen, das Königreich Kilikien als Landeplatz der Armee jedoch aufzugeben, offiziell aus klimatischen Gründen. In der Petitio Raymundi in concilio generali ad acquirendam terram sanctam unterbreitete Lullus dagegen die Möglichkeit eines Angriffs auf Konstantinopel unter der Führung von Karl von Valois. Damit wollte er den ständigen Sklavenhandel unterbinden, der mithilfe der Genuesen die Reihen der mamlukischen Armee wieder auffüllte. Darüber hinaus erinnerte er an die Notwendigkeit, die Bekehrung der Mongolen voranzutreiben, deren Unterstützung von grundlegender Bedeutung sei. Die Mehrheit der Traktate bot wenig Raum für moralische Fragen oder für politische oder politisch-eschatologische Visionen. Die Idee des Kreuzzuges, die diese Vorschläge vermittelten, war in jeder Hinsicht die einer Militärunternehmung. Einer Unternehmung wohlgemerkt, die im Grunde genommen nicht durchführbar war. Nogaret rechnete mit einer Vorbereitungszeit von zehn bis zwanzig Jahren, so komplex war die Angelegenheit mittlerweile geworden. Alle Blicke ruhten jedoch auf dem französischen Monarchen, dessen Sonderrechte mehr und mehr auch kaiserliche Vorrechte umfassten. Tatsächlich besiegelte

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das Konzil endgültig die Einflussnahme der französischen Krone auf die päpstliche Politik und ganz speziell auf die Kreuzzugspolitik. Von den zahlreichen gekrönten Häuptern, die eingeladen waren, am Konzil teilzunehmen, war nur Philipp anwesend. Und der hatte als Vorbedingung für den Aufbruch zu einer neuen Heerfahrt die Aufhebung des Templerordens gefordert. Er gelobte, das Kreuz erst nach der Verkündung der Bulle Vox in excelso am 22. März 1312 zu nehmen, mit der die Auflösung des Ordens erklärt wurde, obwohl dies seine Verurteilung praktisch unmöglich machte. Am schwersten wog die Abwesenheit Kaiser Heinrichs VII., der vielleicht ein Gegengewicht zur französischen Übermacht hätte bilden können. Deutlich wurde dies, als im Verlauf der zweiten Sitzung über das Heilige Land gesprochen wurde. Am 3. April erließ der Papst die Bulle Redemptor noster, die der gesamten Kirche einen sechsjährigen Zehnten auferlegte, um ein passagium generale unter der Führung Philipps und seines Sohnes Ludwig von Navarra zu finanzieren, dessen Abreise für März 1319 geplant war. Pierre Dubois und Guillaume de Nogaret wagten sich gar so weit vor, den Herrscher als idealen Kandidaten für die Kaiserkrone zu präsentieren. Ein neuer Ritterorden, gebildet infolge der Auflösung der alten und finanziert durch ebenderen Reichtum, würde das Gelingen des Unternehmens von militärischer Seite garantieren. Und dem zweiten Sohn des französischen Königs, Philipp dem Langen, würde man das zurückeroberte Königreich anvertrauen. Redemptor noster wurde heftig kritisiert. Clemens versuchte zu verhindern, dass sich der Herrscher noch weiter bereicherte, indem er verfügte, die Güter der Templer, mit Ausnahme ihres Besitzes auf der Iberischen Halbinsel, den Johannitern zu übereignen. Der Orden hatte jedoch große Mühe, diese Maßnahme in die Praxis umzusetzen. Das Heilige Land schien jedenfalls wieder in den Mittelpunkt der kollektiven Pläne gerückt zu sein. Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt kehrte auch in der Konstantinopelfrage die Spannung zurück. Clemens genehmigte die Heirat zwischen Philipp von Tarent und Katharina, der Tochter Karl von Valois’, und gewährte all jenen einen Kreuzzugsablass, die sich an einem Feldzug gegen die schismatischen Griechen beteiligen würden – eine Maßnahme, die wieder einmal als Vorbereitung für den Kreuzzug ins Heilige Land vorgestellt wurde. Nichts geschah. Die Politik von Clemens V. erwies sich bald als Fehlschlag. Der Papst war nicht in der Lage, ein passagium zu lancieren, ob nun generale oder particu­ lare. Denn obwohl Raimundus Lullus im Laufe der vierten Sitzungsperiode die Einrichtung von Lehrstühlen für Arabisch, Hebräisch, Griechisch und Syrisch

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Auf dem Weg nach Jerusalem. Leuchtende Engel geleiten die Kreuzritter durch die Nacht.

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Die Euphorie der Kreuzfahrer beim Anblick von Jerusalem am 10. Juni 1099.

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Gottfried von Bouillon zieht in Jerusalem ein; 200 Ritter unter der Führung Balduins schlagen 20 000 Sarazenen in die Flucht; Die Kreuzfahrer verwüsten Cäsarea und töten die Einwohner; Das Massaker von Antiochia.

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Die Kreuzfahrer werden von Saladins Armee umzingelt.

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Kapitel zwölf 

an den Universitäten von Bologna, Oxford, Paris und Salamanca sowie an der Kurie in Rom durchsetzen konnte, die von den Monarchen und den Kirchen vor Ort finanziert wurden, war die einzige wirkliche Folge der von Clemens V. eröffneten Kreuzzugssaison das Ende des Templerordens, der nämlich vom Papst (ohne Verurteilung) während des Konzils aufgelöst wurde. Die Vorgänge gipfelten am 18. März 1314 in der Verbrennung des Großmeisters Jacques de Molay, der sich zwar schuldig bekannte, später aber widerrief und so zum relapsus wurde (einem rückfällig gewordenen Häretiker). All dies stellte einen tödlichen Schlag für etwaige Pläne zur Wiedergewinnung Jerusalems dar. Der Tod des Papstes am 20. April und der des französischen Herrschers am 29. November machten alle weiteren Ansätze endgültig zunichte.

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DRITTER TEIL

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Kapitel dreizehn

Die Erfindung des Feindes Beinamen und Schmähwörter Im 14. Jahrhundert, der Zeit der Großen Pest und der »Krise des Spätmittelalters«, erwachte ein Interesse am Orient, das den neuzeitlichen Orientalismus in vieler Hinsicht vorwegnahm. Es tauchten neue muslimische Welten auf, die anders waren als die arabische und arabisch-berberische, die den Europäern bis dahin vertraut war: zum einen der türkische Islam, der mit der Ankunft der Osmanen auf der anatolischen Halbinsel jene Züge annahm, die er bis in die Neuzeit bewahren würde; zum anderen die Turktataren Zentral- und Südasiens (die Konversion der Mongolen Persiens spielte hier eine entscheidende Rolle), die mit der großen timuridischen Ära im 16. Jahrhundert das indische Mogulreich gründeten. Das Krisenjahrhundert endete, wie wir sehen werden, mit der Demütigung der Christenheit durch die Türken unter Bayezid in der Schlacht bei Nikopolis 1396 und dem schrecklichen, schnell aufflammenden Meteor Tamerlan. In jenem Jahrhundert nahm jedoch auch der Niedergang der arabischen Welt seinen Anfang  – einer Welt, der der Prophet Mohammed angehörte und die bis ins 11. Jahrhundert unter der Hegemonie verschiedener ural-altaischer, aus Asien stammender Völker und Fürsten gestanden hatte: der türkischen Seldschuken und Danischmendiden; der kurdischen Ayyubiden-Dynastie; der Mamluken, einer heterogenen Gruppe von Militärsklaven, die ein schwer zu entschlüsselndes ethnisches Gemisch aus Turkvölkern, Slawen und Nubiern bildeten. Doch diese Welt verlor nun dramatisch an Bedeutung. Auch die arabisch-berberisch-iberischen Emirate Andalusiens verschwanden, wenngleich nicht vor Ende des 15. Jahrhunderts. Und vom alten arabischen Ursprung der sogenannten Barbareskenstaaten Nordafrikas sollte – mit

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Ausnahme der für religiöse, rechtliche und kulturelle Belange benutzten Sprache – gleichfalls nur wenig übrig bleiben. Erst im 19. Jahrhundert würde der französische Kolonialismus in Syrien und Libyen die arabische Welt und ihre ureigene Stimme wiederentdecken. Mit dem arabischen Nationalismus und dem »Aufstand in der Wüste« der Arabischen Halbinsel während des Ersten Weltkriegs kann man von der Rückeroberung einer schwierigen Identität sprechen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts betrachteten die Christen des Westens die Araber noch als die Hüter einer geheimnisvollen und furchteinflößenden Macht. Avicenna und Averroës, ohne die die Scholastik und die westliche Wissenschaft undenkbar sind, waren Araber oder wurden als solche betrachtet. Der Dominikaner und doctor universalis Albertus Magnus soll seine Lehrtätigkeit in Paris sogar in orientalischer Tracht angetreten haben, um sich in die große Tradition der Wissenschaft einzureihen. Zugleich klang hier ein magischer Unterton an, der in der westlichen Vorstellungswelt noch lange nachschwang. Vergessen wir nicht, dass Anfang des 14. Jahrhunderts, im Verlauf des Prozesses gegen die Templer, der Verdacht formuliert wurde, sie stünden mit den Ungläubigen im Bund, um die Christenheit zu vernichten. Die fratres Templi verehrten die obskure Gottheit

Porträt des osmanischen Sultans Bayezid I., zugeschrieben Cristofano dell’Altissimo, 16. Jh.

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Kapitel dreizehn 

Baphomet. Der Name erinnert an den des Propheten, den Raimundus Lullus als Mafumet wiedergab. Eine der gängigsten Darstellungen des Götzenbilds war ein Kopf: ein auf vielen Reliquienschreinen, den sogenannten Kephalotheken, auftauchendes Motiv, aber auch ein traditionelles Instrument der Weissagung. Einer Legende zufolge baute der »Magier« Albert von Köln (Albertus Magnus), der Lehrer des Thomas von Aquin, mithilfe der von den Arabern erlernten magischen Kunst einen wundersamen Automaten: einen sprechenden Kopf. Doch Thomas, der diesen Kopf erbte, musste ihn zertrümmern, weil seine Geschwätzigkeit ihn beim Denken störte. Im spätmittelalterlichen Europa verbreitete sich der Verdacht, die Ungläubigen könnten sich der okkulten Künste, die sie so meisterhaft beherrschten, bedienen, um der Christenheit zu schaden. Es gab auch beharrliche Gerüchte über von Muslimen angezettelte Verschwörungen, als deren Komplizen wahlweise Bettler, Leprakranke oder Juden galten. 1321 wurde in Südfrankreich ein schreckliches Komplott aufgedeckt: Es hatte angeblich die Übertragung von Lepra durch ein geheimnisvolles Pulver zum Ziel, das in Brunnen, Flüsse und Bäche gestreut werden sollte. Als Verschwörer bezichtigte man die Leiter einiger Leprakrankenhäuser, die angeblich mit der Unterstützung von Juden agierten. Drahtzieher im Hintergrund aber seien der Sultan von Babylonien und der »König« von Granada (später kamen der »König« von Tunesien, ja sogar die Könige von Jerusalem und von »Azor« sowie andere fragwürdige sarazenische Monarchen hinzu). Gelockt vom Versprechen auf viel Gold, vor allem aber aus Hass auf die Christenheit würden die Leprakranken ihrem Glauben abschwören. Und wäre Europa erst einmal von der Krankheit befallen, würden die Sarazenen angreifen und es erobern. All dies ging mit einer Neuausrichtung des Kreuzzugsgedankens einher. Zwar blieb Jerusalem für den Westen der Mittelpunkt der Welt, aber die Kreuzzüge fanden neue Ziele und richteten sich nun nicht mehr vorrangig auf die Heilige Stadt. Das kirchenrechtlich begründete System der Ablässe, die man durch die Teilnahme an Kreuzzügen erwerben konnte, war nach wie vor eng mit dem Wunsch nach einer Rückeroberung des Verlorenen verbunden. Doch der Fall der letzten Kreuzfahrerfestungen an der syrisch-libanesisch-palästinensischen Küste hatte klargemacht, dass kein Kreuzzugsprojekt, das auf eine militärische Gegenoffensive abzielte, wirklich noch umsetzbar war. Und so kam es, gestützt auf die auctoritates der Vergangenheit, zu einer Wiederbelebung der antimuslimischen Polemik, die auf den rein religiösen Aspekt abhob. Ein paar Jahre nach der Großen Pest reihte

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Francesco Petrarca in seinem Trionfo della fama (Der Triumph des Ruhmes) unter die berühmten Männer der Vergangenheit auch Gottfried von Bouillon ein. Zugleich verfasste er eine Invektive gegen die Prälaten, die das Instrument der crux cismarina schamlos für ihre politischen Zwecke contra christianos einsetzten, während das Heilige Land bereits verloren war, für immer, wie es schien. Viele pflichteten ihm bei, Katharina von Siena ebenso wie ein wenig bekannter Pilger des 15. Jahrhunderts, der Priester Mariano di Nanni aus Siena. Er ging irgendwann im späten Frühjahr oder Frühsommer 1431 in der Hafenstadt Jaffa an Land und reiste von dort weiter nach Jerusalem. Trotz seiner Sanftmut ließ er sich zu einer flammenden oratio excitatoria für einen neuen Kreuzzug hinreißen. Auf eine lange, scharfe Invektive gegen die Trägheit der Geistlichen und der christlichen Fürsten, die nur damit beschäftigt seien, einander zu bekämpfen, folgte eine Flut von Schmähungen seiner unfreundlichen Gastgeber: Sie seien »schmutzige Sarazenen, Schweine, Hunde, Mörder [...] Plünderer, Räuber«. Die Sarazenen, die schon Petrarca als »Hunde« bezeichnet hatte (»Seid stolz darauf, lasst es euch Christen munden, ihr Elenden, dass ihr mit euch nicht einig, dass Christi Grab in Händen ist von Hunden«), waren allerdings – jenseits ihres längst stereotypisierten Charakters – eine ganz andere Kategorie als die »schändlichen Leute«, wie Dante mit den Worten seines Ururgroßvaters Cacciaguida die Muslime nannte. Die hatten den Urahn der Alighieri während des zweiten Kreuzzugs ins Paradies geschickt, damit er dessen Freuden genießen konnte. Abgesehen von der Verachtung, die die Titulierung als Hund zum Ausdruck bringt – der Hund galt als eine schmutzige und niederträchtige Kreatur, ausgenommen nur der edle Windhund für die Jagd, der ein Symbol der Treue war –, klingt in Petrarcas Vers, vielleicht unbewusst, ein in den päpstlichen Bannbullen häufig verwendeter Topos an. Dort wird der rückfällig gewordene Häretiker als ein Hund bezeichnet, »der zu seinem Erbrochenen zurückkehrt«. Der sprichwörtliche »treulose Hund« besitzt somit ganz andere Eigenschaften als der in der Franziskusregel als Wolf bezeichnete Ungläubige, dem das Schaf gegenübergestellt wird: der Minoritenbruder, der unter die Ungläubigen gehen will. Für Franziskus ist die von den Muslimen ausgehende reale Gefahr ein Charakteristikum derer, die Christus als den höchsten Erlöser noch nicht kennen; dennoch vermeidet er – wie schon beim Wolf der Fioretti – ein negatives Urteil über ihre Natur. Petrarca hingegen wählt instinktiv oder bewusst einen Begriff, der mit seinem Bezug zur Häresie – und nicht zur Fremd- oder Andersartigkeit – des islamischen Glaubens entfernt auf die »Mahomet-Legende« anspielt, die

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Kapitel dreizehn 

den Propheten als einen Häretiker, Schismatiker und Renegaten darstellt. Dies war die lectio Thomas von Aquins und Dantes, die im gesamten Mittelalter bekannt und insbesondere der gelehrten – theologischen und kontroverstheologischen – Tradition geläufig war. Ihr zufolge war Mohammed nichts weiter als ein Abtrünniger vom wahren Glauben und der Islam eine christliche Irrlehre oder ein Sammelsurium ketzerischer Elemente unterschiedlicher Herkunft. Im Übrigen war in der scholastischen Theologie infidelis dem Ketzer oder Schismatiker inhaltlich näher verwandt als dem Heiden. Infidelis war derjenige, der den Glauben nicht annahm oder nicht an ihm festhielt, obwohl er Kenntnis davon besaß. Thomas von Aquin, der seiner Summa contra gentiles (Summe gegen die Hei­ den) den Untertitel Liber de veritate catholicae fidei contra errores infidelium (Buch über die Wahrheit des katholischen Glaubens gegen die Fehler der Ungläubigen) gab – wobei er den biblischen und paulinischen Begriff gentiles übernahm –, meint genau jene, die wir als Heiden bezeichnen. In diese Definition schließt er auch die Muslime ein, die Juden und Häretiker, die griechischen Schismatiker und generell alle »falschen Lehrer, deren Lehren von der Kirche verurteilt worden sind«. Thomas von Aquins Heiden unterscheiden sich damit grundlegend von dem Heiden bei Raimundus Lullus, der, allein dem Licht der natürlichen Vernunft vertrauend, außerhalb des göttlichen Gesetzes steht, zu dem er von den drei Weisen – einem Juden, einem Christen und einem Sarazenen – zurückgeführt wird. In der Deutung der Johannesapokalypse durch Joachim von Fiore entspricht »Mohammeds Gesetz des Fleisches« der Öffnung des vierten Siegels und dem fahlen Pferd, auf dem der Tod und das »vierte Tier« sitzen. Im Unterschied zu den anderen drei Gesetzen – dem der Juden, der Heiden und der Häretiker – widerspricht das Gesetz des vierten Tiers dem Gesetz Christi. Das mohammedanische Gesetz ist weder das mit der Ankunft Christi überwundene ursprüngliche Gesetz der Juden noch das natürliche Gesetz der Heiden und ebensowenig das von den Häretikern falsch interpretierte christliche Gesetz, sondern ein anderes, grundlegend falsches, weil fleischliches. Die Fleischlichkeit als Kern von Mohammeds Botschaft betonte auch Thomas von Aquin, und sie wurde zu dem am weitesten verbreiteten und geläufigsten christlichen Gemeinplatz über den Islam. Die Titulierung des Ungläubigen als »Hund« spielt also nicht nur auf die Häresie an – der Hund, »der zu seinem Erbrochenen zurückkehrt« –, sondern impliziert indirekt auch den Vorwurf von Wollust und Ausschweifung.

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Die Wiederkehr der Volksbewegungen Dies war das Erbe, mit dem sich die Menschen des 14. Jahrhunderts auseinanderzusetzen hatten, als die Kreuzzüge in unterschiedlicher Form ein Comeback erlebten. Es war ein »kurzes«, aber ereignisreiches Jahrhundert zwischen dem Ende des Templerordens 1314 und dem Kreuzzug von Nikopolis 1396. Europa erlebte eine lange Zeit der Krise und Not, verschärft durch Klimaveränderungen mit Missernten, wiederkehrenden Hungersnöten und der Zunahme von Krankheiten, die vor allem die Säuglinge und Alten dahinrafften. Höhepunkt war die große Pestepidemie 1347–1350, als nach drei Jahrhunderten stetigen demographischen Wachstums die Bevölkerung katastrophal zurückging. Anzeichen einer Erholung gab es erst hundert Jahre später. Die fatale Ereigniskette aus Seuchenausbrüchen und Hungersnöten prägte die Geschichte Europa bis ins erste Drittel des 17. Jahrhunderts hinein. Sie erzwang die Aufgabe von landwirtschaftlich genutzten Flächen, die erst unter dem starken demographischen Wachstumsdruck der vorausgehenden Jahrzehnte dem Sumpfland der Niederungen und dem rauen und kargen Boden des Berglands abgerungen worden waren. Dies führte zur Entvölkerung ganzer Dörfer und wirkte sich auch auf die Städte aus. Das wirtschaftliche, soziale, aber auch bürgerliche und kulturelle Leben erlitt schwere Einbußen. Der Wegfall von Einkünften aus Pacht und Zins ruinierte viele Grundherren und setzte eine unerbittliche Logik der Aneignung und Ausbeutung ländlicher Güter durch eine Schicht von »Neureichen« in Gang. Auf diese Weise verstärkten sich das soziale Gefälle auf dem Land und die Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen. Not und Elend führten zu Bauernaufständen, aber auch zu Revolten der untersten Bevölkerungsschichten in den Städten: von der französischen Jacquerie 1358 über eine Reihe von städtischen Erhebungen bis zum Bauernaufstand in England 1381. Es waren nicht nur Hunger und Unsicherheit, die diese Proteste beflügelten. Im erschütterten Europa jener Epoche tauchten neue Phänomene auf, insbesondere eine diffuse Sehnsucht nach Gerechtigkeit und sozialer Gleichheit. Es entstanden immer mehr religiöse Gruppen, die mit der Weltlichkeit und dem Fiskalismus der Kirche ihrer Zeit unzufrieden waren. Sie besannen sich auf die Bibel und vor allem auf die Evangelien und forderten die Rückkehr zu einem Leben im Geist der Lehre Jesu und des Evangeliums. Diese Stimmen waren aber auch Ausdruck einer wachsenden millenaristischen Unruhe. Im 14. und 15. Jahrhundert kursierten in Europa eine Vielzahl

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Kapitel dreizehn 

von Visionen und Prophezeiungen, verbunden mit einer gesteigerten Endzeiterwartung. Viele Menschen glaubten, die Erfüllung der in der Johannesapokalypse beschriebenen Ereignisse und die Ankunft der Horden des Antichrist und der Heerscharen des kommenden Christus stünden bevor. Die Ängste wurden genährt durch immer wieder neue Kriege, die endemisch waren wie Hungersnöte und Pestseuchen. Der »Hundertjährige Krieg«, der sich von Frankreich aus auf die Iberische Halbinsel ausbreitete, wurde von permanenten, oft lokalen Konflikten in Italien, aber auch in Mittel- und Osteuropa überlagert. Zwar wechselten Phasen der kriegerischen Auseinandersetzung mit manchmal auch längeren Friedenszeiten ab, aber diese waren vielleicht sogar schlimmer als der Krieg, da die europäischen Herrscher inzwischen auf Söldner zurückgriffen. Und ein arbeitsloses Söldnerkontingent konnte extrem gefährlich sein. Die Kriege hatten darüber hinaus wirtschaftliche Zerrüttung und Krisen wie den Konkurs der großen Florentiner Banken zur Folge, die zwischen 1342 und 1345 von der Zahlungsunfähigkeit eines besonders guten Kunden, des Königs von England, betroffen waren. In diesem Klima verbreitete sich eine wachsende Todesangst, die in Dichtung, Kunst und Musik ihren Ausdruck fand. Die stolzen Errungenschaften der Philosophie und Wissenschaft wurden infrage gestellt. Die hehre Welt der Theologen, Juristen und Ärzte, die sich ihrer selbst und ihres Wissens so sicher, aber außerstande waren, die Hungersnöte und Pestepidemien, die Kriege, die Gewalt der Aufstände, die Repressionen und die wachsende Not zu beenden, fiel langsam in sich zusammen. Und mit dem Aufstieg neuer, noch mächtigerer Könige und Fürsten schwanden auch die bürgerlichen und korporativen libertates. In dieser Situation entstand eine Volksbewegung, die in Idee und Praxis eng mit den Kreuzzügen verknüpft war. 1309 entflammte in den Niederlanden, in Frankreich und Deutschland infolge eines päpstlichen passagium eine neue Kreuzzugsbegeisterung. Zwar war das passagium ausschließlich für die Johanniterritter bestimmt, aber die Aufforderung an die Christenheit, das Unternehmen durch den Zehnten und durch Spenden zu finanzieren, befeuerte den Eifer. Das Volk Gottes sollte sich im Tausch für spirituelle Belohnung darauf beschränken, die Expedition der Kriegsprofis zu unterstützen. Doch im Verlauf des Frühjahrs ergriffen mehrere tausend Menschen zumeist niederen Standes aus England und der Picardie, aus Flandern, Brabant und Deutschland – landlose Bauern, Tagelöhner, verarmte Handwerker und Händler sowie ein paar vereinzelte Ritter – »das Kreuz, ohne die Bischöfe zu konsultieren«, wie es in den Annales Gandenses heißt. Sie zogen sine

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capite, führungslos, nach Avignon, in der Hoffnung, sich dem Heer der Johanniter anschließen zu können. Einige Gruppen versuchten, kleine Schiffe aufzutreiben, um die Donau hinunterzufahren, die meisten aber wollte übers Meer ins Heilige Land. Außerstande, sich selbst zu versorgen, begannen die pauperes um Almosen zu betteln. Es kam zu Raub, Plünderungen und Gräueltaten, deren Opfer die Juden wurden, denen sie unterwegs begegneten. In Born nördlich von Maastricht wurden mehr als hundert Juden getötet, zu weiteren Gewaltausbrüchen kam es in Löwen und Tienen. Die Horden belagerten sogar, wenn auch erfolglos, die Burg Genappe, in die sich die unter dem Schutz Herzog Johanns III. von Brabant stehenden Juden geflüchtet hatten. Im Juli erreichte also eine große Menschenmenge – Chroniken zufolge an die 30 000 Personen – die päpstliche Residenz Avignon und erbat vom Papst ein passagium generale, das ihr Handeln rechtfertigen sollte. Clemens beschloss, den Pilgern, die das Kreuz genommen hatten, sowie auch all jenen, die zuhause geblieben waren, aber für deren Anliegen beteten, einen hundertjährigen Ablass zu gewähren. Die Johanniter ihrerseits verweigerten ihnen kategorisch den Zutritt zu ihren Schiffen. Der Meute blieb nichts anderes übrig, als ungeordnet nach Hause zurückzukehren. Die Bewegung der pauperes und die Operation der Johanniter von Rhodos, die beide aus dem päpstlichen Aufruf hervorgegangen waren, zeigen deutlich, wie flexibel die Kreuzzüge als Institution und als Instrument zur Massenmobilisierung einsetzbar waren. Der sogenannte Hirtenkreuzzug von 1320 war die letzte große Volksbewegung dieser Art und zugleich die gewalttätigste, imstande, den sozialen Frieden zu erschüttern. Entsprechend wurde das Unternehmen vom Papst scharf verurteilt. Die teilnehmenden Gruppen waren äußerst heterogen: neben Hirten und Bauern, viele von ihnen sehr jung, auch Handwerker, Arme und Menschen vom Rand der Gesellschaft, aber auch ein paar versprengte Adlige, deren Leben im Zuge der Hungersnöte der vorausgehenden Jahre aus der Bahn geraten war und die das Abenteuer suchten. Die Bewegung entstand in Nordfrankreich, wahrscheinlich in der Normandie, um das Osterfest herum, das in jenem Jahr auf den 20. März fiel. Ihre Anführer waren ein Priester, der sein Gewand nicht mehr tragen durfte, und ein entflohener Mönch. Sie alle zogen nach Paris, das sie Anfang Mai erreichten, vielleicht auf Philipp V. von Frankreich bauend, der seit rund zwei Jahren auf ein neues passagium nach Outremer sann und damit illusorische Erwartungen geweckt hatte. Entschlossen, übers Meer ins Heilige Land zu gelangen und gegen die Ungläubigen zu kämpfen, zog die Menge weiter gen

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Süden, Richtung Languedoc, und verübte unterwegs alle mögliche Gräueltaten gegen den Klerus und die Juden, die zwischen Taufe und Tod wählen konnten. Sie wurden ihrer Güter beraubt, und ihre Bücher, in denen sie die Namen ihrer Schuldner verzeichnet hatten, wurden verbrannt. Regelrechte Massaker gab es in Verdun, Toulouse und Monclus. Der Dominikaner und Inquisitor Bernard Gui zeigte sich besorgt über das Ausmaß, in dem sich die Bevölkerung an der Zerschlagung der sozialen Ordnung beteiligte. Johannes XXII., der Nachfolger Papst Clemens’ V., fürchtete lange, dass eine steigende Flut von Pilgern in Avignon eintreffen könnte. Nachdem die Hirten und Bauern das Gebiet der Krone von Aragón erreicht hatten, wurde ihre Bewegung in der zweiten Julihälfte von königlichen Truppen niedergeschlagen. Viele wurden gehängt. Anderen gelang die Flucht und die Rückkehr nach Hause.

Die Kustodie des Heiligen Landes Volksbewegungen dieser Art lag unstreitig die Sehnsucht nach einem verklärten Jerusalem zugrunde, mit dessen Eroberung die Wiederherstellung der sozialen Ordnung und der Anbruch eines Goldenen Zeitalters einhergehen würden. Das irdische Jerusalem freilich verschwand nie ganz aus dem Blickfeld. Die Ausrufung des Heiligen Jahres durch Bonifatius VIII. im Jahr 1300 bedeutete zwar nicht zuletzt, dass man die Heilige Stadt praktisch ihrem Schicksal überließ, auch wenn dies nie offiziell zugegeben wurde. Aber obwohl man durch den Besuch der Gräber der Apostel Petrus und Paulus in Rom nun denselben Ablass wie durch eine Reise nach Outremer gewinnen konnte, kam die Pilgerfahrt nach Jerusalem nie ganz zum Erliegen. Sie verstärkte sich sogar erneut, verbunden mit neuen sozialen und wirtschaftlichen Bestrebungen, wie es zahlreiche erhaltene Tagebücher belegen. Neben den Namen von heiligen Stätten, neben Gebeten und spirituellen Betrachtungen verzeichnen die Tagebücher der Jerusalempilger Etappen, Reiserouten, Wechselkurse sowie die Kosten von Waren und Dienstleistungen nach Art von Handelsbilanzen. Hafenstädte wie Venedig richteten sogar einen Linienverkehr ins Heilige Land ein. Mit den Mamluken gab es im Übrigen, trotz der wiederholten päpstlichen deveta, schon seit Langem lukrative Handelsbeziehungen. Zwar forderten, wie bereits erwähnt, die meisten Traktate zur Rückgewinnung des Heiligen Landes eine Wirtschaftsblockade gegen Ägypten, um den Sultan zu Ver-

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handlungen und zur Abtretung von Jerusalem im Tausch gegen eine wiederhergestellte Handelsfreiheit zu zwingen. Aber die europäischen Kaufleute standen einem solchen Ansinnen ablehnend gegenüber. Als im Jahr 1322 Papst Johannes XXII. versuchte, Venedig öffentlich zu demütigen, indem er diejenigen exkommunizierte, die mit Ägypten Handel trieben, beriefen sich die Regierenden der Stadt – nachdem sie zunächst eingelenkt hatten, vielleicht um Zeit zu gewinnen – auf die Meinung des in Padua lehrenden Juristen Rizzardo Malombra aus Cremona. Und der hielt den Handel mit allen Waren für zulässig, die nicht zum kriegerischen Einsatz geeignet waren. Dass der Papst diese Auffassung für ketzerisch erklärte und gegen Malombra eine Untersuchung einleitete, konnte die Fortsetzung des Handels nicht verhindern. Die Mamluken verhielten sich konziliant. Sie privilegierten den Islam, respektierten aber auch die Rechte der Juden und Christen. Sie waren korrekt und nicht allzu ausbeuterisch gegenüber den Pilgern, deren Wegzoll die Kassen des Sultans, aber auch der muslimischen Kaufleute füllte. Die Mamlukensultane trugen auch das Ihre zur Verschönerung Jerusalems bei. Sie restaurierten die Mauern und erneuerten das Areal des al-Haram al-qudsī al-sharīf (Edles Heiligtum der Heiligen Stadt), indem sie einige Minarette hinzufügten und um den Felsendom die eleganten offenen Bögen (al-mawazin, die Waagschalen) errichteten, wo nach islamischer Überlieferung beim Jüngsten Gericht die Waagen aufgehängt werden würden, um die Seelen zu wiegen. Auch zahlreiche Medresen wurden gebaut. Zur Erleichterung ihrer Herrschaft spielten sie die unterworfenen Glaubensgemeinschaften gegeneinander aus, wenngleich stets auf moderate Weise. Sie begünstigten die Christen – und besonders die Franziskaner – gegenüber den Juden. Die Franziskaner genossen die Unterstützung zuerst der Aragonesen, dann der angiovinischen Könige Neapels, mit denen die Sultane in Kairo gute Beziehungen unterhielten. Ab 1305 gibt es Belege für einen ersten Versuch der Minoriten, mit Rückhalt König Jakobs II. von Aragón das Territorium des Sultans erneut zu betreten. Nach dem Fall von Akkon 1291 hatten die wenigen überlebenden Brüder in Zypern Zuflucht gefunden, wohin sie einen Teil ihres kleinen Archivs gebracht hatten (tatsächlich blieb der Sitz des Provinzialministers des Heiligen Landes bis 1470 Nikosia). Durch Vermittlung des aragonesischen Königs, der sich beim Sultan al-Nāṣir al-Dīn Muḥammad um Zusicherungen für die Lateiner bemühte, die sich auf Pilgerreise zu den heiligen Stätten begeben wollten, konnten die Minoriten ins Heilige Land zurückkehren. In jenem Jahr begab sich eine Gruppe von

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ihnen unter Leitung eines gewissen Angelo da Spoleto nach Kairo, um die in mamlukischen Gefängnissen eingekerkerten Christen zu besuchen, von denen viele im Zuge der Belagerung von Akkon gefangen genommen worden waren. Im Verlauf der folgenden zwanzig Jahre erhielten sie die Erlaubnis zur Übersiedlung nach Jerusalem. In diesem Zusammenhang steht der nachfolgend zitierte Ferman, ein Erlass der mamlukischen Kanzlei, vom 11. Juli 1309 (nicht von al-Nāṣir, sondern aus der Zeit des kurzen Interregnums von al-Muẓaffar Baibars): Es traten vor uns einige fränkische Ordensbrüder, die im Kloster auf dem Zion in Jerusalem, beim Heiligen Grab und in Bethlehem ansässig sind, und das sind die Brüder mit dem Strick. Und es erschienen hier auch einige fränkische Ordensbrüder, die nicht Brüder mit dem Strick sind und sich an die Stätten Jerusalems und an die anderen oben genannten Orte begeben. Jene aber haben erlauchte Dekrete in der Hand, in denen verfügt ist, dass es keinen anderen fränkischen Ordensleuten außer den Brüdern mit dem Strick gestattet ist, sich in Jerusalem niederzulassen, und dass andere kein Aufenthaltsrecht besitzen. Unser hier vorliegendes Dekret verfügt, dass das hohe Tribunal der Bittschrift der oben genannten Ordensbrüder stattgibt und es anderen fränkischen Ordensleuten als den Brüdern mit dem Strick nicht gestattet, sich in Jerusalem und an den in der Bittschrift genannten Stätten niederzulassen. Es dürfen sich also in Jerusalem und an den oben genannten Stätten nur die Brüder mit dem Strick niederlassen, keine anderen. Und sie sollen entsprechend den erlauchten Dokumenten behandelt werden, in deren Besitz sie sind, und werden dabei von unserer Seite wärmstens unterstützt. Es wird angeordnet, ihnen die gebotene Achtung zu erweisen und zu verhindern, dass jemand sich ihnen entgegenstellt, in dieser wie auch in anderen Angelegenheiten. Wir wissen nicht, inwieweit diese Verfügung Wirksamkeit erlangte. Das Dokument spricht zwar ausdrücklich von der Präsenz von Ordensbrüdern im Kloster auf dem Zionsberg, beim Heiligen Grab und in Bethlehem, aber es existieren keine anderen Dokumente, die dies belegen. Die ersten Berichte von Pilgerreisen aus den 1320er-Jahren, also nach der Katastrophe von Akkon, deuten jedoch darauf hin, dass die Christen die heiligen Stätten relativ frei und ungehindert besuchen konnten. Das trifft zum Beispiel auf den Dominikanermönch Francesco Pipini

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aus Bologna zu, der im Jahr 1320 Jerusalem und das Heilige Land bereiste. Nach seinem Bericht war nur die Himmelfahrtskapelle verunstaltet worden: Man hatte den Stein mit dem Fußabdruck Jesu so in eine Wand eingemauert, dass das heilige Zeichen nicht mehr sichtbar war. Ein anderes Beispiel ist der englische Minorit Symon Semeonis, der sich drei Jahre später in Venedig auf einem Handelsschiff nach Alexandria einschiffte und die Auferstehungskirche und die Jakobuskirche auf dem Zionsberg besuchte. Am 9. August 1328 autorisierte Papst Johannes XXII. den nach wie vor in Zypern residierenden Provinzialminister des Heiligen Landes, pro Jahr zwei Ordensbrüder zu den heiligen Stätten zu schicken. 1333 erwarb König Robert von Neapel – neben dem König von Zypern einer der nominellen Anwärter auf die Krone von Jerusalem – vom Sultan das Besitzrecht am Coenaculum oder Abendmahlssaal, das er 1342 an die Minoriten abtrat. Im selben Jahr legitimierte Clemens VI. mit den Bullen Gratias agimus und Nuper carissime die Wiederansiedlung der Franziskaner im Heiligen Land. Dies waren die Etappen, die zur Gründung der Kustodie des Heiligen Landes führten, die bis heute existiert. Möglicherweise geriet dadurch das Projekt eines neuen Kreuzzugs zur Rückeroberung der heiligen Stätten noch mehr aus dem Blick, denn das Heilige Land war jetzt immerhin vollständig zugänglich, auch wenn die Mamlukenherrschaft spürbar blieb: So verhinderten die Mamluken die Restaurierung der beschädigten Kultstätten der unterworfenen Gemeinschaften. Aus diesem Grund präsentierten sich zahlreiche christliche Kirchen den Pilgern und Reisenden in einem erbärmlich verwahrlosten Zustand – ein Verfall, der im 19. Jahrhundert dem Geschmack der Reisenden und Maler der Romantik entgegenkam. Der Rückeroberung Jerusalems gänzlich abzuschwören war dennoch keineswegs allgemeiner Konsens. Eine offizielle Verzichtserklärung gab es nie, im Gegenteil war in Proklamationen und Aufrufen von Päpsten, Herrschern, Predigern und Mystikern bis ins 18. Jahrhundert hinein von einer Wiedergewinnung der heiligen Stadt die Rede. Und weder die neapolitanischen Anjou noch die zypriotischen Lusignan verzichteten auf den formellen Titel des Königs von Jerusalem samt Wappen. Im Zuge von Heiratsbündnissen ging der Titel auf die Habsburger, die Savoyer und die Bourbonen über, die die Bezeichnung König von Jerusalem bis heute führen. Auch in den Erinnerungen vieler Jerusalempilger begegnet, mit unterschiedlich starkem Nachdruck, der Wunsch oder Traum einer Rückeroberung, der im Jahrhundert des avignonesischen Papsttums regelrecht wieder aufblühte. Nachdem sich die Rolle der Ritterorden erschöpft hatte (die Templer waren auf-

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gelöst worden, und die Johanniter waren jetzt tüchtige Seefahrer, die sich an der Verlagerung der Kreuzzugsziele aktiv beteiligten), waren die letzten echten Kreuzzügler in der tieferen Bedeutung des Wortes – deren Gewand und im übertragenen Sinn auch deren Körper mit dem Kreuz Christi bezeichnet war – die franziskanischen Minoriten und mit ihnen alle Pilger, die weiterhin nach Jerusalem reisten. Als den Kreuzzügen ebenbürtig wurden allerdings die militärischen Expeditionen gegen die Mauren auf der Iberischen Halbinsel betrachtet. Berühmt ist etwa der Feldzug, den der Schotte James Douglas, ein enger Gefolgsmann von Robert Bruce, im Jahr 1330 gegen Granada führte. Das ursprüngliche Ziel dieser Unternehmung war es, das in einem silbernen Behälter aufbewahrte Herz des schottischen Königs nach Jerusalem zu bringen. Aber ob es gegen die Heiden Nordosteuropas ging, gegen die türkischen Fürstentümer Anatoliens, gegen Häretiker oder politische Feinde des Papsttums, die als mali christiani und »schlimmer als die Sarazenen« betrachtet wurden – moralisch und symbolisch begleitete das Heilige Land jede Expedition, die sich mit dem Kreuzzugsgelübde schmückte.

Zwischen Smyrna und Alexandria Die Kreuzzüge des 14. Jahrhunderts waren ein wirk- und bildmächtiger »Frühlingskrieg«, zu dem man bei ruhigem, schönem Wetter aufbrach. Sie richteten sich gegen die Herrscher von Jerusalem, die Mamluken, aber auch gegen jene türkischen Stämme, die seit dem Ende des 13. Jahrhunderts begonnen hatten, Anatolien zu erobern. Wie bereits erwähnt, war schon früh Osmans Stamm hervorgetreten, der sich zwischen Söğüt und Bursa nahe der byzantinischen Grenze ansiedelte. In den 1230er-Jahren wurde Osmans Stamm vom Mongolensturm aus Zentralasien in Richtung Westen gedrängt und stellte sich in den Dienst des Sultanats Konya, das von den Mongolen auf der einen und den Mamluken auf der anderen Seite in die Zange genommen wurde. Osmans Nachfolger Orhan nutzte die Streitigkeiten zwischen den Prätendenten auf den mittlerweile brüchigen Thron in Konstantinopel – Andronikos II. und Andronikos III. und danach Johannes V. und Johannes VI. Kantakuzenos –, um dem einst so mächtigen Byzanz Bithynien mit Bursa, Iznik (das antike Nicäa) und Gallipoli an den Dardanellen zu entreißen. Damit sicherte er sich die Kontrolle über die Meerengen und den Zugang zum Balkan. Die Vorherrschaft in Anatolien wurde ihm vom turkmenischen Herrscher des Emi-

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rats Aydın, Umur Bey, streitig gemacht. Dessen Hauptstadt lag an der Küste, in Smyrna, das ein Piratennest geworden war. Zwischen 1332 und 1334 versuchten der byzantinische Kaiser Andronikos III. Palaiologos und der französische König Philipp VI. aus dem Haus Valois die Stadt gemeinsam zu erobern. Die Operation führte zu nichts, sie ermöglichte Umur Bey sogar den Ausbau seiner Macht. 1344 schlossen sich Venedig, Zypern und die Johanniter von Rhodos zu einer sancta unio zusammen und stellten eine große Flotte auf. Am 28. Oktober besetzte eine Streitmacht unter Führung des lateinischen Patriarchen von Konstantinopel, Heinrich von Asti, den Hafen und die untere Burg. Umur Bey gelang es zwar, die verlorenen Positionen zurückzuerobern, gleichwohl hatte sein Ansehen irreparabel Schaden genommen. Unterdessen ließ Clemens VI. einen Kreuzzug zur Unterstützung Smyrnas predigen. Dem Aufruf leistete ein ehrgeiziger Adliger begeistert Folge: Humbert, der Dauphin von Viennois, den der Papst als »Generalkapitän« an die Spitze einer Expedition stellte. Ende August 1345 brach Humbert von Marseille nach Venedig auf und sammelte unterwegs eine nicht geringe Zahl von italienischen crucesignati. Im November stach er Richtung Negroponte in See und erreichte nach einem geglückten Angriff auf Mytilene im Juni 1346 Smyrna. Er befestigte die untere Stadt, wobei er Chios als Stützpunkt nutzen konnte. Chios war im Frühjahr einer genuesischen Staatsgläubigergemeinschaft, einer maona, in die Hände gefallen, die die Insel unter Ausbeutung ihrer Ressourcen verwaltete (bis 1566 importierten die Genuesen von dort Mastix). Die Venezianer waren verärgert über die Vorteile, die sich die Genuesen in der Ägäis verschafft hatten, und verbündeten sich ihrerseits mit dem serbischen Zar Stefan Dušan, der sich nichts Geringeres als die Eroberung Konstantinopels vorgenommen hatte. Die Kaiserstadt wurde damals von einem Bürgerkrieg zwischen den Parteien des Regenten Johannes VI. Kantakuzenos und der Kaiserinmutter Anna von Savoyen heimgesucht. Die Genuesen hatten zwar unterdessen einen Angriff der Tataren auf ihren Stützpunkt Caffa auf der Krim hinnehmen müssen, erhielten aber als Belohnung für ihre fortgesetzten Kriegsanstrengungen vom Papst die Erlaubnis zum Handel mit Ägypten. Der Ausbruch der Pestepidemie, die mit genuesischen Schiffen nach Europa eingeschleppt worden war, drängte zu einer raschen Lösung des Konflikts. Zwischen April und Mai 1347 besiegte die Streitmacht des Dauphins mit Unterstützung der Johanniter vor der Insel Imbros eine turkmenische Flotte der Emirate Aydın und Saruhan. Umur Bey fiel in Smyrna, als er versuchte, die untere Stadt zurückzuerobern, die

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1350 an die Johanniter abgetreten wurde. In einem am 18. August 1348 unterzeichneten Vertrag erhielten die Türken die Kontrolle über die obere Burg, während sich die Venezianer bedeutende Handelsprivilegien sichern konnten (1402 wurde das Territorium von Tamerlan erobert). Humbert II., der naive Held des Kreuzzugs von Smyrna, ging leer aus. Auf der Rückreise verlor er obendrein seine geliebte Gemahlin und wurde von englischen Korsaren ausgeraubt. Müde und enttäuscht wandte er sich von der Welt und ihrer Pracht ab und zog die Kutte der Dominikanermönche an. In der Folge brachte er es immerhin noch zum lateinischen Patriarchen von Alexandria und später zum Erzbischof von Reims. An dem Bündnis von 1343 hatte sich auch der König von Zypern, Hugo IV. von Lusignan, beteiligt, der 1324 Heinrich II. auf dem Thron gefolgt war. Der gebildete und energische Herrscher hatte sich bemüht, nach den dramatischen Ereignissen der Jahre 1309/10 sein Reich erneut zu befrieden und die Zusammenarbeit zwischen der Krone, dem Adel und den Kaufmannsgilden wieder in Gang zu bringen, ohne auf seine herrscherlichen Privilegien zu verzichten. Die Insel Zypern bildete eine vorgerückte Bastion der Kreuzzugsbewegung, so sehr die mamlukische Eroberung des Hafens von Ayas (Laiazzo) an der kilikischen Küste – wo die Karawanenstraßen vom Schwarzen Meer und vom Persischen Golf zusammenliefen – ihre Bedeutung geschmälert hatte. Dennoch gab Hugo der Versuchung nicht nach, darauf zu drängen, dass aus dem Feldzug gegen Smyrna ein passagium generale gegen Ägypten wurde, mit dem er gute Beziehungen unterhielt. Sein Nachfolger Peter jedoch, der ein glühender Befürworter des Kreuzzugs war und 1358 den Thron bestieg, zog gegen Alexandria. Von ganz anderem Temperament als sein Vater, war er weder gelehrsam noch ein Mann des Friedens, sondern hegte den mystisch und ritterlich geprägten Traum von Kreuzzugsruhm. Kaum war er auf dem Thron, griff er die türkischen Emirate entlang der Küste an und besetzte 1361 Korykos und Satalia (Antalya). Bis hierher schienen seine Operationen plausibel: Es ging darum, Überfälle zu verhindern und die zypriotische Hegemonie über den nördlichen Quadranten des Levantinischen Meeres zu stärken. Doch ausgehend von den Kreuzzugsplänen, die nach dem Fall von Akkon erarbeitet worden, aber toter Buchstabe geblieben waren, strebte Peter auch nach der Rückeroberung des Heiligen Landes. Eine Belagerung und wirtschaftliche Blockade Ägyptens sollte den Sultan in Kairo dazu bewegen, Jerusalem der Christenheit zurückzugeben. Mit diesem Ziel unternahm er im Herbst 1362 eine ausgedehnte Europareise, um bei den Königen Frankreichs und Englands (deren

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Zweikampf zwischen einem Kreuzritter und einem Muslim, aus dem Luttrell-Psalter, geschrieben für Sir Geoffrey Luttrell of Irnham, um 1340, London, British Library.

Krieg gerade pausierte) sowie bei einigen deutschen Fürsten für die Unterstützung eines passagium particulare zu werben, als Auftakt für ein umfassenderes pass­ agium generale. Dieses wurde 1364 von Papst Urban V. in Anwesenheit Karls IV. von Böhmen in Avignon ausgerufen. Der Kreuzzug wurde von Peters Kanzler Philippe de Mézières unterstützt, einem Mann von entschlossenem Charakter. Er hatte am Kreuzzug von Smyrna teilgenommen, in dessen Verlauf er für seine Tapferkeit zum Ritter geschlagen worden war. Im Jahr 1347 hatte er eine Pilgerreise nach Jerusalem unternommen. Nachdem er in den Dienst Hugos IV. von Zypern getreten war, befreundete er sich mit dem jungen Prinzen, der ihn nach seiner Krönung zum Kanzler ernannte. Mit seiner Hilfe und mit Unterstützung des päpstlichen Legaten Pierre Thomas gelang es Peter, eine große Flotte aus 165 Schiffen und eine Streitmacht von Franzosen, Engländern, Zyprioten, Johanniterrittern und anderen aufzustellen, insgesamt 10 000 Mann und 1400 Ritter. Die Flotte versammelte sich vor Rhodos. Das Ziel des Unternehmens wurde zunächst geheim gehalten, trat aber rasch zutage. Am 9. Oktober 1365 gelangten die Kreuzfahrer in Sichtweite des Hafens von Alexandria. Am Tag darauf erfolgte ein Angriff, der sich auf einen unverteidigten Abschnitt der Stadtmauer konzentrierte. Schon am Abend war Alexandria eingenommen, und es begann eine brutale Plünderung. Rund 5000 Gefangene wur-

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den gemacht. Auch die Handelshäuser der Venezianer, Genuesen, Katalanen und Marseiller wurden ausgeraubt. Der venezianische Konsul der Stadt, Andrea Venier, verlor dabei sein Leben. Die Eroberung, die ein prestigeträchtiges Unternehmen hätte sein können, wandelte sich schnell zu einem tragischen Fiasko. Einem Ansturm der Mamluken, deren Heer bereits unterwegs war, hätte nämlich niemand standhalten können. Unterstützt von Pierre Thomas und Philippe de Mézières plädierte Peter in einem Kriegsrat leidenschaftlich für eine Verteidigung der Stadt, die ein wichtiger Stützpunkt für die Eroberung Ägyptens und des Heiligen Landes werden sollte. Doch die meisten Beteiligten, darunter auch die Johanniter, waren anderer Ansicht. Alexandria musste geräumt werden. Guillaume de Machaut zufolge, dessen Verschronik La prise d’Alexandrie eine der Hauptquellen für den Feldzug darstellt, war der König der Letzte, der von der Küste ablegte, als die mamlukischen Truppen bereits in der Stadt waren. Die Vergeltung ließ nicht auf sich warten und traf alle lateinischen Kaufleute: Ihre Güter wurden beschlagnahmt und ihre Handelsgeschäfte blockiert. In aller Eile schickte Venedig die Gesandten Francesco Bembo und Pietro Soranzo nach Kairo. Mit einiger Mühe konnte man im Jahr darauf zu einer Normalisierung des Handels zurückkehren. Peter jedoch gab nicht auf, sondern griff weiter die anatolische und syrisch-libanesische Küste an. In den Jahren 1367/68, auf einer neuen Werbetour zu den europäischen Höfen, versuchte er nochmals, die christlichen Mächte des Westens zur Teilnahme an einem Kreuzzug zu bewegen, aber ohne Erfolg. Er wurde am 17. Januar 1369 ermordet, vielleicht auf Betreiben seiner Brüder. Erfolgreich war er letztlich nur darin gewesen, Beziehungen zum venezianischen Geschlecht der Cornèr zu knüpfen, die ihn in der Lagunenstadt beherbergt hatten. Philippe de Mézières zog sich in die Einsamkeit eines Klosters zurück und widmete sich dem Studium der Bibel, blieb aber dem Kreuzzugsideal bis zuletzt treu.

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Kapitel vierzehn

Eine europäische Leidenschaft Die Söhne Osmans Befeuert durch Nachrichten über die Probleme, mit denen das Byzantinische Reich zu ringen hatte, flammte in den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts in Europa eine neue Kreuzzugsleidenschaft auf. Wenngleich reichlich spät, erkannte man nun, dass der unbequeme türkische Verbündete, dessen sich Kantakuzenos bedient hatte, um an die Macht zu kommen, die Hauptstadt umzingelte und fast schon im Würgegriff hatte. Hilfe konnte vielleicht von dem serbischen Zar Stefan Dušan kommen. Dem war es fast gelungen, den Balkan zu einen, indem er auf den Ruinen der byzantinischen Verwaltung einen starken Staat aufbaute. Doch er starb 1355, und diese Gelegenheit nutzte Orhan, um weiter vorzurücken und 1361 Adrianopel zu erobern, das heutige Edirne. Dort gründete sein Nachfolger Murad I. 1366 die neue Hauptstadt mit der klaren Absicht, in die Donauebene und an die Adria vorzudringen. Eingezwängt zwischen Thrakien und Bithynien, beide in der Hand der Osmanen, war das Byzantinische Reich auf wenig mehr als die Hauptstadt und das Gebiet um den Bosporus geschrumpft. Türkische Seeräuber durchstreiften das Ägäische Meer und machten den genuesischen und venezianischen Schiffen das Leben schwer. Nun, da die osmanische Gefahr fast schon die Donau bedrohte, merkte man in Europa plötzlich, dass die Zeit drängte. Eine von Papst Innozenz VI. in Avignon einberufene Versammlung endete mit einem Fiasko. Es gelang nur, das übliche Bündnis zwischen Venedig, Zypern und den Johannitern wiederzubeleben, das sich in einem nutzlosen Angriff unter Führung des päpstlichen Legaten Pierre Thomas auf die Dardanellen erschöpfte. Aber 1361

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Kapitel vierzehn 

konnten die Osmanen vor den Mauern Konstantinopels ungestört ihre Macht demonstrieren. 1366, fast als wollte er den Feldzug nach Alexandria wiedergutmachen, entschloss sich eine außergewöhnliche Persönlichkeit zum Kampf gegen die Türken: Amadeus VI. von Savoyen, der Grüne Graf, der Philippe de Mézierès persönlich kennengelernt hatte. Er stach von Venedig aus mit einer bescheidenen Flotte in See, für deren Finanzierung er sich bei einigen Lyoneser Bankiers bis über beide Ohren verschuldet hatte. Am 2. August erreichte er Negroponte. Seine Absicht war es, sich mit Ludwig I. von Ungarn und Johannes V. Palaiologos zu einer koordinierten Vorgehensweise abzustimmen. Doch der byzantinische Kaiser war einem Hinterhalt zum Opfer gefallen und von den Bulgaren als Geisel genommen worden. Amadeus segelte weiter nach Thrakien. Am 26. August eroberte er die osmanische Festung Gallipoli an den Dardanellen, der wichtigsten Übergangsstelle der Türken nach Europa. Am 4. November erreichte der Grüne Graf Konstantinopel. Mit dem Rückhalt des Kaisers und der Unterstützung genuesischer Schiffe unternahm er einen neuen Feldzug gegen die Bulgaren, bei dem er Sozopolis und Mesembria am Schwarzen Meer einnahm, aber auf die Eroberung des gut befestigten Varna verzichtete. Kurz danach wurde Johannes V. freigelassen. Nachdem Amadeus alle seine Mittel erschöpft hatte, war er außerstande, in einem weiteren Feldzug gegen die Türken vorzurücken. Am 9. Juni 1367 verließ er Pera und kehrte nach Savoyen zurück. Im Jahr 1370 bestieg Kardinal Pierre Roger als Gregor XI. den Papstthron, ein programmatischer Name, denn Gregor hießen mindestens drei große Päpste, die von Kreuzzügen in den Orient geträumt hatten. 1371 propagierte er ein passagium generale, während er zugleich die Rückkehr des Papsttums aus Avignon nach Rom vorbereitete. Dies waren die Eckpunkte Porträt Sultan Murads, 17. Jh. seines Programms, das von den bei-

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den großen prophetissae der Christenheit jener Zeit begrüßt wurde: Birgitta von Schweden und Katharina von Siena. Für einen weiteren Kreuzzug, zu dem der Papst im Jahr 1375 aufrief, hoffte Katharina auch die marodierenden Söldnerscharen zu mobilisieren, die auf diese Weise die Gelegenheit erhalten sollten, sich mit Gott zu versöhnen. Darüber hinaus sollte das Unternehmen auch zum Frieden oder wenigstens Waffenstillstand in dem nicht enden wollenden französisch-englischen Krieg beitragen. Für die Teilnahme an dem passagium hatte die Heilige aus Siena den Bruder des französischen Königs Karl V., Ludwig, den Herzog von Anjou, gewinnen können. Doch ihre Hoffnungen zerbrachen an der harten politischen Realität. Mit der Rückkehr des Papstes nach Rom begann keineswegs die lang ersehnte Erneuerung der Kirche, vielmehr kam es zum sogenannten Großen Abendländischen Schisma. In England und Frankreich, die noch immer vom langen Krieg zermürbt waren, bestiegen ein Kind, Richard II., und ein Wahnsinniger, Karl VI., den Thron. 1381 fand in England der von Wat Tyler angeführte Aufstand statt, während Flandern durch den Aufstand der Genter Weber im Jahr 1382 verwüstet wurde, in dessen Gefolge es zu Erhebungen auch in Paris und Rouen kam. Gleichzeitig dezimierte eine neue Pestepidemie die europäische Bevölkerung. Die politischen und sozialen Umwälzungen auf dem Kontinent, wiederkehrende Epidemien, die Kirchenspaltung, die Furcht vor einem Ansturm der Türken, die Propaganda von Glaubensgruppen, die wenn nicht ketzerisch, so doch zumindest nonkonformistisch waren und die Rückkehr zur Reinheit der Urkirche forderten, aber auch das näher rückende Ende des Jahrhunderts nährten Hoffnungen und Ängste und begünstigten die Ausbreitung endzeitlicher Prophezeiungen und religiöser Volksbewegungen. Zwischen 1378 und 1380 kursierte in Europa eine Prophezeiung, der zufolge der Papst in Avignon und der französische König die Protagonisten einer ökumenischen renovatio sein sollten, dank derer die Kirche gereinigt und Jerusalem befreit werden würde. Einen Traktat desselben Inhalts widmete der Eremit Telesphorus von Cosenza im Jahr 1386 dem Dogen von Genua, um ihn in die französisch-päpstliche Allianz einzubinden. Es erblühten apokalyptische Phantasien wie die von Philippe de Mézières, Verfasser des Songe du vieil pélerin und Gründer eines neuen religiösen Ordens, der Nova religio passionis Jesu Christi. Einem alten und nie erfüllten Plan vieler Theoretiker des Kreuzzugsgedankens entsprechend sollte dieser Orden die religiös-militärischen Orden einen und ersetzen. Ein anderes

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Giorgio Vasari, Allegorie der Rückkehr Papst Gregors XI. nach Rom in Begleitung Katharinas von Siena, 2. Hälfte 16. Jh., Vatikan, Sala Regia.

Agostino di Duccio, Die heilige Birgitta von Schweden empfängt die Regel ihres Ordens, 1459, New York, Metropolitan Museum of Art.

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Beispiel ist Jean Le Meingre, der berühmte »Marschall Boucicaut«, ein Jerusalempilger, der von neuen Kreuzzügen träumte und Ritterorden zur Verteidigung der edlen Damen gründete.

Mahdia, 1390 Die Kreuzzüge der 1340er- bis 1380er-Jahre hatten vieles gemeinsam, angefangen mit ihrem Beutezugcharakter, dem die Aura der Ritterlichkeit verliehen wurde. Man neigte dazu, den Feind als einen einheitlichen Akteur anzusehen, doch die muslimische Welt war in Wirklichkeit äußerst vielgestaltig. Das Kalifat von Bagdad existierte nicht mehr. Die Mauren Spaniens, nur noch auf das nasridische Emirat von Granada beschränkt, waren eine weit entfernte, diffuse Realität, was sich freilich für die christlich-iberischen Reiche anders darstellte. Ägypten und Syrien wurden von der Handelskonkurrenz der Genuesen und Venezianer bedrängt, und im Mittelmeer verstärkte sich die Präsenz der Katalanen. Die arabisch-berberischen Fürstentümer Nordafrikas hatten ihre Fähigkeit, die Geschehnisse im Mittelmeer zu beeinflussen, seit Langem eingebüßt, und wurden immer wieder von christlichen Angriffen heimgesucht. Betrachten wir den Kreuzzug von 1390, der eine Antwort auf den sarazenischen Kaperkrieg mit seiner Operationsbasis an der nordafrikanischen Küste sein sollte. Ende 1389 entsandte Genua eine Delegation nach Toulouse, um Karl VI. von Frankreich für ein gemeinsames Handeln zu gewinnen. Ziel sollte die Hafenstadt Mahdia sein, das wichtigste Handelszentrum der Hafsiden-Dynastie. Im Jahr zuvor hatten die Genuesen unter dem Kommando von Raffaele Adorno eine Flotte an die nordafrikanische Küste geschickt. Unterstützt von einigen pisanischen und sizilianischen Galeeren, hatten sie die Insel Dscherba erobert, mit der Manfredi III. Chiaramonte, Graf von Modica, belehnt wurde. Genua hatte Interesse an einem Hafen, über den es den Bezug afrikanischer Produkte, insbesondere des subsaharischen Goldes, und ihren Weitervertrieb kontrollieren konnte. In Toulouse boten die genuesischen Gesandten dem König Schiffe und Proviant für eine Kreuzzugsexpedition mit einem französischen Fürsten königlichen Bluts an der Spitze. Sie sicherten zu, für den Sold der Bogenschützen und bewaffneten Männer über die gesamte Dauer der Mission aufzukommen. Der Vorschlag fand bei einigen Mitgliedern des französischen Hofes begeisterte Zustimmung, besonders bei Ludwig II., dem Herzog von Bourbon, einem

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Belagerung von Mahdia, 1390, Farblithographie nach einer Miniatur der Chroniques von Jean Froissart (14. Jh.), Paris, Bibliothèque nationale de France. Man beachte die großen Bombarden und die genuesischen Bogenschützen.

Onkel des Königs und Veteran des Hundertjährigen Kriegs. Er verlangte für sich das Oberkommando des Kreuzzugs, das ihm von Karl VI. nach einigem Zögern übertragen wurde. Die Genuesen stellten achtundzwanzig Galeeren und achtzehn Transportschiffe mit der notwendigen Ausrüstung zur Verfügung, weitere Schiffe wurden möglicherweise von den teilnehmenden Mächten beigesteuert. Die Flotte stand unter dem Befehl des Genuesen Giovanni Centurione, der an der Eroberung von Dscherba beteiligt gewesen war. Ludwig von Bourbon bekam den Titel eines Generalkommandeurs. Die Flotte sollte Ende Juni 1390 von Genua aus in See stechen. Wegen Schwierigkeiten mit der Versorgung wurde dann jedoch Marseille gewählt, wohin zahlreiche Fußsoldaten und Ritter strömten, darunter einige Vertreter des französischen Hochadels wie Philipp d’Artois, Connétable von Frankreich, Jean de Vienne, Admiral von Frankreich, und Geoffroy de Charny, Sohn des gleichnamigen Verfassers des Livre de chevalerie, dessen Familie Eigentümerin des heute als Turiner Grabtuch bezeichneten Leintuchs war (dessen Authentizi-

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tät als Grabtuch Christi Clemens VII. am 6. Januar 1390 öffentlich dementiert hatte). Merkwürdigerweise erteilten sowohl Papst Clemens als auch sein römischer Gegenspieler Papst Bonifatius IX. (das Abendländische Schisma existierte bereits seit zwölf Jahren) dem Feldzug das Kreuzzugspatent, womit die Teilnahme Englands, der Gascogne und der iberischen Reiche gesichert war. Die Zahl der Kämpfenden lässt sich schwer schätzen. Offenbar stellten die Genuesen neben der Ausrüstung rund tausend Armbrustschützen und doppelt so viele bewaffnete Männer bereit. Dass Karl VI. versuchte, die Zahl der französischen Teilnehmer zu begrenzen, lässt auf großen Enthusiasmus schließen. Die Flotte stach am 1. Juli von Marseille aus in See, machte Halt in Sardinien, um die Versorgung zu komplettieren, und steuerte dann die Insel Kuriat östlich von Monastir im Golf von Hammamet an. Hier wurde während einer neuntägigen Pause aufgrund des schlechten Wetters der Angriffsplan ausgearbeitet und beschlossen, Mahdia zu belagern. Am 22. Juli gingen die Kreuzfahrer nahe der Stadt an Land, ohne auf Widerstand zu stoßen. Die Belagerten wagten verschiedentliche Ausfälle, erlitten dabei aber schwere Verluste. Nach sieben Wochen begann der Beschuss der Mauern mit Belagerungsmaschinen, die auf Galeeren montiert wurden. Bald schon machten sich auch die Tücken des nordafrikanischen Klimas bemerkbar. Krankheiten, chronischer Wasser- und Nahrungsmangel, aber auch die berberischen Heere aus Tunesien, Béjaia und Tlemcen überzeugten viele, angefangen mit den Genuesen selbst, dass es besser sei, die Zelte abzubrechen. Mithilfe einiger christlicher Kaufleute, die in der Stadt ihren Geschäften nachgingen, wurden Verhandlungen aufgenommen, obwohl Ludwig von Bourbon sich gegen ein Ende des Unternehmens ausgesprochen hatte. Nach langwierigen Gesprächen wurde beschlossen, eine Entschädigungszahlung in Höhe von stattlichen 10 000 venezianischen Dukaten anzunehmen, die der hafsidische Sultan Abu l-ʿAbbas Ahmad zu zahlen hatte, sowie einen jährlichen Tribut in Höhe der Zolleinnahmen der Stadt für die nachfolgenden fünfzehn Jahre. Und so verließen die Kreuzfahrer Ende September Nordafrika in einem geordneten Rückzug. Trotzdem breitete sich Unzufriedenheit aus. Die Genuesen hatten leichtes Spiel, die Gemüter für ein einfacheres Unternehmen zu gewinnen, und überredeten die Franzosen, die aragonesischen Territorien Sardiniens anzugreifen. Ihrer Ansicht nach hatten die Bewohner Cagliaris die Hafsiden auf die eine oder andere Weise unterstützt. Sowohl die Stadt Cagliari als auch die Insel Ogliastra wurden also besetzt. Die Flotte nahm sodann Kurs auf Neapel, war aber

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aufgrund eines Sturms gezwungen, die Segel Richtung Sizilien zu setzen. Sie fuhr nach Terracina, das rasch erobert und genuesischer Kontrolle unterstellt wurde. Nach einem gescheiterten Angriff auf Piombino kehrten die Kreuzfahrer über Genua nach Marseille zurück, wo sie als Helden empfangen wurden, obwohl ihr Unternehmen nur mäßig erfolgreich gewesen war. Zweifellos war es Genua, das am meisten profitierte, weil die muslimische Piraterie, die den Handel störte, teilweise unterbunden werden konnte. Das wichtigste Ergebnis aber war ein neu erwachter Kreuzzugseifer, besonders in Frankreich. So erklärt sich auch der enorme christliche Zuspruch zu den Aufrufen der Päpste gegen die Türken, die bald in den Kreuzzug von Nikopolis münden sollten.

Der Kreuzzug von Mahdia oder »Barbareskenkreuzzug«, eine französisch-genuesische Militärexpedition des Jahres 1390 im nordwestlichen Afrika, Reproduktion nach einer Miniatur der Chroniques von Jean Froissart (14. Jh.), Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Nikopolis, 1396 Im ausgehenden 14. Jahrhundert zeichnete sich das Ende der mittelalterlichen christianitas zwar bereits ab, doch das christliche Europa erschien noch nicht am Horizont. Schon seit geraumer Zeit war an dessen südöstlichen Grenzen eine Macht präsent, die über mehr als drei Jahrhunderte hinweg die – andernfalls ungewisse  – europäische Identität von außen prägen sollte wie keine andere: das turko-mongolische Volk mit seinem legendären Stammvater Osman. Nach dem Sultanat Orhans und der langen Regierungszeit Murads I. hatte dessen Nachfolger Bayezid im Juni 1389 die junge serbische Macht in der blutigen Schlacht auf dem Amselfeld vernichtend geschlagen. Die Osmanen hatten die Walachei, Bulgarien und Makedonien unterworfen. 1394 fiel auch Thessaloniki. Die raschen Eroberungen, seine enorme Mobilität und die Zerstörung, die er hinterließ, brachten Bayezid den Beinamen Yıldırım ein, »der Blitz«. Es war eine neue Welle des Schreckens. Der Basileus Manuel II., Sohn und Nachfolger von Johannes V. Palaiologos, hätte mit einer ausgedehnten Europareise gern persönlich einen neuen, rettenden Kreuzzug initiiert. Doch sein Geld war knapp, und so wandte er sich an die Venezianer und bot ihnen die Insel Lemnos zum Kauf an. Aber die Lagunenstadt, die sich mit dem Sultan keinesfalls anlegen wollte, lehnte das Angebot ab und riet dem Basileus zu Ruhe und Besonnenheit. Der Vormarsch der Osmanen ging also unerbittlich weiter. Am Hof des Sultans entstand eine Kultur, in der auch die epische Literatur in türkischer Sprache gefördert wurde. Damit wurde das Türkische nach dem Arabischen und dem Persischen zur dritten Komponente der Sprachentrias der islamischen Welt. Militärisch bediente sich die neue türkische Macht der traditionellen Techniken der muslimischen Welt in außerordentlich effizienter Weise. Man verließ sich nicht mehr auf die turkmenischen gazi, die bis dahin das Rückgrat des Heeres gebildet hatten, aber immer Rebellion schüren konnten. Nun praktizierte man die devşirme oder Knabenlese. Statt Sklaven zu bewaffnen, die selbst als treu ergebene Garde noch gefährlich blieben (man denke nur an die Mamluken), raubte man Kinder aus christlichen Dörfern, erzog sie in der islamischen Religion und bestimmte sie zum Dienst am Hof oder im Heer als »neue Truppe« (yeni çeri). So entstanden die furchterregenden, legendären Janitscharen. Die türkische Expansion bedrohte nicht nur Byzanz. Die osmanische Offensive auf dem Balkan, die Venedig keineswegs missfiel, weil auf diese Weise sein eigenes maritimes Imperium verschont blieb, beunruhigte vor allem den unga-

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rischen König Sigismund. Er begann, beide Päpste – den avignonesischen Papst Benedikt XIII. und den römischen Papst Bonifatius IX. – dazu zu drängen, einen neuen Kreuzzug auszurufen. Widerstrebend schloss sich sogar Venedig an. 1395 traf der Erzbischof und Großschatzmeister Ungarns, Nikolaus von Kanizsay, in Frankreich ein, um im Namen seines Königs den Beistand der Christenheit gegen die Türkengefahr zu mobilisieren. Tatsächlich waren die Osmanen dem Herzen Europas noch nie so nahe gekommen. Eine neue Welle der Begeisterung, Buße und Endzeiterwartung brach sich Bahn. Auf Bitten Karls VI. schrieb der Kreuzzugsveteran Philippe de Mézières – der sich 1380 in den Zölestiner-Konvent in Paris zurückgezogen hatte, aber am Kreuzzugsgedanken festhielt und für den von ihm gegründeten Ritterorden die Werbetrommel rührte – an Richard II. von England und bat ihn um Frieden und gemeinsames Handeln in dem neuen Feldzug gegen die Ungläubigen. 1396 verlängerten England und Frankreich den 1388 geschlossenen Waffenstillstand um zwanzig Jahre. Der Dominikaner Vinzenz Ferrer gab mit seiner Vision von der bevorstehenden Herrschaft des Antichrist und des Weltgerichts der Geißlerbewegung neuen Auftrieb. Der Kreuzzug, der sich jetzt am Horizont abzeichnete, fand in dem Burgunderherzog Philipp II., dem Kühnen, einen mächtigen Fürsprecher. Er brachte eine große Geldsumme auf und bestimmte seinen Sohn Johann, Graf von Nevers, den späteren Herzog Johann Ohnefurcht, zum Heerführer. Dem Aufruf folgten einige der namhaftesten Ritter Frankreichs wie Guy und Guillaume de La Trémouille, Jean de Vienne, Enguerrand de Coucy und Jean Le Meingre, genannt Boucicaut, der spätere französische Gouverneur von Genua. Am 20. April 1396 brach ein begeistertes Heer von Dijon auf. Dem Grafen von Nevers folgten Scharen von Rittern aus Frankreich, Deutschland, England und Italien. Nach ihrem Zug entlang der Donau über Regensburg und Wien erreichten sie Ende Juli Buda, wo König Sigismund die Truppen seines Vasallen, des Woiwoden (»Herzogs«) der Walachei, versammelt hatte und wohin weitere Freiwillige aus dem Westen geströmt waren. Eine von Johannitern, Venezianern und Genuesen gemeinsam ausgerüstete Schiffsflotte lief über den Bosporus ins Schwarze Meer ein und ging in der Donaumündung vor Anker. Als die Kreuzfahrer ihre Reihen zählten, hatten sie allen Grund zur Begeisterung. Mit wahrscheinlich rund 100 000 Kämpfern war es das zweifellos größte und am besten bewaffnete Heer, das seit der Zeit Gottfrieds von Bouillon gegen die Ungläubigen in den Kampf zog. Die französischen Seigneurs, die vergaßen, dass es, allem Anschein zum Trotz, der Sultan war, der gegen Europa vorrückte, und nicht

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Die Schlacht von Nikopolis, 1396, Miniatur aus den Chroniques von Jean Froissart (14. Jh.), Paris, Bibliothèque nationale de France.

umgekehrt, träumten schon von einer Wiederholung der ruhmreichen Taten des ersten Kreuzzugs. Nach drei Jahrhunderten würde das Heilige Land endlich befreit werden. Aus Sorge um die Grenzen seines Reiches drängte Sigismund auf eine vorsichtige Defensivtaktik, jedoch vergeblich. Keiner seiner kriegsversessenen westlichen Verbündeten war bereit, sich hinter Mauern und Erdwällen zu verschanzen und darauf zu warten, bis der Feind ungarischen Boden betrat. Sie zogen zum Eisernen Tor bei Orsova, an der heutigen rumänisch-serbischen Grenze, überschritten die Donau und folgten deren Lauf flussabwärts entlang des rechten Ufers. Anfängliche Erfolge vermittelten dem Heer eine ungerechtfertigte Siegesgewissheit, die rasch verflog, als sie vergeblich versuchten, Nikopolis einzunehmen, wo

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die Hauptstraße aus Bulgarien auf den Fluss stieß. Den Kreuzfahrern fehlte Belagerungsgerät. Sie mussten sich damit begnügen, ihr Lager aufzuschlagen, um die Stadt auszuhungern. Dabei wurden sie von der christlichen Flotte unterstützt, die in der Zwischenzeit den Fluss heraufgesegelt war. Die Festung leistete jedoch beharrlich Widerstand, während sich immer nachdrücklicher das Gerücht verbreitete, der Sultan sei an der Spitze einer großen Armee im Anmarsch. Die französischen Ritter hatten ihre höfischen Gepflogenheiten nicht vergessen, die im Krieg umso mehr glänzten. Im christlichen Lager wurden vergnügliche Spiele, Feste und Turniere veranstaltet. Die elegante Aufmachung und die kostspielige Ausstattung ließen mehr an höfische Unterhaltung als an einen Krieg denken. Unter dieser Unbeschwertheit jedoch nisteten Neid und Zwietracht. Die Fürsten beobachteten einander misstrauisch, eifersüchtig darauf bedacht, sich ihren Teil an künftigem Ruhm und erwarteter Beute nicht entreißen zu lassen. Die permanenten Spannungen und das gegenseitige Misstrauen führten zu endlosen Zwistigkeiten, hinzu kamen Antipathien zwischen westlichen Rittern auf der einen und Ungarn und Walachen auf der anderen Seite. Boucicaut, seinen höfischen Idealen treu, zählte zu den Unbesonnensten. Um zu verhindern, dass sich alarmistische Gerüchte unter den Soldaten ausbreiteten, hielt er es für ausreichend, den Defätisten, die von einer bevorstehenden Ankunft des Sultans sprachen, die Ohren abzuschneiden. Er untersagte es den anderen Fürsten, Überfälle auf die türkische Vorhut zu führen, aus Angst, ihm könnte ein Fitzelchen Ruhm gestohlen werden. Es ging ihm nicht darum, Krieg zu führen, sondern darum, diesen Krieg den ritualisierten Kämpfen der Ritterepen und Ritterromane möglichst ähnlich zu machen. In der blutigen Schlacht am 25. September 1396 wurde das Kreuzfahrerheer vernichtend geschlagen, was am Ungestüm der westlichen Ritter und ihrer geringen Kenntnis des Terrains, aber auch an den militärischen Gepflogenheiten der Türken lag. Erneut bewiesen die Ritter, dass sie in drei Jahrhunderten der Kämpfe – und Niederlagen – nichts gelernt hatten. Sie stritten sich mit Sigismund, der vorgeschlagen hatte, seine ungarischen und walachischen Hilfskontingente, die mit der Kampftechnik der Türken weit besser vertraut waren und über eine geeignetere Bewaffnung verfügten, als Vorhut einzusetzen. Doch das kam dem Ansinnen gleich, den Rittern die Ehre des ersten Schlags gegen den Feind zu rauben, eine nicht hinnehmbare Kränkung. Als der König von Ungarn zu Bedachtsamkeit und einem defensiven Vorgehen mahnte, schimpften die westlichen Anführer ihn kurzerhand einen Feigling.

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Der Sultan seinerseits hatte gegenüber den Kreuzfahrern keinen greifbaren Vorteil. Zahlenmäßig war die Streitmacht beider Seiten etwa gleich groß und lag jeweils zwischen 10 000 und 20 000 Mann, vielleicht mit einer geringfügigen Überlegenheit der Christen. Doch der Zusammenhalt und die Organisation der Armeen hätten unterschiedlicher nicht sein können: zerstritten und undiszipliniert die Kreuzfahrer, wohlorganisiert und getragen von eiserner Disziplin die Türken und ihre christlichen Vasallen, die Serben. Zudem setzten die westlichen Ritter auf die Schlagkraft ihrer schweren Kavallerie, ohne eine klare Vorstellung von der türkischen Taktik zu besitzen. Der Sultan hingegen kannte die Angriffsstrategie der Ritterheere und war entschlossen, sich deren Schwächen zunutze zu machen und die Schnelligkeit und Wendigkeit seiner Bogenschützen und seiner leichten Kavallerie für sich zu nutzen. Der entscheidende Vorteil wurde Bayezid von den Franzosen selbst offeriert, die in geschlossener Formation als Stoßkeil angriffen, um tief in die feindlichen Linien einzudringen. Der Rest ergab sich von selbst: Die Truppen der türkischen Vorhut zogen sich zum Schein zurück, dann öffneten sich ihre Reihen in der Mitte, um die fränkischen Schlachtrösser, die wie Geschosse lospreschten, ins Leere laufen zu lassen. Danach schlossen sich die Flügel wieder, während die schwer bewaffneten türkischen Reiter, die sipahi, von der Flanke und von hinten angriffen. Es war ein blutiges Gemetzel. Mit den Überlebenden verfuhr Bayezid mit einer Brutalität und Grausamkeit, die man als Vergeltung für die sinnlosen Exzesse der Kreuzfahrer betrachten könnte. Die Anführer des Feldzugs und diejenigen, die das Lösegeld bezahlen konnten, wurden in Ketten gelegt, die anderen kaltblütig niedergemetzelt. Allerdings nicht alle. Einige der Jüngeren hatten Glück. Wir kennen beispielsweise das Schicksal von Johann Schiltberger, einem Sechzehnjährigen aus Bayern, der seinen Herrn Leonhard Richartinger, Söldner im Dienst König Sigismunds, als Knappen begleitete. Johanns Rettung war sein jugendliches Alter und vermutlich auch sein gutes Aussehen. Bayezids ältester Sohn Süleyman sorgte dafür, dass er als Page in das Gefolge des Sultans eintreten konnte. Den größten Beitrag, um das geforderte Lösegeld aufzubringen, leistete Sigismund von Ungarn, der für die Niederlage am allerwenigsten verantwortlich war, nachdem er von einem ungestümen Angriff abgeraten hatte. Er selbst konnte mit knapper Not fliehen und sich der Gefangennahme entziehen. Die fehlende Summe stellten genuesische Bankiers zur Verfügung, die in der Region wirtschaftliche Interessen hatten: die Gattilusio von Lesbos und Enos, Gaspero Pagani aus Pera, Niccolò Paterio, der Podestà von Neu-

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Phokäa (Yeni Foça). Die Verhandlungen wurden von den Genuesen und Venezianern geführt, die gute Beziehungen zum Sultan hatten, und von dem Kaufmann Dino Rapondi aus Lucca, der mit dem osmanischen Hof in Kontakt stand und in Frankreich Geschäfte im großen Stil machte. Ende 1397 waren die Geiseln wieder zuhause. Der Herzog von Burgund, der mehr als jeder andere westliche Fürst den Kreuzzug unterstützt hatte, wetteiferte mit Sigismund um Großzügigkeit bei der Beschaffung des Lösegelds. Für die Freilassung Johanns von Nevers und seiner Begleiter wurden dem Sultan 200 000 Dukaten übergeben. Nikopolis war mehr als nur eine militärische Niederlage. Es steht für den unaufhaltsamen Niedergang des Rittertums als Kriegsmacht und als kulturelle Kraft. Die türkischen Fußsoldaten und sipahi, aber auch die englischen Bogenschützen, die Infanterie und die Pikeniere der Schweizer Eidgenossen, die Landsknechte Kaiser

Das Massaker an den Christen nach der Schlacht von Nikopolis, Miniatur des Meisters des Dresdner Gebetsbuches, aus einem Manuskript der Chroniques von Jean Froissart (14. Jh.), Paris, Bibliothèque nationale de France.

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Maximilians von Habsburg, die kastilischen und schottischen Infanterien, die Kanonen und die Arkebusen: All dies trug bei zum Verfall der Kampfstärke und des militärischen Ansehens des mittelalterlichen Rittertums mit seiner Tradition von höfischem Glanz und höfischem Schein. Und doch verstand es die Ritterschaft, edel zu sterben, indem sie mit störrischer Würde stets frontal und in Keilformation angriff, auf die einzige Art und Weise, die Tradition und Ehrenkodex des Ordens ihnen erlaubten, im immer wieder neuen Ansturm auf die Piken und Bombarden. War das Heroismus? Oder Dummheit? Wie soll man das Schicksal des Rittertums betrachten, gerührt oder irritiert? Rational gesehen ist sein Niedergang die Folge der schwierigen und späten Erkenntnis, dass die neuen Waffen und Techniken nicht nur einen Wandel, sondern eine Revolution der Kriegführung bedeuteten. Vergessen wir auch nicht, dass entschlossenes, strategischen Überlegungen widersprechendes Handeln integraler Bestandteil der ritterlichen Spiritualität war, der zufolge in den Regeln des Kampfes nicht nur die persönliche Tapferkeit und Treue, sondern auch die Ethik und damit die Legitimität des Krieges begründet lag. Um dieses symbolischen, ethischen und zugleich religiösen Gehalts willen verwarfen die Franzosen bei ihrem Einmarsch in Flandern 1382 den Vorschlag, auf einem anderen als dem direkten Weg gegen den Feind vorzurücken. Das wäre feige und unfair gewesen. Edle Ritter konnten nicht zulassen, dass sie von einem Haufen gemeiner Bürger und Rüpel, die Soldat spielten, gezwungen wurden, ihren Kurs zu ändern.

Ex Oriente lux Die Nachricht von dem Debakel in Nikopolis erzeugte eine neue Welle der Angst und des Schreckens. Das bevorstehende Ende des Jahrhunderts wurde von einer Großen Furcht begleitet. Im Mai 1399 erklärte ein Bauer aus der Dauphiné, die Jungfrau Maria sei ihm erschienen und habe ihm gesagt, Christus werde die Welt um ihrer Sünden willen vernichten. Nur wer Buße tue, werde Barmherzigkeit finden. So entstand – ob in Frankreich, England oder Spanien, ist unklar – die Bewegung der »Bianchi« (»Weißen«), die sich besonders in Italien mit großen Bußprozessionen ausbreitete. Viele geißelten sich gemäß der gängigen Bußübung. Ihr Name verdankt sich der Farbe ihres Gewands, auf dessen Schulter oder Kapuze ein rotes Kreuz genäht war. Zwischen Frühjahr und Spätsommer 1399 traf

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eine große Gruppe von ihnen in Rom ein. Das immer noch andauernde Schisma, die Kriege in Italien und der Vormarsch der Türken waren dem Chronisten Giovanni Sercambi aus Lucca zufolge die Hauptmotive dieser Frömmigkeit. Sie kam in Bußwallfahrten zum Ausdruck, die nicht nur an die von dem Dominikaner Venturino da Bergamo ein halbes Jahrhundert zuvor organisierte Romwallfahrt (romería), sondern auch an die »Volkskreuzzüge« der Jahre 1212, 1251, 1309 und 1320 erinnerten. Die Selbstgeißelung war begleitet von inständigen Gebeten um Barmherzigkeit und Frieden. Unter den Teilnehmern waren freilich auch Personen, denen mystische Anwandlungen fremd waren und die aus unterschiedlichen Gründen nach Rom pilgerten. Zu ihnen gehörte ein durchaus spezieller Büßender, der Kaufmann Francesco di Marco Datini aus Prato, der nach eigenem Bericht »zwei Pferde und das Reitmaultier« mit sich führte. Seinen Tieren hatte er »zwei Satteltruhen aufgeladen, in denen viele Schachteln mit allerlei Konfekt waren und eine große Menge Wachs in Form von kleinen Fackeln und Kerzen, und Käse in allen Sorten und frisches Brot und Zwieback und Brezeln, gezuckert und ungezuckert«. Um 1400 wütete in weiten Landstrichen Europas erneut eine Pestepidemie. Sie nährte Ängste und Erwartungen, die durch düstere endzeitliche Prophezeiungen zusätzlichen Auftrieb gewannen. In diesem Klima bemühte sich einer der leidenschaftlichsten Kreuzfahrer von Nikopolis, Jean Le Meingre, um eine neuerliche Expedition zur Unterstützung des von der steigenden türkischen Flut bedrohten Konstantinopel. Im Jahr darauf wurde er zum Gouverneur von Genua ernannt, dessen Herrschaft wenige Jahre zuvor an Karl VI. von Frankreich gefallen war. Der Marschall kannte die Lage im Orient gut. Aus osmanischen Kerkern war er durch Vermittlung der genuesischen Familie Gattilusio gegen Zahlung eines Lösegelds freigelassen worden. Am Kreuzzug hatte Genua selbst nicht teilgenommen, weil es zu diesem Zeitpunkt mitten in dem schwierigen Prozess des Übergangs an Frankreich steckte. Die Regierung hatte, ganz im Gegenteil, den Podestà von Pera angewiesen, mit den Siegern zu verhandeln, und die Aufforderung Venedigs abgelehnt, die Insel Tenedos zu besetzen, um dort einen Marinestützpunkt gegen die Türken zu errichten. Im Jahr 1399 war Konstantinopel von den Osmanen belagert worden. Boucicaut eilte der Stadt zu Hilfe, nicht ohne in Savona 1500 Armbrustschützen mitzunehmen. Vor Tenedos vereinigte er sich mit einer venezianischen Flotte und einigen Galeeren aus Genua und Rhodos. In Pera gelang es ihm, die Osmanen zu

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vertreiben, die sich dort bereits niedergelassen hatten. Manuel II. Palaiologos empfing ihn mit großen Ehren und folgte ihm in den Westen, wo er um Unterstützung gegen den Feind warb. Zwischen 1400 und 1402 war er auch Gast des Königs von Frankreich. Bald aber erkannte er, wie illusorisch es war zu hoffen, dass das Kreuzzugsbanner in einem finanziell zerrütteten und in erbitterter Feindschaft politisch gespaltenen Kontinent erneut ergriffen werden würde. Doch dann geschah das Wunder oder etwas, das man in dem Moment dafür hielt. Ein turanischer Fürst Transoxaniens, der den Zerfall des Mongolenreichs für sich nutzte, schien imstande, den Traum von einer Wiederherstellung der Macht Dschingis Khans zu verwirklichen: Timur. Die türkisch-mongolische Wurzel seines Namens bedeutet vermutlich so viel wie »Eisen«. Im Westen ist er als Tamerlan – Timur-i Lang oder Timur Lenk, Timur der Lahme – bekannt geworden. Von seiner Geburtsstadt Samarkand aus hatte er in den vorausgehenden zehn Jahren eine Reihe strategisch klug geplanter und mit berechnender Brutalität geführter Eroberungszüge unternommen. Binnen kurzer Zeit hatte er Persien und Georgien mit den großen Handelsstädten Täbris und Tiflis erobert. Er stieß nach Mesopotamien vor und nahm 1392 Bagdad ein, zog weiter nach Syrien und brachte dem Sultan von Aleppo eine Niederlage bei. 1395 besiegte

Reiterstandbild Tamerlans in Taschkent (Usbekistan) aus dem 19. Jh.

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er den Khan der Goldenen Horde, dann wandte er sich nach Osten und führte seine Truppen bis zum Indus. 1398 zerstörte er Delhi. Anschließend zog er erneut nach Syrien und erreichte Damaskus, wo er 1401 dem großen Geschichtsschreiber und Philosophen Ibn Khaldūn begegnete, der seit vielen Jahren darauf brannte, ihn kennenzulernen. Sie sprachen über Geschichte, Religion und Recht und tauschten Geschenke aus. An der Schwelle zum neuen Jahrhundert umfasste also das riesige Reich Tamerlans den Kaukasus, das südliche und mittlere Kaspische Meer, den Aralsee und das Gebiet zwischen den Flüssen Syr-Darja und Indus. Sein mobiler Palast, das »Rote Zelt«, in dem er, den nomadischen Traditionen seines Volkes treu, karg und schlicht wohnte und das ihn bei allen seinen Eroberungszügen vom Mittelmeer bis zum Hindukusch begleitete, wurde bald zum legendären Symbol für den Schrecken eines grausamen und als unbesiegbar geltenden Herrschers. Von den Potentaten des Mittelmeerraums, die ihn in den Schatten stellen konnten, war nur der osmanische Sultan in der Lage, ihm standzuhalten. In diesem Punkt stimmten die Interessen Europas und des Emirs von Samarkand überein. Aber es spielte noch mehr mit. Tamerlan beschwor Erinnerungen an den überwältigenden Mongolensturm anderthalb Jahrhunderte zuvor herauf und weckte törichte Hoffnungen auf ein Bündnis zwischen den Steppenvölkern und der Christenheit, nicht um den Islam zu besiegen  – Tamerlan war ja selbst Muslim  –, sondern die osmanische Macht. In Europa tauchten bei dieser Gelegenheit erneut Legenden auf, die seit drei Jahrhunderten Hoffnungen und Illusionen nährten: die vom Priester Johannes zum Beispiel, von den Weisen aus dem Morgenland oder von der Hilfe der Vorsehung, die den Christgläubigen aus den Tiefen Asiens zuteilwerden würde. Die europäischen Kaufleute hofften auf eine neue pax mongolica, die ihnen erneut die schnellen und sicheren Karawanenwege vom Schwarzen Meer und von Armenien über Persien nach Ostasien öffnen würde. Diese Chance durfte nicht ungenutzt verstreichen. Der byzantinische Prinz Johannes, vom Basileus Manuel vor seiner Abreise nach Europa als Regent von Konstantinopel eingesetzt, verständigte sich mit dem genuesischen Podestà in Pera, um über den griechischen Kaiser von Trapezunt aus der Dynastie der Komnenen mit dem tatarischen Eroberer in Kontakt zu treten. Die Tributzahlungen, die Byzanz dem osmanischen Sultan leisten musste, sicherte es auch dem neuen Verbündeten zu. Auch der König von Frankreich mischte sich ein. Durch dominikanische Missionare ließ er Tamerlan den Vorschlag einer gemeinsamen Operation gegen die Osmanen überbringen. Es war

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die Wiederauferstehung des alten Traums Ludwigs IX., verbunden mit der Hoffnung, die genuesische Handelsdominanz in der Levante zu stärken, jetzt, da die französische Krone die Hoheit über die ligurische Stadt innehatte. Hätten Genua und Venedig dem großen mongolischen Herrscher eine Flotte zur Verfügung gestellt, die stark genug gewesen wäre, die Meerengen abzuriegeln, wäre die Geschichte womöglich anders verlaufen.

Der osmanische Sultan Bayezid wird an den Tisch Tamerlans gebunden, als Schemel zum Besteigen des Pferdes benutzt und in einen Käfig eingesperrt, altes Manuskript, vor 1561.

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Tamerlan ließ diese Vorschläge keineswegs unbeachtet. Ihn interessierten insbesondere die Offerten des byzantinischen Prinzen Johannes, und er hoffte, jene maritime Unterstützung zu erhalten, die ihm fehlte und deren Bedeutung er als großer Stratege selbstverständlich erkannte. Ende Juli 1402 errang er bei Ankara einen überwältigenden Sieg über die Osmanen. Bayezid, der Sieger von Nikopolis, starb im Jahr darauf als Gefangener. Die Europäer atmeten erleichtert auf. Doch sosehr sie sich über den Sieg der Tataren freuten, merkten sie schnell, dass die Situation eine schlimme Wendung zu nehmen drohte. Tamerlan reklamierte den Status Dschingis Khans als »Herrscher der Meere« für sich und war entschlossen, ein Reich wiederherzustellen, dessen Erbe zu sein er beanspruchte. Er vertrieb die Johanniter aus Smyrna und zwang Alt-Phokäa, Neu-Phokäa und die Insel Chios zu Tributzahlungen. Dennoch gaben sich die Europäer weiter Illusionen hin. Und wenn sie vom Epizentrum der Ereignisse weit genug entfernt waren und sich den Luxus erlauben konnten, sich keine Sorgen zu machen, hegten sie neue Bündnispläne. Heinrich III., der König von Kastilien, zum Beispiel schickte zwei Gesandte nach Samarkand, die den Sieg miterlebten und mit Geschenken beladen nach Hause zurückkehrten. Diesen diplomatischen Schritt wiederholte er 1403, als er den Adligen Ruy Gonzáles de Clavijo zu Tamerlan schickte, der einen ausführlichen und lebendigen Bericht über seine Reise schrieb. Doch 1405 starb der Eroberer überraschend, und sein riesiges Reich zerfiel in zahlreiche Kleinfürstentümer, die einander bekämpften. Im Übrigen hatten sich die Osmanen durch die Schlacht bei Ankara und den Tod Bayezids keineswegs entmutigen lassen. Das Osmanische Reich stürzte zwar in eine schwere politische, militärische und dynastische Krise, die es verwundbar machte, aber die Unentschlossenheit und die egoistische Politik der westlichen Mächte vereitelten einen neuen Feldzug. Nun, da die unmittelbare Gefahr für den Donauraum und für Konstantinopel gebannt war, schien es keinen Sinn zu haben, einen Präventivkreuzzug auf die Beine zu stellen. Europa kannte nicht nur die Stimmen einer heiligen Katharina von Siena und eines Philippe de Mézières. Bereits im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts hatte der Kirchenrechtler Honoré Bonet  – der seinen Arbre des batailles, später ein Standardwerk, Karl VI. gewidmet hatte  – einen anderen Standpunkt vertreten. Er hielt einen Krieg gegen die Ungläubigen für prinzipiell nicht erlaubt, nicht einmal, um sie zu bekehren, es sei denn, es gebe einen absolut triftigen Grund. Dieser Kreuzzugskritik schloss sich eine Strömung an, die voller Kritik und Abneigung

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Stanisław Chlebowski, Bayezid als Gefangener Tamerlans, 1878, Nationale Kunstgalerie L’viv (Ukraine).

gegenüber spirituellen Manifestationen war, denen keine abgeklärte, vernunftgeleitete Religiosität zugrunde lag. Mit augenzwinkernder, aber beißender Ironie, die gelegentlich Erasmus von Rotterdam übertraf, unterzog Jean Gerson, Kanzler der Pariser Sorbonne, die seiner Ansicht nach finsteren und grotesken Aspekte der Frömmigkeit seiner Zeit einer scharfen Prüfung. Er stellte die immer noch gängigen Phantasien von einem bevorstehenden Weltuntergang, dem bereits geborenen Antichrist und der Dringlichkeit kollektiver Buße auf eine Stufe mit anderen Nachstellungen des Teufels, die die wahren christlichen Tugenden der Bescheidenheit und Einfachheit unterminierten. Gerson hielt solche Vorstellungen für Exzesse, verursacht durch Hochmut, eitle Selbstdarstellung oder schlichten Wahnsinn. Es gelte, an der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition, sicheren Quellen der christlichen Weisheit, festzuhalten und sich vor einem blinden Glauben an Prophezeiungen und Visionen zu hüten. Mit äußerstem Misstrauen betrachtete er daher mystische Erfahrungen wie die von Vinzenz Ferrer, Birgitta von Schweden und Katharina von Siena. Kurz gesagt: Hier legte ein gelassener Realismus, Vorbote des beginnenden Humanismus, Hand an die Wurzeln jener Aspekte der mittelalterlichen Spiritualität, die seit drei Jahrhunderten den wichtigsten Nährboden der Kreuzzüge bildeten.

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Boucicauts aventure Tamerlans Eroberungen hatten die Expansion der Osmanen keineswegs gestoppt, sondern nur verlangsamt. Zugleich hatten sie die Aufmerksamkeit von dem anderen großen Akteur jener Zeit abgelenkt, dem mamlukischen Ägypten, das seine erfolglosen Angriffe der 1360er-Jahre eingestellt hatte und durch den Handel mit dem Osten erblühte. Dennoch waren die letzten Jahrzehnte des 14. Jahrhunderts von einer wachsenden Krise geprägt. Der Gewürzhandel zwischen dem Nil und dem Indischen Ozean ging weiter, auch wenn der portugiesische Entdeckergeist mit der von dem Infanten Heinrich dem Seefahrer an der Algarve gegründeten Schule für Kartographie und Navigation bereits die Grundlage für die Umsegelung Afrikas legte. Der Seeweg nach Indien sollte Alexandria und Damiette all dessen berauben, was ihnen vom Mittelmeerhandel mit Gewürzen aus dem fernen Asien, der einst beinahe ihr Monopol gewesen war, noch geblieben war. Das sudanesische Gold gelangte weiter nach Ägypten, und die Zahlungsbilanz war positiv. Doch die ägyptischen Fertigungsstätten verzeichneten einen unaufhaltsamen Niedergang, und das Land wurde von Produkten aus Europa und dem Fernen Osten geradezu überschwemmt. Marschall Boucicaut, nunmehr an der Spitze einer Stadt mit so bedeutenden Traditionen wie Genua, ergriff die Chance, um seinem alten Kreuzzugsideal neues Leben einzuhauchen. Im Zentrum seiner Interessen stand die Insel Zypern, wo die Genuesen seit geraumer Zeit machten, was sie wollten, und seit 1365 außerordentliche Privilegien besaßen. Den Venezianern, mit denen Genua seit Jahrhunderten in Auseinandersetzungen stand, war dies ein Dorn im Auge. Die Ermordung Peters I. im Jahr 1369 hatte eine schwere politische Krise heraufbeschworen, die erst 1372 mit der Thronbesteigung seines noch minderjährigen Sohnes Peter II. endete. Die Regentschaft wurde dessen Onkel Johann übertragen; sein anderer Onkel, Jakob, wurde Connétable des Reiches. Am 6. Januar wurde Peter in Nikosia die Krone des Königreichs Zypern aufs Haupt gesetzt und am 12. Oktober in Famagusta die Krone Jerusalems. Im Verlauf der Zeremonie kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, denen ein Streit zwischen dem venezianischen Bailò und dem genuesischen Podestà vorausgegangen war. In dieser heiklen Lage gelang es den Venezianern, den jungen Herrscher dazu zu bewegen, die Genuesen aus Zypern zu vertreiben und ihre Güter zu beschlagnahmen. Der neue Doge von Genua, der mercator Domenico Campofregoso, der 1370 an die Macht gekommen war, organisierte eine Strafexpedition, deren

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Kommando er seinem Bruder Pietro anvertraute. Die aus sechsunddreißig Galeeren und sechs Schiffen mit insgesamt 14 000 Mann bestehende Flotte wurde von Bürgern finanziert, die sich zu einer maona, einer Staatsgläubigergemeinschaft, zusammengeschlossen hatten. Im März 1373, in Erwartung der vollständigen Ausrüstung der Flotte, wurden sieben Galeeren unter dem Kommando des Genuesen Damiano Cattaneo nach Zypern geschickt, um den König vor dem bevorstehenden Vergeltungsschlag zu warnen, sollte er seinen Schritt nicht rückgängig machen. Da Peter II. keine Unterstützung aus Venedig erhielt, beschloss er zu verhandeln, konnte aber die Plünderung einiger Küstenorte, darunter Nikosia und Paphos, nicht verhindern. Im Oktober vereinigte sich Cattaneo mit Campofregosos Truppen, die Famagusta belagerten. Die Stadt fiel binnen weniger Monate. Im Oktober 1374 schlossen beide Seiten eine Vereinbarung: Peter II. erhielt seinen Thron zurück gegen die Zahlung eines jährlichen Tributs von 40 000 Florentiner Gulden (Florin), einer Entschädigung für Aufwendungen in Höhe von mehr als zwei Millionen Florin über einen Zeitraum von zwölf Jahren hinweg an die Teilnehmer der Expedition sowie weiterer 90 000 Florin für die Instandhaltung der in den Häfen der Insel vor Anker liegenden genuesischen Galeeren. Darüber hinaus erhielten die Genuesen als Garantie für ihre Kredite neben einigen zypriotischen Geiseln die Stadt Famagusta samt deren Festung und dem umliegenden Territorium als Pfand sowie jährlich 120 000 Florin für ihre militärische Sicherheit. De facto war dies eine Kapitulation, die die uneingeschränkte genuesische Vorherrschaft auf der Insel bedeutete. Der Vertrag von 1374 beinhaltete neben den hohen Reparationszahlungen auch die Ausweisung Jakobs von Lusignan von der Insel, da ihm vorgeworfen wurde, in Kyrenia die Genuesen bekämpft zu haben. Er wurde auf Rhodos festgenommen, zusammen mit seiner Gemahlin Helvis von Braunschweig-Grubenhagen nach Genua gebracht und dort gefangen gehalten. Seine Freilassung erfolgte im Jahr 1382, nachdem er vom Hochgericht des Königreichs Zypern zum rechtmäßigen Thronfolger ernannt worden war. Die maona von Zypern, der die Teilnehmer des Feldzugs von 1373/74 angehörten, übte bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts eine exklusive Vorherrschaft über die Insel aus. Die Schwäche der herrschenden Dynastie wurde so offenkundig, dass 1426 eine ägyptische Expedition – wahrscheinlich mit Wissen Genuas – die Insel plünderte, den König als Geisel nahm und ihn zwang, die Oberhoheit des mamlukischen Sultans anzuerkennen. Die neuen Herren Zyperns gerieten mit den Mamluken jedenfalls wiederholt aneinander. Die im ägyp-

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tischen Alexandria, in Damaskus und in den syrischen Hafenstädten ansässigen westlichen Kaufleute wurden von den lokalen Behörden schon seit Langem schikaniert. 1369 hatten einige genuesische, venezianische und katalanische Galeeren vor der Hafenstadt Alexandria ihre Macht demonstriert, woraufhin es zu einer vertraglichen Regelung zwischen den Parteien gekommen war. Die Situation verschlechterte sich wieder, als der neue genuesische Doge Leonardo Montaldo angesichts der jüngsten Nachrichten aus der Levante ein devetum gegen die Hafenstadt am Nildelta erließ und Korsarentrupps an die syrische und ägyptische Küste schickte. Es kam zum offenen Krieg, der erst 1386 mit einem weiteren Vertrag beigelegt wurde. Nachdem Genua 1396 an Frankreich gefallen und Boucicaut 1401 Gouverneur von Genua geworden war, wurde das Problem erneut akut, und zwar abermals in Verbindung mit den Ereignissen in Zypern. Im Jahr 1402 traf der Genuese Antonio Guarco, der 1394 ein paar Wochen lang Doge gewesen war, zu einem freiwilligen Exil in Zypern ein. Nachdem Janus von Lusignan ihn ohne Zustimmung des Mutterlands zum Podestà von Famagusta ernannt hatte, führte Guarco Piratenüberfälle entlang der syrischen Küste. Nun bereute der König von Zypern seine Entscheidung und beschloss, ihn zu entmachten, Famagusta zu belagern und zurückzugewinnen. Boucicaut reagierte mit der Entsendung einer Flotte unter dem Befehl Antonio Grimaldis. Die zypriotischen Truppen zogen sich zurück, und es wurden einige venezianische Galeeren aufgebracht, die im Hafen vor Anker lagen. Daraufhin bewaffneten die Venezianer fünfzehn Galeeren, um Boucicaut einzuschüchtern, waren aber nicht bereit, Janus’ Ansprüche zu unterstützen, der Famagusta erneut belagerte. Boucicaut erwirkte die Neutralität Venedigs und stellte sich persönlich an die Spitze einer Flotte. Im April 1403 stach er in See und machte zunächst im Hafen von Rhodos Halt, um sich die Unterstützung der Johanniter zu sichern. Dann segelte er weiter in Richtung Zypern. Schon die Nachricht von Boucicauts bevorstehender Ankunft bewirkte, dass Janus von seinem Vorhaben abließ und den Genuesen eine Entschädigungszahlung für die bisher angefallenen Kosten versprach. Damit nicht zufrieden, stürzte sich Boucicaut in ein neues Wagnis und schlug dem venezianischen Admiral Carlo Zeno, der in den Gewässern kreuzte, einen gemeinsamen Angriff auf Ägypten vor. Die Motive für diese Aktion sind schwer zu verstehen, auch wenn alle bis dahin erschienenen Traktate wie auch der Kreuzzug von 1365 davon ausgingen, dass der Schlüssel für den Zugang zu den heiligen Stätten in dem Land am Nil liege. Allerdings bleibt unklar, ob Boucicaut tatsächlich dieses Ziel

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verfolgte. Sein Schritt scheint eher von der Suche nach Kriegsbeute diktiert gewesen zu sein, vielleicht um die Mannschaften zufriedenzustellen, die vom Verlauf der Zypernexpedition enttäuscht waren. Am Ende führte er ein paar Überfälle auf die anatolische und syrische Küste und wütete dabei besonders gegen die Venezianer, die dem Sultan die Pläne Genuas verraten hatten. Daraufhin wurde das genuesische Heer bei Modon (Methoni) von Zeno angegriffen und verlor drei Galeeren und zahlreiche Männer. Boucicaut schaffte es, nach Genua zurückzukehren, nicht ohne vor der sizilianischen Küste eine große Galeere und eine Kogge der Venezianer aufzubringen. Von dort schickte der Gouverneur dem venezianischen Admiral einen Brief, in dem er ihn beschuldigte, mitten im Gefecht geflohen zu sein, und ihm vorschlug, das Problem mit einem Zweikampf zu lösen. Unnötig zu sagen, dass Zeno der Aufforderung nicht Folge leistete. Die Verhandlungen mit den Venezianern zogen sich, von gelegentlichen Scharmützeln getrübt, über Jahre hin. Im März 1404 wurde eine erste Vereinbarung erzielt. Genua verpflichtete sich, die Venezianer für ihre Verluste in Famagusta und Beirut zu entschädigen, Venedig sicherte zu, die in Modon gemachten Gefangenen freizulassen. Am 28. Juni 1406 wurde ein umfassenderes Friedensabkommen unterzeichnet. Es sah die volle Entschädigung für die geraubten Güter vor und bekundete das definitive Scheitern der Politik des genuesischen Gouverneurs. Wie sich herausgestellt hatte, widersprach sie eklatant den Interessen des Stadtstaats in der Levante.

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Osmanischer Triumph Auf nach Konstantinopel Nach der Schlacht bei Ankara 1402 waren die Macht und das Ansehen der Osmanen geschwächt, und die Gefahr einer türkischen Eroberung der Hauptstadt des Byzantinischen Reichs schien gebannt. Auch die griechischen Kreuzzugsappelle an den Westen wurden weniger dringlich. Die Beendigung des Morgenländischen Schismas als Gegenleistung für militärische Hilfe wurde weniger explizit in Aussicht gestellt, und weniger nachdrücklich waren auch die Hilfsangebote der lateinischen Christenheit. Infolge der Schlappe von 1396, teils aber auch infolge des geringeren osmanischen Drucks auf Konstantinopel ließ also – ein ironisches und dramatisches Paradox  – die Kreuzzugseuphorie ausgerechnet in dem Moment nach, in dem eine Offensive gegen das geschwächte osmanische Staatsgefüge größere Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Doch die Fortdauer, ja Komplizierung des Morgenländischen Schismas in den ersten Jahren des 15. Jahrhunderts und die Probleme Europas allgemein  – Hundertjähriger Krieg, Streit um die Nachfolge des römisch-deutschen Kaisers, Expansionsbestrebungen der Anjou-Durazzo von Neapel in Richtung Mittelitalien und in den Donau-Balkan-Raum, Auseinandersetzungen zwischen Venedig und Mailand sowie zwischen Mailand und Florenz in Italien, die Hussiten in Böhmen – ließen gemeinsames Handeln aussichtslos erscheinen. Zwischen Schwarzem und Levantinischem Meer brach sich zudem die Feindschaft zwischen Venedig und Genua in Scharmützeln Bahn, und beide Seiten scheuten nicht davor zurück, sich die Unterstützung der Muslime zu holen. Die Genuesen wandten sich an den osmanischen Sultan von Bursa, die Venezianer an den Mamlukensultan von Kairo.

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Dabei übersahen die Europäer, dass sich die Osmanen zu reorganisieren begannen, als nach einem Jahrzehnt der Thronwirren mit drei verschiedenen Sultanen Mehmed I. 1413 den Thron bestieg. Er hatte mithilfe des byzantinischen Basileus Manuel Palaiologos über seine rivalisierenden Brüder die Oberhand gewonnen, wofür er dem griechischen Herrscher lebenslang dankbar und treu war. Die Johanniter und die Genuesen unterstützten den Sultan bei der Konsolidierung seiner Macht, weil sie sich dadurch Vorteile erhofften. 1415 gewannen die Johanniter Smyrna zurück. Als Mehmed 1421 starb, unterstützte Genua seinen Sohn und Nachfolger Murad II. gegen Mustafa Çelebi, der ihm den Thron streitig machte, während die Venezianer eilends Botschaften an die Sultanshöfe in Edirne (das frühere Adrianopel) und Bursa schickten und sich zu Verträgen bereit erklärten. Mit anderen Worten: Die Wiederherstellung der osmanischen Herrschaft nach der Schlacht bei Ankara verdankte sich in hohem Maße der Rivalität zwischen den Europäern. Auf dem Konzil von Konstanz 1415 wurde, wie üblich, für jenes Anliegen plädiert, das in der Sprache des Kirchenrechts und der Diplomatie jener Zeit als negotium crucis bezeichnet wurde; doch das waren nur Lippenbekenntnisse. Die Beziehungen zum mamlukischen Ägypten waren gut, Pilgerreisen nach Jerusalem ungehindert möglich, Tamerlan war von der Bildfläche verschwunden, und die Osmanen waren vernünftig geworden. Zu spät erwachte man aus diesem beruhigenden Traum. Unter dem Vorwand, der Basileus habe mit Mustafa Çelebi gegen ihn paktiert, griff Murad 1422 Konstantinopel an. Die Belagerung, wohl vor allem eine Machtdemonstration, wurde nach drei Monaten ohne unmittelbare Konsequenzen abgebrochen. Nun aber konnte man sich keine Illusionen mehr machen. Der kurze Moment der Ruhe, der den Griechen nach der Schlacht bei Ankara vergönnt gewesen war, war vorüber, und die langsame Agonie des Reiches, das inzwischen kaum mehr war als seine Hauptstadt, ging weiter. Im Januar 1421 setzte Manuel seinen Sohn Johannes VIII. zum Mitkaiser ein. 1425, nach dem Tod des Vaters, war er der alleinige Basileus und regierte die Reste des Reiches zusammen mit seinen Brüdern, die über ihre Gebiete praktisch unabhängig von ihm die Herrschaft ausübten. Unterdessen umwarb der Sultan unermüdlich die Venezianer und Genuesen. Im Bewusstsein der wirtschaftlichen und maritimen Stärke, die sie in Konstantinopel besaßen, wollte er ihre Rivalität schüren, indem er sie beide, aber in unterschiedlicher Weise, begünstigte. 1423 war Thessaloniki von den Byzantinern an Venedig abgetreten worden. 1430 eroberte Murad die Stadt, die mehrfach

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den Besitzer wechselte, mit Unterstützung des Herzogs von Mailand, Filippo Maria Visconti, für sich zurück. Er war ein Feind der Serenissima und pflegte über Genua beste kommerzielle und diplomatische Beziehungen mit einer anderen muslimischen Dynastie: dem Emir von Tunis. Das hielt den Sultan nicht davon ab, mit den Venezianern einen für sie vorteilhaften Handelsvertrag zu schließen und gleichzeitig die Genuesen zu ermuntern, auf osmanischem Territorium Kapital zu investieren. 1437 erteilte er ihnen die Genehmigung, die Alaunvorkommen Anatoliens auszubeuten. Während die Morea (die Halbinsel Peloponnes) unter Führung der byzantinischen Prinzen Theodoros, Konstantin und Thomas, der Brüder des Kaisers, imstande zu sein schien, der türkischen Bedrohung aus eigener Kraft zu widerstehen, war Johannes überzeugt, Byzanz sei nur mit Unterstützung des Westens vor dem unausweichlich scheinenden Untergang zu retten. Deshalb beschloss er, sich an seine nie besonders innig geliebten lateinischen Brüder in Christus zu wenden und ihnen – insbesondere aber dem Papst – das für sie einzig attraktive Geschenk anzubieten, über das er verfügte: die Einheit der Kirchen. Diese Entscheidung fiel ihm weder leicht noch war sie ein Automatismus. Bereits im Jahr 1422, als sein Vater Manuel noch lebte, der die Möglichkeit einer Beendigung des Schismas skeptisch sah, hatte Johannes einige Gebiete im Westen besucht, darunter Venedig, Mailand und Ungarn, wo er von Kaiser Sigismund wohlwollend empfangen worden war. Francesco Filelfo, ein junger Gelehrter aus den Marken, der kurz zuvor nach Konstantinopel ausgewandert war, hatte ihm als Dolmetscher gedient. Doch abgesehen von Kaiser Sigismund  – dem es um die Eindämmung der türkischen Gefahr im Donau-Balkan-Raum ging, die für ihn eine unmittelbare Bedrohung darstellte – war unter allen europäischen Mächten Philipp der Gute, Herzog von Burgund und Sohn von Johann Ohnefurcht, als Einziger wirklich bereit, gegenüber den Osmanen eine langfristige Politik zu betreiben. 1421 hatte er mit Ghillebert de Lannoy einen Beobachter in den Osten geschickt, um die Möglichkeit eines neuen Kreuzzugs zu sondieren. Das Abendländische Schisma war seit wenigen Jahren beigelegt, und mit der Schlacht von Azincourt hatte auch der französisch-englische Krieg ein Ende gefunden. 1432 nun schickte der Großherzog des Westens mit Bertrandon de la Broquière einen seiner engsten Vertrauten zu einer weiteren Erkundungsreise ins Heilige Land und nach Kleinasien. Die beiden scharfsinnigen Kundschafter des burgundischen Herzogs kamen zu demselben Schluss: Die Türken, ein starkes und diszipliniertes Volk,

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Rogier van der Weyden, Philipp der Gute, Herzog von Burgund, um 1450, Dijon, Musée des Beaux-Arts. Man beachte die Collane (Halskette) des von ihm gegründeten Ordens vom Goldenen Vlies.

seien schwer zu schlagen. Kurzum, die Griechen wünschten sich eine starke und baldige militärische Unterstützung im Tausch für eine spätere Einheit der Kirchen. Die römische Kurie dagegen verlangte die sofortige Einheit als Preis für die Anbahnung eines Kreuzzugsprojekts, das dann immerhin rasch umgesetzt werden sollte. Die westlichen Mächte waren nur mäßig begeistert von der Aussicht, sich in ein kostspieliges Unternehmen zu stürzen, das zahlreiche Risiken barg, dessen Vorteile in Form von Prestige und Macht aber allein der Papst einstreichen würde. Und auch innerhalb der Kirche sahen die mit den weltlichen Fürsten Europas im Bunde stehenden konziliaren Kräfte die Umsetzung der Reformbeschlüsse des Konstanzer Konzils als vordringliche Aufgabe und betrachteten den Kreuzzug als zweitrangig. Herzog Philipp war gerade gegen Kaiser Sigismund engagiert, der die Expansion des Herzogs nach Brabant, Limburg und Luxemburg verhindern wollte. Philipp brauchte etwas, das sein Ansehen stärken und ihn moralisch über die anderen Dynastien der christlichen Welt erheben würde: über den schwachen Basi-

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leus von Konstantinopel, den inaktiven römisch-deutschen Kaiser, den mit ihm verbündeten König von Frankreich und den König von England, der damit beschäftigt war, seine Besitzungen diesseits des Ärmelkanals zusammenzuhalten. Andere – der Dauphin Karl VII., Anwärter auf einen französischen Thron, der gar nicht mehr zu existieren schien, und die Könige der Iberischen Halbinsel – kümmerten den »Großherzog« nicht weiter. Der Kreuzzug würde ihm das ersehnte Prestige verschaffen. Er hätte dann die Führungsrolle inne und wäre der bellator rex, der die Ritterorden einen und das Heilige Land erobern würde. Dem Basileus Johannes VIII. wiederum war klar, dass das Ende seines Reiches, von dem kaum mehr als die glanzvolle Hauptstadt übrig geblieben war, immer näher rückte. 1437 reiste er nach Europa, um die Führer der lateinischen Kirche um Beistand zu bitten, die sich erneut zum Konzil versammelt hatten, diesmal in Basel. Er wusste nur allzu gut, welchen Preis die westliche Geistlichkeit von ihm verlangen würde: die Demütigung, den Verzicht der griechischen Kirche auf ihre Unabhängigkeit und die Beilegung der Kirchenspaltung durch Unterwerfung. Auch wusste er, dass zuhause sowohl in kirchlichen Kreisen, namentlich unter den griechischen Mönchen, als auch in der Bevölkerung der Hauptstadt, unter den einfachen und frommen Gläubigen, gemunkelt wurde, der osmanische Turban sei der römischen Tiara vorzuziehen. Die Ungläubigen würden die griechischen Christen als Gemeinschaft von dhimmi in Frieden lassen, während die Lateiner ihnen ihre liturgischen, kirchenrechtlichen und theologischen Freiheiten nähmen. Die dramatische Reise des Thronerben und späteren Kaisers Johannes in den Westen erschien wie eine Weichenstellung, die ihm glühende Anhänger, aber auch erbitterte Gegner schaffen würde. Inspiriert von unionistischen Kreisen schickte der Basileus eine weitere Gesandtschaft zu dem neuen Papst Eugen IV. Auf dem Papier entwickelten sich die Verhandlungen positiv: Man vereinbarte ein neues Konzil in einer italienischen Stadt, an dem der Kaiser persönlich teilnehmen sollte. Während seiner Abwesenheit sollte Konstantinopel von seinem Bruder Konstantin regiert werden. Damit wären auch die Auseinandersetzungen in der Morea beendet, wo Konstantin und seine Brüder einander die Macht streitig machten. Das Konzil in Basel sah seinerseits in der in Aussicht stehenden Einheit ein ausgezeichnetes Instrument, um die konziliare über die monarchisch-päpstliche Idee triumphieren zu lassen. Es war deshalb bestrebt, den Griechen gegenüber seine Autorität geltend zu machen, indem es Johannes von Ragusa, Heinrich Menger und Simon Fréron als Konzilsgesandte nach Konstantinopel schickte.

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Der Kreuzzug auf dem Konzil Papst Eugen IV. war entschlossen, sein Hilfsprogramm für Konstantinopel umzusetzen, und zwar genau zu dem Zeitpunkt, da der griechische Kaiser und der griechische Patriarch aufgrund ihrer Teilnahme an einem Konzil, das in einer Stadt an der italienischen Adriaküste stattfinden sollte, nicht in der byzantinischen Hauptstadt weilen würden. Dies geht aus den Handakten seines Vertreters in Basel, Kardinal Giuliano Cesarini, der beim Konzil den Vorsitz führte, klar hervor. Beim Empfang der griechischen Gesandten am 19. Juli 1434 auf dem Konzil hielt der Kardinal eine geschliffene Ansprache, in der er den Kampf gegen die Türken als notwendiges Ergebnis und zwangsläufige Folge der erreichten religiösen Einheit darstellte. Die Absichten Cesarinis (und Eugens IV.) schienen mit denen der Konzilsgesandten in Konstantinopel – die am 23. September 1435 dort eintrafen und vom Kaiser sofort zu einer Audienz empfangen wurden – übereinzustimmen. Die schwere Bedrängnis der Griechen und der Ungarn durch die Türken war außerdem Gegenstand eines Schreibens, das am 9. Februar 1436 sowohl an das Konzil wie auch an Kardinal Cesarini geschickt wurde. Man unterstrich darin die Gefahr und die in der Hauptstadt herrschende Verwirrung. Tatsächlich ging das Gerücht, Sultan Murad sei im Begriff, Europa aufzugeben, da er sich in Asien der Bedrohung durch den »Kaiser der Tataren« (Ibrahim Bey, den turkmenischen Herrscher der Karamaniden) entgegenstellen müsse. Andererseits sah es so aus, als rüsteten die Osmanen zu einem neuen Angriff gegen die Ungarn, was in der Tat der Fall war. Zuletzt verwies das Schreiben auf die religiöse Zwietracht unter den Osmanen, die so gravierend sei, dass es einer geeinten Christenheit gelingen könne, sie weit ins Innere Kleinasiens zurückzudrängen. Aber ausgerechnet in der Frage des Kreuzzugs wurde der Dissens zwischen dem Papst und dem Konzil besonders deutlich. Der Papst ließ den Basileus wissen, dass nur er die Autorität, das Prestige und die Macht besitze, die westlichen Mächte zu mobilisieren, was ihm allerdings ohne eine Beendigung des Morgenländischen Schismas nicht möglich sei. Das Konzil empfahl sich gleichfalls als die einzige Institution, die sowohl die Einheit als auch einen militärischen Hilfsfeldzug zustande bringen könne. Neben der causa unionis und der causa reform­ ationis waren, wie bei den Konzilien des 13. Jahrhunderts, die causa fidei und das negotium crucis die vordringlichen Anliegen dieser großen Kirchenversammlung. Nachdem das avignonesische Papsttum in einer konzilslosen Zeit die Kreuzzüge

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diesseits und jenseits des Meeres (crux cismarina und crux transmarina) als politisches und steuerliches Druckmittel benutzt hatte, setzte sich auf dem Konstanzer und dann auch dem Basler Konzil zunehmend die Tendenz durch, sie als zugleich kirchenrechtliches wie diplomatisches, finanzielles und militärisches Instrument einzusetzen. Die Bildung von »Heiligen Ligen« gegen die Türken, aber auch gegen innere Feinde der Christenheit wie die Hussiten in Böhmen stand im Einklang mit wichtigen Anliegen der Konzilsbewegung. Der Papst hatte zwar die Führungsrolle inne, aber politisch-militärisch konnten diese Ligen nur mit Zustimmung der Fürsten und der beim Konzil anwesenden Prälaten sowie der Mitglieder des Heiligen Kardinalskollegiums wirksam werden. Die Prälaten und Kardinäle schlossen sich in der Regel der Ansicht ihrer jeweiligen Landesfürsten an, deren Gunst sie oftmals ihren Rang innerhalb der Kirchenhierarchie verdankten. Nachdem die Zeit der ökumenischen Christenheit, gedacht als ein Körper mit zwei Köpfen – dem Papst in spiritualibus, dem Kaiser in temporalibus –, vorbei war, setzte sich ein neues, »föderales« Modell durch, dessen Bewährungsprobe der Kreuzzug war. Dass Johannes VIII. dem Papst zuneigte, lag zum einen an den ständigen Nachrichten von Dissens und Streit aus Basel und zum anderen an den beiden unverrückbaren Polen des Programms der Konzilsmehrheit. Diese waren wie geschaffen, die Sympathien des Basileus für das Konzil zu verspielen: erstens das Präjudiz der Oberhoheit des Konzils über den Papst (ein unüberwindbares Hindernis für Verhandlungen zu irgendeinem anderen Thema) und zweitens die Festlegung auf den Konzilsort Basel, den die Griechen als für sich extrem ungünstig erachteten. Das Gleichgewicht der Kräfte zwischen den beiden innerkirchlichen Parteien wurde 1437 offenkundig. Die Konzilsmehrheit in Basel hatte sich zwar für eine Verlegung des Konzils nach Avignon ausgesprochen und angeboten, dem Basileus und dem Patriarchen Schiffe und finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen, damit sie die Reise in den Westen antreten konnten, war aber dann außerstande gewesen, diese Beschlüsse in die Praxis umzusetzen. Die Konzilsminderheit, die dem Papst und Cesarini gegenüber loyal war, hatte dagegen für eine Verlegung des Konzils nach Udine oder Florenz plädiert und erweckte insgesamt den Eindruck größerer Glaubwürdigkeit. Kaiser Sigismund, dessen Vorschlag einer Verlegung des Konzils nach Buda abgelehnt worden war, riet dem Basileus von einer Reise nach Europa ab. Doch Sigismund starb wenig später, und sein Nachfolger wurde der Habsburger Albrecht II., mit dem der Papst bereits Absprachen getroffen hatte.

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Derweil zogen die Türken die Schlinge immer enger um Byzanz, während sie zugleich nach Nordwesten, in Richtung Europa, vorrückten. 1437, unter Ausnutzung der üblichen Thronfolgestreitigkeiten beim Ableben Kaiser Sigismunds, griff Sultan Murad II. Siebenbürgen an. Ein paar Jahre danach war ganz Serbien in der Hand der Osmanen, sosehr der Despot Georg Branković auch Widerstand leistete. Siebenbürgen wurde von dem Woiwoden Johann (János) Hunyadi verteidigt und blieb vorläufig unbehelligt. Unterdessen hatten die Konzilsväter in Basel eine neue Kirchenspaltung heraufbeschworen. Murad verfolgte die Entwicklung der Situation mit Sorge und Misstrauen, suchte aber den Eindruck zu erwecken, die Abwesenheit des Kaisers von seiner Hauptstadt ermuntere die Osmanen, Konstantinopel erneut und diesmal noch härter anzugreifen. In Wirklichkeit fürchtete der türkische Sultan, die Präsenz des Basileus im Westen könne tatsächlich ein ernsthaftes Kreuzzugsunternehmen zur Folge haben. Am 18. Oktober 1437 verkündete der Papst die Bulle Doctoris gentium, seine Erwiderung auf das Monitorium desselben Jahres, das den definitiven Bruch der Konzilsmehrheit mit dem Papst bedeutete. In dieser Bulle geißelte Eugen IV. die Immobilität und Ergebnislosigkeit des Konzils von Basel und bestimmte Ferrara zum Versammlungsort eines neuen Konzils. Die in der Emilia gelegene Hauptstadt des mit den Venezianern und den Florentinern verbündeten Herzogtums Este bot alles, was nötig war, um alle Seiten zufriedenzustellen. Ferrara galt sogar den Griechen als möglicher Tagungsort, da es über das Podelta mit dem Meer verbunden war. Eugen IV. baute auf die finanzielle Unterstützung durch Florenz, das kurz zuvor an seinen Freund Cosimo de’ Medici gefallen war, sowie auf die militärische und maritime Unterstützung Venedigs. Die Florentiner und die Venezianer, die damals gegen den Herzog von Mailand, Filippo Maria Visconti, im Kampf standen, hatten ein Interesse daran, den Papst auf ihrer Seite zu halten. Und sie wussten, dass sie dies am besten bewerkstelligen konnten, indem sie ihn gegen ein Konzil wie jenes in Basel unterstützten, das zu einem geschwätzigen und streitsüchtigen Haufen verkommen war, der das in den Jahren zuvor gewonnene Ansehen immer mehr verspielte. Ferrara war nur als Zwischenstation bis zur endgültigen Verlegung des Konzils nach Florenz gedacht, aber notwendig, um den Wünschen der Griechen entgegenzukommen. Im September und Oktober trafen in Konstantinopel kurz nacheinander die Gesandten und die bescheidenen Flotten ein, die der Papst und die Basler Konzilsmehrheit geschickt hatten. Im Wettstreit zwischen den Repräsentanten der beiden

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Seiten trug das Angebot des Papstes den Sieg davon. Die venezianischen Galeeren und das Florentiner Gold hatten sowohl den Basileus als auch den Patriarchen zu überzeugen vermocht  – die Griechen waren eben, wie Enea Silvio Piccolomini wenig wohlwollend schrieb, arm und sehr geschickt im Betteln. Johannes VIII. teilte den Gesandten seine Entscheidung mit und begründete sie damit, dass das Konzil seine Zusage nicht eingehalten habe, die notwendigen Mittel für seine Reise und für die Verteidigung der Stadt während seiner Abwesenheit nach Konstantinopel zu schicken. Am Ende traf eine Flotte des Konzils am Bosporus ein, und es war der Papst selbst, der seine konkreten militärischen Zusagen fürs Erste nicht einhielt. Dennoch erschien sein Angebot glaubwürdiger, und selbst Johannes von Ragusa hatte den Argumenten des Kaisers nicht wirklich etwas entgegenzusetzen. Ende November 1437 brachen die griechischen Konzilsvertreter, angeführt vom Basileus und dem griechischen Patriarchen, an Bord eines vom Papst zur Verfügung gestellten Schiffes von Konstantinopel auf und trafen am 8. Februar 1438 in Venedig ein. Die Griechen wurden von Ambrogio Traversari empfangen, dem General der Kamaldulenser und Freund des Papstes, der die Gastgeberrolle übernahm und ihnen die notwendige Geldsumme übergab, damit sie die ersten Ausgaben begleichen konnten. Der Basileus verließ Venedig am 28. Februar, ein paar Tage später gefolgt von der restlichen Delegation, darunter dem siechen Patriarchen Joseph. Der byzantinische Kaiser erreichte Ferrara am 4. März, die anderen trafen drei Tage später ein. Unterdessen legten die nach Konstantinopel entsandten päpstlichen Vertreter – Nikolaus von Kues und die Bischöfe von Porto und Digne – dem Papst einen Bericht über ihre Mission vor. Das Konzil in Ferrara begann unter allerlei Problemen der Etikette. Gerade weil sich die Griechen den Lateinern gegenüber in der schwächeren Position fühlten, waren sie bezüglich Gesten und Symbolen, die eine Vorrangstellung ausdrückten, hochempfindlich. Es waren weitere finanzielle Zuwendungen nötig, um die eine oder andere Beschwerde verstummen zu lassen. Auch wenn die in Basel verbliebenen Prälaten gegen das »conciliabulum von Ferrara« wetterten, wurde schließlich am 9. April in Anwesenheit des Basileus und der Delegierten der Patriarchen von Alexandria, Antiochien und Jerusalem das Konzil feierlich eröffnet. Der Patriarch fehlte wegen Krankheit, schickte aber eine Grußadresse. Lateiner und Griechen kamen im Folgenden zu paritätisch besetzten Ausschusssitzungen zusammen, um die altbekannten Streitpunkte zwischen den beiden Kirchen zu lösen (der Ausgang des Heiligen Geistes, die Frage des ungesäuerten Brotes, die

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Lehre vom Fegefeuer und das Problem des Primats unter den Patriarchen). Derweil verhehlte der Basileus gegenüber der Fraktion der griechischen Prälaten, die der Union der Kirchen eher ablehnend gegenüberstanden, nicht seine Ungeduld. Wortführer dieser Gruppe war Bischof Markos von Ephesos, der die hitzigen theologischen Diskussionen kaum ertrug und sich gegen einen allzu raschen Fortgang der Verhandlungen aussprach. Der Basileus hoffte, dass sich die Prälaten von Basel dem Konzil in Ferrara anschließen würden, um das Ansehen der Versammlung zu steigern, vor allem aber hoffte er, dass endlich die Gesandtschaften der weltlichen Mächte Europas eintreffen würden. Er drängte auf eine rasche Lösung der Einheitsfrage, wie auch immer sie aussehen würde – je vager, desto besser –, damit er nach Konstantinopel zurückkehren und die Gegenleistung für diese Einheit einfordern konnte: den militärischen Feldzug zur Verteidigung seines Reiches oder dessen, was davon noch übrig war. Die Hauptaktivität des kaiserlichen Gastes während seines Aufenthalts in Ferrara war allerdings die Jagd in den Revieren des Markgrafen Niccolò III. Tatsächlich entwickelte sich zwischen dem Basileus, dem Papst und den griechischen Prälaten, die der Union ablehnend gegenüberstanden, bald ein regelrechtes Gezerre. Johannes wollte nicht, dass sich seine Delegierten in endlose subtile Diskussionen verstrickten, die die Kircheneinheit verzögern konnten. Er wünschte aber auch keine allzu rasche Einigung, ohne zuvor verbindliche Zusagen für eine militärische Unterstützung erhalten zu haben. Für Papst Eugen wiederum war die Einheit der Kirche die conditio sine qua non, um die Frage eines Kreuzzugs zur Unterstützung Konstantinopels ernsthaft anzugehen. Doch die griechischen Prälaten taten alles, um diese Union hinauszuzögern (einer versuchte sogar, sich durch Flucht der Entscheidung zu entziehen). Gegenüber dem Basileus, der über ihre Haarspaltereien erzürnt war, rechtfertigten sie sich, indem sie (keineswegs unbegründet) argwöhnten, der Papst verfüge in Wirklichkeit gar nicht über die notwendige Autorität, um die Lateiner zu mobilisieren. Eugen IV. tat sein Möglichstes, um die westlichen Fürsten zu verbindlichen Zusagen zu bewegen, und bemühte sich gleichzeitig darum, Gelder zur Verteidigung Konstantinopels zu sammeln. Er richtete sogar ein Schreiben an den Priester Johannes, den Kaiser von Äthiopien, und lud ihn zur Teilnahme am Konzil ein. Die erste eigentliche Konzilssitzung begann am 8. Oktober 1438 mit neuen Beschwerden. Die Griechen waren unzufrieden, weil der an Gicht leidende Papst die Sitzung nicht in der Kathedrale abhielt, die ihm zu weit entfernt lag. Der Basileus war

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erbost, weil man ihm nicht gestattet hatte, den ihm bei der Eröffnungszeremonie zugewiesenen Platz zu Pferd zu erreichen. Nachdem diese Missstimmigkeiten beseitigt waren, wurden die Verhandlungen fortgesetzt, jedoch ohne dass die Kreuzzugsfrage erörtert wurde. Ende November trafen dann endlich die Gesandten des Herzogs von Burgund ein, doch der Basileus, der sie bereits ungeduldig erwartet hatte, war von ihrem wenig ehrerbietigen Verhalten enttäuscht. Hinzu kam der Umstand, dass der Generalabt von Cîteaux in seiner langen Ansprache viel von der Einheit und Wiederversöhnung mit den in Basel verbliebenen Prälaten sprach, aber über den westlichen Beistand für Konstantinopel kein Wort verlor. Derweil drangen die Florentiner immer nachdrücklicher darauf, das Konzil in ihre Stadt zu verlegen. Die Griechen waren dagegen, konnten aber Anfang Januar 1439 mit einer großen Geldsumme zur Begleichung ihrer Spesen und einer noch größeren Summe, die nach Konstantinopel geschickt wurde, um zur Verteidigung der Stadt beizutragen, überzeugt werden. Als der Basileus erkannte, dass weder die griechischen Prälaten noch die westlichen Mächte sich bewegten, beschloss er, zumindest die ihm zur Verfügung gestellten finanziellen Mittel zu nutzen und von Florenz aus weiter zu versuchen, die westlichen Mächte von der Notwendigkeit ihres Beistands im Kampf gegen die Osmanen zu überzeugen. Am 6. Juli 1439 wurde in Florenz die Einheit der beiden Kirchen verkündet – der griechischen Kirche, die von einem unentschlossenen Herrscher und einem widerstrebenden Patriarchen vertreten wurde, und der lateinischen, die durch ein neues Schisma gespalten war. Derweil lief die Zeit davon.

Varna, 1444 Im Frühjahr 1438 hatten die Türken ihre Offensive wieder aufgenommen und Siebenbürgen und Ungarn, aber auch Alba Greca, für die Slawen Beograd, die »Weiße Stadt«, mit großer Gewalt angegriffen. Belgrad leistete jedoch so erbittert Widerstand, dass der Sultan im September seine Zelte abbrechen musste. Johann Hunyadi, vom neuen ungarischen König Ladislaus Jagiełło mit der Verteidigung des Gebiets zwischen Donau und Theiß betraut, bot den Ungläubigen so entschlossen die Stirn, dass sogar die ungarischen Adligen für den Moment ihre endlosen Dispute beilegten. Sie scharten sich in einer Art Heiligen Liga um den Woiwoden, der zum Vorkämpfer des Glaubens und der Freiheit geworden war.

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Anfang 1443 forderte Papst Eugen IV. in einer Generalenzyklika alle Prälaten auf, ein Zehntel ihrer Einkünfte für den Krieg gegen die Türken zu opfern. Der Papst selbst stellte ein Fünftel seiner Geldmittel bereit, um ein Heer und eine Flotte auszurüsten. In Ungarn hatte der Kreuzzug in dem Kardinallegaten Giuliano Cesarini einen tüchtigen Unterstützer. Polen, die Walachei und die tapfere Republik Ragusa (Dubrovnik) stellten sich begeistert hinter den Papst. Das Unternehmen hätte erfolgreich sein können: Der aus Epirus stammende Adlige Georg Skanderbeg rief die Albaner und Montenegriner zum Kampf gegen die Ungläubigen auf, und Georg Branković reorganisierte unermüdlich die Serben. In Ibrahim Bey hatten die Christen Anatoliens einen wertvollen Verbündeten. Ibrahim Bey war der Herrscher des Sultanats Karaman, der Region zwischen dem Salzsee Tuz Gölü und dem Taurusgebirge. Obwohl ein Vetter Sultan Murads, war er entschlossen, diesem die Herrschaft in Asien streitig zu machen. Unterdessen führte Konstantin Palaiologos, der Despot von Mistra auf der Morea, einen eigenen Kreuzzug. Er überfiel das Territorium des Florentiners Neri II. Acciaioli, des Herzogs von Athen, der sich zum Vasallen des Sultans erklärt hatte, rückte über Griechenland und Thessalien in Richtung Konstantinopel vor und mobilisierte unterwegs auch die griechische und thrakische Bevölkerung gegen die Osmanen. Die Voraussetzungen schienen günstig. Doch der Aufruf zum Kreuzzug, der mit großem rhetorischem Aplomb von Predigern und Propagandisten vorgetragen wurde, stieß, wie üblich, im Westen auf taube Ohren. In Frankreich war der Hundertjährige Krieg immer noch nicht vorbei. In Italien hatten die Auseinandersetzungen zwischen Anjou und Aragón um das Königreich Neapel, die eben erst beigelegt worden waren, viel böses Blut aufkommen lassen. Genua, Venedig und Florenz hatten nicht die Absicht, ihre guten Beziehungen zum Sultan aufs Spiel zu setzen. Der neue König Deutschlands und »der Römer«, der Habsburger Friedrich III., der vom Papst noch nicht die Kaiserkrone empfangen hatte, zeigte gleichfalls keine Lust, sich in ein Unternehmen zu stürzen, das nur Ladislaus’ Macht in Ungarn gestärkt hätte. Mit Verweis auf die weiterhin unsichere Situation in Böhmen, wo die hussitische Häresie noch nicht niedergeschlagen war, lehnte er es vorerst ab, das Kreuz zu nehmen. Im Sommer 1443 hatte sich in Buda also lediglich eine zusammengewürfelte Truppe versprengter Glücksritter versammelt. Der Feldzug begann vielversprechend mit einem Sieg bei Nisch und der Eroberung Sofias. Aber dann machten

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der harte balkanische Winter und die türkische Guerillataktik den Kreuzfahrern einen Strich durch die Rechnung. Sie mussten sich schweren Herzens nach Belgrad und Buda zurückziehen. Branković, als Despot von Serbien ein Vasall des Sultans und obendrein dessen Schwiegervater, vermittelte einen Friedensschluss, den Murad, beunruhigt über die Absichten des Karamaniden-Herrschers, herbeigesehnt hatte. Im April des folgenden Jahres bat Ladislaus von Ungarn den Sultan um einen Waffenstillstand, versicherte aber Kardinal Cesarini und den »Falken« in seinem Umkreis, er werde im Sommer erneut zu den Waffen greifen. Kaum jemand glaubte daran, bis auf den Sultan natürlich, der durch seine Kundschafter bestens informiert war. Ein ungewöhnlicher Zeitzeuge, der sich zu jener Zeit in osmanischem Territorium aufhielt, der Humanist Ciriaco de’ Pizzicolli aus Ancona, berichtet, dass die Befestigungsarbeiten in Edirne trotz des Waffenstillstands fieberhaft weitergingen. Tatsächlich unterzeichnete Ladislaus, allem Anschein nach in absoluter Unaufrichtigkeit, einen zehnjährigen Waffenstillstand mit dem Sultan. Ende Juli segelte bereits eine Flotte unter dem Kommando Alvise Loredans und des Kardinallegaten und Papstneffen Francesco Condulmer von Venedig aus in Richtung Bosporus, um von dort aus Kurs auf die Donaumündung zu nehmen. Sultan Murad

Jan Matejko, Die Schlacht von Varna, 1444: Ladislaus von Ungarn führt einen Angriff gegen die Osmanen, 1879, Budapest, Szépmüvészeti Múzeum.

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war derweil gezwungen, nach Anatolien aufzubrechen und gegen Ibrahim Bey zu kämpfen, während in Edirne eine von Schiiten geschürte religiöse Bewegung und ein Aufstand der Janitscharen für Unruhe sorgten. Dies war die Gelegenheit, der osmanischen Schlange ein für allemal den Kopf zu zerschmettern. Kardinal Cesarini wird es nicht schwergefallen sein, den unentschlossenen und unzuverlässigen Ladislaus zu überzeugen, der stets auf den hörte, dessen Meinung er zuletzt vernommen hatte. Am 4. August verbündete sich in Szegedin der König mit den Granden der Königreiche Polen und Ungarn zu einem gemeinsamen Militärschlag, um die Türken aus Europa zu vertreiben. Lediglich der Despot von Serbien zog sich zurück und schloss einen Separatfrieden. Murad, der Ibrahim Bey fast schon besiegt hatte, unterzeichnete schnell einen Friedensvertrag mit diesem und kehrte in einem Gewaltmarsch zu den Meerengen zurück. Dort wollten ihm Loredans und Condulmers Flotte den Übergang nach Europa abschneiden. Doch daraus wurde nichts, denn noch bevor ihre Schiffe das Marmarameer erreichten, hatte der Sultan bereits den Bosporus passiert. Dabei kamen ihm offenbar die Genuesen von Pera zu Hilfe. Aber vielleicht steckte hinter diesem Gerücht auch Venedig, das nichts getan hatte, um die Durchfahrt durch die Dardanellen zu verhindern. Unweit von Varna am Schwarzen Meer, an der Mündung des Flusses Provadija, kam es zur Schlacht. Die Kreuzfahrer erlitten, wie schon in Nikopolis, eine weitere epochale Niederlage. Der Einzige von ihnen, der über militärisches Geschick verfügte, war Hunyadi, doch er war von dem unerfahrenen und unfähigen Ladislaus beiseite gedrängt worden, der seinen Leichtsinn mit dem Leben bezahlte. Mit ihm fiel auch Giuliano Cesarini. Angesichts dieser Wendung der Ereignisse besann sich der walachische Woiwode Vlad II., genannt »der Drache« oder »der Teufel« (Dracul), eines Besseren und verschaffte sich die Gunst des Sultans, indem er seinen siebenbürgischen Mitstreiter abfing und aufhielt. Brancović, der gleichfalls ein doppeltes Spiel trieb, hielt seinerseits Skanderbeg auf und verhinderte damit, dass er den Kreuzfahrern zu Hilfe eilen konnte. Der Basileus hielt sich aus dem Konflikt heraus, um dem Sultan keinen Vorwand zum entscheidenden Angriff auf Konstantinopel zu liefern. Er wusste, dass der nur eine Frage der Zeit war, aber er wollte noch ein paar Monate Aufschub gewinnen. Murad nutzte den Augenblick des Friedens nach der verheerenden Niederlage der Christen, um abzudanken. Sein Sohn, der junge Prinz Mehmed, erwies sich jedoch als so ungeschickt, dass sein Vater rasch selbst wieder die Zügel in die

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Hand nahm. Die Venezianer gaben unterdessen dem Sultan wie auch dem Papst zu verstehen, dass sie von Kreuzzügen genug hatten. Und Alfons von Aragón, der neue Herrscher Süditaliens und damit der südlichen Adria, kümmerte sich vorerst lieber darum, seine noch instabile Macht im Königreich Neapel zu stärken. Serben und Walachen blieben unzuverlässige Vasallen und Verbündete, würden aber keine unbesonnenen Aktionen unternehmen. Nur Skanderbeg und Hunyadi, der inzwischen für den unmündigen Ladislaus Postumus Reichsverweser von Ungarn geworden war, zeigten sich entschlossen, sich dem Joch des Sultans nicht zu beugen. Gegen Konstantin Palaiologos führte der Sultan einen erbitterten Feldzug, der den Basileus 1446 in die Vasallenschaft zwang.

Rachegelüste Das große Unternehmen war gescheitert. Der Aufruf des Papstes von 1443 hatte zwar in den Ländern des Donau-Balkan-Raums große Hoffnungen geweckt, das übrige Europa jedoch kalt gelassen. Der Hundertjährige Krieg war noch nicht zu Ende. Kaiser Friedrich III. aus dem Hause Habsburg misstraute den Ungarn (die die größten Nutznießer eines siegreichen Kreuzzugs gewesen wären) ebenso wie dem Papst und nahm eine politisch unentschiedene Position zwischen dem päpstlichen Hof und den in Basel versammelten schismatischen Bischöfen ein. In Italien war die Aufmerksamkeit der Staaten ganz auf die neue Macht Aragón konzentriert. Zudem ließen weder Genua noch Venedig oder Florenz, das damals in den Seehandel einstieg, die Bereitschaft erkennen, gegen ihre eigenen Interessen zu handeln, indem sie sich offen gegen den Sultan stellten. Blieb Konstantinopel, das mit seiner Furcht allein dastand. Doch auch hier war die öffentliche Meinung alles andere als einheitlich. Es existierte eine starke türkenfreundliche Strömung, für die es unterschiedliche Gründe gab: die Hoffnung auf wirtschaftliche Vorteile, die Angst vor noch schlimmeren Übeln, die Sehnsucht nach politischer Stabilität, Groll gegen die herrschende Dynastie und eine Abneigung gegen den Westen. Dieser Strömung gehörte auch der griechische Klerus an und besonders die Mönche, die seit jeher die Herolde des Hasses auf die Lateiner waren. Die griechische Kirche wusste, dass der in Florenz erreichte Kompromiss in Wahrheit eine Kapitulation war. Die dogmatischen, theologischen, liturgischen und kirchenrechtlichen Fragen waren ausschließlich zugunsten der römischen Positionen und zum Nach-

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Georg Kastriota (»Skanderbeg«), 1405–1468.

teil der orthodoxen Tradition gelöst worden. Eine Eroberung durch die Osmanen würde der griechischen Kirche nach anfänglicher Not und Drangsal ihre Freiheit lassen. Das entsprach zumindest der muslimischen Tradition der Toleranz, der abzuschwören die Türken trotz ihrer Ungeschliffenheit keinen Grund hatten. Die »Befreiung« durch die Lateiner hingegen würde das Ende der Autokephalie bedeuten. Immer lauter wurden die Stimmen, die sagten, der osmanische Turban sei der römischen Tiara vorzuziehen. Die Niederlage von Varna jedenfalls weckte in ganz Europa den entschlossenen Willen zur Vergeltung. Der Humanist Tommaso Parentucelli aus Sarzana wurde am 6. März 1447 als Nikolaus V. zum Papst gewählt und am 19. März geweiht. In sein Pontifikat fielen zwei bedeutende Ereignisse mit unterschiedlichen Folgen für die Kirchengeschichte und die Christenheit seiner Zeit. Am 9. April 1449 wurde ihm die Genugtuung zuteil, das Ende des sogenannten Kleinen Abendländischen Schismas zu verkünden, als nach zehn Jahren der Gegenpapst Felix V. abdankte und wieder Amadeus VIII. von Savoyen wurde. Doch vier Jahre später, am 29. Mai 1453, erlebte er den Schmerz und die Schmach, dass Konstantinopel in die Hände der osmanischen Türken fiel. Damit war das Ende dessen besiegelt, was – mit einer zweifelhaften und kurzlebigen Form lateinischer Kontinuität zwischen 1204 und 1261 – in jeder Hinsicht der östliche Teil (pars Orientis) des Römischen Reichs entsprechend der theodosianischen

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Reichsteilung mehr als tausend Jahre zuvor gewesen war. Worin aber bestand die Kreuzzugsproblematik, die Nikolaus geerbt hatte? Und wie positionierte er sich? Die Kreuzzugsfront war weit gespannt und aus verschiedenen Schauplätzen zusammengesetzt. Sie erstreckte sich vom Balkan bis zum Ägäischen Meer, nach Spanien und nach Nordosteuropa, und auf ihr lastete der gewaltige diplomatisch-finanzielle Überbau, der für das Eintreiben des Zehnten und den Ablassverkauf sorgte. Im Jahr 1448 reduzierte der Papst den Preis für den Ablass in Kastilien auf drei Gulden – Martin V. hatte ihn auf acht Gulden erhöht, Eugen IV. auf fünf Gulden reduziert. Papst Nikolaus bestimmte König Johann II. zum Nutznießer der Erträge, die für den Kreuzzug gegen Granada generiert werden konnten. Und 1453 übertrug er ihm auch die Führung des Ritterordens von Santiago. Er betrachtete die afrikanischen Eroberungen und die portugiesischen Erkundungen im Atlantik mit Wohlwollen und stellte die dilatatio fidei mit der defensio fidei auf eine Stufe. Die Bulle Romanus Pontifex, die er am 8. Januar 1454 veröffentlichte, legitimierte das entstehende portugiesische Reich und festigte den Ruhm des Infanten, Heinrichs des Seefahrers. 1448 und 1449 ließ der Papst auch den Teilnehmern an den Kreuzzügen nach Preußen und Livland einen Ablass verkünden. Darüber hinaus unterstützte er die Niederschlagung der hussitischen Bewegung und der Häresie im Allgemeinen, etwa indem er 1450 an der Gründung der Compagnia della Croce in Bologna durch den Inquisitor Corrado (Konrad) aus Deutschland reges Interesse bekundete. Nikolaus zeigte keinen übermäßigen Wunsch, die militärischen Aktionen gegen die Osmanen wieder aufzunehmen. Die Niederlage von Varna war noch nicht verwunden, wenngleich der Reichsverweser von Ungarn, Johann Hunyadi, der Albaner Skanderbeg und der Despot von Mistra, Konstantin Palaiologos, entschlossen waren, den unabwendbar scheinenden Triumph der Ungläubigen nicht hinzunehmen, und auf Vergeltung sannen. Vor allem Hunyadi wollte nicht warten. In diesem Sinn schrieb er im September 1448 an die Kurie in Rom, bevor er von Belgrad aus überstürzt quer durch Serbien loszog. Nachdem sich Skanderbeg die Unterstützung Venedigs gesichert hatte, sagte er zu, an einem neuen Feldzug teilzunehmen. Der Papst hatte großzügige Versprechungen gemacht und dem ungarischen Reichsverweser einen vollkommenen Ablass gewährt, aber keine ernsthaften Schritte unternommen. Vom 17. bis zum 19. Oktober 1448 kämpfte das ungarische Heer, verstärkt durch albanische und walachische Kontingente, gegen die Truppen Sultan Murads auf dem Amselfeld, wo Serben und Ungarn

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bereits 1389 eine krachende Niederlage erlitten hatten. Am zweiten Kampftag wiederholte sich das Unheil, das auf diesem Ort lastete. Das ungarische Heer wurde von der osmanischen Artillerie vernichtet und vom Janitscharensturm in den Staub getreten; der Ruf Hunyadis als eines Militärstrategen war für immer dahin. Wenige Tage zuvor, am 3. Oktober, war der Basileus Johannes VIII. gestorben. Dem Rat des Sultans folgend, der wusste, dass er Byzanz in der Hand hatte und sich paradoxerweise – freilich ohne dabei zu übertreiben – als dessen »Beschützer« gebärden konnte, ging die Krone des Byzantinischen Reichs an Konstantin, den Despoten von Mistra, den die Lektion von Varna vier Jahre zuvor lammfromm gemacht zu haben schien. Vielleicht sah Murad ja nach wie vor einen hochgefährlichen Gegner in ihm und wollte ihn lieber als Herrscher im goldenen Käfig Konstantinopel, das von osmanischem Territorium regelrecht umzingelt war, sehen als auf freiem Fuß in Griechenland. Jetzt musste nur noch Skanderbeg gebändigt werden, der sich in der Festung Kruja in den rauen Bergen Albaniens verschanzt hatte. Im April 1450 versuchte der Sultan, die stolze Festung einzunehmen, musste sich aber nach fünfmonatiger erfolgloser Belagerung zurückziehen. Skanderbegs heldenhafter Widerstand ließ unter den europäischen Kreuzzugseiferern eine neue Welle der Begeisterung aufkommen. Der Papst, der Herzog von Burgund, der König von Neapel und der Reichsverweser von Ungarn unterstützten ihn mit Geld und Lebensmitteln. Im selben Jahr begaben sich zwei herausragende Persönlichkeiten der kirchlichen Welt, Nikolaus von Kues und Dionysius der Kartäuser, auf eine lange Reise durch das Heilige Römische Reich, um den Kreuzzug zu predigen. Die Aufrufe des Dionysius beeindruckten besonders Philipp den Guten, Herzog von Burgund, der ohnehin geneigt war, das Kreuz zu nehmen. Enea Silvio Piccolomini, der apostolische Nuntius in Deutschland, der den Krieg gegen die Osmanen gleichfalls befürwortete, schrieb am 25. November 1448 aus Wiener Neustadt an den Papst, es seien die Zwietracht und der Egoismus der christlichen Fürsten, die den Türken den Weg zur Eroberung ebneten. Nach dem Tod Murads 1451 bestieg sein Sohn Mehmed II. den Sultansthron: ein junger Mann, der nicht lange zuvor bereits für zwei Jahre die Geschicke des Reiches gelenkt hatte, wenn auch wenig überzeugend. Die innenpolitische Krise nach dem Tod des großen Sultans und der Ruf der Schwäche, der seinem Nachfolger vorauseilte, lösten in der christlichen Welt Euphorie aus. Der Humanist Francesco Filelfo, der mehrere Jahre am Hof des Basileus Johannes gelebt und

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die Tochter des griechischen Gelehrten Johannes Chrysoloras geheiratet hatte, gebärdete sich als Kenner orientalischer Verhältnisse. Er schickte einen Brief an den französischen König Karl VII., in dem er ihn aufforderte, sich an die Spitze eines neuen militärischen Unternehmens gegen die Osmanen zu stellen. Filelfo zufolge war der neue Sultan ein junger Mann ohne Energie und ohne politisches und militärisches Geschick. Ein Feldzug nach Anatolien, so Filelfo, sei daher ein Kinderspiel. Tatsächlich enthielt dieser Brief, in aufdringlich schmeichlerischem Ton geschrieben, dermaßen krasse Fehlurteile über Byzanz und die Osmanen, dass man sich fragen darf, ob sich der Verfasser dessen nicht selbst bewusst gewesen sein müsste. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass seine Einschätzung der Lage auf Vorurteilen und Gemeinplätzen beruhte, die im Westen weit verbreitet waren und die er teils aus Unwissenheit, teils im Bestreben, bekannte Ansichten zu verstärken, nachbetete. Jedenfalls spielte er die Gefahren, Risiken und Kosten eines Kreuzzugs systematisch herunter und überschätzte die Macht der Byzantiner, die in Wirklichkeit gar nicht mehr existent war. Filelfos Äußerungen wurden als das aufgenommen, was sie waren: die Willfährigkeit eines Höflings. Zudem hatte der französische König in dem Moment anderes zu tun, war er doch damit beschäftigt, sich die verbliebenen festländischen Besitzungen der Engländer anzueignen. Briefe wie der des Humanisten Filelfo zeigen allerdings, dass der Kreuzzugsgedanke zumindest als rhetorischer Topos immer noch lebendig war. Der Schock über die Niederlagen von Varna und auf dem Amselfeld saß dem Papst indes noch in den Knochen und ließ ihn zögern. Er war gespalten zwischen seiner Pflicht als Papst und der objektiv geringen Chance eines gemeinsamen Feldzugs der Christenheit, der die innere Eintracht Europas und großzügige Finanzmittel erfordert hätte. Vielleicht in der Absicht, seine Unentschlossenheit zu kaschieren, verschanzte sich der Papst hinter einer alten Vorbedingung der Lateiner: der Einheit aller Christen, die bereits auf dem Konzil von Florenz verkündet worden war. Ein Kreuzzug, so erklärte er, könne nur aus der faktischen Beilegung des Schismas zwischen der lateinischen und der griechischen Kirche erwachsen, andernfalls würde er nur die Macht des schismatischen Kaisers stärken. Eine heimtückische, in ihrem Kern erpresserische Argumentation, die nur dem Anliegen schadete, das der Papst doch zu vertreten vorgab. Dennoch legte er nicht die Hände in den Schoß. So versprach er den Verteidigern der von den Türken bedrohten Mittelmeerinseln den Nachlass ihrer Sünden. Der entsprechende Erlass zur Verteidigung der Insel Zypern aus dem Jahr 1451 bildete die

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Grundlage für die ersten gedruckten Ablassbriefe, die 1454 in Mainz entstanden. Der Basileus seinerseits ließ dem Westen eindringliche Appelle überbringen. Sein Gesandter Andronikos Leontaris Bryennios besuchte Venedig und anschließend Rom, um über die Kirchenunion zu verhandeln, unter der Bedingung, dass sich die Hilfe des Westens nicht noch weiter verzögerte. Einen sehr konkreten und speziellen Interventionsplan hegte Alfons der Großmütige, König von Neapel. Als Herrscher eines Mittelmeeranrainerstaates war der Aragonese der natürliche Erbe der normannischen, staufischen und angevinischen Politik bezüglich des Ostens. Sein Interesse galt daher Albanien, über das er nominell bereits die Oberhoheit innehatte und dessen Besitz ihm die volle Kontrolle über die Straße von Otranto sichern würde. Wie einst Karl I. von Anjou träumte auch er davon, eines Tages die Kaiserkrone Konstantinopels zu tragen. Zu diesem Zweck hatte er bereits mit Demetrios, dem Bruder und Rivalen des Basileus Konstantin, ein Bündnis geschlossen. Im Juli 1451 erklärte sich Alfons bereit, eine Fürstenversammlung für einen künftigen Kreuzzug einzuberufen, den er selbst anführen würde. Doch dahinter steckte eine für den Papst bedrohliche Absicht, denn der Vorschlag war nicht an ihn, sondern an die »streitende Kirche« gerichtet und hatte damit eine fast konziliaristische Stoßrichtung. Entgegen seinen weitreichenden Plänen war Alfons freilich tief in die politischen Probleme Italiens verstrickt. Er fühlte sich auf dem Thron Neapels nicht sicher, und er verfügte über keine Flotte. Dennoch rüsteten die neapolitanischen Werften im Jahr 1451 wenigstens ein paar Schiffe aus, die dem Basileus zu Hilfe kommen sollten.

Konstantinopel, 1453 Der junge Sultan lieferte unterdessen immer klarere Belege dafür, dass er keineswegs so unfähig war, wie man glaubte. Er hatte die mit Venedig geschlossenen Verträge bestätigt und Hunyadi einen nicht unehrenhaften Frieden angeboten. Als er im Frühjahr und Sommer 1452 begann, die Meerengen zu befestigen, waren Genuesen und Venezianer, deren Handelsinteressen in Konstantinopel und im Schwarzen Meer durch diese Maßnahmen beschnitten wurden, nicht imstande, gemeinsam zu reagieren, lagen sie doch miteinander im Streit. Zwar stand Genua tendenziell dem Basileus, Venedig – nach dem Friedensvertrag vom 10. September 1451 – dagegen dem Sultan näher, aber keiner von beiden wollte sich die guten

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Fausto Zonaro, Mehmed II. zieht nach der Belagerung der Stadt in Konstantinopel ein, 1903.

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Beziehungen zu der einen oder anderen Seite gänzlich verderben. Mit der Befestigung der Meerengen konnte der Sultan die Durchfahrt der Schiffe und damit das Leben in Konstantinopel kontrollieren. Doch der Festungsbau war zweifellos nur der Auftakt zu den Feindseligkeiten, die im Spätsommer 1452 begannen und sich im Oktober mit einem Angriff auf die Morea fortsetzen – ein Ablenkungsmanöver, wie sich später herausstellte. Sultan Mehmed hatte mit Unterstützung und fachkundiger Anleitung christlicher Renegaten begonnen, riesige Kanonen zu gießen: Der entscheidende Angriff auf die Stadt am Goldenen Horn stand unmittelbar bevor. Angst und Unsicherheit verbreiteten sich überall im christlichen Europa. Ein Appell der in Pera ansässigen Genuesen wurde vom Mutterland aufgenommen und an seine wichtigsten Verbündeten weitergegeben: den französischen König und Florenz. Während der Italienreise Friedrichs III. im Frühjahr 1452 hatte Enea Silvio Piccolomini in Rom gegenüber dem Papst und dem Kaiser von der Notwendigkeit eines neuen Kreuzzugs gesprochen. Dasselbe Anliegen trug in Neapel Flavio Biondo Friedrich und Alfons vor. Zurück in Rom widmete Biondo dem König von Neapel seine kleine Abhandlung De expeditione in Turchos. Mehmed II. seinerseits hatte nicht die Absicht, die Eroberung noch länger hinauszuzögern. Zwischen März und August 1452 richtete er unter den Einwohnern von Epibation ein Massaker an, das Georg von Trapezunt veranlasste, dem Papst eine Bittschrift mit dem Titel Pro defendenda Europa zu überstellen. Am 16. November schrieb der Senat von Venedig an den Papst und die Kardinäle und forderte ein energischeres Handeln. Der Papst verhehlte seine Sorge nicht, blieb jedoch in einem Punkt unnachgiebig: Dem Kreuzzug sollte die faktische Kirchenunion vorausgehen, sie war die condi­ tio sine qua non. Damit stand er keineswegs allein. Bestärkt wurde er vom Großmeister des Ordens vom Goldenen Vlies, Jean Germain, dem eine große militärische Expedition vorschwebte, an der Griechen und Lateiner, in einer Kirche vereint, gemeinsam teilnehmen sollten, zusammen mit den Äthiopiern des Priesters Johannes. Diesmal musste sich Byzanz auf die erpresserischen Forderungen aus Rom einlassen, eine andere Wahl gab es nicht. Am 12. Dezember 1452 wurde in der Hagia Sophia in Anwesenheit Isidors von Kiew, Kardinal von Santa Sabina und lateinischer Patriarch von Konstantinopel, der eigens aus Rom angereist war, das Ende des Schismas feierlich verkündet. Doch damit wurde alles nur noch schlimmer. Obwohl der Unionsvertrag den ausdrücklichen Vorbehalt einer er-

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neuten Überprüfung nach Abwehr der osmanischen Bedrohung enthielt, protestierten griechische Mönche und Teile der hauptstädtischen Bevölkerung, der frevlerische Vertrag beschwöre den Zorn des Himmels herauf. Konstantinopel durchlebte die letzten Tage der Freiheit in Zwietracht und Angst. Das Rückgrat seiner Verteidigung bestand aus rund 3000 Lateinern, mehrheitlich Venezianer und Genuesen, und es blieb zweifelhaft, ob sie zu gemeinsamem Handeln zusammenfinden würden. Mit der von Georg Scholarios angeführten griechischen Fraktion, die gegen die Kirchenunion war und deren Anhänger vielfach zu Spionage, Sabotage und Verrat bereit waren, verfügte der Sultan über eine starke fünfte Kolonne. Und so kam, was kommen musste: Ende Mai zog der Sultan in Konstantinopel ein, und Konstantin XI., der letzte Basileus, fiel im Kampf, nachdem er seine Stadt tapfer verteidigt hatte. Der Westen schien aus seinem langen Dämmerschlaf erwacht. Der Fall der Stadt am Bosporus war ein Tod mit Ansage gewesen. Doch glaubt man den unmittelbaren Reaktionen des christlichen Europas, so scheint niemand ernsthaft damit gerechnet zu haben, Konstantinopel könne tatsächlich fallen. Die Ereignisse wurden als unheilvolle Zeichen für das Ende der Welt gedeutet, als Beweis dafür, dass der Türke unbesiegbar und unaufhaltsam sei. Zwar hatte schon das türkische Vorrücken auf dem Balkan und in der Ägäis den Europäern vorgeführt, dass ihr Kontinent gegen Angriffe der Ungläubigen nicht mehr gefeit war, doch erst mit dem Fall des Neuen Roms verknüpfte sich der Kreuzzugsgedanke mit dem Gedanken der Verteidigung Europas. Enea Silvio Piccolomini sagte es klar und deutlich: »Noch nie haben wir eine Stadt oder einen Ort verloren, der mit Konstantinopel vergleichbar ist.« Europa hatte auch der böhmische König Georg Podiebrad im Blick, als er eine Art Strategiekonzept für die politische Einheit der europäischen Staaten vorlegte, um dem Kampf gegen die Türken eine dauerhafte institutionelle Basis zu geben. Doch Podiebrad hatte sich vom katholischen Glauben abgewandt und die reformatorische Konfession der Hussiten angenommen. Und schon bald ließ der Papst gegen ihn jenen Kreuzzug predigen, den er gegen die Ungläubigen hatte führen wollen. Jedenfalls wurde Europa von excitatoria, von Aufrufen und Kreuzzugsplänen geradezu überflutet. Nikolaus V. schien es diesmal ernst zu meinen. Am 29. Juni erfuhr er durch einen Brief des venezianischen Senats von der Katastrophe. Er verbreitete die Nachricht unter den italienischen Mächten, die um die Nachfolge des Herzogtums Mailand gegeneinander kämpften, und beschwor sie, sofort Frieden

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zu schließen und gegen die Barbarengefahr eine gemeinsame Front aufzubauen. Der Aufruf hatte wenigstens zum Teil Erfolg. Der Fall Konstantinopels brachte Venedig – das sich durch gute Beziehungen mit dem Sultan abgesichert hatte – zwar Nachteile, aber nun war Europa als Ganzes in Gefahr. Vor allem das Königreich Neapel schien von den Türken, aber auch von dem tunesischen Emir Abu Umar Uthman bedroht zu sein, der, ermuntert durch die türkische Eroberung Konstantinopels, christliche Küsten überfiel, die Bewohner in die Sklaverei führte und einen Überfall auf Sizilien plante. Die Reaktionen auf diese Gefahren waren jedoch nicht die, die sich Nikolaus erhofft hatte. Die Genuesen beispielsweise hatten nichts dagegen, dass die Tunesier den Aragonesen das Leben schwer machten, sondern taten in dem nun entfesselten Kaperkrieg alles, damit sich die Situation noch verschlimmerte. Was Konstantinopel betraf, so versuchten sie zu retten, was zu retten war. Die genuesische

Belagerung von Konstantinopel, 1453, Miniatur von Philippe de Mazerolles aus einem Manuskript der Chronique de Charles VII von Jean Chartier (3. Viertel 15. Jh.). Man beachte den Sultan auf einem Schimmel ganz links, die typischen Turbane und die runden Schilde der Türken.

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Regierung forderte den Sultan umgehend auf, das von Genuesen bewohnte Galata unangetastet zu lassen, und trat ihre gesamten Besitzungen am Schwarzen Meer an die genuesische Bank des heiligen Georg (Banco di San Giorgio) ab. Und das, obwohl der genuesische Herr von Lesbos, Giovanni Giustiniani, zur Verteidigung des Neuen Roms Männer, Ressourcen und sich selbst in die Waagschale geworfen hatte. Venedig gab seine Politik der territorialen Expansion auf und besann sich auf seine alte Rolle als Seemacht, bemühte sich aber zugleich um eine Verständigung mit dem Sultan. Und Francesco Sforza, der neue Herzog von Mailand, hatte sich über den Fall Konstantinopels, der seiner Rivalin an der Adria so viele Nachteile brachte, zunächst fast gefreut. Der Grund für den überstürzten Friedensschluss Mailands mit Venedig war denn auch weniger die Angst vor künftigen Vorstößen der Osmanen. Vielmehr spielte die Befürchtung eine Rolle, die französische Krone könnte nun, nach dem Ende des Hundertjährigen Krieges, unter Berufung auf die Verwandtschaft zwischen den Visconti und dem Haus Orléans Anspruch auf das Herzogtum Mailand erheben. Der Fall Konstantinopels und das Ende des französisch-englischen Kriegs trugen also zum Friedensvertrag von Lodi und damit zu jener »Politik des Gleichgewichts der Kräfte« bei, die der italienischen Halbinsel in den folgenden vierzig Jahren eine gewisse Stabilität garantierte. Was die 1454 zwischen Mailand, Venedig, Florenz, dem Kirchenstaat und Neapel gebildete italienische Liga betraf, so wichen die Venezianer wie die Florentiner dem osmanischen Problem aus, während der König von Neapel das Bündnis als ausdrückliche Vorbedingung einer künftigen gemeinsamen Aktion zur Befreiung Italiens und der Christenheit von der türkischen Bedrohung betrachtete.

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Die Verteidigung des christlichen Europas Ein neuer Kreuzzug? Wie seine Nachfolger Calixt III., Pius II., Paul II. und Sixtus IV. sah sich auch Nikolaus V. mit großen Problemen konfrontiert: mit dem Ende des Oströmischen Reiches, der anhaltenden Krise des römisch-deutschen Reiches und dem Vorrücken der Türken. Vor diesem Hintergrund dringend notwendig erschien ein Kreuzzug, der die wiedergefundene Einheit der Christen bekräftigte – das Kleine Abendländische Schisma und der Hundertjährige Krieg waren beendet – und das wiedergewonnene politische Kräftegleichgewicht festigte, mit dem Papst als dem nunmehr einzigen Oberhaupt der Christenheit, das noch unangefochtene Autorität und Ansehen genoss. Zu einem Kreuzzug drängte auch der Bischof von Siena und Sekretär Kaiser Friedrichs III., Enea Silvio Piccolomini. Er versicherte, der Kaiser habe die Nachricht vom Fall des Neuen Roms mit Überraschung und Erschütterung aufgenommen und sei bereit, bei einem künftigen Unternehmen politische und militärische Verantwortung zu übernehmen. Leonard von Chios, der Erzbischof von Mytilene auf Lesbos, der, wie Isidor von Kiew, die Katastrophe von Konstantinopel als Augenzeuge miterlebt hatte, verwundet worden und in Gefangenschaft geraten war, schrieb seinen berühmten Bericht De urbis Constantinopoleos iac­ tura captivitateque an den Papst. Darin legte er dar, wer die Verantwortung für den Fall Konstantinopels trug: die Fraktion der unionsfeindlichen Griechen, die schwachen und heuchlerischen Christen des Westens, die sich der Gefahr ent-

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zogen hatten und sich nur um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten, sowie Giovanni Giustiniani Longo, der von Genua mit der Verteidigung der Stadt beauftragt gewesen war. Am 30. September 1453 erließ Nikolaus V. die Bulle Etsi ecclesia Christi, die die Ängste jener Zeit eindrucksvoll bezeugt. Erneut war die Rede von dem »heidnischen« Fürsten als Präfiguration des Antichrist, des roten Drachen der Apokalypse, und natürlich auch von den üblichen Bestimmungen zur Sündenvergebung, von der außerordentlichen Abgabe (dem Zehnten), die in der gesamten Christenheit erhoben werden sollte, und von der Androhung der Exkommunikation und des Interdikts gegen jeden, der die Türken in irgendeiner Weise unterstützte. Diesmal schien der Aufruf Gehör zu finden. Der Kaiser bekräftigte seine Absicht. Der Herzog von Burgund legte bei einem ganz im ritterlichen Geist begangenen Festbankett in Lille den Vœu du faisan ab, den feierlichen Schwur, das Kreuz zu nehmen. Alfons der Großmütige fasste denselben Vorsatz und überhäufte Skanderbeg mit Lob und Ehre, indem er ihn zu seinem Generalkapitän ernannte. Aus dem Balkan trafen ermutigende Meldungen ein. Serben, Ungarn und Albaner gingen gemeinsam gegen die osmanische Bedrohung vor. Und der Papst griff eine Tradition auf, die auf das Konzil von Lyon 1274 zurückging, und gab Traktate und Denkschriften in Auftrag, um Genaueres über die Türken zu erfahren und damit zugleich die Vorbereitungen zu einem rettenden Kreuzzug zu optimieren. In Wirklichkeit waren sich die christlichen Fürsten alles andere als wohlgesonnen und hatten keinerlei Absicht, sich in ein Unternehmen zu stürzen, das einigen auf Kosten der anderen Vorteile verschaffen konnte. Die Balkanpolitik des Königs von Neapel und seine Freundschaft mit Skanderbeg beunruhigten Venedig, das sich bemühte, durch eine noch stärkere Annäherung an den Sultan erlittene Nachteile auszugleichen. Die Straße von Otranto und der freie Zugang zur Adria standen auf dem Spiel. Nachdem der erste Schreck verflogen und das Strohfeuer der Begeisterung erloschen war, flaute auch der Kreuzzugseifer ab. Unmut machte sich breit angesichts der Entschiedenheit, mit der die Kirche daranging, den Zehnten einzutreiben. Im April 1454 berief der Kaiser in Regensburg einen Reichstag ein, zu dem er sowohl den Herzog von Burgund als auch die italienischen Staaten einlud. Doch es erschien nur der Herzog von Burgund, die Italiener drückten sich mit verschiedenen Vorwänden vor einer Versammlung, die ihnen ohnehin nur Verpflichtungen auferlegen würde. Auch Friedrich III. wollte sich nicht allzu sehr exponieren. Er reiste nicht selbst nach

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Regensburg, sondern überließ es seinem Sekretär Piccolomini, die Versammlung zu leiten. Selbst Philipp von Burgund, dessen Bereitschaft zur Teilnahme an einem Kreuzzug zweifellos gegeben war, der aber nach dem Ende der englischen Bedrohung einen Handstreich Frankreichs befürchtete, engagierte sich nicht in dem Maße, wie er es gern getan hätte. Piccolomini merkte schnell, dass er gegen eine Mauer aus Gleichgültigkeit und gezielter Obstruktion stieß. Seine Briefe aus jener Zeit, besonders das berühmte Schreiben vom 5. Juli, sind voll bitterem Pessimismus. Auch ein zweiter Reichstag, für den 29. September, dem Fest des Erzengels Michael, des Schutzheiligen der Kreuzfahrer, in Frankfurt anberaumt, blieb ergebnislos. Auch diesmal hielt sich der Kaiser der Versammlung fern und überließ Piccolomini das Feld. Ein dritter Reichstag in Wiener Neustadt im Februar 1455 wurde nach endlosen Präliminarien aufgelöst, als die Nachricht eintraf, dass Papst Nikolaus V. gestorben war.

Belgrad, 1456 Tommaso Parentucelli, vor dem Fall Konstantinopels ein mäßig begeisterter Anhänger der Kreuzzugsidee, nach 1453 jedoch ihr überzeugter Verfechter, beschloss seine irdischen Tage mit einer bitteren Erkenntnis: Die Räson von Politik, Diplomatie und Wirtschaft machte eine geballte und konsequente Anstrengung der Christenheit gegen einen Feind unmöglich, der, so furchtbar er war, als offener oder insgeheimer Verbündeter im europäischen Mächtespiel nützlich sein konnte. Dies war eine Lektion, die in den nachfolgenden drei Jahrhunderten alle christlichen Mächte beherzigten. Das Testament Nikolaus’ V., das Giannozzo Manetti in sein De vita et moribus Nicolai V. summi pontificis aufnahm, wirkt in dem, was es zur Verteidigung Konstantinopels sagt, hilflos und apologetisch. Den gegen seine Person gerichteten Vorwürfen, die ihn gekränkt hatten, begegnete der Papst mit dem Verweis auf die mangelnde Bereitschaft der christlichen Fürsten und Staaten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Auch das rasche, seiner Ansicht nach schmähliche Zurückweichen der Belagerten prangerte er an. Tatsächlich war ihnen kaum etwas anderes übrig geblieben. Und wahrscheinlich hätte nicht einmal der Papst mehr tun können als das Wenige, was er tat. Nikolaus’ Nachfolger Calixt III. hatte ebenfalls nicht die Absicht, die Operation scheitern zu lassen. Er verstärkte die Bemühungen um den Aufbau

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einer Flotte, die sich wenigstens auf dem Meer der türkischen Hegemonie entgegenstellen konnte. Unter dem Kommando von Ludovico Scarampo kam der Westen tatsächlich mit einigen Schiffen der Insel Rhodos zu Hilfe, die 1455 von den Türken angegriffen wurde. Auf Naxos, Samothrake und Lemnos wurde die osmanische Garnison sogar vertrieben. Zur Wahl des neuen Papstes war Piccolomini nach Rom und im Jahr darauf auch nach Neapel gegangen. In seiner Funktion als Gesandter des römisch-deutschen Kaisers wie auch der Republik Siena hatte er unermüdlich auf die Notwendigkeit eines Kreuzzugs hingewiesen. An der Balkanfront setzten unterdessen die Türken ihren Vormarsch fort. 1455 eroberten die Truppen des Sultans das serbische Novo Brdo, eine große Bergbauregion südöstlich des Amselfeldes. Nur die Bergleute, hauptsächlich sächsischer Herkunft, durften bleiben, da die Türken weder über eigene Fachkräfte noch über die entsprechenden Technologien verfügten (eine der Achillesfersen des Osmanischen Reichs) und die Gold- und Silberminen der Region sonst nicht hätten ausbeuten können. In dieser brisanten Situation hatten die feurigen Predigten Johannes von Capestranos, eines Franziskanerbruders der strengen Observanz, erheblichen Anteil an der Mobilisierung der westlichen Gegenoffensive. Durch Capestranos Aufrufe angestachelt, zogen mehrere tausend Menschen vom Rand der Gesellschaft – Arme, landlose Bauern, versprengte Mönche und Priester, Abenteurer – in den Kampf. Der Sultan plante unverkennbar einen Angriff auf Belgrad, das Tor zur oberen Donau und nach Ungarn. Hier sollte er gestoppt werden. König Ladislaus Postumus war feige von Buda nach Wien geflohen. Erneut standen Ungarn und seine zänkische Aristokratie unter der Führung von Johann Hunyadi, der nach den Niederlagen bei Varna und auf dem Amselfeld viel von seinem Ansehen eingebüßt hatte. Mit einem betagten Kreuzfahrer und einem betagten Mönch hoffte der Kardinallegat Juan de Carvajal, den Eroberer des Neuen Roms, Fatih Sultan Mehmed, aufzuhalten. In der zweiten Julihälfte des Jahres 1456, nach Niederlagen zuerst in einer Seeschlacht auf der Donau und dann in einer Landschlacht an deren Ufer, gab der Sultan die Belagerung Belgrads auf und zog sich zurück, samt seinem riesigen Heer, seinen schrecklichen Janitscharen, seinen schönen Kanonen und dem Tross christlicher Gelehrter, Techniker, Pioniere, Kanonengießer und Artilleristen, die sich ihm, sei es aus Gewinnsucht oder Abenteuerlust, aus Deutschland, Bosnien, Ungarn, Dalmatien und Italien angeschlossen hatten. Belgrad schien Konstantinopel rehabilitiert zu haben. Nach dem Schock über den Fall der Stadt am Bosporus war in ganz Europa ein Moment

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der Ruhe eingekehrt. Nunmehr stand fest, dass sich das Schicksal des christlichen Kontinents auf der Balkanhalbinsel entscheiden würde. Der Papst ordnete Prozessionen und Feierlichkeiten an, um den auf wunderbare Weise errungenen Sieg zu würdigen, und beschwor die christlichen Fürsten, sich zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung im folgenden Jahr zusammenzuschließen, um einen wirklichen, großen Kreuzzug zur Befreiung Konstantinopels und Jerusalems zu führen. Hauptziel des Unternehmens war jedoch, die Freiheit Europas zu schützen. Unterdessen schienen sich die Früchte des Siegs von Belgrad wie durch einen bösen Zauber zu verflüchtigen. Im August, kurz nach dem Sieg, wurde Hunyadi von der Pest hinweggerafft. Dasselbe Schicksal ereilte ein paar Monate später den greisen Mönch Johannes von Capestrano, den die Anstrengungen seiner Predigtreise und die Glut seiner Aufrufe gleichsam verzehrt hatten. Am Ende des Jahres war auch Branković tot. Sein Sohn Lazar zögerte keinen Augenblick, die ambivalente Politik seines Vaters fortzusetzen und mit dem Sultan ein neues Abkommen zu schließen. Und im März des folgenden Jahres wurde der älteste Sohn des siebenbürgischen Heroen auf Betreiben von König Ladislaus hingerichtet. Der König war nach Belgrad gekommen, um die Früchte eines Kriegs zu ernten, vor dem er geflohen war. Calixt III. jedoch gab sich nicht zufrieden und ernannte Skanderbeg, den Einzigen, der willens war, die Gegenoffensive fortzusetzen, zu seinem Generalkapitän. Zugleich belebte er die alten Träume eines Bündnisses mit einem sagenhaften christlichen Orient, indem er die Hilfe des Priesters Johannes (den man inzwischen als den Negus von Äthiopien identifiziert hatte), der Christen Georgiens sowie Uzun Hasans, des Herrschers der Stämme des Weißen Hammels, gegen die Türken beschwor. Aber die Christen des Westens gossen Wasser ins Feuer der Begeisterung. Solange es etwas zu feiern gab und glühende Bekundungen zur Unterstützung eines Kreuzzugs ausreichten, war alles bestens; sich ernsthaft und konkret zu verpflichten war eine ganz andere Sache. Im Jahr 1456 urteilte die Universität Paris unter Berufung auf die Pragmatische Sanktion, mit der die französische Krone die päpstliche Macht in ihrem Herrschaftsgebiet beschränkte, dass die Erhebung des Kreuzzugszehnten in den vom Allerchristlichsten König regierten Territorien nicht rechtmäßig sei. Im Übrigen hatte auch der Herzog von Burgund, der den Kreuzzug ernsthaft wollte, den Zehnten in die eigene Tasche gesteckt. Besorgt, misstrauisch und müde nahm der Papst am 8. August 1458 seine Träume von einer Rückeroberung mit ins Grab.

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Pius II. und der Kreuzzug In Viterbo, wohin er sich im Juni 1458 zurückgezogen hatte, um der in Rom wütenden Pest zu entfliehen, hatte Enea Silvio gerade seine Historia Bohemica fertiggestellt, als ihn die Nachricht vom Tod Calixts III. erreichte. Er kehrte schnell nach Rom zurück. Ein an Überraschungen reiches Konklave verließ er am 27. August als Papst, und am 3. September wurde er als Pius II., benannt nach dem vergilischen pius Aeneas, geweiht. Der Türkengefahr zu begegnen, war fortan sein dringlichstes Anliegen. Zwar hatten im Konklave die entschlossensten Befürworter des Kreuzzugs wie der griechische Kardinal Bessarion bis zuletzt nicht ihn, sondern den jüngeren Guillaume d’Estouteville unterstützt, der für diesen Kampf als besser geeignet galt und den Rückhalt der französischen Krone hatte. Doch der neue Papst blieb seinen Versprechungen treu und wurde zu einem unermüdlichen Organisator der christlichen Kräfte. Als die nach dem Sieg von Belgrad erblühten Hoffnungen verflogen waren, begann erneut eine schwere Zeit. Der Sultan verwüstete die Morea. Anfang August erhielt er die Schlüssel der Stadt Korinth als Zeichen ihrer Kapitulation. Ende des Monats zog er in das eroberte Athen ein, zum tiefen Kummer der Humanisten, die die Stadt auf der Halbinsel Attika als ihre geistige Heimat betrachteten. Doch die venezianische Insel Negroponte empfing ihn freundlich, und sogar die Republik Ragusa leistete Tributzahlungen und bekundete ihm ihre Loyalität. Lediglich Hun­ yadis zweitältester Sohn, der noch halbwüchsige Matthias Corvinus, wagte den offenen Widerstand und machte dem Sultan Serbien streitig. Pius II. gab sich keinen Illusionen hin. Er wusste, dass der Sultan sich die politischen und wirtschaftlichen Rivalitäten der Christen zunutze machte, um deren gemeinsames Handeln zu vereiteln. Venedig und Florenz hatten ihn wissen lassen – Florenz sogar durch seinen Bischof, den Dominikaner Antonino Pierozzi –, dass sie für den Kreuzzug keineswegs ihre Interessen aufs Spiel setzen konnten. Doch der Papst war entschlossen, nichts unversucht zu lassen. Dabei bediente er sich sogar zweifelhafter Gesandter und Geschäftemacher, die vorgaben, Kenner orientalischer Verhältnisse zu sein – wie der Minorit Ludovico da Bologna, ein umherziehender Betrüger mit Sinn fürs Spektakel, der mit seiner exotischen Gefolgschaft Aufsehen erregte und sich seiner Beziehungen zu den üblichen christlichen Königen Georgiens, Indiens und Äthiopiens rühmte.

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Die kreative Findigkeit Pius’ II. im Geist Philippe de Mézières’ führte sogar zur Gründung eines neuen Ritterordens nach dem Vorbild der Johanniter von Rhodos, der den Kreuzzug durchführen sollte. Er benannte ihn nach Unserer Lieben Frau von Bethlehem und siedelte ihn auf der Insel Lemnos an. Bereits am 11. Oktober 1458 hatte der Papst die Oberhäupter der westlichen Christenheit zu einem Kongress in Mantua zusammengerufen, um das Wann und Wie des künftigen Kreuzzugs zu erörtern. Im Januar 1459 brach er in die Stadt am Po auf, wo er erst Ende Mai ankam, um festzustellen, dass noch keiner der Geladenen eingetroffen war. Die Gesandten tröpfelten zwischen Frühjahr und Sommer ein: die Vertreter des Kaisers und Philipps von Burgund, die Vertreter von Matthias Corvinus, von Albrecht, Herzog von Österreich, von Sigismund, Herzog von Tirol, von Venedig und dem König von Frankreich. Der Herzog von Mailand erschien persönlich. Die erste Sitzung des Kongresses wurde am 26. September 1459 in der Kathedrale von Mantua eröffnet, doch die Zusammenkünfte brachten nicht die erwarteten Ergebnisse. Als es galt, verbindliche Zusagen zu machen, zogen sich bis auf die Gesandten des Herzogs von Burgund alle zurück. Venedig und Florenz wollten sich ihre Handelsbeziehungen mit dem Sultan nicht verderben. Die zerstrittenen kaiserlichen Legaten waren sich nur in einem Punkt einig: dass der Feldzug dem ungarischen König Matthias Corvinus keine Vorteile bringen dürfe. Dabei betrachtete der Papst ihn doch als einen möglichen Anführer des neuen Kreuzzugs, und Marsilius Ficinus sah in ihm einen »neuen Herkules« und Sieger über die ungläubigen Barbaren. Vonseiten Mailands und des Königs von Frankreich wurden in der Frage der Nachfolge auf dem Thron des Königreichs Neapel radikal unterschiedliche Positionen vertreten. Nach dem Tod Alfons’ des Großmütigen machten der vom mailändischen Herzog unterstützte Ferrante, unehelicher Sohn des verstorbenen Königs, und der vom französischen König unterstützte Johann von Anjou einander den Thron streitig. Francesco Sforza jedenfalls zeigte sich der Position des Papstes durchaus nicht abgeneigt. Der Herzog von Mailand betrachtete Genua, das inzwischen Mailands »Hafen« geworden war, als sein persönliches Anliegen; insbesondere war er um das Schicksal des Handelsplatzes Caffa am Schwarzen Meer besorgt, den die Genuesen zu verlieren drohten. Doch der Kongress von Mantua trug nur spärliche Früchte. Während ganz Serbien in die Hände des Sultans fiel, endete die Versammlung in Mantua deprimierend, und der Papst verließ die neblige Stadt der Gonzaga im Januar 1460 müde und krank. Vor seiner Abreise hatte

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er zwei Bullen verfasst: am 14. Januar Ecclesiam Christi, mit der er den Kreuzzug ausrief, und am 18. Januar Execrabilis, worin feierlich die Suprematie des römischen Pontifex über die Kirche erklärt wurde. Die Ereignisse schienen sich währenddessen zu überstürzen. Der Sultan hatte der Komnenendynastie das Kaiserreich Trapezunt und die gesamte südliche Schwarzmeerküste entrissen. Es wurde gemunkelt, der Herrscher von Rimini, Sigismondo Pandolfo Malatesta, ein Papstgegner, wolle den Sultan auf die Insel rufen und ihm seine Dienste als Condottiere anbieten: ein Gerücht, das vielleicht sogar einen wahren Kern hatte (die beiden Herrscher, die sich für die Ingenieurskunst und Ingenieurstechnik interessierten, tauschten jedenfalls Nachrichten aus). Als 1461 den Türken die Insel Lesbos in die Hände fiel, stimmten die Florentiner von Galata in den Jubel der Stadt ein, die inzwischen Istanbul hieß, und entzündeten Freudenfeuer. Papst Pius II. formulierte derweil einen Gedanken von großer Tragweite, dem zufolge Europa das wahre Zentrum – patria und domus – der Christenheit und mit der christiana religio gleichzusetzen sei, weshalb Europäer zu sein und Christ zu sein dasselbe sei. »Europaei, aut qui nomine christiano censentur«, hatte Enea Silvio Piccolomini in der Vorrede zu seiner Historia de Europa erklärt. Von der Identität beider sprach auch der Dichter Novalis in seinem Essay Die Christen­ heit oder Europa mehr als drei Jahrhundertee später. Nun aber war Europa im Begriff, das Christentum zu absorbieren. Und die Kreuzzüge waren im Begriff, in dem nun beginnenden Prozess der Verweltlichung der westlichen Kultur eine ganz neue Rolle zu spielen. Voll bitterer Verachtung für die christlichen Fürsten schrieb der Papst Ende Oktober 1461 die Epistola ad Mahometem, einen wahrlich irritierenden Brief. Da der Sultan, so heißt es darin, unvergleichlich größer sei als die christlichen Könige, habe er das Recht, die Nachfolge der römischen Kaiser anzutreten, sofern er sich als ein neuer Konstantin taufen lasse. Dann werde ihm der Papst, ein neuer Silvester, die Krone der Welt aufs Haupt setzen. Die polemischen Passagen des Briefes, die altbekannte Vorurteile gegenüber dem Islam wiederholen, deuten – auch im Vergleich mit der Cribratio Alkorani (Sichtung des Korans) des Nikolaus von Kues, die den Brief offenbar inspirierte – darauf hin, dass er nicht dafür bestimmt war, an Mehmed II. geschickt zu werden. Der Sultan konnte ihn wahrscheinlich dennoch lesen, denn er wurde nach 1469 in mehreren Auflagen gedruckt. Mehmed wird sich über die Anhäufung von Ungenauigkeiten, Fehlern und Verleumdungen des Islams amüsiert haben. Zweifellos wusste er, dass der Text für die breite Öffentlich-

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keit bestimmt war und propagandistische Absichten verfolgte. Tatsächlich lässt sich der Brief in die epistolae excitatoriae einordnen, die seit dem 11. Jahrhundert in ganz Europa kursierten und zum Kreuzzug aufriefen. Harsch und sarkastisch attestierte Pius’ Brief den christlichen Fürsten Beschränktheit und Feigheit. Der dramatische, paradoxe und unerhörte Aufruf des Papstes an den Sultan, sich taufen zu lassen (woraufhin Europa ihm gehören würde und er der neue Konstantin wäre), war eine schallende Ohrfeige für die christlichen Herrscher und ein schwerer Angriff auf ihre Würde. Doch nicht einmal die in dem Brief enthaltene Ironie des Humanisten, die durch den Zorn des Papstes und die Verachtung des alten christlichen Kämpfers noch an Schärfe gewann, vermochte die Christenheit aufzurütteln. Pius II. sann auf einen neuen Schritt an der Grenze zum Wahnsinn und zur moralischen Erpressung, den er im März 1462 einigen Kardinälen seines Vertrauens im Geheimen mitteilte. Die Welt sollte bald voll Entsetzen erfahren, dass er, der greise Papst, das tun würde, was, wie es hieß, schon Gregor VII. und Urban II. hatten tun wollen: sich persönlich an die Spitze eines Kreuzzugs zu stellen. Damit würde er die Christen, angefangen mit ihren Führern, zwingen, sich ihm anzuschließen. Es war ein verrückter und obendrein kostspieliger Plan. Aber wie durch ein Wunder eröffnete sich wenig später eine regelmäßige Einnahmequelle, als in den Tolfabergen bei Civitavecchia riesige Alaunvorkommen entdeckt wurden, die die christliche Welt von anatolischen Importen unabhängig machen konnten. 1463 schienen neue und beunruhigende Nachrichten vom türkischen Vorrücken dem Papst in die Hände zu spielen. Die Osmanen hatten die Eroberung Bosniens abgeschlossen und drohten Venedig vollständig von der Morea zu vertreiben. Die Serenissima war so besorgt, dass sie das verhasste Florenz um Hilfe bat, das zähneknirschend ein paar vage Versprechungen machte. Die Invasion Bosniens hatte unterdessen den Kaiser und den König von Ungarn endlich zu einer Einigung bewegt. Auch Skanderbeg, der sich von der Frage der Nachfolge auf dem Thron Neapels allzu sehr hatte vereinnahmen lassen – er stand aufseiten der Aragonesen – und mit dem Sultan ein ruchloses Bündnis (impium foedus) geschlossen hatte, das ihn vor türkischen Angriffen schützte, ließ sich überzeugen, zu seiner Rolle als Feind der Ungläubigen und athleta Christi zurückzukehren. Dem Papst gelang es, mit Venedig und dem Herzog von Burgund auf der Grundlage eines Plans zur Aufteilung des Osmanischen Reichs ein Abkommen zu schließen. In einer Enzyklika vom 19. Oktober 1463 gab sich der Papst zuversichtlich, dass kein christlicher Fürst seine Teilnahme

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an einem Unternehmen verweigern würde, bei dem der schwache und kranke Papst beispielhaft voranging. Die Antworten blieben nicht aus, alle mehr oder weniger unverbindlich, aber keine wirklich ablehnend. Lediglich Florenz, das eine Stärkung Venedigs befürchtete, und der König von Frankreich, der das Kreuzzugsprojekt für einen Vorwand hielt, um den aragonesischen Anwärter auf den Thron Neapels zu begünstigen, blieben vorsichtig reserviert und reagierten eher kühl. Die Zustimmung der anderen war lauwarm, wie ein Brief belegt, den der Herzog von Mailand am 5. November an den Dogen von Genua, Paolo Campofregoso, schickte und in dem er der Regierung von Genua ihre allzu vorsichtige Haltung vorwarf. Wenige Wochen später wurde der Herzog von Mailand vom französischen König formell mit Genua belehnt, und im März 1464 zogen mailändische Truppen in die Stadt ein. Die Verteidigung dessen, was vom genuesischen Imperium im östlichen Mittelmeer noch übrig war – Chios in der Ägäis, Caffa am Schwarzen Meer –, war nun auch eine Angelegenheit Mailands. Für den künftigen Kreuzzug engagierten sich also viele Mächte. Am 18. Juni 1464 nahm der Papst das Kreuz und brach in die Hafenstadt Ancona auf, wo sich ihm die christliche Flotte anschließen sollte. Doch nur das übliche Häuflein Versprengter erwartete ihn. Eine verheerende Seuche, die zwischen Juli und August ausbrach, raffte die Bewohner der Stadt und die Kreuzzugswilligen dahin. Der Doge von Venedig, der seine Teilnahme zugesichert hatte, stach erst Anfang August in See. Gemächlich segelnd erreichte er am 12. August den Hafen in den Marken, gerade rechtzeitig, um dem Papst, der drei Tage später starb, mit dem Anblick seiner Schiffe noch etwas Trost zu spenden. Betrachten wir nun eine weitere hochrangige Persönlichkeit, den Elsässer Nikolaus Chrypffs, der 1401 in Kues an der Mosel geboren und unter seinem lateinischen Namen Nicolaus Cusanus (Nikolaus von Kues) besser bekannt ist. 1432, zur Zeit des Konzils von Basel – während andere Humanisten auf der Suche nach lateinischen und griechischen Handschriften in die Klöster Europas ausschwärmten und einer Wiedergeburt der humanae litterae den Weg ebneten –, stieß er auf die Handschrift einer lateinischen Koranübersetzung, die in Toledo rund 300 Jahre zuvor Robert von Ketton angefertigt hatte. Später forderte Nikolaus von Kues als päpstlicher Legat in Konstantinopel noch vor der türkischen Eroberung der Stadt die Dominikaner und Franziskaner auf, neue Koranübersetzungen anzufertigen. Ab 1448 Kardinal und ab 1450 Bischof von Brixen, war er ein glühender Prediger und Organisator eines Kreuzzugs zur Rückeroberung Konstantinopels, der

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Pinturicchio, Enea Silvio Piccolomini als Papst Pius II. bei seiner Ankunft in Ancona, 1502–1507, Siena, Libreria Piccolomini, Kathedrale von Siena.

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zwar mehrmals verkündet, aber nie durchgeführt wurde. Doch Nikolaus von Kues warb nicht nur für einen Kreuzzug der Waffen, sondern auch für einen Kreuzzug der Ideen. Eine Neuübersetzung des Korans – die den Christen eine genauere Vorstellung von den zahlreichen Absurditäten und Widersprüchen geben sollte, die dieses Buch enthielt, jedenfalls in der westlichen Interpretation jener Zeit – schien ihm der beste Weg, um mit einer ideellen Schlacht den Kampf der Waffen zu unterstützen. Um dieses Ziel zu erreichen, brauchte der Kardinal weniger einen angesehenen Gelehrten als vielmehr eine Persönlichkeit, die über jede Kritik erhaben war. Er fand sie in einem der frömmsten Männer seiner Zeit, dem Mystiker Dionysius Rickel, besser bekannt als Dionysius der Kartäuser. Ihm verdanken wir einen Traktat in Dialogform, Contra Alchoranum et sectam Machometicam, der sämtliche westlichen Vorurteile enthält, die im 15. Jahrhundert über den Islam kursierten. Inspiriert von der Koranübersetzung Robert von Kettons eliminierte oder überging Dionysius, der von der Türkengefahr geradezu besessen war, systematisch alle Textstellen, die auf Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten zwischen dem Islam und dem Christentum hindeuteten. Das so zusammengetragene Material diente Nikolaus für einen eigenen, Enea Silvio Piccolomini gewidmeten Traktat, die bereits erwähnte Cribratio Alkorani, die an all jene gerichtet war, die es sich zur Aufgabe machen wollten, die Muslime zum christlichen Glauben zu bekehren.

Otranto, 1480 Nach Pius II. war es vor allem Sixtus IV., seit 1471 auf dem Papststuhl, der den Willen zeigte, sich nachdrücklich dem Türkenproblem zu widmen. Gemeinsam mit Venedig und Mailand verhandelte er mit dem turkmenischen Fürsten Uzun Hasan, jedoch ohne greifbare Ergebnisse. Ebenso erfolglos war der wiederholte Versuch, eine Liga der italienischen Staaten zu schmieden. Die Türken beherrschten inzwischen den gesamten südlichen Balkan, von wo aus sie ihre Überfälle fortsetzten. 1472 und erneut zwischen 1477 und 1479 kamen sie bis nach Friaul. Das Heilige Jahr 1475 fand also in einer Atmosphäre des Bangens und der Angst statt. Die venezianische Besetzung Zyperns im Dezember 1474 schien Sultan Mehmed II. nicht allzu sehr zu beunruhigen. Der mailändische Herzog Galeazzo Maria, der mit Istanbul gute diplomatische Beziehungen unterhielt, verzichtete seinerseits darauf, die genuesischen Rechte auf die Insel zu verteidigen. Am 6. Juni

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1475, mitten im Heiligen Jahr, fiel auch Caffa, die bedeutende genuesische Handelskolonie am Schwarzen Meer, in türkische Hände: ein neuer und unerwarteter Schlag für Genua, für Mailand und für den gesamten Westen. Wenn der heilige Markus weinte, hatte auch der heilige Georg nichts zu lachen. Doch Genua tröstete sich, indem es den unwiederbringlichen Verlust seines Stützpunkts im Orient durch neue Handelsbeziehungen in Nordafrika ausglich. Die Beziehungen zum Emirat von Tunis, die durch die diplomatische und politische Unterstützung von Ludovico Sforza, ge- Gentile Bellini, zugeschrieben, Mehmed II., 1480, London, National Gallery. nannt »il Moro«, garantiert waren, blieben trotz zahlreicher und unvermeidlicher Episoden der Gewalt bestehen. Und der Frieden zwischen dem Sultan und Venedig 1479 änderte fast nichts an der allgemeinen Ökonomie der Beziehungen zwischen den Christen des Westens und den Muslimen. Die Löwenrepublik schickte Gentile Bellini, den Hofmaler der Dogen, an den Bosporus mit dem Auftrag, den dortigen Gran Signore zu porträtieren, dessen Religion die bildliche Darstellung des Menschen nicht erlaubte. Das berühmte Porträt, datiert auf das Jahr 1480 – Sultan Mehmed starb am 3. Mai 1481 –, hängt heute in der National Gallery in London. Unterdessen bekam die italienische Halbinsel die osmanische Geißel unmittelbar zu spüren. Im März 1480 hielt der Dominikanermönch Annius von Viterbo, geboren als Giovanni Nanni, in Genua Predigten über die Apokalypse, und in seinem Traktat De futuris christianorum triumphis in Saracenos, besser bekannt als Glosa super Apocalypsim, stellte er den Antichrist, bestimmte astrologische Konjunktionen und das Vorrücken der Türken in einen einzigen Zusammenhang. Der Antichrist, so versicherte er, sei Sultan Mehmed, und der Untergang des türkischen Reiches unausweichlich. Das Matthias Corvinus gewidmete Pro-

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gnostikon De eversione Europae von Antonio Arquato schlug denselben Ton an. Im Mai griffen die Türken die Insel Rhodos an, wurden aber von den Johannitern zurückgeschlagen. Ende Juli landete eine muslimische Flottille vor der apulischen Hafenstadt Otranto, die im August im Sturm genommen und geplündert wurde. Die Bevölkerung wurde vor die Wahl gestellt, zum Islam überzutreten oder zu sterben, und teilweise niedergemetzelt. Das war wirklich zu viel. Ganz Italien war bestürzt. In aller Eile wurde ein Bündnis geschmiedet, an dem sich neben dem Papst und dem König von Neapel auch der König von Ungarn und sogar Florenz beteiligten. Letzteres nutzte diese Gelegenheit, sich mit dem Papst zu versöhnen und damit den durch die Pazzi-Verschwörung und den daraus folgenden Krieg ausgelösten Konflikt beizulegen. Wie erschüttert Italien war, zeigt sich daran, dass 1482 und 1484 in der Toskana – in Bibbona in der Maremma und in Prato – zwei Marienerscheinungen berichtet wurden, die eine starke Volksbewegung auslösten. Im Gefolge der Geschehnisse in Otranto erlebten nach 1480 auch bildliche Darstellungen des bethlehemitischen Kindermords eine große Konjunktur. Und in dem astrologisch schicksalhaften Jahr 1484 ritt der geheimnisvolle »Prophet« Mercurio da Correggio durch die Straßen Roms, rief zur allgemeinen Buße auf und prophezeite eine renovatio. Doch bezüglich dessen, was in Otranto wirklich geschah, liegt bis heute vieles im Dunkeln: Welche Rolle spielten Florenz und Venedig, die ein Interesse daran hatten, dem Papst beziehungsweise dem König von Neapel als dem Herrn über Otranto Schwierigkeiten zu bereiten? Ist es nicht merkwürdig, dass eine Stadt, die sich im Besitz eines bedeutenden Rivalen der Venezianer befand, von den Türken ausgerechnet im Jahr nach dem Friedensschluss zwischen der Serenissima und der Hohen Pforte angegriffen wurde? Oder war es gar ein »Angriff auf Bestellung«? Und war es tatsächlich ein blutiges Bravourstück von Ahmed Paşa, dem Kapitän der osmanischen Flotte? Otranto hätte eine osmanische Enklave in Apulien werden können, um die Straße von Otranto zu kontrollieren. Von Otranto aus unternahmen die Türken Angriffe auf Brindisi, Tarent und Lecce. Andrea Gritti, der venezianische Bailò in Konstantinopel, wurde beauftragt, den Sultan über das Plazet seiner Regierung in Kenntnis zu setzen: Er könne Apulien in Besitz nehmen, das einst Teil des Byzantinischen Reichs gewesen sei, dessen Herrscher jetzt er, der Sultan, sei. Nachdem der Sultan die Territorien des Oströmischen Reichs erobert hatte, konnte er sich als dessen rechtmäßigen Erben betrachten. Der Brief, den Papst Pius II. ad Mahometem geschrieben hatte, besagte letztlich nichts an-

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deres. Was die Beziehungen zwischen Florenz und dem Sultan betraf, so waren sie bekanntermaßen gut: Mehmed II. hatte freundlicherweise einen der Attentäter, die Lorenzo dem Prächtigen nach dem Leben getrachtet hatten, nach Florenz zurückgeschickt, damit er dort verurteilt werden konnte. Die Medici ihrerseits entsandten renommierte Florentiner Künstler nach Istanbul. Das Vorrücken der Türken veränderte das geoanthropologische Gleichgewicht im balkanisch-adriatischen Raum. Als der Islam zwischen Epirus und Bosnien Fuß fasste, fanden viele albanische Christen, die vor dem Ansturm der Osmanen geflohen waren, im Molise, in Apulien, Kalabrien und Sizilien Aufnahme (man spielte auch mit dem Gedanken ihrer Ansiedlung in der südlichen Toskana, wo der König von Neapel expansionistische Ziele verfolgte, doch der Plan wurde aufgegeben). Getreu seiner bisherigen Politik siedelte Venedig slawische Christen in den östlichen Landstrichen seiner Terraferma an (auf diese Weise war auch Zentralistrien wieder bevölkert worden) und half damit einer dahinsiechenden Landwirtschaft auf die Sprünge.

Kreuzzüge und Propaganda Der Tod Mehmeds II. im Mai 1481 und die Thronstreitigkeiten seiner Söhne Cem und Bayezid schwächten vorerst den Druck weiterer Angriffe ab. Im September konnte Otranto befreit werden. Nach dem Frieden vom 7. August 1484 gab Venedig die inzwischen eroberten apulischen Städte an König Ferrante von Neapel zurück. Dieser Frieden änderte jedoch nichts daran, dass das von der Markusrepublik propagierte Selbstbild als Bannerträgerin der Kreuzzüge in der Kultur Süditaliens schweren Schaden litt. Venedig war, besonders nach den Ereignissen von Otranto, zur heimtückischen Komplizin der Türken geworden und vielleicht sogar in den größeren Plan einer osmanischen Eroberung der italienischen Halbinsel involviert. Dass die Türken nach Otranto für die Bewohner des südlichen und besonders östlichen Italiens zum Albtraum wurden, zeigt sich in den Schriften des aus dem Salento stammenden Arztes Antonio De Ferrariis, genannt Galateo, der ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür hatte, in einer Grenzregion zu leben. Und doch zögerte er in De situ Iapygiae nicht, die Türken für ihre kriegerischen Tugenden, aber auch für viele Beispiele von Gerechtigkeit in ihrer Geschichte zu loben. Kann man vor diesem Hintergrund in den nach einem Entwurf von Matteo

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di Giovanni im Jahr 1481 ausgeführten Marmorintarsien des Fußbodens im Dom von Siena mit ihrer Darstellung des bethlehemitischen Kindermords eine mehr als nur indirekte Anspielung auf Otranto sehen? Gewiss, das Massaker von Otranto war nicht das einzige tödliche Ereignis, an das man sich in Zeiten hoher Kindersterblichkeit erinnerte. Da waren nicht nur die Folgen wiederkehrender Pestepidemien, sondern auch Kindsmorde im Rahmen von Praktiken der Hexerei und Magie. Doch die Ereignisse von 1480 hatten die Öffentlichkeit zu sehr verstört, um nicht unmittelbar aufgerufen zu werden: wenn nicht vom Künstler selbst und seinen Auftraggebern, so doch von den Gläubigen und Besuchern. Die Ausführung des Werks und der Kauf des dafür notwendigen Marmors fielen zudem mit dem Aufbruch des Herzogs von Kalabrien nach Otranto zusammen, der die Stadt zwischen Mai und Juni 1481 befreite. Als Matteo einige Zeit später das Sujet des bethlehemitischen Kindermords erneut aufgriff, muss die Erinnerung an die Ereignisse in Apulien immer noch lebendig gewesen sein, auch wenn die Beziehungen zum osmanischen Sultanat in eine ruhigere Phase getreten waren. Papst Innozenz VIII. hatte bereits kurz nach seiner Wahl 1484 mit der Planung des neuen Kreuzzugs begonnen und hielt hierzu im März 1490 in Rom eine Versammlung ab, bei der alle europäischen Mächte außer Venedig vertreten waren. Die von Enthusiasmus und Pomp geprägte Zusammenkunft spiegelte die durch Nachrichten aus Spanien neu entfachte Leidenschaft, wo die Katholischen Könige Vorbereitungen zur bald beginnenden Belagerung Granadas trafen. Der Kreuzzug blieb jedoch eine aussichtslose Angelegenheit, nicht zuletzt weil die beteiligten Akteure in ihrer Heuchelei und Doppelzüngigkeit unter der Hand mit Sultan Bayezid verhandelten. Es ging darum, den Bruder des Sultans, Prinz Cem, der sich vor der Verfolgung durch Bayezid zu den Johannitern nach Rhodos gerettet hatte, weiter in Gewahrsam zu behalten und das ganz bestimmt nicht umsonst. Von diesen Spielen hinter den Kulissen hatte Matteo wahrscheinlich keine Ahnung, sodass wir die drei Tafelbilder, die 1482, 1488 (?) und 1491 in der Atmosphäre einer neuen Kreuzzugsbegeisterung und der Aussicht auf einen Sieg der christlichen Waffen in Andalusien entstanden, als eine Art excita­ torium betrachten können, mit einer antivenezianischen und antiflorentinischen Spitze. Denn es war allgemein bekannt, dass die beiden Republiken aus wirtschaftlichen und handelspolitischen Gründen gegen das Unternehmen waren. Werfen wir einen kurzen Blick auf das Programm der Kreuzzugspropaganda, wie es in Matteo di Giovannis Fassungen der betlehemitischen Szene dargelegt ist.

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Der bethlehemitische Kindermord, Marmorintarsien im linken Querschiff des Doms von Siena nach einem Entwurf von Matteo di Giovanni, ausgeführt von Francesco di Niccolaio und Nanni di Piero di Nanni, 1481/82.

Bei der Darstellung desselben Sujets durch andere Künstler, etwa in Ghirlandaios Fresko in der Tornabuoni-Kapelle von Santa Maria Novella, begegnen klassisch-römische Elemente, sowohl in der Architektur, die den Hintergrund des Geschehens bildet, wie auch in den Waffen und der Tracht der Soldaten, die die Kinder abschlachten. Matteo war bei den Intarsien im Dom von Siena diesen klassischen Stilelementen treu geblieben, vielleicht mit einem »realistischen« Akzent bei den Juden links vom Thron des Herodes und vielleicht auch bei Herodes selbst. Nun fügte er in seine Bildtafeln vom Kindermord deutliche »jüdische« und »orientalische« Elemente ein, etwa bei einigen Gesichtern und bei der Kopfbedeckung der Schlächter. Die Tafeln haben mit den Intarsien des Doms das höfisch-klassische Ambiente gemeinsam, in dem die Szene spielt, den Thron des Königs vor einer Nische (in Muschelform bei den Tafeln von 1482 und 1488, in Kassettenform bei der Tafel von 1491) sowie die Kopfbedeckung des Herodes, der in allen Fassungen

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die »Strahlenkrone« mit den steil nach oben ragenden Spitzen trägt. Doch das Bild des grausamen Herrschers wird zunehmend »orientalisiert« und »dämonisiert«: durch einen Ausdruck eiskalter, diabolischer Niedertracht in den finsteren, fahlen Gesichtern, durch die Hakennasen und die Turbane der mordlustigen Anhänger in dem Gemälde von Santa Maria della Scala; durch den Ausdruck verzweifelter Trauer in dem Gemälde von Santa Caterina a Formiello (heute im Museo di Capodimonte, Neapel); und durch die abgeklärte, besonnen verhaltene und rationale Grausamkeit in dem Gemälde von Santa Maria dei Servi, wo der König in einer Geste des Gesprächs mit einem Berater zu seiner Rechten gezeigt wird. Hier trägt Herodes, der ähnlich gekleidet ist wie auf dem Gemälde von Santa Maria della Scala, die klassische Krone, während einige der Schlächter mit dunklem Teint oder grimmiger Miene und Turban dargestellt sind. Noch deutlicher drückt sich in der Darstellung von Herodes’ Gewand die Absicht aus, nicht auf einen allgemeinen Orient anzuspielen, sondern explizit auf die Türken. Unter dem reichen, türkisch anmutenden Gewand mit Goldstickereien und Knebelverschlüssen auf dem Gemälde von Neapel wird eine Rüstung all’antica suggeriert mit klassischem Schulterriemen rechts und Knieschutz links in Form eines anthropomorphen Gesichts. Diese stärker mit dem Westen verknüpften Details finden sich weder in der Fassung von Santa Maria della Scala noch in der von Santa Maria dei Servi. Bei der Darstellung des Herodes scheinen die Sieneser Tafeln einem weit verbreiteten Bild »des Türken« verpflichtet, während der Herodes des Gemäldes von Neapel weniger »orientalisch«, sondern »klassischer« ist, obwohl auch hier, wie in Santa Maria della Scala, die typisch türkischen Knebelverschlüsse auftauchen. Für einen Herrscher und für einen Krieger ist der Mord an unschuldigen Kindern der Gipfel von Unrecht und Niedertracht. Als Paradebeispiel eines rex inius­ tus steht Herodes typologisch auch für den Antichrist, dessen diabolische Fratze sowohl in den Intarsien des Doms von Siena als auch in den drei Tafelbildern von Matteo di Giovanni auftaucht. Dem apologetischen Schema von De mortibus per­ secutorum (Die Todesarten der Verfolger) folgend, ist der rex iniustus Anwärter auf einen grausamen und würdelosen Tod, wie ihn Herodes III. erlitt, der zum Kindermörder wurde, weil er Königs- und damit Gottesmörder sein wollte. Diese Elemente der Kreuzzugspropaganda am Ende des Mittelalters verbanden sich zunehmend mit antijüdischen Intentionen. Wie sich in den Gesichtern, Waffen und Gewändern der Soldaten und der Schergen, die mit Jesus zum Kalvarienberg geführt werden und seiner Kreuzigung beiwohnen, die von der klassisch-römischen

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Antike inspirierten Elemente mit mehr oder weniger phantasievollen Zitaten eines so jüdischen wie muslimischen »Orients« abwechseln und vermischen, so verschmilzt in Matteos gemalter Theologie das Bild des Herodes als Modell des rex iniustus, des Verfolgers und Kindermörders der Bibel mit dem blutrünstigen Tyrannen, der für das Massaker von Otranto verantwortlich war: der erbarmungslose Ungläubige, dessen heilige und unschuldige Opfer nach der exemplarischen Strafe des Kreuzzugs schreien.

Matteo di Giovanni, Der bethlehemitische Kindermord. Oben: 1482, Siena, Santa Maria della Scala; unten: 1488, Neapel, Museo di Capodimonte.

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Die zwei Mittelmeere Kreuzzug und Kaperkrieg Wenn die Osmanen sich im Osten als die Herren aufspielten, erfuhr der Westen in Spanien seine Genugtuung. Aus dieser Perspektive datiert der Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit ins Jahr 1492. Es ist das Jahr der Entdeckung – und des Beginns der Eroberung  – der Neuen Welt durch den Genuesen Christoph Kolumbus, der nie aufhören sollte, Kreuzzugsambitionen zu hegen. Es ist das Todesjahr Lorenzos des Prächtigen und vor allem das Jahr der Eroberung Granadas. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts war es den christlichen Mächten gelungen, über ihre Beziehungen zu den neuen Herren des einstigen Byzantinischen Reichs hinaus auch einen Modus vivendi mit den anderen islamischen Mächten des Orients zu erreichen: mit den Mamluken Ägyptens und den persischen Monarchen aus der Dynastie der Timuriden (und ab dem 16. Jahrhundert der Safawiden). Dass die osmanische Vorherrschaft sich nicht nur im Osten, sondern auch in Nordafrika ausweitete, hatte die Beziehungen zwischen der Iberischen Halbinsel, dem Maghreb und dem zentralen und westlichen Mittelmeerraum tiefgreifend verändert. Die beiden Schlüsselereignisse dieser schwierigen und bedeutsamen Epoche waren folglich die Eroberung Granadas, des letzten »maurischen« Bollwerks auf der Iberischen Halbinsel, durch Kastilien und Aragón auf der einen und die Eroberung des mamlukischen Sultanats Ägypten durch Selim I. auf der anderen Seite. Selim trägt den Beinamen »der Grausame«, weil er, um die üblichen blutigen Machtkämpfe nach dem Tod eines Sultans zu vermeiden, die Thronfolge seines designierten Nachfolgers Süleyman dadurch sicherte, dass er alle anderen Anwärter beseitigte: eine schmerzliche Entscheidung im Namen der Staatsräson.

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Die beiden genannten Schlüsselereignisse hatten weitreichende Konsequenzen. Zum einen begann nun die Zwangschristianisierung von Muslimen und Juden in Spanien und die Eroberung der nordwestafrikanischen Küstengebiete, die die Christen »Berberei« oder »Barbarei« nannten. Zum anderen kristallisierte sich der arabisch-berberische Islam um eine aufstrebende Herrschaft in Algier: die der Korsarenbrüder Barbarossa. Ihre tatkräftige Entschlossenheit brachte den moros Afrikas, den »Sarazenen«, bei den Christen die Bezeichnung »Barbaresken« ein, und ihre Angriffe im westlichen und zentralen Mittelmeer waren gefürchtet. Nicht nur formell bedeutsam ist, dass die Sultane von Istanbul – Selim I. und dann auch Süleyman – den Brüdern Barbarossa den Titel Beylerbey (was dem Rang eines Generalgouverneurs gleichkam) verliehen. Unter diesem Titel regierten die Brüder nicht nur die Stadt Algier, die rasch zu einer wichtigen und furchteinflößenden Metropole wurde, sie weiteten ihre Herrschaft nach und nach auch über die vielen halbunabhängigen Machtzentren an der Küste und im Landesinnern aus, an deren Spitze ein Reis (Admiral) beziehungsweise ein Scheich (Stammesführer) stand.

Francisco Pradilla Ortiz, Die Kapitulation von Granada, 1882, Madrid, Palacio del Senado. Der muslimische Emir Boabdil übergibt die Schlüssel der Stadt an die Katholischen Könige Isabella I. von Kastilien und Ferdinand II. von Aragón.

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Kapitel siebzehn 

Es war diese gefährliche Macht, die Kastilien und Aragón herausforderte, das Prinzip der custodia maris als Bestandteil der tuitio christianitatis zu bewahren. Hatte das Königreich Kastilien mit Isabella die Aufgabe übernommen, die cruzada in die Neue Welt zu exportieren, so hatte das Königreich Aragón mit Ferdinand den Schauplatz zur Erfüllung seiner Mission  – einer cruzada, die sich von den »klassischen« Kreuzzügen grundlegend unterschied  – in Nordafrika gefunden. Dorthin hatten sich Boabdil, der Emir von Granada, und seine aus Andalusien vertriebenen Anhänger geflüchtet. Auch wenn nur wenige Fälle von Zwangschristianisierung dokumentiert sind, hatte diese kriegerische Mission die Taufe und Christianisierung zum Ziel. Die Entschlossenheit, das Christentum in die Gebiete zurückzubringen, in denen es vor der islamischen Eroberung zur Blüte gelangt war, wurde durch das geltende römische Recht und das Kirchenrecht formell legitimiert. Und so vollzog sich im 15. und 16. Jahrhundert auf der Iberischen Halbinsel eine renovatio des Kreuzzugsideals mit dem Ziel, in Nordafrika und in der Neuen Welt jenen Missionskrieg zu propagieren, der schon die letzte Phase der Reconquista geprägt hatte. Zu diesem Zweck erhielten Ferdinand und Isabella, die sich 1469 durch Heirat verbunden hatten, 1493/94 von dem aragonesischen Papst Alexander VI. – auch er ein überzeugter Befürworter einer Wiederaufnahme der Kriege im Namen des Kreuzes – fiskalische Privilegien, auf deren Basis sie die Kreuzzugssteuer erheben konnten. Mit den Einnahmen sollte das heilige Unternehmen finanziert werden. Inzwischen war klar geworden, dass mit dem »Krieg von Granada« nicht alles vorbei war. Die Muslime, die nach dem Fall ihrer strahlenden Hauptstadt aus Andalusien geflohen waren, reorganisierten sich an der maghrebinischen Küste und besetzten Städte wie Tetuán, Vélez de la Gomera, Melilla, Mers el-Kebir und Oran. Von dort aus machten sie gemeinsame Sache mit den ladrones del mar. Damit schlugen sie das neue und ereignisreiche Kapitel des Kaperkriegs auf und träumten davon, eines Tages in ihr geliebtes al-Andalus zurückzukehren. Mit der Besetzung der Korsarennester Azamor, Alhucemas und Fadala begann, zeitgleich mit der Belagerung Granadas, der Kreuzzug der spanischen Könige in Afrika. Oran, mächtigster Stützpunkt der Korsaren, war das nächste Ziel. Doch dann fiel der französische König Karl VIII. in Italien ein. Er hatte sich zuvor mit der Abtretung der Grafschaft Roussillon an Kastilien die wohlwollende Neutralität des iberischen Königspaares erkauft, zwang sie aber jetzt, mit Blick auf die italienische Halbinsel ihre Politik zu ändern. Nachdem der französische König 1495

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Neapel besetzt hatte, bekundete er sogar die Absicht, die imperialen Träume und Kreuzzugspläne seines Urahns Karl I. von Anjou wieder aufleben zu lassen und gegen Istanbul vorzurücken. Alexander VI., der seinen Papstnamen in Hommage an Alexander den Großen gewählt hatte, agierte 1493/94 als ein wahrer domi­ nus mundi: Er legte im Atlantik eine vom Nord- bis zum Südpol verlaufende Demarkationslinie (raya) fest und beendete nach zähen Verhandlungen mit dem Vertrag von Tordesillas die Territorialstreitigkeiten zwischen Kastilien und Portugal bezüglich ihrer Hoheitsgebiete westlich des europäischen Kontinents. Nach dem glücklosen Italienkriegszug des Königs von Frankreich, der sich mit dem Titel des Allerchristlichsten Königs schmückte, schwächte der Papst das Ansehen der französischen Krone und stärkte zugleich das Prestige Kastiliens und Aragóns. Er übertrug Ferdinand und Isabella das Verfügungsrecht über die cruzada genannte Kreuzzugssteuer und ermächtigte das Königspaar mit der Bulle Ineffabilis vom 13. Februar 1495 dazu, im Zeichen des sanctum bellum und damit im Interesse der gesamten respublica christiana alle afrikanischen Reiche zu besetzen, die sie erobern würden. Geknüpft war dies nur an die Wahrung bereits bestehender Rechte der portugiesischen Krone und an die Anerkennung der obersten Zuständigkeit des Heiligen Stuhls, eventuelle Streitigkeiten beizulegen. Diese prestigeträchtigen Zugeständnisse gipfelten im Jahr darauf in der Verleihung des Titels »Katholische Könige«. Nun war das iberische Königspaar bereit, sich entschlossen der Eroberung des mittelmeerischen Afrikas zuzuwenden. Die Eroberung der Stadt Oran, eines gewaltigen Bollwerks der Barbaresken, von wo aus die muslimischen Flüchtlinge aus Andalusien über Vergeltung nachsannen, war für 1494 geplant. Doch die Situation in Süditalien machte eine Unterbrechung notwendig. Alexander VI., der sich  – Girolamo Savonarola hatte es prophezeit – vom französischen König bedroht fühlte, forderte und billigte eine iberische Intervention in Süditalien und veranlasste Ferdinand und Isabella – die die Wiederaufnahme ihrer Operationen in Afrika verschoben hatten – zwischen 1499 und 1500 zur Unterstützung der Republik Venedig, die von Sultan Bayezid II. angegriffen worden war. Der Sultan, der nach der Erpressung, die er hatte erdulden müssen, Rachegelüste hegte (schließlich waren die Johanniter von Rhodos in den Händen des Papstes und Bayezids Halbbruder Cem mittlerweile in den Händen des französischen Königs), hatte seine feindseligen Manöver gegen die Serenissima wieder aufgenommen. Der zwischen Venedig und dem Osmanischen Reich geschlossene zwanzigjährige Waffenstillstand von 1479 lief aus, und damit

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Kapitel siebzehn 

ging eine nach islamischem Recht legitime Unterbrechung des Kriegs gegen die Ungläubigen zu Ende. Ende September/Anfang Oktober 1499 fielen unter dem Kommando von Iskender Paşa (Iskender Beg) rund 10 000 Mann im Umland von Görz (Gorizia) ein, plünderten, brannten alles nieder, schlugen Hunderten Menschen die Köpfe ab und spießten sie auf ihre Piken, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Bilanz des Überfalls, der eine Woche dauerte und sogar die Stadt Vicenza bedrohte, waren verbrannte Felder und Wälder, 132 zerstörte Dörfer und 10 000 Tote und Gefangene. Es folgten lange Jahre der Hungersnot und der Wirren. Auch die Ägäisfestungen der Markusrepublik wurden angegriffen. Korfu konnte Widerstand leisten, während die venezianische Flotte nahe dem »schicksalhaften« Lepanto geschlagen wurde. Venedig wandte sich um Hilfe an den Papst. Nachdem dieser sich von den Venezianern die wohlwollende Anerkennung der Eroberungen seines Sohnes Cesare Borgia in der Romagna unweit der Grenze zur Serenissima hatte zusichern lassen, veranlasste er die Katholischen Könige, ihre in Málaga vor Anker liegende Flotte Richtung Ionisches und Ägäisches Meer umzulenken. Die Situation war brisant. In den Jahren 1499 und 1500 hatten die andalusischen Flüchtlinge im Maghreb den Aufstand der auf der Iberischen Halbinsel verbliebenen muslimischen Untertanen der Katholischen Könige geschürt. Die infolge der Politik der Zwangsbekehrung zum Christentum (initiiert von dem Primas von Spanien und Erzbischof von Toledo, dem Minoriten Francisco Jiménez de Cisneros) ausgebrochene Rebellion breitete sich von den Alpujarras in die Berge von Ronda aus. Es galt nicht nur, diese Rebellion niederzuschlagen, sondern auch denjenigen moros eine Lektion zu erteilen, die den Aufstand von jenseits des Mittelmeers unterstützten. Die spanischen Könige waren im Bild über Bemühungen von andalusischer wie maghrebinischer Seite, den Sultan in Istanbul zur Unterstützung der Rebellen zu bewegen. Wenn sie also ihre von der Bulle In­ effabilis gebilligte und seit fünf Jahren vorbereitete Operation der Eroberung zum Abschluss bringen wollten, mussten sie der muslimischen Schlange den Kopf zertreten. Und dieser Kopf waren die Türken. Jetzt kamen die osmanische und die spanische Streitmacht einander zum ersten Mal nahe. Die Flotte stach von Málaga Richtung Messina in See und fuhr von dort weiter nach Zante, wo sie sich mit den venezianischen Truppen zusammenschloss. Das genügte, damit sich die Schiffe des Sultans zurückzogen. An Heiligabend des Jahres 1500 eroberten die Venezianer und Iberer unter Führung des Gran Capitán Consalvo von Córdoba

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die Insel Kefalonia. Die Operation wurde so effizient und elegant durchgeführt, dass Bayezid voll Bewunderung Consalvo zu überreden suchte, in seine Dienste zu treten, und ihm eine märchenhafte Entlohnung versprach – ein Angebot, das der Gran Capitán jedoch verächtlich zurückwies. Der Verlust von Kefalonia bewog den Sultan, mit Venedig einen vom Papst vermittelten Waffenstillstand zu schließen, der 1502 unterzeichnet wurde. Das im Museum der Schönen Künste in Antwerpen befindliche erste bekannte Gemälde Tizians sollte das siegreiche Bündnis zwischen Venedig und Spanien verherrlichen. Nach der Operation im Ionischen Meer erfüllte Consalvo den Wunsch seiner Könige und begab sich in den Süden Italiens, wo er im Dezember 1503 in der Schlacht von Garigliano die Franzosen vernichtend schlug. Der Einsetzung Ferdinands von Aragón zum König von Neapel durch den Papst, den obersten Lehnsherr dieses Reiches, stand nun nichts mehr im Weg. Nachfolger des im August 1503 verstorbenen Alexanders VI. wurde zwar ausgerechnet sein erbittertster Gegner, Giuliano della Rovere. Doch nachdem Giuliano unter dem Namen Julius II. den Papstthron bestiegen hatte, erkannte er, dass er diesen Schritt besser nicht verweigerte.

Der Kreuzzug in Afrika Der Feldzug gegen Afrika war derweil unterbrochen. Entscheidend für dessen Wiederaufnahme war der Tod Isabellas von Kastilien im September 1504. In ihrem Testament hatte die Königin ihre Tochter und Erbin Johanna dazu verpflichtet, zusammen mit ihrem habsburgischen Gemahl Philipp erneut das Banner des »heiligen Unternehmens« zu hissen. Dafür mussten freilich zunächst einmal die Einnahmen aus der Kreuzzugssteuer wieder verfügbar gemacht werden, die inzwischen anderen Zwecken zugeflossen waren. Da Johanna regierungsunfähig war, lag es bei Ferdinand als Regent des Königreichs Kastilien, die Angriffe gegen die Barbarei wieder aufzunehmen. Der kriegerische kastilische Adel nahm diesen Entschluss begeistert auf. 1505 wurde Mers el-Kebir erobert, dessen Hafen mit einer Garnison von 700 Mann belegt wurde. Von hier aus wurden weitere Operationen geführt, die 1506 in der Eroberung von Cazaza gipfelten. Das eigentliche Ziel des Feldzugs, die Festung Oran, hielt jedoch stand, und im Laufe des Jahres 1507 wurden die Verluste der spanischen Truppen so groß, dass der König den Generalkommandeur der Operation, Diego Fernández de Córdoba,

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durch Pedro Navarro ersetzte, den Grafen von Oliveto, der zuvor Kampfgefährte des Gran Capitán gewesen war. Geschickt gelang es Pedro im Jahr 1508, Peñón de Vélez de la Gomera auszuheben, eines der damals gefährlichsten Nester der Barbareskenkorsaren. Nunmehr hielt man am Hof eine Wachablösung für geboten. Das Kommando des Kreuzzugs in den Maghreb erhielt jetzt der siebzigjährige, aber tatkräftige Kardinalprimas von Spanien, der Minorit Francisco Jiménez de Cisneros, der 1506 die Regentschaft des Königreichs Kastilien übernommen hatte. Zur Umsetzung seines Programms der Zwangsbekehrung der Muslime war er entschlossen, auch seine persönlichen Finanzmittel einzusetzen, um den Kreuzzug in Afrika weiterzuführen und Oran zu erobern. Die Expedition, die im Frühjahr 1509 begann, verfügte über 6300 Kämpfer und vier schwere und zwanzig leichtere Geschütze. Für den Transport von Mensch und Material wurden zwanzig große Segler, zwanzig Fusten und zwei Galeeren eingesetzt. Oran fiel am 18. Mai unter Umständen, die an einen Verrat seitens der Muslime denken lassen, so leicht war der Sieg. Der Kardinalprimas sprach von einem göttlichen Wunder. Nach der Eroberung wurden 3000 bis 4000 Verteidiger der Stadt niedergemetzelt, weitere 8000 gefangen genommen. Es war gewiss keine heroische Tat, und das Blutbad gereichte der Operation nicht zur Ehre. Cisneros stellte sein propagandistisches Geschick unter Beweis und machte daraus einen ungewöhnlich ruhmreichen Kreuzzug, auch dank der wieder einmal umlaufenden Prophezeiungen, der Islam werde bald aus ganz Afrika hinweggefegt, Jerusalem befreit und die ganze Menschheit zum Christentum bekehrt sein. Doch an diesem Punkt stand der Wille des Kreuzfahrerkardinals den Absichten des Taktikers und Strategen Navarro entgegen. Während Cisneros die Politik der Eroberung und Bekehrung Nordafrikas flächendeckend fortsetzen und möglichst rasch ins Innere des afrikanischen Kontinents vordringen wollte, gedachte Navarro mit der Eroberung weiterer Hafenstädte zunächst die maghrebinische Küste zu sichern. Ihm widerstrebte es, Streitkräfte in einem langen und kostspieligen Feldzug einzusetzen, der auf Dauer nicht zu führen war. Außerstande, seinen Standpunkt durchzusetzen, kehrte der Kardinal verdrossen nach Spanien zurück, wo er in seiner Stadt Alcalá de Henares seinen großen Triumph in Afrika feierte. Er nahm seine Tätigkeit als Generalinquisitor wieder auf und wurde nach Ferdinands Tod 1516 erneut Regent. Er starb 1517, dem Jahr, in dem der junge König Karl aus dem Hause Habsburg in Spanien eintraf. Trotz des Zwischenfalls hatte die Militäroperation gegen Afrika Ferdinand die Möglichkeit gegeben, sein Kreuz-

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zugsprogramm im Einklang mit Isabellas Testament und den Positionen Julius’ II. auszuarbeiten. Der Papst, der in jenen Jahren Michelangelo und Raffael mit der Verherrlichung des Ruhms der Kirche in den vatikanischen Palästen beauftragte, forderte Ferdinand auf, seine Anstrengungen zur Eroberung und Evangelisierung der Neuen Welt, aber auch zur Kontrolle der afrikanischen Küsten fortzusetzen. Zugleich ließ er die ungelösten politischen Probleme in Italien keineswegs außer Acht: die Konsolidierung der Territorien des Kirchenstaats zwischen der Emilia und den Marken, die antifranzösische Revolte Genuas 1507 sowie die Liga von Cambrai. Dem letztgenannten, gegen die Serenissima gerichteten Bündnis zwischen dem französischen König Ludwig XII. und Kaiser Maximilian I. schloss sich der Papst an, der 1509 die Venezianer exkommunizierte. Dem Generalprior der Augustiner, Egidio da Viterbo, fiel es zu, die gottgewollte Rolle Spaniens außerhalb Europas aus endzeitlich-geopolitischer Perspektive zu preisen. Er sah in der Mehrung der spanischen Eroberungen jenseits des Atlantiks und in Afrika eine »Wiedergutmachung« für die Territorien, die die Christen durch das Vorrücken der Osmanen im Orient verloren hatten. Und für den spanischen Humanisten Antonio de Nebrija konnte die Idee der monarchia universalis, wie sie in der Antike das Römische Reich und später das Heilige Römische Reich repräsentierte, allein noch von Spanien verkörpert werden. Schien es doch imstande zu sein, große Teile des Mittelmeers und nun auch der Neuen Welt zu beherrschen, und war damit der Garant einer vom Glauben an Christus dominierten Weltordnung. Auch nach Cisneros’ Rückzug blieb Ferdinands Entschlossenheit ungebrochen. Die fronteras der Barbarei sollten immer weiter ins Landesinnere hinein verschoben, die Gebiete unter spanischer Kontrolle auf dem afrikanischen Kontinent kontinuierlich erweitert werden. Die Eroberung wurde dadurch erleichtert, dass die angegriffenen Orte weit verstreut und die Städte, aber auch die von den verschiedenen Nomadenstämmen kontrollierten Gebiete untereinander zerstritten waren. Die Beziehungen der drei maßgeblichen Dynastien – der Wattasiden von Fez, der Zayyaniden von Tlemcen und der Hafsiden von Tunis – waren geprägt von Verrat und immer neuen Fehden. 1509 gründete der König einen Kreuzzugsrat (Consejo de Cruzada), um die spanische Oberhoheit im westlichen Mittelmeer zu festigen. Dieses wurde, im Unterschied zu dem größtenteils, wenn nicht vollständig von den Osmanen dominierten östlichen Mittelmeer, nunmehr als »katholisches Meer« betrachtet. Im Jahr darauf erklärte Ferdinand in Monzón vor den versammelten aragonesischen Cortes seine Absicht, den bis dahin vorwiegend

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kastilischen Kreuzzug zu einem gemeinsamen Unternehmen beider spanischen Reiche zu machen. Er werde sich schon bald persönlich an die Spitze einer Offensive stellen, die in zwei Phasen durchgeführt werden würde: übers Meer entlang der Küste bis Tunis und zu Land bis nach Tripolitanien und Ägypten in Richtung Kairo. Das Sultanat von Ägypten befand sich in einer so schweren Krise, dass sein endgültiger Zusammenbruch nicht mehr lange auf sich warten lassen würde. Ferdinand wollte verhindern, dass das, was davon übrig blieb, dem Sultan von Istanbul in die Hände fiel (was sieben, acht Jahre später auch geschah). Der König lehnte jede diplomatisch-militärische Zusammenarbeit ab und verstieg sich in apokalyptische Szenarien, wie sie Egidio da Viterbo propagierte: Oberstes Ziel aller Kreuzzüge, auch jener, die allem Anschein nach weit entfernt vom Mittelmeer geführt wurden (selbst jener im Baltikum), sei die Befreiung Jerusalems. Und eine Expedition zur Eroberung Kairos sei nichts anderes als ein neuer »Zug durchs Rote Meer«, um das Königreich wiederherzustellen. Die Begeisterung, mit der die Cortes die Rede des Königs aufnahmen, war die Voraussetzung für die Billigung der entsprechenden Steuern, mit denen das titanische Unternehmen finanziert werden sollte, auf das die Christenheit seit mehr als zwei Jahrhunderten wartete. Doch andere politische und militärische Angelegenheiten waren vordringlich. Die eingenommenen Gelder wurden für den Krieg gegen die Franzosen verwendet, der auf Drängen des Papstes durch eine Heilige Liga erklärt wurde (denn die Politik Ludwigs XII. wurde als Haupthindernis für den Kreuzzug betrachtet). Diesem Bündnis gehörten neben Kaiser Maximilian, König Heinrich VIII. von England und Ferdinand selbst auch Venedig und die Schweizer Eidgenossen an. Mit den Einnahmen aus der Steuer konnte Aragón 1512 Navarra annektieren und die Italienischen Kriege finanzieren, die es ihm erlaubten, seine Kontrolle über das Königreich Neapel zu festigen. Julius II. hatte sich beeilt, all denen einen vollkommenen Ablass zu gewähren, die gemäß dem in Monzón vorgestellten Plan an der Eroberung von Tunis teilnahmen. Und um den europäischen Fürsten die Unterstützung dieser Kreuzzugspolitik zu erleichtern, machte sein Nachfolger, Papst Leo X., König Franz I. von Frankreich, dem Nachfolger Ludwigs XII., und Karl als dem Erben der spanischen Krone großzügige wirtschaftliche Zugeständnisse hinsichtlich der kirchlichen Erträge in ihren jeweiligen Territorien. Eine der letzten Amtshandlungen des inzwischen neunzigjährigen Kardinals Cisneros bestand darin, sich beim Papst für die Bereitstellung großer Finanzmittel für seinen jungen König einzusetzen.

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Der Kreuzzug in Afrika ging also weiter mit dem Ziel, die Positionen an der Küste zu halten. Hauptakteur war nun Diego Fernández de Córdoba, der zum Gouverneur der letzten und prestigeträchtigsten eroberten Stadt ernannt wurde: Oran, das zur Hauptstadt eines zu errichtenden Vizekönigreichs werden sollte. Die Stadt erhielt eine starke militärische Garnison mit einem großen Artilleriepark und eine Stadtmauer, die in Afrika und in der Neuen Welt als beispielhaft galt. Zusammen mit dem Gouverneur von Oran begann der Generalkommandant der Expedition, Pedro Navarro, mit der Eroberung des Zayyaniden-»Reichs« von Tlemcen. Die gewaltige Festung Bougie (Bedschaja) wurde am 6. Januar 1510 bezwungen, doch die weitere Unterwerfung der Küstenstädte war, wie sich herausstellte, alles andere als einfach. Es blieben wichtige Bollwerke wie Tunis und Algier, die anzugreifen man zögerte. Nach Bougie rückten die Spanier gegen Tripolis vor, dessen strategisch günstige Lage die Kontrolle der Straße von Sizilien ermöglichte. Vor Favignana wurde aus den italienischen Hafenstädten Palermo, Neapel, Cagliari sowie den iberischen Häfen Murcia, Málaga und Valencia eine große Armada mit 150 Schiffen zusammengezogen. Die Bewohner von Tripolis leisteten tapferen, aber vergeblichen Widerstand. Mitte Juli wurde die Stadt eingenommen. Dem Blutbad fiel rund die Hälfte der Verteidiger zum Opfer. Wohl rund 14 000 Bewohner, einschließlich derjenigen, die sich in die große Moschee der Stadt geflüchtet hatten, wurden erbarmungslos niedergemetzelt. Das Massaker von Tripolis war eines der blutigsten und sinnlosesten in der gesamten Geschichte der Kreuzzüge. Tausende Männer und Frauen wurden in die Sklaverei geführt, während die Spanier nicht mehr als 300 Tote zu beklagen hatten. Die Moscheen der eroberten Städte wurden üblicherweise in Kirchen umgewandelt, und die lokale Bevölkerung musste sich kollektiv taufen lassen. Die Taktik des Terrors schürte in der nordafrikanischen Bevölkerung den Hass auf die Spanier und den christlichen Namen, aber sie trug Früchte. In den Jahren 1510/11 unterwarfen sich zahlreiche Küstenstädte, darunter das berühmte Mahdia bei Tunis, der spanischen Herrschaft, die jedoch oft kurzlebig war. Dennoch verlief die Eroberung nicht immer einfach. Die Insel Dscherba, ein Korsarennest östlich von Tunis mit einer gut geschützten Lagune, die einen großen natürlichen Hafen bildete, leistete tapfer Widerstand. Navarro, der die Insel links liegen gelassen hatte, um Tripolis zu erobern, war fest entschlossen, sie in Besitz zu nehmen, weil sie den christlichen Handelsrouten zwischen Sizilien, Italien und Katalonien ein Stachel im Fleisch war. Doch ein – vielleicht zu schwach geführter – Angriff endete mit einer schmerzlichen Niederlage, ebenso ein Überfall auf die Insel Kerkenna.

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Algier Nach sechs Jahren ununterbrochen erfolgreicher Expeditionen, die in der Regel zwischen Frühjahr und Spätsommer geführt wurden, wenn das Wetter stabil war, geriet 1511 die Eroberung der maghrebinischen Küste ins Stocken. Ein spanischer Angriff auf Algier, das sich in der Hand des Hafsiden Selim ben Tumi befand, endete mit einer Tributzahlung der Bewohner und der Besetzung der Algier vorgelagerten kleinen Insel Peñón. Sie kontrollierte den Zugang zum Hafen von Algier, konnte befestigt werden und stellte damit für die Barbareskenschiffe ein echtes Hindernis dar. Doch diese permanente Störung nicht nur der Korsaren-, sondern auch der Handelsaktivitäten schürte in der Stadt heftigen Unmut. Betroffen waren alle, die aus verschiedenen Teilen des Mittelmeers – vom Balkan über Süditalien bis Anatolien – hierhergekommen waren, um Handel zu treiben, Kaperkrieg zu führen oder beides. Zu seinem Glück hatte der Herrscher von Algier ein Korsarenkonsortium zur Hand, das von den beiden Söhnen des griechisch- oder balkanstämmigen Jakub angeführt wurde: Arudsch (wegen seiner pittoresken Prothese »Silberarm« genannt) und Khizr Hayreddin (lateinisch Ariadenus) trugen den Beinamen Barbarossa. Das Korsarenunternehmen der Brüder Barbarossa wurde außerordentlich lukrativ, als sich Arudsch um 1512 aus der Unterwerfung und dem Bündnis löste, das ihn bis dahin an den »König« von Tunis gebunden hatte, und sich zum Vasallen des osmanischen Sultans Selim I. erklärte. Gemeinsam mit dem entmachteten »König« von Bougie, Abd al-Rahmān, versuchte Arudsch die Rückeroberung der Festung, wobei er einen Arm verlor. Hierauf begann er eine Reihe von Störaktionen, von denen auch Genua betroffen war, was zu einer ersten brutalen Tuchfühlung zwischen dem genuesischen Konsortium der Doria und dem Korsarenkonsortium der Brüder Barbarossa führte. 1514 gewann Arudsch nach einem weiteren, gleichfalls erfolglosen Angriff auf Bougie die Kontrolle über die kleine, vierzig Kilometer östlich der Stadt gelegene Halbinsel Jijel. Hier konnte er in aller Ruhe die zahlreichen schweren Kanonen aufstellen, die ihm der Sultan aus Istanbul geschickt hatte. Dann rückte er auf Algier vor, wo er in einem geschickten Handstreich den lokalen Herrscher Ali ben Tumi entmachtete und selbst die Herrschaft übernahm. Er stellte seine Tüchtigkeit unter Beweis, als er im Sommer 1516 einen massiven Angriff der Spanier abwehrte, die mit einem 10 000 Mann starken Heer unter dem Kommando des tapferen Diego de Vera angerückt waren. Die Sache war ein Desaster für die Spanier, deren gesamte Flotte obendrein durch einen heftigen Sturm zerstört wurde. Nach weiteren

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erfolgreichen Eroberungszügen herrschte Arudsch nicht nur über Algier, sondern verfügte über ein ganzes Netz verbündeter und unterworfener Städte, von denen einige zuvor die spanische Oberhoheit anerkannt hatten: von Tlemcen bis Cherchell und von Jijel bis Ténès. Da Barbarossa dem Sultan Selim I. loyal blieb, entstand ein regelrechtes osmanisches »Vizekönigreich«, das durch die Ernennung des Korsaren zum Beylerbey legitimiert war. Arudsch fiel 1518 bei Tlemcen in einer verzweifelten Schlacht gegen eine überwältigende spanische Streitmacht. Aus seinem karmesinroten Gewand, das als Trophäe an die Kathedrale von Córdoba geschickt wurde, schneiderte man dort liturgische Gewänder. Doch ein zweiter Barbarossa suchte weiter das Mittelmeer heim, denn an Arudschs Stelle trat sein Bruder Hayreddin. Der Tod des gefürchteten Anführers löste unter den Barbareskenkorsaren eine kurzzeitige Krise aus. Der Marqués de Comares, Gouverneur von Oran, hatte Tlemcen zurückerobert und einer pro-spanischen lokalen Dynastie unterstellt. Jetzt beeilte er sich, Algier erneut anzugreifen. Dafür hatte er den vollen Rückhalt seines jungen Königs, der dem ritterlichen Ruhm seines Rivalen, des Allerchristlichsten Königs Franz I., nachzueifern trachtete. Seine Kreuzzugsleidenschaft hatte Karl von gleich zwei dynastischen Zweigen geerbt: väterlicherseits vom burgundischen Erbe der »Großherzöge des Westens«, die ihren Kreuzzugseifer im Jahrhundert zuvor unter Beweis gestellt hatten, mütterlicherseits von der herencia fernandina, die durch seinen Großvater auf ihn gekommen war. Hayreddin wiederum hatte die Stafette des Dschihad von seinem Bruder Arudsch übernommen und regierte Algier mit eiserner Hand. Die meisten Bewohner lehnten ihn ab und hätten ein friedliches Zusammenleben mit den Spaniern vorgezogen, das auch unter kaufmännischen Gesichtspunkten sehr viel lukrativer gewesen wäre. Die Entschlossenheit des Beylerbey, der nicht den Anschein erweckte, als würde er weichen wollen, brachte den Marqués de Comares von seinem Plan eines Angriffs auf Algier ab. Der junge König von Kastilien und Aragón jedoch war anderer Ansicht, und so wurden die Angriffsvorbereitungen fortgesetzt. Die Ausrüstung der notwendigen Streitkräfte zog sich allerdings in die Länge, und mit dem Ende des Sommers stieg die Gefahr der Auguststürme. Der Oberbefehlshaber der Expedition, Hugo de Moncada, tendierte dazu, das Unternehmen auf das folgende Jahr zu verschieben, doch der König blieb unnachgiebig. Am 24. August 1518 erreichte die spanische Flotte Algier. Mit drastischen Maßnahmen hatte Barbarossa es den Bewohnern untersagt, die Stadt zu verlassen und sich in Sicherheit zu bringen. Doch ein gewaltiger Sturm zerstreute die Flotte der

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Kapitel siebzehn 

Angreifer auf dem offenen Meer; ein Teil der Besatzung wurde von den Wellen verschlungen, die anderen wurden gefangen genommen und versklavt. Barbarossas Ruhm erreichte schwindelerregende Höhen, gesteigert durch die Aura des göttlichen Schutzes, den das Wüten des Meeres ihm erwiesen hatte. Die Christenheit musste unterdessen aus anderen Teilen des Mittelmeerraumes nicht weniger alarmierende Nachrichten zur Kenntnis nehmen. Das 1512 einberufene Fünfte Laterankonzil, das Leo X. dem Wunsch seines Vorgängers Julius II. gemäß fortgeführt hatte, war gerade zu Ende gegangen. 1515, bei der Eröffnung der zehnten Sitzung, war erneut die Frage des negotium crucis erörtert worden, doch die Resonanz war verhalten und skeptisch gewesen. Das sollte sich bald ändern. Während Europa die Nachricht vom großen Sieg der Osmanen gegen die Perser am 23. August 1514 im fernen ostanatolischen Çaldıran fast mit Desinteresse aufgenommen hatte, wurde das bis dahin als beruhigend wahrgenommene Bild durch die in den Jahren 1516/17 aus dem Nahen Osten eintreffenden Nachrichten erschüttert. Sultan Selim I., der den ägyptischen Mamluken zunächst Syrien und Palästina mitsamt Jerusalem weggenommen hatte, war im Januar 1517 in Kairo eingezogen. Damit beendete er das friedliche Zusammenleben, das nach dem Fall Akkons 1291 die Beziehungen der Christenheit zur muslimischen Herrschaft im südöstlichen Mittelmeer und im Nahen Osten geprägt hatte. In dieser Zeit hatten die italienischen, provenzalischen und katalanischen Kaufleute vom Wohlstand der Handelsstädte im Nildelta, die auch die christlichen Pilger auf ihrem Weg über den Sinai nach Jerusalem passierten, enorm profitiert. Fast wie ein symbolischer Akt wirkte es nun, als zwischen April und Herbst 1516 Barbareskenkorsaren zweimal vor der Küste Latiums kreuzten. Sogar der Papst, der zu diesem Zeitpunkt außerhalb Roms weilte, drohte gefangen genommen zu werden, so hieß es zumindest. Damals wurde auch der in den Marken gelegene Wallfahrtsort Loreto durch Befestigungsanlagen gegen Einfälle vom Meer geschützt. Das Laterankonzil endete 1517, wie sein Vorgänger rund drei Jahrhunderte zuvor, mit der feierlichen Beschwörung eines sanctum bellum gegen die Ungläubigen. Schon bei seiner Ansprache vor den Kardinälen im öffentlichen Konsistorium vom November 1516 hatte der Papst für eine cruciata generalis zur zentralen Koordination der christlichen Verteidigung Europas geworben, selbstverständlich unter Führung des Apostolischen Stuhls. Es war dasselbe Schema, das seit dem 11. Jahrhundert in unterschiedlicher Form immer wieder präsentiert und von Pius II. auf der Versammlung in Mantua 1459/60 weiter ausgearbeitet worden war. Jetzt wurde es entschlossen wieder aufgenommen.

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Karl V. und der Kreuzzug Als die Kaiserwahl näherrückte, wetteiferten die beiden Hauptkandidaten, Karl aus dem Hause Habsburg und Franz aus dem Hause Valois, miteinander um die Unterstützung der Kurfürsten und die Gunst des Apostolischen Stuhls. Den Kreuzzug benutzten beide Bewerber als wichtigstes Argument zu ihren Gunsten. Zunächst schien Franz im Vorteil. Der junge und ritterliche französische König, der in Italien eingefallen war, um seinen Anspruch auf das Herzogtum Mailand geltend zu machen, hatte 1515 bei Marignano die Schweizer Eidgenossen geschlagen. Sein Reich begann sich nun als die wichtigste europäische Hegemonialmacht in Italien zu profilieren. Um auch in Deutschland Zustimmung zu gewinnen und den Grundstein für seine Bewerbung um die Krone des »Königs der Römer« und »erwählten Kaisers« (für die Krönung zum Kaiser musste der Kandidat allerdings nach Rom reisen) zu legen, bekräftigte er seine Verpflichtung zum Kampf gegen die Türken, die Asien unterwarfen und den Balkan und das Mittelmeer bedrohten. Im Einklang mit den kulturellen Werten der Renaissance strebte Franz danach, in die Ahnengalerie der großen Eroberer Europas und Asiens aufgenommen zu werden. Der diesbezügliche Heros par excellence war Alexander der Große, Inspiration und Vorbild für Rodrigo Borgia, der Alexander als Papstnamen wählte, aber auch für Sultan Selim. Zu den heldenhaften Eroberern beider Kontinente – in einem Bogen, der sich von der heidnischen Antike bis zum Christentum spannte und eine Kontinuität zwischen beiden Welten herstellte – gehörten auch Augustus, Titus, Nerva, Trajan, Konstantin, Theodosius und Karl der Große. Franz konnte auf seine immensen Reichtümer bauen, die es ihm erlaubten, sich die Sympathie der Kurfürsten zu erkaufen, aber auch auf das Wohlwollen Papst Leos X. Als Gegenleistung für die Verpflichtung, Italien zum Ausgangspunkt für eine große Offensive gegen die Osmanen zu machen, hatte der Papst die Hegemonialpolitik des Valois in Mittel- und Norditalien unterstützt. Mit dem Konkordat von Bologna von 1516 hatte er ihm außerdem weitgehende Verfügungsgewalt über das Finanzsystem der Kirche in Frankreich eingeräumt. In den Augen des Papstes war im politischen Panorama Europas jener Zeit Frankreich die einzige Macht, die imstande war, das Kreuzzugsprojekt, das sich in den Sitzungen des Laterankonzils abzuzeichnen begann, entscheidend mitzutragen. Leo X. wollte Franz an die Spitze einer neuen Liga stellen, der die päpstliche Kurie den Namen Bruderschaft des Heiligen Kreuzzugs (Fraternitas Sanctae Cruciatae) zugedacht hatte. Die

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Verehrung für den Erzengel Michael und für Karl den Großen, die sich in Raffaels Gemälde des heiligen Michael (heute im Louvre) und in seinem Fresko mit der Darstellung des Frankenkaisers in den Stanzen des Vatikans spiegelt, belegt die Schwärmerei des Medici-Papstes für den französischen König. Michael war der Schutzpatron des höfischen Ritterordens, den der französische König Ludwig XI. im Jahr 1469 gegründet hatte, um loyale Anhänger seiner Monarchie zu ehren. Und Karl der Große wurde mindestens seit dem 11. Jahrhundert in Frankreich als Stammvater der französischen Monarchie betrachtet. Gleichzeitig galt er allerdings auch in Deutschland als Reichsgründer. Seine Gebeine in Aachen waren schon vor der von Kaiser Friedrich I. betriebenen Heiligsprechung von den sächsischen, salischen und staufischen Herrschern wie Reliquien verehrt worden. Auf Karl den Großen – den Dürer in seinem berühmten Gemälde im Krönungsornat mit den Reichsinsignien und beiden Wappen, dem deutschen Adler- und dem französischen Lilienwappen, darstellte – konzentrierte sich symbolisch der Wettstreit zwischen dem Habsburger Karl und Franz I. um den Kaiserthron. Verglichen mit dem Valois wäre Karl wenig glaubwürdig gewesen, wenn er dem Papst allzu weitreichende Versprechungen gemacht hätte. Er wusste, dass er nicht in der Lage war, einen direkten Angriff gegen den Sultan in Istanbul zu führen. Alles, was er glaubwürdig versprechen konnte und auch versprach, war die Verteidigung der italienischen Küsten mithilfe der Einnahmen aus der Kreuzzugssteuer (cru­ zada), über die er nach wie vor verfügte. Dies beinhaltete auch die Fortsetzung des Feldzugs in Afrika, denn die Sicherheit Italiens war hauptsächlich durch die von dort ausgehenden Raubzüge der Korsaren bedroht – ganz zu schweigen von den zahlreichen christlichen Gefangenen, die in den Kerkern der Barbareskenhäfen schmachteten und auf den Korsarenschiffen an die Ruderbänke gekettet waren. Bekanntlich war Karl der Gewinner, nicht zuletzt dank der enormen Darlehen der Fugger und Welser, für die Margarete von Österreich garantierte, Karls Tante väterlicherseits und Statthalterin der habsburgischen Niederlande. Am 29. Juni 1519 wurde ihm von den Kurfürsten die römisch-deutsche Krone zuerkannt. Nun war er zwar gewählt, jedoch noch nicht zum Kaiser gekrönt, durfte also nur den Titel eines »Königs der Römer« tragen. Aber er wurde von allen sofort »Kaiser« genannt. Seine vordringlichste Aufgabe war die tuitio christianitatis, die das negotium crucis und die custodia maris einschloss. Im Jahr 1520 unterzeichnete er mit den Königreichen England und Dänemark einen Vertrag, der die Notwendigkeit betonte, sich den Türken entgegenzustellen. Die beherrschten mittlerweile, teils direkt dank

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Tizian, Kaiser Karl V. zu Pferd, 1548, Madrid, Museo Nacional del Prado. Der Kaiser ist in der Rüstung der tercios dargestellt, moderner kastilischer Infanterieeinheiten, die hohes Ansehen genossen.

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ihrer Eroberungen der Jahre 1516–1518, teils indirekt dank der Statthalterschaft des Bey­lerbey Hayreddin Barbarossa, den gesamten europäisch-afrikanisch-asiatischen Raum zwischen Thrakien und den Säulen des Herkules und bedrohten das Mittelmeer. Damit wurde der Kreuzzug zum Kern jenes imperialen »großen Plans«, den Karl in Europa, Afrika und in der Neuen Welt verfolgte. Nicht immer erhielt er dabei die Unterstützung des Heiligen Stuhls, dessen Diplomatie oft von den Familieninteressen des jeweiligen Papstes bestimmt und von der unerwarteten Entwicklung der von Martin Luther losgetretenen »Revolte« erschüttert wurde. Als Herrscher eines Reiches, in dem »die Sonne nie unterging«, gehörten der Kampf gegen die Ungläubigen und die Christianisierung zu Karls Hauptaufgaben. Das dritte Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts war in dieser Hinsicht ein entscheidendes. Zwischen Afrika und Süditalien war es Hugo de Moncada mit seiner 13 000 Mann starken Armee gelungen, die Insel Dscherba zu erobern und den immer häufigeren Korsarenüberfällen auf Sizilien ein Ende zu setzen. Angriffe und Raubzüge des ein oder anderen Korsarenverbands gegen Kampanien konnte er jedoch nicht verhindern. Etwa um dieselbe Zeit kam die Eroberung des maghrebinischen Afrikas zum Stillstand. 1522 erhob sich die Bevölkerung von Peñón de Vélez de la Gomera gegen die Spanier und beraubte sie damit eines Stützpunkts, der erst 1525 zurückerobert werden konnte. Kastilien wurde vom Aufstand der co­ muneros heimgesucht, und diese von Franz I. ermunterte Revolte behinderte die Eroberung der afrikanischen Küste zusätzlich. Der Tod Selims I. 1520 brachte der Christenheit keine Verschnaufpause, denn die übliche Thronfolgekrise blieb aus, weil Selim den Weg für seinen Sohn Süleyman durch die Ermordung aller potenziellen Prätendenten freigemacht hatte. Der neue Großherr errang sofort drei außerordentliche Erfolge: die Eroberung des zum Königreich Ungarn gehörenden Belgrad Ende August 1521, ein vorteilhaftes Handelsabkommen mit Venedig im Dezember desselben Jahres und schließlich die Einnahme der Insel Rhodos am 26. Dezember 1522. Nach der Kapitulation der dort ansässigen Johanniter übergab der Kaiser ihnen Malta als neuen Sitz. Papst Leo X. seinerseits suchte energisch ein Bündnis mit Habsburg, von dem er sich ein ordnendes Einwirken auf der italienischen Halbinsel, zugleich aber die Befreiung des Mittelmeers vom Albtraum der Osmanen und Barbaresken versprach. Der Bündnispakt zwischen dem Kaiser und dem Papst wurde am 21. Mai 1521 unterzeichnet. Am 4. Juni belehnte der Papst Karl V. mit dem Königreich Neapel. Die Franzosen wurden aus Mailand und Genua vertrieben. Für Leo verband sich das

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neue Kräftegleichgewicht auf der Insel mit der Hoffnung auf Sicherheit im Mittelmeer: Die spanische Hegemonie über Italien würde die osmanische Hegemonie beenden oder ihr zumindest entgegentreten. Die neue Situation würde außerdem das Haus Medici begünstigen, dem der Papst angehörte. Doch der Papst starb im Dezember desselben Jahres. Sein Nachfolger, der Flame Adrian von Utrecht, der den Papstnamen Hadrian VI. wählte, war der geistliche Erzieher des jungen Karl gewesen, und man erwartete, dass er die kaiserfreundliche Politik des Kampfes gegen die Ungläubigen fortsetzte. Aber gerade seine Verbundenheit mit dem Kaiser legte dem neuen Papst eine vorsichtigere Haltung nahe. Er war darauf bedacht, vor der Christenheit ein Bild der Unparteilichkeit abzugeben, und erstrebte eine neue Eintracht der christlichen Mächte mit Blick auf eine gemeinsame Offensive gegen die Türken. Hadrian war also kein Freund einer Erneuerung der im Mai 1521 zwischen Kaiser und Papst geschlossenen Allianz – eine Zurückhaltung, die dem Kaiser missfiel. Gleichzeitig hatte der neue Papst mit dem Misstrauen der Franzosen und Venezianer zu kämpfen, die ihn der allzu großen Nähe zum Kaiser verdächtigten. Um aus diesem Dilemma herauszukommen, entschloss sich Hadrian VI. zu einem autoritären Schritt. Am 30. April 1523 ordnete er auf Basis der Prärogative, die ihm die cruciata generalis verlieh, einen Waffenstillstand an, dem alle christlichen Staatsoberhäupter unter Androhung der Exkommunikation zu folgen hatten. Doch Franz I. wollte sich dem Willen des Papstes nicht fügen und entfachte eine scharfe Polemik gegen die römische Kurie, wodurch die mit der Reformation entstandene Kluft zwischen den Gläubigen weiter vertieft wurde. Der Papst reagierte mit der Einberufung einer allgemeinen Liga der christlichen Herrscher nach Rom, wo die Liga am 3. August 1523 vom Kaiser, seinem Bruder, Erzherzog Ferdinand von Österreich, dem König von England, dem Herzogtum Mailand und von den Republiken Florenz, Siena und Lucca unterzeichnet wurde. Doch am 14. September starb Hadrian. Sein Nachfolger wurde der als Giulio de’ Medici geborene Florentiner Clemens VII., ein Cousin Leos X. und bis dahin Vorsitzender des kaiserfreundlichen Kardinalskollegiums. Überraschenderweise kehrte er zur anfänglichen Position seines Vorgängers zurück: Die hegemonialen Bestrebungen des Habsburgerkaisers dürften nicht unterstützt werden, vielmehr müsse der Papst erneut die Aufgabe des obersten Koordinators und Friedensstifters zwischen den christlichen Mächten übernehmen. Der große Sieg Karls V. in Pavia über Franz I., der im Februar 1525 verwundet und gefangen genommen wurde, bestärkte den

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Papst in der Notwendigkeit eines neuen Kräftegleichgewichts der europäischen Politik, um eine kaiserliche Übermacht zu verhindern. Im Januar 1526 kam der König von Frankreich frei, nachdem er einen Friedensvertrag unterzeichnet hatte, der ihm zahlreiche Zugeständnisse abverlangte. Zuvor jedoch hatte er insgeheim ein notariell beglaubigtes Schreiben verfasst, dem zufolge jegliche in der Gefangenschaft geleistete Unterschrift als erzwungen und damit nicht rechtskräftig zu betrachten sei. Kaum hatte er im April seine Freiheit erlangt, erklärte er die Friedensbedingungen – einschließlich der Passagen, die ihn zum bedingungslosen Kampf gegen die Ungläubigen verpflichteten – für null und nichtig, erfüllte sie jedoch, soweit es der Freilassung seiner beiden Söhne diente, die der Kaiser noch als Geiseln hatte. Franz I. sah den gemeinsamen Feind nicht in den Ungläubigen, sondern in der Habsburgermonarchie. Mit Sultan Süleyman nahm er Verhandlungen auf, die zu einem Bündnis führten, das seine Gegner ein ruchloses nannten (im­ pium foedus). Gegenüber dem Osmanischen Reich präsentierte er sich als Vertreter und Verteidiger aller lateinischen Christen, von den in Jerusalem ansässigen geistlichen Gemeinschaften bis zu den Pilgern und Kaufleuten. Überaus geschickt machte sich der französische König die Furcht der italienischen Staaten Mailand, Venedig, Florenz und Genua zunutze, von jener Universalmonarchie erdrückt zu werden, die den Kern des »großen Plans« Kaiser Karls V. bildete. Das Bündnis zwischen dem Königreich Frankreich, dem Papst und den italienischen Staaten wurde in der Liga von Cognac am 22. Mai 1526 besiegelt – zu einem Zeitpunkt, als Ungarn, das zusammen mit dem Herzogtum Österreich an der Donau eine Vormauer zur Verteidigung Europas gegen die Osmanen bildete, heftigen Angriffen des Sultans ausgesetzt war. An den europäischen Höfen war bekannt, dass im April jenes Jahres ein gewaltiges osmanisches Truppenkontingent aufgebrochen war. Doch der Reichstag des Heiligen Römischen Reichs zu Speyer reagierte auf diese Nachricht zurückhaltend und argwöhnisch. Der Kaiser wandte sich an den Papst: Seit der Zeit der Eroberung Konstantinopels habe kein anderes Ereignis so sehr die Ausrufung eines allgemeinen Kreuzzuges gerechtfertigt. Doch Clemens, für den ein Kreuzzug nur dann einen Sinn hatte, wenn Habsburg sich an dessen Spitze stellte, kam der Aufforderung nicht nach. Immerhin gewährte er allen Kämpfern, die sich auf dem Balkan der osmanischen Offensive entgegenstellen würden, einen vollkommenen Ablass. Wie ging es aus? Im August 1526 wurde König Ludwig II. von Ungarn – der mit Maria, der Schwester des Kaisers und des Erzherzogs von Österreich, verheiratet und somit deren Schwager war – von den

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Osmanen in der Schlacht bei Mohács vernichtend geschlagen und verlor dabei sein Leben. Clemens VII. schien nun jener Linie abzuschwören, die er als Kardinal bei der Unterzeichnung der allgemeinen Liga befürwortet hatte und gegen die sich die Liga von Cognac formiert hatte. In einem von der kaiserlichen Kanzlei nach Abschluss der Liga von Cognac verbreiteten Pamphlet wurde der Papst jedenfalls beschuldigt, der Ausweitung der gegen die Kirche gerichteten Revolte der »Reformierten« Vorschub zu leisten und sich dem Krieg gegen die Türken zu entziehen. Angedroht wurde die Einberufung eines neuen Konzils durch den Habsburgerkaiser. Die Niederlage von Mohács führte zur Wahl eines »nationalen« Königs durch die antihabsburgische ungarische Adelsfraktion. Johann Zápolya, der Woiwode Siebenbürgens, war bereit, sich dem Sultan zu unterwerfen. Seine Wahl wurde von den Mitgliedern der Liga von Cognac anerkannt. Doch die Unterstützer Marias von Ungarn besetzten die Hauptstadt des Reiches, Buda, wo sie im Dezember 1526 Erzherzog Ferdinand von Österreich auf den Thron hoben. Der Sultan traf umgehend Vorkehrungen, um den König zu unterstützen, der ihm gehuldigt hatte. Das war nicht nur sein Recht, sondern nun sogar seine Pflicht. Apropos Rechte und Pflichten: Aufgrund des Familienvertrags, der Karl und Ferdinand zu gegenseitiger Unterstützung im Notfall verpflichtete, zog 1527 ein Heer aus 12 000 lutherischen Landsknechten unter dem Kommando Georgs von Frundsberg gegen Rom und plünderte die Stadt im sogenannten Sacco di Roma. Man kann darin ein Beispiel für einen »frommen Bildersturm« grobschlächtiger und gieriger, aber gottesfürchtiger Krieger sehen, der sich gegen das korrupte heidnische Babylon der Päpste richtete. Der Kaiser hatte diese zerstörerische Gewalt nicht gewollt und tat in der Folge alles, um die Schande abzuwehren, für die die katholische Welt ihn verantwortlich machte. Der Frieden von Barcelona, der im Juni 1529 mit dem Papst geschlossen wurde, war der Auftakt zur Krönung, die im Jahr darauf in Bologna stattfand, in einem Klima der Verständigung zwischen den beiden großen luminaria der Welt und als Spiegel des Einklangs zwischen monarchia orbis und libertas ecclesiae. Doch der Zauber einer Einheit des christlichen Europas war endgültig gebrochen. Die Reformation breitete sich immer weiter aus, während die katholische Welt Europas gespalten war zwischen Frankreich, das an seinem impium foedus mit den Türken im Wesentlichen festhielt, und einem habsburgischen Herrschaftsgefüge, das eine geopolitische Strategie der Verständigung mit den persischen Dynastien betrieb, die sich unmittelbar gegen die Osmanen und mittelbar gegen Frankreich richtete.

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Gegenangriff Heiliger Krieg gegen die Türken An der Schwelle zum 16. Jahrhundert beherrschte das Osmanische Reich weite Teile des Mittelmeers  – eine Thalassokratie, die ihm vom römisch-deutschen Kaiserreich unter Karl V. streitig gemacht wurde. Nach dessen Abdankung trat sein Sohn Philipp II. dieses Erbe an: Als Oberhaupt der spanischen Monarchie hatte er die Iberische Halbinsel, die Niederlande, die italienischen Besitzungen der Krone von Aragón und das grenzenlose Reich der Neuen Welt geerbt. Die deutschen Gebiete und der von der Habsburgerdynastie dominierte Balkan-Donau-Raum gingen an Ferdinand, den Bruder Karls V. und dessen Stellvertreter und späterer Nachfolger. Der Welt überdrüssig, sehnte sich Karl nach Frieden und richtete den Blick auf die Ewigkeit, nachdem er sich im Mittelmeer und auf dem Balkan jahrzehntelang mit einem Feind gemessen hatte, der seiner durchaus würdig war: Sultan Süleyman, der von den Muslimen »al-Qanuni«, der Gesetzgeber, von den Christen »der Prächtige« genannt wurde. Der Herrscher in Istanbul hatte gewiss nicht die Absicht, gegen die Christenheit als Ganzes Krieg zu führen. Im Gegenteil. Es war ihm gelungen, die Christenheit zu spalten, indem er sich mit den französischen Königen Franz I. und Heinrich II. verbündete und die Verteidigungskraft der Seemächte Spanien und Venedig, die ihm ein Dorn im Auge waren, im Mittelmeer auf die Probe stellte. Dies geschah auf zweierlei Weise: zur See mit Angriffen seiner Vasallen und Verbündeten, der Barbareskenkorsaren, und zu Land mit koordinierten Überfällen seiner Truppen und seiner ionisch-adriatischen Flotte auf dem Balkan beziehungsweise an der Küste des »Golfs von Venedig«. Um sich dagegen zur Wehr zu setzen, fasste Karl V. 1535 den Entschluss,

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dem Korsar Barbarossa die Stadt Tunis zu entreißen, die er im Jahr zuvor erobert hatte. Karl befürchtete osmanische Pläne zur Eroberung Siziliens und Korsarenüberfälle entlang der italienischen Südküste. In Cagliari stach der Kaiser mit einer Flotte aus 335 Schiffen mit 25 000 Fußsoldaten und 2000 Rittern an Bord in See. Am 1. Juni vernichtete er mit Unterstützung der Genuesen Hayreddins Flotte, und am 15. Juni ging er unweit der Ruinen von Karthago an Land. Am selben Tag wurde La Goulette unter Belagerung gestellt. Tunis fiel ein paar Wochen später. Der Sieg wurde in Rom mit einem großen Triumphzug gefeiert. Doch das wahre Ärgernis seiner mittelmeerischen Politik und der dunkle Fleck auf seiner glänzenden Rüstung war Hayreddins Hauptstadt Algier. Obwohl seine engsten Berater den Kaiser mahnten, seinen Bruder Ferdinand auf dem Balkan

Franz Hogenberg (nach J. C. Vermeyen), Die Schlacht von Tunis 1535, 16. Jh.

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zu unterstützen, wo der Fall Budas nichts Gutes verhieß, beschloss er, die nordafrikanische Stadt zu erobern, darauf vertrauend, dass die 1540 mit dem König von Frankreich getroffenen Vereinbarungen eingehalten würden. War nun endlich der Augenblick gekommen, um Barbarossa die verdiente Lektion zu erteilen? Bei seiner Ankunft in Genua am 8. September 1541 wurde der Kaiser über das militärische Debakel informiert, das sein Bruder Ferdinand in Ungarn erlitten hatte. Hätte er es früher erfahren, hätte er die Flottenexpedition vielleicht verschoben. Jetzt gab es einen Grund mehr, in Algier unerbittlich Vergeltung zu üben. Diesmal jedoch lehnte der treue Admiral Andrea Doria, deus ex machina der Republik Genua und ein großer Unterstützer Karls V., das Oberkommando des Feldzugs, wenn auch nicht seine Teilnahme ab. Vielleicht empörte ihn, dass er nach der Niederlage in der Seeschlacht von Preveza der Komplizenschaft mit Hayreddin verdächtigt worden war. Die von ihm vorgetragenen Bedenken gegen die Expedition waren im Übrigen nicht von der Hand zu weisen: Der Admiral warnte Karl, es sei viel zu spät im Jahr für ein solches Unternehmen und das Wetter instabil. Zudem war der Fünfundsiebzigjährige gesundheitlich angeschlagen. Der Kaiser zeigte Verständnis.

Porträt Sultan Süleymans des Prächtigen nach Tizian, um 1530, Wien, Kunsthistorisches Museum.

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Die genuesische Mannschaft wurde von Giannettino Doria befehligt, Andreas Cousin zweiten Grades und dessen designierter Nachfolger. Die Kontingente Neapels und Siziliens unter dem Kommando Ferrante Gonzagas sowie die Truppen Kastiliens unter dem Kommando Bernardino de Mendozas warteten in Palma de Mallorca. Ein heftiger Sturm zwang die Flotte zunächst, an der Straße von Bonifacio zu verharren, wo das Kontingent der Johanniterritter von Malta wartete, und wütete während der ganzen weiteren Überfahrt. Die ohnehin kritische Situation verschlimmerte sich durch wiederholte Korsarenangriffe. Eine weitere Wetterverschlechterung und ein Überfall durch Schiffe der unter osmanischer Oberhoheit stehenden Barbaresken zerstörten die Flotte. Nur der Mut der Malteserritter verhinderte die Gefangennahme des Kaisers. Erst nach mehreren Wochen, am 23. Oktober, konnte Karl den Heimweg antreten. Drei Tage später war er wieder in Palma de Mallorca und erreichte am 29. Oktober Ibiza und am 3. Dezember Cartagena. Ein ganz besonderer Zeuge des Desasters war Hernán Cortés, der Eroberer Mexikos, der mit seinen beiden Söhnen an der Expedition teilgenommen hatte. Der Traum von der Eroberung Algiers war kläglich gescheitert, auch wenn der fast siebzigjährige conquistador das Unternehmen als den Schwanengesang seines Ritterlebens empfand. Er wollte sich mit einer Niederlage nicht abfinden und tat alles, um einen unrühmlichen Rückzug zu verhindern. Man schenkte ihm kein Gehör. Der alte Ritter fragte sich wahrscheinlich, was um alles in der Welt seinen Kaiser bewogen hatte, so zu handeln. Welchem seiner vielen feindlichen Einflüsterer, die ihn um »die Ehre dieses Kampfes« betrügen wollten, um es mit Cervantes’ Worten aus dem Don Quijote zu sagen, er wohl Gehör geschenkt hatte?

Die Barbaresken, Schrecken des Mittelmeers 1543, nach der Schlappe von Algier, die Karl V. erschüttert und seine reputación beschädigt hatte, unternahm Hayreddin Barbarossa, kapudan-i derya (Kapitän des Meeres) des Sultans, eine groß angelegte Expedition. Dies geschah auf Drängen des französischen Königs Franz I., des Verbündeten Süleymans, der Karl V. im Juli 1542 erneut den Krieg erklärt hatte. Nach einem Halt vor Ostia am 29. Juni, wo er mit seiner riesigen osmanischen Flotte aus 610 Galeeren und vier großen Segelschiffen derart Eindruck machte, dass die Kunde bis nach Rom drang, passierte er den Hafen von Nizza und segelte nach Marseille, um Versorgungsgüter

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Kapitel achtzehn 

aufzunehmen. Dort wurde er vom ehemaligen Kapitän der päpstlichen Galeeren, Virginio Orsini, empfangen, der aus Hass auf den Kaiser in den Dienst des französischen Königs gewechselt war. Der hochadlige Herr aus Latium überreichte dem Korsaren reiche Geschenke. Doch in der Hafenstadt weilte auch ein 23-jähriger französischer Admiral, François de Bourbon, Graf von Enghien. Auf diesen ging Barbarossas Zorn nieder, als er ihm, nachdem Geschenke und Höflichkeiten ausgetauscht waren, die geringe Qualität und unzureichende Ausrüstung seiner Flotte vorwarf. Der kapudan, der den Schiffen Karls V. entschlossen entgegentreten wollte, hatte gemerkt, dass die Franzosen, wie üblich, zögerten, weil sie die Reaktion der christlichen Öffentlichkeit fürchteten: die Schiffe des Allerchristlichsten Königs an der Seite des Glaubensfeindes gegen die Schiffe Seiner kaiserlichen Majestät! Man fand eine Lösung, indem man erneut gegen Nizza zog, das dem Herzog von Savoyen unterstand, einem Vasallen und Verbündeten des Kaisers. Die französisch-osmanische Belagerung der Stadt, die von einer starken Zitadelle verteidigt wurde, begann eher zögerlich zwischen dem 7. und dem 9. August, bis der kapudan am 15., dem Fest Mariä Himmelfahrt, seinen vor dem Hafen aufgereihten Galeeren den Befehl erteilte, gleichzeitig das Feuer zu eröffnen und die Stadt zu stürmen. Das Datum war gut gewählt, betrachteten doch die Christen Maria als ihre besondere Beschützerin im Kampf gegen die Ungläubigen. Auf diese Weise schmähte der vom christlichen Glauben abgefallene Korsar nicht nur die christliche Religion, sondern kompromittierte die Franzosen in den Augen ihrer Glaubensgenossen nur noch mehr und band sie damit umso fester an sich. Davon keineswegs verunsichert, drangen die Horden des Allerchristlichsten Königs durch eine von der osmanischen Artillerie geschlagene Bresche in die Stadt ein, und obwohl sich die Bewohner ergeben hatten, brandschatzten und plünderten sie. Da jedoch die Zitadelle standhielt, zog sich die osmanische Flotte zurück, denn sie fürchtete das Eintreffen kaiserlicher Verstärkung. Die Bilanz des gemeinsamen Unternehmens war miserabel. Barbarossa warf seinen Verbündeten mangelnde Kompetenz und Leichtsinn vor, die Franzosen wiederum gaben, davon unangenehm berührt, die Vorwürfe zurück und beschuldigten ihn der Grausamkeit und Barbarei (obwohl die Plünderung und das Feuer ihr Werk waren). Der Sultan befahl Barbarossa die Rückkehr nach Istanbul, doch es war schon zu spät im Jahr, und der kapudan wollte die Flotte keinem Risiko aussetzen. Die Franzosen begrüßten diese Entscheidung, die sie vielleicht sogar selbst angeregt hatten. Nach dem beschämenden Kapitel von Nizza fürchteten sie Vergeltungsangriffe der

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Spanier, wenn die Osmanen abgezogen wären, und auf sich allein gestellt fühlten sie sich einer Wiederaufnahme des Kampfes gegen den Kaiser im Frühjahr nicht gewachsen. Der französische König bot Hayreddins Flotte den Hafen von Toulon an, um dort zu überwintern. Die Bewohner Toulons, damals noch ein großes Dorf an der Küste, konnten sich kaum darüber beklagen, hatten sie doch in den zurückliegenden zwanzig Jahren Angriffe und Plünderungen sowohl der Barbaresken wie der Spanier zu erdulden gehabt. Jedenfalls wurde die Stadt fast komplett geräumt und den Osmanen übergeben, die von Oktober 1543 bis April 1544 dort blieben. Der kapudan wollte seinen Verbündeten in Sachen Disziplin und Stil eine Lektion erteilen und befahl seinen Männern, den Besitz der Bewohner und die Stadt selbst nicht anzutasten. Und so geschah es – zum großen Erstaunen der Provenzalen und der Franzosen, die sehr wohl wussten, dass in einer christlichen Armee ein derart diszipliniertes Verhalten undenkbar war. Allerdings erhielt Barbarossa auch, abgesehen von den üblichen Geschenken, eine monatliche Zahlung von 30 000 Dukaten, dazu Verpflegung und das für die Flotte benötigte Material. Zum Ausgleich befreite die königliche Verwaltung Toulon für die nachfolgenden zehn Jahre von Steuerabgaben. Dass ein französischer Hafen sechs Monate lang eine »türkische Stadt« gewesen war, brachte dem König von Frankreich bei seinen europäischen Glaubensgenossen den Ruf eines »getauften Türken« ein, der »schlimmer als die Ungläubigen« war. Franz I. drohte sogar die Exkommunikation. Hayreddins Flotte kehrte von Toulon aus im Frühjahr 1544 über das Tyrrhenische Meer nach Istanbul zurück und terrorisierte unterwegs die Küsten der Toskana, Kampaniens, Siziliens und Apuliens. Der Admiral des Sultans hätte solche Angriffe niemals geführt, wenn er sich nicht dreier Dinge sicher gewesen wäre: Da war zunächst einmal der Rückhalt der Franzosen. Hinzu kam die Duldung durch die Flotte Giannettino Dorias, der, ohne an den Überfällen teilzunehmen, hin und wieder auftauchte, wie um auf die Häfen hinzuweisen, die in Ruhe gelassen werden sollten. Und schließlich konnte er sicher sein, dass der Kaiser, der am Niederrhein mit seinem treubrüchigen Vasallen, dem Herzog von Kleve, beschäftigt war, seinen Territorien auf der italienischen Halbinsel nicht zu Hilfe kommen konnte. Tatsächlich führte er mit dem Sultan ernsthafte Verhandlungen, die sogar der französische König billigte. Immer verzweifelter angesichts des Hasses, der die Christenheit zerriss und den Türken so viel Spielraum ließ, lieh Paolo Giovio den unglückseligen christlichen Gefangenen, die im Laderaum der Schiffe der Ungläubigen in Ketten lagen, um in Istanbul als Sklaven verkauft zu werden, seine

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Kapitel achtzehn 

Stimme und verfluchte die »Gier« der Fürsten, die »der Eintracht so fern« waren und »mit tiefer Schande Anlass gaben zu so viel Unglück«.

Der Tod Süleymans Hayreddin Barbarossa starb wenig später, am 4. Juli 1546. Er hatte ausgezeichnete Stellvertreter, die sein Werk fortsetzten, doch mit ihm starb auch ein Mythos. Karl V. nutzte die Gelegenheit, um im Juni 1550 die tunesische Stadt Mahdia anzugreifen. Sie war der Stützpunkt von Hayreddins Nachfolger Turgut Ali, den die Europäer als Dragut kennen, auch er ein kapudan-i derya christlicher Herkunft. Die Stadt wurde am 8. September, dem Tag von Mariä Geburt, erobert – ein weiterer Beweis dafür, dass die Jungfrau Maria die christlichen Heere beschützte, auch wenn Dragut die Flucht gelang. Die Christenheit sah gebannt zu. Als sich 1543 die Väter des Konzils von Trient versammelt hatten, um ein Programm zur Erneuerung der abendländischen Christenheit zu formulieren, war das negotium crucis, der Kreuzzug, erneut ein wichtiger Punkt gewesen. Die skrupellose französische Politik hatte aufs Ganze gesehen diplomatische und militärische Vorteile gebracht. Doch nun begann der Allerchristlichste König einzusehen, dass er den Bogen nicht überspannen durfte. 1553 zögerte Papst Julius III. nicht, Heinrich II., der 1547 auf Franz I. gefolgt war, mit einem Kreuzzug zu drohen, sollte er die Türken und die Protestanten weiter unterstützen. An der nordafrikanischen Küste gab es unterdessen weitere Rückschläge. Am 14. August 1551 sahen sich die Johanniter von Malta gezwungen, die Stadt Tripolis zu räumen, die der Sultan seinem Statthalter Dragut übertragen hatte. Der Appell der Johanniter an den Kaiser, er möge die Stadt zurückerobern, blieb ungehört. Bei ihrem Abzug aus Tripolis hatten sie ein klägliches Bild abgegeben. Dank französischer Vermittlung hatten die Ritter ihr Leben und ihre Freiheit gerettet, die gemeinen Soldaten jedoch waren der Gnade der Ungläubigen überlassen worden. Ein paar Jahre später, nach der Abdankung Karls V., änderte sich die Situation grundlegend. Papst Paul IV., geradezu besessen von der Angst vor der Macht Habsburgs, schien bereit, eine Art formlosen Waffenstillstand mit der Hohen Pforte zu akzeptieren. Es hieß sogar, er habe den Türken unter der Hand eine Allianz gegen die Spanier angeboten (aufgrund eines solchen Vorwurfs wurde der päpstliche Neffe, Kardinal Carlo Carafa, einst Ritter des Johanniterordens, später zum Tod verurteilt).

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Der Korsarenkrieg der Barbaresken war inzwischen endemisch geworden. Parallel dazu führten auch die christlichen Mächte einen Korsarenkrieg: Den rey pru­ dente Philipp II., der seinem Vater auf dem spanischen Thron gefolgt war, schienen weniger die fernen Türken zu ängstigen (so nah die Barbaresken auch waren ...) als die marranos und moriscos innerhalb der iberischen Grenzen. Sie waren seiner Ansicht nach die sehr viel gefährlicheren Ketzer und Rebellen. Am Ende des Winters 1560 begann eine neue christliche Offensive gegen die nordafrikanischen Küsten damit, dass eine Flotte von fünfzig Galeeren, die von Spanien, Neapel, Sizilien, Genua, Florenz, dem Papst und den Johannitern ausgerüstet worden waren, 12 000 bewaffnete Männer auf der Insel Dscherba am südlichen Eingang des Golfs von Gabès absetzte. Am 13. März kapitulierte die Insel. Es war der Beginn einer sehr viel weiträumigeren Operation, die sogar Tripolis bedrohte. Doch Mitte Mai gelang es den Türken, die christliche Armada zu zerstören. Die in Dscherba verbliebene Garnison leistete zweieinhalb Monate Widerstand, bevor sie Ende Juni aufgab. Das Massaker überlebten nur rund 7000 Mann, die als Gefangene nach Istanbul geführt wurden. Infolge dieser Geschehnisse gründete Cosimo I., Herzog von Florenz und Siena, nach ein paar eher bescheidenen Seemanövern am 15. März 1562 im Dom zu Pisa den Ritterorden zur See des heiligen Stephan, dessen Aufgabe es sein sollte, die toskanische Küste gegen die Türken und Barbaresken zu schützen. Sein Wappen, das achtspitzige rote Kreuz auf silbernem Grund, erinnert an das der Malteserritter, nur sind die Farben umgekehrt. Der erste militärische Einsatz des Ordens fand 1565 an der Seite der spanischen Marine statt, um dem belagerten Malta zu Hilfe zu kommen. Von da an zeichnete sich der Sankt-Stephans-Orden durch tapfere Einsätze im Kaperkrieg gegen die Barbaresken aus, denen er zugleich nacheiferte: Die Sankt-Stephans-Ritter lieferten dem Großherzogtum – und nicht nur ihm – türkische Sklaven und dem Hafen von Livorno Rudersklaven, die für den Betrieb der Galeeren unverzichtbar waren. Man könnte sogar von einem regelrechten »Korsarenorden« sprechen: einem Orden, der den Kaperkrieg im Namen und im Auftrag der Christenheit führte. Bestärkt durch den Erfolg von Dscherba, versuchte Süleyman 1565 die Eroberung Maltas. Die Insel war ein großes Hindernis für die maritimen Beziehungen zwischen dem Reich des Sultans und dem Maghreb, da die Galeeren des Ordens oft und mit brutaler Härte nicht nur die europäischen und asiatischen, sondern auch die afrikanischen Küsten seines Reiches heimsuchten. Am 12. Mai stach eine Flotte aus 140 Galeeren, 20 Galeoten und zahlreichen Transportschiffen mit einem

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Kapitel achtzehn 

Kontingent von rund 30 000 Bewaffneten von der Reede Navarino aus in See und erreichte sechs Tage später die Küsten Maltas. Doch die Osmanen hatten die Ressourcen und den Kampfgeist der Ritter unterschätzt. Die Belagerung zog sich hin mit hohen Verlusten der Angreifer, bis die Nachricht von der drohenden Ankunft einer spanischen Hilfsflotte die osmanische Streitmacht zum Abzug bewog. Dass die Insel das wichtigste Verbindungsglied zwischen Osteuropa und Nordafrika darstellte, machte den Misserfolg für die Osmanen noch bitterer. Auf christlicher Seite dankte sogar das protestantische England Gott für diesen Sieg der »Papisten«. Ein schwacher Trost. Im Sommer desselben Jahres wurden die an der andalusischen Küste gelandeten Barbaresken zwar zurückgeschlagen, aber dies schürte nur den Aufstand der wütenden moriscos der Region gegen die königlichen Behörden. Im Jahr darauf kapitulierte die Insel Chios, die bis dahin in der Hand der Genuesen gewesen war, und ergab sich den Türken, die nun auch die Küsten der Abruzzen angriffen und die Stadt Ortona zerstörten. In Ungarn eroberten die Muslime unterdessen die Festung Szeged, die heroisch verteidigt wurde. Bei der Belagerung wurde der große Süleyman getötet. Der Westen stieß einen Seufzer der Erleichterung aus, hier und da brach sogar Jubel aus, der jedoch durch einen Anflug von Trauer getrübt war. Einer der Protagonisten der Geschichte dieses Jahrhunderts war tot: ein grausamer Mensch, aber auch ein Staatsmann, Gesetzgeber und Herrscher. Er hatte es verstanden, sogar den Westen zu faszinieren, wo er nachgeahmt, bewundert und mehrfach por­ trätiert wurde, obwohl er anders als sein Vorgänger Mehmed II. nie einem gavur, einem Ungläubigen, Modell gesessen hatte. Sogar Tizian hatte drei Porträts von ihm gemalt, in denen er versucht hatte, die Bilder zu interpretieren, die man ihm zur Verfügung gestellt hatte. Paolo Giovio hatte ihn als gottesfürchtig und großmütig gepriesen. Ogier-Ghislain de Busbecq, der zwischen 1554 und 1562 Botschafter Ferdinands an Süleymans Hof war, bewunderte ihn trotz der Momente großer Spannungen, die er im Laufe seiner diplomatischen Tätigkeit erlebt hatte. Dank Süleyman und seinem Mythos im Westen, der von Montaigne, Bodin und Charron genährt wurde, verbreiteten sich der Ruf der Gerechtigkeit, Ordnung, Strenge und Unerbittlichkeit der osmanischen Herrschaft und das Bild von kriegerischer Tapferkeit, aber auch Unbarmherzigkeit des Sultans. Die zahlreichen französischen Orientreisenden des 16. Jahrhunderts sparten nicht mit Elogen auf den »Großtürken«, der sein Volk in Frieden und Gerechtigkeit regierte. Es fehlte auch nicht an Lob für den besonders in Venedig so genannten »türkischen Frieden«

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(pax turcica), den Süleyman seinem Reich beschert hatte: eine der pax romana nachempfundene ehrenvolle Bezeichnung, die ungeachtet der tyrannischen und brutalen Züge des Herrschers von Respekt und Bewunderung zeugte.

Neue Bündnisse Der unverhoffte Tod Süleymans brachte die imposante osmanische Kriegsmaschinerie keineswegs zum Stillstand. Sein Sohn Selim II., genannt sarhoş, der Trunkenbold, der ihm im August 1566 auf den Thron folgte, schien entschlossen, das Werk seines Vaters fortzusetzen. Mit dem Frieden von Edirne 1568 konsolidierte er, wenn auch nur vorläufig, seine Eroberungen auf dem Balkan und an der Donau und unternahm an verschiedenen Flanken im Mittelmeer neue Angriffe gemäß der alten osmanischen Regel wechselnder Taktiken. Die christliche Widerstandsfront wurde zu Land im Balkan-Donau-Raum, aber auch in den Gewässern des östlichen Mittelmeers mit der »mobilen Eingreiftruppe« der Barbaresken ausgetestet. Binnen weniger Jahre verloren die Christen zuerst Tunis, das 1569 von Uluç Ali besetzt wurde, der nach Draguts Tod bei der Belagerung Maltas im Jahr zuvor Gouverneur von Algier geworden war, und dann Zypern, das zwischen Juli 1570 und August 1571 nach der Kapitulation des befestigten Famagusta von den Osmanen erobert wurde. Selim hatte die bedeutende venezianische Besitzung trotz eines geltenden Waffenstillstands angegriffen. Um die Bedenken zu zerstreuen, die ihm das koranische Gesetz entgegenstellte, hatte er einen Gesandten nach Venedig geschickt, der die Venezianer zur Übergabe der Insel an die Hohe Pforte aufforderte. Der Senat war gespalten zwischen den Befürwortern eines Kriegs und den Befürwortern einer Abtretung der Insel im Rahmen eines lukrativen Verkaufs, doch am Ende setzte sich die Partei durch, die eine bewaffnete Auseinandersetzung wollte. Nach fester Überzeugung der venezianischen Beobachter hatten die Feindseligkeiten ihren Grund in den Intrigen und Rivalitäten der Minister im Umfeld des Sultans, insbesondere im Hass, den der Großwesir Mehmed Sokollu und der Wesir Lala Mustafa gegeneinander hegten; sie waren einander spinnefeind. Zu ihren Intrigen kamen die Aktivitäten einer geheimnisvollen Persönlichkeit hinzu, des jüdischen Portugiesen Joāo Miguez, Micas oder Miches, bekannt auch als Joseph Nassi oder Nasi, des »Großjuden«, wie ihn die Venezianer nannten. Er war ein mächtiger Repräsentant der sephardischen Juden, die von der Iberischen Halbinsel nach Istanbul und in

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andere Städte des Osmanischen Reichs gekommen waren, als die Juden in Spanien und in dem Philipp II. unterstehenden Teil Italiens immer brutaler verfolgt wurden, aber auch ein einflussreicher Freund des Sultans. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, den Verfolger seines Volkes, König Philipp II., zu vernichten, und tat alles, um die Konflikte im Mittelmeer zu schüren. In Venedig war man nicht gut auf ihn zu sprechen, und er wusste selbst, dass er in der Lagunenstadt viele Feinde hatte. Wie groß auch immer der Einfluss der Berater Sultan Selims war, sicher ist, dass die Eroberung Zyperns, des reichsten und bedeutendsten Wirtschafts- und Handelsknotenpunkts der gesamten mittelmeerischen Levante, ein wichtiges und naheliegendes Ziel darstellte. Man wusste sehr wohl, dass die griechische Bevölkerung Zyperns, orthodoxe Christen, unter dem venezianischen Joch mit seinen Repressionen und seiner drückenden Steuerlast ebenso litt wie unter der hegemonialen Präsenz des lateinischen Klerus auf der Insel. Offenbar war es vor allem Lala Mustafa, der die Eroberung der Insel befürwortete, während der Großwesir Mehmed den Krieg gegen Spanien fortsetzen wollte, um die definitive Kontrolle über Nordafrika zu gewinnen und danach die Offensive im Balkan-Donau-Raum wieder aufzunehmen. Doch die Entscheidung für den Angriff auf Zypern war auch durch die Niederlage von Malta bestimmt, die den Sultan wütend gemacht hatte. In diesem Zusammenhang steht die Ernennung Nassis zum Herzog von Naxos, der größten Kykladeninsel, und weiterer Inseln in der Ägäis. Der Sultan gab ihm auch die Erlaubnis, in der Gegend um Tiberias in Galiläa jüdische Kolonien zu gründen und die aus Italien vertriebenen Juden einzuladen, sich dort anzusiedeln. Das diplomatisch-militärische Netz der Osmanen umspannte damit zunehmend das Mittelmeer. 1569, im selben Jahr, in dem Uluç Ali Tunis besetzte, hatte Selim II. die sogenannten Kapitulationen mit Frankreich erneuert (oder erstmals vergeben?) und damit dem Allerchristlichsten König die Rolle des obersten Schutzherrn der Pilger und Kaufleute im Heiligen Land zugestanden. Auf diese Weise bekräftigte der französische König seinen Status als bevorzugter westeuropäischer Gesprächspartner der Hohen Pforte und empfahl sich zugleich der europäischen Öffentlichkeit – nicht als lauwarmer Christ oder Verräter des Kreuzzugsideals, sondern als Beschützer der Christen oder wenigstens der westlichen Christen, die im Herrschaftsgebiet des Sultans lebten. Das war ein herber Schlag für das Ansehen des Heiligen Römischen Reichs und ein Affront gegen das Prestige der spanischen Monarchie. Doch in Istanbul war man sich bewusst, dass die durch die Kapitulationen verschärfte Zwietracht der Christen den gemeinsamen Angriff auf den osmanischen Staatsverband noch un-

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wahrscheinlicher machte. Paradoxerweise verbesserten sich nun die Beziehungen zwischen den Osmanen und den verschiedenen europäischen Mächten. Wenn also der Sultan in seiner Nordafrika- und Frankreichpolitik den Vorschlägen seines Wesirs folgte, hörte er gleichzeitig auf den Rat seines jüdischen Freundes. Am 25. März 1570 erreichte Venedig die Aufforderung der Hohen Pforte zur Übergabe Zyperns. Doch dann geschah etwas, das der kluge jüdische Berater des Großherrn nicht vorhergesehen hatte: Die Interessen der Venezianer und der Spanier, die er als gegensätzlich eingeschätzt hatte, schienen wider Erwarten konvergent. Bis dahin hatte es die Serenissima vermieden, in eine explizit antiosmanische Allianz mit Spanien einzutreten, um nicht in die Auseinandersetzungen in Nordafrika verwickelt zu werden. Nun aber blieb Venedig keine andere Wahl, als sich an den Einzigen zu wenden, der in der Lage war, die Osmanen aufzuhalten: Philipp II. Der rey prudente reagierte überraschend begeistert. Die Landung der Barbaresken in Andalusien im Sommer 1565, als Kirchen in Brand gesteckt, Hostien und Reliquien geschändet und Priester getötet worden waren, hatte dem König den Vorwand geliefert, von den cristianos nuevos Andalusiens die vollständige Assimilation zu verlangen, auch in der Sprache und in den Sitten und Gebräuchen. Diese Verschärfungen führten zu unerträglichen Situationen. Es genügte der Verdacht, dass eine Familie weiterhin mit Olivenöl statt mit Schweinefett kochte, um die Verfolgung in Gang zu setzen. In ihrer Verzweiflung baten die moriscos den osmanischen Sultan um Hilfe, woraufhin die Repressionen noch schlimmer wurden. Doch der Aufstand, der in den Unruhen in Granada am Weihnachtstag 1568 gipfelte und bis 1570 weiterging, setzte sich bis zur endgültigen Vertreibung der Unbeugsamen aus dem Königreich fort, die Philipp III. zwischen 1609 und 1614 vollzog. Die Flüchtlinge gingen nach Marokko, Algier oder Tunis, wo sie, unterstützt von glaubensabtrünnigen Korsarenkommandanten wie dem gefürchteten holländischstämmigen Murat Reis, dem Krieg der Korsaren und der Erbeutung christlicher Sklaven im Mittelmeer neuen Auftrieb gaben. Die Reaktion der mo­ riscos und vor allem die Aussicht auf eine mögliche Intervention des Sultans, die neue Barbareskenüberfälle bedeutet hätte, weckte im Sohn Karls V. nicht nur Wut und Angst, sondern auch den Kreuzzugsgeist. Sein Land, in dem zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert – trotz der schwierigen Zeit der Almorawiden- und Almohadenherrschaft und der häufigen Kriege – die convivencia, das friedliche Zusammenleben der drei abrahamitischen Religionen, möglich gewesen war, schickte sich nun an, zur rauen und strengen Heimat der cruzada zu werden.

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Die Seeschlacht von Lepanto, 1571, flämische Schule, Ende 16. Jh., Greenwich, National Maritime Museum.

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Lepanto, 1571 Unterdessen wurde Zypern von seinem Schicksal ereilt. Am 9. September 1570 fiel Nikosia, am 5. August 1571 Famagusta. Vier Tage später ging der junge Halbbruder des rey prudente, Juan de Austria, in Neapel an Land. Kaum vier Wochen später stach die spanisch-venezianisch-päpstliche Flotte von Messina aus in See. Im Westen verbreiteten sich derweil Nachrichten von der Insel. Traurige Berühmtheit in Sachen Grausamkeit und Verrat erwarb sich der osmanische Kommandeur Lala Mustafa, der unter Bruch der Vereinbarungen zur Übergabe der venezianischen Garnison Famagusta Marcantonio Bragadin, den heldenhaften Verteidiger der Insel, grausam zu Tode foltern ließ. In Wahrheit büßte der zweifellos bewundernswert mutige Senator auch für seine Arroganz und seine provokative Gewalt. Der türkische Befehlshaber, eigentlich für seine Mäßigung bekannt, hatte mit einem Zorn reagiert, für den er sich später entschuldigte und den er bedauerte. Die Ereignisse in Zypern hatten nämlich einen für die Osmanen unerwarteten Effekt, als sie durch die demonstrative Zurschaustellung von Gewalt Angst und Schrecken zu verbreiten suchten. Die Nachricht vom Martyrium Bragadins, der seine Pein mit unerschrockenem Gleichmut erduldete, verbreitete sich in der christlichen Welt wie ein Lauffeuer und führte zu jenem Bündnis zwischen Spanien und Venedig, das der tüchtige Großwesir Mehmed Sokollu um jeden Preis hatte verhindern wollen. Dem Bündnis schlossen sich andere Mächte an, und so formierte sich eine Heilige Liga, der neben dem Papst auch die Malteserritter, das Herzogtum Savoyen und das Großherzogtum Toskana angehörten. Am 7. Oktober 1571 geschah im Golf von Patras etwas, das die katholische, aber auch die protestantische Christenheit einmütig als ein Wunder ansah. Papst Pius V. soll nach einer Vision, die er zum Zeitpunkt des Sieges hatte, ein Festgeläut aller Glocken Roms angeordnet haben. Erinnert sei auch an all die Gebete und religiösen Bekundungen, die bereits zuvor mit dem Krieg gegen die Türken verbunden gewesen waren: das tägliche Angelus-Gebet, das bereits Calixt III. nach dem Sieg von Belgrad 1456 angeordnet hatte; die »Türkenglocke«, die Karl V. in Deutschland jeden Mittag läuten ließ, um an das Gebet angesichts der drohenden Gefahr zu erinnern; das 1571 ausgerufene außerordentliche Heilige Jahr. Was wurde aber nun gefeiert? Der Sieg, den wir mit Lepanto, dem heutigen Nafpaktos (Naupaktos), verbinden. Tatsächlich lag das Städtchen rund vierzig Seemeilen vom Schauplatz der Schlacht am Eingang zum Golf von

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Patras entfernt. Der nächstgelegene geographische Punkt sind die CurzolariInseln – und nach diesen benannten die Venezianer die Schlacht auch ganz zu Recht (battaglia delle Curzolari). Wie auch immer, es war ein grandioser Sieg. Das Verdienst machten einander lange die beiden Kommandeure der christlichen Flotte streitig: der sechsundzwanzigjährige Don Juan de Austria und der fünfundsiebzigjährige venezianische »Kapitän des Meeres« Sebastiano Venier. Der renommierte Historiker Paolo Paruta widmete den Toten der Republik Venedig eine Grabrede, und die Christenheit wurde von einer Flut von Schriften, Gedichten und Kunstwerken zum Ruhm von Lepanto überschwemmt. Der Sieg brachte dem Marienwallfahrtsort Loreto, der bereits durch seinen Gründungsmythos mit den Kreuzzügen verbunden war, einen ungeheuren Prestigezuwachs. Der Legende zufolge wurde das Heilige Haus Ende des 13. Jahrhunderts durch Engel von Nazareth nach Loreto gebracht, um es dem Zugriff der Mamluken zu entziehen. Zu Ehren der Jungfrau Maria von Loreto fügte Pius V. als Dank für den Sieg der Christen über die Türken der Lauretanischen Litanei die An-

Ignazio Danti, Die Seeschlacht von Lepanto, 1571, Ende 16. Jh., Vatikanstadt, Galleria delle carte geografiche.

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Antonio de Brugada Vila, Die Seeschlacht von Lepanto zwischen der Heiligen Liga und den Türken im Jahr 1571, um 1856, Museo Marítimo de Barcelona.

Cy Twombly, Lepanto VII, München, Pinakothek.

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rufung Sancta Maria, auxilium christianorum (Maria, Hilfe der Christen) hinzu. Nach der Schlacht pilgerte der päpstliche Admiral Marcantonio Colonna zusammen mit den aus der Sklaverei befreiten christlichen Ruderern nach Loreto. 1575 unternahm auch Juan de Austria die Wallfahrt. Der Jungfrau Maria wurden die Galeerenketten als Gabe dargebracht, mit denen die Sklaven gefesselt gewesen waren, und aus dem eingeschmolzenen Metall wurden Gitter für die Basilika geschmiedet. Der Tag des Sieges wurde zum Rosenkranzfest bestimmt, gebührte der Muttergottes aus Sicht der Katholiken doch das Hauptverdienst an diesem glorreichen Tag. Dennoch stand der Sieg auf sehr wackeligen Beinen. Kaiser Maximilian II., der Cousin Philipps II. von Spanien, schien recht zu behalten. Er hatte trotz der »Familienbande« mit den spanischen Habsburgern seine Teilnahme am Krieg verweigert. Stattdessen hatte er, den im Vertrag von Edirne gemachten Versprechungen treu, wie schon sein Vater Ferdinand I. dem Sultan hohe Tributzahlungen geleistet, um sich an den südlichen Grenzen seiner Herrschaftsgebiete die Waffenruhe zu sichern. Der Kaiser hatte es mit kalkulierter Strenge abgelehnt, nun, da der Sultan in Schwierigkeiten zu sein schien, den mit den Osmanen geschlossenen Waffenstillstand zu brechen und die Tributzahlung zu verweigern. Er hielt es für illoyal und eines christlichen Fürsten unwürdig, das einmal gegebene Wort zu brechen. Beeinflusst wurde seine Entscheidung auch durch seinen Gesandten in Rom, Graf Prospero d’Arco, der in einer Denkschrift detailliert dargelegt hatte, dass die Christen nur zu Land dauerhafte militärische Siege gegen die Osmanen erringen könnten. Seekriege seien kostspielig und gefährlich und führten zu trügerischen Resultaten. Aufgrund des erneuten osmanischen Drucks war der Kaiser ohnehin gezwungen, den Protestanten seines Reiches weitere Zugeständnisse zu machen. Er wusste, dass er es sich nicht erlauben konnte, von dieser Seite unter Druck zu geraten. Mit Blick auf Lepanto – eine gewonnene Schlacht innerhalb eines verlorenen Kriegs (Zypern blieb der Hohen Pforte unterworfen) – gilt es, mit einigen Gemeinplätzen aufzuräumen, zum Beispiel, dass der Sieg den Mythos von der Unbesiegbarkeit der Osmanen zur See zerstört habe. Tatsächlich zeigt die Korrespondenz zwischen dem Heiligen Stuhl, der Kanzlei des Königs von Spanien und der Regierung der Serenissima, dass die Mitglieder der Heiligen Liga von Anfang an von ihrem Sieg überzeugt waren, falls es ihnen gelänge, geeint zu bleiben und geeint zu handeln. Obwohl die Türken ein gefährlicher Feind

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waren, der die Christen zur See schon mehrmals geschlagen hatte, wurde erst im Nachhinein der Mythos ihrer Unbezwingbarkeit konstruiert, um den Ruhm und Glanz dieses Sieges zu steigern. Allerdings steht außer Zweifel, dass der christliche Sieg so glänzend war wie die osmanische Niederlage verheerend. Die spanisch-venezianisch-päpstliche Flotte war der des Sultans  – die unter dem Kommando des im Kampf gefallenen kapudan paşa Müezzinzâde Ali stand – in der Truppenstärke quantitativ leicht unterlegen, qualitativ jedoch überlegen. Besonders die spanisch-venezianische Artillerie war der osmanischen haushoch überlegen. Die Größe der osmanischen Streitmacht ist schwer zu bestimmen. Die Schätzungen reichen von pessimistischen 170–180 bis zu optimistischen 220–230 Galeeren, zu denen etwa 70 Galeoten hinzukamen. Zu ihren Schiffstypen, die vielfältiger waren als aufseiten der westlichen Mächte, zählten Fusten und Brigantinen mit geringerer Tonnage, was der muslimischen Armada ein sehr viel ungeordneteres Bild verlieh. Die christliche Flotte bestand aus 204 Galeeren, 30 Transportschiffen sowie sechs neuen und großen venezianischen Galeassen, die sich für den Ausgang der Schlacht als entscheidend erwiesen. Auch die Verluste beider Seiten sind schwer zu beziffern. In den Quellen variieren die Angaben je nachdem, ob man eher den Erfolg der Sieger unterstreichen oder ihre Verluste herunterspielen wollte. Für die Heilige Liga ist von 7000 Toten und 20 000 Verwundeten die Rede gegenüber mehr als 30 000 Toten und Verwundeten und 35 000 Gefangenen aufseiten der Osmanen. Die Europäer verloren ein Dutzend Galeeren, bei den Osmanen sanken 62 Galeeren; mehr als 117 Galeeren und 13 Galeoten wurden von ihren Gegnern erbeutet. 15 000 Christen, die auf den türkischen Schiffen rudern mussten, wurden befreit. Insgesamt kehrten von den 280 bis 290 Galeeren und Galeoten rund 80 in die osmanischen Häfen zurück. In der gesamten Christenheit wurde die Nachricht vom Sieg einhellig begrüßt, wenn auch mit unterschiedlichen Akzenten. Die Streitigkeiten zwischen Venezianern und Spaniern sowie zwischen Venezianern und Genuesen flammten beinahe sofort wieder auf, ebenso Versuche dieser oder jener Macht, den Hauptanteil am gemeinsamen Ruhm für sich zu beanspruchen. Doch während in Frankreich – das mit dem Krieg zwischen Katholiken und Hugenotten andere Sorgen hatte  – und in den protestantischen Ländern – wo dem Tag von Lepanto auf ewig ein papistischer Makel anhaftete – die Erinnerung an die Schlacht eher verhalten gefeiert wurde, blieb sie in den katholischen Ländern unauslöschlich.

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Die Früchte des Sieges Tatsächlich verbreitete sich schon in den ersten Tagen nach der Schlacht vom 7. Oktober 1571 in der christlichen Welt die Überzeugung, die niemals nachlassenden Divergenzen zwischen den Verbündeten hätten verhindert, dass der überragende Vorteil des Sieges in vollem Maße ausgeschöpft werden konnte. Während Don Juan de Austria und die Spanier beabsichtigten, ihre Offensive zur Rückeroberung Nordafrikas fortzusetzen, bestanden die Venezianer auf der Rückeroberung Zyperns. Am 10. Februar 1572 wurde die Heilige Allianz erneuert. Wenige Wochen später, am 2. März, sandte Pius V. an alle Gläubigen ein Rundschreiben, in dem er der neuen Phase des Kampfes gegen die Osmanen kirchenrechtlich den Stellenwert eines neuen Kreuzzugs gab: Wir ermahnen und fordern jeden Einzelnen auf, den allerheiligsten Krieg zu unterstützen, sei es persönlich, sei es durch materielle Hilfe [...] Denjenigen, die nicht persönlich teilnehmen, sondern auf eigene Kosten und entsprechend ihren Möglichkeiten und ihrer sozialen Stellung geeignete Männer schicken [...] sowie jenen, die selbst teilnehmen, aber auf Kosten anderer, und sich den Gefahren und der Mühsal des Krieges aussetzen [...] gewähren wir vollständigen Nachlass, Vergebung und Verzeihung all ihrer Sünden, die sie mit reuevollem Herzen bekennen, und denselben Ablass, den unsere Vorgänger, die römischen Päpste, den Kreuzfahrern zu gewähren pflegten, die dem Heiligen Land zu Hilfe kamen. Wir nehmen die Güter derer, die in den Krieg ziehen [...] unter den Schutz des heiligen Petrus und unter unseren Schutz. Unterdessen hatten die Osmanen ihre Kontrolle über Zypern gefestigt und ihre Flotte mit unglaublicher Geschwindigkeit wiederaufgebaut. Am 30. November 1571, nicht einmal zwei Monate nach der verheerenden Niederlage, konnte der Großwesir im Namen des Sultans dessen Absicht verkünden, »wenn Gott der Höchste es erlaubt, meine riesige erhabene Flotte noch vor dem wohltuenden Frühling zum Dschihad auf den Weg Gottes zu schicken«. Im Grunde wusste aber sowohl der Großwesir als auch der neue kapudan paşa sehr genau, dass auf die neue, allzu sehr improvisierte Sultansflotte kaum Verlass war. Derselben Ansicht war François de Noailles, Frankreichs Botschafter an der Hohen Pforte. Die Anstrengungen Mehmed Sokollus hatten zu außergewöhnlichen Resultaten geführt,

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doch sosehr sich der Sultan auch beeilte, alle Welt wissen zu lassen, dass die Christen ihm in Lepanto nicht mehr als ein Haar aus seinem Bart gerissen hätten, hatte er allen Grund zur Sorge. Die Beplankung seiner Schiffe war aus Holz, das nicht lange genug getrocknet war, die Kanonen waren schlecht gegossen, die Besatzung unausgebildet und ohne Erfahrung. Für die Führer des christlichen Lagers konnte dies der Moment sein, nachzusetzen und weitere Schläge gegen die Osmanen zu führen. Aber die Ansichten gingen auseinander: Die Venezianer wollten einen Großangriff in der Adria führen, wo unmittelbare Gefahr drohte, während Juan de Austria sich die Herrschaft über das südliche Mittelmeer sichern und Tunis zurückerobern wollte. Zu diesem Zweck organisierte er einen massiven Angriff auf die nordafrikanische Stadt mit 107 Galeeren und 31 kleineren Schiffen und mit einer Mannschaft aus nordafrikanischen, spanischen, italienischen und deutschen Soldaten. Zu seinem Flottenverband gehörten auch eine Galeone und drei Galeeren aus dem Großherzogtum Toskana, das inzwischen wohlgelitten war. Sowohl der Kaiser als auch Philipp II. waren bereit, Cosimo I. zu verzeihen, dass er sich – in den komplizierten Auseinandersetzungen um dynastische und territoriale Ansprüche, die bis ins 12. Jahrhundert, bis zum Streit um das Erbe der Mathilde von Canossa, zurückreichten – vom Papst den Titel eines Großherzogs von Toskana hatte verleihen lassen. Die Eroberung von Tunis und Biserta im Jahr 1573, ein weiteres Ruhmesblatt für Don Juan de Austria, war jedoch unnötig und nicht von Dauer und provozierte eine heftige Reaktion der Osmanen und Barbaresken. In der Zwischenzeit hatte sich die Heilige Liga aufgelöst. Erschöpft und verärgert kündigten die Venezianer das Bündnis mit Spanien auf und schlossen mit Selim einen Separatfrieden, der sie zum definitiven Verzicht auf Zypern und zu Reparationszahlungen in Höhe von 300 000 Dukaten verpflichtete. Dieser »Verrat«, der Verzicht Venedigs auf weitere Kämpfe, erlaubte es dem Sultan, seine Streitkräfte auf die nordafrikanische Küste zu konzentrieren. Mitte Mai 1574 stach eine osmanisch-barbareskische Flotte mit 280 Galeeren und 50 weiteren Schiffen unter dem Kommando von Uluç Ali von Istanbul aus in See. An Bord waren rund 70 000 Mann unter dem Kommando Sinan Paşas, des Beylerbey von Ägypten (vorsichtigere Schätzungen sprechen von 240 Galeeren und 40 000 Seeleuten und Soldaten). Wie fern schienen die Tage von Lepanto! Zwischen August und September wurden die Spanier erneut aus Tunis und Biserta vertrieben. Der Admiral des Sultans wusste, wie unzuverlässig und ineffizient seine übereilt zusammengestellte Flotte war, aber er setzte auf den Überraschungseffekt und den Schre-

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cken, den sein Name verbreitete. Seine Rechnung ging auf. Der Traum Philipps II., im Zuge einer strategischen Operation das gefährliche Algier in den Zangengriff der spanischen Flotte und des eroberten Tunis zu nehmen, war für immer ausgeträumt. Die Lage änderte sich erst im 19. Jahrhundert, dann jedoch zugunsten Frankreichs: In einem Feldzug, den die katholische Rechte von Chateaubriand bis zur Action Française zu einem neuen »Kreuzzug« erklärte, eroberte es zuerst Algier und dann Tunis. Die Geschehnisse folgten einer zwingenden Logik. Der rey prudente konnte nicht hoffen, dass die Serenissima weiterhin als sein Schutzschild fungierte, indem sie Angriffe der osmanischen Kriegsflotte abwehrte, während er in Ruhe seine Macht an der nordafrikanischen Küste festigte. Und in der Lagunenstadt wusste man sehr genau, dass die wirtschaftlichen Beziehungen mit dem osmanischen Herrschaftsgebiet – auch wenn der Türke ein »signor tremendo« war, ein fürchterlicher Herr, wie Marin Sanudo es ausgedrückt hatte – viel zu wichtig waren, als dass man sie durch lange und häufige Kriege aufs Spiel setzen durfte. Von Zypern, ob es nun venezianisch oder osmanisch war, profitierten sowohl die Venezianer als auch die Türken. Und wer der Insel Schaden zufügte, traf beide. Aber das galt nicht nur für die Ägäischen, sondern auch für die Ionischen Inseln. Man denke nur an Korfu, dessen Hauptstadt eine Festung zur Abwehr der Osmanen geworden war. Zweifellos war die Insel ein mächtiges Bollwerk. Doch ihre Verteidiger und ihre Bewohner – wie das gesamte venezianische Ionien – aßen Brot, das mit türkischem Mehl gebacken war. Ohne türkischen Weizen gab es auf Korfu kein Brot. Und das ist nur ein – vielleicht beispielhafter – Aspekt der Situation, in der sich die Serenissima befand. Es kann nicht verwundern, dass Don Juan de Austria nach dem Sieg von Lepanto die Bedürfnisse der Venezianer nicht sonderlich berücksichtigte. Die Türken bedrohten die Adria, aber nicht nur den venezianisch kontrollierten Teil. Ihre Eroberungen im Landesinnern ließen bereits seit längerer Zeit Scharen von Menschen an die ungarisch-kroatische Küste ziehen, vor allem Katholiken aus Bosnien, die Kaiser Ferdinand I. in Dalmatien und Karnien angesiedelt hatte. Als ein Mittelding zwischen schlecht bezahlten Söldnern der Habsburger und Briganten lebten diese lästigen Neuankömmlinge, die Uskoken, von der Piraterie. Mit ihren wendigen kleinen Booten überfielen sie vor allem venezianische Schiffe, griffen aber auch die Türken an, die sich wiederholt an die Serenissima wandten und mit Vergeltung drohten. Ihr Stützpunkt war Senj (Segna) an der dalmatinischen

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Kapitel achtzehn 

Küste südlich von Fiume geworden, ein Lehen der Adelsfamilie Frangipane, von wo aus sie die gesamte illyrische Küste bedrohten. Eingekeilt zwischen den Territorien der österreichischen Habsburger und den italienischen Territorien von deren spanischen Verwandten, fühlte sich Venedig von den Uskoken inzwischen stärker bedrängt als von den Türken. Und so kam es, dass 1575 – nach zahlreichen, an die Adresse der (die Piraten duldenden) Habsburger gerichteten Protesten der Serenissima und der Hohen Pforte – ein venezianisches Geschwader unter dem Kommando von Ermolao (»Almorò«) Tiepolo die Orte Senj und Karlobag (Carlopago) abriegelte, die Uskoken angriff und erbarmungslos niedermetzelte. Dies hatte letztlich eine Intervention des Kaisers zur Folge, die die Piraten disziplinieren sollte. Aber Krieg war das Einzige, auf das sich die Uskoken verstanden, deren Existenz durch Not und Elend unmittelbar bedroht war. Zudem stieg ihre Zahl von rund 2000 im Jahr 1588 auf 3500 im Jahr 1593. Weder die halbherzigen Versuche der Habsburger, sie in die Schranken zu weisen, noch die wiederholten Proteste der Venezianer und Osmanen konnten das Problem lösen. Erst 1606, nach dem Frieden zwischen den österreichischen Habsburgern und der Hohen Pforte, entschloss sich die kaiserliche Regierung zu einigen Strafüberfällen und Deportationen. Die wiederholten Angriffe der Uskoken auf die Küsten Istriens führten bis 1612 zu neuen Vergeltungsschlägen der Venezianer und zu neuen Verträgen mit den Österreichern. Als im Mai 1613 im Hafen von Mandra ein Angriff auf die Galeere Cristoforo Veniers erfolgte und dieser enthauptet wurde, sah sich Venedig veranlasst, mit den Uskoken, aber auch mit Österreich selbst in einen offenen Krieg zu treten. Er wurde nach dem Schauplatz, auf dem er geführt wurde, Friauler oder Gradiscaner Krieg genannt. An ihm beteiligte sich auch der Vizekönig von Neapel, Pedro Giron, Herzog von Ossuna, der die venezianische Vorherrschaft in der Adria zurückdrängen wollte. Der bewaffnete Konflikt endete im September 1617 durch Vermittlung der Franzosen und der Savoyer. Aber die Gefahr für die Serenissima war damit keineswegs gebannt.

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VIERTER TEIL

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Kapitel neunzehn

Die Abrechnung Kreuz und Halbmond Die Seeschlacht von Lepanto fand in einem Klima endzeitlicher Erwartungen und Prophezeiungen statt, das sich durch den Sieg nur noch weiter aufheizte. Das am Himmel erwartete Zeichen, die »Frau, mit der Sonne bekleidet, und der Mond unter ihren Füßen und auf ihrem Haupt eine Krone von zwölf Sternen« aus der Apokalypse (Offenbarung des Johannes 12,1), ist seither das Urmodell für die Darstellung der Jungfrau Maria. Dass Maria auf der Mondsichel steht – wie eine Vielzahl von Göttinnen, die mit der Nacht, dem Mond und dem Mithraskult verbunden sind: von Artemis-Diana über Isis bis zu den Muttergöttinnen kleinasiatischen und semitischen Ursprungs –, wurde von nun an antiislamisch interpretiert. Zypern jedenfalls blieb in der Hand der Türken, und die Heilige Liga, so begeistert sie geschlossen worden war, um den Osmanen entgegenzutreten, zerbrach an der politischen Folgenlosigkeit des Kriegs. Vielleicht war der wahre Sieger von Lepanto nicht die christliche Liga, die nur ein paar Monate später aufhörte zu existieren, sondern Großwesir Sokollu – der Einzige am Sultanshof, der noch fest auf seinem Posten saß. Und noch jemand, der offiziell gar nicht zu den Siegern zählte, ja nicht einmal am Krieg teilgenommen hatte, freute sich über den päpstlich-spanisch-venezianischen Sieg: der safawidische Schah von Persien. Der schiitische Muslim bombardierte die christlichen Kanzleien Europas mit Aufrufen zum Kampf gegen den Tyrannen am Bosporus, den großen gemeinsamen Feind. Dass in der politischen und diplomatischen Realität der Türke keineswegs als ein ewiger und unumstößlicher Feind betrachtet wurde, ist vielfach belegt. Wenn nicht gerade Freundschaft, so war es doch häufig Respekt, Wertschätzung, ja Be-

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Die Abrechnung

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wunderung, die man der Kultur der Ungläubigen entgegenbrachte. Wir haben bereits gesehen, dass von Frankreich bis England und in der protestantischen Welt viele, wenn auch meist insgeheim, die Osmanen als potenzielle Verbündete betrachteten, als »Feinde ihrer Feinde«. Besonders an den Küsten des »flüssigen Kontinents« Mittelmeer betrachtete man die Bedrohung durch die Türken und deren Vasallen und Verbündete, die Barbareskenkorsaren, als das kleinere Übel, wenn nicht sogar als eine Chance. Die Armen, Schwachen und Unterdrückten – mittelund chancenlos innerhalb der starren politischen und institutionellen Ordnung der christlichen Welt, die nur der Besitz von Geld etwas flexibler machte – blickten geradezu hoffnungsvoll auf die Welt der Ungläubigen, wo man als kalabrischer Fischer oder albanischer Bergbewohner in den Rang eines Wesirs oder Admirals aufsteigen konnte. Häretiker, rachedurstige oder schwärmerische Verlierer und Enterbte hofften sogar auf einen Sieg der Ungläubigen über ihre undankbare und ungerechte christliche Heimat. Wer in Europa verdächtig war, ein religiöser Freigeist zu sein, endete auf dem Scheiterhaufen. Doch der grausame Türke, auch wenn er seine Gegner pfählte und häutete, gewährte den »Leuten des Bu-

Tintoretto, Kampf zwischen Türken und Christen, um 1588, Madrid, Museo Nacional del Prado.

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ches« die Freiheit, den Gott Abrahams anzubeten, wie sie es wollten, wenn sie sich nur unterwarfen und eine geringe Steuer zahlten. Wer bei einem christlichen Korsarenüberfall auf die Küsten des dār al-Islām von den Malteser- oder SanktStephans-Rittern gefangen genommen wurde, endete als Ruderer auf einer Galeere oder in den Verliesen von Livorno oder Toulon. Ein Christ, der von einem mit dem Halbmond geschmückten Schiff aufgegriffen wurde, konnte ein ähnliches Schicksal erleiden. Wenn er aber jung, attraktiv und tatkräftig genug war oder das Glück hatte, auf einen barmherzigen und einflussreichen Herrn zu treffen, konnte er Karriere machen und sogar bis zur Hohen Pforte und in den Dienst des Großherrn aufsteigen.

Sklaven, Renegaten, Admiräle und Wesire Der Mittelmeerraum kannte viele Geschichten von Knaben und Mädchen, Männern und Frauen, die in Gefangenschaft der Türken oder Barbaresken gerieten. Es sind oftmals tragische Schicksale, manchmal aber auch Abenteuer mit glücklichem Ausgang. Zuweilen übertraf die Wirklichkeit jede literarische Fiktion; zuweilen geben Erinnerungen oder Tagebuchliteratur die Ereignisse »falsch« wieder und sind doch auf Basis authentischer Zeugnisse konstruiert. Wie im Fall des Arztes Andrés Laguna aus Segovia, der für seine wissenschaftlichen Arbeiten und als mutmaßlicher Verfasser der Viaje de Turquía von 1557 bekannt ist. Darin erzählt er pseudoautobiographisch von den Abenteuern eines gewissen Pedro de Urdimalas, der im August 1552 vor der Insel Ponza gefangen genommen wurde. Nach einer Zeit als Galeerensklave und dann als Sklave in Konstantinopel gelang es ihm, sich als Arzt auszugeben – dank der glücklichen Hilfe von Büchern, die er eifrig studierte. Er vermochte seinen Herrn, den Pascha, und sogar die Sultanin zu heilen, wodurch er schließlich die Freiheit wiedererlangte. Doch so sehr ein Roman realen Ereignissen die wundersamen Züge der literarischen Erfindung verleihen konnte, war doch zuweilen die literarische Darstellung nicht mehr und nicht weniger als reale Erfahrung. Nehmen wir das Beispiel des berühmtesten Barbareskensklaven, Miguel de Cervantes. 1569 gelangte er unter unbekannten Umständen nach Italien, wurde Soldat eines tercio, einer spanischen Infanterieeinheit Seiner Katholischen Majestät, und nahm 1571 an der Seeschlacht von Lepanto teil, wo seine linke Hand verstümmelt wurde. 1575 wurde er, achtundzwanzig-

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jährig, auf der Rückreise von Neapel nach Spanien von Barbareskenpiraten gefangen genommen und in Ketten nach Algier verschleppt. Nach mehreren erfolglosen Fluchtversuchen kam er 1580 gegen ein Lösegeld frei. Kapitel 39–41 seines Don Quijote, die »novella del cautivo« (Geschichte des Gefangenen), sind ein eindrucksvolles Zeugnis seiner Erfahrungen. Er trat nicht zum Islam über und wurde kein »Renegat« wie so viele, die sein Schicksal teilten. Doch auffällig ist sein Bemühen, vor seinem Aufbruch aus Algier Zeugnisse zusammenzutragen, um den Vorwurf des zwielichtigen und böswilligen Dominikaners Juan Blanco de Paz zu entkräften, er habe zu Muslimen ein freundschaftliches Verhältnis gepflegt und sich lasterhafter sexueller Beziehungen schuldig gemacht. Man darf daraus schließen, dass derartige Vorkommnisse so selten nicht waren und dass wahrscheinlich Cervantes selbst damit in Berührung kam. Der ungewöhnlichste Aspekt der Abenteuer des Miguel de Cervantes war seine Beziehung zu Hasan Pascha, dem er nach seinem letzten Fluchtversuch in Ketten vorgeführt wurde. Doch der Bey von Algier bestrafte ihn erstaunlicherweise nicht nur nicht, sondern behielt ihn sogar in seiner Nähe. Freilich ließen sich zwischen dem Status eines christlichen Galeerensklaven, also eines Gefangenen, und dem eines Renegaten – das eine oft eine Folge des anderen – keine klaren Grenzen ziehen. Niemand wird nach 400 Jahren den Schleier des Schweigens lüften können, der über das Geheimnis der Zuneigung zwischen Miguel und Hasan gebreitet ist. Sicher ist, dass der Bey ein venezianischer, genauer gesagt dalmatinischer Renegat war. »Türken geworden« waren auch die vorherigen Gouverneure von Algier, angefangen mit Barbarossa über den Sarden Hasan Ağa und Hasan den Korsen bis zum Kalabresen Uluç (später Kılıç) Ali, der zum Großadmiral der Sultansflotte aufstieg. Viele andere Renegaten brachten es zum Rais der Flotte oder zum Kaid, einem Gouverneur im Landesinnern. In Algier machten Genuesen und Venezianer die steilste Karriere, aber auch Kalabresen, Sizilianer, Neapolitaner, Albaner, Griechen, Franzosen und Juden brachten es zu etwas. Das Phänomen der Renegaten trat im 17. Jahrhundert in den Hintergrund, vielleicht weil mit dem bereits beginnenden Niedergang der muslimischen Thalassokratie (und des Seehandels insgesamt) im Mittelmeer auch die Zahl der von den Türken und Barbaresken gefangen genommenen Christen zurückging. Bekannt ist der Ligurer Osta Morato, der 1637 Bey von Tunis wurde und sogar eine Dynastie begründete  – die der Muraditen  –, die sich bis Anfang des 17. Jahrhunderts an der Macht hielt. Oder Ali »Piccinino«,

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venezianischer Herkunft, der zwischen 1638 und 1645 als Flottenkommandant praktisch Algier regierte. Dennoch war die Christenheit stolz auf ihre Siege gegen die Türken. Es gibt keine Panoplien aus dem 16. und 17. Jahrhundert, die nicht, gut sichtbar, vom Halbmond gekrönte Flaggen und Standarten sowie Feldzeichen mit den Rossschweifen zeigen, die man von den Türken erbeutet hatte. Und kein Monument eines Herrschers oder Generals jener Zeit verzichtete auf die Darstellung von Gefangenen mit kahl rasiertem Schädel, langem Haarzopf und gezwirbeltem Schnurrbart, die traurig und in Ketten dem Triumphwagen des Siegers folgen oder angekettet zu seinen Füßen kauern. Die Siege über die Ungläubigen und die Siege über die christlichen Widersacher – die man gern bezichtigte, »schlimmer als die Sarazenen« zu sein  – stärkten und bestätigten sich gegenseitig. In der berühmten Serie von Radierungen, die Maarten van Heemskerck 1556 über die Siege Karls V. angefertigt hat, liegen der Papst und Franz I. in Ketten zu Füßen des Herrschers, während der Sultan die Flucht ergreift. Es ist interessant zu sehen, wie in den Darstellungen protestantischer Künstler der Papst, der französische König und die osmanische Dynastie fast auf einer Stufe stehen und gleichermaßen mit Verachtung gestraft werden. Manchmal aber waren die Europäer kritischer und weniger triumphalistisch – bis hin zu makabrem Sarkasmus, wie der Totentanz des Jakob von Wyl zeigt. Wir kennen dieses nicht erhaltene Werk des um 1600 in Luzern tätigen Malers nur aus einer Wiedergabe des 19. Jahrhunderts. In einer Szene ist der Tod, »der mit allen tanzt«, gerade im Begriff, den Kaiser zu töten. Der Tod ist als osmanischer Bogenschütze mit einem türkischen Turban auf dem Kopf und einem für die Steppenvölker typischen Pfeilköcher (im Italienischen treffend turcasso genannt) dargestellt. In einer Zeit des erbitterten Kampfes zwischen Kreuz und Halbmond offenbart die künstlerische Phantasie eine dramatisch zugespitzte Ironie. Als Torquato Tasso in jenen Jahren an seinem großen Versepos arbeitete, das er zuerst Goffredo, dann Gerusalem­ me liberata (Das befreite Jerusalem) und schließlich Gerusalemme conquistata (Das eroberte Jerusalem) nannte, hatte er nicht die Ereignisse des ersten Kreuzzugs, sondern die seiner eigenen Epoche vor Augen: die türkische Bedrohung und die ungläubigen Korsaren, die auch seine Heimatstadt Sorrent geplündert hatten (auch wenn er, fern von ihr, nicht unmittelbar Zeuge des Geschehens gewesen war). Der Figur, die sein stärkster und faszinierendster sarazenischer Antiheld ist, gab er sogar den Namen des großen Sultans Süleyman (Solimano/

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Soliman). Es war nicht das Jerusalem des 11. Jahrhunderts, das Tasso inspiriert hatte. Es waren die Seeschlacht von Lepanto und die anderen, nicht weniger außergewöhnlichen Geschehnisse seiner Epoche.

Der Kreuzzug in Marokko Die Kreuzzugsfront war nach wie vor sehr weit gespannt, wenn auch keineswegs einheitlich. Und doch erschließt sich die Bedeutung der militärischen Auseinandersetzung zwischen Christentum und Islam nur, wenn wir den gesamten Raum von Gibraltar und vom Maghreb bis zum Roten Meer, zum Schwarzen und Kaspischen Meer und sogar bis zum Indischen Ozean in den Blick nehmen. Vergessen wir nicht, dass Selim II. den Aufstand der andalusischen moriscos zwischen 1568 und 1570 massiv unterstützt und ihnen geraten hatte, sich mit den Lutheranern zusammenzuschließen. Er hatte auch die Möglichkeiten für den Bau eines Kanals sondiert, der Wolga und Don miteinander verbinden sollte. Erneut kann uns die Frage »Was wäre geschehen, wenn ...?« helfen, Bedeutung und Tragweite der tatsächlichen Ereignisse besser zu verstehen. Wäre die türkische Flotte, die über die arabischen Häfen bereits Zugang zum Indischen Ozean besaß, über diesen Kanal vom Schwarzen Meer – und damit vom Mittelmeer aus – ins Kaspische Meer gelangt und umgekehrt, hätte sie die nördlichen Grenzen ihres Hauptrivalen, des persischen Reiches, bedrohen können, mit weitreichenden Folgen. Nimmt man die gleichzeitige aggressive Präsenz der europäischen Mächte im Atlantik und im Pazifik hinzu, so waren die Dimensionen noch sehr viel globaler. Pius V. wusste dies nur allzu gut. Zwischen 1566 und 1572 hatte er stets ein wachsames Auge auf Portugal und forderte die Ritterorden der Iberischen Halbinsel auf, an der nordafrikanischen Grenzlinie in Stellung zu gehen. Keiner, so verfügte er, könne einem dieser Orden angehören, der nicht mindestens drei Jahre im Kampf gestanden hatte. In dieser Situation fand der »Marokko-Kreuzzug« des portugiesischen Königs Don Sebastian statt. Der junge König, der von Jesuiten streng erzogen worden war, nahm sich den Infanten Heinrich den Seefahrer zum Vorbild, der hundert Jahre zuvor die portugiesische Seemacht begründet hatte. Heinrichs Traum war es gewesen, das Christentum bis nach Indien zu bringen. Sebastians Traum war es, den christlichen Glauben in Afrika über den großen Nigerbogen und das märchen-

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hafte Timbuktu hinaus zu verbreiten. Er wollte die Gold- und Elfenbeinrouten unter seine Kontrolle bringen und sich mit dem Negus von Äthiopien verbünden, um den Islam aus ganz Zentralafrika – von Nubien bis Mali – zu vertreiben. So würde er dem Christentum auf einem Kontinent zum Sieg verhelfen, der unendlich viel größer war, als die antiken Geographen es sich vorgestellt hatten. Doch hierfür war die Kontrolle über Marokko und Mauretanien unabdingbar – ganz ähnlich versuchten auch die Spanier immer wieder, den Osmanen das Gebiet des heutigen Algerien und Tunesien zu entreißen und dem Treiben der Barbareskenkorsaren Einhalt zu gebieten. Im Sommer 1578 landete Sebastian in der marokkanischen Hafenstadt Asilah und führte ein Heer mit rund 1500 Rittern und 15 000 Fußsoldaten – Portugiesen, Spanier und vom Papst geschickte Freiwillige (vor allem Deutsche und Italiener) bis Larache. Es waren Männer, die ursprünglich nach Irland zur Unterstützung der dortigen Katholiken hätten geschickt werden sollen, dann aber zum Afrikakreuzzug umgeleitet worden waren. Der portugiesische König hatte sich nicht zuletzt deshalb zu diesem marokkanischen Abenteuer entschlossen, weil er die Herrschaft von Sultan Muhammad al-Mutawakkil wiederherstellen wollte, der von seinem Onkel Abd al-Malik entmachtet worden war. Die Anhänger des besiegten Sultans unterstützten natürlich die Invasoren. Die Schlacht fand am 4. August in al-Qaṣr alkabīr (»Großes Schloss«, im Westen Alcázarquivir genannt) südöstlich von Asilah am Atlantik statt, auf halbem Weg zwischen Tanger und Fez. Auf dem Schlachtfeld fielen der König selbst, der Sultan und der Engländer Sir Thomas Stukeley, der das ursprünglich für Irland bestimmte päpstliche Kontingent befehligte. Von Sebastian blieben keine Spuren, der Sand und die Steine Marokkos gaben seinen Leichnam nicht zurück. Dafür verbreitete sich eine Prophezeiung, die später Fernando Pessoa in seinen Versen aufgriff. Ihr zufolge werde eines Tages der junge König, der jetzt den Namen »O Encoberto« (»der Verhüllte« oder »der Verborgene«) trug, vom Meer wiederkehren und aus dem Dunst des Atlantischen Ozeans aufsteigen. Mit ihm werde das »Fünfte Reich« anbrechen, das nach dem griechischen, römischen, christlichen und englischen Reich die Hegemonie Portugals besiegeln werde. Damit werde sich die wahre mystische Bestimmung Europas erfüllen. Wiederauferstandene Könige gab es in der Geschichte öfter: im 13. Jahrhundert zum Beispiel nach dem Tod Friedrichs II. oder um 1600 in Russland mit den »falschen Dimitris«, die von Zar Boris Godunow bekämpft wurden. 1584 wurde ein falscher Sebastian entdeckt und dazu verurteilt, als Ruderer Galeerendienst zu

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leisten. Ein weiterer, in Wahrheit ein Eremit, wurde 1585 hingerichtet. 1595 wurde der vielleicht berühmteste »falsche Sebastian« gehängt: Gabriel de Espinosa. Und 1603 gestand der Italiener Sebastiano aus Venedig (auch Calabuis oder Catizzone genannt), der sich als wiederauferstandener Sebastian ausgab, unter Folter seinen Betrug. Man hackte ihm die rechte Hand ab und hängte ihn auf.

Schmelztiegel für Europa Der spanische Verlust von Tunis und die Niederlage Sebastians von Portugal sowie der Separatfrieden, mit dem sich Venedig vom Kampf gegen die Türken zurückzog, schienen den Erfolg von Lepanto zunichte gemacht zu haben. Der Kreuzzug musste überdacht werden. Im Spätmittelalter war er ein machtvolles Instrument in der Hand der Päpste gewesen, die die Rechtsverbindlichkeit des feierlich abgelegten Gelübdes dafür nutzten, die christlichen Kämpfer für andere Ziele als die Rückeroberung der heiligen Stätten in die Schlacht zu schicken. Nun, zu Beginn der Neuzeit, wurde er zum Motor eines primitiven »föderalen« Zusammenschlusses Europas. Zwischen 1580 und 1585 nutzte der abenteuerlustige legendäre hugenottische Heerführer François de La Noue (genannt »Eisenarm«) seinen Gefängnisaufenthalt zur Abfassung seiner Discours politiques et militaires. Er war in Flandern in spanische Gefangenschaft geraten, wo er den Aufstand seiner Glaubensgenossen unterstützt hatte, und wurde in die Festung Limburg eingesperrt. Seine Schrift befasst sich unter anderem mit dem Projekt eines modifizierten passagium generale, bei dem der Mechanismus des Sündennachlasses keine Rolle mehr spielen sollte. Der Kreuzzug sollte die Eroberung Istanbuls zum Ziel haben und zugleich der Schlüssel zur Lösung der Religionskriege in Frankreich sein. Ein neuer Kreuzzug also, welcher, der Verfügungsgewalt des Papstes entzogen, den durch die Reformation verursachten Bruch innerhalb der Christenheit heilen könnte. Es kam anders. Die Politik der »Heiligen Ligen«, die unter nomineller Führung des römischdeutschen Kaisers oder des Papstes die Fürsten des christlichen Kontinents gegen die Türken einten, bestimmte, soweit die internationale Situation es erlaubte, bis 1684 die europäische Strategie. In jenem Jahr, unmittelbar nach der Belagerung Wiens, versammelte die »Heilige Allianz« unter Führung von Papst Innozenz XI. Österreich, Polen und Venedig, denen sich 1686 auch Russland anschloss. Das sollte den Auftakt zur endgültigen Befreiung des Balkans von der osmanischen

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Bedrohung und zur Entstehung des Russischen Reichs am Schwarzen Meer bilden. 1687 wurde Ungarn endgültig der habsburgischen Krone unterworfen, und 1696 wurde Asow von Zar Peter dem Großen erobert. Der nach dem siegreichen Balkanfeldzug Eugens von Savoyen 1718 geschlossene Frieden von Passarowitz markierte den Beginn des langsamen, aber unaufhaltsamen Zerfalls des Osmanischen Reichs, das sich trotz seiner Modernisierungsbestrebungen nicht mehr erholte. Auch wenn die türkisch-europäischen Beziehungen zu Beginn der Neuzeit vom Geklirr der Waffen bestimmt waren, gab es intensive diplomatische Kontakte und Handelsbeziehungen, während sich im Mittelmeer zwielichtige und faszinierende Figuren herumtrieben, die als Abenteurer oder Sklaven unbekümmert von einer auf die andere Seite wechselten, von einer Religion zur anderen (als Konvertiten oder als Renegaten). Gewiss, die Ansichten über den Kreuzzug an sich waren höchst unterschiedlich. Francis Bacon zum Beispiel brandmarkte in seiner 1622 entstandenen Abhandlung Advertisement Touching a Holy War die vom Glauben an Alchemie, Kreuzzug und Rittertum beherrschten Phantasien seiner Zeit und gab sie der Lächerlichkeit preis. Doch Bacons Stimme war die eines rationalistischen Protestanten, für den die Alchemie ein Märchen und der Kreuzzug eine perfide papistische Erfindung war, der sein Land ein paar Jahre zuvor, zur Zeit der Invencible Armada, fast zum Opfer gefallen wäre. Es stimmt, dass es in diesem Augenblick in Mittel- und Osteuropa keine osmanische Bedrohung gab. Der Sultan führte Krieg gegen die Perser, der sogenannte Lange Türkenkrieg war seit mehr als fünfzehn Jahren zu Ende, und bis zum Krieg um Kreta (Candia) sollten noch fast fünfundzwanzig Jahre vergehen. Springen wir sechzig Jahre weiter, als Kontinentaleuropa ein völlig anderes Bild bot. 1686, drei Jahre nach der Befreiung Wiens, veröffentlichte Jean Coppin – ein französischer katholischer Priester mit einer abenteuerlichen Vergangenheit als Kavallerieoffizier unter Ludwig XIII., Nordafrikareisender und französischer Konsul in Damiette – ein Werk, das berühmt werden sollte, Le bouclier de l’Europe, ou la guerre sainte. Darin erklärte er, die Zeit sei reif, um einen letzten, entscheidenden Kreuzzug gegen die Osmanen zu führen, bei dem die christlichen Waffen den Sieg davontragen würden. Dies sei der Augenblick für einen geeinten und koordinierten Angriff des christlichen Europas, der nach Jahrhunderten wechselvoller Ereignisse den Erzfeind endlich in die Knie zwingen würde. In jenen Jahren kursierten viele in Ton und Inhalt ähnliche Abhandlungen. Das Genre der Traktatliteratur, auf das sie Bezug nahmen, verfügte bereits über einen

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reichen Fundus an Schriften de recuperatione terrae sanctae. Diese Tradition geht auf Gregor X. und das zweite Konzil von Lyon 1274 zurück, wo der Papst Fürsten, Kenner des Heiligen Landes und der Kreuzzüge, Laien und Geistliche aufgefordert hatte, Pläne für neue Kreuzzugsexpeditionen zu entwerfen und ihm zu schicken. Zahlreiche Persönlichkeiten, von Fidenzio da Padua bis Jacques de Molay und von Pierre Dubois bis zu Marin Sanudo dem Älteren, verfassten teils umfangreiche Traktate, in denen sie ihre Kenntnis der nahöstlichen Geographie unter Beweis stellten und ihre wirtschaftlichen, rechtlichen, strategischen und politischen Standpunkte darlegten. Nach dem Fall Konstantinopels 1453 und der heroischen Verteidigung Belgrads drei Jahre später nahm diese antiosmanische Traktatliteratur mit – in gewisser Hinsicht endzeitlich eingefärbten – strategischen und geopolitischen Erwägungen einen neuen Aufschwung. Im 16. und 17. Jahrhundert entwickelten so unterschiedliche Figuren wie der Dichter Luís Vaz de Camões, der calvinistische politische Denker François de La Noue, Herzog Carlo von Nevers, der französische Gesandte François Savary de Brèves, der Herzog von Sully und Minister Heinrichs IV., der Calvinist Jacques Bongars, der Theologe Tommaso Campanella, der Reisende Pietro della Valle und der Kapuzinermönch und Berater Richelieus, Père Joseph, regelrechte Kreuzzugspläne, die in ihrer Gesamtheit den Hintergrund des Westfälischen Friedens bildeten. Ihnen liegt der Gedanke der mutua inter christianos tolerantia zugrunde: der Gedanke eines Krieges gegen den gemeinsamen Feind (hostis), den Türken, als Garant und Vorbedingung für einen dauerhaften Frieden zwischen den Christen, die sich allzu lange gegenseitig als inimici betrachtet hatten. Tief verwurzelt in der Theologie der Kreuzzüge als opus pacis, die von den Kirchenrechtlern des 13. Jahrhunderts formuliert worden war, entwickelte sich in den Schriften von Locke, Lessing und Voltaire der Gedanke der Toleranz.

Eine aus der Mode gekommene Idee? Unterdessen ging das ferne Osmanische Reich unaufhaltsam seinem Untergang entgegen. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts war Istanbul noch die Hauptstadt eines furchteinflößenden Riesenreichs, aber der Westen setzte dank seiner technologischen Überlegenheit, die die osmanische Welt in die Rolle eines passiven Klienten drängte, zum Aufschwung an. Infolge der Gewährung zahlreicher

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Wirtschafts-, Finanz- und Zollkonzessionen vor allem an die Franzosen, Holländer und Engländer wurde die Wirtschaft des Osmanischen Reichs zunehmend fremdbestimmt. Durch die Einnahmen aus diesen Konzessionen war die Staatskasse zwar immer noch prall gefüllt, aber es fehlte ein einheimisches Bürgertum. In der osmanischen Gesellschaft wurde die Kluft zwischen einem äußerst begüterten Militär- und Landadel und einer städtischen und ländlichen Bevölkerung, die zunehmend verarmte, immer größer. Die dünne Mittelschicht der Kleinbauern, der Kleinhändler ohne Zugang zu einem Kreditsystem, der Ladenbesitzer und Handwerker reichte nicht aus, um eine Wirtschaft aufzubauen, die gegen die europäische Konkurrenz bestehen konnte. Als Antwort auf den zunehmenden Reichtum und die wachsende Aggression der westlichen Mächte hatte die Regierung des Sultans zuerst die Aneignung von Methoden und Techniken vorangetrieben, um das Land in die Lage zu versetzen, adäquat zu reagieren. Aber der osmanische Staat war außerstande, Wirtschaft und Technologien aus eigener Kraft zu entwickeln, und verließ sich stattdessen auf westliche Kaufleute, Finanziers und Ingenieure. Die osmanische Bürokratie in den riesigen Territorien des Reiches erwies sich als immer gieriger und unfähiger. Ein blinder und bornierter Fiskalismus, größtenteils ein Erbe der byzantinischen Tradition, erstickte jede Initiative und kannte als Alternative zu Raubzügen nur die Korruption. Im Übrigen wurden die Steuereinnahmen und die Erlöse aus der Kriegsbeute von den Ausgaben für Militärexpeditionen zur See und zu Land verschlungen. 1580 hatte die Hohe Pforte mit Spanien einen Waffenstillstand geschlossen. Beide hatten mit innenpolitischen Problemen und mächtigen äußeren Rivalen zu kämpfen. Murad III. musste sich schon bald mit dem sehr jungen, aber bereits gefährlichen Schah Abbas auseinandersetzen, und Philipp II. trat in ein Kräftemessen mit England, das mit dem Untergang seiner Invencible Armada endete. Nachdem sich die Türken 1590 mit einem Waffenstillstand vom persischen Druck hatten befreien können, endete ein neuer Krieg auf dem Balkan zwischen 1593 und 1606 mit dem Frieden von Zsitvatorok zum Nachteil des Heiligen Römischen Reichs, das Siebenbürgen Bocskai überlassen musste. Doch der neue Sultan Ahmed I. wusste, dass er mit den europäischen Mächten um jeden Preis Frieden wahren musste, nachdem er in einem weiteren Krieg gegen Abbas an der östlichen Front Niederlage um Niederlage hatte einstecken und 1618 die Provinzen Aserbaidschan und Georgien hatte abtreten müssen. Eine Neuausrichtung des Reiches schien sich mit dem großen Murad IV. abzuzeichnen, der 1623 als Elfjähriger den Thron be-

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stieg. Es gelang ihm, innere Aufstände niederzuschlagen und den persischen Erzfeind in Schach zu halten, dem er Bagdad entriss und den er 1638 zum Friedensschluss zwang. Der junge Sultan hatte mit der Reorganisation der Janitscharen und des timar-Systems begonnen, als er 1640 kaum dreißigjährig starb. Hätte in dieser Situation der Westen eine neue Offensive begonnen, wäre das osmanische Engagement gegen die Perser gefährdet gewesen. Und tatsächlich bewegte sich etwas, angefangen mit dem Königreich Frankreich. In den 1620er-Jahren warben Richelieu

John Young, Murad IV., Sultan des Osmanischen Reichs, Porträt aus dem 19. Jh.

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Kara Mustafa in einem Porträt nach der Belagerung Wiens, Wien, Wien Museum.

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und sein Sekretär und Berater, der Kapuzinermönch Joseph (der aufgrund seines Ansehens und der Farbe seiner Kutte »Graue Eminenz« genannt wurde), beim Heiligen Stuhl für die Kreuzzugspläne Carlo Gonzagas, des Herzogs von Nevers. Carlo, Enkel einer Prinzessin aus der Dynastie der Palaiologen, die als Letzte den Titel eines Basileus von Konstantinopel getragen hatten, träumte von der Rückkehr auf den Thron seiner Vorfahren. Die Griechen der Morea schickten ihm eine gramerfüllte Gesandtschaft und erklärten sich zum Aufstand bereit. Im Frühjahr 1617 kehrte Père Joseph, der in diplomatischen Aufgaben nach Rom gereist war, mit einem für den spanischen Hof bestimmten Brief Papst Pauls V. nach Frankreich zurück. Er war bevollmächtigt, in ganz Europa die für das Kreuzzugsunternehmen notwendigen Kontakte zu knüpfen. Voller Euphorie verfasste der Kapuzinermönch ein 4637 Verse langes Kreuzzugsepos in lateinischer Sprache, die Turciade, in der er den Heiligen Krieg verherrlichte. Doch der erste diplomatische Vorstoß verlief enttäuschend. In Turin hatte Carlo Emanuele von Savoyen, der gerade mit Spanien Krieg führte, keine Zeit, ihn anzuhören. Zurück in Paris musste Père Joseph den Sturz des mächtigen Concini und die Verbannung der Königinmutter Maria de’ Medici mitansehen und erleben, wie sein Beschützer Richelieu isoliert wurde. Doch er gab sein Vorhaben nicht auf, zumal der Herzog von Nevers ihm aus Deutschland Depeschen schickte, aus denen hervorging, dass die deutschen Fürsten offenbar keinen sehnlicheren Wunsch hatten, als gegen die Osmanen vorzugehen. Der Einzige, der zögerte, war Philipp III. von Spanien, der den 1580 mit der Hohen Pforte geschlossenen Waffenstillstand nicht brechen wollte; außerdem bereiteten ihm jenseits des Atlantiks, in der Neuen Welt, einige Dinge Kopfzerbrechen. Joseph setzte sein Vertrauen in den in seinem Besitz befindlichen päpstlichen Brief, der an den Habsburger in Madrid gerichtet war. Und so brach er im Frühjahr 1618 Richtung Pyrenäen auf. Doch in Poitiers erreichte ihn die Nachricht, dass die Gesandten von Kaiser Matthias ohne viel Federlesens aus einem Fenster der Prager Burg geworfen worden waren. Es war der berühmte »Fenstersturz«, mit dem der Dreißigjährige Krieg begann. Für lange Zeit konnte sich niemand den Luxus erlauben, an einen Kreuzzug zu denken. Joseph setzte seine Reise an den spanischen Hof zwar fort und der König und sein Erster Minister, der Herzog von Lerma, fanden sogar warme Worte für ihn. Jedoch war klar, dass sie an einem Projekt unter Federführung Frankreichs niemals teilnehmen würden. Bald überstürzten sich in Europa die Ereignisse. 1625 erhielt Père Joseph von

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Papst Urban VIII. die Anerkennung eines neuen Ritterordens, den der Herzog von Nevers für seinen Kampf gegen die Ungläubigen gegründet hatte: die Milizia Cristiana. Doch der einzige Kreuzzug, den Richelieu und sein König zu unterstützen bereit waren, war der gegen die Hugenotten des Béarn in den westlichen Pyrenäen. Das Wüten des Dreißigjährigen Kriegs in Europa und des türkisch-persischen Kriegs in Asien hatte zur Folge, dass in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts im Mittelmeer zwischen Kreuz und Halbmond nur die üblichen Scharmützel zwischen Korsaren und die gewohnten Überfälle auf die beiderseitigen Küsten zur Sklavenjagd stattfanden. Die letzte maßgebliche Stimme, die den Kreuzzug, den Krieg gegen die Türken und den Willen, die Welt zu erneuern, nachdrücklich miteinander in Einklang zu bringen vermochte, gehörte Tommaso Campanella. Er erhob sie zuerst mit De monarchia hispanica, geschrieben 1600 im Gefängnis von Castel Nuovo in Neapel, und 1638 mit der Ecloga anlässlich der Geburt des durchlauchtigsten Dauphins von Frankreich und späteren Sonnenkönigs, den er als orbis christiani summa spes begrüßte. Obwohl Tommaso durchaus Züge strategischer Rationalität aufweist, lässt er die realen politischen Mächte und historischen Bedingungen seiner Zeit völlig außer Acht. Seine Vorschläge bewegen sich im gedanklichen Rahmen einer renovatio saeculi. Er zeichnet ein kraftvolles christlich-apokalyptisches Bild seiner Zeit, in dessen Mittelpunkt der Wettstreit zwischen Kreuz und Halbmond steht. Seine messianischen Hoffnungen ruhen auf dem, der die Osmanen endgültig besiegen werde: der König am Ende der Zeiten, dem die schreckliche Zeit von Gog und Magog und das zweite Kommen Christi in virga ferrea (mit eisernem Zepter) vorausgehen werde. Dieser eschatologische Geist durchzieht Campanellas sämtliche Werke: den Sonnenstaat, vor allem aber die Bücher 27 und 28 seiner monumentalen Theologia. Er betrachtete den Kreuzzug weniger als einen Krieg oder Heiligen Krieg, sondern als Instrument der Einheit der Christen und des gesamten humanum genus. Bei Campanella verbinden sich Kreuzzug und missionarischer Geist, Heiliger Krieg und Zeugnis bis zum Martyrium, ethisch-politische Erneuerung und Apostolat im Dienst einer Bekehrung der ganzen Menschheit zu einem erneuerten Christentum. Aber weder der Katholische König im Jahr 1600 noch der Allerchristlichste König im Jahr 1638 waren imstande, dem Krieg gegen die Türken oberste Priorität einzuräumen. Im 17. Jahrhundert jedenfalls stellte die französische Monarchie sowohl das Heilige Römische Reich als auch Spanien und Österreich als Bannerträgerin des

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Kreuzzugs in den Schatten, ungeachtet der Politik Ludwigs XIV. gegenüber der Hohen Pforte. Der Sonnenkönig nutzte den Kreuzzugseifer, um Vorwürfe zurückzuweisen, er sei osmanenfreundlich. Unter den theoretischen Schriften, die dem Kreuzzugsgedanken gewidmet waren, ist besonders ein Aufsatz von Gottfried Wilhelm Leibniz interessant. Leibniz, Ende der 1660er-Jahre junger Berater am Hof des bekanntermaßen franzosenfreundlichen Kurfürsten von Mainz, Johann Philipp von Schönborn, entwarf einen Plan, der, den Absichten und Interessen seines edlen Herrn entsprechend, die Expansionsbestrebungen Ludwigs XIV. von Mosel und Rhein auf den Nahen Osten ablenken sollte. Mehr als hundert Jahre vor General Bonapartes Ägyptenfeldzug postulierte er bereits eine große französische Seeexpedition zur Eroberung Ägyptens, um das Mittelmeer und den Balkan ein für allemal von der osmanischen Bedrohung zu befreien und die Türken zu zwingen, sich der Verteidigung einer unerwarteten neuen Front im Süden zuzuwenden. Auf diese Weise sollte das gesamte Imperium des Sultans einschließlich Jerusalem und Istanbul erobert werden. Zusammen mit dem kurmainzischen Ersten Minister Johann Christian von Boyneburg arbeitete Leibniz eifrig an seinem Consilium Aegyptiacum. 1672 nahm er sein Werk, noch unvollendet, mit nach Paris, um es dem französischen König als Denkschrift zu überreichen. Aber zu spät. Ohne zu warten, bis der Philosoph seinen gewichtigen Traktat beendet hatte, griff Ludwig XIV. die Niederlande an. Teile dieses Plans landeten dennoch in den Staatsunterlagen, wenngleich nur in Gestalt eines von Boyneburg übersandten Auszugs. Der französische König konnte nicht umhin, den rheinischen Kurfürsten, die seine guten Freunde waren, Gehör zu schenken. Sein Außenminister, der Marquis de Pomponne, jedoch fällte über diese Aufzeichnungen ein abschätziges Urteil, das später von Kardinal d’Estrées und vom Sonnenkönig selbst aufgegriffen wurde: »Die Kreuzzüge sind seit der Zeit des heiligen Ludwig nicht mehr in Mode.« Er konnte nicht vorhersehen, dass sie wenige Jahre später erneut auf die Agenda kamen. Der Wiederbelebung der Kreuzzüge und des Türkenkampfes gewidmete Denkschriften wurden noch lange nach Leibniz verfasst. So hatte L’état présent de la Turquie des Kapuzinermönchs Michel Febvre nicht nur in Frankreich großen Erfolg. Ursprünglich in italienischer Sprache verfasst, wurde es 1675 auf Französisch veröffentlicht und schnell in die wichtigsten europäischen Sprachen übersetzt. Den unerbittlichen Gesetzen der Geschichte folgend, so Febvre, habe der unaufhaltsame Zerfall des Osmanischen Reichs bereits begonnen.

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Frans Geffels, Belagerung Wiens durch die Türken, 16. Juli 1683, Ende 17. Jh., Wien, Wien Museum.

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Kapitel neunzehn 

Wien, 1683 Nach Lepanto hatte es – abgesehen von einigen Feldzügen, die wenig Effekte, aber viel Literatur hervorgebracht hatten – lange Zeit so ausgesehen, als würden nun zwischen Europa und dem Sultanat die Waffen mehr oder weniger für immer schweigen. Und doch entfachten der Krieg um Kreta und die Ereignisse in Ungarn Anfang der 1660er-Jahre noch einmal einen Feuersturm. Es begann eine neue Phase, die in der Belagerung Wiens gipfelte und fünfunddreißig Jahre später mit dem Frieden von Passarowitz endete. Die lange Kampfpause, die mit dem türkischvenezianischen und dem türkisch-spanischen Frieden 1573 beziehungsweise 1580 begonnen hatte, endete abrupt im Jahr 1645 mit einem massiven Angriff der Osmanen auf die Insel Kreta, das venezianische Candia. Der anhaltende Widerstand der Serenissima bedeutete eine schwere Demütigung für die Streitmacht des Sultans und provozierte 1648 eine Meuterei der Janitscharen. Sie stürzten Sultan Ibrahim I. und hoben Mehmed IV. auf den Thron, ein zehnjähriges Kind, das den Hofintrigen und internen Machtkämpfen wehrlos ausgeliefert war. Dies schien der geeignete Augenblick, um den Osmanen den entscheidenden Schlag zu versetzen. Der Dreißigjährige Krieg war zu Ende, und dem Westfälischen Frieden konnten alle Staaten beitreten. Vom Friedensschluss waren allein die Türken explizit ausgeschlossen. Man könnte fast sagen: Durch die Wiederaufnahme der Feindseligkeiten gegen die Osmanen wurde der Frieden in Europa gefestigt. 1656 errangen die venezianischen Schiffe in den Dardanellen erneut einen bedeutenden Sieg. Eine Zeitlang glaubte man, das Ende des Osmanischen Reichs sei damit besiegelt. Doch der neue Großwesir, der Albaner Mehmet Köprülü, konnte das Ruder noch einmal herumreißen. Er säuberte den Hof von Verschwörung und Korruption und rief die notorisch aufsässigen Janitscharen zur Ordnung. Er sanierte die Staatsfinanzen und glich mit der Rückeroberung der Inseln Lemnos und Tenedos die Siege der Venezianer aus. Sein Sohn Ahmed, der ihm als Großwesir nachfolgte, setzte diese Politik fort. Unterdessen hatte die türkische Regierung Georg II. Rákóczi, Fürst von Siebenbürgen, für abgesetzt erklärt und an dessen Stelle einen ihr genehmeren Vasallen eingesetzt. Rákóczis Weigerung abzutreten rief den Pascha von Buda auf den Plan. Daraufhin wandten sich die Ungarn an den Wiener Hof, von dem sie sich Unterstützung in Siebenbürgen erhofften. 1661 schickte Kaiser Leopold I. Truppen in die Region, die jedoch geschlagen wurden. Die türkische Gegenoffensive trieb die

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Kaiserlichen bis ins nordwestliche Ungarn zurück. Als im September 1663 die Osmanen fast bis nach Pressburg vorstießen, fühlte sich sogar Wien bedroht, und der Kaiser rief die Christenheit zu Hilfe. Diesmal konnte sich nicht einmal der Sonnenkönig entziehen, der zwar Kreuzzugsruhm für Frankreich beanspruchte, gleichzeitig aber stets eine konsequente protürkische Diplomatie betrieben hatte. Dem kaiserlichen Heer schloss sich ein großes französisches Truppenkontingent an. Die Streitmacht der Christen wurde dem Kommando des kaiserlichen Feldmarschalls Raimondo, Fürst von Montecuccoli, unterstellt, der am 1. August 1664 das Heer des Großwesirs in der Schlacht bei Sankt Gotthard an der Raab besiegte. Dieser wichtige Erfolg wurde jedoch durch den zwanzigjährigen Frieden von Eisenburg (Vasvár) teilweise wieder zunichte gemacht, dank dem die Türken nicht nur die Herren über die nach 1660 eroberten Städte blieben, sondern auch 1669 den Krieg in Candia bis zum Fall der Insel mit gestärkter Kraft wieder aufnehmen konnten. In dem üblichen Auf und Ab der Ereignisse und dem ständigen Wechsel der Kriegsschauplätze zwischen Balkan und östlichem Mittelmeer diktierten nicht die wahren Machtverhältnisse, sondern Diplomatie und Propaganda das Gleichgewicht der Kräfte. In Wirklichkeit hatte sich bis dahin der Kaiser der Hohen Pforte gegenüber nur allzu willfährig gezeigt (was ihm scharfe Kritik einbrachte), da sich bereits der spanische Erbfolgekrieg abzuzeichnen begann. Die Idylle mit dem Sonnenkönig im Zeichen der Kreuzzüge und des ruhmreichen Siegs bei Sankt Gotthard 1664 im heutigen Ungarn hatte nicht lange Bestand. Ein türkischer Feldzug gegen Polen fachte die Feindseligkeiten erneut an. Zwischen Juli und September 1683 belagerten die Truppen des tüchtigen, aber allzu ehrgeizigen Großwesirs Kara Mustafa die Stadt Wien, während der Sonnenkönig das Elsass, Lothringen, das Saarland und Luxemburg annektierte und die spanischen Niederlande überfiel. Trotz der inständigen Bitte des Papstes lehnte er es ab, der von den Ungläubigen umzingelten Stadt an der Donau zu Hilfe zu kommen. Sultan Mehmed IV. beabsichtigte keine Belagerung, von der ihm auch der Khan der Krimtataren und der Pascha von Buda abgeraten hatten. Die Hauptstadt der österreichischen Habsburger war ein allzu heikles Ziel, das die gesamte christliche Welt auf den Plan rufen würde. Kara Mustafa jedoch gab törichterweise dem Drängen des protürkischen ungarischen Adels nach. Zweifellos lockte ihn auch die Aussicht auf eine rasche Kapitulation oder auf reiche Beute bei einer Plünderung der Stadt. Der kaiserliche Feldherr Karl von Lothringen verfügte zwar über 50 000 Mann, aber ohne militärischen Beistand aus Deutschland und

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Kapitel neunzehn 

Polen hätte er dem Feind nicht entgegentreten können. Die tapfere Verteidigung der Belagerten, die großartige Leistung ihres Kommandanten Rüdiger von Starhemberg und die anfeuernden Worte des päpstlichen Gesandten, des Kapuzinermönchs Marco d’Aviano, ermöglichten es dem Herzog von Lothringen und dem polnischen König Jan III. Sobieski, mit ihrer Streitmacht aus polnischen, sächsischen und bayerischen Kämpfern dem Feind durch den Wienerwald entgegenzumarschieren und ihn am 12. September in der Schlacht am Kahlenberg zu schlagen. Sobieskis Husaren mit ihren am Rückenpanzer befestigten großen Flügeln, die den Helm weit überragten, wirkten wie Befreiungs- und Racheengel. »Fuit homo missus a Deo cui nomen erat Johannes« – mit diesen Worten aus dem Prolog des Johannesevangeliums wurde der polnische König im Te Deum gefeiert, das in allen Kirchen der lateinischen Christenheit gesungen wurde. Es war ein strahlender und vollkommener Sieg. Der Wesir verließ fluchtartig sein Lager und überließ den Siegern wahre Schätze. Wenig später wurde er bei Belgrad in seinem eigenen Lager von den Janitscharen mit einer seidenen Schnur erdrosselt, die der Sultan geschickt hatte. Mehmed konnte ihm das Scheitern eines so wichtigen Feldzugs nicht verzeihen. Nach diesem unverhofften Erfolg vor Wien, der in der gesamten christlichen Welt ein begeistertes Echo fand, begann eine Offensive, die Mehmed IV. zur Abdankung zwang. Bedrängt von Kaiserlichen, Russen und Venezianern musste der neue Sultan, Süleyman II., an allen Fronten den Rückzug antreten: am Asowschen Meer, auf dem Balkan und in der Ägäis. Im September 1687 sprengten die Schiffskanonen der Venezianer den Parthenon von Athen in die Luft, aus dem die Türken ein Pulvermagazin gemacht hatten. Nur das Wiederaufflammen der Feindseligkeiten zwischen dem Kaiser und dem Sonnenkönig verhinderte, dass die Türken – diesmal vielleicht endgültig – in die Knie gezwungen wurden. Der Sultan wusste, dass er nicht länger zögern durfte, einen fünfundzwanzigjährigen Waffenstillstand auszuhandeln, der in Wahrheit eine Kapitulation war. Mit dem Frieden von Karlowitz am 26. Januar 1699 gingen Ungarn (mit Ausnahme des Banats Temeswar), Siebenbürgen, Kroatien und Slawonien an die Habsburgermonarchie. Venedig erhielt die Morea und große Teile Dalmatiens, Polen Podolien. Ein Wendepunkt der Geschichte. Auf der politischen Bühne Eurasiens tauchte jetzt neben den bisher drei Großmächten (den beiden muslimischen Reichen von Istanbul und Isfahan und dem christlichen Reich von Wien) eine vierte Macht auf, die aus ihren Ambitionen keinen Hehl machte: das moskowitische Reich der Romanow, die ein begehrliches Auge auf das Gebiet zwi-

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schen Schwarzem Meer, Kaukasus und Kaspischem Meer, aber auch auf Zentralasien und das Mittelmeer warfen. Sie träumten bereits davon, über die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen und auf dem Landweg über den Balkan Zugang zum Mittelmeer zu gewinnen. Die Niederlage der Türken vor Wien 1683 war in vielfacher Hinsicht der Beginn einer neuen Ära. Sie war das Zeichen für die endgültige Befreiung vom Albtraum des Halbmonds, von der Türkenfurcht. Jetzt konnten auch der Islam und die Geschichte des Osmanischen Reichs mit größerer Gelassenheit studiert werden. Viele sahen im Sieg der christlichen Waffen das Wirken Gottes, und es entstand eine wahre Flut von Schriften zur Bekehrung der Ungläubigen, die jetzt, da Gott ihren Hochmut bestraft hatte, leichter durchführbar schien. Dieser Ansicht war beispielsweise Tirso González de Santalla in seiner Manuductio ad conversionem mahumetanorum, die 1687 in Madrid erschien. Ende des 17. Jahrhunderts entstand auch das Monumentalwerk Ludovico Marraccis, eines Geistlichen aus Lucca, der das heilige Buch des Islams wortgetreu und vollständig ins Lateinische übersetzte und einen unaufgeregten Kommentar in zwei Bänden schrieb: die Refutatio Alcorani und den Alcorani textus universus. 1697, zwei Jahre nach dem Tod ihres Verfassers, erschien in Paris die Bibliothèque orien­ tale von Barthélemy d’Herbelot mit einem Vorwort (Discours) des Diplomaten, Reisenden und Übersetzers von Tausendundeiner Nacht, Antoine Galland. Es war der Beginn einer neuen Disziplin, der Islamwissenschaft, die ihre Wurzeln in den beiden vorausgehenden Jahrhunderten und in der Verbreitung der Druckerpresse hatte. Im 15. und 16. Jahrhundert kehrte sich mit der wirtschaftlichen auch die kulturelle Handelsbilanz um. War bis dahin im islamischen Raum das Christentum besser bekannt gewesen als der Islam im christlichen Raum, erwachte mit dem Vordringen der Türken nach Europa und der wachsenden Zahl europäischer Kaufleute und Reisender in den Territorien des Osmanischen Reichs das Interesse Europas am Islam. Während die muslimischen Gelehrten nicht bestrebt waren, ihr Wissen über das Christentum zu vertiefen, waren die Christen plötzlich neugierig geworden. Gegenüber der Arabistik und der Islamwissenschaft war die Turkologie ein Nachzügler. Doch auch sie entwickelte sich im Laufe des 18. Jahrhunderts zu einer wissenschaftlichen Disziplin. 1794 erschien in Rom eine herausragende Studie zur türkischen Grammatik unter dem Titel Primi principi della grammatica turca ad uso dei missionari apostolici a Costantinopoli, erarbeitet von Cosimo de Carbognano, dem Dragoman (Dolmetscher) der Gesandtschaft des Königreichs Neapel in Konstantinopel. Mit Abraham Hyacinthe Anquetil-Duperron entwickelte sich

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Jean-Étienne Liotard, Frau in türkischem Gewand, Mitte 18. Jh., Istanbul, Pera Museum.

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Jean-Étienne Liotard, Türkische Frau mit Dienerin, um 1742, Genf, Musée d’art et d’histoire.

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Kapitel neunzehn 

die Iranistik und mit dem Dominikanerpater Maurizio Garzoni die Kurdologie. Durch die Vertiefung der philologisch-sprachwissenschaftlichen Kenntnisse etablierte sich auch ein neuer ästhetischer und literarischer Geschmack, der die Sitten, Gebräuche und Traditionen beeinflusste und der Kulturanthropologie den Weg ebnete. Jetzt kam jener Orientalismus in Mode, der in der europäischen Kultur des 18. und 19. Jahrhunderts so große Bedeutung erlangte.

Jean-Étienne Liotard, Bildnis der Marie Adélaïde von Frankreich, in türkischem Stil gekleidet, 1753, Florenz, Galleria degli Uffizi.

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Kapitel zwanzig

Im Zeichen des Kreuzes Exaltation und Verdammnis Nach der Belagerung Wiens wurden Themen wie die Einheit der Christen und die endgültige Befreiung des Mittelmeers mit neuer und einhelliger Begeisterung wieder aufgegriffen. In den nachfolgenden Jahrzehnten setzte sich freilich die Erkenntnis durch, dass es nicht so leicht und nicht so schnell gehen würde, sich von dem politischen und militärischen Koloss des Osmanischen Reichs zu befreien, dass es vielleicht aber möglich war, mit ihm zu leben und sein Herrschaftsgefüge allmählich zu untergraben. Die Türken flößten dem Westen zunehmend weniger Furcht ein, sie offenbarten sogar unerwartet gutmütige, ja amüsante Züge. Aber welche Probleme würde diese neue Koexistenz mit sich bringen? Und würde die restliche muslimische Welt – vom Maghreb bis Ostafrika und weiter bis zum arabischen Subkontinent, nach Persien, Zentralasien, Indien und Südostasien – überhaupt in einen Dialog mit einem christlichen Europa treten wollen, das auch in diesen bis dahin verschont gebliebenen Regionen auf die eine oder andere Weise bereits zu kolonialen Eroberungen ansetzte? Würde man das alte Schema der bewaffneten Auseinandersetzung und des »ewigen Feindes«  – das in Gestalt der Kreuzzüge und der Verteidigung des christlichen Europas das Bild der Beziehung zum Islam seit jeher geprägt hatte – wieder aufnehmen müssen oder würde man es ad acta legen können? Würde es verstärkt oder modifiziert werden müssen? Die Frage war keineswegs neu. Selbst als der Kreuzzug noch etwas war, für das es kein Wort gab – oder etwas, für das man andere Bezeichnungen benutzte –, war er, wie wir gesehen haben, bereits Gegenstand des Nachdenkens. Im 12. und 13. Jahrhundert, der Kreuzzugsepoche par excellence, sprach man gleichfalls nicht von

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Kapitel zwanzig 

»Kreuzzügen«. Im Laufe der Zeit, als auch auf rechtlicher und finanzieller Ebene das Profil der causa crucis, des negotium crucis, des officium crucis und des servi­ tium crucis geschärft wurde, tauchte ein Problem auf, das die Moraltheologie und die Theodizee gleichermaßen berührte. Während die Ziele der Kreuzzüge immer komplexer wurden, sich zunehmend erweiterten und die muslimische Welt jenseits des Heiligen Landes, dann die infideles und die nichtmuslimischen pagani wie die furchterregenden Tataren, hierauf die »inneren Feinde« des Christentums wie vor allem die Ketzer (die heretica pravitas) und schließlich sogar die politischen Gegner des Heiligen Stuhls einbezogen, trat die bange und drängende Frage ihrer Legitimität und Rechtfertigung immer mehr in den Vordergrund. An die Stelle des lauten und feierlichen, fast freudigen »Deus vult!« trat seit dem 12. Jahrhundert ein banges »Quid Deus vult?«, wenn nicht sogar ein entschiedenes, verzweifeltes und befreiendes »Deus non vult«. Später, mit dem Auftauchen der osmanischen Gefahr zwischen Balkan und Anatolien und der Bedrohung durch die unter osmanischer Oberhoheit stehenden Barbaresken im gesamten Mittelmeerraum, wurde das heilige Unternehmen zur Eroberung, Wahrung oder Rückgewinnung des Heiligen Landes eine tuitio christianitatis oder zumindest eine tuitio maris. Zugleich eröffneten die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Reformierten sowie in der restlichen Welt der Kampf gegen Barbaren und Wilde, die sich nicht beherrschen lassen wollten, neue Räume der Missionierung, Bekehrung und Eroberung, und es wurde die Frage neu gestellt, wann ein Krieg »gerecht« oder »heilig« heißen konnte. Im Grunde war das alles nichts Neues. Das Nachdenken über die Kreuzzüge hat seine Wurzeln in fernen Zeiten. Im 12. Jahrhundert schrieb Wilhelm, ab 1174 Bischof von Tyrus, eine Historia rerum in partibus transmarinis gestarum, die bis ins Jahr 1183 reichte und zahlreiche Übersetzungen und Fortführungen fand. Der von den wichtigsten gekrönten Häuptern der westlichen Christenheit geführte zweite und dritte Kreuzzug, die beide erfolglos blieben, wurden in der prägnanten Formel »nolite confidere in principibus« (Vertraut nicht auf die Fürsten) zusammengefasst. Doch auch in den nachfolgenden drei, vier Jahrhunderten, als die rechtliche und finanzielle – und indirekt auch militärische und politische – Führung des heiligen Unternehmens immer mehr von den Päpsten abhing, die bullae cruciatae erließen, wurde es nicht besser, im Gegenteil. Ab dem 16. Jahrhundert, im Zuge von Reformation und Gegenreformation (und/oder »katholischer Reform«) und den »Religionskriegen«, wurde alles noch schlimmer.

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Die Chronistik und die im Entstehen begriffene Geschichtsschreibung im modernen Sinn des Wortes mussten sich notgedrungen mit diesem Phänomen beschäftigen, das schon so lange existierte. Obwohl sich bereits sehr früh Spuren einer kreuzzugsfeindlichen Haltung in Quellen verschiedenster Art finden lassen, liefern Predigten, Traktate, Lobreden oder genealogisch-heraldische Texte doch auch eine Fülle von Informationen (etwa Berichte darüber, wie im Juli 1096 die Mauern Jerusalems erstiegen wurden, oder Listen mit Namen prominenter Bürger, deren angeblich gesicherte Teilnahme an diesem oder jenem Kreuzzug ihren Familien die Aufnahme in das städtische Patriziat garantieren sollte). Neben Petrarca, Boccaccio und zahlreichen Humanisten, bei denen solche Traditionen nachklingen, braucht man nur an die Vielzahl von Texten zu erinnern, die unter dem Eindruck der osmanischen Eroberung Konstantinopels 1453 entstanden, mit allen damit verbundenen apokalyptischen Ängsten. Ein Beispiel ist der einzigartige Itinerario de la gran militia a la pavese, der Mitte des 15. Jahrhunderts im Dialekt von Pavia verfasst wurde und auf der Historia des Wilhelm von Tyrus basiert; ein anderes De bello a christianis contra barbaros gesto pro Christi sepulcro et Iudaea recuperandis des Aretiners Benedetto Accolti, Kanzler der Republik Florenz. Das Werk entstand unter dem Eindruck der Kreuzzugspläne Papst Pius’ II., die 1464 in Ancona kläglich scheitern sollten. Mit dem Schisma, das die westliche Christenheit in Katholiken und Reformierte spaltete und Fürsten und Staaten ebenso betraf wie Bevölkerungen, veränderte und differenzierte sich auch die Einstellung gegenüber den Muslimen, vor allem den Osmanen oder, wie man zu sagen pflegte, »dem Türken«. Papstanhänger und Papstgegner warfen einander regelmäßig vor, sie seien »schlimmer als der Türke«, und die Lutheraner beschworen gar das Schreckgespenst eines »Turkopapismus«, das sich gegen sie erhob. Unter Anspielung darauf, dass die Reformation das gemeinsame Handeln der christlichen Mächte gegen die Ungläubigen verhindert hatte, konterten die Katholiken mit dem Satz: »Der Türk ist der Lutherischen Glück.« Gewiss, die protestantische Welt konnte sich nicht für die Kreuzzüge erwärmen, waren sie doch in ihren Augen nur ein Werkzeug in den Händen des Papstes, des Antichrist. Doch weder die protestantischen Verfasser der Magdebur­ ger Centurien, einer monumentalen Kirchengeschichte, erschienen in Basel zwischen 1559 und 1574 in dreizehn Bänden, noch die katholischen Gelehrten im Umkreis von Cesare Baronio, Autor der nicht minder monumentalen Annales ec­ clesiastici, lieferten sonderlich bedeutsame Bewertungen der Kreuzzugsbewegung.

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Kapitel zwanzig 

Die Seeschlacht von Lepanto – in Wahrheit eine von den katholischen (genauer gesagt: spanisch-venezianisch-päpstlichen) Mächten gewonnene Schlacht innerhalb eines verlorenen Kriegs, des sogenannten Zypernkriegs der Jahre 1570–1572, bei dem die Insel in der Hand der Türken blieb – entfachte dank des Erfolgs von Torquato Tassos 1575 vollendetem Versepos Das befreite Jerusalem eine neue Kreuzzugsbegeisterung. Das Werk inspirierte im darauffolgenden Jahrhundert den Dichter und Maler Giovanni Francesco Negri zu einer Version im Bologneser Dialekt mit dem weitschweifigen Titel Prima crociata ovvero Lega di Militie Chris­ tiane, segnalate di Croce, liberatrice del Santo Sepolcro di Giesù Christo, e del Regno di Terra Santa. Negri verfolgte bei seiner geduldigen Übersetzungsarbeit auch patriotische Absichten: Er wollte dem Kontingent von 3000 bewaffneten Bolognesern, die 1096 an der Eroberung Jerusalems teilgenommen hatten, ein Denkmal setzen. Natürlich hatte es dieses Kontingent nie gegeben. Dank der Erneuerung von Methoden, die besonders in der französischen Welt hoch geschätzt wurden, eilte derweil die Geschichtsschreibung mit Riesenschritten auf die moderne Historiographie zu. In Frankreich veröffentlichte Jacques Bongars 1611 unter dem Titel Gesta Dei per Francos (Taten Gottes durch die Franken/Franzosen) eine objektiv wertvolle, jedoch verständlicherweise unvollständige Sammlung mittelalterlicher Kreuzzugschroniken. Enthalten waren Texte von Wilhelm von Tyrus, aber auch von Robert de Saint-Rémy, Balderich von Dol, Fulcher von Chartres, Guibert von Nogent, Jakob von Vitry, Marin Sanudo dem Älteren und anderen. Der Bürgerkrieg zwischen Katholiken und Hugenotten war seit wenigen Jahren zu Ende, und der Calvinist Bongars machte König Ludwig XIII.  – dem jungen Erben jenes (gleichfalls calvinistischen) Heinrich IV., der zum Katholizismus konvertiert war und den religiösen Frieden in seinem Land wiederhergestellt hatte – ein Werk zum Geschenk, dessen Titel bereits die Idee vermittelt, Ehre und Ruhm des Kampfes gegen die Ungläubigen gebühre allein Frankreich. Tatsächlich aber stand es für eine implizit apologetische Position. Schon seit den Auseinandersetzungen zwischen König Franz I. von Frankreich und Kaiser Karl V. wurde der Dynastie der Valois der – objektiv nicht zu bestreitende – Vorwurf gemacht, ein dauerhafter Verbündeter des Osmanischen Reichs zu sein, mit dem Heiligen Römischen Reich und dem habsburgischen Königreich Spanien als gemeinsamem Feind. Seither hatte die französische Propaganda Frankreichs Engagement im Kampf gegen die Ungläubigen immer wieder nachdrücklich betont. Es war also nicht ungewöhn-

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lich, wenn anlässlich der Geburt des Dauphins Ludwig, Sohn und Nachfolger Ludwigs XIII. (er bestieg später als der »Sonnenkönig« Ludwig XIV. den Thron), der nach Paris geflüchtete Dominikaner Tommaso Campanella aus Kalabrien eine Ecloga in portentosam Delphini nativitatem verfasste, worin er die künftige Befreiung Jerusalems durch die französische Monarchie prophezeite. Während Ludwig XIV. sein Bündnis mit der Hohen Pforte noch fester knüpfte, unterstützte er mit enormem finanziellen Aufwand und großer Energie propagandistische Stimmen, die in seiner Herrschaft den wahren Schild der Christenheit sahen. So förderte er die Veröffentlichung der historisch-propagandistischen Histoire des croisades pour la délivrance de la Terre Sainte des gelehrten Jesuiten und Historiographen Louis de Maimbourg. Das dem König gewidmete Werk hatte das Ziel, die Verdienste und den Ruhm Frankreichs in den Kreuzzügen zu verherrlichen. Maimbourgs absolutismusfreundliche, vom Gallikanismus durchdrungene Grundhaltung hatte 1682 seinen Ausschluss aus der Societas Jesu zur Folge. Aber seine leichtfüßige, galante Historiographie brachte ihm auch Ruhm. Großen Erfolg hatte ein weiteres »Salonwerk«, dem jedoch ein handfesteres und rationaleres Geschichtsverständnis zugrunde liegt: die 1713 erschienene Histoire de France von Gabriel Daniel, gleichfalls ein Jesuit, der dieselben Thesen vertrat. Nicht zu vergessen die nach 1618 in der Pariser Benediktinerabtei SaintGermain-des-Prés entstandene Congrégation de Saint-Maur, deren Mitglieder, die »Mauriner«, den Ruf wahrer Revolutionäre und Erneuerer der Geschichtswissenschaft genossen und Methoden der historisch-kritischen Forschung entwickelten. Ihnen ist eine durch den Gräzisten und Hebraisten Dom Berthereau um 1770 angeregte umfangreiche Quellensammlung zu verdanken, die auch orientalische Quellen einschloss. Das Textmaterial des Mauriners Berthereau bildete dann die Grundlage für weitere Arbeiten, etwa Michauds nicht minder berühmte Bibliothèque des croisades. Antikatholische und antipäpstliche Vorurteile, gepaart mit dem Rationalismus der Aufklärung und mit protestantischen Anliegen, brachten schon bald ein Geschichtswerk hervor, das einen gewissen Wert besitzt und dennoch in vieler Hinsicht zutiefst irreführend ist. Das Compendium historiae christianae antiquio­ ris des protestantischen Theologen Johann Lorenz von Mosheim versammelt die extremsten Ansichten der Magdeburger Centurien. Die Kreuzzüge werden als Ergebnis von katholischem Fanatismus und papistischer Gewalt gebrandmarkt – Kräfte, denen die Entvölkerung Europas, das Abfließen von dessen Reichtümern

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Hyacinthe Rigaud, Ludwig XIV. von Frankreich, 1702, Paris, Musée du Louvre.

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nach Asien, der Ruin vieler Adliger und die von fanatischen Horden begangenen Massaker geschuldet seien. Nunmehr war die Zeit reif, dass die Kreuzzüge  – und damit auch die Inquisition, die Ketzerverfolgung, die Religionskriege und der Heiligen- und Reliquienkult – zum Gegenstand von Polemiken wurden. So geißelten die französischen philosophes die von Aberglaube und Intoleranz geprägte Barbarei der Religionen und der Kirchen allgemein, vor allem aber der katholischen Kirche. Bei der Betrachtung der Kreuzzüge verband sich mit der Polemik gegen Fanatismus und Intoleranz eine wachsende Sympathie für die Kulturen des Orients, besonders die türkische Kultur. Im Laufe des 18. Jahrhunderts war die osmanische Herrschaft nicht mehr dazu angetan, Angst und Schrecken einzujagen, ganz im Gegenteil. Die Raffinesse und Eleganz der Sitten und Gebräuche und die kostbaren Erzeugnisse des Orients begünstigten ein Klima, das ein typisches Phänomen der westlichen Kultur jener Zeit hervorbrachte: den Orientalismus. Aus diesem Nährboden erwuchsen Montesquieus Lettres per­ sanes (Persische Briefe) oder Voltaires La Princesse de Babylone (Die Prinzessin von Babylon) und Zadiq. Während sich in Europa einerseits der Ruhm Saladins, den Lessing in seinem Drama Nathan der Weise als einen Heros der Toleranz darstellte, ins Unermessliche steigerte, zeichnete andererseits Voltaire ein von Gewalt und Barbarei, Fanatismus und Ignoranz geprägtes Bild der Kreuzzüge. In seiner Histoire des croisades von 1753 und seinen Essais sur les mœurs von 1756 sind die Kreuzzüge der europäischen Ritter nichts weiter als ein systematisches Werk von Gewalt, Raub und Korruption. Das Einzige, was sie Europa gebracht hätten, sei die Lepra gewesen. Zu demselben Urteil kommt das Stichwort »Kreuzzüge« in Diderots Encyclopédie. Andere vom Geist der Aufklärung inspirierte Werke wie die Geschichte der Kreuzzüge von Jean-Baptiste Mailly oder die Esquisse d’un tableau historique des progrès de l’ésprit humain von Nicolas de Condorcet dagegen lassen eine eher analytisch geprägte Aufmerksamkeit für den konkreten historischen Verlauf erkennen. Ein gelassenerer und weniger sektiererischer Duktus eignet der empiristischen, gemäßigten Tradition der englischen Aufklärung: View of the progress of society in Europe von William Roberton aus dem Jahr 1769 und Decline and fall of the Roman Empire von Edward Gibbon aus dem Jahr 1788 stellen die Kreuzzüge in den Kontext der Geschichte des Westens und der regen Beziehungen des Mittelmeerraums mit dem Orient.

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Vendée-Aufständische, Sanfedisten und andere »Kreuzzügler« In seiner damnatio memoriae des Mittelalters ironisierte Voltaire nicht nur die Unwissenheit, die Barbarei und den Aberglauben der finsteren Jahrhunderte, sondern stellte auch die höfische Geschichtsschreibung unter Ludwig XIV. – die scholastische, akademische Geschichtsschreibung seiner Zeit  – infrage. Dieser setzte er eine andere Geschichtsschreibung entgegen, die die kollektiven Gärungsprozesse, das Alltagsleben, die wirtschaftlichen Kräfte und grundlegenden Entwicklungen in den Vordergrund rücken sollte. In seinen für die Ideengeschichte des zeitgenössischen Europas fundamentalen Schriften tritt der Zusammenhang zwischen Kreuzzug und Fanatismus deutlich hervor. Voltaires Beschreibung der Volksmassen des ersten Kreuzzugs – jener Horden, die an den Massakern an den jüdischen Gemeinden des Rheintals im Frühjahr 1095 beteiligt waren oder dem Aufruf Bernhards von Clairvaux folgten, der sich damit brüstete, den Abschaum Europas auf den Weg nach Jerusalem geschickt zu haben – ist eine Anklage gegen die Kreuzzüge als ein Sammelbecken für die schlimmsten Verbrechen Europas. Diese Deutung machte sich wenige Jahre später der Konvent der Jakobiner zu eigen und verurteilte unter Verweis auf Voltaire das Verhalten der Aufständischen in der Vendée. Unterdessen hatte sich allerdings auch die Gleichsetzung von Kreuzzug und Heiligem Krieg – im Sinne eines gerechten und notwendigen Glaubenskriegs gegen den Feind – Bahn gebrochen. Und so betrachteten umgekehrt die VendéeAufständischen die Jakobiner als die wahren Glaubensfeinde, die sie für schlimmer erachteten als die Ungläubigen. Die aus der Französischen Revolution hervorgegangene antiklerikale, antikirchliche und antikatholische Kultur drückte den Kriegen in der Vendée den Stempel der croisade auf. Damit löste sich die Kreuzzugsidee aus ihrem bisherigen Kontext als Abwehrkampf gegen die Türken und konnte nach Bedarf umgewidmet werden. Dies geschah in der Vendée ebenso wie in anderen Teilen Europas, beispielsweise im katholischen Italien: von den Erhebungen in der Romagna, den Marken und den Abruzzen über den von Andreas Hofer angeführten Tiroler Volksaufstand und die toskanische »Viva Maria« bis hin zu den Sanfedisten im Königreich Neapel. Dies waren allesamt Aufstände, deren Symbolik an diejenige der antitürkischen Propaganda erinnerte. Ein exemplarischer Protagonist der Geschehnisse war Kardinal Fabrizio Ruffo, ein Freund Pius’ VII., der später Napoleon

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Bildnis Voltaires, Kupferstich aus dem 19. Jh.

nahestand und von diesem in die Ehrenlegion aufgenommen wurde. Ruffo stellte sich an die Spitze eines Heeres des Heiligen Glaubens (Esercito della Santa Fede), das 1799 zum Zusammenbruch der Neapolitanischen Republik beitrug. Der Aufruf von Palmi enthält Formulierungen, wie sie traditionell ganz ähnlich in den päpstlichen Kreuzzugsaufrufen Verwendung fanden: »Brave und wackere Kalabresen, werdet ihr so viel Unrecht erdulden? Tapfere Soldaten einer verratenen Armee [...] sammelt euch unter dem Banner des heiligen Kreuzes und unseres

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geliebten Souveräns [...] Die Fahne des heiligen Kreuzes garantiert uns den vollkommenen Sieg.« Es ist nicht sicher, ob die Aufständischen in der Vendée und die Sanfedisten tatsächlich Kreuzzüge im engeren Sinn des Wortes führen wollten. Die Jakobiner waren jedenfalls davon überzeugt, sahen sie doch im Fanatismus das gemeinsame Merkmal beider Bewegungen. Auffallend ist insbesondere die Verwendung einer identischen Symbolik. Dieselbe Begriffswahl finden wir später auch bei anderen Gelegenheiten: bei der Verteidigung des päpstlichen Roms unter Pius IX.; im 20. Jahrhundert in Mexiko bei der von den cristeros geführten Aufstandsbewegung, der cristiada gegen das freimaurerische Regime von Präsident Plutarco Elías Calles; in Spanien in den Karlistenkriegen, wo cruzada als Heiliger Krieg gegen die (liberale, libertäre oder marxistische) Säkularisierung der Gesellschaft verstanden wurde; und sogar noch im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939. Unmittelbar nach dem Ende des Bürgerkriegs verdrängte Francisco Franco nach und nach die »alte Garde« der Einheitspartei Falange, indem er zum einen deren Verschmelzung mit der traditionalistischen monarchischen Bewegung (den Karlisten) erzwang und zum anderen deren Elite enthauptete. Einen Teil davon schickte er mit der Divisíon Azul in den (freiwilligen) Tod nach Russland in einen Krieg, der als Fortsetzung der »cruzada gegen den Bolschewismus« betrachtet wurde. Auch im Zweiten Weltkrieg begegnet der Kreuzzugsgedanke: in der Propaganda der Achsenmächte, die den Überfall auf Sowjetrussland 1941 als einen Kreuzzug darstellte, aber auch in der angloamerikanischen Propaganda, die den Begriff auf den Kampf gegen den Antichrist Hitler münzte. Man denke nur an Dwight D. Eisenhowers 1948 erschienenes Buch Crusade in Europe. Zwischen dem 18. und 20. Jahrhundert entstand eine regelrechte »Kreuzzugsideologie« und, allgemein gesprochen, eine Vorstellungswelt, die vor allem rhetorischen Zielen diente, mit den historischen Kreuzzügen jedoch wenig zu tun hatte. Die Verwendung von mit dem Kreuz geschmückten Fahnen, von geweihten Skapulieren etc. war keine Wiederaufnahme der Kreuzzugstradition, aus dem einfachen Grund, dass diese Tradition längst in Vergessenheit geraten war. Auch Kardinal Ruffo hatte nicht die Kreuzzüge der Vergangenheit im Sinn, denen gegenüber er vermutlich ähnliche Gefühle hegte wie Voltaire. Er bediente sich vielmehr eines Symbols, das bis in die konstantinische Zeit zurückreichte: des Kreuzes aus dem Traum des Kaisers vor der Schlacht an der Milvischen Brücke und jenes Kreuzes, das mit der von Helena in Jerusalem aufgefundenen Reliquie verbunden war.

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Das kriegerische und loyalistische Christentum des Kardinals war zutiefst konstantinisch geprägt und lieferte zugleich die Begründung für die Rückkehr seines Königs nach Neapel. Kurzum: Die Vendée-Aufständischen, die Sanfedisten, die päpstlichen Zuaven, die cristeros, die Franquisten, die Antibolschewisten und die Exporteure der Freiheit – sie alle nutzten für ihren Kampf die Sprache der Kreuzzüge mit ihrer enormen Prägnanz und kommunikativen Effizienz. Während man bei den Erstgenannten an der grundsätzlichen Aufrichtigkeit ihrer Geste nicht zweifeln kann, so wird um die Mitte des 20. Jahrhunderts offenkundig, dass die Kreuzzugsidee von Staatsmännern instrumentalisiert wurde, die sich nicht selten bis an den Rand der Lächerlichkeit als Kreuzfahrer präsentierten, um der Welt eine neue Ordnung aufzuzwingen.

Eine neue Blüte Nach der Französischen Revolution blühte das historiographische Interesse an der Materie neu auf, was durch klare propagandistische Absichten begünstigt wurde. Im Mai 1798 stach General Napoleon Bonaparte an der Spitze seiner Orientarmee von Toulon aus in See, um dem britischen Indienhandel einen Riegel vorzuschieben. Am 1. Juli landete er in Ägypten und eroberte einen Tag später Alexandria. Von Februar bis Mai 1799 kämpfte er zwischen Palästina und Syrien. In Jaffa ließ er 3000 Gefangene samt ihren Familien kaltblütig niedermetzeln, widerstand aber in der Küstenstadt tapfer der Pest. In Akkon jedoch wurde er von der osmanischen Verteidigung und der englischen Flotte aufgehalten, die ihn auf dem offenen Meer erwartete. Bis nach Jerusalem hatte es über ein halbes Jahrtausend zuvor auch Ludwig der Heilige nicht geschafft. Der junge General nun, der von seiner Regierung offenkundig unterschätzt worden war, machte aus seinen großartigen Plänen keinen Hehl: Am 2. Juli erging eine Proklamation an die Ägypter, die die jakobinischen Ideale der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit mit einem Aufruf im Namen des »wahren Islams« verknüpfte. Napoleon träumte davon, von Alexandria aus den Orient zu beherrschen, Persien und Indien gegen die Russen und Engländer zu mobilisieren, die Ideen der Französischen Revolution zu verbreiten und den Ruhm der Gesta Dei per Francos für sich einzufordern. Über den Islam wusste der Neunundzwanzigjährige wohl eher wenig, aber er hatte hervorragende Berater und besaß ein außerordentliches Gespür für die jeweilige Situa-

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tion, in der er sich befand. In Jaffa besuchte er beispielsweise die Pestkranken und ahmte den sakralen Akt des Handauflegens nach, den wundertätige Könige einst vollzogen hatten. Sultan Selim III. seinerseits konnte seinen neuen englischen, russischen und österreichischen »Beschützern« nicht trauen. Sie hatten zwar ein gemeinsames Interesse daran, dem revolutionären Frankreich den Weg zur Hegemonie im Mittelmeer zu versperren, waren aber fest entschlossen, mit oder ohne Frankreich am reich gedeckten Tisch des Orients Platz zu nehmen. Dann würden sie sich einverleiben, was von einem Reich noch übrig war, dessen Grenzen noch wenige Jahrzehnte zuvor von der Donau bis zum Tigris und von der Wolga bis an den Oberlauf des Nils gereicht hatten. Im Juni 1802 erklärte sich der osmanische Großherr – keineswegs mit Missbehagen – bereit, dem Frieden von Amiens beizutreten. Napoleon, der sich am 2. Dezember 1804 zum Kaiser der Franzosen krönte, betrieb gegenüber der Hohen Pforte zweifellos eine ambivalente, von einer gewissen Sympathie geprägte Politik, die nicht nur von der Realpolitik oder von Zynismus geprägt war. Für den Orientalismus war er schon als junger Mann empfänglich gewesen. Er hatte die Histoire des arabes von François Augier de Marigny gelesen und liebte die Voyage en Égypte et en Syrie und die Considérations sur la guerre actuelle des turcs, beides Werke von Constantin-François de Chassebœuf, Graf von Volney, die 1787 beziehungsweise 1788 erschienen waren. Mit Goethe soll er über Voltaires Mahomet diskutiert und dabei Partei für den Propheten ergriffen haben. Sein Interesse am Islam schloss eine Wertschätzung der Kreuzzüge, für die die napoleonische Propaganda jetzt erneut den französischen Primat forderte, jedoch keineswegs aus. Dabei berief man sich auf den heiligen Ludwig, wurde aber von der wissenschaftlichen Geschichtsschreibung unterstützt und durch Quellen aus erster Hand bestärkt; die Orientalismusmode tat ein Übriges. Die Kreuzzüge – angesiedelt zwischen Feudalismus und einer sozialen Erneuerung, die aus der Wiedergeburt der städtischen Kultur folgte  – waren schon von Robertson und Gibbon als das zentrale Phänomen des Mittelalters betrachtet worden. Der Mystizismus und die dunkle religiöse Gefühlswelt der bewaffneten Pilger waren mehr als ausreichend, um die Faszination der Romantiker zu wecken. Diese Faszination speiste sich aus ästhetischen und spiritualistischen Vorlieben, aber auch aus dem Historismus, der zwar noch in seinen Anfängen steckte, aber den von Geburt italienischen, intellektuell aber europäischen Dichter Ugo Foscolo bereits sagen ließ: »Europa besitzt in seiner Geschichte keine andere Epoche, die an Be-

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deutung der Epoche der Kreuzzüge gleichkommt. Ohne diese Heiligen Kriege wäre das Menschengeschlecht vielleicht bis heute in den tiefsten Abgrund der Knechtschaft und der Barbarei herabgewürdigt.« Befördert durch ein verändertes politisches Klima und den Wiederaufschwung religiöser, monarchischer und allgemein nichtrevolutionärer Themen, die Napoleon selbst bevorzugte, entstand im ersten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Untersuchungen zu den Kreuzzügen. Obwohl selbst ein Erbe des Jakobinismus und ein ehemaliger Anhänger Robespierres, zeigte sich Napoleon in der Tat sehr empfänglich für eine fast schon reaktionär zu nennende Thematik. Doch wovon handelten all diese Schriften, die nun erneut den Kreuzzügen gewidmet wurden? Im Wesentlichen von den positiven Folgen der Kreuzzugsbewegung für die europäische Kultur: dem Zuwachs an Freiheit, der Wiedergeburt der städtischen Gesellschaft, dem Wiederaufschwung von Handel und Gewerbe, dem Beitrag der byzantinischen und islamischen Kultur zur christlichabendländischen. Die kulturelle Einstellung begann sich zu wandeln, wie es ein von der Abteilung für Geschichte und antike Literatur am Institut de France ausgeschriebener Wettbewerb dokumentiert. Untersucht werden sollte »der Einfluss der Kreuzzüge auf die bürgerliche Freiheit der Völker Europas, auf ihre Zivilisation und auf die Entwicklung der Aufklärung, des Handels und des Gewerbes«. Das Institut stellte regelmäßig solche Preisfragen zu historischen Ereignissen, die als grundlegend für die Geschichte der Menschheit betrachtet wurden. Gewinner war in diesem Fall der Essai sur l’influence des croisades von A. H. L. Heeren, der im Original (unter dem Titel Versuch einer Entwickelung der Folgen der Kreuzzüge für Europa) auf Deutsch geschrieben war, jedoch 1808 von Charles de Villers, Mitglied der Königlichen Akademie der Wissenschaften in Göttingen und ein bedeutender Kant-Übersetzer, ins Französische übertragen und der Akademie vorgelegt wurde. Die Einleitung fasst zusammen, was man damals über die Kreuzzüge dachte. Der Autor würdigt deren Bedeutung als ein geschichtliches Faktum und unternimmt sodann den Versuch, die Wesenszüge dieser von Fanatismus diktierten Bewegung mit ihren positiven Folgen in Einklang zu bringen. Das Problem hatte Robertson in seiner History of the Reign of the Emperor Charles V von 1769 dadurch zu lösen versucht, dass er einen fundamentalen Unterschied zwischen den Zielen der Kreuzzüge und deren faktischen Ergebnissen konstatierte. Heeren greift diesen Gedanken auf und stellt den Kreuzzügen andere Ereignisse an die Seite – die Reformation, die Entdeckung der Neuen Welt, die Erfindung

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Antoine-Jean Gros, Die Schlacht bei den Pyramiden, 21. Juli 1798, 1810, Schloss Versailles.

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des Schießpulvers und des Papiers –, die aus seiner Sicht den Lauf der Geschichte tiefgreifend verändert haben und Meilensteine auf dem Weg des Fortschritts der Menschheit darstellen. Ihm zufolge begünstigte das Scheitern der Kreuzzüge eher zufällig das Erreichen wichtiger Ziele, indem sie eine Entwicklung in Gang setzten, die ausschlaggebend war für den Fortschritt der Kultur und der wirtschaftlichen Aktivitäten, für den Anfang vom Ende des Feudalismus und den Aufschwung der städtischen Kultur. Heerens Ausführungen folgen also einem Schema, bei dem schlechte Absichten durch gute Resultate ausgeglichen werden. Dabei nimmt er seine Zuflucht zum »glücklichen Zufall«, der alle Diskrepanzen löst und der versöhnt, was rational und theoretisch nicht zu versöhnen ist.

Das romantische Gesicht der Kreuzzüge Die monumentale Geschichte der Kreuzzüge von Friedrich Wilken, die zwischen 1807 und 1832 in sieben Bänden erschien und streng auf Quellen beruht, hatte den für ihre Epoche seltenen Vorzug, sich nicht mit theoretischen Problemen aufzuhalten, sondern den Fakten breiten Raum zu geben. Doch ein anderes Werk rief die ungleich größere Begeisterung der romantischen Kreuzzugsliebhaber hervor: die bereits erwähnte, 1817 erschienene Histoire des croisades von Joseph-François Michaud. Bis 1856 brachte sie es auf neun Auflagen, wurde von Gustave Doré illustriert und in viele europäische Sprachen übersetzt und trug so zur Ausprägung einer Vorstellungswelt bei, die große Verbreitung fand. Michaud ließ Voltaire, Robertson und Gibbon mehr oder weniger außer Acht und betrachtete das Phänomen der Kreuzzüge erneut in seiner religiös-konfessionellen Dimension. Er gab mystischen Impulsen nach und hielt sich oft mit Bildern und Phantasien auf, die nur eine geringe oder gar keine historische Grundlage hatten. Doch die Histoire ist weit weniger arglos, als man denken könnte. Michaud wollte ein Werk schaffen, das propagandistisch seinem politischen Anliegen diente: der Restauration und der bourbonischen Monarchie. Es war auch Michaud, auf den die offizielle Zählung von sieben oder acht Kreuzzügen zurückgeht, indem er das Phänomen auf die Kriege im Heiligen Land beschränkte, den in Spanien und in der Zeit nach Ludwig dem Heiligen geführten Kreuzzügen wenig Raum gab und den Kreuzzug als Instrument gegen andere als muslimische Gegner unberücksichtigt ließ. Es handelt sich jedenfalls um ein quellenmäßig gut belegtes Werk. In der vierbändigen

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Bibliothèque des croisades stellte Michaud erstmals die Frage nach der Bedeutung orientalischer Quellen. Zusammen mit seinem Lieblingsschüler Jean Joseph François Poujolat machte er sich schließlich selbst auf den Weg nach Outremer und besuchte die Orte, über die er so viel geschrieben hatte, um – fast als wollte er nach alter Kreuzzugsmanier ein Gelübde einlösen – seine Tätigkeit als Historiker abzuschließen, die er mit Hingabe und Würde erfüllt hatte. Bereits 1802 hatte François-René de Chateaubriands Génie du christianisme ein positives Echo gefunden. 1811, noch vor dem Ende des Kaiserreichs, reiste Chateaubriand – damit der voyage des 18. Jahrhunderts, aber auch der traditionellen christlichen Pilgerreise entsprechend – nach Jerusalem. In seinem berühmten Tagebuch dieser Reise feierte er die Versöhnung der christlich-französischen Tradition mit der neuen Macht, die aus der Französischen Revolution und besonders dem 18. Brumaire hervorgegangen war. Das geschah im Geist der Kathedralen, aber auch der Kreuzzugsepen und ihres herausragenden Vertreters Torquato Tasso. Ein paar Jahre später, 1825, verherrlichte Walter Scott mit seinem Roman Der Talisman den Heroismus des christlichen Mittelalters in der Figur eines Richard Löwenherz, der großmütige Züge trägt. Die Begegnung zwischen dem Christentum und dem Islam wurde nun nicht mehr im Licht der Verständigung, des Respekts und der Toleranz gesehen, sondern im Bewusstsein des gemeinsamen Glaubens an den Gott Abrahams und einer ritterlichen Waffenbrüderschaft, die weit über den einander bekämpfenden Lagern stand. Die von Voltaire im Namen der Vernunft und Toleranz verurteilten Kreuzzüge waren also ein Schlüssel zum Verständnis einer neuen Epoche der europäischen Kultur geworden.

Das Risorgimento der Kreuzzüge In den Kreuzzügen fanden die Romantiker all das, was sie am meisten liebten: das Mittelalter, Heroismus, archaische Religiosität, Exotismus, Geheimnis, das im volkstümlichen Bewusstsein lebendige Irrationale, Lokalkolorit. In Italien begegnen diese Elemente im Versepos I Lombardi alla prima crociata von Tommaso Grossi, das 1826 in Mailand erschien. Bereits 1821 hatte Alessandro Manzoni an Claude Fauriel geschrieben, Grossi habe »Studien zu einem Gedicht eines in Italien neuen Genres begonnen« in der Absicht, »mit dem Mittel einer von ihm erfundenen Fabel das Bild einer Epoche zu zeichnen, fast wie in Ivanhoe«. Der

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Freund, fuhr Manzoni fort, sei bereits beim »zweiten Gesang des poetischen Romans über die Kreuzzüge« angekommen. Das in fünfzehn Gesänge gegliederte Werk mit insgesamt 1205 Strophen orientiert sich formal an Grossis früherem Versepos Ildegonda über ein Mädchen, das sich ihrem Geliebten auf dem Kreuzzug ins Heilige Land anschließen will. Trotz der Verrisse von De Sanctis und Carducci erfreuten sich Die Lombarden auf dem ersten Kreuzzug vor allem in volkstümlichen Kreisen großer Beliebtheit: In den Monaten nach der Veröffentlichung wurden mehr als 3500 Exemplare verkauft, eine der höchsten Auflagen der damaligen Zeit. Temistocle Solera verfasste auf der Grundlage von Grossis Dichtung das Libretto für die gleichnamige Oper von Giuseppe Verdi, die 1843 in der Mailänder Scala uraufgeführt wurde. Der Stoff spiegelte perfekt den Geist der Zeit. Während in Europa die Sicht auf die Kreuzzüge üblicherweise von dem Bestreben geprägt war, die Unterschiede zwischen Orient und Okzident herauszuarbeiten, war sie in Italien mit dem Nachdenken über die Stadtstaaten verbunden, eine Besonderheit in der Geschichte der Halbinsel. Der Schweizer Simonde de Sismondi – ein Anhänger Rousseaus und aufmerksamer Kenner Robertsons, der mystischen Anwandlungen, besonders wenn sie katholisch geprägt waren, ebenso abgeneigt war wie poetischen Höhenflügen – unterstrich in einer scharfsinnigen, auf Fakten beruhenden Studie die positive Rolle der Kreuzzüge für die Entstehung der Seerepubliken. Carlo Troya wiederum betrachtete in seiner zwischen 1839 und 1855 erschienenen Storia d’Italia del medio evo die Kreuzzugsbewegung im Hinblick auf die Seerepubliken aus stark nationalistischer Perspektive, während Cesare Cantù im zehnten Band seiner 1842 in Turin erschienenen Storia universale die christlichen Ideale der Kreuzzüge erörterte. Seiner Meinung nach hatten die Kreuzzüge im Laufe der Jahrhunderte nicht nur Gelegenheit zum Kampf geboten, sondern auch zur Begegnung und zu einem fruchtbaren kulturellen Austausch. Als ein Synonym für Fanatismus und Kulturlosigkeit hingegen betrachtete Vincenzo Gioberti das Kreuzzugsphänomen in seinem 1843 in Brüssel erschienen Werk Del primato morale e civile degli italiani. Gioberti, der Ariost gegenüber Tasso stets den Vorzug gab, bewertete die Kreuzzüge mit äußerster Schärfe als Ausdruck einer geradezu heidnischen, wenig entwickelten Zivilisationsstufe; im Zuge des Fortschritts und der Christianisierung des sozialen Lebens seien sie zum Untergang verurteilt. Tiefgreifendere Überlegungen finden sich bei Cesare Balbo, nicht nur in seinen Pensieri sulla storia d’Italia, sondern auch im Sommario della storia d’Italia,

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geschrieben 1846/47 für die Enciclopedia popolare von Pomba und Predari. Das Werk durchziehen Fragen nach der Unabhängigkeit Italiens von ausländischen Mächten und nach dem Einklang zwischen Katholizismus und modernen Fortschrittsideen. Balbo wandte sich gegen die damals weit verbreitete Idee, das einigende Moment der italienischen Geschichte sei der Aufstieg der Kommunen; auch die Kreuzzüge hätten trotz massiver italienischer Beteiligung die Einigung Italiens nicht begünstigt. Die Städte der italienischen Halbinsel, so betonte Balbo, seien unabhängig von den Kreuzzügen entstanden und verfügten bereits zur Zeit des ersten Kreuzzugs über eine lange Geschichte der internationalen Beziehungen und der Kontakte zur mittelmeerischen Welt. Eine eigenwillige Position vertrat Giuseppe Ferrari in seiner Histoire des révolutions d’Italie, ou Guelfes et Gibelins, erschienen 1858 in Paris. Vor dem Hintergrund seiner Sympathien für Sozialismus und Populismus sah er in den Kreuzzügen eine Weiterführung jener »Revolutionen«, die dazu beigetragen hatten, dass Italien nach einer Epoche der imperialen Knechtschaft seine Freiheit erlangte. Die Kreuzzüge brachten somit jene vier sozialen Kategorien zum Ausdruck, die die neue kommunale Gesellschaft konstituierten: die moltitudine (bei ihm verstanden als eine Art Proletariat), das Volk (das produktive Bürgertum), die Konsuln und der Klerus. Ferrari bewertete die Kreuzzüge positiv als einen Versuch, den aus der urbanen Revolution des 11. Jahrhunderts hervorgegangenen Fortschritt auf der ganzen Welt zu verbreiten. Betrachten wir nun das 1872 in Bologna erschienene Werk des Livornesen Carlo Claudio Camillo Guarmani. Er war ein guter Kenner der arabischen Welt, die er ausgiebig bereiste mit dem erklärten Ziel, Pferde für General Fleury, den Adjutanten Napoleons III., und für Vittorio Emanuele II. aufzutreiben. Für sein Werk wählte er den vielsagenden Titel Gl’Italiani in Terrasanta. Es handelt sich um die erste umfassende Arbeit zu den Kreuzzügen seit der von Negri mehr als ein Jahrhundert zuvor, dessen Werk trotz bester Absichten ohne kritische Methode konzipiert war. Das gilt zumindest dann, wenn man die allgemein historischen Darstellungen zur Geschichte Europas und Italiens, zu den Seerepubliken und der Wirtschaft ausklammert, die der Kreuzzugsthematik zumeist nur ein paar hastig hingeworfene Seiten widmen. Der Ton bei Guarmani ist stark patriotisch, zuweilen apologetisch, wie schon die 1867 in Jerusalem geschriebene Einleitung zeigt:

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Der Ruhm unserer Vorfahren im Land der Wiedererstehung des Menschen (umano risorgimento) wird von unwissenden, schlecht informierten oder böswilligen Autoren häufig verschwiegen, getrübt, geschmälert oder herabgewürdigt; sie erheben den Anspruch, diesen Ruhm mit historischer Unparteilichkeit und gesunder Kritik zu betrachten. Wenn ich hier darlege, welchen Dienst die Italiener den Christen Palästinas vor, während und nach den Kreuzzügen erwiesen haben, reagiere ich damit auf die systematischen Verleumdungen, auf jene, die deren Fahne besudelt haben, kühn geworden durch das Schweigen, die Laxheit der Beleidigten [...] Möge Italien ohne Hass wieder erwachen, wenn es meine Stimme hört; möge es, eingedenk der Vergangenheit, sein Denken auf den Schauplatz der Heldentaten richten, die Italien in der glänzendsten Zeit des Mittelalters an die Spitze der Völker gestellt haben; auf das Land, das die Gebeine vieler Tausend seiner Helden birgt, die zur Befreiung des Heiligen Grabes geeilt sind. Es handelt sich darum, Rechte einzufordern, die durch Blut und Geld erworben wurden. Warum auf sie verzichten, wenn sie das nationale Ansehen mehren und dazu beitragen können, den Zustand der Heiligen Stadt zu verbessern und jenen Steinen mehr Glanz zu verleihen, die an die bemerkenswertesten Ereignisse im Leben des Erlösers erinnern, der durch die Dankbarkeit der beschenkten Menschheit vergöttlicht wurde. Für uns sind nun die unheilvollen Jahre der Sklaverei vorüber. Italien ist frei. Das Werk vereint sehr unterschiedliches Material: Überlegungen zu Tassos Versepos ebenso wie (methodisch fragwürdige) Transkriptionen von Dokumenten, die vielfach die franziskanische Kustodie des Heiligen Landes betreffen, oder lange Namenslisten etwa der venezianischen Konsuln in Syrien. Es besteht aus zwei Teilen, deren erster sich den Beziehungen zwischen den Italienern und Syrien-Palästina widmet und dabei ausführlich die Ritterorden behandelt. Im zweiten Teil geht es um die Präsenz der Franziskaner am Heiligen Grab. Guarmanis Arbeit hat viel dem großen Fleiß zu verdanken, mit dem die Deputazioni di Storia Patria die Edition und Katalogisierung der historischen Quellen vorantrieben. Allen voran ist die genuesische Deputazione zu nennen, die erste in Italien von Privatpersonen gegründete (»ohne Unterstützung durch Mächtige«, wie einer der Gründer es formulierte) historische Gesellschaft überhaupt. Ihre Tätigkeit begann 1858/59 mit der Herausgabe von De liberatione civitatum

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Orientis, worin der Chronist Caffaro di Caschifellone über den ersten Kreuzzug berichtet. Diese Wahl begründet der Herausgeber Francesco Ansaldo folgendermaßen: Es wäre überflüssig, sich lange mit der historischen Bedeutung [des Werks] aufzuhalten. Der sachkundige Leser wird sie von selbst erkennen [...] Im Fehlen italienischer Autoren liegt der Grund dafür, dass das Verdienst der Kreuzzüge fast ausschließlich den Franzosen zugeschrieben wurde. »Es ist an der Zeit, hier Abhilfe zu schaffen«, schreibt Cesare Balbo in seinen Pensieri sulla storia d’Italia. Tatsächlich sind sie [die Kreuzzüge] in großen Teilen nichts anderes als die Fortführung und Ergänzung der von den Italienern im Verlauf des gesamten 11. Jahrhunderts gegen die Sarazenen im Mittelmeer geführten Kriege, in denen sich bereits der wahre Charakter der nachfolgenden Kreuzzüge zeigt, etwa der von Papst Viktor III. 1087 ausgerufene Kreuzzug gegen die Sarazenen in Afrika. Während des Pontifikats Pius’ IX. wurde immer häufiger auf die Kreuzzüge Bezug genommen, besonders anlässlich der Einverleibung Roms in das Königreich Italien am 20. September 1870. Am Abend zuvor hatten die Freiwilligen des Papstes  – mehr als 13 000 Mann aus siebenundzwanzig Ländern, die meisten von ihnen freilich Italiener und Römer – die Beichte abgelegt, die Sterbesakramente und die Letzte Ölung erhalten und sich als Kreuzzugs-Neulinge ein rotes Kreuz auf die Brust geheftet. Einigen Zeugen zufolge stimmten die päpstlichen Zuaven noch kurz vor der Kapitulation einen Schlachtgesang aus der Vendée an, der auf die Kreuzzüge anspielte. Ein paar Jahre später, am 19. Dezember 1899, eröffnete Papst Leo XIII. das 22. Heilige Jahr der katholischen Christenheit. Sich selbst betrachtete er als einen (freiwilligen) Gefangenen des Königreichs Italien, dessen Hauptstadt seit nunmehr dreißig Jahren Rom war. Die Pilger wurden auf Kosten des Heiligen Stuhls in der Nähe der päpstlichen Paläste untergebracht, und im Hof des Belvedere wurde ein Refektorium eingerichtet. Man sprach von rund 300 000 Pilgern, eine zweifellos gewaltige Zahl. Rechnet man die kleinen, privat organisierten Gruppen dazu, waren es wahrscheinlich doppelt so viele. Die Zahl derer, die am 24. Mai an der Kanonisierung der heiligen Rita von Cascia und der Einweihung von Sant’Anselmo auf dem Aventin teilnahmen, war jedenfalls enorm. Dennoch taten die säkulare Öffentlichkeit und deren damals wichtigste »Garan-

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ten«, die Freimaurer, alles, um das Ereignis zu kriminalisieren, herunterzuspielen und lächerlich zu machen. Ernesto Nathan, der Bürgermeister von Rom, auch er ein Freimaurer, kündigte für den 20. September eine säkulare Gegenveranstaltung an, die den Besuch der vier weltlichen »Heiligtümer« Roms vorsah: des Pantheons, des Gianicolo, der Porta Pia und des Kapitols. Und doch brachte ein nicht gläubiger, den Freimaurerkreisen nahestehender Dichter wie Giovanni Pascoli in seinem von unverstellter Ergriffenheit geprägten Gedicht La Porta Santa sein Staunen über das Schauspiel des Glaubens zum Ausdruck.

Die Société de l’Orient latin In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, zur Zeit der Kolonialfeldzüge, war in Frankreich die Kreuzzugsthematik angesagter als jemals zuvor. 1844 begann die Académie des Inscriptions et Belles-Lettres damit, eine Sammlung aller grundlegenden chronikalischen Quellen zu den Kreuzzügen herauszugeben, den Re­cueil des historiens des croisades. Den Anstoß zu diesem Projekt, dessen letzter Band im Jahr 1906 erschien, gab die großzügige finanzielle Unterstützung durch Napoleon III., der darin ein für seine Orientpolitik wichtiges Propagandawerkzeug erkannte. Die Geschichte der Kreuzzüge wurde nicht mehr auf rein politisch-militärische Aspekte beschränkt, sondern beinhaltete jetzt auch Fragen zur Geschichte des Orients, zu Religion, Recht, Wirtschaft und Kultur. Mit Blick auf ein solcherart konzipiertes Unternehmen wurde 1875 die Société de l’Orient latin von einem einzelnen Gelehrten gegründet: Paul Édouard Didier Riant. Bekannt wurde er als Comte Riant, nachdem Papst Pius IX. ihn 1864 für seine Forschungen zu den skandinavischen Kreuzzügen zum comes Romanus ernannt hatte. Zu den Mitgliedern der Gesellschaft zählten zahlreiche namhafte Persönlichkeiten der wissenschaftlichen Historiographie jener Zeit. In den Jahren 1881 und 1884 wurden zwei Nummern der Archives de l’Orient latin mit Untersuchungen und Quelleneditionen veröffentlicht, die auch der Archäologie, der Siegel- und der Münzkunde Raum gaben. Riant war ein unermüdlicher Anreger und wagemutiger Financier, der ganz allein eine Bibliothek von rund 40 000 Bänden auf die Beine stellte, die sich thematisch den Kreuzzügen, der Pilgerreise und dem Orient widmete. Er starb 1888, doch die Revue de l’Orient latin, deren erste Nummer im Jahr 1893 erschien (gefolgt von weiteren elf), kann gleichfalls als sein Werk betrachtet werden.

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In Deutschland blieb Wilkens Stimme nicht ungehört. Das Interesse an seiner Geschichte der Kreuzzüge wurde begleitet von der Entwicklung der kritischen Methode. Der Ranke-Schüler Heinrich von Sybel, Verfasser einer Geschichte des ersten Kreuzzugs, hielt sich nicht mit theoretischer Polemik auf, sondern sichtete alle Quellen und begann Wilhelm von Tyrus vom Sockel zu stoßen, indem er dessen Abhängigkeit von der Chronik Alberts von Aachen nachwies, die gleichfalls keine Quelle aus erster Hand war. Die Kritik der Werke einiger Augenzeugen – Raimund von Aguilers, Pierre de Tudebode, Raoul von Caen, Fulcher von Chartres und Ekkehard von Aura – nahm denn auch den ersten Teil seiner Arbeit ein; im zweiten Teil behandelte er (mit nicht minder strenger Methodik) Fakten, Mythen und Legenden. Auch die Geschichte der Kreuzzüge von Bernhard Kugler, erschienen 1880, basiert auf strenger Quellenkritik, schmälert jedoch die Bedeutung der Kreuzzugsbewegung als eines geradezu revolutionären Phänomens beträchtlich. Insgesamt ist seine Kreuzzugsgeschichte ein gutes Nachschlagewerk, leistet jedoch keinen innovativen Beitrag zur Kreuzzugsforschung. Die 1883 erschienene Kulturgeschichte der Kreuzzüge von Hans Prutz versucht, nicht so sehr die Ereignisgeschichte der Kreuzzüge, sondern das Klima und die Verfasstheit der Zivilgesellschaft in den aus den Kreuzzügen hervorgegangenen fränkisch-syrischen Fürstentümern zu rekonstruieren. Reinhold Röhricht wiederum ist der Verfasser einer gut lesbaren, kompakten Geschichte der Kreuzzüge mit einem nicht so sehr wirtschaftlichen oder religiösen, sondern mehr politischen Schwerpunkt, womit er von den Interessen seiner Zeitgenossen weit entfernt ist. Doch er ist wissenschaftlich in der Auswertung der Quellen und präzise in der Wiedergabe der Fakten. Seine zwischen 1893 und 1904 erschienenen Regesta regni Hierosolymitani bilden das dokumentarische Rückgrat seiner Kreuzzugsgeschichte und sind von bleibendem Wert.

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Kapitel einundzwanzig

Das Mittelmeer der Gegensätze Der kranke Mann am Bosporus Die kritische Erforschung der Kreuzzüge vollzog sich zeitgleich mit dem Niedergang des Osmanischen Reichs. Es war unübersehbar, dass die Hohe Pforte ein »kranker Mann« war, an dessen Bett sich habgierige Ärzte versammelt hatten, die nur auf den Eintritt des Todes warteten, um die Beute unter sich aufzuteilen. Doch woran der Patient litt und wann sein Siechtum begonnen hatte, ließ sich nicht so leicht sagen. Trotz der österreichisch-türkischen und russisch-türkischen Kriege auf der Balkanhalbinsel und im Norden des Schwarzen Meeres im 18. Jahrhundert waren die Osmanen mit Molières Bürger als Edelmann, der Kaffee- und der Türkenmode, Voltaires Schmähschriften und Mozarts Entführung aus dem Se­ rail zu einer mehr als vertrauten Präsenz geworden. Als später, insbesondere im Zuge des griechischen Befreiungskriegs der 1820er-Jahre, mit einer neuen HellasBegeisterung und dem Neoklassizismus auch die Kreuzzugsrhetorik wieder aufflammte, galten die Osmanen zwar immer noch als eine gefährliche Macht, ja der Ruf ihrer Grausamkeit nahm sogar noch zu. Aber die Europäer dachten nicht mehr im Traum daran, sich vor ihnen zu fürchten. Im Verlauf von zwei, drei Jahrhunderten hatte sich also vieles geändert. Dazu hatte gewiss die gescheiterte osmanische Belagerung Wiens 1683 beigetragen. Sie bildete den Auftakt zu einer Serie von langen Kriegen auf der Balkanhalbinsel und im Donauraum, in der Region nördlich des Schwarzen Meeres, auf der Peloponnes und den Inseln des Ionischen und Ägäischen Meeres, die gegen das Habsburgerreich, das Russische Reich der Romanow und die Republik Venedig geführt wurden. Insgesamt waren es mehr als 35 Jahre fortwährender Kon-

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flikte, nur kurzzeitig unterbrochen durch den Frieden von Karlowitz, der nach langwierigen Verhandlungen durch Vermittlung der Engländer und Niederländer am 26. Januar 1699 zwischen dem Osmanischen Reich und dem römisch-deutschen Reich, Russland und Polen unterzeichnet wurde. Die Feindseligkeiten wurden jedoch unmittelbar danach wieder aufgenommen und verknüpften sich mit dem komplexen Geschehen im Großen Nordischen Krieg und im Spanischen Erbfolgekrieg, bis sie mit dem Frieden von Passarowitz 1718 erneut ein vorübergehendes Ende fanden. Aus diesen langen und qualvollen Jahrzehnten zwischen dem Grand Siècle und dem Siècle des Lumières, der Epoche der Aufklärung, ging das Reich des Sultans – einmal abgesehen von der kurzen lale devri (Tulpenzeit) zwischen 1718 und 1730 – geschwächt hervor, besonders im östlichen Mittelmeerraum. Die Hohe Pforte gewann zwar die Morea zurück, verlor aber einen Großteil ihrer Gebiete im Balkan-Donau-Raum an Österreich und musste sich damit abfinden, dass Asow erneut an Russland fiel, das nun, den Blick auf den Bosporus gerichtet, einen Zugang zum Mittelmeer erstrebte. Doch damit nicht genug: Im Jahr 1711, als der Spanische Erbfolgekrieg zu Ende ging und absehbar war, dass sich mit dem dynastischen Wechsel auf der Iberischen Halbinsel auch das Kräftegleichgewicht in Nordafrika verschieben würde, ernannte sich in Tripolis Ahmed, das Oberhaupt der Karamaniden, zum Dey. Von Istanbul erlangte er die Anerkennung einer Unabhängigkeit, die bis 1835 Bestand haben sollte. Dies waren die ersten Anzeichen für die Zersplitterung des Osmanischen Reichs, auf das nach Österreich und Russland jetzt auch das Königreich Großbritannien ein Auge geworfen hatte. Der Sultan fand Unterstützung bei der französischen Regierung, die 1739 einen Friedensvertrag mit Österreich und Russland vermittelte. Österreich verzichtete auf Nordserbien und Belgrad; Russland musste die Festung Asow schleifen und durfte im Schwarzen Meer keine Flotte unterhalten. Um Frankreich für seine guten Dienste zu belohnen, stimmte die Hohe Pforte am 28. Mai 1740 gegenüber dem Marquis de Villeneuve, der den Frieden von Belgrad vermittelt hatte, einer Erneuerung der sogenannten Kapitulationen zu, die seit dem 16. Jahrhundert der antihabsburgisch geprägten französischosmanischen Freundschaft Ausdruck gaben. Sie bekräftigten insbesondere die Privilegien der unter dem Lilienbanner fahrenden Schiffe auf den Handelsrouten und in den Häfen, die von den Osmanen kontrolliert wurden. Sultan Mahmud I. ging damit – auch im Namen und auf Kosten seiner Nachfolger – Verpflichtungen ein, die auf diplomatischer Ebene den Stellenwert eines echten Vertrags hatten.

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Kapitel einundzwanzig 

Unter anderem garantierte die Hohe Pforte den »fränkischen« Ordensbrüdern, die inner- und außerhalb der Mauern Jerusalems lebten, von nun an Ungestörtheit sowie das Recht zur Instandsetzung der Kirchen, wenn der französische Gesandte offiziell darum ersuchte. Doch das französische Monopol war in Gefahr. Durch den Frieden von Belgrad blockiert, nahm Russland den Faden seiner expansionistischen Pläne wieder auf, indem es wie gewohnt die türkische mit der polnischen Frage verknüpfte (die polnischen Aufständischen, die sich, angefeuert und unterstützt von Frankreich, in Polen gegen die Russen erhoben hatten, flohen in die Türkei, wo sie – als glühende Katholiken – dank der Kapitulationen erneut vom französischen König unterstützt und geschützt wurden). Katharina II. wusste sehr genau um die Bedeutung und das Prestige Frankreichs im Heiligen Land und wollte gegenüber der Hohen Pforte dieselbe Rolle als Schutzmacht der orthodoxen Christen spielen, wie sie der französische König für die Katholiken innehatte. Im Friedensvertrag von Küçük Kaynarca 1774 wurde der Zarin das Recht zugesprochen, die Belange der griechisch-orthodoxen Christen auf den Ägäischen Inseln (die Russland an das Osmanische Reich zurückgeben musste) und der orthodoxen Christen Moldawiens und der Walachei zu vertreten. Sie alle erhielten freien Zugang zu den heiligen Stätten. In anderen, ziemlich unklar formulierten Passagen des Vertrags wurden Russland die gleichen Sonderrechte zugesprochen, die in den Kapitulationen Frankreich und England zugesprochen worden waren: Die Zarin wurde zur Beschützerin der orthodoxen Christen in der gesamten Levante erklärt. Doch der Schutz der Christen im Heiligen Land lieferte auch den Vorwand für die französisch-russischen (und katholisch-orthodoxen) Auseinandersetzungen um den Vorrang der verschiedenen christlichen Gemeinschaften in einem dahindämmernden, halb entvölkerten und verfallenen Jerusalem. Das bedeutete allerdings nicht, dass die Hohe Pforte irgendeine Verhandlungsmacht besaß. 1785 wurde in Istanbul der erste Reformminister Halil Hamid zusammen mit anderen prowestlichen Kräften ermordet und in den Bosporus geworfen. Um den Hals hängte man ihm ein Schild, das ihn als Feind der Scharia und des Reiches verunglimpfte. Dennoch schickte Sultan Selim III. nach seiner Thronbesteigung 1789 junge Männer privilegierter Familien zum Studium in den Westen, eröffnete überall in Europa Gesandtschaften, setzte vorsichtige Reformen in Gang und schuf damit die Grundlagen für einen modernen Staat im westlichen Sinn: ein diszipliniertes Heer, eine verlässliche, gut funktionierende Verwaltung, ein geordnetes

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Finanzwesen, eine durch verbindliche Gesetze geregelte Wirtschaft. Diese Maßnahmen waren überlebenswichtig, wenn das Osmanische Reich nicht vom Westen stranguliert werden wollte. Die Französische Revolution und die Restauration lehrten die Osmanen, dass in Europa die Regime ihr politisches Gesicht verändern konnten, Finanzen, Wirtschaft und Technologie sich jedoch kontinuierlich weiterentwickelten. Der Sieg der Heiligen Allianz über Napoleon und die beiden russisch-türkischen Kriege 1803–1812 und 1828/29 gaben, wie es schien, die Türkei vollkommen in die Hände des Zaren. Die russische Flotte gewann die Hegemonie im Schwarzen Meer und mit der ungehinderten Passage durch die beiden Meerengen auch einen Zugang zum Mittelmeer. Daraufhin verbündeten sich die Franzosen und Engländer gegen Russland, während sie gleichzeitig die Griechen zur Erhebung gegen die Türken ermutigten und – nach der französischen Eroberung Algeriens, die einen weiteren Schlag gegen den »kranken Mann« darstellte – das Experiment Mehmet Alis in Ägypten unterstützten.

Die heiligen Stätten und die »orientalische Frage« 1808 wurde die alte, von der Kuppel der Auferstehungskirche (Grabeskirche) geschützte Heilig-Grab-Ädikula durch ein möglicherweise mutwillig gelegtes Feuer schwer beschädigt. Dies nahmen die Orthodoxen zum Anlass, sie mit finanzieller Unterstützung des russischen Zaren wiederaufzubauen. Beim französischen Staat, der die katholischen Interessen schützen sollte, hatte der Brand wenig Beachtung gefunden, sodass die orthodoxe Welt einen Punkt für sich verbuchen konnte. Später, in einem Schreiben an den Wiener Kongress 1815, verlangte der Zar die Zuerkennung eines Schutzrechts für die orthodoxen Christen des Osmanischen Reichs ähnlich jenem Recht, das die Franzosen für die Katholiken erhalten hatten. Aber weder Österreich noch England beabsichtigten, Russland den Weg zur Hegemonie im Orient zu ebnen. Die Reaktion der russischen Regierung bestand in einer massiven Förderung der Pilgerreisen zu den heiligen Stätten und in der Ansiedlung russisch-orthodoxer Christen in Palästina. Durch dieses russische Engagement verlor die Hierarchie der griechisch-orthodoxen Kirche mit Sitz im Istanbuler Stadtteil Fener weiter an Glaubwürdigkeit; sie wurde ohnehin für ihre allzu große Nähe zur Hohen Pforte kritisiert und war deshalb bei ihren Landsleuten und Glaubensbrüdern auf der griechischen Halbinsel und den griechischen Inseln

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Kapitel einundzwanzig 

unbeliebt. Dass Sultan Mahmud II. den griechischen Aufstand von 1821 mit einer blutigen Vergeltung am hohen Klerus beantwortete, verzögerte ein Schisma innerhalb der orthodoxen Kirche, ohne es verhindern zu können. 1833 spaltete sich die orthodoxe Kirche Griechenlands von der Türkei ab, was auch Auswirkungen auf Jerusalem hatte. Zar Alexander I. scheute keine propagandistischen und finanziellen Mittel, um sicherzustellen, dass die Orthodoxen im Heiligen Land ihn als den obersten Beschützer ihrer Gemeinschaft betrachteten. Insbesondere die arabisch-orthodoxen Christen, misstrauisch sowohl gegenüber den »hellenisierenden« Griechen als auch gegenüber den dem protürkischen Patriarchat von Konstantinopel loyalen Christen, wandten sich Russland zu, das nun einen bis dahin inexistenten arabischen Patriotismus unterstützte. Dank der russischen Pilger und der Unterstützung des allrussischen Kaisers wurde das orthodoxe Patriarchat außerordentlich reich. 1844 schließlich erwirkte der russische Gesandte bei der Hohen Pforte, dass der neue Patriarch von Jerusalem nicht mehr von den griechisch-orthodoxen Prälaten in Fener gewählt wurde, sondern von den »Hagiotaphiten«, den orthodoxen Mönchen, die als Bruderschaft am Heiligen Grab (griechisch Hagios Taphos) Dienst taten und größtenteils Araber und damit stark prorussisch waren. Der Zar wusste, dass Moskau niemals das »Dritte Rom« sein konnte, wenn es nicht, wie zuvor Rom und Konstantinopel, in Jerusalem seinen »Fußabdruck« hinterließ. Die von der russischen Regierung finanzierten sakralen Gebäude wurden immer zahlreicher und monumentaler. Die beiden orthodoxen Frauenklöster – eines auf dem Ölberg mit einem von der Stadt aus kilometerweit sichtbaren hohen Glockenturm, das andere, Maria Magdalena geweiht, im Gethsemane-Garten und mit goldglänzenden Zwiebeltürmen – kann man heute noch bewundern. Dies war das Jerusalem, auf das Ibrahim Paşa, Mehmet Alis Sohn, sein Augenmerk richtete. Mehmet Ali, ein osmanischer Offizier albanischer Herkunft, war 1805 Vizekönig von Ägypten geworden und hatte die Modernisierung des Landes vorangetrieben, und Ibrahim setzte das Werk seines Vaters fort. Mit seinen nach europäischem Vorbild organisierten Streitkräften erzielte er eine Reihe militärischer Siege, bevor er, noch vor seinem Vater, starb. Er fügte den Wahhabiten in Arabien eine schwere Niederlage zu, unterstellte den Hedschas genannten gesamten westlichen Teil der Arabischen Halbinsel der ägyptischen Herrschaft und beteiligte sich am Kampf der Türken gegen die aufständischen Griechen. Und als sein Vater offen gegen die Hohe Pforte aufbegehrte, um aus Ägypten ein un-

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Josef Kriehuber, Mahmud II., 1825, Wien, Albertina.

abhängiges Land zu machen, führte Ibrahim zu dessen Unterstützung einen glorreichen Syrienfeldzug. Nach der Eroberung Akkons 1832 sammelte er seine Streitkräfte, um einen kühnen Traum zu verwirklichen: die Eroberung Istanbuls. Er lud die Europäer ein, ins Heilige Land zu kommen, und schaffte den Wegzoll für den Zutritt zu den heiligen Stätten ab, den die osmanischen Paschas jahrhundertelang von den Pilgern erhoben hatten und der sie reich gemacht hatte.

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Kapitel einundzwanzig 

Ibrahim weckte Hoffnungen und Leidenschaften. Auf ihn blickte eine arabische Welt, die langsam zu erwachen begann, um das schwere osmanische Joch abzuschütteln. Und obwohl Ibrahim die Freiheitsbestrebungen der Griechen brutal niedergeschlagen hatte, sahen ihn auch die Liberalen des Westens als Befreier und Modernisierer. Es bedurfte eines russischen Heeres, um seinen Vormarsch nach Istanbul zu stoppen. Doch zwischen 1831 und 1840 brachte er das Heilige Land unter seine Kontrolle, und England eröffnete in Jerusalem ein Konsulat. Ibrahims Stern erlosch schnell, doch der Weg war geebnet. Jetzt eröffneten auch Frankreich, Preußen, Österreich und Spanien Konsulate im Heiligen Land, Russland schickte einen Beobachter. Aufgrund der schlechten sanitären und hygienischen Verhältnisse in der Stadt nahmen die Europäer zwar die Wallfahrt nach Jerusalem im großen Stil nicht wieder auf, aber sie unterstützten den Bau zahlreicher öffentlicher Einrichtungen, darunter auch einiger Krankenhäuser. Von diesem Erneuerungseifer ermuntert, kehrten auch die Juden der Diaspora langsam, aber sicher in das Land ihrer Herkunft zurück. Viele siedelten sich im Heiligen Land an und erwarben einen kleinen Besitz, um erneut in Eretz Israel Wurzeln zu schlagen, wohlgelitten von der osmanischen Regierung, aber auch von der arabischen Bevölkerung und den westlichen Konsulaten. Mit dem Wohlwollen des Sultans hatte die jüdische Gemeinde Jerusalems bereits seit dem späten 15. Jahrhundert eine neue Blütezeit erlebt. 1700 war der Rabbiner Jehuda He-Hassid zusammen mit 1000 aschkenasischen Juden von Polen nach Jerusalem ausgewandert, um Repressionen und Verfolgungen unterschiedlicher Art zu entfliehen (ihre sephardischen Glaubensbrüder waren besser integriert). 1720 wurde eine von den Juden unter großen finanziellen Opfern im südöstlichen Teil der Stadt erbaute Synagoge zerstört, da sie eine ihnen auferlegte hohe Tributsumme nicht aufbringen konnten. Erst mehr als 100 Jahre später konnten sie zurückkehren und das Gotteshaus wiederaufbauen. Es wurde 1864 fertiggestellt und trug zur Erinnerung an die Zerstörung den Namen Hurva (was im Hebräischen »Ruine« heißt). Auch der Heilige Stuhl hatte Jerusalem nicht vergessen, wenngleich im 17. und 18. Jahrhundert die Stimme der Päpste nicht zu hören war, da sie sich dem hegemonialen Anspruch des Königreichs Frankreich über die Katholiken des Heiligen Landes fügten. Die Französische Revolution hatte sie dazu gezwungen, ihre Haltung zu ändern, nicht zuletzt weil die vom russischen Zaren unterstützte orthodoxe Konkurrenz deutlich zu spüren war. 1847 errichtete Papst Pius IX. das latei-

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nische Patriarchat von Jerusalem neu. Zuvor war Jerusalem lediglich Titularsitz und der lateinische Patriarch ohne Aufenthaltsrecht gewesen, während die höchste katholische Autorität im Heiligen Land durch den Kustos des Heiligen Landes im Franziskanerkloster auf dem Zionsberg repräsentiert wurde. Die Minoriten hatten nie aufgehört, ihre religiösen und karitativen Dienste auszuüben. Sie unterstützten und führten die Pilger, betrieben Hospize, hielten die lateinischen Kirchen instand und erforschten mit Hingabe antike und neuere Monumente (aus diesem Engagement ging das Studium Biblicum Franciscanum hervor). Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten auch die Anglikaner einen eigenen Bischof in der Heiligen Stadt. Doch die Präsenz des lateinischen Patriarchen galt als besonders wichtig, da die Katholiken seit mindestens drei Jahrhunderten Enteignungen und Beschneidungen ihrer Rechte durch den Sultan hatten hinnehmen müssen, der ihre alten Vorrechte den jüdischen und orthodoxen Gemeinschaften übertragen hatte. Jetzt waren die katholischen Mächte Europas entschlossen, auf dem Weg über die verschiedenen religiösen Gemeinschaften ihr politisches Gewicht zu bekräftigen. In der Geburtsgrotte in Bethlehem, seit dem 4. Jahrhundert die Krypta der großartigen konstantinischen Basilika, die nicht einmal die Perser zu schänden gewagt hatten, bezeichnete ein silberner Stern mit einer lateinischen Inschrift den Ort, an dem der Überlieferung zufolge der Erlöser geboren worden war. Eines Tages wurde dieses Symbol entfernt, das mit seiner Inschrift – in einer von den Orthodoxen gehüteten Basilika – die Rechte der Lateiner vielleicht allzu demonstrativ bekundet hatte. Das Frankreich Louis-Philippes, so liberal es war, blieb bestrebt, sein Prestige als Hüter der Rechte der Katholiken im Heiligen Land zu wahren, und zeigte sich empört. Ein Beauftragter der Regierung, Eugène Boré, wurde entsandt. Nach einer vorbildlichen historischen Untersuchung der Dokumente und Fakten erklärte er, seiner Ansicht nach unumstößlich, dass die Rechte Frankreichs an den heiligen Stätten mindestens 300 Jahre alt seien, tatsächlich aber bis zu Karl dem Großen und den Kreuzzügen zurückreichten. Borés Studie erschien 1848 unter dem Titel La question des Lieux Saints. Die französische Regierung fügte ihr eine lange Liste von Liegenschaften bei, die seit 1740 – dem schicksalhaften Jahr jener Bestätigung der Kapitulationen, die sich Villeneuves diplomatischem Geschick verdankte – im Besitz der Lateiner waren, und verlangte in gebieterisch drohendem Ton von der Regierung der Hohen Pforte Rechenschaft. Eine französisch-türkische Prüfungskommission hatte kein Problem damit, insbesondere die Rechte des Franziskanerordens zu bestätigen.

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Alexander William Adair, Lager des englischen Heeres in Balaclava, 1855 (aus dem Crimean Sketchbook).

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1850 forderten die Regierungen Frankreichs, Österreichs, Belgiens, Spaniens und Piemonts in seltener Eintracht die vollumfängliche Wiederherstellung der ursprünglichen Rechte der Franziskanermönche. Doch Zar Nikolaus I. intervenierte mit einem eigenhändigen Brief an Sultan Abdülmecid und protestierte gegen jegliche Verletzung des Status quo. Zwei Jahre später erließ die türkische Regierung einen Ferman, der das Problem auf Grundlage der Erkenntnisse einer rein türkischen Kommission neu definierte – ein ungeschickter Schritt, denn damit wurde die Frage nicht gelöst, sondern nur noch komplizierter. Frankreich drohte mit der Entsendung eines Geschwaders in die Gewässer vor Jaffa. Russland überbrachte dem Sultan durch seinen Sondergesandten Fürst Menschikow eine Art Ultimatum, in dem die Übertragung der Hegemonie und Repräsentanz aller orthodoxen Untertanen des Osmanischen Reichs an den Zaren verlangt wurde. Selbstverständlich wollte die Regierung des Russischen Reichs zu einer Zeit, da sie im westlich angrenzenden Europa den Panslawismus propagierte, von der energisch eingeforderten Rolle des Verteidigers der orthodoxen Christenheit im gesamten Orient profitieren. Die westlichen Mächte stellten sich geschlossen auf die Seite des Sultans – wenngleich durchaus mit gemischten Gefühlen, da die romantischliberale Propaganda in Europa seit Jahrzehnten erfolgreich das Bild des Osmanischen Reichs als eines armseligen Riesen mit einem so dekadenten und korrupten wie grausamen und lasterhaften Regime verbreitete. Nun aber stand mehr auf dem Spiel als der Stern von Bethlehem oder die schönen Träume der orientalistischen Literatur. Es ging um die Vorherrschaft in den Meerengen und damit um den Zugang der russischen Flotte zum Mittelmeer. Es kam zum Krimkrieg, der 1854 bis 1856 ausgetragen wurde. Mit der Sitzung des Pariser Friedenskongresses am 25. März 1856 wurden Reformen zur Verbesserung der Situation der Christen im Osmanischen Reich beschlossen, und die Zarenregierung musste ihren Anspruch als alleinige Schutzmacht der Christen aufgeben. Die Frage der christlichen Gemeinschaften im Heiligen Land und an den heiligen Stätten wurde jetzt in den größeren Zusammenhang der sogenannten orientalischen Frage gestellt  – ein Euphemismus für das Gerangel der europäischen Mächte am Bett des »kranken Mannes«. Frankreich und Russland blieben die wichtigsten Ansprechpartner für die Christen im Heiligen Land. Doch Kaiser Napoleon III. war hin- und hergerissen zwischen der Priorisierung der »orientalischen« und der »italienischen Frage« (der von den liberalen Kräften erhofften Einheit der italienischen Halbinsel), die eine jeweils unterschiedliche Ausrichtung

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seiner Hegemonialpolitik in Europa und im Mittelmeerraum erforderlich machte. Seine Unschlüssigkeit erschütterte um die Mitte des 19. Jahrhunderts das politische Gefüge tiefgreifend. Derweil schritt der Verfall der Grabeskirche in Jerusalem weiter fort. Notwendig war eine umfassende Restaurierung, vor allem der Kuppel. Begleitet von zermürbenden diplomatischen Verhandlungen, an denen Frankreich, Russland, die Türkei und der Heilige Stuhl beteiligt waren, wurden zwischen 1862 und 1868 ästhetisch und technisch alles andere als zufriedenstellende Arbeiten ausgeführt. Dabei ging es vor allem darum, dass kein Symbol und kein Ornament auf den Primat der einen oder anderen christlichen Gemeinschaft anspielte, in deren gemeinsamen Händen Besitz und Verwaltung der Grabeskirche lagen. In dem unentwirrbaren politischen und diplomatischen Durcheinander des Nahen Ostens wurde eines klar: Das Heilige Land war im Begriff, zu einem der vielen Brennpunkte im Kräftemessen zwischen den westlichen Kolonialmächten zu werden, die sich um die Beute des zerfallenden Osmanischen Reichs stritten.

Die Eröffnung des Suezkanals Unterdessen war ein alter Traum erneut ins Bewusstsein gerückt: der Bau eines Kanals, der das Mittelmeer über den Isthmus von Suez mit dem Roten Meer verbinden sollte. Es existieren archäologische Spuren einer solchen Verbindung mittels eines Kanalnetzes, das sich das Sumpfland östlich von Nildelta, Timsah-See und Bitterseen zunutze machte. Historische Quellen sprechen zudem von einem Verbindungskanal, den die Römer amnis Traianus nannten. Doch bereits zu Beginn der arabisch-muslimischen Expansion im 7. Jahrhundert waren diese Wasserwege versandet. Im 15. und 16. Jahrhundert verfolgten die Portugiesen, die eine Kontrolle des »östlichen Wegs in den Osten« anstrebten, aber auch die Venezianer und die osmanischen Sultane mit Nachdruck den Traum von einer Wiederherstellung der antiken Wasserstraße oder einem neuen Kanaldurchstich, der das Mittelmeer über das Rote Meer mit dem Indischen Ozean verbinden sollte. Doch die begrenzten technischen Möglichkeiten ihrer Zeit machten die Verwirklichung dieses Traums unmöglich. Unmöglich, aber nicht für immer begraben. Napoleon hatte sehr klare Vorstellungen: Der Kanal musste gebaut werden, und zwar von Frankreich, damit es den kolonialen Wettlauf um Süd- und Ostasien wieder aufnehmen und gewinnen

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Édouard Riou, Eröffnung des Suezkanals in Port Said, 17. November 1869 (aus dem Album de l’impératrice. Voyage pittoresque à travers l’Isthme de Suez).

konnte. 1808 legte Jacques-Marie Le Père ein Kanalprojekt vor, das sich jedoch als unzureichend erwies. Eine weitere Studie wurde 1821 von einem in Ägypten lebenden Franzosen erstellt, Louis Maurice-Adolphe Linant de Bellefonds, dessen Unterlagen in Vergessenheit gerieten. Angeführt von einer bizarren Figur, dem Mystiker, Ökonomen und Ingenieur Barthélemy-Prosper Enfantin, trafen 1833 begeisterte Anhänger Saint-Simons in Ägypten ein. Die Neuankömmlinge wollten die Pläne von Le Père und Linant de Bellefonds wieder aufgreifen, wurden aber von Mehmet Ali gestoppt, der internationale Komplikationen befürchtete. 1854 wurde Said Paşa Vizekönig von Ägypten. Er war ein Freund des französischen Diplomaten Ferdinand-Marie de Lesseps, der sich bereits als Konsul in Ägypten 1831–1838 für das Projekt interessiert hatte. Diesmal wurden die Arbeiten zur Aushebung eines Kanals entschlossen in Angriff genommen. Der

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Kapitel einundzwanzig 

Kanal sollte den Schiffen, die vom Atlantischen in den Indischen Ozean unterwegs waren, die Umrundung des afrikanischen Kontinents ersparen. Das Projekt begann als ägyptisches Unternehmen unter der Ägide des Sultans zur Zeit der Verschärfung des Krimkriegs. Wie wir gesehen haben, verbündeten sich also Franzosen und Engländer zur Unterstützung der Hohen Pforte, um das Eindringen der Russen ins Mittelmeer zu verhindern. Doch nach Gründung der Suezkanal-Gesellschaft mit einem Grundkapital von 200 Millionen Francs, die 1856 vom ägyptischen Vizekönig die Konzession zur Nutzung des Kanals für eine Laufzeit von 99 Jahren erhielt, war es das Frankreich des Zweiten Kaiserreichs, das sich die Mehrheit der Aktien und die Leitung des Projekts sicherte. Napoleon III. war selbst Ingenieur und Kanalbauexperte – in den 1840er-Jahren hatte er sich als Gefangener der Regierung Louis-Philippes in der Festung Ham mit der Möglichkeit eines Kanaldurchstichs in Panama beschäftigt – und fest entschlossen, diese Herkulesaufgabe unter französischer Flagge zu bewältigen. In dieser Absicht bestärkte ihn der Aufstand der Sepoy, jener indischen Soldaten, die die Privatarmee der Britischen Ostindien-Kompanie bildeten. Sie meuterten 1857/58 offenbar aus Protest gegen den Eifer protestantischer Missionare, die mit Erlaubnis der Handelsgesellschaft ihre als aggressiv empfundenen Bekehrungsversuche durchführten. Nachdem die Sepoy Delhi in ihre Gewalt gebracht hatten, versuchten sie, die Mogul-Monarchie wieder zu errichten. Die britische Regierung musste militärisch intervenieren, um den Aufstand niederzuschlagen. Die Ostindien-Kompanie wurde aufgelöst und die Regierung des Landes von einem Vizekönig übernommen. Dies war der erste Schritt zur kolonialen Unterwerfung. Zwanzig Jahre später, 1877, wurde die Kronkolonie Britisch-Indien proklamiert. Der Sepoy-Aufstand bedeutete eine Zäsur auch für die Mittelmeerpolitik und hatte einen erbitterten Machtkampf zwischen Frankreich und England zur Folge. Ihre Majestät die Königin brauchte den Kanal als schnelle Verbindung nach Indien, ganz zu schweigen von den vielen anderen wirtschaftlichen und handelspolitischen Interessen, die der Kontrolle über diese neue Wasserstraße eine strategische Bedeutung gaben. Die Positionen Englands im gesamten Mittelmeer mussten gestärkt werden. Mit großer Weitsicht hatten die Engländer 1800 den Franzosen die Herrschaft über Malta entrissen und ungeachtet der Bestimmungen des Friedens von Amiens zwei Jahre später behalten. Im Vertrag von Paris 1814 wurde die Insel offiziell britische Kolonie. Die Engländer fürchteten die Konkur-

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renz des französischen Imperialismus auf dem Seeweg nach Osten – zumal Napoleon III. von Syrien bis Tonkin Signale in dieser Richtung gab – und ergriffen Gegenmaßnahmen in einem politischen Spiel, dessen Einsatz die Beherrschung des gesamten Mittelmeers war. Mit dem französisch-österreichischen Krieg 1859 auf lombardischem Territorium, dem sogenannten Zweiten Unabhängigkeitskrieg, war klar, dass das bei dem zweiten Geheimtreffen zwischen Napoleon III. und Camillo Benso di Cavour im Juli 1858 in Plombières geschlossene französisch-piemontesische Bündnis keinen Bestand mehr haben konnte. Als politische und militärische Konsequenz drohte nun das Ende des Kirchenstaats, was für den

Alexandre Cabanel, Napoleon III., um 1865, Baltimore, Walters Art Museum.

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Kapitel einundzwanzig 

Hof in Paris (insbesondere für die erzkatholische Kaiserin Eugénie), aber auch für die katholische Öffentlichkeit Frankreichs nicht hinnehmbar war. Folglich sah sich der König gezwungen, seine Zustimmung zur Gründung eines unter der Krone des Königreichs Piemont-Sardinien geeinten Königreichs Italien zu verweigern. Die Befürworter der Einigung Italiens fanden für den wertvollen Verbündeten, den sie damit verloren, sofort einen Ersatz: die englische Krone, die bis dahin die Bourbonen unterstützt hatte. Und mit englischer Unterstützung vollzog sich dann auch nach der Zerschlagung des letzten Widerstands der neapolitanischen und päpstlichen Streitkräfte rasch die Einigung Italiens. Frankreich, das keineswegs das Gefühl hatte, aus dem Rennen zu sein, übte weiter massiv Druck aus, um zu verhindern, dass die Italiener den Kirchenstaat frontal angriffen. Gleichzeitig demonstrierte Napoleon III. der Welt die wirtschaftliche und technologische Stärke seines Reiches. Die Weltausstellung in Paris 1867 bot eine großartige Gelegenheit, Paris als die bedeutendste Hauptstadt der westlichen Welt zu präsentieren. Königin Victoria und die gekrönten Häupter Europas waren staunende Zeugen dieses Triumphes. Das Ende des Bündnisses mit Italien war für das bonapartistische Frankreich dennoch ein alarmierendes Signal, schließlich war die italienische Halbinsel ein wichtiger Zugang zum Mittelmeer. Zudem würde die italienische Annäherung an England den Fortschritt der Arbeiten am Isthmus von Suez beeinflussen. Auf dem politischen Schauplatz des Mittelmeers verschärften sich die Spannungen. Österreich, das seit 1867, nach der vernichtenden Niederlage gegen die Preußen im Jahr zuvor, Österreich-Ungarn war, dominierte die Adria. Seine Häfen in Julisch-Venetien und Dalmatien waren offen für den türkischen Handel und den Handel zwischen Mittelmeer und Orient. Der russische Zar wiederum war in seinen Versuchen gescheitert, von der Balkanhalbinsel und vom Schwarzen Meer aus einen Zugang zum Mittelmeer zu gewinnen. Mit England konnte er sich nicht verbünden, dafür war die Politik der beiden Länder in Zentralasien zu gegensätzlich. Großbritannien, das Gibraltar und Malta beherrschte, verstärkte in und um Italien seine finanzielle und maritime Präsenz. Im Schicksalsjahr 1867 scheiterte auch der Versuch Erzherzog Maximilians von Österreich, Kaiser von Mexiko zu werden. Die Kandidatur war von seinem Bruder, Kaiser Franz Joseph, missbilligt, von Napoleon III. jedoch unterstützt worden. Napoleon sah darin die Chance einer französischen Hegemonie in Lateinamerika, die die Vereinigten Staaten von Amerika natürlich vereitelten. Maximilians Ende besiegelte auch das Ende

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jener Allianz der katholischen Staaten Europas (Frankreich, Österreich, Spanien, Portugal und Bayern), die eine persönliche diplomatische Meisterleistung von Kaiserin Eugénie gewesen war, aber bereits mit der Niederlage Österreichs 1866 einen herben Schlag erlitten hatte.

Mare nostrum Doch auf diese faszinierende Herrscherin wartete ein großer Triumph. Am 17. November 1869 wurde in Port Said mit einer feierlichen Zeremonie in Anwesenheit der Kaiserin Eugénie und des österreichischen Kaisers Franz Joseph der Suezkanal eröffnet. Kaiser Franz Joseph hatte zuvor Jerusalem besucht, wo er als einfacher Pilger die bescheidene Gastfreundschaft der Franziskaner vom Heiligen Grab angenommen hatte. Bei den Feierlichkeiten zur Eröffnung des Suezkanals mit dabei war auch Kronprinz Friedrich von Preußen. Durch Abwesenheit glänzte der Vertreter Großbritanniens. Doch die diplomatische Antwort Londons im darauffolgenden Jahr war Sedan, wo Napoleon III. im Krieg gegen Preußen besiegt wurde. Königin Victoria nahm die Herausforderung der Pariser Weltausstellung 1867 und der Eröffnung des Suezkanals 1869 an und übertrug ihren preußischen »Verwandten«, die sich bereits mit der Demütigung Österreichs Meriten verdient hatten, die Aufgabe, sie von dem unbequemen französischen Rivalen zu befreien. Der preußische König, Sieger über die Österreicher und die Franzosen, konnte nun nach dem Willen Fürst Bismarcks und zur Genugtuung des englischen Herrscherhauses (der Hannoveraner, Kurfürsten des Reiches) zum Kaiser des zweiten Deutschen Kaiserreichs proklamiert werden. Die Akklamation Wilhelms I. aus dem Haus Hohenzollern zum deutschen Kaiser wurde am 18. Januar 1871 in dem von den siegreichen deutschen Truppen besetzten Versailles vollzogen. Kaum vier Monate zuvor hatten die italienischen Truppen Rom eingenommen und den Kirchenstaat erobert. Es gab Stimmen, die die Ereignisse des Jahrfünfts zwischen 1866 und 1871 als Antwort der Protestanten und Freimaurer auf die Ambitionen Napoleons III. (oder vielmehr seiner Gemahlin, Kaiserin Eugénies) interpretierten, sich an die Spitze einer Allianz der katholischen Mächte Europas zu stellen. Mit Samuel Bakers Eroberung des Niloberlaufs zwischen 1870 und 1873 und mit der Ernennung General Gordons zum Generalgouverneur des Sudans im Jahr darauf wuchs unterdessen der englische Einfluss in Ägypten. 1875 trat der Khedive

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Kapitel einundzwanzig 

Anton von Werner, Die Proklamierung des Deutschen Kaiserreiches 1871, 1885, Friedrichsruh, Bismarck-Museum. In der Mitte in weißer Uniform und mit dem Helm in der Hand Kanzler Bismarck.

Ismail aufgrund finanzieller Schwierigkeiten seine Suezkanal-Aktien (35 Prozent der Aktien insgesamt) an die britische Regierung ab, die damit zum Mehrheitsaktionär wurde. All dies trug dazu bei, dass sich die Situation endgültig zum Nachteil des Kaisers der Franzosen entwickelte. Für Königin Victoria, die ab 1876 Kaiserin von Indien war, schloss sich damit der Kreis ihrer maritimen Strategie. Von der Nordsee über Gibraltar und Suez bis zum Indischen Ozean erstreckte sich nun ein riesiges, von Ihrer königlichen Majestät kontrolliertes Gewässer. Krönender Abschluss dieses Plans war 1882 die Schaffung eines englischen Protektorats über Ägypten, das dem Sultan aufgezwungen wurde. Der Traum von einer Kontinuität des britischen Imperiums zu Land und zur See von den britischen Inseln bis zum indischen Subkontinent war Wirklichkeit geworden. Für das Mittelmeer, das seit dem 16. Jahrhundert für die internationale Schifffahrt keine große Rolle mehr gespielt hatte, nun aber wieder in den Mittelpunkt

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der Welt rückte, begann eine neue Ära. Der Suezkanal gab auch dem Besitz des Felsens von Gibraltar endlich eine neue und angemessene Bedeutung: Die britischen Kanonenboote, Passagier- und Handelsschiffe, die nach Indien unterwegs waren, mussten nun nicht mehr in dem seit 1807 von den Engländern militärisch besetzten Alexandria entladen und die Fracht auf dem Nil und mit Karawanen zu den Häfen am Roten Meer geschafft werden. Auch der afrikanische Kontinent musste nicht mehr mühsam umrundet werden, wenngleich England sich hütete, seine Oberhoheit über diese Route aufzugeben. Kurz, das mare nostrum zwischen Gibraltar, Malta und Suez hatte nun einen neuen Herrn. Doch die britische Kontrolle war keineswegs allumfassend. Das Osmanische Reich stand immer noch auf seinen – wenngleich wackeligen – Beinen, der Zar verfolgte seine Ambitionen jenseits des Bosporus weiter, Österreich-Ungarn und Deutschland näherten sich erneut einander an, was nichts Gutes verhieß. Und die Republik Frankreich, auf Revanche gegenüber Deutschland sinnend, dachte nicht daran, ihr Ziel einer kolonialen Expansion in Nordafrika, im Nahen Osten (Syrien und Libanon) und in Südostasien aufzugeben.

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Kapitel zweiundzwanzig

Die große Zerstückelung Das Great Game im Mittelmeer Im Jahr 1877 läutete Russland eine neue Phase der Feindseligkeiten gegenüber dem osmanischen Sultanat ein. Zar Alexander II. erklärte, er könne es nicht länger hinnehmen, dass orthodoxe Christen, die Untertanen der Pforte seien, herabgewürdigt und niederträchtig behandelt würden, insbesondere auf der Balkanhalbinsel. In Wahrheit ging es ihm darum, die Unruhen in Bulgarien zu schüren, wo es neben panslawischen und orthodox-nationalistischen Bestrebungen auch eine starke sozialistisch-revolutionäre Bewegung gab. Mit dem Frieden von San Stefano am 3. März 1878 wurde zwar die russische Armee vor den Toren Istanbuls aufgehalten, aber auch die Zerstückelung des Osmanischen Reichs eingeläutet. Die Zugeständnisse, die es an den Zaren machen musste – vor allem bezüglich Bulgariens, das ein autonomes Fürstentum unter nomineller osmanischer Oberhoheit wurde und sich zum Zentrum des Panslawismus auf dem Balkan entwickelte –, raubten ihm endgültig sein Ansehen und seine Unabhängigkeit. Westeuropa war in ernster Sorge, vor allem England, das nicht nur eine russische Hegemonie in den Meerengen von Bosporus und Dardanellen und damit eine massive Präsenz der Kriegs- und Handelsflotte des Zaren im Mittelmeer fürchtete, sondern auch die Expansion Russlands über den Suezkanal in den Indischen Ozean. Damit wäre die britische Thalassokratie konkret bedroht gewesen. Österreich wiederum sah das Gleichgewicht auf dem Balkan in Gefahr. Ein englisch-russischer Krieg, in den Wien militärisch verwickelt werden konnte, schien unmittelbar bevorzustehen. In dieser Situation wandte sich Österreich-Ungarn an Berlin.

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Berlin war es dann auch, wohin Reichskanzler Bismarck im Juni/Juli 1878 die beteiligten Mächte zum Kongress einlud – oder besser: einberief –, um eine stabile und tragfähige Lösung des Balkanproblems zu finden. Gesucht wurde ein Kompromiss, der mit einer Reihe von klug und behutsam vorgebrachten, in der Sache aber brutalen Entscheidungen imstande wäre, Russland nicht allzu sehr zu verärgern, ohne ihm den ersehnten Zugang zum ionischen und ägäischen Teil des Mittelmeers zu gewähren. Oder, anders gesagt, ein Kompromiss, der Österreich-Ungarn zufriedenstellen und den Sultan beruhigen würde, dessen Sorge weiteren Angriffen auf sein bereits bröckelndes Imperium galt. Bismarck, der subtil Regie führte, musste jedoch auch auf das befreundete England Rücksicht nehmen, das sich von ihm die unmissverständliche Eindämmung der russischen Ambitionen in »seinem« Mittelmeer erwartete und das mit der Insel Zypern ruhiggestellt wurde. Auch Italien galt es im Kalkül zu behalten. Dessen entschieden deutschlandfreundliche Regierung der sogenannten historischen Linken blickte mit Interesse auf die Regionen im Ionischen und Ägäischen Meer, die einst der Markusrepublik unterstanden hatten. Doch Italien schien isoliert und fürchtete eine zunehmende Kontrolle Österreich-Ungarns über die Adria (die Häfen Ancona und Bari hatten der Konkurrenz der Hafenstädte Triest und Ragusa nichts entgegenzusetzen). Was Frankreich anging, trieb den Reichskanzler die Furcht vor revanchistischen Bestrebungen um. Dennoch ermunterte er es in seinen kolonialen Ambitionen, die, wie er sehr genau wusste, London und Rom missfallen würden. Der Berliner Kongress beschloss die Unabhängigkeit einiger Provinzen des Osmanischen Reichs – Serbien, Montenegro, Rumänien und Bulgarien –, die den schwierigen Weg einer Europäisierung beschreiten sollten, während Bessarabien, die Region zwischen den Flüssen Prut und Dnjestr und dem Schwarzen Meer, an das zaristische Russland ging. Österreich-Ungarn erhielt die Verwaltung von Bosnien und Herzegowina, die formell Teil des Osmanischen Reichs blieben. Als unmittelbare Folge des Kongresses konnte immerhin verhindert werden, dass die zunehmende Zersplitterung des Osmanischen Reichs in einen neuen Krimkrieg mündete. Doch die nun entstehende Ordnung war von einer chronischen und stetig wachsenden Instabilität geprägt, nicht zuletzt, weil man wenig dagegen tun konnte, dass der insgesamt sehr unzufriedene Zar das Feuer auf dem Balkan weiter anfachte und in einen sich zunehmend verschärfenden diplomatischen und politischen Konflikt mit Österreich-Ungarn eintrat. Österreich-

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Kapitel zweiundzwanzig 

Ungarn schloss sich noch enger an Berlin an, mit dem es 1879 einen Zweibund unterzeichnete, der sich 1882 zu einem Dreibund erweiterte, als Italien unter dem Eindruck der sogenannten Tunis-Ohrfeige beitrat. Erneut bemühte sich der große diplomatische Jongleur Bismarck, die Situation dadurch unter Kontrolle zu bringen, dass er Russland 1887 durch seinen Rückversicherungsvertrag und ein streng geheimes Zusatzprotokoll besänftigte. Darin verpflichtete sich Deutschland, die russische Politik bezüglich der Meerengen zu unterstützen. Doch vermittelte Bismarck noch im selben Jahr ein Mittelmeerabkommen, das – zum Schutz der Hohen Pforte – die Vertragspartner zur Beibehaltung des Status quo im Mittelmeer verpflichtete. Nun jedoch bekamen die Beziehungen zwischen England und Deutschland Risse. Die Regierung des konservativen Lord Robert Salisbury, der als Diplomat am Berliner Kongress teilgenommen hatte, intensivierte die Beziehungen mit Österreich-Ungarn und Italien, lehnte aber eine direkte Allianz mit Deutschland ab. Zugleich traten auch die Gründe für den Konflikt zwischen dem inzwischen fünfundsiebzigjährigen Kanzler und dem neuen Kaiser in ihrer ganzen Tragweite zutage. Der kaum dreißigjährige Wilhelm II. lehnte Bismarcks »Staatssozialismus« als unangemessen ab und warf dem betagten Kanzler übertriebenes außenpolitisches Taktieren vor. 1890 entließ er ihn und schlug einen neuen Kurs ein, seine »Politik der freien Hand«, die politisch, militärisch, finanziell und technologisch-industriell auf die Stärke und das Prestige Deutschlands setzte. Doch diese Politik beunruhigte sowohl Frankreich als auch Russland, dessen Vorschlag zur Verlängerung des Rückversicherungsvertrags mit dem Deutschen Reich 1890 von Kaiser Wilhelm abgelehnt wurde, der eine engere Zusammenarbeit mit dem Sultan befürwortete. Mit der Französisch-Russischen Allianz wurde 1894 stattdessen ein Freundschaftsvertrag zwischen diesen beiden Staaten unterzeichnet. Unterdessen ermunterte Wilhelm II. den industriellen Wettbewerb auf dem europäischen Kontinent, indem er mit dem Ausbau von Werftindustrie und Flotte an Nord- und Ostsee begann. 1899 vereinbarte er mit der Hohen Pforte das Projekt einer deutsch-türkischen Zusammenarbeit zum Bau einer Bahnlinie bis nach Bagdad, was auch England zunehmend alarmierte.

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Nationalismen Eine neue Balkankrise veranlasste Sultan Abdülhamid zu einer autoritären und repressiven Regierungsführung, ein Kurs, den er bis zu seiner Absetzung 1909 beibehielt. Nach dem Berliner Kongress setzte er die erst kurz zuvor verkündete Verfassung außer Kraft, löste das Parlament auf und installierte eine autokratische Regierung. Dagegen erhob sich eine breite und gebildete Opposition, deren Rückgrat Studenten, Intellektuelle und Militäroffiziere bildeten. Sie waren entschlossen, das Reich zu modernisieren und gegen den Despotismus des Sultans, aber auch gegen die ausländische Bevormundung zu kämpfen. Letztere hatte inzwischen sogar dazu geführt, dass Lord Salisbury 1895 eine Aufteilung des Osmanischen Reichs vorgeschlagen hatte. Deutschland blockierte den Plan und erhielt im Gegenzug von der Regierung des Sultans wichtige Konzessionen für den Eisenbahnbau, was das Bagdadbahn-Projekt zur Folge hatte. Mit seiner autoritären und repressiven Politik machte sich der Sultan jedoch eine Menge Feinde, die sich gegen Ende des Jahrhunderts zu organisieren begannen. Unter ihnen waren viele Bewunderer des Westens, die teils mit dem Sozialismus, teils mit den monarchischen Strömungen der französischen Rechten sympathisierten. Aber auch Liberale fehlten nicht, die in Prinz Sabahaddin, einem Neffen des Sultans, einen illustren Repräsentanten fanden. 1907 schlossen sich die verschiedenen Gruppen, die in Opposition zur Regierung Abdülhamids standen, zur Partei der Jungtürken mit einem stark nationalistisch geprägten Programm der Modernisierung zusammen. Dies geschah unter Führung des Komitees für Einheit und Fortschritt und der Organisation Vaterland und Freiheit, zu deren Gründern Mustafa Kemal gehörte. Auch der Sultan verfolgte inzwischen ein dezidiert nationalistisches Programm. Die sukzessive Ausweitung der türkischen Herrschaft auf der anatolischen Halbinsel führte zwischen 1890 und 1897 zu den ersten tragischen Massakern an den armenischen Christen (mit einer geschätzten Opferzahl zwischen 100 000 und 250 000). Einen Krieg gegen Griechenland, das Kreta zu annektieren versuchte, gewannen die Türken 1896/97 zwar spielend, dennoch war jetzt klar, dass sich das Territorium des Osmanischen Reichs zunehmend auf die anatolische Halbinsel beschränken würde. Eine Folge der Türkisierung war die Vertreibung ethnischer Minderheiten (der Araber im Süden, der Griechen an der Westküste). Die Kurden wurden Gegenstand einer Art unilateraler Türkisierung, doch das gravierendere Problem waren die Armenier, die obendrein auch noch Christen waren. Aus nicht

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Kapitel zweiundzwanzig 

so sehr religiös, sondern historisch-kulturell geprägter Perspektive wurde der Islam immer mehr Teil eines Plans zur Schaffung eines neuen »großen türkischen Vaterlands«. Der Sultan gab sich zunehmend panislamisch und erhob Anspruch auf den Titel des Kalifen, während sich die Jungtürken, Bewunderer des wilhelminischen Deutschlands, in türkische Nationalisten und Anhänger des Panturanismus aufspalteten. Inspiriert vom Pangermanismus, träumten die Panturanisten von einem Imperium »von Edirne bis Samarkand« und vom Zusammenschluss aller Turkvölker westlich und östlich des Kaspischen Meeres in einem einzigen großen Nationalstaat. Der Besuch des deutschen Kaisers in den Gebieten des Osmanischen Reichs 1898 mit seinem theatralischen Einzug in Istanbul, Damaskus und Jerusalem festigte die türkisch-deutsche Freundschaft. Dann kam es unter Führung einer Gruppe junger Offiziere mit Enver Bey an der Spitze im Juli 1908 zur Militärrevolte von Saloniki. Auch wenn das unmittelbare Ziel der Revolte die Wiedereinführung der Verfassung von 1876 war, stellte sie in Wirklichkeit eine generelle Absage an die absolutistische Regierung Abdülhamids dar, der ein paar Monate später abgesetzt wurde. Der neue Sultan Mehmed V. (1909–1918) hatte nicht nur mit Aufständen von Albanien bis zur Arabischen Halbinsel zu kämpfen, sondern auch mit Angriffen der Italiener, die dem Osmanischen Reich 1911/12 seine letzten Provinzen in Afrika entrissen: Tripolitanien und die Kyrenaika. Die Italiener besetzten sogar Rhodos und den gesamten Dodekanes und beschossen die türkischen Forts am Eingang der Dardanellen. Auch wenn die Kriegsparteien am 18. Oktober 1912 in Ouchy bei Lausanne einen schwierigen Frieden schlossen, führte der italienisch-türkische Krieg unbestreitbar zur weiteren Schwächung des Osmanischen Reichs. Bereits im September 1908 hatte Griechenland Kreta annektiert. Im Oktober desselben Jahres rief sich Ferdinand I. von Sachsen-Coburg zum Zar von Bulgarien aus, und ungeachtet türkischer Proteste annektierte Österreich endgültig Bosnien und Herzegowina. Mit der vorläufigen Einigung Österreichs und Russlands – die sie vorbehaltlich ihrer künftigen Auseinandersetzung um die Hegemonie erreichten  – begann auch formell die definitive Enttürkisierung der gesamten Balkanhalbinsel. Dann erklärten Serbien, Bulgarien, Griechenland und Montenegro (seit 1910 ein unabhängiges Königreich), die den österreichischen Expansionsdrang fürchteten, mit dem impliziten Einverständnis Russlands der Türkei den Krieg. Die Folge waren die verwickelten Balkankriege der Jahre 1912 und 1913. Sie endeten 1913 mit dem Frieden von Bukarest, der alle Parteien ent-

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Die Jungtürken bei ihrem Einzug in Istanbul 1909.

täuschte, Albanien jedoch die Anerkennung als autonomes Fürstentum brachte. Die Türkei war seit der jungtürkischen »Revolution von Saloniki« von den politischen Machtkämpfen der verschiedenen Parteien zerrissen. Im Juli 1912, nach Putsch und Gegenputsch, löste die Regierung des sogenannten Großen Kabinetts unter Ahmed Muhtar Paşa die Nationalversammlung auf und ging auf Konfrontationskurs zu den Anhängern von »Einheit und Fortschritt«. Die neue Regierung wurde im Januar 1913, mitten im Balkankrieg, von Enver Bey gestürzt, der nun die Macht übernahm und sich an die Spitze eines revolutionären Triumvirats stellte. Es war eine Einparteienregierung, die durch die Wahlen vom Mai 1914 legitimiert wurde. Ihr ideologischer Kopf war ein Intellektueller kurdischer Herkunft, Ziya Gökalp, dessen nationalistisches und soziales Programm sich auf

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Kapitel zweiundzwanzig 

drei Kernpunkte stützte: erstens Türkisierung des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Lebens des Landes (mit der Perspektive eines künftigen Reiches, zu dem die Türken nicht nur Anatoliens, sondern auch Aserbaidschans und Zentralasiens gehören sollten); zweitens Islamisierung mit der Religion als identitätsstiftender Kraft und moralischem Heilmittel gegen die Übel der Verwestlichung; zugleich drittens aber auch eine entschlossene Verwestlichung nicht im ethischen Sinn, sondern in Politik, Technologie und Militär. Dieser Einheits-undFortschritts-Nationalismus war hauptsächlich vom Sozialdarwinismus inspiriert und betrachtete den Kampf zwischen den Nationen wie einen Kampf zwischen organischen Arten. Die aus dem Westen importierte demokratische Moral verstand und bekämpfte er in erster Linie als eine Moral des Individualismus, die Rechte einforderte und Pflichten ablehnte. »Sag nie: Ich habe Rechte«, schrieb Ziya Gökalp, »es gibt keine Rechte; es gibt nur Pflichten [...]. Meine Seele und mein Herz denken nicht, sie fühlen. Sie folgen der Stimme der Nation. Ich schließe die Augen und erfülle meine Pflicht.«

Kriegswinde Die österreichisch-serbische Krise vom Juli 1914, die in Wahrheit eine österreichisch-russische Krise war (bei der keiner der beiden Kontrahenten auf seinen sicheren Verbündeten Deutschland beziehungsweise Frankreich setzte), erfasste, nachdem die Kriegserklärung Österreichs an Serbien am 28. Juli 1914 erfolgt war, schnell auch Deutschland, Russland, Frankreich, Belgien, England und Japan (mit dem für die japanische Expansion nach Nordchina strategisch wichtigen deutschen kolonialen Pachtgebiet Kiautschou vor Augen). Am 2. August, genau einen Tag nach der deutschen Kriegserklärung an Russland, schloss die Türkei mit Deutschland einen Bündnisvertrag und erklärte ihre »bewaffnete Neutralität«. Doch Ende Oktober beschossen zwei deutsche Kriegsschiffe, die in den Dienst der osmanischen Marine übernommen worden waren, die russische Schwarzmeerküste. Daraufhin erklärte am 2. November Russland der Türkei den Krieg, gefolgt von England und Frankreich am 5. November. Im Streben nach Gebietsgewinnen auf Kosten der jeweils anderen Seite teilten sich die verschiedenen Staaten auf: Die Italiener erklärten Österreich den Krieg; dafür versprachen ihnen die Franzosen und Engländer territoriale Entschädigungen in Südtirol, Istrien und Dalmatien

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(sowie die Zuteilung von Distrikten und Bergbaukonzessionen in Kleinasien nach dem Sieg über die Türkei). Bulgarien trat an der Seite Deutschlands in den Krieg ein, um den Serben Makedonien zu entreißen und sich ein Anrecht auf die rumänische Dobrudscha zu sichern. Rumänien schloss sich den Entente-Mächten an, die ihm beträchtliche Territorien in Ungarn versprachen. Mit dem Abkommen vom 18. März 1915 sicherten Frankreich und England Russland für die Zeit nach dem Krieg die Herrschaft über Istanbul und die Meerengen zu. Das wiederum alarmierte Griechenland, das sich angesichts der Perspektive einer russischen Hegemonie im Mittelmeer von Nordosten her und einer massiven Stärkung Serbiens an seiner nördlichen Grenze zur Neutralität entschloss – trotz der Erpressungsversuche der Entente-Mächte, die griechische Häfen blockierten, um die Versorgung der Bevölkerung zu verhindern. Doch der französisch-englische Druck wurde so groß, dass König Konstantin im Juni 1917 ins Exil gezwungen wurde. Die von dem Nationalisten Eleftherios Venizelos geführte neue Regierung trat an der Seite der Alliierten in den Krieg ein mit dem Ziel einer Annexion Istanbuls und der Küstenregionen Thrakiens und Anatoliens. Unterdessen wurde auch die Südgrenze des Osmanischen Reichs erschüttert. Ende 1914 hatte England, als Konsequenz aus dem Kriegszustand mit der Türkei, Zypern annektiert und Ägypten formell zu seinem Protektorat erklärt. Die Engländer wurden zwar von den Türken an den Dardanellen zurückgeschlagen, rächten sich aber, indem sie 1916 einen türkischen Angriff auf den Suezkanal abwehrten und dessen östliches Ufer besetzten. Der Plan der Alliierten auf dem südöstlichen Kriegsschauplatz sah einen Zangenangriff auf Zentralanatolien vor, den die Russen von Armenien aus und die Engländer vom südlichen Mesopotamien kommend führen sollten. Zwar konnten die Türken im August 1916 die Russen aufhalten und Armenien zurückerobern, sie verloren aber im März 1917 die Stadt Bagdad. Auch in Zusammenhang mit der türkischen Gegenoffensive vollzog sich nun die Tragödie des armenischen Volkes: Eine Million Menschen wurde ermordet, eine weitere Million vertrieben. An der Vernichtung der Armenier waren auch kurdische Milizen beteiligt. Die konfiszierten armenischen Güter und die Spekulation mit Kriegslieferungen und öffentlichen Aufträgen begünstigten die Entstehung einer nationalen türkischen Bourgeoisie, die den Krieg überlebte. Derweil trat die arabische Welt im Streben nach Einheit und Unabhängigkeit in das komplizierte Mächtespiel ein. Der türkische Nationalismus hatte – in einem Prozess, der gleichermaßen Nachahmung und Reaktion war – unter Albanern,

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Kapitel zweiundzwanzig 

Kurden und Arabern ebenfalls nationale Bewegungen entstehen lassen. Unter denen, die einst die »fünf Finger des Sultans« gewesen waren (Türken, Armenier, Araber, Griechen und Juden), betrachteten sich die Araber als die stärkste und bedeutendste Nation, schließlich war die Arabische Halbinsel die Wiege des Islams. Jetzt schlugen sie der osmanischen Welt die Neugründung des Reiches entlang einer türkisch-arabischen Achse vor, um die griechisch-slawischen, armenischen und jüdischen Untertanen in Schranken zu halten. Während in der Türkei die Modernisierung und Verwestlichung ein allerletzter Versuch zu sein schien, das Reich zu retten und ein laizistisches Korrektiv einzubringen, kam es in den arabischen Ländern, vor allem in Ägypten (das für den westlichen und vor allem englischen Einfluss in besonderer Weise offen war), zu Erneuerungsbemühungen, die in der Nahda (Wiederaufbruch) ihren Ausdruck fanden. Ihr Vorbild war Griechenland und sein legendärer Freiheitskampf 1821–1829 gegen die auch bei den Arabern ungeliebten osmanischen Unterdrücker. Hier jedoch tat sich für die muslimischen Araber ein Hindernis auf: Die Türken waren trotz allem Teil der umma der Gläubigen, und der Sultan trug den Titel des Kalifen, so umstritten das auch war. Es bedurfte eines langen politischen und kulturellen Prozesses, der von der jungen arabischen Elite unterstützt wurde, die die Universitäten von Paris, Oxford und Cambridge besuchte, bis sich die Idee einer Nation moderner westlicher Prägung allmählich Bahn brach. Dies und das Versprechen künftiger politischer Einheit in einem großen arabischen Vaterland – das sich vom Suezkanal bis zum Tigris und vom oberen Euphrat bis in den Jemen erstrecken würde – brachte die Araber dazu, 1916 unter Führung des haschemitischen Scherifen (Titel für einen Nachkommen des Propheten, wörtlich »vornehm«) al-Hussein ibn Ali, des Schutzherrn von Mekka, auf dem nahöstlichen Schauplatz in den Ersten Weltkrieg einzutreten. Der Islam, dessen Krise Anfang des 20. Jahrhunderts begann, ging aus dem Konflikt zwangsläufig geschwächt hervor. Er war unter den Sultanen und »Kalifen« des Osmanischen Reichs zur Staffage geworden, und selbst die Araber ließen ihre Religion beim Kriegseintritt an der Seite der französischen und englischen »Ungläubigen« im Kampf gegen ihre türkischen Glaubensgenossen außer Acht. Doch die Ereignisse nach dem Sykes-Picot-Abkommen von 1916 (zur Festlegung der künftigen Einflusszonen der Briten und Franzosen im Nahen Osten) und der Balfour-Deklaration von 1917 (zur Schaffung einer nationalen Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina im Einklang mit den Bestrebungen der zionistischen

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Bewegung) entfremdeten die enttäuschte arabische Welt vom Westen. Darauf werden wir noch zurückkommen. 1912 war in Kairo eine Partei gegründet worden, die die Dezentralisierung der Verwaltung in den arabischen Provinzen des Osmanischen Reichs anstrebte. Im Juni 1913 hatte in Paris ein arabischer Kongress stattgefunden, der einen Reformplan für die arabischen Provinzen mit dem Ziel eines neuen, gleichsam doppelköpfigen arabisch-türkischen Reiches erarbeitete. England, Herr über Ägypten, betrachtete diese Bestrebungen mit Argwohn und wusste erfolgreich gegenzusteuern. Die 1915/16 geschlossenen Abkommen zwischen dem britischen Hochkommissar für Ägypten, Henry McMahon, und dem Scherifen al-Hussein ibn Ali führten zum berühmten »Aufstand in der Wüste«, den Thomas E. Lawrence, einer seiner Organisatoren, im ersten Buch seiner Sieben Säulen der Weisheit schilderte. Die Engländer versprachen al-Hussein, einem aufrichtigen Bewunderer des Westens und der liberalen Demokratie, die Unabhängigkeit der arabischen Länder und einen »souveränen und unabhängigen muslimischen Staat« einschließlich der heiligen Stätten. Man stellte ihm sogar ein Reich in Aussicht, das alle arabischen Völker von Syrien bis zum Golf von Aden und vom Levantinischen Meer bis zum Tigris vereinen würde. Der englisch-arabische Feldzug im Nahen Osten hatte Erfolg: Mithilfe des aus Ägypten herbeieilenden britischen Expeditionskorps unter dem Befehl von General Edward Allenby und dank der kriegerischen Beduinenstämme, die die Türken auf ihren Vorposten in der Wüste und am Roten Meer angriffen, wurde im Oktober 1917 Gaza erobert. Am 11. Dezember betrat General Allenby Jerusalem durch das Jaffa-Tor (durch das 1898 Kaiser Wilhelm II. feierlich Einzug gehalten hatte). Er nahm die Stadt in Besitz und sicherte »im Namen der Regierung Seiner Majestät« zu, den Bewohnern und den heiligen Stätten der drei Schwesterreligionen Respekt entgegenzubringen. Doch das Projekt der arabischen Unabhängigkeit widersprach den Kolonialplänen der Engländer und Franzosen. 1916, als der Aufstand der Araber zur Vertreibung der »fremden« Türken aus ihrem Land begann, hatten Frankreich und Großbritannien mit dem Sykes-Picot-Abkommen bereits die Aufteilung der nichttürkischen Territorien untereinander vereinbart: Frankreich sollte Syrien und den Libanon erhalten, Großbritannien Mesopotamien, Palästina und Transjordanien. Der Plan war zwar geheim, wurde aber nach der russischen Oktoberrevolution von der bolschewistischen Regierung publik gemacht und rief in der arabischen Welt Empörung und Fassungslosigkeit hervor. Am 2. Novem-

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Kapitel zweiundzwanzig 

ber 1917 wurde die Balfour-Deklaration veröffentlicht, in der sich die britische Diplomatie für die Umwandlung der seit Ende des 19. Jahrhunderts in Palästina gegründeten zionistischen Kolonien in eine nationale Heimstätte für die Juden aussprach, der erste Schritt zur Gründung eines künftigen Staates. Dieser Schachzug der Briten war Teil des Plans, die zionistische Bewegung – die unter Führung deutscher Juden stand, von denen viele, auch einflussreiche Persönlichkeiten, Sympathien für Deutschland hegten – von ihrem deutschfreundlichen Loyalismus abzubringen und auf die Seite der Entente zu ziehen. Doch dieser rücksichtslose Schritt trug zur Ausbreitung des deutschen Antisemitismus bei und entfremdete die arabische Welt noch weiter vom liberalen Europa, als es das Sykes-Picot-Abkommen schon getan hatte. Europa hatte den Arabern Einheit und Unabhängigkeit versprochen, tatsächlich aber Zwietracht gesät, ihnen eine neue Form des Kolonialismus aufgezwungen und das Westjordanland der zionistischen Expansion preisgegeben. Im September 1918 endete die »Palästinaschlacht« damit, dass die Briten die türkische Front bei Jaffa durchbrachen. Die türkische Regierung musste USPräsident Thomas Woodrow Wilson um die Vermittlung eines Waffenstillstands bitten, der am 30. Oktober unterzeichnet wurde. Am Tag darauf fuhr eine Flotte der Alliierten in den Bosporus ein. Die Hauptstadt wurde besetzt. Die »drei Paschas« des Triumvirats, die unter Führung von Enver die politischen Geschicke des Reichs gelenkt hatten, flüchteten ins Ausland und hinterließen ein am Boden liegendes Land mit Hunderttausenden gefallenen Soldaten, Scharen von plündernden und mordenden Deserteuren und eine schwere Hungersnot. Die türkische Bevölkerung Anatoliens war von über 14 Millionen im Jahr 1912 auf weniger als 12 Millionen geschrumpft. Enver wurde in Moskau Lenins Berater für die islamischen Provinzen der Sowjetunion und folgte der Roten Armee nach Zentralasien. Später schlug er sich auf die Seite der muslimischen Aufständischen, von den Sowjets Basmatschi genannt, rief einen Dschihad gegen die »atheistischen Kommunisten« aus und fiel am 4. August 1922 im Kampf gegen die Rote Armee. Die Bolschewisten hatten ihren Napoleon Michail Frunze gegen ihn ins Feld geschickt, der nach seiner Rückkehr nach Moskau gleichfalls starb, Opfer eines Magengeschwürs oder, was wahrscheinlicher ist, der Missgunst und Angst Trotzkis.

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Ein Gigant in Trümmern Die am 19. Januar 1919 in Schloss Versailles eröffnete Friedenskonferenz führte am 10. August 1920 in Sèvres zu einem Vertrag zwischen den Siegermächten und der Türkei. Beschlossen wurde die Öffnung der Meerengen, die unter internationale Kontrolle und Verwaltung gestellt wurden, und die Abtretung diverser Gebiete: An Griechenland fielen Ostthrakien mit Gallipoli, die Ägäischen Inseln und Smyrna samt seinem Hinterland. Vereinbart wurde auch die Errichtung von »Mandaten« des neu gegründeten Völkerbunds: Frankreich erhielt Syrien und Kilikien, England Mesopotamien, das Westjordanland, Transjordanien und Arabien als Mandatsgebiet. Es sollte ein unabhängiges Armenien geschaffen werden. Rhodos und die anderen Dodekanes-Inseln wurden Italien zugesprochen, England bekam Zypern und Ägypten. Schon kurz zuvor hatten die Italiener – im Hinblick auf den Dodekanes  – die anatolischen Regionen Konya und Antalya, die Griechen Smyrna (Izmir) und die Franzosen Kilikien besetzt. Der neuen Republik Armenien wurde der Nordosten Anatoliens zugeschlagen. Zwischen Armenien, Persien und Syrien schob sich wie ein Keil Kurdistan, das seinerseits nach Unabhängigkeit strebte. Gegen diesen Friedensvertrag, der auf eine Zerteilung Anatoliens hinauslief, formierte sich eine nationale Bewegung unter Führung von General Mustafa Kemal. In einem am 22. Juni 1919 von Amasya aus veröffentlichten Rundschreiben rief er zum Ungehorsam gegen die Regierung in Istanbul auf, die sich dem Waffenstillstand gebeugt hatte. Auf den Nationalkongressen in Erzurum und Sivas zwischen Juli und September plädierte er für die Schaffung eines neuen türkischen Nationalstaats innerhalb der »natürlichen Grenzen« Anatoliens und lehnte die Idee eines amerikanischen Mandats über das, was vom Osmanischen Reich noch übrig war, kategorisch ab. Das letzte osmanische Parlament ratifizierte den »Nationalpakt« von Sivas, und im April 1920 fand in Ankara die Große Nationalversammlung statt, obwohl Mustafa Kemal zusammen mit anderen Mitgliedern der nationalistischen Führung von der Regierung Sultan Mehmeds VI. (1918–1922) zum Tod verurteilt worden war und der Scheich-ül-Islam eine Todesfatwa gegen ihn ausgesprochen hatte. Nach dem Frieden von Sèvres eroberte die nationalistische Armee das armenische Territorium zurück, schloss einen Freundschaftsvertrag mit der Sowjetunion, die den Kaukasus als Grenze anerkannte, schlug die Widerstandsbestrebungen der Armenier brutal nieder, besiegte in mehreren Kämpfen das griechische Heer,

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Kapitel zweiundzwanzig 

Mustafa Kemal Atatürk.

das mit einem Mandat der Alliierten Thrakien und Bithynien besetzt hatte, und eroberte Izmir, während Italiener und Franzosen ihre Positionen in Südanatolien 1921 zügig räumten. Die Londoner Konferenz vom Februar 1921 rehabilitierte die Kemalisten auch offiziell, isolierte Griechenland und erkannte die provisorische Regierung in Ankara als einzig glaubwürdigen Gesprächspartner an. Am 1. November 1922, nach dem Waffenstillstand mit Griechenland, wurde das Sultanat abgeschafft und knapp ein Jahr später die Republik ausgerufen. 1924 verzichtete Mehmed VI. dann auch auf den Titel des Kalifen. Mit dem Frieden von Lausanne

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1923 gewann die neue Türkei Ostthrakien bis Maritza zurück, die Inseln Imbros (Gökçeada)und Tenedos (Bozcaada), das Gebiet um Izmir sowie das westliche Armenien. Aus nunmehr endgültig verlorenen Territorien nahm die Türkei 430 000 türkische Flüchtlinge auf und vertrieb im Gegenzug 1,35 Millionen Hellenen nach Griechenland. Das System der Kapitulationen, das die Einmischung ausländischer Mächte in die Belange der christlichen Bevölkerungen auf türkischem Territorium erlaubte, wurde abgeschafft, und beide Seiten verzichteten auf Reparationsforderungen. Ebenfalls 1923 wurde Mustafa Kemal zum ersten Präsidenten der neuen Republik mit der Hauptstadt Ankara ausgerufen. Es bestand von nun an eine Einparteienregierung der Republikanischen Volkspartei auf der Basis eines laizistischen Programms der Trennung von Staat und Religion, der Verbannung des islamischen Rechts aus den Verwaltungs- und Bildungsinstitutionen und einer auf staatlicher Beteiligung basierenden Wirtschaft. Das türkische Zivilrecht wurde nach dem Modell des schweizerischen Zivilgesetzbuchs, das Strafrecht nach dem Modell des italienischen Strafgesetzbuchs gestaltet. 1928 wurde für die türkische Schriftsprache anstelle des arabischen Alphabets das lateinische eingeführt; 1929 wurden Arabisch und Persisch als Pflichtfächer an höheren Schulen abgeschafft. 1934 wurden die Familiennamen und die europäische Kleidung eingeführt. Unterdessen ging die Neuorganisation des südlichen Teils des einstigen Osmanischen Reichs weiter. In Syrien war 1918 der Emir Faisal, Sohn des Scherifen alHussein, von einem mit Unterstützung von Colonel Lawrence einberufenen arabischen Nationalkongress zum König proklamiert worden. Doch die Franzosen, die das Mandat für dieses Gebiet erhalten hatten, stürzten Faisal, unterdrückten Aufstandsversuche, setzten eine Verwaltung ein und riefen schließlich 1926 die Republik Libanon ins Leben. Faisal war bereits 1921 mit dem Einverständnis der Briten nach Mesopotamien gegangen. Die Region, die unter den Türken mit Rücksicht auf die ethnischen und religiösen Unterschiede in drei vilayets aufgeteilt gewesen war (mit den kurdischen Sunniten im Norden, den arabischen Sunniten in der Mitte und den arabischen Schiiten im Süden), wurde nun unter dem Namen »Irak« reorganisiert. 1925 erhielt der neue Staat die Form einer konstitutionellen Monarchie und wurde von England 1930 per Vertrag und im Tausch gegen die Abtretung einiger Stützpunkte an die britische Luftwaffe als unabhängiges Land anerkannt. Die Rivalität zwischen England und Frankreich um die Kontrolle über die Erdölregion Mossul hatte 1920 zur Konferenz von Sanremo geführt, auf der die Beteiligung Frankreichs an der Ausbeutung der Region anerkannt wurde.

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Kapitel zweiundzwanzig 

1926 wurde der Vertrag von Mossul geschlossen, mit dem die Anteile der Turkish Petroleum Company zwischen mehreren Erdölkonsortien aufgeteilt wurden: einem englischen (52,5 Prozent), einem US-amerikanischen (21,25 Prozent) und einem französischen (21,25 Prozent); ein armenischer Mittelsmann erhielt 5 Prozent. Das britische Mandatsgebiet Transjordanien wurde 1921 zu einem Emirat unter Abdallah, einem weiteren Sohn al-Husseins. 1923 wurde es von Palästina abgetrennt, knüpfte aber noch engere Beziehungen zu England, die durch die vom britischen General Glubb Pascha gegründete angesehene Arabische Legion garantiert wurden. In Palästina konnte die direkte britische Mandatsregierung die immer häufigeren Zusammenstöße zwischen Arabern und jüdischen Siedlern nicht verhindern. Schließlich kam es 1937 zu einem ersten Vorschlag zur Teilung des Landes (der von beiden Seiten abgelehnt wurde). 1939 veröffentlichte die britische Regierung ihr Weißbuch, das die jüdische Einwanderung auf jährlich 15 000 Personen beschränkte, ohne dass die heimliche Einwanderung gestoppt werden konnte. Al-Hussein, Herrscher des Königreichs Hedschas (ein formell dem Sultan von Istanbul unterstehendes Reich an der Westküste der Arabischen Halbinsel), der als Emir und »Wächter« über Mekka 1916 zum arabischen Aufstand gegen die Türken aufgerufen hatte, durfte zwar die Einsetzung seiner Söhne Faisal und Abdallah zu Königen erleben, war aber unzufrieden damit, wie die Siegermächte mithilfe des Mandatssystems die Frage der arabischen Einheit gelöst hatten. England unterstützte den Kampf des Sultans von Nadschd, Abd al-Aziz ibn Saud, gegen den Herrn über den Hedschas. Ibn Saud war das politische Oberhaupt der radikalen wahhabitischen Sekte und lag seit 1921 mit al-Hussein im Streit. Nachdem sich al-Hussein 1924 zum Kalifen ausgerufen hatte – der Titel war nach der Absetzung des türkischen Sultans Mehmed VI. vakant gewesen –, erklärte ibn Saud ihm den Krieg. Der Konflikt endete im Jahr darauf mit der Abdankung zuerst al-Husseins und dann seines Sohnes Ali. 1926 wurde ibn Saud zum König des Hedschas und des Nadschd ausgerufen, die 1932 mit weiteren Gebieten zum Königreich SaudiArabien vereinigt wurden. 1922 erkannte Großbritannien Ägypten den Status eines unabhängigen Königreichs zu. Es gab damit nicht zuletzt dem Druck der Nationalisten von der Wafd-Partei nach, behielt sich aber die militärische Kontrolle über Ägypten und den Sudan sowie die volle Kontrolle über den Suezkanal vor. Der zum König gekrönte Emir Fuad löste das Parlament auf und regierte autoritär bis 1936, als unter seinem Nachfolger Faruk I. mit dem anglo-ägyptischen Vertrag

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Ägypten als souveräner Staat anerkannt, zugleich aber die Präsenz britischer Truppen am Suezkanal für weitere zwanzig Jahre festgeschrieben wurde. In Zypern, das einen wichtigen Marine- und Militärstützpunkt Großbritanniens darstellte, kämpfte die griechische Bevölkerungsmehrheit in den 1950er-Jahren für die Vereinigung mit Griechenland. Mit dem Vertrag von London 1959 wurde Zypern ein unabhängiger Staat, vorbehaltlich des Verbleibs der Briten auf der Insel. Doch sollte es trotz der vertraglich garantierten territorialen Integrität später zu einer griechisch-türkischen Teilung der Insel kommen. Das Osmanische Reich hatte vom 15. bis zum 19. Jahrhundert gegenüber dem schiitisch-muslimischen Perserreich die Einheit der sunnitischen umma im Mittelmeerraum und im Nahen Osten repräsentiert und sich insbesondere mit der Gesetzgebung Süleymans des Prächtigen die Tradition der byzantinischen Verwaltung angeeignet. Es hatte zwischen den Religionen und Ethnien lange Zeit ein kluges Gleichgewicht gewahrt, indem es sich der Institutionen der verschiedenen Gemeinschaften (der millet) bediente und die Sonderrechte seiner nichtmuslimischen Untertanen (der dhimmi) respektierte. Sein politischer Niedergang seit dem Ende des 17. Jahrhunderts hatte dieses Gleichgewicht zunächst nicht wesentlich beeinträchtigt, da die Technologien und das Kapital aus dem Westen, für die sich die Regierung des Sultans zunehmend interessierte, und ebenso die diplomatischen Beziehungen zu einigen privilegierten westlichen Mächten (insbesondere zu Frankreich und England, aber dann auch zu Venedig, Spanien und schließlich Österreich) strenger Regierungskontrolle unterlagen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde dieses Gleichgewicht allerdings zunehmend untergraben, sei es infolge der widerstreitenden politischen, wirtschaftlichen und kolonialen Interessen der westlichen Mächte, sei es infolge des wachsenden Drucks der Moderne auf die sozioökonomischen und kaufmännischen Eliten, ob Türken oder Araber. Der Dreiklang von Staat, Vaterland und Nation, der der muslimischen umma ursprünglich fremd war, bildete im 19. Jahrhundert und mehr noch ab dem 20. Jahrhundert einen machtvollen Faktor des Fortschritts und der Erneuerung, aber auch der Auflösung des osmanischen Staatsverbands. Das Konzept gab einem türkischen und einem arabischen Nationalismus Auftrieb, der die verschiedenen Gemeinschaften zwischen Anatolien und dem Nahen Osten erfasste. Die nordafrikanischen Territorien des Reiches, die von den kolonialen Plänen Frankreichs und Englands unmittelbarer betroffen waren, fanden erst nach dem Zweiten Weltkrieg den Weg in die Unabhängigkeit.

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Kapitel zweiundzwanzig 

Für den Zerfall des Osmanischen Reichs spielte die Schwächung der Macht des Sultans, dem die Kontrolle über das »ethnische Mosaik« zunehmend entglitt, eine zentrale Rolle. Später musste sich der panarabische Nationalismus, selbst eine Folgeerscheinung dieses Zerfalls, mit der Entstehung einer zunehmenden Zahl von Staatsgebilden arrangieren, denen die westlichen Hegemonialmächte eine bestimmte institutionelle Ordnung aufzwangen. Diese äußerst komplexe Situation war geprägt von den Widersprüchen, die sich aus den politischen Zielen und Zwängen der Entente-Mächte ergaben: Da war die Notwendigkeit, die arabische Unterstützung gegen die Türken zu gewinnen; die Notwendigkeit, das Gelingen der eigenen neokolonialen Pläne zu gewährleisten; und die Notwendigkeit, die Sympathie der zionistischen Bewegung für sich – und gegen die Deutschen – zu gewinnen. Hinzu kamen die vom Wettlauf um die Ausbeutung der Ölfelder zwischen Arabischer Halbinsel, Persischem Golf, Mesopotamien und Irak diktierten Erfordernisse. Um die kemalistische Türkei an ihrer Seite zu halten, das Land der Anziehungskraft der Faschismen zu entreißen und später, im »Kalten Krieg«, ein gegen die Sowjetunion gerichtetes strategisches Bündnis mit der Türkei zu bewahren, drückten die westlichen Mächte zwischen den 1920er- und den 1990erJahren mit Blick auf den Genozid an den Armeniern und die jahrzehntelange Unterdrückung der Kurden ein Auge zu. Die Politik des divide et impera gegenüber den arabischen Bevölkerungsgruppen und der dauerhaften Unterstützung Israels in der Palästinenserfrage führte zu einer wachsenden Aversion der arabischen Welt gegen den liberalen Westen. Der musste sich den Vorwurf gefallen lassen, die arabische Welt während des Kriegs gegen die Türken getäuscht und danach betrogen zu haben, was die Araber (aber auch viele Muslime im Iran und in Indien) erst veranlasst habe, einen Teil ihrer Sympathien zuerst den Faschismen, dann der Sowjetunion und schließlich fundamentalistischen Anliegen zu schenken. Die Diskreditierung und Auflösung des plurinationalen und multikulturellen Osmanischen Reichs, der Wettlauf um die Aneignung von Gebieten aus dessen Konkursmasse sowie eine von oben aufgezwungene »Modernisierung« und »Laisierung« hatten jene Unsicherheit, Instabilität und Gewalt zur Folge, die heute den gesamten Nahen Osten zu prägen scheinen. Der israelisch-palästinensische Konflikt, die fundamentalistischen Bewegungen von Ägypten bis Pakistan, der islamistische Umschwung im Iran, das Chaos im Irak, die rätselhafte Schwäche der arabischen Staaten, die »autoritären Demokratien« und verkappten Diktaturen der nordafrikanischen Staaten, aber auch der ideologisch-fundamentalistische

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Terrorismus  – all dies sind Aspekte eines Erbes, das dem Ersten Weltkrieg geschuldet ist, aber auch der geradezu obsessiven Entschlossenheit einiger westlicher Mächte, die Erfahrungen mit der Regierung eines supranationalen Staatswesens um jeden Preis beiseitezuwischen, sowie dem unheilvollen Frieden der Versailler Verträge, den David Fromkin als einen »Frieden, der jeden Frieden beendete« bezeichnet hat.

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Kapitel dreiundzwanzig

Die Erinnerung an die Kreuzzüge Die Kreuzzüge aus Sicht der Araber Die Verkündigung des Glaubens, die Expansion kolonialer Interessen, die christliche Mission, der Export politischer Freiheiten und des zivilen, sozialen und technologischen Fortschritts in außereuropäische Länder – kurz das, was Kipling »die Bürde des weißen Mannes« nannte – trugen in unterschiedlicher Weise dazu bei, die afrikanischen und asiatischen Abenteuer der europäischen Völker zu rechtfertigen. In diesem Kontext sieht man seit dem 19. und 20. Jahrhundert (und mehr noch zu Beginn des neuen Jahrtausends) das Kreuzzugsbanner in meist propagandistischer Funktion wieder aufblitzen. So beim französischen Feldzug gegen Tunesien 1881–1883, dem Feldzug des britischen Generals Gordon gegen den Mahdi Muhammad Ahmad im Sudan 1884/85, der italienischen Besetzung von Tripolitanien 1911/12, dem spanischen Rifkrieg in Nordmarokko 1921–1926, in dem sich der Galizier Francisco Franco – später caudillo einer anderen cruzada – hervortat, und schließlich in den beiden italienischen Kriegen gegen Äthiopien. Es sind vor allem diese »Kreuzzüge«, die einige Muslime heute den Europäern im Namen des gesamten Islams zum Vorwurf machen, auch wenn oft – und nicht nur von islamischer Seite – behauptet wird, der Islam habe Europa die in den Schulbüchern genannten sieben oder acht Kreuzzüge nie verziehen. Die Realität sieht anders aus: Die islamische Welt hat die damaligen Kreuzzüge gar nicht als solche wahrgenommen, sie unterschied nicht zwischen Kreuzzügen und sonstigen Einfällen der »fränkischen« Barbaren und argwöhnte nie, dass all dies auf einem theologischen und rechtlichen

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Fundament stehen könnte. Erst die Söhne der »aufgeklärten« Führungsschicht einer muslimischen Welt, die vom Westen gleichermaßen erobert und fasziniert war, erfüllt vom Traum einer erneuerten Zukunft, erfuhren im 19. Jahrhundert an den Universitäten von Oxford, Cambridge und Paris mehr darüber. Sie lernten, dass Europa in den Jahrhunderten zuvor einen komplexen Versuch unternommen hatte, sich ihrer Welt zu bemächtigen, und dass diese Aggression als direkte Vorläuferin des modernen Kolonialismus betrachtet werden konnte. Aus dieser Perspektive war Saladin ein Held des vergangenen und künftigen Dschihad gegen die Ungläubigen. Auch Kaiser Wilhelm II., ein Verbündeter des Osmanischen Reichs, ehrte Saladin bei seiner triumphalen Orientreise 1898 in Damaskus, indem er auf dessen Grab im Komplex der Umayyaden-Moschee einen Kranz niederlegen ließ. Er besuchte zahlreiche Stätten des Islams von Istanbul bis Jerusalem, wo er unter anderem die Einweihung der deutsch-evangelischen Erlöserkirche in der Altstadt vollzog. Bei einem Staatsbesuch in Tanger 1905 beruhigte er seine Bündnispartner bezüglich der Gefahren, die von der französischenglischen Entente cordiale für ihre Souveränitätsrechte ausgehen könnten. Es war ein romantischer und ritterlicher Tribut an die große islamische Kultur. Kaiser Wilhelm erwies ihr seine Reverenz, wie es zuvor Goethe mit seinem West-östlichen Divan, Wagner mit seinem Parsifal und Nietzsche mit seinem Zarathustra getan hatten. Doch dies waren Entwicklungen jüngerer, ja allerjüngster Zeit. Wurde dieses längst überfällige Interesse der Europäer an den Muslimen, so naiv und unausgegoren es oft war, von diesen erwidert? Bis auf wenige Ausnahmen wusste die muslimische Welt nichts über die europäische. Die vorherrschende kulturelle Haltung war ein ausdrückliches Desinteresse an anderen Kulturen, die als der eigenen unterlegen erachtet wurden. Vor diesem Hintergrund wird auch besser verständlich, warum die Muslime keine ausgearbeiteten Rechts- und Ideenkonstrukte hinter dem Phänomen der Kreuzzüge vermuteten und warum aus den »Kriegen der Franken« erst in neuerer Zeit und unter dem Einfluss der westlichen Geschichtsschreibung »Kriege des Kreuzes« wurden. Heute wird oft davon ausgegangen, dass die gesamte arabische, ja islamische Welt eine Erinnerung an die Kreuzzüge als den zentralen Moment jener Kette von Übergriffen und Gewaltakten bewahrt, derer sich der Westen schuldig gemacht hat. Dies ist jedoch eine in erster Linie demagogische Position. Abgesehen davon, dass Kreuzzüge und moderne Kolonialfeldzüge nicht miteinander vergleichbar sind, gibt es keine Spuren der Kontinuität einer solchen

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Kapitel dreiundzwanzig 

Erinnerung. Während in der Kultur der aus Spanien im 15. und 16. Jahrhundert vertriebenen Muslime und Juden die schmerzliche und nostalgische Erinnerung an al-Andalus und Sepharad immer noch lebendig ist und von Generation zu Generation weitergegeben wird, existiert eine solche Tradition bezüglich der Kreuzzüge nicht. Erst seit dem letzten Jahrhundert hat die muslimische Welt, vermittelt durch die westliche Geschichte, das Wissen um die Kreuzzüge wiedererlangt – als Baustein einer nicht mehr ausschließlich religiösen, sondern auch patriotisch-kulturellen Identität. Das geschah nicht zufällig. Über Jahrhunderte hinweg hatten Christen und Muslime Mühe, die innere Beschaffenheit des politisch-kulturellen Systems der jeweils anderen Seite zu erkennen und zu verstehen. Seit dem Mittelalter sah die Christenheit – die sich idealerweise als ein in sich geschlossenes Ganzes mit den Zentralmächten Papst und Kaiser verstand – im Islam eine gigantische, bedrohliche Macht, die Territorien von Anatolien bis Spanien in ihren Zangengriff nahm. Dass sich die Muslime überall untereinander bekämpften, spielte keine Rolle: Die gängige Vorstellung war, dass die islamische Welt über eine organisch gewachsene und hierarchisch gegliederte Kirche verfügte, deren Papst der Kalif war. Es kann nicht verwundern, dass der Islam, besonders in seiner volkstümlichen Ausprägung, den Westen ähnlich sah. Die Kreuzzüge sind kein Teil der historischen Erinnerung des Islams, sondern Teil einer Geschichte, derer sich die politische Klasse, die Intellektuellen, Rechtsgelehrten und Theologen der islamischen Welt bedient haben. In der laizistischen westlichen Welt wiederum gibt es Stimmen, die, ausgehend von der ziemlich diffusen Vorstellung eines Heiligen Kriegs, kurzerhand Kreuzzug und Dschihad gleichsetzen. Über solche Missverständnisse sollten wir uns nicht mehr allzu sehr wundern. Die Überzeugung, der Islam sei ein kompakter monolithischer Block, ist bis heute in weiten Teilen der europäischen Öffentlichkeit lebendig, zumindest unausgesprochen. Ein Beleg dafür ist, dass das derzeitige islamische Erwachen, das alles andere als homogene Züge trägt, häufig pauschal als die letzte von insgesamt drei Wellen betrachtet wird, die im Lauf der Geschichte über die westliche Welt hereingebrochen seien: zuerst der noch ganz junge Islam des 7. bis 10. Jahrhunderts, dann die türkisch-osmanische Welle des 14. bis 18. Jahrhunderts und zuletzt eben die aktuelle.

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Dschihad und Dschihadismus Wie bereits erwähnt, bedeutet Dschihad ursprünglich nichts anderes als das »Bemühen auf dem Weg Gottes«: eine besondere Anstrengung, die immer dann geboten ist, wenn die umma, die Gemeinschaft, in ihrer Existenz, Freiheit und Sicherheit bedroht ist. Während sich der »kleine Dschihad« gegen äußere Feinde, gegen die Ungläubigen, richten kann, ist der »große Dschihad« das Äquivalent der pugna spiritualis der Christen: der Kampf gegen den inneren Feind, die Sünde, die eigenen Schwächen und Widersprüche. Der Dschihad ist somit nichts anderes als das freiwillige Bemühen des Gläubigen um einen gottgefälligen Lebenswandel. Das kann, aber muss nicht Krieg bedeuten. Natürlich hat dies recht wenig mit dem Dschihadismus zu tun, dessen komplizierte Entstehungsgeschichte bis ins Ende des 18. Jahrhunderts zurückreicht. Auch wenn sich die Dschihadisten als Träger des reinen Glaubens präsentieren und zu den Grundlagen des ursprünglichen Islams zurückkehren wollen, handelt es sich dennoch um eine zutiefst moderne Bewegung. Woher aber bezieht diese Bewegung ihre Kraft? Im Grunde aus ebenjenem Interesse, ja aus den Gefühlen von Sympathie und Bewunderung, die die Muslime – gewohnt, sich als Hegemonialmacht und Sieger zu betrachten, doch in der Neuzeit von den technologisch und militärisch überlegenen Europäern wiederholt besiegt – dem Westen ursprünglich entgegenbrachten. Denken wir nur daran, dass nach General Napoleon Bonapartes Ankunft in Ägypten und seiner Proklamation an die muslimischen Einwohner Ägyptens in Alexandria am 2. Juli 1798 überall in der muslimischen Welt Freimaurerlogen entstanden. Die muslimischen Eliten des 19. Jahrhunderts hegten den Wunsch nach Verwestlichung, wie die Modernisierungsgesetze der osmanischen Sultane (die Tanzimat-Reformen), der ägyptischen Khediven und der iranischen Schahs beweisen. Die westlichem Vorbild folgenden Reformen Mustafa Kemal Atatürks in der Türkei und Schah Reza Pahlavis in Persien in den 1920er- und 1930er-Jahren sind ein weiterer Beleg. Wie wir gesehen haben, hatten die Engländer während des Ersten Weltkriegs dem Wächter über die heiligen Stätten des Islams in Mekka und Medina und König des Hedschas, dem Scherifen al-Hussein ibn Ali, versprochen, ihn nach dem Krieg zum König eines arabischen Großreichs zu machen, in dem alle arabischen Völker vereint sein würden. Dafür müsse er jedoch einen arabischen Aufstand gegen die mit Deutschland verbündeten Türken anführen und sich dem Anliegen der Entente-Mächte verschreiben. Al-Hussein schwebte ein großes Reich mit liberalen

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Kapitel dreiundzwanzig 

Institutionen vor wie Britisch-Indien, das ein Zweikammersystem wie England hatte und dem Commonwealth angehörte. Gleichzeitig aber vereinbarten Großbritannien und Frankreich, nach dem Ende des Kriegs die arabische Welt unter sich aufzuteilen. Auch der Wettlauf ums Erdöl hatte begonnen. Statt Arabien dem progressiven und liberalen al-Hussein anzuvertrauen  – der sich nach dem gebrochenen Versprechen eines geeinten großarabischen Reichs verraten fühlte und sich im Übrigen der Bedeutung der neuen Energiequelle durchaus bewusst war –, entschieden sie sich für die primitiveren Scheichs der Arabischen Halbinsel, die sich mit den Zahlungen der Erdölgesellschaften zufrieden gaben, in ihren Territorien archaische, der Moderne gegenüber abgeschottete Kleinstaaten gründeten und den kolonialen Großmächten willfährig waren. Dies war die Situation, die die Vereinigten Staaten von Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg vorfanden. Gegen den Verrat und die Gewalt der Kolonialstaaten formierten sich indes schon in den 1920er-Jahren Bewegungen wie die von Hasan al-Banna gegründeten Muslimbrüder in Ägypten oder die von Muhammad Ali Jinnah im Nordwesten Indiens gegründete Bewegung. Ihr Postulat lautete, dass die muslimischen Völker nur dann ihre Freiheit und die alte Hegemonie zurückerlangen könnten, wenn sie zur ursprünglichen Kraft des Islams zurückkehrten. Ähnliche Ansichten vertrat im Iran der 1970er-Jahre der schiitische Geistliche Ayatollah Chomeini, der die unerbittliche Diktatur Schah Mohammad Reza Pahlavis verurteilte und im Iran die Macht ergriff. Der Schah hatte dem Land seine Würde geraubt und innenpolitisch eine gewaltsame Modernisierung durchgeführt, die den Traditionen seines Volkes widersprach. Außenpolitisch unterwarf er sich zuerst den Engländern und dann den Amerikanern, aber auch den multinationalen Erdölkonzernen. Empört über die liberalen europäischen Mächte, die sie schon im Ersten Weltkrieg verraten und ihnen statt Freiheit und Unabhängigkeit eine koloniale Ordnung gebracht hatten, sympathisierten die Muslime in den 1920er-und 1930er-Jahren mit Faschismus und Nationalsozialismus und in den 1950er- und 1960er-Jahren mit dem Sozialismus sowjetischer Prägung. Auch dies führte nur zu Enttäuschungen. Umso überzeugender erschien daher Chomeinis Maxime, der Islam könne nur in sich selbst und in seinen eigenen Grundprinzipien den Weg zu kulturellem und technologischem Fortschritt finden, um mit dem Westen konkurrieren zu können. Er dürfe weder dessen trügerischen Versprechungen Glauben schenken noch vom praktischen Atheismus inspirierte Methoden oder ethischmoralische Werte übernehmen, die nicht zum Islam passten.

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Fest steht, dass der Dschihadismus keineswegs eine Bewegung ist, die der Religion neuen Aufschwung geben oder den Glauben politisieren möchte. Im Gegenteil strebt er an, seinem Machtwillen einen religiösen Anstrich zu geben. Hierin liegt sein tiefer Modernismus, ja Atheismus. Das Gesetz und die Traditionen des Islams werden einerseits als Quellen der Identität, andererseits als Instrument der Revanche gegen den Westen benutzt. Der Westen tut sich schwer, die dschihadistische Bewegung zu verstehen, und neigt dazu, sie oberflächlich als eine Form des religiösen Fanatismus zu betrachen. In diesem Sinn macht er sich weiter deren Kräfte zunutze, wann immer es ihm opportun erscheint. In den 1970er- und 1980er-Jahren haben sich die Amerikaner der saudi-arabischen und jemenitischen Dschihadisten im Kampf gegen die Rote Armee in Afghanistan bedient. In Libyen und Syrien haben die Franzosen und Engländer auf die Dschihadisten zurückgegriffen, um Gaddafi zu stürzen und zu versuchen, Baschar al-Assad von der Macht zu vertreiben. Entsprechend scheint der sogenannte »gemäßigte Islam« in Wirklichkeit in erster Linie ein Bündnis derjenigen Kräfte zu sein, die in den muslimischen Ländern dazu bereit sind, die westliche Oberhoheit zu akzeptieren und zu erhalten. Die Folge ist die Rückkehr zu einem erbitterten religiösen Kampf, der in einer innerislamischen fitna und in der Verfolgung von Christen Ausdruck gefunden hat. Einige westliche (aber auch muslimisch-sunnitische) Regierungen hoffen heute noch, die Kräfte des »Kalifats«, also des Islamischen Staats, gegen den Iran nutzen zu können. Zynismus und Unaufrichtigkeit zahlen sich nicht aus. Um das Übel des Dschihadismus auszurotten, werden die westlichen Staaten ihre Politik der Unterstützung multinationaler Lobbys grundlegend überdenken müssen, die in vieler Hinsicht die Politik der kolonialen Ausbeutung des 19. und 20. Jahrhunderts fortführen und die Hauptursache für die anhaltende Ungleichheit und Ungerechtigkeit in dieser und anderen Regionen der Welt sind. Solange dies nicht geschieht, wird die Verzweiflung der Armen nur Hass, Fanatismus und menschliches Leid hervorbringen.

Wir und sie: wo verlaufen die Grenzen? Nach dem 11. September 2001 und dem Beginn des von den Vereinigten Staaten so genannten »Kriegs gegen den Terror« ist immer deutlicher geworden, dass man von einem »Kampf der Kulturen« überhaupt nicht sprechen kann. Das Schlagwort kursierte schon länger, erlangte aber durch Samuel Huntingtons 1996 er-

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Kapitel dreiundzwanzig 

schienenes Buch Clash of civilizations Berühmtheit. Der Titel hatte großen Erfolg, zeichnet aber bloß ein Zerrbild nicht nur des Islams, sondern auch der anderen nichtwestlichen Kulturen, die aus der Geschichte und der heutigen geopolitischen und geokulturellen Situation willkürlich herausgelöst und zu einer Einheitsfront gegen die »westliche« Kultur der Vereinigten Staaten, Westeuropas und weiterer Staaten gruppiert werden, welche ihrerseits zu einem undifferenzierten einheitlichen Ganzen zusammengefasst werden. Obwohl wissenschaftlich widerlegt und disqualifiziert, wird das Buch immer noch gern zitiert, weil es mit seiner simplifizierenden manichäischen Sicht einen bestimmten holzschnittartigen, aber wirksamen politischen Diskurs bedient. Die Wahrheit ist, dass sich heute die übergroße Mehrheit der Muslime ein friedliches Zusammenleben mit dem »Westen« wünscht, den sie im Übrigen keineswegs als fremd betrachtet. Freilich sind die Not und die Ungerechtigkeit, von denen vier Fünftel der Menschheit betroffen sind, ein Nährboden für Terrorismus – ein Sachverhalt, der oft und nicht zuletzt von Papst Franziskus klarsichtig benannt wurde. Und die jüngere Kriegspolitik der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten im Nahen und Mittleren Osten war nur Wasser auf die Mühlen derer, die beweisen wollen, dass der Westen »der Kreuzzüge« en bloc ein Feind des Islams ist. Wie so oft fördern und rechtfertigen die verschiedenen Extremismen einander gegenseitig. Der fundamentalistische und terroristische islamische Extremismus fand im aggressiven Unilateralismus der neokonservativen Intellektuellen und Politiker eine optimale Unterstützung und umgekehrt. Besonders mit den Angriffen auf Libyen und Syrien 2011 und der gut drei Jahre (2014–2017) dauernden Herrschaft des Daesh (besser bekannt als ISIS) wurde offenkundig, wie schwer es ist, zwischen »uns« und »ihnen« eine klare Grenze zu ziehen. Viele der Gruppen, die im Islamischen Staat zusammengeflossen sind, wurden von westlichen Verbündeten in der arabischen Welt, vor allem von Saudi-Arabien, unterstützt und finanziert. In den letzten Jahren ist immer deutlicher geworden, dass die fitna einiger Staaten der Arabischen Halbinsel für das innere Gleichgewicht der muslimischen Welt, aber auch für die Beziehungen zwischen der muslimischen Welt und dem Westen eine große und hartnäckige Bedrohung darstellt. Diesen Zwist schürt insbesondere Saudi-Arabien unermüdlich gegen den schiitischen Islam und dessen Führungsmacht, die Islamische Republik Iran. Die Europäer und der Westen allgemein neigen in ihrer Sorge vor gegen sie gerichteten Terroranschlägen dazu, zu unterschätzen, dass die ersten Opfer des

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derzeitigen Konflikts die Muslime selbst sind. Sie verkennen auch, dass Waffen und strategische Unterstützung für salafistisch-wahhabitische Extremisten oft von »prowestlichen« arabisch-muslimischen Regierungen und von Staaten kommen, die offiziell die Terroristen bekämpfen, dann aber Kompromisse mit ihnen schließen. Während dies geschrieben wird, vollzieht sich im Jemen ein Massaker, von dem nur selten die Rede ist, weil das von den westlichen Regierungen diplomatisch unterstützte und mit Waffen belieferte Saudi-Arabien und der von Russland und China unterstützte Iran dort einen Stellvertreterkrieg führen, in dem sie sich sunnitischer und schiitischer lokaler Gruppen bedienen. Die blutigen Anschläge auf europäischem Boden sind Auswirkungen dessen, was jenseits des Mittelmeers geschieht. Die aktuellen Beziehungen zwischen Europa und dem Islam müssen daher in zweifacher Hinsicht neu bewertet werden: Wir müssen erkennen, dass der Islam nicht mehr ein entferntes Phänomen ist, irgendwo weit weg von uns, denn es gibt längst einen europäischen Islam der Eingewanderten (schon in zweiter und dritter Generation), aber auch der europäischen Konvertiten; mit diesen Muslimen muss ein Gleichgewicht erreicht und gefestigt werden, wie es in vielen Großstädten bereits Normalität ist. Aber auch die Regierungen und die wirtschaftlichen und finanziellen Akteure Europas müssen zu einer bedachtsameren Politik gegenüber jenen arabischen Staaten finden, die mit fundamentalistischen Bewegungen im Bunde sind. Wenn die islamische Welt als eine globale Bedrohung betrachtet und das Schlagwort vom »Kampf der Kulturen« im Munde geführt wird, während man sich gleichzeitig mit den Unterstützern des radikalen Islamismus verbündet, dann ist es dringend geboten, über den Stand der Dinge und unsere vergangene und gegenwärtige Politik nachzudenken. Sonst riskieren wir einen Irrtum, den Bertolt Brecht so formulierte: »Wenn es zum Marschieren kommt, wissen viele nicht, dass ihr Feind an ihrer Spitze marschiert.«

Nicht melting pot, sondern salad bowl Die muslimische Welt ihrerseits musste sich seit dem 18. Jahrhundert an den Verlust ihrer gefühlten Überlegenheit gegenüber dem Westen gewöhnen, die bis ins 16. Jahrhundert hinein unerschütterlich gewesen war. Von den komplexen Ereignissen im Nahen Osten und in Asien während des Ersten und Zweiten Weltkriegs haben wir schon gesprochen. Nicht weniger problematisch war die Phase der so-

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genannten Dekolonialisierung, die nicht selten gerade den Erhalt der politischen Hegemonie des Westens durch eine finanzielle, ökonomische und technologische Rekolonialisierung zum Ziel hatte. Durch den Kontakt mit der westlichen Kultur verschärfte sich im asiatischen und afrikanischen Islam eine alte Dichotomie: Auf der einen Seite standen jene, die das politische, ökonomische und technologische Modell des Westens zu übernehmen gewillt waren – auch um den Preis, dass zwar nicht die Grundlagen, wohl aber die Traditionen und Bräuche ihrer Religion infrage gestellt wurden; auf der anderen Seite diejenigen, die zwar gleichfalls bereit waren, sich für die weltweit auf dem Vormarsch befindlichen westlichen Errungenschaften zu öffnen, aber nur unter größtmöglicher Wahrung ihrer islamischen Identität. »Modernisierung des Islams« oder »Islamisierung der Moderne«? Nach Jahrzehnten der Inkubation und der Experimente, die nicht zuletzt aufgrund direkter oder indirekter Einmischung der westlichen Mächte allesamt gescheitert sind – man denke nur an den Arabischen Sozialismus, der trotz seiner säkularen Ausrichtung behindert und schließlich zerschlagen wurde –, kam es zu einer Krise sowohl innerhalb des Islams als auch in den Beziehungen zwischen islamischer und nichtislamischer Welt. Zu den Faktoren, die diese Situation verschärften, zählen: die Zuspitzung der israelisch-palästinensischen Krise, die sich zu einer jüdisch-arabischen und jüdisch-islamischen Krise ausgeweitet hat; die Dynamik der Beziehungen zwischen den drei Hegemonialmächten USA, Russland und China und deren Folgen für die islamische Welt; das wachsende finanzielle und politisch-ökonomische Gewicht Saudi-Arabiens, der dominierenden Macht des fundamentalistischen, wahhabitisch geprägten Islams, die bestrebt ist, die fitna gegen den schiitischen Islam und dessen Führungsmacht Iran zu schüren. Das Bild vom Islam als dem Feind des Westens seit 1000 Jahren, das durch ein Revival der Kreuzzüge vermittelt wird, findet großen Zuspruch in einer desinformierten Welt mit nur geringer und oberflächlicher Kenntnis der Geschichte, die in vereinfachenden religiösen Kategorien denkt – einer Welt, die von den Anschlägen des 11. September 2001 tief erschüttert wurde. Diese falsche Sicht wird bedauerlicherweise indirekt durch muslimische Kreise bestätigt, die das Wesen ihrer eigenen Religion ebenso wenig kennen wie die komplexen politischen und kulturellen Gegebenheiten der westlichen Welt. Westliche Fundamentalisten und islamische Fundamentalisten spielen das Spiel terroristischer Akteure, die nichts anderes wollen, als die unheilvolle Prophezeiung Samuel Huntingtons, den »Kampf der Kulturen«, Wirklichkeit werden zu lassen.

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Kann man etwas dagegen tun? Ja, aber es muss rasch und energisch geschehen, bevor es zu spät ist. Unser Zusammenleben sollte nicht der Idee eines multikulturellen melting pot folgen, sondern wie eine salad bowl funktionieren. Nehmen wir diese als Bild für ein Zusammenleben innerhalb eines gemeinsamen öffentlichen und institutionellen Rahmens, in dem die Gesetze geachtet werden und eigene kulturelle Traditionen beibehalten werden können, solange sie diesen Gesetzen nicht widersprechen. In den politischen Institutionen, am Arbeitsplatz und in den Schulen müssen vermehrt Gelegenheiten zur Begegnung und zur Stärkung unserer jeweils eigenen Identität, aber auch zum besseren Kennenlernen der Identität der anderen geschaffen werden. Abstrakte Toleranz ist viel zu schwach und rhetorisch. Sie gerät schon beim ersten Windhauch des Fanatismus ins Wanken und verschwindet bei der ersten ungerechten Gewalt, deren Opfer oder Zeuge man wird. Es kann gar nicht genug betont werden, dass die islamische Kultur kein monolithischer Block, sondern ein vielgestaltiges und facettenreiches Gebilde und der angebliche Gegensatz zwischen Okzident und Orient ein Trugbild ist. Die Begegnung zwischen Traditionen und Kulturen und die Auseinandersetzung mit ihnen muss in gegenseitigem Respekt und mit dem Wunsch erfolgen, die eigene Identität dadurch zu stärken und zu bereichern, dass man akzeptiert, was in der Kultur der anderen akzeptabel ist. Der erste Feind, der bekämpft werden muss, ist das pseudohistorische Vorurteil, die irrige – obgleich auf den ersten Blick so natürliche, naheliegende und glaubwürdige – Prämisse von Huntingtons These. Gewiss, wir wissen nicht, wie die geschichtliche Zukunft aussieht, denn die Geschichte hat keinen immanenten Sinn und belastbare Zukunftsprognosen gibt es nicht. Aber wir können die Vergangenheit erforschen und immer besser kennenlernen. Die zehn Jahrhunderte der Geschichte, die wir in diesem Buch durch das Prisma der Kreuzzüge betrachtet haben, belegen sicherlich nicht, dass es zwischen dem Westen und dem Islam unablässig Krieg gab und dass dies auch in Zukunft so sein wird. Ganz im Gegenteil. Auch wenn die Araber, die arabischen Muslime und die Muslime tout court oft als Feinde des Westens hingestellt wurden, lehrt die Geschichte uns doch etwas anderes. Die langen Jahrhunderte der Konfrontation zwischen Europa und dem Islam waren zwar durch Kreuzzüge und Gegenkreuzzüge geprägt und es fehlte auch nicht an gewalttätigen und blutigen Episoden, aber der Kreuzzug war nie ein »totaler« Krieg. In diesen langen Jahrhunderten, in denen offene Kriege endemisch und kurz waren, existierten zwischen Christen und Muslimen im Mittelmeerraum die meiste Zeit über dauerhafte und tiefe freundschaft-

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liche Beziehungen. Es war eine Freundschaft, die in Wirtschaft und Handel, Diplomatie und Kultur ihren Ausdruck fand. Diesen Beziehungen verdanken wir den Wiederaufschwung des Handelsverkehrs und der städtischen Kultur nach einer Phase der Stagnation im Hochmittelalter, die Entstehung des modernen Kreditund Geldwesens, aber auch – dank einer Schar unermüdlicher arabischer, jüdischer und christlicher Übersetzer, die im Austausch miteinander vor allem in Spanien tätig waren – einen wissenschaftlichen und kulturellen Aufschwung in vielen Bereichen des Wissens: von der Theologie und der Philosophie über Astronomie und Physik, Chemie und Medizin bis hin zu Mathematik und Technologie. Ohne den Beitrag des Islams als Bewahrer und Vermittler der antiken griechischen, aber auch der in Europa unbekannten persischen, indischen und chinesischen Kultur wäre das glanzvolle Europa der Kathedralen und Universitäten, das wir kennen, nie entstanden – jenes Europa, aus dem die Moderne hervorgegangen ist, auf die wir so stolz sind. Ewiger Ruhm und Anerkennung – das sagen wir als Europäer – dem Islam des Avicenna, Averroës und Ibn Khaldun, ohne die wir weder Abaelard noch Thomas von Aquin, weder Dante noch Machiavelli oder Galileo Galilei gehabt hätten.

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Das Bild der Kreuzzüge im Kino, hier im Hollywoodfilm Die Kreuzzüge (1935) von Cecil B. DeMille.

Rex Harrison in Richard Löwenherz (1954) von David Butler.

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Königreich der Himmel (2005) von Ridley Scott.

Arn – Der Kreuzritter (2007) von Peter Flinth beschwört den geheimnisvollen und ewigen Zauber der Tempelritter herauf.

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Schluss Die Kreuzzüge sind Teil der Geschichte des Christentums. Das war oft ein Skandalon, nicht nur im paulinischen Sinn des Wortes. In der europäischen Kultur der letzten drei Jahrhunderte – etwa seit der Encyclopédie – wurde die Rolle der Kreuzzüge in der Geschichte sehr unterschiedlich und manchmal extrem polemisch bewertet. Es ist einzigartig und paradox, dass ein Wort, dessen ursprünglicher Sinn recht eng gefasst ist und nichts anderes besagt als eine militärische Expedition zur Verteidigung der Kirche mit dem Ziel, das Grab Christi zu erobern, semantischlexikalisch derart aufgeladen wurde. Wie oben dargelegt, taucht der lateinische Begriff cruciata spät auf, nicht vor dem 13. Jahrhundert, wurde nur sporadisch verwendet und bezeichnete erst in der Neuzeit die vom Papst durch eine Kreuzzugsbulle (die bulla cruciatae) verkündete, gegen Muslime, Häretiker oder Feinde der Kirche gerichtete militärische Expedition. Ende des 11. Jahrhunderts gab es also keine Kreuzzüge. Es gab jedoch die cru­ cesignati, die Pilger, die als Symbol ihrer Entschlossenheit, die Heilige Stadt zu erreichen, das Zeichen des Kreuzes auf ihrem Gewand trugen. Ihr Anliegen war die peregrinatio – die Pilgerfahrt, die ein religiöses Ziel anstrebte und die Möglichkeit bot, Sünden abzubüßen –, aber auch der iter – eine Reise mit militärischem Charakter – und das passagium – die Überfahrt, da man sich immer häufiger übers Meer auf den Weg machte. Diese Erfahrung wird von einem Zeichen, ja Emblem beherrscht: dem Kreuz. Das Kreuz, übrigens ein in vielen mythisch-religiösen Systemen verbreitetes Sonnensymbol, war von einem stilisierten Galgen, wie er zum Tod verurteilten Sklaven vorbehalten war, zu einem Emblem des Triumphs und des Sieges geworden. Die Entwicklung des Kreuzes zum Sinnbild der religiösen Identität der Christen begann im 4. Jahrhundert mit Konstantin, dem »Christianisierer« des Reiches, aber auch mit der wunderbaren Auffindung der Reliquie des Wahren Kreuzes in Jerusalem durch Helena, die Mutter des Kaisers. Sie ist die wahre Gründerin des christlichen Jerusalem und die Erfinderin der Stadt als Wallfahrtsort. Um das Holz des in viele Splitter zerteilten Kreuzes, deren wich-

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tigste nach Rom und Konstantinopel gebracht wurden, entstand im Laufe der Jahrhunderte eine die christliche Vorstellungswelt beherrschende Legende, die bis weit über das Mittelalter hinaus ihre Schatten warf. Ein weiterer »Protagonist« der Kreuzzüge neben dem Kreuz war also Jerusalem. Doch wie wir gesehen haben, verloren die Kreuzzüge im Laufe ihrer Geschichte die Heilige Stadt zunehmend aus dem Blick, und es traten andere Ziele in den Vordergrund: die Mauren, die schismatischen Griechen, die Ketzer, die Heiden, die politischen Feinde des Papsttums und der christlichen Welt, die Türken. Jerusalem jedoch blieb stets das Fundament und Maß für alle Feldzüge unter dem Banner des Kreuzes, und diese wurden auch tatsächlich mit der bewaffneten Fahrt zur Eroberung, Verteidigung und Rückeroberung der Heiligen Stadt gleichgesetzt. Da die ursprüngliche Dimension der Beziehung zwischen den Christen und Jerusalem – angelehnt an die große jüdische Tradition, aber auch an heidnische Modelle – die der Pilgerreise ist, nahmen die Kreuzzüge vom ersten Augenblick an primär den Charakter einer bewaffneten Pilgerreise an. Helenas Entdeckungen, ob vermeintlich oder real, gaben dem Wunsch des christlichen Volkes, mit den heiligen Stätten physisch in Verbindung zu treten, ein konkretes Ziel. Da nicht jeder die kostspielige und gefährliche Pilgerreise antreten konnte, die häufig als Buße auferlegt wurde, entstanden überall in Europa Wallfahrtsstätten, die der Form der Grabeskirche oder der Ädikula des Heiligen Grabes nachgestaltet waren. So verliehen sie der lectio, dass im Grunde jede Stadt Jerusalem war, sinnfällig Ausdruck. Doch das Interesse am irdischen Jerusalem als Pendant zum himmlischen begleitete die Christenheit bis in unsere Zeit und inspirierte Scharen von Pilgern. In diesem Zusammenhang muss die große Resonanz auf den Aufruf Papst Urbans II. 1095 in Clermont gesehen werden, ein Aufruf, mit dem traditionell die Geschichte der Kreuzzüge beginnt. Indem er den Blick auf Jerusalem richtete, drückte der Papst – vor dem Hintergrund seines Reformbemühens, das die durch den Streit zwischen den beiden höchsten universellen Autoritäten zerrissene Christenheit wieder heilen sollte – den Wunsch aus, die durch den moralischen Verfall verlorene Schlichtheit des Evangeliums wiederzugewinnen. Die herkömmliche Sicht, wonach Palästina und Syrien die einzige Zielrichtung der Kreuzzüge waren, ist in diesen Vorstellungen tief verankert. Und doch kann man die Kreuzzugsbewegung nur begreifen, wenn man die Ereignisse im Heiligen Land mit denen im Mittelmeer und in Europa verknüpft. Der Geist der Kreuzzüge erschöpfte sich nicht in den gescheiterten Expeditionen ins Heilige Land, von

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denen es im 12. und 13. Jahrhundert tatsächlich einige gab. Vielmehr wurde über Kreuzzüge oder Heilige Kriege gegen die Ungläubigen nie so viel gesprochen wie im Europa der Renaissance und des Barocks. Torquato Tassos Befreites Jerusalem ist so gesehen die dichterische Frucht der Seeschlacht von Lepanto und der Reaktion Europas auf die türkische Bedrohung auf dem Balkan. Die Osmanen, die Wien zweimal angriffen – 1529 und 1683 –, blieben weiter im Mittelmeer aktiv und machten sich dabei den Tatendrang der Barbareskenkorsaren zunutze. Dagegen bot wiederum die Christenheit die Flotten der Malteser- und Sankt-Stephans-Ritter auf, die nicht sehr viel anders operierten als jene. Bisweilen wurden die Kreuzzüge als die mittelalterlich-christliche Version eines unausweichlichen und andauernden strukturellen und geopolitischen Konflikts betrachtet, der mindestens seit dem 6. oder 5. Jahrhundert v. Chr. Orient und Okzident zu Kontrahenten machte. Andere sahen in ihnen etwas Einzigartiges, das mit anderen Ereignissen keine Gemeinsamkeiten aufweist. Ersteren kann man entgegenhalten, dass den Kreuzzügen unbestreitbar ein religiöses Element innewohnt, das man zwar unterschiedlich bewerten, aber nicht ignorieren oder leugnen kann und das mit der These eines permanenten Konflikts nur sehr schematisch und oberflächlich erfasst wird. Letzteren wird man erwidern, dass sich die Kreuzzugsidee in der rechtlichen und kulturellen Tradition des Westens mit dem Kampf gegen die Türken und mit der ethnisch-religiösen Verteidigung des europäischen Kontinents verbunden hat und keineswegs auf das Mittelalter beschränkt ist. Vielmehr wurde die Kreuzzugsidee erst spät in Sprache gefasst, dafür aber lange praktiziert. Im Licht dieses immer wieder neu definierten und neu belebten Ideals führten die Europäer bis ins 18. Jahrhundert hinein Kriege gegen das Osmanische Reich und gestalteten später die Erinnerung daran im Geist der romantischen Empfindsamkeit und ihrer eigenen kolonialen Abenteuer. Kurzum: Unsere Vorstellung von den Kreuzzügen verdankt sich weit mehr Torquato Tasso und Walter Scott als der faktischen Realität. Gewiss, die Idee der Kreuzzüge hat sich im Laufe der Zeit als äußerst flexibel erwiesen. Die Veränderungen, denen sie unterlag, wurden sehr unterschiedlich bewertet: als Erweiterung ihres ursprünglichen Charakters oder schlicht und einfach als Abweichung von ihrer ursprünglichen Intention. Das ändert jedoch nichts daran, dass im spätmittelalterlichen und vormodernen Europa eine Art Kreuzzugskultur entstand, die sich vom kanonischen Recht in die Literatur, Kunst und Musik, in die volkstümliche Propaganda und das allgemeine Empfinden hinein

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verlagerte. Gespeist von Gesten, Riten und Traditionen blieb die Kreuzzugsidee bis zu ihrer polemischen Kritik durch die Aufklärung, ihrer Neubelebung in der Romantik und schließlich ihrer unverblümt politischen Instrumentalisierung in den beiden Weltkriegen und im Spanischen Bürgerkrieg 1936–1939 lebendig. Als eine »Kraftidee« oder Ideenkraft war sie vor allem ein Faktor der Sammlung, ja der Einheit und der Identitätsstiftung – und als solcher keinesfalls auf das Heilige Land und die Zeit zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert beschränkt. Die Kreuzzugsidee ist vielmehr Teil eines komplexen dynamischen Geschehens im gesamten zweiten Jahrtausend der christlichen Zeitrechnung und lässt sich nur dann angemessen erfassen, wenn alte Vorurteile aus dem Weg geräumt werden. Die Kreuzzüge hatten ein langes Nachleben und viele Revivals. Man könnte sogar sagen, dass die europäische Christenheit zwischen dem Feldzug von Nikopolis 1396 und der Seeschlacht von Lepanto 1571 einen langen »Herbst der Kreuzzüge« erlebte, der letztlich bis zur zweiten Belagerung Wiens und noch darüber hinaus andauerte. Die Kreuzzüge sind so etwas wie der »weiße Wal«, der die Geschichte der westlichen Christenheit durchzogen hat, solange sie als solche erkennbar war, das heißt bis ins 16. Jahrhundert; der sodann die Geschichte Europas bis ins 18. Jahrhundert begleitet hat, solange sie noch christlich war, und danach die Geschichte des modernen Europas im 19. und teilweise auch 20. Jahrhundert. Und der schließlich auch in jener schwer fassbaren Realität auftaucht, die neokonservative und theokonservative Kreise gern »unser christliches Abendland« nennen. Damit begann eine pseudohistorische, instrumentalisierende Neubewertung des Kreuzzugs als Verteidigungskrieg einer vom Islam angegriffenen Christenheit, und es verbreitete sich das Schlagwort vom »Kampf der Kulturen«. Doch wie wir gesehen haben, sind diese Thesen, trotz aller medialen Aufmerksamkeit, die ihnen zuteilwird, im Licht einer ernsthaften und nicht ideologisch verfälschten Prüfung völlig unhaltbar. Wir haben auf die noch ungelösten neuralgischen Punkte hingewiesen, die einer Wiederannäherung der östlichen und der westlichen Welt im Wege stehen. Am Ende dieses Buches beschränken wir uns auf eine einzige, unserer Ansicht nach aber entscheidende Mahnung: Toleranz erwächst aus Wissen, und deshalb wäre es opportun, Zitate nicht länger aus ihrem Zusammenhang zu reißen. Es hilft niemandem, wenn Versatzstücke der islamischen Theologie und des islamischen Rechts isoliert und Koranverse ohne jede kritische Einordnung aus ihrem Kontext herausgelöst werden, um zu belegen, dass der Islam ein Synonym für Gewalt

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ist. Mit aus ihrem Zusammenhang gerissenen Textstellen, manipulierten Zitaten, der Vermischung von theologischen Theorien mit historischen Ereignissen, denen gleichfalls der Kontext fehlt, ließe sich leicht auch der blutrünstige Charakter der Bibel belegen. Auf die gleiche Weise könnte man ganz nach Belieben den grausamen, freiheitsfeindlichen Charakter des Judentums oder des Christentums oder sogar bestimmter Strömungen des Buddhismus behaupten, ganz zu schweigen von allerlei rationalistischen und laizistischen westlichen Ideologien, die im Schatten der Aufklärung entstanden sind. Was also sollte man den mehr oder weniger verdeckt gesteuerten Dschihads entgegensetzen, die von verantwortungslosen Minderheiten oder Politkriminellen  – die behaupten, sie handelten im Namen des Islams – leichtfertig gegen den Westen entfesselt werden? Ganz gewiss keine neuen Kreuzzüge. Zumindest dies sollte uns die lange Geschichte der Kreuzzüge bewusst gemacht haben.

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ANHANG

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Anhang

Belegangaben zur deutschen Übersetzung Für die aufgeführten Zitate wurden für den deutschen Text die genannten Übersetzungen herangezogen. Alle übrigen Zitate wurden von Victoria Lorini und Rita Seuß ins Deutsche übertragen. Einführung, S. 9 (Die gesamte Menschheitsgeschichte …): Jacobus de Voragine, Legenda Aurea, in der Übersetzung von Matthias Hackemann, Köln 2008, S. 9. Kap. 2, S. 58 (Graf Roland hört …): Werner und Maja Schwartzkopff, Sagen und Geschichten aus dem alten Frankreich und England, München 1925, Reprint Paderborn 2011, S. 50. Kap. 3, S. 68 (Denn es ist notwendig …): Elisabeth Erdmann, »Die Kreuzzüge«, in: Arbeitsbuch Religion und Geschichte. Das Christentum im interkulturellen Gedächtnis, Bd. 1, hrsg. von Harry Noormann, Stuttgart 2009, S. 227 f. Kap. 4, S. 119 (Denn wir, die wir Abendländer waren …): Fulcheri Carnotensis Historia Hierosolymitana (1095–1127), hrsg. von Heinrich Hagenmeyer, Heidelberg 1913, III, XXXVII. Kap. 9, S. 250 (Ihr Meister, der diesen Orden gegründet hat …): Franziskus-Quellen. Die Schriften des heiligen Franziskus, Lebensbeschreibungen, Chroniken und Zeugnisse über ihn und seinen Orden, hrsg. von Dieter Berg und Leonhard Lehmann, Kevelaer 2009, S. 1536 f. Kap. 11, S. 313 (Allein der Fürst der neuen Pharisäer …): Dante, Göttliche Komödie, Inferno XXVII, 85–90, in der Übersetzung von Karl Witte, Berlin 1865. Kap. 11, S. 313 (Geht, stolze Christen …): Petrarca, Triumph des Ruhms, II, in der Übersetzung von Carl Förster, Wien 1827. Kap. 11, S. 313 (So viel beklagt wird …): Dante, Göttliche Komödie, Inferno XXVII, 85–90, in der Übersetzung von Karl Witte, Berlin 1865. Kap. 13, S. 349 (Seid stolz darauf …): Francesco Petrarca, Das lyrische Werk, in der Übersetzung von Benno Geiger, Darmstadt 1958, S. 578. Kap. 14, S. 378 (zwei Satteltruhen aufgeladen …): Pilger und Wallfahrtsstätten in Mittelalter und Neuzeit, hrsg. von Michael Matheus, Stuttgart 1999, S. 8.

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Chronologie

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Chronologie 1095 Konzil von Clermont 1096–1099 Kreuzzug Urbans II. 1097 erste genuesische Expedition 1099 zweite genuesische Expedition und Einnahme Jerusalems 1100–1101 Kreuzzug der Lombarden 1122–1124 Kreuzzug der Venezianer 1144–1146 Fall von Edessa 1147–1149 Kreuzzug Eugens III. 1187 Fall von Jerusalem 1189–1192 Kreuzzug der Könige 1197–1198 Kreuzzug Heinrichs VI. 1202–1204 Kreuzzug der Venezianer 1209–1229 Kreuzzüge gegen die Albigenser 1212 Kreuzzug der pueri; Schlacht von Las Navas de Tolosa 1217–1221 Kreuzzug Honorius’ III. 1225 Kreuzzug Wilhelms VI. von Montferrat 1228–1229 Kreuzzug Friedrichs II. 1239–1241 Kreuzzug der Barone 1244 Plünderung Jerusalems 1248–1254 erster Kreuzzug Ludwigs IX. 1270 zweiter Kreuzzug Ludwigs IX. 1270–1272 Kreuzzug Eduards von England 1291 Fall von Akkon 1309 Kreuzzug Clemens’ V. 1344 Kreuzzug von Smyrna 1346 Kreuzzug Humberts II. von Viennois 1366–1367 Kreuzzug Amadeus’ VI. von Savoyen 1390 Kreuzzug von Mahdia 1396 Kreuzzug von Nikopolis 1444 Kreuzzug von Varna 1453 Eroberung Konstantinopels 1464 Tod Papst Pius’ II. 1480–1481 Kreuzzug von Otranto 1492 Eroberung von Granada 1535 Eroberung von Tunis 1571 Schlacht von Lepanto 1645–1669 Krieg um Kreta 1683 Belagerung Wiens 1718 Frieden von Passarowitz

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KGR. DÄNEMARK

York

IRLAND Cork

Nord s e e

KGR. ENGLAND

Hamburg

London

Magdeburg Robert von Flandern 1096

Clairvaux

FRANKREICH

Rho ne

Navarra Toulouse

T o u l o u s e Aigues-

Mortes

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Tajo

Zaragoza

Ludwig IX. 1248

Ludwig IX.

Ceuta

1190

2. Kreuzzug 1147 – 1149 Konrad III. und Ludwig VII. 3. Kreuzzug 1189 – 1192 Richard I. Löwenherz, Philipp II. August und Friedrich Barbarossa 4. Kreuzzug 1202 – 1204 Venedig – Konstantinopel

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Cagliari

Mit telm e e r

DIE ROUTEN DER ERSTEN KREUZZÜGE 12. bis 13. Jahrhundert 1. Kreuzzug 1096 – 1099 Gottfried von Bouillon, Raimund von Toulouse, Robert von der Normandie, Robert von Flandern und Bohemund von Hauteville

1270

Sardinien

Balearen Flotte von Richard I. Löwenherz

1147

Rom Neapel lip pI I. Au

gu st 11 90 Richard I. 1190

Palermo 1270

Tunis Kairawan

Buda

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Aquileja Lyon Mailand Padua Turin Po Mantua Venedig Ravenna 1202 Avignon Genua Zadar Arles Florenz Marseille Pisa K i r c h e n Split staat Ad Richard I. I TA L I E N r i a

Córdoba Málaga

Konrad III.

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ARAGÓN

1189

Augsburg

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Friedrich Barbarossa

RÖMISCH-DEUTSCHES Burgund REICH

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1147

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Regensburg

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Orléans Tours Nantes

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1096

Soissons Metz Mainz Ludwig VII. Speyer

1096

Aquitanien Bordeaux Raimund Ga ro von Toulouse nn e 1096

PO

Gottfried von Bouillon

N o r m a n d i e Rouen von B r e t a g n e derRobert Normandie Paris

Rennes

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Flotte von Richard I.

At l ant i s ch e r O z e an

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Messina Reggio

Sizilien

Syrakus

Malta

5. Kreuzzug 1228 – 1229 Friedrich II. 6. und 7. Kreuzzug 1248 – 1254 und 1270, Ludwig IX.

Republik Venedig und venezianischer Besitz Herrschaftsgebiet Friedrichs II. Lateinisches Kaiserreich von Konstantinopel Byzantinische Territorien

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TRAPEZUNT

Philippopolis Adrianopel (Byzanz) Konstantinopel

Ragusa

SELDSCHUKEN

Durazzo

Bari Brindisi

Äg äi s Pergamon

EPIRUS

Larissa

Cosenza

Sardi

Ephesos

Korinth

1228

Gottfried Halys von Bouillon

N I K Ä A Dorylaion Friedrich Barbarossa

Smyrna

Athen

Friedrich II.

Ankara

Nikäa

Thessaloniki

Tarent

Ludwig VII.

Rhodos Phili pp II.

Augu st 119 1

Kreta Candia

Konrad III.

ARMENIEN

Antiochia Aleppo

Antalya

1148

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1148

Akkon 1248

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R E I C H D E R AY Y U B I D E N

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300 km

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Personenregister Abaelardus, Petrus 570 Abbas, Schah 486 Abbo von Fleury, Abt 45 Abd al-Malik 482 Abd al-Rahmān I., umayyadischer Emir von al-Andalus 57 Abd al-Rahmān II., umayyadischer Emir von al-Andalus 57 Abd al-Rahmān III., umayyadischer Kalif von al-Andalus 57 Abd al-Rahmān, »König« von Bougie 442 Abdallah al-Hussein, Emir von Jordanien 556–557 Abdülhamid 545–546 Abdülhamid, osmanischer Sultan 545 Abdülmecid, osmanischer Sultan 533 Abraham 463, 478, 517 Abu l-‘Abbas Ahmad, hafsidischer Sultan 369 Abu Umar Uthman, tunesischer Emir 411 Acciaioli, Neri II., Herzog von Athen 399 Accolti, Benedetto 503 Adair, Alexander William 532 Adhémar de Monteil, Bischof 67, 78, 85, 88, 92, 98–99, 104 Adorno, Raffaele 367 Adso von Montier-en-Der 128 Agnes von Courtenay 143, 146, 150, 153 Agostino di Duccio 366 Ahmed I., osmanischer Sultan 486 Ahmed Köprülü, Großwesir 494 Ahmed Muhtar Paşa 547 Ahmed Paşa 426 Ahmed, Dey von Tripolis 525 Aimon von Bourges 37 Airaldo von Genua, Bischof 54, 83 Aischylos 38 al-ʿĀḍid, Fatimidenkalif, 139–141 al-ʿĀdil »der Gerechte« (Saphadin), Bruder des Sultans 157, 186, 194–196, 245–247, 251 al-ʿĀdil II. 257 al-ʿAzīz, Sohn des Sultans 194 al-Afḍal, Großwesir des fatimidischen Sultanats in Kairo 97 al-Afḍal, Sohn des Sultans 194 Alamanno da Costa 202 al-Aschraf Khalīl, Sultan von Ägypten 292, 295, 297, 300, 309 al-Aschraf Mūsā 273 al-Aschraf, Bruder von al-Kāmil 251– 252, 257 al-Assad, Baschar, syrischer Politiker 565 Albert von Aachen 523 Albertus Magnus (Albert von Köln) 347–348 al-Biruni 61 Albizzeschi, Bernardino degli 38 Albrecht II. von Habsburg, römischdeutscher König und Herzog von Österreich 394

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Albrecht VI. von Habsburg, Herzog von Österreich 419 Alexander der Große 435, 445 Alexander I. Pawlowitsch, Zar von Russland 528 Alexander II. (Anselmo da Baggio), Papst 23 Alexander II. Romanow, Zar von Russland 543 Alexander III. (Rolando Bandinelli), Papst 214 Alexander IV. (Rainald Graf von Segni), Papst 279 Alexander VI. (Rodrigo Borgia), Papst 434–435, 437, 445 Alexander, Kaplan 78 Alexios I. Komnenos, byzantinischer Kaiser 24, 26, 65, 68, 78–79, 89, 92, 113, 126, 134, 160–161, 170 Alexios III. Angelos, byzantinischer Kaiser 199–200 Alexios IV. Angelos, byzantinischer Kaiser 200 Alexios V. Dukas, genannt »Murtzuphlos«, byzantinischer Kaiser 200 Alfons V. von Aragon, genannt »der Großmütige«, König von Sizilien und Neapel 402, 407, 409, 414, 419 al-Ḥākim, fatimidischer Imam von Kairo 24, 70 al-Hussein ibn Ali, haschemitischer Scherif 550–551, 555–556, 563–564 Ali »Piccinino«, Statthalter von Algier 479 Ali ben Tumi, Herrscher von Algier 442 Ali ibn al-Hussein, von Hedschas 556 Ali Jinnah, Muhammad 564 Ali, Sohn von Aybak alTurkumānī 274 Alice von Champagne, Königin von Zypern 239 Alighieri, Familie 349 al-Kāmil (Nāṣir al-Dīn Abu ’l-Maʿālī Muḥammad) 247–248, 250–257, 267–268, 270 Alkuin von York 34 Allenby, Edward 551 al-Malik al-Ṣāliḥ Ismā‘īl 141, 271 al-Manṣūr Ibrāhīm 261 al-Maqrīz 268 al-Mu‘azzam Turan Schah 269, 271, 273 al-Mu‘aẓẓam, Statthalter von Damaskus 246 al-Musta’ṣim, Kalif von Bagdad 273 al-Mustadī, abbasidischer Kalif 141 al-Mustansir, fatimidischer Kalif 48 al-Muẓaffar Baibars 356 al-Nāṣir al-Dīn Allāh 252 al-Nāṣir al-Dīn Muḥammad ibn Qalāwūn 297, 319, 355 al-Nāṣir Dāwūd, Herrscher von Damaskus 253, 255–256, 259–260

al-Nāṣir Yūsuf, Herrscher von Aleppo 273 al-Razi 61 al-Ṣāliḥ 258–261, 264–265, 268, 270–271, 273 al-Ṣāliḥ Ismā‘īl 141, 260, 265 Amadeus VI. Graf von Savoyen, genannt »der grüne Graf« 364 Amadeus VIII., genannt »der Friedfertige«, Herzog von Savoyen siehe Felix V. Amalrich de Montfort 217 Amalrich I. von Anjou, König von Jerusalem 139–140, 143–144, 156, 172, 236, 244 Amalrich II. von Lusignan, Prinz von Tyros und König von Zypern und von Jerusalem 153, 194, 196, 236, 293, 311, 327 Amalrich von Lusignan 153, 194, 236 Ambrosius von Mailand 31 Andrea Vicentino (Andrea de’ Micheli) 200 Andreas II., König von Ungarn 246 Andronikos II. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 321–322, 335–336, 358 Andronikos III. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 358–359 Angelo da Spoleto 356 Anjou, Dynastie 307, 329, 357, 399 Anna von Lothringen 47 Anna von Savoyen, byzantinische Kaiserin 359 Annius von Viterbo (Giovanni Nanni) 425 Anquetil-Duperron, AbrahamHyacinthe 497 Ansaldo, Francesco 521 Anselm von Canterbury 123 Anselmo IV. da Bovisio 84 Aqṭāy, Kommandant 273–274 Archange de Clermont 10 Arco, Graf Prospero d’ 469 Arġun, Ilchan 288 Ariost 518 Aristoteles 31 Armand de Périgord 261 Arnulf von Chocques 78, 106, 111 Arquato, Antonio 426 Atatürk, Mustafa Kemal siehe Kemal, Mustafa Aubert, David 198 Augustinus von Hippo 23, 28, 32–33, 210 Augustus, Gaius Octavius, römischer Kaiser 445 Averroës 347, 570 Avicenna 61, 347, 570 Aybak al-Turkumānī, 273–274 Ayyūb, Leutnant von Norandino 138 Bacon, Francis 484 Bacon, Roger 222 Baker, Samuel 539 Balbo, Cesare 518–519, 521 Balderich von Dol, Erzbischof 504 Balducci Pegolotti, Francesco 230

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Personenregister Balduin I. von Boulogne, König von Jerusalem 78, 88, 90, 98, 106– 109, 111, 342 Balduin I., IX. Graf von Flandern, Kaiser von Konstantinopel  192–193, 200 Balduin II., König von Jerusalem  112–113, 121–122, 125 Balduin III., König von Jerusalem  126, 132, 138, 140, 148 Balduin IV., König von Jerusalem  111, 143–145, 150 Balduin V., König von Jerusalem  145, 158, 171 Balduin von Bourcq 107, 111 Balduin von Ramla 148 Balfour, Arthur James 550, 552 Balian von Ibelin 152, 156–157, 172 Balian von Sidon 238 Barbarossa (Arudsch), genannt »Silberarm« 433, 442–443, 479 Barbarossa (Hayreddin) 433, 442– 444, 448, 453–458 Bardi, Familie 298 Baronio, Cesare 503 Basilius von Caesarea 33 Baybars al-‘Alā’ī al-Bunduqdārī, »der Bogenschütze« 273–274, 283– 286, 293 Bayezid I., »der Blitz« (Yildirim)  346–347, 371, 375, 381–383, 427–428 Bayezid II., osmanischer Sultan 435, 437 Béla III., König von Ungarn 179 Bellini, Gentile 425 Bembo, Francesco 362 Benedikt XI. (Niccolò di Boccassio), Papst 323–325, 335 Benedikt XIII. (Pedro Martínez de Luna), Gegenpapst 372 Benincasa, Caterina siehe Katharina von Siena Berenguer de Entença 335 Bernardino di Betto, genannt »Pinturicchio« 423 Bernardo von Pisa siehe Eugen III. Bernhard von Clairvaux 38–39, 123, 126, 128–133, 196, 316, 328, 508 Bernhard von Palermo, Erzbischof 253 Bernhard von Valence, Patriarch von Antiochia 106–107 Bernold von Konstanz 65 Berthereau, Georges François 505 Bertran de Born 39 Bertrand von Toulouse, Graf von Tripolis 107 Bessarion, Kardinal 418 Bestagni, Familie 298 Biondo, Flavio 409 Birgitta von Schweden 365–366, 383 Bismarck, Otto von 539–540, 543–544 Blanco de Paz, Juan 479 Blondel, Merry-Joseph 79, 107, 170 Boabdil von Granada, Emir 433–434 Boccaccio, Giovanni, 13, 503 Bodin, Jean 460

Bohemund I. von Hauteville, Fürst von Antiochia 78–82, 86, 88, 89, 92, 94, 98, 101, 106–109, 111, 125 Bohemund III., Fürst von Antiochia 145, 148 Bohemund IV., Fürst von Antiochia 239, 242 Bohemund V., Fürst von Antiochia 264, 275 Bohemund VI., Fürst von Antiochia 278, 284 Bonet, Honoré 382 Bongars, Jacques 485, 504 Bonifatius VIII. (Benedetto Caetani), Papst 208, 307, 312, 316, 318, 323, 324–325, 334, 354 Bonifatius IX. (Pietro Tomacelli), Papst 369, 372 Bonifatius von Montferrat 199 Bonizo von Sutri 54, 56 Boré, Eugène 531 Borgia, Cesare 436 Borgia, Rodrigo siehe Alexander VI. Borrini, Familie 298 Boucicaut, Jean Le Meingre, 367, 372, 374, 378, 384, 386–387 Bourbon, Dynastie 357, 538 Bourbon, François de, Graf von Enghien 456 Boyneburg, Johann Christian von 491 Bragadin, Marcantonio 466 Brankovic, Georg 395, 399–400 Brankovic, Lazar 417 Brecht, Bertolt 567 Broquière, Bertrandon de la 390 Brugada Vila, Antonio de 468 Bruno di Segni, Abt von Montecassino 54 Burchard vom Berg Zion 102, 309 Busbecq, Ogier-Ghislain de 460 Bush, George W. jr 11 Butler, David 571

Cabanel, Alexandre 537 Cacciaguida degli Elisei 349 Cäcilia von Botrun 146 Caffaro di Caschifellone 48, 83, 314–316, 521 Calixt II. (Guido von Burgund), Papst 113 Calixt III. (Alonso Borgia), Papst 413, 415, 417–418, 466 Calles, Plutarco Elías 14, 510 Camões, Luís Vaz de 485 Campanella, Tommaso 485, 490, 505 Campofregoso, Domenico 384 Campofregoso, Paolo 422 Campofregoso, Pietro 385 Cantù, Cesare 518 Carafa, Carlo, Kardinal 458 Carbognano, Cosimo de 497 Carducci, Giosuè 518 Carlo Emanuele I. von Savoyen 489 Carlo I. Gonzaga, Herzog von Nevers 485, 489 Carvajal, Juan de 416 Cattaneo, Damiano 385 Cavazoli, Familie 298 Cavour, Camillo Benso di 537 Ceba, Familie 298

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Cem, osmanischer Prinz 427–428, 435 Centurione, Giovanni 368 Cervantes, Miguel de 455, 478–479 Cesarini, Giuliano, Kardinal 393–394, 399–401 Charron, Pierre 460 Chartier, Jean 411 Chasseboeuf, Constantin-François de, Graf von Volney 512 Chateaubriand, François-René de 473, 517 Chlebowski, Stanisław 383 Chlodwig I., König der Franken 34 Chomeini, Ruhollah, schiitischer Ayatollah 564 Chrétien de Troyes 188 Christian von Mainz 158 Chrysoloras, Johannes 406 Cibo, Familie 298 Cicero, Marcus Tullius 31 Cigala, Familie 298 Cisneros, Francisco Jiménez de, Erzbischof von Toledo, 436, 438–440 Clavijo, Ruy Gonzáles de 382 Clemens III. (Wibert von Ravenna), Gegenpapst 65 Clemens V. (Bertrand de Got), Papst 317, 321, 325, 327–331, 334–336, 339, 344, 353–354 Clemens VI. (Pierre Roger), Papst 357, 359 Clemens VII. (Giulio de’ Medici), papst 369, 449–451 Coelestin V. (Pietro da Morrone), Papst 316, 325 Colombe, Jean 71, 77, 87, 89, 140, 172, 185 Colonna, Haus 208 Colonna, Marcantonio 469 Columella, Lucio Giunio Moderato, 43 Concini, Concino 489 Condorcet, Nicolas de 507 Condulmer, Francesco 400–401 Consalvo von Córdoba 436–437 Coppin, Jean 484 Corner, Familie 362 Corrado (Konrad) aus Deutschland, Inquisitor 404 Cortés, Hernán 455 Cosimo I. siehe Medici, Cosimo I. de’ Cristofano dell’Altissimo 347 Cy Twombly (Edwin Parker jr.) 468 Dagobert, Erzbischof von Pisa und Patriarch von Jerusalem 54, 84, 106–107, 111, 315 Dandolo, Enrico, Doge 192–193, 199 Daniel, Gabriel 505 Danischmendiden, Dynastie 86, 108, 346 Dante Alighieri 312–313, 349–350, 570 Danti, Ignazio 467 Dassy, Jean-Joseph 87 De Ferrariis, Antonio, genannt »Galateo« 427 de Got, Béraud, Erzbischof von Lyon 325

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Anhang de Mari, Familie 298 de Nigro, Familie 298 De Sanctis, Francesco 518 de Todhinis, Ruggero 300 de Vera, Diego 442 Debacq, Charles-Alexandre 166–167 Delaborde, Henri 240–241 Delacroix, Eugène 192–193 Della Turca, Rosso 279 della Valle, Pietro 485 Demetrios Palaiologos, Despot von Morea 407 Demetrios von Thessaloniki 35 DeMille, Cecil B. 571 Diani, Familie 298 Díaz, Rodrigo (el Cid Campeador) 59 Diderot, Denis 507 Diego Fernández de Córdoba, Marqués de Comares 437, 441, 443 Dionysius der Kartäuser (Dionysius Rickel) 405, 424 Dionysius von Paris 33, 268 Doré, Gustave 93, 149, 206, 516 Doria, Andrea 454 Doria, Familie 298, 442 Doria, Giannettino 455, 457 Doria, Tedisio 300 Douglas, James 358 Dragut (Turgut Ali) 458, 461 Dschingis Khan 379, 382 Du Tillet, Jean 303 Dubois, Pietro 306, 338–339, 485 Duqāq, Emir von Damaskus 89 Durandus, Wilhelm, der Ältere 32 Durandus, Wilhelm, der Jüngere 338 Dürer, Albrecht 446 Eberhard, Erzdiakon von Regensburg 329 Eduard I., König von England 288– 289, 304, 319, 325 Egidio da Viterbo 439–440 Eisenhower, Dwight D. 16, 510 Ekkehard von Aura 523 Eleonore von Aquitanien, Königin von Frankreich, dann von England 130, 135–137, 168–170, 174–175, 188, 190 Embriaco, Familie 242, 278 Embriaco, Guglielmo 84, 94, 108 Embriaco, Primo 84 Enfantin, Barthélemy-Prosper 535 Engelbert von Tournai 96 Enguerrand de Coucy 372 Enver Bey 546–547, 552 Erasmus von Rotterdam 383 Erlembaldo Cotta 54 Eschiva von Bures, Gräfin von Tiberias 152 Espinosa, Gabriel de 483 Estouteville, Guglielmo d’ 418 Estrées, César d’, Kardinal 491 Eudes de Châteauroux 309 Eugen III. (Bernardo von Pisa), Papst 126, 128–129, 131, 134– 135, 168–170 Eugen IV. (Gabriele Condulmer), Papst 392–393, 395, 397, 399, 404

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Eugen von Savoyen, General 484 Eugénie de Montijo Bonaparte, Kaiserin der Franzosen 538–539 Eusebius von Caesarea 31 Eustach III. von Bouillon 78 Eyck, Hubert van 17 Eyck, Jan van 17 Ezzelino da Romano 208

Faisal ibn al-Hussein, Emir des Irak und von Syrien 555–556 Fakhr al-Dīn, Emir 253, 267–269 Faliero, Paolo 279 Fāris al-Dīn Aqṭāy al-Jamdār 273 Faruk I., König von Ägypten 556 Farukschah, Neffe von Saladin 150 Fauriel, Claude 517 Febvre, Michel 491 Felix V. (Amedeus VIII. Herzog von Savoyen), 403 Ferdinand I. von Habsburg, Erzherzog von Österreich und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 449, 451–454, 460, 469, 473 Ferdinand I. von Sachsen-Coburg, Zar von Bulgarien 546 Ferdinand II. der Katholische, König von Aragón 433–435, 437–440 Ferrante I. (Ferdinand) von Aragón, König von Neapel 419, 427 Ferrari, Giuseppe 519 Ferrer, Vinzenz 372, 383 Feuchtwangen, Konrad von 293 Ficinus, Marsilius 419 Fidenzio da Padova 306–307, 311, 316, 324, 485 Fides von Agen 35 Fieschi, Sinibaldo siehe Innozenz IV. Filangieri, Riccardo 238–239 Filelfo, Francesco 390, 405–406 Filippo da Novara 238 Fleury, Émile Félix 519 Flinth, Peter 572 Forceville, Gédéon de 73 Foscolo, Ugo 512 Foulques de Villaret 306, 330–331, 333, 336–337 Fouquet, Jean 67, 195 Francesco di Marco Datini 378 Francesco di Niccolaio 429 Franco y Bahamonde, Francisco 510, 560 Frangipane, Familie 474 Franz I. von Valois, König von Frankreich 440, 443, 445–446, 448–450, 452, 455, 457–458, 480, 504 Franz Joseph I. von HabsburgLothringen, Kaiser von Österreich und König von Ungarn 538–539 Franziskus (Jorge Mario Bergoglio), Papst 566 Franziskus von Assisi (Giovanni di Pietro di Bernardone) 221, 248–250, 349 Fréron, Simon 392 Friedrich I. von Hohenstaufen, genannt »Barbarossa«, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 145, 158, 174–180, 199, 255, 446

Friedrich II. von Hohenstaufen, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches und König von Sizilien 102, 208, 216, 232, 236–239, 250, 253–255, 257–261, 265–267, 270, 275, 329, 482 Friedrich III. von Aragón, König von Sizilien 322, 323–324, 336 Friedrich III. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 399, 402, 409, 413–414 Friedrich III. von Hohenzollern, deutscher Kaiser und König von Preußen 539 Friedrich VI. von Hohenstaufen, Herzog von Schwaben 181 Froissart, Jean 368, 370, 373, 376 Fromkin, David 559 Frundsberg, Georg von 451 Frunze, Michail 552 Fuad I. (Ahmed Fuad), König von Ägypten 556 Fugger, Familie 446 Fulcher von Chartres 68, 115, 504, 522 Fulko V. von Anjou, König von Jerusalem 121, 126, 135, 140

Gaddafi, Muammar 565 Gaddi, Agnolo 150 Galilei, Galileo 570 Galland, Antoine 497 Galvan da Levanto 306 Garmond von Picquigny, Patriarch von Jerusalem 114 Garzoni, Maurizio 500 Gattilusio, Familie 375, 378 Geffels, Frans 492–493 Geoffroi de Villehardouin 10 Geoffroy de Charny 368 Georg II. Rákóczi, Fürst von Sieben­ bürgen 494 Georg Podiebrad, König von Böhmen 410 Georg von Trapezunt 409 Georg, Heiliger 35, 179 Gerald von Aurillac 35 Gerald von Lausanne 232 Gérard de Ridefort 146–147, 152– 154, 156 Gerberga von Sachsen, Königin von Frankreich 128 Germain, Jean 409 Gerson, Jean 383 Ghazan, Ilchan 317, 319 Ghillebert de Lannoy 390 Ghirlandaio, Domenico 429 Ghisolfi, Familie 298 Gibbon, Edward 13, 507, 512, 516 Giélée, Jacquemart 329 Gilbert von Tournai 314 Gioberti, Vincenzo 518 Giotto di Bondone 318 Giovio, Paolo 457, 460 Girolamo d’Ascoli siehe Nikolaus IV. Giron, Pedro, Herzog von Ossuna, Vizekönig von Neapel 474 Giustiniani Longo, Giovanni 412, 414 Glass, James William 189

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Personenregister Glubb Pascha (John Bagot Glubb) 556 Godunow, Boris Zar 482 Goethe, Johann Wolfgang von 512, 561 Gonzaga, Familie 419 Gonzaga, Ferrante 455 González de Santalla, Tirso 497 Gordon, Charles George 539, 560 Gottfried von Bouillon, Herzog von Lothringen 13, 15, 36, 48, 78–79, 81, 96, 101, 104–106, 108, 134, 160–161, 170, 342, 349, 372 Gottfried von Langres, Bischof 196 Gottschalk, Priester 74 Gozzoli, Benozzo (Benozzo di Lese) 249 Gradenigo, Pietro, Doge 335 Gratian, Rechtswissenschaftler 210, 316 Gregor VII. (Hildebrand von Soana), Papst 25, 53, 65, 421 Gregor VIII. (Albertus de Morra), Papst 173 Gregor IX. (Ugolino dei conti di Segni), Papst 209, 214, 255, 259 Gregor X. (Tedaldo Visconti), Papst 485 Gregor XI. (Pierre Roger), Papst 364, 366 Grimaldi, Antonio 386 Grimaldi, Familie 298 Grimaldi, Jacopo 318 Gritti, Andrea 426 Gros, Antoine-Jean 514–515 Grossi, Tommaso 517–518 Guagnabene, Familie 298 Guarco, Antonio 386 Guarmani, Carlo Claudio Camillo 519–520 Gui, Bernard 354 Guibert von Nogent 504 Guido von Jebail 242 Guido von Lusignan, König von Jerusalem und Zypern 145–147, 151–153, 155–156, 171–173, 177, 181, 183, 186–187, 194 Guillaume de Beaujeau 293 Guillaume de Châteauneuf 261 Guillaume de La Trémouille 372 Guillaume de Machaut 362 Guillaume de Nangis 282 Guillaume de Nogaret 306, 338–339 Guillaume de Saint-Pathus 266 Guy de La Trémouille 372 Habsburg, Dynastie 357, 469, 473– 474, 495–496 Hadrian VI. (Adriaan Florenzsoon), Papst 449 Hafsiden, Dynastie 367, 439 Halen, Francisco de Paula van 216 Halil Hamid 526 Hannoveraner, Dynastie 539 Harrison, Rex 571 Hasan Ağa, Bey von Algier 479 Hasan al-Banna 564 Hasan der Korse, Bey von Algier 479 Hasan Pascha, Bey von Algier 479 Hauteville, Haus 37, 55, 111, 176

Hayez, Francesco 25, 96 Heemskerck, Maarten van 480 Heeren, Arnold Hermann Ludwig 513, 516 He-Hassid, Jehuda 530 Heilige Drei Könige 126, 222, 380 Heinrich der Seefahrer, Prinz von Portugal 384, 404, 481 Heinrich I. von Lusignan, König von Zypern 237–238, 275 Heinrich II. Plantagenet, König von England 174, 176 Heinrich II. von AntiochiaLusignan, König von Zypern und Jerusalem 293–294, 299–300, 311, 319, 327, 338, 360 Heinrich II. von Champagne, König von Jerusalem 188, 191, 194 Heinrich II. von Valois, König von Frankreich 452, 458 Heinrich III., genannt »der Kränkliche«, König von Kastilien und León 382 Heinrich III., genannt »der Schwarze«, römisch-deutscher König und Kaiser 54 Heinrich III., König von England 265 Heinrich IV. von Bourbon, König von Frankreich 485, 504 Heinrich IV., römisch-deutscher König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 53, 65, 69, 81, 110 Heinrich VI., römisch-deutscher König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 176, 179, 190, 194 Heinrich VII. von Luxemburg, Käiser des Heiligen Römischen Reiches 339 Heinrich VIII. Tudor, König von England 440 Heinrich von Asti, Patriarch von Konstantinopel 359 Heinrich von Straßburg, Bischof 177 Heinrich von Susa, genannt »Hostiensis« 11, 205, 209–212, 214 Helena, Flavia Iulia, Augusta 150, 510, 573–574 Helvis von BraunschweigGrubenhagen 385 Heraclius, Patriarch von Jerusalem 146, 157 Herbelot, Barthélemy d’ 497 Herodes, König von Judäa 429–431 Hesse, Alexandre 160–161, 170 Hethum II., König von Kilikien 319, 327 Hethum von Korykos 306, 327–328, 335 Hofer, Andreas 508 Hogenberg, Franz 453 Hohenstaufen, Dynastie 236, 259, 266 Honorius II. (Lamberto Scannabecchi), Papst 123 Honorius III. (Cencio Savelli), Papst 202, 215, 237, 253 Horaz, Horatius Quintus Flaccus 309 Hugo de Moncada 443, 448 Hugo I. von Vaudémont 47 Hugo II., Herzog von Burgund 183 Hugo III. Embriaco 155

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Hugo III. von Antiochia-Lusignan, König von Zypern und Jerusalem 285, 295, 311 Hugo IV. von Antiochia-Lusignan, König von Zypern und Jerusalem 360–361 Hugo von Cluny 66 Hugo von Gabala, Bischof 126 Hugo von Payns 121 Hugo von Sankt Viktor 316 Hugo von Vermandois 78, 101 Hülegü Khan 282–283 Humbert de Romans 314 Humbert II. von Viennois 360 Humfried IV. von Toron 146, 153, 172, 187 Huntington, Samuel P. 565, 568–569 Hunyadi, Johann 395, 398, 401–402, 404–405, 407, 416–418 Husām al-Dīn Berke Khan 261, 272 Hussiten 410

Ibelin, Familie 148, 237–238, 255, 278 Ibn Khaldūn 380, 570 Ibn Saud (Abd al-Aziz ibn Saud) 556 Ibn Wāṣil 261, 266–267, 270, 272 Ibrahim Bey, Herr über Karaman 393, 399, 401 Ibrahim I., Sultan des Osmanischen Reiches 494 Ibrahim Paşa 528–530 Ida, Markgräfin von Österreich 99 Innozenz III. (Lotario di Segni), Papst 196–197, 212, 215–217, 245, 312 Innozenz IV. (Sinibaldo Fieschi), Papst 11, 202, 204, 209–210, 266 Innozenz VI. (Étienne Aubert), Papst 363 Innozenz VIII. (Giovan Battista Cibo), Papst 428 Innozenz XI. (Benedetto Odescalchi), Papst 483 Isaak II. Angelo, byzantinischer Kaiser 158, 176, 179, 197, 200 Isabella die Katholische, Königin von Kastilien 433–435, 437, 439 Isabella I. von Anjou, Königin von Jerusalem 145–146, 172–173, 183, 188, 236–237 Isabella II. (Jolanda oder Isabella von Brienne), Königin von Jerusalem 236–237, 239, 253 Isabella von Armenien, Königin von Kleinarmenien 239 Isabella von Frankreich Francia, Königin von England 287 Isidor von Kiew, Patriarch von Konstanti­nopel 409, 413 Isidor von Sevilla 210 Ismail Al-Dschazarī 142 Ismail, Khedive von Ägypten 539– 540 Iwan Assen III., Zar von Bulgarien 321 Jacob, P.L. (Paul Lacroix) 286 Jacobus de Voragine 9, 48 Jacopo d’Acqui 308–309

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Anhang Jacopo da Levanto 267 Jakob II., König von Aragón 323, 334, 337, 355 Jakob von Lusignan 385 Jakob von Vitry, Bischof von Akkon 223–224, 233, 250, 309, 504 Jakob, Apostel 49, 66, 255 Jakub, Vater der Barbarossa 442 Jalāl al-Dīn Mankūbirnī 252 Jan III. Sobieski, König von Polen 496 Janus von Antiochia-Lusignan, König von Zypern und Jerusalem 386 Jean de Vienne 368, 372 Jean de Villiers 293 Joachim von Fiore 220, 350 Johann Ibelin, Graf von Jaffa 237– 238, 278, 244 Johann II. von Anjou, Herzog von Kalabrien und Lothringen 419 Johann II. von Trastámara, König von Sizilien und León 404 Johann III., Herzog von Brabant 353 Johann Ohnefurcht, Graf von Nevers und Herzog von Burgund 372, 376, 390 Johann Ohneland, König von England 176, 208 Johann von Arsuf 278 Johann von Botrun 264 Johann von Brienne, König von Jerusalem und Kaiser von Konstantinopel 236–237, 245, 247, 250 Johann von Ham 264 Johann von Lusignan 384 Johann von Nevers siehe Johann Ohnefurcht Johanna von England, Königin von Sizilien 176 Johanna von Kastilien, Königin von Kastilien und León 437 Johannes der Almosengeber, Heiliger 120–121, 307 Johannes der Täufer, Heiliger 29, 121 Johannes II. Komnenos, byzantinischer Kaiser 126 Johannes V. Oxites, Patriarch von Antiochia 107 Johannes V. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 358, 364, 371 Johannes VI. Kantakuzenos, byzantinischer Kaiser 358–359 Johannes VIII. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 380, 382, 389–390, 392, 394, 396–397, 405 Johannes VIII., Papst 34 Johannes von Capestrano 416–417 Johannes von Grailly 293 Johannes von Joinville 10, 183, 309 Johannes von Ragusa 392, 396 Johannes von Winterthur 308 Johannes XXII. (Jacques Duèse), Papst 324, 354–355, 357 Johannes, Evangelist 496 Joscelin II. von Courtenay, Graf von Edessa 126 Joscelin III. von Courtenay, Graf von Edessa und König von Galiläa 144, 146, 155 Joscius, Erzbischof von Tyrus 174

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Joseph II. von Konstantinopel, Patriarch 396 Joseph, Père (François Leclerc du Tremblay), genannt »Graue Eminenz« 485, 489 Juan de Austria, Don 13, 466–467, 469, 471–473 Julius II. (Giuliano della Rovere), Papst 437, 439–440, 444 Julius III. (Giovan Maria Ciocchi Del Monte), Papst 458 Justinian, Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus, byzantinischer Kaiser 29, 210

Kant, Immanuel 513 Kapetinger, Dynastie 128, 176 Kara Mustafa, Großwesir 488, 495 Karamaniden, Dynastie 525 Karl der Große, römischer Kaiser 28, 33–34, 54, 57, 107, 445–446, 531 Karl I. von Anjou, König von Sizilien und Jerusalem 407, 435 Karl II. von Anjou, König von Sizilien 299, 306, 316, 324, 336 Karl II., Fürst von Savoyen 455 Karl II., genannt »der Kahle«, Römischdeutscher Kaiser 34 Karl IV. von Luxemburg, König von Böhmen und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 361 Karl IV., genannt »der Schöne«, König von Frankreich 287, 324 Karl V. von Habsburg, König von Spanien und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 438, 440, 443, 445–456, 458, 463, 466, 480, 504 Karl V., genannt »der Weise«, König von Frankreich 365 Karl V., Herzog von Lothringen 495 Karl VI., genannt »der Wahnsinnige«, König von Frankreich 365, 367– 369, 372, 378, 382 Karl VII. von Valois, genannt »der Siegreiche«, König von Frankreich 392, 406 Karl VIII. von Valois, König von Frankreich 434 Karl Martell 57 Karl von Valois 287, 317, 322–323, 335, 338–339 Karolinger, Dynastie 33 Katharina I. von Courtenay, Kaiserin von Konstantinopel 322, 335 Katharina II. die Große, Kaiserin von Russland 526 Katharina II. von Valois, Kaiserin von Konstantinopel 335–336, 339 Katharina von Siena (Caterina Benincasa) 38, 349, 365, 382–382 Kemal, Mustafa 545, 553–555, 563 Khalīl, Erbe von al-Ṣāliḥ 273 Kılıç Arslan II., seldschukischer Sultan 143, 180 Kılıç Arslan, Sultan von Iconium 77, 86 Kipling, Rudyard 560 Kitbughā 283–284 Kolumbus, Christoph 432

Komnena, Anna, byzantinische Prinzessin 78 Komnena, Maria, Königin von Jerusalem 156, 172 Komnena, Theodora, Königin von Jerusalem 138 Komnenen, Dynastie 176, 380, 420 Konrad I. von Montferrat, König von Jerusalem 158–159, 171–173, 177, 181, 183, 186–188, 199, 236, 314 Konrad III. von Hohenstaufen, römischdeutscher König und Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 129, 132, 134–135, 177, 195 Konrad IV. von Hohenstaufen, Herzog von Schwaben, König des Heiligen Römischen Reiches 220, 239, 255, 259, 275, 277 Konradin von Schwaben, König von Sizilien und Jerusalem 277, 284 Konstantin I., König von Griechenland 549 Konstantin Palaiologos, Despot von Morea 390, 392, 399, 402, 405, 407, siehe auch Konstantin XI. Palaiologos Konstantin V. von Armenien, König von Kilikien 240–241 Konstantin XI. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 410 Konstantin, genannt »der Große«, römischer Kaiser 28, 31, 381, 489 Konstanze von Antiochia, Fürstin 148 Konstanze von Hauteville, Gemahlin des Kaisers und Königin von Sizilien 176 Köprülü, Ahmed 494 Köprülü, Mehmet, Großwesir von Albanien 494 Kriehuber, Josef 529 Kugler, Bernhard 523 La Noue, François de, genannt »Eisenarm« 483, 485 Ladislaus III. Jagiełło, König von Polen und Ungarn 398–401 Ladislaus Postumus, König von Böhmen und Ungarn 402, 416–417 Laguna, Andrés 478 Lala Mustafa, Wesir 461–462, 466 Lawrence, Thomas E. 551, 555 Le Père, Jacques-Marie 535 Leibniz, Gottfried Wilhelm 491 Lenin (Vladimir Il’ič Ul’janov) 552 Leo IV., Papst 34 Leo IX. (Bruno von EgisheimDagsburg), Papst 54 Leo X. (Giovanni de’ Medici), Papst 440, 444–445, 448–449 Leo XIII. (Vincenzo Gioacchino dei conti Pecci), Papst 521 Leon II., König von Armenien und Kilikien 239 Leon IV., König von Armenien 328 Leonard von Chios, Erzbischof von Mytilene 413 Leontaris Bryennios, Andronikos 407 Leopold I. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 494

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Personenregister Leopold V. von Babenberg, genannt »der Tugendreiche«, Herzog von Österreich 188 Leopold VI. von Babenberg, genannt »der Glorreiche«, Herzog von Österreich 246 Lercari, Familie 298 Lercari, Ugo 267 Lerma, Francisco Gómez de Sandoval y Rojas, Herzog von 489 Lesseps, Ferdinand-Marie de 535 Lessing, Gotthold E. 13, 485, 507 Liao, Dynastie 126 Lievens, Jan 155 Linant de Bellefonds, Louis MauriceAdolphe 535 Liotard, Jean-Étienne 498–500 Livius, Titus 31 Locke, John 485 Loredan, Alvise 400–401 Lorenzo der Prächtige siehe Medici, Lorenzo de’ Louis-Philippe von Bourbon-Orléans, König von Frankreich 170, 531, 536 Ludolf von Sudheim 308, 311 Ludolf von Tournai 96 Ludovico da Bologna 418 Ludwig I. der Große, König von Ungarn 364 Ludwig I. von Anjou, König von Sizilien 365 Ludwig II., genannt »der Gute«, Herzog von Bourbon 367–369 Ludwig II. Jagellonský, König von Ungarn und Böhmen 450 Ludwig IV. der Bayer, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 208 Ludwig IV., genannt »der Überseeische«, König von Frankreich 128 Ludwig VII., genannt »der Jüngere«, König von Frankreich 128–130, 132, 134–136, 147, 168–170, 188, 195 Ludwig IX., genannt »der Heilige«, König von Frankreich 183, 216, 219, 259, 262–263, 265–273, 275–277, 281–282, 285–286, 309, 381, 511–512, 516 Ludwig von Navarrra (später Ludwig X. von Frankreich) 339 Ludwig X., genannt »der Zänker«, König von Frankreich 287 Ludwig XII. von Valois-Orléans, genannt »Vater des Volkes«, König von Frankreich 439–440 Ludwig XIII. von Bourbon, genannt »der Gerechte«, König von Frankreich 484, 504–505 Ludwig XIV. Von Bourbon, genannt »der Sonnenkönig«, König von Frankreich 490–491, 495–496, 505–506, 508 Ludwig, Herzog von Bayern 250 Lullus, Raimundus 38, 222, 306, 311, 314, 324–326, 335, 338–339, 348, 350 Lusignan, Haus 187, 225, 298, 329, 357 Luther, Martin 218, 448

Machiavelli, Niccolò 570 Madrazo y Kuntz, Federico de 105 Mahmud I., Sultan des Osmanischen Reiches 525 Mahmud II., Sultan des Osmanischen Reiches 528–529 Mailly, Jean-Baptiste 13, 507 Maimbourg, Louis de 505 Malatesta, Pandolfo Sigismondo, Herrscher von Rimini 420 Mallone, Barocio 278 Mallone, Paschetto 279 Malombra, Rizzardo 355 Mamerot, Sébastien 71, 77, 87, 89, 140, 172, 185 Manetti, Giannozzo 415 Manfred Hohenstaufen, König von Sizilien 208 Manfredi III. Chiaramonte, Graf von Modica 367 Manuel I. Komnenos, byzantinischer Kaiser 126, 134, 138, 143, 148, 197 Manuel II. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 371, 379–380, 389–390 Manzoni, Alessandro 517–518 Marco d’Aviano 496 Margarete von Österreich, Statthalterin der Niederlande 446 Maria Assenina, bulgarische Prinzessin 321 Maria von Champagne, Gräfin 188 Maria von Habsburg, Königin von Ungarn und Böhmen 450–451 Maria von Montferrat, Königin von Jerusalem 236 Mariano di Nanni 349 Marigny, François Augier de 512 Markos von Ephesos, Bischof 397 Markus, Evangelist 50 Markward von Annweiler 208 Marqués de Comares siehe Diego Fernández de Córdoba Marracci, Ludovico 497 Martin V. (Oddone Colonna), Papst 404 Matejko, Jan 400 Mathilde von Canossa 472 Mathilde von Flandern, Königin von England 41 Matteo di Giovanni 427–431 Matthäus von Albano 123 Matthäus von Paris 329 Matthias I. Corvinus, König von Ungarn 418–419, 425 Matthias von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 489 Mauritius, Heiliger 35 Mauzaisse, Jean-Baptiste 168–170 Maxentius, Marcus Aurelius Valerius, römischer Kaiser 31 Maximilian I. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 377, 439–440 Maximilian II. von Habsburg, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 469 Maximilian von Österreich, später Maximilian I., Kaiser von Mexiko 538 Mazerolles, Philippe de 411

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McMahon, Henry 551 Medici, Cosimo I de’, Herzog von Florenz 395, 459, 472 Medici, Haus 427, 449 Medici, Lorenzo de’, genannt »der Prächtige« 427, 432 Medici, Maria de’, Königin von Frankreich 289 Mehmed I., Sultan des Osmanischen Reiches 389 Mehmed II., Sultan des Osmanischen Reiches 401, 405, 408–409, 416, 420, 424–425, 427, 460 Mehmed IV., Sultan des Osmanischen Reiches 494–496 Mehmed Sokollu, Großwesir 461, 466, 471 Mehmed V., Sultan des Osmanischen Reiches 546 Mehmed VI., Sultan des Osmanischen Reiches 553–554, 556 Mehmet Ali, Offizier 527–528, 535 Meisters des Dresdner Gebetsbuches 376 Melisende, Königin von Jerusalem 121, 126, 140 Melville, Herman 18 Mendoza, Bernardino de 455 Menger, Heinrich 392 Menschikow, Alexander S. 533 Mercurio da Correggio 426 Merkurio, von Cäsarea 35 Merowinger, Dynastie 33 Michael VIII. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 281 Michael IX. Palaiologos, byzantinischer Kaiser 322 Michaud, Joseph-François 13, 93, 149, 206–207, 505, 516–517 Michelangelo Buonarroti 439 Michiel, Domenico, Doge 113 Michiel, Vitale II., Doge 197 Milon von Plancy 148 Mohammad Reza Pahlavi, Schah von Persien (Iran) 564 Mohammed, Prophet 148, 219–221, 244, 314, 327, 346, 350 Molay, Jacques de 306, 330–334, 344, 485 Molière, Jean-Baptiste Poquelin, genannt 524 Moncada, Hugo de, Vizekönig von Neapel und Sizilien 443, 448 Möngke, Großkhan 282 Montaigne, Michel Eyquem de 460 Montaldo, Leonardo 386 Montemezzano, Francesco 280–281 Montesquieu, Charles-Louis de Secondat de 12, 507 Montferrat, Markgrafen 158 Moreno Carbonero, José 322 Moritz von Porto 108, 315 Mosheim, J. Lorenz von 505 Mozart, Wolfgang Amadeus 524 Mozzi, Familie 298 Müezzinzâde Ali 470 Muhammad Ahmad 560 Muhammad al-Mutawakkil, Sultan 482 Murad I., Sultan des Osmanischen Reiches 363–364, 371

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Anhang Murad II., Sultan des Osmanischen Reiches 389, 393, 395, 399–401, 404–405 Murad III., Sultan des Osmanischen Reiches 486 Murad IV., Sultan des Osmanischen Reiches 486–487 Muraditen, Dynastie 479 Murat Reis 463 Mustafa Çelebi 389 Nanni di Piero di Nanni 429 Napoleon Bonaparte, Kaiser der Franzosen 508, 511–513, 527, 534, 563 Napoleon III. Bonaparte, Kaiser der Franzosen 519, 522, 533, 536–539 Nassi, Joseph, genannt der »Großjude« 461 Nathan, Ernesto 522 Navarro, Pedro, Graf von Oliveto 438, 441 Nebrija, Elio Antonio de 439 Negri, Giovanni Francesco 504, 519 Nepos, Cornelius 159 Nerva, Marcus Cocceius, römischer Kaiser 445 Niccolò III. d’Este, Herrscher von Ferrara 397 Nicolaus von Kues 396, 405, 420, 422, 424 Nietzsche, Friedrich 561 Nikolaus I. Romanov, Zar von Russland 533 Nikolaus IV. (Girolamo d’Ascoli), Papst 288, 302, 307, 311, 316, 329 Nikolaus V. (Tommaso Parentucelli di Sarzana), Papst 403–404, 410–411, 413–415 Nikolaus von Hanapes, Patriarch von Jerusalem 288, 296 Nikolaus von Kanizsay 372 Nikolaus von Myra 50, 316 Noailles, François de 471 Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg) 420 Nur ad-Din (Norandino) 126, 135– 139, 141–142

Odo de Lagery siehe Urban II. Odo von Cluny 35 Ogerio Pane 202 Ogerio, Bischof 83 Orhan, Sultan des Osmanischen Reiches 358, 363, 371 Orléans, Haus 412 Orsini, Virginio 456 Osman I., Sultan des Osmanischen Reiches 321, 358, 371 Osta Morato, Bey von Tunis 479 Otto I. von Sachsen, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 35, 54, 128 Otto von Freising 55, 126 Otto von Grandson 293 Pagani, Gaspero 375 Palaiologen, Dynastie 489 Palma der Jüngere, Jacopo 190

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Pantaléon, Jacques siehe Urban IV. Panzano, Familie 298 Paolinus Venetus (Paolinus Minorita) 75, 327 Papety, Dominique 184 Parentucelli, Tommaso siehe Nikolaus V. Paruta, Paolo 467 Paschalis II. (Raniero di Bleda), Papst 83, 84, 107 Pascoli, Giovanni 522 Paterio, Niccolò 375 Paul II. (Pietro Barbo), Papst 413 Paul IV. (Gian Pietro Carafa), Papst 458 Paul V. (Camillo Borghese), Papst 489 Paulus von Tarsus 23, 29, 38, 354 Pazzi, Familie 426 Peirol d’Auvergne 413 Pelagius von Albano, Kardinalbischof 250 Peruzzi, Familie 298 Pescatore, Enrico 200, 202 Pessoa, Fernando 482 Peter I. Romanow, genannt »der Große«, Zar von Russland 484 Peter I. von Antiochia-Lusignan, König von Zypern und Jerusalem 360– 362, 384 Peter II. von Antiochia-Lusignan, König von Zypern und Jerusalem 384, 385 Peter II., genannt »der Katholische«, König von Aragón 215 Peter III. der Große, König von Aragón, Katalonien und Sizilien 208 Petrarca, Francesco 313, 349, 503 Petrus der Einsiedler 72–77, 79 Petrus Johannis Olivi 38 Petrus Venerabilis 72, 220 Petrus von Amiens siehe Petrus der Einsiedler Petrus von Blois 154 Petrus, Apostel 23, 33–34, 104, 315, 354, 471 Philipp d’Artois 368 Philipp I. von Anjou, Fürst von Tarent 336, 339 Philipp I. von Flandern 183 Philipp I. von Habsburg, König von Kastilien und León 437 Philipp I., König von Frankreich 67, 78 Philipp II. August, König von Frankreich 170, 172–174, 176, 182–183, 215 Philipp II. der Kühne, Herzog von Burgund 372 Philipp II. von Habsburg, König von Spanien 452, 459, 462–463, 469, 472–473, 486 Philipp III. der Gute, Herzog von Burgung 390–391, 405, 415, 419 Philipp III. von Habsburg, König von Spanien 463, 489 Philipp IV. der Schöne, König von Frankreich 110, 287–288, 303– 304, 306, 323, 325, 333–339

Philipp V., gennant »der Lange«, König von Frankreich 287, 339, 353 Philipp VI. von Valois, König von Frankreich 359 Philipp von Antiochia, König von Kilikien 239 Philipp von Montfort 264, 278 Philippa von Toulouse 81 Philippe de Mézières 362, 364–365, 372, 382, 419 Piccamiglio, Familie 298 Piccolomini, Enea Silvio siehe Pius II. Pierozzi, Antonino, Bischof von Florenz 418 Pierre de Castelnau 214 Pierre de Tudebode 523 Pietro Igneo 54 Pinturicchio siehe Bernardino di Betto Pipini, Francesco 356 Pippiniden, Dynastie 33 Pius II. (Enea Silvio Piccolomini), Papst 396, 405, 409–410, 413, 418–421, 423–424, 426, 444, 503 Pius V. (Antonio Ghislieri), Papst 466–467, 471, 481 Pius VII. (Barnaba Chiaramonti), Papst 508 Pius IX. (Giovanni Maria Mastai Ferretti), Papst 11, 510, 521–522, 530 Pius XI. (Achille Ratti), Papst 14 Pizzicolli, Ciriaco de’ 400 Plebano 146 Pomba, Giuseppe 519 Pomponne, Simon Arnauld, Marquis de 491 Poujolat, Jean-Joseph-François 517 Pradilla Ortiz, Francisco 433 Predari, Francesco 519 Prudentius, Aurelius Prudentius Clemens 38, 80 Prutz, Hans 523 Qalāwūn, Sultan von Ägypten 284– 285, 287–288, 292–293 Quṭuz, mamlukischer Sultan von Ägypten 274, 283–284

Radulfus Niger 312 Raffael, Raffaele Sanzio 439, 446 Raimondo, Fürst von Montecuccoli 495 Raimund III., Graf von Tripolis 142, 144–146, 148, 152, 156 Raimund IV. von Saint-Gilles, Graf von Toulouse und Markgraf der Provence 67, 69, 78–79, 81, 84, 94, 98, 104, 106–109 Raimund VII., Graf von Toulouse 216–217 Raimund von Aguilers 94, 97, 99, 523 Raimund von Peñafort 209, 212 Raimund von Poitiers 111, 135, 138 Raimund von Puy 121 Rainald von Châtillon, Fürst von Antiochia 138, 146–148, 150– 154, 173

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Personenregister Rainald von Sidon 148, 159 Rainer I., Markgraf von Montferrat 158 Ramberg, Arthur Georg von 270 Ramihrdus 75 Ranke, Leopold von 523 Raoul von Caen 523 Rapondi, Dino 376 Reza Pahlavi, Schah von Persien (Iran) 563 Riant, Paul Édouard Didier 522 Richard I., genannt »Löwenherz«, König von England 13, 170, 176–177, 182–183, 185–190, 194, 225, 275, 517, 571 Richard II., König von England 365, 372 Richard von Cornwall 259 Richartinger, Leonhard 375 Richelieu, Armand-Jean du Plessis de 485, 487, 489–490 Rigaud, Hyacinthe 506 Riou, Édouard 535 Rita von Cascia 521 Rivalz, Antoine 69 Robert Bruce, König von Schottland 358 Robert de Saint-Rémy 504 Robert der Mönch 178 Robert Grosseteste 222 Robert II., genannt »von Jerusalem«, Graf von Flandern 78, 101 Robert von Anjou, König von Sizilien und Neapel 357 Robert von Artois 268–269 Robert von Chester 220 Robert von der Normandie, genannt »Curtehose« (Kurzhose) 78, 81, 87, 94, 101, 106 Robert von Flandern 48 Robert von Hauteville, genannt »Guiscard« 69, 78, 113 Robert von Ketton 422, 424 Robert von Nantes, Patriarch von Jerusalem 261, 277 Robertson, William 13, 507, 512– 513, 516, 518 Rodulfus Glaber 46 Roger Borsa, Herzog von Apulien und Kalabrien 81 Roger de Flor 296, 321–322, 335 Roger I. von Hauteville, Graf von Sizilien 81, 104 Roger II. von Hauteville, Graf von Sizilien 176, 208 Roger III. von Hauteville, Graf von Apulien 176 Röhricht, Reinhold 523 Romano Bonaventura 217 Romanos IV. Diogenes, byzantinischer Kaiser 25 Romanow, Dynastie 496, 524 Roque Gameiro, Alfredo 133 Rousseau, Jean-Jacques 518 Ruffo, Fabrizio, Kardinal 508–510

Sabahaddin, osmanischer Prinz 545 Said Paşa, Vizekönig von Ägypten 535 Saint-Simon, Claude-Henri de Rouvroy, Compte de 535

Saladin (Ṣalāḥ al-Dīn), ayyubidischer Sultan 13, 136, 138–143, 146– 147, 149–151, 153–159, 171, 174, 179–181, 183, 185–187, 189–191, 194–195, 225, 227, 229–231, 233, 245, 252, 260, 273–274, 343, 507, 561 Salimbene von Parma 219 Salisbury, Robert 544–545 Sancho von Aragón, Herrscher von Militello 324 Sanjar, Ahmad, seldschukischer Sultan 126 Sanudo, Marin, der Ältere 276, 306, 324–325, 327, 473, 485, 504 Savary de Brèves, François 485 Savonarola, Girolamo 435 Savoyer, Dynastie 357, 474 Sayf al-Dīn Quṭuz 274 Scarampo, Ludovico 416 Schadschar ad-Durr, Ehefrau von alṢāliḥ 269, 273–274 Schiltberger, Johann 375 Schirkuh 138–139 Schnetz, Jean-Victor 164–165, 170 Schnorr Carolsfeld, Julius, von 180 Scholarios, Georg 410 Schönborn, Johann Philipp von, Kurfürst von Mainz 491 Scott, Ridley 572 Scott, Walter 13, 517, 575 Scotus Eriugena, Johannes 34 Scozzi, Familie 298 Sebastian I., König von Portugal 481– 483 Sebastian, Heiliger 35 Sebastiano aus Venedig 482 Selgiuq, Khan 62 Selim ben Tumi 442 Selim I., genannt »der Grausame«, Sultan des Osmanischen Reiches 432–433, 442–445, 448 Selim II., genannt »sarhoş« (Trunkenbold), Sultan des Osmanischen Reiches 461–462, 472, 481 Selim III., osmanischer Sultan 512, 526 Semeonis, Symon 357 Septimus Severus, Lucius, römischer Kaiser 31 Sercambi, Giovanni 378 Sforza, Francesco, Herzog von Mailand 412, 419 Sforza, Galeazzo Maria, Herzog von Mailand 424 Sforza, Ludovico, genannt »il Moro«, Herzog von Mailand 425 Shawār, Wesir 139 Sibṭ ibn al-Jawzī 256 Sibylle von Anjou, Königin von Jerusalem 145–146, 151, 158, 172 Siedentopf, Christian 175 Sigismund von Ungarn, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 372– 376, 390–391, 394–395 Sigismund, Herzog von Tirol 419 Signol, Émile 15, 130, 162–163, 170

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Sigurd Magnusson, genannt »Jórsalafari« (Jerusalemfahrer), König von Norwegen 109 Simon de Montfort 215, 217 Simon von Cyrene 145 Sinan Paşa, Beylerbey von Ägypten 472 Sismondi, Simonde de 518 Sixtus IV. (Francesco della Rovere), Papst 413, 424 Skanderbeg, Georg Kastriota, genannt 399, 401–405, 414, 417, 421 Solera, Temistocle 518 Sonnenkönig siehe Ludwig XIV. Soranzo, Pietro 362 Spinola, Cristiano 334 Spinola, Familie 298 Squarciafico, Familie 298 Starhemberg, Rüdiger von 496 Statius, Publius Papinius 38 Stefan Dušan, serbischer Zar 359, 363 Stephan I. der Heilige, König von Ungarn 50 Stephan von Chartres und Blois 78, 89, 101 Stephanie von Milly 148 Stukeley, Thomas 482 Suger, Abt von Saint-Denis 130 Süleyman I., genannt »der Prächtige«, Sultan des Osmanischen Reiches 432–433, 448, 450, 452– 455, 458–461, 480–481, 557 Süleyman II., Sultan des Osmanischen Reiches 496 Süleyman, Sohn von Bayezid 375 Sully, Maximilien de Béthune, Herzog von 485 Sybel, Heinrich Karl Ludolf von 523

Taddeo di Napoli 307–308 Tamerlan (Timur-i Lang, genannt »Timur der Lahme«), türkischer Herrscher 346, 360, 379–384, 389 Tanchelm 76 Tankred von Hauteville, Fürst von Galiläa 78–79, 88, 94, 101, 109, 111 Tankred von Lecce, König von Sizilien 176 Ṭāriq ibn Ziyād al-Laythī (Taric el Tuerto) 57 Tartaro, Familie 298 Tasso, Torquato 13, 104, 480–481, 504, 517–518, 520, 575 Tatikios 86 Telesphorus von Cosenza 365 Templer von Tyrus 242, 288, 292, 295–296, 299–300 Tertullian, Quintus Septimius Florens Tertullianus 30 Themistokles 159 Theobald IV., Graf von Champagne und König von Navarra 259 Theobald, Graf von Champagne 199 Theodora, byzantinische Prinzessin 158

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Anhang Theodoros II. Palaiologos 390 Theodosius I., genannt »der Große«, römischer Kaiser 29, 445 Thomas Palaiologos 390 Thomas von Aquin 210, 214, 348, 350, 570 Thomas, Pierre 361–363 Thoros von Edessa, Herrscher von Kilikien 88, 148 Tiepolo, Ermolao 474 Tiepolo, Giacomo, Doge 279 Tiepolo, Lorenzo 279 Timur siehe Tamerlan Tintoretto, eigentlich Domenico Robusti 191, 477 Titus, Flavius Vespasianus, römischer Kaiser 445 Tizian (Tiziano Vecellio) 437, 447, 454, 460 Tolomeo da Lucca 311 Tommaso d’Acerra 239, 253 Torzevalle, Vitale 300 Trajan, Marcus Ulpius Traianus, römischer Kaiser 445 Traversari, Ambrogio 396 Trotzki, Leo 552 Troya, Carlo 518 Tyler, Wat 365

Ugo von Ostia, Bischof 202 Uluç (später Kılıç) Ali, Bey von Algier 479 Uluç Ali, Gouverneur von Algier 461–462, 472 Umur, Bey 359 Urban II. (Odo de Lagery), Papst 23– 26, 54, 56, 65–67, 71, 78, 81, 83, 92, 97, 106, 110, 131, 421, 574 Urban III. (Uberto Crivelli), Papst 173 Urban IV. (Jacques Pantaléon), Papst 277 Urban V. (Guillaume de Grimoard), Papst 361 Urban VIII. (Maffeo Barberini), Papst 490 Uzun Hasan, turkomannischer Fürst 417, 424 Valois, Dynastie 504 Varro, Marcus Terentius  43 Vasari, Giorgio 366 Venier, Andrea 362 Venier, Cristoforo 474 Venier, Sebastiano 467 Venizelos, Eleftherios 549 Venturino da Bergamo 378 Verdi, Giuseppe 518 Vermeyen, Jan Cornelisz 453 Vetrano, Leone 200, 202 Victoria, Königin von England 538– 540 Vignoli, Vignolo de’ 336 Viktor III. (Desiderius von Montecassino), Papst 24, 521 Villani, Giovanni 237, 254, 308, 310, 327

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Villeneuve, Louis Sauveur, Marquis de 525, 531 Villers, Charles de 513 Vinzenz von Beauvais 186 Visconti, Familie 412 Visconti, Filippo Maria 390, 395 Vittorio Emanuele II. von Savoyen, König von Italien 519 Vlad II., genannt »der Drache« oder »der Teufel«, Woiwode der Walachai 401 Voltaire (François-Marie Arouet) 13, 76, 485, 507–510, 512, 516–517, 524

Zaccaria, Benedetto 324 Zaccaria, Manuele 300 Zangī, ’Imād al-Dīn 125–126, 136 Zápolya, Johann, Woiwode von Sieben­ bürgen 451 Zayyaniden, Dynastie 439 Zengiden, Dynastie 136, 146, 187 Zeno, Andrea 279 Zeno, Carlo 386–387 Ziya Gökalp (Mehmed Ziya) 547– 548 Zonaro, Fausto 408

Wagner, Richard 561 Walter of Guisborough 309 Walter von Brienne, Graf von Jaffa 264 Walter, genannt »ohne Habe« 74 Wattasiden, Dynastie 439 Welf VI., Markgraf vom Tuszien 129 Welf von Bayern 99 Welser, Familie 446 Werner, Anton von 540 Weyden, Rogier van der 391 Wibert von Ravenna siehe Clemens III. Wilhelm I. der Eroberer, Herzog von Normandie und König von England 37–38, 55, 78, 104 Wilhelm I. Hohenzollern, König von Preußen und deutscher Kaiser 539 Wilhelm II. von Hauteville, König von Sizilien 141, 174, 176 Wilhelm II. von Hohenzollern, König von Preußen und deutscher Kaiser 544, 551, 561 Wilhelm II., genannt William »Rufus«, König von England 81 Wilhelm V. «der Alte», Markgraf von Monferrat 145, 158, 159 Wilhelm IX., Herzog von Aquitanien 81, 99 Wilhelm von Botrun 264 Wilhelm von Clermont 184 Wilhelm von Montferrat, genannt »Langschwert« 145, 158 Wilhelm von Nevers 99 Wilhelm von Tripolis 314 Wilhelm von Tyrus, Erzbischof 90– 91, 103, 122, 127, 132, 144, 147, 198, 328, 503–504, 523 Wilhelm, Herzog von Kleve 457 Wilken, Friedrich 516, 523 Wilson, Thomas Woodrow 552 Wyl, Jakob von 480 Yağısıyan, Statthalter von Antiochia 89 Ye-lü Ta-shah, mongolischer Herrscher 126 Young, John 487 Yūsuf (Joseph) siehe Saladin (Ṣalāḥ al-Dīn)

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Ortsregister Aachen 255, 446 Adana 284 Aden, Golf von 151, 551 Adria 44, 45, 78, 200, 288, 363, 393, 402, 412, 414, 472–474, 538, 543 Adrianopel (Edirne) 179, 232, 363, 389 Afghanistan 565 Afrika 44–45, 384, 433–435, 437– 441, 446, 448, 481, 521, 546 Nord- 59–60, 133, 282, 346, 367, 369, 425, 432, 434, 438, 460, 462– 463, 471–473, 484, 525, 541 Nordwestliches  370 Ost- 501 Zentral- 482 Afula 234 Ägäis 200, 317, 324, 325, 335, 337, 359, 363, 404, 410, 422, 436, 496, 524, 543 Ägäische Inseln 200, 323, 462, 473, 526, 553 Ägypten 44, 60, 62, 83, 139, 141, 143, 150, 188, 191, 196, 224, 228– 230, 234, 243–245, 247, 250–251, 257, 259–261, 265–266, 269, 271, 273, 276–277, 282, 284, 297, 302, 305, 319, 323–324, 326, 329, 337–338, 354–355, 359, 360, 362, 367, 384, 386, 389, 432, 440, 472, 491, 511, 527, 528, 535, 539–540, 549–551, 553, 556–558, 563–564 Aidhab 151 Aigues-Mortes 267, 281 Akaba, Golf von 150 Akkar 234 Akkon 85, 108, 109, 111, 146, 151, 155, 158–159, 172, 176, 177, 180–181, 183, 187, 188, 190, 195, 200, 223, 224, 227–234, 236, 238, 242, 246–247, 250, 253, 256, 259, 261, 264–265, 275–279, 283–285, 287–288, 292–295, 297–299, 302, 304, 306–311, 313, 316–317, 319, 321, 324, 328–329, 355, 356, 360, 444, 510, 529 al-Andalus siehe Spanien Alba Greca siehe Belgrad Albanien 405, 407, 546, 547 Albi 214 Alcalá de Henares 438 Aleppo 89, 99, 112, 124, 135, 138, 140, 143, 146, 148, 225, 230, 233, 257, 260, 273, 283, 284, 319, 379 Algarve 384 Algerien 60, 527 Algier 433, 441, 442–444, 453–455, 461, 463, 473, 479, 480 Alhucemas 434 al-Manṣūra (die Siegreiche) 251, 261, 268–271 Almería 60, 136 Alpujarras 436 Alt-Phokäa 382 al-Qaṣr al-kabīr (Alcázarquivir) 482 Alexandretta 88, 109, 257 Golf von 115, 225

Alexandria 50, 113, 139, 141, 195, 230, 244, 247, 260, 268, 288, 300, 319, 357, 358, 360–362, 364, 384, 386, 396, 511, 541, 563 Amalfi 44, 78 Amanos-Massiv 88 Amasya 553 Amiens 512, 536 amnis Traianus 534 Amselfeld 371, 404, 406, 416 Amu-Darja, Fluss 252, siehe auch Oxus Anatolien 48, 63–65, 69, 84, 86, 99, 181, 257, 269, 320, 337, 358, 390, 399, 401, 406, 442, 502, 548, 549, 552–554, 557, 562 Anatolische Halbinsel siehe Anatolien Ancona 230, 248, 276, 278, 300, 400, 422, 503, 543 Andalusien 215, 346, 428, 434, 435, 463 Ankara 382, 388, 389, 553–555 ’Annāba siehe Bona Antalya 553, siehe auch Satalia Antiochia 88–89, 92, 94, 98–99, 101, 106, 109, 111, 113, 119, 126, 135, 138, 145, 148, 157, 171, 181, 225, 228, 230, 233, 234, 239, 242, 257, 264, 284–285, 293, 298, 310, 333 Antitaurusgebirge 88, 106 Aostatal 44 Apulien (Puglie) 47, 426, 427 Arabien 148, 230, 528, 553, 564 Süd- 245 Arabische Halbinsel siehe Arabien Aragón 58, 331, 432, 440 Aralsee 252, 380 Arles 49 Ärmelkanal 392 Armenien 62, 380, 549, 553, 555 Arsuf 84, 108, 183, 225, 284, 298 Aruad 319, 320 Aserbaidschan 486, 548 Asien 71, 134, 229, 327, 346, 380, 384, 393, 399, 445, 490, 507 Ost- 380, 534 Süd- 534 Südost- 501, 541 Zentral- 229, 327, 358, 497, 501, 538, 548, 552 Asilah 482 Askalon 97, 108, 137, 145, 155–157, 183, 185, 188–189, 227, 234, 260, 264, 265 Askania-See 101 Asow 484, 525 Asowsches Meer 496 Astorga 49 Asturien 58 Athen 336, 418, 496 Äthiopien 418, 561 Atlantik 404, 435, 438, 481–482 489, 536 Atlit 234, 246, 276, 297 Attika 418 Auvergne 26, 49, 66, 78 Avignon 353–354, 361, 363–365, 394

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Aydın, Emirat 359 ’Ayn Jālūt (Goliathsquelle) 283 Azamor 434 Azincourt 390

Babylon 224, 307, 330, 451 Bagdad 57, 62, 70, 99, 125, 252, 367, 379, 487, 544, 549 Baghras 257 Baḥr al-Nīl siehe Nil Baḥr al-Ṣaghīr, Hauptarm des Nils 269 Balearen, Inseln 45, 59–60, 63 Balis 233 Balka 257 Balkan, Gebirge 179, 305, 335, 358, 363, 371, 388, 390, 402, 404, 410, 414, 416, 424, 442, 445, 450, 452, 453, 461–462, 483–484, 486, 491, 495–497, 502, 525, 542–543, 545–547, 575 Balkanhalbinsel 417, 524, 538, 542, 546 Baltikum, Gebiet 205, 440, siehe auch Ostseeregionen/Ostseeraum Baltisches Meer siehe Ostsee Bamberg 48 Banyas (Caesarea Philippi) 137 Bapheus 321 Barbaresken siehe Maghreb Barcelona 215, 451 Bari 543 Barletta 230 Basel 392–398, 402, 422, 503 Bayern 539 Bayeux 41 Béarn 490 Beaufort 234, 260 Beauvais 187 Beirut 109, 111, 142, 155, 183, 194, 225, 228–229, 231, 237–238, 287, 297, 310 Béjaia 369 Bekaa-Hochebene 228 Belgien 533, 548 Belgrad 179, 398, 400, 404, 415–418, 448, 466, 485, 496, 525–526 Belvoir 233, 248, 265 Berlin 543–545 Berry 74 Bessarabien 543 Bethanien 310 Beth Gibelin 233, 260 Bethlehem 231–232, 235, 260, 310, 356, 531 Bet Sche’an 235, 260 Béziers 215 Bibbona 426 Biserta 472 Bithynien 322, 358, 363, 554 Bitterseen 534 Blaye 49 Bocskai 486 Böhmen 388, 394, 399 Bologna 146, 177, 288, 339, 357, 404, 445, 451, 519 Bona (Hippo) 60 Bonifacio, Straße von 455

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Anhang Bordeaux 49 Borgo San Donnino (Fidenza) 44 Born 353 Bosnien 416, 421, 427, 473, 543, 546 Bosporus 68, 78, 281, 321, 323, 363, 372, 396, 400–401, 410, 416, 425, 476, 497, 524–526, 541, 543, 552 Botrun 146, 152, 319 Bougie (Bedschaja) 441–442 Bourges 37, 49, 128 Brabant 352, 391 Brachium S. Giorgii (Arm des heiligen Georg) siehe Bosporus Bressanone 422 Brindisi 48, 296, 335, 337, 426 Brüssel 518 Buda 372, 394, 399–400, 416, 451, 454, 494–495 Bukarest 546 Bulgarien 371, 374, 542–543, 546, 549 Burgos 49 Burgund 36 Bursa 321, 358, 389–390 Buxoro 252 Byzanz 28, 61–62, 63, 70, 79, 106, 113, 134, 148, 179, 196, 215, 225, 324, 335, 358, 371, 380, 390, 395, 405–406, 409, siehe auch Konstantinopel und Istanbul Caffa 359, 419, 422, 425 Caesarea Philippi siehe Banyas Cagliari 281–282, 369, 441, 453 Cahors 49 Çaldıran 444 Caltabellotta 322 Cambrai 75, 439 Cambridge 550, 561 Candia siehe Kreta Canterbury 173 Cartagena 455 Casal Imbert 238 Cäsarea 84, 108, 231, 246, 250, 276, 284, 298, 310, 315 Cazaza 437 Cesarea Mazacha 88 Champagne 74, 121, 230 Chartres 47, 49 Chastel Blanc 225, 234 Chastel Neuf 234 Chateau Pèlerin (Castrum Peregrinorum) 234, 246, 287 Cherchell 443 Chiavenna 44 China 548, 566, 568 Chinon 334 Chios, Insel 197, 324, 359, 382, 422, 460 Choresmier 252 Chur 44 Cisa-Pass 44 Cîteaux 124, 398 Civetot 77 Civitate (San Paolo di C.) 54 Civitavecchia 421 Clermont 23, 25–26, 49, 65–66, 72, 74 Cléry 49 Cluny 36, 46, 49, 52, 65, 71

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Cognac 450–451 Como 44 Conques 49 Córdoba 57, 62, 436–437, 441, 443 Crac des Chevaliers 196, 225, 234, 257, 285 Curzolari-Inseln 467

Dalmatien 416, 473, 496, 538, 548 Damaskus 57, 89–99, 112, 135, 137–138, 140–141, 143, 145, 148, 151, 154, 191, 194, 230, 233, 234, 246, 255–257, 260–261, 265, 273, 283, 285, 292, 319, 320, 380, 386, 546, 561 Damiette 139, 150, 195, 247, 249– 251, 267, 268, 272–273, 384, 484 Dänemark 446 Dardanellen, Meerenge 363–364, 401, 494, 497, 542, 546, 549 Dauphiné 377 Davidsturm 94, 104 Dax 49 Delhi 380, 536 Deutschland 43, 129, 331, 352, 372, 399, 404–405, 416, 445–446, 466, 489, 495, 523, 541, 544–546, 548–549, 552, 563 Digne 396 Dijon 372 Dnjestr, Fluss 543 Dobrudscha 549 Dodekanes-Inseln 546, 553 Don, Fluss 481 Donau, Fluss 42–43, 50, 76, 78, 353, 363, 372–373, 383, 388, 390, 398, 400, 402, 416, 450, 452, 461–462, 495, 512, 524, 525 Dorylaion (Eskişehir) 86, 134 Dschazīra 137, 194, 245, 252 Dscherba, Insel 367–368, 441, 448, 459 Durrës 109 Ebro, Fluss 57, 215 Edessa (Şanlıurfa) 88, 106–107, 111, 124–129 Edirne 363, 389, 400, 401, 461, 469, 546, siehe auch Adrianopel Eilat 150 Eisenburg 495 Eisernes Tor 373 Elbe, Fluss 34, 43 Elsass 495 Emilia 439 England 37, 45, 55, 81, 104, 145, 174, 176, 183, 187–188, 265, 288, 304, 310, 319, 331, 351–352, 360, 365, 369, 372, 377, 392, 440, 446, 449, 460, 477, 486, 511, 526–527, 530, 536, 538, 541–544, 548–549, 551, 553, 555–557, 564 En Kerem 235 Enos (Enez) 375 Ephesos 134, 397 Epibation 409 Epirus 47, 69, 109, 113, 427 Erzurum 553 Euboä 197

Euphrat, Fluss 86, 88, 98, 106, 137– 138, 233, 258, 261, 317, 550 Europa 10, 12, 14, 20, 37, 39, 42–43, 45, 58–59, 71, 75, 84, 98, 104, 109, 111, 113, 124, 135, 143–145, 154, 157, 174, 189, 190, 206, 208, 211, 213, 215, 218, 220, 221, 235, 314, 317, 319, 326, 348, 351, 359–360, 363–365, 371–372, 378, 380, 382, 384, 388, 391–395, 397, 401–403, 406, 409–411, 413, 416, 417, 420– 422, 439, 444–445, 448, 450–451, 476–477, 482–484, 489–490, 494, 497, 501, 505, 507–508, 512–513, 518–519, 526–527, 531, 533–534, 538–539, 552, 560–561, 567, 569, 570, 574–576 Mittel- 29, 43, 206, 352, 484 Nord- 74, 213 Nordost- 18, 133, 358, 404 Ost- 29, 352, 460, 484 West- 40, 206, 542, 566 Fadala 434 Famagusta 230, 239, 298–299, 384– 387, 461, 466 Fariskur 247 Favignana, Insel 441 Ferner Osten 384 Ferrara 395–397 Fez 439, 482 Fiume 474 Flandern 43–44, 76, 81, 183, 335, 352, 365, 377, 483 Florenz 54, 83, 177, 230, 313, 388, 394–395, 398–399, 402, 406, 409, 412, 418–419, 421–422, 426–427, 449–450, 459, 503 Forbie, La 264 Frankfurt 415 Frankreich 14, 42–43, 45, 49, 58, 65–66, 76, 78, 110, 128–129, 134, 145, 174, 176, 181, 183, 206, 211, 215, 218–219, 265, 272, 276, 288, 304, 310, 322, 324, 328, 331, 338, 348, 352–353, 360, 365, 367–368, 370, 372, 376–380, 386, 392, 399, 415, 419, 422, 435, 440, 445–446, 450–451, 454, 457, 462–463, 470– 471, 473, 477, 483, 487, 489–491, 495, 504–505, 512, 522, 525–526, 530–531, 533–534, 536, 538–539, 541, 543–544, 548–549, 551, 553, 555, 557, 564 Friaul 424, 474 Gabala 109, 225 Gabès, Golf von 459 Galata 412, 420 Galiläa 144, 146, 151, 227, 234, 260, 265, 285, 462 Gallien 33, 57, 58 Gallipoli (in der Türkei) 324, 358, 364, 553 Gargano, Gebirge 50 Garigliano, Fluss 375 Garonne, Fluss 43, 49 Gascogne 325, 369 Gaza 156, 233–234, 259–260, 264, 319, 551

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Ortsregister Gelobtes Land (terra promissionis) siehe Jerusalem Genappe 353 Genezareth, See 151, 233–234 Gent 365 Genua 24, 28, 44, 48, 54–55, 83–84, 107, 114, 176, 202, 230, 235, 267, 276, 279, 281, 324, 336–337, 365, 367–368, 370, 372, 378, 381, 384– 390, 399, 402, 407, 414, 419, 422, 425, 439, 442, 448, 450, 454, 459 Georgien 252, 379, 417–418, 486 Gethsemane 528 Gianicolo 522 Gibelet siehe Jebail Gibraltar (Berg des Ṭāriq) 57, 481, 538, 540–541 Gisors 174 Glarentza 230 Göksu (Saleph), Fluss 181 Golanhöhen 137 Görz (Gorizia) 436 Göttingen 513 Goulette, La 453 Gradisca d’Isonzo 474 Granada 58, 337, 348, 358, 367, 404, 428, 432–434, 463 Griechenland 61, 173, 399, 405, 528, 545–546, 549, 550, 553–555, 557 Gride 239 Großbritannien 229, 525, 538–539, 551, 556–557, 564 Großer Sankt Bernhard 44 Haifa 108, 225, 246, 297 Ham, Festung 536 Hama 234, 252 Hammamet, Golf von 55, 369 Ḥaram al-Sharīf 256, 265 Hastings 38 Hattin 152, 156, 158–159, 171, 185–186, 264 Hebron 232, 234, 260 Hedschas 528, 556, 563 Heilige Stadt siehe Jerusalem Heiliges Land (terra sancta) 9–13, 18, 20, 47–48, 54, 56, 71, 85, 92, 98, 106–108, 110–111, 113, 115, 120– 122, 124–126, 129, 131, 146–147, 158–159, 171–172, 176–177, 179, 187–188, 190, 199, 202, 205–206, 208, 210–213, 220, 223–224, 231, 257, 275, 278, 281, 288, 298, 302–303, 305, 307–308, 311–314, 316–317, 320–321, 323–326, 328–329, 331, 333–334, 336–339, 349, 353–355, 357–358, 360, 362, 373, 390, 392, 462, 471, 485, 502, 516, 518, 520, 526, 528, 529–531, 533–534, 574, 576 Hellas siehe Griechenland Herakleia (Ereğli) 88 Hermon, Berg 154, 234 Herzegowina 543, 547 Hindukusch 380 Ḥiṣn Kayfā 269 Homs 234, 260–261, 286, 319 Hula, Ebene 233

Iberische Halbinsel siehe Spanien Iconium 77, 88, 92, 179, 180, siehe auch Konya Ile-de-France 215 Imbros, Insel (Gökçeada) 359, 555 Indien 151, 229, 384, 418, 481, 501, 511, 536, 540–541, 558, 564 Indischer Ozean 230, 384, 481, 534, 536, 540, 542 Indus, Fluss 380 Ionien, Insel 472 Ionisches Meer 524 Irak 555, 558 Iran 14, 282, 558, 564–568 Irland 482 Isfahan 496 Israel 122, 132, 234, 558 Istanbul 420, 424, 427, 433, 435– 436, 440, 442, 446, 452, 456–457, 459, 461–462, 472, 483, 485, 491, 496, 525–527, 529, 530, 542, 546, 549, 553, 556, 561, siehe auch Byzanz und Konstantinopel Istrien 427, 548 Italien 18, 42–44, 47, 78, 129, 131, 158, 177, 237–238, 255, 352, 372, 377, 378, 388, 399, 402, 407, 412, 414, 416, 424–427, 434–435, 437, 439–441, 445–446, 448–449, 450, 457, 462, 478, 508, 517–521, 533, 538, 543–544, 546, 553 Mittel- 65, 288, 388, 445 Süd- 11, 37, 45, 54, 69, 104, 197, 335, 402, 427, 435, 442, 448 Nordwestliches 84 Nord- 43, 65, 78, 177, 288, 445 Italienische Halbinsel siehe Italien Ivrea 44 Iznik siehe Nicäa

Jaffa 48, 94, 108–109, 115, 134–135, 145, 155, 183, 185, 189, 194–195, 225, 234, 256, 259, 264, 276, 278, 349, 511–512, 533, 551–552 Japan 548 Jaxartes (Syr-Darja), Fluss 62 Jebail 109, 155, 159, 194, 242 Jemen 141, 143, 550, 567 Jericho 120, 235 Jerusalem 9–10, 23–26, 28, 36, 46–50, 52, 54, 64, 66–68, 70, 74, 82, 84–86, 92, 94, 96–99, 101, 104, 106–111, 114, 115, 121, 123, 126, 131–133, 135, 138–140, 143, 146, 148, 150–152, 156–157, 171–173, 177, 179, 181, 183, 185, 186–189, 191, 194–196, 205–206, 209, 218, 223–225, 227, 229, 231–239, 244–247, 249–251, 253–256, 259–261, 264–266, 272, 276–277, 284, 288, 293, 299, 305, 307–308, 310–312, 315–317, 319–320, 324, 326, 327–328, 330, 333, 344, 348, 349, 354–358, 360, 361, 365, 384, 389, 396, 417, 438, 440, 444, 450, 481, 491, 503–505, 508, 510–511, 517, 519, 520, 526, 528, 530–531, 534, 546, 551, 561, 573–574 Himmlisches 46, 74, 205, 209, 574

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Irdisches 74, 132, 205, 249, 354, 574 Königreich 98, 107–108, 110, 139, 143, 151, 156, 174, 183, 223–229, 234, 238–239, 255, 260, 275, 277 Jesreel, Ebene von 228 Jijel, Halbinsel 442–443 Jordan, Fluss 96, 106, 108, 150, 152, 194, 225, 228, 234–235, 260, 317 Josaphat, Tal von 310 Judäa 146 Kahlenberg 496 Kairo 97, 99, 125, 140–141, 143, 151, 195, 247, 250, 257, 260, 268–270, 272, 274, 284, 292, 297, 355–356, 362, 440, 444 Kalabrien 427 Kalvarienberg 128, 430 Kampanien 448 Kana 234 Kantabrisches Gebirge 57 Kapernaum 234 Kapitol 522 Kappadokien 86 Karaman 180 Karamaniden 393, 400, 525 Karlobag (Carlopago) 474 Karlowitz 496, 525 Karmel, Berg 232, 234 Karnien 473 Karthago 282, 453 Kaspisches Meer 380, 481, 497, 546 Kastilien 55, 58, 215, 331, 382, 404, 432, 434, 435, 437–438, 448, 455 Katalonien 441 Kaukasus, Hochgebirge 64, 380, 497, 553 Kefalonia, Insel 437 Kerak 141, 148, 151, 257, 260–261 Kerkenna, Insel 441 Kiautschou 548 Kilikien 148, 181, 225, 257, 284, 299–300, 302, 326–327, 331, 336, 338, 553 Kilikisches Tor 88 Kiptschak 258, 270 Kirchenstaat 14, 412, 439, 537–539 Kirgisistan 126 Kleinasien 37, 63, 281, 390, 393, 549 Köln 44, 74, 76, 190 Konstantinopel 44, 47, 63, 68–70, 77–78, 110–111, 126, 134, 139, 148, 158–159, 179, 196–197, 200, 202, 205, 229–230, 277, 281, 312, 317, 321–326, 333, 335, 337–339, 358–359, 364, 378, 380, 382, 388– 390, 392–393, 395–399, 401–403, 405, 407, 409–413, 415–417, 422, 426, 450, 478, 485, 489, 497, 503, 528, 574, siehe auch Byzanz und Istanbul Konstanz 389, 391, 394 Konya 63, 77, 358, 553, siehe auch Iconium Koralleninsel (Pharaoneninsel) 151 Korfu 200, 436, 473 Korinth 418 Korsika 59–60, 63

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Anhang Korykos 360 Kreta 62, 200, 202, 484, 494, 545–546 Krim 359, 533, 536, 543 Kroatien 496 Kruja, Festung 405 Ktesiphon 60 Küçük Kaynarca 526 Kues 422 Kürboğa 89 Kurdistan 138, 553 Kuriat 369 Kykladeninsel 462 Kyrenaika 456 Kyrenia 239, 385

Laiazzo (Ayas) 230, 284, 299, 360 Languedoc 214–215, 354 Laodicea 95, 108–109, 113, 225, 228, 230, 287 Larache 482 Larcom 337 Las Navas de Tolosa 58, 215, 216 Lateinamerika 538 Lateran 313, 316 Latium 444 Lausanne 546, 554 Lecce 176, 426 Lemnos, Insel 371, 416, 419, 494 León 49, 58 Lepanto (Nafpakto/Naupaktos) 13, 436, 466–467, 469–470, 472–473, 476, 478, 481, 483, 494, 504, 575–576 Lérida 136 Lesbo, Insel 420 Levante 24, 60, 113, 208, 224, 255, 275, 279, 281, 298, 300, 304, 306, 316, 324, 381, 386–387, 462, 526, siehe auch Osten, der Levantinisches Meer 360, 388, 551 Libanon 225, 234, 245, 260, 541, 551, 555 Berge des 228 Libyen 565–566 Lille 414 Limassol 176, 298 Limburg 391, 483 Limoges 49 Lissabon 133, 136 Livland 404 Livorno 459, 478 Lodi 412 Loire, Fluss 147 Lombardei 202, 288 London 425, 539, 543, 554, 557 Loreto 444, 467 Lothringen 74, 81, 495 Nieder- 78 Löwen 353 Lucca 44, 50, 449 Luni 44 Luxemburg 391, 495 Luzern 480 Lydda 189, 195, 231, 234, 310 Lyon 10, 66, 266, 304, 314, 328, 414, 485

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Maʿarrat al-Nu’mān 92 Maastricht 353 Madrid 489 Magdala 234 Magdeburg 503, 505 Maghreb 431, 434, 436, 438, 442, 448, 459, 481, 501 Mahdia 24, 55, 60, 367–370, 441, 458 Mailand 44, 52–54, 99, 388, 390, 410, 412, 419, 422, 424, 425, 445, 448–450, 517 Mainz 44, 76, 177, 407, 491 Makedonien 371, 549 Málaga 436, 441 Mali 482 Malta 337, 448, 455, 458–462, 536, 538, 541 Mamistra 88, 109, 284 Mandra 474 Mantua 419, 444 Manzikert 25, 63 Maragheh 282 Marasch 88 Maremma 426 Margat 225–226, 234, 257, 287 Marignano 445 Maritza 555 Mark von Ancona 288, 335 Treviser (Trivisiana) 288 Marken 439 Marmarameer 401 Marokko 463, 481–482 Marseille 176, 230, 232, 277, 331, 337, 359, 368–370, 455 Mashhad‘Alī 256 Mauretanien 63, 482 Medina 148, 151, 563 Megiddo 234 Mekka 22, 138, 148, 151, 191, 550, 556, 563 Melilla 434 Melitene 108 Mende 32 Meraclea 287 Mers el-Kebir 434, 437 Merw 252 Mesembria 364 Mesopotamien 120, 187, 233, 379, 549, 551, 553, 555 Messina 60, 176, 230, 436, 466 Metz 134 Mexiko 14, 510 Milvische Brücke 31, 510 Mistra 399, 404–405 Mittelmeer 20, 24, 28, 44, 59–60, 62–64, 68, 83–84, 86, 120, 137, 200, 228–230, 244, 277, 281, 305, 337, 367, 380, 384, 406–407, 422, 432–433, 436, 439, 440, 442–445, 448–449, 452–453, 461–463, 472, 477–479, 481, 484, 490–491, 495, 497, 501–502, 507, 512, 521, 524–525, 527, 533–534, 536–538, 540, 542–544, 549, 557, 567, 569, 574–575 Mittlerer Osten 566 Modon (Methoni) 387 Mohács 451

Moinestre, Le 234 Moissac 49 Moldawien 526 Molise 427 Monachus 231 Monastir 369 Monclus 354 Mons Iovis siehe Großer Sankt Bernhard Montecassino 50, 54 Montenegro 543, 546 Montfort (Monfort des Alemans) 234 Montmusard 293, 295 Montpellier 215, 230 Mont-Saint-Michel 47, 50 Montségur 217 Monzón 439–440 Morea (Peloponnes) 390, 392, 399, 409, 418, 421, 489, 496, 525 Mosel, Fluss 422, 491 Moskau 528, 552 Mossul 112, 140, 143, 146, 555–556 Murcia 441 Muret 215 Myra 50 Myriokephalon 143 Mytilene 359 Nabi Samuil (Monjoie), Berg 94 Nablus 146, 155, 228, 235, 257, 260–261 Nadschd 556 Naher Osten 63, 273, 327, 444, 491, 534, 541, 550–551, 557–558, 567 Narbonne 37, 337 Navarino 460 Navarra 58, 440 Naxos, Insel 416, 462 Nazareth 195, 231, 234, 256, 263, 467 Neapel 230, 355, 357, 369, 388, 399, 402, 405, 407, 409, 411–412, 414, 416, 419, 421–422, 426–427, 430, 435, 437, 440–441, 448, 455, 459, 466, 474, 479, 490, 497, 508, 511 Negev, Wüste 235 Negroponte, Insel 359, 364, 418 Nephin 319 Neue Welt 18, 432, 434, 439, 441, 448, 452, 489, 513 Neu-Phokäa (Yeni Foça) 376, 382 Nicäa 86, 101, 134, 281, 321, 358 Niederlande 352, 491, 495 Niger(bogen) 481 Nikomedia 320 Nikopolis 347, 351, 370–371, 373, 376–378, 382, 401, 576 Nikosia 238–239, 298, 355, 384– 385, 466 Nil (Gyon), Fluss 138, 141, 188, 194, 229, 243, 245, 247, 251, 266, 268–271, 282, 384, 386, 444, 512, 534, 539, 541 Nîmes 67, 230 Nimrod 234 Nischapur 252 Nish 399 Nizza 455–456 Nordsee 462, 544 Normandie 50, 174, 353

10.02.22 13:51

Ortsregister Novo Brdo 416 Nubien 141, 292, 482 Nur Dağları, Gebirgskette 88 Nymphaion 281

Ogliastra, Insel 369 Okzident 21, 518, 569, 575 Okzitanien 218 Ölberg 528 Oran 434–435, 437–438, 441 Orient 12, 21, 23–26, 45, 119–120, 144, 177, 221, 229, 249, 346, 364, 378, 417, 425, 430–432, 439, 460, 507, 511–512, 518, 522, 527, 533, 538, 561, 569, 575 Orléans 49, 74 Orontes, Fluss 84, 125, 137 Orsova 373 Ortona 460 Ostabat 49 Osten, der 13, 60, 62, 64–66, 68, 82, 98, 113, 126, 128, 133, 144, 176, 188, 222, 225, 229, 232, 253, 257, 306–308, 331, 333, 337, 380, 384, 390, 407, 432, 534, 537 Österreich 450, 474, 483, 490, 525, 527, 530, 533, 538–539, 542, 546, 548, 557 Österreich-Ungarn 538, 541–544 Ostia 455 Ostsee 544 Ostseeregionen/Ostseeraum 11, 133, 208, siehe auch Baltikum Otranto 426–428, 431 Kanal von 78, 407, 414 Outremer 84, 107, 113, 115, 124, 135, 146, 194, 208, 223–225, 227– 230, 233, 235–237, 239, 242, 245, 246, 252–253, 255–256, 259, 260, 264, 275–278, 282, 284, 286, 288, 307, 309, 311, 328, 353–354, 517 Oviedo 58 Oxford 339, 550, 561 Oxus (Amu-Darja), Fluss 62 Pakistan 558 Palästina 62, 132, 159, 191, 213, 228, 235, 297, 444, 511, 520, 527, 550–552, 556, 574 Palermo 60, 230, 253, 441 Palma de Mallorca 455 Palmi 509 Pamplona 49 Panama, Kanaldurchstich 536 Pannonien 45 Paphos 298, 385 Paris 45, 49, 78, 217, 235, 325, 329, 339, 347, 353, 365, 372, 383, 417, 489, 491, 497, 505, 519, 533, 536, 538–539, 550, 551, 561 Passarowitz 484, 494, 525 Passe Poulain (Rosh Hanikra) 234 Patras, Golf von 466 Pavia 44, 449 Pazifik 481 Peñón de Vélez de la Gomera 434, 438, 448 Pera 364, 378, 401, 409 Périgueux 49

Persien 61–62, 229, 282, 305, 319, 346, 379–380, 476, 501, 511, 553, 563 Persischer Golf 360, 558 Petra 148, 232 Philippopolis (Plowdiw) 179 Phrygien 143 Piacenza 26, 44, 48, 65 Picardie 352 Piemont 44, 533, 538 Piombino 370 Pisa 44, 54–55, 114, 230, 276, 337, 459 Plombières 537 Po, Fluss 43–44, 48, 419 Podolien 496 Poebene 44 Poitiers 49, 57, 63, 330, 331, 489 Polen 399, 401, 483, 495–496, 525–526, 530 Pontremoli 44 Ponza, Insel 478 Port Said 535, 539 Portugal 133, 435, 481–482, 539 Prag 489 Prato 426 Pressburg (Bratislava) 495 Preußen 212, 404, 530, 538–539 Preveza 454 Provadija, Fluss 401 Provence 43, 81, 212 Prut, Fluss 543 Puente la Reina 49 Puy, Le 49 Pyrenäen, Gebirge 49, 57–58, 63–64, 489–490

Ragusa (Dubrovnik) 197, 399, 418, 543 Ramla 189, 195, 234 Ravenna 65 Regensburg 179, 372, 414–415 Reggio (Calabria) 60 Reims 119 Rhein, Fluss 34, 42–44, 74, 76, 243, 491, 508 Rhodos 331, 333, 336–337, 353, 359, 361, 378, 385–386, 416, 419, 426, 428, 435, 448, 546, 553 Rhône, Fluss 43, 214, 215 Rif 560 Rōdah, Insel 270 Rom 11, 33–35, 37, 44, 47, 49–50, 53, 55, 60, 65, 126, 129, 159, 216, 218, 255, 316–317, 325, 329, 344, 354, 364–365, 378, 404, 407, 409, 416, 418, 428, 445, 449, 451, 453, 455, 469, 489, 497, 521–522, 528, 539, 543, 574 Romagna 288, 335, 436, 508 Romania 68, 299 Roncesvalles 49, 58, 63 Ronda 436 Rosetta 196, 319 Rotes Meer 51, 151, 229–230, 244, 440, 481, 534, 541, 551 Rouen 76, 365 Roussillon 434 Ruj 94

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Rūm, Sultanat 63, 260, 274 Rumänien 373, 543, 549 Russland 482–483, 510, 525–528, 530, 533–534, 542–544, 546, 548–549, 567–568

Saarland 495 Sachsen 35 Safed 233–234, 248, 260, 284–285 Saintes 66 Saint-Germain-des-Prés 505 Saint-Gilles 49 Salamanca 339 Salamiyya 252 Salerno 69 Saloniki 546–547, siehe auch Thessaloniki Samarien 146, 148, 234 Samarkand 126, 252, 379–380, 382, 546 Samothrake, Insel 416 San Michele im Gargano 47, 50 San Nicola di Lido 199 Sankt Gotthard 495 Sankt Simeon (Solino) 84, 135 Sankt-Antonius-Tor 293, 295 Sanremo 555 Santarém 136 Santiago de Compostela 47, 49, 50, 63, 255 Saragossa 57 Sardinien 44–45, 59–60, 369, 538 Saruhan, Emirat 359 Satalia (Antalya) 360 Saudi-Arabien 556, 566–568 Säulen des Herkules (Straße von Gibraltar) 448 Savona 378 Savoyen, Herzogtum 456 Scharon, Ebene 228 Schwarzes Meer 229, 258, 269, 277, 281, 298, 324, 360, 364, 372, 380, 388, 401, 407, 412, 419–420, 422, 425, 481, 484, 525–527, 538, 543, 548 Sebaste 231, 235, 310 Sedan 539 Seleucia 181 Senj (Segna) 473 Sepharad siehe Spanien Sepphoris (Saffuriya) 152 Serbien 179, 395, 400–401, 404, 418–419, 525, 543, 546, 548–549 Serenissima siehe Venedig Sèvres 553 Shawbak 141, 148 Sidon 109, 111, 154, 183, 194, 225, 231, 238, 276, 287, 297, 310 Siebenbürgen 395, 398, 451, 486, 494, 496 Siena 44, 416, 428–430, 449 Sinai, Berg 444 Sinai, Halbinsel 151, 234 Sindh 61 Sion, Berg 96 Sis 284 Sivas 86, 230, 553

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Anhang Sizilien 20, 24, 37, 62, 64, 81, 104, 141, 174, 176, 208, 216, 220, 255, 307, 316, 322–324, 331, 336, 370, 411, 427, 441, 448, 453, 455, 457, 459 Slawonien 496 Smyrna 281, 358–361, 382, 389, 553 Sofia 399 Söğüt 321, 358 Somport 49 Sorrent 480 Sowjetunion 552–553, 558 Sozopolis 364 Spanien 11, 14, 20, 23–24, 28, 37, 49, 56–57, 59, 63, 104, 133, 136, 205, 212–213, 220, 265, 339, 352, 358, 367, 377, 392, 404, 428, 432– 434, 436–439, 452, 459, 461–463, 466, 469, 472, 479, 481, 486, 489, 490, 504, 510, 517, 525, 530, 533, 539, 557, 562, 570 Speyer 44, 76, 129, 450 Splügenpass 44 Sudan 556, 560 Suezkanal 534, 536, 538–542, 549, 550, 556–557 Syr-Darja 328, siehe auch Jaxartes Syrien 44, 62, 88, 92, 99, 106, 120, 126, 135–136, 139–141, 143, 151, 187, 189, 191, 194, 196, 220, 228, 235, 245–247, 249, 252, 254, 260–261, 265, 274, 282, 285, 297–300, 308, 310, 319–320, 327, 330, 333, 347, 367, 379–380, 444, 511, 520, 529, 537, 541, 551, 553, 555, 565–566, 574 Szeged 460 Szegedin 401 Tabor, Berg 234, 245–246, 265 Täbris 252, 282, 379 Talcha 251 Tall al-Fukhkhār 292 Tanger 482, 561 Tarent 426 Tarsus 284 Taurusgebirge 399 Temeswar 496 Tenedos, Insel (Bozcaada) 378, 494, 555 Ténès 443 Terracina 370 Tetuán 434 Theben 38 Theiß, Fluss 398 Thessalien 399 Thessaloniki 230, 371, 389, siehe auch Saloniki Thrakien 363, 364, 448, 549, 553–555 Tiberias 146, 152, 231–232, 234, 261, 265, 310, 462 Tienen 353 Tiflis 252, 379 Tigris, Fluss 125, 137, 512, 550–551 Tikrit 138 Timbuktu 482 Timsah-See 534 Tirol 508, 548

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Tlemcen 369, 439, 441, 443 Toledo 57, 422 Tolfaberge 421 Tonkin 537 Tor des Sieges (Bāb al-Naşr) 269 Tordesillas 435 Toron 225, 234, 248 Tortosa 60, 108, 136, 225, 227, 234, 297, 319 Toskana 202, 426, 427, 457, 466, 472 Totes Meer 115, 150 Toulon 457, 478, 511 Toulouse 49, 215–217, 354, 367 Tours 49, 176 Transjordanien 111, 141, 146, 148, 151, 228, 257, 551, 553, 556 Transoxianen 379 Trapezunt 380, 420 Trient 458 Triest 543 Tripolis (Libanon) 106–107, 109, 111, 126, 142, 144–146, 148, 152, 156–157, 171, 174, 196, 225, 229–232, 234, 239, 242, 264, 285, 287, 310, 314, 319, 327 Tripolis (Libyen) 441, 458–459, 525 Tripolitanien 440, 546, 560 Trogir 197 Troyes 123 Tunesien 560 Tunis 230, 282, 390, 425, 439–442, 453, 461–462, 463, 472–473, 479, 483, 544 Turin 489, 518 Türkei 526 –528, 534, 546–550, 553, 555, 558, 563 Tuz, See 88, 399 Tyrrhenisches Meer 28, 44–45, 59 Tyrus 225, 228–229, 231–232, 234, 238–239, 242, 264, 278–279, 287–288, 292, 293, 297–298, 310, 328, 502–504, 523 Udine 394 Ungarn 179, 372, 374, 390, 393, 398–402, 404–405, 416, 421, 426, 448, 450, 454, 460, 484, 494–496, 549 Urganch 252 Utrecht 49

Versailles 170, 539, 553, 559 Vézelay 49, 128–129 Vicenza 436 Vienne 334, 337–338 Villandraut 325 Viterbo 126, 418 Volterra 23

Wādī al-Khāzindār 319 Walachei 371, 399, 526 Westen, der 14, 16, 18, 25, 37, 40, 55, 57, 60, 63, 68, 70, 86, 110, 115, 126, 135, 138, 142, 171, 173, 186, 194, 196, 200, 211, 222, 224, 229– 232, 244–247, 251, 259, 265, 287, 298, 301, 304, 306, 308, 317, 321, 327–329, 337, 347–348, 362, 372, 379, 388, 390, 392, 394–395, 399, 402, 406, 407, 410, 413, 416–417, 425, 430, 432, 443, 460, 466, 482, 485, 487, 501, 507, 526–527, 530, 545, 548, 551, 557–558, 561–569, 575, 577 Westfalen 484, 494 Westjordanland 552–553 Wien 372, 416, 483–484, 494–497, 501, 524, 527, 542, 575–576 Wiener Neustadt 405, 415 Wolga, Fluss 481, 512 Worms 44, 76 Wouaira 148 Zante, Insel 436 Zara 199 Zsitvatorok 486 Zypern 148, 176, 187, 194, 225, 237–239, 265, 267, 274, 277, 293– 295, 298–302, 310–311, 326–328, 331, 336–337, 355, 357, 359–361, 363, 384–387, 406, 424, 461–463, 466, 469, 471–473, 476, 504, 543, 549, 553, 557

Valencia 60, 440 Varna 364, 398–407, 416 Vasvár siehe Eisenburg Vendée 11, 14, 508–511 Venedig 44, 113–114, 196–197, 199, 200, 202, 230, 235, 276, 278–279, 281, 288, 312, 316, 324, 328–329, 336–337, 354, 355, 357, 359, 362– 364, 371–372, 378, 381, 385–390, 395–396, 399–402, 404, 407, 409, 411–412, 414, 418–419, 421–422, 424–428, 435–437, 440, 448, 450, 452, 460–463, 466–467, 472, 474, 483, 496, 524, 557 Vercelli 44 Verdun 354 Vereinigte Staaten von Amerika 538, 564

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Abbildungsnachweis akg-images: S. 17, 30, 93, 116, 117, 118, 130, 136, 172, 175, 180 (oben), 207, 242, 248, 266, 270, 277, 342, 343, 366 (unten), 391, 425, 464–465, 468 (unten), 492–493, 498, 499, 537, 540 | akg-images/A.F.Kersting: S. 224 | akg-images/ Albatross/Duby Tal: S. 297 | akg-images/Album/AMC Pictures: S. 572 (unten) | akg-images/Album/E. Viader/Prisma: S. 149 | akg-images/Album/Joseph Martin: S. 66 | akg-images/Album/Oronoz: S. 41, 95, 195, 216, 254, 287, 332 | akg-images/ Album/Paramount Pictures: S. 571 (oben) | akg-images/Album/Prisma: S. 226 (oben), 431 (unten) | akg-images/Album/Warner Brothers: S. 571 (unten) | akg-images/Archives CDA/St-Genès: S. 170 | akg-images/Bible Land Pictures: S. 142 | akg-images/ British Library: S. 75, 138, 173, 174, 217, 219, 262 (Mitte), 361 | akg-images/Cameraphoto: S. 190, 191, 280 | akg-images/De Agostini Picture Lib.: S. 71, 198 (unten), 340, 341, 509 | akg-images/De Agostini Picture Lib./F. Gallino: S. 96 | akg-images/ De Agostini Picture Lib./G. Dagli Orti: S. 186, 453 | akg-images/Erich Lessing: S. 47, 100 (oben), 102, 140, 185, 201 | akgimages/Florilegius: S. 267, 368 | akg-images/Fototeca Gilardi: S. 423 | akg-images/Jérôme da Cunha: S. 103 | akg-images/Joseph Martin: S. 322, 506 | akg-images/Manuel Cohen: S. 80, 226 (unten) | akg-images/Maurice Babey: S. 192–193 | akg-images/ Mel Longhurst: S. 379 | akg-images/Nimatallah: S. 197, 489 | akg-images/North Wind Picture Archives: S. 294 | akg-images/ picture-alliance/dpa: S. 547 | akg-images/Pictures From History: S. 147, 155, 182 (oben), 408, 554 | akg-images/Rabatti & Domingie: S. 291, 431 (oben), 447, 500 | akg-images/Schütze/Rodemann: S. 137 | akg-images/Science Source: S. 77, 153, 262 (oben) | akg-images/Universal Images Group/Universal History Archive: S. 27, 286, 370 | akg-images/VISIOARS: S. 514– 515 | akg-images/Werner Forman: S. 289 | akg-images/WHA/World History Archive: S. 132, 333 | Art Heritage/Alamy Stock Photo: S. 164–165 | Artefact/Alamy Stock Photo: S. 240–241 | Bibliothèque nationale de France: S. 330 | Bridgeman Images: S. 166–167 | British Library: S. 262 (unten), 263, 276 | Collection Christophel/Alamy Stock Photo: S. 572 (oben) | Eric Vandeville/akg-images: S. 35, 366 (oben) | Heritage Images/Fine Art Images/akg-images: S. 25, 91, 133, 144, 168–169, 184, 198 (oben), 364, 373, 376, 433, 454, 467, 535 | Heritage Images/Historica Graphica Collection/akg-images: S. 487 | Heritage Images/Pere Rotger – Index/akg-images: S. 468 (oben) | Heritage-Images/Art Media/akg-images: S. 51, 90 (unten), 105 | Hervé Champollion/akg-images: S. 73 | Hi-Story/Alamy Stock Photo: S. 160–161 | incamerastock/Alamy Stock Photo: S. 162–163 | Peter Palm, Berlin: S. 582–583 | Photo © Bonhams, London, UK/Bridgeman Images: S. 189 | Photo © Photo Josse/Bridgeman Images: S. 15 | Quagga Media UG/akg-images: S. 178, 403 | Realy Easy Star/Alamy Stock Photo: S. 477 | The Picture Art Collection/Alamy Stock Photo: S. 303, 529 | Wikimedia Commons: S. 2, 24, 67, 69, 79, 87 (oben), 87 (unten), 89, 100 (unten), 107, 112, 122, 127, 143, 150, 180 (unten), 182 (unten), 237, 249, 283, 285, 290, 347, 381, 383, 400, 411, 429, 599 | Zoltan Bagosi/Alamy Stock Photo: S.246

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»Ganz ungewöhnlich, ganz modern: ›Die große Geschichte der Kreuzzüge‹ ist eine wunderbar lesbare, reich bebilderte Gesamtdarstellung.« PROF. NIKOL AS JASPERT

Kommen Sie ins Gespräch mit Leser:innen und Autor:innen auf wbg-community.de

Umschlagabbildung: Émile Signol, Die Einnahme von Jerusalem, 1847. © incamerastock/Alamy Stock Photo Umschlaggestaltung: www.martinveicht.de

wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-8062-4419-9

DIE GROSSE GESCHICHTE DER KREUZZÜGE

ANTONIO MUSARRA lehrt mittelalterliche Geschichte an der Universität Sapienza in Rom. Er ist spezialisiert auf das mittelalterliche Genua, die Kreuzzüge und die italienische Expansion im mittelalterlichen Mittelmeer. Seine Forschungsinteressen umfassen Handelsnetzwerke, Navigation und Seekriegsführung.

Es war nicht nur ein Phänomen des 11. bis 13. Jahrhunderts – religiös überformte und angeheizte Kriege durchziehen die europäische Geschichte vom Hochmittelalter bis in die Neuzeit. Die beiden Großmeister der europäischen Mediävistik, Franco Cardini und Antonio Musarra, legen die erste Gesamtdarstellung europäischer Kreuzzüge vor. Sie reicht vom Aufkommen des Kreuzzugsgedankens über den Kampf gegen Häresien und Luthers »Türkenbriefe« bis zur Verteidigung der Grenzregionen im Balkan. So entsteht ein neues Gesamtbild zu einem Zentralthema unserer Geschichte.

FR ANCO CARDINI / ANTONIO MUSARRA

© privat

© Leonardo Cendamo

FR ANCO CARDINI, emeritierter Professor für mittelalterliche Geschichte der Universität Florenz, arbeitete und lehrte u. a. in Paris, Göttingen, Wien, Madrid, Boston, Turku, São Paulo, Jerusalem, Damaskus und Bari. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte des Mittelalters allgemein sowie Jerusalem, die Kreuzzüge und insbesondere das Verhältnis zwischen Christenheit und Islam. 2000 erschien auf Deutsch das Standardwerk »Europa und der Islam. Geschichte eines Missverständnisses«, 2012 sein Bestseller »Atlas des Mittelalters«.

REICH BEBILDERT UND GLÄNZEND ERZÄHLT: DAS NEUE STANDARDWERK

FR ANCO CARDINI ANTONIO MUSARRA

DIE GROSSE GESCHICHTE DER KREUZZÜGE VON DEN SOLDATEN CHRISTI BIS ZUM DSCHIHAD

Mit 185 farbigen Abbildungen

»GEWISS, DIE IDEE DER KREUZZÜGE hat sich im Laufe der Zeit als äußerst flexibel erwiesen. Die Veränderungen, denen sie unterlag, wurden sehr unterschiedlich bewertet: als Erweiterung ihres ursprünglichen Charakters oder schlicht und einfach als Abweichung von ihrer ursprünglichen Intention. Das ändert jedoch nichts daran, dass im spätmittelalterlichen und vormodernen Europa eine Art Kreuzzugskultur entstand, die sich vom kanonischen Recht in die Literatur, Kunst und Musik, in die volkstümliche Propaganda und das allgemeine Empfinden hinein verlagerte. Gespeist von Gesten, Riten und Traditionen blieb die Kreuzzugsidee bis zu ihrer polemischen Kritik durch die Aufklärung, ihrer Neubelebung in der Romantik und schließlich ihrer unverblümt politischen Instrumentalisierung in den beiden Weltkriegen und im Spanischen Bürgerkrieg 1936 – 1939 lebendig. Als eine ›Kraftidee‹ oder Ideenkraft war sie vor allem ein Faktor der Sammlung, ja der Einheit und der Identitätsstiftung – und als solcher keinesfalls auf das Heilige Land und die Zeit zwischen dem 11. und dem 13. Jahrhundert beschränkt.« Franco Cardini, Antonio Musarra